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Jan Józef Sczepański (aus dem Sammelband „Buty“)

Hinter dem Pass

Der Skifahrer hielt von Zeit zu Zeit an, um Luft zu holen, aber mehr noch, um zu
staunen und die Freude an der weißen Einsamkeit zu genießen. Er war darin dicht
und geheimnisvoll eingeschlossen, eingehüllt in ein frostiges Flüstern, das das
Knarren seiner Bindungen und das Knirschen der Bretter vorsichtig zerstreute, wie
das Geräusch der Schritte eines schleichenden Flüchtigen. Das Gefühl, das in seinem
Kehlkopf pulsierte, war das einer mit nichts vergleichbaren Freude, die um
Haaresbreite an einen Schauer der Beklemmung grenzte. Der Nebel, angedickt durch
eine Fülle von gleichmäßig fallenden, winzigen Schneeflocken, löschte die Welt vor
seinen Augen und ließ nicht einmal den Schatten einer Gestalt außerhalb der
Reichweite seiner Skispitzen. Dass er bergauf ging, konnte er an der Beugung seines
Fußes, der Neigung seiner Schultern, an dem Druck um sein Herz herum, das vor
Anstrengung arbeitete, spüren. Er war wie in einer riesigen Rolle aus Musselin, die
sich in geräuschlosen Falten immer höher schob. Doch wie er im Stehen in dieses
milchige Element voller monotoner Bewegung seinen Blick versenkte, schien es ihm,
als käme ein blasses, aber warmes Glühen von oben.
– Auf der anderen Seite des Passes kann es gutes Wetter geben – sagte er zu sich
selbst. – Die Nebel halten am Grat an, fallen zurück ins Tal. – Die Sonne... es gefiel
ihm, sie wie ein Taucher nach einem langen Tauchgang zu finden. Jetzt näherte er
sich vielleicht der Oberfläche. Vielleicht hat er sich ja doch geirrt. Sein angestrengter
Blick entdeckte langsam – oder vielleicht war es auch nur durch die Kraft seiner
Konzentration verursacht – eine dunkle Wellenbewegung, wie Rauch, der
zusammenweht und auseinanderstiebt; winzige Flocken begannen die Augen mit
Sand aus dunklen Punkten zu bestäuben. Nach einer Weile war es schwer zu sagen,
ob dieses sanfte Glühen nicht doch eine Illusion war.
Derjenige, der diesen Weg vor ihm gegangen war, muss seine Bretter für die
Abfahrt eingewachst haben, denn er machte weite Kurven. Zunächst blieb der
Skifahrer auf dessen Spur, aber bald war er dieser unnötigen Verlängerung des
Weges überdrüssig. Jetzt ging er geradeaus und nur ab und zu kreuzte er dessen in
fast gleichen Abständen zurückkehrende Spur. Vielleicht werde ich ihn treffen,
dachte er. Er hatte keine Lust dazu, obwohl er wusste, dass in dieser Höhe und im
Nebel die Menschen freundlich zueinander sind und leicht eine gemeinsame Sprache
finden. Je höher, desto sicherer das Gelingen der Verständigung. An den Berghängen
konnte eine strenge Trennlinie der Brüderlichkeit gezogen werden. Dieser Gedanke
gefiel ihm so sehr, dass er geschrien hätte, wenn die Stille nicht das feierliche
Schweigegebot befohlen hätte.
Der Pass sollte jetzt in der Nähe sein. Es war anderthalb Stunden her, seit er die
letzte Hütte auf der Alm passiert hatte, und es war nicht lange her, dass er die obere
Schwelle des Kessels zu überschreiten wähnte. Er erinnerte sich, dass man von hier

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aus sich ein wenig links halten musste, um in eine breite Felsenschlucht zu gelangen.
Er schaute nun aufmerksam unter seine Füße, um die Spur seines Vorgängers nicht
zu verpassen. Die letzte Kurve führte nach links und versprach durch ihre Neigung
sehr weit zu sein. Er begann, ungeduldig zu werden. Nicht wirklich, letztlich, – er
vertraute sich selbst zu sehr, um dieser zufälligen Hilfe bewusst Bedeutung
beizumessen, – aber es wäre ein wenig unheimlich, die Spur zu verlieren. Er merkte,
dass er sich ein wenig darauf verließ, wie man sich auf die Gesellschaft und den
Instinkt eines Hundes verlässt, den man zufällig auf einer menschenleeren Straße
trifft. Immer wieder blieb er stehen und verfolgte im Schnee einen vermeintlichen
Streifen, der sich bei näherer Betrachtung als der mit Pulverschnee bedeckte Rand
einer alten Schneeverwehung entpuppte. Mehrmals wich er nach links und rechts
aus, weil er vermutete, dass der Fremde die Spannweite der Kurven verringert hatte.
Wenn er zum Pass gehen wollte – und wo sollte er sonst hingehen? – muss er in diese
Richtung gegangen sein. Er konnte aber auch umgekehrt und wieder zur Alm
hinuntergefahren sein. Er konnte sich verlaufen haben. Schließlich konnte der
ständig fallende Schnee eine flache Spurrille eingeebnet haben.
Nach einigen Minuten weiteren Gehens hatte er sich schließlich vergewissert,
dass er sich endgültig von jener Spur getrennt hatte, und erst jetzt fühlte er sich
wirklich allein. Diese Entdeckung brachte einen leichten Schauer von Emotion mit
sich – angenehm, weil er die Situation mit einem Geschmack von jenem Risiko
bereicherte, an das man eigentlich nicht glaubt. Unter solchen Umständen stellte er
sich gerne vor, dass er sich in einem unbekannten Land befand, das von
menschlichem Fuß noch unberührt war, ganz auf seine eigene Findigkeit und Kraft
angewiesen. Der Reiz des Spiels bestand vor allem in seinem Einfallsreichtum. Er
zweifelte nicht daran, dass, wenn sich der Nebelschleier plötzlich lüften würde, er
rechts über ihm den charakteristischen Zahn im Grat sehen würde, darunter der
glatte Sattel des Passes, und links, jenseits des sich breit türmenden Grats, die
zerbrechliche Silhouette des Triangulationsturms auf dem Gipfel.
Das Gelände stieg nun immer steiler an. Der Skifahrer musste jetzt auch scharfe
Kurven einschlagen. An einer der Biegungen fegte eine starke Böe mit brennenden
Funken der Kälte über sein Gesicht. Die Welt verdunkelte sich für einen Moment in
einem schnellen gebauschten Schatten, wurde dann weiß und verdunkelte sich
wieder, als ob eine große, schaukelnde Welle über den Berg rollte.
Der Skifahrer zog den Riegel seiner Windjacke bis zum Hals. – Es bläst vom Pass
her. Auch auf dieser Seite wird es kein Wetter geben. – Er zog den Kopf ein und ging
weiter, wobei er die Arme kräftig auswarf, um sich aufzuwärmen. Er hatte es eilig,
den Gipfel zu erreichen und die Abfahrt zu beginnen, die bei dem Wind, und
vielleicht sogar bei einem Schneesturm, wahrscheinlich nicht einfach sein würde und
länger dauern würde als unter normalen Bedingungen. Tiefgebeugt machte er lange
Schritte und überwand dabei den immer stärker werdenden Widerstand der
aufgewirbelten, frostigen Luft. Jede Biegung nach links war ein Moment des
Aufatmens, aber diese Momente waren sehr kurz. Auf der einen wie auf der anderen
Seite begegnete er windgepeitschten Felsen, die im letzten Moment vor ihm

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auftauchten wie Riffe aus der Gischt einer stürmischen See. – Ich hatte ganz
vergessen, dass es hier so eng ist, – dachte er erstaunt. Aber der Pass muss gleich,
ganz gleich kommen. Es zog von ihm wie aus einem kalten Kamin: Er konnte sogar
ein leises, vibrierendes Pfeifen zwischen den Blöcken und Felsen des Grats hören. –
Nun, ich werde eine Fahrt haben! – sagte er zu sich selbst und presste seine Kiefer
unter den Schlägen der brennenden Kälte zusammen. – Ich werde eine Fahrt haben!
– und durch einen erstickenden Krampf von Unruhe hindurch schüttelte er sich vor
Freude über seine Stärke, das wilde Glück des Kampfes und des Sieges, der ihn
erwartete.
Er machte eine Kehre. Er kam wieder nach links hoch, drückte sich mit dem
rechten Arm in die schnell aufsteigende Windwelle und zeiget ihr schräg seine vor
Kälte erstarrende Wange. Er konnte nichts sehen. Der feinst zerriebene Staub, der
sich in dicken Bauschen von Weiß über ihn ergoss, blendete ihn. Aber er wusste
sicher, dass ihn vom Pass die letzten paar Schritte trennten. Als er die nächste Kehre
machte, rieselte es ihm mit einer solchen Wucht in die Augen, dass er sie schloss, und
gleichzeitig hinkauerte, um nicht zu fallen. Er hielt es einen guten Moment in dieser
Position aus, bis er sich daran gewöhnt hatte und wieder etwas Sicherheit gewann.
Von jener Seite stieg ihm ein dichtes Rauschen entgegen, das ihn mitriss und
ertränkte und seinen Kopf mit einem schwer fassbaren, zischenden Getöse erfüllte.
Der andere hatte recht, – dachte er. – Es hat keinen Sinn, sich in einen solchen
Schneesturm zu drängen. Ich sollte auch wieder runter zur Alm. – Mit einer fast
zärtlichen Sehnsucht erinnerte er sich an die weiche und warme Stille des Nebels.
Aber schon stieg in ihm die Versuchung auf, sich mit seinem eigenen Mut zu
blenden, das Glück zu versuchen, an dem er nie gezweifelt hatte. Er spürte, dass er
ihr nicht widerstehen konnte. – Das ist Idiotie –, wiederholte er zu sich selbst. – Ich
bin ganz allein. Ich möchte mich wie ein angeberischer Flachländer aufführen, der
keine Ahnung von den Bergen hat. Wenn ich wenigstes wüsste, wo ich bin... – Er
strengte seine Augen an, um den Umriss des charakteristischen Zahns oberhalb des
Passes zu sehen, aber es war unmöglich. Irgendein Schatten zeichnete sich ungewiss
vor ihm ab, wie es fürgewöhnlich der Fall ist, wenn man etwas sehen will, um sich
aufzumuntern. Es schien ihm unwahrscheinlich, dass er sich verirrt haben könnte. Es
ist anderen passiert, nicht ihm. Er hatte so oft damit geprahlt, dass er in diesem Teil
des Gebirges mit geschlossenen Augen überall hingehen konnte. Aber um sicher zu
sein, versuchte er, seine Schritte zurückzuverfolgen. Die einzige zweifelhafte Stelle
war an der oberen Schwelle des Kessels, wo er sich von der Spur des anderen
trennte. Aber dort gab es keine Wahl. Links, schräg, gelangte man in den Schlund
einer Schlucht, die direkt zum Pass führte. Zwar kam ihm diese Schlucht verdächtig
eng vor, aber der Nebel verändert immer Entfernungen und Proportionen.
Um das Gleichgewicht zu halten, stützte er sich mit der Brust gegen die in
Schnee gerammten Stöcke. Mühsam gegen die kalte Strömung des Windzuges
gelehnt, hatte er den Eindruck, nicht zu stehen, sondern auf einer winzigen
Landzunge zu stehen, die gegen die Strömung des weißen Ozeans schwimmt. Als er
aufstieg, schwitzte er. Jetzt war die warme Nässe auf seinen Armen und seiner Brust

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abgekühlt und kühlte seine Haut so stark, dass er am ganzen Körper zitterte und
seine klappernden Kiefer nicht kontrollieren konnte. Er schämte sich für das
Aufeinanderschlagen seiner Zähne, als wäre er sich nicht sicher, ob es nicht zufällig
ein Symptom der Angst war.
– Das ist Blödsinn! – wiederholte er, und plötzlich fühlte er sich fast fröhlich. Kaum
jemand würde sich bei diesem Wetter nach unten trauen. Er wusste bereits, dass er
nicht widerstehen würde. Außerdem war er sich fast sicher, dass es ein paar Dutzend
Meter tiefer wieder Ruhe herrschen würde; vielleicht würde sich sogar der Nebel
verziehen...
Er lächelte mit versteiften Lippen, und es war ein Lachen voll von jenem
feierlichen Ernst, mit dem man eine Kraftprobe macht. Leicht stieß er sich mit seinen
Stöcken ab. Alle Unsicherheit hatte ihn nun verlassen. Er hatte keine Angst. Er war
fröhlich und stark, reagierte auf die Welt mit den Muskeln seiner Beine, mit einer
erwartungsvollen Spannung seines ganzen Körpers. Der Wind widersetzte sich ihm
so stark, dass er trotz des steilen Abhangs sehr langsam glitt. Von Zeit zu Zeit stießen
Verwehungen von frischem Pulver seine Bretter hoch; er schwankte und kauerte sich
über sie hinweg, dann gewann er für einen Moment etwas Geschwindigkeit auf
harten Platten von freigefegtem „Beton“. Er fuhr hässlich, scherte sich nicht um Stil,
und es lag etwas von dem Misstrauen eines Blinden in seiner Haltung. Bei der ersten
Spitzkehre nach links wurde er inmitten der Wende gepackt und in einer
wahnsinnigen Hektik mitgerissen, bevor er den oberen Ski nachschieben konnte. Er
wäre fast gefallen. Die Ränder seiner Kapuze und die Ärmel seiner Windjacke
spielten mit einem scharfen, eiligen Flattern. Der Windsturm schob sich vor ihn, sein
kräftiger Atem klebte an seinen Oberschenkeln, seinem Rücken und seinen
Schultern. Er raste durch den dichten, schrägen Tumult, betäubt von seinem Zischen,
betäubt von seiner Geschwindigkeit. Was für ein Gas! – dachte er mit Bewunderung
und Entsetzen, nachdem er vom ersten Eindruck abgekühlt war. – Es wird
wahrscheinlich ein Hunderter pro Stunde sein. – Ich werde mir alle Knochen
brechen, verdammt noch mal! – Er spreizte seine Beine und versuchte, sich zu
wehren. Die Bretter klapperten hin und wieder auf dem verdichteten Schnee,
sprangen auf den fein geschichteten flachen Wellen, um dann wieder in einem
seidenglatten Gleiten wegzurutschen. Endlich konnte er bremsen. Er verlor langsam
den Schwung, mit einer tiefen Drehung seines Oberkörpers bereitete er eine neue
Spitzkehre vor. Nach der Drehung richtete er sich auf und ließ den Wind mit aller
Kraft gegen ihn drücken. Er war immer noch sehr schnell unterwegs, aber das
federnde Element verstärkte jeden Moment seinen Widerstand. Die weiße, körnige
Membran der Schneewehe krümmte sich immer unwilliger, das scharfe Pfeifen
stumpfte ab, floss in tiefere Lagen, wurde zu einem gleichmäßigen, tiefen Rauschen.
Die Beine des Skifahrers zitterten vor Anstrengung. – Das war Skifahren! – Er
erinnerte sich an den Geschmack des erlebten Nervenkitzels. Er hatte eben noch
keine Zeit gehabt, es zu genießen, aber jetzt holte ihn die berauschende Freude über
diesen Flug in einer verspäteten Welle ein. Er wartete ungeduldig auf einen neuen
Anfall von Lust. Er spürte, wie sich der pudrige Schneeschleier vor ihm lichtete, und

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er bedauerte es fast: Es lag so viel beglückender Schrecken in dieser blinden
Verfolgungsjagd.
Oh, da ist irgendwo auf der rechten Seite ein Absatz, erinnerte er sich. – Es ist
nicht nötig, zu weit in diese Richtung zu gehen. – Zumindest ist es gut, dass der
Wind in die entgegengesetzte Richtung weht; er könnte ihn in den Abgrund stürzen,
bevor er zur Besinnung kommen würde. Er war froh, dass diese höchst reale Gefahr
entschärft wurde. Die Welt hatte sich für ihn immer an die Regeln des Fairplay
gehalten, so dass er nebenbei auch noch den Anschein eines echten Kampfes
genießen konnte. Er fühlte sich viel sicherer und beschloss, nett zu spielen. In der
nächsten Kurve ließ er sich gehen, führte seine Skier eng und versuchte, die Präzision
des guten Stils zu bewahren. Diesmal wollte er sich nicht mehr berauschen lassen. Er
wollte die ganze Zeit das Vergnügen schätzen, jede vergehende Sekunde würdig
nutzen. Mit einer wahnsinnigen Eile schnitt er wieder durch das milchige
Durcheinander, leicht wie ein bedeutungsloser Fleck auf dem riesigen Segel des
Sturms. Er nahm einen schärferen Winkel ein als zuvor, so dass es ihn aus einer
Schräge anblies, die sich leicht zum Hang hin neigte. Er dachte an nichts.
Irgendetwas sang gerade einen hohen Ton in ihm, als würde der Wind auf einer Saite
spielen, die bis zum Äußersten gespannt war. Das war Glück.
Die Sicht hatte sich tatsächlich ein wenig verbessert. Dunkle Formen von aus
dem Schnee hier und da herausragenden Himbeersträuchern flatterten vor seinen
Augen. Mit blitzschnellen Schwüngen wich er, indem er die Enden seiner Skier
hochriss, ihnen aus, und jedes Mal steigerte das Gefühl der eigenen
Leistungsfähigkeit noch seine Freude.
Plötzlich riss es an ihm heftig, die Kanten seiner Skier knirschten gegen die raue
Oberfläche des Eises. Er wackelte hin und her, und wieder, und wieder. Er spreizte
die Beine in den Pflug und stürzte in dieser Haltung mit seinem ganzen Schwung in
eine Schneewehe, wie aus schwerem Gips. Es trug ihn auf die andere Seite, wieder
auf das Eis, aber der Stil, die Bewegungsfreiheit, das Selbstvertrauen – alles war weg.
Er fuchtelte ungeordnet mit den Händen, hielt das Gleichgewicht, nicht mehr, um
die Kraft zu kontrollieren, sondern um einen möglichst guten Fall vorzubereiten. Im
letzten Sekundenbruchteil brach das neblige Feld seiner Vision unerwartet mit einem
rauschenden Schatten auf, als ob der Boden direkt vor seiner Nase aufbrach. Das
Erstaunen raubte ihm den Atem. – Ein Absatz? – Doch schon machte er im losen
Schnee Purzelbäume den Hang hinunter, verschluckte sich an dem kalten Staub,
tauchte kopfüber in den Schnee, träge wie eine Marionette. Er spürte einen
stechenden Stich im Knöchel seines rechten Beins, aber bevor er es merkte, hatte er
einen kalten Belag wieder im Gesicht, rollte wieder und wackelte mit seinen
schweren Skiern in der Luft. Endlich blieb er stehen, seltsam über Kreuz, und lag
regungslos da, noch nicht ganz sicher in dieser neuen Position. Erst nach einer Weile
hob er den Kopf, schüttelte ihn und schnaubte wie ein Schwimmer, der aus dem
Wasser auftaucht. Seine Kehle schnürte sich mit einem Lachkrampf zusammen. –
Was für einen Schreck ich erlebt habe! – dachte er und lachte fast laut auf, denn diese
Angst reichte aus, um diesen Satz in der Hütte zu wiederholen, wenn er seinen

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Kumpeln von seinem Abenteuer erzählen wird. Er wischte sich mit einem
schneebedeckten Handschuh über die Augen und schaute sich um, wobei er fleißig
seine schweren, geschwungenen Wimpern hob. Die Heiterkeit, die in seinem
Kehlkopf zitterte, versiegte plötzlich; das Erstaunen von vorhin kehrte zurück, aber
diesmal wurde es durch nüchterne Überlegungen mit Grauen gewürzt. Er lag direkt
am Rande einer senkrechten Klippe. Er reckte den Hals ein wenig und konnte durch
den Nebel der wirbelnden Schneeflocken die kantigen Felsbrocken und dunklen
Flecken gefällter Latschenkiefern sehen, die sich weit unten abzeichneten. Ein Absatz
auf dieser Seite? Der Boden drehte sich unter ihm. Er hatte ein Gefühl, wie jemand,
der im Fieber aufgewacht ist und das Bewusstsein für Richtungen verloren hat und
nicht feststellen kann, wo das Fenster und wo die Tür ist. Hier sollte sich links der
massive Vorsprung eines Pfeilers erheben, der den Kessel vom Gipfel zum Talboden
abgrenzt.
Er erstarrte wieder und versuchte, sich seiner Situation bewusst zu werden. Der
anhaltende Schneesturm hinderte ihn daran, sich zu orientieren, aber seine
Phantasie, einmal auf der richtigen Spur, enthüllte Schritt für Schritt den weißen
Vorhang.
Es war also alles anders! Er muss sich noch auf der anderen Seite geirrt haben,
wahrscheinlich dort, wo er die Spur eines unbekannten Vorgängers verloren hatte.
Was er für die obere Schwelle des Talkessels gehalten hatte, war es gar nicht – und
die Schlucht war nicht diese Schlucht, und der Pass war nicht dieser Pass. Er war zu
weit nach links gegangen, und anstatt den Osthang zu erreichen, hatte er den
Nordhang erreicht, nachdem er den Grat auf der anderen Seite des Gipfels überquert
hatte. Der Nordhang... er erinnerte sich: Er hatte ihn im Sommer von unten
betrachtet. Steile, grasbewachsene Hänge und Rinnen voller Geröll, alle in der Mitte
scharf unterschnitten. Ein unangenehmer Schauer lief zwischen seinen
Schulterblättern. Er hatte sich hier mit so viel Vertrauen gehen lassen! Und er war so
stolz auf seinen Mut... Er schämte sich und merkte, wie unangebracht dieser
Ausdruck war. Er blickte wieder auf den Abgrund unter ihm. Es kam ihm viel
gefährlicher vor als zuvor.
Nun, ich hatte Glück! – tröstete er sich. – Noch ein halber Meter und ich wäre
Mus. – Dieser Gedanke hob seine Laune erheblich. Die Bedingungen des Spiels,
obwohl maximal verschärft, ließen ihm immer noch eine faire Chance. Jetzt nur noch
hier raus, zurück auf den Grat, zurück zur Alm abfahren oder sogar die verlorene
Spur finden, um die geplante Route zu vervollständigen.
Er machte eine Anstrengung, auf den Rücken zu rollen und seine Beine zu
befreien. Er stöhnte laut auf. Der Schmerz, der heimlich in seinem rechten Knöchel
lauerte, sprang nach oben wie eine losgelassene Feder, riss bösartig an seinen
Wadenmuskeln, bis hin zum Knie. Der Skifahrer rollte sich auf die Seite und
konzentrierte sich einen Moment lang in wachsamer Erwartung. Es war vorbei.
Vielleicht nicht viel – eine gezerrte Sehne, deren Beweglichkeit durch Massage und
Bewegung wiederhergestellt würde. Vorsichtig grub er weiter, verteilte den Schnee
mit den Händen, stöhnte und machte lange Pausen, wann immer die nagende Feder

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ein verräterisches Zucken von sich gab. Nach großer Anstrengung schaffte er es, sich
auf seine linke Hüfte zu setzen. Er konnte immer noch nicht das rechte Brett
ausgraben. Er biss die Zähne zusammen und ruckte fester. Es tat weh, aber er zog
das Bein erstaunlich leicht heraus – ohne den Ski. Kniend spürte er es in der
Schneewehe auf und holte es heraus. Das Stahlseil der Bindung war gebrochen.
Jetzt hatte er wieder Zeit, noch einmal darüber nachzudenken, mit ihm begegnet
war. Der Wind, der den Liegenden nicht groß belästigt hatte, durchdrang ihn nun
mit einer rauen Kälte. Der Schnee schmolz unter seinem Flanellhemd und kühlte
seine erhitzte Haut. Er rieb sich mit den Händen über seine schmutzigen und
gefühllosen Ohren. Er war von einer kalten, beängstigenden Ruhe erfüllt. Er
erkannte endlich, dass dies kein Spiel mehr war..., sondern ein echter Kampf. Ein
Kampf auf Leben und Tod. Der weiße Staub der Schneewehe setzte sich mit
unerbittlicher Beharrlichkeit auf den harten, gefrorenen Falten der Windjacke ab.
Von dem trüben Raum ging ein Hauch von Gleichgültigkeit aus, für den es in der
menschlichen Sprache keinen Namen gibt. Hier war eine Welt, die keinerlei
Rücksicht auf den Menschen nahm und nicht einmal von seinen lächerlichen,
verwegenen Berechnungen wusste. Von „Spielbedingungen“ war hier keine Rede. Er
begriff plötzlich, was es mit dem Heldentum eines Scott oder eines Amundsen auf
sich hatte: Sie kannten ihren Feind.
Ein echter Bergunfall – schoss es ihm durch den Kopf. Aber es war sicherer, nicht
daran zu denken. Er fischte ein Stück verdichteten Schnees aus der Tasche unter
seinem Gürtel, dann eine Uhr mit einem von Feuchtigkeit beschlagenen Glas. Es war
kurz vor zwölf Uhr. Er hatte noch mindestens fünf Stunden Tageslicht vor sich. Das
war schon immerhin etwas. Abgesehen von einem verstauchten Bein fehlte ihm
nichts. Er war stark und hatte nicht vor, sich zu ergeben. Er schnallte seinen linken
Ski ab und stellte sich, mit Brettern und Stöcken gestützt, auf sein linkes Bein. Er sank
bis übers Knie in eine weiche Schneewehe. Bevor er sich entschloss, den ersten Schritt
zu tun, überlegte er lange, was er tun sollte. Sollte er sich den Grat hochschieben?
Angenommen, er schafft es, dorthin zu gelangen. Und was dann? An eine Abfahrt ist
nicht zu denken. Vielleicht wäre es besser, den Pfeiler zu queren und durch ihn
hindurch zum östlichen Kessel zu gelangen. Wenn der Schneesturm aufhört, werden
sicherlich Skifahrer von der Hütte aus im Talkessel erscheinen. Dann wäre es
möglich, um Hilfe zu rufen. Er hatte jedoch keine Ahnung, ob eine solche Passage
möglich war. Es könnten noch eine Reihe von Felsrippen sein, die ihn von der Säule
trennen. Die Entscheidung war sehr schwierig. Er beschloss, vor allem einmal seine
Fähigkeiten zu testen. Vorsichtig grub er seinen rechten Fuß in den Schnee, aber als
er versuchte, sein Gewicht darauf zu verlagern, sackte er mit einem
Schmerzensschrei in sich zusammen. Nach ein paar weiteren Versuchen gab er auf
und begann, auf allen Vieren zu kriechen, wobei er mühsam eine tiefe Spur pflügte.
Skier und Stöcke, die er hinter sich herschleppte, waren ein zusätzliches, äußerst
lästiges Hindernis. Nach einigen Metern war er ganz nass vom Schweiß, und in
seinem Kopf dröhnte es von den heftigen Pulsschlägen. Er erreichte einen riesigen
Felsblock, der mit einer senkrechten, dunklen Wand unter dem Schnee hervorstach.

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Der Wind fegte ein kleines Becken unter ihm hindurch, das einigermaßen eine Art
Schutz bot. Er nahm darin Zuflucht. Es war ruhig hier; der Schnee blies hier nicht,
der Wind heulte nicht mi dem deprimierenden Luftzug der Leere. Er nahm den
Gürtel seiner Hose ab und begann, daraus eine behelfsmäßige Schienung zu machen.
Er wusste, dass er den Aufstieg nicht schaffen konnte, aber er hoffte, dass er sich
irgendwie gerade über den Hang bewegen konnte. Das bedeutete einen Weg zur
Säule. Er gab sich keinen Illusionen hin: Diese Chance auf Rettung war so gering wie
jede andere. Es ging nur darum, nicht untätig zu warten.
Als er mit seinem Taschenmesser Löcher in den harten Riemen bohrte, erinnerte
er sich daran, wie er sich einmal damit gebrüstet hatte, den Tod in den Bergen finden
zu wollen. Es war natürlich eine Possenreißerei. Er konnte das nur sagen, weil er
eigentlich nie an den Tod geglaubt hatte. Den Tod finden! – Was für eine seltsame
Vorstellung. Genauso dumm, wie wenn wir uns einreden, dass es feste Spielregeln
zwischen uns und der Welt gibt. Es ist der Tod, der uns findet – während wir mit
etwas anderem beschäftigt sind. Wenn der Schatten seiner Hand plötzlich über uns
hängt, denken wir, dass es eine vorbeiziehende Wolke ist, die die Sonne verdunkelt
hat, und wir machen stur mit unseren bereits ungültig gewordenen Angelegenheiten
weiter. Erst im letzten Moment erwacht ein Verdacht in uns, und wir flüstern, starr
vor Überraschung: jetzt schon?
Der Skifahrer wollte das Wort noch nicht aussprechen. Er war gesund, er war
stark – trotz allem spürte er die ungebrochene Tiefe des Vertrauens in sich. Das
Leben hatte ihn bisher von seinem beängstigenden "Wohin?" und "Warum?"
verschont, und wenn ihn ein Anflug dieser Beunruhigung erreichte, sagte er zu sich
selbst: "Ich habe noch Zeit. Diese Zeit erschien ihm ganz unendlich, denn jeder
Tropfen davon gehörte zur einlaufenden Flut.
Auch jetzt schnitt er ausdauernd an einem Stück Rindsleder und vertraute sich
dem allmächtigen Alp der Zeit an. Doch plötzlich kam ihm ein Gedanke, der so
seltsam war, dass er kaum glauben konnte, dass er in seinem eigenen Gehirn
entstanden war. Es schien ihm, als sei er dreiundzwanzig Jahre seines Lebens auf
einem Weg gewandert, der anders war als er gedacht hatte, gewandert zwischen
imaginären Aussichten in eine Richtung, die von keinem Kompass überprüft wurde.
Nur eines war sicher, aber das hatte er bisher nicht gewusst: Das Ziel war eine
Steilwand, die sich in den Nebel öffnete, mit einem unermesslichen, gleichgültigen
Rauschen.
Aufgeregt klappte er sein Taschenmesser zu und begann in nervöser Eile seine
Taschen zu schütteln. Er spürte ein brennendes Verlangen nach einer Zigarette.
Schließlich fand er eine zerknitterte Schachtel und ein kleines Messingfeuerzeug in
seiner Windjacke. Unnachgiebig, mit wachsender Ungeduld und Wut zog er mit
dem Daumen an dem gewellten Stift entlang. Der Stein war offenbar nass geworden
– er gab keinen Funken von sich. Er verstieg sich so hartnäckig und voller Ingrimm,
dass er vorübergehend alles andere vergaß. Erst als sein Finger wundgescheuert
schmerzte, kam er zur Besinnung und steckte das Feuerzeug in seine Tasche. – Die
Zeit ist gekommen – flüsterte eine Stimme in ihm. Er lehnte sich über den Ski und

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versuchte, alle Kräfte seines Geistes auf die Frage der Bindung zu konzentrieren. Er
bemerkte nicht einmal, dass der Wind leiser wurde und dass ein blassblaues Lächeln
das beruhigende Element des weißen Chaos zu durchdringen begann. Sollte ich doch
einen Aufschub bekommen, darf ich dies alles nicht vergessen – versprach er sich
feierlich, und in tiefster Stille wachte er über das Flämmchen eines neuen,
unbekannten Mutes, das in seiner Brust aufflammte.

Deutsch von Robert Jaroslawski, 15. Juli 2021

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