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Urologie
B. C. Hanusch
Inhalt

1 Pathomechanismen, allgemeine Symptomatologie 7 Tumoren – 911


und Prinzipien der Therapie – 885 7.1 Nierenparenchym – 911
1.1 Niereninsuffizienz – 885 7.2 Nierenbecken und Harnleiter – 911
1.2 Störung des Harntransports – 886 7.3 Blase – 913
1.3 Renale Hypertonie – 887 7.4 Penis – 914
1.4 Blasenfunktion und ihre Störungen – 887 7.5 Hoden und Nebenhoden – 915
7.6 Prostata – 917
2 Urologische Leitsymptome – 888
2.1 Krankhafte Veränderungen des Harns – 888 8 Urolithiasis – 919
2.2 Störung der Harnbereitung und Harnausscheidung – 888 8.1 Steinarten – 919
2.3 Störung der Harnentleerung – 888 8.2 Ätiologie und Pathogenese – 919
2.4 Hämaturie – 889 8.3 Nierensteine – 919
2.5 Schmerz – 889 8.4 Harnleitersteine – 920
2.6 Begleiterscheinungen urologischer Erkrankungen – 889 8.5 Blasensteine – 921

3 Urologische Diagnostik – 890 9 Verletzungen von Nieren, Harnleiter, Blase,


3.1 Anamnese und Befunderhebung – 890 Harnröhre und Genitale – 921
3.2 Bakteriologische und klinisch-chemische Untersuchungen – 890 9.1 Verletzungsarten – 921
3.3 Funktionsdiagnostik – 891 9.2 Symptomatik – 922
3.4 Bildgebende Verfahren – 892 9.3 Diagnostik – 923
X 3.5 Transurethrale Diagnostik – 894 9.4 Therapie – 923
3.6 Punktionsverfahren – 894 9.5 Früh- und Spätfolgen nach Verletzungen der Harnorgane – 924

4 Urologische Therapie – 895 10 Nebenniere – 924


4.1 Konservative Maßnahmen – 895
4.2 Offene Operationen – 895 11 Urologische Andrologie – 924
4.3 Endoskopische Eingriffe – 897 11.1 Fertilitätsstörungen – 925
4.4 Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) – 897 11.2 Erektile Dysfunktion – 925
11.3 Sterilisierung des Mannes – 926
5 Fehlbildungen und urologische Erkrankungen
im Kindesalter – 897 12 Urologische Erkrankungen der Frau – 926
5.1 Urologische Erkrankungen im Kindesalter – 898 12.1 Bakteriurie – 926
5.2 Nierenanomalien – 898 12.2 Erkrankungen der Harnwege in der Schwangerschaft – 927
5.3 Harnleiter – 900 12.3 Harnwegsfisteln – 927
5.4 Blase und Harnröhre – 902 12.4 Harnwegsstrikturen – 927
5.5 Genitale – 903 12.5 Inkontinenz – 927
5.6 „Akutes Skrotum“ im Kindesalter – 905
5.7 Tumoren im Kindesalter – 905 13 Neuropathische Blase – 928
5.8 Harnsteinleiden – 906
14 Urologische Notfallsituationen – 929
6 Entzündungen – 906 14.1 Harnverhaltung,Anurie – 929
6.1 Nieren und Nierenhüllen – 906 14.2 Steinkolik (Harnstauung) – 930
6.2 Harnleiter – 908 14.3 „Akutes Skrotum“ – 930
6.3 Retroperitonealraum – 908 14.4 Priapismus – 930
6.4 Blase – 908 14.5 Paraphimose – 931
6.5 Harnröhre – 908 14.6 Blasentamponade – 931
6.6 Prostata,Samenblasen – 909 14.7 Urosepsis – 931
6.7 Hoden und Nebenhoden – 909
6.8 Urosepsis – 910 15 Nierentransplantation – 932
6.9 Urogenitaltuberkulose – 910
6.10 Parasitäre und virale Erkrankungen – 911 Quellenverzeichnis – 932

884 Urologie
1 Pathomechanismen, allgemeine Merke ‹Die Differentialdiagnose zwischen Harnverhalt und akutem
Symptomatologie und Prinzipien Nierenversagen wird durch die Sonographie gestellt!

der Therapie Symptomatik ‹


‹ akutes Nierenversagen: plötzliche Verminderung der Urin-
Zusammenfassung
produktion, in 10–15% der Fälle norm- oder polyuri-
Die Niereninsuffizienz ist eine Einschränkung der Nierenfunktion mit
sches Nierenversagen, mit Verlust der Konzentrations-
Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltes. Sie
fähigkeit
kann akut oder chronisch verlaufen und durch prärenale, renale und
– Anstieg der Retentionswerte (Harnstoff, Kreatinin)
postrenale Ursachen ausgelöst werden. Wichtigste Marker sind Se-
mit rascher Ermüdbarkeit, Erbrechen, Diarrhoe,
rumkreatinin und Harnstoff. Störungen des Harntransportes können
neuromuskulärer Übererregbarkeit bis zu Krämpfen
in allen Abschnitten der ableitenden Harnwege auftreten. Auch sie
sowie Bewusstseinsstörungen
können akut oder chronisch auftreten und werden am häufigsten
– metabolische Azidose mit Hyperkaliämie und Herz-
durch Steine verursacht. Störungen der Blasenfunktion können viel-
rhythmusstörungen
fältige Ursachen haben. Bei Frauen steht die Inkontinenz durch
– Hypervolämie mit Lungenödem,Linksherzinsuffizi-
Beckenbodenschwäche, bei Männern die Blasenentleerungsstörung
enz und Hirnödem
durch Prostatahyperplasie im Vordergrund.
– Symptome der ursächlichen Erkrankung
‹ chronisches Nierenversagen: von der zunehmenden Minde-
rung der Nierenfunktion sind mehrere Körpersysteme
1.1 Niereninsuffizienz betroffen, im Endstadium entsprechen die Symptome
der akuten Niereninsuffizienz
– renale Anämie (Ausfall des Erythropoetin)
Siehe auch Innere Medizin, Abschnitt 6, Kap. 2. – Muskel- und Knochenschmerzen durch Störung des
Kalziumstoffwechsels und sekundärem Hyperpara-
Kurzzusammenfassung thyreoidismus
Die Niere spielt eine wichtige Rolle bei der Regelung des Wasser-, – Herzrhythmusstörungen, Polyneuropathie, urämi-
Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts sowie der Ausscheidung von sche Gastritis, Perikarditis und Enzephalopathie
Stoffwechselprodukten (Harnstoff, Kreatinin, Harnsäure etc.) und
körperfremden Substanzen (Medikamente, Toxine etc.). Ihre endo-
Merke ‹ Ein Anstieg des Serumkreatinins um 1 mg/dl (88 mmol/l)
krinen Funktionen umfassen die Blutdruckregulation über das Renin-
entspricht einem Verlust von ca.50% der Nierenfunktion. X
Angiotensin-Aldosteron-System, die Steigerung der Erythropoese
durch Erythropoetin und die Beeinflussung des Kalziumhaushalts
und Knochenstoffwechsels durch die Bildung von Vitamin D3. Therapie ‹
‹ akutes Nierenversagen:
– Beseitigung der auslösenden Ursache (Volumenga-
Definition ‹Akutes Nierenversagen: plötzliches Versagen der be, Anheben des Blutdrucks, Antibiose bei Infektio-
Nierenfunktion ohne vorbestehende Schädigung der Nie- nen, Entlastung der Nieren bei postrenaler Ursache
re, prinzipiell reversibel. ⇒ perkutane Nierenfistel, Harnleiterschienung, su-
Chronisches Nierenversagen: progrediente Verschlechte- prapubische Blasenfistel)
rung der Nierenfunktion als Endstadium verschiedener – Förderung der Diurese (bilanzierte Volumengabe,
Nierenerkrankungen, irreversibel. Diuretika ⇒ Furosemid, Mannitol, Dopamin)
Pathogenese ‹ – Hämofiltration, Hämodialyse
‹ akutes Nierenversagen: ‹ chronisches Nierenversagen:
– prärenal: Hypovolämie (Blutung, Verbrennung, Peri- – Therapie des Hypertonus und Diabetes mellitus
tonitis,Sepsis,Ileus,Erbrechen,Durchfälle),Schock- – diätetische Maßnahmen (Restriktion von Eiweiß,
niere bei Blutdruckabfall (z.B. intraoperativ),Azido- Kalium und Flüssigkeit)
se, Nierenstielabriss – Vermeidung nephrotoxischer Substanzen (Medika-
– renal: rasch progrediente Glomerulonephritis, Infek- mentendosierung entsprechend anpassen)
te (Urosepsis), Medikamente, Röntgenkontrastmit- – Ausgleich des Elektrolythaushaltes und damit Pro-
tel, Zytostatika, Schwermetalle, Hämolyse, Rhab- phylaxe des sekundären HPT
domyolyse, Vaskulitis, maligne Hypertonie, Ver- – Hämodialyse: im Endstadium bei Hypervolämie,
schluss von Nierengefäßen Hyperkaliämie, Urämie und Azidose
– postrenal (¶ Abb. 1.1): Nierenbecken- oder Harnlei- – kurativ Nierentransplantation (s. auch Kap. 15)
terobstruktion verschiedener Genese (Steine, narbi- Prognose ‹Die Prognose ist sowohl abhängig von der Ursa-
ge Stenose, Tumoren, M. Ormond [retroperitoneale che des Nierenversagens als auch vom Zeitpunkt der the-
Fibrose]), Blasenentleerungsstörungen, Megaureter, rapeutischen Maßnahmen. Das akute Nierenversagen ist
Prostatahyperplasie, Urethrastenose, Blutkoagel prinzipiell reversibel. Trotzdem ist die Mortalität vor allem
‹ chronisches Nierenversagen: chronische Glomerulonephri- bei chirurgischen Patienten hoch. Die chronische Nieren-
tis, Pyelonephritis, Diabetes mellitus, Hypertonie, Zy- insuffizienz kann lange im Stadium der „kompensierten
stennieren, Amyloidose, chronische Harnabfluss- Retention“ (Kreatinin 2–7 mg/dl) bleiben, erst die „dekom-
störungen (z.B. Harnröhrenklappen), Reflux u.a. pensierte Retention“ (Kreatinin > 8 mg/dl) macht die Dia-
lyse notwendig.

Pathomechanismen,allgemeine Symptomatologie und Prinzipien der Therapie 885


Abb. 1.1. Lokalisation und mögliche Ursache des
postrenalen Nierenversagens.Aus [2]

1.2 Störung des Harntransports pie, Ureteroskopie, CT, seitengetrennte Isotopenclearance


(Beurteilung der Nierenfunktion).
Kurzzusammenfassung Folgezustände ‹Infolge einer Harnstauung kommt es durch
Harntransportstörungen können an jeder Stelle der ableitenden Harn- intrarenale Drucksteigerung zur Verminderung des rena-
wege zwischen Nierenbeckenkelchen und Urethra lokalisiert sein. Sie len Blutflusses und Atrophie des Parenchyms. Die Niere ist
führen zu einer Stauung des Urins proximal des Hindernisses und kön- zunächst nicht mehr fähig, den Urin zu konzentrieren und
nen eine Funktionsstörung der Nieren verursachen (obstruktive anzusäuern und wird schließlich funktionslos. Wenn bei-
Nephropathie). Man unterscheidet angeborene und erworbene de Nieren betroffen sind, führt dies zu Polyurie, chroni-
Störungen. schem Natriumverlust und metabolischer Azidose. Ist nur
eine Niere betroffen, kann die gesunde Niere die Gesamt-
funktion übernehmen. Jede Harnstauung kann zu Infek-
Pathogenese ‹Siehe Tabelle 1.1. tionen des Hohlsystems und der Niere (Pyelonephritis)
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ führen.Auch dadurch kann es,v.a.bei Vereiterung des Hohl-
‹ akute Harnstauung: kolikartige Schmerzen mit Schmerz- systems (Pyonephrose),zum völligen Funktionsverlust der
projektion je nach Lokalisation, klopf- und druck- Niere kommen.
schmerzhaftes Nierenlager, Übelkeit, Erbrechen Therapie ‹
‹ chronische Harnstauung: oft symptomlos, diffuse Rücken- ‹ Schmerztherapie mit peripheren Analgetika (Metami-
schmerzen, Druckgefühl in der Flanke, Oberbauch- zol) oder Opioiden
schmerzen, gelegentlich Übelkeit, Mikrohämaturie, ‹ Entlastung des gestauten Organs durch Drainage (Bla-
Leukozyturie senkatheter, Harnleiterschienung [Doppel-J-Schiene],
Diagnose ‹Sonographie, Röntgen Nierenübersicht und Aus- perkutane Nephrostomie)
scheidungsurogramm, retrograde Pyelographie, Zystosko- ‹ definitive Beseitigung der Ursache

886 Urologie
Tabelle 1.1: Ursachen der Harntransportstörung

Lokalisation Angeboren Erworben


Niere/Harnleiter Nierenbeckenabgangsstenose Steine
Megaureter Tumoren (intraluminär, extraluminär)
Reflux entzündliche Harnleiterstenose
Harnleiterfehlmündung retroperitoneale Fibrose (M. Ormond)
Nierenfehlbildungen iatrogene Ureterligatur
Blase neurogene Blase (Meningomyelozele) Blasenstein
Ureterozele Blasentumor
neurogene Blase (Diabetes, MS, Querschnittslähmung)
Uteruskarzinom/Myom
Blasenhals/Harnröhre Harnröhrenklappen (Jungen) Prostataadenom oder -karzinom
Meatusstenose (Mädchen) Blasenhalsstenose
Harnröhrendivertikel Harnröhrenstriktur
extreme Phimose Harnröhrentumor

1.4 Blasenfunktion und ihre Störungen


Klinischer Fall
Zum Morbus Ormond passt am ehesten folgende Charakterisierung: Kurzzusammenfassung
(A) abortive Form der Ureteritis cystica Die Funktionen der Harnblase – Speicherung,Kontinenz und Miktion –
(B) Fibrosierung im Bereich des Retroperitonealraums mit allmählicher Um- sind abhängig von verschiedenen anatomischen und funktionellen Vor-
scheidung der Ureteren aussetzungen.Sie werden durch komplexe nervale Regelkreise gesteu-
(C) chronisch-sklerosierende Entzündung, die auf die Nebenhoden begrenzt ert und sind zum Teil willkürlich beeinflussbar.Symptome der gestörten
bleibt Blasenfunktion sind Inkontinenz oder unzureichende Blasenentlee-
(D) zirkumskripte Entzündung von Harnblasenschleimhaut mit Ulkusbildung rung. Jede Störung der Blasenfunktion kann durch Aufstau des Urins
(E) isolierte, spezifische Entzündung der Bläschendrüsen mit Neigung zu Abs- und Druckerhöhung im Hohlsystem eine Schädigung des oberen Harn-
zessbildung traktes und damit eine terminale Niereninsuffizienz zur Folge haben.
Lösung: B

Funktionelle Anatomie ‹Die Harnblase (M.detrusor vesicae) be-


steht aus einem dreischichtigen Geflecht glatter Muskulatur. X
1.3 Renale Hypertonie Sie geht am Blasenhals (Ostium urethrae internae) in die
Urethra über.Hier ziehen einige Muskelfasern schlingenför-
mig um den Blasenauslass und die hintere Harnröhre (inne-
Siehe auch Innere Medizin, Abschnitt 6, Kap. 5. rer Sphinkter) und sichern mit Muskeln des Beckenbodens
(äußerer Sphinkter) die normale Speicher- und Entlee-
Kurzzusammenfassung rungsfunktion. Die Innervation des Detrusors erfolgt über
Bei etwa 5% der Hypertoniker liegt die Ursache in einer Veränderung den Parasympathikus (S2–S4), die des inneren Sphinkters
der Nierengefäße oder des Nierenparenchyms. Diese findet man v.a. über den Sympathikus (Th12–L2).Der äußere Sphinkter un-
bei jungen Patienten (< 40 Jahre) und Patienten mit hohen diastoli- terliegt der Willkürmotorik (S4, N. pudendus). Die Koordi-
schen Werten.Nur rechtzeitige Diagnose und Therapie verhindern die nation von Detrusoraktivität und Harnröhrenverschluss un-
Ausbildung eines fixierten Hypertonus. terliegt zentralen Regelkreisen, die eine willkürliche Einlei-
tung und Unterbrechung der Blasenentleerung ermöglichen.
‹ Harnspeicherung: Füllung der Blase bei niedrigem Druck
Ätiologie ‹ bis zur Kapazitätsgrenze ⇒ Harndrang
‹ renovaskulär: arteriosklerotische oder fibromuskuläre ‹ Miktion: Detrusorkontraktion mit gleichzeitiger Er-
Nierenarterienstenose schlaffung des Sphinkters („Detrusor-Sphinkter-Syner-
‹ renoparenchymatös: angeborene Hypoplasie,polyzystische gie“) und restharnfreie Entleerung
Nierendegeneration, chronisch-interstitielle Nephritis, Pathophysiologie ‹Siehe auch Nervenheilkundliches Stoffge-
chronische Glomerulonephritis, chronische Pyelo- biet, Kap. 1.4.
nephritis, Niereninsuffizienz, Nierentumoren Störungen des unteren Harntraktes äußern sich als Harn-
Diagnose ‹ Die Diagnostik erfolgt mittels Labor, Sonogra- inkontinenz oder Blasenentleerungsstörungen.Sie können
phie, Farbduplexsonographie und digitaler Substraktions- angeboren (neurogen z.B. bei Meningomyelozele) oder er-
angiographie (DSA). worben (z.B. Beckenbodenschwäche, Prostatahyperplasie,
Therapie ‹ neurologische Erkrankungen) sein.
‹ medikamentös: ACE-Hemmer, Diuretika, Kalziumantago-
nisten, Therapie des Grundleidens
Merke ‹Inkontinenz: unwillkürlicher Urinverlust durch Insuffizienz
‹ operativ: jede Nierenarterienstenose sollte interventio-
des urethralen Verschlussmechanismus (Stressinkontinenz),Detrusor-
nell durch Ballondilatation oder operativ durch offene
hyperaktivität (Urge-Inkontinenz) oder Störungen des neuralen Re-
Gefäßrekonstruktion therapiert werden, bei einseiti-
gelkreislaufes (Reflexinkontinenz).
ger Schrumpfniere kann auch eine Nephrektomie in-
Blasenentleerungsstörung:unzureichende Blasenentleerung durch
diziert sein
Detrusorinsuffizienz, mechanische Obstruktion oder Störungen der
Detrusor-Sphinkter-Synergie.

Pathomechanismen,allgemeine Symptomatologie und Prinzipien der Therapie 887


Beide Formen können durch eine unzureichende Blasen- Eine Oligoanurie kann Ausdruck eines Flüssigkeitsman-
entleerung mit Restharnbildung zu einer Drucksteigerung gels (Dursten,Fieber,Durchfälle) sein.Sie geht dann mit ei-
in der Blase mit Reflux in den oberen Harntrakt und fol- ner Erhöhung der Urinkonzentration einher. Meist tritt sie
gender Harnstauung führen. jedoch in Folge eines akuten oder chronischen Nierenver-
Therapie ‹ Die Therapie der Blasenfunktionsstörungen ist sagens auf.Eine Harnabflussstörung kann eine Anurie vor-
abhängig von ihrer Ursache. Die Funktion von Detrusor- täuschen. Die Polyurie ist Leitsymptom der Polydipsie, des
und Sphinktermuskulatur kann medikamentös beeinflusst Diabetes insipidus und Diabetes mellitus, kann aber auch
werden. Blasenentleerungsstörungen machen oft eine durch Diuretikaeinnahme hervorgerufen werden. Auch
Harnableitung durch Selbstkatheterismus oder suprapubi- nach Beseitigung einer postrenalen Obstruktion kommt es
sche Harnableitung notwendig. Obstruktionen sollten, zu einer „Entlastungspolyurie“, die über mehrere Tage an-
wenn möglich, operativ beseitigt werden (z.B. bei Prosta- halten kann.
tahyperplasie).

2.3 Störung der Harnentleerung

Störungen der Harnentleerung lassen sich anhand der ge-


2 Urologische Leitsymptome nauen Anamnese den entsprechenden Erkrankungen zu-
ordnen. Gefragt werden muss nach Miktionsfrequenz,
Zusammenfassung
Trinkmenge, Schmerzen bei der Miktion, Restharnge-
Typische Symptome bei urologischen Erkrankungen sind Verände-
fühl, Inkontinenz und Miktionsverzögerung (abge-
rungen des Harns, der Harnausscheidung und Schmerzen, die sich je
schwächter oder unterbrochener Harnstrahl, zweizeitige
nach Erkrankung auf bestimmte Körperregionen projizieren. Durch
Miktion).
eine sorgfältige Anamnese dieser Symptome lässt sich oft eine Ver-
dachtsdiagnose ableiten.
2.3.1 Miktionsstörungen
‹ Pollakisurie: Zunahme der Miktionshäufigkeit mit jeweils
2.1 Krankhafte Veränderungen des Harns geringen Urinmengen ⇒ Harnwegsinfekte, Prostatahy-
perplasie, Blasenkarzinom, Harnleiterstein, Schrumpf-
blase
X Veränderungen des Harns betreffen Urinfarbe und ‹ Nykturie: nächtliches Wasserlassen ⇒ abendliches Trin-
-konzentration sowie Beimengungen wie Schleim, Eiter, ken, Herzinsuffizienz, Prostatahyperplasie
Sekrete, Sperma und Blut, die zu Verfärbung und Trübung ‹ Dysurie: erschwerte, schmerzhafte Miktion ⇒ Entzün-
führen können. Die normale gelbliche Färbung des Urins dungen und Abflussbehinderung der unteren Harn-
wird bei Konzentration dunkler und bei Verdünnung wege
heller. ‹ Algurie: starke Schmerzen bei der Miktion ⇒ Entzün-
‹ Leukozyturie: Harnwegsinfekt dungen oder Verletzungen der Blase
‹ Bakteriurie: Harnwegsinfekt ‹ Strangurie: stärkste, krampfartige miktionsabhängige
‹ Pyurie: Eiterbeimengungen bei schweren Harnwegsin- Schmerzen ⇒ radiogene oder interstitielle Zystitis
fekten oder zerfallenden Blasentumoren ‹ Restharn: in der Blase verbleibende Urinmenge nach Mik-
‹ Fäkalurie: Beimengung von Stuhl bei Blasen-Darm-Fis- tion ⇒ infravesikale Obstruktion, Detrusorschwäche,
teln (M. Crohn, Sigmadivertikulitis, Tumorinfiltration, Verdrängung der Blase (Uterus myomatosus, Tumoren
Strahlenschäden) im Becken)
‹ zweizeitige Miktion: erneuter Harndrang nach abgeschlos-
sener Miktion ⇒ großes Blasendivertikel,vesikorenaler
Merke ‹Ursachen einer „sterilen Leukozyturie“ (ohne begleitende
Reflux
Bakteriurie): Tuberkulose, antibiotisch anbehandelte Harnwegsin-
fekte, schwer nachweisbare Erreger (Chlamydien, Mykoplasmen), in-
terstitielle Nephritis. 2.3.2 Harninkontinenz
‹ Stressinkontinenz: passiver Urinverlust bei Belastung durch
Erhöhung des intraabdominellen Drucks ⇒ Beckenbo-
denschwäche nach Geburten oder Operationen im klei-
2.2 Störung der Harnbereitung nen Becken,Verletzungen der Harnröhre und Blase,Adi-
und Harnausscheidung positas
– Grad I: Inkontinenz bei Husten, Pressen, Niesen
– Grad II: Inkontinenz bei Bewegung
Siehe auch Kap. 1.1 und 1.2. – Grad III: Inkontinenz im Liegen
‹ Urgeinkontinenz: unwillkürlicher Urinverlust bei zwang-
haftem Harndrang ⇒ Blasenentzündung, Tumoren der
Merke ‹
‹ Oligurie: < 500 ml Urin/24 h
unteren Harnwege, neurologische Erkrankungen
‹ Reflexinkontinenz: Entleerung der Blase ohne Harndrang
‹ Anurie: < 100 ml Urin/24 h
‹ Polyurie: > 4 l Urin/24 h
als Folge eines autonomen spinalen Reflexes ⇒ neuro-
logische Erkrankungen (Querschnittslähmung, ZNS-
Erkrankungen)

888 Urologie
‹ Überlaufinkontinenz: tropfenweise Entleerung der Blase ment, Urinzytologie, Sonographie, Urogramm, Urethrozy-
durch passive Überdehnung der Blasenwand ohne De- stoskopie, ggfs. CT) abgeklärt werden. Auch Nierentrau-
trusorkontraktion ⇒ Detrusorschwäche, Prostatahy- men, Endometriose und Antikoagulantien können Häma-
perplasie, neurogene Funktionsstörungen turien verursachen (¶ Abb. 2.1).

2.5 Schmerz
Klinischer Fall
Zur Urge-Inkontinenz gehört:
(A) Verspäteter Harndrang bei der Blasenauffüllung für eine Zystoskopie Siehe auch Chirurgie Kap. 24.
(B) Hypotonie des Sphincter urethrae internus Schmerzen sind ein typisches Leitsymptom urologischer
(C) Hyperreflexie des Detrusors Erkrankungen. Man unterscheidet akute krampfartige,
(D) Vergrößerter dorsaler Vesikourethralwinkel intermittierende Schmerzen (Koliken) von dumpfen
(E) Descensus uteri meist chronischen Dauerschmerzen. Koliken werden
Lösung: C durch die Überdehnung des Hohlraumsystems, Dauer-
schmerzen durch Beteiligung parenchymatöser Organe
verursacht.
2.3.3 Harnverhalt
Merke ‹ Eine akute Hohlraumdehnung (z.B. Urolithiasis, Blutkoa-
‹ akut: plötzlicher Verschluss der Harnröhre durch Ob-
gel) ist sehr schmerzhaft (Kolik).Eine langsame Hohlraumdehnung
struktion (Steine, Blutkoagel ⇒ „Blasentamponade“,
(z.B.durch Tumoren) ist meist schmerzlos.
Prostatahyperplasie), medikamentös, neurogen (Trau-
ma, postoperativ) mit starken Unterbauchschmerzen
und tastbarer druckschmerzhafter gefüllter Blase („Un- Entsprechend der sensiblen Innervation der betroffenen
terbauchtumor“) Organe werden die Schmerzen auf bestimmte Dermatome
‹ chronisch: bei langsam zunehmender Obstruktion (Prosta- projiziert.
tahyperplasie, Blasenhalssklerose, Harnröhrenstriktur, ‹ Nierenschmerzen: lokaler Druck- und Klopfschmerz im
neurogene Blasenentleerungsstörungen) Ausbildung kostovertebralen Winkel, z.T. mit Ausstrahlung in den
großer Restharnmengen mit Zeichen der Überlaufin- Unterbauch, bei Tumoren, Entzündungen und Nieren-
kontinenz, meist schmerzlos steinen
‹ Harnleiterschmerzen: abhängig von der Lokalisation Flan- X
kenschmerzen oder Mittel- bis Unterbauchschmerzen
2.4 Hämaturie mit Ausstrahlung in Blase, Harnröhre, Skrotum oder
Labien
‹ Blasenschmerzen: suprapubischer Druckschmerz bei aku-
Definition ‹ tem Harnverhalt, Miktionsbeschwerden und Blasen-
‹ Mikrohämaturie: 3 und mehr Erythrozyten pro Gesichts- krämpfe bei Entzündungen
feld ‹ Prostataschmerzen: dumpfes Druckgefühl im Dammbe-
‹ Makrohämaturie: sichtbare Rotfärbung des Urins durch reich, Ausstrahlung in die Harnröhre, Miktionsbe-
Blutbeimengung schwerden
Drei Viertel aller Hämaturien werden durch Tumoren, ‹ Skrotalschmerzen: akute stechende Schmerzen bei Hoden-
Harnwegsobstruktionen, Urolithiasis und Harnwegsinfek- torsion und Infektionen, dumpfe oder ziehende
te verursacht.Die Mikrohämaturie lässt sich nur durch mi- Schmerzen bei Hydrozelen, Varikozele, Tumoren
kroskopische Untersuchung des Urins nachweisen. Ver- Differentialdiagnostisch muss an Erkrankungen der Wir-
formte Erythrozyten weisen auf eine Ursache im Bereich belsäule (Bandscheibenleiden, Metastasen) und des Abdo-
des Nierenparenchyms hin. Makrohämaturien bewirken mens (Gallenkolik, Ulzera, Pankreatitis, Appendizitis, Di-
eine Rotfärbung des Urins, die durch Sedimentuntersu- vertikulitis, inkarzerierte Hernie) gedacht werden.
chung von Hämoglobinurie, Myoglobinurie und Nah-
rungsmitteln oder Medikamenten abzugrenzen ist. Sie
können mit starken,kolikartigen oder dumpfen Schmerzen 2.6 Begleiterscheinungen
im Nierenlager oder der Blase einhergehen. Schwerste Blu- urologischer Erkrankungen
tungen führen zur Blasentamponade.
Wichtig ist der Zeitpunkt der Hämaturie während der
Miktion. Nieren- und Harnleiterkoliken sind oft verbunden mit ga-
‹ total: gesamte Urinportion blutig ⇒ Blutung im oberen strointestinalen Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen.
und mittleren Harntrakt Reflektorisch kommt es zur Darmatonie, die sich zum
‹ initial: Urin zu Miktionsbeginn blutig ⇒ Urethritis paralytischen Ileus entwickeln kann, der klinisch oft als
‹ terminal: Urin zu Miktionsende blutig ⇒ Zystitis „akutes Abdomen“ im Vordergrund steht. Chronische Nie-
Jede Makrohämaturie kann Hinweis auf einen Tumor sein renerkrankungen und Tumorleiden gehen mit Inappetenz,
und muss umgehend durch weitere Diagnostik (Urinsedi- Müdigkeit, Gewichtsverlust und Anämie einher.

Urologische Leitsymptome 889


Abb. 2.1. Häufigste Ursachen und Lokalisa-
tionen schmerzloser und schmerzhafter Ma-
krohämaturie.Aus [4]

3 Urologische Diagnostik wie Fieber, Gewichtsverlust und rezidivierenden Infektio-


nen gefragt werden.
Zusammenfassung
Die Diagnostik in der Urologie basiert auf Anamnese und körperli- Merke ‹ Dysurie, Pollakisurie, Harndrang ⇒ akute Entzündung des
cher Untersuchung. Die dabei erhobenen Befunde sind richtungs- unteren Harntraktes (Zystitis, Prostatitis).
weisend für die weiteren Untersuchungen. Neben der chemischen Abgeschwächter Urinstrahl, Startverzögerung,Verlängerung der Mik-
und mikrobiologischen Analyse von Blut und Urin gehört die Sono- tionszeit, Nachträufeln ⇒ subvesikale Obstruktion (Prostatahyper-
graphie zur Basisdiagnostik. Kontrastmitteluntersuchungen des plasie).
Harntraktes sind bei V.a. Steine oder Tumoren indiziert. Die Funk-
tion der einzelnen Organe (Niere, Blase) kann mittels szintigraphi-
schen und urodynamischen Messungen dargestellt werden. Als in- Die körperliche Untersuchung umfasst die bimanuelle Pal-
vasivste Maßnahme steht die Endoskopie zur Verfügung, die eine pation beider Nieren, Prüfung der Nierenlager auf Klopf-
exakte Beurteilung des Hohlsystems und in einigen Fällen auch die schmerz, Perkussion und ggf. Palpation der gefüllten Bla-
Therapie ermöglicht. se, Inspektion und Palpation des äußeren Genitals und des
Skrotalinhaltes sowie die rektale Untersuchung der Prosta-
ta. Auch auf vergrößerte Lymphknoten in der Leistenregi-
on muss geachtet werden.
3.1 Anamnese und Befunderhebung
3.2 Bakteriologische und klinisch-chemische
Die ausführliche und gezielte Anamnese führt meist schon Untersuchungen
zu einer Verdachtsdiagnose, die mittels weiterer Untersu-
chungen abgeklärt werden kann.Wichtig sind vor allem die Kurzzusammenfassung
Leitsymptome Schmerz, Miktionsstörung und Hämaturie Die Analyse von Blut,Urin und Sekreten gehört zur Basisdiagnostik in
(s. auch Kap. 2). Darüber hinaus muss nach Vorerkrankun- der Urologie. Sie umfasst chemische, mikroskopische und mikrobio-
gen, Medikamenteneinnahme und Allgemeinsymptomen

890 Urologie
logische Untersuchungen. Voraussetzung ist eine korrekte Material-
Die Entstehung von Harnkonkrementen kann durch ver-
gewinnung und Verarbeitung in frischem Zustand.
schiedene Erkrankungen begünstigt werden. Saurer Urin
und erhöhte Harnsäure führen zur Bildung von Harnsäu-
resteinen. Infektsteine bilden sich in alkalischem Milieu.
Durch intestinale Störungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa,
3.2.1 Blut Pankreatitis, Kurzdarmsyndrom) kann es zur vermehrten
Die blutchemischen Untersuchungen richten sich nach der Resorption von Oxalsäure und damit zur Hyperoxalurie
Verdachtsdiagnose. kommen.
‹ Blutbild: Anämie, Entzündungszeichen
‹ Elektrolyte: Nierenfunktionsstörungen (Na+ ⇓,K+ ⇑),Hy-
3.2.4 Sekrete der Ableitenden Harnwege und des Genitals
perparathyreoidismus (Ca++⇑)
‹ Phosphatasen: Nierenzellkarzinom, osteoplastische Kno- Siehe auch Dermatologie Kap. 26 und 27.2.
chenmetastasen (alkalische Phosphatase,AP ⇑); Prosta-
tamassage, metastasiertes Prostatakarzinom, Hyperpa- ‹ Urethralsekret: Untersuchung des Sekrets (ggf. Abstrich-
rathyreoidismus (saure Phosphatase, SP ⇑) entnahme aus der Harnröhre) und der 1. Urinportion,
‹ harnpflichtige Substanzen: Niereninsuffizienz (Kreatinin ⇑, Ausstriche oder Spezialkulturen (Chlamydien, Neisse-
Harnstoff ⇑) rien, Mykoplasmen), Grampräparat (Gonokokken)
‹ Tumormarker: Hodentumoren ⇒ AFP, β-HCG; Prosta- ‹ Prostataexprimat: „4-Gläser-Probe“ ⇒ 1. Urinportion, Mit-
takarzinom ⇒ PSA, AP (Metastasen) telstrahlurin, Prostataexprimat nach Prostatamassage,
letzte Urinportion; Erregernachweis in den einzelnen
Portionen, bei Prostatitis Nachweis von Leukozyten im
3.2.2 Harn
Exprimat
Urinproben sollten in ein steriles Gefäß abgefüllt und so-
fort untersucht werden. Bei Männern erfolgt die Uringe-
Merke ‹Bei akuter schmerzhafter Prostatitis ist die Prostatamassa-
winnung als „Mittelstrahlurin“, bei Frauen aufgrund der
ge wegen der Gefahr der Keimaussaat und Auslösen einer Urosepsis
Kontaminationsgefahr besser durch sterilen Einmalkathe-
kontraindiziert!
terismus. Bei Kindern werden sterile Klebebeutel verwen-
det. Nur selten ist die suprapubische Blasenpunktion not-
‹ Ejakulat: Untersuchung zur Abklärung einer Fertilitäts-
wendig.
störung (s. auch Kap. 11.1), die Gewinnung erfolgt durch
Der Urin wird zunächst makroskopisch beurteilt (Trü-
Masturbation nach 3- bis 5-tägiger sexueller Karenz,be-
bung, Verfärbung) und anschließend pH-Wert und spezi-
urteilt werden Dichte, Motilität und Morphologie der
X
fisches Gewicht ermittelt. Mittels Urinschnelltests (Test-
Spermatozoen.
stäbchen, „Stix“) können die wichtigsten Parameter be-
stimmt werden: Leukozyten, Nitrit, Urobilinogen, Eiweiß,
Erythrozyten, Keton, Bilirubin, Glukose. Die mikroskopi- Merke ‹Bei sexuell übertragbaren Erkrankungen muss immer eine
sche Untersuchung des Urinsediments erlaubt den qualita- Partneruntersuchung und ggf.Behandlung erfolgen!
tiven und quantitativen Nachweis von Leukozyten,
Erythrozyten, Zylindern (Eiweißzylinder ⇒ Glomerulo-
nephritis, Leukozytenzylinder ⇒ chronische Pyelonephri-
tis), Kristallen, Zellen und Mikroorganismen. Die Urinzy- 3.3 Funktionsdiagnostik
tologie (Anfärbung des Sediments) ist indiziert zur Dia-
gnose oder Verlaufskontrolle von Urothelkarzinomen. Kurzzusammenfassung
Durch die Urinkultur erfolgen Bakteriennachweis und -dif- Voraussetzung für die Behandlung von Nierenerkrankungen ist die
ferenzierung sowie die Empfindlichkeitstestung gegenüber Bestimmung der Nierenfunktion. Dies geschieht mittels Clearance-
Antibiotika. untersuchungen, die heute überwiegend szintigraphisch durchge-
führt werden.Die Funktionen des unteren Harntraktes (Blase, Harn-
röhre) lassen sich durch urodynamische Messungen darstellen. Sie
Merke ‹Nachweis von > 100.000 Erregern/ml im Mittelstrahlurin ⇒
zeigen Störungen von Detrusor und urethralem Verschlussmecha-
Harnwegsinfekt, „signifikante Bakteriurie“ (am häufigsten E. coli
nismus und geben Hinweise auf das Ausmaß einer subvesikalen Ob-
oder Enterokokken).
struktion.
Blasenpunktionsurin ist steril! Jeder Erregernachweis ist patholo-
gisch.

3.3.1 Obere Harnwege


3.2.3 Harnkonkremente
Nierenfunktionsstörungen können ein- oder beidseitig
Alle Steine bestehen aus einem organischen und einem auftreten. Zur Beurteilung der Nierenleistung werden
anorganischen, kristallinen Anteil. Eine genaue Analyse verschiedene Funktionstests eingesetzt. Sie spielen vor al-
der Steinzusammensetzung ist wichtig für die Nachsorge lem in der Planung operativer Eingriffe an den Nieren
und Rezidivprophylaxe. Sie erfolgt durch Röntgendif- eine Rolle.
fraktion und Infrarotspektroskopie. Am häufigsten sind
Kalziumoxalatsteine (65%) und Harnsäuresteine (15%).
Merke ‹ Clearance: „Reinigung“ des Blutes von einer bestimmten
Infektsteine bestehen meist aus Magnesium-Ammonium-
Substanz (Kreatinin, Hippuran etc.) durch Harnbildung in einer be-
Phosphat (Struvit). Seltener sind Kalziumphosphat- und
stimmten Zeit:
Zystinsteine.

Urologische Diagnostik 891


3.3.3 Genitale
C = U ¥V/P [ml/min]
C = Clearance,U = Konzentration der Clearancesubstanz im Urin,P = Kon-
Die erektile Dysfunktion kann viele verschiedene Ursachen
zentration der Clearancesubstanz im Plasma,V = Harnminutenvolumen.
haben (s.auch Kap.11.2).Neben Anamnese (Medikamenten-
einnahme!), körperlicher Untersuchung und Labordiagnos-
‹ Kreatininclearance: Ausscheidung körpereigenen Kreatinins tik stehen eine Vielzahl von Untersuchungen zur Verfügung.
(abhängig von der Gesamtmuskelmasse) über die Niere ‹ Dopplersonographie: Flowmessung in den Penisarterien,
zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate,Norm- ggf. während des Pharmakontests
werte: Frau = 97–140 ml/min, Mann = 85–125 ml/min ‹ Tumeszenzmessung: Messung der physiologischen Größen-
zunahme und Festigkeit des Penis während des REM-
Schlafes
Merke ‹Das Serumkreatinin steigt erst an, wenn die Kreatininclea-
‹ Pharmakontest: Injektion von Prostaglandin E1 in den
rance um mehr als 50% vermindert ist!
Schwellkörper in aufsteigenden Dosen bis zum Erlan-
gen einer kohabitationsfähigen Erektion
‹ Inulinclearance: Bestimmung der glomerulären Filtrati- ‹ Kavernosographie: Infusion von Kontrastmittel in die
onsrate (unabhängig von der Gesamtmuskelmasse) Schwellkörper und Darstellung aller Abflussgebiete,
‹ Funktionsszintigraphie: Ausscheidung i.v.-applizierter radio- Nachweis eines venösen Lecks, bei erektiler Dysfunkti-
aktiver Substanzen (z.B. 131Jod-Hippuran) zur Prüfung on zusätzliche Injektion einer vasoaktiven Substanz
der globalen Nierenfunktion, seitengetrennte Erfassung
des Ausscheidungsverlaufes mittels Gammakamera, Be-
urteilung von arterieller Perfusion (Nierenarterienste- 3.4 Bildgebende Verfahren
nose?), intrarenaler Funktion (z.B. bei Pyelonephritis)
und der Abflussverhältnisse (Harnstauung?) Kurzzusammenfassung
Am Anfang der bildgebenden Diagnostik steht die Sonographie.Sie wird
ergänzt durch die radiologische Diagnostik mit Übersichtsaufnahmen
3.3.2 Untere Harnwege
des Urogenitaltraktes und Kontrastmitteluntersuchungen, die eine ge-
Funktionsstörungen der unteren Harnwege werden über naue Darstellung des Hohlsystems ermöglichen.Weitere Untersuchun-
die Messung der Funktionsabläufe von Harnblase und Ur- gen (CT,MRT etc.) sind nur bei speziellen Fragestellungen notwendig.
ethra erfaßt (urodynamische Untersuchungen). Diese kön-
nen untergliedert werden in Harnsammlung, Urethralver-
X schluss und Miktion.
3.4.1 Sonographie
‹ Restharnbestimmung: sonographische Bestimmung der Ur-
inmenge, die nach Miktion in der Blase verbleibt, er- Die Sonographie ist eine schmerzlose, jederzeit wiederhol-
höhter Restharn findet sich bei infravesikaler Obstruk- bare Untersuchung und damit bildgebendes Verfahren der
tion und neurogenen Blasenentleerungsstörungen Wahl in der Urologie. Alle urologischen Organe, mit Aus-
‹ Uroflowmetrie: Aufzeichnung von Harnmenge pro Zeit- nahme des normalkalibrigen Harnleiters, lassen sich so-
einheit (Harnflussrate) während der Miktion in einer nographisch darstellen. Auch Bewegungsabläufe von Or-
Harnflusskurve, nicht invasive Sceeninguntersuchung ganen (z.B. Atemverschieblichkeit der Nieren) können er-
bei Patienten mit V.a. Blasenentleerungsstörung, Ver- fasst werden. Im Bereich der Nieren lassen sich Tumoren,
gleich des Kurvenverlaufes mit Nomogrammen, der Zysten, Steine sowie eine Harnstauung nachweisen. Die
wichtigste Parameter ist der maximale Harnfluß transrektale Sonographie (TRUS) ermöglicht eine genaue
‹ Zystometrie: fortlaufende Druckmessung in der Blase Beurteilung der Prostata. Punktionen von Hohlorganen
während der Füllungs- und Miktionsphase durch einen (Nierenbeckenkelchsystem, Blase) werden überwiegend
in der Blase liegenden Katheter, simultane Aufzeich- unter sonographischer Kontrolle durchgeführt. Mittels
nung von Blasendruck und Rektumdruck und damit in- Dopplersonographie erfolgt die Abklärung von Gefäßpro-
direkte Darstellung des Detrusordrucks (intravesikaler zessen (Nierenarterienstenosen, erektile Dysfunktion).
Druck minus Abdominaldruck),Beurteilung von Kapa-
zität und Stabilität (oder Instabilität) bei der Füllung,
3.4.2 Ausscheidungsurographie (AUG)
Dehnbarkeit (Detrusorcompliance) und Sensibilität des
Detrusors für steigende Füllmengen Das Ausscheidungsurogramm ist die radiologische Basis-
‹ Urethradruckprofil: Messung des urethralen Verschluss- diagnostik der Urologie. Es beginnt mit einer Abdomen-
druckes (Urethradruck minus Blasendruck) in Ruhe leeraufnahme und anschließender i.v.-Applikation von
und unter Stressbedingungen (Husten, Niesen, Bewe- wasserlöslichem Kontrastmittel (KM). Zu festgelegten Zei-
gung) mit speziellen Kathetern in Urethra und Blase, ten werden weitere Aufnahmen angefertigt, die eine Beur-
sinkt der Verschlussdruck unter Stressbedingungen auf teilung der Ausscheidungsfunktion und der Abflussver-
Null oder negative Werte liegt eine Stressinkontinenz hältnisse ermöglichen.
vor ‹ Leeraufnahme: Beurteilung der Weichteilschatten von Nie-
‹ Beckenboden-EMG: Ableitung der Kontraktionen des exter- ren, Harnblase und Psoasmuskel (unscharf begrenzt?)
nen Sphinkters der Urethra bei V.a. funktionelle Blase- sowie intraabdomineller Organe (Leber, Milz, Darm),
nentleerungsstörungen, normalerweise kommt es zu Darstellung röntgendichter Verschattungen, Feststel-
einer vollständigen Erschlaffung während der Miktion, lung von Skelettveränderungen (Osteolysen? Metasta-
bei Detrusor-Beckenboden-Dyssynergie erfolgt eine si- sen? pathologische Frakturen?)
multane Kontraktion des Beckenbodens ‹ 7-Minuten-Aufnahme: Abbildung des Nierenparenchyms und
Nierenbeckenkelchsystems (Formunregelmäßigkeiten?
Kelchveränderungen? verzögerte KM-Ausscheidung?)

892 Urologie
‹ 15-Minuten-Aufnahme: abschnittsweise Darstellung der ‹ anterograde Pyelographie:
Harnleiter und der Harnblase (KM-Aussparungen? – Indikation: Verlaufskontrolle nach Therapie, nicht-
Harnleiterverdrängung? Verkalkungen? Wandunregel- durchführbare retrograde Darstellung
mäßigkeiten der Blase?) – Durchführung: Darstellung des Hohlsystems nach
‹ Spätaufnahme: bei verzögerter Kontrastmittelausschei- Punktion des Nierenbeckens oder über liegenden
dung (z.B. durch Harnleiterstein) im Abstand von 1–6 h; Nephrostomiekatheter
ist nach 24 h keine KM-Ausscheidung erfolgt, gilt die
Niere als „stumm“
3.4.4 Weitere diagnostische Verfahren
Kontraindikationen sind Kontrastmittelallergie,Nierenin-
suffizienz, Status colicus (Gefahr der Fornixruptur), multi- Computer- (CT) und Kernspintomographie (MRT) werden
ples Myelom und Gravidität. vor allem bei der Beurteilung von retroperitonealen Tu-
Mit zunehmender Niereninsuffizienz wird das Kontrast- moren und Metastasen eingesetzt. Das MRT bietet eine
mittel in der Niere weniger konzentriert. Daher ist bei bessere Darstellung der Weichteile und der Blutgefäße
höhergradiger Niereninsuffizienz ein AUG wegen man- (z.B. Tumorzapfen in der V. cava). Es kann auch bei Kon-
gelnder Aussagekraft nicht sinnvoll. trastmittelallergie eingesetzt werden und stellt keine
Strahlenbelastung dar. Trotzdem ist es in seiner Aussage-
kraft dem CT nur in bestimmten Fällen überlegen.
Merke ‹ Vor Durchführung eines AUG sollten keine Kontrastmittel-
Die selektive Angiographie der Aorta und Nierengefäße
untersuchungen des Magen-Darm-Traktes erfolgen.
über einen Angiographiekatheter ist indiziert bei Nieren-
tumoren zur Darstellung der Gefäßversorgung, Nierenar-
terienstenose oder -verschluss, Gefäßmißbildungen
(Aneurysma, AV-Fistel) und V.a. Ruptur nach Nierentrau-
Klinischer Fall ma. Die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) bietet
Eine Vergrößerung des Nierenschattens im Röntgenbild kommt vor bei folgenden den Vorteil der geringeren KM-Dosis.
Erkrankungen: Die Darstellung der V. cava mittels eines über die Leiste vor-
(1) Zystenniere geschobenen Katheters (Kavographie) ermöglicht den
(2) Nierenvenenthrombose Nachweis von intraluminalen Tumorzapfen und die selek-
(3) chronische Pyelonephritis tive Darstellung der Nebennierenvenen zur Diagnostik von
(4) Tumor Nebennierentumoren. Nach Punktion von Lymphgefäßen
(A) nur 2 ist richtig an beiden Füßen und KM-Injektion (Lymphographie) las-
(B) nur 4 ist richtig sen sich die pelvinen und retroperitonealen Lymphknoten X
(C) nur 1 und 3 sind richtig darstellen (Suche nach Metastasen bei Hodentumoren).
(D) nur 1,2 und 4 sind richtig Beide Untersuchungen werden seit Einführung des CT nur
(E) 1–4 = alle sind richtig noch sehr selten durchgeführt.
Lösung: D Die Knochenszintigraphie ist die sensitivste Methode bei
der Suche nach Knochenmetastasen und wird v.a. bei der
Diagnostik des Prostatakarzinoms eingesetzt.Auch Blasen-
und Nierenzellkarzinome metastasieren in den Knochen.
3.4.3 Spezielle Urologische Röntgendiagnostik
‹ Miktionszystourethrographie (MCU):
– Indikation: V.a. vesikorenaler Reflux, Blasenentlee- Klinischer Fall
rungsstörung, subvesikale Abflussstörung (Blasen- Welches der folgenden Untersuchungsverfahren ist zur Entdeckung von Urethral-
halsenge, Harnröhrendivertikel, Harnröhrenklap- klappen des proximalen Harnröhrenbereichs am aussagekräftigsten?
pen, Meatusstenose) (A) Ausscheidungsurographie
– Durchführung: retrograde Füllung der Blase über einen (B) Miktionszystourethrographie
Blasenkatheter,Darstellung der Blasenstruktur,Mik- (C) Retrograde Urethrographie
tion unter Durchleuchtung mit Darstellung der kom- (D) Kavernosographie
pletten Harnröhre und der Nieren (Reflux?), nach (E) Harnröhrensonographie
Miktion Restharnbestimmung Lösung: B
‹ retrograde Urethrographie:
– Indikation: Darstellung der männlichen Harnröhre bei
V.a. Strikturen, Divertikel, Steine, Tumoren, Verlet-
3.4.5 Kontrastmittelzwischenfälle
zungen, Kavernen bei Tbc
– Durchführung: Applikation von Kontrastmittel in die Bei vielen Röntgenuntersuchungen in der Urologie muss
Harnröhre über einen Katheter in der Fossa navicu- Kontrastmittel verwendet werden.Deshalb ist jeder Patient
laris unter Durchleuchtungskontrolle, halbschräge nach einer Kontrastmittelallergie zu befragen. Vor allem
Lagerung (Lauenstein-Lagerung) bei i.v.-Gabe besteht die Gefahr eines anaphylaktischen
‹ retrograde Ureteropyelographie: Schocks, der ohne Vorwarnung auftreten kann.
– Indikation: Darstellung von Ureter und Nierenbecken- ‹ leichter Zwischenfall: Unruhe, Übelkeit, Brechreiz, Husten-
kelchsystem, wenn AUG nicht möglich oder nicht reiz, Rötung und Schwellung von Haut und Schleim-
aussagekräftig (Niereninsuffizienz, stumme Niere, haut, Juckreiz, Urtikaria
Harnleitertumor) ‹ schwerer Zwischenfall: generalisiertes Exanthem, Schweiß-
– Durchführung: Zystoskopie und Einführung eines Ure- ausbruch, Schüttelfrost, Rückenschmerzen, Dyspnoe,
terenkatheters und KM-Applikation in den Harnleiter, Bronchospasmus, Tachykardie, Krampfanfälle, RR-Ab-
cave: Risiko einer Keimverschleppung mit Urosepsis fall, Bewusstlosigkeit

Urologische Diagnostik 893


‹ schwerster Zwischenfall: Herz-Kreislauf- und Atemstillstand Komplikationen des Katheterismus sind die Verletzung
Die Therapie besteht in der Gabe von Sauerstoff, Antihis- der Harnröhre durch gewaltsames Vorgehen, Infektionen,
taminika, hochdosiert Glukokortikoiden, Infusionsthera- Drucknekrosen bei mangelhafter Blockung, Verkrustung
pie und ggf. Adrenalin. Im Herz-Kreislauf-Stillstand sind des Katheters und Harnröhrenstrikturen infolge von Ver-
Wiederbelebungsmaßnahmen und Beatmung einzuleiten. letzungen und Urethritis (v.a. bei Männern). Zur langfri-
stigen Harnableitung ist daher die suprapubische Zysto-
stomie zu bevorzugen.
Merke ‹ Die i.v.-Gabe von Kontrastmitteln ist bei Niereninsuffizienz
kontraindiziert, da es zu einem akuten Nierenversagen kommen
kann! 3.5.2 Endoskopie
Für die Endoskopie des Harntraktes stehen starre und fle-
xible Instrumente zur Verfügung. In die starren Instru-
mente können Optiken mit unterschiedlicher Blickrich-
3.5 Transurethrale Diagnostik tung (0°, 30°, 70°, 120°) und verschiedene Instrumente
(Ureterenkatheter, Zangen) eingesetzt werden. Die fle-
Kurzzusammenfassung
xiblen Instrumente haben ein bewegliches distales Ende,
Die endourologische Diagnostik ermöglicht die Beurteilung des Hohl-
das den Wechsel der Blickrichtung ermöglicht. An jedem
systems von Harnröhre, Blase, Harnleiter und Nierenbecken „von in-
Endoskop sind Zu- und Ablaufhähne für das Spülwasser
nen“.Bei einigen Erkrankungen kann auf diesem Weg auch eine The-
angebracht.
rapie durchgeführt werden. Der häufigste transurethrale Eingriff ist
‹ Urethrozystoskopie: Abklärung einer Hämaturie (Tumor,
das Legen eines Blasenkatheters.
Steine, Antikoagulantien, hämorrhagische Zystitis),
Harnröhreninspektion, Beschaffenheit der Blase (Ent-
zündung,Tumoren,Steine),Beurteilung der Ostien,Ent-
3.5.1 Katheterismus fernung von Fremdkörpern
‹ Ureterorenoskopie: Abklärung tumorverdächtiger Verän-
Die Indikation zum Legen eines transurethralen Blasenka- derungen, unilaterale Hämaturie
theters besteht bei Blasenentleerungsstörungen, Ruhig- ‹ Nephroskopie: Durchführung nach perkutaner Punktion
stellung der Blase nach operativen Eingriffen und zur Aus- des Nierenhohlsystems nur bei nicht möglicher Uretero-
scheidungsbilanzierung, v.a. in der Intensivmedizin. renoskopie, indiziert zur Entfernung von Nierensteinen
Man unterscheidet Einmalkatheter aus PVC und Dauerka- (perkutane Nephrolitholapaxie)
X theter aus Latex oder Silikon mit Ballon. Katheter aus Sili- Kontraindikationen bestehen bei akuter Zystitis, Prosta-
kon sind gewebeschonender und können daher zur Dauer- titis, Epididymitis und Urethritis sowie bei V.a. Harn-
ableitung bis zu 3 Monaten belassen werden. Einmalkathe- röhrenabriss bei Beckenringfraktur. Komplikationen be-
ter finden Anwendung zur Uringewinnung bei Frauen und stehen in Verletzungen der einzelnen Strukturen, Entste-
beim intermittierenden Selbstkatheterismus bei neuroge- hung von Blutungen und Infektionen. Die Möglichkeit des
nen Blasenentleerungsstörungen (z.B. Querschnittsläh- „Umsteigens“ auf Schnittoperationsverfahren muss gege-
mung). ben sein.
Die Kaliberbezeichnung erfolgt in Charrière (1 Charr. ≈
0,33 mm Durchmesser). Die wichtigsten Typen sind der
„Nelaton-Katheter“ mit gerader und der „Tiemann-Kathe- 3.6 Punktionsverfahren
ter“ mit gebogener Spitze (leichteres Einführen bei Prosta-
tahyperplasie). Übliche Katheterstärken sind 14–18 Char-
rière. Dickere Katheter werden nur aus besonderen Grün- ‹ Nierenbiopsie: sonographisch gesteuerte perkutane Punk-
den, z.B. als Spülkatheter, verwendet. tion der Nieren in Lokalanästhesie zur Diagnose einer
Glomerulonephritis,Abpunktion von Zysten,Abszessen
und Lymphozelen, Anlage einer perkutanen Nephro-
Merke ‹ Jede Katheterisierung ist ein invasiver Eingriff und muss
stomie mit Einführen eines dünnen Katheters, Cave:
unter sterilen Bedingungen durchgeführt werden! Jede Gewaltan-
keine Punktion von tumorverdächtigen Befunden, da
wendung ist zu vermeiden! Die tägliche Reinigung von liegenden Ka-
Gefahr der Tumorzellstreuung. Komplikationen: Blu-
thetern ist Pflicht!
tung, Infektion
‹ suprapubische Blasenpunktion: sonographisch gesteuerte su-
‹ Katheterisierung beim Mann: Abdecken mit sterilem Loch- prapubische Punktion der Harnblase (bei gefüllter Bla-
tuch, sterile Handschuhe, Zurückstreifen der Vorhaut se!) in Lokalanästhesie zur Anlage einer längerfristigen
und Desinfektion des Meatus und der Glans, Instillati- Harnableitung. Komplikationen: Blutung, Infektion,
on von sterilem Gleitmittel, Fassen des Penis mit einer Darmverletzung
Hand und Zug nach oben, Einführen des Katheters,Ab- ‹ Prostatastanzbiopsie: transrektale Punktion der Prostata
senken des Penis, Vorschieben des Katheters bis zum mittels spezieller Hohlkanülen, unter digitaler Führung
Ventil, Blocken des Ballons, vorsichtiges Zurückziehen oder sonographisch gesteuert (transrektaler Ultra-
des Katheters schall). Komplikationen: transrektale und urethrale
‹ Katheterisierung der Frau: sterile Handschuhe, Spreizen der Blutungen, Infektionen durch Keimverschleppung ⇒
Labien und Desinfektion, Instillation von sterilem Antibiotikaprophylaxe
Gleitmittel, Einführen des Katheters, Blocken des Bal-
lons, vorsichtiges Zurückziehen des Katheters
‹ Katheterisierung von Kindern: gleiche Vorgehensweise wie
beim Erwachsenen, strenge Indikationsstellung!

894 Urologie
4 Urologische Therapie ‹ Indikationen zur bilateralen Nephrektomie: beidseitige Urothel-
tumoren, beidseitige Nierenzellkarzinome, terminale
Zusammenfassung Niereninsuffizienz bei Zystennieren oder chronische
Die urologische Therapie umfasst konservative und operative Be- Pyelonephritis beidseits
handlungsmethoden.Die operativen lassen sich weiter unterteilen in Die Nephrektomie kann über einen retroperitonealen oder
Schnittoperationen – Organentfernungen und organerhaltende Ver- transabdominellen Zugang durchgeführt werden. Letztere
fahren – und endoskopische Eingriffe,die überwiegend transurethral ermöglicht bei Tumornephrektomien die Unterbindung
erfolgen. Die Stoßwellenlithotripsie ermöglicht die berührungsfreie der A. renalis vor jeglicher Manipulation am Tumor („No-
Therapie von Nieren- und Harnleitersteinen. touch-Technik“). Bei benigner Erkrankung wird die Ne-
benniere belassen, bei malignen Tumoren wird sie en bloc
mit Niere und Kapseln entfernt. Komplikationen sind Blu-
tungen, Verletzungen von Nachbarorganen und der post-
4.1 Konservative Maßnahmen operative Ausfall der kontralateralen Niere.

Siehe auch die einzelnen Kapitel über urologische Erkran-


Zystektomie
kungen und Funktionsstörungen
Konservative Therapiemaßnahmen in der Urologie richten Die radikale Entfernung der Blase, ggf. mit Prostata/Samen-
sich nach der jeweiligen Erkrankung. Sie kommen v.a. bei blasen oder Uterus/Vaginalvorderwand,ist indiziert bei fort-
Inkontinenz, Blasenentleerungsstörungen, Entzündungen geschrittenen Blasenkarzinomen und bei funktionsloser Bla-
und Tumorerkrankungen, z.T. als Ergänzung zur operati- se (Schrumpfblase, Endstadium einer interstitiellen oder ra-
ven Therapie, zur Anwendung. Sie umfassen die organspe- diogenen Zystitis). Die Art der Harnableitung (s. unten) ist
zifische Psychosomatik, physiotherapeutische und medi- abhängig vom Tumorstadium und individuellen Faktoren
kamentöse Maßnahmen sowie die Strahlentherapie. des Patienten (Alter,Geschicklichkeit,Begleiterkrankungen).

Prostatektomie
4.2 Offene Operationen
‹ offene Prostatektomie: bei obstruierender Prostatahyper-
Kurzzusammenfassung plasie mit Gewicht > 70 g, transvesikaler oder retropu-
Die Entfernung von Niere, Blase oder Prostata ist indiziert bei Tumo- bischer Zugang, Ausschälung des Adenoms aus der
ren oder irreversiblem Funktionsverlust des Organs.Auch schwere Ver- chirurgischen Kapsel. Komplikationen: Kapselperfora-
letzungen oder septische Krankheitsbilder können Ursache für eine tion, Urinfistel X
Nephrektomie sein.Organerhaltende Operationen an Niere oder Bla- ‹ radikale Prostatektomie: zur kurativen Behandlung des
se sind bei benignen Tumoren oder segmentalen Erkrankungen mög- Prostatakarzinoms, Zugang über mediane Laparoto-
lich. Plastische Operationen im Bereich des Harnleiters dienen meist mie, iliakale Lymphadenektomie und Resektion der
der Beseitigung von Stenosen. Zur dauerhaften Harnableitung nach Prostata und Samenblasen, Anastomose zwischen Bla-
Zystektomie,Funktionsverlust der Blase oder Verlegung beider Harn- senhals und proximaler Harnröhre. Komplikationen:
leiter werden verschiedene Verfahren angewendet. Der orthotope Anastomoseninsuffizienz, postoperative Inkontinenz,
Blasenersatz durch Ileumneoblase ist funktionell am günstigsten und in hohem Prozentsatz postoperative Impotenz
findet die größte Patientenakzeptanz.
4.2.2 Organerhaltende Operationen
Bei lokalisierten Erkrankungen der Niere (segmentäre
4.2.1 Organentfernung Missbildungen, Tumoren in Einzelnieren, Nierentrauma,
entzündlich veränderte Segmente) kann eine Nierenteilre-
Nephrektomie sektion oder Heminephrektomie durchgeführt werden.Zur
Die operative Entfernung einer Niere kann unilateral oder Entfernung von Nierenbecken- oder -kelchsteinen ist die
selten bilateral erfolgen. Bei malignen Tumoren des Nie- Eröffnung des Nierenbeckens (Nephrotomie) ausreichend.
renbeckens muss zusätzlich der gesamte Harnleiter mit Bei Stenosen am Nierenbeckenabgang und im oberen Drit-
Blasenmanschette entfernt werden (Ureteronephrekto- tel des Harnleiters wird eine Nierenbeckenplastik (nach An-
mie).Vor jeder unilateralen Nephrektomie sollte die Funk- derson-Hynes) durchgeführt. Nach Resektion des erweiter-
tion der kontralateralen Niere ermittelt werden,um das Ri- ten Nierenbeckens und des stenotischen Anteils wird der
siko einer möglichen Dialysepflicht abzuschätzen. Bei vi- Harnleiter End-zu-Seit mit dem verkleinerten Nieren-
taler Indikation ist dies jedoch oft nicht möglich. becken anastomosiert. Stenosen im mittleren Harnleiter-
‹ Indikationen zur unilateralen Nephrektomie: drittel werden reseziert und die Kontinuität durch eine
– notfallmäßig: schwere Traumen (Nierenruptur oder End-zu-End-Anastomose oder ein Dünndarminterponat
Nierenstielabriss), Spontanrupturen (polyzystische wieder hergestellt. Bei Stenosen im unteren Harnleiterdrit-
Degeneration, Tumor, Panarteriitis nodosa), Pyo- tel erfolgt nach Resektion des betroffenen Abschnitts die
nephrose oder multiple Abszesse mit Zeichen der Neueinpflanzung des Ureters in die nach oben mobilisierte
Urosepsis und am M. psoas fixierte Harnblase (Psoas-hitch-Technik).
– elektiv: Nierenkarzinom, Nierenbeckenkarzinom, ir- An Blase und Harnröhre können viele Operationen endo-
reversible Schädigung der Nierenfunktion (Tbc, skopisch durchgeführt werden. Bei großen Blasensteinen
funktionslose Stauungsniere, Schrumpfniere durch oder zur Entfernung von Fremdkörpern erfolgt die Eröffnung
Pyelonephritis, Reflux oder Steine), polyzystische der Blase (Sectio alta). Langstreckige Harnröhrenstrikturen
Nierendegeneration, renale Hypertonie erfordern eine operative Korrektur.

Urologische Therapie 895


4.2.3 Harnableitung, Harnumleitung 4.2.4 Blasenersatzoperationen

Im gesamten Harntrakt kann es zu Störungen des Harnab- Die oben genannten Verfahren der Harnableitung – Ure-
flusses kommen, die eine temporäre oder definitive Harn- terhautfistel und Harnleiter-Darm-Implantation – sind
ableitung notwendig machen. aufgrund der hohen Komplikationsraten weitgehend ver-
‹ oberer Harntrakt: lassen worden. Das Konduit ist die bisher häufigste Form
– Nephrostomie: perkutane Einlage eines Katheters in das der permanenten Harnableitung. Funktionell günstiger
Nierenbecken zur Entlastung eines gestauten oberen und Therapie der Wahl beim Mann ist der Blasenersatz
Harntraktes durch Ileumneoblase. Sie ist prinzipiell auch bei der Frau
– innere Harnleiterschienung: zystoskopisches Einlegen ei- möglich, jedoch operationstechnisch schwieriger.
ner Harnleiterschiene (Doppel-J-Schiene) zur Über- ‹ Konduit: antirefluxive Implantation der Harnleiter in ein
brückung eines ureteralen Abflusshindernisses (Stei- ca. 15 cm langes ausgeschaltetes Dünn- oder Dickdarm-
ne, Koagel, Tumoren, Stenosen) segment, Ausleitung als nichtkontinentes Urostoma am
– Ureterhautfistel: Implantation des Ureters in die Haut,hohe Unterbauch
Komplikationsrate (Stomastenosen, Infektionen), nur – Kontraindikationen: entzündliche Darmerkrankungen,
noch sehr selten indiziert als palliative Harnableitung strahlengeschädigter Darm
– Harnleiter-Darm-Implantation: antirefluxive Implantation – Komplikationen: Harnleiterobstruktion,Konduitnekro-
der Harnleiter in die Dickdarmwand am rektosig- se, Stomastenose, Infektionen, Störungen des Elek-
moidalen Übergang, kontinente Harnableitung mit trolythaushaltes
Gefahr der rezidivierenden Pyelonephritiden, hyper- ‹ Ileumneoblase: kontinenter Harnblasenersatz,Bildung aus
chlorämischer, hypokaliämischer Azidose durch Re- 60–70 cm Dünndarm, die antimesenterial eröffnet und
sorption des Urins (Vorbeugung durch Harnalkali- zu einem Beutel geformt werden,Anastomosierung mit
sierung) und erhöhtem Risiko eines Kolonkarzinoms der Harnröhre oder Ausleitung als kontinentes Nabel-
‹ unterer Harntrakt: stoma („Kock-Pouch“), antirefluxive Implantation der
– transurethraler Blasenkatheter: vorübergehende Harn- Ureteren, die Entleerung erfolgt durch Bauchpresse
ableitung (s. auch 3.5.1) oder sterilen Einmalkatheterismus
– suprapubischer Blasenkatheter: perkutane Einlage eines – Kontraindikationen: Tumorbefall der Harnröhre
Katheters in die Blase zur längerfristigen oder dau- – Komplikationen: Schleim- und Steinbildung in der Er-
erhaften Urinableitung satzblase, Störungen des Elektrolythaushaltes, Mal-
absorptionssyndrome, Azidoseentstehung, erhöhtes
X Risiko der Karzinomentstehung in der Ersatzblase

a b

c
Abb. 4.1.a-d Orthotope Darmersatzblase aus dem Ileum („Ileumneoblase“). a Isolierung von 60–70 cm terminalen Ileums und antimesenteriale Detubularisierung, b W-förmige
Lagerung,c, d Beutelbildung und Anastomose mit dem Harnröhrenstumpf.Aus [4]

896 Urologie
4.3 Endoskopische Eingriffe von Harnleiterstenosen. Komplikationen: Blutungen,
Harnleiterperforation, Infektionen
Kurzzusammenfassung
Endoskopische Eingriffe können meist in Lokal- oder Regio-
nalanästhesie durchgeführt werden und sind für den Patienten scho-
nender.Mittels moderner Endoskope sind alle Bereiche des Harntrak- Klinischer Fall
tes zugängig. Am häufigsten werden Resektionen an Prostata und Die transurethrale Elektroresektion der Prostata (TUR-P) ist ein Operationsverfah-
Blase durchgeführt. Auch die Zertrümmerung und Entfernung von ren zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie (BPH). Hinsichtlich dieses
Steinen in Niere, Harnleiter und Blase ist endoskopisch möglich. Therapieverfahrens gilt:
(A) Hierbei muss die gesamte Prostata einschließlich der „chirurgischen Kapsel“
entfernt werden.
(B) Eine Indikation ist bei obstruierender BPH erst ab 80 g hyperplastischem
4.3.1 Perkutane Eingriffe Prostatagewebes gegeben.
Perkutane endoskopische Eingriffe am Hohlsystem des (C) Die obstruktiv wirksame Harnröhrenstriktur ist eine fast unvermeidbare Be-
Harntraktes sind nur selten notwendig. Ist eine uretero- handlungsspätfolge.
renoskopische Untersuchung des Nierenbeckens nicht (D) Als Behandlungsspätfolge tritt regelmäßig eine erektile Impotenz auf.
möglich, kann eine perkutane Nephroskopie durchge- (E) Keine der Aussagen A–D trifft zu.
führt werden. Unter radiologischer oder sonographischer Lösung: E
Kontrolle wird ein Führungsdraht platziert, über den
nach Aufdehnung des Punktionskanals starre oder fle-
xible Nephroskope eingeführt werden können. Hierdurch
ist die Zertrümmerung und Entfernung von Nieren- 4.4 Extrakorporale Stosswellenlithotripsie
becken- und proximalen Harnleitersteinen möglich (per- (ESWL)
kutane Nephrolitholapaxie).
Laparoskopische Operationen konnten sich bislang bei ur-
ologischen Erkrankungen noch nicht durchsetzen.Im Rah- Die ESWL ist die Therapie der Wahl bei Nierenbecken- und
men des Stagings bei Prostata- oder Blasenkarzinomen je- Harnleitersteinen bis 2 cm Größe. Hierbei erfolgt eine
doch kann die pelvine Lymphadenektomie auch laparo- berührungsfreie Zertrümmerung der Konkremente durch
skopisch erfolgen. außerhalb des Körpers erzeugte Stoßwellen. Diese werden
sonographisch oder radiologisch gesteuert auf das betref-
4.3.2 Transurethrale Eingriffe fende Konkrement fokussiert. Die Behandlung wird meist X
unter Analgesie durchgeführt und dauert zwischen 15 und
‹ Harnröhre: endoskopische Schlitzung von Harnröhren- 60 Minuten.Teilweise sind mehrere Sitzungen erforderlich.
und Blasenhalsstenosen über spezielle Zystoskope. Die Steinpartikel gehen in Folge spontan ab. Liegt eine in-
Komplikationen: Via falsa,Harnröhrenfistel,Divertikel, fizierte Stauungsniere vor, muss vor Durchführung der
Verletzungen der Schwellkörper und des M. sphincter ESWL eine perkutane Nephrostomie oder eine Harnleiter-
externus mit folgender Inkontinenz schiene eingelegt werden. Nebenwirkungen sind Schmer-
‹ Prostata: transurethrale Resektion (TUR-P) bei benigner zen, Hautpetechien und Nierentraumen mit Makrohäma-
obstruktiver Prostatahyperplasie (≤ 70 g) oder palliativer turie und intrarenalen Hämatomen (< 1%). Kontraindika-
Therapie eines Prostatakarzinoms, mittels Resektoskop tionen sind Obstruktionen distal des Konkrements,
und Schneideschlinge wird mit Hochfrequenzstrom der Gerinnungsstörungen, Schwangerschaft und unbehandel-
obstruktive Prostataanteil bis zur chirurgischen Kapsel te Harnwegsinfekte. Etwas 80% der Patienten sind langfri-
entfernt (die periphere Zone wird nicht erfasst) und eine stig steinfrei.
sorgfältige Blutstillung durchgeführt, während der Re-
sektion kontinuierliche Spülung mit elektrolytfreier Lö-
sung. Komplikationen: Blutung, Kapselperforation,
Sphinkterverletzung mit folgender Inkontinenz, TUR-
Syndrom, Urethrastrikturen, Blasenhalssklerose
‹ Blase: transurethrale Resektion (TUR-B) von Blasentu- 5 Fehlbildungen und urologische
moren mit kurativer, palliativer oder diagnostischer In-
dikation, technisches Vorgehen wie bei TUR-P. Kompli-
Erkrankungen im Kindesalter
kationen: Blutung, Blasenperforation, TUR-Syndrom Zusammenfassung
Etwa 1/3 aller Fehlbildungen des menschlichen Körpers betreffen die
Merke ‹ TUR-Syndrom: Das Einschwemmen elektrolytfreier Spüllö- Urogenitalorgane.Viele dieser Anomalien sind Normvarianten, man-
sung in eröffnete Venen (v.a. TUR-P) führt zur Hypervolämie mit Hy- che jedoch sind Missbildungen (z.B.Reflux),die eine langfristige Schä-
ponatriämie und kann lebensbedrohliche Schockzustände auslösen. digung nach sich ziehen können.Einige sind mit dem Leben nicht ver-
Symptome sind Hypertonie, Unruhe, Herzrhythmusstörungen, einbar (z.B. beidseitige Nierenagenesie). Urologische Erkrankungen,
Krämpfe und selten Hämolyse. Das TUR-Syndrom kann weitgehend die vorwiegend im Kindesalter auftreten,sind skrotale Krankheitsbil-
vermieden werden, wenn die OP-Zeit auf etwa eine Stunde begrenzt der und verschiedene Formen der Blasenentleerungsstörungen.Auch
wird. die malignen Tumoren unterscheiden sich von denen des Erwachse-
nen. Diagnostisch stehen Sonographie und Kontrastmitteluntersu-
chungen im Vordergrund. Therapeutisch kommen sowohl offene als
‹ Harnleiter: endoskopische Entfernung oder Zertrümme-
auch endoskopische Verfahren zur Anwendung.
rung von Harnleitersteinen, Schlitzung oder Dilatation

Fehlbildungen und urologische Erkrankungen im Kindesalter 897


5.1 Urologische Erkrankungen im Kindesalter Nicht jede dieser Fehlbildungen ist pathologisch.Sie können aber ver-
schiedene sekundäre Komplikationen begünstigen.Die Diagnostik er-
folgt vorwiegend durch Sonographie und Urographie. Die Therapie
Viele schwerwiegende Missbildungen des Harntraktes sollte möglichst konservativ sein.Eine Nephrektomie ist nur dann in-
können bereits pränatal durch Ultraschalluntersuchungen diziert, wenn die Niere keine Restfunktion besitzt oder Komplikatio-
festgestellt werden. Agenesien und Parenchymfehlbildun- nen auftreten.
gen lassen sich ebenso darstellen wie Harnabflussstörun-
gen. Eine zu geringe Fruchtwassermenge (Oligohydramni-
on) deutet auf eine erhebliche Nierenfunktionsstörung mit
Verminderung der Urinausscheidung hin.Postnatal sind es
5.2.1 Numerische Anomalien
oft nur unspezifische Allgemeinsymptome wie Bauch- ‹ Nierenagenesie: komplettes Fehlen einer Nierenanlage
schmerzen, Übelkeit und Erbrechen, die auf eine urologi- – bilateral: extrem selten (1:10.000), intrauterin Oligo-
sche Erkrankung hinweisen. Sie werden meist erst beim hydramnion, Potter-Fazies und Lungenhypoplasie,
Auftreten von Komplikationen (Niereninsuffizienz, Harn- mit dem Leben nicht vereinbar
wegsinfekte, renaler Hypertonus, Steinbildung) entdeckt. – unilateral: meist Zufallsbefund, kompensatorische Hy-
Jeder Harnwegsinfekt im Kindesalter muss deshalb mit der pertrophie der kontralateralen Niere,Diagnose durch
Suche nach morphologischen oder funktionellen Anoma- Sonographie, Urogramm, CT oder Szintigraphie
lien abgeklärt werden. ‹ Nierenaplasie: rudimentäres Nierengewebe, funktionell
Genitale Fehlbildungen manifestierten sich oft erst in der wie Nierenagenesie
Pubertät. Sie umfassen Störungen der Sexualdifferenzie- ‹ Nierenhypoplasie (Zwergniere): kleine Niere mit reduzierter
rung bis zur Infertilität, Deszensusanomalien des Hodens, Zahl von Nierenkelchen (< 5, normal 10–12) bei kräfti-
Mündungsanomalien der Harnröhre und Penisdeviatio- gem Parenchym, klinisch relevant bei bilateralem Auf-
nen (¶ Abb. 5.1). treten oder Funktionsstörung der kontralateralen Niere
‹ überzählige Nieren: sehr selten, abzugrenzen von Doppel-
anlagen
5.2 Nierenanomalien
5.2.2 Lage- und Formanomalien
Kurzzusammenfassung
An der Niere sind angeborene Missbildungen häufiger als an jedem
Siehe auch ¶ Abb. 5.2
‹ Malrotation: inkomplette Rotation der Niere während der
anderen Organ.Man unterscheidet numerische Anomalien,Formano-
X malien, Lageanomalien, Doppelanlagen und zystische Anomalien.
Embryogenese mit ventral liegendem Nierenbecken,
keine klinische Bedeutung

Abb. 5.1. Wichtige Anomalien des Urogenitaltraktes.Aus [4]

898 Urologie
Abb. 5.2.a-c Verschiedene Nieren- und Ureteranomalien.
a Hufeisenniere,b gekreuzte Dystopie,c rechts – Ureter
fissus,links – Beckenniere.Aus [4]

a b c

‹ Nierenektopie: Lage der Niere lumbal, im Becken oder auf


der Gegenseite (gekreuzte Dystopie) mit regelrechter
Gefäßversorgung und eigenem Ureter, meist asympto-
matisch, erhöhte Inzidenz von Harnabflussstörung und
Steinbildung, in bis zu 60% gleichzeitig genitale An-
omalien
‹ Nephroptose („Senkniere“): abnorme Beweglichkeit der Nie-
re, Tiefertreten der Niere um mehr als 2 Wirbelkörper-
höhen beim Wechsel aus der liegenden in die stehende
Position, keine Abflussbehinderung ⇒ nicht therapie-
bedürftig!
‹ Verschmelzungsanomalien: am häufigsten Hufeisenniere
(1:400), Verbindung der beiden Nieren am unteren Pol
über eine Parenchymbrücke (Höhe LWK 4/5), Malrota-
tion mit ventraler Lage der Nierenbecken, Harnleiter
verlaufen ventral über die Parenchymbrücke, bei etwa
1/3 der Patienten therapiebedürftige Komplikationen Abb. 5.3. Zystennieren
(Ureterabgangsstenosen, Harnwegsinfekte, Steinbil-
dung) X
Polyzystische Nierendysplasie („Zystennieren“) (¶ Abb. 5.3)
5.2.3 Doppelanlagen
Erbliche Erkrankung, die immer beidseitig auftritt und
Doppelnieren sind nicht selten. Es handelt sich dabei um sich in zwei Formen manifestiert :
Nieren mit zwei getrennten Nierenbecken und zwei Harn- ‹ autosomal-rezessive „infantile“ Form: selten (1:40.000), be-
leiterabgängen. Sie entstehen während der Embryonalpha- reits bei Geburt massiv vergrößerte Nieren, meist in-
se durch eine zu frühe Aufzweigung der Ureterknospe (Ure- trauterin Oligohydramnion, kombiniert mit Lungen-
ter fissus) oder eine Aussprossung von zwei Ureterknospen hypoplasie, portaler Fibrose und Hypertonus, sehr
(Ureter duplex). Die Komplikationen ergeben sich aus den schlechte Prognose, oft letaler Ausgang in den ersten
Fehlmündungen der Harnleiter in die Blase (s. unten). Lebensmonaten
‹ autosomal-dominante „adulte“ Form: in der Kindheit bereits
asymptomatisch nachweisbar, multiple bis hühnerei-
5.2.4 Zystische Anomalien
große langsam wachsende Zysten, Manifestation zwi-
Zystische Strukturanomalien können angeboren oder er- schen dem 40.und 50.Lebensjahr,symptomatisch durch
worben sein und entstehen entsprechend durch primäre Flankenschmerzen, palpable Tumoren, renaler Hyper-
Funktionsstörungen oder sekundäre Erweiterungen der tonus, Makrohämaturie, Nephrolithiasis, Harnwegsin-
Nephrone und Sammelrohre. Hauptsymptome sind Abdo- fekte, progrediente Abnahme der Nierenfunktion mit
minal- und Flankenschmerzen, tastbare Raumforderung, terminaler Niereninsuffizienz und Dialysepflicht, oft
Makrohämaturie und renaler Hypertonus. Die Diagnose auch Zysten in Leber, Pankreas, Milz und Lungen, keine
erfolgt durch Sonographie, Ausscheidungsurogramm, re- kausale Therapie möglich, Untersuchung von Familien-
trograde Pyelographie, Szintigraphie. angehörigen und genetische Beratung

Multizystische Nierendysplasie Markschwammnieren


Die betroffenen Nieren sind funktionslos (nur einseitiges Die Markschwammniere ist eine angeborene,nichterbliche
Auftreten). Sie sind gekennzeichnet durch multiple Zysten zystische Fehlbildung. Sie ist charakterisiert durch zysti-
unterschiedlicher Größe, die bindegewebig miteinander sche Erweiterungen der Sammelrohre im Bereich des Nie-
verbunden sind.Das Nierenbecken ist dysplastisch,der Ure- renmarks.Bei etwa 50% der Patienten besteht eine renal tu-
ter meist atretisch oder nicht nachweisbar. Die Nephrekto- buläre Azidose mit renaler Hyperkalziurie, die zu einer
mie ist nur bei ausgeprägter Verdrängungssymptomatik Nephrokalzinose führt. Weitere Symptome sind Harn-
oder Komplikationen (Steinbildung, renaler Hochdruck) wegsinfekte und Makrohämaturie. Die Therapie erfolgt
indiziert. Differentialdiagnostisch muss ein maligner Tu- symptomatisch.
mor ausgeschlossen werden.

Fehlbildungen und urologische Erkrankungen im Kindesalter 899


Nierenzysten
Einfache Nierenzysten treten isoliert oder multipel in einer
oder beiden Nieren auf. Sie entwickeln sich langsam und
sind daher im Kindesalter selten. Sonographisch sind sie
scharf begrenzt, rundlich und echofrei mit dorsaler Schall-
verstärkung. Beschwerden treten meist nur bei großen Zy-
sten, Blutung, Infektion oder Ruptur auf. Sie können dann
offen oder laparoskopisch reseziert werden. Die Zysten-
punktion hat eine hohe Rezidivquote. Zystenwandkarzi-
nome sind eine Rarität.

Klinischer Fall
Bei der gekreuzten Nierendystopie handelt es sich
(A) gewöhnlich um eine bilaterale, symmetrische Verschmelzungsniere
(B) definitionsgemäß um zwei normal positionierte, aber malrotierte Nieren
(C) um eine typische, symmetrische Hufeisenniere
(D) im Allgemeinen um eine Thoraxniere
(E) um eine Anomalie, die mit vesikoureteralem Reflux assoziiert sein kann
Lösung: E

5.3 Harnleiter
Kurzzusammenfassung
Angeborene Anomalien der Ureteren sind häufig.Viele bleiben asymp-
tomatisch und werden nur zufällig bei sonographischen Untersu-
chungen festgestellt. Doppelbildungen entstehen gemeinsam mit a
X Doppelnieren. Stenosen der Harnleiter finden sich oft am Nieren-
beckenabgang mit konsekutiven Hydronephrosen. Der obstruktive
Megaureter entsteht in Folge einer Stenose an der Uretermündung.
Ektop mündende Ureteren führen zu Abflussstörungen,Harninkonti-
nenz bei Mädchen und rezidivierenden Infekten von Prostata und Ne-
benhoden beim Jungen. Ein vesikoureteraler Reflux wird durch rezi-
divierende Infekte symptomatisch.Dabei können der gesamte Ureter
und das Nierenbecken dilatiert sein.Durch chronische Pyelonephriti-
den besteht die Gefahr der irreversiblen Nierenparenchymschädi-
gung.EineTherapie der verschiedenen Fehlbildungen ist meist nur bei
Komplikationen notwendig.

5.3.1 Doppelbildungen
Siehe auch ¶ Abb. 5.4.
‹ Ureter fissus: inkomplette Doppelbildung, bei der sich
beide Ureteren vereinigen und mit einem Ostium in
die Harnblase münden, meist symptomlos, selten ure-
teroureteraler Reflux („Pendelurin“, „Jo-Jo-Phäno-
men“) mit Harnabflussstörung, Hydronephrose und
Infekten
‹ Ureter duplex: komplette Doppelbildung, bei der beide
Harnleiter über ein getrenntes Ostium in die Harnbla-
se münden, oft asymptomatisch, je nach Ausprägung
von Reflux und Obstruktion Schädigung des Nierenpa-
renchyms bis zur Funktionslosigkeit

Merke ‹Der Ureter aus der unteren Nierenanlage mündet kranialer b


als der Ureter aus der oberen Nierenanlage.Beide kreuzen im kleinen
Abb. 5.4. Doppelbildungen des Ureters.a Ureter duplex,b Ureter fissus
Becken (Meyer-Weigert-Regel). Der kranial mündende Ureter ist re-
fluxiv, der kaudal mündende obstruktiv (oft mit Ureterozele).

900 Urologie
5.3.2 Stenosen des Harnleiters ‹ bei erhaltener Restfunktion Rekonstruktion durch
Neuimplantation des Ureters in die Blase (Ureterozys-
Stenosen können in allen Abschnitten des Harnleiters auf-
toneostomie) mit Antirefluxplastik
treten. Sie sind häufig angeboren, können aber auch se-
‹ bei funktionsloser Niere Nephroureterektomie
kundär nach Infektionen, Traumen, Operationen oder
durch Obstruktion von außen (Tumoren, Lymphome) ent-
stehen. Die meisten Stenosen bleiben asymptomatisch Retrokavaler Ureter
und werden nur zufällig sonographisch entdeckt. Durch
In seltenen Fällen verläuft der rechte Ureter hinter der V.cava
Ausscheidungsurogramm und retrograde Ureteropyelo-
inferior zur Blase.Der charakteristische Harnleiterverlauf ist
graphie kann die genaue Lokalisation und Länge der Ste-
im Urogramm nachweisbar. Besteht eine relevante Harnab-
nose bestimmt werden. Auch ein Reflux muss ausge-
flussstörung,erfolgt die operative Durchtrennung des Harn-
schlossen werden. Symptomatisch werden die Stenosen
leiters mit End-zu-End-Anastomose vor der Hohlvene.
meist erst bei auftretenden Komplikationen (palpabler
Tumor, Harnwegsinfekt mit Pyonephrose, Steinbildung,
akuter Verschluss mit Anurie, progredientes Nierenversa- 5.3.3 Mündungsanomalien
gen). Eine operative Korrektur ist nur notwendig, wenn
eine Minderfunktion gegenüber der anderen Niere und Ureterozele
eine Obstruktion mit deutlich verzögerter Ausscheidung
Bei Mündungsstenosen oder häufiger bei ektop münden-
vorliegen. Bei Sepsis oder Pyonephrose erfolgt zunächst den Harnleitern (z.B. bei Doppelanlage) kann es zu einer
die perkutane Nephrostomie und erst im Intervall die de- zystischen Erweiterung des intravesikalen Ureters kom-
finitive Versorgung. men.Vor allem Ureterozelen in ektopen Ureteren führen zu
einer Abflussstörung mit Dilatation der Zele und des obe-
Ureterabgangsstenose ren Harntraktes. Große Zelen können den Blasenhals ob-
struieren. Bei symptomatischen Ureterozelen erfolgt beim
Ätiologie/Pathogenese ‹ Kind die submuköse Ausschälung des erweiterten Seg-
‹ am häufigsten enges aperistaltisches Harnleitersegment mentes und antirefluxive Neuimplantation des Ureters.
direkt zwischen Nierenbecken und Harnleiter Beim Erwachsenen ist oft eine endoskopische Schlitzung
‹ außerhalb des Ureters liegende Verwachsungen
(Cave: postoperativer Reflux) ausreichend.
‹ aberrierende Gefäße
Jede relevante Stenose führt zur Harnabflussstörung mit
Ureterektopie
konsekutiver Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems
und progredientem Funktionsverlust der Niere.
X
Ektope Harnleiter münden nicht an typischer Stelle, son-
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ dern weiter kaudal in Harnblase, Blasenhals oder außer-
‹ oft asymptomatisch halb der Blase. Der ektope Harnleiter gehört meist zum
‹ Flankenschmerzen,häufig nach Aufnahme großer Flüs- kranialen Abschnitt einer Doppelniere.
sigkeitsmengen ‹ Mädchen: Mündung distal des urethralen Sphinkters in
‹ klopf- und druckschmerzhaftes Nierenlager Vagina, hintere Urethra, Uterus oder selten im Rektum,
‹ bei Kindern Wachstums- und Gedeihstörungen Leitsymptom: Urininkontinenz
Therapie ‹ ‹ Jungen: Mündung proximal des urethralen Sphinkters in
‹ bei asymptomatischen Stenosen mit normaler Nieren- prostatische Harnröhre,Samenblasen oder Ductus defe-
funktion sonographische Kontrolle rens, Leitsymptom: rezidivierende Epididymitis, Prosta-
‹ bei erhaltener Restfunktion Nierenbeckenplastik titis und Vesikulitis
‹ bei funktionsloser Sackniere Nephrektomie Ektope Ureter sind oft obstruktiv und führen zur Ausbildung
eines Megaureters mit Hydronephrose und Funktionsverlust
Uretermündungsstenose des betroffenen Nierenabschnitts. Die Therapie bei guter
Nierenfunktion besteht in der Ureterozystoneostomie. Bei
Definition ‹Dilatation des gesamten Ureters durch funktionsloser Niere oder septischen Komplikationen ist eine
‹ Abflussstörungen im Bereich der Uretermündung ⇒ Nephroureterektomie (bzw. Heminephrektomie) indiziert.
primär obstruktiver Megaureter
‹ Abflussbehinderung distal der Blase ⇒ sekundär ob-
5.3.4 Vesikorenaler Reflux
struktiver Megaureter
Das Nierenbecken selbst ist oft nicht oder nur wenig dila- Definition ‹ Zurückfließen des Urins aus der Blase in den
tiert. Harnleiter oder das Nierenbecken während Blasenfüllung
Ätiologie/Pathogenese ‹ oder Miktion als Folge von Ostienanomalien oder zu ho-
‹ prävesikal funktionell enggestelltes Uretersegment hem Blaseninnendruck.
‹ Ureterklappen Einteilung nach Heikel und Parkkulainen (¶ Abb. 5.5)
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ ‹ Grad I: Reflux in den distalen Ureter
‹ keine charakteristischen Symptome ohne zusätzliche ‹ Grad II: Reflux bis zum Nierenbecken ohne Dilatation
Komplikationen (Infekte, Steinbildung) ‹ Grad III: Reflux mit geringer Dilatation von Ureter und
‹ bei Kindern Bauchschmerzen und Gedeihstörungen Nierenbecken
Therapie ‹ ‹ Grad IV: Reflux mit deutlicher Dilatation von Ureter, Nie-
‹ bei asymptomatischen Stenosen mit normaler Nieren- renbecken und Nierenkelchen ohne Elongation des Ure-
funktion sonographische Kontrolle ters

Fehlbildungen und urologische Erkrankungen im Kindesalter 901


5.4 Blase und Harnröhre
Kurzzusammenfassung
Die schwerwiegendste Fehlbildung der Blase ist die Ekstrophie mit
fehlendem Verschluss der vorderen Bauchwand, Skelettmissbildun-
gen und epispader Harnröhre. Die Epispadie kann auch ohne Beteili-
gung der Blase vorliegen.Die Harnröhre mündet dorsal und der Penis
krümmt sich nach dorsal im Gegensatz zur Hypospadie,die durch eine
ventrale Harnröhrenmündung und Penisverkrümmung gekennzeich-
net ist. Eine unvollständige Rückbildung des Urachus führt zu Ura-
chuspersistenz, -divertikeln oder -zysten. Angeborene Stenosen der
Harnröhre sind selten und treten bei Jungen häufiger auf.
Abb. 5.5. Klassifikation des vesikorenalen Reflux nach Parkkulainen.Aus [2]

‹ Grad V: massiver Reflux mit ausgeprägt dilatiertem und


geschlängeltem Ureter sowie dilatiertem Nierenbecken- 5.4.1 Harnblasendivertikel
kelchsystem Lokalisierte sackförmige Ausstülpungen der Blasenwand
Ätiologie/Pathogenese ‹ Der langstreckige Verlauf des termi- oder der Schleimhaut (Pseudodivertikel) können angeboren
nalen Ureters in der Harnblasenwand wirkt zusammen mit oder erworben sein. Sie entstehen durch eine Blasenwand-
dem gerichteten Muskelzug während der Miktion als Anti- schwäche, bei erworbenen Divertikeln häufig verursacht
refluxmechanismus. Bei Insuffizienz dieses Ventils (kurzer durch infravesikale Obstruktion oder neurogene Blasenent-
intramuraler Harnleiterverlauf, Ektopie, dysmorphe Osti- leerungsstörung.Charakteristisch ist die zweizeitige Miktion.
en) tritt ein vesikorenaler Reflux auf.Dies betrifft vor allem Die Divertikel können zu Abflussstörungen eines Harnleiters
das untere Segment einer Doppelniere.Viele Neugeborene oder Blasenentleerungsstörungen führen und begünstigen
haben einen Reflux, der sich jedoch in den ersten Lebens- persistierende Infekte und Blasensteinbildung. Bei diesen
jahren durch Reifung des Ostiums zurückbildet. Komplikationen ist die Resektion des Divertikels indiziert.
‹ primärer Reflux: angeborene Veränderungen des uretero-
vesikalen Übergangs 5.4.2 Urachuspersistenz
‹ sekundärer Reflux: subvesikale Obstruktion, neurogene
Blase, entzündliche Veränderungen, iatrogene Schädi- Der Urachus ist eine fetale Verbindung zwischen Blase und
X gung von Trigonum oder Ostium späterer Nabelschnur (Allantois-Gang). Normalerweise
obliteriert er völlig. Störungen der Urachusrückbildung
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ Leitsymptom: rezidivierende Harnwegsinfekte führen zu unterschiedlichen Anomalien. Therapie der
‹ uncharakteristische Bauch- und Flankenschmerzen Wahl ist die Exzision.
‹ Gefahr der Nierenschädigung durch chronische Pyelo- ‹ persistierender Urachus: Fistel zwischen Blase und Nabel mit

nephritis und Druckerhöhung tröpfelndem Urinabgang über den Nabel


Diagnose ‹ Sonographie, Miktionszystourethrogramm, i.v.- ‹ Urachuszyste: nach beiden Seiten verschlossene, mit

Urogramm. Schleim gefüllte Zyste im mittleren Anteil des Urachus,


Therapie Gefahr der Infektion mit Abszedierung und maligner
‹ konservativ: bei Kleinkindern mit Reflux Grad I–III, häu- Entartung
fige und vollständige Entleerung der Blase, Infektbe- ‹ Urachussinus: Persistenz der Mündung am Nabel mit ge-

handlung und langfristige Antibiotikaprophylaxe, bei ringer Sekretion, mögliche Infektion


neurogener Blase Einmalkatheterismus ‹ Urachusdivertikel: Persistenz der Mündung zur Blase bildet

‹ operativ: bei Reflux Grad IV und V (geringe Spontanhei- Divertikel am Blasendach


lung), begleitenden Fehlbildungen und Durchbruchin-
fektionen trotz antibiotischer Prophylaxe antirefluxive 5.4.3 Blasenekstrophie
Ureterneuimplantation ( z.B. nach Lich-Grégoir oder
Politano-Leadbetter) Spaltbildungen der vorderen Bauchwand entstehen durch
embryonale Hemmungsmissbildungen im Bereich der Kloa-
kenmembran.Die Blasenekstrophie ist eine sehr seltene Fehl-
bildung. Blasenhinterwand und Trigonum liegen als Blasen-
Klinischer Fall platte offen und gehen direkt in die Bauchhaut über, die Bla-
Bei einem 2-jährigen Mädchen wird anlässlich der Abklärung rezidivierender senvorderwand fehlt. Die Harnröhre ist gespalten und liegt
Harnwegsinfekte ein vesikoureteraler Reflux, Grad 2 nach Parkkulainen, links dia- beim Jungen der Dorsalseite des Penis auf. Gleichzeitig be-
gnostiziert. Zystoskopisch zeigt sich eine diskrete Ostienveränderung.Welche Be- stehen Skelettmissbildungen mit weit klaffender Symphyse
handlung ist zunächst angezeigt? und Außenrotation der Oberschenkel.Ohne Therapie kommt
(A) Antibiotische Dauerprophylaxe es zu rezidivierenden Harnwegsinfekten mit aszendierenden
(B) transvesikale Antirefluxplastik nach Politano-Leadbetter (Reimplantationtechnik) Pyelonephritiden und progredienter Niereninsuffizienz.Me-
(C) transvesikale Antirefluxplastik nach Cohen taplasien der Blasenschleimhaut sind häufig und begünstigen
(D) die extravesikale Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir (Verlagerungstechnik) die Entstehung eines Blasenkarzinoms. Ziel der Therapie ist
(E) Meatotomie und Harnröhrenschlitzung eine Beseitigung der Urininkontinenz.Ist eine Rekonstrukti-
Lösung: A on nicht möglich, wird eine hohe Harnableitung angelegt
(Conduit, Harnleiter-Darm-Implantation, Neoblase).

902 Urologie
5.4.7 Meatusstenose

Angeborene Meatusstenosen sind sehr selten. Die häufig-


ste Ursache ist eine narbige Verengung nach Entzündungen
oder Zirkumzision. Symptomatisch wird die Meatussteno-
se durch den feinen geteilten Harnstrahl und rezidivieren-
de Infekte. Durch Uroflowmetrie wird das Ausmaß der Ob-
struktion quantifiziert.Die Therapie besteht in endoskopi-
scher Schlitzung (Meatotomie).

Klinischer Fall
Welche Aussage trifft nicht zu? Die Hypospadie (beim männlichen Geschlecht)
(A) entsteht ausschließlich durch eine fehlende Rückbildung der Müller-Gänge
(B) lässt sich nach der Position des Ostium urethrae externum einteilen
(C) kann mit einer Penisverkrümmung vergesellschaftet sein,die eine Behinde-
rung der Immissio penis verursacht
Abb. 5.6. Mögliche Lokalisation des Meatus bei Hypospadie.Aus [2]
(D) geht typischerweise mit einer dorsalen Vorhautschürze einher
(E) kann mit einer Meatusstenose einhergehen
5.4.4 Epispadie Lösung: A

Bei der Epispadie liegt eine dorsale Spaltmissbildung im


Bereich der Urethra mit oder ohne Beteiligung des Sphink-
ters vor. Beim Jungen liegt die Mündung der Harnröhre auf 5.5 Genitale
der Dorsalseite des Penis, der distal davon gespalten ist
(Leitsymptom: gespaltene Glans penis). Der Penis ist meist Kurzzusammenfassung
verkürzt und nach dorsal gekrümmt mit ventraler Präpu- Fehlbildungen der äußeren und inneren Genitalien betreffen über-
tialschürze. Beim Mädchen ist die Klitoris in die Spaltbil- wiegend die verschiedenen Formen der Intersexualität.Das phänoty-
dung mit einbezogen. Die komplette Epispadie führt bei pische Geschlecht zeigt dabei alle Übergangsstufen zwischen weibli-
beiden Geschlechtern zur Inkontinenz, rezidivierenden chem und männlichem Genitale. Chromosomale Störungen führen
Harnwegsinfekten und beim Mann zu Kohabitations- meist zur Infertilität. Fehlanlagen der Gonaden werden als echte X
störungen. Die Therapie besteht in der operativen Korrek- Zwitterbildungen (Hermaphroditismus), phänotypische Intersexbil-
tur mit Urethraplastik und Penisaufrichtung. Auch durch dungen als Pseudohermaphroditismus bezeichnet. Isolierte Genital-
Rekonstruktionen des Sphinktersystems kann eine Konti- fehlbildungen sind Lageanomalien des Hodens und die Phimose.
nenz nicht immer erreicht werden.

5.4.5 Hypospadie 5.5.1 Intersexualität


Die Hypospadie ist eine ventrale Spaltmissbildung im Be- Siehe auch Gynäkologie, Kap. 1.1.
reich von Urethra und Penis durch Verschlussstörung der Störungen der sexuellen Differenzierung gehen oft mit in-
Urethralfalten (¶ Abb. 5.6). Das Sphinktersystem ist nie be- tersexuellen Fehlbildungen des äußeren Genitale einher.
troffen. Die Harnröhre mündet auf der ventralen Penisseite Die Diagnose sollte in den ersten Lebenswochen gesichert
(Hypospadia glandis, penilis, penoscrotalis, perinealis). Der werden,um eine fehlerhafte Geschlechtszuordnung zu ver-
Meatus ist häufig eng. Anstelle der distalen Urethra findet hindern. Je nach Genitalbefund können virilisierende Auf-
sich ein bindegewebiger Strang.Der Penis ist nach ventral ge- bauplastiken oder feminisierende Reduktionsplastiken
krümmt mit dorsaler Präputialschürze. Klinisch bestehen durchgeführt werden.
Miktionsstörungen und Kohabitationsschwierigkeiten. Es
existieren viele operative Verfahren zur Rekonstruktion der
Genetische Intersexualität
Urethra und Aufrichtung des Penis. Asymptomatische For-
men der Hypospadia glandis bedürfen keiner Therapie. ‹ Klinefelter-Syndrom: Karyotyp 47 XXY ⇒ Hodenatrophie,
infantiles Genital, nach der Pubertät Hochwuchs, Gynä-
komastie, weiblicher Behaarungstyp, manchmal geisti-
5.4.6 Harnröhrenklappen
ge Retardierung. Therapie: Testosteron-Substitution
Klappen in der Harnröhre führen zur Behinderung der Bla- ‹ Turner-Syndrom: Karyotyp 45 XO ⇒ Gonadendysgenesie
senentleerung,die auf den oberen Harntrakt fortgeleitet wird („Streak-Gonaden“) ohne Hormonproduktion, normal
und die Ausbildung von Megaureteren und Hydronephrosen entwickelte äußere Genitale sowie Uterus und Eileiter,
bewirkt. Durch die Blasenwandhypertrophie kommt es Minderwuchs, fehlende Pubertätsentwicklung. Thera-
gleichzeitig oft zum sekundären Reflux. Man unterscheidet: pie: Östrogensubstitutionsbehandlung ab der frühen
‹ hintere Harnröhrenklappen: zwischen prostatischer und Pubertät, Wachstumshormone
membranöser Harnröhre ‹ gemischte Gonadendysgenesie: Mosaikbildungen 45 XO/46
‹ vordere Harnröhrenklappen: Harnröhrendivertikel in der XY oder 46 XX/46XY, ein normaler Hoden mit kon-
bulbären und penilen Harnröhre, sehr selten tralateraler Streak-Gonade ohne Keimzellen, alle For-
Therapie der Wahl ist die endoskopische Klappenschlit- men zwischen männlichem und weiblichem Phänotyp
zung oder Resektion. möglich. Therapie: Entfernung der rudimentären Go-
nade, da Gefahr der malignen Entartung

Fehlbildungen und urologische Erkrankungen im Kindesalter 903


Gonadale Intersexualität Skrotum (Reifezeichen des Neugeborenen).
‹ Kryptorchismus: allgemeiner Begriff für nichtpalpablen
‹ echter Hermaphroditismus: einseitiges oder bilaterales Vor- Hoden aufgrund einer Dystopie (¶ Abb. 5.7) oder
kommen von Hoden und Ovar oder einer kombinierten Agenesie
Gonade (Ovotestis) mit Keimzellen, alle phänotypi- ‹ Hodenretention: Störungen des Deszensus mit Lagean-
schen Formen der Intersexfehlbildung möglich. Thera- omalien des Hodens, der abdominal, inguinal oder prä-
pie: nach Geschlechtszuordnung Entfernung der kon- skrotal liegen kann.
tralateralen Gonade und plastische Korrektur des äuße- ‹ Gleithoden: Hoden in Höhe des äußeren Leistenrings, der
ren Genitales nach manueller Reposition in das Skrotum wieder in
‹ reine Gonadendysgenesie: beidseitige funktionslose Streak- seine Ausgangslage zurückkehrt
Gonaden, rein weiblicher Phänotypus, keine Feminisie- ‹ Pendelhoden: frei zwischen Leiste und Skrotalfach beweg-
rung während der Pubertät. Therapie: Entfernung der licher Hoden, der nach Reposition für einige Zeit im
Streak-Gonaden, Östrogensubstitution Skrotum verbleibt
‹ Hodenektopie: Hodenlage außerhalb der Deszensusbahn
(femoral, krural, epifaszial)
Somatische Intersexualität
Um eine dauerhafte Schädigung des Hodens mit Inferti-
‹ Adrenogenitales Syndrom (AGS): Enzymdefekt im Steroid- lität zu verhindern, muss die Hodenlage bis spätestens
stoffwechsel ⇒ gestörte Kortisolproduktion, vermehr- Ende des 2. Lebensjahres korrigiert werden. Bei der Ho-
te ACTH-Ausschüttung, reaktiv vermehrte Bildung von denretention erfolgt der Deszensus während der ersten
Testosteron, in etwa 50% mit Salzverlustsyndrom Monate nach Geburt oft spontan, sodass in dieser Zeit kei-
– Mädchen: normal angelegte Ovarien, Uterus und Tu- ne Therapie notwendig ist. Bleibt er aus, kann eine hormo-
ben,Virilisierung des äußeren Genitales mit Klitoris- nelle Therapie mit GnRH-Analoga und HCG eingeleitet
hyperplasie und skrotumartiger Veränderung der La- werden. Ist auch diese ohne Erfolg oder liegt eine Hoden-
bien (Einteilung nach Prader), primäre Amenorrhoe ektopie vor, muss der Hodens mobilisiert, in das Skrotal-
– Jungen: keine genitalen Fehlbildungen, Pubertas pra- fach verlagert und fixiert werden (Orchidopexie). Nicht-
ecox mobilisierbare Bauchhoden, funktionslose oder atrophi-
‹ Therapie: Substitution mit Glukokortikoiden, beim sche Hoden müssen entfernt werden, da bei dystopen
Mädchen plastische Korrektur Hoden ein 20-mal höheres Entartungsrisiko besteht. Auch
‹ Pseudohermaphroditismus masculinus: Störung der Testoste- nach Orchidopexie bleibt das Risiko erhöht, sodass regel-
ronsynthese oder Androgenrezeptordefekt, bei kom- mäßige Kontrollen erfolgen müssen.
X pletter Androgenresistenz (testikuläre Feminisierung) Klinik ‹ Prune-Belly-Syndrom (Pflaumenbauch): seltene
männlicher Genotyp (46 XY) mit weiblichem Phänotyp, Fehlbildung unklarer Genese (1:40000-50000).Kennzeich-
beidseitige Leistenhoden,rudimentäre Vagina,kein Ute- nend ist die Trias Aplasie bzw. Hypoplasie der Bauchdecke,
rus oder Eileiter, primäre Amenorrhoe, fehlende Anomalien der Niere und ableitenden Harnwege (erheb-
Schambehaarung („hairless woman“). Therapie: weib- lich vergrößerte schlaffe Harnblase [Megazystis], dilatier-
liche Geschlechtszuordnung, Entfernung der Leisten- te Harnleiter, meist vesikoureteraler Reflux, Erweiterung
hoden wegen Entartungsgefahr des Nierenhohlsystems, hypoplastische Prostata) sowie
beidseitiger Kryptorchismus.
5.5.2 Lageanomalien des Hodens
5.5.3 Phimose
Während der Embryonalentwicklung wandert der Hoden
von der Bauchhöhle zu seiner endgültigen Position im Im Neugeborenen- und Säuglingsalter ist die Verklebung
des inneren Vorhautblattes mit der Glans penis physio-
logisch. Ist die Vorhaut nach dem 3. Lebensjahr verlän-
gert und verengt, sodass das Zurückstreifen über die
Glans unmöglich ist, spricht man von einer Phimose.
Folgen der Vorhautverengung sind Smegmaretention
mit chronischen Balanitiden und eine Harnwegsobstruk-
tion, die bei hochgradiger Einengung zur Ballonierung
der Vorhaut bei Miktion führen kann. Im Erwachsenen-
alter ist das Peniskarzinomrisiko deutlich erhöht. Zur
Therapie oder Vorbeugung von Komplikationen sollte
eine Phimose nach dem 3. Lebensjahr operativ durch
komplette Entfernung der Vorhaut (Zirkumzision) be-
handelt werden.
Klinik ‹ Bei Retraktionsversuchen kann es zur Einklem-
mung der zurückgezogenen Vorhaut im Sulcus coronari-
us (Paraphimose) mit schmerzhaftem Ödem der Glans
kommen. Therapie der Wahl ist der sofortige manuelle
Repositionsversuch nach Ausdrücken des Ödems oder die
Inzision des Schnürrings mit späterer Zirkumzision.

Abb. 5.7. Hodendystopie. Hodenretentionen a präskrotal, b inguinal, c abdominell,


Hodenektopien d superfaszial-inguinal,e,f femoral.Aus [4]

904 Urologie
5.6 „Akutes Skrotum“ im Kindesalter 5.6.5 Entzündungen

Siehe auch Kap. 6.7.


Kurzzusammenfassung
Das „akute Skrotum“ umfasst verschiedene Erkrankungen, die mit ‹ Epididymitis: im Kindesalter sehr selten, als Folge von in-
rasch einsetzenden Schmerzen und Schwellung einhergehen und fravesikaler Obstruktion, Harnwegsinfekt oder Ureter-
dringlich abgeklärt werden müssen. Im Kindesalter sind Hodentorsi- ektopie
on, Hydatidentorsion, inkarzerierte Skrotalhernie und Hodentrauma ‹ Orchitis: hämatogene Entstehung bei Infektionskrank-
die häufigsten Ursachen.Entzündungen sind selten. heiten (Mumps, Windpocken, Mononukleose, Influen-
za), Sepsis oder fortgeleiteter Epididymitis, nach
Mumpsorchitis häufig irreversible Schädigung der
Spermiogenese am betroffenen Hoden
5.6.1 Hodentorsion
Ätiologie/Pathogenese ‹ Akute Stieldrehung des Hodens und
Merke ‹Jede schmerzhafte Schwellung des Hodens im Kindesalter
Nebenhodens mit Unterbrechung der Blutzirkulation und
ist immer verdächtig auf eine Hodentorsion.Im Zweifel erfolgt die so-
hämorrhagischer oder anämischer Infarzierung und Funk-
fortige operative Freilegung.
tionsverlust, Ursache meist unklar (¶ Abb. 5.8).
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ plötzlich auftretende heftige Schmerzen mit Ausstrah-
lung in Leiste und Abdomen 5.7 Tumoren im Kindesalter
‹ äußerst druckschmerzhafter Hodenhochstand
‹ keine Schmerzlinderung durch Hodenhochlagerung
(Prehn-Zeichen negativ) Siehe auch Pädiatrie, Kap. 10.5.
‹ dopplersonographischer Nachweis einer Minderperfu-
sion (in der Frühphase der Torsion oder bei Torsionen Kurzzusammenfassung
< 360° oft noch messbarer Flow) Bei kindlichen Tumoren überwiegen die mesenchymalen Neubildun-
Therapie ‹ Sofortige operative Freilegung, Detorquierung gen. Karzinome kommen nur sehr selten vor. Die Diagnostik umfasst
und Orchidopexie (aus prophylaktischen Gründen auch Sonographie, Ausscheidungsurogramm und CT. Die Therapie erfolgt
der Gegenseite), infarzierte Hoden werden entfernt. meist als Kombinationstherapie aus Radiochemotherapie und Opera-
tion, die von Kindern deutlich besser toleriert wird als von Erwachse-
5.6.2 Hydatidentorsion nen. Die häufigsten kinderurologischen Malignome sind der Wilms- X
Tumor und das Neuroblastom.Seltener finden sich Rhabdomyosarko-
Die Torsion einer Hydatide am Hoden oder Nebenhoden me und Hodentumoren (s.Kap.7.5).
gleicht klinisch der Hodentorsion. Da eine Unterscheidung
oft nicht möglich ist, erfolgt die operative Freilegung und
Abtragung der torquierten Hydatide.
5.7.1 Wilms-Tumor
Ätiologie/Pathogenese ‹Der Wilms-Tumor ist ein hoch malig-
5.6.3 Inkarzerierte Skrotalhernie
ner embryonaler Mischtumor des Kleinkindalters (45%
Leistenhernien im Kindesalter haben ihre Ursache meist in < 3 Jahre, 84% < 6 Jahre). Je älter die Patienten, umso häu-
einem offenen Processus vaginalis. Deshalb treten über- figer finden sich prognostisch ungünstigere Stadien. Die
wiegend indirekte Hernien auf, die bis in das Skrotum rei- Stadieneinteilung erfolgt nach der Tumorausdehnung (Ta-
chen können. Bei Säuglingen besteht besonders hohe In- belle 5.1).
karzerationsgefahr. Inkarzerierte Hernien müssen notfall- Klinisches Bild/Symptomatik ‹
mäßig operiert werden. ‹ palpabler Abdominaltumor (häufigstes Erstsymptom!)
‹ Schmerzen
‹ Hämaturie
5.6.4 Hodentrauma
‹ Fieber
Stumpfe Hodentraumen können zu einem Einriss der Tu- Therapie ‹
nica albuginea mit Ausbildung einer Hämatozele führen. ‹ Stadium I und II: Tumornephrektomie und adjuvante Che-
Diese lässt sich sonographisch darstellen. Rupturstellen motherapie über 6–9 Monate (je nach Stadium)
werden übernäht und das Hämatom ausgeräumt. Bei in- ‹ Stadium III–V: präoperative Radiochemotherapie zum
takter Tunika ist ein konservatives Vorgehen indiziert. „Downsizing“,anschließend radikale Tumorentfernung
oder bei bilateralem Befall, wenn möglich, organerhal-
tende Tumorchirurgie, adjuvante Chemotherapie

Tabelle 5.1. Stadieneinteilung des Wilms-Tumors (National Wilms Tumor Study,NWTS)

I Tumor auf eine Niere beschränkt, komplett entfernt


II Tumor überschreitet die Nierenkapsel, komplett entfernt
III nichthämatogene Tumoraussaat im Abdomen (Tumor-
ruptur, peritoneale Implantate, Lymphknotenbefall, inkom-
plette Resektion)
a b c IV hämatogene Metastasen in Lunge, Leber, Knochen und
Gehirn
Abb. 5.8.a-c Formen der Hodentorsion. a extravaginal, b intravaginal, c mesorchial.
Aus [2] V bilateraler Wilms-Tumor

Fehlbildungen und urologische Erkrankungen im Kindesalter 905


Tabelle 5.2. Stadieneinteilung des Neuroblastoms (nach Evans et al.) obstruktive Anomalien mit konsekutivem Harnwegsinfekt
die wichtigste Rolle. Auch Stoffwechselanomalien (z.B. re-
I Tumor auf das Ausgangsorgan begrenzt
nal tubuläre Azidose, Zystinurie) und Zytostatikabehand-
II Infiltration der Umgebung und/oder ipsilateraler
Lymphknotenbefall lung können eine Steinbildung im Kindesalter verursa-
III Ausbreitung des Tumors auf die Gegenseite, beid- chen. Symptomatik und Therapie entsprechen der älterer
seitiger Lymphknotenbefall Patienten.
IV Fernmetastasen (Knochen, Leber, Lunge)
IV-S Säuglingsalter: lokales Stadium III mit Metastasen
in Leber, Haut oder Knochenmark 6 Entzündungen
Zusammenfassung
Prognose ‹Rezidivfreies Überleben: Stadium I = 97%, Stadi-
Urogenitalinfekte entstehen hämatogen oder durch aufsteigende In-
um II = 94%, Stadium III = 88%, Stadium IV = 47%, Stadi-
fektionen. Zunächst lokal begrenzte Entzündungen breiten sich oft
um V = 75%.
auf andere Organe des Urogenitaltraktes aus. Unkomplizierte Harn-
wegsinfekte heilen oft spontan aus. Komplizierte Harnwegsinfekte
5.7.2 Neuroblastom mit zusätzlichen Anomalien des Harntraktes, Obstruktion, Reflux,
Steine, Tumoren oder Blasenentleerungsstörungen, müssen ausrei-
Ätiologie/Pathogenese ‹ Neuroblastome entstehen aus unrei-
chend lang antibiotisch behandelt werden.Oft heilen sie nicht aus,so-
fen Neuroblasten des sympathischen Nervensystems. Sie
lange die auslösende Ursache nicht beseitigt ist.Persistierende Harn-
kommen am häufigsten im Nebennierenmark und den re-
wegsinfekte werden durch einen dauerhaften Keimherd mit immer
troperitonealen sympathischen Ganglien vor. Die Mehr-
dem gleichen Erreger unterhalten. Rezidivierende Infekte werden
zahl der Tumoren ist endokrin aktiv. Sie treten bevorzugt
durch jeweils neue Keime hervorgerufen. Unspezifische Infekte wer-
in den ersten zwei Lebensjahren auf und werden meist erst
den meist durch gramnegative Keime (E.coli [70%],Proteus,Klebsiel-
im fortgeschrittenen Stadium symptomatisch. Je älter die
len,Enterobakter) verursacht.Spezifische Infektionen durch Tbc oder
Patienten sind, umso eher treten undifferenzierte Formen
Bilharziose sind selten.
mit schlechter Prognose auf.
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ allgemeine Tumorzeichen ⇒ Gewichtsverlust, Fieber,
Blässe, Inappetenz 6.1 Nieren und Nierenhüllen
‹ tastbarer Abdominaltumor
‹ Lymphknotenvergrößerungen Kurzzusammenfassung
X ‹ neurologische Ausfallserscheinungen infolge Rücken- Entzündungen der Nieren entstehen meist kanalikulär-aszendierend
markskompression und sind oft mit Harnabflussstörungen verbunden.Vor allem im Kin-
‹ bei endokrin aktiven Tumoren (Katecholaminproduk- desalter werden rezidivierende Infekte durch Missbildungen des Uro-
tion ⇒ Ausscheidung von Vanillinmandelsäure) arteri- genitaltraktes oder ein Miktionsfehlverhalten verursacht. Neben der
elle Hypertonie und chronische Diarrhoe Entzündung des Nierenbeckens liegt immer auch eine bakteriell-in-
Therapie ‹Kombinationstherapie aus Operation und Chemo- terstitielle Nephritis vor.Die akute Pyelonephritis kann folgenlos aus-
therapie, nach dem Säuglingsalter zusätzlich Radiotherapie. heilen, Ausgang einer chronischen Pyelonephritis sein oder sich als
Prognose ‹ Rezidivfreies Überleben: Säuglinge = 70–75%, akuter Schub einer bereits chronischen Pyelonephritis manifestieren.
1–2 Jahre = 25–30%, ältere Kinder = 10–15%. Typische Komplikationen sind Pyonephrose,Nierenkarbunkel und der
paranephritische Abszess. Die chronische Pyelonephritis führt durch
Parenchymnarben zur funktionslosen Schrumpfniere.
5.7.3 Rhabdomyosarkom
Ätiologie/Pathogenese ‹ Rhabdomyosarkome sind Tumoren
des embryonalen Mesenchyms mit nachweisbaren querge-
streiften Muskelzellen. Sie können ubiquitär vorkommen.
6.1.1 Akute Pyelonephritis
Im Bereich des Urogenitaltraktes betreffen sie v.a. die Ätiologie/Pathogenese ‹
Harnblase und Prostata. ‹ primäre Form: hämatogen oder lymphogen, häufig
Klinisches Bild/Symptomatik ‹Die Symptomatik ist häufig nicht beidseitig,begünstigt durch Abwehrschwäche (Diabetes
tumorspezifisch (Harnverhalt, Hämaturie, Obstipation). mellitus, Tumorleiden, Immunsuppression) und Medi-
Die Diagnosesicherung erfolgt durch histologische Unter- kamentenabusus (Analgetika!)
suchung einer Tumorbiopsie. ‹ sekundäre Form: kanalikulär-aszendierend, meist ein-
Therapie und Prognose ‹Nur durch die Kombinationstherapie seitig, oft in Verbindung mit Obstruktion, Stenose,
mit radikaler Operation und aggressiver Radiochemothe- Steinbildung, Reflux oder Tumoren
rapie werden Heilungsraten von etwa 50% erreicht. Rhab-
domyosarkome neigen zu Rezidiven und hämatogener Me-
Merke ‹In der Schwangerschaft besteht ein höheres Risiko,an einer
tastasierung mit entsprechend schlechter Prognose. Je äl-
Pyelonephritis zu erkranken,die jedoch oft symptomlos bleibt.Daher
ter die Kinder, desto ungünstiger die Prognose.
muss jeder Harnwegsinfekt während der Schwangerschaft antibio-
tisch behandelt werden!
5.8 Harnsteinleiden
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ Flankenschmerzen
Siehe auch Kap. 8. ‹ Fieber und Schüttelfrost
Die Urolithiasis beim Kind unterscheidet sich nicht we- ‹ dysurische Beschwerden durch begleitende Zystitis
sentlich von der des Erwachsenen. Pathogenetisch spielen ‹ allgemeines schweres Krankheitsgefühl

906 Urologie
Diagnose ‹ ‹ rezidivierende Harnwegsinfekte mit intermittierenden
‹ Labor: Leukozytose, CRP-Erhöhung Fieberschüben
‹ Urinsediment: Leukozyturie, Bakteriurie, Proteinurie, sel- ‹ im Spätstadium: erhöhte Retentionswerte, renale Hy-
ten Zylindrurie, evtl. Mikrohämaturie pertonie
‹ Urinkultur: hämatogene Pyelonephritis ⇒ am häufigsten Diagnose ‹
Staph. aureus, aszendierende Pyelonephritis ⇒ E. coli ‹ Urinsediment: Leukozyturie, Leukozytenzylinder, Pro-
‹ Sonographie: normal konfigurierte Niere, Stauung ⇒ in- teinurie, manchmal Bakteriurie
fizierte Stauungsniere mit Gefahr der Urosepsis ‹ Sonographie: unregelmäßige Nierenkontur, verschmälerter
‹ Urogramm: häufig entzündlich aufgelockertes Nierenpa- Parenchymsaum mit narbigen Einziehungen
renchym, flaue Kontrastmittelausscheidung ‹ Urogramm: verkleinerte Niere, verschmälerter Paren-
Therapie ‹ chymsaum, narbige Einziehungen, Kelchdeformierun-
‹ hochdosiertes Breitspektrumantibiotikum für minde- gen mit verplumpten Kelchen, verminderte Konzen-
stens 7 Tage (nach Abnahme der Urinkultur), ggf. Um- trierungsfähigkeit
setzen nach Antibiogramm (Trimethoprim-Sulfame- Therapie ‹Eine antibiotische Therapie sollte konsequent im
thoxazol, Gyrasehemmer, Nitrofurantoin) akuten Schub und anschließend bei entsprechender Dis-
‹ reichliche Flüssiskeitszufuhr, ggf. parenteral position ggf. als Langzeitprophylaxe durchgeführt werden.
‹ analgetische und antipyretische Medikation Während des symptomarmen Intervalls steht die Beseiti-
‹ nach Abklingen der akuten Phase Ursachenabklärung gung der verursachenden Faktoren im Vordergrund (Sa-
und Behebung pathogenetischer Faktoren nierung einer Obstruktion, Beseitigung anatomischer
Klinik ‹ Abszedierende Pyelonephritis: foudroyanter Verlauf Fehlbildungen, Vermeidung von Dauerkathetern). Als
einer akuten Pyelonephritis mit Bildung multipler Abszesse Spätkomplikation kommt es zur Ausbildung einer pyelo-
im Nierenparenchym und drohender Urosepsis. nephritischen Schrumpfniere, bei beidseitigem Befall oft
mit folgender Dialysepflicht.
6.1.2 Chronische Pyelonephritis
6.1.3 Pyonephrose
Ätiologie/Pathogenese ‹Eine chronische Pyelonephritis kann
entstehen durch unzureichende Behandlung einer akuten Die Pyonephrose ist gekennzeichnet durch ein mit Eiter
Pyelonephritis oder primär als chronisch interstitielle gefülltes Nierenbecken. Sie entsteht als Folge eines Harn-
Nephritis bei entsprechenden prädisponierenden Faktoren wegsinfektes bei bestehender Abflussstörung. Die häufig-
(¶ Abb. 6.1). Die häufigste Ursache pyelonephritischer ste Ursache ist eine Harnstauungsniere bei Urolithiasis.
Narben ist ein vesikorenaler Reflux mit Harnwegsinfekt in Das Krankheitsbild der Pyonephrose kann asymptoma- X
den ersten Lebensjahren.Weitere Faktoren sind Harnstau- tisch verlaufen, aber auch schwerste Formen der Urosep-
ung, Urolithiasis, Diabetes mellitus und die Analgetika- sis hervorufen. Die Therapie besteht in der sofortigen
nephropathie. Entlastung der Niere (perkutane Nephrostomie, zystosko-
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ pische Schienung), antibiotischer Begleittherapie und
‹ sehr häufig symptomarm Nephrektomie im Intervall. Bei schlechtem Allgemeinzu-
‹ Müdigkeit,Kopfschmerzen,Inappetenz,Leistungsknick stand oder fehlender Besserung trotz Drainage und Anti-
biose erfolgt diese notfallmäßig. Dabei muss besonders
darauf geachtet werden, dass das eitergefüllte Nieren-
becken nicht eröffnet wird.

6.1.4 Nierenkarbunkel und paranephritischer Abszess


Ätiologie/Pathogenese ‹
‹ Nierenkarbunkel: entsteht aus konfluierenden eitrigen Her-
den der Nierenrinde,Folge von infizierten Kelchsteinen,
abszedierender Pyelonephritis oder hämatogener
Streuung
‹ paranephritischer Abszess: entsteht aus Karbunkel, Pyone-
phrose oder primär durch hämatogene Streuung
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ Flankenschmerzen mit Schon-
haltung, hohes Fieber und schweres Krankheitsgefühl,
Hautrötung in der Flanke bei drohender Perforation, Ab-
senkung des Abszesses entlang des M. psoas möglich.
Diagnose ‹
‹ Sonographie: vergrößerte Niere mit Raumforderung,peri-
renale Flüssigkeitsansammlung
‹ Urogramm: verstrichener Psoasschatten, verminderte
oder aufgehobene Atemverschieblichkeit der Niere
‹ CT: exakte Diagnose, Lokalisation und Ausdehnung des
Abszesses
Therapie ‹ Inzision und retroperitoneale Drainage mit be-
gleitender Antibiotikatherapie, ggf. Nephrektomie.
Abb.6.1.Pylonephritische Schrumpfniere.Links normal große Niere,rechts deutlich ver-
kleinerte Schrumpfniere

Entzündungen 907
6.2 Harnleiter ‹ neurogene Blasenentleerungsstörungen: nach Apoplex, Quer-
schnittslähmung, Diabetes mellitus, etc.
Kurzzusammenfassung ‹ hormonelle Veränderungen: Schwangerschaft,Hormonmangel
Isolierte Entzündungen des Harnleiters sind selten. Die Ureteritis cy- Klinisches Bild/Symptomatik ‹
stica tritt gelegentlich im Rahmen einer chronischen Pyelonephritis ‹ häufiges Wasserlassen (Pollakisurie)
auf und ist durch kleine Zysten in der Schleimhaut des Ureters ge- ‹ Schmerzen beim Wasserlassen (Strangurie)
kennzeichnet.Sie bedarf keiner speziellen Therapie.Die Ureteritis ca- ‹ erschwertes Wasserlassen (Dysurie)
seosa stellt den Harnleiterbefall im Rahmen einer Urogenitaltuber- ‹ dranghaftes Wasserlassen mit eventuellem Urinverlust
kulose dar.Der Harnleiter fällt durch den perlschnurartigen Verlauf im (Dranginkontinenz)
Urogramm auf. ‹ selten Hämaturie (hämorrhagische Zystitis)

Merke ‹Die isolierte akute Zystitis verläuft ohne Fieber!


6.3 Retroperitonealraum
Diagnose ‹
‹ Urinbefunde: Leukozyturie,Mikrohämaturie,positive Urin-
Entzündliche Veränderungen des Harnleiters finden sich kultur (Suche auch nach Trichomonaden, Kandida, My-
auch bei primären (Morbus Ormond) und sekundären re- koplasmen)
troperitonealen Fibrosen. ‹ Zystoskopie: bei rezidivierenden oder komplizierten In-
Die Ursache des M. Ormond ist unbekannt. Diskutiert wer- fekten, nicht im akuten Stadium
den medikamentöse (Phenacetin, Paracetamol, Ergota- ‹ radiologische Untersuchungen: bei rezidivierenden oder
min), traumatische und allergische Faktoren. Die Erkran- komplizierten Infekten
kung ist meist bilateral ausgebildet und führt durch Um- Therapie ‹
mantelung des Harnleiters zu dessen Obstruktion und ‹ akute Zystitis: reichliche Flüssigkeitszufuhr, Antibiotika-
Verlagerung nach medial. Die klinische Symptomatik mit therapie (nach Abnahme der Urinkultur) zunächst
Rückenschmerzen,Übelkeit und Obstipation ist wenig cha- blind, dann ggf. resistenzgerechter Wechsel, ggf. Spas-
rakteristisch.Erst bei stauungsbedingter Nierenfunktions- molytika und Analgetika
störung kommt es zu Flankenschmerzen, Oligurie und zu- ‹ chronische Zystitis: Ursachenabklärung und -beseitigung,
nehmender Urämie. Die Diagnose kann am sichersten mit reichliche Flüssigkeitszufuhr, resistenzgerechte Lang-
Urogramm und CT gestellt werden. In der Frühphase wird zeittherapie mit Antibiotika, bei postkoitaler Zystitis
X zunächst konservativ mit Kortikosteroiden therapiert. Bei prophylaktische Einmalgabe („Pille danach“)
fehlendem Ansprechen erfolgt die Ureterolyse mit intrape- Klinik ‹Sonderformen der Zystitis:
ritonealer Verlagerung des Ureters oder Ureterersatzpla- ‹ interstitielle Zystitis: abakterielle Entzündung unklarer Ge-
stiken mit Dünndarmsegment. nese mit Mastzellinfiltraten der Schleimhaut und zuneh-
Die sekundäre Form tritt auf bei Karzinomatosen, Metas- mender Fibrosierung mit Ausbildung einer Schrumpf-
tasen, Hämatomen und chronischen Entzündungen. Kli- blase, fast ausschließlich bei Frauen, erhebliche zystiti-
nik und Therapie richten sich nach der Primärerkran- sche Beschwerden, bisher keine spezifische Therapie
kung. ‹ radiogene Zystitis: möglich nach Bestrahlung, chronische
Zystitis mit Atrophie der Schleimhaut und progredien-
ter Fibrose der Blasenwand
6.4 Blase
Kurzzusammenfassung
Die akute Zystitis ist das häufigste urologische Krankheitsbild der Klinischer Fall
Frau. Bei Männern ist sie seltener und tritt nur bei zusätzlichen Fak- Welche Aussage trifft nicht zu? Für die interstitielle Zystitis sind typisch:
toren (Obstruktion, Reflux, Steine, Tumor) auf. Einfache Infekte wer- (A) sensorischer Urge
den durch antibiotische Therapie saniert. Rezidivierende oder kom- (B) makroskopisch eitriger Urin
plizierte Infekte müssen weiter abgeklärt werden.Eine Therapie aus- (C) zystoskopisch sichtbare petechiale Blutungen
lösender Ursachen sowie ausreichend lange Antibiotikagabe sind (D) erhöhtes Mastzellenvorkommen in der Harnblasenwand
notwendig, da es sonst zur Entwicklung einer chronischen Zystitis (E) verminderte funktionelle Harnblasenkapazität
kommen kann.Die häufigsten Erreger sind gramnegative Keime, sel- Lösung: B
tener Trichomonaden, Mykoplasmen oder Hefepilze.

Ätiologie/Pathogenese ‹
‹ junge Frauen: bedingt durch kurze Urethra, anatomische 6.5 Harnröhre
Nähe von Urethra, Vaginal- und Analöffnung, häufig
nach Geschlechtsverkehr („Honeymoon-Zystitis“)
‹ subvesikale Obstruktion: Harnröhrenstriktur, Prostataver- Siehe auch Dermatologie, Kap. 26.
größerung, Blasenhalsenge Ätiologie/Pathogenese ‹Die Entzündung der Harnröhre (Ure-
‹ Urolithiasis: Steine in Blase oder Harnröhre thritis) kann durch Bakterien,Viren und sexuell übertrag-
‹ Missbildungen: Meatusstenose, Harnröhrenklappen, Di- bare Erreger (Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen,
vertikel, Reflux etc. Ureaplasmen, Trichomonaden) hervorgerufen werden. Sie
‹ Tumoren tritt gehäuft nach Katheterismus und bei Harnröhrenste-
‹ Fremdkörper: Blasenkatheter! nosen auf.

908 Urologie
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ Therapie ‹
‹ Urethralfluor (glasig, trüb, eitrig) ‹ akute Prostatitis: erregergerechte Antibiotikatherapie
‹ Jucken und Brennen in der Harnröhre über 4 Wochen, bei Harnverhalt suprapubische Harn-
‹ starke Schmerzen bei der Miktion ableitung, bei Prostataabszess transrektale Inzision
Klinik ‹ M. Reiter: Konjunktivitis, Urethritis, Arthritis und Spülung
(„can’t see, can’t pee, can’t climb a tree“). Ätiologie unklar, ‹ chronische Prostatitis: Langzeittherapie mit Antibiotika,
häufig HLA B-27 assoziiert,keine spezifische Therapie,ggf. Spasmoanalgesie, evtl. nach langem Verlauf transure-
Glukokortikoide. thrale Resektion
Diagnose ‹
‹ Miktions- und Sexualanamnese
‹ zytologische und bakteriologische Untersuchung des 6.7 Hoden und Nebenhoden
Urethralsekrets (ggf. durch Abstrich)
‹ Urinkultur Kurzzusammenfassung
Therapie ‹Erregergerechte antibiotische Therapie. Die akute Epididymitis ist die häufigste aller Erkrankungen des
äußeren Genitale.Sie tritt typischerweise im Erwachsenenalter auf.
Als Folge einer rezidivierenden Entzündung entsteht oft eine chro-
Merke ‹ Bei sexuell übertragbaren Erkrankungen ist die Untersu-
nische Epididymitis. Dabei kommt es immer wieder zu akuten Exa-
chung und Behandlung des Sexualpartners obligat! Während der
zerbationen,sodass bei oft mangelnder Wirkung der antibiotischen
Therapie sollte Geschlechtsverkehr nur mit Kondomschutz erfolgen.
Therapie eine Epididymektomie im Intervall erfolgen sollte.Die iso-
lierte Orchitis ist selten, führt aber in vielen Fällen zum Funktions-
verlust des Hodens.
6.6 Prostata, Samenblasen
Kurzzusammenfassung
6.7.1 Orchitis
Prostata und Samenblasen können bei bakteriellen Entzündungen
gemeinsam betroffen sein (männliche Adnexitis). Oft liegt auch Eine Entzündung des Hodens entsteht meist durch häma-
eine Urethritis vor. Man unterscheidet akute und chronische togene Streuung bei bakteriellen und viralen Infekten
Verläufe.Lassen sich keine Erreger nachweisen, spricht man von ei- (Pneumokokken, Mumps, Cocksackie, Varizellen, Mono-
ner„abakteriellen“ Prostatitis.In etwa der Hälfte der Patienten las- nukleose). Selten kommt es zum Übergreifen einer Epidi-
sen sich für die Beschwerden keine organische Ursache finden dymitis auf den Hoden. In vielen Fällen wird das Keim-
(Prostatodynie). Man geht hierbei von einer psychosomatischen epithel des Hodens durch eine akute Orchitis irreversibel X
Genese aus. geschädigt. Der Hoden wird atrophisch. Ein beidseitiger
Befall hat Sterilität zur Folge.Die hormonelle Funktion der
Leydig-Zellen bleibt jedoch intakt. Der betroffene Hoden
Ätiologie/Pathogenese ‹Akute und chronische Prostatitis ent- ist geschwollen und druckschmerzhaft. Nicht immer ist
stehen überwiegend kanalikulär aszendierend im Rah- eine palpatorische Abgrenzung zum Nebenhoden mög-
men einer Zystitis oder Urethritis sowie bei Urethrastrik- lich. Es bestehen hohes Fieber und allgemeines Krank-
turen und einliegendem Dauerkatheter. Seltener sind hä- heitsgefühl. Die Therapie kann nur symptomatisch durch
matogene oder lymphogene Infektionen. Hochlagerung, Kühlen,Antiphlogistika und Antipyretika
Erreger: junge Patienten ⇒ meist Chlamydien und Urea- erfolgen. Abzugrenzen ist immer eine Hodentorsion, so-
plasmen, ältere Patienten ⇒ gramnegative Bakterien. dass in Zweifelsfällen die Freilegung des Hodens erfolgen
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ muss.
‹ akute Prostatitis: Pollakisurie, Algurie, imperativer Harn-
drang,Schmerzen am Damm,Fieber,allgemeines Krank-
6.7.2 Epididymitis
heitsgefühl
‹ chronische Prostatitis: uncharakteristische Beschwerden im Ätiologie/Pathogenese ‹ Die akute Epididymitis entsteht ka-
Urogenitalbereich, Störungen der Miktion und der Se- nalikulär aszendierend. Bei jüngeren Männern wird sie
xualfunktion den sexuell übertragbaren Krankheiten zugeordnet und
Diagnose ‹ überwiegend durch Chlamydien und Gonokokken verur-
‹ rektale Untersuchung: Prostata etwas vergrößert, im akuten sacht. Bei älteren Männern steht die Epididymitis meist in
Stadium hochgradig druckdolent, schlecht abgrenzbar, Zusammenhang mit Harnwegsinfekt oder Prostatitis.
ggf. Fluktuation bei Abszess Dementsprechend finden sich gramnegative Keime. Auch
‹ Urinbefund: bei akuter Prostatitis massive Leukozyturie infravesikale Obstruktion und Dauerkatheter disponieren
und Bakteriurie (⇒ Urinkultur!),bei chronischer Prosta- zu dieser Entzündung.
titis nicht obligat Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ Dreigläserprobe: bei chronischer Prostatitis Leukozyten ‹ akute, sehr schmerzhafte Schwellung des Nebenhodens
und Bakterien im Prostataexprimat (in der akuten Pha- mit Überwärmung und Hautrötung
se kontraindiziert) ‹ Schmerzen mit Ausstrahlung entlang des Samenstrangs
‹ weitere Untersuchungen: Sonographie,Urogramm,Urethro- nach inguinal
graphie, Zystoskopie, urodynamische Untersuchungen ‹ Nebenhoden nach wenigen Stunden palpatorisch nicht
und ggf. Prostatastanze zur Abklärung möglicher Ursa- mehr vom Hoden abgrenzbar
chen und Ausschluss der Differentialdiagnosen ‹ Schmerzlinderung durch Hochlagerung des Hodens
Differentialdiagnose ‹ (Prehn-Zeichen positiv)
Prostatakarzinom, granulomatöse Prostatitis, Prostatatu- ‹ hohes Fieber
berkulose

Entzündungen 909
Diagnose ‹ auch deszendierend kanalikulär über Nierenbecken,Harn-
‹ Labor: Leukozytose leiter und Blase in Prostata und Nebenhoden ausbreiten
‹ Urinbefund: Leukozyturie,Mikrohämaturie,positive Urin- (tertiärer Organbefall).
kultur
‹ Sonographie: erhöhte Echodichte des Nebenhodens, häu-
Merke ‹ Verdacht, Krankheits- und Todesfall sind meldepflichtig!
fig Begleithydrozele
Eine Nachkontrolle fünf Jahre nach Therapie ist vorgeschrieben.
Differentialdiagnose ‹Hodentorsion, Nebenhodentumor, Ho-
dentumor, Nebenhodentuberkulose.
Therapie ‹Hochdosierte erregergerechte Antibiose, Hochla- Pathologie ‹Siehe auch ¶ Abb. 6.2
gern, Kühlen,Antiphlogistika, bei Obstruktion suprapubi- ‹ Nieren:
sche Harnableitung, bei Abszedierung Ablatio testis, nach – Stadium I („parenchymatöses Stadium“): multiple dis-
Ausheilen der akuten Entzündung weitere urologische Dia- seminierte Herde in beiden Nierenrinden
gnostik zur Ursachenabklärung. – Stadium II („ulzerokavernöses Stadium“): Verschmel-
zung der Herde zu Konglomerattuberkeln mit Ein-
bruch in das Nierenbeckenkelchsystem
6.8 Urosepsis – Stadium III („destruierendes Stadium“): totale Verkä-
sung mit Destruktion der Niere bei Verschluss des
Nierenbeckenabgangs (Kittniere)
Siehe Kap. 14.7. ‹ Ureter: narbige Stenosierung mit perlschnurartigem
Aussehen und Dilatation der proximalen Harnwege
‹ Blase: Bildung von Granulomen und Tuberkeln, Ostium-
6.9 Urogenitaltuberkulose stenosen, chronischer Reizzustand mit konsekutiver
Schrumpfblase
‹ Prostata und Samenblasen: knotige Prostatitis mit Verkäsung
Siehe auch Klinische Pharmakologie, Kap. 16.8. und Kavernenbildung
‹ Nebenhoden: verhärteter perlschnurartig verdickter Ne-
benhoden mit käsig-kavernöser Einschmelzung und
Kurzzusammenfassung evtl. Skrotalhautfisteln bei entzündlich obliteriertem
Die Tuberkulose ist die häufigste spezifische Entzündung des Uroge- Ductus deferens
nitaltraktes und umfasst etwa 30% aller extrapulmonalen Tuberku- Klinisches Bild/Symptomatik ‹
X losefälle. Sie betrifft vorwiegend Niere, Prostata und Nebenhoden. ‹ oft uncharakteristisch mit subfebrilen Temperaturen,
Leitsymptom ist die sterile Leukozyturie. Die Grundlage der Therapie Nachtschweiß, Abgeschlagenheit
ist konservativ durch tuberkulostatische Chemotherapie. Nur selten ‹ dumpfe Flankenschmerzen
ist eine chirurgische Zusatzbehandlung indiziert. ‹ Symptome einer therapieresistenten Zystitis
Diagnose ‹
‹ Urinbefund: sterile Leukozyturie (kein Bakteriennach-
Ätiologie/Pathogenese ‹ Der Primärherd liegt zu 90% in der weis)
Lunge und den Hiluslymphknoten. Erst nach langer La- ‹ Urinkultur: Nachweis von Mycobacterium tuberculosis
tenzzeit (bis zu 20 Jahre) kommt es zu einer hämatogenen (selten bovis) mittels PCR oder auf Spezialnährböden,
Streuung in beide Nierenrinden (sekundärer Organbefall). alternativ Prostataexprimat, Menstrualblut oder Eja-
Die Herde können abheilen oder zur Destruktion der Nie- kulat
re führen. Je nach Immunitätslage kann sich die Infektion ‹ Röntgen: Primärherd im Thorax

Abb. 6.2. Manifestationen und Stadien der


Urogenitaltuberkulose.Aus [2]

910 Urologie
‹ Urogramm, retrograde Pyelographie, Urethrographie, CT: Nieren-
parenchym- und Prostataverkalkungen, Kelchverlage- Klinischer Fall
rungen und -destruktionen, Kavernen, Kleeblattform Welche Aussage trifft nicht zu? Die Harnblasenbilharziose begünstigt die Entste-
des Nierenbeckenkelchsystems bei zentraler Nieren- hung von
beckenstenose, funktionslose Niere, Ureterstenosen, (A) Blasenhalsobstruktion
Schrumpfblase, Prostatakavernen, Urethrastrikturen (B) Ureterstenosen
‹ Zystoskopie: Zystitis, sichtbare Tuberkel, Schrumpfblase, (C) Oligomeganephronie
Blasenhalssklerose (D) Plattenepithelkarzinomen
Differentialdiagnose ‹ Nephrolithiasis, Nierentumor, Ureter- (E) Blasensteinen
stenose, interstitielle Zystitis, Blasenkarzinom, chronische Lösung: C
Prostatitis oder Epididymitis, Prostatakarzinom, Urethra-
striktur
Therapie ‹
‹ konservativ: tuberkulostatische Chemotherapie ⇒ initial
Dreifachkombination (Isoniazid [INH], Rifampicin
[RMP], Ethambutol [EMP] oder Pyrazinamid [PZA]
oder Streptomyzin [SM]) für 3 Monate, dann Stabilisie- 7 Tumoren
rung durch Zweifachkombination (INH, RMP oder
Zusammenfassung
PZA) für weitere 4–9 Monate, regelmäßige Untersu-
Alle Tumoren des Urogenitalsystems haben als Leitsymptom die Hä-
chung auf Nebenwirkungen (Niere, Leber, Augen)
maturie, die aber oft erst in der Spätphase auftritt.Sie machen meist
‹ operativ: bei Versagen der konservativen Therapie, nach
geringe und erst spät auftretende Beschwerden. Die Metastasierung
Möglichkeit organerhaltende Infektsanierung (z.B.Nie-
erfolgt überwiegend lymphogen in Becken und Retroperitoneum.Die
renteilresektion), Organentfernung nur bei völlig zer-
Stadienteilung aller Tumoren erfolgt anhand der TNM-Klassifikation,
störtem Organ, ggf. plastisch-rekonstruktive oder pal-
die im Bereich der Urogenitalorgane v.a.bei den T-Stadien einige Be-
liative Maßnahmen bei Harnabflussstörung oder
sonderheiten aufweist.
Schrumpfblase

6.10 Parasitäre und virale Erkrankungen 7.1 Nierenparenchym


Kurzzusammenfassung X
Virale Infektionen des Urogenitaltraktes finden sich gehäuft bei HIV- Siehe auch Innere Medizin, Abschnitt 6, Kap. 2.18.
positiven Patienten. Die häufigsten Erreger sind humane Papillom-
und Herpesviren. Oft kommen schwere Harnwegsinfekte mit atypi- Kurzzusammenfassung
schen Keimen (Kandida, Salmonellen, Zytomegalieviren) vor. Para- Tumoren im Nierenparenchym sind in über 80% der Fälle maligne.Der
sitäre Erkrankungen treten meist nach Auslandsaufenthalten auf.Kli- wichtigste gutartige Tumor ist das Angiomyolipom. Das Nierenzell-
nisch relevant ist v.a.die Bilharziose. karzinom (früher Hypernephrom) wird nur selten in den Frühstadien
symptomatisch. Typische Spätsymptome sind Hämaturie, palpabler
Tumor und Schmerzen. Die meisten Nierentumoren werden zufällig
bei der routinemäßigen abdominalen Sonographie entdeckt. Trotz-
Bilharziose dem haben bereits 25–30% der Patienten bei Diagnosestellung hä-
Die Bilharziose, verursacht durch Schistosoma haematobi- matogene Fernmetastasen.In den Frühstadien ist eine Heilung durch
um, kommt gehäuft in Afrika, Südamerika und Asien vor. Nephrektomie möglich, die Prognose der fortgeschrittenen Stadien
Die Larven dringen beim Baden in Süßwasser durch die in- ist dagegen schlecht.
takte Haut ein und verursachen eine lokale Hautreaktion.
Sie gelangen in den Blutkreislauf und reifen in den perive-
sikalen Venenplexus zu Würmern aus. In dieser Zeit treten
allgemeine Krankheitsymptome wie Abgeschlagenheit und
7.1.1 Benigne Tumoren
Fieber auf. Nach der Paarung legen die Weibchen Eier, die Nur etwa 20% der Raumforderungen im Nierenparenchym
in das Gewebe der Blasenwand und von dort aus in den sind gutartig. Klinisch relevant ist vor allem das An-
Urin gelangen. Sie verursachen eine granulomatöse Ent- giomyolipom, das gehäuft bei Patienten mit tuberöser
zündung mit Ulzerationen der Blasenwand. Diese heilen Sklerose auftritt. Es lässt sich aufgrund seines hohen An-
unter Narbenbildung aus, die zu einer Schrumpfung der teils an Fettgewebe durch Sonographie und CT weitgehend
Blase führt. Die Symptome gleichen denen einer Zystitis sicher vom Nierenzellkarzinom abgrenzen. Vereinzelt
und können mit einer terminalen Makrohämaturie ein- kommen jedoch beide Tumoren nebeneinander vor. Typi-
hergehen. Sekundär entstehen vesikorenaler Reflux, Harn- sche Symptome sind Hämaturie und Flankenschmerzen.
stauungsnieren, Blasenhalssklerose und Blasensteine. Die Kleinere asymptomatische Tumoren werden engmaschig
Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen ist deutlich erhöht. kontrolliert, bei größeren (> 4 cm) oder symptomatischen
Der Nachweis der Schistosomaeier gelingt im körperwar- Tumoren erfolgt die Nierenfreilegung und Tumorexzision.
men Urin.Neben Leukozyturie und Mikrohämaturie findet Bei multifokalem und bilateralem Befall kann auch eine se-
man, meist erst in der Spätphase, schalenförmige Verkal- lektive Embolisation versucht werden. Weitere gutartige
kungen der Blasenmuskulatur. Die Therapie erfolgt mit Tumoren sind Adenome, Hämangiome, Fibrome und Neu-
Praziquantel. rofibrome.

Tumoren 911
7.1.2 Maligne Tumoren
Merke ‹
Ätiologie/Pathogenese ‹ Der häufigste maligne Nierentumor Sonographische Merkmale:
ist das Nierenzellkarzinom. Männer sind häufiger betrof- ‹ Nierenzyste: echoarme, runde, glatt begrenzte Raumforderung
fen als Frauen. In etwa 2% der Patienten treten die Tumo- mit dorsaler Schallverstärkung
ren bilateral auf.Das Nierenzellkarzinom geht von den Zel- ‹ Nierenzellkarzinom: unregelmäßig begrenzt, gemischte Echo-
len des proximalen Tubulus aus (Adenokarzinom) und genität, z.T.Verkalkungen
wächst überwiegend verdrängend, aber auch invasiv in-
nerhalb des Organs mit Infiltration des Hohlsystems und
perirenalen Fettgewebes. Eine Infiltration von Nachbaror- Therapie ‹Therapie der Wahl ist die radikale Tumornephrek-
ganen ist selten. Charakteristisch ist der Einbruch in die tomie mit Fettkapsel,Gerota-Faszie,ipsilateraler Nebenniere
venöse Strombahn mit Tumorthromben in der V.renalis bis und regionalen Lymphknoten. Tumorthromben in V. renalis
in die V. cava inferior. Histologisch besitzen sie ein glyko- und V. cava müssen mitentfernt werden. Bei kleinen Tumo-
gen- und lipidreiches Zytoplasma und ein spärliches, aber ren (< 3,5 cm) in Einzelnieren erfolgt die Tumorentfernung
gut vaskularisiertes Stroma. durch Nierenteilresektion.Bei metastasierten Nierenzellkar-
Metastasierung ‹ zinomen kann eine palliative Nephrektomie bei rezidivie-
‹ hämatogen: in Lunge, Knochen, Leber, Gehirn, Nebenniere renden Blutungen und starken tumorbedingten Schmerzen
‹ lymphogen: hiläre, parakavale und paraaortale Lymph-
indiziert sein. In inoperablem Zustand wird die selektive Tu-
knoten morembolisation durchgeführt. Einzelne Metastasen sollten
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ reseziert werden.Eine Chemo-,Radio- oder Hormontherapie
‹ schmerzlose Makrohämaturie (Spätsymptom) bringt keine Prognoseverbesserung.Die Immuntherapie mit
‹ Flankenschmerzen Tumornekrosefaktor und Interferon kann im metastasierten
‹ tastbarer Flankentumor
Stadium in einigen Fällen zu Remissionen führen.
‹ subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß, Anämie, Ka-
Prognose ‹ Die Prognose ist abhängig vom Vorhandensein
chexie, Gewichtsverlust von Lymphknoten- oder Fernmetastasen. Auch der histo-
‹ symptomatische Varikozele, v.a. rechtsseitig (im Liegen
logische Malignitätsgrad hat einen entscheidenden Ein-
persistierend), bei Tumoreinbruch in die Nierenvene fluss auf das Langzeitüberleben (G I ⇒ 40%, G III ⇒ 10%).
‹ paraneoplastische Symptome: Hypertonie, Hyperkalz-
Die 5-Jahresüberlebensrate von Patienten mit T1- und T2-
ämie, Polyglobulie, hepatische Dysfunktion Tumoren beträgt 80–90%, bei T3 50% und T4 25%. Sind re-
Klinik ‹Stauffer-Syndrom: paraneoplastische Leberdysfunktion gionale Lymphknoten befallen, liegt die Rate bei 25%, bei
mit Hepatosplenomegalie, α2-Gobulin ⇑, alkalische Phos- Fernmetastasierung unter 10%. Auch eine Spätmetastasie-
X phatase ⇑, Bilirubin ⇑, Albumin ⇓, Prothrombin ⇓ rung nach 10 oder 20 Jahren ist möglich.
Diagnose ‹ Urinstatus (Mikrohämaturie?), Labor (Anämie?
Paraneoplasie?), Sonographie (Abgrenzung zur Nieren-
zyste, Lebermetastasen?), i.v.-Urogramm (Kelchverdrän- 7.2 Nierenbecken und Harnleiter
gung?), CT (Tumorausdehnung, Infiltration, Tumorthrom-
ben, Lymphknotenmetastasen), MRT oder Kavographie Kurzzusammenfassung
(genauere Aussage zur Ausdehnung von Tumorthromben), Die gesamten Harnwege werden von einem mehrschichtigen Über-
Angiographie (gefäßreicher Tumor, nur ausnahmsweise gangsepithel (Urothel) ausgekleidet. Eine maligne Entartung kann
zur Operationsplanung bei Einzelniere), Rö-Thorax (Lun- daher an jeder Stelle der Schleimhaut erfolgen.Am häufigsten ist die
genmetastasen?), ggf. Knochenszintigramm, Schädel-CT Harnblase betroffen (93%), gefolgt von Nierenbecken (4%), Harnlei-
(¶ Abb. 7.1). ter (3%) und selten der hinteren Urethra.Häufig werden multiple Tu-
Differentialdiagnose ‹Solitäre Nierenzyste, gutartiger Nieren- moren gefunden.Wichtigstes Frühsymptom ist die Hämaturie.
tumor, Nebennierentumor, Nierenbeckentumor, Metasta-
sen, Nierentuberkulose, Nephrolithiasis, retroperitonealer
Tumor. Ätiologie/Pathogenese ‹Tumoren in Nierenbecken und Harn-
leiter sind überwiegend Urothelkarzinome,seltener Platten-
epithelkarzinome. Sie wachsen infiltrierend in die Nieren-
becken- und Harnleiterwand und metastasieren frühzeitig
lymphogen in paraaortale, parakavale und paravertebrale
Lymphknoten. Hämatogene Metastasen in Lunge, Leber
und Knochen sind selten. Eine deszendierend-kanalikuläre
Metastasierung in die Blase ist möglich. In etwa 1/3 der Fäl-
le liegt ein Zweittumor in der Blase vor.
Ätiologisch zeigt sich eine erhöhte Karzinominzidenz in ge-
stauten Harnwegen.Weitere Risikofaktoren sind aromatische
Amine, Cyclophosphamid, Phenacetin- und Nikotinabusus
sowie die seltene Balkannephropathie (s. auch Kap. 7.4).
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ schmerzlose Makrohämaturie (Frühsymptom)
‹ dumpfer Flankenschmerz
‹ Koliken beim Abgang von Blutkoageln
‹ Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Leistungsknick

Abb.7.1. CT mit großem Nierentumor links mit Einbruch in Nierenvene und V.cava,peri- Diagnose ‹ Zytologie, i.v.-Urogramm (Kontrastmittelaus-
renaler Tumorinfiltration und regionalen Lymphknotenmetastasen.Aus [2] sparung = Füllungsdefekt?), Zystoskopie (Lokalisation der

912 Urologie
Tabelle 7.1. TNM-Klassifikation des Nierenzellkarzinoms

Primärtumor Lymphknoten Fernmetastasen


T1 Tumor < 2,5 cm, auf die Niere begrenzt N0 keine regionären LK-Metastasen M0 keine
T2 Tumor > 2,5 cm, auf die Niere begrenzt N1 solitäre LK-Metastasen < 2 cm M1 vorhanden
T3 Tumorausbreitung in größere Venen, Infiltration der N2 solitäre LK-Metastase zwischen 2
Nebenniere oder des perirenalen Gewebes und 5 cm oder multiple LK-Meta-
stasen < 5 cm
T3a Infiltration der Nebenniere oder perirenal, N3 LK-Metastasen > 5 cm
innerhalb der Gerota-Faszie
T3b Einbruch in die Nierenvenen oder V. cava infradiaphragmal
T3c makroskopische Ausbreitung in der V. cava supradiaphragmal
T4 Tumorinfiltration über die Gerota-Faszie hinaus

Blutung, synchroner Blasentumor?), ggf. Ureterorenosko-


liegt bei Diagnosestellung ein oberflächliches Blasenkarzinom vor,
pie mit Probenexzision, retrograde Pyelographie (deutli-
das trotz einer hohen Rezidivrate (bis 70%) eine gute Prognose hat.
chere Darstellung als im Urogramm).
Therapie der Wahl bei oberflächlichen Tumoren ist die transurethrale
Differentialdiagnose ‹ Nierenzellkarzinom, Nephrolithiasis,
Resektion, die bei Rezidiven beliebig oft wiederholt werden kann.
Urogenitaltuberkulose,Blutkoagula,Harnleiterkompressi-
Kommt es zu einer Tumorprogression mit Infiltration der Blasenwand,
on von außen, Harnleiterendometriose.
ist die radikale Zystektomie indiziert.
Therapie ‹ Therapie der Wahl ist die Nephroureterektomie
unter Mitnahme einer Blasenmanschette um das Ureter-
ostium (sonst Rezidivgefahr bis 30%). Oberflächliche, gut Ätiologie ‹Ebenso wie bei den Nierenbecken- und Harnlei-
differenzierte Tumoren können auch durch endoskopische tertumoren finden sich hauptsächlich Urothelkarzinome
Resektion und Laserkoagulation behandelt werden.Zusätz- (95%), selten Plattenepithelkarzinome und äußerst selten
lich besteht die Möglichkeit der adjuvanten topischen Che- Adenokarzinome oder Sarkome (bei Kindern das Sarcoma
motherapie durch Instillation von BCG, Adriamycin oder botryoides). Für die einzelnen Tumorarten wurden unter-
Mitomycin (s.auch Kap.7.3).Bei lokal inoperablen oder me- schiedliche Karzinogene identifiziert.
tastasierten Nierenbecken- und Harnleitertumoren kann ‹ Urothelkarzinome: aromatische Amine (Berufsanamnese!),
eine systemische Polychemotherapie versucht werden. Nikotinabusus, Phenacetin, Cyclophosphamid, Balkan-
Prognose ‹Die globale 5-Jahresüberlebensrate beträgt 30%. nephropathie X
Sie ist jedoch stark abhängig vom Malignitätsgrad (G I ⇒ ‹ Plattenepithelkarzinome: chronische Harnwegsinfekte,Dau-
75%, G II ⇒ 55%, G III ⇒ 27%). erkatheter, Steine, Bilharziose
‹ Adenokarzinome: Urachusreste
Pathogenese ‹Anhand des Wachstumstypes lassen sich Uro-
Klinischer Fall theltumoren einteilen in papilläre Tumoren (gutartige
Bei einem 60-jährigen Patienten treten nach initial schmerzloser Makrohämat- Papillome und papilläre Karzinome), oberflächliche (Car-
urie kolikartige Flankenschmerzen links auf. In der Ausscheidungsurographie und cinoma in situ) und infiltierende Karzinome. Am häufig-
retrograden Ureteropyelographie imponiert linksseitig ein ortskonstanter Kon- sten sind exophytisch wachsende papilläre Karzinome
trastmittelfüllungsdefekt im oberen Harnleiterdrittel.Sonographisch ist ein Stein- mit langsamer Progredienz, aber hoher Rezidivneigung.
schatten nicht nachweisbar.In der selektiven Urinzytologie aus dem linken Ureter Primär invasiv wachsende Karzinome werden oft erst in
zeigen die Kerne von abgeschilferten Zellen Hyperchromasie, grob gekörntes fortgeschrittenem Stadium symptomatisch. Eine beson-
Chromatin,Verdickung der „Kernmembran“ und prominente Nukleolen.Die wahr- dere Form ist das Carcinoma in situ, eine schwerstgradi-
scheinlichste Diagnose lautet: ge intraepitheliale Dysplasie (G III) mit hoher maligner
(A) Subpelviner Harnsäurestein Potenz. Die Metastasierung erfolgt lymphogen in die ob-
(B) Maligner Harnleitertumor turatorischen, iliakalen und lumbalen Lymphknoten so-
(C) Morbus Ormond (retroperitoneale Fibrose) wie hämatogen in Lunge, Knochen und Leber (Tabelle 7.2,
(D) Hämangiom des Harnleiters ¶ Abb. 7.2).
(E) Ureteritis cystica Klinisches Bild/Symptomatik ‹
Lösung: B ‹ schmerzlose Makrohämaturie (Frühsymptom)
‹ häufig subjektive Beschwerdefreiheit
‹ dysurische Miktionsbeschwerden bei Carcinoma in situ
und ausgedehnten Tumoren
7.3 Blase ‹ in fortgeschrittenen Stadien Schmerzen, Harnstauung,
allgemeine Tumorzeichen wie Inappetenz, Gewichts-
verlust, Anämie
Siehe auch spezielle Pathologie, Kap. 12.1.5. Diagnose ‹ Sonographie (renale Ursache der Hämaturie?
Metastasen?), Zystoskopie (Diagnosestellung, Lokalisation
Kurzzusammenfassung und Ausdehnung der Tumoren, Blutung aus den Ostien),
Das Blasenkarzinom ist nach dem Prostatakarzinom der zweithäufig- Urinzytologie (positiv bei mittelgradig- und entdifferen-
ste Tumor des Urogenitaltraktes.Betroffen sind überwiegend Männer zierten Tumoren, wichtig in der Nachsorge), i.v.-Uro-
(…: = 3:1) zwischen dem 50. und 75. Lebensjahr. In etwa 10% der gramm (Harnstauung? Zweittumor?), CT (Tumorausbrei-
Fälle treten die Tumoren primär multipel auf. Bei 75% der Patienten tung, Infiltration, Lymphknoten), Rö-Thorax (Lungenme-
tastasen?), ggf. Knochenszintigramm.

Tumoren 913
Tabelle 7.2. TNM-Klassifikation des Blasenkarzinoms

Primärtumor Lymphknoten Fernmetastasen


Tis Carcinoma in situ (G III) N0 keine regionären LK-Metastasen M0 keine
Ta nichtinvasiver papillärer Tumor N1 solitäre LK-Metastasen < 2 cm M1 vorhanden
T1 Infiltration des subepithelialen Bindegewebes N2 solitäre LK-Metastase zwischen 2 und 5 cm
T2 Infiltration der oberflächlichen Muskulatur oder multiple LK-Metastasen < 5 cm
T3a Infiltration der tiefen Muskulatur N3 LK-Metastasen > 5 cm
T3b Infiltration des perivesikalen Fettgewebes
T4a Infiltration von Prostata, Uterus oder Vagina
T4 Infiltration der Becken- oder Bauchwand

X Abb. 7.2. Klassifikation des Tumorwachstums beim Harnblasenkarzinom.Aus [2] Adnexen und Uterus, beim Mann mit Prostata, Samen-
blasen und ggf. Urethra, die Wirksamkeit einer neoadju-
vanten oder adjuvanten Radiochemotherapie konnte bis-
Differentialdiagnose ‹Hämorrhagische Zystitis, Blasenhalsvari- her nicht nachgewiesen werden
zen bei Prostataadenom, Blasensteine, Blutungen aus dem ‹ metastasierte Tumoren: palliative transurethrale Resektion
oberen Harntrakt, Bilharziose, Endometriose, Blasendiverti- oder Zystektomie zur Vermeidung nicht stillbarer Blu-
kel, Penetration von Nachbarorganen in die Blase. tungen oder jauchigem Tumorzerfall, adjuvante Poly-
Therapie ‹ Grundlage der Diagnostik und Therapie jedes chemotherapie mit Methotrexat und Cisplatin
Blasentumors ist die transurethrale Resektion (TUR-B). Prognose ‹Die Prognose oberflächlicher Blasentumoren ist
Zunächst wird der Tumor im Schleimhautniveau reseziert sehr gut.Je höher der Malignitätsgrad und je größer der Tu-
und anschließend die tiefere Muskelschicht sowie die Rän- mor,desto höher ist jedoch die Rezidivrate.Rezidive zeigen
der. Zusätzlich werden Biopsien aus allen Quadranten der in etwa 20% der Fälle eine Progression mit invasivem
Harnblase entnommen, um weitere Präkanzerosen zu Wachstum. Die 5-Jahresüberlebensrate dieser Tumoren
identifizieren. Die Resektion wird durch die bimanuelle liegt bei ca. 60%. Patienten mit Metastasen versterben fast
Untersuchung in Narkose ergänzt, die eine Beurteilung der alle innerhalb eines Jahres.
Konsistenz und Beweglichkeit der Blasenwand erlaubt.
Nach histologischer Aufarbeitung des Resektats erfolgt die
stadienorientierte Therapie: 7.4 Penis
‹ Carcinoma in situ: transurethrale Resektion, intravesikale
Chemo- oder Immuntherapie mit BCG (60–90% Re- Kurzzusammenfassung
mission),alternativ Mitomycin,Adriamycin oder Epiru- Das Peniskarzinom tritt in Europa mit einer Inzidenz von etwa 0,5%
bicin,engmaschige Nachsorge durch Urinzytologie und auf und gehört damit zu den seltenen Tumoren.In Regionen mit man-
vierteljährliche Zystoskopie, bei Rezidiv oder Progres- gelhafter Hygiene liegen die Zahlen deutlich höher. Der Altersgipfel
sion Zystektomie liegt zwischen dem 50.und 70.Lebensjahr.Am häufigsten finden sich
‹ oberflächliche Tumoren (Ta/T1): vollständige transurethrale Plattenepithelkarzinome. Bei frühzeitiger Diagnosestellung kann
Resektion mit Quadrantenbiopsie und Biopsie aus der durch Exzision oder Penisteilamputation eine Heilung erzielt werden.
prostatischen Harnröhre, bei zusätzlichem Nachweis
eines Carcinoma in situ oder multifokalem Wachstum
zur Rezidivprophylaxe (Rezidivrate bis 70%) intravesi- Ätiologie ‹Ätiologische Faktoren sind v.a. die chronische Ir-
kale Chemo- oder Immuntherapie, vierteljährliche zys- ritation bei Phimose und Smegmaretention sowie rezidi-
toskopische Kontrolle vierende Infektionen. Hygienische Verhältnisse spielen
‹ invasive Tumoren (T2,T3a,T3b): radikale Zystektomie mit pelvi- eine wichtige Rolle.
ner Lymphadenektomie und Harnableitung (s. Kap. 4.2.3 Pathogenese ‹Tumoren des Penis sind in mehr als 95% Platten-
und 4.2.4),bei der Frau mit Vaginalvorderwand sowie ggf. epithelkarzinome, selten finden sich Basalzellkarzinome,

914 Urologie
Tabelle 7.3. TNM-Klassifikation des Peniskarzinoms

Primärtumor Lymphknoten Fernmetastasen


Tis Carcinoma in situ N0 keine regionären LK-Metastasen M0 keine
Ta nichtinvasives verruköses Karzinom N1 Metastase in solitärem oberfläch- M1 vorhanden
lichen Leisten-LK (Lunge, Skelett)
T1 Tumor infiltriert subepitheliales Bindegewebe N2 Metastasen in multiplen oder bilateralen
oberflächlichen Leisten-LK
T2 Tumor infiltriert Corpus spongiosum N3 Metastase(n) in tiefen Leisten- oder
oder cavernosum Becken-LK (uni- oder bilateral)
T3 Tumor infiltriert Urethra oder Prostata
T4 Tumor infiltriert andere Nachbarstrukturen

Adenokarzinome,maligne Melanome und Sarkome.Die Me-


den meisten Tumoren aufgrund der hohen Sensibilität gegenüber
tastasierung erfolgt überwiegend lymphogen in die inguina-
Chemotherapie oder Bestrahlung sehr gut. Nur etwa 10% der intra-
len,obturatorischen und iliakalen Lymphknoten (Tabelle 7.3).
skrotalen Tumoren gehen von Nebenhoden oder Samenstrang aus.Sie
Verschiedene Veränderungen gelten als Präkanzerosen:
sind meist benigne (häufig Adenomatoidtumoren).Der häufigste ma-
‹ Leukoplakie: weiße schuppende Hyperkeratose
ligne Tumor ist das paratestikuläre Rhabdomyosarkom.
‹ Erythroplasie Queyrat: rötlich erhabene Indurationen und
Ulzerationen
‹ Morbus Bowen: erhabene rote Plaques an der Glans penis, Ätiologie/Pathogenese ‹Die Ätiologie ist unklar.Bösartige Ho-
intraepitheliales Karzinom dentumoren entwickeln sich überwiegend im Alter der
‹ Morbus Paget: entzündliche, ekzematöse Veränderungen, höchsten sexuellen Aktivität. Dystope Hoden haben ein
Sonderform des Adenokarzinoms etwa 20-mal erhöhtes Entartungsrisiko.
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ papillär-exophytisch wachsende Tumoren, häufig su-
Merke ‹Nach Therapie eines Hodentumors ist das Risiko für die Aus-
perinfiziert
bildung eines Zweittumors auf der Gegenseite 50fach erhöht.
‹ wachsendes Ulkus ohne Abheilungstendenz
Die Einteilung erfolgt nach histopathologischen Kriterien.Neben den
‹ regionale entzündliche Lymphknotenschwellung
aufgeführten Tumoren gibt es weitere Mischformen, die jeweils nur
Diagnose ‹ Inspektion, Palpation, Probeexzision, Sonogra-
selten auftreten.
phie (lokale Tumorausbreitung), operative Freilegung und X
Biopsie der Leistenlymphknoten („Schildwache-Lymph-
knoten“), CT (weitere Metastasen? oft unzuverlässig). Keimzelltumoren (> 90%)
Differentialdiagnose ‹ Luetischer Primäraffekt, Ulcus molle, ‹ Seminome (40%): Altersgipfel 35.–40.Lebensjahr,derb-elas-
Lymphogranuloma inguinale, Condylomata accuminata. tischer Tumor mit Kapsel und einheitlicher Struktur;
Therapie ‹Standardtherapie ist die komplette Exzision des Tu- mikroskopisch: großkernige,trabekulär angeordnete Se-
mors mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm nach proximal. minomzellen
Je nach Lokalisation und Größe des Tumors ist eine Penis- ‹ Nichtseminome: Altersgipfel 25.–30. Lebensjahr
teilamputation oder Amputation mit perinealer Ausleitung – Teratokarzinome (25%): unregelmäßige Struktur, derbe
der Harnröhre notwendig. Präkanzerosen und Frühformen und weiche Zonen auf der Schnittfläche; mikrosko-
können in Einzelfällen auch durch Lasertherapie behandelt pisch: unausgereifte Anteile aller drei Keimblätter
werden. Sind inguinale Lymphknoten befallen, erfolgt die – Embryonalkarzinome (20%): weicher, rundlicher Tumor
Ausräumung der inguinalen und iliakalen Lymphknoten. mit blutigen Suffusionen auf der Schnittfläche; mi-
Eine Chemotherapie wird im metastasierten Stadium einge- kroskopisch: undifferenzierte epitheliale Zellverbän-
setzt. Die Resultate sind aber derzeit unbefriedigend. de mit drüsenartigen Spalt- und Hohlräumen
Prognose ‹ Bei oberflächlichen Tumoren ohne Lymphkno- – Chorionkarzinom (5%): hoch maligner kleiner Tumor, ma-
tenmetastasen beträgt die 5-Jahresüberlebensrate über 90%, kroskopisch ähnlich Embryonalkarzinom; mikrosko-
bei nachgewiesener Metastasierung jedoch nur 10–50%. Bei pisch: mehrkernige Riesenzellen (Synzytiotrophobla-
Fernmetastasen ist keine Heilung mehr möglich. sten) neben einkernigen Zytotrophoblasten
– Teratom (5%): derber homogener Tumor mit fibröser
Kapsel, enthält Muskel-, Knorpel- und Knochenge-
7.5 Hoden und Nebenhoden webe, im Kindesalter benigne, beim Erwachsenen
potentiell maligne
Nichtgerminale Hodentumoren (5%)
Siehe auch spezielle Pathologie, Kap. 13.2.4. ‹ Leydig-Zell-Tumoren: meist gutartig, Produktion von An-
drogenen und Östrogenen (Pubertas praecox, Libido-
Kurzzusammenfassung verlust, Gynäkomastie)
Etwa 1–2% aller malignen Tumoren beim Mann sind Hodentumoren, ‹ Sertoli-Zell-Tumoren: meist gutartig, je älter der Patient,

die überwiegend zwischen dem 20.und 40.Lebensjahr auftreten.Der umso eher besteht maligne Entartung
überwiegende Teil der Tumoren (> 90%) geht von den Keimzellen aus. ‹ Dottersacktumoren: häufig bei Kindern

95% aller Hodentumoren sind bösartig, wachsen schnell und metas- Metastasen
tasieren frühzeitig. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung liegen bei Maligne Lymphome, Karzinome, Melanome.
25–30% der Patienten Metastasen vor.Trotzdem ist die Prognose bei Die testikuläre intraepitheliale Neoplasie (TIN) geht als
Präkanzerose allen testikulären Keimzelltumoren (Aus-

Tumoren 915
nahme: spermatozytäres Seminom) voraus. Es handelt Therapie ‹
sich um atypische, neoplastische Spermatogonien, die Für die Therapie sind die Unterscheidung in Seminome
sich von normalen Spermatogonien unterscheiden las- und Nichtseminome sowie das Stadium wichtig. Thera-
sen. pieziel ist in allen Fällen die vollstständige Tumorrück-
Metastasierung ‹Der häufigste Metastasierungsweg ist lym- bildung (komplette Remission). Eine Übersicht zeigt Ta-
phogen entlang der Hodengefäße in die paraaortalen und belle 7.5.
parakavalen Lymphknoten auf Höhe des Nierenhilus. Die Seminome metastasieren langsam und sind sehr strahlen-
zweite Lymphknotenstation liegt in den mediastinalen und sensibel. Im Frühstadium erfolgt im Anschluss an die
supraklavikulären Lympknoten (Venenwinkel). Von dort Semikastratio die Bestrahlung der infradiaphragmalen
erfolgt die Fernmetastasierung in Lunge, Leber, Knochen Lymphnoten, ab Stadium IIA auch der ipsilateralen iliaka-
und Gehirn. Eine Metastasierung auf die Gegenseite ist len Lymphknoten. In Stadium IIC und III wird zunächst
möglich, v.a. von rechts nach links, selten von links nach eine induktive Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und
rechts. Das Chorionkarzinom metastasiert meist primär Bleomycin oder Ifosphamid (PEB oder PEI-Schema)
hämatogen (Tabelle 7.4). durchgeführt. Verbleiben größere Residualtumoren, wer-
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ den diese reseziert.
‹ schmerzlose Schwellung mit tastbarem derben Knoten Nichtseminome haben eine hohe Metastasierungsneigung.
‹ Symptome durch Metastasen (bei ca. 10%): Inappetenz, Daher erfolgt im Anschluss an die Semikastratio die retro-
Gewichtsverlust, Abdominal- und Flankenschmerzen, peritoneale Lymphadenektomie (RLA),im Stadium I einsei-
Rückenschmerzen, Dyspnoe oder Hämoptoe tig,in Stadium IIA und IIB beidseitig.Diese umfasst die Ent-
‹ Gynäkomastie bei Leydig-Zell-Tumoren fernung aller Lymphknoten entlang der Aorta, V. cava, zwi-
Diagnose ‹ Anamnese, Inspektion und Palpation (tastbare schen und hinter den Gefäßen, vom Oberrand der V. renalis
Resistenz?), LK-Status (v.a. supraklavikulär), Sonographie bis zu den iliakalen Lymphknoten der betroffenen Seite. Die
(intraskrotale Raumforderung), CT-Abdomen und Rö- V.testicularis und begleitende Lymphbahnen werden mitre-
Thorax sowie ggf. Skelettszintigraphie und CT-Schädel zur seziert. Bei den meisten Patienten kommt es in Folge zum
Metastasensuche. Ejakulationsverlust durch Schädigung der Sympathikusfa-
Tumormarker: α-Fetoprotein (AFP) und β-HCG erhöht bei sern im Bereich der Aortenbifurkation (L1–L3). Durch mo-
Nichtseminomen, β-HCG auch bei 15% der Seminome, difizierte Formen der RLA lässt sich dies häufig vermeiden.
Marker zur Verlaufskontrolle. Halbwertszeit AFP 4–5 Tage, Postoperativ wird eine adjuvante Chemotherapie nach dem
β-HCG 24 h PEB-Schema durchgeführt. Im Stadium IIC und III erfolgt
Differentialdiagnose ‹Epididymitis,Orchitis,Hydrozele,Sper- zunächst die induktive Chemotherapie. Residuale Tumor-
X matozele, Hodentorsion, Urogenitaltuberkulose. massen werden soweit möglich reseziert. Verbleibt vitales
Tumorgewebe muss auch noch eine adjuvante Chemothera-
pie durchgeführt werden. Das Chorionkarzinom wird
Merke ‹Erster Schritt der Therapie und gleichzeitig Diagnosesiche-
primär durch Chemotherapie behandelt.
rung ist die inguinale Semikastratio.Gleichzeitig erfolgt die Biopsie
Prognose ‹ 5-Jahresüberleben: Stadium I ⇒ 100%, Stadi-
des kontralateralen Hodens zur Erkennung einer TIN (positiv in
um IIA, B ⇒ 95%, Stadium IIC ⇒90%, Stadium III ⇒ bis
4–5%).Die transskrotale Biopsie ist kontraindiziert (Verschleppung!).
85%. Die beste Prognose haben Seminome.
Die histologische Untersuchung und das anschließende Staging be-
stimmen die weitere Therapie.

Klinischer Fall
Tabelle 7.4. Stadieneinteilung der Hodentumoren (modifiziert nach Cavalli) Was ist bei einem histologisch reinen Seminom am wenigsten zu erwarten?
(A) b -HCG-Erhöhung
Stadium I Tumor auf den Hoden beschränkt,
keine Fernmetastasen (B) primär lymphogene Metastasierung
(C) Lungenmetastasen
Stadium II lymphogene Metastasierung
im Retroperitoneum (D) „bulky disease“ der retroperitonealen Lymphknoten
Stadium IIA Metastasendurchmesser < 2 cm (E) AFP-Erhöhung
Stadium IIB Metastasendurchmesser 2,5 cm Lösung: E
Stadium IIC Metastasendurchmesser > 5 cm
(„bulky disease“)
Stadium III supradiaphragmatische LK-Metastasen
und/oder Fernmetastasen

Tabelle 7.5. Therapieschema beim Hodenkarzinom

Seminom Nichtseminom
Stadium I retroperitoneale Radiatio 25–30 Gy einseitige RLA
Stadium IIA retroperitoneale und iliakale Radiatio 30–40 Gy beidseitige RLA, adjuvante Chemotherapie (2-mal PEB)
Stadium IIB retroperitoneale und iliakale Radiatio 30–40 Gy beidseitige RLA, adjuvante Chemotherapie (2-mal PEB)
Stadium IIC induktive Chemotherapie (3-mal PEB/PEI), induktive Chemotherapie (3-mal PEB), evtl. Resektion,
evtl. Resektion adjuvante Chemotherapie
Stadium III induktive Chemotherapie (3-mal PEB/PEI), induktive Chemotherapie (4-mal PEB), evtl. Resektion,
evtl. Resektion adjuvante Chemotherapie

916 Urologie
7.6 Prostata Merke ‹Ein akuter Harnverhalt kann in jedem Stadium der BPH auf-
treten!
Kurzzusammenfassung
Die benigne Prostatahyperplasie (Prostataadenom) ist die häufigste
urologische Erkrankung des Mannes ab 40. Typisch sind obstruktive Komplikationen ‹Die chronische Obstruktion führt zu einer
und irritative Symptome, die zu einer erheblichen Einschränkung der kompensatorischen Hypertrophie der Harnblasenmusku-
Lebensqualität führen können. Die Therapie der Wahl ist die trans- latur mit Trabekulierung und Ausbildung von Pseudodi-
urethrale Resektion oder bei größeren Adenomen die offene Prosta- vertikeln. Die hohen Restharnmengen begünstigen rezidi-
tektomie. vierende Infektionen. Bei muskulärer Dekompensation
Das Prostatakarzinom ist das häufigste Karzinom des Urogenitaltrak- kommt es zum unwillkürlichen Harnabgang (Ischuria pa-
tes. Beim Mann ist es der zweithäufigste maligne Tumor. Der Alters- radoxa).Die zunehmende Hydronephrose schließlich kann
gipfel liegt zwischen dem 50.und 60.Lebensjahr.Die Prävalenz steigt im postrenalen Nierenversagen enden.
mit zunehmendem Lebensalter. Nur bei Diagnosestellung im meist Diagnose ‹Anamnese (evtl. anhand spezieller Fragebögen),
asymptomatischen Frühstadium ist eine kurative Therapie möglich. Untersuchung (rektal digital ⇒ Größe, Form, Konsistenz),
Bereits im Stadium der Lymphknotenmetastasierung stehen nur noch Labor (Nierenfunktion? PSA), Urodynamik, Sonographie
palliative Maßnahmen zur Verfügung. Abdomen (Restharn? Stauungsnieren?), transrektale So-
nographie (genaue Größenbestimmung), i.v.-Urogramm.
Differentialdiagnose ‹Prostatakarzinom,Prostatitis,Blasentu-
mor, Blasenhalssklerose, Harnröhrenveränderungen, neu-
7.6.1 Prostatahyperplasie rogene Blase, Malignome im kleinen Becken.
Ätiologie/Pathogenese ‹ Die Prostata lässt sich in vier unter- Therapie ‹
schiedliche Zonen unterteilen: die periphere Zone,die zen- ‹ medikamentös: im Stadium I ggf. Versuch mit Phytophar-
trale Zone, die periurethrale Übergangszone und das ante- maka, sonst im Stadium I und II selektive-α1a-Rezepto-
riore fibromuskuläre Stroma.Eine Vergrößerung der Über- renblocker (Tamsulosin) oder 5-α-Reduktasehemmer
gangszone durch Proliferation der periurethralen Drüsen (Finasterid)
und umgebender Muskulatur führt zur benignen Prosta- ‹ operativ: Stadium III, zunehmend auch Stadium II, trans-
tahyperplasie (BPH). Wachstum in der Peripherie bleibt urektale Resektion (TUR-P) bis 70 g, bei größerer
meist lange unbemerkt, eine Vergrößerung nach innen Prostata transvesikale oder retropubische Prostata-
führt zu einer Einengung der Urethra und Behinderung adenomektomie, Alternativverfahren: Lasertherapie,
funktioneller Abläufe am Blasenhals.Sie kann schon bei ge- Kryotherapie
ringgradiger Vergrößerung zu erheblichen Symptomen ‹ Katherismus: akuter Harnverhalt, chronisch-dekompen- X
führen (¶ Abb. 7.3). sierte Harnblase
Die Ätiologie dieses Wachstumsschubes,der ab dem 40.Le-
bensjahr stattfindet, ist bisher nicht eindeutig geklärt.Ver-
Merke ‹Bei der Resektion eines Prostataadenoms bleibt das gesun-
mutlich sind die altersabhängige Zunahme der Östrogene
de, aber komprimierte Prostatagewebe der peripheren Zone als sog.
und Abnahme des Testosterons wichtige Faktoren.
chirurgische Kapsel stehen. Vorsorgeuntersuchungen des Prosta-
Klinisches Bild/Symptomatik ‹Siehe auch Tabelle 7.6.
takarzinoms sind daher weiterhin notwendig.
‹ Obstruktion: verzögerter Miktionsbeginn, schwacher
Harnstrahl, verlängerte Miktionsdauer, Nachträufeln,
Restharn
7.6.2 Prostatakarzinom
‹ Irritation: Dysurie, Pollakisurie, Dranginkontinenz, Nykt-
urie, akuter Harnverhalt Siehe auch Spezielle Pathologie, Kap. 13.1.3.
Ätiologie/Pathogenese ‹Das Prostatakarzinom entwickelt sich
in 98% aus den Drüsenepithelien (Adenokarzinom) der pe-
ripheren Zone, überwiegend im dorsalen Anteil. Selten fin-
det man Plattenepithelkarzinome oder Sarkome. Als Prä-
kanzerose gilt die prostatische intraepitheliale Neoplasie
(PIN). Das Karzinom wächst in der Prostata entlang der
Lymphspalten, durchbricht die Kapsel im Bereich der Peri-
neuralscheiden und infiltriert die Samenblasen. Die Meta-
stasierung erfolgt zunächst lymphogen in obturatorische,
präsakrale und inguinale Lymphknoten und später häma-
togen bevorzugt in das Skelett (osteoblastische Metastasen).
Die häufigste Lokalisation sind LWS, Becken und proxima-
ler Femur.Das Tumorwachstum wird durch Testosteron sti-
muliert, durch Androgenentzug gehemmt (Tabelle 7.7).

Tabelle 7.6. Stadien der benignen Prostatahyperplasie

Stadium I typische Symptomatik, kein Restharn


Stadium II Restharn > 100 ml
Stadium III Überlaufblase, Stauungsnieren, postrenales
Nierenversagen
Abb. 7.3. Entwicklung des Prostataadenoms.Aus [4]

Tumoren 917
Tabelle 7.7. TNM-Klassifikation des Prostatakarzinoms

Primärtumor Lymphknoten
T1 klinisch weder durch Palpation noch bildgebende Verfahren erkennbarer Tumor N0 keine regionären LK-Metastasen
T1a zufälliger histologischer Befund in <5% des Resektats N1 solitäre LK-Metastasen < 2 cm
T1b zufälliger histologischer Befund in >5% des Resektats N2 solitäre LK-Metastase zwischen 2
T1c Diagnose durch Prostatabiopsie (z.B. wegen PSA↑) und 5 cm oder multiple LK-Metas-
tasen < 5 cm
T2 Tumor auf Prostata begrenzt
N3 LK-Metastasen > 5 cm
T2a Tumorbefall der Hälfte eines Lappens oder weniger
T2b Tumorbefall > als Hälfte eines Lappens, einseitig Fernmetastasen
T2c Tumorbefall beider Seitenlappen M0 keine
T3 Tumorausbreitung durch Kapsel in extrakapsuläres Gewebe M1 vorhanden
T3a einseitige extrakapsuläre Ausbreitung
T3b beidseitige extrakapsuläre Ausbreitung
T3c Samenblaseninfiltration
T4 Tumor ist fixiert oder infiltriert andere Strukturen
T4a Tumorinfiltration des Blasenhalses, Sphincter ext. und/oder Rektum
T4b Tumorinfiltration des M. levator oder Fixierung an Beckenwand

Die Ätiologie ist unklar.Endokrinologische und diätetische ‹ inzidentelles Karzinom (T1a): keine weitere Therapie, aber
Faktoren werden vermutet. engmaschige Kontrolle
Man unterscheidet: ‹ lokal begrenztes Prostatakarzinom (T1b-3/N0/M0): Nach Exstir-
‹ latentes Prostatakarzinom: zu Lebzeiten nicht diagnostiziert pation und Schnellschnittuntersuchung der obturatori-
⇒ Obduktionsbefund schen Lymphknoten erfolgt bei Metastasenfreiheit die
‹ inzidentelles Prostatakarzinom: normaler Tastbefund, Tumor radikale Entfernung der Prostata mit Samenblasen (ra-
wird zufällig im Rahmen einer BPH-Operation ent- dikale Prostatektomie) und Anastomose zwischen
deckt Harnröhre und Blasenhals. Nebenwirkungen sind erek-
X ‹ okkultes Prostatakarzinom: unauffälliger Tastbefund, Primär- tile Dysfunktion (100%), Harninkontinenz (5%) und
manifestation durch Metastasen Urethrastriktur (5–15%). Bei Patienten > 70 Jahre wird
‹ klinisch manifestes Prostatakarzinom: rektal tastbarer Tumor anstelle des radikalen Eingriffs ein Androgenentzug
mit/ohne Symptome, mit/ohne Metastasen durchgeführt.Die Nachsorge erfolgt durch regelmäßige
Klinisches Bild/Symptomatik ‹In frühen Stadien (T1,T2) sind die PSA-Kontrollen, dessen Erhöhung auf einen Residual-
Patienten oft subjektiv beschwerdefrei oder leiden unter tumor oder Metastasen hinweist.
den typischen „Prostatikersymptomen“. Durch das Tu- ‹ fortgeschrittenes Prostatakarzinom (T3, T4/N1–4/M1): Therapie
morwachstum kommt es zu rasch zunehmenden obstruk- der Wahl des nichtkurablen Prostatakarzinoms ist der
tiven Beschwerden bis hin zur Harnstauungsniere mit pro- Androgenentzug. Etwa 80% der Tumorzellen sind hor-
gredienter Niereninsuffizienz. Bei 25% der Patienten sind monsensitiv.
Kreuzschmerzen und Ischiasbeschwerden bedingt durch – subkapsuläre Orchiektomie: Reduktion der Testosteron-
Metastasen das erste Krankheitssymptom. produktion
Diagnose ‹Rektalpalpation (derber Knoten, unregelmäßige – Antiandrogene: blockieren Testosteronwirkung am
Oberfläche, unscharfe Begrenzung), transrektale Sonogra- Zielorgan
phie, Prostatabiopsie, i.v.-Urogramm (Stauung? Knochen- – LH-RH-Agonisten: zunächst Erhöhung des Testosteron-
metastasen?), Urethrozystoskopie (Infiltration der Urethra spiegels für 2–3 Wochen (deshalb gleichzeitig Gabe
oder Harnblase), CT (Ausdehnung? LK-Metastasen?), Rö- von Antiandrogenen), danach Sistieren der Testos-
Thorax (Lungenmetastasen?),Ganzkörperskelettszintigra- teronproduktion (pharmakologische Hypophysek-
phie (Knochenmetastasen?). tomie)
– Östrogene: verminderte Sekretion von LH und damit
Reduktion der Testosteronproduktion,aufgrund von
Merke ‹Der wichtigste Tumormarker des Prostatakarzinoms ist das
NW kaum eingesetzt
prostataspezifische Antigen (PSA).Es kann jedoch auch bei anderen
Nach etwa 2 Jahren kommt es zu einer Tumorprogression
Erkrankungen (Adenom, Prostatitis) erhöht sein. Es eignet sich sehr
durch hormonrefraktäre Tumorzellen. In diesem Stadium
gut zur Verlaufskontrolle.Die Bestimmung des nicht eiweißgebunde-
können Estramustinphosphat oder eine Chemotherapie
nen „freien“ PSA erhöht die Sensitivität.
eingesetzt werden. Eine komplette Remission ist damit
fPSA/PSA < 0,25 ⇒ eher Karzinom, fPSA/PSA > 0,25 ⇒ eher BPH.
nicht zu erreichen.Es kommt jedoch zu einer günstigen Be-
einflussung v.a. der ossären Schmerzen. Knochenschmer-
Differentialdiagnose ‹Prostatahyperplasie,chronische Prosta- zen durch Metastasen sprechen gut auf eine lokale Be-
titis, granulomatöse Prostatitis, Prostatasteine, Prostatatu- strahlung an.
berkulose. Prognose ‹5-Jahresüberleben bei stadiengerechter Behand-
Therapie ‹Die Wahl der Therapie hängt ab von Tumorstadi- lung: T1–2 ⇒ 80–90%, T3 ⇒ 40%, fortgeschrittene Stadien
um und Differenzierungsgrad sowie Alter, Lebenserwar- ⇒ < 50%
tung und Allgemeinzustand des Patienten:

918 Urologie
sis. Für die einzelnen Steinarten sind unterschiedliche Ri-
Merke ‹Die Früherkennungsuntersuchung bestehend aus rektaler
sikofaktoren bekannt:
Untersuchung, TRUS und PSA sollten bei jedem Mann ab dem 45. Le-
‹ Kalziumsteine: idiopathische Hyperkalziurie, primärer
bensjahr durchgeführt werden. Damit kann ein größerer Anteil der
Hyperparathyroidismus, Hypozitraturie, primäre Hy-
Prostatakarzinome in noch kurablem Stadium entdeckt werden.
peroxalurie, enterale Hyperoxalurie (z.B. M. Crohn), re-
nale tubuläre Azidose, Vitamin-D-Überdosierung, Im-
mobilisation
‹ Struvitsteine: Infektsteine bei Proteus- oder Klebsiellen-
Infektionen (Ureasebildner)
‹ Harnsäuresteine: vermehrte exogene Harnsäurezufuhr
8 Urolithiasis (purinreiche Kost), renale Ausscheidungsstörung
‹ Zystinsteine: Zystinurie ⇒ autosomal-rezessiv vererbte
Zusammenfassung
Transportstörung im Nierentubulus, Zystin ist sehr
Die Urolithiasis ist eine der häufigsten urologischen Krankheitsbilder,
schlecht löslich, bei stark gesteigerter Trinkmenge
von der in Deutschland 4–5% der Bevölkerung betroffen sind.Der Al-
(3–5 l/24 h) und Harnalkalisierung verbesserte Lös-
tersgipfel liegt bei Männern zwischen dem 25.und 40.Lebensjahr und
lichkeit
bei Frauen zwischen dem 25. und 30. sowie zwischen dem 50. und
65.Lebensjahr.Männer sind etwa viermal häufiger betroffen als Frau-
en. 97% aller Steine befinden sich in Nieren und Harnleiter, nur 3%
sind in Blase und Harnröhre lokalisiert. Leitsymptom des Harnstein-
8.3 Nierensteine
leidens ist die Kolik. Die meisten Nierensteine gehen spontan ab, so-
Kurzzusammenfassung
dass eine instrumentelle oder gar operative Intervention nur selten
Harnsteine entstehen am häufigsten im Nierenbeckenkelchsystem.
notwendig ist.
Solange sie in der Niere verbleiben,sind sie meist symptomlos und kön-
nen abwartend beobachtet werden.Führen sie zu Komplikationen wie
Infektion oder Obstruktion,müssen sie behandelt werden.Das häufig-
8.1 Steinarten ste Therapieverfahren ist die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie
(ESWL), die bei größeren Konkrementen auch mehrfach angewendet
werden kann. Durch die Effektivität dieser Methode sind offene Ope-
Steine in den Harnwegen können nach verschiedenen Kri- rationen nur noch sehr selten notwendig.Bei infizierter Stauungsnie-
terien eingeteilt werden: Lokalisation, chemische Zusam- re ist vor jeder weiteren Therapie eine Entlastung (Harnleiterschiene,
mensetzung, Form und Nachweisbarkeit durch Röntgen- Nephrostomie) notwendig,um eine drohende Urosepsis zu verhindern. X
strahlen. Chemisch reine, nur aus einer Substanz beste-
hende Steine sind selten.
‹ Kalziumsteine (70%): Kalziumoxalat ⇒ hart, unregelmäßig, Symptomatik ‹ In der Niere unterscheidet man Kelchsteine,
zackig, weißgrau bis braun, röntgendicht Nierenbeckensteine sowie Ausgusssteine, die Kelche und
‹ Phosphatsteine (14%): Magnesiumammoniumphosphat Nierenbecken partiell oder komplett ausfüllen (¶ Abb.8.1).
(Struvit) oder Kalziumphosphat ⇒ aufgeraute oder Die Symptomatik ist abhängig von der Lage und Beweg-
glatte Oberfläche, bröckelig, weiß bis braun, schwächer lichkeit der Steine. Ruhende Steine sind meist symptomlos,
röntgendicht gelegentlich klagen die Patienten über dumpfe Flanken-
‹ Harnsäuresteine (15%): Harnsäure, Ammoniumurat ⇒ schmerzen.Bei Obstruktion können rezidivierende Koliken
rundlich, glatt, sehr hart, gelbgrau bis dunkelbraun, mit Schmerzen im Nierenlager auftreten. Typisch sind eine
nicht röntgenschattengebend Mikro- sowie seltener eine Makrohämaturie. Infizierte Nie-
‹ Zystinsteine (1%): Zystin ⇒ rund bis oval,sehr hart,gelblich rensteine führen zu rezidivierenden Pyelonephritiden oder
bis ocker, schwach röntgendicht (flauer Schatten) bei vollständiger Abflussbehinderung zur Pyonephrose mit
Gefahr der Urosepsis.Bei kompletten Ausgusssteinen ist die
Niere oft stumm.
8.2 Ätiologie und Pathogenese Diagnostik ‹Anamnese, typische Klinik, Urinsediment (Mi-
krohämaturie, selten Leukozyturie), Urinkultur, Sonogra-
phie (Konkrement mit Schallschatten? Harnstauung?), i.v.-
Siehe auch Innere Medizin, Abschnitt 6, Kap. 2.14. Urogramm.
Die Entstehung von Harnsteinen ist multifaktoriell be- Differentialdiagnose ‹
dingt.Grundlage der Konkrementbildung ist eine Übersät- ‹ Verkalkung: Tumor, Phlebolith, verkalkter Mesenterial-
tigung des Urins mit steinbildenden Substanzen. Es entste- lymphknoten, Aneurysma, Gallensteine, verkalkte My-
hen Kristalle, die sich zusammenlagern (Aggregation) und ome, Nebennierenverkalkung, verkalkte Zyste
den typischerweise geschichteten Harnstein bilden. Der ‹ Kontrastmittelaussparung: Nierenbeckentumor, Nierenzell-
Kristallisationsvorgang wird beeinflusst durch Hyperkal- karzinom, Blutkoagel, Tuberkulose, Papillennekrose
ziurie, pH-Veränderungen, Verminderung des Harnvolu- Therapie ‹
mens, Hyperurikurie und Verminderung von Inhibitoren ‹ abwartend: ruhende,nichtinfizierte Steine müssen nur re-
(Zitrat, Pyrophosphat), die mit steinbildenden Ionen lösli- gelmäßig kontrolliert werden
che Komplexe bilden. Auch epidemiologische Faktoren ‹ konservativ: ausreichende Flüssigkeitszufuhr, antibioti-
(Alter, Geschlecht, Klima, Ernährung) spielen eine Rolle. sche Behandlung von Harnwegsinfekten,Harnsäurestei-
Bei etwa einem Drittel der Patienten liegen der Steinbil- ne können durch konsequente Harnalkalisierung (Ura-
dung metabolische Störungen zugrunde. Bei den übrigen lyt U) und Senkung des Harnsäurespiegels (Allopurinol)
Patienten handelt es sich um eine idiopathische Urolithia- aufgelöst werden

Urolithiasis 919
Abb. 8.1.a,b I.v.-Urogramm mit Nierenbecken-
ausgussstein.a Leeraufnahme mit einem vollstän-
dig das rechte Nierenbecken ausfüllenden Aus-
gußstein; b Urogramm mit noch guter Funktion
der rechten Niere und unauffälliger linker Niere

a b

‹ ESWL: bei Nierenkelch- und Nierenbeckensteinen, bei


Konkrementen > 3 cm muss gleichzeitig die Harnablei-
tung durch Harnleiterschiene oder Nephrostomie gesi-
chert werden
‹ perkutane Nephrolitholapaxie (PNL): endoskopische Steinzer-
trümmerung (Ultraschall, Laser, mechanisch) und Ent-
X fernung der Steintrümmer nach perkutaner Punktion
des Nierenbeckenkelchsystems
‹ offene Operationen: nur noch selten notwendig, operative
Entfernung bei Ausgusssteinen (alternativ ESWL +
PNL), Steine bei dystopen Nieren oder Harnleiterab-
gangsstenosen

8.4 Harnleitersteine
Kurzzusammenfassung
Harnleitersteine sind in den Harnleiter gewanderte Nierensteine.Das
typische Symptom ist die Kolik.Bis zu 90% der Steine gehen spontan
ab, sodass bei fehlenden Komplikationen die konservative Therapie
im Vordergrund steht.Bei nicht spontan abgangsfähigen Steinen,zu- Abb. 8.2. Schmerzprojektion beim Nieren- und Ureterstein.Aus [4]
sätzlichem Harnwegsinfekt oder stauungsbedingter Minderung der
Nierenfunktion müssen instrumentelle Maßnahmen zum Einsatz
kommen. steinbedingte Nierenkolik. Führt der Harnleiterstein zur
Obstruktion und Infektion des Hohlsystems, ist eine um-
gehende Entlastung notwendig, um eine Urosepsis zu ver-
Symptomatik ‹Die typische Kolik beginnt mit plötzlich ein- hindern (¶ Abb. 8.2).
setzenden krampfartigen Schmerzen.Sie tritt v.a.auf,wenn Diagnostik ‹ Die Diagnostik entspricht der bei Nierenstei-
ein Stein an die physiologischen Engen des Harnleiters nen. Der abgegangene Stein muss analysiert werden, um
(Nierenbeckenabgang, Gefäßkreuzung, Ureterenmün- Therapie und Metaphylaxe durchführen zu können. Die
dung) gelangt. Der Schmerz projiziert sich je nach Lokali- Suche nach den Ursachen der Steingenese umfasst Labor-
sation des Konkrements in die Flanken, entlang des Harn- diagnostik (Kalzium, Harnsäure, Kreatinin) und Urinun-
leiters in den Unterbauch,den Leistenkanal oder die Hoden tersuchung (Volumen, pH-Wert, spezifisches Gewicht, Kal-
bzw. Labien. Tief sitzende Steine verursachen häufig eine zium, Harnsäure, Oxalat, Zitrat, Harnstoff, Kreatinin).
Dysurie und Pollakisurie.Reflektorisch kommt es zu Darm- Differentialdiagnose ‹
paralyse, Übelkeit und Erbrechen. Während der Kolik ist ‹ Kolik: Gallensteinkolik, Cholezystitis, Appendizitis, Ad-
der Patient sehr unruhig und in ständiger Bewegung. Zwi- nexitis, Sigmadivertikulitis, Hodentorsion
schen den Koliken ist er völlig beschwerdefrei. Bei fast al- ‹ Kontrastmittelaussparung: Urotheltumor,Blutkoagel,Uroge-
len Patienten findet sich eine Mikro-, seltener auch Ma- nitaltuberkulose, Harnleiterstenosen, Harnleiterkom-
krohämaturie. Der Steinabgang gilt als Beweis für eine pression von außen

920 Urologie
Tabelle 8.1. Metaphylaxe bei Urolithiasis

Steinart Nahrung Medikamente


Kalziumsteine Kalzium, Oxalat, Protein und Purin einschränken Alkalisierung, ggfs. Thiazide zur Verminderung
der Ca++-Ausscheidung
Phosphatsteine Zitrusprodukte und Protein einschränken, Infektsanierung
Phosphat meiden
Harnsäuresteine Purine einschränken Alkalisierung, Allopurinol
Zystinsteine Proteine einschränken Alkalisierung (pH > 7,5), Ascorbinsäure

Therapie ‹ (C) Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) ist zur Behandlung der Zy-
‹ konservativ: bei der akuten Kolik Analgesie und Spasmo- stinsteine indiziert.
lyse, ausreichende Diurese (> 2000 ml/24 h), Bewe- (D) Zum Maßnahmensprektrum bei der Metaphylaxe gehört die Harnalkalisie-
gung, antibiotische Behandlung von Infekten, bei un- rung.
komplizierten Steinen Spontanabgang abwarten (E) Die Erhöhung der täglichen Zufuhr von tierischem Eiweiß steigert die Zy-
‹ ESWL: nicht spontan abgangsfähige Steine, rezidivieren- stinausscheidung im Urin.
de schwere Koliken, persönlich Situation des Patienten Lösung: A
(Leidensdruck, Beruf, etc.)
‹ Ureterorenoskopie: endoskopische Steinzertrümmerung und
Extraktion bei distalen Harnleitersteinen nach erfolgloser
ESWL oder persistierender Steinstraße nach ESWL
Metaphylaxe ‹ Im Anschluss an die Akutbehandlung eines
Steinpatienten sollte eine Metaphylaxe zur Verhinderung
von Rezidivsteinen durchgeführt werden (Tabelle 8.1). Die 9 Verletzungen von Nieren,
wichtigste prophylaktische Maßnahme ist die ausreichen- Harnleiter, Blase, Harnröhre
de Flüssigkeitszufuhr von mind. 2 l/24 h (spezifische Ge-
wicht des Urins 1010–1015 g/l). Die Ernährung sollte ausge- und Genitale
wogen sein mit für die einzelnen Steinarten spezifischen
Einschränkungen. Zusammenfassung
Etwa 60% der Patienten mit urogenitalen Verletzungen sind po-
lytraumatisiert. Ursächlich sind am häufigsten Straßenverkehrs-, X
8.5 Blasensteine Sport- und Arbeitsunfälle. Verletzungen der Genitale entstehen in
über 30% bei sexuellen Aktivitäten, meist infolge autoerotischer
Kurzzusammenfassung Handlungen. In Mitteleuropa überwiegt die stumpfe Gewalteinwir-
Blasensteine entstehen als Komplikation einer Blasenentleerungs- kung, in Kriegsgebieten stehen Schuss- und Stichverletzungen im
störung. Diagnostik und Therapie erfolgen wenig invasiv zystosko- Vordergrund.Verletzungen des Urogenitaltraktes sind bis auf wenige
pisch. Offene Operationen sind nur selten notwendig. Ausnahmen nicht vital bedrohlich und werden daher bei Mehrfach-
verletzten leicht übersehen.Auch initial asymptomatische Verletzun-
gen können ein erhebliches Ausmaß annehmen. Dies kann durch in-
Ätiologie ‹ Blasensteine entstehen bei Blasenentleerungs- adäquate Therapie zu Funktionseinschränkungen bis hin zum Verlust
störungen,z.B.durch Prostatahyperplasie,Harnröhrenstrik- eines Organs führen. Bei jeder Verletzung ist daher eine engmaschi-
turen oder bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen. ge klinische und sonographische Verlaufkontrolle notwendig.
Bakterielle Harnwegsinfekte und Fremdkörper in der Blase
(Katheter) sind zusätzliche prädisponierende Faktoren.
Symptomatik ‹
‹ Dysurie, Pollakisurie 9.1 Verletzungsarten
‹ Hämaturie
‹ Blasenkrämpfe (Tenesmen)
‹ Unterbrechung des Harnstrahls
9.1.1 Niere
‹ rezidivierende Infekte
Diagnostik ‹Sonographie,Röntgen-Übersichtsaufnahme der Verletzungen der Niere entstehen v.a. beim stumpfen Tho-
Blase (Verkalkungen?), Zystoskopie. rax-, Bauch- oder Flankentrauma (¶ Abb. 9.1). Typisch ist
Therapie ‹Blasensteine werden zystoskopisch zertrümmert eine gleichzeitige Fraktur von Wirbelsäule oder Rippen.
(Lithotripsie) und entfernt. Selten ist eine Eröffnung der Die 12. Rippe kann dabei, auch ohne Fraktur, die Niere wie
Blase (Sectio alta) zur Entfernung der Steine notwendig. ein Säbel durchschneiden („Peitschenschlagphänomen“).
Grundsätzlich sollte auch die Ursache des Blasensteins be- Seltener sind Schuss- oder Messerstichverletzungen, deren
handelt werden. Ausmaß erst durch operative Exploration beurteilbar ist.
Geschlossene Nierenverletzungen durch stumpfe Gewalt-
einwirkung werden unterteilt in:
‹ I.leichte Verletzung (60–80%): Kontusion (Ia), Parenchym-
Klinischer Fall blutung (Ib)
Welche Aussage in Zusammenhang mit dem Zystinstein trifft nicht zu? ‹ II. schwere Verletzung (10–30%): inkomplette Nierenruptur
(A) Der Zystinstein ist der häufigste Harnstein. mit subkapsulärem (IIa) oder perirenalem Extravasat
(B) Der Zystinstein ist in der konventionellen Röntgendiagnostik im Allgmeinen (IIb), komplette Nierenruptur mit retroperitonealem
der am schwächsten schattengebende Harnstein. Extravasat (IIc)

Verletzungen von Nieren,Harnleiter,Blase,Harnröhre und Genitale 921


Abb. 9.1.a-f Einteilung des Nierentraumas.a kleiner
Parenchymriss, b subkapsuläres Hämatom, c einzelne
Parenchymverletzungen, d multiple, große Paren-
chymverletzungen, e Beteiligung des Hohlraumsy-
stems, f Nierenstielverletzung.Aus [2]

a b c

f
d e

‹ III. kritische Verletzung (< 5%): multiple Rupturen, Zer- zung,Einschnürungen) haben.Die Penisfraktur mit Einriss
trümmerung, Gefäßstielverletzung eines Corpus cavernosum und Hämatombildung entsteht
durch gewaltsame Abknickung des erigierten Penis.
X 9.1.2 Harnleiter Verletzungen des Skrotums betreffen die Skrotalhaut oder
den Hoden. Sie treten im Rahmen von Dammverletzungen
Isolierte Verletzungen des Ureters durch äußere Gewaltein- (Zweiradfahrer) und direkter Gewalteinwirkung (Schläge,
wirkung sind selten. Die weitaus häufigste Ursache sind ia- Tritte) auf. Stumpfe Traumen können zu massiven Häma-
trogene Verletzungen bei ureterorenoskopischen Eingriffen tomen und Hodenruptur führen.
und Operationen im Retroperitoneum und kleinen Becken.

9.1.3 Blase
Klinischer Fall
Harnblasenverletzungen entstehen fast immer durch Welche Aussage trifft nicht zu? Beim (isolierten) Nierenstielabriss
stumpfe Gewalteinwirkung auf die gefüllte Blase. Man un- (A) zeigt sich eine Schocksymptomatik
terscheidet extra- und intraperitoneale Rupturen. Becken- (B) kommt es anfangs regelmäßig zur Makrohämaturie
ringfrakturen führen häufiger zu extraperitonealen Verlet- (C) ist die betroffene Niere im Ausscheidungsurogramm typischerweise stumm
zungen. Oft liegt eine begleitende Harnröhrenverletzung (D) kann eine Renovasographie indiziert sein
vor (¶ Abb. 9.2). (E) ist eine Notfalloperation erforderlich
Lösung: B
9.1.4 Harnröhre
Verletzungen der Harnröhre betreffen fast ausschließlich 9.2 Symptomatik
Männer.Die Einteilung richtet sich nach der Beziehung der
Verletzung zum Diaphragma urogenitale (¶ Abb. 9.3).
‹ supradiaphragmatische Verletzung: Beckenringfrakturen Die Symptomatik der urogenitalen Verletzungen ist ab-
‹ infradiaphragmatische Verletzung: unsachgemäße Katheteri- hängig von den betroffenen Organen. Sie korreliert oft
sierung, transurethrale Eingriffe, Aufreit- oder Pfäh- nicht mit dem Ausmaß der Verletzung, kann sich aber in
lungsverletzungen („Straddle-Injury“), oft mit beglei- der Verlaufsbeobachtung ändern.
tender Ruptur des Corpus spongiosum
Sonderfälle sind Verletzungen durch autoerotische Hand-
Merke ‹Leitsymptome sind Schmerz, Hämaturie und Anurie.
lungen, bei denen Fremdkörper in die Harnröhre einge-
führt werden.
Bei Nierentraumen findet sich oft eine Mikro- oder Ma-
krohämaturie, die jedoch keinen sicheren Hinweis auf den
9.1.5 Genitale
Schweregrad der Verletzung liefert. Beim Nierenstiel- oder
Etwa die Hälfte der Genitalverletzungen betrifft den Penis. Harnleiterabriss fehlt die Hämaturie.Weitere Zeichen sind
Sie können traumatische (Ablederung der Haut, Amputa- Prellmarken in der Flanke sowie ein klopfschmerzhaftes
tion) oder autoerotische Ursachen (Staubsaugerverlet- Nierenlager.

922 Urologie
Isolierte Verletzungen eines Harnleiters sind initial asym-
ptomatisch und werden daher oft verspätet diagnostiziert.
Spätsymptome sind zunehmender Druckschmerz, tastba-
re Raumforderung (Urinom) und Erhöhung der Entzün-
dungswerte (Urinphlegmone?).
Blasenverletzungen gehen fast immer mit einer Hämaturie
einher. Tritt Urin nach intraperitoneal aus, entsteht eine lo-
kale Peritonitis, die sich klinisch in Druckschmerz und Ab-
wehrspannung äußert. Typisch ist auch der Harndrang
ohne folgende Miktion.
Durch die supradiaphragmale Harnröhrenruptur kommt
es zur Ausbildung eines Hämatoms und Urinoms im klei-
nen Becken, das von außen oft nicht sichtbar ist. Bei der
rektalen Untersuchung tastet sich eine „hochstehende“, be-
a wegliche Prostata. Die infradiaphragmale Harnröhren-
ruptur ist gekennzeichnet durch die Ausbreitung von Hä-
matom und Urinom in Perineum und Skrotum.
Verletzungen des äußeren Genitale sind meist von außen
sichtbar (Hämatom, Hautablederung), auch wenn das Aus-
maß, z.B. einer Hodenkontusion, erst durch weitere dia-
gnostische Maßnahmen beurteilt werden kann.

9.3 Diagnostik

Anamnese (Unfallhergang? ggf. Fremdanamnese), körperli-


che Untersuchung (rektal!),Labor (Hb,Krea,Hst,Elektrolyte)
und Urinsediment sind Grundlage jeder Diagnos-
tik. Die Sonographie ist die wichtigste orientierende Unter-
suchung bei jedem Unfallverletzten. Das Ausmaß der Verlet- X
zung (z.B. Nierenkontusion) kann oft genauer im CT darge-
stellt werden. Schon bei V.a. Beteiligung des Urogenitaltrak-
tes sollte ein i.v.-Urogramm, bei V.a. Blasenruptur eine
b retrograde Zystographie durchgeführt werden. Die Indikati-
Abb. 9.2.a, b Blasenrupturen.a Extraperitoneale Blasenverletzung bei Beckenringfrak- on zur Angiographie besteht bei „stummer Niere“ im i.v.-
tur, b intraperitoneale Blasenverletzung.Aus [4] Urogramm.Liegt gleichzeitige eine Kreislaufinsuffizienz vor,
muss notfallmäßige die Nierenfreilegung erfolgen, um den
Befund zu klären und gleichzeitig therapieren zu können.

Merke ‹Bei Beckenringfrakturen oder klinischen Hinweisen auf eine


Harnröhrenverletzung muss vor jedem Katheterisierungsversuch eine
retrograde Urethrozystographie durchgeführt werden.

9.4 Therapie

9.4.1 Niere

Die Therapie hängt vom Grad der Nierenverletzung ab.


Wenn möglich,sollte immer die Organerhaltung angestrebt
werden. Eine notfallmäßige Operation ist nur bei offenen
Nierenverletzungen, akuter Blutung mit instabilem Kreis-
lauf oder Nierenstielabriss indiziert. Alle übrigen Verlet-
zungen werden zunächst konservativ mit engmaschiger
Überwachung und Antibiotikaprophylaxe behandelt. Bei
ausgedehnten Parenchymverletzungen,Polabrissen,Urino-
Abb. 9.3. Harnröhrenverletzungen.a supradiaphragmale Harnröhrenruptur,b infradia- men sowie großen subkapsulären oder retroperitonealen
phragmale Harnröhrenruptur.Aus [3] Hämatomen erfolgt die operative Versorgung nach einigen
Tagen. Oft gelingt die Rekonstruktion der verletzten Niere,
sodass eine Nephrektomie meist nur bei Grad-III-Verlet-
zungen notwendig ist. Liegt ein isolierter Nierenstielabriss

Verletzungen von Nieren,Harnleiter,Blase,Harnröhre und Genitale 923


ohne großflächige Zerstörung des Parenchyms vor, kann 9.5 Früh- und Spätfolgen nach Verletzungen
eine Autotransplantation der Niere in das kleine Becken mit der Harnorgane
Anschluss an A. und V. iliaca vorgenommen werden. Nie-
renkontusionen mit oberflächlichen Parenchymverletzun-
gen und kleineren Hämatomen heilen meist unter konser- Der hämorrhagische Schock ist eine lebensbedrohliche
vativer Therapie aus. Frühkomplikation jedes Patienten mit akuter traumati-
scher Blutung. Bei Verletzungen der Niere, v.a. wenn sie
initial nicht diagnostiziert wurden, können sich infizier-
9.4.2 Blase und Harnröhre
te Hämatome und retroperitoneale Urinphlegmonen
Intraperitoneale Harnblasenverletzungen erfordern eine ausbilden. Jede Verletzung des Urogenitaltraktes kann
operative Revision mit Übernähung der Blasenwand, Einla- Ausgangspunkt einer Urosepsis sein. Bei offenen Verlet-
ge eines transureturaten Katheters und Inspektion des übri- zungen findet sich in Folge nicht selten auch eine Perito-
gen Bauchraumes. Extraperitoneale Verletzungen heilen nitis.
meist unter konservativer Therapie mit suprapubischer oder Spätkomplikationen im Bereich der Niere entstehen durch
transurethraler Harnableitung aus. Größere Läsionen müs- Schrumpfung und Fibrosierung des Parenchyms. Renale
sen jedoch ebenfalls operativ versorgt und gleichzeitig eine Hypertonie oder progredienter Funktionsverlust des Or-
ausgiebige Drainage des Perineums durchgeführt werden. gans sind die Folge. Narbenbildungen am Hohlsystem
Alle kompletten Harnröhrenabrisse müssen operativ führen zu Harnabflussstörungen bis hin zur Hydronephro-
versorgt werden. Die primäre End-zu-End-Anastomose se. Die häufigsten Komplikationen nach Harnröhrenver-
erfolgt unter ungünstigen Bedingungen (Blutungen, Hä- letzungen sind Harnröhrenstrikturen, Inkontinenz und
matom, Beckenverletzungen) und ist mit einer relativ ho- Impotenz,die bei bis zu 2/3 der Patienten auftreten und z.T.
hen Komplikationsrate verbunden. Daher wird in den weitere Operationen notwendig machen.
meisten Fällen zunächst der Urin suprapubisch abgelei-
tet und die Ruptur im Intervall durch plastisch-rekon-
struktive Maßnahmen versorgt. Wird aufgrund anderer
Verletzungen eine Laparotomie durchgeführt, kann die
Harnröhre unter Sicht durch einen Katheter geschient
werden. 10 Nebenniere
Siehe auch Chirurgie Kap. 28.
Merke ‹ Bei Harnröhrenverletzungen ist jeder transurethrale Ka-
X theterisierungsversuch kontraindiziert (Ausnahme: intraoperativ
Zusammenfassung
Gutartige Tumoren oder eine Hyperplasie der Nebennierenrinde sind
unter Sicht)! Inkomplette Einrisse können dabei vollständig abreißen
meist hormonaktiv und zeigen charakteristische klinische Sympto-
und Bakterien in Perineum und kleines Becken verschleppt werden.
me. Die Therapie besteht in der Entfernung der betroffenen Neben-
niere (Adrenalektomie).
‹ Conn-Syndrom (Aldosteron ⇑): Hypokaliämie, Hypertonie, Kopf-
9.4.3 Genitale schmerzen,Muskelschwäche,Parästhesien,Polyurie und Polydipsie
‹ Cushing-Syndrom (Glukokortikoide ⇑): Stammfettsucht, Striae,
Offene Verletzungen vom Skrotum und Penis werden ope-
Vollmondgesicht, Hirsutismus, Hypertonie
rativ durch Blutstillung und Débridement versorgt. Sekun-
Der häufigste Tumor des Nebennierenmarks ist das katecholamin-
där kann dann die plastische Deckung der Defekte und Re-
produzierende Phäochromozytom. Typisch sind hypertensive Krisen
konstruktion der Harnröhre erfolgen. Kleine Hodenverlet-
zungen können oft konservativ behandelt werden. und therapierefraktärer Hypertonus. Auch hier ist die Therapie der
Ausgedehnte Hämatome müssen drainiert und ggf. eine Wahl die Adrenalektomie.
Hodenteilresektion durchgeführt werden. Eine Organer-
haltung ist immer anzustreben. Bei traumatischen Ampu-
tationen des Penis ist die Replantation abhängig vom Aus-
maß der Gewebezerstörung. Die Penisfraktur wird durch
Naht der Tunica albuginea therapiert.
11 Urologische Andrologie
Zusammenfassung
Klinischer Fall
Bei einem 25-jährigen Patienten wird nach einem Autounfall eine ausgedehnte in-
Sexuelle Funktionsstörungen des Mannes lassen sich unterteilen in
traperitoneale Blasenruptur durch Nachweis von Kontrastmittelaustritten in die
Impotentia generandi (Infertilität) und Impotentia coeundi (erekti-
Bauchhöhle mit Umfließung von Darmschlingen diagnostisch gesichert. Welches le Impotenz). Fertilitätsstörungen sind Ursache von Hodenfunkti-
Vorgehen ist am ehesten indiziert? onsstörungen oder Erkrankungen der ableitenden Samenwege. Das
(A) perkutane Nephrostomie Spermiogramm nimmt eine zentrale Stellung in der Diagnostik ein.
(B) Laparotomie mit Blasenverschluss und Einlage eines transurethralen Kathe- Die therapeutischen Erfolgsaussichten sind jedoch gering. Die erek-
ters für einige Tage tile Dysfunktion ist meist multifaktorieller Genese. Am häufigsten
(C) Einlage eines suprapubischen Zystostomiekatheters (Cystofix) für einige finden sich vaskuläre und neurogene Ursachen. Die Therapie der
Tage Wahl ist heutzutage medikamentös. Die Sterilisation des Mannes
(D) Harnleiterdarmimplantation durch Vasektomie nimmt eine immer wichtigere Stellung in der Fa-
(E) Antibiotische Therapie und Abwarten des Spontanverschlusses milienplanung ein.
((Lösung: B))

924 Urologie
11.1 Fertilitätsstörungen ‹ HCG-Test: Erfassung der Stimulierbarkeit von Leydig-Zel-
len, Unterscheidung zwischen primären (kein Testos-
Kurzzusammenfassung teronanstieg) und sekundären Hodenfunktionsstörun-
Eine Fertilitätsstörung liegt vor, wenn bei Kinderwunsch und regel- gen (Testosteronanstieg)
mäßigem Geschlechtsverkehr (eisprungbezogen) innerhalb eines ‹ Sonographie: zum Ausschluss eines Hoden- oder Neben-

Jahres keine Schwangerschaft eintritt. Etwa 15% der Paare sind in- hodentumors
fertil.In 30% liegt die Ursache beim Mann,in 50% bei der Frau und in ‹ Hodenbiopsie: Azoospermie bei normal großen Hoden

20% bei beiden.Bevor operative Eingriffe bei der Frau zur Klärung der und normalen Hormonwerten, Beurteilung der Leydig-
Fertilität vorgenommen werden, sollte die Fertilität des Mannes un- und Sertoli-Zellen sowie der Reifungsstadien der Sper-
tersucht werden. Nur in wenigen Fällen kann die Infertilität mit Er- matogenese
folg therapiert werden. Therapie ‹Die Therapie richtet sich nach der Ursache der In-
fertilität. In einigen Fällen liegt eine irreversible Hodenpa-
Ätiologie ‹ renchymschädigung vor, die keiner Therapie zugänglich ist.
‹ primäre Hodenfunktionsstörungen: Störungen der Hormonproduktion können zum Teil erfolg-
– ohne Androgenmangel: Hypoplasie,Ektopie,Dystopie,In- reich mit Hormonpräparaten (HCG, LHRH) behandelt wer-
fektionen (Mumps,Varizellen,Tuberkulose),Zytosta- den. Oft ist jedoch keine Ursache zu finden, sodass keine ge-
tika, Röntgenstrahlen, Arzneimittel, Genussgifte sicherten Therapieschemata zur Verfügung stehen. Empiri-
– mit Androgenmangel: kongenital (Anorchie, Dysgene- sche Behandlungen mit Antiöstrogenen, Androgenen oder
sie), Klinefelter-Syndrom, Traumata, Infektionen, Kallikrein sind selten erfolgreich. Als letzte Möglichkeit ste-
vermehrte Östrogenproduktion (Tumoren der NNR, hen verschiedene Verfahren der Reproduktionsbiologie (In-
Lebererkrankungen, Östrogentherapie) vitro-Fertilisation, homologe Insemination, intrazytoplas-
‹ sekundäre Hodenfunktionsstörungen: Gonadotropininsuffizi- matische Spermieninjektion) zur Verfügung. Bei ausgepräg-
enz durch kongenitale oder erworbene Hypophysenin- ter Varikozele erfolgen die Resektion, hohe Ligatur oder
suffizienz, vermehrte Androgenproduktion durch Ne- Sklerosierungstherapie der V. testicularis. Dadurch werden
bennierentumoren, psychische Belastung Hypoxie und gestörte Temperaturregulation beseitigt. Bei
‹ Erkrankungen der ableitenden Samenwege: Hypoplasie, Apla- Verschluss des Nebenhodens oder Ductus deferens erfolgt
sie, Epididymitis, Tuberkulose, Tumoren die mikrochirurgische Resektion und Anlage einer Anasto-
‹ Varikozele: varizenartige Erweiterung und Verlängerung mose zwischen Duktus und Nebenhoden oder innerhalb des
der Venen des Plexus pampiniformis und der V. testicu- Duktus. Es werden Durchgängigkeitsraten bis 90% erzielt.
laris, idiopathisch fast immer linksseitig durch recht-
winklige Einmündung in die V. renalis und Klappenin- X
suffizienz, die venöse Stase kann durch Gewebshypoxie
und erhöhte intraskrotale Temperatur zur Beeinträch- Klinischer Fall
tigung der Spermiogenese führen Welcher der folgenden Zustände kann eine Indikation für eine homologe artefizi-
Diagnostik ‹Siehe auch Gynäkologie und Geburtshilfe,Kap.1.7. elle Insemination sein?
‹ Anamnese: familiäre Vorgeschichte, Dauer des Kinder- (A) Azoospermie
wunsches, Häufigkeit und Zeitpunkt von Geschlechts- (B) Impotentia gestandi
verkehr, Infektionen, Operationen, Hodendeszensus, (C) Oligozoospermie
Hodentorsion, Suchtmittel, Medikamente (D) Akute Zervizitis
‹ Untersuchung: Behaarung, Körperentwicklung, Opera- (E) Keine der Aussagen A–D trifft zu.
tionsnarben,Inspektion und Palpation von Hoden (Ho- Lösung: C
dengröße), Nebenhoden, Samenstrang, Prostata und
äußerem Genitale, Varikozele?
‹ Urin: Urinstatus, Urinbakteriologie
‹ Labor: Hormonstatus ⇒ Testosteron, FSH, LH, Prolaktin, 11.2 Erektile Dysfunktion
Schilddrüsentests
‹ Spermiogramm: nach 5-tägiger sexueller Karenz, Ejakulat Kurzzusammenfassung
(2–6 ml) mit pH 7,2–7,8, milchig bis glasig-weißlich, Potenzstörungen sind häufig. Eine erektile Dysfunktion liegt vor,
Verflüssigungszeit 5–30 min, 20–120 Mio. Spermien pro wenn über mehr als 6 Monate in 75% aller Versuche keine kohabita-
ml, > 70% normal geformte Spermien (Normosper- tionsfähige Erektion zustande kommt. In 70–80% liegen organische
mie), 70–90% lebende bewegliche Spermien, Gehalt an Ursachen zugrunde. Bei jüngeren, gesunden Männern sind häufiger
Fruktose (1200–4500 ng/ml), Karnitin und saure Phos- psychische Konfliktsituationen verantwortlich.Nur selten finden sich
phatase endokrine Ursachen.

Merke ‹
‹ Aspermie: fehlendes Ejakulat Ätiologie ‹
‹ Hypospermie: zu wenig Sperma (< 2 ml)
‹ Hyperspermie: zu viel Sperma (> 6 ml), Bedeutung unklar Merke ‹Risikofaktoren für die Entstehung einer erektilen Dysfunk-
‹ Hämatospermie: blutiges Sperma (z.B.bei Entzündungen) tion sind: Hyperlipidämie, Hypertonie, Nikotinabusus, Alkoholismus,
‹ Azoospermie: keine Spermatozoen Diabetes mellitus.
‹ Oligospermie: < 20 Mio.Spermien/ml
‹ Asthenospermie: herabgesetzte Mobilität
‹ Teratozoospermie: > 30% abnorm geformte Spermatozoen
‹ medikamentös: Antihypertensiva, Diuretika, Tranquilizer,
‹ Oligo-, Astheno- und Teratozoospermie = OAT-Syndrom
Antidepressiva, Neuroleptika, Antiphlogistika, Allopu-
rinol, Glukokortikoide

Urologische Andrologie 925


‹ neurogen: Traumen, Entzündungen, Tumoren, Multiple Eingriff, der ambulant in Lokalanästhesie durchgeführt
Sklerose,Querschnittslähmung,periphere Nervenläsio- werden kann.Voraussetzung für die Durchführung ist ein
nen (traumatisch, Polyneuropathie) ausführliches Beratungsgespräch. Der operative Eingriff
‹ vaskulär: Arteriosklerose,Thrombosen der Beckengefäße, wird über eine kleine Inzision an der Skrotalwurzel
venooklusive Dysfunktion durchgeführt. Beidseits wird ein Teil des Ductus deferens
‹ endokrin: Hypogonadismus, Hyperprolaktinämie reseziert (histologische Bestätigung!) und die Faszie über
‹ sekundär: operative Eingriffe im Becken (z.B. Prostatek- einem Stumpf verschlossen. Die häufigsten Akutkompli-
tomie, Sigma- und Rektumresektionen, Gefäßoperatio- kationen sind Hämatombildung, lokale Infekte und Sper-
nen an Aorta oder Beckengefäßen), Beckentraumata magranulome. Postoperativ kann auf Verhütungsmaß-
Diagnostik ‹Die Ursachenabklärung der erektilen Dysfunk- nahmen erst verzichtet werden, wenn in den Kontrollun-
tion beginnt mit einer subtilen Anamnese. Sie umfasst tersuchungen des Ejakulats keine Spermien mehr
Fragen zur Medikation, bisherige Erkrankungen, Opera- nachweisbar sind. Eine Vasektomie kann prinzipiell durch
tionen, Traumen, Nikotin- und Alkoholabusus sowie eine Vaso-Vasostomie rückgängig gemacht werden. Selten
ausführliche Sexualanamnese. Besteht der V.a. eine psy- kommt es auch zu einer spontanen Rekanalisierung. Da
chogene Ursache, sollte ein Psychotherapeut hinzugezogen jedoch in bis zu 50% Antispermantikörper gebildet wor-
werden. Körperliche Untersuchung und Labordiagnostik den sind, liegt die Schwangerschaftsrate nach Anastomo-
(Elektrolyte, harnpflichtige Substanzen, Blutzucker, Trans- sierung bei nur 50–60%.
aminasen, Lipidwerte) schließen die Basisdiagnostik ab.
Des Weiteren steht eine Vielzahl von apparativen Untersu-
chungen zur Verfügung (s. Kap. 3.3.3). 12 Urologische Erkrankungen
Therapie ‹ Die Therapie der erektilen Dysfunktion umfasst der Frau
konservative, semiinvasive und operative Verfahren.
Seit der Entwicklung von Sildenafil (Viagra) sind invasivere Zusammenfassung
Methoden jedoch zunehmend in den Hintergrund getreten. Aufgrund der engen anatomischen Beziehung zwischen Harntrakt
Sildenafil ist ein Phosphodiesterase-Hemmer, der eine Re- und Genitale finden sich bei der Frau einige spezifische urologische
laxation der glatten Schwellkörpermuskulatur bewirkt. Krankheitsbilder. Infektionen kommen aufgrund der kurzen Harn-
Die bislang wichtigsten Verfahren sind Vakuumpumpe röhre und dadurch bedingter aufsteigender Keiminvasion häufiger
und Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT). Die vor als bei Männern. Die häufigste urologische Erkrankung in der
Pumpe erzeugt durch Sog einen erektionsähnlichen Zu- Schwangerschaft ist die akute Pyelonephritis. Sie betrifft etwa
stand, der durch ein Konstriktionsband an der Peniswur- 1–3% aller Schwangeren und tritt meist im drittem Trimenon auf.
X zel erhalten bleibt. Bei der SKAT injiziert sich der Patient Über 50% aller Frauen leiden zumindest zeitweise unter einer Harn-
selber vasoaktive Medikamente (v.a. Prostaglandin E1) in inkontinenz. Therapiebedürftig sind jedoch nur ca. 10% der Fälle.
die Schwellkörper. Die Erfolgsraten liegen bei 80–100% bei Fisteln und Strikturen im Bereich des Harntraktes müssen meist ope-
arteriell-vaskulärer und neurogener Impotenz. Die wich- rativ therapiert werden.
tigsten Nebenwirkungen sind prolongierte Erektionen
und Schwellkörperfibrosen.
Die operative Revaskularisierung vermehrt durch Arteriali-
sierung der V.dorsalis penis den arteriellen Zufluss.Aufgrund 12.1 Bakteriurie
mäßiger Ergebnisse wird sie jedoch nur selten durchgeführt.
Ultima ratio in der Behandlung stellt die Implantation ei-
ner Penisprothese dar. Sie ist indiziert bei global vaskulä- Siehe auch Kap. 6.4.
rer Insuffizienz, Induratio penis plastica, Schwellkörperfi- Ätiologie/Pathogenese ‹Die akute bakterielle Zystitis ist eine
brosen und SKAT-Nonrespondern. Man unterscheidet se- typische Erkrankung der Frau. Die Nähe der weiblichen
miflexible und hydraulische Prothesen. Harnröhre zu Vagina und Anus sowie die besondere Hor-
Ergänzend kann bei allen Formen der erektilen Dysfunk- monsituation (Androgenüberschuss der jungen Frau,
tion eine Psychotherapie notwendig sein. Östrogenmangel nach dem Klimakterium) sind prädispo-
Klinik ‹ Induratio penis plastica: entzündlicher Prozess an der nierende Faktoren für aszendierende bakterielle Infektio-
Tunica albuginea unklarer Ursache,der zur Fibrosierung des nen. Die Erreger sind meist gramnegativeBakterien
Gewebes zwischen Tunica albuginea und Corpora caverno- (E. coli, Enterobakter, Pseudomonas, Serratia, Proteus).
sa führt.Eine Koinzidenz mit dem M.Dupuytren ist bekannt. Klinisches Bild/Symptomatik ‹ Pollakisurie, imperativer Harn-
Die fibrotischen Plaques finden sich meist am Penisdorsum drang, Algurie, Strangurie.
und führen zu einer häufig schmerzhaften Deviation des Pe- Klinik ‹Bei der asymptomatischen Bakteriurie findet sich eine
nis bei der Erektion.Im Verlauf der Erkrankung kann es zum signifikante Bakterurie (> 100.000 Keime/ml) ohne Sympto-
Erektionsverlust kommen. Bisher gibt es keine wirklich zu- matik. Eine Abgrenzung zur Verunreinigung ist schwierig.
friedenstellende Therapie,so das mehrere Verfahren zur An- Beim Urethralsyndrom, der Strahlenzystitis und der chemo-
wendung kommen (u.a. Kortison-Injektionen, Weichteilbe- toxisch-allergischen Zystitis (exzessive Genitalhygiene!) fin-
strahlung, Interferon und operative Maßnahmen). den sich ausgeprägte Beschwerden ohne Keimnachweis.
Diagnose ‹Urinuntersuchung aus Mittelstrahl- oder Kathe-
terurin, Sediment und Kultur mit Antibiogramm, Sono-
11.3 Sterilisierung des Mannes graphie, nur bei komplizierten, rezidivierenden oder chro-
nischen Zystitiden weitere Abklärung durch i.v.-Uro-
gramm, Miktionszysturethrogramm und Zystoskopie.
Die Möglichkeiten der Fertilitätskontrolle beim Mann be- Therapie ‹Gezielte Antibiotikatherapie für 1–3 Tage mit Tri-
schränken sich derzeit auf die Vasektomie. Sie ist ein, im methoprim/Sulfamethoxazol oder Gyrasehemmern,bei lo-
Gegensatz zur Tubensterilisation der Frau, risikoarmer kalem Hormonmangel östrogenhaltige Salben.

926 Urologie
12.2 Erkrankungen der Harnwege Therapie ‹ Therapie der Wahl ist der operative Verschluss
in der Schwangerschaft der Fistel. Ureter-Scheiden-Fisteln werden durch Ureter-
neuimplantation in die Blase behandelt. Blasen-Schei-
den-Fisteln können auf vaginalem oder abdominalem
Siehe auch Gynäkologie und Geburtshilfe, Kap. 3.4 und 3.5. Weg mit Interposition von Netz oder Peritoneum ver-
Ätiologie/Pathogenese ‹ Im Rahmen der Schwangerschaft schlossen werden. Kleinere Fisteln verschließen sich
kommt es zu physiologischen Veränderungen der Nieren manchmal spontan durch Dauerableitung mittels supra-
und Harnwege, die die Entstehung aszendierender Infek- pubischem Katheter.
tionen begünstigen:
‹ hormonell bedingte Tonusminderung der glatten Mus-
kulatur und damit Dilatation von Harnleiter und Nie- 12.4 Harnwegsstrikturen
renbeckenkelchsystem ⇒ verlangsamter Urintransport
‹ Kompression der Harnleiter mit Harnabflussstörung
durch vergrößerten Uterus (überwiegend rechts) Strikturen von Harnleiter oder Harnröhre sind meist Fol-
‹ Vena-ovarica-Syndrom: Volumenzunahme der Vv.ovaricae bis ge intraoperativer Verletzungen. Einseitige Ureterstriktu-
zum 60fachen und damit zusätzliche Kompression des ren bleiben oft unbemerkt und führen durch chronische
Ureters Harnstauung und postrenale Niereninsuffizienz zur Auto-
Etwa 10% der Schwangeren entwickeln eine asymptomati- nephrektomie. Durch Urethrastrikturen kommt es zu Dys-
sche Bakteriurie, aus der in einem Drittel der Fälle eine urie, Pollakisurie und Ausbildung von Restharn mit er-
akute Pyelonephritis entsteht. höhtem Infektionsrisiko. Die wichtigste diagnostische
Durch Zunahme des Blutvolumens nimmt auch die Nie- Maßnahme ist die Sonographie. Urethrastenosen werden
rendurchblutung zu. Die vermehrte Urinproduktion und durch Bestimmung der Weite mit Bougie a boule nachge-
gleichzeitige Kapazitätseinschränkung der Blase führen wiesen. Die Therapie der Ureterstrikturen ist meist opera-
zur Pollakisurie. Über 50% der Schwangeren haben eine tiv durch End-zu-End-Anastomose oder Ureterneuim-
Stressinkontinenz. plantation. Urethrastrikturen werden bougiert oder endo-
Klinisches Bild/Symptomatik ‹Oft symptomarmer Verlauf ohne skopisch geschlitzt.
Fieber, nur bei etwa 1/3 der Fälle klassische Symptome mit
Pollakisurie, imperativem Harndrang, hohem Fieber und
kolikartigen Flankenschmerzen. 12.5 Inkontinenz
Diagnose ‹Untersuchung,Urinsediment,Urinkultur mit An-
tibiogramm, Sonographie, ggf. Zystoskopie, keine Rönt- X
genuntersuchungen! Siehe auch Kap. 2.3.
Therapie ‹ Ätiologie/Pathogenese ‹Die Harninkontinenz bezeichnet den
‹ Antibiose mit Penicillin (alternativ: Erythromycin) oder unwillkürlichen Urinabgang. Sie ist ein Symptom ver-
Cephalosporin, ggf. Wechsel nach Antibiogramm, Be- schiedener Funktionsstörungen des unteren Harntraktes.
handlung jeder Bakteriurie! ‹ Stressinkontinenz: unwillkürlicher Urinverlust bei Er-
‹ bei Harnabflussstörung Einlage einer inneren Harnlei- höhung des intraabdominellen Druckes,v.a.bei Frauen,
terschiene (Doppel-J-Schiene) beruht meist auf einer Schwäche des Beckenbodens mit
Veränderung des Vesikourethralwinkels, folgende In-
suffizienz des Sphinktermechanismus, auch hormonel-
12.3 Harnwegsfisteln le Veränderungen (Östrogenmangel) können eine Rolle
spielen, Einteilung nach Ingelmann-Sundberg in drei
Schweregrade
Ätiologie/Pathogenese ‹Urogenitalfisteln sind typische Kom- – Grad I: Inkontinenz bei Husten, Pressen, Niesen
plikationen gynäkologischer und geburtshilflicher Ein- – Grad II: Inkontinenz bei Bewegung
griffe sowie bei Karzinomerkrankungen und nach Strah- – Grad III: Inkontinenz auch im Liegen
lentherapie. Die häufigsten Ursachen sind jedoch primä- ‹ Drang- oder Urge-Inkontinenz: imperativer Harndrang,
re Dickdarmerkrankungen, wie M. Crohn, Colitis – motorische Dranginkontinenz: Hyperaktivität des
ulcerosa, Divertikulitis oder Dickdarmkarzinome. Die Fi- Detrusors (Detrusorinstabilität), während der Bla-
steln prädisponieren zu rezidivierenden Entzündungen senfüllung unwillkürlich auftretende Kontraktio-
des Urogenitaltraktes. nen, die bemerkt, aber nicht unterdrückt werden
Man unterscheidet: können
‹ Ureter-Scheiden-Fistel – sensorische Dranginkontinenz: gekennzeichnet
‹ Blasen-Scheiden-Fistel durch hypersensitive Blase, schon bei geringer Bla-
‹ Harnröhren-Scheiden-Fistel senfüllung wird starker Harndrang empfunden, der
‹ Blasen-Zervix-Fistel Blasenhals öffnet sich reflektorisch ohne vorange-
‹ Blasen-Scheiden-Rektum-Fistel gangen Detrusorkontraktion
Klinisches Bild/Symptomatik ‹Leitsymptom ist der unwillkürli- ‹ Reflexinkontinenz: neurogene Miktionsstörung mit Detru-
che Urinverlust (extraurethrale Harninkontinenz). Mikti- sorhyperreflexie und fehlendem Blasenfüllungsgefühl
onsunabhängiges Harnträufeln ist Zeichen einer Ureter- durch anomale spinale Reflexe bei Rückenmarksläsio-
oder Blasen-Scheiden-Fistel. Pneumaturie und Pyurie fin- nen oberhalb des Miktionszentrums (s. Kap. 13)
den sich bei Blasen-Darm-Fisteln. ‹ Überlaufinkontinenz: Urinverlust bei überfüllter und über-
Diagnose ‹ I.v.-Urogramm, retrograde Ureterdarstellung, dehnter Blase (z.B. bei subvesikaler Obstruktion), die
Urethrozystoskopie und vaginale Untersuchung mit Blau- sich nicht mehr effizient entleeren kann, bei Über-
probe zur genauen Lokalisationsdiagnostik der Fistel. schreiten der maximalen Kapazität entleert sich die

Urologische Erkrankungen der Frau 927


Blase tröpfchenweise („Ischuria paradoxa“ – Harnträu- Definition ‹ Funktionsstörungen des unteren Harntraktes,
feln bei voller Blase) die im Rahmen neurologischer Erkrankungen auftreten.
‹ Extraurethrale Inkontinenz: Harnverlust unter Umgehung Ätiologie/Pathogenese ‹Die neuropathische Blase kann bei den
des normalen anatomischen Weges, z.B. durch Fisteln unterschiedlichsten neurologischen Störungen auftreten:
des Harntraktes, Missbildungen (Epispadie, Extrophie, ‹ angeboren: Spina bifida, Myelomeningozele, Sakrum-
Harnleiterektopie) agenesie, Myelodysplasie
Diagnose ‹ Anamnese der Miktionsgewohnheiten (Pollaki- ‹ traumatisch: Hirnverletzungen, Rückenmarksverletzun-
surie, Dysurie, imperativer Harndrang, Zahl der benutzten gen, Bandscheibenprolaps, periphere Nervenläsionen,
Vorlagen pro Tag), Urinuntersuchung, urodynamische Un- iatrogen (Operationen)
tersuchungen (Urethrozystometrie), Presszysturethro- ‹ Entzündungen: Enzephalitis, Meningitis, Myelitis, Po-
gramm (Bestimmung des Vesikourethralwinkels),Urethro- liomyelitis
zystoskopie, vaginale Spekulumeinstellung (Descensus ‹ Tumoren: Gehirn- oder Rückenmarkstumoren, Einwach-
uteri?) sen retroperitonealer Tumoren oder Metastasen in den
Therapie ‹Bei leichten Formen der Stressinkontinenz kann Spinalkanal
ein konservativer Behandlungsversuch mit Beckenboden- ‹ vaskulär: Apoplexie, Blutungen
gymnastik, Östrogensubstitution, a-Adrenergika und ‹ degenerativ: Encephalomyelitis disseminata,Amyotrophe
Elektrostimulation erfolgreich sein.In ausgeprägten Fällen Lateralsklerose, M. Parkinson, Tabes dorsalis, periphere
erfolgt die operative Anhebung des Blasenhalses und damit Neuropathie bei Diabetes mellitus oder Alkoholismus,
eine Verbesserung des urethralen Verschlussdruckes. Es Syringomyelie, perniziöse Anämie
stehen über 200 verschiedene Operationsverfahren zur ‹ medikamentös: Neuroleptika, Tranquilizer, Anti-Parkin-
Verfügung (z.B. Kolporraphie, Hysterektomie, Zügelplasti- son-Mittel, Antiepileptika, Alpha- und Betarezeptorsti-
ken, Implantation von Sphinkterprothesen). mulatoren oder -blocker
Die Therapie der Urge-Inkontinenz und der Reflexinkon- Nur bei kompletten Querschnittslähmungen entstehen
tinenz ist primär konservativ-medikamentös durch An- klassische Störungen, die in obere und untere neuromoto-
ticholinergika und Spasmolytika. Nur in Ausnahmefällen rische Läsionen eingeteilt werden.
sind Erweiterungsplastiken mit anschließendem intermit- ‹ neuropathische Reflexblase: vollständige Unterbrechung der
tierendem Selbstkatheterismus indiziert. afferenten und efferenten Bahnen im Rückenmark
Die Überlaufinkontinenz wird durch suprapubische Harn- oberhalb des spinalen Miktionszentrums (S2–S4),„up-
ableitung oder intermittierenden Selbstkatheterismus be- per motor neuron lesion“
handelt. Eine vorhandene subvesikale Obstruktion sollte, ‹ autonome neuropathische Blase: Schädigung der Bahnen im

X wenn möglich, beseitigt werden. oder unterhalb des sakralen Miktionszentrums (S2–S4),
des Conus medullaris oder der peripheren Nerven,„lo-
wer motor neuron lesion“
Initial kommt es nach dem Trauma zum spinalen Schock
Klinischer Fall mit schlaffer Lähmung. Erst nach einigen Wochen bildet
Eine postmenopausale Patientin leidet unter einer Harninkontinenz. Ein Harn- sich dann die, je nach Höhe, charakteristische Läsion aus.
wegsinfekt wurde bereits ausgeschlossen. Welches Verfahren ist am ehesten ge- Bei allen anderen neurologischen Krankheitsbildern fin-
eignet, eine quantitative Bestimmung des Harnröhrenverschlussdruckes (UVD) zu den sich gemischte oder inkomplette Läsionen, deren Aus-
ermöglichen? maß und klinisches Bild für jeden Patienten individuell
(A) Zystoskopie verschieden sind.
(B) Urethrozystometrie Klinisches Bild/Symptomatik ‹ Als Symptome finden sich Bla-
(C) Rektoskopie senentleerungsstörungen und Harninkontinenz unter-
(D) Perinealsonographie schiedlichen Ausmaßes.
(E) Kolposkopie Bei der Reflexblase („automatische Blase”) kommt es zur re-
Lösung:B flektorischen Miktion sobald die Blase einen gewissen Fül-
lungsgrad erreicht hat (Reflexinkontinenz).Die Patienten sind
para- oder tetraplegisch,der Bulbokavernosusreflex ist lebhaft.
Die autonome Blase ist durch eine Überlaufinkontinenz bei
13 Neuropathische Blase fehlenden Detrusorkontraktionen (paradoxe Inkontinenz)
gekennzeichnet. Es finden sich Sensibilitätsstörungen im
Zusammenfassung Dammbereich sowie negativer Anal- und Bulbokaverno-
Die Innervation der Blase erfolgt durch ein komplexes Zusammen- susreflex.
spiel von Sympathikus, Parasympathikus und somatischen Nerven, Typische Komplikationen aller Formen sind Restharnbil-
die für eine ungestörte Speicher- und Entleerungsfunktion der dung, Reflux und Stauung der oberen Harnwege mit rezi-
Blase verantwortlich sind. Störungen durch neurologische Erkran- divierenden Harnwegsinfekten und progredienter Nieren-
kungen können angeboren oder erworben sein, akut oder chro- insuffizienz.
nisch verlaufen. Häufig ist die Blasenentleerungsstörung das erste Diagnostik ‹
Symptom einer neurologischen Erkrankung. Die urodynamischen ‹ Anamnese: detaillierte Erfragung der neurologischen Sym-
Untersuchungen ermöglichen eine genaue Diagnostik der Funkti- ptomatik, Miktionsfrequenz, Blasenfüllungs- und Entlee-
onsstörungen. Neben der medikamentösen Therapie ist die wich- rungsgefühl, Kontinenz,Vorerkrankungen (Diabetes mel-
tigste Maßnahme der intermittierende Einmalkatheterismus. Ziel litus, Tuberkulose, Missbildungen, Alkohol- und Medika-
der Therapie ist es eine Schädigung des oberen Harntraktes zu ver- mentenabusus, Operationen oder Bestrahlung an
meiden. Harnwegen oder kleinem Becken,Katheterbehandlungen)
‹ Untersuchung: urologische Untersuchung mit Inspektion
und Palpation von äußerem Genitale und Prostata, neu-

928 Urologie
der vom Patienten in regelmäßigen Zeitabständen (3- bis 4-
mal tgl.) selbständig durchgeführt werden kann. Oft muss
er mit medikamentöser Ruhigstellung des Detrusors (An-
ticholinergika) kombiniert werden, um die Erhaltung der
Kontinenz zu gewährleisten.
Dauerableitungen mit transurethralen oder suprapubi-
schen Kathetern sollten aufgrund der Infektionsgefahr ver-
mieden werden. Bei Versagen aller konservativen Maßnah-
men wird eine operative Therapie erforderlich. Durch die
Implantation von Blasenstimulatoren (Blasenschrittma-
cher) können bei intakter Innervation der Blase Detrusor-
kontraktionen ausgelöst werden. Die operative Sphink-
terotomie senkt den Blasenauslasswiderstand. Führt eine
Reflexblase trotz Ausschöpfung all dieser Möglichkeiten zu
unkontrollierbar hohen intravesikalen Drücken, kann eine
supravesikale Harnableitung (z.B.durch Conduit) oder ein
Blasenersatz notwendig werden.

Klinischer Fall
Eine 31-jährige Patientin erlitt eine traumatische komplette Querschnittslähmung
in Höhe des Rückenmarksegmentes Th12 mit konsekutiver Reflexblase.Da die Mik-
tion nicht mehr willkürlich gesteuert werden kann, wird ein Blasenschrittmacher
implantiert.Wo ist aufgrund des neuroanatomischen Verlaufs der Blaseninnerva-
tion die Stimulationssonde anzubringen?
(A) Vorderwurzel S2-S4
(B) Vorderwurzel L1-L2
Abb.13.1. Christbaumblase mit Reflux rechts und offenstehendem Blasenhals (Æ) bei
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie.Aus [2] (C) Vorderwurzel Th12-L1
(D) N. hypogastricus
(E) N. pudendus X
rologische Untersuchung ⇒ Prüfung von Sensibilität an Lösung: A
Damm, Gesäß, Genitale, Oberschenkel, Kremasterreflex
(L1/L2),Bulbokavernosusreflex (S3/S4),Analreflex (S3/S5)
‹ Röntgenuntersuchungen: i.v.-Urogramm, Urethrozystogra-
phie (Christbaumblase, Pseudodivertikel, Trabekel,
Reflux, offenstehender Blasenhals), Miktionszystoure- 14 Urologische Notfallsituationen
thrographie (Reflux, Aufweitung der hinteren Urethra
Zusammenfassung
bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie). Siehe auch
Urologische Notfälle erfordern eine rasche Diagnostik und Therapie,
¶ Abb. 13.1.
‹ Endoskopie: offener Blasenhals, Beurteilung der Blasen-
um irreversible Organschäden zu verhindern. Eine Anurie kann zu
progredientem Nierenversagen führen. Eine Hodentorsion muss bin-
trabekulierung, Refluxveränderungen, Suche nach Tu-
nen weniger Stunden detorquiert werden. Infizierte Harnstauungs-
moren, Fisteln, Entzündungen, ektoper Harnleitermün-
nieren müssen umgehend entlastet werden, um eine Urosepsis zu
dung
‹ Urodynamik: Darstellung von Reservoirfunktion, urethra-
vermeiden. Häufig ist die Ursache der Erkrankung nicht sofort er-
kennbar. Deshalb sollte zunächst die akute Symptomatik behoben
lem Verschluss und Miktionsablauf der Blase, unge-
werden, um dann im beschwerdefreien Intervall eine weiterführen-
hemmte Detrusorkontraktionen bei Reflexblase, atone
de Diagnostik und definitive Therapie durchzuführen.
Blase mit Überlaufinkontinenz bei autonomer Blase
Therapie ‹Ziel der Therapie ist die Reduktion des Restharns
und des intravesikalen Druckes zum Schutz der Nieren und
oberen Harnwege.An zweiter Stelle steht die Sicherung der 14.1 Harnverhaltung, Anurie
Harnkontinenz.
Blasenentleerungsstörungen können je nach Ursache me-
dikamentös mit Parasympathomimetika (Tonuserhöhung Definition ‹
des Detrusor), Alpharezeptorenblockern (Tonussenkung ‹ Harnverhalt: Miktion trotz voller Blase nicht möglich
des Sphincter internus) oder Skelettmuskelrelaxanzien ‹ Anurie: fehlende Urinproduktion (< 100 ml/24 h)
(Hemmung der Beckenbodenmuskulatur) therapiert Ätiologie/Pathogenese ‹
werden. ‹ Harnverhalt:
Bei der Reflexblase ist eine Auslösung der Miktion durch su- – mechanische Obstruktion ⇒ benigne Prostatahyper-
prapubisches Beklopfen oder Streichen des Unterbauches plasie, Prostatakarzinom, Prostatitis, Prostataabszess,
(„Triggern“) möglich. Da hierbei jedoch außer Detrusor- Blasenhalsstenose, Harnröhrenstriktur, Meatussteno-
auch Beckenbodenkontraktionen ausgelöst werden,ist eine se, Phimose, Blasenstein, iatrogene Verletzungen
restharnfreie Entleerung aufgrund der Obstruktion nicht – funktionelle Obstruktion ⇒ neurogene Blasenent-
möglich. Therapie der Wahl bei Blasenentleerungsstörun- leerungsstörungen, Alkoholexzess, medikamentös,
gen ist deshalb der intermittierende Einmalkatheterismus, psychogen

Urologische Notfallsituationen 929


‹ Anurie:
– prärenal ⇒ Schock, Flüssigkeitsmangel, Verschluss 14.3 „Akutes Skrotum“
oder Abriss der Nierengefäße, Intoxikation
– renal ⇒ nephrologische Erkrankungen mit Nieren-
insuffizienz (akute Pyelonephritis, Glomerulonephri- Definition ‹Akut einsetzende, meist sehr heftige Schmer-
tis, interstitielle Nephritis, toxisch) zen und Schwellung des Skrotums unterschiedlicher Ge-
– postrenal ⇒ Harnleiterobstruktion bds. durch Ver- nese
schluss (Tumor, Stein, Koagula, Ligatur), Stenose (Tu- Ätiologie/Pathogenese ‹
berkulose, Ureterstriktur, Bestrahlung) oder Kom- ‹ Hodentorsion oder Hydatidentorsion
pression von außen (M. Ormond, retroperitoneale ‹ akute Epididymitis
Tumoren), chronische Blasenentleerungsstörungen ‹ Orchitis, Skrotalabszess
Klinisches Bild/Symptomatik ‹ ‹ Hodentumoren (meist weniger schmerzhaft)
‹ Harnverhalt: unerträglicher Harndrang,evtl.tröpfchenwei- ‹ Hodentrauma
ser Abgang von Urin (Überlaufblase), suprapubischer ‹ inkarzerierte Leistenhernie
Schmerz, tastbarer Unterbauchtumor (volle Blase), bei Klinisches Bild/Symptomatik ‹Plötzlich einsetzende Schmerzen
neurogener Ursache oft nur diskreter Dehnungsschmerz im Skrotum mit Schmerzprojektion entlang des Samen-
‹ Anurie: plötzliches oder allmähliches Versiegen der Urin- strangs in den Unterbauch, Berührungsempfindlichkeit,
ausscheidung ohne wesentliche Beschwerden,leere Bla- zum Teil erhebliche Schwellung mit Rötung und Überwär-
se, erst im Stadium der Urämie Ödeme, kardiale Insuf- mung, ggf. peritonitische Symptome mit Übelkeit, Erbre-
fizienz, Atemnot chen und Kreislaufreaktionen.
Diagnose ‹ Anamnese, Untersuchung (Perkussion!), Sono- Diagnose ‹ Inspektion, Palpation, Sonographie, Dopplerso-
graphie ⇒ volle oder leere Blase? nographie, in Zweifelsfällen operative Freilegung.
Therapie ‹ Therapie ‹
‹ Harnverhalt: sofortige Entlastung der Blase durch trans-
urethralen oder suprapubischen Katheter
Merke ‹ Das akute Skrotum gilt immer als Notfall, der einer sofor-
‹ Anurie: ursachenspezifische Therapie,bei postrenaler Ur-
tige Diagnostik und Therapie zugeführt werden muss! Ein torquierter
sache sofortige Entlastung der gestauten Nieren durch
Hoden ist nach etwa 6 Stunden irreversibel geschädigt!
Nephrostomie oder Ureterschiene

Die Therapie des akuten Skrotums richtet sich nach der


X 14.2 Steinkolik (Harnstauung) auslösenden Ursache (siehe jeweilige Kapitel). Lässt sich
eine Hodentorsion nicht sicher ausschließen,muss die ope-
rative Freilegung erfolgen.
Klinisches Bild/Symptomatik ‹
‹ akut einsetzende, meist einseitige krampfartige
Schmerzen, die wiederholt auftreten (Kolik) 14.4 Priapismus
‹ Übelkeit, Erbrechen, geblähtes Abdomen, selten reflek-
torischer Subileus oder Harnverhalt
‹ Mikro- oder Makrohämaturie,bei Infektion auch Pyurie Definition ‹ Der Priapismus ist eine schmerzhafte Dauer-
‹ Schmerzausstrahlung in Flanke (oberes Harnleiterdrit- erektion, die länger als zwei Stunden anhält, Libido, Or-
tel), Mittelbauch (mittleres Drittel), Genitale und Leiste gasmus und Ejakulation fehlen. Man unterscheidet zwi-
(unteres Drittel), Penis/Klitoris (kurz vor Ostium) schen einem High-flow-Priapismus (vermehrter Blutzu-
fuhr) und einem Low-flow-Priapismus (verminderter
Blutabstrom).
Merke ‹ Harnstauung mit Fieber = Gefahr der Urosepsis!
Ätiologie/Pathogenese ‹
‹ in etwa 2/3 der Fälle idiopathisch
Diagnose ‹ Anamnese, typische Klinik, Urinuntersuchung, ‹ Leukämie (25%), Sichelzellanämie, Trauma, Peniskarzi-
Sonographie, i.v.-Urogramm. nom,Querschnittslähmung,neurologische Grunderkran-
Differentialdiagnose ‹ kungen, Gerinnungsstörungen, Beckenvenenthrombo-
‹ abdominell: Gallenkolik, Cholezystitis, perforiertes Ulcus sen,Traumen,systemische Infektionskrankheiten,Diabe-
ventriculi, Herzinfarkt, Pankreatitis, Appendizitis, tes mellitus,Alkohol, Sepsis, Immunsuppressiva etc.
Divertikulitis,Adnexitis,Extrauteringravidität,Ovarial- ‹ artefizieller Priapismus durch SKAT zur Behandlung
zysten, selten Porphyrie der erektilen Dysfunktion
‹ urologisch: Tumoren, Papillennekrose, Gefäßprozesse der
Niere, Nierenarterienembolie, Nierenvenenthrombose
Merke ‹ Der unbehandelte Priapismus führt zum Verlust der Erekti-
Therapie ‹ Wichtigste Erstmaßnahme ist die intravenöse
onsfähigkeit durch irreversible Schädigung des Schwellkörpergewe-
Analgesie (z.B. Metamizol) und Spasmolyse (z.B. Butylsco-
bes mit folgender Fibrose.
polamin).Sind diese Basismedikamente nicht ausreichend,
werden Opiate eingesetzt. Bei nicht beherrschbaren Koli-
ken (Status colicus) erfolgt die Entlastung der gestauten Klinisches Bild/Symptomatik ‹ Erigierter, oft steinharter Penis,
Niere durch Nephrostomie oder Ureterschiene. Die defini- Glans und Corpus spongiosum sind nicht betroffen, Mik-
tive Therapie richtet sich nach Lokalisation und Größe des tion nicht beeinträchtigt, in der Spätphase livide Verfär-
Konkrements.80% der Steine gehen spontan ab.Bei den in- bung des Penis mit Penisödem. Cave: Gefahr der Lungen-
strumentellen Verfahren steht die extrakorporale Stoßwel- embolie.
lenlithotripsie (ESWL) im Vordergrund.

930 Urologie
Diagnose ‹Anamnese, typische Klinik, Ursachensuche. Klinisches Bild/Symptomatik ‹Klinik des akuten Harnverhaltes
Therapie ‹ mit äußerst schmerzhafter oder unmöglicher Miktion,
‹ Punktion: durch die Glans bis in die Corpora cavernosa druckdolenter Unterbauch mit tastbarem Tumor (volle
und damit Schaffen einer Verbindung zwischen Corpo- Blase), reduzierter Allgemeinzustand durch massive Blu-
ra cavernosa und Corpus spongiosum (Ebbehoy-Win- tung.
ter-Shunt), Aspiration von Blut, Spülung mit Kochsalz Therapie ‹Freispülung der Blase über großlumigen Spülka-
und Heparin, ggf. mit Sympathomimetika (Kreislauf- theter oder Zystoskopie, endoskopische Blutstillung,
überwachung!) anschließend Dauerspülung für einige Tage zur Verhinde-
‹ Operation: Anlage eines Shunts zwischen Corpora caver- rung einer erneuten Tamponade, nur selten Sectio alta zur
nosa und Corpus spongiosum basisnah am Penisschaft Blutstillung erforderlich.
(Quackels-Shunt) oder zwischen V. saphena magna und
Corpus cavernosusm (Greyhack-Shunt)
14.7 Urosepsis

Klinischer Fall Definition ‹ Sepsis, vorwiegend durch endotoxinbildende


Der Priapismus oder die prolongierte Erektion kann charakteristischerweise nicht gramnegative Bakterien (E. coli, Proteus mirabilis,
bedingt sein durch: Klebsiella, Pseudomonas aeruginosa), ausgehend von
(A) Sichelzellanämie den Organen des Urogenitalsystems mit hoher Morta-
(B) Leukämie litätsrate.
(C) Zosterbefall des Nervus genitofemoralis Ätiologie/Pathogenese ‹Ursachen für eine Urosepsis sind:
(D) Thrombotische Venenverschlüsse im kleinen Becken ‹ obstruktive Harnwegserkrankungen (Urolithiasis, Nie-
(E) Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) renbeckenabgangsstenose, Prostatahyperplasie)
Lösung: C ‹ entzündliche Erkrankungen (Nierenabszess, Karbun-
kel, Pyelonephritis, Epididymitis, Prostatitis)
Am häufigsten findet sich die infizierte Harnstauungssnie-
re. Begünstigende Faktoren sind reduzierter Allgemeinzu-
14.5 Paraphimose stand, Diabetes mellitus, Malignome, Immunsuppressiva,
Vorbehandlung mit Antibiotika und Leberinsuffizienz.
Durch Einschwemmung der Erreger und deren Toxine in
Definition ‹Einklemmung der Vorhaut des Penis hinter der die Blutbahn kommt es zum Endotoxinschock mit Störun- X
Glans im Sulcus coronarius („Spanischer Kragen“) gen der Mikrozirkulation und des Gerinnungsystems mit
Ätiologie/Pathogenese ‹ Ursache ist meist eine relative Vor- folgender Verbrauchskoagulopathie.
hautverengung oder Phimose.Kommt nach Zurückstreifen Klinisches Bild/Symptomatik ‹
der Vorhaut eine Erektion zustande oder wird die Vorhaut ‹ Fieber mit septischen Temperaturen
gewaltsam (z.B.zum Legen eines Katheters) hinter den Sul- ‹ rasche Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit
cus coronarius gezogen, entsteht eine Störung des venösen Bewusstseinstrübung
Abflusses und damit eine Paraphimose. ‹ Blutdruckabfall und Tachykardie
Klinisches Bild/Symptomatik ‹Hochgradiges Ödem der Vorhaut ‹ zunächst Leukozytose, dann Leukopenie
mit schmerzhafter Schwellung und Zyanose der Glans, se- ‹ als Zeichen der Verbrauchskoagulopathie Thrombo-
kundär infolge einer Störung der arteriellen Blutversor- zytenabfall (< 50.000/l), Quick ⇓; PTT ⇑, ATIII ⇓
gung Ausbildung einer Gangrän der Glans. ‹ metabolische Azidose
Therapie ‹Zunächst erfolgt der Versuch der manuellen Re- ‹ Minderung der Nierenfunktion mit Abnahme der Urin-
position in Peniswurzelblockade. Nach Ausdrücken der produktion, Anstieg von Kreatinin und Harnstoff
geschwollenen Vorhaut wird der Penis zwischen Zeige- Diagnose ‹ Anamnese, Untersuchung, Labor- und Urinun-
und Mittelfinger beider Hände gefasst (Handflächen nach tersuchung, Blut- und Urinkultur, Sonographie (Harnstau-
oben) und die Glans vorsichtig mit den Daumen nach un- ung?), ggf. i.v.-Urogramm.
ten gedrückt. Gelingt die manuelle Reposition nicht, muss Therapie ‹ Grundlage der Therapie ist die schnellstmögli-
die Paraphimose operativ durch longitudinale Inzision che Beseitigung des septischen Herdes durch Entlastung
des Schürrings beseitigt werden. Der Defekt wird quer ver- einer infizierten Harnstauungsniere oder operative Sanie-
näht. Im Intervall erfolgt die Zirkumzision als definitive rung. Begleitend werden intensivmedizinische Maßnah-
Therapie. men eingeleitet. Sie umfassen Überwachung, Flüssigkeits-
bilanzierung, Kreislaufstabilisierung, Substitution von Ge-
rinnungsfaktoren, Ausgleich der Azidose, antibiotische
14.6 Blasentamponade Therapie und ggf. Hämofiltration oder Dialyse. Nach Er-
holung des Patienten erfolgt die Ursachendiagnostik und
Therapie.
Definition ‹Akuter Harnverhalt durch Auffüllung der Harn-
blase mit Blutkoageln bei Blasenblutungen.
Ätiologie/Pathogenese ‹
‹ Blutungen nach transurethralen Resektionen der
Prostata oder Blase
‹ Blasentumoren
‹ Strahlenzystitis

Nierentransplantation 931
15 Nierentransplantation
Zusammenfassung
In Deutschland werden derzeit jährlich etwa 3000 Nieren transplan-
tiert.Jeder zweite Patient mit einer terminalen Niereninsuffizienz ist
für eine Transplantation geeignet.Spender und Empfänger müssen in
Blutgruppe und den wichtigsten HLA-Merkmalen übereinstimmen.
Durch die immunsuppressive Therapie können die meisten Ab-
stoßungsreaktionen verhindert werden. Langzeitkomplikationen
sind eine chronische Abstoßung, die das Organ irreversibel schädigt,
opportunistische Infektionen und Malignome.

Siehe auch Chirurgie,Kap.4.4 und Rechtsmedizin,Kap.1.3.5.


Richtlinien für die Organspende und -entnahme ‹Die Organspende
ist möglich bei Lebendspendern und Verstorbenen. Le-
bendspender sind meist Verwandte ersten Grades. Die Or-
ganentnahme bei Verstorbenen ist nur möglich bei ein-
wandfrei nachgewiesenem Hirntod und vorliegender Ein-
willigung zur Organspende (Spenderausweis,Einwilligung
der Angehörigen). Nicht geeignet sind Spender mit Infek- Abb. 15.1. Schema der heterotopen Nierentransplantation Aus [1]
tionen, malignen Tumoren, Nierenerkrankungen und Ar-
teriosklerose.
Indikationen ‹ Terminale Niereninsuffizienz mit Dialyse-
pflicht: Glomerulonephritis (50%), chronische Pyelo- ‹ Abstoßung: klinisch symptomatisch durch Diureserück-
nephritis (15%), polyzystische Nierendegeneration (5%), gang, Fieber, Schmerzen, Hypertonie, Gewichtszunah-
maligne Nephrosklerose (5%), andere (25%). me infolge Flüssigkeitseinlagerung, Symptome unter
Grundzüge der Durchführung ‹ Immunsuppression oft abgeschwächt
‹ Operationsvorbereitung: Untersuchung des potentiellen – hyperakute Abstoßung: humoral ausgelöste Organzer-
Empfängers, Auschluß akuter Erkrankungen störung innerhalb der ersten 48 Stunden, bedingt
X ‹ Immunologische Voraussetzung: Übereinstimmung im AB0- durch AB0-Unverträglichkeit oder präformierte zy-
Blutgruppensystem, weitgehende Übereinstimmung totoxische Antikörper (Ausschluss durch „cross-
im HLA-System, negatives „cross-match“ (Verträg- match“)
lichkeit von Spenderlymphozyten und Empfänger- – akzelerierte Abstoßung: zwischen dem 2.und 5.Tag durch
serum) sekundäre Immunantwort auf HLA-Antigene des
‹ Nierenentnahme: En-bloc-Entnahme beider Nieren mit Transplantats (zelluläre Antwort)
Harnleiter,Nierengefäßen sowie Anteilen der Aorta und – akute Abstoßung: zelluläre Immunantwort innerhalb
V.cava,bei Lebendspendern einseitige Nephroureterek- der ersten drei Monate
tomie – chronische Abstoßung: wahrscheinlich durch Antikörper
‹ Nierenkonservierung: Perfusion der Nieren in situ mit bedingte langsam fortschreitende Organzerstörung
gekühlter, heparinisierter Elektrolytlösung zum Her- mit Endothelläsionen und Gefäßproliferation
ausspülen von Blutbestandteilen und Kühlen des Or- ‹ Infektionen: unter Immunsuppression häufig opportunis-
gans auf 4 °C, Transport in spezieller Kühlbox („auf tische bakterielle und virale Infektionen
Eis“), sichere Konservierungszeiten von über 24 Prognose ‹ 1-Jahresüberlebensrate der Transplantatniere
Stunden 80–90%, 1-Jahresüberlebensrate der Patienten 95%.
‹ Operation: heterotope Transplantation der Niere in die lin-
ke oder rechte Fossa iliaca des Empfängers (¶ Abb.15.1),
End-zu-Seit-Anastomosierung der Nierengefäße mit A. Quellenverzeichnis
und V. iliaca externa, antirefluxive Implantation des
Harnleiters in die Blase, Entfernung der eigenen Nieren
des Empfängers meist nur bei Zystennieren, Infekten 1. Hansis M (1998) Basiswissen Chirurgie. Springer, Ber-
oder therapierefraktärem Hypertonus lin Heidelberg New York Tokio
Postoperativer Verlauf ‹ 2. Hautmann RE, Huland H (1997) Urologie. Springer,
‹ postoperative Behandlung: bilanzierte Infusiontherapie, Berlin Heidelberg New York Tokio
Blutdruckstabilisierung, evtl. Dialyse zur Über- 3. Merkle W (1997) Urologie, Duale Reihe. Hippokrates,
brückung bis zur vollen Transplantatfunktion Stuttgart
‹ Immunsuppression: Kortikosteroide, Azathioprin, Cyclo- 4. Rutishauser G, Gasser T (2002) Basiswissen Urologie.
sporin A, Anti-T-Lymphozyten-Globulin (ATG) bei 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio
schweren Abstoßungskrisen
Komplikationen ‹
‹ chirurgische Komplikationen: Wundinfektionen (2%),Ureter-
stenose (2–5%), Nierenarterienstenose (2–3%)

932 Urologie
http://www.springer.com/978-3-540-20351-3

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