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MARTIN HERBERG

Humor in der Betreuung


von Menschen mit
Demenz
Teil 1: Wie die Krankheit den Humor
verändert

H umor ist eine wichtige Quelle von Kraft und Lebens-


freude. Humor und Lachen haben viele gesundheits-
fördernde Wirkungen. Auch in der Betreuung von Men-
Worüber lachen Menschen mit Demenz? Was können die Be-
treuenden mit Humor bewirken? Und ferner: Worauf ist bei den
Humor-Interventionen zu achten? Diesen Fragen soll im Folgen-
schen mit Demenz spielt Humor eine wichtige Rolle. Mit den nachgegangen werden. Ich stütze mich dabei auf mehrere
Humor lassen sich die Beschäftigungsangebote attraktiv Quellen. Neben Ergebnissen der Forschungsliteratur habe ich
gestalten. Humor hilft auch im Umgang mit herausfor- eigene Erfahrungen als Demenzbegleiter in einer großen Pflege-
derndem Verhalten. Damit die Humorinterventionen einrichtung miteinbezogen. Da ich außerdem als Ausbilder für
gelingen, müssen sich die Betreuungskräfte auf den Betreuungskräfte tätig bin, bekomme ich viele Praxisbeispiele
veränderten Humor ihrer Schützlinge einstellen. Dieser erzählt. Auch diese Informationen habe ich verwendet.
Beitrag bildet den Anfang eines dreiteiligen Artikelserie Am Anfang meiner Überlegungen steht die Frage, wie die De-
zum Einsatz von Humor in der Betreuung von Menschen menz den Humor verändert. Diesem Problem ist ein Team von
mit Demenz. Forschenden am University College in London nachgegangen
(Clark et al., 2016). Ich gebe die Ergebnisse thesenartig wieder
und illustriere sie anhand eigener Beispiele. Die wichtigsten Ver-
änderungen lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:
Nach einer langen Zeit der Humor-Skepsis haben die Institutionen
des Gesundheitssystems sich nach und nach dem Humor geöff- Der Humor wird kindlicher. Menschen mit Demenz mögen
net. Manche Autor*innen sprechen hierbei von einer regelrechten albernen Humor, Slapstick und Clownerie. Sie sind in der Lage,
„Humor-Revolution“ (Robinson, 1991). Auch in der Betreuung sich ganz der Stimmung des Augenblicks hinzugeben. Dies
von Menschen mit Demenz ist Humor wichtig. Bei klinischen ist eine Ressource, die von erfahrenen Betreuungskräften
Humor-Tests schneiden demenziell erkrankte Personen zwar gern und ausgiebig genutzt wird. Lustige Requisiten, lustige
schlechter ab, als gesunde (Clark et al., 2016). Wortspiele, Ironie Verkleidungen und Spaßlieder wie „Drei Chinesen mit dem
und komplizierter Humor werden nicht mehr so gut verstanden. Kontrabass“ kommen in der Regel gut an. Auch haben die
Dies heißt aber nicht, dass man durch die Krankheit den Humor Betroffenen viel Freude an Unsinnsgedichten und Verball-
verliert. Demenziell veränderte Menschen sind, wenn man sich hornungen.
auf ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten einstellt, durch Humor sehr
gut zu erreichen. Der Humor wird einfacher. Bedingt durch die Krankheit bildet
Ihren sichtbarsten Ausdruck findet die Humor-Revolution im mo- sich das Verständnis für komplizierte und kognitiv anspruchs-
dernen Gesundheitswesen in der Figur des Klinik-Clowns. Aber volle Formen von Humor zurück. Beispiel: Die Bewohnerin
auch die regulären Betreuungskräfte setzen in ihrer täglichen Frau Meier, die früher sehr amüsant erzählen konnte, hat
Arbeit Humor ein. Ihr Humor ist ein Gebrauchshumor. Er erfüllt diese Fähigkeit weitgehend verloren. Schon nach wenigen
wichtige therapeutische Funktionen. Humor dient als Motivations- Worten verheddert sie sich hoffnungslos in ihrer eigenen
quelle, als Konfliktregulator, als Mittel des Spannungsabbaus und Erzählung. Ein Genre, das sie aber immer noch gut beherrscht,
als soziales Schmiermittel. sind kurze, drollige Kommentare. Mit ihren kreativen Einfällen

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bringt sie alle zum Lachen. So sagt sie über eine der Schwes- die Pflegekraft ihr gibt, in ihre Suppe, die daraufhin zu brodeln
tern, die ein leuchtend gelbes Oberteil trägt: „Sie ist meine beginnt.
liebste Zitronen-Helferin“.
Manche Autor*innen finden es nicht schlimm, wenn die Betreu-
Der Sinn für Doppeldeutigkeit lässt nach. Menschen mit De- ungskräfte über solche Fehlleistungen lachen. Dies trage dazu
menz benötigen Eindeutigkeit. Ironie und trockener Humor, bei, eine heitere Atmosphäre zu erzeugen (Bisaz, 2008). Die
bei dem man etwas lustig meint, es aber ernst vorträgt, meisten Betreuenden sehen dies anders – und dies ist auch gut
werden nicht mehr so gut verstanden. Witzig gemeinte For- so. Aus Rücksicht auf die Gefühle der Betroffenen sollte man
mulierungen der Pflegenden, wie „Ich klaue Ihnen jetzt mal meines Erachtens alles vermeiden, was von diesen als Spott oder
die Brille“ oder „Ich bringe jetzt einen älteren Herrn um die Auslachen empfunden werden könnte. Demenziell veränderte
Ecke“ stiften Verwirrung. Teilweise werden solche Scherze Menschen sind sehr empfänglich für alle Formen von Humor. Ein
von den zu Betreuenden wörtlich genommen und als be- Lächeln springt schnell über. Gleichzeitig spüren sie es aber ge-
drohlich empfunden. nau, wenn über sie gelacht wird. Sie leiden darunter umso mehr,
als sie durch die Krankheit meist ohnehin sehr verunsichert sind.
Es kommt zu unangepassten Formen von Humor. Menschen Der Einsatz von Humor in der Betreuung von Menschen mit De-
mit Demenz entwickeln oft großes Vergnügen an Kraftaus- menz erfordert daher viel Fingerspitzengefühl. Wie bei jedem
drücken, an ‘unanständigen‘ Witzen sowie an sexuellem und Therapeutikum, so kommt es auch beim Heilmittel Humor darauf
skatologischem Humor. Die TV-Moderatorin Bettina Tietjen, an, in welcher Form, in welcher Dosis und zu welchem Zeitpunkt
deren demenzkranker Vater früher Architekt war, berichtet man es verabreicht. In den kommenden Teilen meines Beitrags
folgende Szene: Gefragt, ob er nicht versuchen wolle, etwas werde ich die Einsatzmöglichkeiten von Humor noch genauer
am Reißbrett zu zeichnen, antwortete dieser: „Reißbrett – beleuchten. Die Kunst besteht darin, den Humor genau auf die
Scheißbrett“ und amüsierte sich köstlich (Tietjen, 2016). Vorlieben, die Bedürfnisse und die Verletzbarkeit der Demenz-
betroffenen abzustimmen.
Non-verbaler Humor gewinnt an Bedeutung. Mit zunehmen-
dem Verlust der Sprachfähigkeit verschiebt sich der Humor in LITERATUR
den Bereich des Nicht-Sprachlichen. Beispiel: Die Bewohnerin
Frau Huber ist weitgehend verstummt. Sobald aber Musik er- Bisaz, J. (2008). Zwischen Tragik und Komik. In I. Bischofberger (Hrsg.),
klingt, fordert sie den Betreuer Hans zum Tanz auf. Sie baut Das kann ja heiter werden. Hu-mor und Lachen in der Pflege. Bern, Huber
in ihren Tanz kleine Pointen mit ein. An einzelnen Stellen der Verlag, S. 201-214.
Musik stampft sie mit dem Fuß auf. Sie macht Drehungen,
wirbelt den Betreuer herum. Sie lacht, und alle Anwesenden Clark, C., Nicholas, J.; Gordon, E.; Golden, H., Cohen, M., Woodward, F.,
lachen mit ihr. Macpherson, K, Slattery, C., Mummery C., Schott, J. & Warren, J. (2016).
Altered Sense of Humor in Dementia. Journal of Alzheimer's Disease
So weit die wichtigsten Veränderungen im Überblick. Was heißt 49(1), S. 111–119.
dies nun für die Praxis? Wichtig ist, dass die Betreuenden ihre
Schützlinge so akzeptieren sollten, wie sie sind. Der Humor der Robinson, V. (1991). Humour and the Health Professions. The Therapeutic
Betroffenen sollte, auch wenn er manchmal kindlich, anomal, Use of Humour in Health Care. Slack Inc., New Jersey, USA.
grob oder befremdlich erscheint, nicht aus einer Defizitperspek-
tive betrachtet werden. Erforderlich ist vielmehr ein ressourcen- Tietjen, B. (2016). Unter Tränen gelacht. Mein Vater, die Demenz und ich.
orientierter Ansatz. Humor, und zwar auch der veränderte Humor Piper Verlag, München.
demenziell erkrankter Menschen, hat viele gesunde Anteile. Er
hilft den Betroffenen, sich seelisch im Gleichgewicht zu halten. ZUR PERSON

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf das Thema des Dr. Martin Herberg, Dipl.-Soz.
unfreiwilligen Humors. Menschen mit Demenz werden leider Bildungscampus der AWO Lauenburg
nur allzu leicht zur komischen Figur. Beispiel: Eine ältere Dame
benutzt die Zahnbürste als Kamm und verteilt die Zahnpasta in
ihrem Haar. Oder: Eine Bewohnerin wirft eine Brausetablette, die

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