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Urologie
B. C. Hanusch
Inhalt
884 Urologie
1 Pathomechanismen, allgemeine Merke Die Differentialdiagnose zwischen Harnverhalt und akutem
Symptomatologie und Prinzipien Nierenversagen wird durch die Sonographie gestellt!
886 Urologie
Tabelle 1.1: Ursachen der Harntransportstörung
888 Urologie
Überlaufinkontinenz: tropfenweise Entleerung der Blase ment, Urinzytologie, Sonographie, Urogramm, Urethrozy-
durch passive Überdehnung der Blasenwand ohne De- stoskopie, ggfs. CT) abgeklärt werden. Auch Nierentrau-
trusorkontraktion ⇒ Detrusorschwäche, Prostatahy- men, Endometriose und Antikoagulantien können Häma-
perplasie, neurogene Funktionsstörungen turien verursachen (¶ Abb. 2.1).
2.5 Schmerz
Klinischer Fall
Zur Urge-Inkontinenz gehört:
(A) Verspäteter Harndrang bei der Blasenauffüllung für eine Zystoskopie Siehe auch Chirurgie Kap. 24.
(B) Hypotonie des Sphincter urethrae internus Schmerzen sind ein typisches Leitsymptom urologischer
(C) Hyperreflexie des Detrusors Erkrankungen. Man unterscheidet akute krampfartige,
(D) Vergrößerter dorsaler Vesikourethralwinkel intermittierende Schmerzen (Koliken) von dumpfen
(E) Descensus uteri meist chronischen Dauerschmerzen. Koliken werden
Lösung: C durch die Überdehnung des Hohlraumsystems, Dauer-
schmerzen durch Beteiligung parenchymatöser Organe
verursacht.
2.3.3 Harnverhalt
Merke Eine akute Hohlraumdehnung (z.B. Urolithiasis, Blutkoa-
akut: plötzlicher Verschluss der Harnröhre durch Ob-
gel) ist sehr schmerzhaft (Kolik).Eine langsame Hohlraumdehnung
struktion (Steine, Blutkoagel ⇒ „Blasentamponade“,
(z.B.durch Tumoren) ist meist schmerzlos.
Prostatahyperplasie), medikamentös, neurogen (Trau-
ma, postoperativ) mit starken Unterbauchschmerzen
und tastbarer druckschmerzhafter gefüllter Blase („Un- Entsprechend der sensiblen Innervation der betroffenen
terbauchtumor“) Organe werden die Schmerzen auf bestimmte Dermatome
chronisch: bei langsam zunehmender Obstruktion (Prosta- projiziert.
tahyperplasie, Blasenhalssklerose, Harnröhrenstriktur, Nierenschmerzen: lokaler Druck- und Klopfschmerz im
neurogene Blasenentleerungsstörungen) Ausbildung kostovertebralen Winkel, z.T. mit Ausstrahlung in den
großer Restharnmengen mit Zeichen der Überlaufin- Unterbauch, bei Tumoren, Entzündungen und Nieren-
kontinenz, meist schmerzlos steinen
Harnleiterschmerzen: abhängig von der Lokalisation Flan- X
kenschmerzen oder Mittel- bis Unterbauchschmerzen
2.4 Hämaturie mit Ausstrahlung in Blase, Harnröhre, Skrotum oder
Labien
Blasenschmerzen: suprapubischer Druckschmerz bei aku-
Definition tem Harnverhalt, Miktionsbeschwerden und Blasen-
Mikrohämaturie: 3 und mehr Erythrozyten pro Gesichts- krämpfe bei Entzündungen
feld Prostataschmerzen: dumpfes Druckgefühl im Dammbe-
Makrohämaturie: sichtbare Rotfärbung des Urins durch reich, Ausstrahlung in die Harnröhre, Miktionsbe-
Blutbeimengung schwerden
Drei Viertel aller Hämaturien werden durch Tumoren, Skrotalschmerzen: akute stechende Schmerzen bei Hoden-
Harnwegsobstruktionen, Urolithiasis und Harnwegsinfek- torsion und Infektionen, dumpfe oder ziehende
te verursacht.Die Mikrohämaturie lässt sich nur durch mi- Schmerzen bei Hydrozelen, Varikozele, Tumoren
kroskopische Untersuchung des Urins nachweisen. Ver- Differentialdiagnostisch muss an Erkrankungen der Wir-
formte Erythrozyten weisen auf eine Ursache im Bereich belsäule (Bandscheibenleiden, Metastasen) und des Abdo-
des Nierenparenchyms hin. Makrohämaturien bewirken mens (Gallenkolik, Ulzera, Pankreatitis, Appendizitis, Di-
eine Rotfärbung des Urins, die durch Sedimentuntersu- vertikulitis, inkarzerierte Hernie) gedacht werden.
chung von Hämoglobinurie, Myoglobinurie und Nah-
rungsmitteln oder Medikamenten abzugrenzen ist. Sie
können mit starken,kolikartigen oder dumpfen Schmerzen 2.6 Begleiterscheinungen
im Nierenlager oder der Blase einhergehen. Schwerste Blu- urologischer Erkrankungen
tungen führen zur Blasentamponade.
Wichtig ist der Zeitpunkt der Hämaturie während der
Miktion. Nieren- und Harnleiterkoliken sind oft verbunden mit ga-
total: gesamte Urinportion blutig ⇒ Blutung im oberen strointestinalen Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen.
und mittleren Harntrakt Reflektorisch kommt es zur Darmatonie, die sich zum
initial: Urin zu Miktionsbeginn blutig ⇒ Urethritis paralytischen Ileus entwickeln kann, der klinisch oft als
terminal: Urin zu Miktionsende blutig ⇒ Zystitis „akutes Abdomen“ im Vordergrund steht. Chronische Nie-
Jede Makrohämaturie kann Hinweis auf einen Tumor sein renerkrankungen und Tumorleiden gehen mit Inappetenz,
und muss umgehend durch weitere Diagnostik (Urinsedi- Müdigkeit, Gewichtsverlust und Anämie einher.
890 Urologie
logische Untersuchungen. Voraussetzung ist eine korrekte Material-
Die Entstehung von Harnkonkrementen kann durch ver-
gewinnung und Verarbeitung in frischem Zustand.
schiedene Erkrankungen begünstigt werden. Saurer Urin
und erhöhte Harnsäure führen zur Bildung von Harnsäu-
resteinen. Infektsteine bilden sich in alkalischem Milieu.
Durch intestinale Störungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa,
3.2.1 Blut Pankreatitis, Kurzdarmsyndrom) kann es zur vermehrten
Die blutchemischen Untersuchungen richten sich nach der Resorption von Oxalsäure und damit zur Hyperoxalurie
Verdachtsdiagnose. kommen.
Blutbild: Anämie, Entzündungszeichen
Elektrolyte: Nierenfunktionsstörungen (Na+ ⇓,K+ ⇑),Hy-
3.2.4 Sekrete der Ableitenden Harnwege und des Genitals
perparathyreoidismus (Ca++⇑)
Phosphatasen: Nierenzellkarzinom, osteoplastische Kno- Siehe auch Dermatologie Kap. 26 und 27.2.
chenmetastasen (alkalische Phosphatase,AP ⇑); Prosta-
tamassage, metastasiertes Prostatakarzinom, Hyperpa- Urethralsekret: Untersuchung des Sekrets (ggf. Abstrich-
rathyreoidismus (saure Phosphatase, SP ⇑) entnahme aus der Harnröhre) und der 1. Urinportion,
harnpflichtige Substanzen: Niereninsuffizienz (Kreatinin ⇑, Ausstriche oder Spezialkulturen (Chlamydien, Neisse-
Harnstoff ⇑) rien, Mykoplasmen), Grampräparat (Gonokokken)
Tumormarker: Hodentumoren ⇒ AFP, β-HCG; Prosta- Prostataexprimat: „4-Gläser-Probe“ ⇒ 1. Urinportion, Mit-
takarzinom ⇒ PSA, AP (Metastasen) telstrahlurin, Prostataexprimat nach Prostatamassage,
letzte Urinportion; Erregernachweis in den einzelnen
Portionen, bei Prostatitis Nachweis von Leukozyten im
3.2.2 Harn
Exprimat
Urinproben sollten in ein steriles Gefäß abgefüllt und so-
fort untersucht werden. Bei Männern erfolgt die Uringe-
Merke Bei akuter schmerzhafter Prostatitis ist die Prostatamassa-
winnung als „Mittelstrahlurin“, bei Frauen aufgrund der
ge wegen der Gefahr der Keimaussaat und Auslösen einer Urosepsis
Kontaminationsgefahr besser durch sterilen Einmalkathe-
kontraindiziert!
terismus. Bei Kindern werden sterile Klebebeutel verwen-
det. Nur selten ist die suprapubische Blasenpunktion not-
Ejakulat: Untersuchung zur Abklärung einer Fertilitäts-
wendig.
störung (s. auch Kap. 11.1), die Gewinnung erfolgt durch
Der Urin wird zunächst makroskopisch beurteilt (Trü-
Masturbation nach 3- bis 5-tägiger sexueller Karenz,be-
bung, Verfärbung) und anschließend pH-Wert und spezi-
urteilt werden Dichte, Motilität und Morphologie der
X
fisches Gewicht ermittelt. Mittels Urinschnelltests (Test-
Spermatozoen.
stäbchen, „Stix“) können die wichtigsten Parameter be-
stimmt werden: Leukozyten, Nitrit, Urobilinogen, Eiweiß,
Erythrozyten, Keton, Bilirubin, Glukose. Die mikroskopi- Merke Bei sexuell übertragbaren Erkrankungen muss immer eine
sche Untersuchung des Urinsediments erlaubt den qualita- Partneruntersuchung und ggf.Behandlung erfolgen!
tiven und quantitativen Nachweis von Leukozyten,
Erythrozyten, Zylindern (Eiweißzylinder ⇒ Glomerulo-
nephritis, Leukozytenzylinder ⇒ chronische Pyelonephri-
tis), Kristallen, Zellen und Mikroorganismen. Die Urinzy- 3.3 Funktionsdiagnostik
tologie (Anfärbung des Sediments) ist indiziert zur Dia-
gnose oder Verlaufskontrolle von Urothelkarzinomen. Kurzzusammenfassung
Durch die Urinkultur erfolgen Bakteriennachweis und -dif- Voraussetzung für die Behandlung von Nierenerkrankungen ist die
ferenzierung sowie die Empfindlichkeitstestung gegenüber Bestimmung der Nierenfunktion. Dies geschieht mittels Clearance-
Antibiotika. untersuchungen, die heute überwiegend szintigraphisch durchge-
führt werden.Die Funktionen des unteren Harntraktes (Blase, Harn-
röhre) lassen sich durch urodynamische Messungen darstellen. Sie
Merke Nachweis von > 100.000 Erregern/ml im Mittelstrahlurin ⇒
zeigen Störungen von Detrusor und urethralem Verschlussmecha-
Harnwegsinfekt, „signifikante Bakteriurie“ (am häufigsten E. coli
nismus und geben Hinweise auf das Ausmaß einer subvesikalen Ob-
oder Enterokokken).
struktion.
Blasenpunktionsurin ist steril! Jeder Erregernachweis ist patholo-
gisch.
892 Urologie
15-Minuten-Aufnahme: abschnittsweise Darstellung der anterograde Pyelographie:
Harnleiter und der Harnblase (KM-Aussparungen? – Indikation: Verlaufskontrolle nach Therapie, nicht-
Harnleiterverdrängung? Verkalkungen? Wandunregel- durchführbare retrograde Darstellung
mäßigkeiten der Blase?) – Durchführung: Darstellung des Hohlsystems nach
Spätaufnahme: bei verzögerter Kontrastmittelausschei- Punktion des Nierenbeckens oder über liegenden
dung (z.B. durch Harnleiterstein) im Abstand von 1–6 h; Nephrostomiekatheter
ist nach 24 h keine KM-Ausscheidung erfolgt, gilt die
Niere als „stumm“
3.4.4 Weitere diagnostische Verfahren
Kontraindikationen sind Kontrastmittelallergie,Nierenin-
suffizienz, Status colicus (Gefahr der Fornixruptur), multi- Computer- (CT) und Kernspintomographie (MRT) werden
ples Myelom und Gravidität. vor allem bei der Beurteilung von retroperitonealen Tu-
Mit zunehmender Niereninsuffizienz wird das Kontrast- moren und Metastasen eingesetzt. Das MRT bietet eine
mittel in der Niere weniger konzentriert. Daher ist bei bessere Darstellung der Weichteile und der Blutgefäße
höhergradiger Niereninsuffizienz ein AUG wegen man- (z.B. Tumorzapfen in der V. cava). Es kann auch bei Kon-
gelnder Aussagekraft nicht sinnvoll. trastmittelallergie eingesetzt werden und stellt keine
Strahlenbelastung dar. Trotzdem ist es in seiner Aussage-
kraft dem CT nur in bestimmten Fällen überlegen.
Merke Vor Durchführung eines AUG sollten keine Kontrastmittel-
Die selektive Angiographie der Aorta und Nierengefäße
untersuchungen des Magen-Darm-Traktes erfolgen.
über einen Angiographiekatheter ist indiziert bei Nieren-
tumoren zur Darstellung der Gefäßversorgung, Nierenar-
terienstenose oder -verschluss, Gefäßmißbildungen
(Aneurysma, AV-Fistel) und V.a. Ruptur nach Nierentrau-
Klinischer Fall ma. Die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) bietet
Eine Vergrößerung des Nierenschattens im Röntgenbild kommt vor bei folgenden den Vorteil der geringeren KM-Dosis.
Erkrankungen: Die Darstellung der V. cava mittels eines über die Leiste vor-
(1) Zystenniere geschobenen Katheters (Kavographie) ermöglicht den
(2) Nierenvenenthrombose Nachweis von intraluminalen Tumorzapfen und die selek-
(3) chronische Pyelonephritis tive Darstellung der Nebennierenvenen zur Diagnostik von
(4) Tumor Nebennierentumoren. Nach Punktion von Lymphgefäßen
(A) nur 2 ist richtig an beiden Füßen und KM-Injektion (Lymphographie) las-
(B) nur 4 ist richtig sen sich die pelvinen und retroperitonealen Lymphknoten X
(C) nur 1 und 3 sind richtig darstellen (Suche nach Metastasen bei Hodentumoren).
(D) nur 1,2 und 4 sind richtig Beide Untersuchungen werden seit Einführung des CT nur
(E) 1–4 = alle sind richtig noch sehr selten durchgeführt.
Lösung: D Die Knochenszintigraphie ist die sensitivste Methode bei
der Suche nach Knochenmetastasen und wird v.a. bei der
Diagnostik des Prostatakarzinoms eingesetzt.Auch Blasen-
und Nierenzellkarzinome metastasieren in den Knochen.
3.4.3 Spezielle Urologische Röntgendiagnostik
Miktionszystourethrographie (MCU):
– Indikation: V.a. vesikorenaler Reflux, Blasenentlee- Klinischer Fall
rungsstörung, subvesikale Abflussstörung (Blasen- Welches der folgenden Untersuchungsverfahren ist zur Entdeckung von Urethral-
halsenge, Harnröhrendivertikel, Harnröhrenklap- klappen des proximalen Harnröhrenbereichs am aussagekräftigsten?
pen, Meatusstenose) (A) Ausscheidungsurographie
– Durchführung: retrograde Füllung der Blase über einen (B) Miktionszystourethrographie
Blasenkatheter,Darstellung der Blasenstruktur,Mik- (C) Retrograde Urethrographie
tion unter Durchleuchtung mit Darstellung der kom- (D) Kavernosographie
pletten Harnröhre und der Nieren (Reflux?), nach (E) Harnröhrensonographie
Miktion Restharnbestimmung Lösung: B
retrograde Urethrographie:
– Indikation: Darstellung der männlichen Harnröhre bei
V.a. Strikturen, Divertikel, Steine, Tumoren, Verlet-
3.4.5 Kontrastmittelzwischenfälle
zungen, Kavernen bei Tbc
– Durchführung: Applikation von Kontrastmittel in die Bei vielen Röntgenuntersuchungen in der Urologie muss
Harnröhre über einen Katheter in der Fossa navicu- Kontrastmittel verwendet werden.Deshalb ist jeder Patient
laris unter Durchleuchtungskontrolle, halbschräge nach einer Kontrastmittelallergie zu befragen. Vor allem
Lagerung (Lauenstein-Lagerung) bei i.v.-Gabe besteht die Gefahr eines anaphylaktischen
retrograde Ureteropyelographie: Schocks, der ohne Vorwarnung auftreten kann.
– Indikation: Darstellung von Ureter und Nierenbecken- leichter Zwischenfall: Unruhe, Übelkeit, Brechreiz, Husten-
kelchsystem, wenn AUG nicht möglich oder nicht reiz, Rötung und Schwellung von Haut und Schleim-
aussagekräftig (Niereninsuffizienz, stumme Niere, haut, Juckreiz, Urtikaria
Harnleitertumor) schwerer Zwischenfall: generalisiertes Exanthem, Schweiß-
– Durchführung: Zystoskopie und Einführung eines Ure- ausbruch, Schüttelfrost, Rückenschmerzen, Dyspnoe,
terenkatheters und KM-Applikation in den Harnleiter, Bronchospasmus, Tachykardie, Krampfanfälle, RR-Ab-
cave: Risiko einer Keimverschleppung mit Urosepsis fall, Bewusstlosigkeit
894 Urologie
4 Urologische Therapie Indikationen zur bilateralen Nephrektomie: beidseitige Urothel-
tumoren, beidseitige Nierenzellkarzinome, terminale
Zusammenfassung Niereninsuffizienz bei Zystennieren oder chronische
Die urologische Therapie umfasst konservative und operative Be- Pyelonephritis beidseits
handlungsmethoden.Die operativen lassen sich weiter unterteilen in Die Nephrektomie kann über einen retroperitonealen oder
Schnittoperationen – Organentfernungen und organerhaltende Ver- transabdominellen Zugang durchgeführt werden. Letztere
fahren – und endoskopische Eingriffe,die überwiegend transurethral ermöglicht bei Tumornephrektomien die Unterbindung
erfolgen. Die Stoßwellenlithotripsie ermöglicht die berührungsfreie der A. renalis vor jeglicher Manipulation am Tumor („No-
Therapie von Nieren- und Harnleitersteinen. touch-Technik“). Bei benigner Erkrankung wird die Ne-
benniere belassen, bei malignen Tumoren wird sie en bloc
mit Niere und Kapseln entfernt. Komplikationen sind Blu-
tungen, Verletzungen von Nachbarorganen und der post-
4.1 Konservative Maßnahmen operative Ausfall der kontralateralen Niere.
Prostatektomie
4.2 Offene Operationen
offene Prostatektomie: bei obstruierender Prostatahyper-
Kurzzusammenfassung plasie mit Gewicht > 70 g, transvesikaler oder retropu-
Die Entfernung von Niere, Blase oder Prostata ist indiziert bei Tumo- bischer Zugang, Ausschälung des Adenoms aus der
ren oder irreversiblem Funktionsverlust des Organs.Auch schwere Ver- chirurgischen Kapsel. Komplikationen: Kapselperfora-
letzungen oder septische Krankheitsbilder können Ursache für eine tion, Urinfistel X
Nephrektomie sein.Organerhaltende Operationen an Niere oder Bla- radikale Prostatektomie: zur kurativen Behandlung des
se sind bei benignen Tumoren oder segmentalen Erkrankungen mög- Prostatakarzinoms, Zugang über mediane Laparoto-
lich. Plastische Operationen im Bereich des Harnleiters dienen meist mie, iliakale Lymphadenektomie und Resektion der
der Beseitigung von Stenosen. Zur dauerhaften Harnableitung nach Prostata und Samenblasen, Anastomose zwischen Bla-
Zystektomie,Funktionsverlust der Blase oder Verlegung beider Harn- senhals und proximaler Harnröhre. Komplikationen:
leiter werden verschiedene Verfahren angewendet. Der orthotope Anastomoseninsuffizienz, postoperative Inkontinenz,
Blasenersatz durch Ileumneoblase ist funktionell am günstigsten und in hohem Prozentsatz postoperative Impotenz
findet die größte Patientenakzeptanz.
4.2.2 Organerhaltende Operationen
Bei lokalisierten Erkrankungen der Niere (segmentäre
4.2.1 Organentfernung Missbildungen, Tumoren in Einzelnieren, Nierentrauma,
entzündlich veränderte Segmente) kann eine Nierenteilre-
Nephrektomie sektion oder Heminephrektomie durchgeführt werden.Zur
Die operative Entfernung einer Niere kann unilateral oder Entfernung von Nierenbecken- oder -kelchsteinen ist die
selten bilateral erfolgen. Bei malignen Tumoren des Nie- Eröffnung des Nierenbeckens (Nephrotomie) ausreichend.
renbeckens muss zusätzlich der gesamte Harnleiter mit Bei Stenosen am Nierenbeckenabgang und im oberen Drit-
Blasenmanschette entfernt werden (Ureteronephrekto- tel des Harnleiters wird eine Nierenbeckenplastik (nach An-
mie).Vor jeder unilateralen Nephrektomie sollte die Funk- derson-Hynes) durchgeführt. Nach Resektion des erweiter-
tion der kontralateralen Niere ermittelt werden,um das Ri- ten Nierenbeckens und des stenotischen Anteils wird der
siko einer möglichen Dialysepflicht abzuschätzen. Bei vi- Harnleiter End-zu-Seit mit dem verkleinerten Nieren-
taler Indikation ist dies jedoch oft nicht möglich. becken anastomosiert. Stenosen im mittleren Harnleiter-
Indikationen zur unilateralen Nephrektomie: drittel werden reseziert und die Kontinuität durch eine
– notfallmäßig: schwere Traumen (Nierenruptur oder End-zu-End-Anastomose oder ein Dünndarminterponat
Nierenstielabriss), Spontanrupturen (polyzystische wieder hergestellt. Bei Stenosen im unteren Harnleiterdrit-
Degeneration, Tumor, Panarteriitis nodosa), Pyo- tel erfolgt nach Resektion des betroffenen Abschnitts die
nephrose oder multiple Abszesse mit Zeichen der Neueinpflanzung des Ureters in die nach oben mobilisierte
Urosepsis und am M. psoas fixierte Harnblase (Psoas-hitch-Technik).
– elektiv: Nierenkarzinom, Nierenbeckenkarzinom, ir- An Blase und Harnröhre können viele Operationen endo-
reversible Schädigung der Nierenfunktion (Tbc, skopisch durchgeführt werden. Bei großen Blasensteinen
funktionslose Stauungsniere, Schrumpfniere durch oder zur Entfernung von Fremdkörpern erfolgt die Eröffnung
Pyelonephritis, Reflux oder Steine), polyzystische der Blase (Sectio alta). Langstreckige Harnröhrenstrikturen
Nierendegeneration, renale Hypertonie erfordern eine operative Korrektur.
Im gesamten Harntrakt kann es zu Störungen des Harnab- Die oben genannten Verfahren der Harnableitung – Ure-
flusses kommen, die eine temporäre oder definitive Harn- terhautfistel und Harnleiter-Darm-Implantation – sind
ableitung notwendig machen. aufgrund der hohen Komplikationsraten weitgehend ver-
oberer Harntrakt: lassen worden. Das Konduit ist die bisher häufigste Form
– Nephrostomie: perkutane Einlage eines Katheters in das der permanenten Harnableitung. Funktionell günstiger
Nierenbecken zur Entlastung eines gestauten oberen und Therapie der Wahl beim Mann ist der Blasenersatz
Harntraktes durch Ileumneoblase. Sie ist prinzipiell auch bei der Frau
– innere Harnleiterschienung: zystoskopisches Einlegen ei- möglich, jedoch operationstechnisch schwieriger.
ner Harnleiterschiene (Doppel-J-Schiene) zur Über- Konduit: antirefluxive Implantation der Harnleiter in ein
brückung eines ureteralen Abflusshindernisses (Stei- ca. 15 cm langes ausgeschaltetes Dünn- oder Dickdarm-
ne, Koagel, Tumoren, Stenosen) segment, Ausleitung als nichtkontinentes Urostoma am
– Ureterhautfistel: Implantation des Ureters in die Haut,hohe Unterbauch
Komplikationsrate (Stomastenosen, Infektionen), nur – Kontraindikationen: entzündliche Darmerkrankungen,
noch sehr selten indiziert als palliative Harnableitung strahlengeschädigter Darm
– Harnleiter-Darm-Implantation: antirefluxive Implantation – Komplikationen: Harnleiterobstruktion,Konduitnekro-
der Harnleiter in die Dickdarmwand am rektosig- se, Stomastenose, Infektionen, Störungen des Elek-
moidalen Übergang, kontinente Harnableitung mit trolythaushaltes
Gefahr der rezidivierenden Pyelonephritiden, hyper- Ileumneoblase: kontinenter Harnblasenersatz,Bildung aus
chlorämischer, hypokaliämischer Azidose durch Re- 60–70 cm Dünndarm, die antimesenterial eröffnet und
sorption des Urins (Vorbeugung durch Harnalkali- zu einem Beutel geformt werden,Anastomosierung mit
sierung) und erhöhtem Risiko eines Kolonkarzinoms der Harnröhre oder Ausleitung als kontinentes Nabel-
unterer Harntrakt: stoma („Kock-Pouch“), antirefluxive Implantation der
– transurethraler Blasenkatheter: vorübergehende Harn- Ureteren, die Entleerung erfolgt durch Bauchpresse
ableitung (s. auch 3.5.1) oder sterilen Einmalkatheterismus
– suprapubischer Blasenkatheter: perkutane Einlage eines – Kontraindikationen: Tumorbefall der Harnröhre
Katheters in die Blase zur längerfristigen oder dau- – Komplikationen: Schleim- und Steinbildung in der Er-
erhaften Urinableitung satzblase, Störungen des Elektrolythaushaltes, Mal-
absorptionssyndrome, Azidoseentstehung, erhöhtes
X Risiko der Karzinomentstehung in der Ersatzblase
a b
c
Abb. 4.1.a-d Orthotope Darmersatzblase aus dem Ileum („Ileumneoblase“). a Isolierung von 60–70 cm terminalen Ileums und antimesenteriale Detubularisierung, b W-förmige
Lagerung,c, d Beutelbildung und Anastomose mit dem Harnröhrenstumpf.Aus [4]
896 Urologie
4.3 Endoskopische Eingriffe von Harnleiterstenosen. Komplikationen: Blutungen,
Harnleiterperforation, Infektionen
Kurzzusammenfassung
Endoskopische Eingriffe können meist in Lokal- oder Regio-
nalanästhesie durchgeführt werden und sind für den Patienten scho-
nender.Mittels moderner Endoskope sind alle Bereiche des Harntrak- Klinischer Fall
tes zugängig. Am häufigsten werden Resektionen an Prostata und Die transurethrale Elektroresektion der Prostata (TUR-P) ist ein Operationsverfah-
Blase durchgeführt. Auch die Zertrümmerung und Entfernung von ren zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie (BPH). Hinsichtlich dieses
Steinen in Niere, Harnleiter und Blase ist endoskopisch möglich. Therapieverfahrens gilt:
(A) Hierbei muss die gesamte Prostata einschließlich der „chirurgischen Kapsel“
entfernt werden.
(B) Eine Indikation ist bei obstruierender BPH erst ab 80 g hyperplastischem
4.3.1 Perkutane Eingriffe Prostatagewebes gegeben.
Perkutane endoskopische Eingriffe am Hohlsystem des (C) Die obstruktiv wirksame Harnröhrenstriktur ist eine fast unvermeidbare Be-
Harntraktes sind nur selten notwendig. Ist eine uretero- handlungsspätfolge.
renoskopische Untersuchung des Nierenbeckens nicht (D) Als Behandlungsspätfolge tritt regelmäßig eine erektile Impotenz auf.
möglich, kann eine perkutane Nephroskopie durchge- (E) Keine der Aussagen A–D trifft zu.
führt werden. Unter radiologischer oder sonographischer Lösung: E
Kontrolle wird ein Führungsdraht platziert, über den
nach Aufdehnung des Punktionskanals starre oder fle-
xible Nephroskope eingeführt werden können. Hierdurch
ist die Zertrümmerung und Entfernung von Nieren- 4.4 Extrakorporale Stosswellenlithotripsie
becken- und proximalen Harnleitersteinen möglich (per- (ESWL)
kutane Nephrolitholapaxie).
Laparoskopische Operationen konnten sich bislang bei ur-
ologischen Erkrankungen noch nicht durchsetzen.Im Rah- Die ESWL ist die Therapie der Wahl bei Nierenbecken- und
men des Stagings bei Prostata- oder Blasenkarzinomen je- Harnleitersteinen bis 2 cm Größe. Hierbei erfolgt eine
doch kann die pelvine Lymphadenektomie auch laparo- berührungsfreie Zertrümmerung der Konkremente durch
skopisch erfolgen. außerhalb des Körpers erzeugte Stoßwellen. Diese werden
sonographisch oder radiologisch gesteuert auf das betref-
4.3.2 Transurethrale Eingriffe fende Konkrement fokussiert. Die Behandlung wird meist X
unter Analgesie durchgeführt und dauert zwischen 15 und
Harnröhre: endoskopische Schlitzung von Harnröhren- 60 Minuten.Teilweise sind mehrere Sitzungen erforderlich.
und Blasenhalsstenosen über spezielle Zystoskope. Die Steinpartikel gehen in Folge spontan ab. Liegt eine in-
Komplikationen: Via falsa,Harnröhrenfistel,Divertikel, fizierte Stauungsniere vor, muss vor Durchführung der
Verletzungen der Schwellkörper und des M. sphincter ESWL eine perkutane Nephrostomie oder eine Harnleiter-
externus mit folgender Inkontinenz schiene eingelegt werden. Nebenwirkungen sind Schmer-
Prostata: transurethrale Resektion (TUR-P) bei benigner zen, Hautpetechien und Nierentraumen mit Makrohäma-
obstruktiver Prostatahyperplasie (≤ 70 g) oder palliativer turie und intrarenalen Hämatomen (< 1%). Kontraindika-
Therapie eines Prostatakarzinoms, mittels Resektoskop tionen sind Obstruktionen distal des Konkrements,
und Schneideschlinge wird mit Hochfrequenzstrom der Gerinnungsstörungen, Schwangerschaft und unbehandel-
obstruktive Prostataanteil bis zur chirurgischen Kapsel te Harnwegsinfekte. Etwas 80% der Patienten sind langfri-
entfernt (die periphere Zone wird nicht erfasst) und eine stig steinfrei.
sorgfältige Blutstillung durchgeführt, während der Re-
sektion kontinuierliche Spülung mit elektrolytfreier Lö-
sung. Komplikationen: Blutung, Kapselperforation,
Sphinkterverletzung mit folgender Inkontinenz, TUR-
Syndrom, Urethrastrikturen, Blasenhalssklerose
Blase: transurethrale Resektion (TUR-B) von Blasentu- 5 Fehlbildungen und urologische
moren mit kurativer, palliativer oder diagnostischer In-
dikation, technisches Vorgehen wie bei TUR-P. Kompli-
Erkrankungen im Kindesalter
kationen: Blutung, Blasenperforation, TUR-Syndrom Zusammenfassung
Etwa 1/3 aller Fehlbildungen des menschlichen Körpers betreffen die
Merke TUR-Syndrom: Das Einschwemmen elektrolytfreier Spüllö- Urogenitalorgane.Viele dieser Anomalien sind Normvarianten, man-
sung in eröffnete Venen (v.a. TUR-P) führt zur Hypervolämie mit Hy- che jedoch sind Missbildungen (z.B.Reflux),die eine langfristige Schä-
ponatriämie und kann lebensbedrohliche Schockzustände auslösen. digung nach sich ziehen können.Einige sind mit dem Leben nicht ver-
Symptome sind Hypertonie, Unruhe, Herzrhythmusstörungen, einbar (z.B. beidseitige Nierenagenesie). Urologische Erkrankungen,
Krämpfe und selten Hämolyse. Das TUR-Syndrom kann weitgehend die vorwiegend im Kindesalter auftreten,sind skrotale Krankheitsbil-
vermieden werden, wenn die OP-Zeit auf etwa eine Stunde begrenzt der und verschiedene Formen der Blasenentleerungsstörungen.Auch
wird. die malignen Tumoren unterscheiden sich von denen des Erwachse-
nen. Diagnostisch stehen Sonographie und Kontrastmitteluntersu-
chungen im Vordergrund. Therapeutisch kommen sowohl offene als
Harnleiter: endoskopische Entfernung oder Zertrümme-
auch endoskopische Verfahren zur Anwendung.
rung von Harnleitersteinen, Schlitzung oder Dilatation
898 Urologie
Abb. 5.2.a-c Verschiedene Nieren- und Ureteranomalien.
a Hufeisenniere,b gekreuzte Dystopie,c rechts – Ureter
fissus,links – Beckenniere.Aus [4]
a b c
Klinischer Fall
Bei der gekreuzten Nierendystopie handelt es sich
(A) gewöhnlich um eine bilaterale, symmetrische Verschmelzungsniere
(B) definitionsgemäß um zwei normal positionierte, aber malrotierte Nieren
(C) um eine typische, symmetrische Hufeisenniere
(D) im Allgemeinen um eine Thoraxniere
(E) um eine Anomalie, die mit vesikoureteralem Reflux assoziiert sein kann
Lösung: E
5.3 Harnleiter
Kurzzusammenfassung
Angeborene Anomalien der Ureteren sind häufig.Viele bleiben asymp-
tomatisch und werden nur zufällig bei sonographischen Untersu-
chungen festgestellt. Doppelbildungen entstehen gemeinsam mit a
X Doppelnieren. Stenosen der Harnleiter finden sich oft am Nieren-
beckenabgang mit konsekutiven Hydronephrosen. Der obstruktive
Megaureter entsteht in Folge einer Stenose an der Uretermündung.
Ektop mündende Ureteren führen zu Abflussstörungen,Harninkonti-
nenz bei Mädchen und rezidivierenden Infekten von Prostata und Ne-
benhoden beim Jungen. Ein vesikoureteraler Reflux wird durch rezi-
divierende Infekte symptomatisch.Dabei können der gesamte Ureter
und das Nierenbecken dilatiert sein.Durch chronische Pyelonephriti-
den besteht die Gefahr der irreversiblen Nierenparenchymschädi-
gung.EineTherapie der verschiedenen Fehlbildungen ist meist nur bei
Komplikationen notwendig.
5.3.1 Doppelbildungen
Siehe auch ¶ Abb. 5.4.
Ureter fissus: inkomplette Doppelbildung, bei der sich
beide Ureteren vereinigen und mit einem Ostium in
die Harnblase münden, meist symptomlos, selten ure-
teroureteraler Reflux („Pendelurin“, „Jo-Jo-Phäno-
men“) mit Harnabflussstörung, Hydronephrose und
Infekten
Ureter duplex: komplette Doppelbildung, bei der beide
Harnleiter über ein getrenntes Ostium in die Harnbla-
se münden, oft asymptomatisch, je nach Ausprägung
von Reflux und Obstruktion Schädigung des Nierenpa-
renchyms bis zur Funktionslosigkeit
900 Urologie
5.3.2 Stenosen des Harnleiters bei erhaltener Restfunktion Rekonstruktion durch
Neuimplantation des Ureters in die Blase (Ureterozys-
Stenosen können in allen Abschnitten des Harnleiters auf-
toneostomie) mit Antirefluxplastik
treten. Sie sind häufig angeboren, können aber auch se-
bei funktionsloser Niere Nephroureterektomie
kundär nach Infektionen, Traumen, Operationen oder
durch Obstruktion von außen (Tumoren, Lymphome) ent-
stehen. Die meisten Stenosen bleiben asymptomatisch Retrokavaler Ureter
und werden nur zufällig sonographisch entdeckt. Durch
In seltenen Fällen verläuft der rechte Ureter hinter der V.cava
Ausscheidungsurogramm und retrograde Ureteropyelo-
inferior zur Blase.Der charakteristische Harnleiterverlauf ist
graphie kann die genaue Lokalisation und Länge der Ste-
im Urogramm nachweisbar. Besteht eine relevante Harnab-
nose bestimmt werden. Auch ein Reflux muss ausge-
flussstörung,erfolgt die operative Durchtrennung des Harn-
schlossen werden. Symptomatisch werden die Stenosen
leiters mit End-zu-End-Anastomose vor der Hohlvene.
meist erst bei auftretenden Komplikationen (palpabler
Tumor, Harnwegsinfekt mit Pyonephrose, Steinbildung,
akuter Verschluss mit Anurie, progredientes Nierenversa- 5.3.3 Mündungsanomalien
gen). Eine operative Korrektur ist nur notwendig, wenn
eine Minderfunktion gegenüber der anderen Niere und Ureterozele
eine Obstruktion mit deutlich verzögerter Ausscheidung
Bei Mündungsstenosen oder häufiger bei ektop münden-
vorliegen. Bei Sepsis oder Pyonephrose erfolgt zunächst den Harnleitern (z.B. bei Doppelanlage) kann es zu einer
die perkutane Nephrostomie und erst im Intervall die de- zystischen Erweiterung des intravesikalen Ureters kom-
finitive Versorgung. men.Vor allem Ureterozelen in ektopen Ureteren führen zu
einer Abflussstörung mit Dilatation der Zele und des obe-
Ureterabgangsstenose ren Harntraktes. Große Zelen können den Blasenhals ob-
struieren. Bei symptomatischen Ureterozelen erfolgt beim
Ätiologie/Pathogenese Kind die submuköse Ausschälung des erweiterten Seg-
am häufigsten enges aperistaltisches Harnleitersegment mentes und antirefluxive Neuimplantation des Ureters.
direkt zwischen Nierenbecken und Harnleiter Beim Erwachsenen ist oft eine endoskopische Schlitzung
außerhalb des Ureters liegende Verwachsungen
(Cave: postoperativer Reflux) ausreichend.
aberrierende Gefäße
Jede relevante Stenose führt zur Harnabflussstörung mit
Ureterektopie
konsekutiver Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems
und progredientem Funktionsverlust der Niere.
X
Ektope Harnleiter münden nicht an typischer Stelle, son-
Klinisches Bild/Symptomatik dern weiter kaudal in Harnblase, Blasenhals oder außer-
oft asymptomatisch halb der Blase. Der ektope Harnleiter gehört meist zum
Flankenschmerzen,häufig nach Aufnahme großer Flüs- kranialen Abschnitt einer Doppelniere.
sigkeitsmengen Mädchen: Mündung distal des urethralen Sphinkters in
klopf- und druckschmerzhaftes Nierenlager Vagina, hintere Urethra, Uterus oder selten im Rektum,
bei Kindern Wachstums- und Gedeihstörungen Leitsymptom: Urininkontinenz
Therapie Jungen: Mündung proximal des urethralen Sphinkters in
bei asymptomatischen Stenosen mit normaler Nieren- prostatische Harnröhre,Samenblasen oder Ductus defe-
funktion sonographische Kontrolle rens, Leitsymptom: rezidivierende Epididymitis, Prosta-
bei erhaltener Restfunktion Nierenbeckenplastik titis und Vesikulitis
bei funktionsloser Sackniere Nephrektomie Ektope Ureter sind oft obstruktiv und führen zur Ausbildung
eines Megaureters mit Hydronephrose und Funktionsverlust
Uretermündungsstenose des betroffenen Nierenabschnitts. Die Therapie bei guter
Nierenfunktion besteht in der Ureterozystoneostomie. Bei
Definition Dilatation des gesamten Ureters durch funktionsloser Niere oder septischen Komplikationen ist eine
Abflussstörungen im Bereich der Uretermündung ⇒ Nephroureterektomie (bzw. Heminephrektomie) indiziert.
primär obstruktiver Megaureter
Abflussbehinderung distal der Blase ⇒ sekundär ob-
5.3.4 Vesikorenaler Reflux
struktiver Megaureter
Das Nierenbecken selbst ist oft nicht oder nur wenig dila- Definition Zurückfließen des Urins aus der Blase in den
tiert. Harnleiter oder das Nierenbecken während Blasenfüllung
Ätiologie/Pathogenese oder Miktion als Folge von Ostienanomalien oder zu ho-
prävesikal funktionell enggestelltes Uretersegment hem Blaseninnendruck.
Ureterklappen Einteilung nach Heikel und Parkkulainen (¶ Abb. 5.5)
Klinisches Bild/Symptomatik Grad I: Reflux in den distalen Ureter
keine charakteristischen Symptome ohne zusätzliche Grad II: Reflux bis zum Nierenbecken ohne Dilatation
Komplikationen (Infekte, Steinbildung) Grad III: Reflux mit geringer Dilatation von Ureter und
bei Kindern Bauchschmerzen und Gedeihstörungen Nierenbecken
Therapie Grad IV: Reflux mit deutlicher Dilatation von Ureter, Nie-
bei asymptomatischen Stenosen mit normaler Nieren- renbecken und Nierenkelchen ohne Elongation des Ure-
funktion sonographische Kontrolle ters
902 Urologie
5.4.7 Meatusstenose
Klinischer Fall
Welche Aussage trifft nicht zu? Die Hypospadie (beim männlichen Geschlecht)
(A) entsteht ausschließlich durch eine fehlende Rückbildung der Müller-Gänge
(B) lässt sich nach der Position des Ostium urethrae externum einteilen
(C) kann mit einer Penisverkrümmung vergesellschaftet sein,die eine Behinde-
rung der Immissio penis verursacht
Abb. 5.6. Mögliche Lokalisation des Meatus bei Hypospadie.Aus [2]
(D) geht typischerweise mit einer dorsalen Vorhautschürze einher
(E) kann mit einer Meatusstenose einhergehen
5.4.4 Epispadie Lösung: A
904 Urologie
5.6 „Akutes Skrotum“ im Kindesalter 5.6.5 Entzündungen
906 Urologie
Diagnose rezidivierende Harnwegsinfekte mit intermittierenden
Labor: Leukozytose, CRP-Erhöhung Fieberschüben
Urinsediment: Leukozyturie, Bakteriurie, Proteinurie, sel- im Spätstadium: erhöhte Retentionswerte, renale Hy-
ten Zylindrurie, evtl. Mikrohämaturie pertonie
Urinkultur: hämatogene Pyelonephritis ⇒ am häufigsten Diagnose
Staph. aureus, aszendierende Pyelonephritis ⇒ E. coli Urinsediment: Leukozyturie, Leukozytenzylinder, Pro-
Sonographie: normal konfigurierte Niere, Stauung ⇒ in- teinurie, manchmal Bakteriurie
fizierte Stauungsniere mit Gefahr der Urosepsis Sonographie: unregelmäßige Nierenkontur, verschmälerter
Urogramm: häufig entzündlich aufgelockertes Nierenpa- Parenchymsaum mit narbigen Einziehungen
renchym, flaue Kontrastmittelausscheidung Urogramm: verkleinerte Niere, verschmälerter Paren-
Therapie chymsaum, narbige Einziehungen, Kelchdeformierun-
hochdosiertes Breitspektrumantibiotikum für minde- gen mit verplumpten Kelchen, verminderte Konzen-
stens 7 Tage (nach Abnahme der Urinkultur), ggf. Um- trierungsfähigkeit
setzen nach Antibiogramm (Trimethoprim-Sulfame- Therapie Eine antibiotische Therapie sollte konsequent im
thoxazol, Gyrasehemmer, Nitrofurantoin) akuten Schub und anschließend bei entsprechender Dis-
reichliche Flüssiskeitszufuhr, ggf. parenteral position ggf. als Langzeitprophylaxe durchgeführt werden.
analgetische und antipyretische Medikation Während des symptomarmen Intervalls steht die Beseiti-
nach Abklingen der akuten Phase Ursachenabklärung gung der verursachenden Faktoren im Vordergrund (Sa-
und Behebung pathogenetischer Faktoren nierung einer Obstruktion, Beseitigung anatomischer
Klinik Abszedierende Pyelonephritis: foudroyanter Verlauf Fehlbildungen, Vermeidung von Dauerkathetern). Als
einer akuten Pyelonephritis mit Bildung multipler Abszesse Spätkomplikation kommt es zur Ausbildung einer pyelo-
im Nierenparenchym und drohender Urosepsis. nephritischen Schrumpfniere, bei beidseitigem Befall oft
mit folgender Dialysepflicht.
6.1.2 Chronische Pyelonephritis
6.1.3 Pyonephrose
Ätiologie/Pathogenese Eine chronische Pyelonephritis kann
entstehen durch unzureichende Behandlung einer akuten Die Pyonephrose ist gekennzeichnet durch ein mit Eiter
Pyelonephritis oder primär als chronisch interstitielle gefülltes Nierenbecken. Sie entsteht als Folge eines Harn-
Nephritis bei entsprechenden prädisponierenden Faktoren wegsinfektes bei bestehender Abflussstörung. Die häufig-
(¶ Abb. 6.1). Die häufigste Ursache pyelonephritischer ste Ursache ist eine Harnstauungsniere bei Urolithiasis.
Narben ist ein vesikorenaler Reflux mit Harnwegsinfekt in Das Krankheitsbild der Pyonephrose kann asymptoma- X
den ersten Lebensjahren.Weitere Faktoren sind Harnstau- tisch verlaufen, aber auch schwerste Formen der Urosep-
ung, Urolithiasis, Diabetes mellitus und die Analgetika- sis hervorufen. Die Therapie besteht in der sofortigen
nephropathie. Entlastung der Niere (perkutane Nephrostomie, zystosko-
Klinisches Bild/Symptomatik pische Schienung), antibiotischer Begleittherapie und
sehr häufig symptomarm Nephrektomie im Intervall. Bei schlechtem Allgemeinzu-
Müdigkeit,Kopfschmerzen,Inappetenz,Leistungsknick stand oder fehlender Besserung trotz Drainage und Anti-
biose erfolgt diese notfallmäßig. Dabei muss besonders
darauf geachtet werden, dass das eitergefüllte Nieren-
becken nicht eröffnet wird.
Entzündungen 907
6.2 Harnleiter neurogene Blasenentleerungsstörungen: nach Apoplex, Quer-
schnittslähmung, Diabetes mellitus, etc.
Kurzzusammenfassung hormonelle Veränderungen: Schwangerschaft,Hormonmangel
Isolierte Entzündungen des Harnleiters sind selten. Die Ureteritis cy- Klinisches Bild/Symptomatik
stica tritt gelegentlich im Rahmen einer chronischen Pyelonephritis häufiges Wasserlassen (Pollakisurie)
auf und ist durch kleine Zysten in der Schleimhaut des Ureters ge- Schmerzen beim Wasserlassen (Strangurie)
kennzeichnet.Sie bedarf keiner speziellen Therapie.Die Ureteritis ca- erschwertes Wasserlassen (Dysurie)
seosa stellt den Harnleiterbefall im Rahmen einer Urogenitaltuber- dranghaftes Wasserlassen mit eventuellem Urinverlust
kulose dar.Der Harnleiter fällt durch den perlschnurartigen Verlauf im (Dranginkontinenz)
Urogramm auf. selten Hämaturie (hämorrhagische Zystitis)
Ätiologie/Pathogenese
junge Frauen: bedingt durch kurze Urethra, anatomische 6.5 Harnröhre
Nähe von Urethra, Vaginal- und Analöffnung, häufig
nach Geschlechtsverkehr („Honeymoon-Zystitis“)
subvesikale Obstruktion: Harnröhrenstriktur, Prostataver- Siehe auch Dermatologie, Kap. 26.
größerung, Blasenhalsenge Ätiologie/Pathogenese Die Entzündung der Harnröhre (Ure-
Urolithiasis: Steine in Blase oder Harnröhre thritis) kann durch Bakterien,Viren und sexuell übertrag-
Missbildungen: Meatusstenose, Harnröhrenklappen, Di- bare Erreger (Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen,
vertikel, Reflux etc. Ureaplasmen, Trichomonaden) hervorgerufen werden. Sie
Tumoren tritt gehäuft nach Katheterismus und bei Harnröhrenste-
Fremdkörper: Blasenkatheter! nosen auf.
908 Urologie
Klinisches Bild/Symptomatik Therapie
Urethralfluor (glasig, trüb, eitrig) akute Prostatitis: erregergerechte Antibiotikatherapie
Jucken und Brennen in der Harnröhre über 4 Wochen, bei Harnverhalt suprapubische Harn-
starke Schmerzen bei der Miktion ableitung, bei Prostataabszess transrektale Inzision
Klinik M. Reiter: Konjunktivitis, Urethritis, Arthritis und Spülung
(„can’t see, can’t pee, can’t climb a tree“). Ätiologie unklar, chronische Prostatitis: Langzeittherapie mit Antibiotika,
häufig HLA B-27 assoziiert,keine spezifische Therapie,ggf. Spasmoanalgesie, evtl. nach langem Verlauf transure-
Glukokortikoide. thrale Resektion
Diagnose
Miktions- und Sexualanamnese
zytologische und bakteriologische Untersuchung des 6.7 Hoden und Nebenhoden
Urethralsekrets (ggf. durch Abstrich)
Urinkultur Kurzzusammenfassung
Therapie Erregergerechte antibiotische Therapie. Die akute Epididymitis ist die häufigste aller Erkrankungen des
äußeren Genitale.Sie tritt typischerweise im Erwachsenenalter auf.
Als Folge einer rezidivierenden Entzündung entsteht oft eine chro-
Merke Bei sexuell übertragbaren Erkrankungen ist die Untersu-
nische Epididymitis. Dabei kommt es immer wieder zu akuten Exa-
chung und Behandlung des Sexualpartners obligat! Während der
zerbationen,sodass bei oft mangelnder Wirkung der antibiotischen
Therapie sollte Geschlechtsverkehr nur mit Kondomschutz erfolgen.
Therapie eine Epididymektomie im Intervall erfolgen sollte.Die iso-
lierte Orchitis ist selten, führt aber in vielen Fällen zum Funktions-
verlust des Hodens.
6.6 Prostata, Samenblasen
Kurzzusammenfassung
6.7.1 Orchitis
Prostata und Samenblasen können bei bakteriellen Entzündungen
gemeinsam betroffen sein (männliche Adnexitis). Oft liegt auch Eine Entzündung des Hodens entsteht meist durch häma-
eine Urethritis vor. Man unterscheidet akute und chronische togene Streuung bei bakteriellen und viralen Infekten
Verläufe.Lassen sich keine Erreger nachweisen, spricht man von ei- (Pneumokokken, Mumps, Cocksackie, Varizellen, Mono-
ner„abakteriellen“ Prostatitis.In etwa der Hälfte der Patienten las- nukleose). Selten kommt es zum Übergreifen einer Epidi-
sen sich für die Beschwerden keine organische Ursache finden dymitis auf den Hoden. In vielen Fällen wird das Keim-
(Prostatodynie). Man geht hierbei von einer psychosomatischen epithel des Hodens durch eine akute Orchitis irreversibel X
Genese aus. geschädigt. Der Hoden wird atrophisch. Ein beidseitiger
Befall hat Sterilität zur Folge.Die hormonelle Funktion der
Leydig-Zellen bleibt jedoch intakt. Der betroffene Hoden
Ätiologie/Pathogenese Akute und chronische Prostatitis ent- ist geschwollen und druckschmerzhaft. Nicht immer ist
stehen überwiegend kanalikulär aszendierend im Rah- eine palpatorische Abgrenzung zum Nebenhoden mög-
men einer Zystitis oder Urethritis sowie bei Urethrastrik- lich. Es bestehen hohes Fieber und allgemeines Krank-
turen und einliegendem Dauerkatheter. Seltener sind hä- heitsgefühl. Die Therapie kann nur symptomatisch durch
matogene oder lymphogene Infektionen. Hochlagerung, Kühlen,Antiphlogistika und Antipyretika
Erreger: junge Patienten ⇒ meist Chlamydien und Urea- erfolgen. Abzugrenzen ist immer eine Hodentorsion, so-
plasmen, ältere Patienten ⇒ gramnegative Bakterien. dass in Zweifelsfällen die Freilegung des Hodens erfolgen
Klinisches Bild/Symptomatik muss.
akute Prostatitis: Pollakisurie, Algurie, imperativer Harn-
drang,Schmerzen am Damm,Fieber,allgemeines Krank-
6.7.2 Epididymitis
heitsgefühl
chronische Prostatitis: uncharakteristische Beschwerden im Ätiologie/Pathogenese Die akute Epididymitis entsteht ka-
Urogenitalbereich, Störungen der Miktion und der Se- nalikulär aszendierend. Bei jüngeren Männern wird sie
xualfunktion den sexuell übertragbaren Krankheiten zugeordnet und
Diagnose überwiegend durch Chlamydien und Gonokokken verur-
rektale Untersuchung: Prostata etwas vergrößert, im akuten sacht. Bei älteren Männern steht die Epididymitis meist in
Stadium hochgradig druckdolent, schlecht abgrenzbar, Zusammenhang mit Harnwegsinfekt oder Prostatitis.
ggf. Fluktuation bei Abszess Dementsprechend finden sich gramnegative Keime. Auch
Urinbefund: bei akuter Prostatitis massive Leukozyturie infravesikale Obstruktion und Dauerkatheter disponieren
und Bakteriurie (⇒ Urinkultur!),bei chronischer Prosta- zu dieser Entzündung.
titis nicht obligat Klinisches Bild/Symptomatik
Dreigläserprobe: bei chronischer Prostatitis Leukozyten akute, sehr schmerzhafte Schwellung des Nebenhodens
und Bakterien im Prostataexprimat (in der akuten Pha- mit Überwärmung und Hautrötung
se kontraindiziert) Schmerzen mit Ausstrahlung entlang des Samenstrangs
weitere Untersuchungen: Sonographie,Urogramm,Urethro- nach inguinal
graphie, Zystoskopie, urodynamische Untersuchungen Nebenhoden nach wenigen Stunden palpatorisch nicht
und ggf. Prostatastanze zur Abklärung möglicher Ursa- mehr vom Hoden abgrenzbar
chen und Ausschluss der Differentialdiagnosen Schmerzlinderung durch Hochlagerung des Hodens
Differentialdiagnose (Prehn-Zeichen positiv)
Prostatakarzinom, granulomatöse Prostatitis, Prostatatu- hohes Fieber
berkulose
Entzündungen 909
Diagnose auch deszendierend kanalikulär über Nierenbecken,Harn-
Labor: Leukozytose leiter und Blase in Prostata und Nebenhoden ausbreiten
Urinbefund: Leukozyturie,Mikrohämaturie,positive Urin- (tertiärer Organbefall).
kultur
Sonographie: erhöhte Echodichte des Nebenhodens, häu-
Merke Verdacht, Krankheits- und Todesfall sind meldepflichtig!
fig Begleithydrozele
Eine Nachkontrolle fünf Jahre nach Therapie ist vorgeschrieben.
Differentialdiagnose Hodentorsion, Nebenhodentumor, Ho-
dentumor, Nebenhodentuberkulose.
Therapie Hochdosierte erregergerechte Antibiose, Hochla- Pathologie Siehe auch ¶ Abb. 6.2
gern, Kühlen,Antiphlogistika, bei Obstruktion suprapubi- Nieren:
sche Harnableitung, bei Abszedierung Ablatio testis, nach – Stadium I („parenchymatöses Stadium“): multiple dis-
Ausheilen der akuten Entzündung weitere urologische Dia- seminierte Herde in beiden Nierenrinden
gnostik zur Ursachenabklärung. – Stadium II („ulzerokavernöses Stadium“): Verschmel-
zung der Herde zu Konglomerattuberkeln mit Ein-
bruch in das Nierenbeckenkelchsystem
6.8 Urosepsis – Stadium III („destruierendes Stadium“): totale Verkä-
sung mit Destruktion der Niere bei Verschluss des
Nierenbeckenabgangs (Kittniere)
Siehe Kap. 14.7. Ureter: narbige Stenosierung mit perlschnurartigem
Aussehen und Dilatation der proximalen Harnwege
Blase: Bildung von Granulomen und Tuberkeln, Ostium-
6.9 Urogenitaltuberkulose stenosen, chronischer Reizzustand mit konsekutiver
Schrumpfblase
Prostata und Samenblasen: knotige Prostatitis mit Verkäsung
Siehe auch Klinische Pharmakologie, Kap. 16.8. und Kavernenbildung
Nebenhoden: verhärteter perlschnurartig verdickter Ne-
benhoden mit käsig-kavernöser Einschmelzung und
Kurzzusammenfassung evtl. Skrotalhautfisteln bei entzündlich obliteriertem
Die Tuberkulose ist die häufigste spezifische Entzündung des Uroge- Ductus deferens
nitaltraktes und umfasst etwa 30% aller extrapulmonalen Tuberku- Klinisches Bild/Symptomatik
X losefälle. Sie betrifft vorwiegend Niere, Prostata und Nebenhoden. oft uncharakteristisch mit subfebrilen Temperaturen,
Leitsymptom ist die sterile Leukozyturie. Die Grundlage der Therapie Nachtschweiß, Abgeschlagenheit
ist konservativ durch tuberkulostatische Chemotherapie. Nur selten dumpfe Flankenschmerzen
ist eine chirurgische Zusatzbehandlung indiziert. Symptome einer therapieresistenten Zystitis
Diagnose
Urinbefund: sterile Leukozyturie (kein Bakteriennach-
Ätiologie/Pathogenese Der Primärherd liegt zu 90% in der weis)
Lunge und den Hiluslymphknoten. Erst nach langer La- Urinkultur: Nachweis von Mycobacterium tuberculosis
tenzzeit (bis zu 20 Jahre) kommt es zu einer hämatogenen (selten bovis) mittels PCR oder auf Spezialnährböden,
Streuung in beide Nierenrinden (sekundärer Organbefall). alternativ Prostataexprimat, Menstrualblut oder Eja-
Die Herde können abheilen oder zur Destruktion der Nie- kulat
re führen. Je nach Immunitätslage kann sich die Infektion Röntgen: Primärherd im Thorax
910 Urologie
Urogramm, retrograde Pyelographie, Urethrographie, CT: Nieren-
parenchym- und Prostataverkalkungen, Kelchverlage- Klinischer Fall
rungen und -destruktionen, Kavernen, Kleeblattform Welche Aussage trifft nicht zu? Die Harnblasenbilharziose begünstigt die Entste-
des Nierenbeckenkelchsystems bei zentraler Nieren- hung von
beckenstenose, funktionslose Niere, Ureterstenosen, (A) Blasenhalsobstruktion
Schrumpfblase, Prostatakavernen, Urethrastrikturen (B) Ureterstenosen
Zystoskopie: Zystitis, sichtbare Tuberkel, Schrumpfblase, (C) Oligomeganephronie
Blasenhalssklerose (D) Plattenepithelkarzinomen
Differentialdiagnose Nephrolithiasis, Nierentumor, Ureter- (E) Blasensteinen
stenose, interstitielle Zystitis, Blasenkarzinom, chronische Lösung: C
Prostatitis oder Epididymitis, Prostatakarzinom, Urethra-
striktur
Therapie
konservativ: tuberkulostatische Chemotherapie ⇒ initial
Dreifachkombination (Isoniazid [INH], Rifampicin
[RMP], Ethambutol [EMP] oder Pyrazinamid [PZA]
oder Streptomyzin [SM]) für 3 Monate, dann Stabilisie- 7 Tumoren
rung durch Zweifachkombination (INH, RMP oder
Zusammenfassung
PZA) für weitere 4–9 Monate, regelmäßige Untersu-
Alle Tumoren des Urogenitalsystems haben als Leitsymptom die Hä-
chung auf Nebenwirkungen (Niere, Leber, Augen)
maturie, die aber oft erst in der Spätphase auftritt.Sie machen meist
operativ: bei Versagen der konservativen Therapie, nach
geringe und erst spät auftretende Beschwerden. Die Metastasierung
Möglichkeit organerhaltende Infektsanierung (z.B.Nie-
erfolgt überwiegend lymphogen in Becken und Retroperitoneum.Die
renteilresektion), Organentfernung nur bei völlig zer-
Stadienteilung aller Tumoren erfolgt anhand der TNM-Klassifikation,
störtem Organ, ggf. plastisch-rekonstruktive oder pal-
die im Bereich der Urogenitalorgane v.a.bei den T-Stadien einige Be-
liative Maßnahmen bei Harnabflussstörung oder
sonderheiten aufweist.
Schrumpfblase
Tumoren 911
7.1.2 Maligne Tumoren
Merke
Ätiologie/Pathogenese Der häufigste maligne Nierentumor Sonographische Merkmale:
ist das Nierenzellkarzinom. Männer sind häufiger betrof- Nierenzyste: echoarme, runde, glatt begrenzte Raumforderung
fen als Frauen. In etwa 2% der Patienten treten die Tumo- mit dorsaler Schallverstärkung
ren bilateral auf.Das Nierenzellkarzinom geht von den Zel- Nierenzellkarzinom: unregelmäßig begrenzt, gemischte Echo-
len des proximalen Tubulus aus (Adenokarzinom) und genität, z.T.Verkalkungen
wächst überwiegend verdrängend, aber auch invasiv in-
nerhalb des Organs mit Infiltration des Hohlsystems und
perirenalen Fettgewebes. Eine Infiltration von Nachbaror- Therapie Therapie der Wahl ist die radikale Tumornephrek-
ganen ist selten. Charakteristisch ist der Einbruch in die tomie mit Fettkapsel,Gerota-Faszie,ipsilateraler Nebenniere
venöse Strombahn mit Tumorthromben in der V.renalis bis und regionalen Lymphknoten. Tumorthromben in V. renalis
in die V. cava inferior. Histologisch besitzen sie ein glyko- und V. cava müssen mitentfernt werden. Bei kleinen Tumo-
gen- und lipidreiches Zytoplasma und ein spärliches, aber ren (< 3,5 cm) in Einzelnieren erfolgt die Tumorentfernung
gut vaskularisiertes Stroma. durch Nierenteilresektion.Bei metastasierten Nierenzellkar-
Metastasierung zinomen kann eine palliative Nephrektomie bei rezidivie-
hämatogen: in Lunge, Knochen, Leber, Gehirn, Nebenniere renden Blutungen und starken tumorbedingten Schmerzen
lymphogen: hiläre, parakavale und paraaortale Lymph-
indiziert sein. In inoperablem Zustand wird die selektive Tu-
knoten morembolisation durchgeführt. Einzelne Metastasen sollten
Klinisches Bild/Symptomatik reseziert werden.Eine Chemo-,Radio- oder Hormontherapie
schmerzlose Makrohämaturie (Spätsymptom) bringt keine Prognoseverbesserung.Die Immuntherapie mit
Flankenschmerzen Tumornekrosefaktor und Interferon kann im metastasierten
tastbarer Flankentumor
Stadium in einigen Fällen zu Remissionen führen.
subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß, Anämie, Ka-
Prognose Die Prognose ist abhängig vom Vorhandensein
chexie, Gewichtsverlust von Lymphknoten- oder Fernmetastasen. Auch der histo-
symptomatische Varikozele, v.a. rechtsseitig (im Liegen
logische Malignitätsgrad hat einen entscheidenden Ein-
persistierend), bei Tumoreinbruch in die Nierenvene fluss auf das Langzeitüberleben (G I ⇒ 40%, G III ⇒ 10%).
paraneoplastische Symptome: Hypertonie, Hyperkalz-
Die 5-Jahresüberlebensrate von Patienten mit T1- und T2-
ämie, Polyglobulie, hepatische Dysfunktion Tumoren beträgt 80–90%, bei T3 50% und T4 25%. Sind re-
Klinik Stauffer-Syndrom: paraneoplastische Leberdysfunktion gionale Lymphknoten befallen, liegt die Rate bei 25%, bei
mit Hepatosplenomegalie, α2-Gobulin ⇑, alkalische Phos- Fernmetastasierung unter 10%. Auch eine Spätmetastasie-
X phatase ⇑, Bilirubin ⇑, Albumin ⇓, Prothrombin ⇓ rung nach 10 oder 20 Jahren ist möglich.
Diagnose Urinstatus (Mikrohämaturie?), Labor (Anämie?
Paraneoplasie?), Sonographie (Abgrenzung zur Nieren-
zyste, Lebermetastasen?), i.v.-Urogramm (Kelchverdrän- 7.2 Nierenbecken und Harnleiter
gung?), CT (Tumorausdehnung, Infiltration, Tumorthrom-
ben, Lymphknotenmetastasen), MRT oder Kavographie Kurzzusammenfassung
(genauere Aussage zur Ausdehnung von Tumorthromben), Die gesamten Harnwege werden von einem mehrschichtigen Über-
Angiographie (gefäßreicher Tumor, nur ausnahmsweise gangsepithel (Urothel) ausgekleidet. Eine maligne Entartung kann
zur Operationsplanung bei Einzelniere), Rö-Thorax (Lun- daher an jeder Stelle der Schleimhaut erfolgen.Am häufigsten ist die
genmetastasen?), ggf. Knochenszintigramm, Schädel-CT Harnblase betroffen (93%), gefolgt von Nierenbecken (4%), Harnlei-
(¶ Abb. 7.1). ter (3%) und selten der hinteren Urethra.Häufig werden multiple Tu-
Differentialdiagnose Solitäre Nierenzyste, gutartiger Nieren- moren gefunden.Wichtigstes Frühsymptom ist die Hämaturie.
tumor, Nebennierentumor, Nierenbeckentumor, Metasta-
sen, Nierentuberkulose, Nephrolithiasis, retroperitonealer
Tumor. Ätiologie/Pathogenese Tumoren in Nierenbecken und Harn-
leiter sind überwiegend Urothelkarzinome,seltener Platten-
epithelkarzinome. Sie wachsen infiltrierend in die Nieren-
becken- und Harnleiterwand und metastasieren frühzeitig
lymphogen in paraaortale, parakavale und paravertebrale
Lymphknoten. Hämatogene Metastasen in Lunge, Leber
und Knochen sind selten. Eine deszendierend-kanalikuläre
Metastasierung in die Blase ist möglich. In etwa 1/3 der Fäl-
le liegt ein Zweittumor in der Blase vor.
Ätiologisch zeigt sich eine erhöhte Karzinominzidenz in ge-
stauten Harnwegen.Weitere Risikofaktoren sind aromatische
Amine, Cyclophosphamid, Phenacetin- und Nikotinabusus
sowie die seltene Balkannephropathie (s. auch Kap. 7.4).
Klinisches Bild/Symptomatik
schmerzlose Makrohämaturie (Frühsymptom)
dumpfer Flankenschmerz
Koliken beim Abgang von Blutkoageln
Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Leistungsknick
Abb.7.1. CT mit großem Nierentumor links mit Einbruch in Nierenvene und V.cava,peri- Diagnose Zytologie, i.v.-Urogramm (Kontrastmittelaus-
renaler Tumorinfiltration und regionalen Lymphknotenmetastasen.Aus [2] sparung = Füllungsdefekt?), Zystoskopie (Lokalisation der
912 Urologie
Tabelle 7.1. TNM-Klassifikation des Nierenzellkarzinoms
Tumoren 913
Tabelle 7.2. TNM-Klassifikation des Blasenkarzinoms
X Abb. 7.2. Klassifikation des Tumorwachstums beim Harnblasenkarzinom.Aus [2] Adnexen und Uterus, beim Mann mit Prostata, Samen-
blasen und ggf. Urethra, die Wirksamkeit einer neoadju-
vanten oder adjuvanten Radiochemotherapie konnte bis-
Differentialdiagnose Hämorrhagische Zystitis, Blasenhalsvari- her nicht nachgewiesen werden
zen bei Prostataadenom, Blasensteine, Blutungen aus dem metastasierte Tumoren: palliative transurethrale Resektion
oberen Harntrakt, Bilharziose, Endometriose, Blasendiverti- oder Zystektomie zur Vermeidung nicht stillbarer Blu-
kel, Penetration von Nachbarorganen in die Blase. tungen oder jauchigem Tumorzerfall, adjuvante Poly-
Therapie Grundlage der Diagnostik und Therapie jedes chemotherapie mit Methotrexat und Cisplatin
Blasentumors ist die transurethrale Resektion (TUR-B). Prognose Die Prognose oberflächlicher Blasentumoren ist
Zunächst wird der Tumor im Schleimhautniveau reseziert sehr gut.Je höher der Malignitätsgrad und je größer der Tu-
und anschließend die tiefere Muskelschicht sowie die Rän- mor,desto höher ist jedoch die Rezidivrate.Rezidive zeigen
der. Zusätzlich werden Biopsien aus allen Quadranten der in etwa 20% der Fälle eine Progression mit invasivem
Harnblase entnommen, um weitere Präkanzerosen zu Wachstum. Die 5-Jahresüberlebensrate dieser Tumoren
identifizieren. Die Resektion wird durch die bimanuelle liegt bei ca. 60%. Patienten mit Metastasen versterben fast
Untersuchung in Narkose ergänzt, die eine Beurteilung der alle innerhalb eines Jahres.
Konsistenz und Beweglichkeit der Blasenwand erlaubt.
Nach histologischer Aufarbeitung des Resektats erfolgt die
stadienorientierte Therapie: 7.4 Penis
Carcinoma in situ: transurethrale Resektion, intravesikale
Chemo- oder Immuntherapie mit BCG (60–90% Re- Kurzzusammenfassung
mission),alternativ Mitomycin,Adriamycin oder Epiru- Das Peniskarzinom tritt in Europa mit einer Inzidenz von etwa 0,5%
bicin,engmaschige Nachsorge durch Urinzytologie und auf und gehört damit zu den seltenen Tumoren.In Regionen mit man-
vierteljährliche Zystoskopie, bei Rezidiv oder Progres- gelhafter Hygiene liegen die Zahlen deutlich höher. Der Altersgipfel
sion Zystektomie liegt zwischen dem 50.und 70.Lebensjahr.Am häufigsten finden sich
oberflächliche Tumoren (Ta/T1): vollständige transurethrale Plattenepithelkarzinome. Bei frühzeitiger Diagnosestellung kann
Resektion mit Quadrantenbiopsie und Biopsie aus der durch Exzision oder Penisteilamputation eine Heilung erzielt werden.
prostatischen Harnröhre, bei zusätzlichem Nachweis
eines Carcinoma in situ oder multifokalem Wachstum
zur Rezidivprophylaxe (Rezidivrate bis 70%) intravesi- Ätiologie Ätiologische Faktoren sind v.a. die chronische Ir-
kale Chemo- oder Immuntherapie, vierteljährliche zys- ritation bei Phimose und Smegmaretention sowie rezidi-
toskopische Kontrolle vierende Infektionen. Hygienische Verhältnisse spielen
invasive Tumoren (T2,T3a,T3b): radikale Zystektomie mit pelvi- eine wichtige Rolle.
ner Lymphadenektomie und Harnableitung (s. Kap. 4.2.3 Pathogenese Tumoren des Penis sind in mehr als 95% Platten-
und 4.2.4),bei der Frau mit Vaginalvorderwand sowie ggf. epithelkarzinome, selten finden sich Basalzellkarzinome,
914 Urologie
Tabelle 7.3. TNM-Klassifikation des Peniskarzinoms
die überwiegend zwischen dem 20.und 40.Lebensjahr auftreten.Der umso eher besteht maligne Entartung
überwiegende Teil der Tumoren (> 90%) geht von den Keimzellen aus. Dottersacktumoren: häufig bei Kindern
95% aller Hodentumoren sind bösartig, wachsen schnell und metas- Metastasen
tasieren frühzeitig. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung liegen bei Maligne Lymphome, Karzinome, Melanome.
25–30% der Patienten Metastasen vor.Trotzdem ist die Prognose bei Die testikuläre intraepitheliale Neoplasie (TIN) geht als
Präkanzerose allen testikulären Keimzelltumoren (Aus-
Tumoren 915
nahme: spermatozytäres Seminom) voraus. Es handelt Therapie
sich um atypische, neoplastische Spermatogonien, die Für die Therapie sind die Unterscheidung in Seminome
sich von normalen Spermatogonien unterscheiden las- und Nichtseminome sowie das Stadium wichtig. Thera-
sen. pieziel ist in allen Fällen die vollstständige Tumorrück-
Metastasierung Der häufigste Metastasierungsweg ist lym- bildung (komplette Remission). Eine Übersicht zeigt Ta-
phogen entlang der Hodengefäße in die paraaortalen und belle 7.5.
parakavalen Lymphknoten auf Höhe des Nierenhilus. Die Seminome metastasieren langsam und sind sehr strahlen-
zweite Lymphknotenstation liegt in den mediastinalen und sensibel. Im Frühstadium erfolgt im Anschluss an die
supraklavikulären Lympknoten (Venenwinkel). Von dort Semikastratio die Bestrahlung der infradiaphragmalen
erfolgt die Fernmetastasierung in Lunge, Leber, Knochen Lymphnoten, ab Stadium IIA auch der ipsilateralen iliaka-
und Gehirn. Eine Metastasierung auf die Gegenseite ist len Lymphknoten. In Stadium IIC und III wird zunächst
möglich, v.a. von rechts nach links, selten von links nach eine induktive Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und
rechts. Das Chorionkarzinom metastasiert meist primär Bleomycin oder Ifosphamid (PEB oder PEI-Schema)
hämatogen (Tabelle 7.4). durchgeführt. Verbleiben größere Residualtumoren, wer-
Klinisches Bild/Symptomatik den diese reseziert.
schmerzlose Schwellung mit tastbarem derben Knoten Nichtseminome haben eine hohe Metastasierungsneigung.
Symptome durch Metastasen (bei ca. 10%): Inappetenz, Daher erfolgt im Anschluss an die Semikastratio die retro-
Gewichtsverlust, Abdominal- und Flankenschmerzen, peritoneale Lymphadenektomie (RLA),im Stadium I einsei-
Rückenschmerzen, Dyspnoe oder Hämoptoe tig,in Stadium IIA und IIB beidseitig.Diese umfasst die Ent-
Gynäkomastie bei Leydig-Zell-Tumoren fernung aller Lymphknoten entlang der Aorta, V. cava, zwi-
Diagnose Anamnese, Inspektion und Palpation (tastbare schen und hinter den Gefäßen, vom Oberrand der V. renalis
Resistenz?), LK-Status (v.a. supraklavikulär), Sonographie bis zu den iliakalen Lymphknoten der betroffenen Seite. Die
(intraskrotale Raumforderung), CT-Abdomen und Rö- V.testicularis und begleitende Lymphbahnen werden mitre-
Thorax sowie ggf. Skelettszintigraphie und CT-Schädel zur seziert. Bei den meisten Patienten kommt es in Folge zum
Metastasensuche. Ejakulationsverlust durch Schädigung der Sympathikusfa-
Tumormarker: α-Fetoprotein (AFP) und β-HCG erhöht bei sern im Bereich der Aortenbifurkation (L1–L3). Durch mo-
Nichtseminomen, β-HCG auch bei 15% der Seminome, difizierte Formen der RLA lässt sich dies häufig vermeiden.
Marker zur Verlaufskontrolle. Halbwertszeit AFP 4–5 Tage, Postoperativ wird eine adjuvante Chemotherapie nach dem
β-HCG 24 h PEB-Schema durchgeführt. Im Stadium IIC und III erfolgt
Differentialdiagnose Epididymitis,Orchitis,Hydrozele,Sper- zunächst die induktive Chemotherapie. Residuale Tumor-
X matozele, Hodentorsion, Urogenitaltuberkulose. massen werden soweit möglich reseziert. Verbleibt vitales
Tumorgewebe muss auch noch eine adjuvante Chemothera-
pie durchgeführt werden. Das Chorionkarzinom wird
Merke Erster Schritt der Therapie und gleichzeitig Diagnosesiche-
primär durch Chemotherapie behandelt.
rung ist die inguinale Semikastratio.Gleichzeitig erfolgt die Biopsie
Prognose 5-Jahresüberleben: Stadium I ⇒ 100%, Stadi-
des kontralateralen Hodens zur Erkennung einer TIN (positiv in
um IIA, B ⇒ 95%, Stadium IIC ⇒90%, Stadium III ⇒ bis
4–5%).Die transskrotale Biopsie ist kontraindiziert (Verschleppung!).
85%. Die beste Prognose haben Seminome.
Die histologische Untersuchung und das anschließende Staging be-
stimmen die weitere Therapie.
Klinischer Fall
Tabelle 7.4. Stadieneinteilung der Hodentumoren (modifiziert nach Cavalli) Was ist bei einem histologisch reinen Seminom am wenigsten zu erwarten?
(A) b -HCG-Erhöhung
Stadium I Tumor auf den Hoden beschränkt,
keine Fernmetastasen (B) primär lymphogene Metastasierung
(C) Lungenmetastasen
Stadium II lymphogene Metastasierung
im Retroperitoneum (D) „bulky disease“ der retroperitonealen Lymphknoten
Stadium IIA Metastasendurchmesser < 2 cm (E) AFP-Erhöhung
Stadium IIB Metastasendurchmesser 2,5 cm Lösung: E
Stadium IIC Metastasendurchmesser > 5 cm
(„bulky disease“)
Stadium III supradiaphragmatische LK-Metastasen
und/oder Fernmetastasen
Seminom Nichtseminom
Stadium I retroperitoneale Radiatio 25–30 Gy einseitige RLA
Stadium IIA retroperitoneale und iliakale Radiatio 30–40 Gy beidseitige RLA, adjuvante Chemotherapie (2-mal PEB)
Stadium IIB retroperitoneale und iliakale Radiatio 30–40 Gy beidseitige RLA, adjuvante Chemotherapie (2-mal PEB)
Stadium IIC induktive Chemotherapie (3-mal PEB/PEI), induktive Chemotherapie (3-mal PEB), evtl. Resektion,
evtl. Resektion adjuvante Chemotherapie
Stadium III induktive Chemotherapie (3-mal PEB/PEI), induktive Chemotherapie (4-mal PEB), evtl. Resektion,
evtl. Resektion adjuvante Chemotherapie
916 Urologie
7.6 Prostata Merke Ein akuter Harnverhalt kann in jedem Stadium der BPH auf-
treten!
Kurzzusammenfassung
Die benigne Prostatahyperplasie (Prostataadenom) ist die häufigste
urologische Erkrankung des Mannes ab 40. Typisch sind obstruktive Komplikationen Die chronische Obstruktion führt zu einer
und irritative Symptome, die zu einer erheblichen Einschränkung der kompensatorischen Hypertrophie der Harnblasenmusku-
Lebensqualität führen können. Die Therapie der Wahl ist die trans- latur mit Trabekulierung und Ausbildung von Pseudodi-
urethrale Resektion oder bei größeren Adenomen die offene Prosta- vertikeln. Die hohen Restharnmengen begünstigen rezidi-
tektomie. vierende Infektionen. Bei muskulärer Dekompensation
Das Prostatakarzinom ist das häufigste Karzinom des Urogenitaltrak- kommt es zum unwillkürlichen Harnabgang (Ischuria pa-
tes. Beim Mann ist es der zweithäufigste maligne Tumor. Der Alters- radoxa).Die zunehmende Hydronephrose schließlich kann
gipfel liegt zwischen dem 50.und 60.Lebensjahr.Die Prävalenz steigt im postrenalen Nierenversagen enden.
mit zunehmendem Lebensalter. Nur bei Diagnosestellung im meist Diagnose Anamnese (evtl. anhand spezieller Fragebögen),
asymptomatischen Frühstadium ist eine kurative Therapie möglich. Untersuchung (rektal digital ⇒ Größe, Form, Konsistenz),
Bereits im Stadium der Lymphknotenmetastasierung stehen nur noch Labor (Nierenfunktion? PSA), Urodynamik, Sonographie
palliative Maßnahmen zur Verfügung. Abdomen (Restharn? Stauungsnieren?), transrektale So-
nographie (genaue Größenbestimmung), i.v.-Urogramm.
Differentialdiagnose Prostatakarzinom,Prostatitis,Blasentu-
mor, Blasenhalssklerose, Harnröhrenveränderungen, neu-
7.6.1 Prostatahyperplasie rogene Blase, Malignome im kleinen Becken.
Ätiologie/Pathogenese Die Prostata lässt sich in vier unter- Therapie
schiedliche Zonen unterteilen: die periphere Zone,die zen- medikamentös: im Stadium I ggf. Versuch mit Phytophar-
trale Zone, die periurethrale Übergangszone und das ante- maka, sonst im Stadium I und II selektive-α1a-Rezepto-
riore fibromuskuläre Stroma.Eine Vergrößerung der Über- renblocker (Tamsulosin) oder 5-α-Reduktasehemmer
gangszone durch Proliferation der periurethralen Drüsen (Finasterid)
und umgebender Muskulatur führt zur benignen Prosta- operativ: Stadium III, zunehmend auch Stadium II, trans-
tahyperplasie (BPH). Wachstum in der Peripherie bleibt urektale Resektion (TUR-P) bis 70 g, bei größerer
meist lange unbemerkt, eine Vergrößerung nach innen Prostata transvesikale oder retropubische Prostata-
führt zu einer Einengung der Urethra und Behinderung adenomektomie, Alternativverfahren: Lasertherapie,
funktioneller Abläufe am Blasenhals.Sie kann schon bei ge- Kryotherapie
ringgradiger Vergrößerung zu erheblichen Symptomen Katherismus: akuter Harnverhalt, chronisch-dekompen- X
führen (¶ Abb. 7.3). sierte Harnblase
Die Ätiologie dieses Wachstumsschubes,der ab dem 40.Le-
bensjahr stattfindet, ist bisher nicht eindeutig geklärt.Ver-
Merke Bei der Resektion eines Prostataadenoms bleibt das gesun-
mutlich sind die altersabhängige Zunahme der Östrogene
de, aber komprimierte Prostatagewebe der peripheren Zone als sog.
und Abnahme des Testosterons wichtige Faktoren.
chirurgische Kapsel stehen. Vorsorgeuntersuchungen des Prosta-
Klinisches Bild/Symptomatik Siehe auch Tabelle 7.6.
takarzinoms sind daher weiterhin notwendig.
Obstruktion: verzögerter Miktionsbeginn, schwacher
Harnstrahl, verlängerte Miktionsdauer, Nachträufeln,
Restharn
7.6.2 Prostatakarzinom
Irritation: Dysurie, Pollakisurie, Dranginkontinenz, Nykt-
urie, akuter Harnverhalt Siehe auch Spezielle Pathologie, Kap. 13.1.3.
Ätiologie/Pathogenese Das Prostatakarzinom entwickelt sich
in 98% aus den Drüsenepithelien (Adenokarzinom) der pe-
ripheren Zone, überwiegend im dorsalen Anteil. Selten fin-
det man Plattenepithelkarzinome oder Sarkome. Als Prä-
kanzerose gilt die prostatische intraepitheliale Neoplasie
(PIN). Das Karzinom wächst in der Prostata entlang der
Lymphspalten, durchbricht die Kapsel im Bereich der Peri-
neuralscheiden und infiltriert die Samenblasen. Die Meta-
stasierung erfolgt zunächst lymphogen in obturatorische,
präsakrale und inguinale Lymphknoten und später häma-
togen bevorzugt in das Skelett (osteoblastische Metastasen).
Die häufigste Lokalisation sind LWS, Becken und proxima-
ler Femur.Das Tumorwachstum wird durch Testosteron sti-
muliert, durch Androgenentzug gehemmt (Tabelle 7.7).
Tumoren 917
Tabelle 7.7. TNM-Klassifikation des Prostatakarzinoms
Primärtumor Lymphknoten
T1 klinisch weder durch Palpation noch bildgebende Verfahren erkennbarer Tumor N0 keine regionären LK-Metastasen
T1a zufälliger histologischer Befund in <5% des Resektats N1 solitäre LK-Metastasen < 2 cm
T1b zufälliger histologischer Befund in >5% des Resektats N2 solitäre LK-Metastase zwischen 2
T1c Diagnose durch Prostatabiopsie (z.B. wegen PSA↑) und 5 cm oder multiple LK-Metas-
tasen < 5 cm
T2 Tumor auf Prostata begrenzt
N3 LK-Metastasen > 5 cm
T2a Tumorbefall der Hälfte eines Lappens oder weniger
T2b Tumorbefall > als Hälfte eines Lappens, einseitig Fernmetastasen
T2c Tumorbefall beider Seitenlappen M0 keine
T3 Tumorausbreitung durch Kapsel in extrakapsuläres Gewebe M1 vorhanden
T3a einseitige extrakapsuläre Ausbreitung
T3b beidseitige extrakapsuläre Ausbreitung
T3c Samenblaseninfiltration
T4 Tumor ist fixiert oder infiltriert andere Strukturen
T4a Tumorinfiltration des Blasenhalses, Sphincter ext. und/oder Rektum
T4b Tumorinfiltration des M. levator oder Fixierung an Beckenwand
Die Ätiologie ist unklar.Endokrinologische und diätetische inzidentelles Karzinom (T1a): keine weitere Therapie, aber
Faktoren werden vermutet. engmaschige Kontrolle
Man unterscheidet: lokal begrenztes Prostatakarzinom (T1b-3/N0/M0): Nach Exstir-
latentes Prostatakarzinom: zu Lebzeiten nicht diagnostiziert pation und Schnellschnittuntersuchung der obturatori-
⇒ Obduktionsbefund schen Lymphknoten erfolgt bei Metastasenfreiheit die
inzidentelles Prostatakarzinom: normaler Tastbefund, Tumor radikale Entfernung der Prostata mit Samenblasen (ra-
wird zufällig im Rahmen einer BPH-Operation ent- dikale Prostatektomie) und Anastomose zwischen
deckt Harnröhre und Blasenhals. Nebenwirkungen sind erek-
X okkultes Prostatakarzinom: unauffälliger Tastbefund, Primär- tile Dysfunktion (100%), Harninkontinenz (5%) und
manifestation durch Metastasen Urethrastriktur (5–15%). Bei Patienten > 70 Jahre wird
klinisch manifestes Prostatakarzinom: rektal tastbarer Tumor anstelle des radikalen Eingriffs ein Androgenentzug
mit/ohne Symptome, mit/ohne Metastasen durchgeführt.Die Nachsorge erfolgt durch regelmäßige
Klinisches Bild/Symptomatik In frühen Stadien (T1,T2) sind die PSA-Kontrollen, dessen Erhöhung auf einen Residual-
Patienten oft subjektiv beschwerdefrei oder leiden unter tumor oder Metastasen hinweist.
den typischen „Prostatikersymptomen“. Durch das Tu- fortgeschrittenes Prostatakarzinom (T3, T4/N1–4/M1): Therapie
morwachstum kommt es zu rasch zunehmenden obstruk- der Wahl des nichtkurablen Prostatakarzinoms ist der
tiven Beschwerden bis hin zur Harnstauungsniere mit pro- Androgenentzug. Etwa 80% der Tumorzellen sind hor-
gredienter Niereninsuffizienz. Bei 25% der Patienten sind monsensitiv.
Kreuzschmerzen und Ischiasbeschwerden bedingt durch – subkapsuläre Orchiektomie: Reduktion der Testosteron-
Metastasen das erste Krankheitssymptom. produktion
Diagnose Rektalpalpation (derber Knoten, unregelmäßige – Antiandrogene: blockieren Testosteronwirkung am
Oberfläche, unscharfe Begrenzung), transrektale Sonogra- Zielorgan
phie, Prostatabiopsie, i.v.-Urogramm (Stauung? Knochen- – LH-RH-Agonisten: zunächst Erhöhung des Testosteron-
metastasen?), Urethrozystoskopie (Infiltration der Urethra spiegels für 2–3 Wochen (deshalb gleichzeitig Gabe
oder Harnblase), CT (Ausdehnung? LK-Metastasen?), Rö- von Antiandrogenen), danach Sistieren der Testos-
Thorax (Lungenmetastasen?),Ganzkörperskelettszintigra- teronproduktion (pharmakologische Hypophysek-
phie (Knochenmetastasen?). tomie)
– Östrogene: verminderte Sekretion von LH und damit
Reduktion der Testosteronproduktion,aufgrund von
Merke Der wichtigste Tumormarker des Prostatakarzinoms ist das
NW kaum eingesetzt
prostataspezifische Antigen (PSA).Es kann jedoch auch bei anderen
Nach etwa 2 Jahren kommt es zu einer Tumorprogression
Erkrankungen (Adenom, Prostatitis) erhöht sein. Es eignet sich sehr
durch hormonrefraktäre Tumorzellen. In diesem Stadium
gut zur Verlaufskontrolle.Die Bestimmung des nicht eiweißgebunde-
können Estramustinphosphat oder eine Chemotherapie
nen „freien“ PSA erhöht die Sensitivität.
eingesetzt werden. Eine komplette Remission ist damit
fPSA/PSA < 0,25 ⇒ eher Karzinom, fPSA/PSA > 0,25 ⇒ eher BPH.
nicht zu erreichen.Es kommt jedoch zu einer günstigen Be-
einflussung v.a. der ossären Schmerzen. Knochenschmer-
Differentialdiagnose Prostatahyperplasie,chronische Prosta- zen durch Metastasen sprechen gut auf eine lokale Be-
titis, granulomatöse Prostatitis, Prostatasteine, Prostatatu- strahlung an.
berkulose. Prognose 5-Jahresüberleben bei stadiengerechter Behand-
Therapie Die Wahl der Therapie hängt ab von Tumorstadi- lung: T1–2 ⇒ 80–90%, T3 ⇒ 40%, fortgeschrittene Stadien
um und Differenzierungsgrad sowie Alter, Lebenserwar- ⇒ < 50%
tung und Allgemeinzustand des Patienten:
918 Urologie
sis. Für die einzelnen Steinarten sind unterschiedliche Ri-
Merke Die Früherkennungsuntersuchung bestehend aus rektaler
sikofaktoren bekannt:
Untersuchung, TRUS und PSA sollten bei jedem Mann ab dem 45. Le-
Kalziumsteine: idiopathische Hyperkalziurie, primärer
bensjahr durchgeführt werden. Damit kann ein größerer Anteil der
Hyperparathyroidismus, Hypozitraturie, primäre Hy-
Prostatakarzinome in noch kurablem Stadium entdeckt werden.
peroxalurie, enterale Hyperoxalurie (z.B. M. Crohn), re-
nale tubuläre Azidose, Vitamin-D-Überdosierung, Im-
mobilisation
Struvitsteine: Infektsteine bei Proteus- oder Klebsiellen-
Infektionen (Ureasebildner)
Harnsäuresteine: vermehrte exogene Harnsäurezufuhr
8 Urolithiasis (purinreiche Kost), renale Ausscheidungsstörung
Zystinsteine: Zystinurie ⇒ autosomal-rezessiv vererbte
Zusammenfassung
Transportstörung im Nierentubulus, Zystin ist sehr
Die Urolithiasis ist eine der häufigsten urologischen Krankheitsbilder,
schlecht löslich, bei stark gesteigerter Trinkmenge
von der in Deutschland 4–5% der Bevölkerung betroffen sind.Der Al-
(3–5 l/24 h) und Harnalkalisierung verbesserte Lös-
tersgipfel liegt bei Männern zwischen dem 25.und 40.Lebensjahr und
lichkeit
bei Frauen zwischen dem 25. und 30. sowie zwischen dem 50. und
65.Lebensjahr.Männer sind etwa viermal häufiger betroffen als Frau-
en. 97% aller Steine befinden sich in Nieren und Harnleiter, nur 3%
sind in Blase und Harnröhre lokalisiert. Leitsymptom des Harnstein-
8.3 Nierensteine
leidens ist die Kolik. Die meisten Nierensteine gehen spontan ab, so-
Kurzzusammenfassung
dass eine instrumentelle oder gar operative Intervention nur selten
Harnsteine entstehen am häufigsten im Nierenbeckenkelchsystem.
notwendig ist.
Solange sie in der Niere verbleiben,sind sie meist symptomlos und kön-
nen abwartend beobachtet werden.Führen sie zu Komplikationen wie
Infektion oder Obstruktion,müssen sie behandelt werden.Das häufig-
8.1 Steinarten ste Therapieverfahren ist die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie
(ESWL), die bei größeren Konkrementen auch mehrfach angewendet
werden kann. Durch die Effektivität dieser Methode sind offene Ope-
Steine in den Harnwegen können nach verschiedenen Kri- rationen nur noch sehr selten notwendig.Bei infizierter Stauungsnie-
terien eingeteilt werden: Lokalisation, chemische Zusam- re ist vor jeder weiteren Therapie eine Entlastung (Harnleiterschiene,
mensetzung, Form und Nachweisbarkeit durch Röntgen- Nephrostomie) notwendig,um eine drohende Urosepsis zu verhindern. X
strahlen. Chemisch reine, nur aus einer Substanz beste-
hende Steine sind selten.
Kalziumsteine (70%): Kalziumoxalat ⇒ hart, unregelmäßig, Symptomatik In der Niere unterscheidet man Kelchsteine,
zackig, weißgrau bis braun, röntgendicht Nierenbeckensteine sowie Ausgusssteine, die Kelche und
Phosphatsteine (14%): Magnesiumammoniumphosphat Nierenbecken partiell oder komplett ausfüllen (¶ Abb.8.1).
(Struvit) oder Kalziumphosphat ⇒ aufgeraute oder Die Symptomatik ist abhängig von der Lage und Beweg-
glatte Oberfläche, bröckelig, weiß bis braun, schwächer lichkeit der Steine. Ruhende Steine sind meist symptomlos,
röntgendicht gelegentlich klagen die Patienten über dumpfe Flanken-
Harnsäuresteine (15%): Harnsäure, Ammoniumurat ⇒ schmerzen.Bei Obstruktion können rezidivierende Koliken
rundlich, glatt, sehr hart, gelbgrau bis dunkelbraun, mit Schmerzen im Nierenlager auftreten. Typisch sind eine
nicht röntgenschattengebend Mikro- sowie seltener eine Makrohämaturie. Infizierte Nie-
Zystinsteine (1%): Zystin ⇒ rund bis oval,sehr hart,gelblich rensteine führen zu rezidivierenden Pyelonephritiden oder
bis ocker, schwach röntgendicht (flauer Schatten) bei vollständiger Abflussbehinderung zur Pyonephrose mit
Gefahr der Urosepsis.Bei kompletten Ausgusssteinen ist die
Niere oft stumm.
8.2 Ätiologie und Pathogenese Diagnostik Anamnese, typische Klinik, Urinsediment (Mi-
krohämaturie, selten Leukozyturie), Urinkultur, Sonogra-
phie (Konkrement mit Schallschatten? Harnstauung?), i.v.-
Siehe auch Innere Medizin, Abschnitt 6, Kap. 2.14. Urogramm.
Die Entstehung von Harnsteinen ist multifaktoriell be- Differentialdiagnose
dingt.Grundlage der Konkrementbildung ist eine Übersät- Verkalkung: Tumor, Phlebolith, verkalkter Mesenterial-
tigung des Urins mit steinbildenden Substanzen. Es entste- lymphknoten, Aneurysma, Gallensteine, verkalkte My-
hen Kristalle, die sich zusammenlagern (Aggregation) und ome, Nebennierenverkalkung, verkalkte Zyste
den typischerweise geschichteten Harnstein bilden. Der Kontrastmittelaussparung: Nierenbeckentumor, Nierenzell-
Kristallisationsvorgang wird beeinflusst durch Hyperkal- karzinom, Blutkoagel, Tuberkulose, Papillennekrose
ziurie, pH-Veränderungen, Verminderung des Harnvolu- Therapie
mens, Hyperurikurie und Verminderung von Inhibitoren abwartend: ruhende,nichtinfizierte Steine müssen nur re-
(Zitrat, Pyrophosphat), die mit steinbildenden Ionen lösli- gelmäßig kontrolliert werden
che Komplexe bilden. Auch epidemiologische Faktoren konservativ: ausreichende Flüssigkeitszufuhr, antibioti-
(Alter, Geschlecht, Klima, Ernährung) spielen eine Rolle. sche Behandlung von Harnwegsinfekten,Harnsäurestei-
Bei etwa einem Drittel der Patienten liegen der Steinbil- ne können durch konsequente Harnalkalisierung (Ura-
dung metabolische Störungen zugrunde. Bei den übrigen lyt U) und Senkung des Harnsäurespiegels (Allopurinol)
Patienten handelt es sich um eine idiopathische Urolithia- aufgelöst werden
Urolithiasis 919
Abb. 8.1.a,b I.v.-Urogramm mit Nierenbecken-
ausgussstein.a Leeraufnahme mit einem vollstän-
dig das rechte Nierenbecken ausfüllenden Aus-
gußstein; b Urogramm mit noch guter Funktion
der rechten Niere und unauffälliger linker Niere
a b
8.4 Harnleitersteine
Kurzzusammenfassung
Harnleitersteine sind in den Harnleiter gewanderte Nierensteine.Das
typische Symptom ist die Kolik.Bis zu 90% der Steine gehen spontan
ab, sodass bei fehlenden Komplikationen die konservative Therapie
im Vordergrund steht.Bei nicht spontan abgangsfähigen Steinen,zu- Abb. 8.2. Schmerzprojektion beim Nieren- und Ureterstein.Aus [4]
sätzlichem Harnwegsinfekt oder stauungsbedingter Minderung der
Nierenfunktion müssen instrumentelle Maßnahmen zum Einsatz
kommen. steinbedingte Nierenkolik. Führt der Harnleiterstein zur
Obstruktion und Infektion des Hohlsystems, ist eine um-
gehende Entlastung notwendig, um eine Urosepsis zu ver-
Symptomatik Die typische Kolik beginnt mit plötzlich ein- hindern (¶ Abb. 8.2).
setzenden krampfartigen Schmerzen.Sie tritt v.a.auf,wenn Diagnostik Die Diagnostik entspricht der bei Nierenstei-
ein Stein an die physiologischen Engen des Harnleiters nen. Der abgegangene Stein muss analysiert werden, um
(Nierenbeckenabgang, Gefäßkreuzung, Ureterenmün- Therapie und Metaphylaxe durchführen zu können. Die
dung) gelangt. Der Schmerz projiziert sich je nach Lokali- Suche nach den Ursachen der Steingenese umfasst Labor-
sation des Konkrements in die Flanken, entlang des Harn- diagnostik (Kalzium, Harnsäure, Kreatinin) und Urinun-
leiters in den Unterbauch,den Leistenkanal oder die Hoden tersuchung (Volumen, pH-Wert, spezifisches Gewicht, Kal-
bzw. Labien. Tief sitzende Steine verursachen häufig eine zium, Harnsäure, Oxalat, Zitrat, Harnstoff, Kreatinin).
Dysurie und Pollakisurie.Reflektorisch kommt es zu Darm- Differentialdiagnose
paralyse, Übelkeit und Erbrechen. Während der Kolik ist Kolik: Gallensteinkolik, Cholezystitis, Appendizitis, Ad-
der Patient sehr unruhig und in ständiger Bewegung. Zwi- nexitis, Sigmadivertikulitis, Hodentorsion
schen den Koliken ist er völlig beschwerdefrei. Bei fast al- Kontrastmittelaussparung: Urotheltumor,Blutkoagel,Uroge-
len Patienten findet sich eine Mikro-, seltener auch Ma- nitaltuberkulose, Harnleiterstenosen, Harnleiterkom-
krohämaturie. Der Steinabgang gilt als Beweis für eine pression von außen
920 Urologie
Tabelle 8.1. Metaphylaxe bei Urolithiasis
Therapie (C) Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) ist zur Behandlung der Zy-
konservativ: bei der akuten Kolik Analgesie und Spasmo- stinsteine indiziert.
lyse, ausreichende Diurese (> 2000 ml/24 h), Bewe- (D) Zum Maßnahmensprektrum bei der Metaphylaxe gehört die Harnalkalisie-
gung, antibiotische Behandlung von Infekten, bei un- rung.
komplizierten Steinen Spontanabgang abwarten (E) Die Erhöhung der täglichen Zufuhr von tierischem Eiweiß steigert die Zy-
ESWL: nicht spontan abgangsfähige Steine, rezidivieren- stinausscheidung im Urin.
de schwere Koliken, persönlich Situation des Patienten Lösung: A
(Leidensdruck, Beruf, etc.)
Ureterorenoskopie: endoskopische Steinzertrümmerung und
Extraktion bei distalen Harnleitersteinen nach erfolgloser
ESWL oder persistierender Steinstraße nach ESWL
Metaphylaxe Im Anschluss an die Akutbehandlung eines
Steinpatienten sollte eine Metaphylaxe zur Verhinderung
von Rezidivsteinen durchgeführt werden (Tabelle 8.1). Die 9 Verletzungen von Nieren,
wichtigste prophylaktische Maßnahme ist die ausreichen- Harnleiter, Blase, Harnröhre
de Flüssigkeitszufuhr von mind. 2 l/24 h (spezifische Ge-
wicht des Urins 1010–1015 g/l). Die Ernährung sollte ausge- und Genitale
wogen sein mit für die einzelnen Steinarten spezifischen
Einschränkungen. Zusammenfassung
Etwa 60% der Patienten mit urogenitalen Verletzungen sind po-
lytraumatisiert. Ursächlich sind am häufigsten Straßenverkehrs-, X
8.5 Blasensteine Sport- und Arbeitsunfälle. Verletzungen der Genitale entstehen in
über 30% bei sexuellen Aktivitäten, meist infolge autoerotischer
Kurzzusammenfassung Handlungen. In Mitteleuropa überwiegt die stumpfe Gewalteinwir-
Blasensteine entstehen als Komplikation einer Blasenentleerungs- kung, in Kriegsgebieten stehen Schuss- und Stichverletzungen im
störung. Diagnostik und Therapie erfolgen wenig invasiv zystosko- Vordergrund.Verletzungen des Urogenitaltraktes sind bis auf wenige
pisch. Offene Operationen sind nur selten notwendig. Ausnahmen nicht vital bedrohlich und werden daher bei Mehrfach-
verletzten leicht übersehen.Auch initial asymptomatische Verletzun-
gen können ein erhebliches Ausmaß annehmen. Dies kann durch in-
Ätiologie Blasensteine entstehen bei Blasenentleerungs- adäquate Therapie zu Funktionseinschränkungen bis hin zum Verlust
störungen,z.B.durch Prostatahyperplasie,Harnröhrenstrik- eines Organs führen. Bei jeder Verletzung ist daher eine engmaschi-
turen oder bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen. ge klinische und sonographische Verlaufkontrolle notwendig.
Bakterielle Harnwegsinfekte und Fremdkörper in der Blase
(Katheter) sind zusätzliche prädisponierende Faktoren.
Symptomatik
Dysurie, Pollakisurie 9.1 Verletzungsarten
Hämaturie
Blasenkrämpfe (Tenesmen)
Unterbrechung des Harnstrahls
9.1.1 Niere
rezidivierende Infekte
Diagnostik Sonographie,Röntgen-Übersichtsaufnahme der Verletzungen der Niere entstehen v.a. beim stumpfen Tho-
Blase (Verkalkungen?), Zystoskopie. rax-, Bauch- oder Flankentrauma (¶ Abb. 9.1). Typisch ist
Therapie Blasensteine werden zystoskopisch zertrümmert eine gleichzeitige Fraktur von Wirbelsäule oder Rippen.
(Lithotripsie) und entfernt. Selten ist eine Eröffnung der Die 12. Rippe kann dabei, auch ohne Fraktur, die Niere wie
Blase (Sectio alta) zur Entfernung der Steine notwendig. ein Säbel durchschneiden („Peitschenschlagphänomen“).
Grundsätzlich sollte auch die Ursache des Blasensteins be- Seltener sind Schuss- oder Messerstichverletzungen, deren
handelt werden. Ausmaß erst durch operative Exploration beurteilbar ist.
Geschlossene Nierenverletzungen durch stumpfe Gewalt-
einwirkung werden unterteilt in:
I.leichte Verletzung (60–80%): Kontusion (Ia), Parenchym-
Klinischer Fall blutung (Ib)
Welche Aussage in Zusammenhang mit dem Zystinstein trifft nicht zu? II. schwere Verletzung (10–30%): inkomplette Nierenruptur
(A) Der Zystinstein ist der häufigste Harnstein. mit subkapsulärem (IIa) oder perirenalem Extravasat
(B) Der Zystinstein ist in der konventionellen Röntgendiagnostik im Allgmeinen (IIb), komplette Nierenruptur mit retroperitonealem
der am schwächsten schattengebende Harnstein. Extravasat (IIc)
a b c
f
d e
III. kritische Verletzung (< 5%): multiple Rupturen, Zer- zung,Einschnürungen) haben.Die Penisfraktur mit Einriss
trümmerung, Gefäßstielverletzung eines Corpus cavernosum und Hämatombildung entsteht
durch gewaltsame Abknickung des erigierten Penis.
X 9.1.2 Harnleiter Verletzungen des Skrotums betreffen die Skrotalhaut oder
den Hoden. Sie treten im Rahmen von Dammverletzungen
Isolierte Verletzungen des Ureters durch äußere Gewaltein- (Zweiradfahrer) und direkter Gewalteinwirkung (Schläge,
wirkung sind selten. Die weitaus häufigste Ursache sind ia- Tritte) auf. Stumpfe Traumen können zu massiven Häma-
trogene Verletzungen bei ureterorenoskopischen Eingriffen tomen und Hodenruptur führen.
und Operationen im Retroperitoneum und kleinen Becken.
9.1.3 Blase
Klinischer Fall
Harnblasenverletzungen entstehen fast immer durch Welche Aussage trifft nicht zu? Beim (isolierten) Nierenstielabriss
stumpfe Gewalteinwirkung auf die gefüllte Blase. Man un- (A) zeigt sich eine Schocksymptomatik
terscheidet extra- und intraperitoneale Rupturen. Becken- (B) kommt es anfangs regelmäßig zur Makrohämaturie
ringfrakturen führen häufiger zu extraperitonealen Verlet- (C) ist die betroffene Niere im Ausscheidungsurogramm typischerweise stumm
zungen. Oft liegt eine begleitende Harnröhrenverletzung (D) kann eine Renovasographie indiziert sein
vor (¶ Abb. 9.2). (E) ist eine Notfalloperation erforderlich
Lösung: B
9.1.4 Harnröhre
Verletzungen der Harnröhre betreffen fast ausschließlich 9.2 Symptomatik
Männer.Die Einteilung richtet sich nach der Beziehung der
Verletzung zum Diaphragma urogenitale (¶ Abb. 9.3).
supradiaphragmatische Verletzung: Beckenringfrakturen Die Symptomatik der urogenitalen Verletzungen ist ab-
infradiaphragmatische Verletzung: unsachgemäße Katheteri- hängig von den betroffenen Organen. Sie korreliert oft
sierung, transurethrale Eingriffe, Aufreit- oder Pfäh- nicht mit dem Ausmaß der Verletzung, kann sich aber in
lungsverletzungen („Straddle-Injury“), oft mit beglei- der Verlaufsbeobachtung ändern.
tender Ruptur des Corpus spongiosum
Sonderfälle sind Verletzungen durch autoerotische Hand-
Merke Leitsymptome sind Schmerz, Hämaturie und Anurie.
lungen, bei denen Fremdkörper in die Harnröhre einge-
führt werden.
Bei Nierentraumen findet sich oft eine Mikro- oder Ma-
krohämaturie, die jedoch keinen sicheren Hinweis auf den
9.1.5 Genitale
Schweregrad der Verletzung liefert. Beim Nierenstiel- oder
Etwa die Hälfte der Genitalverletzungen betrifft den Penis. Harnleiterabriss fehlt die Hämaturie.Weitere Zeichen sind
Sie können traumatische (Ablederung der Haut, Amputa- Prellmarken in der Flanke sowie ein klopfschmerzhaftes
tion) oder autoerotische Ursachen (Staubsaugerverlet- Nierenlager.
922 Urologie
Isolierte Verletzungen eines Harnleiters sind initial asym-
ptomatisch und werden daher oft verspätet diagnostiziert.
Spätsymptome sind zunehmender Druckschmerz, tastba-
re Raumforderung (Urinom) und Erhöhung der Entzün-
dungswerte (Urinphlegmone?).
Blasenverletzungen gehen fast immer mit einer Hämaturie
einher. Tritt Urin nach intraperitoneal aus, entsteht eine lo-
kale Peritonitis, die sich klinisch in Druckschmerz und Ab-
wehrspannung äußert. Typisch ist auch der Harndrang
ohne folgende Miktion.
Durch die supradiaphragmale Harnröhrenruptur kommt
es zur Ausbildung eines Hämatoms und Urinoms im klei-
nen Becken, das von außen oft nicht sichtbar ist. Bei der
rektalen Untersuchung tastet sich eine „hochstehende“, be-
a wegliche Prostata. Die infradiaphragmale Harnröhren-
ruptur ist gekennzeichnet durch die Ausbreitung von Hä-
matom und Urinom in Perineum und Skrotum.
Verletzungen des äußeren Genitale sind meist von außen
sichtbar (Hämatom, Hautablederung), auch wenn das Aus-
maß, z.B. einer Hodenkontusion, erst durch weitere dia-
gnostische Maßnahmen beurteilt werden kann.
9.3 Diagnostik
9.4 Therapie
9.4.1 Niere
924 Urologie
11.1 Fertilitätsstörungen HCG-Test: Erfassung der Stimulierbarkeit von Leydig-Zel-
len, Unterscheidung zwischen primären (kein Testos-
Kurzzusammenfassung teronanstieg) und sekundären Hodenfunktionsstörun-
Eine Fertilitätsstörung liegt vor, wenn bei Kinderwunsch und regel- gen (Testosteronanstieg)
mäßigem Geschlechtsverkehr (eisprungbezogen) innerhalb eines Sonographie: zum Ausschluss eines Hoden- oder Neben-
Jahres keine Schwangerschaft eintritt. Etwa 15% der Paare sind in- hodentumors
fertil.In 30% liegt die Ursache beim Mann,in 50% bei der Frau und in Hodenbiopsie: Azoospermie bei normal großen Hoden
20% bei beiden.Bevor operative Eingriffe bei der Frau zur Klärung der und normalen Hormonwerten, Beurteilung der Leydig-
Fertilität vorgenommen werden, sollte die Fertilität des Mannes un- und Sertoli-Zellen sowie der Reifungsstadien der Sper-
tersucht werden. Nur in wenigen Fällen kann die Infertilität mit Er- matogenese
folg therapiert werden. Therapie Die Therapie richtet sich nach der Ursache der In-
fertilität. In einigen Fällen liegt eine irreversible Hodenpa-
Ätiologie renchymschädigung vor, die keiner Therapie zugänglich ist.
primäre Hodenfunktionsstörungen: Störungen der Hormonproduktion können zum Teil erfolg-
– ohne Androgenmangel: Hypoplasie,Ektopie,Dystopie,In- reich mit Hormonpräparaten (HCG, LHRH) behandelt wer-
fektionen (Mumps,Varizellen,Tuberkulose),Zytosta- den. Oft ist jedoch keine Ursache zu finden, sodass keine ge-
tika, Röntgenstrahlen, Arzneimittel, Genussgifte sicherten Therapieschemata zur Verfügung stehen. Empiri-
– mit Androgenmangel: kongenital (Anorchie, Dysgene- sche Behandlungen mit Antiöstrogenen, Androgenen oder
sie), Klinefelter-Syndrom, Traumata, Infektionen, Kallikrein sind selten erfolgreich. Als letzte Möglichkeit ste-
vermehrte Östrogenproduktion (Tumoren der NNR, hen verschiedene Verfahren der Reproduktionsbiologie (In-
Lebererkrankungen, Östrogentherapie) vitro-Fertilisation, homologe Insemination, intrazytoplas-
sekundäre Hodenfunktionsstörungen: Gonadotropininsuffizi- matische Spermieninjektion) zur Verfügung. Bei ausgepräg-
enz durch kongenitale oder erworbene Hypophysenin- ter Varikozele erfolgen die Resektion, hohe Ligatur oder
suffizienz, vermehrte Androgenproduktion durch Ne- Sklerosierungstherapie der V. testicularis. Dadurch werden
bennierentumoren, psychische Belastung Hypoxie und gestörte Temperaturregulation beseitigt. Bei
Erkrankungen der ableitenden Samenwege: Hypoplasie, Apla- Verschluss des Nebenhodens oder Ductus deferens erfolgt
sie, Epididymitis, Tuberkulose, Tumoren die mikrochirurgische Resektion und Anlage einer Anasto-
Varikozele: varizenartige Erweiterung und Verlängerung mose zwischen Duktus und Nebenhoden oder innerhalb des
der Venen des Plexus pampiniformis und der V. testicu- Duktus. Es werden Durchgängigkeitsraten bis 90% erzielt.
laris, idiopathisch fast immer linksseitig durch recht-
winklige Einmündung in die V. renalis und Klappenin- X
suffizienz, die venöse Stase kann durch Gewebshypoxie
und erhöhte intraskrotale Temperatur zur Beeinträch- Klinischer Fall
tigung der Spermiogenese führen Welcher der folgenden Zustände kann eine Indikation für eine homologe artefizi-
Diagnostik Siehe auch Gynäkologie und Geburtshilfe,Kap.1.7. elle Insemination sein?
Anamnese: familiäre Vorgeschichte, Dauer des Kinder- (A) Azoospermie
wunsches, Häufigkeit und Zeitpunkt von Geschlechts- (B) Impotentia gestandi
verkehr, Infektionen, Operationen, Hodendeszensus, (C) Oligozoospermie
Hodentorsion, Suchtmittel, Medikamente (D) Akute Zervizitis
Untersuchung: Behaarung, Körperentwicklung, Opera- (E) Keine der Aussagen A–D trifft zu.
tionsnarben,Inspektion und Palpation von Hoden (Ho- Lösung: C
dengröße), Nebenhoden, Samenstrang, Prostata und
äußerem Genitale, Varikozele?
Urin: Urinstatus, Urinbakteriologie
Labor: Hormonstatus ⇒ Testosteron, FSH, LH, Prolaktin, 11.2 Erektile Dysfunktion
Schilddrüsentests
Spermiogramm: nach 5-tägiger sexueller Karenz, Ejakulat Kurzzusammenfassung
(2–6 ml) mit pH 7,2–7,8, milchig bis glasig-weißlich, Potenzstörungen sind häufig. Eine erektile Dysfunktion liegt vor,
Verflüssigungszeit 5–30 min, 20–120 Mio. Spermien pro wenn über mehr als 6 Monate in 75% aller Versuche keine kohabita-
ml, > 70% normal geformte Spermien (Normosper- tionsfähige Erektion zustande kommt. In 70–80% liegen organische
mie), 70–90% lebende bewegliche Spermien, Gehalt an Ursachen zugrunde. Bei jüngeren, gesunden Männern sind häufiger
Fruktose (1200–4500 ng/ml), Karnitin und saure Phos- psychische Konfliktsituationen verantwortlich.Nur selten finden sich
phatase endokrine Ursachen.
Merke
Aspermie: fehlendes Ejakulat Ätiologie
Hypospermie: zu wenig Sperma (< 2 ml)
Hyperspermie: zu viel Sperma (> 6 ml), Bedeutung unklar Merke Risikofaktoren für die Entstehung einer erektilen Dysfunk-
Hämatospermie: blutiges Sperma (z.B.bei Entzündungen) tion sind: Hyperlipidämie, Hypertonie, Nikotinabusus, Alkoholismus,
Azoospermie: keine Spermatozoen Diabetes mellitus.
Oligospermie: < 20 Mio.Spermien/ml
Asthenospermie: herabgesetzte Mobilität
Teratozoospermie: > 30% abnorm geformte Spermatozoen
medikamentös: Antihypertensiva, Diuretika, Tranquilizer,
Oligo-, Astheno- und Teratozoospermie = OAT-Syndrom
Antidepressiva, Neuroleptika, Antiphlogistika, Allopu-
rinol, Glukokortikoide
926 Urologie
12.2 Erkrankungen der Harnwege Therapie Therapie der Wahl ist der operative Verschluss
in der Schwangerschaft der Fistel. Ureter-Scheiden-Fisteln werden durch Ureter-
neuimplantation in die Blase behandelt. Blasen-Schei-
den-Fisteln können auf vaginalem oder abdominalem
Siehe auch Gynäkologie und Geburtshilfe, Kap. 3.4 und 3.5. Weg mit Interposition von Netz oder Peritoneum ver-
Ätiologie/Pathogenese Im Rahmen der Schwangerschaft schlossen werden. Kleinere Fisteln verschließen sich
kommt es zu physiologischen Veränderungen der Nieren manchmal spontan durch Dauerableitung mittels supra-
und Harnwege, die die Entstehung aszendierender Infek- pubischem Katheter.
tionen begünstigen:
hormonell bedingte Tonusminderung der glatten Mus-
kulatur und damit Dilatation von Harnleiter und Nie- 12.4 Harnwegsstrikturen
renbeckenkelchsystem ⇒ verlangsamter Urintransport
Kompression der Harnleiter mit Harnabflussstörung
durch vergrößerten Uterus (überwiegend rechts) Strikturen von Harnleiter oder Harnröhre sind meist Fol-
Vena-ovarica-Syndrom: Volumenzunahme der Vv.ovaricae bis ge intraoperativer Verletzungen. Einseitige Ureterstriktu-
zum 60fachen und damit zusätzliche Kompression des ren bleiben oft unbemerkt und führen durch chronische
Ureters Harnstauung und postrenale Niereninsuffizienz zur Auto-
Etwa 10% der Schwangeren entwickeln eine asymptomati- nephrektomie. Durch Urethrastrikturen kommt es zu Dys-
sche Bakteriurie, aus der in einem Drittel der Fälle eine urie, Pollakisurie und Ausbildung von Restharn mit er-
akute Pyelonephritis entsteht. höhtem Infektionsrisiko. Die wichtigste diagnostische
Durch Zunahme des Blutvolumens nimmt auch die Nie- Maßnahme ist die Sonographie. Urethrastenosen werden
rendurchblutung zu. Die vermehrte Urinproduktion und durch Bestimmung der Weite mit Bougie a boule nachge-
gleichzeitige Kapazitätseinschränkung der Blase führen wiesen. Die Therapie der Ureterstrikturen ist meist opera-
zur Pollakisurie. Über 50% der Schwangeren haben eine tiv durch End-zu-End-Anastomose oder Ureterneuim-
Stressinkontinenz. plantation. Urethrastrikturen werden bougiert oder endo-
Klinisches Bild/Symptomatik Oft symptomarmer Verlauf ohne skopisch geschlitzt.
Fieber, nur bei etwa 1/3 der Fälle klassische Symptome mit
Pollakisurie, imperativem Harndrang, hohem Fieber und
kolikartigen Flankenschmerzen. 12.5 Inkontinenz
Diagnose Untersuchung,Urinsediment,Urinkultur mit An-
tibiogramm, Sonographie, ggf. Zystoskopie, keine Rönt- X
genuntersuchungen! Siehe auch Kap. 2.3.
Therapie Ätiologie/Pathogenese Die Harninkontinenz bezeichnet den
Antibiose mit Penicillin (alternativ: Erythromycin) oder unwillkürlichen Urinabgang. Sie ist ein Symptom ver-
Cephalosporin, ggf. Wechsel nach Antibiogramm, Be- schiedener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes.
handlung jeder Bakteriurie! Stressinkontinenz: unwillkürlicher Urinverlust bei Er-
bei Harnabflussstörung Einlage einer inneren Harnlei- höhung des intraabdominellen Druckes,v.a.bei Frauen,
terschiene (Doppel-J-Schiene) beruht meist auf einer Schwäche des Beckenbodens mit
Veränderung des Vesikourethralwinkels, folgende In-
suffizienz des Sphinktermechanismus, auch hormonel-
12.3 Harnwegsfisteln le Veränderungen (Östrogenmangel) können eine Rolle
spielen, Einteilung nach Ingelmann-Sundberg in drei
Schweregrade
Ätiologie/Pathogenese Urogenitalfisteln sind typische Kom- – Grad I: Inkontinenz bei Husten, Pressen, Niesen
plikationen gynäkologischer und geburtshilflicher Ein- – Grad II: Inkontinenz bei Bewegung
griffe sowie bei Karzinomerkrankungen und nach Strah- – Grad III: Inkontinenz auch im Liegen
lentherapie. Die häufigsten Ursachen sind jedoch primä- Drang- oder Urge-Inkontinenz: imperativer Harndrang,
re Dickdarmerkrankungen, wie M. Crohn, Colitis – motorische Dranginkontinenz: Hyperaktivität des
ulcerosa, Divertikulitis oder Dickdarmkarzinome. Die Fi- Detrusors (Detrusorinstabilität), während der Bla-
steln prädisponieren zu rezidivierenden Entzündungen senfüllung unwillkürlich auftretende Kontraktio-
des Urogenitaltraktes. nen, die bemerkt, aber nicht unterdrückt werden
Man unterscheidet: können
Ureter-Scheiden-Fistel – sensorische Dranginkontinenz: gekennzeichnet
Blasen-Scheiden-Fistel durch hypersensitive Blase, schon bei geringer Bla-
Harnröhren-Scheiden-Fistel senfüllung wird starker Harndrang empfunden, der
Blasen-Zervix-Fistel Blasenhals öffnet sich reflektorisch ohne vorange-
Blasen-Scheiden-Rektum-Fistel gangen Detrusorkontraktion
Klinisches Bild/Symptomatik Leitsymptom ist der unwillkürli- Reflexinkontinenz: neurogene Miktionsstörung mit Detru-
che Urinverlust (extraurethrale Harninkontinenz). Mikti- sorhyperreflexie und fehlendem Blasenfüllungsgefühl
onsunabhängiges Harnträufeln ist Zeichen einer Ureter- durch anomale spinale Reflexe bei Rückenmarksläsio-
oder Blasen-Scheiden-Fistel. Pneumaturie und Pyurie fin- nen oberhalb des Miktionszentrums (s. Kap. 13)
den sich bei Blasen-Darm-Fisteln. Überlaufinkontinenz: Urinverlust bei überfüllter und über-
Diagnose I.v.-Urogramm, retrograde Ureterdarstellung, dehnter Blase (z.B. bei subvesikaler Obstruktion), die
Urethrozystoskopie und vaginale Untersuchung mit Blau- sich nicht mehr effizient entleeren kann, bei Über-
probe zur genauen Lokalisationsdiagnostik der Fistel. schreiten der maximalen Kapazität entleert sich die
X wenn möglich, beseitigt werden. oder unterhalb des sakralen Miktionszentrums (S2–S4),
des Conus medullaris oder der peripheren Nerven,„lo-
wer motor neuron lesion“
Initial kommt es nach dem Trauma zum spinalen Schock
Klinischer Fall mit schlaffer Lähmung. Erst nach einigen Wochen bildet
Eine postmenopausale Patientin leidet unter einer Harninkontinenz. Ein Harn- sich dann die, je nach Höhe, charakteristische Läsion aus.
wegsinfekt wurde bereits ausgeschlossen. Welches Verfahren ist am ehesten ge- Bei allen anderen neurologischen Krankheitsbildern fin-
eignet, eine quantitative Bestimmung des Harnröhrenverschlussdruckes (UVD) zu den sich gemischte oder inkomplette Läsionen, deren Aus-
ermöglichen? maß und klinisches Bild für jeden Patienten individuell
(A) Zystoskopie verschieden sind.
(B) Urethrozystometrie Klinisches Bild/Symptomatik Als Symptome finden sich Bla-
(C) Rektoskopie senentleerungsstörungen und Harninkontinenz unter-
(D) Perinealsonographie schiedlichen Ausmaßes.
(E) Kolposkopie Bei der Reflexblase („automatische Blase”) kommt es zur re-
Lösung:B flektorischen Miktion sobald die Blase einen gewissen Fül-
lungsgrad erreicht hat (Reflexinkontinenz).Die Patienten sind
para- oder tetraplegisch,der Bulbokavernosusreflex ist lebhaft.
Die autonome Blase ist durch eine Überlaufinkontinenz bei
13 Neuropathische Blase fehlenden Detrusorkontraktionen (paradoxe Inkontinenz)
gekennzeichnet. Es finden sich Sensibilitätsstörungen im
Zusammenfassung Dammbereich sowie negativer Anal- und Bulbokaverno-
Die Innervation der Blase erfolgt durch ein komplexes Zusammen- susreflex.
spiel von Sympathikus, Parasympathikus und somatischen Nerven, Typische Komplikationen aller Formen sind Restharnbil-
die für eine ungestörte Speicher- und Entleerungsfunktion der dung, Reflux und Stauung der oberen Harnwege mit rezi-
Blase verantwortlich sind. Störungen durch neurologische Erkran- divierenden Harnwegsinfekten und progredienter Nieren-
kungen können angeboren oder erworben sein, akut oder chro- insuffizienz.
nisch verlaufen. Häufig ist die Blasenentleerungsstörung das erste Diagnostik
Symptom einer neurologischen Erkrankung. Die urodynamischen Anamnese: detaillierte Erfragung der neurologischen Sym-
Untersuchungen ermöglichen eine genaue Diagnostik der Funkti- ptomatik, Miktionsfrequenz, Blasenfüllungs- und Entlee-
onsstörungen. Neben der medikamentösen Therapie ist die wich- rungsgefühl, Kontinenz,Vorerkrankungen (Diabetes mel-
tigste Maßnahme der intermittierende Einmalkatheterismus. Ziel litus, Tuberkulose, Missbildungen, Alkohol- und Medika-
der Therapie ist es eine Schädigung des oberen Harntraktes zu ver- mentenabusus, Operationen oder Bestrahlung an
meiden. Harnwegen oder kleinem Becken,Katheterbehandlungen)
Untersuchung: urologische Untersuchung mit Inspektion
und Palpation von äußerem Genitale und Prostata, neu-
928 Urologie
der vom Patienten in regelmäßigen Zeitabständen (3- bis 4-
mal tgl.) selbständig durchgeführt werden kann. Oft muss
er mit medikamentöser Ruhigstellung des Detrusors (An-
ticholinergika) kombiniert werden, um die Erhaltung der
Kontinenz zu gewährleisten.
Dauerableitungen mit transurethralen oder suprapubi-
schen Kathetern sollten aufgrund der Infektionsgefahr ver-
mieden werden. Bei Versagen aller konservativen Maßnah-
men wird eine operative Therapie erforderlich. Durch die
Implantation von Blasenstimulatoren (Blasenschrittma-
cher) können bei intakter Innervation der Blase Detrusor-
kontraktionen ausgelöst werden. Die operative Sphink-
terotomie senkt den Blasenauslasswiderstand. Führt eine
Reflexblase trotz Ausschöpfung all dieser Möglichkeiten zu
unkontrollierbar hohen intravesikalen Drücken, kann eine
supravesikale Harnableitung (z.B.durch Conduit) oder ein
Blasenersatz notwendig werden.
Klinischer Fall
Eine 31-jährige Patientin erlitt eine traumatische komplette Querschnittslähmung
in Höhe des Rückenmarksegmentes Th12 mit konsekutiver Reflexblase.Da die Mik-
tion nicht mehr willkürlich gesteuert werden kann, wird ein Blasenschrittmacher
implantiert.Wo ist aufgrund des neuroanatomischen Verlaufs der Blaseninnerva-
tion die Stimulationssonde anzubringen?
(A) Vorderwurzel S2-S4
(B) Vorderwurzel L1-L2
Abb.13.1. Christbaumblase mit Reflux rechts und offenstehendem Blasenhals (Æ) bei
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie.Aus [2] (C) Vorderwurzel Th12-L1
(D) N. hypogastricus
(E) N. pudendus X
rologische Untersuchung ⇒ Prüfung von Sensibilität an Lösung: A
Damm, Gesäß, Genitale, Oberschenkel, Kremasterreflex
(L1/L2),Bulbokavernosusreflex (S3/S4),Analreflex (S3/S5)
Röntgenuntersuchungen: i.v.-Urogramm, Urethrozystogra-
phie (Christbaumblase, Pseudodivertikel, Trabekel,
Reflux, offenstehender Blasenhals), Miktionszystoure- 14 Urologische Notfallsituationen
thrographie (Reflux, Aufweitung der hinteren Urethra
Zusammenfassung
bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie). Siehe auch
Urologische Notfälle erfordern eine rasche Diagnostik und Therapie,
¶ Abb. 13.1.
Endoskopie: offener Blasenhals, Beurteilung der Blasen-
um irreversible Organschäden zu verhindern. Eine Anurie kann zu
progredientem Nierenversagen führen. Eine Hodentorsion muss bin-
trabekulierung, Refluxveränderungen, Suche nach Tu-
nen weniger Stunden detorquiert werden. Infizierte Harnstauungs-
moren, Fisteln, Entzündungen, ektoper Harnleitermün-
nieren müssen umgehend entlastet werden, um eine Urosepsis zu
dung
Urodynamik: Darstellung von Reservoirfunktion, urethra-
vermeiden. Häufig ist die Ursache der Erkrankung nicht sofort er-
kennbar. Deshalb sollte zunächst die akute Symptomatik behoben
lem Verschluss und Miktionsablauf der Blase, unge-
werden, um dann im beschwerdefreien Intervall eine weiterführen-
hemmte Detrusorkontraktionen bei Reflexblase, atone
de Diagnostik und definitive Therapie durchzuführen.
Blase mit Überlaufinkontinenz bei autonomer Blase
Therapie Ziel der Therapie ist die Reduktion des Restharns
und des intravesikalen Druckes zum Schutz der Nieren und
oberen Harnwege.An zweiter Stelle steht die Sicherung der 14.1 Harnverhaltung, Anurie
Harnkontinenz.
Blasenentleerungsstörungen können je nach Ursache me-
dikamentös mit Parasympathomimetika (Tonuserhöhung Definition
des Detrusor), Alpharezeptorenblockern (Tonussenkung Harnverhalt: Miktion trotz voller Blase nicht möglich
des Sphincter internus) oder Skelettmuskelrelaxanzien Anurie: fehlende Urinproduktion (< 100 ml/24 h)
(Hemmung der Beckenbodenmuskulatur) therapiert Ätiologie/Pathogenese
werden. Harnverhalt:
Bei der Reflexblase ist eine Auslösung der Miktion durch su- – mechanische Obstruktion ⇒ benigne Prostatahyper-
prapubisches Beklopfen oder Streichen des Unterbauches plasie, Prostatakarzinom, Prostatitis, Prostataabszess,
(„Triggern“) möglich. Da hierbei jedoch außer Detrusor- Blasenhalsstenose, Harnröhrenstriktur, Meatussteno-
auch Beckenbodenkontraktionen ausgelöst werden,ist eine se, Phimose, Blasenstein, iatrogene Verletzungen
restharnfreie Entleerung aufgrund der Obstruktion nicht – funktionelle Obstruktion ⇒ neurogene Blasenent-
möglich. Therapie der Wahl bei Blasenentleerungsstörun- leerungsstörungen, Alkoholexzess, medikamentös,
gen ist deshalb der intermittierende Einmalkatheterismus, psychogen
930 Urologie
Diagnose Anamnese, typische Klinik, Ursachensuche. Klinisches Bild/Symptomatik Klinik des akuten Harnverhaltes
Therapie mit äußerst schmerzhafter oder unmöglicher Miktion,
Punktion: durch die Glans bis in die Corpora cavernosa druckdolenter Unterbauch mit tastbarem Tumor (volle
und damit Schaffen einer Verbindung zwischen Corpo- Blase), reduzierter Allgemeinzustand durch massive Blu-
ra cavernosa und Corpus spongiosum (Ebbehoy-Win- tung.
ter-Shunt), Aspiration von Blut, Spülung mit Kochsalz Therapie Freispülung der Blase über großlumigen Spülka-
und Heparin, ggf. mit Sympathomimetika (Kreislauf- theter oder Zystoskopie, endoskopische Blutstillung,
überwachung!) anschließend Dauerspülung für einige Tage zur Verhinde-
Operation: Anlage eines Shunts zwischen Corpora caver- rung einer erneuten Tamponade, nur selten Sectio alta zur
nosa und Corpus spongiosum basisnah am Penisschaft Blutstillung erforderlich.
(Quackels-Shunt) oder zwischen V. saphena magna und
Corpus cavernosusm (Greyhack-Shunt)
14.7 Urosepsis
Nierentransplantation 931
15 Nierentransplantation
Zusammenfassung
In Deutschland werden derzeit jährlich etwa 3000 Nieren transplan-
tiert.Jeder zweite Patient mit einer terminalen Niereninsuffizienz ist
für eine Transplantation geeignet.Spender und Empfänger müssen in
Blutgruppe und den wichtigsten HLA-Merkmalen übereinstimmen.
Durch die immunsuppressive Therapie können die meisten Ab-
stoßungsreaktionen verhindert werden. Langzeitkomplikationen
sind eine chronische Abstoßung, die das Organ irreversibel schädigt,
opportunistische Infektionen und Malignome.
932 Urologie
http://www.springer.com/978-3-540-20351-3