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Konversationskurs am 25.

Mai 2022

40 Jahre "Emma" - Emanzipation geht in Druck

Beschimpft, verachtet und gefürchtet: 1977 erschien erstmalig die Zeitschrift "für Frauen von
Frauen". Heute kämpfen Gründerin Alice Schwarzer und ihre Redaktion weiterhin für
Frauenrechte - das passt nicht jedem.
Sie ist wohl die bekannteste Frauenrechtlerin Deutschlands: Seit 1977 gibt sie die
feministische Zeitschrift "EMMA" heraus. Zuvor erschien "Der kleine Unterschied und
seine großen Folgen". Das Buch, in dem sie freie Sexualität ohne Machtverhältnisse forderte,
wurde zum weltweiten Bestseller. Bereits Jahrhunderte vor Schwarzer kämpften Frauen für
ihre Rechte - hier geht's zu weiteren Aktivistinnen.
Hunderttausende zieht es auf die Straßen. Sie tragen Schilder, pinke Mützen und Abscheu
gegen Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus und Intoleranz hinaus in die Welt. Einen
Tag nach der Amtseinführung des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trumps wird beim
"Women's March" nicht nur in Washington, Seattle und New York protestiert. Von London
über Berlin, Nairobi und Tokio bis nach Sydney formiert sich solidarischer Protest.
Die Bilder erinnern an die Anfangszeit der Frauenbewegung zu Beginn der 1970er-Jahre in
Deutschland. Was Frauen damals auf die Straßen trieb: eine Gesetzgebung, die Frauen
gegenüber Männern stark benachteiligte. Frauen waren in der Ehe verpflichtet, den Haushalt
zu führen. Sie durften nur dann berufstätig sein, wenn sie ihre Pflichten als Ehefrau und
Mutter nicht vernachlässigten. Die Ehemänner hingegen konnten gegen den Willen ihrer
Ehefrauen deren Arbeitsverträge kündigen. Und all das, obwohl es in der deutschen
Verfassung seit 1949 heißt: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
Damals regte sich schließlich Widerstand, Frauen in Deutschland begannen, gegen diese
Ungerechtigkeiten zu rebellieren. Eines ihrer Sprachrohre: die Zeitschrift "Emma". Sie wird
zu einem Symbol des feministischen Widerstandes. Der Name: eine Anlehnung an das Wort
"Emanzipation", mit dem Beisatz "Zeitschrift für Frauen von Frauen". Am 26. Januar 1977
erschien sie zum ersten Mal. Alice Schwarzer hob Emma aus der Taufe - und wurde dafür in
den Medien gegeißelt: "Verächterin der Männer" nannte sie die überregionale Tageszeitung
"Die Welt". Die Herausgeberin hätte bereits zur Gründung "ihr Pulver längst verschossen". 40
Jahre nach dem Zerriss gibt es die Zeitschrift immer noch. "Heute ist 'Emma', soweit ich
blicken kann, das letzte professionelle Blatt am Kiosk in Feministinnen-Hand", sagte
Schwarzer der DW.
Ungefähr zeitgleich wird in West-Berlin die "Courage", eine weitere feministische
Frauenzeitschrift, gegründet. "Courage" wird lediglich bis 1984 gedruckt, Emma hingegen
heute noch rund 30.000-mal pro Ausgabe. Fast zwei Drittel davon landen in den Briefkästen
der Abonnenten. Eine von ihnen ist Ilse Lenz. Sie ist Professorin im Ruhestand der
Universität Bochum und forscht zu Geschlechter- und Sozialstrukturen. Auf rund 1200 Seiten
hat sie Quellen zusammengetragen, die die Entwicklung der Frauenbewegung von 1968 bis
heute dokumentieren. "Die 'Emma' hat immer wieder harte Missstände aufgedeckt und
Ausbeutung und Unterordnung von Frauen kritisiert. Sie hat viele Frauen dazu in Bewegung
gebracht und war durchaus im Stande, in der Gesellschaft machtvoll das Wort zu ergreifen.
Dadurch hat sich viel in der Bundesrepublik geändert", so Lenz.

Tabus ansprechen: Machtverhältnisse im Bett

Alice Schwarzer war bereits vor Gründung der "Emma" keine Unbekannte. 1971 initiierte sie
die Kampagne "Wir haben abgetrieben!" nach französischem Vorbild in Deutschland. Ein
bundesweiter Skandal: Auf dem Titel der Zeitschrift "Stern" waren Frauen zu sehen, die
erklärten, eine Schwangerschaft abgebrochen zu haben - und die damit öffentlich gegen den
Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs ankämpften, der eben dies verbot. 1975 löste Schwarzer
erneut eine Welle der Empörung aus. Für ihr Buch "Der kleine Unterschied - und seine
großen Folgen" interviewte Schwarzer Frauen - nicht nur zu Alltag, Ehe und Kindern sondern
auch über Machtverhältnisse im Bett, sexuellen Erwartungsdruck und Unterdrückung von
Frauen als Lustobjekte.

In 40 Jahren hat "Emma" viele Themen gesetzt: 1978 verklagte sie die damals
auflagenstärkste deutsche Illustrierte "Stern" wegen frauenfeindlicher Titelbilder, später
startete sie Kampagnen gegen Pornografie, Genitalverstümmlung von Frauen und
Diskriminierung junger Musliminnen. "'Emma' ist keine Dialogzeitschrift. Es gibt immer
wieder Kontroversen um die 'Emma'. Sie hat selber Kontroversen aufgebracht und dadurch
Debatten gestartet und das ist vielleicht ihr größtes Verdienst", ordnet Lenz ein. Auch Porträts
starker Frauen und praktische Do-it-yourself-Tipps beispielsweise zum Reifenwechsel sind
immer wieder im Heft, das es mittlerweile auch online gibt.

4000 Jahre Patriarchat

Kritik an "Emma" gab es nicht nur in der Anfangszeit. So kündigte die junge deutsche
Feministin Margarete Stokowski ihr Abo, weil sie die Zeitschrift "unerträglich" fand,wie sie
im November 2015 schrieb. "'Emma' hat die Frauenbewegung 40 Jahre lang begleitet und nun
haben wir die Auseinandersetzung mit der neueren Generation der Netz-Feministinnen. Und
da schenken sich beide Seiten nichts. Die Hauptstreitpunkte sind derzeit Antirassismus und
die Initiative von 'Emma' im Bezug auf Regulierung der Prostitution. Ich sehe auch
problematische Positionen bei der 'Emma', die eher nicht zwischen dem Islam und
fundamentalistischem Islamismus differenziert und dadurch auch zu problematischen
Frauenbildern von migrantischen Frauen beiträgt. Aber ich denke, diese Auseinandersetzung
sollte nicht ignorieren, was 'Emma' über 40 Jahre geleistet und eröffnet hat", meint Lenz.
Auch Schwarzer selbst bleibt weiterhin umstritten: Kritisiert wird ihr autokratischer
Führungsziel, ihre Teilnahme an einer Werbekampagne der größten deutschen
Boulevardzeitung und die Steuerhinterziehung, zu der sich Schwarzer 2014 bekannte.
Zwischenzeitlich wollte Schwarzer die Chefredaktion der "Emma" abgeben, doch davon ist
sie mittlerweile abgerückt. Eine Nachfolgerin sei nicht in Sicht. Leserbriefe, von denen einige
auch in der Jubiläumsausgabe veröffentlicht sind, würden sie antreiben: "Diese Briefe sind
sehr selbstbewusst, aber auch herzzerreißend. Sie zeigen, wie 'Emma' ganz konkret diesen
Frauen Mut macht und ihr Leben verändert", so Schwarzer. "Und sie zeigen, dass
feministisches Denken und Handeln weiterhin lebensnotwendig sind. Man schafft 4000 Jahre
Patriarchat eben nicht in 40 Jahren ab."

Wo bleiben die weiblichen Führungskräfte?

Als die erste Emma erschien, saßen 38 Frauen im deutschen Bundestag - nicht einmal zehn
Prozent der Abgeordneten. Heute sind es 232 weibliche Abgeordnete, sie machen 37 Prozent
der Delegierten aus. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland wolle zwar die
Gleichheit zwischen den Geschlechtern, so Ilse Lenz. Aber die ist noch lange nicht erreicht:
Bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit verdienen Frauen laut Statistischem Bundesamt im
Durchschnitt rund sieben Prozent weniger als Männer. Zwar attestiert das Deutsche Institut
für Wirtschaftsforschung (DIW) den 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland
leichte Fortschritte hinsichtlich des Frauenanteils in Aufsichtsräten. Dennoch sind die Zahlen
mager: Zu 23 Prozent sind die Aufsichtsräte der Top-Unternehmen durch Frauen besetzt, die
Vorstände gerade einmal zu acht Prozent. Wenn das so weitergehe, dauere es noch 60 Jahre
bis die Vorstände zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt seien, so das DIW. Und
das sei noch eine optimistische Prognose.

AfD: Rückschrittliches Frauenbild

"Die Herrschaft der alten Männer und der Ehemänner, wie sie weit bis ins 20. Jahrhundert in
Westdeutschland markant war, ist aufgebrochen, aber wir haben neue Probleme: Im Beruf
durch die Flexibilisierung, in der Gesellschaft durch die Ungleichheit von Klasse, Migration
und Geschlecht, in Beziehungen durch die weiterhin ungleiche Arbeitsteilung", ergänzt
Professorin Lenz. "In der Familienarbeit hat sich wenig geändert: Die Kinderversorgung und
die Versorgung von Älteren bleibt überwiegend bei den Frauen."

Nicht nur in den USA auch in Deutschland gebe es Herausforderungen für den Feminismus:
durch die AfD, die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland. "Deren Leitbild ist
eine Frau, die für Familie und Nation da ist. Migrantische Frauen und Männer werden von
führenden AfD-Sprecherinnen und Sprechern abgewertet und ausgeschlossen. Ein Flügel der
AfD will offensichtlich die Möglichkeit der Abtreibung im Rahmen der jetzigen Gesetze
abschaffen", so Lenz. Klingt so, als hätte die "Emma" auch noch Stoff für die nächsten
Jahrzehnte.

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