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Religionspädagogische Zeitschrift für Praxis & Forschung 05–06|2021
P.b.b. | Verlagsort 8010 Graz | 13Z039791 M
genießen
» Gaumenkitzel » Freiraum » Schokolade » Leben » Geschenk
Die Theologie und der Ge- Vom „Recht, sich … und die Bibel – eine Sich genussvoller Momente Genuss ist von Gott ge-
nuss – ein deliziöses Menü, schmut-zig zu machen“ Einladung für genussvol- im Hier und Jetzt gewahr schenkt, als Gabe und Auf-
serviert in vier Gängen. und viele andere Ideen le Stunden, nicht nur in werden und sie im Alltag gabe – genießen gibt es
für das Draußen-Spielen. der Primarstufe. erstrahlen lassen. nicht „to go“.
Seiten 4 bis 7 Seiten 8 bis 11 Seiten 12 bis 15 Seiten 16 bis 19 Seiten 20 bis 24
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kolade und dem Lesen der Bibel. Ihre Aufzählung Friedrich Rinnhofer
von verschiedenen Methoden für die Bibelarbeit friedrich.rinnhofer@reliplus.at
Summertime
Die Strümpfe bleiben endlich im Schrank,
die Pullis auch.
Und die Jacke kann ich ab sofort zu Hause lassen.
Getrost!
Es ist Sommer – Draußenzeit.
Nächte werden lang
und jeder Morgen verheißt genug
Wärme, Sonne und Licht den ganzen Tag.
Tomaten schmecken endlich wieder,
Erdbeeren sind süß
und eine Kugel Eis verzaubert meinen Gaumen.
Felder stehen in vollem Korn,
Mohn und Rittersporn blühen.
Und immer wieder klingt die Zeile
„and the living is easy“ in mir –
Segen der leichten Art.
Simone Burster
05–06|2021 reli+plus editorial 3
Enjoy! Ein Essay in vier Gängen
… der uns metaphorisch mit hineinnimmt in genussvolle Überlegungen, betreffend
die Theologie und den Genuss. Gaumenkitzel ist garantiert.
Klaas Huizing
W enn theologisches Personal über Genuss
schreibt, ist der Text zumeist versalzen oder
fad oder angebrannt. Genuss! Gott sei Dank wird
schnell in Gier umkippen. Der Essay feiert den
Abgang mit einem zartfeinen Nachtisch. Eisbom-
be? Niemals.
die Zunge im Deutschen beim Aussprechen gar
nicht erst in Verlegenheit gebracht, im Mund Zu Tisch, bitte!
herumzutänzeln, wie etwa im englischen en- Ich leihe mir Stimmen aus der Literatur. Stellen
joyment oder im französischen jouissance. Nur wir uns den Tisch so vor: „Weißes Leinen, Stoffser-
die Verbform macht einiges gut, weil ich das i vietten, weißes Porzellan, keine Blumen. Viel Silber,
in die Länge ziehen kann: geniiiiießen! Man Messerbänkchen, Salzstreuer, Besteck, das zahlreiche
stelle sich nur einen altgedienten Calvinisten Gänge verhieß, bis hin zum »kleinen Propheten«“ (Ei-
oder einen in die Jahre gekommenen Purita- chel, 2000, 40)1, so wird im Norden der Dessertlöf-
ner in einem Drei-Sterne-Lokal vor: Genuss fel genannt. Noch ein Blick auf die Anrichte und
schmeckt nach profanen Gelüsten und gus in den Kühlschrank: „Rotwein atmete träge in Glas-
Genuss will tatorischen Exzessen, schmeckt nach Sünde. karaffen. Ein wattierter Duft von Fischsud zog durch
gelernt sein die Wohnung. Reglos lag das Lamm, einbalsamiert in
Ich kitzle zunächst den Gaumen durch ei- Honig, Kräutern, Öl. Im Kühlschrank erstarrte eine
nen Blick in die Küche, der zugleich auf die Limettenmousse, buttrig und zufrieden; sie verdaute
zwei etwas schwereren Hauptgänge mit feinem sechs Eidotter.“ (Eichel, 2000,10) Als Gruß aus der
Jus (keine angedickte Bratensoße, bitte) Appetit Küche, als Gaumenkitzler, zwei kleine Quader, die
macht. Es wird zunächst die lange vergessene gekonnt an Petits Fours erinnerten, außen kross, in-
Weltliebe gefeiert, die Genuss verspricht. Wir nen von schamhafter Zartheit, die zurückhalten-
leben genussvoll von der Nahrung – im weiten de Geschmäcker erlauben und deren Ingredien-
Sinne verstanden –, die die Welt bereitet. Ide- zen erraten werden wollen. Zur Vorspeise gibt es
engeschichtlich ein frischer Import aus Frank- Entenbrüste, „rosig und warm lagen sie neben dem
reich. Und typisch für einen Theologen: hübsch Salat und erblühten geradezu“ (Eichel, 2000, 41).
eingebettet wird diese Idee schöpfungstheolo-
gisch. Ich erinnere an einen alternativen Schöp-
fungstext aus Sprüche 8, ein hoch erotischer, ge-
nussreicher Text, der leider oft vergessen wird.
U nd der Gastgeber ist selbstredend ein Wein-
kenner, der auch sprachlich in der Lage ist,
den Gästen vor Augen zu malen, was da Teures in
den Gläsern funkelt, bitteschön. Ein „Chardonnay
Ein zweiter Hauptgang plädiert mit dem Kieler von Tasca d'Almerita“. Yes! „Der erste Geruchsein-
Leibphänomenologen Hermann Schmitz dafür, druck identifiziert überwiegend Fruchtnoten, genau-
die Andacht dem Genuss zeitlich vorzuordnen, er Pfirsich und Banane, dann mischen sich leichte
um dem Genuss (zumindest ein Stück weit) die Spuren von Nelken und ein zarter Hauch von Zimt
Zweideutigkeit zu nehmen, denn Genuss kann ein, wie sie in geringer aber gewichtiger Menge vom
zimtbaumartigen Aldehyd freigesetzt werden. In der der Welt zusammenzufallen. Wir leben von der
zentralen Phase setzt sich ein eleganter Vanilleton Welt als Nahrung, wir können, dürfen, sollen so-
von edlem Holz durch, der beispielhaft die dritte gar lustvoll hineinbeißen. Geborgt und kunstvoll
Duftphase eröffnet, in der klar ein reifer Ton von umgewidmet wird von Pelluchon ein Gedanke
Feigenkonfitüre überwiegt. Im Mund präsentiert sich von Emmanuel Levinas, der den Genuss einem
der Chardonnay mit einer perfekten Säure, die dem egoistischen Ich zurechnet, das genussvoll und
Wein Frische und Lebendigkeit verleiht. Er öffnet sich arbeitend Eigentum anreichert und erst durch
weit und weich, getragen von einer kräftigen Alko- die Begegnung mit einem Anderen zu einer veri-
holstruktur, offenbart dann einen optimalen, süßen tablen Person wird, genauer: auf einen Anruf hin
Fruchtfleischextrakt, der samtig und schmeichelnd antwortet und so dem Anderen die erarbeitete
über die Zunge läuft und an die Frucht der Rebe Welt „mit-teilt“. „Anders als Levinas glauben wir
denken lässt, die ihre Wurzeln in einen Lehmboden nicht, dass der Übergang von der Beziehung zu sich
senkt. Abschließend: ein organoleptisches Bild von selbst zur Beziehung zum anderen, von der Ebene
faszinierender Komplexität, bereichert durch begeis- des Genusses zu derjenigen der Ethik, einen Bruch
ternde Empfindungen von Muskatnuss im Nachge- bildet.“ Denn, so Pelluchon, „noch vor der Begeg- Weltliebe als Weltgenuss.
schmack.“ (Clementi, Solo Vino)2 Wenigstens ein nung mit dem Gesicht des anderen, das mich als ver- Dieses Thema stand lan-
Kopfnicken darf man erwarten. antwortlich bezeichnet, gibt […] es die Welt der Nah- ge nicht auf dem Speise-
Jetzt sind wir vorbereitet auf den ersten geistigen rung. Mein Verhältnis zu ihr ist der ursprüngliche zettel der akademischen
Genuss. Genuss verlangt ein langes Vorspiel. Ort der Ethik.“ (Pelluchon, 2020, 23) Das Ich findet Theologie.
„an den Dingen Gefallen […], die es leben lassen.“
Eine Philosophie der Nahrung (Pelluchon, 2020, 38) Genussvoll lebend machen Klaas Huizing
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die Großzügigkeit der Welt und des Lebens feiert. zwar überwunden, aber wirken noch nach. Sprü-
Man muss lange fahnden, um eine verwandte che 8 ist unverklemmt. Hier tanzt und spielt die
These im Diskursraum der Theologie ausfindig zu Frau Weisheit vor Gott, steht für den erotischen
machen. Fündig geworden bin ich bei Wolfgang Stimulus zur Schöpfung. Offenbar ein erfolgrei-
Trillhaas. ches Vorspiel, das dann in Gen 1 und 2 zur dich-
„Echte Kultur beschränkt sich nicht auf das Lebens- tertheologischen Textur gebracht wird. Lange hat
notwendige. Sie hat Sinn für das Überschießende, Sinn man diesen Text aus Sprüche 8 stirnrunzelnd bei-
für den Luxus. Der Raum des Lebens, den die Kultur seitegeschoben. Erst die feministische Theologie
erfüllt, ist ein Raum mit Bildern, mit offenem Aus- hat ihn wiederentdeckt und salonfähig gemacht.
blick auf Wege, Häuser und Gärten, es ist ein Raum, Die Verbindung zwischen Gott und Frau Weisheit
in dem Musik erklingt, in dem man sich trifft, er ist ist übrigens stabil. Sie ist nicht nur ständig bei
kein Gefängnis. Es ist nicht nur die Kunst (...), es ist der Schöpfung präsent, sie bekommt auch einen
das Lachen, alles, was uns vom Druck der reinen Not- Lehrauftrag und eine Stiftungsprofessur und ist
wendigkeit enthebt, die Gastlichkeit, das Noble und für den Erhalt der Welt mitverantwortlich. Hier
Ungemeine, das Schöne, der Genuss, worin sich der spielt die Musik. Entstanden ist die Welt, so geht
Reichtum der Kultur erweist.“ (Trillhaas, 1970, 242) diese prächtige Dichtertheologie, mit großer Lust
Diese Einsicht hat leider wenig Spuren im Mind- und großer Freude. Sie ist überbordend, einfach
Set des theologischen Personals hinterlassen. großzügig und genussreich. Und diese Großzü-
gigkeit soll erhalten bleiben. Richtig: Auch dem
22
JHWH hat mich erschaffen am Anfang seines We-
S chmitz, der den menschlichen Leib als urei-
genen Resonanzraum von Betroffenheit feiert,
plädiert für eine Distanztechnik, die ein überleg-
ges, am Anbruch seiner Werke, voreinst. 23 Von ur- tes Verhältnis zum Genuss ermöglicht. Andacht
alters her wurde ich gewoben, am Anfang, von den dient als Distanzfilter für den unmittelbaren Ge-
Urzeiten der Erde. 24 Als es noch keine Urfluten gab, nuss (vgl. Schmitz, 1990, 482; 2019, 1964f). Mit
wurde ich hervorgebracht, als es noch keine Quellen, dem Terminus der ästhetischen Andacht will
schwer von Wasser gab. 25 Bevor die Berge eingesenkt Schmitz jenen Augenblick der Ruhe beschrei-
wurden, vor den Hügeln wurde ich hervorgebracht. ben, der namentlich im gierigen Genuss gerade
26
Als er noch nicht gemacht hatte Land und Acker- nicht zu erreichen ist. Im Kunstwerk, so Schmitz,
fluren und die ersten Erdkrumen des Festlandes. 27 werden Gefühle inkarniert, die genossen werden
Als er den Himmel bestimmte, war ich da, als er den wollen. Wer Andacht übt, verhindert, von den in-
Horizont auf der Urflut einritzte. 28 Als er festigte karnierten Gefühlen „distanzlos mitgerissen zu wer-
die Wolken von oben, als stark wurden die Quellen den. Dieses Vorgefühl, das die Spanne der Distanz in
der Urflut. 29 Als er dem Meer seine Grenze setzte, der Ergriffenheit angesichts des ästhetischen Gefühls
sodass die Wasser seinen Befehl nicht übertreten. überbrückt, ist die ästhetische Andacht.“ (Schmitz,
Als er einritzte die Grundfesten der Erde. 30 Da war 1990, 480) Als „eine Art von engagiertem Ernst mit
ich beständig neben ihm und ich war Freude (Lust, Tendenz zur Ehrfurcht“ (Schmitz, 1990, 480) cha-
Entzücken, K. H,) Tag für Tag, frohlockend (spielend, rakterisiert Schmitz diese Haltung. „Ästhetische An-
tanzend, scherzend, K. H,) vor ihm die ganze Zeit; 31 dacht ist Offenheit für das, was das ästhetische Gebil-
frohlockend auf dem Festland seiner Erde, und mei- de als vielsagender Eindruck kraft der es besetzenden
ne Freude war bei den Menschen. (Prov 8,22–31)3 mächtigen Atmosphäre zu sagen hat, aber nicht An-
stifterin einer gläubigen Hinnahme einer Botschaft,
Zum Abgang
„Mandelhippen mit Schokoladen-Fondant.
75 g Mehl; 125 g Puderzucker; 200g Maripanrohmas-
se; 1 Eiweiß; 50 ml Milch; das Mark einer Vanille-
schote; 200 g Schokoladenfondant.“
(Eichel, 2012, 219)
Amen und Enjoy!
Anmerkungen:
1
Eichel, Christine: Gefecht in fünf Gängen. Roman. München
3
2000, 40. Christine Eichel kommt aus dem Pfarrhaus. Vgl. Ei-
chel, Christine: Das deutsche Pfarrhaus. Hort des Geistes und
der Macht, Köln 2012.
2
Clementi, Georg: Solo Vino, Theaterstück nach dem Roman
Vino dentro von Fabio Marcotto. Ich danke dem Autor für die
Abdruckgenehmigung. Eine Hörbuchversion ist in Vorberei-
tung.
3
Ich folge dem Übersetzungsvorschlag von Bernd. U. Schipper:
Sprüche (Proverbia), Teilband 1: Proverbien 1,1-15,33. Biblischer
Kommentar Altes Testament, Band XVII/1, Göttingen 2018, 481f.
Luis Sammer, Bonum vinum pax in domo, sweet up your life, grenzwertig, Bilbao/Stainz 2003,
Montage, 78,5x59x10, 2003. Foto: KULTUMdepot Graz
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GENÜSSE UNTER FREIEM HIMMEL
Vier erlebnisbetonte Denkanstöße laden zum Genießen von Schöpfung, Freiräumen
und Gemeinschaft mit vielen Sinnen ein. Sie regen zum Verweilen auf ganz
besonderen Plätzen und zum Genießen naturnaher Momente an. Gleichzeitig bieten
sie die Möglichkeit zu genussvollen Spielideen für Kindergartenkinder.
Daniela Fröhlich Denkanstoß 1: Freiräume leben – Natur genießen! Diese Erlebnisqualitäten gilt es für die Kinder zu
Freiräume sind kostbare Momente oder Areale, erhalten und gemeinsam mit anderen „ursprüng-
die Rückzug und Ruhe ermöglichen und zum lichen Rechten“ (Zavalloni 2015, 8) des Kindes wie
Genießen einladen. Sie entstehen im Kopf oder „Das Recht, sich schmutzig zu machen“, „Das Recht,
ganz real im Umfeld des Kindes. Viel Platz für die Hände zu benutzen“, „Das Recht auf Wildnis“
Freiraum bietet die Natur in Form von Gärten, in der eigenen Bildungsarbeit zu verankern. Vor
Wald- und Wiesenplätzen. Kinder haben ein allem dann, wenn mit „Qualität“ gute Eigen-
ausgeprägtes Bedürfnis nach Natur, nach Drau- schaften gemeint sind und mit „Erlebnis“ beson-
ßenspielen und nach freien Orten, wo wenig ders aufregende Erfahrungen verknüpft werden.
menschliche Anforderungen sind und Ruhe Diese Beschaffenheiten und Erfahrungen in der
Von den ist (vgl. Gebhard 2013, 91f). Beim Spielen im Natur lassen Kinder zu Gestaltenden und Ge-
Erlebnisqualitäten Freien mit Naturmaterialien spüren Kinder nießenden werden. Es ist die Balance zwischen
der Natur die Kraft der Natur. In seinem Handbuch über der schaffenden, gestaltenden Energie des Men-
„Kind und Natur“ beschreibt Gebhard (2013, schen und dem Gedanken, dass sich Menschen
81) den emotionalen Bezug von Kindern zur Na- als Geschaffene, Empfangende und Einfach-da-
tur und liefert eine Aufzählung von Erlebnisqua- sein-Dürfende erleben (vgl. Peterseil, Stadlbauer,
litäten der Natur in der Kindheit: Habringer-Hagleitner 2016, 15). Damit dürfen
Kinder einfach schlichtweg nützen und gleichzei-
– eine Vielfalt von Reizen, die gleichzeitig und tig genießen, was sie umgibt. Dazu sind nicht im-
wechselnd sind: Wind, Temperatur, Lichteffekte, mer aufwendige Projekte und zeitintensive Vor-
Gerüche haben notwendig. Kinder genießen das Unfertige
– ein andauernder Wechsel der Reize auf Skalen und gleichzeitig Veränderbare an der Natur. Sie
von hell bis dunkel, trocken bis nass, warm bis greifen schöpferisch dort ein, wo Freiräume es
kalt zulassen, und formen diese.
– ein Fördern der Wachsamkeit und Aufmerksam-
keit durch die Instabilität und Fragilität Anregungen für schlichte Naturgenüsse
– der Kontakt zu Lebendigem mit besonderer Erlebnisqualität, abgeleitet aus
– die natürliche Umgebung, die oft vieldeutig, un- dem „Manifest der ursprünglichen Rechte für
scharf, unendlich verschiedenartig ist und die Kinder“ (Zavalloni 2015, 8f):
Fantasie anregt – Duftspaziergang (nach dem Regen) – wie riecht
es im Garten des Kindergartens, auf dem Feld-
weg, im Wald, am Spazierweg am Ortsrand? Wie
riecht nasse Erde, Humus, Waldboden?
– Eine Hängematte vom Obstbaum zum Gar-
tenzaun, in der die Kinder Wolken zählen und
einfach nur die Augen schließen.
– Ein Blätterdach aus Zweigen, Ästen als Rückzugs-
ort, um kluge Gespräche zu führen und neue Ide-
en zu entwickeln.
– An einem Bachbett mit Erde, Sand, Kiesel, Steinen
und Schlamm arbeiten – sich schmutzig machen
dürfen, um mit Naturmaterialien zu spielen.
– Lichtspiele des Himmels genießen und beschrei-
ben – Nuancen erkennen und Übergänge zwischen
Morgen und Vormittag, Mittag, Nachmittag und
Abend wahrnehmen.
Vielfältige Spielideen und Erfahrungsräume er-
öffnen sich unter freiem Himmel für Kinder. Sie
schaffen ein Nebeneinander von Aktion und Ru-
higwerden, während genussvolle Erinnerungen
Erlebnis: Regen. Foto: B. Wind an die Kindheit entstehen!
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Genießen bedeutet auch: Weniger Handlungen
setzen, aber seinen Platz in dieser Welt spüren
und Freude am Leben haben – gemäß „Und Gott
sah, dass es gut war!“ (Gen 1,10)
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SCHOKOLADE UND BIBEL IM RU
Ein Stück Schokolade ist für viele von uns „reinster Genuss“. Beim Wort „Bibel“
denken wir vielleicht nicht sofort ans Genießen; die Bibel ist ja schließlich nicht
irgendein Buch, sondern das Buch der Bücher, die Heilige Schrift der Christ*innen.
Doch auch die Bibel kann zum Genuss werden. Dieser Beitrag möchte anhand der
Metapher des Schokoladenessens und von praxisorientierten Methoden aufzeigen,
wie die Bibel für Kinder genießbar gemacht werden kann.
Magdalena Schalk Die Bibel – (K)Ein Buch für Kinder! Bibel genießen ist wie Schokolade essen
Klanggeschichte
Bei einer Klanggeschichte werden einzelne
Szenen und Ereignisse einer Erzählung mit
Klängen ausgedrückt. Mit Orff- und Rhythmus
instrumente aber auch Alltagsgegenständen
machen die Schüler*innen Situationen, Gefüh-
le und Geschehnisse der Perikope hörbar. Diese
Methode fördert die Interpretationsfähigkeit
Bibel-Zeitleiste. Foto: Magdalena Schalk (vgl. Niehl / Thömmes, 2014, 63f).
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Bibelrap Fühlen
Das wiederholte rhythmische Sprechen und Klat- Bibliolog
schen steigert die Merkfähigkeit. So können z. B. Durch den Bibliolog wird die Bibel auf eine
biblische Personen und ihre Rollen (Genealogien, ganz besondere Art und Weise lebendig. Der
Hierarchien …) und Erlebnisse einer längeren Pe- Bibliolog versucht „eine Begegnung zwischen
rikope (z. B. Josef und seine Brüder, Mose, Abra- Menschen und biblischem Text zu ermöglichen
ham …) wiederholt, gelernt und gefestigt werden. und zu inszenieren.“ (Pohl-Patalong, 2013,
Immer wieder wird der Rap mit neuen Personen 516) Dabei werden die Lebenswelten der Teil-
oder Orten erweitert. So wächst der Bibelrap mit nehmer*innen stark hereingenommen und
jeder Religionsstunde. können so zu einem tieferen Textverständnis
führen. Nach einem Prolog (Einführung der
Sehen Methodik des Bibliologs) folgt eine narrative
Bodenbilder Hinführung zum Schauplatz der biblischen Er-
„Ein Bodenbild kann sowohl hermeneutische als zählung. Dann schlägt die Bibliologleitung die
auch problemorientierte Bibelarbeit gut unterstüt- Bibel auf und der Bibliolog beginnt. Die Peri-
zen als Veranschaulichung, Impuls, beziehungs- kope wird direkt aus der Bibel vorgelesen und
weise Identifikationsangebot.“ (Schaupp, 2013, an gewissen Stellen gestoppt. Dort führt die
540) Das gemeinsame Legen eines Bodenbildes Leitung die Teilnehmenden in eine Rolle ein
fördert zudem die Partizipation der Schüler*in- (Person oder Gegenstand) und stellt der Rolle
nen. eine Frage. Die Teilnehmenden fühlen sich in
ihre Rolle und Situation hinein und können
One Paper Stories ihre Gedanken laut aussprechen. Diese werden
„One Paper Stories ist eine visuelle Methode, um von der Bibliologleitung in eigenen Worten
auf kreative und eindrückliche Weise Geschichten wiederholt („echoing“). Nach der letzten Rolle
zu erzählen.“ (Oligschlaeger u. a., 2019, 8) beendet die Leitung den Bibliolog, indem sie
Während eine Bibelstelle erzählt wird, entsteht sich für jede einzelne Rolle bedankt und die
mit wenigen Zeichenstrichen auf einem ein- Teilnehmer*innen in die Gegenwart zurück-
zigen Blatt Papier (Flipchart, Tafel …) ein an- führt („deroling“). Zum Abschluss wird die
schauliches Bild, das sich im Laufe der Erzäh- gesamte Perikope noch einmal (ohne Stopps)
lung immer wieder verändert. Das Buch „One vorgelesen (vgl. Pohl-Patalong, 2013, 516–522).
Paper Stories. Strich für Strich: eine biblische
Geschichte in einem Bild erzählen“ ist sofort Bibelmassage
zum Einsatz in der Praxis geeignet und beinhal- Paarweise finden sich die Schüler*innen zu-
tet 18 fertige Erzählvorlagen. Natürlich kann sammen. Während die Lehrperson die bibli-
auch selbst ein „One Paper Story“–Konzept für sche Erzählung vorträgt, gibt sie immer wieder
eine ausgewählte Bibelstelle entwickelt werden Anweisungen zu den Massagevorgängen (am
(vgl. Oligschlaeger u. a., 2019, 811). Rücken, an den Händen …), die die Kinder ge-
genseitig sanft ausführen. Die Partner*innen
wechseln, entweder nach der Hälfte der bibli-
schen Erzählung oder in einem zweiten Durch-
gang, die Rollen.
Fühlgegenstand
Am Beginn oder während der Perikope be-
kommen die Schüler*innen einen Gegenstand
in die Hand gelegt. Dieser begleitet die Kin-
der durch die Bibelerzählung. Dabei können
sie ihn spüren, fühlen, tasten und angreifen.
Die Lehrperson kann während des Erzählens
immer wieder kleine Aufgaben zum Wahr-
nehmen des Gegenstandes einbauen. Diese
Methode eignet sich zum Beispiel gut für das
Gleichnis vom Senfkorn (Senfkorn als Begleit-
gegenstand).
E
Eltrop, Bettina: Lectio divina/Bibelteilen, in: Zimmer- lisabeth Birnbaum vom Katholischen Bibel-
mann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.): Hand-buch werk gibt in einer YouTube-Reihe, anhand ei-
Bibeldidaktik, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 483–490.
Itze, Ulrike/Moers, Edelgard: Zugänge zur Bibel für
nes 11-Gänge-Menüs, erfrischende Anregungen
Schülerinnen und Schüler der Grundschule, in: Zimmer- und Tipps zum Bibellesen. Unter dem Titel „Bibel
mann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch richtig genießen“ bietet sie dazu anschauliche
Bibeldidaktik, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 623–628. Impulse an, wie die Bibel zu einem ganz persönli-
Niehl, Franz W./Thömmes, Arthur: 212 Methoden für den chen Genuss werden kann.
Religionsunterricht (Neuausgabe), München: Kösel 22014.
Oligschlaeger, Annedore u. a.: One Paper Stories.
Für die Praxis in der Primarstufe sind die Inhal-
Strich für Strich: eine biblische Geschichte in einem Bild te der Videos zwar zu komplex, sie können aber
erzählen, Stuttgart: Don Bosco 2019, 8–11. durchaus als Inspiration zum Erstellen eigener
Pohl-Patalong, Uta: Bibliolog, in: Zimmermann, Mir- Lernvideos für den Einsatz im Religionsunterricht
jam / Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch Bibeldidak- herangezogen werden.
tik, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 516–522.
Porzelt, Burkard: Grundlinien biblischer Didaktik, Bad
Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2012. Bibellesewürfel
Schaupp, Barbara: Bibel und Bodenbilder, in: Zimmer- Ein hilfreiches Werkzeug, um über eine Bibelstel-
mann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch le mit Kindern ins Gespräch zu kommen, stellt
Bibeldidaktik, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 536–540. der Bibellesewürfel vom Bibellesebund Schweiz
Zimmermann, Mirjam: Erzählen, in: Zimmermann,
Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch Bibel-
dar. Der Bibellesewürfel ist als Vorlage auf der
didaktik, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 475–482. Homepage www.reliplus.at zum Ausdrucken ver-
YouTube: Bibel richtig genießen, 2021. fügbar. shop.bibellesebund.ch/
www.die-bibel.de/bibeln/bibel-in-der-praxis/bi- erwachsene/bibel-weitergeben/
gestaltungsvorschlage/bibellese-wurfel-
bel-fuer-kinder/einsteigerbibel set.html
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GENUSS STATT VERDRUSS
In einem Interview beschreibt Elisabeth Kormann, Religionslehrerin, Burnout-Prophyla-
xe-Trainerin und Genusstrainerin, wie sie ihre zusätzlichen Qualifikationen in den Reli-
gionsunterricht integriert. Zwei Texte motivieren, das Hier und Jetzt bewusster zu sehen
und zu erleben. Ein abschließender Bilderbogen regt an, gute Augenblicke und genuss-
volle Momente im eigenen Leben zu entdecken und zu reflektieren.
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DIE KLEINEN DINGE GENIESSEN
Genuss bedeutet für jeden Menschen etwas anderes, er kann im Alltag ganz unter-
schiedlich erlebt und erfahren werden. Zwei kurze Texte regen dazu an, über alltäg-
liche Erfahrungen und über gute Augenblicke im Leben nachzudenken. Das Gedicht
„Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte“ lädt dazu ein, das Hier und Jetzt
bewusst zu erleben. „Bohnen zählen“ am Ende eines Tages, eines Schuljahres … kann
Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.
Bohnen zählen
Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte … Es war einmal eine alte Frau, die sehr bescheiden
Wenn ich mein Leben noch lebte. Viele Menschen bewunderten sie, weil sie trotz
einmal leben könnte, ihrer einfachen Lebensweise so zufrieden wirkte und
im nächsten würde ich versuchen ihr Leben genießen konnte. Die alte Frau verließ nie-
mehr Fehler zu machen. mals ihr Haus, ohne eine Handvoll getrocknete, Boh-
nen mitzunehmen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen, Sie steckte sie einfach in die rechte Tasche ihrer Jacke. Je-
ich würde mich mehr entspannen. des Mal, wenn sie tagsüber etwas Schönes erlebte – den
Ich wäre ein bisschen verrückter, Sonnenaufgang, das Lachen eines Kindes, eine freund-
als ich gewesen bin, liche Begegnung, ein gutes Essen, ein aufmunterndes
ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen. Wort – nahm sie diese Erfahrung ganz bewusst wahr.
Ich würde nicht so gesund leben. Sie genoss diesen Augenblick und und nahm diesen Mo-
Ich würde mehr riskieren, ment dankbar an.
würde mehr reisen, Sonnenuntergänge betrachten, Dann nahm sie eine Bohne aus der rechten Jackenta-
mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen. sche und steckte sie in die linke. War ein Erlebnis be-
sonders schön, wechselten sogar zwei oder drei Bohnen
Ich war einer dieser klugen Menschen, die Seite. Am Abend saß die alte Frau dann zu Hause
die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten. und zählte die Bohnen aus der linken Tasche. Sie ge-
Freilich hatte ich auch Momente der Freude. noss diese Zeit besonders und führte sich so vor Augen,
Aber wenn ich noch einmal anfangen könnte, wie viel Schönes sie an diesem Tag erleben durfte.
würde ich versuchen, Und auch dann, wenn sie nur eine Bohne zählen
nur mehr gute Augenblicke zu haben. konnte, war der vergangene Tag ein gelungener und
Falls du es noch nicht weißt, lebenswerter Tag. (Verfasser*in unbekannt)
aus diesen besteht nämlich das Leben.
Nur aus Augenblicken.
Vergiss nicht den jetzigen.
Impulse:
Überlege, welche Gemeinsamkeiten die beiden Erzählungen haben.
Finde Antworten auf die Frage „Welche Bohnen gebe ich heute in meine linke Tasche?“ und schreibe diese auf.
Lies die Geschichte „Bohnen zählen“ deinen Eltern, Großeltern oder Geschwistern vor und frage sie, welche kurzen Erleb-
nisse und Erfahrungen sie für den heutigen Tag nennen würden.
Das Gedicht „Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte“ lädt dazu ein, das Hier und Jetzt bewusst zu erleben. Mu-
tig sein, Neues zu wagen, Fehler zu machen, aus Fehlern zu lernen und Gewohntes zu überdenken. Welcher Gedanke des
Gedichtes spricht dich am meisten an? Lies deinen Lieblingssatz vor.
Die Geschichte „Bohnen zählen“, verpackt in ein Säckchen, gefüllt mit Bohnen, kann auch als „give-away“ z. B. für einen
Abschlussgottesdienst verwendet werden, verbunden mit einem dankbaren Rückblick auf ein Schuljahr …
Impulse:
Beschreibe, welche „guten Momente“ in den Bildern dargestellt werden und welche auch für dich besonders bedeutsam
sind. Welche „Bildthemen“ fehlen deiner Meinung nach?
Gute und genussvolle Augenblicke zu haben ist eine wertvolle „Zutat“ für das Leben. Gestalte eine eigene Fotostory mit
deinen freudvollen Momenten und Erfahrungen.
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GENUSS – EIN GESCHENK GOTTES
Die Fähigkeit, genießen zu können, ist ein Talent, das Menschen kennzeichnet. Genuss
ist ein höchst sinnliches Erleben und damit eben von Gott geschenkt – und wie wir aus
dem Umgang mit Talenten wissen, ist also auch das Genießenkönnen nicht nur Gabe,
sondern zugleich auch eine Aufgabe, die es im Leben zu entfalten gilt.
Monika Prettenthaler
D ie deutsche Journalistin Sabine Henning, die
im Urlaub am liebsten in den Tag hineinlebt
und Land und Leute – besonders gerne in den
Und weiter: „Hat Gott nicht viele Dinge über den not-
wendigen Gebrauch hinaus kostbar für uns gemacht?
Kostbar – im wahrsten Sinn des Wortes: zu kosten und
Bergen – beobachtet, geht in einem Beitrag zur zu schmecken. Dass der Genuss nicht gegen Gott ge-
sommerlichen Urlaubszeit u. a. der Frage von Ge- richtet ist und sein kann, erklärt sich also daraus, dass
nuss und (christlicher) Religion nach: „Glaube und er es ja ist, der das geschaffen hat, was wir schmecken
Genuss – das ging auch in der christlichen Traditi- und genießen können“ (Fuchs 2010, 31).
on lange nicht zusammen, jedenfalls nicht offiziell. In den Psalmen ist Genuss Ausdruck eines gesegne-
[…] Heute wird eine genussvolle Lebenshaltung nicht ten Lebens, das jene Menschen führen können, die
mehr verteufelt, wenn sie kein Egotrip ist. So bekann- Gott achten und seinen Wegen folgen (Ps 128,2).
te sich selbst Papst Franziskus in seiner Lehrschrift Genuss ist von Gott geschenkt. Mit Jean Anthèl-
Amoris Laetitia dazu, ein Filmgenießer zu sein, und me Brillat-Savarin gesagt: „Der Schöpfer hat dem
Genuss ≠ to go bezog sich auch auf seinen Lieblingsfilm, den mit Menschen die Verpflichtung auferlegt zu essen, um
einem Oscar ausgezeichneten Spielfilm Babettes zu leben; er lädt ihn dazu durch den Appetit ein und
Fest von 1987. In diesem bekocht eine Französin ein belohnt ihn durch den Genuss“ (vgl. Fuchs 2010, 31).
streng pietistisches dänisches Dorf mit einem opulen-
ten Mahle. Der gemeinsame Genuss löst die Bewoh-
ner aus einem erstarrten Miteinander.
Genuss kann eine Art von Resonanzerfahrung sein,
N ach diesem grundlegenden Versuch, Genuss
theologisch zu verorten, steht auf der nächs-
ten Seite die Frage im Mittelpunkt, wie die Bega-
wie sie der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt: Etwas bung zum Genießen im Bewusstsein bleibt bzw.
hat uns berührt, wir reagieren darauf und lassen uns geübt werden kann. Philosophische Erkenntnisse
vielleicht sogar verwandeln. ‚Ob sich Resonanz ein- und empirische Befunde zur Genussfähigkeit sind
stellt und wenn ja, wie lange, lässt sich niemals vor- die Ausgangspunkte für die Überlegungen auf
aussagen‘, schreibt Rosa in seinem Buch Unverfügbar- den Seiten 22 und 23. Der Beitrag auf der Home-
keit. ‚Es geht uns mit ihr wie mit dem Einschlafen. Je page (www.reliplus.at) will dem Gegensatz von Ge-
intensiver wir es wollen, desto weniger gelingt es uns. nuss und Sucht auf die Spur kommen.
Genuss empfinden zu können ist daher weniger eine
Frage der perfekten Bedingungen, sondern mehr eine Kompetenzen, die durch die Arbeit mit den
der Einstellung: Genuss gibt es nicht ‚to go‘. Auch die vorgestellten Anregungen gefördert werden:
biblische Erzählung von der Speisung der Fünftausend Grundlagen zum Genießen aus theologischer
lässt sich so lesen. Darin bittet Jesus die Jünger, die und philosophischer Sicht beschreiben.
Menschen anzuweisen sich niederzulassen. Tausende Die Genussfähigkeit von Menschen und mögli-
setzen sich ins Gras. Sie werden aufnahmefähig für che Hindernisse analysieren.
das Wunder. Sie werden satt.“ (Henning 2020, 23) Perspektiven für eine genussfreundliche Le-
bensgestaltung entwickeln.
Genuss als Freude am Geschaffenen
Ich hatte erkannt: Es gibt kein in allem Tun grün- Quellen und Literaturtipps:
Diallo-Ginstl, Erika: Genuss-Schule für Kinder und Ju-
dendes Glück, es sei denn, ein jeder freut sich und so
gendliche, auf: www.xundessen.at
verschafft er sich Glück, während er noch lebt, wobei Feinberg, Margaret: Gottes Güte schmecken. Das Ge-
zugleich immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und heimnis, das Leben mit allen Sinnen zu genießen, Holz-
durch seinen ganzen Besitz das Glück kennenlernt, das gerlingen: SCM R. Brockhaus 2020.
ein Geschenk Gottes ist. (Koh 3,12–13) Fuchs, Guido: Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie
des Essens und Trinkens, München: Claudius 2010.
Was hier im Zitat aus dem Buch Kohelet anklingt
Handler, Beate: Mit allen Sinnen leben. Tägliches
– nämlich ein Zusammenhang von Genuss oder Genusstraining für mehr Leichtigkeit, Gelassenheit und
Glück, Essen und Gottesgaben –, nimmt auch der Wohlbefinden, Wien: Goldegg-Verlag 52020.
Würzburger Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs Henning, Sabine: Mit allen Sinnen, in: Andere Zeiten,
in den Blick (Fuchs 2010). Es gehe in der Bibel nicht Das Magazin zum Kirchenjahr 2/2020, 22–23.
Koppenhöfer, Eva / Evrahr, Ulla (u. a.): Mit allen Sin-
so sehr darum, was man esse, sondern wie. „Wir
nen genießen: Mehr Lebensqualität durch bewussten
wissen ja von Jesus im Grunde auch fast nichts, was Genuss, Weinheim/Basel: Beltz 2014.
er gegessen hat, aber dass er sehr gern mit anderen Platt, Thomas (Hg.): Genussbarometer Deutschland.
Menschen gegessen hat, in Mahlgemeinschaften war, Wie wir zu leben verstehen. Berlin: Ch.Links 2004.
sich mit den Menschen unterhalten hat und auf die Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit, [Unruhe bewahren]
Wien – Salzburg: Residenz 32019.
Art und Weise auch sein Evangelium verkündet hat.“
05–06|2021 reli+plus sekundarstufe 2 21
GENIESSEN A LA EPIKUR
Hektik und Alltagsstress sowie eine Überfülle an Reizen bestimmten das Leben vieler Menschen. Ein Zu-
stand, der oft dazu beiträgt, dass Personen nicht auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse achten. Schade,
wo doch eine sensible Wahrnehmung ein genussvolles Lebensgefühl entstehen ließe …
05–06|2021 reli+plus sekundarstufe 2 23
MIT ALLEN SINNEN GENIESSEN
Schule, Religionsunterricht und genießen – kann das zusammenpassen? Weil der
christliche Glaube das menschliche Leben in seiner Vielfalt und Buntheit prägen
möchte, spiegelt sich das auch in den methodischen Angeboten des RU wider. Das
kann genussvoll gelingen, wenn die Schüler*innen mit ihren Sinnen, ihrer Fantasie,
… angesprochen werden.
Daniela Fröhlich
Andrea Kern D er klassische Ansatz, dass in einer Pädagogik,
die sich am „ganzen Menschen“ orientiert,
Kopf, Hand und Herz angesprochen werden,
um ein Prinzip, das behutsam und schrittweise
eingeübt werden will. Wie bei allen anderen
Methoden, die im RU eingesetzt werden, ist
Monika Prettenthaler
Magdalena Schalk steht auch im Zentrum eines genussvollen Ler- auch hier der Blick auf die Inhalte genauso ge-
nens mit allen Sinnen und damit einer Didaktik, fordert wie der Bezug zu den Schüler*innen.
die Schüler*innen „als glaubende, suchende, fragen- – Ganzheitliche und verschiedene Sinne anspre-
de oder zweifelnde junge Menschen ernst nimmt und chende Methoden stehen einer sogenannten
sie inspiriert, originelle Zugänge zu finden.“ (Rendle Hochgeschwindigkeitsdidaktik entgegen und
2010, 9) Ludwig Rendle schreibt in der Einleitung dienen bewusst einer Verlangsamung. Gerade
seines Klassikers zum ganzheitlichen Lernen tref- dieser Aspekt kann zu genussvollen Lernsitua-
fend: „Setz dich ruhig hin!“, „Spiel nicht herum!“, tionen beitragen.
„Träum nicht so vor dich hin!“ – oft fühlen sich – Schüler*innen als Subjekte wahr und ernst zu
Lehrer*innen genötigt, Schüler*innen durch sol- nehmen bedeutet, jenseits von Normen in Be-
che Aufforderungen auf eine „ordentliche“ Ar- zug auf Ergebnisse und Erkenntnisse zu den-
beitshaltung hinzuweisen. Für die Schüler*innen ken.
„gehören derartige Hinweise zu ihrem Alltag, die
ihnen vermitteln, was im Unterricht nicht gefragt Die hier vorgestellten Methoden sollten von Leh-
Aus dem ist, was als störend empfunden wird. Sie wissen, rer*innen selbst erfahren und ausprobiert wer-
sie können Gedanken bewegen, aber nicht den den, bevor sie im RU eingesetzt werden. Nur so
Methodenlabor
Körper; sie sollen fantasievoll sein, aber nur beim können mögliche Wirkungen – in Bezug auf
Aufsatz oder beim Zeichenunterricht; sie können Chancen genauso wie im Hinblick auf Herausfor-
den Körper gebrauchen, aber bitte nur beim Sport- derungen oder Grenzen – möglichst realistisch
unterricht. Wer Schüler*innen als Subjekte ernst eingeschätzt werden.
nimmt, wird nicht ihre vorhandenen Bedürfnisse un-
terdrücken, sondern diese produktiv und positiv in Ideen für die Praxis
die Lernprozesse einbinden.“ (Rendel 2010, 10) Viele der folgenden Praxisideen sind für alle Al-
Ausgehend von den Grundregeln für den Einsatz tersgruppen und Schulstufen geeignet – wie meis-
von ganzheitlichen Methoden (vgl. Rendle 2010, 13) tens lohnt sich also auch diesmal, im Methoden-
werden hier ausgewählte Prinzipien formuliert: labor über die eigene „Domäne“ hinaus zu lesen.
Sinnliches Lernen z. B. von Vokabeln oder ande-
Prinzipien für Übungen mit allen Sinnen: ren komplexen Begriffen gelingt – nicht nur, aber
– Methoden, die unterschiedliche Sinne anspre- besonders in der Primarstufe – leichter, wenn es
chen, lassen sich nicht mit Druck oder gegen mit Anschauen, Angreifen – wir sprechen in Lern-
den Willen der Schüler*innen „anordnen“ – es zusammenhängen vom „Begreifen“ und „Benut-
sind vielmehr Geduld und Einladungscharak- zen“ – verknüpft wird. Wer mit allen Sinnen lernt,
ter gefragt. merkt sich vieles leichter.
– Es geht bei „sinnlichen“ Methoden nicht um
einen gelegentlichen „Unterrichtsgag“ zur Ab- Spielideen aus der psychomotorischen Förderung
wechslung oder um Belohnung, sondern eher rund um „visuelle Wahrnehmung“:
Buchstaben schmecken
Im Rahmen eines Bibelschwerpunktes lohnt es
sich, ein Stück weit mit den Schüler*innen in die
biblischen Sprachen einzutauchen. Die Schüler*in- Sehen. Foto:Andrea Kern
nen können dabei die hebräischen oder griechi-
schen Buchstaben kennen lernen, ihren Namen 2. Station: TASTEN
auf Hebräisch/Griechisch stempeln oder kunstvoll Vorbereitung: Drei bis fünf (je nach Klassengrö-
schreiben. Ein besonderes Genusserlebnis sind die ße) Stoffsäckchen werden mit einigen kleinen
„Honigbuchstaben“. Dazu werden Kekse, in Form und gut tastbaren Gegenständen befüllt – hier
der hebräischen Buchstaben (mithilfe von Keks- kann der Herausforderungsgrad auf die jewei-
ausstechern), gebacken. Im Unterricht darf sich lige Klasse abgestimmt werden.
jedes Kind einen Buchstaben (beispielsweise den Aufgaben (jeweils mit Platz zur Bearbeitung)
Anfangsbuchstaben seines Namens) aussuchen, für das Schüler*innen-Arbeitsblatt zu Station 2:
ihn in Honig tauchen und dann genießen. Dieser
Buchstabengenuss geht auf einen Brauch der jü- – Verklebe deine Fingerkuppen mit Tixostrei-
dischen Toraschulen zurück und passt auch her- fen und greife in den Krabbelsack. Wie fühlt
vorragend in eine Unterrichtssequenz zum Juden- sich das an?
tum. Zur Zeit Jesu war es üblich, dass die Schüler – Nimm nun die Tixostreifen von deinen Fin-
am ersten Schultag Honig von einem Holzbuch- gern und ertaste die Dinge im Krabbelsack.
staben lutschen durften. Welche Dinge sind darin versteckt?
Dabei sprach der Toralehrer folgende Psalmverse – Notiere hier die Gegenstände, die du ertastet
aus Ps 19,9a.11: Die Befehle des Herrn sind richtig, hast.
sie erfreuen das Herz. Sie sind kostbarer als Gold, als
Feingold in Menge. Sie sind süßer als Honig, als Ho- 3. Station: RIECHEN
nig aus Waben. Vorbereitung: Fünf kleine Dosen werden von
a) bis e) beschriftet und mit verschiedenen,
Stationenbetrieb – Mit allen Sinnen … intensiv duftenden Lebensmitteln oder Gewür-
Zu den folgenden Anregungen wird ein Arbeits- zen befüllt. Als Alternative können auch Wat-
blatt für die Schüler*innen erstellt: tepads, die mit einfach zuordenbaren ätheri-
1. Station: SEHEN schen Ölen getränkt sind, in die Dosen gelegt
Vorbereitung: Ein farbintensives, für Schü- werden. In großen Klassen ist es günstig, zwei
ler*innen nicht zu schwer erschließbares Bild – bis drei Dosensets vorzubereiten (in unter-
gut eignen sich dafür Werke von Sieger Köder, schiedlichen Farben oder mit Aufklebern zur
z. B. Bilder zu Bibel/Schöpfungsthematik – wird Unterscheidung).
05–06|2021 reli+plus methodenlabor 25
Aufgabe (jeweils mit Platz zur Bearbeitung) für den CD-Player ein (starte die Musik auf dem
das Schüler*innen-Arbeitsblatt zu Station 3: Tablet)
– Öffne die Dosen der Reihe nach und versu- – und beginne zum Rhythmus der Musik zu
che zu erkennen, welcher Duft sich darin malen.
versteckt. Trage deine Ergebnisse ein und – Betrachte dein Werk nach dem Ende des Mu-
überprüfe sie. sikstückes und gib dem Bild einen Titel.
5. Station: HÖREN
Vorbereitung: CD-Player mit Kopfhörern, Mu-
sik-CD (alternativ: I-Pad/Tablet mit Kopfhö-
rern und Musik-Playliste), Zeichenblätter und
Wachsmalkreiden.
Aufgaben (jeweils mit Platz zur Bearbeitung)
für das Schüler*innen-Arbeitsblatt zu Station 5:
– Nimm dir ein Blatt Papier und Ölkreiden.
– Setze die (deine) Kopfhörer auf und schalte Sinnliches Ritual zum Stundenbeginn. Foto: Monika Prettenthaler
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reli+plus » Religionspädagogische Zeitschrift für Praxis & Forschung plus
Hieke, Thomas / Huber, Konrad (Hg.): Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt
Vorschau
lernen reli+plus 09–10|2021
Kann Religion gelernt werden? (Friedrich
Schweitzer)
Fragen lernen – Wissen sammeln
Soziales Lernen
Zeit zum Lernen in „Zeit für Religion“
Von der Notwendigkeit und Möglichkeit des
Verlernens