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Bauwelt Fundamente 146

Herausgegeben von
Ulrich Conrads und Peter Neitzke

Beirat:
Gerd Albers
Hildegard Barz-Malfatti
Elisabeth Blum
Eduard Führ
Werner Sewing
Thomas Sieverts
Jörn Walter
Denkmalpflege
statt
Attrappenkult

Gegen die Rekonstruktion


von Baudenkmälern – eine Anthologie

Herausgegeben und kommentiert von


Adrian von Buttlar
Gabi Dolff-Bonekämper
Michael S. Falser
Achim Hubel
Georg Mörsch

Einführung und Redaktion:


Johannes Habich

Bauverlag Birkhäuser
Gütersloh · Berlin Basel
Umschlagvorderseite: Berlin, Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel, Ruine 1962 abge-
brochen, Simulation mit aufgemauerter Ecke und bedruckten Bauplanen 2002.
Foto: Achim Hubel
Umschlagrückseite: Berlin, Bauakademie, Detail der Simulation auf bedruckter Plane.
Foto: Michael S. Falser
Seite 6: Ruine des Berliner Stadtschlosses, Quelle: Philipp Meuser, Schloßplatz 1. Vom Staats-
ratsgebäude zum Bundeskanzleramt, Berlin 1999 (oben); Palast der Republik (Mitte), Foto:
Michael S. Falser und ‚Schloßwiese‘ (unten), Foto: Gabi Dolff-Bonekämper

Verlag, Herausgeber und Autoren danken für die Nachdruckerlaubnis von Auszügen aus
­Veröffentlichungen für die Anthologie: Dr. Reinhard Bentmann, Prof. Dr. Peter Bürger,
Prof. Dr. Wolfgang F. Haug, Dr. Dörte Jacobs, Prof. Dr. Wilfried Lipp, Dr. Ira Mazzoni,
Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier, Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub, Dr. Brigitt Sigel, Uwe T
­ ellkamp,
Prof. Dr. Heiner Treinen, Prof. Dipl.-Ing. Thomas Will, Dr. Marion Wohlleben sowie den
Verlagen Aschendorff Verlag, Münster, Deutsche Verlagsanstalt (Random House), Deutscher
Kunstverlag, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Carl Hanser Verlag, Reclam Verlag, Seemann Ver-
lag und dem Deutschen ICOMOS ­Nationalkomitee, der Wüstenrot Stiftung, den Zeitschrif-
ten Die Alte Stadt, Kunstchronik ­sowie der Paul & Peter Fritz AG, Zürich.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-
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Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

1. Auflage 2010, unveränderter Nachdruck 2013

Der Vertrieb über den Buchhandel erfolgt ausschließlich über den Birkhäuser Verlag.

© 2013 Birkhäuser GmbH, Postfach 44, CH-4009 Basel, Schweiz


und Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, Berlin

Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞

Printed in Germany
ISBN: 978-3-0346-0705-6

9876543 www.birkhauser.com
Inhalt

Ulrich Conrads
Zum Geleit: Auf der Suche nach einem Vor-Wort. . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Johannes Habich
Zur Einführung: Worum es geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Georg Mörsch
Denkmalwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Achim Hubel
Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren.
Ein Blick zurück in ihre Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Michael S. Falser
 „Ausweitung der Kampfzone“.
Neue Ansprüche an die Denkmalpflege 1960–1980 . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Gabi Dolff-Bonekämper
Denkmalverlust als soziale Konstruktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Adrian von Buttlar
Auf der Suche nach der Differenz:
Minima Moralia reproduktiver Erinnerungsarchitektur . . . . . . . . . 166
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Anhang
Michael S. Falser
Die Erfindung einer Tradition namens Rekonstruktion
oder Die Polemik der Zwischenzeilen. Besprechung der ­Ausstellung
Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte.
­Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in
der Pinakothek der Moderne, 22. Juli–31.Oktober 2010. . . . . . . . . . . . . 206
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Zum Geleit: Auf der Suche nach einem Vor-Wort

Wozu die Suche? Jedermann weiß doch, was ein Vorwort sagen und ver-
mitteln soll, wenn sich anstelle der Autoren der Initiant einer Buchreihe
nach vorne drängt. Er will neugierig machen, ohne zu verraten, was ihn bei
der Lektüre über alle Maßen beschäftigt hat. Zu seinem Leidwesen muß er
sich dennoch des Urteilens streng enthalten. Wer liest gern Vor-Urteile! In-
dessen kann es erlaubt sein, zwischen die Zeilen ein wenig Stolz zu streuen,
daß dieses Lesebuch (Reader sagte man früher) dank der lustvollen Zähig-
keit aller sechs Autoren zustande gekommen ist. Die Verfasser der Beiträge
haben sich – ich muß sagen: mit Mut und Schwung – einer Frage gestellt,
die heute auch von Fachkundigen mit einem bloßen Ja oder Nein längst
nicht mehr zu beantworten ist. Damit aber gewinnen alle Kontrahenten
den Vorzug, daß keine Masken aufgesetzt werden müssen, der offene Blick
sich nicht abwenden muß und das Gespräch lebendig bleibt. Bei alledem
habe ich mein Vor-Wort noch nicht entdeckt. Manche Brunnen sind eben
tief. Schon gibt es ein Lexikon der verschwundenen Dinge. Manche finden
wir abseits der Wege auf Trampelpfaden wieder. ­Sehen wir zu.
Es wird erzählt, daß Antonio Stradivari seine nahe der Fertigstellung be-
findlichen Instrumente stets mit in sein Schlafzimmer zu nehmen pflegte,
damit sie seine Zuwendung auch nächtens nicht entbehren müßten.
In der „Zenga“ benannten Malerei des Zen gibt es die Übung, mit einem
sorgfältig mit Tusche gesättigten breiten Pinsel auf edlem Papier einen Kreis
zu malen. Und dies mit dem Ziel der Selbstbefreiung in der auf diese Weise –
und das ist der nicht sofort auffaßbare Hintergrund – niemals zu erreichen-
den Vollkommenheit. Das Resultat dieser wunderbaren Versuche ist nichts
weniger als die „perfekte Unvollkommenheit“ – ein uns tief berührendes
Erlebnis.

Links: Zwei Denkmalverluste am selben Ort: Das Berliner Schloß wurde 1950/1951 ab-
schnittsweise gesprengt, oben die kriegsbeschädigte Südfassade. Der Palast der Republik,
1974–1976 errichtet, wurde 2006–2008 schrittweise abgerissen, in der Mitte die W
­ estansicht
im Winter 2005 mit der Schriftinstallation ZWEIFEL von Lars Ramberg. Schließlich die
Wiese, das grüne Loch, im August 2009 (unten). Die Schloßwiese verweist auf zwei ab­
wesende Denkmale und läßt viel Raum zum Denken.

7
Von gleichem Gewicht ist, daß ein so genauer Beobachter und zugleich
mit solch konstruktiver Phantasie begabter Architekt und Zeichner wie
­Giovanni Battista Piranesi mit seinen „Carceri“, man erlaube den Begriff,
das „Antipodische“ der Architektur entwirft: kein Außen, kein Tragwerk,
absolut unzugänglich, mit unsinnigen baulichen Fragmenten gegliedert.
­Indes, irgendjemand könnte in diesen Bau-Gebilden frei herumgehen und
darüber nachdenken, in welcher Enge sich Architektur um die Leere schlie-
ßen lassen kann. Das Vakuum ist ohne faßbare Dependenz.
Diese drei Metaphern kennzeichnen auch das Wesen des Baudenkmals, ob-
schon nichts von dem, von dem eben die Rede war, sichtbar ist: weder die
absolute Zuwendung dessen, der das Werk schafft, noch das unbeugsame
Ziel der Vollkommenheit, das dem Entwurf innewohnt, noch – als Drit-
tes – die Verdeutlichung der Grenzen des Möglichen. Dies alles, zusam-
mengenommen (wer wird so borniert sein, Transzendentes zu leugnen, nur
weil er es nicht sehen kann) – dies alles ineins genommen, bringt uns über-
raschend auf das Vor -Wort: Seele. Dem Baudenkmal ist eine Seele eigen, es
ist ein beseeltes Werk. Denn wir nennen die Dinge und Lebe­wesen, die
­unsere Umwelt ausmachen, dann beseelt, wenn wir sie durch Sinnverlei-
hung zu einem uns ebenbürtigen Rang erheben, so daß sie in ­ihrem An-
blick mit uns ein Ganzes bilden. Eine absolute Mit-Teilung.
Le Corbusier war meines Wissens der letzte, der in seinen Schriften einem
Haus, einem Quartier, einem Dorf, einer Stadt Wesen und Seele zusprach.
Nun möge das Fühlen und Bedenken des Wesentlichen eines Baudenkmals
die Leser durch die Texte dieses Bandes begleiten: Ein beseeltes W
­ esen ist
nicht zu ersetzen. Mit der materiellen Zerstörung ist auch das Wesen, ist
auch die Seele eines Bauwerks für alle Zeit gebrochen.

Ulrich Conrads

8
Ureigenste Aufgabe des Konservators
dagegen ist die Ordnung der Verhältnisse
zwischen Öffentlichkeit und Denkmalen
Hartwig Beseler, 1968

Zur Einführung: Worum es geht

Rekonstruktionen von bedeutenden Baudenkmälern bis hin zu malerischen


Altstadtquartieren, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden oder aus an-
deren Gründen nicht mehr vorhanden sind, haben Konjunktur. Mehr als
zwei Generationen nach 1945 fordern konservative Bürgergruppen mit tat-
kräftiger Unterstützung aus Wirtschaft und Politik vielerorts für ehemalige
Altstadtzentren die Revision städtebaulicher Entscheidungen der Nach-
kriegszeit zugunsten der Nachbildung von historischen Ansichten, deren
Wirklichkeit kaum einer ihrer Anhänger mehr erlebt hat. In einer suggesti-
ven Terminologie heißen solche Revisionen aufschlußreich und irreführend
„Stadtreparatur“. Planung und Entstehung der neuen Abbilder des verlore-
nen Alten finden große Aufmerksamkeit in den Medien. Sie werden als
­etwas Faszinierendes verbreitet und fallweise zum nationalen Anliegen er-
hoben. Wie der Zulauf großer historischer Ausstellungen und die Beliebt-
heit entsprechender Fernsehsendungen gelten Rekonstruktionen als Aus-
druck eines neuen Geschichtsbewußtseins, das sich endlich anschicke, die
durch die Verbrechen des Nationalsozialismus gestörte Beziehung zur gro-
ßen nationalen Vergangenheit zu überwinden. Ihre Befürworter glauben,
gleichsam gefallene Maschen im Strickmuster des deutschen Geschichts­
bildes aufnehmen zu können.
Das Verlangen nach Rekonstruktionen entstand in beiden Teilen Deutsch-
lands um 1980 unter dem Eindruck der weltweit bewunderten Rekonstruk-
tion kriegszerstörter polnischer Altstädte wie in Warschau, Danzig oder
Breslau (Kühne, Günter (1979)), mit denen das von der Wehrmacht und
durch die deutschen Rückzugskämpfe verwüstete Polen unter Zurückstel-
lung grundsätzlicher denkmalpflegerischer Bedenken seine zurück gewon-

9
nene nationale Identität und seine historische Zugehörigkeit zur euro­
päischen Kultur programmatisch darstellen wollte.
In der BRD faszinierte vor allem die perfektionierte Machbarkeit, die man
erstmals am Frankfurter Römer und am Marktplatz von Hildesheim mit
dem Nachbau von historischen Bürgerhausfassaden erprobte, hier aber
als nostalgische Korrektur des längst abgeschlossenen modernen Wieder-
aufbaus – noch gegen den Widerstand der zuständigen Landesämter für
Denkmalpflege. In der DDR ließ sich die staatliche Denkmalpflege selbst
durch die polnischen Beispiele unter anderem zur exakten Nachbildung des
­ursprünglichen Zustandes der erheblich kriegszerstörten Semperoper und
zur Projektierung der Rekonstruktion von historischen Zuständen im Zuge
der beginnenden Wiederherstellung des gleichfalls schwer zerstörten Schlos-
ses in Dresden ermutigen. Auch ein drittes Projekt der sächsischen Denk-
malpfleger, der Wiederaufbau der in Trümmern liegenden Dresdner Frau-
enkirche, war schon lange insgeheim in der DDR-Zeit vorbereitet worden,
konnte aber erst nach der politischen Wende verwirklicht werden. Alle drei
sind weitgehend rekonstruierende Wiederherstellungen, die bis zu einem
gewissen Grade noch als späte Maßnahmen zur Heilung schmerzender
Kriegswunden gerechtfertigt werden können. Die mit großem wissenschaft-
lichem Aufwand betriebene, von den Medien akklamierend begleitete „Auf-
erstehung“ der Frauenkirche geriet darüber hinaus infolge der großen An-
teilnahme und Spendenbereitschaft weiter Teile der Bevölkerung in ganz
Deutschland zum Symbol der Überwindung der deutschen Teilung und der
Versöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern. Ihr auch unabhängig von
dieser zugewachsenen symbolischen Bedeutung wahrgenommener Erfolg
brachte eine höchst problematische Rekonstruktionswelle ins Rollen, in der,
wie in Frankfurt und Hildesheim, nostalgische und eskapistische Gefühle
als Treibmittel wirken, die sich aggressiv gegen ‚die Moderne‘ in Architek-
tur und Städtebau richten, und, begierig von Poli­tikern und Stadtmarke-
ting-Strategen aufgegriffen, der pseudohistorischen Inszenierung hoch kom-
merzieller Citylagen dienstbar gemacht werden. Das zeigt sich besonders
abstoßend ausgerechnet am Dresdner Neumarkt als fatale Folge der Rekon-
struktion der Frauenkirche, die deren Begründung und Bedeutung nach-
haltig desavouiert.
Diese Entwicklung hat zu einer grundsätzlichen Kontroverse geführt. Sie
kulminierte vorerst in der weite Kreise ziehenden Debatte um das Berliner
Stadtschloß (www.schlossdebatte.de), hinterließ aber bald in der Öffent-
lichkeit den quälenden Eindruck, sich ergebnislos festgefahren zu haben.
Während die Rekonstruktionskritiker es nicht an differenzierenden Dar-

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stellungen der Problematik fehlen lassen, etwa in dem Aufsatzband Echt –
alt – schön – wahr. Zeitschichten der Denkmalpflege, der im Zusammen-
hang mit der gleichnamigen Dresdner Ausstellung 2005 entstanden ist
(Meier, Hans-Rudolf, Scheuermann, Ingrid (2006)), punkten die Befür­
worter rhetorisch mit Vereinfachungen. Doch legen sie auch Wert auf wis-
senschaftliche Begründungen. Diese wollte im Jahre 2008 eine vom Insti-
tut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich und dem
Architektur­museum der TU München ausgerichtete Fachtagung in Zürich
liefern (Hassler, Uta, Winfried Nerdinger, (2010)). Ihr Titel „Das Prinzip
Rekonstruktion“ nahm jedoch allzu sicher das erwartete Ergebnis vorweg
(Hillmann, Roman, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2008-1/hillmann-
roman-2/PDF/hillmann.pdf). Bot diese Tagung noch die Möglichkeit
­einer intellektuellen Auseinandersetzung mit der beabsichtigen Aufwer-
tung von Rekonstruktion, die auch wahrgenommen wurde, so tut die d ­ arauf
aufbauende, 2010 präsentierte große Ausstellung des Architektur­museums
der TU München in der Pinakothek der Moderne – „Geschichte der
­Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ (Nerdinger, Winfried, Uta
Hassler (2010)) alles, das zu unterbinden, indem sie zur Rechtfertigung
von Totalrekonstruktionen nicht mehr vorhandener Bauten nicht zwischen
­Rekonstruktion und Wiederherstellung unterscheidet und damit auch alle
heilenden und die Denkmalaussage klärenden Eingriffe in ein Baudenkmal
begrifflich vereinnahmt, so daß Rekonstruktion in diesem undifferenzier-
ten Verständnis durch eine überwältigende Zahl von Beispielen aus aller
Welt und allen Zeiten und Kulturen als selbstverständliche Kulturpraxis
suggeriert werden kann. Michael S. Falser hat das in einer Besprechung
scharfsinnig analysiert (vgl. S. 205 ff.). Natürlich wird auch gegen „die
­moderne Architektur“ polemisiert und durch Herstellung einer Ver­bindung
zwischen deren programmatischer „Ehrlichkeit“ und der rekonstruktions­
kritischen Haltung der konservatorischen Denkmalpflege ein „Doppel-
schlag gegen die dem bestandsorientierten Erhaltungsauftrag verpflichtete
Denkmalpflege und die sich immer wieder jeweils zeitgenössisch (das heißt
‚modern‘) verortete Architektenschaft“ geführt (Falser ebda.). Die in schon
früher bewährter Strategie durch Entdifferenzierung der Rekonstruktions-
frage auf ein breites Publikum zielende Ausstellung will offenbar einen
Schlußpunkt unter die kontroverse Debatte setzen. Doch läßt diese sich
nicht so einfach ersticken, wenn es auch schwieriger werden könnte, für
ihre Fortsetzung in der Öffentlichkeit Gehör und Verständnis zu finden.
Der Rezensent der Zürcher Tagung hatte bereits wenig ermutigend resü-
miert: „Entweder die Historisierung des Phänomens [der Rekonstruktion,

11
J. H.] und die Differenzierung der Motive führen schließlich zu einer Klä-
rung und einem gesellschaftlichen Konsens. Oder aber Befürworterschaft
und Gegnerschaft bleiben zwei unvereinbare Welten von Werten. Sie blei-
ben bei allen Bemühungen doch nebeneinander stehen und lassen sich nie
vereinen, nie ‚aufeinander reduzieren‘, wie die Philosophie sagt. Da ten-
denziell eher Gefühle die Entscheidung zur Rekonstruktion leiten, wäh-
rend die Präferenz zeitgenössischer Lösungen, die Brüche thematisieren,
eher eine verstandesmäßige Angelegenheit darstellt, könnte das Reduzie-
ren sich als schwierig erweisen. Vielfalt bliebe.“ (Hillmann, ebda.) Doch
geht es wirklich um zwei gleichwertig gegensätzliche Wertvorstellungen,
die entweder zu einem unwahrschein­lichen Ausgleich gebracht werden
oder einander dulden müssen? Andere Stimmen glauben an einen gleich-
sam ‚natürlichen‘ Paradigmenwechsel. Indes ist nicht schwer zu erkennen,
daß die Rekonstruktionswelle mit einer von neubürgerlichen Interessen
gelenkten gesellschaftspolitischen Weichenstellung zusammenhängt, die
sich zugleich marginalisierend auf die staatlichen und kommunalen Insti-
tutionen der Denkmalpflege auswirkt und dabei ist, unsere Erinnerungs-
kultur manipulierbar zu machen. Das verlangt entschiedenen intellektuel-
len Widerstand!
Fragen wir darum genauer nach Art und Ursache der „Gefühle, die die
Entscheidung zur Rekonstruktion leiten“ (Hillmann ebda.). An erster Stelle
werden Rekonstruktionen mit der Behauptung gerechtfertigt, die Bevöl-
kerung wolle sie. Vor allem aus westdeutscher Perspektive wird argumen-
tiert, die Erfahrungen des Wiederaufbaus nach dem Kriege und des Bau-
booms der Wirtschaftswunderzeit hätten zu einer ablehnenden Haltung
gegenüber der zeitgenössischen Architektur geführt, da diese den Verlust
identitätsstiftender Baudenkmale und vertrauter Stadtbilder nicht hätte
­ersetzen können. Mit ihrer ungeliebten Formensprache sei auch heute nichts
Gleichwertiges zu schaffen. So glaubte sich der deutsche Bundestag legi­
timiert, zweimal (2002 und 2006) unter verschiedenen partei­politischen
­Zusammensetzungen im Namen des Volkes den Neuaufbau des Berliner
Stadtschlosses mit der Rekonstruktion seiner drei städtebaulich wirksamen
Barockfassaden und der Kuppel des 19. Jahrhunderts zu beschließen. D ­ amit
wurde eine der heutigen städtebaulichen Situation angemessene ­Lösung in
zeitgenössischer Architektursprache für die zweimal in 60 Jahren durch
eine damnatio memoriae leergeräumte Mitte der Hauptstadt Deutschlands
ausgeschlossen.
Die Abneigung gegenüber der ‚modernen Architektur‘, ja der Moderne
überhaupt hat freilich eine Geschichte, die so alt ist wie die Moderne selbst.

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Sie ließ und läßt sich jederzeit nach Bedarf mobilisieren. Daß der Wieder-
aufbau der Nachkriegszeit viele Bürger enttäuscht hatte und der ‚Bauwirt-
schaftsfunktionalismus‘ der Wirtschaftswunderjahre zusammen mit der
Ideologie der autogerechten Stadt vielerorts zu städtebaulicher Ödnis führte,
steht außer Frage, ist aber nicht alleine Architekten und Planern anzula-
sten. Gegen die Ausweitung dieser Ödnis waren schon in den späten 1960er
und in den 1970er Jahren die ersten, noch spontanen Bürgerinitiativen
Sturm gelaufen. Und Alexander Mitscherlich hatte ihnen mit seiner Streit-
schrift Die Unwirtlichkeit unserer Städte (1965) das Schlagwort geliefert,
das, losgelöst vom Inhalt des Buches, bis heute benutzt wird. Zunächst ging
es vor allem um die Erhaltung von städtebaulichen „Spielräumen für ­Leben“
(­Ulrich Conrads), später vor allem um die Bildqualitäten altgeprägter Stadt-
bereiche. Verallgemeinernde Polemik verdrängt gerne, daß aber gerade beim
Wiederaufbau in vielen Städten schöpferische Lösungen mit oft deutlichem
Bezug auf Strukturen und Bilder des Zerstörten gelungen und vorbildliche
Wohnsiedlungen und Einzelbauten in zeitgenössischer Architektursprache
entstanden waren, die bis heute gültig geblieben sind. Sie werden nicht nur
unter Denkmalschutz gestellt, sondern auch in einigen prominenten, der-
zeit vom Abbruch bedrohten Fällen (wie zum Beispiel dem Kölner Schau-
spielhaus von Wilhelm Riphahn oder der ­Bonner Beethovenhalle von
­Siegfried Wolske) durch zahlenstarke Bürgerinitiativen verteidigt. Und wie
steht es um die gegenwärtige moderne A ­ rchitektur? Allein in Berlin erlaubt
die breite Akzeptanz des neuen ­Regierungsviertels, der Reichstagskuppel
Norman Fosters, des Hauptbahnhofs von Gerkan, Marg und Partner oder
das bundesweite Interesse am Entstehen der Bauten um den Potsdamer
Platz, das einen speziellen Architekturtourismus ausgelöst hatte, die Be-
hauptung der allgemeinen Ablehnung in Frage zu stellen. Schließlich be-
zeugt die einhellige Begeisterung für die Wiederherstellung des Neuen
­Museums auf der Berliner Museumsinsel unter Einbeziehung der Kriegs-
ruine mit allen Zerstörungs- und Verfallsspuren in eine moderne Architek-
turkonzeption (David Chipper­field), die gegen massive Einforderungen
der Totalrekonstruktion durchgesetzt werden konnte, das ausdrückliche
Verlangen nach Denkmalwahrheit in der Bevölkerung.
Erstaunlicherweise stoßen sich die Rekonstruktionsfreunde kaum daran,
wenn ihre Sehnsuchtsbilder des Vergangenen als reine Fassaden die heute
üblichen Strukturen intensiver kommerzieller Nutzungen kaschieren
(Braunschweiger Schloß, Dresdner Neumarkt) und so die Entkernung von
Baudenkmalen, die stets zu den schlimmen Niederlagen der Denkmalpflege
gehört, zum Nachbauprinzip erhoben wird. Es stört sie nicht, daß es um

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die Pflege und Erhaltung des noch umfänglich vorhandenen Bauerbes in
Deutschland schlecht bestellt ist, daß die Interventionsmöglichkeiten der
staatlichen Denkmalpflege zum Schutz und zum sachgerechten Umgang
mit dem kulturell bedeutenden Teil der Bauüberlieferung als ‚Investitions-
hemmnis‘ organisatorisch und durch drastisches Zusammenstreichen der
Zuwendungsetats und der Stellenpläne bis zur Lächerlichkeit eingeschränkt
werden. Und es scheint den Kritikern der modernen Stadtgestaltung gleich-
gültig zu sein, daß städtebauliche Planung heute weit­gehend von Investo-
ren dirigiert oder als Lean-Planning nach den ­Vorstellungen mächtiger Bau-
herren ausgeführt wird – mit bestürzenden Ergebnissen. Gläubig haben
sie verinnerlicht, daß die lenkende Einflußnahme staatlicher oder kom­
munaler Einrichtungen im Namen des All­­gemeinwohls nicht ins neolibe-
rale Weltbild paßt, und fraglos haben sie ­akzeptiert, daß der Staat und die
Kommunen sich weitgehend als Dienstleistungsunternehmen für die Privat­
wirtschaft neu definiert haben. Aber Trauer über die Verluste an alter Stadt-
gestalt und gleichzeitig Hinnahme von städtebaulichem Wildwuchs, Ver-
nachlässigung und Verfall der wirklichen Baudenkmale einschließlich ihrer
Auslieferung an wirtschaftliche Verwertungsinteressen, wie paßt das zu-
sammen? Die Frage ist rhetorisch, denn die Antwort liegt auf der Hand:
sehr gut! Systemimmanent werden städtebauliche und kulturelle Opfer, die
der neoliberale Marktglaube nun einmal fordert, kompensiert und das in
einer Weise, die gnadenlos marktstrategisch genutzt wird, so lange wie sich
die Nachfrage nach nostalgischem Augentrost aufrecht erhalten läßt.
Doch steht, wie schon angedeutet, noch eine andere Antriebskraft hinter
Rekonstruktionen, jedenfalls der Bauten von ‚nationalem Rang‘. Vor allem
zu diesen Rekonstruktionen bekennen sich nicht wenige Vertreter der
­‚politischen und geistigen Elite‘. Ihnen geht es nicht nur um das Wieder­
habenwollen von Verlorenem, sondern ebenso oder noch mehr um Denk-
malsetzung, um die Herstellung von Symbolen kultureller und national-
politischer Identität – und zwar, wie eingangs angedeutet, durch eine
Rückbindung, die sich als Brückenschlag über die nationale Katastrophe
der Nazizeit und deren Folgen, die Zeit der nationalen Spaltung, hinweg
darstellt. Komplementär werden gleichermaßen Bauzeugnisse aus der Zeit
der DDR und der BRD abgebrochen, entstellt oder marginalisiert. Die
neuen ‚Nationaldenkmale‘, zu denen neben der fertiggestellten Dresdner
Frauenkirche und neben dem geplanten Berliner Hohenzollernschloß auch
die künftigen Rekonstruktionen von Stadtschloß und Garnison­kirche in
Potsdam zählen, erinnern an den Denkmalkult des 19. Jahrhunderts im Zei-
chen der ersehnten und 1871 im Triumph über den ‚Erbfeind‘ Frankreich

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erreichten nationalen Einheit, der allerdings schöpferische Leistungen her-
vorgebracht hatte. Dieser Kult schien nach dem Trauma des ‚Dritten Reichs‘
endlich überwunden. Doch die Vereinigung von 1990 und die verun­
sichernde Erfahrung der wirtschaftlichen Globalisierung haben offenbar
das Bedürfnis nach nationaler Selbstvergewisserung durch Symbolbauten
wiederbelebt, die nun als reine, mit den modernen Mitteln der technischen
Reproduzierbarkeit hergestellte Simulationen verlorener Denkmale natio-
naler Hochkultur einstige politische und kulturelle Bedeutung vergegen-
wärtigen sollen. Wer meint, was den Polen nach 1945 Bewunderung ein-
trug, müßte heute auch bei uns zu rechtfertigen sein, übersieht wesentliche
Unterschiede der jeweiligen historischen Stunde und der Legitimität –
und weiß sicher nicht, daß die meisten polnischen Denkmalpfleger diese
­Rekonstruktionen gegen ihre fachliche Überzeugung nur aus nationalpo-
litischer Raison mitgemacht haben und sie heute nicht zuletzt wegen ihrer
problematischen Folgen für das Denkmalverständnis in der polnischen
­Öffentlichkeit kritisch bewerten (vgl. S. 37–39).
In einer Einführung kann und soll nur skizziert werden, was nachfolgend
ausgeführt wird. Doch muß nach dem vorangegangenen ‚Rundumschlag‘
noch einmal auf die Behauptung der Rekonstruktionsbefürworter ein­
gegangen werden, die das entnervende Aneinandervorbeireden in der bis-
herigen Rekonstruktionsdebatte bewirkt hat und die in der oben erwähn-
ten Münchner Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion
der Geschichte“ durch machtvolle Bebilderung bewiesen werden sollte:
Rekonstruieren sei immer eine legitime Form der Erinnerungskultur ge-
wesen und entsprechend von der Denkmalpflege seit eh und je praktiziert
worden. In der Tat kommt auch die strengste konservatorische Denkmal-
pflege nicht darum herum, mitunter im Rahmen von Wiederherstellungen
bei Substanzverlusten oder notwendigen Reparaturen rekonstruierend
zu ergänzen. Selbst unter ‚Substanzfetischisten‘ ist es ja keine Frage, daß
eine befriedigende optische Erscheinung des Denkmals, in der sich die
Denkmalaussage vermittelt, ein wichtiges Ziel der Denkmalpflege sein kann.
Wer aber daraus folgert, Rekonstruktion sei eine denkmalpflegerische
­Methode oder gar ein Prinzip, verkennt, daß Ausgang und Ziel der Denk-
malpflege seit ihrer Emanzipation vom Architekturhistorismus des 19. Jahr-
hunderts das Denkmal in der Vielschichtigkeit seiner überlieferten materi-
ellen Substanz ist, selbst bei weitgehenden Ergänzungen und Erneuerungen,
besonders nach Kriegszerstörungen und anderen Katastro­phen. Daß es
über die Zulässigkeit von Art, Umfang, Grad der Ables­barkeit und Zielen
solcher Erneuerungen in der über hundertjährigen G ­ eschichte der moder-

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nen Denkmalpflege verschiedene, ja kontroverse und aus heutiger Sicht
­ nterschiedlich zu bewertende Auffassungen gab und gibt, setzt den Grund-
u
konsens über den primär konservatorischen Charakter ihrer Aufgabe nicht
außer Kraft.
In der vorliegenden Veröffentlichung geht es deshalb nicht um heikle Fra-
gen der Berechtigung oder Nichtberechtigung des Rekonstruierens im
­Zusammenhang mit Wiederherstellungen nach Substanzverlusten bei Be-
schädigung oder mehr oder weniger großen Teilzerstörungen von Bau-
denkmalen, es geht um die Problematik vollständiger Rekonstruktionen
gleichsam aus dem Nichts, wenn nichts mehr außer dem einstigen Stand-
ort vorhanden ist oder gar zwischenzeitlich auf diesem Standort Neues
­errichtet worden war wie beispielsweise in Frankfurt am Main und
­Hildesheim oder auf dem Berliner Schloßareal oder möglicherweise sogar
an e­inem neuen Standort (Fassade des Leibnizhauses in Hannover
1981/1983). Nur darum geht es in der aktuellen Rekonstruktionsdebatte,
auf die sich diese Veröffentlichung bezieht. Solche Rekonstruktionen aus
dem Nichts sind Denkmal-Simulationen. Man mag ihnen einen oberfläch-
lichen Erinnerungswert beimessen, der jedoch kein Ersatz für den verlo-
ren vielschichtigen Denkmalwert sein kann. Wenn sie, wie es gegenwärtig
scheint, nicht verhindert werden können, dann muß um so entschiedener
Widerstand dagegen geleistet werden, daß mit ihnen ein neues Denkmal-
verständnis durchgesetzt wird, in dem sich die (verwertungsresistente)
­materielle Denkmalexistenz als etwas Verzichtbares der reproduzierbaren
bildhaften Oberflächenwirkung der Denkmale als des vermeintlich eigent-
lichen Denkmalwertes unterordnet. Denkmale simulieren ist keine Denk-
malpflege! Das muß heute sogar schon manchem Denkmalpfleger zugeru-
fen werden, der sich systemkonform nicht mehr als Anwalt und Verteidiger
der komplexen materiellen Denkmalüberlieferung, sondern als flexibler,
grundsatzfreier Dienst­leister versteht und zu seiner Entlastung glaubt, daß
die ausschließlich dem Bestand verpflichtete Denkmalpflege (mit ihren
­Definitionen in den nach wie vor gültigen Denkmalschutzgesetzen und den
internationalen Kodifizierungen ihrer Grundsätze (wie in der Charta von
Venedig von 1964), historisch überholt sei.
Die Initiative für diese Veröffentlichung gegen die Rekonstruktionssucht
und für eine dem Bestand verpflichtete Denkmalpflege ging von Ulrich
Conrads aus. Adrian von Buttlar entwickelte das Konzept einer Antho­
logie von Schlüsseltexten, die von fünf Autoren unter verschiedenen Ge-
sichtspunkten ausgewählt und durch jeweils einen einleitenden Essay und
Kommentare auf die aktuelle Diskussion bezogen werden. Zumeist han-

16
delt es sich um Auszüge von Beiträgen aus dem reichen Fundus der Fach-
literatur gegen Denkmal-Rekonstruktionen, darüber hinaus aber auch um
erhellende Texte, die außerhalb des Fachdiskurses und unabhängig davon
entstanden sind:
Georg Mörsch macht an literarischen Texten klar, daß die Verknüpfung der
Erinnerung mit authentischen materiellen Zeugnissen, die auf diese Weise
einen unersetzbaren Wert erhalten, ein menschliches Grundbedürfnis ist
und leitet davon die Bedingungen für Denkmalpflege ab.
Achim Hubel tritt in einem historischen Exkurs der Behauptung entgegen,
Rekonstruktion sei eine Methode der Denkmalpflege, indem er anhand von
Quellentexten die Entwicklung der Grundsätze der Denkmalpflege und
den Kampf um deren Durchsetzung und Verteidigung bis heute darstellt.
Außerdem zeigt er, in welch fataler Weise sich heute die Wertkategorien zu
verschieben drohen. Dem neuen Kult um Denkmalattrappen steht eine
­zunehmende Mißachtung authentischer Denkmäler gegenüber, die durch
die Aufweichung der Denkmalschutzgesetze und Verweigerung staatlicher
Unterstützung in beängstigendem Ausmaß verloren gehen.
Michael S. Falser erweitert den Blick über die Fachgrenzen hinaus auf die
kulturphilosophischen und soziologischen Diskurse der 1960er bis 80er
Jahre, in denen direkt oder indirekt die „destruktive Kulturpraxis der bau-
lichen Rekonstruktion“ reflektiert wurde. Und er untersucht, wie die Denk-
malpflege auf dem Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Akzep­tanz und der
Ausweitung ihres Wirkungsfeldes, die sie dem damals neuen Interesse für
Alltagskultur, Industrie- und Sozialgeschichte und Umwelt verdankte, ihre
fachliche Autorität aufs Spiel setzte, indem sie ihren Erhaltungsauftrag
zu oft im Sinne der populären Sehnsucht nach der Illusion ­einer heilen
­Vergangenheit auslegte: „Zwischen der wackeren Verteidigung überkom-
mener Ensembles und der fachgerechten Mitgestaltung rück­gewünschter,
­alterungsresistenter Erlebniswelten für den Massentourismus lag für man-
chen Denkmalpfleger allerdings nur ein kleiner postmoderner Schritt.“
Gabi Dolff-Bonekämper widmet sich dem Erleben und der Bearbeitung
von Denkmalverlust und der generationsübergreifenden Verlusterfahrung,
und sie fragt, warum und wie Verlustempfindungen beziehungsweise
­Verlustbehauptungen zur Rechtfertigung von Rekonstruktionswünschen
her­angezogen werden. Diese ließen sich freilich nicht restlos erfüllen, da
Formengleichheit und Bedeutungsgleichheit niemals erreichbar seien.
Hier knüpft Adrian von Buttlar mit seinem abschließenden Beitrag an,
­indem er vorschlägt, die unvermeidlichen Form- und Bedeutungsdifferen-
zen in einer klugen Erinnerungsarchitektur zu thematisieren. Diese würde

17
sich in ihren Anforderungen klar vom denkmalpflegerischen Auftrag
­ nterscheiden, „ der sich wieder stärker auf den tradierten Bestand zurück-
u
orientieren sollte“. Damit eröffnet er die Möglichkeit eines produktiven
Auswegs aus dem Gegeneinander von „zwei unvereinbare[n] Welten von
Werten“ (Hillmann, ebda.) und spielt gleichsam den Ball der Rekonstruk-
tionsdebatte aus dem Feld der Denkmalpflege hinüber in das Feld der zeit-
genössischen Architektur.
Im Anhang ist die oben zitierte Besprechung der Ausstellung „Geschichte
der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ von Michael S. Falser
abgedruckt. Sie deckt die irreführend undifferenzierte Verwen­dung des
­Rekonstruktionsbegriffs in der Ausstellung methodisch auf und tritt damit
dem Versuch der Initiatoren der Ausstellung entgegen, den ­Widerstand
­gegen die grassierenden Totalrekonstruktionen zu erschweren.

Berlin, im September 2010 Johannes Habich

18
Georg Mörsch

Denkmalwerte

Nimmt man es unbefangen, aber deshalb nicht weniger genau, dann ist die
Rekonstruktion von Denkmälern ein Widerspruch in sich selbst: Zum
Denk­mal, wie wir es ausdrücklich oder sinngemäß in allen Denkmalschutz­
gesetzen definiert finden, gehört neben seiner materiellen Gegenständlich-
keit untrennbar seine Entstehung in vergangener Zeit, und kein spitzfin­
diger Sophismus kann darüber hinwegtäuschen, daß dieser für das Denkmal
unverzichtbare Durchgang durch vergangene Zeit unwiederholbar, mate-
riell nicht reproduzierbar ist.
Dennoch häufen sich in den vergangenen Jahren Rekonstruktionen aus
dem Nichts oder stehen uns, wie ein neues Berliner Schloß, ins Haus. In
ihrem Anspruch, das untergegangene Denkmal vollwertig und gleich­
gestaltig zu ersetzen, sind sie nicht nur eine grundsätzliche Absage an die
­Suche nach kreativen Neubaumöglichkeiten, sondern noch absoluter stel-
len sie die besondere Wirkung des Denkmals auf uns als dessen Gegenüber
in Frage. Wenn in der vorliegenden Publikation Argumente gegen die heute
so beliebten Rekonstruktionen von Baudenkmälern zusammengetragen
werden, dann sind mit Rekonstruktionen materielle Neubauten gemeint,
die von ihren Verfechtern mit unterschiedlichen Begründungen an die Stelle
von untergegangenen Denkmälern treten sollen. Argumen­tativ werden sie
häufig als vollgültige, ungeschmälerte Wiederholung des Untergegangenen,
als partiturhafte Neuaufführung dargestellt. Das aus­getauschte Material ist
in dieser Begründung eine quantité négligeable, weil es zur Denkmal­
aussage nichts beitrüge, sie sogar behindere. Eine andere Argumentations-
kette räumt zwar ein, daß die Rekonstruktion ein Neubau sei, läßt es aber
ohne Widerrede oder gar aktive Aufklärung zu, daß auch solche Rekon-
struktionen in der Öffentlichkeit flugs für das unter­gegangene Original
­gehalten werden.
Ärgerlich sind nicht nur die einzelnen Rekonstruktionsbegründungen, die
das wirkliche Denkmal völlig unter Wert mißverstehen und banalisieren
und nicht einmal für den Einzelfall als angeblichen Sonderfall werben. Nein,
dümmlich sind die erkenntnistheoretischen Pseudophilosophien über die

19
Wiederholbarkeit des Denkmals, die fast stets der einzelnen Rekonstruk-
tionsentscheidung unterlegt werden oder gar, in Berlin besonders beliebt,
Auslassungen über die Zeitlosigkeit und deshalb Folgelosigkeit von denk-
malzerstörenden Geschichtsperioden, zum Beispiel den 40 Jahren nach der
Gründung der DDR.
Was macht aber nun Rekonstruktionen für die Erhaltung wirklicher Denk-
mäler so ärgerlich, ja gefährlich, daß in der Diskussion zur Rekonstruktion
des Berliner Schlosses behauptet werden konnte „Rekonstruktion zer-
stört“? Bei dieser anscheinend absurden Formulierung dachte der Ver­
fasser dieser Zeilen ja nicht primär daran, daß die Rekonstruktion häufig
auch noch die letzten Reste des untergegangenen Baus zerstört, so zum
Beispiel durch die Demontage eines kostbaren zusammenhängenden Ar-
chitekturelements in ursprünglicher Sturzlage an der Dresdner Frauenkir-
che. Auch nicht primär daran, wie sehr im Umfeld mancher Rekonstruk-
tionen chauvinistische Unsensibilität oder gar nationaler Revanchismus
auftrat, wie zum Beispiel im Fall der Rekonstruktion des Reiterdenkmals
Kaiser ­Wilhelms I. am Deutschen Eck in Koblenz – historische Haltungen,
die durchaus in der Lage sind, das politische Gewissen unserer Gesellschaft
zu vergiften. Und nicht einmal war daran gedacht, daß in fast jedem Fall
einer Rekonstruktion die Idee eines angemessenen, kreativen Neubaus am
Ort des untergegangenen Denkmals in einem allgemeinen Architektur­
mobbing zerstört wurde.
„Rekonstruktion zerstört“ die vielschichtige Wirkung der Denkmäler, seine
Werte, weil es das potentielle Gegenüber des Denkmals, seine konstituie-
rende, sinnstiftende Öffentlichkeit, mit dem vordergründigen Erfolg einer
Rekonstruktion davon abbringt, sich dem Denkmal in seiner ganzen Wirk-
lichkeit zu widmen. Zu dieser Behauptung gehört selbstverständlich nicht
nur der Nachweis dieser ganzen Wirklichkeit, das heißt des ganzen Werte­
gefüges, das wir als Gegenüber des Denkmals für uns aus ihm ableiten. Nein,
jedes Beispiel, das konkret die Interessensabkehr von materiell überliefer-
ten unscheinbaren, ungeliebten, fragmentierten oder auch nur ökonomisch
nicht optimal zu realisierenden (welch entlarvender Begriff von Realität!)
Denkmälern zugunsten verfügbarer Denkmalneubauten beweist, demon-
striert das Zerstörungspotential des aktuellen Rekonstruktionsbetriebs.
Schon der Fluß der öffentlichen Mittel in solche Rekonstruktionen als Maß-
nahme der Denkmalpflege und der Entzug dieser Mittel für die wirklichen
Denkmäler sind der praktische Beweis für den unmittelbaren Zusammen-
hang zwischen scheinbarer Denkmalschöpfung durch Neubau und tatsäch-
licher Denkmalzerstörung.

20
Was im derzeitigen Rekonstruktionsbetrieb jedoch auf der Strecke bleibt,
ist weit mehr als fehlgeleitete Denkmalpflegemittel. Wenn man sich die
Werte vor Augen führt, die bei der gesellschaftlichen Beschäftigung mit
dem Verständnis und der Pflege der Denkmäler aktiviert werden müssen,
wird deutlich, daß dies nur in einem Klima von Einsichtsbereitschaft und
emotionaler Zuwendung möglich ist, welches durch jede Rekonstruktion
attackiert und in Frage gestellt wird, gerade wenn sie vordergründig beim
Publikum erfolgreich ist.
Die Denkmalwerte, die es hier zu verstehen, zu entwickeln und notfalls zu
verteidigen gilt, sind nicht Eigenschaften des Denkmals. Während Eigen-
schaften des Gegenstandes „Denkmal“, zum Beispiel seine Entstehung im
19. Jahrhundert, seine Herstellungsart aus den Bruchsteinen einer bestimm-
ten Gegend, seine ursprüngliche Funktion als Arbeiterhaus, seine geogra-
phische Position in einer Fabriksiedlung am Rande eines Flusses und vie-
les andere mehr sein können, entstehen Werte erst bei der Annahme (der
„Rezeption“) dieses Gegenstandes als zeugnishafte materielle Überlieferung
aus der Vergangenheit. Diese erkenntnistheoretische Grundeinsicht ist zwar
am systematischsten in Alois Riegls Der moderne Denkmalkultus von 1903
niedergelegt. Daß sie dort jedoch häufig zu Unrecht als unerreichbar
schwierig angesehen wird, in Wirklichkeit jedem im alltäglichen Umgang
mit seiner Umwelt selbstverständlich und unvermeidlich ist, sollen zu-
nächst Texte zeigen, in denen dieses Erkenntnisthema anscheinend spiele-
risch behandelt wird. Sie beweisen, davon ist der Verfasser überzeugt, daß
die materielle Gegenständlichkeit des Denkmals – vor aller historischen
und kunsthistorischen Beweisführung bezüglich der Bedeutung seiner bild-
wirksamen Form – der tragfähigste Zugang zu den Werten der Denkmal-
begegnung ist, abgekürzt, zu den Denkmalwerten.
Deshalb sind bei Rekonstruktionen aus dem Nichts nicht die häufig dürf-
tige Quellenlage, nicht die fadenscheinige politische oder ökonomische Ab-
sicht hinter dem Vorhaben, nicht das mangelnde Vertrauen der Öffentlich-
keit in moderne Nachfolgearchitektur das Schlimmste, so unsäglich dies
alles auch ist. Nein, am empörendsten und in seiner erkenntnistheore­tischen
Dürftigkeit fast bemitleidenswert, ist die Behauptung von der materie­
losen Existenz des Denkmals. Weil diese Behauptung weit über die Fach­
ebene der Denkmalpflege hinaus unser anthropologisches Grundbedürf-
nis nach materieller Vergewisserung von vergangener Zeit leugnet, beginnt
unsere Textsammlung bewußt mit poetischen, nahezu grundsätzlichen
Situa­tionen, in denen unsere Alltagserfahrung sich der Dinge bemächtigt,
um sich an ihnen unserer Zeit zu vergewissern.

21
Der so begonnene Weg unserer Beweisführung wird weiter beschritten,
wenn bei der Darstellung von Denkmalwerten solche Denkmäler auf­
gesucht werden, die sich nur bei der Begegnung mit seiner unwiederhol-
baren geschichtlichen Gegenständlichkeit erschließen. Zur Erläuterung: Es
gibt Denkmalwerte, also Begegnungswerte mit dem Denkmal, die auch
über seine Abbildung, sein Modell, seine Kopie, seine Rekonstruktion zu-
mindest teilweise erreichbar sind. Wäre dies anders, könnte jede beschrei-
bende oder wertende Feststellung über ein Denkmal nur vor seiner physi-
schen Wirklichkeit, nicht aber im Hörsaal oder von Fachliteratur Lesenden
getroffen werden.
Aber in einer Situation der Denkmalpflege und in einer Publikation, in der
gerade die kostbaren Denkmalwerte dringend verteidigend dargestellt
­werden müssen, für deren Entstehung beim Denkmalgegenüber die mate-
rielle Unwiederholbarkeit und Endlichkeit des Denkmals unverzichtbar
ist, die also ohne diese besondere Gegenständlichkeit unerreichbar sind,
müssen diese Denkmalwerte im Zentrum stehen. Gerade sie meint Walter
­Benjamin mit der „Aura“, die sich aus allem materiell – am Denkmal –
Überlieferten ergibt. Diese gibt den Gegenständen aus vergangener Zeit
auf den vielen Wegen, auf denen Menschen ihr Grundbedürfnis nach Er-
innerung stillen, ihren besonderen Adel. Es ist deshalb tröstlich, unter den
grundsätzlichsten Texten zur Praxis der Denkmalpflege immer wieder sol-
che zu finden, welche die sensibelsten Beobachtungen über die Patina und
andere Zeitspuren am Denkmal anstellen und aus ihnen die unmittelbar-
sten einfachen Konsequenzen für die vollständige gegenständliche Bewah-
rung des Denkmals ziehen. Die Stimmen von John Ruskin, Ferdinand von
Quast, Georg Dehio, Cornelius Gurlitt und vielen anderen melden sich
dann zu Wort, wenn gegen diese geschichtliche Gegenständlichkeit der
Denkmalwelt verstoßen wird.
Den Hauptakzent auf diese Werte zu legen, drängt sich auch deshalb auf,
weil in ihnen die emotionale Zuwendung zum Denkmal so manifest wird.
Es ist ja besonders ärgerlich, daß die Befürworter oberflächlichster Denk-
malwiederholungen für ihr Tun die emotionalen Bedürfnisse der Öffent-
lichkeit in Anspruch nehmen und behaupten, die „Substanzfetischisten“
gingen in steriler Wissenschaftlichkeit auf die echten Wünsche der Bevöl-
kerung nicht ein. Im Gegenteil läßt sich diese emotionale Wertebeziehung
zum beglückenden, aber eben auch endlichen und deshalb verteidigungs-
bedürftigen Denkmal an unzähligen Einzelfällen nachweisen. Dementspre-
chend bindet auch Alois Riegl als der eigentliche Gründervater der moder-
nen Darstellung der Denkmalwerte seine unbedingte Verteidigung der

22
Denkmalsubstanz an den emotionalsten Zugang, der je für den Weg zum
Denkmal formuliert wurde, den Alterswert. Er erschließt sich aus dem
­emphatischen Verständnis des Denkmalbetrachters für den Weg des Denk-
mals durch die Zeit und für die Spuren, die solchermaßen wirkliche,
­unwiederholbare Zeit dem Denkmal aufprägte. Natürlich müssen Ver-
pflichtungen gegenüber der schutzbedürftigen Endlichkeit des Denkmals
solche emotionalen Denkmalzuwendungen vermeiden oder bekämpfen,
die seinem Bestand gefährlich werden können, also zum Beispiel ausbeu-
tende zerstörende Nutzungen oder ästhetische Vereinnahmungen, die dem
Denkmal oder seinem Abbild eine Heil stiftende Rolle zuweisen wollen,
die es nur um den Preis seiner Offenheit für vielfältige Zugänge spielen
kann. Generell sollte man beherzigen, daß die emotionale Wertebeziehung
zum Denkmal, gerade weil sie so wirkmächtig und vielfältig sein kann, drin-
gend moralisch bewirtschaftet werden muß, um nicht in ideologischen
und praktisch-materiellen Denkmalmißbrauch umzuschlagen. Nicht nur
Fälle wie die nationalsozialistische Wirkungs- und Baugeschichte des
Braunschweiger Doms oder der Stiftskirche von Quedlinburg sind Belege
für diese Gefahr, sondern auch das Schicksal des Berliner Palastes der
­Republik und die nationalkonservative Hinführung auf die Rekonstruk-
tion des Schlosses.
Rekonstruktion aus dem Nichts produziert also am Ort der Baustelle nicht
nur kein Denkmal, sondern stiftet, zumal in der Häufung, in der sie heute
besonders in der Bundesrepublik Deutschland herbeigeredet und gebaut
wird, generell eine Bereitschaft zu oberflächlicher Pseudodenkmalproduk-
tion, in welcher wirkliche Denkmalexistenz verstellt und der Zugang zu
den schützenden und beglückenden Aspekten der Denkmalwerte zu­
geschüttet wird. Die Wegwerfgesellschaft befriedigt ihr architektonisches
Bildbedürfnis für den aktuellen ökonomischen, politischen oder geschmack-
lichen Bedarf und landet in einem architektonischen Mummenschanz, wie
ihn uns der Marktplatz von Hildesheim oder die Umgebung der Dresdner
Frauenkirche drastisch vor Augen führt.
Die unwiederholbare Gegenständlichkeit des Denkmals ist auch ständige
und sich erweiternde Quelle wissenschaftlicher Fragestellungen. Je nach
den Forschern und der Epoche, in der sie ihre Fragen stellen, sind diese
Fragen und die nachprüfbaren Antworten des Denkmals andere und zu-
sätzliche – vorausgesetzt, man hat das Denkmal in der komplexen Auto­
rität des durch die Zeit gekommenen Originals vor sich. Wer dies bei jeder
Bauuntersuchung als Bauforscher regelmäßig erlebt, kann über die Zuver-
sicht von Rekonstruktionsverantwortlichen, man wisse alles über einen

23
­untergegangenen Bau und könne darum auch an seine Wiederholung ge-
hen, nur ungläubig den Kopf schütteln.
Für die wissenschaftliche Begegnung mit dem Denkmal gilt das gleiche
wie für alle anderen Werte, in denen sich die Öffentlichkeit dem Denkmal
­nähert: Die Näherung an das Denkmal über die Werte setzende Zu­
wendung ist prinzipiell unendlich vielfältig – unendlich nach der Art der
Zugänge und ebenso unendlich nach der Zahl der betroffenen Individuen
und Gemeinschaften. Wenn also die Denkmalwelt für die Identifikation
von Einzelnen und Gesellschaften in Anspruch genommen wird, darf
­daraus keine affirmative Indienstnahme des Denkmals werden. Eine sol-
che Indienstnahme steht häufig am Beginn denkmalpflegerischer Rettungs-
maßnahmen und gleicht darin auf tragische Weise den Argumentations­
linien, die auf Rekonstruktionen drängen. Will man dies vermeiden, hilft
nur die Toleranz gegenüber anderen Denkmalnäherungen, der Achtung
vor den Denkmalwerten, also den Denkmalbedürfnissen anderer und
das grundsätzliche Verständnis dafür, daß die immer wieder neue und
­andersartige Begegnung mit dem Denkmal seine unaufhebbare kost-
bare Rätselhaftigkeit begründet, die in der Plattheit der Rekonstruktion
­verschwindet.

Texte

Diese Gruppe von Texten soll den Hauptgedanken des Einleitungstextes


„Denkmalwerte“ illustrieren, nämlich die materielle Wirklichkeit des „Ge-
genstandes aus vergangener Zeit“, wie die Denkmalgesetze sie ebenso
­lapidar wie zutreffend benennen und wie sie für eine wirkliche Denkmal-
beziehung zwischen altem Objekt und Gesellschaft unaufgebbar ist. Weil
in den Plädoyers für Rekonstruktionen jedoch ausdrücklich die Grund-
sätzlichkeit dieser materiellen Verfaßtheit und Unwiederholbarkeit des
Denkmals geleugnet und stattdessen die virtuelle Abrufbarkeit als Existenz­
weise inthronisiert wird, wurde bei der Textauswahl auf grundsätzliche,
Texte zu dieser kostbaren materiellen Verfaßtheit unserer Umgebung Wert
gelegt. Damit sollte nicht nur die Verständlichkeit (und das Vergnügen der
Leser) gemehrt, sondern auch die Einfachheit und Selbstverständlichkeit
der Beobachtung unterstrichen werden, daß der Mensch in der Wahrneh-
mung seiner Umwelt sich den Impulsen der Dinge in seiner Umgebung
emphatisch öffnet und dabei der Aura der Spurenfülle im alten Gegenstand
eine besondere Autorität einräumt.

24
1  Börries Freiherr von Münchhausen, Lederhosen-Saga (1908)

Das Gedicht von der Stiftung und dem Altern einer hirschledernen Reit-
hose zeigt auf vergnügliche, aber differenzierte und unbedingt fachkundige
Weise die wesentlichen Elemente von Denkmalbegriff und Denkmalwert.
Das Kleidungsstück wird nicht etwa definiert nach Maßen, Preis oder
Handwerkernamen, sondern durch die kleinen und großen materiellen Spu-
ren, welche die Zeit und ihre Träger an ihr zurückgelassen haben. Ihr Farb-
wechsel von grün zu grau und braun, der Ersatz der Büffelhornknöpfe –
eine mustergültige, denkmalpflegerische Instandsetzungsmaßnahme –, die
unverbrüchliche emotionale Zuwendung ihrer Träger, nichts fehlt in die-
ser poetischen Abhandlung über die Denkmalpflege. Und wäre schließlich
sogar noch der endgültige Untergang der Hose zur Sprache gekommen
(immerhin stand sie ja stets am Kamin!), wir könnten ganz sicher sein: Der
Dichter hätte eine Rekonstruktion nie erwogen. Zu allem Überfluß voll-
zieht sich das Anwachsen und Reifen der Hose zum veritablen Denkmal
mit seiner angesammelten Fülle von Alterswerten an einem ‚gewollten‘
Denkmal, einem Gegenstand also, der nicht erst in der Rückbesinnung er-
innernder Generationen zum Denkmal wird, sondern bereits von Anfang
an auf seine Existenz als Erinnerungsmal hin angelegt wurde. So wird um
so deutlicher, daß dieser Gründungsimpuls sich erst in der Autorität der
langen ‚Biographie‘ der Hose und ihrer vielen Träger zur Aura des jedem
verständlichen Denkmals vollendet.

Lederhosen-Saga
Es war ein alter schwarzbrauner Hirsch,
Großvater schoß ihn auf der Pirsch,
Und weil seine Decke so derb und dick,
Stiftete er ein Familienstück.
Nachdem er lange nachgedacht,
Ward eine Hose daraus gemacht,
Denn Geschlechter kommen, Geschlechter vergehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.

Er trug sie dreiundzwanzig Jahr, Eine wundervolle Hose es war!


Und als mein Vater sie kriegte zu Lehen,
Da hatte die Hose gelernt zu stehen!
Steif und mit durchgebeulten Knien
Stand sie abends vor dem Kamin, –

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Schweiß, Regen, Schnee – ja, mein Bester:
Eine lederne Hose wird immer fester!

Und als mein Vater an die Sechzig kam,


Einen Umbau der Hose er vor sich nahm,
Das Leder freilich war unerschöpft,
Doch die Büffelhornknöpfe warn dünngeknöpft
Wie alte Groschen, wie Scheibchen nur, –
Er erwarb eine neue Garnitur.

Und dann allmählich machte das Reiten


Ihm nicht mehr den Spaß wie in früheren Zeiten,
Besonders der Trab in den hohen Kadenzen
ist kein Vergnügen für Excellenzen,
So fiel die Hose durch Dotation
An mich in der dritten Generation.

Ein Reiterleben in Niedersachsen, –


Die Gaben der Hose warn wieder gewachsen!
Sie saß jetzt zu Pferde wie aus Guß
Und hatte wunderbaren Schluß,
Und abends stand sie mit krummen Knien
Wie immer zum Trocknen am Kamin.

Aus Großvaters Tagen herüberklingt


Eine ferne Sage, die sagt und singt,
Die Hose hätte in jungen Tagen
Eine prachtvoll grüne Farbe getragen,
Mein Vater dagegen – weiß ich genau –
Nannte die Hose immer grau.

Seit neunzehnhundert ist sie zu schaun


Etwa wie guter Tabak: braun!
So entwickelt sie, fern jedem engen Geize,
Immer neue ästhetische Reize,
Und wenn mein Ältester einst sie trägt,
Wer weiß, ob sie nicht ins Blaue schlägt!

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Denn fern im Nebel der Zukunft schon
Seh ich die Hose an meinem Sohn.
Er wohnt in ihr, wie wir drin gewohnt,
Und es ist nicht nötig, daß er sie schont,
Ihr Leder ist gänzlich unerschöpft, –
Die Knöpfe nur sind wieder durchgeknöpft,
Und er stiftet, folgend der Väter Spur,
Eine neue Steinnußgarnitur.

Ja, Geschlechter kommen, Geschlechter gehen,


Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.

2  Umberto Eco, Geschichte von Angelo Orso (2000)

Für Umberto Eco ist die permanente Präsenz des Denkmals so selbstver-
ständlich, daß er sie zum Maßstab nimmt für ein anderes, ebenso wichti-
ges Gut, das er in Gefahr sieht. Er beschreibt ein Spielzeug (angelo orso,
den Engelbären), das durch die lange gemeinsame Biographie mit den
­Gefährten seiner Kindheit die kuriosesten materiellen Spuren davonträgt,
und sorgt sich um eine Kindheit, in der solche Begleiter nicht mehr mög-
lich sind. Es ist von starker Wirkung, daß dieser Universalgelehrte und
­Zeichendeuter die Wirklichkeit des Denkmals und generell der Dinge, an
die wir uns binden, in so scherzhaft formulierter emotionaler Grundsätz-
lichkeit sieht.

Anruf einer Journalistin, die für einen Artikel über Kinderspielzeug re-
cherchierte und mich fragte, woran ich mich erinnerte. Mir fiel sofort
Angelo Orso ein. Auf die Frage, welches Ende es mit ihm genommen
habe, antwortete ich, daran könne ich mich nicht erinnern, und in der
Tat hatte ich die Geschichte in jenem Moment nicht mehr ganz im Kopf.
Als dann der Artikel erschienen war, rief mich meine Schwester ganz
entrüstet an und fragte, ob das Voranschreiten der Jahre mir mein Ge-
dächtnis getrübt habe. Sei es möglich, daß ich mich nicht mehr an die
Beisetzung von Angelo Orso erinnern könne? Ja, stimmt, hätte ich müs-
sen. Und langsam ist mir dann ­alles wieder eingefallen.
Angelo Orso war ein klassischer Teddybär, plüschig und gelbbraun, viel-
leicht eines der ersten Spielzeuge, das wir geschenkt bekommen hatten.
Aber solange wir noch sehr klein waren und er nagelneu, hatte er uns

27
nur vage interessiert. Mit dem Älterwerden hatte Angelo Orso jedoch
eine gerupfte Weisheit und hinkende Autorität e­ rworben, und er er-
warb immer mehr davon, als er nach und nach, wie ein alter Haudegen
in vielen Schlachten, erst ein Auge und dann einen Arm verlor (da er
entweder stand oder saß und niemand es gewagt hätte, ihn auf den
Bauch zu legen, besaß er Arme und Beine wie ein richtiger Mensch,
nicht bloß metaphorisch).
Allmählich war er dann zum König unserer Spielsachen geworden.
Auch wenn in einem umgedrehten Hocker, der als gepanzerter Truppen­
transporter fungierte, meine
Spielsoldaten in See stachen, um den Ozean des Flurs oder das Meer
des Kämmerchens zu überqueren, saß er ohne Rücksicht auf alle Pro-
portionen mit an Bord, Gulliver zwischen ihm hörigen lind ergebenen
Liliputanern, die inzwischen noch invalider waren als er, da einige den
Kopf oder eine Extremität verloren hatten, so daß aus ihren brüchigen
und inzwischen farblosen Preßstoff-Leibern kleine Haken aus Eisen-
draht ragten.
Angelo Orso (unisex) war natürlich auch Herrin der Puppen. Er
herrschte über das ganze häusliche Spielzeug, einschließlich der hölzer-
nen Eisenbahn und der Bauklötze. Mit der Zeit – und mitgenommen
von seinen tausend Pflichten – hatte Angelo Orso das zweite Auge, den
zweiten Arm und ein Bein verloren. Auch weil ihn ein roher Cousin
in Kämpfe zwischen Cowboys und Indianern verwickelte und oft an
den Bettpfosten band, um ihn unsäglichen Auspeitschungen zu unter-
ziehen, die wir (und er, Angelo) hinnahmen, ohne darin eine Minde-
rung seiner Königswürde zu sehen, denn ein Spielzeug muß, selbst wenn
es Autokrat ist, vielerlei schwierige Rollen erfüllen.
So vergingen die Jahre, und aus dem verstümmelten Torso des Sohlen-
gängers kamen allmählich Strohbüsche! heraus. Bei unseren Eltern
hatte sich das Gerücht verbreitet, der kranke Körper beginne Insekten
zu nähren, vielleicht Bakterienkulturen, und wir wurden liebevoll
dazu angeregt, diesem armen Überrest eine Bestattung angedeihen zu
lassen. Es tat nachgerade weh, den armen Bären zu sehen, der sich in
keiner Stellung mehr aufrecht halten konnte, ein hilfloses Opfer jener
lang­samen Ausweidung und jenes unschick­lichen Austretens innerer
­Organe, die seine einstige Würde kompromittierten.
So bildeten wir eines Tages, früh am Morgen, als der Vater die Zentral­
heizung anzündete, die von der Küche alle Heizkörper der Wohnung
mit Leben erfüllte, einen langsamen, feierlichen Zug. ­Neben dem Heiz-

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kessel waren alle verbliebenen Spielsachen auf­gereiht, ich trug ein Kis-
sen vor mir her, auf dem die Reste des Verblichenen ruhten, und ich
glaube, alle Mitglieder der Familie folgten vereint in derselben schmerz-
lichen Ehrfurcht.
Angelo Orso wurde dem Rachen jenes flammenden Baals übergeben,
der teure Verblichene loderte auf und erlosch. Und mit ihm endete zwei-
fellos eine Epoche. Das war, ich bin sicher, bevor die ersten feindlichen
Flieger unsere Stadt bombardierten, denn von da an war auch die Zen-
tralheizung erloschen, die einen so unersätt­lichen Appetit auf Eier­
briketts hatte, und durch einen Holzofen e­ rsetzt worden, der nur die
Küche wärmte.
Warum erinnere ich hier an Angelo Orso? Weil auch die Zeiten ver-
schwunden sind, in denen ein Kind mit ein und demselben Spielzeug
fast zehn Jahre leben konnte – so lange nämlich hatte das glückliche
­Leben Angelo Orsos gewährt. Heute kosten die Spielsachen weniger
und gehen früher kaputt, genau wie die kleinen Radios, die alle paar
Monate ausgewechselt werden und den Zerfall der Familien nicht über-
leben, wie es einst die Geräte von Telefunken oder Marelli taten. Ich
glaube, es ist hart für ein Kind, nicht mehr fast sein ganzes Kinder­Ieben
einem einzigen magischen Gegenstand widmen zu können, um den sich
Erinnerungen und Gefühle wie eine Kruste legen. Als müßte man auf
ein Tagebuch verzichten oder in einem Land ohne Denkmäler leben.

3  Heinrich Böll, Gruppenbild mit Dame (1974)

Unter den vielen Texten, in denen Heinrich Böll die Biographie, den Wert
und die Anmutung seiner beschädigten Umwelt beschreibt, ist die Passage
über seine geliebte, durch Arroganz und Jähzorn so tragisch beschädigte
Jacke vielleicht der schönste, für unseren Zusammenhang in jedem Fall der
passendste. Was ist geschehen und was droht weiter zu geschehen? In
­einer Auseinandersetzung zwischen zwei sozialen, ökonomischen und in-
tellektuellen Sphären, nämlich neureichen Spekulanten und dem recher-
chierenden „Verf.“ des Gruppenbildes wird dessen alte Jacke, an der er „ein-
fach hängt“ grob mißhandelt und beschädigt. In der darauf folgenden
verbalen Auseinandersetzung geht es um die Wiedergutmachung des Scha-
dens und immer genauer darum, daß der anscheinend großzügigste Vor-
schlag des Schädigers, die Entrichtung eines ausreichenden Geldbetrages
zum Kauf einer neuen Jacke, eben gerade den Wert der Jacke und die Mög-

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lichkeit ihrer Wiederherstellung verfehlt. Unter den hier zitierten Texten
beschreibt Bölls Romanstelle den unwiederbringlichen und durch Geld
nicht ersetzbaren Wert eines Gegenstandes, dessen Biographie wir nicht
nur durch langen Gebrauch teilen, nicht nur materiell geprägt haben, son-
dern durch unsere Emphase zu einem Teil unserer selbst gemacht haben,
am genauesten. Es ist von hohem erzählerischen Reiz, wie „Verf.“ einer-
seits strenge Sachlichkeit für sich in Anspruch nimmt, wenn er die Ele-
mente des Wertebeweises für seine Jacke benennt (unter anderem, „daß
Klementinas Wange […] wenn auch kurz, auf seinem rechten Revers ge­
legen hatte“), er sich dabei aber in einem abendländischen Wertesystem
von monumentalem Pathos sieht, das seine Gegner in einen Abgrund von
geistiger Dürftigkeit verbannt. Gleich zweimal zitiert er die berühmte Stelle
aus der Aeneis des Vergil („sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tang-
unt“; Buch 1,Vers 441–493), nach der auch die Dinge uns zu Tränen rüh-
ren und der Geist durch Vergängliches bewegt wird. Die Kümmerlichkeit
der Jackenzerreißer und ihrer Wiedergutmachungsvorschläge würde sich
vollenden, wenn in der Tat die kostbare Würde der abgeschabten und nun
noch zerrissenen Jacke durch die Beschaffung einer x-beliebigen (virtuel-
len!) neuen Jacke beleidigt würde.

[…] er verkniff sich einen Hinweis auf das Alter seiner Jacke, die Rei-
sen, die er mit ihr gemacht, die vielen Zettel, die er in ihre Taschen
­hineingesteckt und wieder herausgenommen hatte, das Kleingeld im
Futter, die Brotkrümel, die Flusen, und sollte er tatsächlich darauf hin-
weisen, daß Klementinas Wange noch vor knapp achtundvierzig Stun-
den, wenn auch kurz, auf seinem rechten ­Revers gelegen hatte? Sollte
er sich in den Verdacht der Sentimen­talität bringen, wo es ihm doch
nur um ein so konkret abendländisches Anliegen ging, wie Vergil es
mit lacrimae rerum ausdrückte?
Die Stimmung war längst nicht mehr so harmonisch, wie sie gewesen
war und hätte sein können, hätten die beiden Hoysers eine Andeutung
von Verständnis dafür gezeigt, daß jemandem eine alte Sache lieber ist
als eine neue und daß nicht alles in dieser Welt vom versicherungstech-
nischen Standpunkt aus betrachtet werden kann. „Wenn“, sagte Wer-
ner Hoyser schließlich, „Ihnen jemand in Ihren alten VW reinfährt und
bietet Ihnen dann, obwohl er nur verpflichtet ist, Ihnen den Listenpreis
zu ersetzen, einen neuen VW, und Sie nehmen ihn nicht, so kann ich
das nur als anormal bezeichnen.“ Schon die Andeutung, der Verf. führe
einen ollen VW, war eine, wenn auch unbewußte, Beleidigung, eine An-

30
spielung auf Einkommensverhältnisse und Geschmack, die zwar nicht
objektiv, wohl aber subjektiv den Charakter einer Demütigung hatte.
Wird man es sehr übelnehmen, wenn er – der Verf. – aus seiner Objek-
tivität heraustrat und in scharfen Worten ausdrückte, er schisse auf alte
wie neue VWs – er wolle lediglich die von einem greisenhaften Lüstling
zerstörte Jacke restituiert haben. Ein solches Gespräch konnte natür-
lich zu nichts führen. Wie kann man jemand erklären, daß man an einer
alten Jacke einfach hängt. […]
Es mag ja sein, daß Leute, nach denen Stadtteile, die sie auf eigenem
Grund und Boden erstellen, benannt werden, in eine fast schon meta-
physische Gereiztheit verfallen, wenn sie feststellen müssen, daß es
­offenbar Dinge gibt, sogar Jacken, die dem Besitzer nicht mit Geld er-
setzt werden können.
[…] zwölf Jahre alte geliebte Jacken, die einem lieber sind als die eigene
Haut und weniger ersetzlich, denn die Haut ist transplantabel, eine Jacke
eben nicht; an der man hängt ohne Sentimentalität, lediglich, weil man
letzten Endes eben doch Abendländer ist und die lacrimae rerum einem
eingebleut worden sind.

4  Brigitt Sigel, Denkmalpflege im Garten (1997)

Der folgende Text soll die Brücke schlagen über eine Kluft, die immer wie-
der behauptet wird, die es in Wirklichkeit aber nicht gibt. Es ist der an­
gebliche Abgrund zwischen den alten Dingen um uns, mit denen uns
­emotionale Emphase verbindet, und den historischen Objekten, zu deren
Erhaltung uns angeblich die wissenschaftliche Denkmalpflege doktrinär
und gefühllos gesetzlich verpflichtet. Wir können hier nicht ausführlich
dem Rätsel nachgehen, wie und warum die allgegenwärtige Tatsache der
emotionalen Bindung der Öffentlichkeit an ihre Denkmäler und dabei
die erwünschte, tatkräftige Unterstützung der Denkmalpflege so absichts-
voll ausgeblendet werden können. Stattdessen soll der hier folgende Text
ein Beispiel für die Verbindung von emotionaler Denkmalbegegnung, wis-
senschaftlichem Denkmalbeweis an überlieferter Materie und der Unauf-
lösbarkeit von privatem und öffentlichem Denkmalhandeln geben, und
zwar aus dem Bereich der historischen Park- und Gartenanlagen, der als
die wachsende und blühende Form des Denkmals besondere emotionale
Zuwendung genießt. Zugleich hatte sich gegenüber dieser Denkmälergat-
tung für nicht wenige die Meinung gebildet und gehalten, für die Denk­

31
mäler der Gartenkunst gebe es ein „Sonderrecht“ auf Rekonstruktion, weil
das besondere Material und der besondere Veränderungsrhythmus dieser
Denkmäler an eine denkmalgerechte materielle Erhaltung zu denken ver-
böten. Es ist ein besonderer Trost zu erleben, wie in den Jahren eines neuen
Rekonstruktionsbooms gerade auf dem Gebiet der Gartendenkmalpflege
die Einsicht in die auch hier geltenden gemeinsamen Denkmaleigenschaf-
ten sich gefestigt und der konkreten materiellen Erhaltung des Überliefer-
ten Raum gegeben haben:

Zur Wirklichkeit des Gartendenkmals kann es gehören, dass die Form


in der wuchernden Substanz aufgegangen ist. Doch was dann von au-
ßen wie unberührte Natur aussieht, birgt immer noch eine Fülle von
geschicht­lichen Spuren: bauliche Reste, räumliche Strukturen in der An-
ordnung der Bäume, alte Gartenpflanzen, die vielleicht nicht zu jeder
Jahreszeit sichtbar sind. Wenn nichts als die Umfassungsmauern und
eine als Heuwiese genutzte Fläche übrig bleiben, dann hat das dreidi-
mensionale Gartendenkmal aufgehört zu existieren – als Bodendenk-
mal wird es aber in den meisten Fällen weiterbestehen und für den spe-
zialisierten Forscher aus­ sagekräftige materielle Geschichtsspuren
bewahren. Schließlich kann im städtebaulichen Zusammenhang der
Freiraum an sich – ohne erhaltene geschichtliche Substanz – ein histo-
risches Dokument, ein Denkmal sein.

Spuren der Geschichte


Die von der Bauforschung übernommene Methode, das Objekt selbst
zu befragen und die so gewonnenen Informationen mit dem Studium
der Bild- und Schriftquellen zu kombinieren, hat gezeigt, dass Gärten
trotz der scheinbar so raschen Vergänglichkeit viel reicher an geschicht-
lichen Spuren sind, als man gemeinhin vermutet. Die Kenntnisse über
einen einzelnen Garten oder die Gartengeschichte allgemein haben des-
halb in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen und bisherige Vor-
stellungen präzisiert, ergänzt und verändert.
Von allen Gartenelementen – Topographie und Bodenrelief, Flächen
und Raumgliederung, Wasser, Gartengebäude, Schmuckpflanzungen
und Figuren – hat man verständlicherweise zuerst die aus totem Mate-
rial gebauten untersucht. Treppenanlagen, Orangeriegebäude oder die
Gartenfiguren mit ihren ikonographischen Programmen waren schon
seit langem Gegenstand der kunstgeschichtlichen Forschung. Heute
­interessiert allerdings auch die Tatsache, dass die Kaskade von Schloss

32
Seehof bei Bamberg im Laufe der Jahrhunderte Umbauten erfahren hat,
und in den Orangerien mit ihren raffinierten Heizanlagen erkennt man
wichtige Dokumente für die Technikgeschichte. Selbst vernachlässigte
Gartenanlagen sind noch reich an baulichen Spuren, und die Suche im
Dickicht kann zur Entdeckung von trocken gefallenen Grotten, alten
Beeteinfassungen oder – wie in einem Villengarten des späten 19. Jahr-
hunderts in Pfungen (Kanton Zürich) – einer Kegelbahn führen.
Eine ungeahnte Fülle an Informationen haben die intensiven archäo­
logischen Bodenuntersuchungen der letzten Jahre zutage gefördert:
­bauliche Fundamente, überschüttete Wege, Wasserbecken und ähn­liches.
Mit Hilfe von Schichtprofiluntersuchungen werden heute auch Hang-
profile, Pflanzgruben von Bäumen oder Beerflächen erfasst. Forschun-
gen im Privy Garden in Hampton Court ergaben faszinierende Einblicke,
wie minutiös der Boden für die unterschiedlichen Pflanzenarten vorbe-
reitet wurde – was die beteiligten Forscher zu dem Seufzer veranlasste,
von einer solchen Perfektion könne man heute nur noch träumen.
Sachquellen dokumentieren in Material, Verarbeitungstechnik und Ge-
staltung, was einer Zeit wichtig, aber auch, was einer Zeit möglich, be-
ziehungsweise nicht möglich war. Erstaunlich ist es deshalb, dass Pflan-
zen als Sachquellen für die Gartengeschichte nur zögernd zur Kenntnis
genommen werden. Zwei Gründe mögen in erster ­Linie dafür verant-
wortlich sein:
Einmal die – in der Naturwissenschaft vielleicht verständliche, in den
historischen Wissenschaften aber doch erstaunliche – Scheu, Pflanzen
als etwas zu sehen, das wie ein Gebäude, eine Landschaft und schließ-
lich auch der Mensch selbst von geschichtlichen Bedingungen geprägt
ist. Dabei ist schon die in der Botanik übliche Gliederung in Indigene,
Archäophyten und Neophyten eine geschichtliche. Erst recht müsste
dem Gartenhistoriker klar sein, dass die Schriftzeichen der Geschichte
nicht nur an Gartenmauern, s­ ondern auch an Gartenpflanzen zu finden
sind. Zum Entziffern dieser speziellen Schriftzeichen sind aber – und
damit kommen wir zum zweiten Punkt – erst in jüngster Zeit Metho-
den entwickelt w ­ orden. Vielleicht, weil solche Methoden Kenntnisse
der botanisch-dendrologischen Wissenschaften, der historischen Wis-
senschaften und des gärtnerischen Handwerks voraussetzen oder eine
Zusammenarbeit von Menschen, die bereit sind über den Gartenzaun
ihrer eigenen Disziplin hinauszublicken.
Barocke Alleen setzen sich in den Beständen aus der Anlagezeit häufig
aus verschiedenen Sorten und Kreuzungen, manchmal sogar aus unter-

33
schiedlichen Arten zusammen – kein Wunder, denn die Bäume stammen
gar nicht immer aus Baumschulen, sondern auch aus den nahen Wäl-
dern. Folgeschäden der Verpflanzung, Sturmschäden, Dürre und Krank-
heiten rissen von Anfang an und zu allen Zeiten Lücken in den Bestand,
die mit jungen Bäumen zugepflanzt wurden. Die Klagen der Gärtner,
die Einträge in den Ausgabenbüchern und vor allem die noch erhalte-
nen a­ lten Alleen sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache – Ve-
duten schweigen darüber, denn sie zeigen Ideale, nicht die R ­ ealität.
Schnittspuren an Gehölzen gehören zu den deutlichsten geschicht­
lichen Zeichen in einem Garten. Aus ihnen sind die einstigen Propor-
tionen des Raumes viel genauer abzulesen als aus Veduten, wo sie aus
darstellungstechnischen oder bildkünstlerischen Überlegungen häufig
nicht korrekt wiedergegeben sind. Neue Untersuchungen an Origi­
nalen zeigen zum Beispiel auch, dass sich Ansatz und Höhe geschnit-
tener Kronen häufig an der Architektur oder an Geländeterrassierun-
gen orientieren und nicht an den theoretischen Schriften eines Dezallier
d’Argenville.
Eine andere augenfällige Geschichtsspur an Bäumen sind die Vered-
lungsstellen. Sie werfen Fragen auf nach gartenbaulichen und baum-
schulischen Techniken. Bei genauerer Kenntnis der Materie könnten
sie vielleicht auch eine Datierungshilfe sein.
Nicht nur ehrwürdige alte Bäume mit sichtbaren Bearbeitungsspuren
sind lesbare Dokumente der Gartengeschichte. Ein gleiches gilt zum
Beispiel für viele Frühjahrsblüher, wie sie in den Landschaftsgärten des
19. Jahrhunderts so beliebt waren. Unter günstigen Bedingungen haben
sich die kleinen Zwiebel- und Knollengewächse selber fortgepflanzt
und damit Arten und Sorten überliefert, die im Handel längst nicht mehr
erhältlich sind oder sogar als ausgestorben gelten. Auch Gartenpflan-
zen sterben aus! Die Erarbeitung der „pink sheets“ gefährdeter Garten-
pflanzen war deshalb die erste Aufgabe des 1979 in England gegrün­
deten National Council for the Conservation of Plants and Gardens.
Das vielleicht extremste Beispiel für die historische Zeugniskraft von
Pflanzen – abgesehen von archäobotanischen Spuren wie Samen und
Pollen – ist die Burgenflora. Im Bannkreis einer Burg kann das Vorhan-
densein einer standortfremden Flora und von verwilderten Kulturpflan-
zen mitten in der Wildvegetation der einzige Hinweis auf einen längst
verschwundenen Garten sein.
Bereits diese wenigen Beispiele machen deutlich: Die geschichtliche, von
den Spuren der Zeit gezeichnete Pflanzensubstanz ist erstaunlich lang-

34
lebig – flüchtig ist vor allem die Form, die Form der Einzelpflanze und
die Form des mit Pflanzen gebauten Raumes. Wenn also an der Defi­
nition des Denkmals als authentische materielle ­Geschichtsspur fest­
gehalten wird, dann muss die Denkmalpflege diese Spur – im Falle des
Gartendenkmals auch und gerade die Pflanzen – mit besonderer Für-
sorge umgeben, sonst wird „das einzige uns verfügbare konkrete Binde­
glied zur Vergangenheit“ zerbrochen. Diese Forderung muss umso
dringlicher gestellt werden, als jüngste Untersuchungen belegen, dass
gerade an der scheinbar formlos gewordenen Substanz erstaunlich kon-
krete Hinweise auf die ehemalige Form zu finden sind.
Die Forschung der letzten zwanzig Jahre hat eindrücklich gezeigt, wel-
che Fundgrube an Informationen die Sachquellen für die Wirtschafts-
und Sozialgeschichte, die Geschichte der Hoch- und Alltagskultur
­bereithalten. Zwei Beispiele sollen das auch für den Garten verdeut­
lichen.
Die in alten Parkwiesen vorhandenen gebietsfremden Gräser und Kräu-
ter haben Erkenntnisse über die Produktionsart von Grassamen und
die Produktionsgebiete etwa in Süddeutschland oder Südfrankreich er-
laubt. Ob dabei die vom landwirtschaftlichen Kon­sumenten als Ver­
unreinigung bewerteten Samenanteile nur auf die „zum Behuf des
­Einsammelns verwendeten Weiber und Kinder und andere wohlfeile
Arbeitskräfte“ zurückzuführen sind, bleibe dahingestellt. Es könnte ja
auch für die Händler interessant gewesen sein, die Grasmischungen mit
volumenreicheren Samen zu strecken. Die Vielfalt an Gräsern und der
hohe Anteil an blühenden Kräutern, die heute noch alte ungestörte
­Parkwiesen etwa in Chatsworth oder im Glienicker Park in Berlin
­auszeichnen, sind im übrigen nicht nur eine Folge damaliger Samen­
produktionsbedingungen, sondern auch gezielter gartenkünstlerischer
­Bemühungen und der natürlichen Entwicklung. Gerade in extensiv ge-
pflegten Parkwiesen haben unterschiedliche Standortbedingungen im
Laufe der Zeit zu einer Variation der ursprünglichen Zusammensetzung
geführt.
Zu den Modeerscheinungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
gehört die Begeisterung für Koniferen, insbesondere für den Mammut-
baum. Er war zum Beispiel in Zürich und Umgebung, an exponierter
Stelle des Gartens, ein Muss für jeden Villenbesitzer. Wo die stattlichen
Riesen heute noch vor uns stehen, glaubt man in ihnen aber mehr als
ein modisches Accessoir zu erkennen: Sie erinnern an die Geschlech-
tertürme italienischer Städte. Wobei es sich wohl nicht um ein bewuß-

35
tes Anknüpfen an die Renaissance handelt, sondern um eine ähnliche
Art der Selbstdarstellung. Oft sind Mammutbäume als einziger Zeiger
ehemaliger Villengärten in einem völlig veränderten Umfeld stehen
­geblieben – und fast könnte man mit Ludwig ­Uhland sagen: „Noch eine
hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht, / auch diese, schon gebor-
sten, kann stürzen über Nacht“, denn viele sind von Blitzschlägen
­gezeichnet.

Denkmalwerte
Geschichte ist in Sachquellen nicht nur wissenschaftlich erfahrbar. Be-
reits ein halbes Jahrhundert vor Alois Riegl und seinem Alterswert hat
John Ruskin von den Altersspuren gesprochen, welche die Zeit in die
Oberfläche des Denkmals gräbt. Auch für Georg Dehio gehören die
Altersspuren zu den wichtigen und erhaltenswerten ­Eigenschaften des
Denkmals: „Dass Altes auch alt erscheinen soll mit allen Spuren des Er-
lebten, und wären es Runzeln, Risse und Wunden, ist ein psychologisch
tief begründetes Verlangen.“ Die A­ ltersspur erlaubt auf einer sinnlich-
gefühlsmäßigen Ebene Geschichte zu erleben. Gleichzeitig verbürgt
sie die Authentizität des Denkmals und seiner Botschaft. Warum wohl
würden sonst die Antiquitätenfälscher so viel Zeit auf die Imitation von
Wurmlöchern, Firnissen im Galerieton und ähnlichem verwenden!
Die Altersspur im Garten zeigt sich nicht nur in Hinfälligkeit und Ver-
fall; sie umfasst auch Eigenschaften, die mit Leben und Wachstum zu
tun haben. Die ehrwürdige Aura alter Bäume spricht für sich selbst und
hat deshalb auch Eingang in die Mythologie gefunden. Aus alten Gär-
ten kennen wir den Reiz eines plätschernden, von blühendem – auch
das eine Altersspur! – Efeu überwachsenen Brunnens oder die melan-
cholische Stimmung eines verlandenden Teiches, in dem sich undeut-
lich eine Hängebuche spiegelt. Märchenhaft sind die einst geschnitte-
nen Baumfiguren nicht nur, wenn sie sich bei v­ ernachlässigter Pflege
„mit seltsamen Fühlhörnern, Kamelhälsen und Drachenflügeln in die
neue Freiheit“ recken, sondern auch, wenn aus den einstigen Zwergen
gewaltige, immer noch sorgfältig beschnittene Riesen herangewachsen
sind, wie sie in England, aber zum Beispiel auch in Schloss Halbturn
(Burgenland) oder in Schloss Bothmar in Malans (Kanton Graubün-
den) die Besucher entzücken. Die borkige Rinde alter Stämme verlockt
zum Anfassen; das Moos der Grotten, in dem Wassertröpfchen glitzern,
und die Flechten auf den steinernen Einfassungen der Springbrunnen

36
sprechen zum Auge. Und aus den Ritzen der Mauern sprießt eine Vege­
tation, die von der langen Zeit erzählt, in der sich der Fugenmörtel lang-
sam abgebaut hat und aus dem anfliegenden Staub allmählich ein Sub-
strat für die kleinen Pflanzen entstanden ist.
Die geschichtliche Spur und die Altersspur machen für Alois Riegl den
historischen Wert und den Alterswert eines Denkmals aus, die er zu den
Erinnerungswerten zählt. Bis heute sind diese konstituierend für das
Denkmal – ohne Erinnerungswerte gibt es kein Denkmal. Indessen wird
jede Generation auch neue, zusätzliche Werte in ihren Denkmälern
­entdecken, die häufig mit Defiziten in der eigenen Gegenwart zu tun
­haben.

5  Konstanty Kalinowski, Der Wiederaufbau der historischen


Stadtzentren in Polen in den Jahren 1945–1963 (1978)

Der folgende Text zeigt geradezu tragisch, daß auch in weltpolitischen Situ­
ationen, die den gesellschaftlichen Wiederaufbauwunsch subjektiv recht-
fertigen, an der Endlichkeit des Denkmals und der Unverfügbarkeit seiner
Gestalt kein Weg vorbeiführt, es sei denn ein Irrweg. Ganz ohne eitle Bes-
serwisserei oder gar mit Überheblichkeit, vielmehr im Versuch der Trauer
und Solidarität angesichts von Verlusten, die im deutschen Namen und von
Deutschen angerichtet wurden, wird diese Beurteilung aus polnischer
­Feder zitiert, weil sie sogar in der Katastrophe der größtmöglichen Zer­
störung zwischen dem Denkmalwunsch (der Rekonstruktion) und der
Denkmalwirklichkeit (der endgültigen Zerstörbarkeit und danach dem end-
gültigen Fehlen des Denkmals) tapfer unterscheidet und darauf hinweist,
daß der Gesellschaft gerade in der „Wiedergewinnung“ des Verlorenen eine
existentielle Dimension genommen wurde.

[Es] ergaben sich konkrete Direktiven, die, in den folgenden Jahren


konsequent angewandt, zur Entstehung des Begriffs der „Polnischen
Denkmalpflegeschule“ führten.
1.  Die Restaurierung eines Objekts bzw. seines Aussehens vor der Zer-
störung erfolgt unabhängig vom Grad der Zerstörung seiner originalen
Substanz. Soweit die Dokumentation dies zuläßt, ist aber auch die Wie-
derherstellung seiner ursprünglichen oder seiner einst projektierten
­Gestalt möglich.

37
2.  Möglich ist auch die volle Rekonstruktion eines total zerstörten, nicht
mehr existierenden Objektes, falls es den Charakter eines Dokumentes
der nationalen Geschichte hat.
3.  Das rekonstruierte oder restaurierte Gebäude erhält neue Funktio-
nen, es muß neuen Zwecken dienen und in das moderne Leben ein­
bezogen werden. Das bedingt die Wiederherstellung aller architekto­
nischer und dekorativen wie auch die Auswechslung der beschädigten
Elemente.
4.  Die funktionellen und die ästhetischen Faktoren besitzen gegenüber
dem Prinzip der Bewahrung der authentischen Denkmal­substanz das
Übergewicht.
5.  Auch bei einer Umgestaltung der Innenräume im Sinne der neuen
Funktion sind der Baukörper und die Fassaden in der ursprünglichen
Form wiederherzustellen.
6.  Die Grundlage bildet ein wissenschaftliches Vorgehen, das eine voll-
ständige historische Dokumentation benützt.
Die polnischen Kunsthistoriker, die eine solche Konzeption des Auf-
baues formulierten, waren sich selbstverständlich der Tatsache bewußt,
daß sie damit den polnischen Denkmalschutz wieder in die Epoche der
Rekonstruktionen Viollet-Ie-Ducs und Steinbrechts versetzten; ange-
sichts der tragischen Geschehnisse der jüngsten Geschichte schien diese
schwungvolle romantische Vision vielfach die einzig mögliche zu sein.

Kommentar (Kalinowski) 1993


Die jahrzehntelange Anwendung tradierter Regeln der „Polnischen
Denkmalpflegeschule“ ließ es zu, bzw. postulierte nachgerade, auch
­total zerstörte Objekte mitsamt architektonischer Details und Innen­
ausstattung von Grund auf zu rekonstruieren. Dies hat im Kreis der Be-
rufsdenkmalpfleger, der Behörden, bedauerlicherweise besonders im
Bewußtsein der breiten Masse, selbst der gebildeten Kreise, die Über-
zeugung begründet, daß es legitim sei, jedes historisch bedeutsame
­Objekt geschickt und gekonnt wiederaufzubauen bzw. gänzlich neu zu
­errichten. Ein spektakuläres Beispiel dafür ist das K
­ önigliche Schloß in
Warschau.
Das Problem der Authentizität historischer Materie ist dabei aus dem
Gesichtsfeld sowohl der Denkmalpfleger als auch der Adressaten – der
Gesellschaft – völlig verschwunden. Die gleichartige ­Behandlung eines
originalen Denkmals und einer rekonstruierten Attrappe führt zum Ver-
lust des Zeitgefühls, des Zeitablaufs, zum Verlust dessen, was in unse-

38
rer Umgebung historisch, irreproduzibel und einmalig ist. Dies führt
letztlich zur Gleichgültigkeit des Menschen gegenüber seiner Umge-
bung, seinem gesamten Kontext, der einfach als auswechselbares Büh-
nenbild betrachtet wird.
Wenn tatsächlich, einer präzisen historisch-architektonischen Doku­
mentation folgend, alles wiederaufgebaut werden kann, in einer schein-
bar perfekteren Form als der ursprünglichen, ergibt sich in der Tat die
Frage, wozu die existierenden Denkmäler geschützt ­werden sollen. Van-
dalismus, Unbekümmertheit, Gleichgültigkeit der Gesellschaft und der
Behörden, von den Denkmalpflegern akzeptierte Abbrüche einzelner
Objekte wie ganzer Stadtviertel der historischen Bebauung waren die
unvermeidliche Folge einer Denkmalpflegedoktrin, die eine vollstän-
dige Wiederherstellbarkeit der Denkmäler propagierte.
Das grundsätzlich positive Streben nach Erhaltung von Dokumenten
der Nationalgeschichte wandelte sich im Laufe der Jahre in eine Par-
odie der edlen Idee. Die unbestrittenen technischen und ästhetischen
Errungenschaften des Wiederaufbaues von im Krieg zerstörten Altstäd-
ten wurde zu einem Argument der Geringschätzung v­ orhandener „ech-
ter“ Denkmäler umgemünzt.
 … Dies geschah unter dem Schutz der herrschenden Denkmalpflege-
praxis, im Glanz „wissenschaftlicher Denkmalpflege“. Die ­Folgen für
die Denkmäler sind verheerend. Die authentischen Monumente wur-
den auf diese Weise preisgegeben und zu Attrappen verfälscht. Noch
gefährlicher allerdings sind die Auswirkungen auf die Mentalität der
Gesellschaft, wo sie die Überzeugung der Reproduzierbarkeit des zer-
störten Originals begründeten.

6  Georg Mörsch, Ist Rekonstruktion erlaubt? (1998)

Der letzte Text stammt aus dem Jahre 1997 und wurde als Berliner Vortrag,
aber gleichzeitig für den Druck konzipiert. Er sei hier noch einmal abge-
druckt, um den unveränderten Ernst des Verfassers dieses Kapitels in der
Frage der Rekonstruktion erkennbar zu machen, zugleich aber auch, um
ein mögliches Mißverständnis zu vermeiden, das sich aus der Lektüre der
vorangestellten Textausschnitte ergeben könnte: Wenn sie teilweise mit
­poetischer Leichtigkeit und anscheinend scherzhaft mit der besonderen
Autorität glaubwürdig überlieferter gealterter Substanz umgehen, macht
sie dies nicht gemütlich und beliebig, sondern grundsätzlich und allgemein-

39
verbindlich. Belege für diese Grundsätzlichkeit finden sich in allen Kul­
turen und zu allen Zeiten, bei der Verehrung der Tränenspuren auf dem
­Kodex eines islamischen indischen Asketen ebenso wie gegenüber der un-
gestörten Patina chinesischer Bronzeglocken, Beweise für den Irrtum zu
glauben, der Begriff des authentischen Denkmals sei ein modernes euro-
päisches ­Konstrukt.

Wir wollen einer generellen Antwort auf die […] Frage „Ist Rekonstruk-
tion erlaubt?“ nicht ausweichen. „Generell“, weil jede einzelne Rekon-
struktion an generelle Grenzen des Machbaren stößt und weil zu ihrer
scheinbar besonderen Begründung regelmäßig generelle Rechtferti-
gungstheorien formuliert werden: eine generelle neue Theorie vom
Denkmal als bloßer Idee; eine affirmative Sicht von Geschichte als Dreh-
buch, in der Rekonstruktionen die erläuternden Rollen spielen; eine
­geordnete Kunstwelt, in der Rekonstruktionen uns vor dem Chaos
­retten.
Was leisten Denkmäler und die gesellschaftliche Sorge um ihren Bestand,
das so kostbar ist und durch Rekonstruktionen mit all ihren Verlockun-
gen derart gefährdet wird, daß wir wagen können, Rekonstruktionen
für unerlaubt zuhalten?
Die Erhaltung von Denkmälern nutzt und riskiert eine immer neue, sich
ergänzende Befragung menschlicher Geschichte. Dieses offene, aufklä-
rungsbereite Nachfragen anerkennt einen Umgang mit Geschichte,
der zu keinem Zeitpunkt alle Fragen stellen kann, aber für immer neue
Antworten offen ist. Nichts ist so in der Lage wie das Denkmal, das ja
­dabei war, als unsere Vergangenheit sich auf unsere Gegenwart hin be-
wegte, diese Sequenz von Fragen und Antworten zu erlauben. Der
­Rekonstruktion geben wir immer nur das Wenige mit, was wir wissen,
und oft nur das, was wir brauchen.
In der Kostbarkeit des Denkmals ist seine Vergänglichkeit untrennbar
enthalten. War es in der Zeit dabei, unterliegt es auch der Vergänglich-
keit. In dieser Eigenschaft ist unsere Sorge um seinen Fortbestand, um
die bescheidene Verlängerung seiner Endlichkeit begründet. Die „Lei-
stung“, die das Denkmal erbringt, ist neben ­allen konkreten Fragen, auf
die das Denkmal als Zeuge antworten kann, die Begegnung mit seiner
„Aura“, seiner materiellen, freilich so zerbrechlichen Existenz. Sie ist
mit seiner Zeugenschaft so unlösbar verbunden, daß mit dem Ende der
Materie auch die Zeugenschaft untergeht. Diese Leistung des Denkmals
findet ihre Entsprechung in unserer Sorge für seinen Bestand. Eine be-

40
sondere Form von Nachhaltigkeit, eine ungewohnt gewordene „uner­
müdliche Zärtlichkeit“, wie John Ruskin es 1849 nannte und Adalbert
Stifter es 1857 im Nachsommer beschrieb, verlangt uns die Sorge um
den Bestand der Denkmäler ab. Im Hintergrund dieser Sorge wohnt
auch die Möglichkeit der Trauer um ihren Verlust. Die Unterstellung,
der Gegner der Rekonstruktion habe keinen Blick gehabt für die Schön-
heit des Untergegangen und keine Sehnsucht nach ihrer Wiederkehr,
unterschlägt die Möglichkeit der Trauer, die den Aktionismus der Wie-
derholung verachten muß.
Rekonstruktion zerstört. Sie gaukelt Verfügbarkeit vor, wo wir an exi-
stentielle Grenzen stoßen. Sie löst die Beziehung zwischen Menschen
und Denkmal auf, weil sie die Kostbarkeit des Denkmals durch seine
scheinbare Wiederholbarkeit denunziert. Sie beraubt das Denkmal sei-
ner geschichtlichen Existenz und Begründung, die wir immer nur un-
vollkommen begreifen, und reduziert es auf das fadenscheinige Gewand
für einen Neubau, der sich anders nicht zu kleiden weiß. Und meistens
steht hinter allem dünne Nostalgie, hohles Pathos, Wahltaktik und Ge-
schichtsklitterung.
Deshalb ist Rekonstruktion nicht erlaubt!

Literatur

1 Münchhausen, Börries Freiherr von, zitiert nach: Das Balladenbuch des Freiherrn
­Börries von Münchhausen. Ausgabe letzter Hand, Stuttgart (Deutsche Verlagsanstalt)
1950, 264–266
2 Eco, Umberto, Geschichte von Angelo Orso, in: Derrik oder die Leidenschaft für das
Mittelmaß, aus dem Italienischen Burkhart Kroeber, München (Carl Hanser Verlag) 2000,
168–170
3 Böll, Heinrich, Gruppenbild mit Dame, Erstausgabe, Köln (Kiepenheuer & Witsch) 1971
319–320
4 Sigel, Brigitt, Denkmalpflege im Garten, in: Naturschutz und Denkmalpflege. Wege zu
einem Dialog im Garten, Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH
Zürich, hg. von Ingo Kowarik, Erika Schmidt, Brigitt Sigel, Bd. 18, 1997, 141–156, hier
146–150. Der hier gewählte Textausschnitt ist ohne Anmerkungen wiedergegeben.
5 Kalinowski, Konstanty, Der Wiederaufbau der historischen Stadtzentren in Polen in den
Jahren 1945–1963, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege XXXII,
1978, 81–93; erneut und mit einem Kommentar des Autors in: Wilfried Lipp, (Hg.), Denk-
mal-Werte – Gesellschaft. Zur Pluralität des Denkmalbegriffs, Frankfurt am Main/New
York 1993, 322–364
6 Mörsch, Georg, Ist Rekonstruktion erlaubt? In: Schloss, Palast, Haus Vaterland. Berlin
1998, 62–73

41
Achim Hubel

Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren.


Ein Blick zurück in ihre Geschichte

Befürworter von Rekonstruktionen behaupten heute gern, Bauwerke seien


schon immer rekonstruiert worden, ja Rekonstruktion sei als Ausdruck
von Erinnerungskultur stets eine Alternative zum Neubau gewesen und
gehöre zur Methode der Denkmalpflege. Das stimmt zum einen in dieser
Pauschalierung nicht, zum andern aber verkennen diese Behauptungen vor
allem die Tatsache, daß es in der Geschichte der Denkmalpflege einen ex-
tremen Bewußtseinswandel gegeben hat, der seit mehr als 100 Jahren mit
einer grundsätzlichen Ablehnung des Rekonstruierens verbunden ist. Als
man sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit zunehmender Be-
geisterung für Baudenkmäler – zunächst des Mittelalters – zu interessieren
begann, fühlte man sich einerseits verpflichtet, sie zu erhalten, andererseits
aber auch berechtigt, sie nach eigenen künstlerischen Vorstellungen umzu-
gestalten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entfaltete sich die Fürsorge für die
„vaterländischen Altertümer“ in erstaunlichem Umfang. Mit unglaublicher
Energie und unter großen finanziellen Opfern wurden zahllose Baudenk-
mäler vor dem Verfall bewahrt, wobei es meist um monumentale Bauwerke
wie Kathedralen, Kirchen, Burgen, Schlösser, Rathäuser, Stadtmauern und
Befestigungsanlagen ging. Allerdings wäre damals der Titel dieses Beitrags
auf völliges Unverständnis gestoßen, da eine derartige begriffliche Pola­
risierung unbekannt war. Im Gegenteil, Restaurieren wurde mit Rekon-
struieren gleichgesetzt. Baudenkmäler wurden als künstlerische Zeugnisse
ihrer Entstehungszeit begriffen, die man durch spätere Zufügungen oder
Veränderungen als gegenüber dem ursprünglichen Zustand beeinträchtigt
ansah. Der Zweck einer „Restauration“ war deshalb die Rückführung in
einen idealen, „stilreinen“ Zustand, der jener Vorstellung entsprach, wie
sie die Architekten von der für das Denkmal relevanten Epoche hatten.
Die wichtigste Aufgabe war es also, vermeintlich Unvollkommenes zu
­verbessern und durch weitreichende Erneuerungen die makellose Schön-
heit des ursprünglichen Kunstwerks zu rekonstruieren. Dabei zeigten

42
­derartige Restaurationen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einen im-
mer radikaleren Umgang mit der erhaltenen Substanz. Es spielte letztlich
keine große Rolle mehr, ob eine Rekonstruktion wegen der Zerstörung des
Baudenkmals durch eine Katastrophe erforderlich geworden war (wie zum
Beispiel bei der Burg Dankwarderode in Braunschweig nach dem Brand
1873), oder ob nur die ästhetische Mißbilligung des vorgefundenen Zu-
stands eines Denkmals den Eingriff veranlaßte. Die Architekten hatten sich
allmählich so viele Kenntnisse über die Bauformen und die Aus­schmückung
alter Bauten erworben und außerdem selbst unentwegt neue Architektur
in den gleichen historischen Stilen entworfen, daß die Frage der Authen­
tizität immer mehr in den Hintergrund rückte. Man überformte und er-
gänzte die Originale bedenkenlos, um sie zu verbessern und den Gesamt-
eindruck zu verschönern.
Als logische Konsequenz ergab sich, daß den originalen Bauteilen eine im-
mer geringere Bedeutung zugemessen wurde. Die Architekten waren da-
von überzeugt, die historischen Stilformen perfekt planen zu können und
glaubten gut und gern auf die ‚lästigen‘ Originalteile verzichten zu können.
Das Ziel war stets eine möglichst perfekte Rekonstruktion des ursprüng-
lichen Zustands, ganz unabhängig davon, wie das Baudenkmal mittlerweile
aussah. Von Denkmalpflege im eigentlichen Sinn – der Begriff ist im deut-
schen Sprachgebrauch überhaupt erst ab 1885 nachweisbar –, also von der
Instandhaltung und dem Schutz des überlieferten Baubestands, konnte man
jedoch bei solchen Vorgehensweisen nicht mehr sprechen. So ist gut zu ver-
stehen, daß zunehmend Kritik geäußert wurde. Man fragt sich überhaupt,
warum die mahnenden Stimmen in den deutschen Ländern erst so spät
­einsetzten. Dagegen hatte sich in England der berühmte und einflußrei-
che Kulturkritiker John Ruskin schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts
sehr kritisch zur Rekonstruktionspraxis des Historismus geäußert und sie
­vehement abgelehnt, am deutlichsten in seinem 1849 publizierten Buch The
Seven Lamps of Architecture. Dort heißt es etwa: „Weder vom Publikum,
noch von Denen, deren Obhut die öffentlichen Baudenkmäler anvertraut
sind, wird die wahre Bedeutung des Wortes ‚Wiederherstellung‘ (Restau-
rierung) verstanden. Heute bedeutet sie die vollständigste Zerstörung; eine
Zerstörung, aus der keine Bruchstücke gerettet werden können, von einer
falschen Vorstellung des zerstörten Werkes begleitet; falsch auch in einer
parodistischen Weise, die verabscheuenswerteste aller Falschheiten. Täu-
schen wir uns doch nicht über diesen wichtigen Punkt: es ist ganz ‚unmög-
lich‘, so unmöglich wie die Toten zu erwecken, irgend etwas wiederherzu-
stellen, das jemals groß oder schön in der Baukunst gewesen ist. Das,

43
worauf ich […] soviel Gewicht gelegt habe, das Leben des Ganzen, der
Geist, der nur durch die Hand und das Auge des Arbeiters übertragen wird,
kann niemals wieder zurückgerufen werden. Ein anderer Geist mag durch
eine andere Zeit gegeben werden, und dann ist es ein neues Gebäude, aber
der Geist des toten Handwerkers kann nicht zurückgerufen werden, um
andere Hände und andere Gedanken zu bewegen. […] Lasst uns also lie-
ber gar nicht von Wiederherstellung reden. Die Sache ist eine Lüge von
Anfang bis zu Ende.“1
Auf Anregung Ruskins gründete dessen Schüler William Morris 1877 eine
sehr erfolgreiche Bürgerinitiative, die Society for the Protection of Ancient
Buildings (SPAB); ihr Motto lautete: „Rettet die Denkmäler vor den
­Restauratoren!“ Es ist bezeichnend für die Diskussionen um den angemes-
senen Umgang mit Denkmälern in Deutschland, daß Ruskins Thesen hier
erst um 1900 zur Kenntnis genommen wurden. Die erste deutsche Über-
setzung seines Buches erschien 1900 im Eugen Diederichs Verlag Leipzig
unter dem Titel Die sieben Leuchter der Baukunst. Nicht zufällig beschäf-
tigte sich der Kunsthistoriker und damalige Provinzialkonservator der
Rheinprovinz, Paul Clemen, im selben Jahr in einem zusammenfassenden
Rückblick mit der Bedeutung Ruskins:
„Noch auf einem anderen wichtigen künstlerischen Gebiete aber wird
Ruskin’s Einfluss noch lange zu spüren sein, auf dem Gebiet der Erhaltung
und des Schutzes der alten Kunstdenkmäler. Im Jahre 1854 [hier irrte Cle-
men; das war erst 1877, A. H.] hatte er die Gründung der society for the
protection of ancient buildings herbeigeführt. Zur Leitung einer Gesellschaft
taugte er freilich nicht: der Leiter ward William Morris, der Jahrzehnte lang
mit Einsetzung seiner ganzen gewaltigen Persönlichkeit der neuen Gesell-
schaft vorgestanden hat. Ruskin‘s gewichtiger Stimme ist es vor allem zu
danken, dass von Anfang an die Losung hier hiess: Erhalten, nicht wieder-
herstellen. Von der unseligen Krankheit, der Sucht nach Stilreinheit ist Eng-
land zwar auch angesteckt, aber rasch wieder geheilt worden […].
Eine Liga der Antirestorationists ist entstanden, die die Denkmäler vor
übereifrigen Architekten zu schützen sucht. Ob eine solche nicht auch auf
dem Kontinent nötig wäre?“2
Wenn um 1900 endlich auch in Deutschland über den sachgerechten Um-
gang mit Baudenkmälern nachgedacht wurde, war das die Konsequenz
­eines sich anbahnenden Bewußtseinswandels. Was war inzwischen ge­
schehen? Seit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts begannen sich die
Architekten der Avantgarde von der Architektur des Historismus abzu-
wenden. Die Bauformen des Jugendstils sind nur ein Beispiel für die dama-

44
ligen Bemühungen, eine neue architektonische Formensprache zu finden.
Damit begann sich die bisher übliche Einheit von zeitgenössischer Archi-
tektur und Denkmalpflege aufzulösen. Im Historismus waren der Neubau
in historischen Stilformen und die Praxis der Denkmalpflege als weit­
gehende Rekonstruktion historischer Gebäude so vereinheitlicht worden,
daß die verschiedenen Aufgaben buchstäblich miteinander verschmolzen.
Dem fertigen Produkt konnte man oft kaum mehr ansehen, ob es sich um
einen kompletten Neubau oder um einen ‚runderneuerten‘ Altbau han-
delte. Als man jedoch um 1900 die Architektur des Historismus immer
stärker mißbilligte, mußte das Baudenkmal aus dieser allgemeinen Ver­
unglimpfung herausgelöst werden und neue Wertigkeiten erhalten, sollte
es nicht in den Sog der Antipathie gegen den Historismus gerissen werden.
In der Erkenntnis, daß die Prinzipien der Denkmalpflege prinzipiell neu
durchdacht werden müßten, führte man ab 1900 unter dem Namen „Tag
für Denkmalpflege“ regelmäßige Jahrestagungen der deutschen und öster-
reichischen Denkmalpfleger ein. Schon bei der ersten Tagung in Dresden
gab es heftige Diskussionen. Als Gastgeber fungierte der Denkmalpfle-
ger und Professor für Baugeschichte Cornelius Gurlitt, der kurz zuvor
(1899/1900) ein kühnes Exempel statuiert hatte: Nachdem die aus dem
Klassizismus stammende Kreuzkirche in Dresden 1897 durch einen Brand
im Inneren völlig zerstört worden war, setzte Gurlitt es durch, daß die Wie-
derherstellung des Innenraums nicht in Form einer Rekonstruktion er-
folgte, sondern durch ein avantgardistisches Architekturbüro (Schilling &
Graebner) eine Innenausstattung in den Formen des Jugendstils entwor-
fen und realisiert wurde. Auf der Tagung begründete er seine Ablehnung
von Rekonstruktionen grundsätzlich und plädierte leidenschaftlich gegen
die Rekonstruktionssucht seiner Zeit. (Text 1)
Ein Streit entzündete sich zur gleichen Zeit mehr oder weniger zufällig in
Heidelberg. Dort sollte der Schloßbau des Kurfürsten Ottheinrich von
der Pfalz (1556/1559), der 1689 und 1693 durch die Truppen des franzö­
sischen Königs Ludwigs XIV. beschädigt worden war und 1764 endgül-
tig ausbrannte, durch den erfahrenen historistischen Architekten Carl
­Schäfer wiederhergestellt werden. Nachdem dieser bereits den zwischen
1601 und 1607 entstandenen Friedrichsbau des Schlosses im Äußeren weit-
gehend erneuert und im Inneren im Sinne des Historismus ausgestaltet
hatte, sah er für die Ruine des Ottheinrichsbaus eine Überarbeitung der
Fassaden, zwei neue Dreiecksgiebel und einen kompletten Innenausbau im
Stil der frühen Renaissance vor. An dieser Planung entzündete sich eine
heftige Diskussion, bei der die Repräsentanten des bisherigen, auf eine

45
­ ekonstruktion zielenden Vorgehens und die Verfechter einer neuen Sinn-
R
gebung für die Denkmalpflege exemplarisch ihre Positionen austauschten.
Wortführer der letzteren war der Straßburger Professor für Kunstgeschichte
Georg Dehio, der zu den bedeutendsten Vertretern seines Fachs zählte. In
seiner 1901 veröffentlichten Streitschrift „Was soll aus dem Heidelberger
Schloß werden?“ forderte er die unveränderte Erhaltung der Schloßruine
und rief zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Denkmalpflege auf.
Wie Cornelius Gurlitt definierte er das Denkmal als ein Dokument, das wie
jede Urkunde möglichst unberührt bleiben müsse. Nur die Echtheit ver-
bürge seine Daseinsberechtigung. Dehios Maxime lautete „Konservieren –
nicht restaurieren“, wobei er unter Restaurieren nicht nur radikale Erneue-
rungen, wie sie Schäfer am Friedrichsbau praktiziert hatte, sondern auch
die bis dahin übliche Praxis des Rekonstruierens verstand. (Text 2)
Von einer großen Zahl gleichgesinnter Kollegen unterstützt, gelang es Dehio,
den weiteren Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses zu verhindern – der
Ottheinrichsbau ist bis heute Ruine geblieben. Kurz darauf, im Jahre 1905,
bekräftigte Dehio in seiner berühmten „Kaiserrede“ anläßlich des Geburts-
tags von Wilhelm II. in der Universität Straßburg noch einmal die Vorstel-
lungen der zukünftigen Denkmalpflege und seine Ablehnung jeglicher
­„Restauration“:
„Der Historismus des 19. Jahrhunderts hat aber außer seiner echten Toch-
ter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind gezeugt, das Restaura­
tionswesen. Sie werden oft miteinander verwechselt und sind doch Anti-
poden. Die Denkmalpflege will Bestehendes erhalten, die Restauration will
Nichtbeste­hendes wiederherstellen. Der Unterschied ist durchschlagend.
Auf der einen Seite, die vielleicht verkürzte, verblaßte Wirklichkeit, aber
immer Wirklich­keit – auf der andern die Fiktion. Hier wie überall hat die
Romantik den gesunden Sinn des konservativen Prinzips verfälscht. Man
kann eben nur konservieren was noch ist – „was vergangen, kehrt nicht
wieder“. Nichts ist berechtigter gewiß als Trauer und Zorn über ein ent-
stelltes, zerstörtes Kunst­werk; aber wir stehen hier einer Tatsache gegen-
über, die wir hinnehmen müssen, wie die Tatsache von Alter und Tod über-
haupt; in Täuschungen Trost suchen wollen wir nicht. Mitten unter die
ehrliche Wirklichkeit Mas­ken und Gespenster sich mischen sehen, erfüllt
mit Grauen. […]
Man kennt bis heute keine einzige Restauration, auch nicht unter den zu
ihrer Zeit bewundertsten, die nicht nach zwanzig Jahren den Nimbus sog.
Echtheit schon wieder verloren gehabt hätte. Unbegreiflich, wie, nachdem
eine an Enttäuschungen und Reue übervolle Erfahrung hinter uns liegt,

46
­gewisse Zauberer es noch immer zustande bringen, den vertrauensvollen
Laien zu suggerieren, sie, sie endlich und ganz gewiß, hätten das große
­Arkanum gefun­den. Es wird nie gefunden werden. Der Geist lebt fort nur
in Verwandlungen; in seine abgelegten Schlangenhäute läßt er niemals sich
zurückzwingen.“3
Der Wiener Kunsthistoriker und „Generalkonservator für die Kunst- und
historischen Denkmäler“ der Donaumonarchie, Alois Riegl, einer der bis
heute wichtigsten Theoretiker für die Definition und Abgrenzung des
Denkmalbegriffs, veröffentlichte 1903 einen Aufsatz, der als Einleitung
zum Entwurf eines österreichischen Denkmalschutzgesetzes gedacht war.
Er suchte darin grundsätzlich die Frage zu beantworten, welche Werte ein
Baudenkmal besitzt, die uns zwingen, uns für seinen Erhalt einzusetzen.
In vielem stimmte Riegl mit Dehio überein, vor allem was die Bewertung
des Denkmals als Geschichtszeugnis betrifft, aber zusätzlich differenzierte
er noch schärfer zwischen dem originalen Baudenkmal und seiner Rekon-
struktion. Das echte Baudenkmal charakterisierte er mit dem Begriff des
„Alterswerts“, die Rekonstruktion mit dem des „Neuheitswerts“. Mit letz-
terem, den er für Baudenkmale ablehnte, kennzeichnete er die Praxis der
Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts. Zwar verkannte er nicht, daß die
Menschheit stets der Faszination des Neuen erlegen sei: Der Jugend gehöre
der Vorzug vor dem Alter, alles Neue sei schön, alles Alte häßlich; dies seien
weit verbreitete Vorurteile. Dem stellte Riegl jedoch die Würde des Alters
entgegen, die das wichtigste Kennzeichen des Baudenkmals sei und seinen
Alterswert ausmache. Darin werde anschaulich, daß jedes Denkmal im
Laufe der Jahrhunderte altere, „Patina“ bekomme, zerstörende mecha­nische
und chemische Kräfte Spuren an ihm hinterließen, daß es also dem natür-
lichen Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen sei und Änderun-
gen und Umgestaltungen durch Menschen erfahren habe. Die Vorstellung
von der seit der Entstehung des Denkmals verflossenen Zeit, die sich in den
Altersspuren ablesen lasse, wecke im Betrachter eine Stimmungswirkung,
die ihn an die Vergänglichkeit allen Daseins erinnere – ein Gefühl, das in
allen Menschen schlummere, das vor allem dann als Gefühl eines drohen-
den Verlustes empfunden werde, wenn etwas verloren zu gehen droht, das
mit positiv wahrgenommenen Erinnerungswerten besetzt sei. (Text 3)
Die prinzipiellen Überlegungen von Dehio und Riegl verbreiteten sich er-
staunlich schnell; sie wurden auch bei dem jährlichen „Tag für Denkmal-
pflege“ ab 1900 leidenschaftlich diskutiert, wobei die Anhänger der alten
Rekonstruktionspraxis immer häufiger überstimmt wurden und sich mit
ihren Vorstellungen nicht mehr durchsetzen konnten. Als typisches B ­ eispiel

47
für die Verbreitung der neuen Ideen sei eine Festrede zitiert, die der Kunst-
historiker und damalige Rektor der Universität Tübingen Konrad Lange
1906 gehalten hat. Er faßte dabei gut verständlich und in überzeugender
Logik die neuen Grundsätze der Denkmalpflege zusammen. (Text 4)
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg herrschte bittere Not in Deutsch-
land. Größere denkmalpflegerische Maßnahmen konnten kaum realisiert
werden. Ab den späten 1920er Jahren setzte sich in der Architektur wie in
der Denkmalpflege eine radikale Ablehnung der Leistungen des Historis-
mus durch. Rekonstruktionen, die noch eine Generation zuvor über die
Maßen gepriesen und als großartige Werke gefeiert worden waren, be­
urteilte man nun als schäbig, mißglückt und häßlich. Viele Denkmalpfle-
ger riefen bewußt und direkt zur Zerstörung der Rekonstruktionen des
19. Jahrhunderts auf. An vielen Baudenkmälern wurden die Zufügungen
des H­ istorismus getilgt, oder man brach gleich das ganze Gebäude ab –
kurz, man verfolgte geradezu haßerfüllt die Hinterlassenschaften jener Zeit.
­Allein dieser Sachverhalt sollte jenen eine Warnung sein, die heute lauter
denn je nach Rekonstruktionen rufen und dafür vor allem ästhetische
­Argumente ins Feld führen. Der Geschmack der Zeit wandelt sich bekannt-
lich sehr schnell, worauf schon Riegl nachdrücklich hingewiesen hatte, und
deshalb begibt sich jeder aufs Glatteis, der sich auf sein subjektives Emp-
finden ­verläßt.
Auch die Funktionäre des ‚Dritten Reichs‘ machten sich den Glauben zu
eigen, daß die Rekonstruktionen des 19. Jahrhunderts die Baudenkmäler
verschandelt hätten. Sie erfanden für die Beseitigung der historistischen
Hinzufügungen und Überformungen den Begriff der „Entschandelung“.
Um nach der Zerstörung die ausgeräumten und kahlen Baudenkmäler wie-
der auszuschmücken, entwarf man neue Ausstattungen und Dekorationen,
die sich am Heimatschutzstil orientierten und ideologisch den typischen
Gleichschaltungstendenzen der Nationalsozialisten entsprachen; dies galt
als „schöpferische Denkmalpflege“. Aus politischen Gründen schreckten
manche Denkmalpfleger aber auch vor neuen Rekonstruktionsversuchen
nicht zurück, wie dies etwa der Umbau der Nürnberger Kaiserburg zu
­einem grobschlächtigen, dem Mittelalterbild des ‚Dritten Reichs‘ entspre-
chenden Hauptquartier für Adolf Hitler zeigt. Die mittelalterliche Ruine
Trifels in der Pfalz wurde als staufische Burganlage rekonstruiert, um als
„Ehrenmal des Dritten Reiches“ einer neuen Funktion zu dienen. Dennoch
war den meisten Fachleuten nach wie vor sehr bewußt, wo der Unterschied
zwischen einem Original und einer Kopie beziehungsweise einer Rekon-
struktion lag. Als Beleg sei eine Definition des Kunsthistorikers Hans

48
­ erhard Evers angeführt, der 1939 erneut und präzise die Bedeutung des
G
Originals in der Architektur definierte. (Text 5)
Im Zweiten Weltkrieg verursachten die Bombenangriffe der Alliierten in
den historischen Stadtzentren Deutschlands ungeheure und bis dahin
­unvorstellbare Zerstörungen. Viele Städte lagen dermaßen in Trümmern,
daß man anfangs völlig ratlos war, wie man mit dieser Katastrophe um­
gehen, ja wie man sie bewältigen könne. Aus einem Text, den der bayeri-
sche Generalkonservator Georg Lill unmittelbar nach Kriegsende publi-
zierte, gehen die Verbitterung und der Zorn über die nationalsozialistische
Diktatur, die zu dieser Situation geführt hatte, einher mit Mutlosigkeit und
der Befürchtung, vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen. (Text 6)
Die emotionale Betroffenheit und die Trauer über die Verluste führten aber
zu trotzigen Reaktionen der Bürger, die jetzt erst recht den Wiederaufbau
der Städte in Angriff nahmen, und zwar viel schneller, als sich dies Georg
Lill und manche seiner Zeitgenossen anfangs hätten träumen lassen. Die
Städte erblühten aus den Ruinen in nur zwei Jahrzehnten wieder zu neuem
Leben. Auch die als identitätsstiftend empfundenen Baudenkmäler, also
vor allem Kirchen, Schlösser und die wichtigsten öffentlichen Gebäude,
vom Rathaus bis zu den Stadtmauern und Stadttoren, wurden wiederher-
gestellt, weil man den Verlust einfach nicht hinnehmen wollte. Doch
­waren sich viele Denkmalpfleger nicht sicher, welchen Weg sie dabei ein-
schlagen sollten. Die bis dahin geltenden Theorien des Konservierens und
Restaurierens schienen angesichts der Trümmerberge kaum mehr anwend-
bar. Es gab gewichtige Stimmen, die aus denkmaltheoretischen Gründen
eindringlich vor totalen Rekonstruktionen warnten, wie etwa der leiden-
schaftliche Appell von Walter Dirks gegen den Wiederaufbau des Frank-
furter Goethehauses, den Gabi Dolff-Bonekämper in ihrem Beitrag zitiert
(vgl. S. 144 f., 160–163).
Statt einen Konsens zu suchen und gemeinsame Leitlinien in der Art einer
Charta des Wiederaufbaus zu entwickeln, verlegte man sich auf Einzelfall­
entscheidungen, deren Bandbreite nicht größer hätte sein können. Sie reich-
ten von der Belassung einer Ruine als Mahnmal über die Reparatur bis hin
zum rekonstruierenden Wiederaufbau eines Baudenkmals, der alle Spuren
der Zerstörung beseitigte und heute nicht mehr erkennen läßt, was über-
haupt zerstört war. In vielen Fällen sind solche Entscheidungen gut nach-
vollziehbar, da man im Rahmen der Kunstschutzmaßnahmen während des
Zweiten Weltkriegs viele Kirchen ausgeräumt und Altäre, Glasmalereien,
Figuren sowie andere Ausstattungsstücke in Sicherheit gebracht hatte.
Ebenso hatte man zahllose Kunstwerke aus Schlössern, Rathäusern oder

49
anderen öffentlichen Gebäuden in Bunker oder unterirdische Schutzräume
ausgelagert. So lag es nahe, bei der Rückführung der Objekte auch das zu-
gehörige Baudenkmal so zu ergänzen, wie es vor dem Krieg ausgesehen
hatte. Solche Teilrekonstruktionen fanden beispielsweise statt bei den
­Domen von Köln und Minden, der Jesuitenkirche St. Michael in München,
den Pfarrkirchen St. Peter in München, St. Lorenz und St. Sebald in
­Nürnberg, St. Georg in Nördlingen, bei der Wiesenkirche in Soest, den
Kirchen St. Lamberti, Liebfrauen-Überwasser und St. Clemens in Münster,
beim Zwinger von Dresden und bei Teilen der Münchner und der Würz-
burger Residenz. Bei einigen Baudenkmälern eliminierte man während
des Wiederaufbaus die Hinzufügungen des 19. Jahrhunderts, wie bei den
­romanischen Kirchen in Köln, der Ludgerikirche in Münster oder der
Willibrordis­kirche in Wesel. Manchmal führte man zerstörte Baudenk­mäler
beim Wiederaufbau auf noch frühere – oft hypothetische – Zustände zu-
rück, etwa bei der Michaeliskirche und dem Dom von Hildesheim oder
dem Langhaus des Würzburger Doms, bei anderen wurden moderne
­Materialien und stilisierte Formen eingesetzt, wie in der Marktkirche
von Hannover (Architekt Dieter Oesterlen). Sensible Architekten fanden
vorbildliche Lösungen, indem sie erhaltene Teile eines Baudenkmals mit
­ergänzenden Neubauten kombinierten, ohne verlorene Teile zu rekonstru-
ieren. Dadurch wurde das im Krieg erlittene Schicksal nicht vertuscht, die
Wunden des Baudenkmals blieben sichtbar, und dennoch entstanden ästhe-
tisch und denkmalethisch überzeugende Lösungen. Beispiele hierfür sind
etwa die Alte Pinakothek und die Kirche St. Bonifaz in München (Archi-
tekt Hans Döllgast), die – leider 1988 wieder umgebaute – Franziskaner-
kirche in Würzburg (Gustav Heinzmann), das Pellerhaus in Nürnberg
(Fritz und Walter Mayer) oder das Festsaalgebäude Gürzenich mit Alt
St. Alban in Köln (Rudolf Schwarz und Karl Band). In jüngster Zeit wurde
diese durch hohen Respekt vor dem historischen Bestand geprägte M­ ethode
der „ergänzenden Wiederherstellung“ beim Neubau des Diözesanmuse-
ums Köln unter Einbeziehung der Reste von St. Kolumba (Peter Zumthor)
und beim Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin (David Chipper-
field) praktiziert.
Angesichts der verwirrenden Vielfalt von Lösungen, nach denen anschei-
nend alles möglich war, und in der Sorge, daß Rekonstruktionen immer
mehr und immer unkritischer als Methode der Denkmalpflege angesehen
würden, veröffentlichte der Denkmalpfleger Friedrich Mielke 1961 einen
Aufsatz, in dem er die grundlegenden Unterschiede zwischen Original
und Rekonstruktion darlegte und die Diskussion damit wieder auf das

50
­ roblembewußtsein der Auseinandersetzungen um 1900 zurückführte.
P
(Text 7)
Die gesellschaftspolitischen Veränderungen, die in den späten 1960er
­Jahren mit den Studentenunruhen einsetzten, brachten auch den in den
­Schatten des „Wirtschaftswunders“ geratenen Baudenkmälern ein neues
öffentliches Interesse. Proteste von Bürgern und vielerorts gegründete Bür-
gerinitiativen forderten den Schutz der Denkmäler, die bis dahin immer
und immer wieder den Projekten der Verkehrsplaner und Investoren wei-
chen mußten. Auf den vehementen Druck der Bürger hin entstanden in
den 1970er Jahren in allen deutschen Ländern Denkmalschutzgesetze, die
den Umgang mit Baudenkmälern auf eine völlig neue rechtliche Basis stell-
ten. Interessant ist hier die Frage, wie die Gesetzgeber die Rekonstruktion
von Baudenkmälern beurteilen. Als Jurist mit dem Schwerpunkt auf Rechts-
fragen in der Denkmalpflege publizierte Werner Schiedermair 1983 einen
Aufsatz, in dem er das Verhältnis von Baudenkmal und Rekonstruktion
aus der Sicht des Gesetzgebers durchleuchtete. (Text 8)
Faßt man die Darlegungen Schiedermairs zusammen, wird deutlich, daß
Rekonstruktionen nicht als Baudenkmäler deklariert werden können, da
ihnen zwei grundlegende Bedingungen fehlen: Sie stammen nicht „aus
­vergangener Zeit“, und ihnen fehlt der Begriff der „Echtheit des Gegen-
stands“. Auch wenn heute verstärkt um die Kriterien von Echtheit oder
‚Authentizität‘ gerungen wird, gilt noch immer: Rekonstruktionen sind –
auch juristisch gesehen – schlichtweg Neubauten, denen eine Denkmal­
eigenschaft nicht zukommt.
Nachdem der Wiederaufbau der meisten zerstörten Baudenkmäler in der
Bundesrepublik Deutschland längst abgeschlossen war, formierte sich wäh-
rend der 1980er Jahre eine neue Rekonstruktionswelle, die ganz andere
Denkmalgattungen betraf als im Historismus und in der Nachkriegszeit.
Zum ersten Mal richtete sich der Wunsch nach rekonstruierender Wieder-
herstellung auf Ortsbilder und Platzgestaltungen, bei denen die Fassaden
zerstörter Bürgerhäuser neu erstehen sollten. Beim Wiederaufbau nach
1945 hatte man sich vor allem – wie erwähnt – um solitäre Baudenkmäler
von großem künstlerischem und/oder geschichtlichem Rang bemüht.
­Ihnen maß man einen hohen Stellenwert zu, weil man diese Denkmäler
für entscheidend dafür hielt, die Identität der eigenen Stadt bewahren zu
können. In keiner einzigen deutschen Stadt empfand man aber nach dem
Krieg das Bedürfnis, Bürgerhäuser zu rekonstruieren. Selbst in Städten, die
sich sehr bewußt um die Wiederherstellung der früheren Stadtstruktur be-
mühten – wie etwa Nürnberg (Altstadt) oder Münster/Westfalen (Prinzi­

51
palmarkt) –, wurden die Bürgerhäuser nicht rekonstruiert, sondern in
­summarischer Angleichung an die früheren Parzellengrößen und Fassa-
dengestaltungen neu entworfen und gebaut. Sogar in Rothenburg ob der
Tauber, wo man bemüht war, die schon vor dem Krieg florierende touri-
stische Attraktion als historische Altstadt wiederzugewinnen, rekonstru-
ierte man die Bürgerhäuser in der weitgehend zerstörten Osthälfte der Stadt
nicht. Stattdessen ließ man durch den Münchner Architekten Fritz Florin
schon 1947/1949 einen Bebauungsplan für die zerstörten Stadtviertel ent-
wickeln, der den Wiederaufbau der Bürgerhäuser in den Formen des Hei-
matschutzstils einleitete. Sie paßten sich damit den früheren Strukturen
der Altstadt an, sind aber keine Rekonstruktionen.4
In den 1980er Jahren dagegen wollten viele Bürger und Kommunalpoliti-
ker – nach dem Vorbild der bewunderten polnischen Altstadtrekonstruk-
tionen vor allem in Warschau und Danzig – wenigstens an zentralen
­Orten der neu aufgebauten kriegszerstörten Städte die historischen Bür-
gerhausfassaden wieder sehen. Die Bürger von Hildesheim, die sich in
­einer Volksabstimmung 1953 ausdrücklich für einen neuen Marktplatz in
moderner Architektur ausgesprochen hatten, wünschten sich in Bürger-
versammlungen und Unterschriftenaktionen 1982/1983 die historischen
Fassaden aus der Vorkriegszeit zurück. Seit 1986 stehen an der Südseite,
seit 1988 auch an der Nordseite scheinbar wieder die im Krieg zerstörten
Bürgerhäuser, aber nicht als komplette Bauten, sondern als Attrappen, die
mit den Gebäuden dahinter nichts zu tun haben – dort befinden sich näm-
lich eine Sparkasse beziehungsweise ein Hotel. Die Motivation für die Fas-
sadenrekonstruktionen lag in der Unzufriedenheit mit der städtebaulichen
Situation und der Architektur der 1950er und 1960er Jahre, die man als
häßlich und unpassend abqualifizierte, obwohl die Gebäude zum Teil von
namhaften Architekten stammten. Aus dem Wunsch nach vermeintlich
vormoderner ‚Harmonie‘ und Gemütlichkeit heraus erhielten auch die
Häuser an der Nordseite des Markplatzes von Mainz – gegenüber dem
Dom – ab 1978 ‚historische‘ Fassaden, die teilweise den Zustand vor dem
Krieg rekonstruierten, teilweise aber nie hier gestanden hatten. Ebenso rea-
lisierte man für die Platzfront gegenüber dem „Römer“ in Frankfurt/Main
1983 eine Neubebauung, bei der die Vorkriegsfassaden der Häuser rekon-
struiert wurden.
Erstmals ging es bei diesen Rekonstruktionen nicht um Bauwerke als archi­
tektonische Gebilde in ihrer dreidimensionalen Struktur, sondern um vor-
geblendete Fassadenwände. Man begnügte sich mit dem städtebaulich
­unmittelbar wirksamen Teil der einstigen Baudenkmäler. Sie bilden nun

52
pittoreske Kulissen für die Einkaufs- und ‚Erlebniswelt‘ der genannten
Stadtzentren. Wie praktisch es ist, wenn man nur noch mit Fassaden arbei-
tet, zeigt das Beispiel der Nordfront des Mainzer Marktplatzes: Hier konn-
ten die drei östlich stehenden Fassaden 2006 ohne weiteres für den Bau
­eines Einkaufszentrums abgerissen und nach dessen Fertigstellung an ­ihrem
alten Standort zum zweiten Mal rekonstruiert werden. Echte Baudenk­
mäler dürfen natürlich auf keinen Fall so behandelt werden – was manche
­Politiker und Investoren sehr bedauern. Man könnte allenfalls von einer
Form der Stadtbildpflege sprechen. Mit solchen Lösungen hat man sich
von den Vorstellungen der Nachkriegszeit meilenweit entfernt. Ganz
­sicher geht es hier nicht mehr um die Bewältigung von Verlusterfahrungen,
welche die Bürger der betroffenen Städte immer noch so schmerzten, daß
sie den Wiederaufbau herbeisehnten (vgl. den Beitrag von Gabi Dolff-­
Bonekämper in diesem Band).Vielmehr pflegte und pflegt man das Vor­
urteil, daß zeitgenössische Architektur keine angemessenen und ästhetisch
befriedigenden Lösungen leisten könne und flüchtet sich in eine als hübsch
empfundene Kulissenarchitektur. Damit entlarvt sich aber auch der eigent-
liche Beweggrund, der auf der Unzufriedenheit mit den baulichen Lösun-
gen unserer Gegenwart beruht. Wie problematisch es ist, Architektur­
leistungen generationsspezifischen Geschmacksurteilen auszuliefern, habe
ich oben am Beispiel der Bauten des Historismus gezeigt: Gerade noch als
prächtig und gelungen gefeiert, wurden sie bereits von der nachfolgenden
Generation als geschmacklos mißachtet, wegen angeblicher Häßlichkeit
verunglimpft und häufig auch wieder zerstört.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erreichten die Auseinander­
setzungen um solche Rekonstruktionen eine neue Dimension. Auslöser
war der geplante Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, eines nach Plä-
nen des Baumeisters George Bähr 1726–1743 errichteten monumentalen
spätbarocken Zentralbaus mit hoher steinerner Kuppel. Bei der Kriegszer-
störung Dresdens innen völlig ausgebrannt, stürzte er kurz darauf in sich
zusammen. Obwohl Bürger wie Denkmalpfleger sich über Jahre hinweg
für einen Wiederaufbau einsetzten, wurde er von den verantwort­lichen
­Politikern der DDR nicht genehmigt. Man räumte die Ruine aber auch
nicht ab, sondern fand eine andere wichtige und symbolträchtige Aufgabe
für sie, nämlich als Mahnmal gegen den Krieg. Nach der politischen Wende
fand der Wunsch nach Rekonstruktion – verbunden mit Spenden größten
Umfangs – eine solche Resonanz, daß man 1992–2005 den Bau wiederher-
stellen konnte. Im Fall der Frauenkirche handelt es sich folglich um eine
Rekonstruktion, die von den Bürgern seit 1945 gefordert, aber aus politi-

53
schen Gründen verwehrt worden war, so daß man sie – von der Moti­vation
und dem Verlusterlebnis her – als eine nachgeholte Wiederaufbauleistung
der Nachkriegszeit bewerten kann, zumal ja erhebliche Teile der Ruine und
originales Steinmaterial wieder verwendet werden konnten.
Der Wiederaufbau der Frauenkirche gab Anlaß zu einer leidenschaftli-
chen Debatte um den Sinn von Rekonstruktionen. Leider erkannten viele
Kunsthistoriker – und manche Denkmalpfleger – diese Rekonstruktion
aber nicht als Sonderfall eines verzögerten Nachkriegswiederaufbaus, son-
dern machten sie zum Exempel für die Frage der Zu- oder Unzulässigkeit
jedweder Rekonstruktion. Der Kunsthistoriker Jörg Traeger formulierte
­beispielsweise:
„Beim Baudenkmal entfällt das Kriterium der Eigenhändigkeit. Darin unter­
scheidet es sich von anderen Gattungen der bildenden Kunst. Die Bausub-
stanz und ihre Oberfläche bleiben in der Regel ungeprägt von der Hand
des Baumeisters. Sein Werk wird von anderen verwirklicht. Die Arbeit der
ausführenden Organe ist unter diesem Gesichtspunkt austauschbar und
gegebenenfalls wiederholbar. Die Denk­malpflege stellt dies laufend unter
Beweis, z.B. durch die Rekonstruktion ganzer Fassadenfassungen auf der
Grundlage winziger Farbreste des ursprünglichen An­strichs. Die Bausub-
stanz verschwindet hinter einer modernen Maske.“5
In seiner Begeisterung für die von allgemeiner Zustimmung getragene Re-
konstruktion der Frauenkirche war sich Traeger offensichtlich nicht be-
wußt, daß er mit dieser These exakt die Vorstellungen der Denkmalpflege
des 19. Jahrhunderts aufgriff, die seit der Diskussion um den neuen Denk-
malbegriff im frühen 20. Jahrhundert überzeugend widerlegt worden
­waren. Mit Recht wandte sich daher Georg Mörsch in einer unmittelbaren
Erwiderung gegen Traegers Behauptung:
„[Diese] zeugt, leider muß es gesagt werden, von entweder völliger bau­
geschichtlicher Ahnungslosigkeit oder – da dies nicht unterstellt werden
soll – von der bewußten Ausblendung all der unzähligen geschichtlichen
Spuren am Baudenkmal, die in der Tat keine Baumeisterhand gezeichnet
hat, aber nichtsdestotrotz voller geschichtlicher Einzelaussagen sind und
dem Bauwerk die Art von Selbstsein (‚Authentizität‘) geben, die unwie-
derholbar ist. Baunähte, handwerkliche Bearbeitungsspuren, Materialwech-
sel, Reparaturen, selbst Pfusch am Bau, konstruktive Besonder­heiten,
­‚Zufälligkeiten‘, die überraschende geschichtliche Aufklärungen geben –
­alles dies und noch viel mehr ergeben eine ‚Eigenhändigkeit‘ des Bau­
denkmals, vor der jede Wiederholung als blasses Schemen erscheinen muß.
Daß praktische Denkmalpflege in das Gefüge dieser Spuren bei aller Vor-

54
sicht immer wieder p­ artiell eingreifen muß, beweist weder die Bedeutungs­
losigkeit ­dieser Spuren noch die Wiederholbarkeit des völlig untergegan-
genen ­Bauwerks.“6
In mehreren Publikationen seit 1992 habe ich mich ebenfalls kritisch mit
der prinzipiellen Frage der Bewertung von Rekonstruktionen in der Denk-
malpflege beschäftigt. Dabei habe ich auch die Richtigstellung von Georg
Mörsch bekräftigt und ausführlich zu erläutern versucht. (Text 9)
Innerhalb dieser Rekonstruktionsdebatten meldete sich 1997 Marion Wohl-
leben zu Wort. Sie betonte die ethische Dimension des Umgangs mit Bau-
denkmälern und forderte die Denkmalpfleger zu einem in diesem Sinne
verantwortungsbewußten Handeln auf. (Text 10)
In Dresden löste die Rekonstruktion der Frauenkirche und deren positive
Resonanz weitere Wiederaufbaumaßnahmen aus, die meist in einer sehr
unkritischen Weise geplant und realisiert wurden beziehungsweise werden.
Ein besonders krasses Beispiel ist das Dresdner Schloß, für dessen Wieder-
aufbau man verschiedene Zeitschichten historischer Zustände gewählt hat:
Während die Außenfassaden in dem Zustand ergänzt und wiederhergestellt
worden sind, den das Schloß vor 1945 hatte, also in der Neurenaissance­
dekoration des Historismus, wählten die zuständigen Denkmalpfleger für
die Fassaden im großen Schloßhof eine Phase aus, die bereits beim Schloß-
brand 1701 zerstört worden war, nämlich die Wandgliederung des 16. Jahr-
hunderts mit der damaligen Sgraffito-Dekoration, einen Zustand, den man
nur durch Kupferstiche des 17. Jahrhunderts kannte. Nicht minder kraß
erscheint die Rekonstruktion der barocken Bebauung rings um den Neu-
markt, die nach den erwähnten Beispielen am Frankfurter Römer und den
Marktplätzen von Mainz und Hildesheim konzipiert wurde: Hochmoderne
Neubauten mit allem Komfort und unterschiedlichsten Nutzungen – vom
Hotel bis zur Luxus-Altenresidenz – wurden mit Fassaden verblendet, die
teilweise frühere Platzwände darstellen, teilweise aber auch nur in summa-
rischer Anpassung an eine Art Barockstruktur errichtet wurden. Man kor-
rigierte sogar bedenkenlos die Geschichte: Beispielsweise war das Hotel de
Saxe (Neumarkt 9), ein ursprünglich 1786 errichteter Bau, bereits 1888
­abgebrochen und durch ein historistisches Geschäftshaus ersetzt worden.
Beim Wiederaufbau orientierte man sich aber nicht am Zustand vor dem
Zweiten Weltkrieg, sondern wiederholte jene Fassadengestalt, die schon
1888 zerstört worden war. Alle diese Attrappen rahmen die rekonstruierte
Frauenkirche ein und sollen ihr das historische Umfeld vermitteln, das der
Bau angeblich benötigt. Zu diesen Dresdner Maßnahmen hat sich 2009
Hans-Rudolf Meier mit einem kritischen Beitrag geäußert. (Text 11)

55
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts nehmen die Rekonstruktionsprojekte in
ganz Deutschland zu. Vielerorts wird über die Rekonstruktion von Alt-
stadtquartieren oder von monumentalen Baudenkmälern diskutiert – eine
ganze Reihe von Projekten wurde schon begonnen oder befindet sich in
der Realisierung. Bemerkenswert ist dabei, daß es hier immer um die Re-
konstruktion von Fassaden geht. Man sieht ein Baudenkmal nicht mehr als
ganzes architektonisches Gebilde mit seiner dreidimensionalen Struktur
und in seinem spannungsreichen Verhältnis zwischen Außenbau und
­Innenraum, sondern zerlegt es gleichsam, wobei nur die Fassaden interes-
sieren, die werbewirksam das Image einer Stadt aufpolieren sollen. Im Ge-
gensatz zur Nachkriegszeit geht es also längst nicht mehr um verlorene
Baudenkmäler, die man – insgesamt und auch in ihrer Funktion – wieder-
gewinnen möchte, sondern um vermeintlich ‚attraktivere‘ Schauwände, die
eine Lücke im Stadtbild füllen oder eine als häßlich empfundene Situation
‚verschönern‘ sollen. Einige besonders aufwendige oder typische Beispiele
hierfür seien im folgenden skizziert:
−− In Braunschweig hatte das monumentale klassizistische Schloß den
Zweiten Weltkrieg überstanden, wenn auch mit schweren Brandschäden.
Während der Stadtrat 1960 mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen
den Abbruch angeordnet und vollzogen hatte, stimmte er 2004 – diesmal
mit nur einer Stimme Mehrheit – dem Angebot des Investors ECE zu,
drei Fassaden des Schlosses zu rekonstruieren; dafür durfte der gesamte
Schloßpark abgeholzt, planiert und mit einem riesigen Einkaufszentrum
überbaut werden. 2007 war die Maßnahme abgeschlossen. Das Bauwerk
besteht also nur aus drei Fassadenwänden einer ursprünglich dreiflügeli-
gen Schloßanlage. Die U-förmig eingezogene Gartenfront mit dem halb-
rund vorspringenden Festsaal wurde nicht rekonstruiert, ebensowenig die
Kuppel darüber. Hinter den Fassaden verbirgt sich ein Shopping-Center
von 30.000 m² Ladenfläche.
−− In Berlin diskutiert man seit Jahren leidenschaftlich über eine Rekon-
struktion des barocken Stadtschlosses, das den Krieg ebenfalls relativ
gut überstanden hatte, aber 1950 auf Anordnung von Walter Ulbricht
gesprengt wurde. 2002 und 2007 stimmte der Deutsche Bundestag einem
Wiederaufbau zu; darauf wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der –
ähnlich wie in Braunschweig – die Rekonstruktion von drei Fassaden vor-
schrieb; die vierte Fassade sollte modern gestaltet werden. Preisträger des
Wettbewerbs wurde der italienische Architekt Franco Stella. Ins Innere
des Schlosses soll das „Humboldt-Forum“ einziehen, das Kunstwerke der
Museen für außereuropäische Kunst (bisher in Berlin-Dahlem), eine aus

56
Beständen von Berliner Bibliotheken zusammengestellte neue Bibliothek
und ein Veranstaltungszentrum aufnehmen soll – Nutzungen also, die man
eigentlich gar nicht braucht, weil sie in Berlin längst ihre Orte haben. Die
auf 550 Millionen Euro veranschlagten Bauarbeiten haben jedoch bisher
nicht begonnen; gegenwärtig wird angesichts der Finanzkrise des Staates
der Wiederaufbau mit Recht in Frage gestellt.
−− In unmittelbarer Nähe des Berliner Schlosses soll die sogenannte Bau-
akademie rekonstruiert werden, die Karl Friedrich Schinkel 1832–1836
errichtet hatte. Auch dieses Gebäude war im Krieg zwar beschädigt worden,
hätte aber ohne weiteres wiederhergestellt werden können; tatsächlich hatte
man 1951 mit dem Wiederaufbau begonnen und 1953 sogar das Richtfest
gefeiert. Trotzdem wurde der Bau auf Anordnung des DDR-Regimes 1962
abgebrochen; an seiner Stelle errichtete man das Außenministerium der
DDR, das nach der Wende 1996 seinerseits abgerissen wurde. Um für eine
Rekonstruktion zu werben, wurde 2001/2002 die Nordostecke des Baus als
Musterachse aufgeführt. Das restliche Gebäude wird zurzeit durch Gerü-
ste imaginiert, die mit bedruckten Kunststoff­folien verkleidet sind und zu
allem Überfluß auch noch verschiedenen Firmen als Werbeträger dienen.
−− In Potsdam war das monumentale barocke Stadtschloß im letzten
Krieg ausgebrannt; einen Wiederaufbau der relativ gut erhaltenen Ruine
lehnte das DDR-Regime ab und sprengte sie 1959/1960. Kurz vor der
politischen Wende begann man mit dem Neubau eines Theaters an der
Stelle des Schlosses; nach der Wiedervereinigung wurde der Rohbau wie-
der abgebrochen. Seitdem wurde – wie immer zunächst von einer klei-
nen Minderheit – der Ruf nach einer Rekonstruktion laut. 2002 wurde auf
der Basis einer privaten Spende das „Fortuna-Portal“ als Teil des ehema-
ligen Schlosses rekonstruiert. 2005 beschloß der Brandenburgische Land-
tag einen Neubau in zeitgenössischen Formen, der lediglich ‚Stilelemente‘
des Vorgängerbaus zitieren sollte, und dessen zukünftige Nutzung als
Parlamentsgebäude für das Land Brandenburg. Nachdem der SAP-Chef
Hasso Plattner jedoch eine Spende in Höhe von 20 Millionen Euro für
die Wiederherstellung der ‚barocken‘ Schloßfassaden zugesagt hatte, will
man nun die Außenfassaden des Schlosses rekonstruieren, allerdings mit
stark veränderten Dächern und ohne Attikazone (Architekt: Peter Kulka);
die Bauarbeiten begannen 2010. Sollten sich weitere Sponsoren finden, ist
vorgesehen, auch die rings umlaufende Attika und die sie bekrönenden
steinernen Figuren und Vasen wiederherzustellen.
−− Die barocke Garnisonkirche in Potsdam war im Krieg ebenfalls aus­
gebrannt, die Mauern und der Turm standen aber noch. Die bereits in den

57
1960er Jahren begonnene Wiederherstellung wurde auf Anordnung des
DDR-Regimes unterbunden; 1968 brach man den Bau gänzlich ab. Nun
ist die Rekonstruktion des Turmes geplant, dem sich die des Kirchen-
raums anschließen soll. 2005 fand die feierliche Grundsteinlegung statt.
Nach heftigen Diskussionen ruhen gegenwärtig die Bauarbeiten.
−− Das zu dem prachtvollen, im frühen 18. Jahrhundert entstandenen
Ba­rockpark gehörende Schloß von Hannover-Herrenhausen, ein zuletzt
von Georg Ludwig Friedrich Laves 1820/1821 klassizistisch umgestalteter
Bau, war 1943 zerstört worden. Von einer geplanten Neugestaltung durch
den berühmten dänischen Architekten Arne Jacobsen wurde 1966 der
gläserne Pavillon vor der Orangerie realisiert; der von Jacobsen anstelle
des Schlosses vorgeschlagene schüsselförmige Neubau eines Restaurants
(„Bella vista“) mit Aussichtsplattform wurde dagegen nicht gebaut. 2009
stimmte der Stadtrat einer Rekonstruktion des Schlosses zu, für welche
die Volkswagenstiftung 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen will;
2010 wurde ein Wettbewerb durchgeführt. Wiederum wird es nur um die
Rekonstruktion der Fassaden gehen; im Inneren sind ein Museum und
ein Auditorium mit 300 Sitzplätzen vorgesehen. Nach der Fertigstellung
dürfte der gläserne Pavillon von Arne Jacobsen der einzige moderne Bau
in dem ‚historischen‘ Einheitsbrei von Schloß und Park sein. Wird man
ihn dann als Störfaktor betrachten und abbrechen?
−− Seit 2004 entsteht das Palais Thurn und Taxis in Frankfurt am Main neu.
Dieses barocke Adelspalais war im Krieg beschädigt worden, wurde aber
nicht wiederhergestellt, sondern 1951 für den Bau des Fernmeldehoch-
hauses abgerissen. Dieses Hochhaus brach man nun im Rahmen des
Großprojekts „Palais Quartier“ wieder ab. In diesem Kontext soll das
rekonstruierte Palais als Blickfang vor mehreren, bis zu 135 m hohen
Wolkenkratzern dienen … Die Rekonstruktion mußte jedoch im Zuge der
Anpassung an das Gesamtvorhaben reduziert werden, die flankierenden
Portalbauten werden statt ursprünglich fünf beziehungsweise sieben nur
noch je drei Fensterachsen besitzen. Die früher nicht einsehbaren, nun
aber frei stehenden Seitenflügel erhielten neu entworfene Fassaden, und
die Gartenfront mußte im Sinne der Anpassung an die verkleinerte Aus-
führung neu gestaltet werden, so daß vom ehemaligen Erscheinungsbild
des Palais nicht mehr viel übrig blieb.
−− Im April 2010 begann der Abriß des 1970/1974 errichteten „Techni-
schen Rathauses“ in Frankfurt am Main, das sich im Zentrum der Altstadt
zwischen Römer und Dom befand. Der Bau war nach einem Wettbewerb
an das Frankfurter Büro Bartsch, Thürwächter und Weber vergeben wor-

58
den. Damals fand die Jury die Pläne von so herausragender Qualität, daß
sie keinen zweiten Preis vergab, um die Ausführung durch die Preisträger
nicht zu gefährden. Nun aber entledigt man sich des Baus, weil ihn alle
„häßlich“ finden. Kommt einem ein solch radikaler Geschmackswandel –
nur gut eine Generation später – nicht verdächtig vor? Das ästhetische
Argument ist schließlich schon zu oft ein fragwürdiger Grund für die
negative Beurteilung von überlieferter Architektur gewesen! Jedenfalls
sollen nun anstelle des Technischen Rathauses laut Beschluß des Stadtrats
von 2007 die kleinteiligen Straßenzüge Hinter dem Lämmchen, Neugasse
und Hühnermarkt nachgebildet werden, die es hier bis zur Kriegszerstö-
rung gegeben hatte, wobei die Fassaden von mindestens vier Fachwerk-
häusern rekonstruiert, die anderen stilistisch ‚angepaßt‘ werden sollen.
Die Gesamtkosten für diese Maßnahme sind auf knapp 200 Millionen
Euro veranschlagt.

Man fragt sich bei all diesen Projekten, die – außer bei der Potsdamer
­Garnisonkirche – nur auf Fassaden beschränkt sind, was damit eigentlich
gewonnen werden soll. Soll es hier immer noch um die Kompensation von
Verlusterfahrungen gehen? Oder handelt es sich nicht eher um Prestige-
projekte von Investoren, Politikern und Interessenverbänden, die histori-
sche Fassaden zur glanzvollen Selbstvermarktung nutzen wollen? Ange-
sichts einer Rekonstruktionssucht, die Unsummen verschlingt, muß man
tatsächlich irritiert, ja verstört die Frage stellen, wo denn im Bewußtsein
der Öffentlichkeit die originalen Denkmäler bleiben, von denen – so scheint
es – gegenwärtig kaum geredet wird. Nachdrücklich wies deshalb Thomas
Will 2006 noch einmal auf die Qualitäten des „wahren“ und „echten“ Bau-
denkmals hin, das durch nichts ersetzt werden könne. (Text 12)
Die gegenwärtige „Inflation an Denkmalsetzungen“, die gar keine Denk-
mäler sind und die auch keine „Sehnsucht nach Geschichte“, sondern im
Gegenteil eher einen „Verlust an Geschichte“ und Geschichtsbewußtsein
widerspiegeln, charakterisierte Ira Mazzoni 2010 mit sehr deutlichen, ja
bitteren Worten. Statt einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Ver-
gangenheit würden immer unverfrorener „Marketing und Markt“ auch
­unsere gebaute Umwelt beherrschen. (Text 13)
Wenn wir zusammenfassend die Quellentexte überblicken – fundierte
­Stellungnahmen von Denkmalpflegern aus den letzten 110 Jahren –, dann
läßt sich der Schluß ziehen, daß sich in diesem Zeitraum die skeptische
fach­liche Bewertung von Rekonstruktionen nicht grundlegend geändert
hat. Die um 1900 erfolgte Abkehr von der Rekonstruktionssucht des

59
­ istorismus und die Einigung auf eine theoretisch fundierte, die Erhaltung
H
fordernde Praxis im Umgang mit den Objekten hat zunächst einmal viele
Baudenkmäler vor der verbreiteten Praxis der radikalen ‚Runderneuerung‘,
Überformung und Rekonstruktion gerettet. Gleichzeitig wurde den Denk-
malpflegern bewußt, daß nicht der Augenschein, sondern die historische
Dimension das zentrale Kriterium für die Bewertung eines Baudenkmals
ist – und auch zukünftig bleiben muß. Nur ein Bauwerk, das seine Ge-
schichte in sich trägt und diese in seiner Substanz ablesen läßt, kann die
­Eigenschaften eines Denkmals besitzen, die auf der zeitlichen Distanz zur
eigenen Gegenwart und auf ‚Echtheit‘ beruhen. Gerade heute – in einer
Welt der Medien und des Scheins, der Reproduktionen und Falsifikate, der
Inszenierungen und Events – ist es wichtiger denn je, an der anscheinend
banalen Tatsache festzuhalten, daß Denkmäler nur für diejenige Zeit Zeug-
nis geben können, in der sie entstanden sind. Bauten, die in unserer Zeit
rekonstruiert wurden und werden, vermitteln uns deshalb nur typische
­Informationen über das Schaubedürfnis, das Repräsentationsbedürfnis,
die nostalgische Selektion historischer Wahrnehmung, die Abhängigkeit
von Tourismusförderung und Investoren in der Gegenwart – aber nur ­einen
Bruchteil von jenen Informationen, die das ursprüngliche Baudenkmal ein-
mal liefern konnte. Die enormen Finanzmittel, die solche Denkmalattrap-
pen verschlingen, kämen besser den gefährdeten echten Baudenkmälern
zugute. Wenn man nämlich erleben muß, wie viele erhaltene Baudenk­
mäler ständig verloren gehen, weil die staatlichen und kommunalen Zu-
schußmittel für die Förderung von Restaurierungsmaßnahmen in den letz-
ten Jahren kontinuierlich zusammengestrichen worden sind, dann kann
man für die heutige Rekonstruktionssucht erst recht kein Verständnis mehr
aufbringen.
Die Medaille hat folglich ihre zwei Seiten, die meines Erachtens sympto-
matisch sind: Auf der einen Seite konzentriert man sich auf schicke Rekon-
struktionen von Monumentalbauten oder historischen Stadtzentren mit
rekonstruierten Fassadenattrappen, bei denen Geld keine Rolle zu spielen
scheint, auf der anderen Seite werden die erhaltenen Baudenkmäler immer
weniger beachtet. Sie sind gegenwärtig mehr gefährdet denn je: In Dresden
wird einerseits der Neumarkt um die Frauenkirche durch barock anmu-
tende Fassadenattrappen ‚verhübscht‘. Und andererseits hat man dort den
Bau der Waldschlößchenbrücke durchgesetzt, welche die großartige histo-
rische Kulturlandschaft der Elbauen nachhaltig beeinträchtigt, und in
Kauf genommen, daß diese Elblandschaft aus der Liste des Welterbes der
UNESCO gestrichen wurde.

60
Außerdem berät der sächsische Landtag in Dresden zur Zeit über eine
­Novellierung des sächsischen Denkmalschutzgesetzes, das gravierende
­Verschlechterungen vorsieht. So soll zusätzlich zu der Denkmalliste ein
„Verzeichnis der herausragenden Kulturdenkmale“ erstellt werden, in das
die wichtigsten und bedeutendsten Baudenkmäler eingetragen werden.
Aber dieses Verzeichnis darf nur maximal 20 Prozent der jetzt in der Denk-
malliste aufgeführten Denkmäler enthalten. Beim Vollzug des Gesetzes
muß das Landesamt für Denkmalpflege nur noch bei diesen „herausragen-
den Kulturdenkmalen“ um eine Stellungnahme gebeten werden, wenn es
um Veränderungen oder Abbruch geht. Bei allen anderen Objekten, also
mindestens 80 Prozent der in der Denkmalliste aufgeführten Denkmäler,
sollen in Zukunft die Städte und Landkreise selbständig entscheiden dür-
fen, ob sie ein Denkmal erhalten wollen oder nicht. Die Abbruchgenehmi-
gung kann dann sofort erteilt werden, das Landesamt für Denkmalpflege
würde nicht mehr eingeschaltet. Dadurch sind kleinere und auf den ersten
Blick eher unscheinbare Denkmäler akut gefährdet, die aber gerade für die
Qualität der Städte und historischen Kulturlandschaften von hoher Bedeu-
tung sind.7
Man muß sich also in diesem Fall klar machen: Die Politiker gehen in
­Dresden an den glänzenden neubarocken Attrappenbauten vorbei, halten
das für eine neue zeitgemäße und besonders schicke Form des Denkmal-
schutzes und glauben offenbar, deshalb getrost auf die alten Denkmäler,
die a­ uthentische Zeugnisse der Vergangenheit sind, immer mehr verzich-
ten zu können. Nachdrücklich muß man sich auch die Relation der Geld-
mittel vor Augen führen: Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat in den
25 Jahren ihres Bestehens seit 1985 insgesamt über 410 Millionen Euro
an Spenden gesammelt. Damit konnten in ganz Deutschland insgesamt
3.600 Baudenkmäler bei ihrer Restaurierung finanziell unterstützt und vor
Verfall oder der Zerstörung gerettet werden. Leider konnten aber nur
etwa 25 Prozent der beantragten Projekte gefördert werden, 75 Prozent
gingen leer aus. Schätzungsweise 10.000 Baudenkmäler konnten von der
Stiftung nicht unterstützt werden; viele von ihnen sind mittlerweile ver­
loren ­gegangen.
Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses würde mit geschätzten 550 Mil-
lionen Euro allein weit mehr kosten, als die Deutsche Stiftung Denkmal-
schutz in den 25 Jahren sammeln und fördern konnte. Nur mit den Kosten
für die Berliner Schloßrekonstruktion könnte man – nach den Kriterien
der Stiftung – knapp 5.000 Baudenkmäler in Deutschland retten! Wenn
aber auf der einen Seite für die Rekonstruktionen das Geld nur so fließt,

61
auf der anderen Seite dagegen für den Erhalt der vorhandenen Baudenk-
mäler keine Mittel bewilligt und auch noch die Denkmalschutzgesetze auf-
geweicht werden, dann beginnt man zu ahnen, welche Gefahr die Flucht
in Denkmalattrappen für die echten Baudenkmäler bedeuten kann – von
der Manipulation unseres kulturellen Bewußtseins und der Verarmung
­unseres kritischen Wahrnehmungsvermögens ganz zu schweigen.

Texte

1  Tag für Denkmalpflege (1900). Auszug aus dem stenographischen


Bericht des Ersten Tages für Denkmalpflege in Dresden

Beim ersten „Tag für Denkmalpflege“, der im Jahre 1900 in Dresden statt-
fand, hatte der Metzer Dombaumeister Paul Tornow ein Referat gehalten,
mit dem er seine Vorstellungen vom Umgang mit Baudenkmälern thesen-
artig vorstellte. Tornow war ein überzeugter Architekt des Historismus,
für den die Forderung nach Stilreinheit selbstverständliche Grundvoraus-
setzung war, so daß er bei der Kathedrale von Metz alle späteren Hinzu-
fügungen entfernt und durch Rekonstruktionen im gotischen Stil ersetzt
hatte. Bei der anschließenden Diskussion widersprach Cornelius Gurlitt
seinen Thesen. Im Tagungsbericht heißt es:

Der Geist der alten Architekten sei durch die Nachahmung ihrer For-
men nicht zu erfassen. Das, was wir schaffen, ist stets zwanzigstes
­Jahrhundert und wird nie dreizehntes Jahrhundert sein. Es muß sich
der Zwiespalt später, sobald der Geist des Mittelalters anders aufgefaßt
wird, deutlich erkennbar machen. Es klebe der Restaurierung also
­doppelt der Schaden des Unzulänglichen an, das ein feiner empfinden-
des Auge zurückstoße: sie strebe ein unerreichbares Ziel an, und dabei
ein solches, dessen Erreichung eine innere Unwahrheit darstellen würde.
[…] Denkmäler seien doch auch Urkunden, die als solche echt, nicht in
wenn auch noch so treuen Abschriften oder Ergänzungen zu erhalten
seien. […]
Zweck der Restaurierung solle vor allem das Erhalten sein; man solle
das, was zerfallen will, vor weiterer Beschädigung behüten. Man solle
es so herstellen. daß man deutlich erkenne, was an einem Bau alt und
was neu sei, und man solle das, was man neu hinzufüge, auch stilistisch
als neu kennzeichnen. Vor zehn Jahren noch haben die „Stilpuristen“

62
die Werke der Renaissance und des Barock aus gotischen Kirchen hin-
ausgeworfen, weil durch diese die Einheit des Stiles und mithin ihr
­ästhetisches Empfinden gestört worden sei. Jetzt. haben fast alle erkannt,
daß sich Stilmischung, Stilverschiedenheit sehr wohl mit einer einheit-
lichen künstlerischen Wirkung vertrage. Nun meine man nur, daß der
eigene, der moderne Stil hierzu nicht passe, und bemühe sich somit
­eifrig, das Kommen eines modernen Stiles zu verhindern. Seit hundert
Jahren mühen wir uns, mit dem Kopf anderer im Sinne fremder Jahr-
hunderte zu denken. unsere Individualität aufzugeben. Der hieraus
­erwachsene Schaden für das Erwachen der formalen Selbständigkeit,
für die Gesamtkunst unserer Zeit sei unberechenbar. Daher sei es end-
lich Zeit, dass wir in der Behandlung alter Denkmäler wieder zu den
Grundsätzen zurückkehrten, die vor der romantischen Periode liegen,
indem wir den Geist der künstlerischen Selbständigkeit verbinden mit
der unserer Zeit eigenen Wertschätzung gegen das Alte und mit der
Anpassungs­fähigkeit an dessen Formenwelt.

2  Georg Dehio, Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden? (1901)

In seiner Streitschrift „Was soll aus dem Heidelberger Schloß werden?“


wandte sich Georg Dehio grundsätzlich gegen die bis dahin üblichen Ver-
fahrensweisen der Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts, hier insbesondere
gegen die Pläne des Architekten Carl Schäfer, der eine komplette Rekon-
struktion des Ottheinrichsbaus des Heidelberger Schlosses plante:

Als im „historisch“ gesinnten 19. Jahrhundert ein Pietätsverhältnis zu


den Resten der Vergangenheit erwachte, glaubte man, diesen etwas
­Gutes zu erweisen, wenn man sie auf diejenige Gestalt zurück­führte,
die man sich als die ursprüngliche dachte. Aber der feinere historische
Sinn konnte dabei keine Befriedigung finden: es hieß, den historischen
Verlauf rückwärts korrigieren, und zwar auf fast immer unsicherer B ­ asis.
Nach langen Erfahrungen und schweren Mißgriffen ist die Denkmals-
pflege nun zu dem Grundsatze gelangt, den sie nie mehr verlassen kann:
erhalten und nur erhal­ten! ergänzen erst dann, wenn die Erhaltung
­materiell unmöglich geworden ist; Untergegangenes wiederherstellen
nur unter ganz bestimmten, beschränkten Bedingungen. Ein Architekt,
der unter diesen allein zulässigen Voraussetzungen eine Restauration
übernimmt, muß wissen, daß es ein entsagungsvolles, durchaus unfreies

63
Geschäft ist. Allein archäologisches und technisches Wissen, nicht
künstlerisches Können kommt dabei in Betracht. Es gab und gibt i­ mmer
Architekten, Gott sei Dank, die diese Selbstbeschränkung geübt und
sich damit großen Dank verdient haben; es gibt aber auch – ­andere.
Ja, leider recht viel andere! Es will uns sogar scheinen, als hätte zurzeit
eine Strömung wieder Oberwasser gewonnen, die eine beklagenswerte
Rückstän­digkeit der Grundsätze sich zum Verdienst anrechnet. Statuen
ergänzen, Bil­der übermalen war in früheren Jahrhunderten allgemeiner
Brauch. Heute wird er verurteilt. Der Venus von Milo ihre Arme wie-
derzugeben oder Leonardos Abendmahl mit einer frischen Farbendecke
zu überziehen, gilt für eine heute unmöglich gewordene Barbarei. Nur
gewisse Architekten glauben derglei­chen noch täglich verüben zu dür-
fen. Was berechtigt uns denn, so viel Zeit, Arbeit und Geld dem Schaf-
fen der Gegenwart zu entziehen, um sie den Wer­ken der Vergangenheit
zuzuwenden? Doch hoffentlich nicht das Verlangen, sie einem beque-
meren Genuß mundgerechter zu machen? Nein, das Recht dazu gibt
uns allein die Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Zu solcher Ehr­furcht
gehört auch, daß wir uns in unsere Verluste schicken. Den Raub der
Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von histo-
rischer Pietät. […]
Daß Altes auch alt erscheinen soll mit allen Spuren des Erlebten, und
wären es Runzeln, Risse und Wunden, ist ein psychologisch tief begrün-
detes Verlangen. Der ästhetische Wert des Heidelberger Schlosses liegt
nicht in erster Linie in dieser oder jener Einzelheit, er liegt in dem un-
vergleichlichen, über alles, was man mit bloß architektonischen Mitteln
erreichen könnte, weit hinausgehenden Stimmungsakkord des Ganzen.
Verlust und Gewinn im Falle fortgesetzter Verschäferung des Schlosses
las­sen sich deutlich übersehen. Verlieren würden wir das Echte und ge-
winnen die Imitation; verlieren das historisch Gewordene und gewin-
nen das zeitlos Will­kürliche; verlieren die Ruine, die altersgraue und
doch so lebendig zu uns sprechende, und gewinnen ein Ding, das we-
der alt noch neu ist, eine tote akademische Abstraktion. Zwischen die-
sen beiden wird man sich zu entschei­den haben.
Wir haben Grund zu hoffen, daß die „schicksalskundige Burg“ auch
die neueste, seltsamste Gefahr noch überstehen wird. Wer dies Blatt in
die Hand bekommt, soll sich aber klar machen, daß die Gefahr keine
­vereinzelte ist. Möchte doch das vertrauensvolle Publikum es endlich
bemerken, daß der Sache nach Ähnliches, mag es auch in kleinerem

64
Maßstabe sein, fortwährend bei uns geschieht. Das bedrohte Heidel-
berg liegt überall.

3  Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine


Entstehung (1903)

Alois Riegl hat mit dem Alterswert eine außerordentlich wichtige, die Wert-
kategorie eines Baudenkmals grundlegend definierende Eigenschaft be-
schrieben: Der Alterswert eines Denkmals verrät sich auf den ersten Blick
durch dessen unmodernes Aussehen. Zwar beruht dieses unmoderne Aus-
sehen nicht so sehr auf der unmodernen Stilform, denn diese ließe sich ja
auch imitieren und ihre richtige Erkenntnis und Beurteilung wäre fast aus-
schließlich dem verhältnismäßig engen Kreis gelernter Kunsthisto­riker
­vorbehalten, während der Alterswert den Anspruch erhebt, auf die großen
Massen zu wirken. Der Gegensatz zur Gegenwart, auf dem der Alterswert
beruht, verrät sich vielmehr in einer Unvollkommenheit, einem Mangel
an Geschlossenheit, einer Tendenz auf Auflösung von Form und Farbe,
­Eigenschaften, die denjenigen moderner, das heißt neu entstandener Ob-
jekte schlankweg entgegengesetzt sind.

Alle bildende Tätigkeit der Menschen ist nichts anderes als das Zusam-
menfassen einer Anzahl in der Natur verstreuter oder formlos in der
Allgemeinheit der Natur aufgehender Elemente zu einem geschlosse-
nen, durch Form und Farbe begrenzten Ganzen. ln diesem Schaffen
verfährt der Mensch genau wie die Natur selbst: beide produzieren be-
grenzte In­dividuen. Diesen Geschlossenheitscharakter verlangen wir
noch heute unbedingt von jedem modernen Werke. […] Mangel an Ge-
schlossenheit würde uns daher an modernen Werken nur mißfallen: wir
bauen darum keine Ruinen (außer um sie zu fälschen), und ein neu­
gebautes Haus, dessen Verputz abbröckelt oder verrußt ist, wirkt auf
den Beschauer störend, da dieser von einem neuen Hause lückenlose
Abschließung in der Form und in der Polychromie verlangt. Am so-
eben Gewordenen wirken die Symptome des Vergehens nicht stim-
mungsvoll, sondern verstimmend.
Sobald aber das Individuum (das vom Menschen wie das von der N ­ atur
geschaffene) geformt ist, beginnt die zerstörende Tätigkeit der Natur,
das ist ihrer mechanischen und chemischen Kräfte, die das Individuum

65
wieder in seine Elemente aufzulösen und mit der amorphen Allnatur
zu verbinden trachten. An den Spuren dieser Tätigkeit erkennt man
nun daß ein Denkmal nicht in jüngster Gegenwart, sondern in einer
mehr oder minder vergangenen Zeit entstanden ist, und auf der deut­
lichen Wahr­nehmbarkeit seiner Spuren beruht somit der Alterswert
­eines Denkmals. Das drastischste Beispiel dafür bietet, wie schon ge-
sagt wurde, die Ruine, die aus dem einstmaligen geschlossenen Ganzen
­einer Burg durch allmähliches Hinwegbrechen größerer tastbarer Teile
entstanden ist; weit wirksamer gelangt jedoch der Alterswert durch die
minder gewalt­same und mehr optisch als haptisch sinnfällige Wirkung
der Zersetzung der Oberfläche (Auswitterung, Patina), ferner der ab-
gewetzten Ecken und Kanten u. dgl. zur Geltung, wodurch sich eine
zwar langsame, aber sichere und unaufhaltsame, gesetzliche und daher
unwiderstehliche Auf­lösungsarbeit der Natur verrät. […]
Der Alterswert hat nun, wie schon an früherer Stelle angedeutet wurde,
vor allen übrigen idealen Werken des Kunstwerkes das Eine voraus, daß
er den Anspruch erheben zu dürfen glaubt, sich an Alle zu wen­den, für
Alle ohne Ausnahme gültig zu sein. Er behauptet, nicht allein über den
Unterschied der Konfessionen, sondern auch über den Unterschied zwi-
schen Gebildeten und Ungebildeten, Kunstverständigen und Nicht­
verständigen erhaben zu sein. […]
Dieser Anspruch auf Allgemeingültigkeit ist es nun auch, der die An-
hänger des Alterswertes unwiderstehlich dahin treibt, erobernd und un-
duldsam aufzutreten. Es gibt nach ihrer Überzeugung kein ästhetisches
Heil, außer im Alterswert. Von Tausenden längst instinktiv empfunden,
aber in offener Weise anfänglich nur von einer kleinen Gruppe kampf-
lustiger Künstler und Laien propagiert, gewinnt der Alterswert nun täg-
lich mehr Anhänger. Er verdankt dies nicht allein einer rührigen techni-
schen Propaganda, sondern gewiß zum entscheidenden Teile der gemäß
der Überzeugung seiner Anhänger in ihm ruhenden Kraft, eine ganze
Zu­kunft zu beherrschen. Eine moderne Denkmalpflege wird daher mit
ihm, und zwar in allererster Linie mit ihm zu rechnen haben […]

4  Konrad Lange, Die Grundsätze der Modernen Denkmalpflege (1906)

Die neuen Vorstellungen eines notwendigen Prinzipienwandels in der


Denkmalpflege verteidigte auch der Kunsthistoriker und damalige Rektor
der Universität Tübingen, Konrad Lange, 1906 leidenschaftlich in einer

66
„Königsrede“, einer Festrede, die er zur Feier des Geburtstags König
­Wilhelms II. von Württemberg hielt:

In diesen Kreisen hat sich nun in den letzten Jahren, eben seit dem Auf-
kommen der modernen Richtung, ein völliger Umschwung in der Auf-
fassung von der Denkmalpflege vollzogen. Diese moderne Richtung
selbst hat sich bei uns nicht ohne englischen Einfluss entwickelt und so
sind auch auf unserem engeren Gebiete Ruskin und Morris die grossen
Anreger gewesen. Aber erst seitdem Gurlitt auf dem Dresdener Tage
der Denkmalpflege im Jahre 1900 diese Anschauungen, damals noch
unter dem heftigen Widerspruche der Majorität, vertreten hatte, haben
sich die neuen Ideen allmählich immer mehr eingebürgert. Noch sind
sie im Wesentlichen auf die Kreise der Fachleute beschränkt. Aber bald
werden sie auch beim großen Publikum Eingang finden. Ich will ver-
suchen, Ihnen den Kern dieser neuen Ideen in kurzen Zügen vorzufüh-
ren. […]
Für uns Kunsthistoriker hat, im Gegensatz zu den Architekten, der
­Neuheitswert eines Bauwerks als solcher nicht das geringste Interesse.
Ein rein technischer Neuheitswert, mit dem sich keine Selbstständig-
keit der Formen verbindet, ist in unseren Augen etwas handwerksmäs-
siges, woran die Kunst keinen Anteil hat. Für uns steht der Alterswert
an erster Stelle. Denn die Kennzeichen des Alters, die ein Bauwerk an
sich trägt, sind ja ein Beweis dafür, dass es wirklich das alte Denkmal
ist, das Denkmal, von dem uns die Urkunden berichten, an dem die Ge-
schichte der Stadt Jahrhunderte lang vorbeigerauscht ist, auf dem die
Blicke ihrer Bewohner Jahrhunderte lang geruht haben. Das lokal­
geschichtliche ­Interesse knüpft sich an das Original, nicht an die Jahr-
hunderte später angefertigte Kopie. Jeder Bürger, der Interesse für die
Geschichte seiner Stadt hat, sollte sich sagen, dass ein Denkmal in dem
Augenblick aufhört, historisch interessant zu sein, wo es nicht mehr das
alte Denkmal ist.
Nach unserer Auffassung ist die Ursprünglichkeit als solche eine Eigen­
schaft, die überhaupt durch nichts aufgewogen werden kann. […]
Gewiss, ein Original wird zu Grunde gehen. Alles auf der Welt nimmt
einmal ein Ende. Auch der Mensch muss sterben, wenn sich seine Zeit
erfüllt hat. Warum sollte ein Denkmal nicht sterben? Warum sollten wir
allein bei der Architektur in den natürlichen Prozess des Werdens und
Vergehens eingreifen, indem wir sie über ihre gegebene Lebensdauer
hinaus durch fortwährendes Kopieren zu erhalten suchten? Denn dar-

67
über kann ja kein Zweifel sein, dass nach abermals fünfzig oder hun-
dert Jahren eine neue Kopie nötig sein wird, weil die erste wieder bau-
fällig geworden ist. Und wie oft soll das in Zukunft wiederholt werden?
Glaubt man im Ernst, dass unsere Nachkommen auch nur das gering-
ste Interesse daran haben werden, die ewige Fortdauer einer von uns
hergestellten Kopie durch fortgesetzte Kopistenarbeit zu sichern?

5  Hans Gerhard Evers, Tod, Macht und Raum als Bereiche der
Architektur (1939)

Der Kunsthistoriker Hans Gerhard Evers definierte 1939 innerhalb eines


Aufsatzes über das bayerische Königsschloß Herrenchiemsee sehr präzise
den grundlegenden Unterschied zwischen einem Baudenkmal in seiner
­materiellen Substanz und den Ideen zur Umsetzung eines Plans:

Die Architektur ist materiell aus Stein oder einem entsprechenden Stoff,
und auch in den geistigen Gebilden, in den sublimsten Raumschöpfun-
gen bleibt doch dieser Teil des Materiellen, des Wirklichen ganz unver-
lierbar erhalten; er verwandelt sich nicht. Das Material ist nicht, wie
beim Bild, nur das Organon, auf dem dann die Musik ertönt, sondern
das Geistige der Architektur steckt eben in diesen Werten, steckt im
wirklichen und materiellen Dasein, es steckt im Stein.
Was ist wichtig am Würzburger Schloß? Die klare Existenz des Bau-
werks selber oder die Pläne, die die einzelnen Architekten geschickt
­haben? Das Bestreben, die wissenschaftliche Behandlung vom Bauwerk
selber abzulösen und in eine Beurteilung der verschiedenen Planungen
zu verwandeln, wird verhängnisvoll, wenn es übertrieben wird. Es
kommt dann dazu, daß ein Plan, den etwa Hildebrandt von Wien ge-
schickt hat, mehr Interesse in Anspruch nimmt, als das Bauwerk selber;
es kommt dazu, daß man vor lauter Plänen das wirkliche Vorhanden-
sein der Architektur gar nicht mehr wahrnimmt. In dem Falle des Würz-
burger Schlosses hat sich das zu einem Angriff auf Balthasar Neumann
verdichtet: das heißt soviel wie zu einem Angriff auf das Schloß selber,
von dessen wirklichem Dastehen die Leistung Neumanns untrennbar
ist. Aber demgegenüber muß hartnäckig betont werden, daß die Archi-
tektur die Kunst des wirklich Vorhandenen ist, die Kunst des wirklich
Gebauten, nicht die Kunst des Geplanten. Zum Dasein der Architek-
tur gehört die letzte Fuhre Sand und die letzte Taglöhnerstunde genau

68
so gut wie die Sitzung des Bauherrn mit seinen Mitarbeitern. In der
­ olitik spielen mit Recht die Utopien, die nur geplanten Staaten eine
P
geringe Rolle neben den wirklich geleisteten Staatsgründungen, – oder
vielmehr, sie werden in ein ganz andres Gebiet, das der Geistesgeschichte,
eingeordnet, wo zum Beispiel Platons Staat seinen Platz hat. In gleicher
Weise gehört die bloße Planung der Architektur in die Geistesgeschichte,
in der Geschichte der Architektur hat sie keinen Anspruch auf Geltung.
Die Idee, daß diejenige Architektur, die nicht gebaut wurde, eigentlich
die beste sei, ist die Vorstellung eines Dichters. Architektur kann ihrem
Wesen nach von der wirklichen Existenz nicht getrennt werden.

6  Georg Lill, Um Bayerns Kulturbauten. Zerstörung und Wiederaufbau


(1946)

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Georg Lill, da-
mals Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege,
eine erschütternde Bilanz, in der der Zorn über das nationalsozialistische
Regime, die Trauer über das Ausmaß der Zerstörungen, die Verzagtheit vor
der schier unermeßlichen Aufgabe des Wiederaufbaus und der Wunsch,
doch noch einiges von der ursprünglichen Fülle der Baudenkmäler retten
und wiederherstellen zu können, als beispielhafte Analyse des damaligen
Denkens und Wünschens gelten können:

Es gab ein Völkerrecht, und vorgekommene Ausnahmen beweisen nur


den Erfolg solcher Regelungen. Erst die ins Dämonische gesteigerte
Machtfülle der technischen Maschine war die große Versucherin, sich
über jedes menschliche Mitgefühl hinwegzusetzen, alles bis herunter
zur armseligen Näherin als Kriegspotential zu erklären, im totalen Krieg
den totalen Sieg und die totale Weltherrschaft zu erstreben oder andern-
falls die totale Vernichtung. Was wollten da noch diese Bauten aus ver-
gangenen Zeiten, was wollten Ansichtskarten-Attraktionen, was sollte
da noch Ehrfurcht und Pietät vor historischen Stätten, religiösen Kult-
bauten? Sie durften den Siegeslauf nicht im geringsten hemmen. Weg
mit ihnen, wenn sie dem Kriegstank im Wege standen! Außerdem h ­ aben
nicht Leute wie Goebbels, die angeblich nur für die Reinheit und Ewig-
keit deutscher Kultur ihre gigantischen Organisationen schufen, selbst
gesagt, daß man all diese Bauten in zwei bis drei Jahren wieder aufbauen
könne? Material und Arbeitskräfte wären ebenso zu organisieren, wie

69
man die Betonwälle organisiert hätte. Oder andere meinten, es wäre nur
eine Geldfrage, ob man eine Basilika aus altchristlicher Zeit genau so
schön wieder herstellen könne. Wie wenige haben einen Begriff davon,
von welch komplizierten Imponderabilien jegliche eigenständige Kul-
turperiode, jeder schöpferische Kulturausdruck abhängt, daß schließ-
lich Geld und Baustoffe sekundäre Bedeutung haben, wenn eines fehlt:
der nur in einer ganz bestimmten Zeitprägung einmal gegebene Geist,
der Geist, der den Gesamtwillen eines Volkes zum Werk, die Idee des
Künstlers und schließlich auch den letzten Handgriff des Handwerkers,
der auch nur den Stein bearbeitet, bestimmt. So konnte es kommen, daß
man sich mit hemmungsloser Leichtfertigkeit darüber hinwegsetzte,
welche Verluste an unersetzlichem Kulturwerk eintreten würden, wenn
man einen totalen Krieg entfesselte. […]
So wurde uns Überlebenden das geradezu phantastische Problem des
Wiederaufbaus aufgezwungen, eine Aufgabe, wie sie bei dem Umfang
der Zerstörungen, die bis in tiefste Fundamente reichen, noch niemals
einer Zeitperiode gestellt war. Dadurch, daß wir heute uns bewußt sind,
wenigstens in maßgebenden Schichten, welch unersetzlichen Wert alte
Kunst und Kultur für ein Volk auch in späteren Zeitfolgen bedeutet,
wird das Problem nur verschärft, nicht erleichtert. Und dies Problem
wird nicht nur bei uns aufgeworfen, son­dern bewegt das ganze kulti-
vierte Europa.

7  Friedrich Mielke, Das Original und der wissenschaftliche


Denkmalbegriff (1961)

Friedrich Mielke, Professor für Denkmalpflege an der TU Berlin, verfaßte


1961 einen sehr prägnant formulierten Aufsatz zum Problem der Rekon-
struktion, der große Beachtung fand:

[…] Die Stärke des Bauwerks liegt also in der materiellen Ursprüng-
lichkeit der Substanz und der sich naturgesetzmäßig vollziehenden, von
Inter­pretationen unabhängigen Alterung (gewaltsame Veränderungen
durch Schaden oder Umbau sollen hier unberücksichtigt bleiben). Diese
Eigenschaft der von Reflexionen unabhängigen Materie ist die stärkste
Stütze der bauwissenschaftlichen Forschung, deren Erkenntnis auf das
Studium des Materials, seiner Struktur und der an die Entstehungszeit
gebundenen Behandlung angewiesen ist. Nicht allein die Handschrift

70
des Künstlers, auch die Handschrift des Handwerkers lesen zu können,
ist für die Forschung wichtig und erlaubt Datierungen. Solange wir das
Baudenkmal als Urkunde betrachten, kann auf den Originalzustand der
Bausubstanz nicht verzichtet werden.
Man wird einwenden wollen, daß nicht nur dem Material, sondern auch
dem Baugedanken, der schöpferischen Idee, ein Originalitätswert zu-
zusprechen ist. Ganz zweifellos, doch leider endet die Durchführung
dieser These, sobald sie den Materialwert negiert, in bedenklichen Kon-
sequenzen. […]
Man kann sich nicht vornehmen, ein Denkmal zu machen, oder was
hier das gleiche ist: nach­zumachen. Ein Denkmal ist etwas Geworde-
nes. Es ist gebunden an Geburtsort und Geburtszeit. Es brauchte seine
Zeit, seine Geschichte, seine Tradition, um von einem Bauwerk unter
vielen im Laufe einer langen Entwicklung zu einem Denkmal zu wer-
den, oder anders ausgedrückt: der Denkmalwert setzt sich zusammen
aus dem Qualitätsbegriff auf der Basis des originalen Zustandes, ver-
bunden mit dem Zeitwert der Geschichte oder Tradition. Noch kürzer:
Der Denkmalcharakter wird bestimmt durch Originalität, Qualität und
Zeitwert.
Wollten wir die Idee und ihre vom Traditionsfaktor unabhängige Ver-
wirklichung als Grundlage der Denkmaleigenschaft eines Bauwerkes
ansehen, so müßte allen Reproduktionen ohne Rücksicht auf den Ort
und die Zeit ihrer Entstehung, ja unabhängig sogar von der Anzahl der
Kopien, ein Denkmalcharakter zugestanden werden. Wer wollte wohl
ein Duplikat der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen, wenn es auch ori-
ginalgetreu nach den alten Bauplänen errichtet würde, dem Original im
Denkmalwert gleichsetzen? Ein grotesker Gedanke: überall, wo eine
vortreffliche Wallfahrtskirche gebraucht wird, peinlich exakte Kopien
von Vierzehnheiligen zu errichten – und als Denkmale unter Schutz zu
stellen. […]
Eine Anerkennung der Planidee als alleinige Grundlage des Denkmal-
charakters bedeutet, daß eine Vervielfältigung unabhängig von Ort und
Zeit möglich ist. Jede Vervielfältigung aber mindert den Wert des Ob-
jektes beträchtlich. Die unwiederbringliche und unreproduzierbare Ein-
maligkeit des Origi­nals dagegen gibt dem Bauwerk allein den Wert, der
ihm als Kulturbesitz unseres Volkes zukommt. […]
Wissenschaftliche Forschung und Wertung können nur vom Original
ausgehen, von einem Originalzustand, bei dem weder der Bauplan, die
Idee, noch die Ausführung und die materielle Substanz das alleinige Pri-

71
mat besitzen. Beide zusammen, verbunden mit der Forderung, daß das
Bauwerk sich noch in situ befinde, also auch seinen ursprünglichen
Standort beibehalten hat, bilden die Basis für eine sichere Wertung, die
durch spätere Ereignisse wohl modifiziert, nicht aber grundsätzlich
­erschüttert werden kann.

8  Werner Schiedermair, Rechtliche und gesetzliche Grundlagen für Kopie


und Rekonstruktion in der Baudenkmalpflege (1983)

1983 suchte Werner Schiedermair, damals Jurist beim Bayerischen Landes-


amt für Denkmalpflege, anläßlich einer Tagung, den Begriffswirrwarr beim
Thema Rekonstruktion aus der Sicht des Gesetzgebers zu klären:

Die Ko­pie ist die Nachbildung eines noch bestehenden Baudenkmals


oder eines Teils davon. Die Rekon­struktion ist die Nachbildung eines
verschwundenen Baudenkmals oder eines Teils davon. Kopie­ren und
Rekonstruieren haben die Schaffung neuer Objekte zum Gegenstand
und unterscheiden sich daher grundständig von Konservierung und
­Restaurierung als Maßnahmen der Substanzerhal­tung. […]
Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, ob Kopien und Rekonstruk-
tionen Baudenkmäler sein kön­nen. Ausgangspunkt aller Überlegungen
muß der gesetzlich festgelegte Denkmalbegriff sein, der in einem rechts-
staatliehen Gemeinwesen Auftrag und Grenze für die Tätigkeit der
staatlichen Denk­malpflege ist. Er ist in allen Denkmalschutzgesetzen
der BRD inhaltlich in etwa gleich definiert. Stellvertretend für alle
­Definitionen sei die Formulierung des rheinland-pfälzischen Denkmal-
schutzgesetzes zitiert: Danach sind Kulturdenkmäler Gegenstände aus
vergangener Zeit, die Zeugnisse, insbesondere des geistigen oder künst-
lerischen Schaffens oder des handwerklichen oder technischen Wirkens,
Spuren oder Überreste menschlichen Lebens oder kennzeichnende
Merkmale der Städte und Gemeinden sind und an deren Erhaltung
und Pflege aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder städtebaulichen
Gründen, zur Förderung des geschicht­lichen Bewußtseins oder der
Heirnatverbundenheit oder zur Belebung und Werterhöhung der Um-
welt ein öffentliches Interesse besteht.
Wesentlich ist zu erkennen, daß ein Gegenstand danach vier Bedingun-
gen erfüllen muß, um ein Denkmal zu sein.
1.  es muß sich um ein Objekt aus vergangener Zeit handeln

72
2.  es muß eine Wertigkeit, eine Bedeutung besitzen und eng damit zu-
sammenhängend,
3.  es muß ein öffentliches Interesse an seiner Erhaltung bestehen.
4.  Dazu kommt ein weiteres Merkmal, das in keinem Denkmalschutz-
gesetz ausdrücklich erwähnt ist, das aber nach einhelliger Meinung so-
wohl der Denkmalpflegetheorie wie auch der inzwi­schen anwachsen-
den Rechtsprechung allen drei erwähnten Kriterien immanent ist, die
Echt­heit des Gegenstands, die „Originalität“. […]
Jedes Gebäude muß, wenn es Baudenkmal sein soll, die erwähnten vier
Kriterien erfüllen.
Unerheblich ist dabei, ob es sich um ein Einzelbaudenkrnal, eine bau-
liche Gesamtanlage, um eine Denkmalzone oder nur um einen Teil
­eines Baudenkmals handelt. Auch eine Kopie und eine Rekonstruktion
kann nur dann ein Baudenkmal sein, wenn es die erwähnten Kriterien
erfüllt. Aus juristischer Sicht ist hier zu ergänzen, daß es sich bei die-
sen Merkmalen durchweg um unbe­stimmte Rechtsbegriffe h ­ andelt, die
der ­uneingeschränkten Überprüfung durch die Gerichte unter­liegen.

9  Achim Hubel, Denkmalpflege. Geschichte – Themen – Aufgaben


(2006)

Der folgende Beitrag faßt den Inhalt mehrerer Publikationen seit 1993 zu-
sammen und trägt die wichtigsten Argumente vor, die gegen die Rekon-
struktion von Baudenkmälern sprechen:

Das große Interesse, das Baudenkmäler heute allgemein finden, weckt


in vielen Bürgern den Wunsch, auch in einem alten Haus leben zu kön-
nen, oder sie favorisieren wenigstens Gebäude, die so aussehen als wenn
sie alt wären. Mittlerweile gibt es Gegenden, wo zwischen neu errich-
teten, historisierenden Häusern mit Erkern und Giebeln, Sprossenfen-
stern, Butzenscheiben, Fachwerkdekorationen, Stuckelementen usw.
die aus älterer Zeit stammenden Gebäude gar nicht mehr auffallen. In
ähnlicher Weise stören sich viele Menschen am Wiederaufbau der im
Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte, den sie als wenig identitätsstiftend,
oft sogar als häßlich empfinden. Deshalb wünschen sie sich Baudenk-
mäler zurück, die damals verloren gingen, aber nicht wiederaufgebaut
wurden. […] Man muß sich allerdings klar machen, daß man Baudenk-
mäler weder zurückgewinnen noch neu produzieren kann, weil all die-

73
sen Ersatzbauten das Kriterium des Alters und damit der Echtheit fehlt.
Um die Konsequenzen aus dieser Feststellung zu verdeutlichen, ist
­etwas weiter auszuholen. Vor allem ist jedes Denkmal an die materielle
Substanz gebunden, aus der es besteht und die seine Existenz erst er-
möglicht. Sie läßt uns den Prozeß der Entstehung und Bearbeitung des
Denkmals nachvollziehen, zeigt aber auch die Spuren der Zeit, die seit
der Fertigstellung vergangen ist, berichtet von Umbauten, Veränderun-
gen und Funktionswandlungen, vom Schicksal der Bewohner und
­Benutzer, von guten wie schlechten Phasen. Diese Bindung an die
­Materie wird bei allen Bildkünsten selbstverständlich anerkannt. Ge-
mälde, Skulpturen und alle Leistungen des Kunstgewerbes gelten nur
dann als echt, wenn sie direkt von den betreffenden Künstlern geschaf-
fen worden sind und aus deren Zeit stammen. […]
Merkwürdigerweise wird dagegen bei Werken der Baukunst oft die Mei-
nung vertreten, sie seien nicht an das Material gebunden. Architektur
entstehe im Kopf des Baumeisters, der seine Ideen in Planzeichnungen
überträgt, und deren Umsetzung würden Handwerker ausführen. Da-
bei wäre es eher unwichtig, ob die Ausführung zur gleichen Zeit oder
viel später erfolge; somit könne auch ein Neubau aus unserer Zeit nach
den alten Plänen als Original bezeichnet werden. Dagegen ist eindeu-
tig festzustellen, daß jedes Bauwerk aus immateriellen und materiellen
Leistungen besteht. Die immateriellen Anteile entstehen vor allem im
Vorfeld des Bauprozesses, wenn der Architekt die fiktiven Ideen des
Bauherrn in funktional wie künstlerisch überzeugende Pläne verwan-
deln muß. Dabei hat der Architekt aber neben den Wünschen des Bau-
herrn viele andere Komponenten zu berücksichtigen, die speziell für
den Ort und die Zeit der Entstehung charakteristisch sind. Außer der
Frage der vorhandenen Geldmittel spielen das zu bebauende Grund-
stück, dessen topographische Einbindung in die Umgebung und die
vorhandene Nachbarbebauung eine große Rolle, ebenso wie Bauvor-
schriften berücksichtigt werden müssen. Früher hatte der Architekt
auch die in der Region vorhandenen Baumaterialien zu verwenden, weil
Transporte über weite Strecken hin unerschwinglich teuer waren. Da-
mit sind wir jedoch längst bei den materiellen Gegebenheiten angelangt,
denen sich der Architekt zu stellen hatte. Denn er war auch dafür ver-
antwortlich, wie seine Planzeichnungen umgesetzt wurden: Maurer
mußten gekurvte Wandschalen und komplizierte Gewölbe errichten,
Steinmetzen hatten Werksteine zu bearbeiten und die gewünschten
Oberflächenstrukturen zu liefern, Bildhauer mußten die Bauplastik rea-

74
lisieren, Zimmerleute hatten den Dachstuhl zu errichten und lieferten
dabei oft Meisterleistungen der Holzbaukunst, Stuckateure formten die
Dekoration, Maler gestalteten die farbige Fassung der Raumschale, oft
genug mit dekorativen und figürlichen Gemälden usw. Darüber hinaus
mischte sich der Bauherr – damals wie heute – ständig ein und wünschte
Planänderungen, Zugfügungen oder Abstriche entsprechend den Finanz­
mitteln, nahm Einfluß auf die Auswahl der beteiligten Handwerker
wie Künstler und bestimmte bis hin zur Farbgebung viele Details der
Ausführung. Ein Gebäude ist mithin nicht einfach das Ergebnis der
­Umsetzung eines Plans durch hierfür geeignete Handwerker, sondern
das Produkt einer kontinuierlichen, mehr oder weniger fruchtbaren
Auseinandersetzung zwischen Architekt und Bauherr, die bis zur Fer-
tigstellung dauert. Nicht umsonst haben sich viele Baudenkmale vom
Ausführungsplan bis zur Vollendung grundlegend verändert, da ein viel-
schichtiger Ideenaustausch zwischen Architekt, Bauherr, Handwerkern
und Künstlern die ideale endgültige Raumgestalt finden half.
Nach diesen Überlegungen wird vielleicht deutlicher, warum jedes Bau-
werk einmalig ist. Die geschilderten Konstellationen zwischen allen am
Bau Beteiligten können nicht wiederholt werden; zusammengenommen
begründen sie den Faktor „Echtheit“, der das fertige Bauwerk kennzeich-
net. Deshalb ist ein Baudenkmal nicht nur ein Dokument, das über den
Architekten und alle anderen Bauleute Auskunft gibt, sondern auch eine
historische Primärquelle zu den Vorstellungen und dem Umfeld des Bau-
herrn sowie seinen gesellschaftlichen Bedingungen. Darüber hinaus gibt
das Gebäude Zeugnis, wie sich die nachfolgenden Generationen mit der
materiellen Substanz auseinandergesetzt haben. Alle diese geschilderten
Merkmale lassen sich nicht reproduzieren oder gar rekonstruieren. Um-
gekehrt kann man viele Einzelheiten des Bauprozesses, auch Planände-
rungen sowie das spätere Schicksal des Gebäudes, mit den Methoden der
Bauforschung analysieren, selbst wenn es – wie so oft – keine schriftli-
chen Unterlagen gibt. Erst am Anfang stehen dabei die Möglichkeiten
naturwissenschaftlicher Untersuchungen, wie sie etwa die Dendrochro-
nologie für das genaue Datieren von Hölzern liefert. Da sich die Frage-
stellungen ständig erweitern und die Techniken schnell vervollkomm-
nen, können wir nicht absehen, mit welchen ­Interessen und Kenntnissen
spätere Generationen sich unseren Baudenkmälern nähern werden. Die
Existenz des Originals ist hierfür selbstverständlich Voraussetzung.
Deshalb ist die Authentizität das entscheidende Kriterium für die An-
erkennung eines Bauwerks als Denkmal. Nur die erhaltene materielle

75
Substanz verbürgt den Denkmalwert; sie ist sowohl Träger der geisti-
gen Schöpfung als auch des Werdens und Daseins des Werks. Da-
bei muß es sich nicht ausschließlich um die Substanz aus der Entste-
hungszeit des Baus handeln; auch spätere Epochen hinterließen ihre
Spuren, die ebenfalls längst Denkmalcharakter erlangt haben können.
Gerade dies trägt aber auch zur Unverwechselbarkeit und Einzigartig-
keit des Denkmals bei. Die Gesamtheit dieser historischen Substanz
ist in entscheidendem Maße, wenn nicht sogar fast ausschließlich, für
die Definition als Denkmal verantwortlich; mit dem Verlust der Sub-
stanz erlischt die Existenz des Denkmals. Sein Urkundencharakter, der
seinen historischen Wert begründet, kann nicht in eine Nachbildung
­übergehen.

10  Marion Wohlleben, „Es sieht so aus, als sei nichts gewesen!“ Gedanken
zur Rekonstruktionsdebatte (1997)

Unter dem Eindruck der schier ausufernden Rekonstruktionswelle fragte


Marion Wohlleben 1997 nach deren Hintergründen und forderte die ethi-
sche Integrität im Umgang mit Denkmälern ein:

Die große Mehrzahl der Fachleute (und übrigens auch der Nichtfach-
leute) stand und steht Rekon­struktionen kritisch bis ablehnend gegen-
über, und das auch heute noch, wo sie geradezu eine Modeerscheinung
geworden sind. Zwar gibt es Denkmalpfleger, die im Rekonstruieren
eine verlockende und durchaus vertretbare Möglichkeit sehen, ein bau-
liches Problem „auf elegante Weise“ zu lösen. Die Mehrheit ist sich aber
darin einig, daß die Rekonstruk­tion zerstörter und seit längerem ver-
schwundener Denkmäler (seien dies nun Bau-, Stadt­- oder Gartendenk-
mäler) nicht zum Auftrag der Denkmalpflege gehört, sondern daß sie
ihren eigentlichen Aufgaben und Zielen widerspricht. Werden Bauten
dennoch, gegen die Über­zeugung der Mehrzahl der Fachleute rekon-
struiert (es ist hier weder die Rede vom Restau­rieren noch vom Repa-
rieren, sondern vom Neubauen nach einem historischen Vorbild), dann
dürfen wohl außerfachliche Motive angenommen werden. Neben der
Erwartung größerer Touristen- und Käuferzahlen und des damit ver-
bundenen materiellen Gewinns sind dies vor allem Prestigegründe –
persönliche, geschäftliche oder behördliche. Es geht also um das Image
(einer Gegend, eines Ortes, eines Unternehmens), dessen Wert man

76
durch die Rekonstruktion eines früheren Bauwerks zu steigern meint.
Wo aber Imagefra­gen auf dem Spiel stehen oder zu stehen scheinen, dort
ist offenbar die Versuchung groß, einen gewollten Neubau eher in
­alten als in neuen Formen zu erstellen. In dem Wunsch, Altes zu
­rekonstruieren, scheinen sich aber vor allen Dingen die Ablehnung
­zeitgenössischer Architektur und das Bedürfnis nach Verdrängung zu
treffen. Verdrängt werden unbe­queme Erinnerungen, wie sie der
schmerzhafte oder gar schuldhafte Verlust von Vertrau­tem darstellt. Bei
der von ­Margarete und Alexander Mitscherlich analysierten Kriegs- und
Nachkriegsgeneration steht dieses Verdrängungspotential im Zusam-
menhang mit der Unfähigkeit zu trauern – und Abschied zu nehmen.
Nun liegt es freilich nicht in der Macht von Denkmalpflegerinnen und
Denkmalpflegern, individuelle oder kollektive psychische Strukturen
zu verändern. Sie können nur aufklärend daran mitwirken, daß Ge-
schichte in Erinnerung gerufen beziehungsweise wachgehalten wird –
und zwar die ganze Geschichte mit ihren genehmen und unangeneh-
men Kapiteln. Wo jedoch unbequeme Kapitel geschönt oder gar
eliminiert werden, indem ein für weniger problematisch gehaltener frü-
herer Zustand auf Kosten eines jüngeren wiederhergestellt wird, wo
also Geschichte bewußt manipuliert wird, müssen Denkmalpfleger auf
Distanz gehen. Anders als Politiker haben sie nicht nur kurzfristige Ent-
scheidungen für die unmittelbar Beteiligten zu treffen und zu begrün-
den; sie sind der Gesellschaft grundsätzliche und langfristige Entschei-
dungen schul­dig. […]
Daß man im Dialog mit Zer­störtem Neues schaffen kann, mit Respekt
für das Bestehende wie für das erfahrene Schick­sal, das haben viele
Archi­tekten nach dem Krieg bewiesen. Diesen Dialog zwischen zer­
störtem Alten und Neuem, aber auch denjenigen zwischen Architek-
ten und Denkmalpfle­gern gilt es (wieder-)herzustellen. Manchem
­mögen zwar Rekonstruktionen als die Wahl des „kleineren Übels“ er-
scheinen, in Wirklichkeit sind sie jedoch Flucht aus der Verantwortung.
Es komme darauf an, „das Vorhandene nach Möglichkeit zu bewahren,
das Vergangene zu erinnern, das Gegenwärtige aber mit den Mitteln
und den Kräften unserer Zeit zu bewälti­gen“, sagte der Publizist W
­ erner
Strodthoff 1992. Das Rekonstruieren aber, so meinte Hanno-Walter
Kruft 1993, sei viel weniger ein technisches Problem als ein ethisch-
mora­lisches, in seiner jeweiligen historischen Dimension. Dieses führt
aber direkt in die Ge­schichte unserer Disziplin und in eine Debatte, die
so alt ist, wie die Denkmalpflege selber. […]

77
Fragen der Ethik scheinen zur Zeit, anders als unmittelbar nach dem
Zweiten Weltkrieg, nicht gerade Konjunktur zu haben. Auch darin
gleicht Denkmalpflege anderen gesellschaftsrelevanten Disziplinen.
Gleichzeitig formieren sich aber auf Druck der Öffentlichkeit Ethik-
kommissionen, die Wissenschaftler und Politiker auffordern, die ethi-
schen Grundlagen ihres Handelns offenzulegen und langfristige Fol-
gen in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen. Neben die Machbarkeit
sind inzwischen die Fragen nach der Umwelt­verträglichkeit und Nach-
haltigkeit getreten. Denkmalpflegerische Maßnahmen hätten entspre-
chend noch den Nachweis ihrer Geschichtsverträglichkeit zu erbrin-
gen. Solange aber technische Machbarkeit, sogenannte Sachzwänge
und populistische Verschönerungswün­sche im Vordergrund stehen,
­öffentlich propagiert und gefördert werden, solange werden Werte wie
Geschichte, Alter, Würde, Patina oder Einfachheit als unbequem oder
störend empfunden und unverstanden bleiben, um so mehr wenn sie
von Krieg, Schuld, Leid und Tod zeugen können. […]
Mehr und deutlicher als bisher müssen Denkmalpfleger wohl die über-
tragene Verantwor­tung für die Tradierung der historischen Bauten als
wichtige Geschichtszeugen übernehmen und gegen die oft laut- und
­finanzstarken Gruppen verteidigen, die mit partikularen Interessen (Pre-
stige, Tourismus, Bauwirtschaft) auf Fachleute und öffentliche Meinung
massiv Einfluß nehmen. Mit der Beschreibung der pluralistischen
­Oberfläche der Gesellschaft oder dem Ausruhen im „postmodernen
Denkmalkultus“ kann es jedenfalls nicht sein Bewenden haben. Statt-
dessen ist der zunehmenden Orientierungslosigkeit, den Mißverständ-
nissen und falschen Erwartungen mit der längst fälligen Umsetzung von
Grundüberzeugungen zu begegnen, wie sie seit einigen Jahren auch von
Ökologen erfolgreich propagiert werden: sparsamer Umgang mit Res-
sourcen, Denken und Handeln in großen Zusammenhängen sowie nach-
haltiges Wirtschaften. Denkmalpflege hat es mit Geschichtszeugen als
einma­ligen, nicht erneuerbaren Ressourcen zu tun, die aufgrund ihrer
Empfindlichkeit und vor allem aufgrund ihrer Endlichkeit besondere
Schonung, Schutz und Pflege verdienen. Mit der Behauptung, sie belie-
big wieder aufführen und wiederherstellen zu können, betrügt man die
Gesellschaft um wertvolle Ressourcen.

78
11  Hans-Rudolf Meier, Paradigma oder die Büchse der Pandora? (2009)

Hans-Rudolf Meier analysiert in einem 2009 erschienenen Aufsatz die


­Motivationen und Argumente, die zum Wiederaufbau der Dresdner Frauen­
kirche führten, beschäftigt sich aber auch grundsätzlich mit der auf die-
sen Wiederaufbau eigendynamisch folgenden Rekonstruktionssucht in
­Dresden (und anderswo):

Aus der Frage nach Sinn und Berechtigung von Rekonstruktionen re-
sultiert umgehend die Frage danach, wie wieder errichtete „historische
Gebäude“ aussehen sollen. Dabei ist zumindest kurz auf jenes Objekt
einzugehen, das Mitte der 1990er Jahre, als die Debatte über pro und
kontra Wiederaufbau der Frauen­kirche längst entschieden war, noch
einmal die Emotionen hoch kochen ließ und da­durch zu Dresdens Ruf
als Rekonstruktionsmetropole beigetragen hat: Das Residenzschloss,
in Zusammenhang mit dessen Rekonstruktion Falk Jäger 1995 in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung von „Erfindung der Geschichte“
sprach und damit heftige Reak­tionen provozierte. Auch in diesem Fall
soll nicht der Konflikt nachgezeichnet, son­dern nur ein Teilbereich
­rekapituliert werden, damit das Problem sichtbar wird.
Wie erwähnt, hatte die Dresdner Denkmalpflege seit Kriegsende die
Schlossruine listen- und erfolgreich verteidigt; seit 1960 wurde konkret
über das Rekonstruktions­vorhaben nachgedacht und dabei wurden ver-
schiedene Konzeptionen durchdiskutiert. Das Schloss war 1889–1901
zum letzten Mal umfassend erneuert worden, wobei man die Fassaden
mit einer historistischen Neurenaissance-Dekoration vereinheitlichte.
Im Krieg wurde ein Großteil dieser Oberflächen zerstört. Das ver­
anlasste die Verantwortlichen, im großen Schlosshof „auf das sechzehnte
Jahrhundert zurückzuge­hen“, wofür stark geschädigte Reste jüngerer
Anbauten zu opfern waren. Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der Innen-
hof durch oberitalienische Künstler ein ungewöhn­lich reiches Bild­
programm in Sgraffito-Technik erhalten, das allerdings bereits 1701
bei ­einem Grossbrand zerstört worden war. Dementsprechend hat man
nur ungenaue Vorstellungen vom einstigen Programm, die Magirius wie
folgt charakterisiert: „Von der Entfaltung einer Welt von Bildern und
Bildwerken an den Fassaden des Dresdner Schlosses kann man sich
heute nur noch schwer eine Vorstellung machen. Stiche und Gemälde
des 17. Jahrhunderts geben davon eine Andeutung, aber schon den
Chronis­ten dieser Zeit war Bedeutung und Sinn dieser Bilderfülle nicht

79
mehr recht verständ­lich. Die vorhandenen Unterlagen würden wohl
selbst bei Aufwendung vieler gelehrter Mühe nicht ausreichen, die
­geistige Konzeption zu ergründen, geschweige denn, ihre künstlerische
Aussage zu würdigen.“
Dennoch sind seit 1991 freie Nachschöpfungen in Sgraffito-Technik
entstanden, deren Programm und Motive nach diversen Vorlagen frei
kompiliert wurden. Glaser und Magirius schreiben in ihrer Replik auf
Jägers Vorwurf von der „Erfindung der Ge­schichte“ dazu: „Natürlich
ist das kein denkmalpflegerischer Akt. Eine solche Fassadenbekleidung
wird sich allein aus ihrer künstlerischen Bewältigung rechtfertigen.
Tut sie es nicht, kann die Großprobe jederzeit übertüncht [ … ] werden.
Sie steht, um zu sehen, ob der Gedanke trägt.“
Wie aber vermittelt man der breiten Öffentlichkeit, dass es sich hierbei
nicht um eine Rekonstruktion handelt – zumal wenn etwa Matthias
Zahn in seinem instruktiven Bei­trag in den Dresdner Heften von der
„Rekonstruktion der Renaissancesgraffiti“ berichtet – und wie, dass es
sich schon gar nicht um Denkmalpflege, sondern um einen Groß­
versuch handelt, der allerdings von Denkmalpflegern geleitet wird?
Das sind keine rhe­torischen Fragen, sondern solche, die aus der alltäg-
lichen Erfahrung mit den Schwierig­keiten der Denkmalvermittlung
­resultieren.
Rekonstruktion selektiert. Die Selektion ist ein Problem jedes restau-
rierenden Han­delns am Denkmal: fast immer ist zu entscheiden, was
zu tun ist und damit auch, was zu belassen und was aufzugeben ist. Je
großräumiger und konsequenter dabei die Ver­einheitlichung in Formen
einer vergangenen Epoche angestrebt wird, desto auffälliger wird die
Konstruktion einer in aller Regel so nie dagewesenen Harmonie zu
­Lasten der vielfältigen und widerspruchsreichen Geschichte.
Das zeigt sich auch am Dresdner Neumarkt, wo nach dem Wiederauf-
bau der Frauen­kirche nun auch ihr städtebauliches Umfeld stilgerecht –
wenn auch nur bezogen auf die äußere Hülle – rekonstruiert werden
soll. Möglicherweise war die Fest­legung und Rekonstruktion von so
genannten Leitbauten tatsächlich eine Vorausset­zung, um die Investo-
ren zur Kleinteiligkeit zumindest der Fassaden zu zwingen und damit
eine der Situation angemessene Maßstäblichkeit erreichen zu können.
Wenn dabei aber mit dem Hotel de Saxe ein Bau neuerdings wieder er-
richtet wurde, der keineswegs dem Krieg zum Opfer gefallen, sondern
bereits im 19. Jahrhundert abgebrochen und durch einen historistischen

80
Neubau ersetzt worden war, zeigt sich auch, dass es weniger um Re-
konstruktion, sondern um die Konstruktion eines Wunschbildes jen-
seits histo­rischer Realität geht. Wie sehr dabei das Verlangen nach Ein-
heit und Homogenität mit dem Ausschluss alles Abweichenden und
Anderen einher geht, zeigten erschreckend anschaulich der Fanatismus
und die Intoleranz, welchen Exponenten anderer Vorstellungen in den
öffentlichen Diskussionen zur Bebauung des Dresdner Neumarkt in
den letzten Jahren ausgesetzt waren.
Aus der Sicht der Denkmalpflege scheint mir noch etwas Anderes be-
denklich: Die neuen „historischen“ Gebäude sind so ungemein prak-
tisch und benutzerfreundlich, dass die alten Überreste dagegen als eher
störend abfallen: So mussten die Reste des wirklich „historischen Neu-
markts“ den Tiefgaragen der Nachbauten weichen, und so dämmert
­einige hundert Meter vom neubarocken Hotel de Saxe das wirklich
­barocke Hotel Stadt Leipzig seinem Ende entgegen, da es niemals
so leicht modernen Konsumbe­dürfnissen angepasst werden kann wie
ein Neubau. Im seltsamen Gleichschritt schreitet mit der oberirdischen
­Rekonstruktion verlorener Gebäude die Elimination der unterirdi-
schen Reste der alten Stadt einher. Man kann von einer zweiten Ent-
trümmerungswelle sprechen, denn dieser Furor des Bereinigens von
störenden Fragmenten und der uneingeschränkten Nutzbarmachung
für gerade aktuelle Bedürfnisse ist nicht auf den Neumarkt beschränkt,
wo dieses Vorgehen immerhin noch intensiv und kontrovers disku-
tiert wurde. Dagegen hat man jüngst am Altmarkt die Überreste des
ältesten Dresd­ner Ratshauses zusammen mit den Bebauungskanten
des barocken Platzes in aller Stille zugunsten einer Tiefgarage „archäo-
logisch entsorgt“.
Interessant wird auch sein, wie zukünftige Generationen mit den Re-
konstruktionen und historisierenden Neubauten von heute umgehen
werden: wird man sie wie die Bau­ten des Historismus des 19. im 20. Jahr-
hundert als ungeliebte Denkmale missachten? Oder wird man sie im
Sinne der konservierenden Denkmalpflege, d. h. unter Wahrung der Spu-
ren der Zeit – und damit als authentische Zeugnisse der Bau- (d. h.
Rekonstruk­tions-)zeit – pflegen, sich dadurch aber auch mit dem sehr
unterschiedlichen Alterungs­verhalten der verwendeten Materialien be-
schäftigen müssen? Oder werden diese Bauten immer von neuem auf
„alt“ erneuert und damit gewissermaßen zu Untoten, zu Zom­bies des
Barock?

81
12  Thomas Will, Die Autorität der Sache. Zur Wahrheit und Echtheit
von Denkmalen (2006)

In seinem 2006 publizierten Beitrag geht Thomas Will – unabhängig von


konkreten Beispielen – prinzipiell auf die Kriterien der Einmaligkeit, der
Wahrheit und der Echtheit ein, die wesentlich den Charakter eines Bau-
denkmals ausmachen:

Für die Unbedingtheit und Einmaligkeit des Denkmals gibt es neben


der von Dehio ins Feld geführten Argumentati­onslinie des historischen
Dokuments aber weiterhin die zweite und ältere: die des unersetzlichen
und unverän­derlichen Kunstwerks. Es bildet nicht Wahrheit (im Sinne
von historischer Realität) ab, sondern schafft seine eigene, überzeit­
liche Wahrheit. […]
Nun ist längst nicht jedes Kulturdenkmal ein Kunst­werk, und doch
wird es zum Denkmal auf Grund von Eigenschaften, die es mit dem
Kunstwerk vergleichbar machen – gerade hinsichtlich seiner substan­
tiellen Wahr­heit. Benjamins berühmter Text über das Kunstwerk zeigt
an seiner SchlüsselsteIle genau diese Parallele (Einmalig­keit, Echtheit,
geschichtliche Zeugenschaft). Im Kunstwerk ist, nach Hans-Georg
­Gadamer, „eigentlicher [ …] da, worauf verwiesen wird. Mit anderen
Worten: Das Kunst­werk bedeutet einen Zuwachs an Sein.“ […]
So unterscheidet sich das Kunstwerk von anderen Pro­dukten: diese sind
keine Werke, sondern Stücke, wieder­holbar, ersetzbar. Das Kunstwerk
dagegen ist unersetzlich, auch im Zeitalter der Reproduzierbarkeit, in
dem wir ste­hen. „In der Reproduktion als solcher ist nichts mehr von
dem einmaligen Ereignis, das ein Kunstwerk auszeichnet […]. Wenn
ich eine bessere Reproduktion finde, werde ich die ältere durch sie
­ersetzen.“ Diese Unterscheidung gilt auch für das Baudenkmal. Es meint
immer ein spezifisches „Werk“, ein Unikat, nicht eine Idee, einen Ent-
wurf, eine Serie. […]
Als theoretische Doktrin des 20. Jahrhunderts hat sich die der differen-
zierten Zeitschichten durchgesetzt, die die Nachahmung älterer Epo-
chen ablehnt und für jede Zeit eine eigene, authentische Form einfor-
dert. Es waren die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, die viele
Denkmalpfleger veranlassten, von diesem Grundsatz abzuweichen –
eine Notlage, die wohl am eindringlichs­ten Jan Zachwatowicz, der
­verantwortliche Konservator von Warschau, beschrieben hat. […]
­Vielleicht ist die besondere Wertschätzung des histo­rischen oder künst-

82
lerischen Originals als etwas Unersetz­liches daran gebunden, dass man
es selbst erfahren hat. In Dresden, wo manche die für Warschau be-
schriebene Sondersituation bis heute in Anspruch nehmen möchten und
sich der Wunsch nach Heilung eng mit den Zielen des Stadtmarketings
verbindet, hat man anscheinend den Wert des Originals einst höher ein-
zuschätzen gewusst als heute. „In den Fällen“, notierte der damalige
Landes­konservator Hans Nadler 1957, „in denen das Kunstwerk voll-
ständig vernichtet ist, soll diesem in der Erinnerung ein gutes Anden-
ken bewahrt werden, man sollte sich aber nicht erkühnen, ein Ebenbild
zu schaffen“. Was damals als eine klare, aus der unmittelbaren Kennt-
nis des histori­schen Erbes und seiner Einzigartigkeit gesicherte Regel
galt, muss 50 Jahre später neu erklärt und verteidigt werden, weil das,
worum es ging, in seiner Autorität gar nicht mehr allgemein bewusst ist.
Stattdessen herrscht ein diffuses Annäherungsbedürfnis an das, was un-
wiederbringlich verloren ist: Historisches, Künstlerisches, Tradition.
Anders als echte Tradition wird diese Annähe­rung das Gefühl der Leere
und Erinnerungslosigkeit aber kaum kompensieren können. In Ador-
nos strengen Worten: „Schlechter Traditionalismus scheidet vom
Wahrheitsge­halt der Tradition sich dadurch, dass er Distanzen herab-
setzt, frevelnd nach Unwiederbringlichem greift, während es beredt
wird allein im Bewußtsein der Unwiederbring­lichkeit.“ […]
Was authentisch ist oder als echt gelten soll, das muss immer wieder neu
erfahren und bestimmt werden, heute auch unter den Bedingungen der
offenen Gesellschaften, der Weltkulturen und der neuen Realitätsauf-
fassung der Medien. Dieser offene Horizont muss aber nicht bedeuten,
wertvolle Erfahrungen preiszugeben. Man kann es in Bezug auf die
Denkmale auch umgekehrt sehen: Nicht um das Denkmal zu erkennen
und zu bewerten, brauchen wir klare Begriffe von Wahrheit, Echtheit
und Authentizität, sondern um von diesen Kategorien in der sich
wandeln­den Welt des Substantiellen und der Erscheinungen einen Be-
griff zu bewahren oder immer wieder zu bekommen, brauchen wir die
Denkmale.

13  Ira Mazzoni, Geschichtsvergessen und bildbesessen: Rekonstruktionen


und die Krise der Denkmalpflege (2010)

Ira Mazzoni beschreibt 2010 mit scharfen, aber treffsicheren Worten die
Sucht nach Rekonstruktion als einen Verlust von Geschichte und beklagt

83
die bedingungslose Unterordnung vieler Politiker gegenüber den Forde-
rungen von Tourismus und Kommerz:

„Das Recht auf Geschichte schließt das Recht auf Rekonstruktion ein“,
formulierte Traeger 1992, als ginge es um ein Natur- oder Menschen-
recht. Das Gegenteil ist der Fall. Rekonstruktion negiert nicht nur
­Geschichte, sondern diskreditiert auch die persönliche Erinnerung, Ge-
dächtnis und Gedenken. Der Rekonstruktionswelle entspricht – zu-
mindest in der Hauptstadt – eine Inflation an Denkmalsetzungen. die
an all das erinnern sol­len, wovon materielle Zeugnisse nicht mehr kün-
den können, weil sie aus dem Stadtbild getilgt wurden. Identitäten,
­gewohnte und erlebte Stadträume werden zerstört, um Neues nach
­älteren Bildern zu schaffen. Das so genannt Geschichtliche ist inzwi-
schen nur noch Alibi für Rekonstruktionsprojekte. Längst hat ein Stra-
tegiewechsel bei der Legitimierung der Nachbauten stattgefunden: Das
gänzlich unkritische Allgemeinschöne wird gegen „die“ Moderne und
ihre als hässlich diffamierten baulichen Zeugnisse ins Feld geführt.
Welche Schwierigkeiten es macht, dem „Schloss“-Neubau in Berlin eine
historische Dimension zu unterstellen, zeigen die Reflexion von Rainer
Haubrich, Feuilleton-Redakteur der „Welt“. Unter der Überschrift
­„Renaissance des Bürgertums“ feiert der Autor den Sieg „geschichts­
bewusster und kunstsinniger Bürger“ und das auf der „historischen“
Abstimmung im Bundestag vom 4. Juni 2002 basierende Votum für
„Humboldt und Schlüter“: „In diesem Projekt scheinen die besten Tra-
ditionen des Bürgertums auf: Res­pekt vor der Überlieferung und ein
wacher Sinn für das notwendig Neue, Bildungsdrang und Kunstsinn.
Gibt es eine bessere Hülle für diesen Geist als die universale Architek­
tursprache des Barock, den Schlüter auf ganz eigentümliche Weise dem
Klima in der aufstrebenden märkischen Residenzstadt anverwandelte?“
Welch ein phantastisches Geschichtskonstrukt, um die häufig kritisierte
Differenz von Hülle und spät gefundener Institution zusammen zu
zwingen! Nein, ein Bewusstsein für Geschichte scheint unserer Gesell-
schaft trotz oder wegen vieler Vereine und farbiger (meist mit Histo­
rienbildern des 19. Jahrhunderts illustrierten) Feuilletons zunehmend
abhanden zu kommen. Numi­noses ersetzt Aufklärung.
Was wie Sehnsucht nach Geschichte aussieht, ist eher Ausdruck des Ver-
lusts von Geschichte. Ich gehe noch weiter: Der Rekurs auf ,Geschichte‘
und das historische Zitat wird zu einem Pop-Phänomen, zu einem lee-
ren Signifikanten“, räsoniert der Sozialwis­senschaftler Armin Nassehi

84
auf der BDA-Tagung in München. Geschichte, so der Be­fund, hat seine
Funktion als Gegenwarts- und Zukunftsorientierung verloren. Auf­
klärung war gestern. Stattdessen werden neue Mythen geschaffen:
­Renaissance des Bürgertums, der Europäischen Stadt, der Mitte und
der Schönheit. Mythen können auf Dokumente verzichten. Insofern
sind Rekonstruktionen als Illustrationen nicht von Geschichte, sondern
von Mythen zu verstehen, die die Basis für ein gelungenes Stadtmarke-
ting bilden. Die vielbeschworene verlorene Identität, die es zu kompen-
sieren gelte, ist nichts ande­res als ein Konstrukt zur Imagebildung. Die
Städte werden dabei immer weniger als so­ziale Gebilde freier Bürger
begriffen, und immer mehr als Destinationen für Touristen, Handels-
reisende und Konsumenten. Im Schlossgewand hält eine Mall Einzug
in die Braunschweiger Innenstadt und schluckt öffentlichen Grund, der
nie Baugrund war. Der „Businessbarock“ des Dresdner Neumarkts be-
glückt die Investoren. Gleichzeitig gibt es in den Gründerzeitquartie-
ren der Dresdner Neustadt Straßenzüge, die seit über zwanzig Jah­ren
vergeblich auf eine Renaissance warten. Andernorts werden gar gute
Stücke Europä­ischer Stadt im Rahmen des Programms „Aufbau Ost“
abgerissen. Nein, mit Geschichts­- und Traditionsbewusstsein hat dies
nichts zu tun. Alles ist Marketing und Markt.

Anmerkungen

1 Ruskin, John, Die sieben Leuchter der Baukunst. Aus dem Englischen von Wilhelm
Schoelermann (= John Ruskin. Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung, Band
I), Leipzig 1900, hier 363–366
2 Clemen, Paul, John Ruskin, in: Zeitschrift für bildende Kunst 11, 1900, 156–164 und
186–194, hier 189 f
3 Dehio, Georg, Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert (1905),
in: Georg Dehio, Kunsthistorische Aufsätze, München-Berlin 1914, 261–282, wieder ab-
gedruckt in: Georg Dehio – Alois Riegl, Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften
zur Denkmalpflege um 1900. Mit einem Kommentar von Marion Wohlleben und einem
Nachwort von Georg Mörsch (= Bauwelt Fundamente 80), Braunschweig/­Wiesbaden
(Vieweg) 1988, 88–103, hier 97–99
4 Berger, Hans-Jürgen, Tobias Lauterbach, Rothenburg ob der Tauber – Der W ­ iederaufbau
nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine städtebaulich-denkmalpflegerische Analyse, 2 Bde.,
Rothenburg ob der Tauber (Verein Alt-Rothenburg) 2009
5 Traeger, Jörg, Zehn Thesen zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in: Kunstchro-
nik 45, 1992, 629–633, hier 632
6 Mörsch, Georg, Zu den zehn Thesen zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in:
Kunstchronik 45, 1992, 634–638, hier 636

85
7 Offener Brief: Entwurf zur Novellierung des Gesetzes zum Schutz und zur Pflege
der Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen (SachsDSchG), in: Kunstchronik 63, 2010,
­285–287

Literatur

1 Erster Tag für Denkmalpflege, 24.–25. September 1900 in Dresden, Sonderabdruck aus
dem Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthums-
vereine, Berlin 1900, hier 50–52, wieder abgedruckt in: Adolph von Oechelhaeuser, Denk-
malpflege. Auszug aus den stenographischen Berichten des Tages für Denkmalpflege,
I. Bd., Leipzig 1910, hier 53–55
2 Dehio, Georg (1901), Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?, Straßburg 1901,
wieder abgedruckt in: Georg Dehio, Kunsthistorische Aufsätze, München/Berlin 1914,
250–260; sowie in: Georg Dehio, Alois Riegl, Konservieren, nicht restaurieren. Streit-
schriften zur Denkmalpflege um 1900. Mit einem Kommentar von Marion Wohlleben
und einem Nachwort von Georg Mörsch (= Bauwelt Fundamente, Bd. 80), Braunschweig/
Wiesbaden (Vieweg) 1988, 34–42
3 Riegl, Alois (1903), Der moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung, Wien/
Leipzig 1903, zitiert nach Ernst Bacher (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls
Schriften zur Denkmalpflege, Wien/Köln/Weimar (Böhlau Verlag) 1995, 55–97, hier
­69–73
4 Lange, Konrad (1906), Die Grundsätze der Modernen Denkmalpflege. Rede, gehalten am
Geburtsfest seiner Majestät des Königs Wilhelm II. von Württemberg am 25. Februar
1906 im Festsaal der Aula der Universität Tübingen von Prof. Dr. Konrad Lange, derzei-
tigem Rektor der Universität Tübingen, hier 18–21
5 Evers, Hans Gerhard (1939), Tod, Macht und Raum als Bereiche der Architektur, M­ ünchen
(Neuer Filser-Verlag) 1939; hier 213 f
6 Lill, Georg (1946), Um Bayerns Kulturbauten. Zerstörung und Wiederaufbau (= Geisti-
ges München – Kulturelle und akademische Schriften, Heft 2), München (Drei Fichten
Verlag) 21946; 17 f, 21
7 Mielke, Friedrich (1961), Das Original und der wissenschaftliche Denkmalbegriff, in:
Deutsche Kunst und Denkmalpflege 19, 1961, 1–4
8 Schiedermair, Werner (1984), Rechtliche und gesetzliche Grundlagen für Kopie und
Rekonstruktion in der Baudenkmalpflege, in: Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz
­
1982/1983: Kopie – Rekonstruktion – historisierende Erneuerung, Worms (Werner’sche
Verlags­gesellschaft) 1984, 32–44, hier 34 f
9 Hubel, Achim (2006), Denkmalpflege. Geschichte – Themen – Aufgaben. Eine Einfüh-
rung (= Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18358), Stuttgart (Reclam) 2006; hier 273–277.
Der Text knüpft an frühere Publikationen von mir an, von denen nur genannt sei: Denk-
malpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren, in: Zeitschrift für Kunsttechnolo-
gie und Konservierung 7, 1993, 134–154, wieder abgedruckt in: Achim Hubel, Kunst­
geschichte und Denkmalpflege. Ausgewählte Aufsätze, Festgabe zum 60. Geburtstag,
hg. von ­Alexandra Fink, Christiane Hartleitner-Wenig und Jens Reiche, Petersberg
(­Michael Imhof Verlag) 2005, 231–258
10  Wohlleben, Marion (1997), „Es sieht so aus, als sei nichts gewesen!“ Gedanken zur Re-
konstruktionsdebatte, in: Denkmalpflege im vereinigten Deutschland, bearbeitet von

86
­Christian Marquart, Stuttgart (Wüstenrot Stiftung und Deutsche Verlags-Anstalt) 1997,
146–152
11 Meier, Hans-Rudolf (2009), Paradigma oder die Büchse der Pandora? Die Frauenkirche  –
oder wie Dresden zum Zentrum der gegenwärtigen Rekonstruktionswelle wurde, in: Die
Alte Stadt (= Sonderheft „Zur Zukunft der alten Stadt“ – In memoriam August Gebeßler,
hg. von Harald Bodenschatz und Hans Schultheiß), Jahrgang 36, Heft 1, 2009, 59–76, hier
71–75
12 Will, Thomas, Die Autorität der Sache. Zur Wahrheit und Echtheit von Denkmalen, in:
Ingrid Scheurmann und Hans-Rudolf Meier (Hg.), Echt – alt – schön – wahr. Zeitschich-
ten in der Denkmalpflege, Berlin/München (Deutscher Kunstverlag) 2006, 82–95
13 Mazzoni, Ira, Geschichtsvergessen und bildbesessen: Rekonstruktionen und die Krise der
Denkmalpflege, in: Hans-Rudolf Meier und Ingrid Scheurmann (Hg.), DENKmalWERTE.
Beiträge zur Theorie und Aktualität der Denkmalpflege, Georg Mörsch zum 70. Geburts-
tag, Berlin/München (Deutscher Kunstverlag) 2010, 101–106, hier 105 f

87
Michael S. Falser

„Ausweitung der Kampfzone“.


Neue Ansprüche an die Denkmalpflege 1960–1980

In vielleicht keinem anderen Zeitabschnitt als in jenem der 1960er bis 1980er
Jahre wurde soviel über den Status, die Möglichkeiten und Aufgaben, die
Gefahren und Mißbräuche im weiteren Bereich der Denkmalpflege nach-
gedacht, gestritten und geschrieben. Zwar erreichte die denkmalpflege­
rische Theoriebildung mit ihrer Lösung von vormals mehrheitlich patrio-
tisch-nationalistischen beziehungsweise ästhetisch-emotionalen Motiva-
tionen hin zu wissenschaftlich-kognitiven Herangehensweisen einen ersten
wirklichen Höhepunkt um 1900; die denkmalpflegerische Diskussion aber
weitete sich zwischen den 1960er bis 1980er Jahren schon deshalb enorm,
weil mit der Konjunktur der systematisch-kritischen Sozialwissenschaften
in den 1960er und 1970er Jahren und der „Wiederentdeckung“ der Ge-
schichtswissenschaften in den postmodernen 1980er Jahren zwei essen­
tielle Disziplinen das ambivalente Reflexionsfeld zwischen Zerstörung,
Kommerzialisierung und Musealisierung der kulturellen und natürlichen
Welt in den Blick nahmen. Es scheint daher kein Zufall gewesen zu sein,
daß der heute so gängige Slogan „Erweiterung des Denkmalbegriffs“
(­eigentlich keine Erweiterung des Begriffs, sondern eine Erweiterung der
Denkmalpflege selbst, die unter anderen Vorzeichen schon Paul Clemen
1911 im Kontext des Heimatschutzes angedeutet hatte) eben nicht von
­einem „klassischen“ Denkmalpfleger, sondern von einem Kunsthistoriker –
Willibald Sauerländer 19751 – geprägt wurde. Aus dem Bewußtsein dieser
methodischen Weitung des denkmalpflegerischen Aufgabenbereichs her-
aus umfassen die im folgenden angeführten, zugunsten einer inhaltlichen
Fokussierung stark gekürzten Quellentexte auch nur zu einem geringen
Anteil Beiträge von amtlichen Denkmalpflegern. Die meisten der vorlie-
genden Texte umschreiben unser Kernthema der baulichen Rekonstruk-
tion, ohne es immer explizit auszusprechen. Sie sollen zeigen, daß – und
genau dies wird von den verharmlosenden Rekonstruktionsbefürwortern
immer wieder ignoriert oder heruntergespielt – die destruktive Kultur­

88
praxis der baulichen Rekonstruktion zumindest im deutschen Sprachraum
schon seit langem erfaßt und begrifflich umfassend ausdifferenziert war
und daß hierzu fast alle Bedenken, Gefahren und Konsequenzen, aber
auch akzeptablen Ausnahmebedingungen bekannt und benannt wurden.
Die speziell deutsche Geschichte der Rekonstruktionsproblematik hat der
­Autor selbst umfassend darzustellen versucht.2
Die folgenden Quellentexte mit ihren Schlüsselbegriffen werden dem­
entsprechend nach Begriffsfeldern geordnet eingeleitet, denn es sind vor
allem drei kulturelle, quasi anthropologisch festgeschriebene Dimensionen,
die durch bauliche Rekonstruktion direkt tangiert, in Frage gestellt, wenn
nicht sogar – pessimistisch gewendet – unterwandert, ja sogar ausgehebelt
werden: die zeitliche, räumliche und soziale beziehungsweise ethische
­Dimension des Denkmals.

Rekonstruktion und zeitliche Dimension: der Verlust der Spur


und Differenz

Niemand hat die temporalen Komplikationen der Reproduktion von Kunst-


werken so prägnant und zitierwürdig beschrieben wie der in den 1960er
Jahren wiederentdeckte Walter Benjamin (s. Text Benjamin 1939): Verbun-
den mit der Qualität eines Kunstwerks in seinem Hier und Jetzt und ein-
maligen Dasein ist immer auch der Nachvollzug von Geschichte, hinter-
läßt diese doch im Laufe der Zeit unvermeidbar Veränderungen an der
phy­sischen Struktur des Objekts, die man auch als Spur bezeichnen kann.
Die  Reproduktion eines Kunstwerkes (durchaus parallelisierbar mit der
­Rekonstruktion von Architektur) liquidiert unwiderruflich sowohl jene
Qualität geschichtlich gewachsener Zeugenschaft am Objekt als auch den
Traditionswert am Kulturerbe, die beide maßgeblich dessen Autorität und
Aura ausmachen. Deshalb kann gerade ein noch erhaltenes Original von
jenen Betrachtern besonders gewürdigt werden, die bislang nur eine
­Reproduktion desselben gesehen hatten. Der Aspekt der Destruktion der
zeitlichen Dimension durch Reproduktion/Rekonstruktion spielt auch
in jene Definition von Fälschung hinein, derzufolge nach Cesare Brandis
epochemachender „Theorie der Restaurierung“ (s. Text Brandi 1963) jede
künstlerische Fälschung im verunmöglichten Nachvollzug der kunsttech-
nischen Qualität des Originals auch zur historischen Fälschung wird, weil
jedes Kunstwerk notwendigerweise immer auch Qualitäten eines Ge-
schichtsdenkmals aufweist. Immerhin stand Brandi aus kunstkritischer

89
­ erspektive gewissen Fälschungen durchaus auch die Qualität eigenstän-
P
diger Kunstwerke zu, solange sie denn als selbständige, aus ihrer eigenen
Zeit heraus geborene Interpretation erkennbar und ihre Entstehungsdaten
frei von Zweideutigkeit blieben. Nach dieser Definition kann zum Beispiel
die heutige Fassung des Münsteraner Prinzipalmarktes als eigenständiges
Kunstwerk des nachkriegszeitlichen Wiederaufbaus bezeichnet werden. Im
Laufe der Zeit lagern sich aber nicht nur physisch nachvollziehbare Spu-
ren am Denkmal an, sondern auch biographische und kollektive Erinne-
rungen, deren Bewahrung einen wesentlichen Bestandteil des in den 1970er
Jahren aufkommenden sogenannten Ensembleschutzes ausmacht. Mit der
zunehmenden Verkürzung der Zeitgrenze für Denkmalschutzwürdigkeit
rückten jetzt auch zeitgeschichtliche Erinnerungsqualitäten in den Fokus
der Denkmalpflege, die sich gewissermaßen gegen die ‚klassische‘ Heran-
gehensweise an ein sogenanntes historisches Stadtdenkmal sperrten.
Im krassen Gegensatz dazu standen und stehen Rekonstruktionen, die
bis heute lediglich elitäre Denkmalkategorien von Goldenen Sälen (Augs-
burg) bis zu angeblich „reinbarocken“ Stadtschlössern (Berlin) wiederaufzu­
führen versuch(t)en. Diese setzen sich zugunsten einer verunklärenden
­Nostalgie im Sinne konfliktfreier Historie über pluralistisch gefaßte, gege-
benenfalls gegenkulturelle und zeitgeschichtliche Erinnerungspotentiale
hinweg. Zwischen der wackeren Verteidigung überkommener Ensembles
und der fachgerechten Mitgestaltung zurückgewünschter, alterungsresi-
stenter Erlebniswelten für den Massentourismus lag für manchen Denk-
malpfleger allerdings nur ein kleiner postmoderner Schritt. Der Theoreti-
ker Jean Baudrillard hat ihn 1978 unter anderem am Beispiel der künstlichen
Verdoppelung der Grotte von Lascaux (unter dem Vorwand der Rettung
des originalen Kulturerbes) mit dem Phänomen der Simulation und dem
Verlust der Differenz beschrieben.3 Vergleichbar dazu überschreiben und
zerstören Rekonstruktionsprojekte seit den 1980er Jahren oftmals auch
baulich wie semantisch nachgewachsene Zwischenzustände aus jener eine
ganze Generation umfassenden Zeitspanne, die zwischen der direkten Er-
fahrung des Verlustes von Baudenkmälern um 1945 und deren Wiederauf-
führung lag. In den 1980er Jahren hätten eigentlich alle definitorischen Ver-
unklärungsversuche der Befürworter von Rekonstruktionen ins Leere
laufen müssen, hatte doch die wissenschaftliche Denkmalpflege die hand-
lungstechnisch, ästhetisch wie ethisch fundierten Differenzierungen zwi-
schen Kopie, Rekonstruktion, Wiederaufbau, Fälschung, Imitation, Ergän-
zung und Ersatz längst bereitgestellt (s. Text Mörsch 1986). Methodisch
sattelfest und klar positioniert galt die Denkmalpflege als jene seit der Früh­

90
moderne institutionell festgeschriebene und seit den 1970er Jahren sogar
rechtlich abgesicherte Instanz für das Wissen und für die breitenwirksame
Vermittlung historisch realer Ereignisabläufe am Denkmal sowie bezüglich
seiner Authentizität beziehungsweise Objektechtheit (s. Text Treinen 1987).
Gerade in den 1980er und 1990er Jahren erfuhr die bundesdeutsche Denk-
malpflege durch staatliche Millionenförderungen auch einen enormen
­Qualitätssprung in der wissenschaftlich-analytisch fundierten Restaurie-
rungspraxis. Doch paradoxerweise bezichtigten in gleichem Atemzug
­sogar Vertreter der amtlichen Denkmalpfleger ihre eigene, im lokalpoliti-
schen Tagesgeschäft zunehmend aufgeriebene Zunft der fälschenden Mit-
täterschaft, der Geschichtsklitterung, der systematischen Verdrängung,
der Aufgabe jeglicher Zivilcourage, der Unterlassung notwendiger Trauer­
arbeit am Denkmalverlust. Sie warfen ihr die Anähnelung der original
­überkommenen Baudenkmäler an ihre eigene Fälschung durch Schönung,
Rückbau und Rekonstruktion vor (Bentmann 1988): keine Erinnerung
mehr, nur d ­ eren Beschwörung, zu viel Gleichzeitigkeit im schönen und zu-
gleich schrecklichen Fassadensouvenir (s. Text Michel 1989)! Fachinterne
Stimmen kritisierten damit die Spätfolgen der am Original fixierten und
noch dazu im Detail oftmals durchaus wissenschaftlich nachvollziehbaren
Hersanierung bruchfreier Altsstadtsilhouetten: Hatte die Denkmalpflege
im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 mit ihrem moderne- bezie-
hungsweise gegenwartsfeindlichen Slogan „Eine Zukunft für unsere Ver-
gangenheit“ (das Wort „Gegenwart“ kam also gar nicht vor) nicht eigent-
lich eine bruchfreie „Vergangenheit für unsere Zukunft“ propagiert? Hatte
sie nicht ihre Grenzen überschritten und weniger dem überkommenen
Denkmalbestand als dem shopping-orientierten Altstadt- und Fußgänger-
zonendesign zugearbeitet? Vielleicht waren hier eben jene konservativeren
Kräfte innerhalb der Fachschaft Denkmalpflege wieder zum Zuge gekom-
men, die seit den 1960er Jahren – durch die Erfahrung weltkriegszerstör-
ter Kulturlandschaften und inmitten der städtebaulichen „Unwirtlichkeit“
(­Mitscherlich 1965  4) des grassierenden Bauwirtschaftsfunktionalismus –
wieder an Boden gewannen.
Die Kritik der frühpostmodernen 1970er Jahre war bis zu einem gewissen
Grade berechtigt: Zu lange hatten auch die Denkmalpfleger der kunst­
historisch unterfütterten Fiktion eines ursprünglichen und restauratorisch
immer wieder herstellbaren Originalstatus am trotz allem ja alternden
Denkmal gefrönt, das jetzt unmittelbar neben makellosen Vollrekonstruk-
tionen zwangsläufig weit weniger perfekt und überzeugend wirken mußte:
das Denkmal – richtig verstanden! – als Kunstwerk plus Zeit (s. Text

91
­ acher 1989). Dagegen war und ist Rekonstruktion kein Kunstwerk, wenn
B
sie ohne Zeitreferenz und bekennende Handschrift agiert. Im Gegensatz
dazu stand jene aufkommende, postmoderne Architektur, die – wenn gut
gemacht – eben das neohistorisch und nostalgisch wiederaufgeführte Bau-
denkmal mit einer ironischen, immer deutlich lesbaren und damit autoren-
handschriftlich ausgewiesenen zitathaften Brechung versehen konnte.
In der Postmoderne beschäftigten sich Historiker mit dem Phänomen
­einer ungebremsten Fortschrittsgeschwindigkeit, in der zugleich der Trend
­einer gesellschaftlichen Selbsthistorisierung und damit ein Anstieg der
­aktiv produzierten Reliktmenge zu beobachten war (Lübbe 1990 5). Das
Paradestatement von Rekonstruktionsbefürwortern, daß „die Moderne“
(welche Moderne sie denn meinten, blieb bisher fast immer unbeantwor-
tet) Geschichte vernichtete, war widerlegt: Während sich Architekten durch
das Maß der denkmalpflegerischen Intervention zunehmend in ihrem
­Aktionsradius eingeengt fühlten (Koolhaas 20046), inkludierten sprach­
gewandte Historiker in den Vorgang progressiver Vergangenheitsproduk-
tion auch das denkmalfeindliche Ausufern rekonstruierter Ersatzbauten
mit historisierender Anmutungsqualität. Die zunehmende Veralterungs­
geschwindigkeit der gebauten Umwelt war durch immer kürzere wirt-
schaftliche und moralische Abschreibungsfristen bedingt. Diese Situation
stellte auch die Denkmalpfleger nach der deutschen Wiedervereinigung
1990 vor eine innere Zerreißprobe: Zugleich sollten sie einerseits überkom-
mene Baudenkmäler der zweideutschen Nachkriegszeit vor der restaura-
tiven Verdrängung durch Rekonstruktionen einer herbeigebauten Vor-
kriegsvergangenheit verteidigen (s. Text Kruft 1993), andererseits auch
die nach 1990 bereits realisierten Rekonstruktionsbauten (zum Beispiel
die Dresdner Frauenkirche) als Zeitdokumente einer aktuellen deutschen
Identitätssicherung gutheißen. Schon innerhalb der denkmalpflegerischen
Disziplin schieden sich also die Geister. Eine nach außen für das Laien­
publikum kohärente und verständliche, ganz zu schweigen überzeugende
Gesamtposition gab es damit nicht mehr.

Rekonstruktion und räumliche Dimension: die Reduktion


auf Oberfläche und Fassadenbild

Rekonstruktionen wurden und werden überwiegend für die Rezeption


durch die breite Masse angefertigt. Obwohl wenige Ausnahmen tatsäch-
lich auf die ursprüngliche Material- und Handwerkstechnik im wiederauf-

92
geführten Denkmal setzten, sind die meisten Rekonstruktionen auf das
­äußerliche Erscheinungsbild reduziert. Als Reproduktionen leben sie
von der „außerkünstlerischen Technik materieller Güterherstellung“ ohne
Verpflichtung auf die „Sachlichkeit innerkünsterlischer Gestalt“ inner­
künstlerischer Gestalt (s. Text ­Adorno 1967). Räumliche wie inhaltliche
Abflachung (korrumpierte Gebrauchswerte) kompensieren sie durch sen-
timentales Historisieren. Damit driften sie unweigerlich in das Segment
von stadträumlichen Reklamebildern, die sich als frei zirkulierende Ober-
flächenimages – analog zum Vorgang der ästhetischen Abstraktion über-
kommerzialisierter Ware (s. Text Haug 1971) – von ihrem funktionalen
Zweck ablösen. Wirklich erfolgreich erhaltene Baudenkmäler leben jedoch
von der nachvollziehbaren Stringenz zwischen ihrer historischen Innen-
funktion und ihrer äußeren Erscheinung. Gelungene Denkmaladaptatio-
nen wählen die ursprüngliche Innenfunktion und -raumkonfiguration als
verpflichtenden Ausgangspunkt für eine funktionale Weiterentwicklung.
Dem gegenüber stehen Rekonstruktionen in einer gewissen Verwandtschaft
zum Vorgang der durch die amtliche Denkmalpflege oftmals als kraftloser
Kompromiß mitgetragenen Fassadierung. Hier bleiben auch bei realen Bau-
denkmälern zum Zwecke der kommer­ziellen Ausschlachtung nur noch die
historischen und denkmalgeschützten Fassaden stehen, während das In-
nenleben entkernt oder komplett e­ ntfernt wird. Werden hier in der Beru-
fung auf des Volkes Willen nicht eher berechtigte Bedürfnisse nach der letz-
ten Idylle mit falschen Mitteln befriedigt (s. Text Bentmann 1988)? Im
architektonisch-denkmalpflege­rischen Fall werden in Rekonstruktionen
die positiven wie negativen Inhalte und Programme vergessen, die sich
durch gewachsene Baudenk­mäler manifestierten: Ein Schloß war und ist
eben nicht eine jederzeit und überall r­ ekonstruierbare Fassadenattrappe für
wahlweise ein Kaufhaus (wie in Braunschweig) oder ein ach so humani-
stisch beworbenes Universal­museum (wie vielleicht bald in Berlin). Als
Denkmalpfleger mit handfester Verweigerungshaltung vom ‚Establishment‘
noch in ein und denselben ideologischen Sack mit Hausbesetzern und De-
monstranten gesteckt wurden, ging es ihnen nicht nur um Fassadenkosme-
tik, sondern auch um die integrale Verteidigung des sozialverträglichen In-
nenlebens jener Architekturen: Das Rote Bologna machte 1969 gerade mit
seinem sozial verträglichen Altstadt-Sanierungsplan Furore. Als Politiker
des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 die gründerzeitlichen En-
sembles um die Altstädte zur ästhetischen Ensemble-Kategorie erhoben,
verteidigten in Deutschland neuartige Bürgerinitiativen der gehobenen Mit-
telschicht diese Areale als noch bezahlbare Wohngebiete gegen die Moder-

93
nisierungswalze unter dem trügerischen Namen der Flächensanierung. Es
ist die vielleicht allzu waghalsige Meinung eines Autors der Nachfolgege-
neration, daß sich – gerade in der bestdotierten und publikumsakzeptier-
ten Hoch-Zeit der Denkmalpflege Mitte der 1970er Jahre – mit der sich an-
bahnenden Sympathie für Rekonstruktionen auch ihr erfolgreiches Blatt
als wissenschaftliche und moralische Instanz zu wenden begann, auf des-
sen Rückseite heute die Forderung ihrer Entstaatlichung beziehungsweise
Totalauflösung als Institution steht. Ja (vielleicht übermoralisiernd): Denk-
malräume kann man gewissermaßen auch als soziale Lebensräume verste-
hen, wo die Alters- und Schicksalsspuren der Fassade gewissermaßen
gleichzusetzen wären mit j­enem in Würde alternden Gesichts als Abbild
menschlicher Identität (s. Text Michel 1989). Es geht in der Ablehnung der
Rekonstruktion ja nicht nur um die Abwertung der überkommenen Bau-
denkmäler: Vielleicht geht es im übertragenen Sinne auch um die Würde
des Menschen selbst, die sich in jenen alternden Bauten widerspiegelt.

Rekonstruktion und soziale Dimension: der Mensch


zwischen Fälschung und Täuschung

„Gefälscht“ oder „authentisch“ sind keine dem Objekt selbst innewohnen-


den Eigenschaften (s. Text Brandi 1963), sondern werden jenem durch das
Urteil des Betrachters angeheftet. So gesehen kann ein Betrachter auch eine
Rekonstruktion als ‚echt‘ bezeichnen. Problematisch wird der Sachverhalt,
wenn der Rezipient aber eine Rekonstruktion als Original versteht: Die fal-
sche Identifikation (s. Text Eco 1990) macht eine Rekonstruktion also zur
Fälschung. Jeder Rekonstrukteur wird natürlich eine Täuschungs­absicht
bestreiten und sich auf den Klienten berufen, der angeblich geradezu ge-
täuscht werden will. Eine Grundstrategie der heutigen Rekonstruktions-
lobby aus finanz- und medienstarker Industrie und Wirtschaft ist demnach
jener kulturindustrielle, als volksnah getarnte Rekurs auf das a­ ngebliche Be-
dürfnis der Bürgerschaft, auf die Beschwörung einer Rückkehr zur Ord-
nung von Stadtbild und Stadtstruktur durch Rekonstruktion (s. Text Ad-
orno 1963). Ein quantifizierter oder qualifizierter Nachweis dazu bleibt
meistens aus: Angeblich selbst frei von Bildungshochmut bezichtigt die
­Rekonstruktionslobby (die heutigen Rekonstruktionsvereine sind längst
keine realen Bürgerinitiativen mehr!) ihre Kritiker ihrerseits der arrogan-
ten Volksferne und ernennt sich stattdessen selbst zum Fürsprecher einer
quasi ­basisdemokratischen Bewegung – zumeist ohne objektiven Legitima-

94
tionsnachweis. Einige Opportunisten aus der Denkmalpflege stehen dann
immer schon parat und machen sich der Unterlassung eines kritischen Dis-
kurses um Kosten, Ziele und Folgewirkungen jeder Rekonstruktion schul-
dig. Nicht zuletzt auch aus dem Munde erfinderischer Bauverwaltungen
klingen jene mit positiven Begrifflichkeiten umschriebenen und gerecht­
fertigten Denkmalabrisse zugunsten zukünftiger Rekonstruktionsbauten
­verführerisch: „Selektiver Rückbau“ stand beschönigend jahrelang an den
Bauzäunen um den letztlich nicht selektiv rückgebauten, sondern unter
stadtweitem Protest total entsorgten DDR-Palast der R ­ epublik auf der Ber-
liner Spreeinsel. Konnte um 1970, zur Zeit der gefühlten „limits of growth“
(Meadows 1972 7), der naive Vorschlag zur Schaffung von Enklaven der Ver-
gangenheit als lebendige Museen inklusive Veränderungsverbot (s. Text
­Toffler 1970) wenigstens noch mit überkommenen Denkmalensembles und
bei Altstadtsanierungen realisierbar erscheinen, so ging man bald darauf
zu regelrechten Rekonstruktionsenklaven über: Vom rekonstruierten Kno-
chenhaueramtshaus aus wurde in den 1980er Jahren der neu-alt rück­geführte
Marktplatz von Hildesheim mit historischen Bildfassaden ausstaffiert, und
um die Dresdner Frauenkirche erstrahlt jetzt eine unterkomplexe Neu-
markt-Simulation, für deren Tiefgaragen sogar die noch einzig erhaltenen
barockzeitlichen Fundamente abgerissen wurden. Doch diese Art der künst-
lichen Entschleunigung ist schon lange nicht mehr als wirkliche Alternativ-
Variante zum unaufhaltsamen Fortschritt zu haben: Entmodernisierungs­
ideologien wie jene der Rekonstruktion lagern sich immer nur parasitär
innerhalb der Struktur jener Modernität an, die sie anfeinden (Berger 19758).
Genau das läßt sie über die Täuschung der gutgläubigen Sympathisanten
hinaus noch perfider erscheinen. Ein Beispiel: Ein Rekonstruktionsverein
hat für den neu-alten B­ erliner Schloßbau sogar den Deutschen Bundestag
an der Nase herumgeführt mit dem Versprechen einer durch Spenden
­finanziell von stattlichen Zuschüssen unabhängigen Fassadenrekonstruk-
tion. Trotz ausgebliebener Spenden sieht er sich dennoch am Ziel, denn der
Staat wird letztlich auch dafür aufkommen, und zwar mit den Steuergel-
dern auch jener Bevölkerung, die entweder gar nicht gefragt wurde oder
eine Schloßrekonstruktion ablehnt und im Zweifelsfall lieber den moder-
nen Veranstaltungssaal des Vorgängerbaus (des DDR-Palastes) ökologisch,
kostensparend und in zeitgenössischer Formensprache adaptiert gesehen
hätte. Auch die Rekonstruktionskosten für das neubarocke Kulturreservat
Dresdner Neumarkt um die rekonstruierte Frauenkirche trägt die Gesell-
schaft mit, während dieselbe Stadt ihren UNESCO-Weltkulturerbestatus
aufgrund eines modernen Brückenprojekts verloren hat.

95
Seit der Postmoderne ist das Angebot immer perfekter simulierter Erleb-
niswelten unmittelbar neben überkommenen Baudenkmälern auch im
­realen Stadtraum angestiegen. Damit ist aber auch der Betrachter mit der
Unterscheidung der gebauten Umwelt in alt-neu, jünger-älter oder gar echt-
falsch zunehmend überfordert. Die Berufung der bildungspolitischen und
denkmalpflegerischen Fachinstanzen auf angebliche Wünsche des Publi-
kums (der Kunde ist ja König) muß gerade aus diesem Befund heraus als
allzu vereinfachter Versuch gewertet werden, sich von der eigenen Verant-
wortung zu dispensieren. Die Folge ist, daß sich die breite Bevölkerung
immer mehr dem erlebnisorientierten, kulturellen „window-shopping“ hin-
geben kann und heute durch die schnelle Reizabnutzung der jetzt auch
­virtuellen Schönbilder schnell desinteressiert und ­gelangweilt, aber in im-
mer neuer Gier von Angebot zu Angebot hetzt (s. Text Treinen1987). Ende
der 1970er Jahre konnte sich eben diese Bevölkerung vielleicht noch auf
die Instanz der Denkmalpflege als des Garanten für Denkmalechtheit
­verlassen. Die institutionalisierte Denkmalpflege besaß damals noch weit­
gehend ein demokratisch legitimiertes Monopol zur Authentizitätsprüfung
der gebauten Umwelt. Als sich ein Teil der Denkmalpflegerschaft jedoch
von ihrem über 150 Jahre zumindest in der Theorie ausgefeilten Arbeits-
auftrag am Geschichtsdenkmal entfernte und sich zur Rückführung von
Baudenkmälern auf angebliche Originalzustände bis hin zu populären
Total­rekonstruktionen gewinnen ließ, gewann sie nicht, wie vielleicht zu
er­warten war, die Gunst und den Rückhalt der Bevölkerung, sondern ver-
lor beides schrittweise.
Heute hat die Denkmalpflege eher einen problematischen Status in der
Volksmeinung, gerade weil sie in allen Lagern mitzumischen versucht.
Mit einer sehr allgemein und knapp formulierten Grundskepsis gegenüber
­nostalgischen Wiederaufführungen in der Potsdamer Erklärung von 1991
(s. Text Kruft 1993) hat es die Institution Denkmalpflege in Deutschland
nach der Wiedervereinigung verpaßt, sich unmißverständlich gegen Re­
konstruktionen zu positionieren. Ohne eindeutiges Profil kann sich die
Denkmalpflege auch als wissenschaftlich fundierte Disziplin im Konkur-
renzkampf um reale und virtuelle Denkmalbestände nur sehr bedingt
durchsetzen: Rekonstruktionsvereine wie jener für das Berliner Stadtschloß
dürfen immer polemischer agieren, sind zudem medial besser vernetzt
und müssen ihre finanziellen Versprechungen offensichtlich gar nicht ein-
halten. Neokonservative Architekten wie unter anderen Hans Kollhoff und
kompromißlose Städtebaupolitiker wie Hans Stimmann in seiner Zeit als
­Berliner Senatsbaudirektor und Staatssekretär zwischen 1991 bis 2006

96
produzier(t)en auf den ersten Blick wirkmächtigere Visionen für neuauf-
geführte Altstadtszenarien, die zum Beispiel in Falle des Berliner Stadt­
zentrums eine tolerante Aneignung des zweideutschen und damit nach-
kriegsmodernen Architekturerbes weitgehend verunmöglichten. Was sich
auf baupolitischer Ebene abzeichnete, bildete sich auch im Bereich der Kul-
turpolitik ab: So konnte Antje Vollmer von den Grünen im Jahre 2000 die
Entstaatlichung und Überführung der staatlichen und kommunalen in eine
bürgerschaftliche Trägerschaft einfordern. Ihr damaliger Gutachter Dieter
Hoffmann-Axthelm berief sich dabei hinsichtlich der Bewertung von Denk-
malqualität auf das angeblich allein entscheidende Auswahlkriterium einer
gegen jede aufklärerische Tradition ahistorisch gedachten und in der vor-
industriellen Welt angesiedelten Schönheit.
Fazit: Alleine die wissenschaftlich wie moralisch fundierte Verpflichtung
gegenüber dem in seiner gesamten Geschichtlichkeit überkommenen und
vielfältig befragbaren Baudenkmal – einhergehend mit der strikten Verwei-
gerung jeglicher Kooperation für Rekonstruktionsvorhaben – muß wieder
zum alleinverpflichtenden Arbeitsauftrag der Denkmalpflege werden.
­Offensichtlich ist die Rekonstruktionsdebatte heute wieder zum Testfall
ihrer Glaubwürdig- und Überlebensfähigkeit geworden. Die Denkmal-
pflege war ja schon vor hundert Jahren mit ihrer Ablehnung der Voll­
rekonstruktion des Heidelberger Schlosses als moderne Disziplin und staat-
liche Institution ins Leben, vor ihr Publikum und vor die Presse getreten.
Fast alle Argumente pro und contra Rekonstruktion lagen schon damals
auf dem Tisch – sie sind es wert erneut studiert zu werden, durch die Brille
unserer Gegenwart, versteht sich.

Texte

1  Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen


Reproduzierbarkeit (1939)

Walter Benjamins Text ist ein Klassiker, der vor allem (und weit darüber
hinaus) in den Fächern der Kunstgeschichte und Kunstsoziologie frucht-
bar und zitierwürdig geblieben ist. Ursprünglich ausgehend von der Foto-
grafie auf das Medium des Films im Kontext massenpropagandistischer In-
teressen der Nationalsozialisten rekurrierend, sind Benjamins Gedanken
von der Reproduzierbarkeit auch für unseren Zusammenhang der bau­
lichen Rekonstruktion relevant. Das Hier und Jetzt als die Echtheit des

97
Kunstwerks, sein einmaliges Dasein an seinem Standort, sein Eingebettet­
sein in den Zusammenhang der Tradition (wörtlich: Weitergabe) und seine
Eigenschaft, als Geschichtszeugnis immer wieder nachlesbare und neu
­interpretierbare Spuren der Zeit zu bewahren, charakterisiert auch das über-
kommene Baudenkmal und definiert seine Authentizität, seine Aura. Repro­
duktionen von Kunstwerken wie Rekonstruktionen von Baudenkmälern
stehen eben diesen wesentlichen Eigenschaften entgegen. Auch architek-
tonische Kunstwerke, die mit dem Lauf der Zeit zu Baudenkmälern wer-
den, können nicht reproduziert beziehungsweise rekonstruiert werden.

[…] Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen.


Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nach-
gemacht werden. Solche Nachbildung wurde auch ausgeübt von Schü-
lern zur Übung in der Kunst, von Meistern zur Verbreitung der Werke,
endlich von gewinnlüsternen Dritten. Demgegenüber ist die technische
Reproduktion des Kunstwerkes etwas Neues, das sich in der Geschichte
intermittierend, in weit auseinander liegenden Schüben, aber mit wach-
sender Intensität durchsetzt. […] Noch bei der höchst vollendeten Re-
produktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein
einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. An diesem ein-
maligen Dasein aber und an nichts sonst vollzog sich die Geschichte,
der es im Laufe seines Bestehens unterworfen gewesen ist. Dahin rech-
nen sowohl die Veränderungen, die es im Laufe der Zeit in seiner phy-
sischen Struktur erlitten hat, wie die wechselnden Besitzverhältnisse, in
die es eingetreten sein mag. Die Spur der ersteren ist nur durch Ana­
lysen chemischer oder physikalischer Art zu fördern, die sich an der
Reproduktion nicht vollziehen lassen; die der zweiten ist Gegenstand
­einer Tradition, deren Verfolgung von dem Standort des Originals aus-
gehen muß.
Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus.
[…] Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen –
und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit. Wäh-
rend das Echte aber der manuellen Reproduktion gegenüber, die von
ihm im Regelfalle als Fälschung abgestempelt wurde, seine volle Auto-
rität bewahrt, ist das der technischen Reproduktion gegenüber nicht
der Fall. […] Sie kann […] das Abbild des Originals in Situationen brin-
gen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. […] Die Echtheit ei-
ner Sache ist der Inbegriff alles vom Ursprung her an ihr Tradierbaren,
von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft.

98
Da die letztere auf der ersteren fundiert ist, so gerät in der Reproduk-
tion, wo die erstere sich dem Menschen entzogen hat, auch die letztere:
die geschichtliche Zeugenschaft der Sache ins Wanken. Freilich nur
diese; was aber dergestalt ins Wanken gerat, das ist die Autorität der
­Sache. Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammen­fassen
und sagen: was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des
Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura. […] Die Reproduktions-
technik löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. […]
Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe. […] Die Einzigkeit
des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusam-
menhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durch-
aus Lebendiges, etwas außerordentlich Wandelbares. […] Das reprodu-
zierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion
eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerkes. […]

2  Cesare Brandi, Fälschung (Anhang 1 aus: Theorie der Restaurierung,


1963)

Dieser Beitrag stammt aus dem Anhang der Teoria del Restauro von ­Cesare
Brandi, die der langjährige Direktor des Istituto Centrale per il Restauro
und Professor für die Kunstgeschichte der Moderne an der römischen
­Sapienza-Universität 1963 veröffentlichte. Inzwischen ein Stück Restau-
rierungs- und Geistesgeschichte für sich, ist die Teoria del Restauro ge­
wissermaßen das restauratorische Komplementärstück zur sogenannten
Charta von Venedig aus dem Jahre 1964, die vornehmlich Themen der
Denkmalpflege und Archäologie abhandelt. Aktualität behält Brandis
Theorie und damit auch der hier ausgewählte Textauszug zum Thema Fäl-
schung schon deshalb, weil sich ihre Forderungen nach Respekt vor Alters­
spuren und Patina am Kunstwerk direkt auf die Kritik an Rekonstruktio-
nen beziehen lassen : Rekonstruktionen sind historische Fälschungen, weil
sie zum Datum ihrer Entstehung dem Betrachter die Qualität eines gewach-
senen Geschichtsdenkmals lediglich vorzuspielen versuchen; und sie sind
künstlerische Fälschungen, weil sie so gut wie nie ihre eigene zeitgenössi-
sche Handschrift und Autorenschaft offenbaren (wollen).

Was Fälschung eigentlich bedeutet, versteht man nicht, wenn man das
Problem rein sachlich betrachtet, als Geschichte der Herstellung von
Fälschungen. Vielmehr muss man sich ein Urteil darüber bilden, was

99
eine Fälschung tatsächlich ist. Eine Fälschung ist keine Fälschung, so-
lange sie nicht als solche erkannt wird. Das Gefälschte ist also keine
dem Objekt innewohnende Eigenschaft.
[…] Das heißt, das Urteil bestimmt, was eine Fälschung ist. Dieses
­Urteil über die Fälschung ist vergleichbar mit einem Urteil, das einem
bestimmten Subjekt ein Prädikat zuordnet, dessen Inhalt sich nur durch
die Beziehung zwischen Subjekt und Begriff erklärt. […] Ein Urteil über
Fälschung entscheidet somit über die fehlende Übereinstimmung zwi-
schen dem Subjekt und seinem Konzept. Der Gegenstand der Ausein-
andersetzung wird damit zur Fälschung erklärt. […]
Die Unterscheidung zwischen Kopie, Imitation und Fälschung beruht
also nicht auf ganz bestimmten, unterschiedlichen Herstellungsweisen,
sondern auf unterschiedlichen Absichten. Hier lassen sich grundsätz-
lich drei Fälle aufführen:
1.  Herstellung eines Objektes, das einem anderen Objekt gleicht oder
dieses reproduziert, beziehungsweise die Merkmale und den Stil einer
bestimmten Epoche oder einer bestimmten Künstlerpersönlichkeit
­aufnimmt, und dies ausschließlich zum Zweck der Dokumentation des
Objektes oder aus Interesse an der Sache;
2.  Herstellung eines Objektes, wie oben beschrieben, aber mit der ein-
deutigen Absicht, andere Menschen über die Epoche, die materielle Be-
schaffenheit und den Autor des Objektes zu täuschen;
3.  In den Handel bringen oder Verbreiten eines Objektes, das nicht
mit trügerischer Absicht hergestellt wurde, aber nun angeboten wird,
als wäre es ein authentisches Werk aus einer bestimmten Epoche, einem
bestimmten Material und einer bestimmten Werkstatt bzw. von einem
bestimmten Künstler, obwohl das Objekt selbst diese Kriterien nicht
erfüllt.
Beim ersten Fall handelt es sich um eine Kopie bzw. um eine Imitation.
Auch wenn Kopie und Imitation begrifflich nicht das Gleiche bedeu-
ten, so handelt es sich doch um zwei Varianten der Reproduktion eines
Kunstwerkes, der Wiederaufnahme einer künstlerischen Technik bzw.
des Stils einer bestimmten Epoche oder eines bestimmten Künstlers.
Der zweite und der dritte Fall veranschaulichen die beiden grundsätz-
lichen Bedeutungen von Fälschung.
Nur auf dieser Grundlage lässt sich die historische Fälschung von der
künstlerischen Fälschung unterscheiden. Letztere ist demnach eine
­Untergruppe der historischen Fälschung, weil jedes Kunstwerk auch
ein Geschichtsdenkmal ist, und die trügerische Absicht in beiden Fäl-

100
len dieselbe ist. […] So unterschiedlich der Zweck auch sein mag, den
jemand verfolgt, der eine Kopie zu Dokumentationsgründen herstellt
oder sie betrügerisch als Original ausgibt, so handelt der Ausführende
doch in beiden Fällen innerhalb der heutigen Gesellschaft und damit
innerhalb einer Kultur, die historisch durch Mode und Zeitgeschmack
geprägt ist. Unabhängig davon, ob er die Kopie zu Dokumentations-
zwecken oder mit betrügerischen Absichten herstellt, wird er jeden-
falls immer das dokumentieren oder fälschen, was den jeweiligen Vor-
lieben und Modeströmungen entspricht, bzw. das, was die Gesellschaft
im Kunstwerk finden will, da diese immer nur nach dem einen oder
anderen Aspekt des Kunstwerkes sucht, aber nie nach seiner phäno-
menologischen Ganzheit. Aus diesem Grund wollen Kopisten oder
Fälscher mit ihrer Reproduktion einen bestimmten, besonders hoch
geschätzten Aspekt des Kunstwerkes hervorheben, und unweigerlich
vernachlässigen sie damit den Rest. […] Deshalb widerspiegeln Kopie,
Imitation und Fälschung die kulturellen Züge der Zeit, in der sie ent-
standen sind, und in diesem Sinne besitzen sie sozusagen eine dop-
pelte Geschichtlichkeit, weil sie in einer bestimmten Zeit geschaffen
wurden und weil sie unbemerkt Zeugnis ablegen von den jeweiligen
Vorlieben, dem Geschmack und der Mode. Aus diesem Grund gehört
die Geschichte der Fälschung tatsächlich nicht nur zur Geschichte des
­Geschmacks, sondern, wenn es sich um ein Kunstwerk handelt, auch
zur Geschichte der Kunstkritik. Denn Fälschung spiegelt auf beson-
dere Weise wider, wie ein Kunstwerk gelesen wird und wie die für eine
­bestimmte Epoche verbindlichen Stilmerkmale aufgenommen wer-
den. […]
Schließlich gilt es noch zu überprüfen, ob ein gefälschtes Kunstwerk als
solches, für sich selbst genommen, einen Wert besitzt, unabhängig von
den betrügerischen Absichten, die Herstellung oder Verkauf mit sich
bringen. Was die technische Ausführung, also den handwerklichen
­Aspekt betrifft, kann eine Fälschung sicherlich einen Wert als Zeit­
dokument besitzen. Die Frage, ob eine Fälschung künstlerischen Wert
besitzt, stellt sich vor allem dann, wenn es sich nicht um eine Kopie als
Ersatz für ein Original handelt, sondern um eine mutmaßlich selbstän-
dige Interpretation des Stils eines bestimmten Meisters. […] Wenn das
nachgeahmte Werk wirklich einen eigenständigen Wert erlangen soll, so
müsste sein tatsächliches Entstehungsdatum frei von jeglicher Zwei­
deutigkeit sein, und die Form, von der es sich herleitet, müsste wirklich
zu einer eigenständigen Wertigkeit gelangen.

101
3  Theodor W. Adorno, Resümé über Kulturindustrie (1967)

Den Begriff Kulturindustrie führten die intellektuellen Größen der Frank-


furter Schule, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, in ihrem bahn-
brechenden Buch Dialektik der Aufklärung (1947) ein. Sie ersetzten den
damals gängigen Begriff Massenkultur durch den Begriff Kulturindustrie,
um sich vom Argument der Gegenseite zu distanzieren, die jenes Phäno-
men als eine aus der breiten Bevölkerung selbst aufsteigende Kultur (quasi
als zeitgenössische Volkskunst) zu beschreiben versuchte. Dieser damals
bewußt vollzogene Begriffswechsel paßt geradezu ideal zum Problem der
Rekonstruktion: Auch die Befürworter von Rekonstruktionen aus dem
höchst konservativen Bürgertum mit oftmals sehr guten Verbindungen zu
Politik und Wirtschaft versuchen ihre eigenen handfesten Interessen als aus
der breiten Bevölkerung selbst formuliertes Anliegen auszugeben. Tatsäch-
lich ist bisher kaum ein Rekonstruktionsvorhaben auf demokratischem
Wege entstanden. Hieraus resultiert auch der oftmalig geäußerte Vorwurf
des anti-pluralen Charakters von Rekonstruktionen.

Wir ersetzten den Ausdruck [Massenkultur] durch ‚Kulturindustrie‘,


um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der
Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen
selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von
Volkskunst. Von einer solchen unterscheidet Kulturindustrie sich aufs
äußerste. Sie fügt Altgewohntes zu einer neuen Qualität zusammen. In
all ihren Sparten werden Produkte mehr oder minder planvoll her­
gestellt, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in
weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen. […] Der Kunde
ist nicht, wie die Kulturindustrie glauben machen möchte, König, nicht
ihr Subjekt, sondern ihr Objekt. Das Wort Massenmedien, das für die
Kulturindustrie sich eingeschliffen hat, verschiebt bereits den Akzent
ins Harmlose. […] Weder geht es um die Massen an erster Stelle, noch
um die Techniken der Kommunikation als solche, sondern um den Geist,
der ihnen eingeblasen wird, die Stimme ihres Herrn. Kulturindustrie
mißbraucht die Rücksicht auf die Massen dazu, ihre als gegeben und
unabänderlich vorausgesetzte Mentalität zu verdoppeln, zu befestigen,
zu verstärken. Durchweg ist ausgeschlossen, wodurch diese Mentalität
verändert werden könnte. Die Massen sind nicht das Maß, sondern die
Ideologie der Kulturindustrie, so wenig diese auch existieren könnte,
wofern sie nicht den Massen sich anpaßte. […]

102
Nur dem Namen nach ist der Begriff der Technik in der Kulturindu-
strie derselbe wie in den Kunstwerken. Der bezieht sich auf die Orga-
nisation der Sache in sich, ihre innere Logik. Die kulturindustrielle
­Technik dagegen, vorweg eine der Verbreitung und mechanischen
­Reproduktion, bleibt ihrer Sache darum immer zugleich äußerlich. Ideo-
logischen Rückhalt hat die Kulturindustrie gerade daran, daß sie vor
der vollen Konsequenz ihrer Techniken in den Produkten sorgsam sich
hütet. Sie lebt gleichsam parasitär von der außerkünstlerischen Technik
materieller Güterherstellung, ohne die Verpflichtung zu achten, die
­deren Sachlichkeit für die innerkünstlerische Gestalt bedeutet, aber
auch ohne Rücksicht aufs Formgesetz ästhetischer Autonomie. Daraus
­resultiert das für die Physiognomik der Kulturindustrie wesentliche
Gemisch aus streamlining, photographischer Härte und Präzision
­einerseits und individualistischen Restbeständen, Stimmung, zugerü-
steter, ihrerseits bereits rational disponierter Romantik. Nimmt man
Benjamins Bestimmung des traditionellen Kunstwerks durch die Aura,
die Gegenwart eines nicht Gegenwärtigen auf, dann ist die Kulturindu-
strie dadurch definiert, daß sie dem auratischen Prinzip nicht ein An-
deres strikt entgegensetzt, sondern die verwesende Aura konserviert,
als vernebelnden Dunstkreis. Dadurch überführt sie sich selbst unmit-
telbar ihres ideologischen Unwesens.
Mittlerweile ist es unter Kulturpolitikern, auch Soziologen üblich ge-
worden, unter Hinweis auf die große Wichtigkeit der Kulturindustrie
für die Bildung des Bewußtseins ihrer Konsumenten davor zu warnen,
sie zu unterschätzen. Man sollte sie frei von Bildungshochmut ernst
nehmen. […] Aber die Ermahnung, sie ernst zu nehmen, schillert. Um
ihrer sozialen Rolle willen werden lästige Fragen nach ihrer Qualität,
nach Wahrheit oder Unwahrheit, nach dem ästhetischen Rang des Über-
mittelten unterdrückt oder wenigstens aus der sogenannten Kommu-
nikationssoziologie ausgeschieden. Dem Kritiker wird vorgeworfen,
er verschanze sich in arroganter Esoterik. […] Die Wichtigkeit der
­Kulturindustrie im seelischen Haushalt der Massen dispensiert nicht,
und am letzten eine pragmatistisch sich dünkende Wissenschaft davon,
über ihre objektive Legitimation, ihr An sich nachzudenken; vielmehr
­nötigt sie eben dazu. […]
Die anspruchsvollste Verteidigung von Kulturindustrie heute feiert
­ihren Geist, den man getrost Ideologie nennen darf, als Ordnungsfak-
tor. Sie gebe den Menschen in einer angeblich chaotischen Welt etwas
wie Maßstäbe zur Orientierung, und das allein schon sei billigenswert.

103
Was sie jedoch von der Kulturindustrie bewahrt wähnen, wird von ihr
desto gründlicher zerstört. […] Was überhaupt ohne Phrase Kultur
konnte genannt werden, wollte als Ausdruck von Leiden und Wider-
spruch die Idee eines richtigen Lebens festhalten, nicht aber das bloße
Dasein, und die konventionellen und unverbindlich gewordenen Ord-
nungskategorien, mit denen die Kulturindustrie es drapiert, darstellen,
als wäre es richtiges Leben und jene Kategorien sein Maß. Entgegnen
dem die Anwälte der Kulturindustrie, sie liefere ja gar keine Kunst, so
ist selbst das Ideologie, die der Verantwortung für das ausweichen
möchte, wovon das Geschäft lebt. Keine Schandtat wird dadurch bes-
ser, daß sie sich als solche erklärt. […]
Wohl hat man einstweilen nicht, durch exakte Forschung, die regressive
Wirkung an einzelnen kulturindustriellen Produkten hieb- und stich-
fest bewiesen; phantasievolle Versuchsanordnungen könnten das gewiß
besser leisten, als den finanzkräftigen Interessenten angenehm wäre.
Ohne Bedenken jedenfalls darf man annehmen, daß steter Tropfen den
Stein höhlt, vollends, da das System der Kulturindustrie die Massen um-
stellt, kaum ein Ausweichen duldet und unablässig die gleichen Verhal-
tensschemata einübt. […] Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindu-
strie den Menschen bereitet, indem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt
sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will, betrügt sie um
das Glück, das sie ihnen vorschwindelt. Der Gesamteffekt der Kultur-
industrie ist der einer Anti-Aufklärung […]

5  Alvin Toffler, Zukunftsschock (1970)

Das Buch Zukunftsschock (Future Shock) des amerikanischen Zukunfts-


forschers Alvin Toffler beschäftigt sich mit den seelischen Störungen, an
denen Menschen aufgrund übermäßiger Veränderungsgeschwindigkeit aus-
gesetzt waren beziehungsweise sind. Interessant in diesem Zusammenhang
ist, daß gerade mit der Zeitenwende um 1970 (manche bezeichnen sie als
Beginn der sogenannten Post-Moderne) Lösungsversuche für eine mögli-
che Entschleunigung unserer Weltveränderung gesucht wurden.Während
sich die Futurologie unter anderem mit der momentanen Verantwortung
hinsichtlich zukünftiger Ressourcenknappheiten auseinandersetze (sozu-
sagen eine Art progressive Entschleunigung), traten andere (zum Beispiel
Denkmalpfleger) zugleich für die Bewahrung geschichtlich überlieferter
Stadtzentren in Form von Tofflers Enklaven der Vergangenheit ein (eine

104
Art retrospektive Entschleunigung). Die Grenzüberschreitung zur künst-
lich generierten Vergangenheitskulisse zusammen mit dem anheimelnden
Slogan einer guten alten Zeit ist gerade mit dem Trend der Rekonstruktion
heute mehr als deutlich. Erlebnis-Lehreinrichtungen (nach Toffler) können
aber nur historisch gewachsene Ensembles mit all ihrer Vielschichtigkeit
sein, jene fassadenhaften Rekonstruktionen vermitteln lediglich ein kurz-
fristiges Seh-Erlebnis.

Wenn der Mensch […] nicht sehr bald die Fähigkeit erlangt, das Tempo
der Veränderungen auf individueller und auch auf gesellschaftlicher
Ebene zu beeinflussen, werden wir nicht mehr imstande sein, uns auf
die neuen Gegebenheiten einzustellen, und es wird zu einer Katastro-
phe kommen. […]
1965 […] habe ich den Ausdruck „Zukunftsschock“ geprägt. Darunter
verstehe ich die erdrückende Belastung und vollkommene Desorientie-
rung von Menschen, die in zu kurzer Zeit zu viele Veränderungen durch-
machen müssen. […] Zukunftsschock läßt sich medizinisch und psych-
iatrisch diagnostizieren, er ist die Krankheit der Veränderungen. Wenn
man diese Tatsache erkennt und versteht, gelangt man zu einer völlig
neuen Theorie der Anpassungstechnik, sieht den gesellschaftlichen und
individuellen Wandel unter einem ganz unerwarteten Aspekt. […] Ich
werde […] versuchen zu zeigen, daß sich aus dem Tempo der Verände-
rungen ganz andere und manchmal wichtigere Folgerungen ergeben als
aus der Richtung der Veränderungen. […]

Enklaven der Vergangenheit


Keine Gesellschaft kann beim Rennen durch die turbulenten Perioden
der kommenden Jahrzehnte auf Zentren verzichten, in denen das Tempo
des Wandels künstlich gebremst wird: Wir benötigen Enklaven der
­Vergangenheit, Orte, an denen Veränderungen, Neuartigkeit und Viel-
falt bewußt zurückgeschraubt werden. Dabei könnte es sich um Gemein-
den handeln, in denen der Lauf der Geschichte teilweise stillsteht oder
konserviert wird, wie in den Dörfern der fortschrittsfeindlichen Amish-
Sekte in Pennsylvania, oder Orte, in denen die Vergangenheit kunstvoll
nachgeahmt ist wie in Williamsburg, Virginia, oder Mystic, C
­ onnecticut.
Anders als Williamsburg oder Mystic, über die sich ein stetiger Strom
von Besichtigenden ergießt, müßten die zukünftigen ­Enklaven der Ver-
gangenheit jedoch Orte sein, wo Menschen, die vom Zukunftsschock
bedroht sind, vor dem Druck der Überstimulation ­wochen-, monate-

105
und, wenn sie es wünschen, sogar jahrelang bewahrt werden. In solchen
Gemeinden mit langsamem Lebenstempo sollten Menschen, die eine be-
schaulichere, weniger aufregende Existenz s­ uchen, Zuflucht finden. Diese
Orte müßten bewußt von der Gesellschaft „draußen“ abgeschnitten sein.
[…] Über derartige Gemeinden sollte man nicht lachen – die Gesellschaft
täte vielmehr gut daran, sie als eine besondere Form psychiatrischer Hilfe,
als Sozialversicherung gewissermaßen, zu subventionieren. Indem wir
zahlreiche Enklaven der Vergangenheit schaffen, ­erhalten wir gleichzei-
tig „lebendige Museen“ und erhöhen so die Wahrscheinlichkeit, daß je-
mand für einen Neubeginn übrigbleibt, wenn eine massive Katastrophe
eintritt. Solche Gemeinden könnten sehr gut als Erlebnis-Lehreinrich-
tungen dienen […] Kurz gesagt, wird jede Gesellschaft Teil-Gesellschaf-
ten brauchen, deren Mitglieder sich dazu verpflichten, die Hände von
den neuesten Marotten zu lassen. Vielleicht werden wir sogar Menschen
dafür bezahlen, daß sie nicht die neuesten Produkte benutzen und nicht
so modern wie möglich leben.

Enklaven der Zukunft


Ebenso wie wir es einigen Leuten ermöglichen, im langsameren Tempo
der Vergangenheit zu leben, müssen wir andere Menschen in die Lage
versetzen, Aspekte ihrer Zukunft im voraus zu erleben. Wir werden
also auch Enklaven der Zukunft schaffen müssen. In beschränktem
Maße tun wir dies bereits: Astronauten, Piloten und andere Speziali-
sten werden häufig ausgebildet, indem man für sie die Umwelt simu-
liert, in der sie sich zum Zeitpunkt ihres Einsatzes befinden werden. […]
Mit fortschreitender Entwicklung im Bereich der Erlebnissimulation
werden wir noch viel weitergehen können. Der Mensch wird die Um-
welt, die ihm bevorsteht, nicht nur sehen und hören können, sondern
auch berühren, schmecken und riechen. Er wird in der Lage sein, mit
den „Menschen seiner Zukunft“ in simulierte Beziehungen zu treten
und genau geplante Erlebnisse haben, die darauf abzielen, seine Anpas-
sungsfähigkeit zu vergrößern. Für die Psycho-Unternehmen der Zu-
kunft werden Entwicklung und Betrieb solcher Veranpassungs-Einrich-
tungen ein fruchtbares Betätigungsfeld sein. Ganze Familien könnten
in Arbeits-, Lern- und Spiel-Enklaven kommen, die praktisch Museen
der Zukunft wären und sie darauf vorbereiten, ihre persönliche Zukunft
zu bewältigen.

106
5  Wolfgang Fritz Haug, Warenästhetik (1971)

Wolfgang Fritz Haugs vieldiskutiertes Buch zur Warenästhetik beschäf-


tigte sich 1971 mit dem ganzen Komplex ästhetischer Techniken, Erschei-
nungen und Subjekt-Objekt-Beziehungen, wie er sich im Prozeß von
­Produktion und Warenverkauf darstellt. Für die Rekonstruktionsfrage ist
besonders Haugs Analyse der zunehmenden Abkoppelung der Ober­
fläche (in unserem Zusammenhang jene der rekonstruierten Geschichts­
kulisse) vom funktionalen Inhalt der Ware selbst (hier der geschichtlich
­gewachsenen oder auch neuen Architektur in ihrer sozio-räumlichen Funk-
tion) interessant. Die Rückwirkung jener inhaltlichen Verarmung auf die
Benutzer (in unserem Falle die zunehmend „oberflächlichen“ Betrachter)
ist höchst problematisch: Rekonstruktionen sind ästhetische Scheinlösun-
gen und Produkte einer Illusionsindustrie, die die Bedürfnisstruktur der
„Kunden“ in Richtung immer kürzer andauernder Lustbefriedigung, hedo-
nistischer Zerstreuung und sorglosem Verbrauch (und nicht Gebrauch)
verändern.

Ästhetische Abstraktion der Ware: Oberfläche – Verpackung –


­Reklamebild
Der Interessenwiderspruch von Käufer und Verkäufer, Gebrauchswert-
standpunkt und Tauschwert-, gar Verwertungsstandpunkt, welch letz-
ter in der losgelassenen Geld-Ware-Beziehung der dominierende ist,
setzt das Gebrauchsding, das als Träger von Wert produziert wurde und
sich bewegt, einem antagonistischen Kraftfeld aus; in dieser Zerreiß-
probe, der die Ware unter zielbewußter Kontrolle vom Verwertungs-
standpunkt aus unterworfen ist, reißen ihre Oberfläche und ihr Sinn
sich los und bilden ein funktionell besonderes Zwischenwesen. […] Die
ästhetische Abstraktion der Ware löst Sinnlichkeit und Sinn der Sache,
die als Tauschwertträger fungiert, von dieser ab und macht sie getrennt
verfügbar. Zunächst bleibt die funktionell bereits abgelöste Gestaltung
und Oberfläche, der bereits eigene Produktionsgänge gewidmet wer-
den, mit der Ware verwachsen wie eine Haut. Doch bereitet die funk-
tionelle Differenzierung die wirkliche Ablösung vor, und die schön prä-
parierte Oberfläche der Ware wird zu ihrer Verpackung, die aber nicht
wie das bloße Einwickeln als Schutz vor den Gefahren des Transports
gedacht ist, sondern als das eigentliche Gesicht, welchselbes statt des
Warenleibs der potentielle Käufer zunächst zu sehen bekommt und in
die sich die Ware, wie die Tochter des Geisterkönigs in ihr Federkleid,

107
einwickelt und ihre Gestalt verwandelt, um auf den Markt und ihrem
Formwechsel entgegen zu fliegen. […] Nachdem ihre Oberfläche sich
von ihr abgelöst hat und zu ihrer zweiten Oberfläche geworden ist, die
in der Regel unvergleichlich perfekter als die erste ist, löst sie sich voll-
ends los, entleibt sich und fliegt als bunter Geist der Ware in alle Welt,
zirkuliert drahtlos in jedes Haus, die wirkliche Zirkulation der Ware
anbahnend. Niemand ist mehr vor ihren Liebesblicken sicher. Die Rea-
lisationsabsicht wirft sie mit der abgezogenen, technisch ungeheuer per-
fektionierten Erscheinung vielversprechenden Gebrauchswertes nach
den Kunden, in deren Brieftaschen – noch – das Äquivalent des so ver-
kleideten Tauschwerts sich befindet. […]

Korrumpierende Gebrauchswerte, ihre Rückwirkung auf die


­Bedürfnisstruktur
Indem die Warenästhetik den Menschen nach dieser Richtung ihr We-
sen auslegt, scheint die progressive Tendenz des Treibenden in den
Menschen, ihres Verlangens nach Befriedigung, Lust, Glück, umgebo-
gen. […] Es ist das Ideal der Warenästhetik: das gerade noch durch­
gehende Minimum an Gebrauchswert zu liefern, verbunden, umhüllt
und inszeniert mit einem Maximum an reizendem Schein, der per Ein-
fühlung ins Wünschen und Sehnen der Menschen möglichst zwingend
sein soll. Nicht nur verschwindet trotz dieses Ideals der Warenästhe-
tik in der Regel nicht der reale Gebrauchswert aus den Waren – und
wären die Auswirkungen seines Gebrauchs getrennt zu untersuchen –,
sondern auch in der Warenästhetik als solcher ist der Widerspruch ent-
halten. […]

6  Georg Mörsch, Kopieren in der Denkmalpflege? (1986)

Beschäftigt man sich mit der Motivationsgeschichte von Rekonstruktio-


nen, so fällt eines sofort auf: Ihre Befürworter versuchen mit allen Mitteln
die aus der über 150 Jahre ausgereiften Denkmalpflege-Theorie längst aus-
formulierte Differenzierung von Kopie, Rekonstruktion, Wiederaufbau,
Fälschung, Ergänzung bis Ersatz zu verunklären. Georg Mörsch als lang-
jähriger praktischer Denkmalpfleger und Denkmalpflege-Professor an der
ETH Zürich hat mit folgendem kurzen Textfragment diese Differenzie-
rung vorgenommen und im weiteren mit Fallbeispielen oftmals plausibel
erläutert. Dabei sind diese Definitionen niemals festgeschriebene Katego-

108
rien, sondern nur Richtwerte, die sich von Fall zu Fall verschieben bezie-
hungsweise überschneiden können.

Die Existenz des Denkmals ist abhängig von der Erhaltung seiner
­materiellen Substanz. Form und geistiger Inhalt des Denkmals bedür-
fen unbedingt ihrer geschichtlichen Materie. Auch für unsere immer
sich wandelnde, ergänzende Befragung der geschichtlichen Aussage des
Denkmals ist diese authentische materielle Substanz unentbehrlich. Je-
der Eingriff in diese Materialsubstanz reduziert die Wirklichkeit des
Denkmals irreversibel. Erst recht lässt sich von einem Denkmal kein
zweites Exemplar herstellen, sei es als Verdoppelung oder als Ersatz.
Eine Kopie, eine Rekonstruktion, ein Wiederaufbau können im begrün-
deten Einzelfall an das Denkmal erinnern, formale Qualitäten teilweise
wiederholen, psychologische Hilfe für Verluste in Katastrophen sein,
jedoch nie eine Alternative der Denkmalpflege zur Erhaltung vorhan-
dener Substanz sein. Ist diese untergegangen, so hat Denkmalpflege
auch diese Möglichkeit historischer Materie zu respektieren. Sie muss
sich dem oft naiven und oberflächlichen Rekonstruktionswunsch der
Öffentlichkeit widersetzen.

[…] einige begriffliche Erklärungen:


Kopie: Genaues Abbild, das angesichts des noch existierenden Vorbil-
des hergestellt wird. Bekannt ist die ‚schützende Kopie‘, die ein Origi-
nal bestimmten Gefährdungen entzieht und dafür die Kopie zur Ver-
fügung stellt, sowie die didaktische Kopie, die Aussagen des Originals
verbreiten kann.
Rekonstruktion: Wissenschaftliche Methode der Quellenausbeute zur
Neuherstellung untergegangener Dinge, unabhängig von der Zeit, die
seither verstrichen ist. Im Gegensatz zum unmittelbaren Wiederaufbau
erfolgt die Rekonstruktion oft in großem zeitlichen Abstand, was sie
zunehmend schwieriger und hypothetischer macht, und in größerer
emotionaler Distanz. Anders als bei der schnell wirkenden Katastro-
phe, die gleichsam den Zwang zum Wiederaufbau nach sich zieht, ging
einer Rekonstruktion häufig ein lang anhaltender Verfallsprozess
­voraus.
Wiederaufbau: Neuherstellung von Denkmälern meist nach schnell wir-
kenden und kurze Zeit zurückliegenden Zerstörungskatastrophen wie
Krieg, Brand und Erdbeben in der Regel aufgrund des unmittelbaren
Wiederaufbauwillens der betroffenen Bevölkerung. Häufig – und hier

109
nur interessierend – erfolgt er in der Form des Untergegangenen und
unter Zuhilfenahme der wissenschaftlichen Quellenforschung.
Fälschung: Missbräuchliche Herstellung und Verwendung der Kopie in
Täuschungsabsicht bei der Herstellung und (oder) bei der Verbreitung
der Kopie durch die Behauptung, sie sei das Original.
Imitation: Herstellung eines neuen Werks in Angleichung an bereits Be-
stehendes, um die Erkennbarkeit als Neues zu vermeiden. Der Unter-
schied zur Kopie besteht darin, dass nicht ein konkretes Vorbild genau
nachgeahmt wird.
Ergänzung: In denkmalpflegerisch engerem Sinne Herstellung eines ein-
mal existierenden, nun aber fehlenden Teiles, das aus ästhetischen, ge-
schichtlichen oder funktionalen Gründen für unentbehrlich gehalten
wird. Je nach Quellenlage ist solche Ergänzung mehr oder weniger
­hypothetisch. Die Frage nach der exakten Anpassung de Ergänzung
an den historischen Zustand (‚Rekonstruktion‘) oder der freieren und
damit erkennbaren Form der Ergänzung ist alt. Im weiteren, aber eben-
falls denkmalpflegerisch relevanten Sinne ist Ergänzung jeder Eingriff
in einen oder jede Zufügung an einen bestehenden künstlerischen
­Organismus. Geht man von der Erhaltungswürdigkeit und Weiter­
entwicklungsfähigkeit des Überlieferten aus, dann ist auch jeder Neu-
bau als Ergänzung auffassbar und entsprechend zu gestalten.
Ersatz: Austausch eines beschädigten oder sonstwie ungeeigneten Tei-
les eines Ganzen (vom steinmetzmässigen Werkstück bis zum Einzel-
haus in einer Zeilenbebauung) durch ein Neues mit ähnlicher oder iden-
tischer Funktion in ästhetischer, funktionaler und technischer Hinsicht.
Erhält das Neue exakt die gleiche Gestalt wie das ausgetauschte Teil
(was keineswegs selbstverständlich sein muss), dann handelt es sich um
eine Teil-Kopie, die das Original an dieser Stell entbehrlich macht, oder
um eine Teil-Rekonstruktion. […]

7  Heiner Treinen, Das Original im Spiegel der Öffentlichkeit.


Ein soziologischer Beitrag (1987)

Dieser Beitrag behandelt das Thema Original, Institution und Öffentlich-


keit aus einer soziologischen Perspektive und läßt sich gewinnbringend für
das Thema der Rekonstruktion auf einer abstrahierenden Ebene einbrin-
gen. Ein Kernsatz dabei ist die These, daß die Wertschätzung von Origi-
nalen eine Art anthropologische, universal geltende Konstante ist – allen

110
weit hergeholten Relativierungsversuchen der Rekonstruktionsanhänger
zum Trotz. Treinen interessiert sich besonders für die intellektuelle Seite
der Denkmalrezeption, unterschätzt aber nicht den emotionalen Zugang
über die sinnliche Erfahrbarkeit der historische Ferne, deren Bedeutung
der Kunsthistoriker Alois Riegl schon um 1900 erkannt und unter dem
­Begriff „Alterswert“ als das elementare Wesensmerkmal der Baudenk­mäler
in die Denkmaltheorie eingeführte hatte. Für die modernezeitlich entstan-
dene Institution der Denkmalpflege ist der Hinweis interessant, daß spe-
zialisierte Gesellschaftsformen Autoritäten (institutionelle Garanten) für
Objektwissen und Objektechtheit ausbilden, die auch einen gewissen Auf-
trag für Bildung und Wissensvermittlung zu erfüllen haben. Angelpunkt
der Existenzberechtigung solcher Institutionen ist allerdings die zweifel-
lose Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer eindeutig vertretenen Positionen;
auf unseren Fall übertragen: Indem die Institution Denkmalpflege ihr durch
Objektwissen generiertes Eintreten für Objektechtheit stellenweise zugun-
sten von Rekonstruktionen aufgeweicht hat, hat sie folgerichtig auch
­immens an Glaubwürdigkeit und Autorität verloren – bis hin zur öffent-
lich diskutierten Forderung ihrer Auflösung als Institution.

[…] Die Grundlagen für Wertschätzung von Originalen sind univer­


saler Art, man kann hierbei von einer anthropologischen Konstante
sprechen. In Frage stehen expressive Objektbesetzungen symbolischer
Art; das heißt ein spezielles Objekt aus einem für den Handelnden be-
deutsamen Kulturzusammenhang wird gedanklich oder faktisch ausge-
sondert, sofern es Eigenschaften im weitesten Sinne aufweist, die den
betreffenden kulturellen Kontext bezeichnen oder – im Selbstverständ-
nis der Beteiligten – wesentliche Merkmale über ihn tragen. Für die
­Beziehung zu Kulturgenossen tritt stellvertretend eine emotionale
­Beziehung zum Objekt, dieses repräsentiert in den Augen des Betrach-
ters einen vergangenen oder zukünftigen, jedenfalls reproduzierbaren
Erfahrungs- und Handlungszusammenhang innerhalb eines gegebenen
Kulturraums. […]
Eine bewußte Trennung zwischen Original und Reproduktion mit je
unterschiedlicher kollektiver Wertschätzung findet vorwiegend in sol-
chen Epochen statt, in denen sich kulturelle Wandlungsvorgänge ab-
spielen und kognitiv verarbeitet werden, in denen also Tradition ab­
gelöst wird durch Prozesse der Reflexion über Geschichte, durch
historisches Bewusstsein. Wissen über die Vergangenheit löst sich von
der ursprünglich damit verbundenen normativen Aufforderung zur

111
Wiederholung althergebrachter Bräuche und Verfahrensweisen, der
„Sinngehalt“ eines historischen Objektes verändert sich, expressive Be-
deutungsgehalte, die über die funktionale Nutzung hinausgehen, be-
stimmen nunmehr die Wertschätzung und den Umgang mit Gegenstän-
den historischer materieller Kulturen. In Hochkulturen findet sich fast
regelmäßig eine Art Ausdifferenzierung dessen, was als historisches
­Bewußtsein bezeichnet werden kann. Es bilden sich Instanzen aus,
­getragen von Berufszweigen und Einrichtungen, die sich historischem
Wissen, der Erhaltung historischer Objekte, ihrer Erneuerung, Ausstel-
lung und der Einnahmen daraus widmen. […]
Bei symbolischer Umwandlung zu historisch strukturierter A ­ nschauung
ergibt sich die Zugehörigkeit und Vertrautheit mit Objekten nicht län-
ger automatisch durch ethnische, religiöse, jedenfalls kulturell eindeu-
tige Zuschreibung, sondern durch Wissen. Die Wertschätzung dessen,
was „authentisches Objekt“ genannt werden kann, steht im direkten
Zusammenhang mit einem Kanon von Wissensbestandteilen hochkul-
tureller Art, der über Bildung erwerbbar ist. Dies bedeutet, daß jetzt
erst von einem „Publikum“, von „Originalen“ und von Bestrebungen
des Nachweises von „Authentizität“ als Programm gesprochen werden
kann. […] „Authentizität“ als Objektmerkmal bedingt Wissen über
­einen historisch realen Ereignisablauf zusammen mit institutionellen
Garanten für Wissen und Objektechtheit. […] Die heutige Wertschät-
zung von Originalen und anderen authentischen Objekten wird [also,
Anm. MF] weniger von Glauben als von kodifizierten Wissensbestand-
teilen getragen. Die Beziehung zu derartigen Objekten selbst bleibt für
die Betrachter indirekt, sie ist von „Bildung”, von der kognitiven Nähe
zu Wissensbereichen abhängig, denen die betreffenden Objekte ana­
lytisch zugeordnet werden können. Die Zuschreibung von Objekt­
bedeutungen ist gerade deswegen nicht Sache des Betrachters, auch
wenn es einer privaten Bedeutungszuweisung bedarf, um nicht gleich-
gültig zu bleiben. Kollektiv gesehen erfüllen ausdifferenzierte Instan-
zen wissensbezogener und professionalisierter Art diese Aufgabe, man
braucht also nicht Mitglied dieser Instanz zu sein (etwa Archäologe,
Denkmalpfleger, Museologe, Historiker), sondern lediglich Empathie
zu diesen Bereichen aufzuweisen. […]
Originale und authentische Objekte repräsentieren historische Zusam-
menhänge, die jedoch selbst unsichtbar bleiben. Authentizität von
­Objekten aber bezieht sich ausschließlich auf derartige dem Laien
­unsichtbare Entstehungs- und früheren Nutzungsbedingungen. Die

112
nunmehrige Vereinzelung der Objekte wird vorzugsweise auf abstrak-
ter Ebene aufgehoben, fachwissenschaftlich gesteuerte Rekonstruk­
tionen beziehen sich auf kognitiven Nachvollzug vor allem historischer
Prozesse. Dies bedeutet zunächst, daß die Würdigung von Kultur­
objekten Wissen voraussetzt, zumindest aber neben einem objektbezo-
genen Minimalwissen das Vorvertrauen um Echtheit und kulturelle
­Bedeutsamkeit des betreffenden Objektes. Mit diesem Tatbestand ist
weiterhin die Eigenart verbunden, daß Erlebniswert und Bildungs­
gehalt der Anschauung direkt von Art und Ausmaß des Vorwissens
­eines Betrachters kulturhistorischer Denkmale oder anderer Kultur­
objekte abhängig ist. […]
Untersuchungen über Besucherverhalten im Museum und vor Sehens-
würdigkeiten bestätigen auf den ersten Blick das Bild von Oberfläch-
lichkeit bei der Auseinandersetzung mit Exponaten […] Zusammenge-
faßt lassen die recht präzis vorgenommenen Analysen der Motivationen
von Besuchern den Schluß zu, daß das Verhalten vor kulturhistorischen
Objekten keineswegs in erster Linie durch Lernbegierde und Suche
nach neuem Wissen bestimmt wird, sondern vielmehr durch das uns
­allen eigene Neugierverhalten zusammen mit einer Orientierung nach
kulturell gehobener Zerstreuung. […] Besuche von Sehenswürdig­
keiten wie Burgen und Schlösser, Bauten und Denkmäler – das haben
­Untersuchungen […] zeigen können – sind mit wenigen Ausnahmen
dort am höchsten, wo der Lern- und Bildungsdruck am geringsten
ist oder zumindest Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen, näm-
lich Restaurants, Parks, Spielmöglichkeiten für Kinder – kurz, wo
­vielseitige Möglichkeiten vorhanden sind, gewohnte außerhausige
­Frei­zeitaktivitäten zu betreiben. [… Dieses, Anm. MF] kulturelle win-
dow-shopping besagt zunächst, daß der Besuch wenig mit Lernen oder
Wissensaufnahme zu tun hat. Wenn auch die Bildungsanmutung sehr
wohl erkannt und oberflächlich akzeptiert wird, so scheint in erster
­Linie als Ziel des Aufenthaltes angenehme und kulturell anerkannte
­Unterhaltung angestrebt zu werden. […] Zerstreuung aber ist keines-
wegs passiv, die Suche nach interessanten Reizen, nach ständiger psy-
chisch belohnender Spannung stellt den aktiven Teil des kulturellen
window-shoppings dar. Wenn der Reiz sich also abnutzt, wird ein
­anderer frischer Anreiz aufgesucht. Dieser Hintergrund produziert eben
ein Verhalten, das auf Fachleute und Vermittler kulturhistorischer Werte
geradezu kränkend wirken muß, eben weil die je eigenen Anstrengun-
gen und vor allem der jeweilige fachwissenschaftliche Hintergrund

113
scheinbar nicht ernst genommen wird. Jedoch für Skepsis, Resignation
oder gar Verzweiflung ist kein Anlaß. Nur wer glaubt, über die An-
schauung kulturhistorischer Originale neuartige Lernvorgange oder gar
kompakte Wissens- und Bildungsbestandteile vermitteln zu können,
wird pessimistisch werden müssen.
Tatsachlich aber kann der Ausgangspunkt für die Wirkung von Origi-
nalen auf Öffentlichkeit – speziell auf Besucher und indirekt auf die­
jenigen, die über Massenmedien davon erfahren – auch anders begrif-
fen werden, nämlich als Ausdruck von Spielräumen, der freien Wahl
und freien Benutzung von Kulturobjekten in der außerberuflichen
Welt. […]
Originale, geglaubte Authentizität von Objekten also, erhalten bei
­direkter Anschauung eine Eigenart, die über abstraktes und indirekt
­erworbenes Wissen nur schwerlich zu erlangen ist. Mit dieser Eigenart
ist der Tatbestand gemeint, daß bei Betrachtung authentischer Objekte
eine Aporie erzeugt wird – ein unauflösbarer Widerspruch, der jedem
kulturhistorischen Objekt zuschreibbar ist, nämlich die nicht schließ-
bare Lücke zwischen sinnlich erfahrbarer historischer Ferne und ebenso
sinnlich erlebter gegenwärtiger Nahe. Hiermit mag eine Ambivalenz,
also eine nicht aufhebbare kognitiv-emotionale Spannung verbunden
sein. Gegenstände und Symbole, die Ambivalenzen erzeugen aber blei-
ben als Gedächtnisspur erhalten, und dies ist wiederum Voraussetzung
für Bildungserlebnisse im Nachhinein. […]

8  Reinhard Bentmann, Die Fälscherzunft – Das Bild


des Denkmal­pflegers (1988)

Wohl kein Beitrag der letzen 20 Jahre hat sich aus der eigenen Zunft her-
aus so selbstkritisch zur schleichenden Rekonstruktionskollaboration der
Denkmalpflege geäußert. Der Vortrag entstand zur Jahrestagung der bun-
desdeutschen Denkmalpfleger 1988 im hessischen Fulda und löste große
Bestürzung unter der Kollegenschaft aus. Nicht zuletzt deshalb, weil er
endlich einmal die Karten auf den Tisch legte und die Dinge beim Namen
nannte. Welcher amtliche Denkmalpfleger würde heute noch im Bangen
um seine Stelle so eine Zivilcourage aufbringen – geschweige denn jene
so überfällige Haltung der Verweigerung gegenüber der rekonstruktiven
Verfälschung unserer Umwelt? Interessant Bentmanns Statement „wer
zweifelt, muß rekonstruieren“: Es ist also immer auch ein Zeichen gesell-

114
schaftlich real existenter, bei genauerer Analyse aber vielmehr politisch
i­ntrumentalisierter beziehungsweise kommerziell hochgepuschter Verun-
sicherung, die den Ruf nach angeblich identitätsstiftenden Rekonstruk­
tionsbauten hervorbringt. Denkmalpflege hat die Aufgabe, sich gegen diese
gezielt geschürten Diskurse der Verunsicherung zu stellen: Ein dezidierter
Standpunkt der Verweigerung hinsichtlich jeder geschichtsfälschenden
­Rekonstruktionen ist hier der einzige Weg.

Rekonstruierte Idyllen
[…] ist denn diese Gemütlichkeit wirklich nur ein verschmocktes Ge-
fühl, dieses Einvernehmen, die verschwitzte Notgemeinschaft von emo-
tional Beschädigten? Ist die Rettung der Idylle als Rettung in die Idylle
mit der Hoffnung auf Rettung durch die Idylle wirklich so verwerflich?
Werden hier falsche Bedürfnisse mit den richtigen Mitteln, richtige Be-
dürfnisse mit den falschen Mitteln befriedigt? Darf man Spielverderber
sein, wo inzwischen ein so allgemeiner Konsens über die gesellschaft-
liche Notwendigkeit von Geschichtspflege und Denkmalschutz besteht
[…]? Fragen wir uns: Was steckt denn wirklich dahinter?

Wendemanöver rückwärts in die Geschichte


[…] die Identifikation mit den gebauten Quellen der alten Zeit läuft in
eins mit der Identifikation mit einer bereits mythisierten ‚guten‘ alten
Zeit. Das architektonische Ambiente der Historie wurde zum Gegen-
bild zeitgenössischer Architektur. Diese wurde zum gestalteten Sym-
bol einer unwirtlichen, unheilen Welt erklärt, jene zum Zeichen der hei-
len Welt stilisiert. […] Doch hat man dabei oft vorschnell die Inhalte
und Programme vergessen, die sich in den historischen Bauten materia-
lisierten, hat vergessen, zu wessen Dienst und Frommen und vor allem
auf wessen Kosten sie einst erstellt wurden.[…] Wenn die gesellschaft-
lichen Rückzugstendenzen in den Rahmen der historischen Architek-
tur durch das Programm der „Zukunft für unsere Vergangenheit“ so
breit abgedeckt werden, liegt die Frage nahe, welche Vergangenheit
hier gemeint ist, auf welche Zukunft man projiziert und warum man
dies gerade heute so intensiv tut. […] Wenn man Geschichte als ein Er-
kenntnisreservoir emanzipierten zukünftigen Denkens und Handelns
begreift, so verstellt die nostalgische Geschichtlichkeit als schlechte
­Alternative jeden Zugang zur Geschichte. […] Der Salto mortale zu-
rück in die ­Vergangenheit ist abenteuerlich genug (und nicht nur aben-
teuerlich, ­sondern auch gefährlich): Aufhebung der Vergangenheit, die

115
sich klammheimlich verdrängt anstatt bewältigt sieht, da ihre Aneig-
nung als Usurpation geschieht, als gewaltsamer sportiver Akt unter den
trugvollen Zeichen objektiver Auseinandersetzung, die aber in Wirk-
lichkeit das geschichtliche Material vernebelt, anstatt es als Anleitung
für zukünftiges sinnvolleres Handeln zu nutzen. […] Halten wir an
der Grundfrage fest: Von wem bewahre ich was auf? Für wen und in
­wessen Dienst geschieht dies? Der Rekurs in die Geschichte, die Recht-
fertigung aus ihr und durch sie, gehört zu den Standardstrategien poli-
tischer Selbstdarstellung seit den Anfängen der Geschichte bis in un-
sere Tage, wobei die jeweilige Couleur im Spektrum zwischen links und
rechts kaum eine Rolle spielt. Geschichte wird seit jeher in den Dienst
genommen für die eigene politische Praxis […]

Geschichtsfälschung – Geschichtsklitterung
Falsche Geschichtlichkeit, vulgo ‚Geschichtsklitterung‘, wir könnten
sie auch Geschichtsfälschung nennen, hat einen bemerkenswerten po-
litischen Aspekt: Wer seine eigene Geschichte fälscht, begeht auch Zu-
kunftsfälschung, betrügt sich um einen wesentlichen Teil seiner eigenen
Zukunft. […]
Die schrittweise Anähnelung der Originale an ihre eigene Fälschung,
das heißt: an das Bild, die Vorstellung, die wir uns von ihnen gemacht
haben – so könnte man thesenhaft und pointiert die konservatorische
oder restauratorische Tätigkeit definieren –, Fälschung dabei verstan-
den als die Illusion von einem wie auch immer gearteten authentischen,
objektiv ‚richtigen‘ Zustand, der sich jedoch um so hartnäckiger ins
­Nebulöse entzieht, je mehr wir ihm auf den Leib zu rücken suchen. […]
Die Erscheinungsformen dieses Tuns, sozusagen eine kritische Phäno-
menologie des Fälschens […]: die Schönung, die Rückformung auf
­einen geglaubten, erhofften, erträumten Originalzustand, die Rekon-
struktion des nicht mehr Vorhandenen, die Erfindung des nicht mehr
Rekonstruierbaren nach irgendwelchen Analogien, die mehr oder min-
der gewaltsame Setzung von Prioritäten, also die Selektion der gebau-
ten Urkunden (man kann ja nicht alles erhalten; aber woher wissen
wir eigentlich, was den Zeitgenossen im Dritten Jahrtausend einmal
wichtig sein wird von unserer Kultur?), die Erhaltung oder Wiederher­
stellung eines p ­ olitisch opportunen oder gesellschaftlich allgemein
­affirmierten ­Schauwertes, die freischwebende Setzung von Forschungs-
schwerpunkten, schließlich die Interpretation und Rezeption des gebau-
ten Ahnenerbes. […]

116
Phänomenologie des Fälschens
[…] Rufen wir uns den geschichtskritischen Ansatz zurück ins Gedächt-
nis: Die Behauptung, durch ein wie auch immer geartetes Verhalten zur
und handelndes Umgehen mit Geschichte einen hohen Grad der An-
näherung an Objektivität erreicht zu haben (ja nur erreichen zu kön-
nen), diese Behauptung erfüllt unter dem trügerischen Rubrum der
Wahrhaftigkeit, der wissenschaftlichen Redlichkeit implizit bereits den
Tatbestand der Lüge, das intellektuelle Kapitaldelikt der Fälschung. […]
Manipulation, eins fürs andere setzen, falschen Anschein wecken, täu-
schen, vortäuschen, Illusionen für Realität verkaufen, unliebsame Rea-
litäten zu angeblichen Illusionen ummünzen, mit Sprache hochstapeln
[…] Stadtzerstörung larviert sich als ‚Flächensanierung‘, Kulturgutver-
nichtung bei Straßenbau und Bundesbahn als ‚Rückbau‘. […] Wann
werden wir, wenn letztendlich alles verdrängt wurde, was wehtut, aus
dem Tod ein ‚Unleben‘ gemacht haben, aus der Fälschung ein ‚Minus-
original‘? Den Sprachbildern entspricht der architektonische Rahmen.
Wir wirkten mit als gesellschaftliche Dekorateure am gelackten, gestyl-
ten Erscheinungsbild unserer gefälschten Republik […]. Wir hatten teil
an der Saubermannsideologie nach dem Kriege: schnell weg mit allen
Spuren des Unheils und des Unheilen, schnell beseitigt die Trümmer,
alles getilgt, was erinnern könnte. […] Tilgung aller Altersspuren […]
Wo fände man bei uns noch alte (auch neuere) Ruinen, die in Würde
verfallen dürfen? […]

Fälschung und Kitsch


Oft enthält die Fälschung ‚typischere‘ Züge des Originals als dieses
selbst. Darin unter anderem beruht die Publikumswirksamkeit, die
­Popularität der Verfälschung. Nehmen Sie nur das Stichwort Disney-
land oder Venedig. Soll man Venedig ganz sperren, um es zu retten, soll
man die Kopie mit sämtlichen Aromastoffen großer venezianischer
­Geschichte und Kunstgeschichte, platziert vielleicht bei Mestre oder
­Rimini, zur Besichtigung freigeben, eine Lösung ähnlich wie bei den
Eiszeithöhlen von Lascaux? Die geschichtliche Rechtfertigung würde
sich zu Zeiten schon von selbst einstellen, denn – um es mit Karl
­Valentin zu sagen – „was ich heute fälsche, ist morgen von gestern“, mit
anderen Worten: gewinnt Schutzwürdigkeit, historische Patina als Aus-
druck einer ganz bestimmten, wie auch immer gearteten städtebau­
lichen oder kulturpolitischen Haltung. […] Wo nostalgische, geschmäck-
lerische Fassadendenkmalpflege den naturidentischen Duftstoff für die

117
kosmetische Großinstallation ‚Altstadt‘ liefert, beschleicht einen nicht
selten ein beklommenes Gefühl. Wer kennt sie nicht, diese Beklommen-
heit angesichts perfekt restaurierter und konservierter Quartiere, etwa
der Limburger Altstadt, die denkmalpflegerische Ambition zu einem
Fest des schönen Scheins in einer historisch ausgedünnten Sphäre aus-
einanderrestauriert hat? Man wollte das Beste, und das Resultat ist ein
parfümierter Leichnam […]

Fälschung und Original


Wo vom Fälschen die Rede ist, muß auch ein Wort gesagt werden über
das Original, das begrifflich in enger Liaison steht mit ‚Originalität‘.
[…] Als der Begriff des künstlerischen Originals autonomen Wert ge-
wann (im Gefolge der Autonomisierung des Künstlertums), entwickelte
sich ein selbständiger Kunstmarkt, der sofort die Fälschung als Kom-
plement des Warencharakters des Originals herausforderte. […] Der
Schluß liegt nahe: In dem Augenblick, in dem die Spiritualität der
­mittelalterlichen Sakralbauten sich im allgemeinen gesellschaftlichen
Konsens in Nichts auflöste, fingen wir an, uns an deren Materialität
zu klammern. Was folgt hier wem? Ist es der Geist, der die Materie
formt? Oder ist der Geist in der Materie gefangengesetzt, in ihr gebannt
wie in der Glasflasche des Märchens? Wäre dem so, dann wäre Denk-
malpflege herabgekommen zum Dienstleistungsbetrieb bei den pharao-
nisch ­anmutenden Einbalsamierungsritualen einer ungläubig geworde-
nen, ­säkularisierten Gesellschaft, die meint, ihrer eigenen Geschichte,
ihrer eigenen Erinnerung nur noch über die Konservierung materieller
Realisate teilhaftig zu werden, vornehmlich in Form von künstlerischen
Hervorbringungen und Baudenkmalen. Wäre dem so, dann müßte die
Schlußfolgerung lauten: Wer noch glaubt, kann rekonstruieren, wer
nicht mehr glaubt, wer zweifelt, muß konservieren. […]

Rolle der Denkmalpfleger


[…] War Denkmalpflege unmittelbar nach dem Kriege und auch noch
zu Beginn des Wirtschaftswunders etwas Subversives, die Subkultur
­einiger weniger Unverbesserlicher, Ewiggestriger oder auch hartnäckig
unbelehrbarer Übermorgiger, die sich mit Kamikazegeist dem Trend
entgegenstemmten, so ist die konservatorische Haltung inzwischen
usurpiert, kommerzialisiert. Sie teilt damit das Schicksal der meisten
Subkulturen. Nicht zu vergessen ist dabei die Komplizenschaft mit
­einer anderen, einer politischen Subkultur, die bereits ab Ende der 60er

118
und dann verstärkt während der gesamten 70er und frühen 80er Jahre
zu wirken begann: die Hausbesetzer, die die Auseinandersetzung um
das baugeschichtliche Material politisierten und radikalisierten, freilich
meist mit ganz anderen Motiven und Argumenten als die amtlichen
Denkmalpfleger. […] Seit der politischen Wende [jene der 1980er Jahre,
Anm. MF] haben wir gute Karten, verdächtig gute Karten. […] Ganz
offenbar haben wir mitzuwirken an einem gesellschaftlichen Prozeß
mit dem erklärten Ziel, Geschichte wiederherzustellen, geschichtliche
Traumbilder, auch Wunschbilder zu liefern, wo diese verlorengingen.
Solche Traumbilder konkretisieren sich da am deutlichsten, auch am
volkstümlichsten, wo sie in künstlerisch geformter, in gebauter, in städ-
tebaulicher Gestalt erscheinen. Hier schlägt, so scheint es, die Rettung
der Erinnerung unmittelbar um in die Erinnerung an Rettendes. Indem
wir als ästhetische Vollstrecker des Zeitgeistes der Gesellschaft ihre
­gefärbten Geschichtsbilder liefern, also fälschen, werden wir zu politi-
schen Mittätern. […] Als Identifikationsmacher haben wir teil daran,
daß in dieser Republik seit 40 Jahren Verdrängung von Geschichte, ihre
Beschönigung, Stilisierung und Verkitschung, als deren Bewältigung
verkauft wird, das Surrogat für die Wahrheit. Doch „real verlorene Tra-
dition ist nicht ästhetisch zu surrogieren“, wie dies treffsicher Adorno
der bürgerlichen Gesellschaft ins Stammbuch geschrieben hat. […]

Alternativen?
Gibt es (gab es) überhaupt Alternativen? Sicher: es gab immer die Hal-
tung der Verweigerung, und es gibt sie noch. Der Konservator, der Alt-
stadtplaner muß nicht alles und jedes mitmachen, er muß nicht – um
des lieben Seelenfriedens willen – jeden faulen Kompromiß mitvoll­
ziehen. […]
Soll ‚richtige‘ Auseinandersetzung mit Geschichte […] nur noch im
­Museum, in Museumsdörfern erfolgen? Ein Gegenbild liefern die alten
Städte Italiens, die offenbar würdiger altern als unsere kosmetisch auf-
geschminkten alten Kerne. […] Abgerissen ist so schnell, ersetzt so
schwer, und die Denkmäler wachsen nicht nach. […]

9  Karl Markus Michel, „Echt gleich falsch“ – Identität als Fassade (1988)

Dieser Beitrag war als Vortrag (wie der von Reinhard Bentmann) auf der
Denkmalpflege-Tagung in Fulda 1988 zu hören. Er lieferte eine ebenso kri-

119
tische Analyse der Denkmalpflege als vermeintliche Instanz für die fach-
gerechte Herstellung von Rekonstruktionen, die überkommene Baudenk-
mäler ihres ureigensten Rechts berauben: des Rechts würdevoll zu altern
und damit im Einklang mit dem menschlichen Schicksal zu stehen.

Ich habe […] das Bauwerk mit dem menschlichen Individuum vergli-
chen, in physiognomischer Absicht. […] Das Subjekt stellt sich nach
außen dar, will sich zeigen und verbergen, und wird von den anderen
entsprechend wahrgenommen; sie sehen ein Gesicht und schließen auf
einen Charakter, auf ein Selbst, mit Kant zu reden: auf den ‚Zweck‘ des
Menschen, der mehr ist als seine Subjektivität. Von einem bestimmten
Alter an, meinte man früher, sei jede Person für ihr Gesicht verantwort-
lich. Das meint heute auch die plastische Chirurgie, obschon in ande-
rem Sinn. Gleichviel: Ein junges Gesicht kann als solches gefallen, als
‚hübsche Larve‘; in einem älteren sucht man mehr, ein Schicksal, gebro-
chen durch List, Trotz, Güte oder Weisheit. Ähnlich ist es bei den Bau-
werken, wenngleich ihnen die Verantwortung für ihr Äußeres oft ab-
genommen wird. Auch sie sollen etwas zum Ausdruck bringen; auch
sie können ‚lügen‘. Was sagt der semiologische Jargon dazu? Er geht ja
in der ‚Vermenschlichung‘ der Architektur viel weiter als mein physio-
gnomischer Ansatz, insofern er den Bauwerken ‚Sprache‘ verleiht: sie
reden, sie führen sogar Dialoge, sie zitieren einander quer durch die
Jahrhunderte. Dann werden sie wohl auch so menschlich sein, gelegent-
lich zu lügen? Nein, davon ist nie die Rede. Warum schwindeln sie nicht?
Weil sie nichts zu verbergen haben. Nicht das Bauwerk als solches
spricht, sondern allein sein Äußeres. Die angebliche Sprache ist […] das
Geschwätz der Fassade, die der postmoderne Blick absolut setzt. Sie
verkleidet nichts mehr, sie repräsentiert nur noch: sich selbst. Was da-
hinter ist, bleibt gleichgültig […]. Mitunter gibt es gar kein Dahinter,
nur noch Kulissen […]
Der Vergleich von Fassade und Gesicht führt notwendig zur Frage der
Identität. Wenn man hingegen unterstellt, daß Fassaden (oder Gemäuer-
reste) eine Sprache haben, schließt man die Identitätsfrage aus oder stellt
sie in einer Weise, die den ‚Charakter‘ von Architektur insgesamt ver-
kürzt, auf die äußere Erscheinung. Das liegt ganz im Trend der Zeit –
Outfit ist alles –, und es betrifft in vielen Fällen auch die Restaurierung
alter Gebäude; besonders dann, wenn ihre Form und Fassade sich ver-
selbständigt haben, gleichsam Attrappen geworden sind für eine ganz
andere Nutzung. Worin besteht dann die Identität? Zugespitzt gefragt:

120
Kann Dekoration identisch sein? Ja, sie kann. Nämlich im Museum. Bei
den Bildern, die dort hängen, bei Vasen und Schmuck fragen wir ja auch
nicht nach dem ursprünglichen ‚Zweck‘, und trotzdem stellt sich, zu-
mal für die Restauratoren, die Frage der Identität. Was die Fassaden
­betrifft, sind wir demnach aus dem Schneider, sobald wir unsere Städte
als Museen betrachten, so wie heute schon Venedig, Brügge, Rothen-
burg zum Beispiel. Die Mehrzahl der Städte würde allerdings keine so
spezialisierten Museen abgeben, sondern kunterbunte Ansammlungen
von Gerümpel und Schrott mit ein paar Schätzen dazwischen. Aber egal,
es ginge ja weniger um Ästhetik als um die Dokumentation von Stilen,
Typen, Abweichungen, von Glücks- und Sündenfällen. […] ein bißchen
Würde. Das ist das Hauptproblem unseres Fassadenmuseums: Es gibt
zu viele falsche Rosalias, die in penetranter Unschuld lächeln; es gibt
zuviel falsche Gleichzeitigkeit, weil alles, was restauriert wurde, wie alt
es auch sei, so frisch aussieht. […]

10  Ernst Bacher, Original und Rekonstruktion (1989)

Ernst Bacher war lange Jahre Generalkonservator am Österreichischen


Bundesdenkmalamt in Wien und hat einen beträchtlichen Anteil an der
ethisch fundierten Ausbildung von praktischen und theoretisch-wissen-
schaftlich arbeitenden Denkmalpflegern gehabt. Aus einem profunden
­Wissen über die Theoriebildung der Denkmalpflege, die sich besonders
auf Alois Riegls Schrift über den Denkmalkultus (1903) gründete, erörtert
­Bacher im folgenden Text der denkmalpflegerischen Illusion einer Herstell-
barkeit der ursprünglichen Originalität am Denkmal nach, die sich in letz-
ter Konsequenz in bedenkliche Nähe zu spekulativen Rekonstruktionen
begibt.

Erst der Historismus und damit zusammenhängend die Denkmalpflege


des 19. Jahrhunderts haben den Begriff Original zum Problem gemacht,
weil sie in der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk der Vergangen-
heit dessen Geschichtlichkeit negierten und mit der Aufhebung der Dif-
ferenz zwischen dem historischen Denkmal und seiner historisieren-
den Neuschöpfung der Geschichte ihre eigentliche Bedeutung nahmen;
damit provozierten sie jenen Umbruch, der um die Wende zum 20. Jahr-
hundert mit der modernen Geschichtswissenschaft einsetzte. Erst da-
mit wurde jener Sündenfall vollzogen, der den Begriff ‚Original‘ bis

121
heute zum Problem macht, denn erst seit die Kunstgeschichte ihren Ge-
genstand – von Alois Riegls Begriff des ‚Kunstwollens‘ ausgehend – als
historisches Dokument zu begreifen begann, entstand so etwas wie ein
Anspruch auf das Original, wurde Originalität ein existenzielles Krite-
rium des Kunstwerkes. […]
Worin gründen nun die in der Auseinandersetzung der Denkmalpflege
mit dem Thema mitschwingenden Zweifel? Sie wurzeln im selben
­Erkenntnisprozeß, der die Relevanz des Kunstwerks als historisches
Dokument begründete. Er sollte in diesem Zusammenhang auch die
Relativität historischer Überlieferungen und Wertmaßstäbe deutlich
machen, die den Begriff ‚Original‘ bei Werken der bildenden Kunst
­bekanntermaßen doppelt belastet: einmal durch die naturgegebenen
Veränderungen des Kunstwerkes in der Zeit (Alterung, Abbau, Verwit-
terung etc.), der alle Materie ausgesetzt ist; zum andern durch die Ein-
griffe und Interventionen des Menschen, die Werke der Vergangenheit
aus Gründen des praktischen Gebrauchs in der Gegenwart immer wie-
der über sich ergehen lassen müssen und die sie notwendigerweise
­verändern. Auch Restaurierungen zählen dazu, denn jede Erhaltungs-
maßnahme bedingt in der Regel mehr oder weniger eingreifende Ver-
änderungen, auch wenn sie nur die Bewahrung des Überkommenen
zum Ziel hat. […]
Wir akzeptieren diese Manipulation der Geschichte am Kunstwerk als
unabtrennbaren Bestandteil seiner Existenz, seit Riegl sogar als eine
­eigene Wertkategorie, und respektieren den durch die Geschichtlich-
keit konstituierten Alterswert als ästhetische und ethische Dimension
des Denkmals. Und es ist offenbar gerade das Bewußtsein, das heißt die
Gewißheit der Vergänglichkeit, die die Sehnsucht nach dem Ursprüng-
lichen, den Wunsch nach einem ‚Original‘ verstärkt. Unter diesem Blick-
winkel wird auch die Hoffnung der Kunstgeschichte verständlich, daß
die Denkmalpflege in der Lage sei, ihr dieses ‚Original‘ zu sichern. Und
es ist wahrscheinlich das zentrale Problem der Diskussion um den Be-
griff Original, daß wir uns schwer mit der Erkenntnis abfinden können,
daß es streng genommen kein Original gibt, daß dieser Begriff eine Fik-
tion ist, weil er die Geschichtlichkeit, der jedes Kunstwerk zwangs­läufig
unterworfen ist, ausklammert. Die Frage, wie wir nun davon ausgehend
zu einem sicheren Gegenstand unserer Wissenschaft Kunstgeschichte
und unseres Auftrags Denkmalpflege kommen, könnte man, um einen
Leitsatz Karl Poppers zu variieren, nur so beantworten, daß die Er-
kenntnis des Denkmals aus dem Prinzip seiner permanenten Verände-

122
rung erwächst. Dies würde bedeuten, daß der einzig sichere Zugang zu
einem Werk der Vergangenheit der ist, in kritischer Distanz für seine
Existenz alle Möglichkeiten einer nachträglichen Veränderung, das heißt
Falsifikation, in Betracht zu ziehen, einschließlich der Unsicherheit, die
sich aus der zeitgebundenen Position des Historikers als eines zusätz-
lichen Relativierungsfaktors ergibt. Mit dieser Einschätzung des Be-
griffs Original ist bereits eine Antwort auf die Frage nach dem Stellen-
wert des Begriffs ‚Rekonstruktion‘ vorweggenommen, denn wenn der
ursprüngliche Zustand eines Kunstwerkes mit so vielen Unsicherheits-
faktoren belastet ist, gilt dies naturgemäß gleichermaßen für die Wie-
derherstellung, also für die Rückgewinnung dieses ‚Originals‘.
Nun ist die Sache in der Denkmalpflege aber insofern besonders schwie-
rig, als der Begriff Rekonstruktion nicht nur die totale Wiederherstel-
lung meint, sondern auch die partielle in ganz verschiedenem Umfang,
und so als mehr oder weniger große Intervention am Denkmal nie klar
und eindeutig abgrenzbar ist, sondern vielfach aus einer Stufenleiter
­unterschiedlicher Eingriffe besteht. […] Wir werden erst skeptisch,
wenn die Wiederherstellung auf der vielteiligen Stufenleiter von der
­Restaurierung zur Rekonstruktion in ihrer Dimension oder ihrer Wer-
tigkeit einen bestimmten Punkt überschreitet, auch wenn die gemein-
hin als Voraussetzung dafür geforderten Bedingungen (ausreichende
und verläßliche historische Dokumentation des ursprünglich Vorhan-
denen etc.) gegeben sind. Die für eine Rekonstruktion ins Treffen ge-
führten Argumente […] konzentrieren sich zumeist auf die Feststellung,
daß historische Quellen, Baubefund und andere dafür notwendige For-
schungsergebnisse eine sichere Wiederherstellung erlauben, sowie auf
die Vorstellung bzw. Hoffnung, daß es, von diesen Grundlagen aus­
gehend, möglich ist, die geschichtlichen, künstlerischen und kulturel-
len Dimensionen des Denkmals weitgehend wiederzugewinnen. Die
Tatsache, daß bei den meisten derartigen Vorhaben im Grenzbereich
zwischen Restaurierung und Rekonstruktion agiert wird, also zumin-
dest zum Teil historische Bauteile zur Verfügung stehen, verunklärt die
Situation und überlagert die Zwiespältigkeit der Argumentation. […]
Dabei wird man sich kaum bewußt, daß die sich auf die Idee des Kunst-
werkes konzentrierende Rekonstruktion, die dessen materielle Existenz
und alles das, was im Verein mit Material und Technik die künstlerische
Handschrift des historischen Werkes konstituiert, zwangsläufig aus-
klammern muß, uns schnurgerade in die Ideologie der Denkmalpflege
des Historismus zurückführt. […]

123
Eine ganz wesentliche Unterstützung der Rekonstruktion als quasi
­legitime Methode der Denkmalpflege ging vom Wiederaufbau zerstör-
ter Städte und Baudenkmäler nach Kriegsschäden aus; zuletzt nach dem
Zweiten Weltkrieg, als man der Rekonstruktion vernichteter histori-
scher Altstädte – ausgehend vom Wiederaufbau Warschaus – weltweit
bewundernden Beifall zollte und die Rekonstruktion damit im Zusam-
menhang zur umfassendsten und höchsten denkmalpflegerischen Maß-
nahme und Leistung wurde. Es handelt sich dabei zweifellos um eine
großartige Leistung, nur liegt diese auf einer anderen Ebene und hat
strenggenommen mit Denkmalpflege nichts zu tun. Neue Altstädte, die
einen historischen Bestand in seiner äußeren Erscheinung wiederher-
stellen, sind Neuschöpfungen unserer Zeit, und darin liegt die Leistung,
deren Sinn und Motivation aber außerhalb der Denkmalpflege liegt.
Diese erfüllt dabei nur eine mehr oder weniger seriöse Hilfestellung und
Vermittlungsfunktion als quasi dafür zuständige historische Disziplin
für die Frage, wie so etwas gemacht wird.
Vermischen sich aber all diese Ebenen, dann wird Rekonstruktion als
beiläufiges oberflächliches Zitat inhaltlich zu einer Karikatur eines
­historischen Bauwerkes, wird bei dem Versuch, Geschichte zu beschwö-
ren, die Historie desavouiert. Vieles, was in den letzten Jahren als
­‚Rekonstruktion‘ entstand, sich als Wiederherstellung deklarierte (Alt-
stadthäuser, ganze Ensembles, Burgen, historische Feriendörfer etc.),
fällt darunter. Man brauchte davon kein Aufhebens zu machen und
könnte mit dem Argument, es handle sich um einen nostalgisch moti-
vierten Historismus der Postmoderne, darüber hinweg zur Tagesord-
nung übergehen, wenn hier nicht nach wie vor das Mißverständnis im
Vordergrund stünde, alles dies unter dem Übertitel ‚Denkmalpflege‘ zu
sehen und die Erhaltung des historischen Erbes damit zu belasten. Hier
schließt sich der Kreis insofern, als die so verstandene Rekonstruktion
und der eingangs skizzierte mißverständliche Originalbegriff in einem
ursächlichen Wirkungszusammenhang stehen. Die daraus erwachsene
Belastung bzw. Schwierigkeit für die Denkmalpflege ist eine zweifache:
einmal die Verwechslung und Vermischung von Denkmal und Neu-
schöpfung, zum andern – und diese Perspektiven sind noch viel gefähr-
licher und gravierender – die Rückprojektion unhistorischer Original-
vorstellungen, für die nicht der vielschichtige historische Befund,
sondern die vordergründige Attraktivität der Rekonstruktion maß­
gebend ist, auf das historische Denkmal. Dieses wird nun mit verfälscht
durch das Bild der Rekonstruktion, die zwangsläufig als das bessere,

124
a­ ttraktivere Original erscheint, weil sie mit der Geschichte wunsch- und
auftragsgemäß umgehen kann […]
Die Verlockung, die Geschichte in einem plakativ vereinfachten, auf
­äußerliche Attraktivität ausgerichteten Klischee eindrucksvoller darzu-
stellen, als diese sich selbst zu präsentieren vermag, verbindet sich da-
bei mit dem durch Konjunktur und technische Möglichkeiten gebotenen
Freiraum unbegrenzter Machbarkeit. Dazu gesellt sich schließlich eine
aus dieser Entwicklung resultierende zunehmende Unempfindlichkeit
gegenüber dem differenzierten, eingehendere Auseinandersetzung be-
anspruchenden künstlerischen bzw. historischen Tatbestand, weil die-
ser mit der plakativen Attraktivität historischer Neuschöpfungen na-
turgemäß nicht zu konkurrieren vermag. Beispiele dafür, daß in unseren
historischen Städten wertvolle historische Bausubstanz verfällt, weil sie
mit der Attraktivität aktueller Altstadtschöpfungen nicht mithalten
kann, sind Legion.
Versucht man diese Überlegungen zu den Begriffen ‚Original‘ und
­‚Rekonstruktion‘ zusammenzufassen, so muß man festhalten: Eine
­eingehende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, wie sie der
Denkmalpflege als historischer Disziplin im Spektrum der modernen
Geschichtswissenschaften von ihren methodischen Kriterien her vor-
gezeichnet ist, reduziert den Begriff ‚Original‘, wie er landläufig ver-
wendet wird, zu einem fiktiven Wunschbild, dem kaum Relevanz
­zukommt, weil es den damit gemeinten historischen Tatbestand unzu-
lässig reduziert und mißverständlich vereinfacht. Die Rekonstruktion
steht damit in ursächlichem Zusammenhang, weil ihr Ziel sich zwangs-
läufig an jenem fragwürdigen Original orientieren muß und sie daher
als Ergebnis nicht mehr bieten kann als einen aus der Geschichtlichkeit
des Denkmals mehr oder weniger willkürlich herausgeschnittenen Aus-
schnitt in heutiger Interpretation und Ausführung. Der Stellenwert der
Rekonstruktion für Ziele außerhalb der Denkmalpflege ist hier nicht
zu beurteilen. Innerhalb der Denkmalpflege ist ihr Platz nur in jenem
Randbereich zu akzeptieren, der die eigentliche Aufgabe von Denkmal-
schutz und Denkmalpflege, die Erforschung und Erhaltung des histo-
rischen Erbes im Zusammenhang mit der Aufgabe der ‚restauratio‘,
zwangsläufig immer auch an diese Grenze führt.

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11  Umberto Eco, Fälschung und falsche Identifikation (1990)

Dieser Beitrag entstammt dem Buch Grenzen der Interpretation des italie-
nischen Semiotikers Umberto Eco und steht im Kapitel „Interpretations-
arbeit“ unter Punkt „Nachahmungen und Fälschungen“. Essentiell für die
Behandlung des Problemfalls der Rekonstruktion ist Ecos Nachweis, daß
man auch von einer Fälschung sprechen kann, wenn ihr Autor mit bestem
Wissen und Gewissen gehandelt und gar keine fälschende Absicht im Sinn
gehabt hat. Allein die Tatsache, daß der Rezipient (also der Betrachter der
Rekonstruktion) eben diese für das Original halten könnte oder den Zu-
sammenhang verkennt, macht eine Rekonstruktion zur Fälschung. Damit
wird den Rekonstruktionsbefürwortern widersprochen, die die Bezeich-
nung der Fälschung immer wieder als eine moralisierende und autoritär
­gesetzte Deutung der Moderne (und ihrer Institutionen) ausweisen.

Juristisch gesehen können auch Duplikate gefälscht werden. Semiotisch,


ästhetisch, philosophisch und sozial relevant jedoch werden Fälschun-
gen, wenn sie unreproduzierbare Gegenstände und Pseudo-Duplikate
betreffen, die ja beide mindestens eine ‚einzigartige‘ äußere oder innere
Eigenschaft aufweisen. Definitionsgemäß kann es von einem Unikat
keine Duplikate geben. Folglich muß jede Kopie davon, entweder (wenn
es ehrlich zugeht) als Faksimile deklariert werden oder (fälschlicher-
weise) als identisch mit dem Vorbild. Eine engere Definition von ‚Fäl-
schung‘ könnte darum so lauten: Eine Fälschung liegt vor, wenn ein
­Gegenstand mit der Absicht hergestellt – oder nach der Herstellung ver-
wendet oder zur Schau gestellt – wird, jemanden glauben zu machen, er
sei identisch mit einem Unikat. […]
Die notwendigen Bedingungen für das Vorliegen einer Fälschung sind
also folgende: Es muß, wenn die wirkliche oder angenommene Existenz
eines von A (einem menschlichen oder nichtmenschlichen Autor) her-
vorgebrachten Gegenstandes Ga in einer bestimmten geschichtlichen
Situation T1 gegeben ist, ein anderer, davon verschiedener von B (mensch-
licher oder nichtmenschlicher Autor) in der Situation T2 hervorgebrach-
ter Gegenstand Gb existieren, der unter bestimmten Gesichtspunkten
eine starke Ähnlichkeit mit Ga (oder einer traditionellen Vorstellung
von Ga) aufweist. Die ausreichende Bedingung für eine Fälschung be-
steht darin, daß jemand erklären muß, Gb sei identisch mit Ga. Für die
gängige Vorstellung impliziert ‚Fälschung‘ im allgemeinen eine Täu-
schungsabsicht. Doch ist die Frage, ob B, der Autor von Gb, diese Ab-

126
sicht hatte, irrelevant (auch wenn B ein Mensch ist). B weiß, daß Gb
nicht identisch mit Ga ist und kann ihn ohne jede Täuschungsabsicht
verfertigt haben, etwa zu Übungszwecken, im Scherz oder zufällig. Be-
schäftigen müssen wir uns jedoch mit einem Prätendenten, der behaup-
tet, Ga sei identisch mit (oder ersetzbar durch) Gb – wobei der Präten-
dent natürlich mit B zusammenfallen kann.
Aber nicht einmal die Täuschungsabsicht des Prätendenten ist nötig,
denn auch er kann ehrlich an die Identität glauben, die er behauptet.
Eine Fälschung ist darum nur eine für einen äußeren Beobachter – den
Richter –, der, da er weiß, daß Ga und Gb zwei verschiedene Gegen-
stände sind, begreift, daß der Prätendent, sei es böswillig oder guten
Glaubens, eine falsche Identifikation vorgenommen hat. […]
Eine Fälschung ist etwas also nicht wegen seiner inneren Beschaffen-
heit, sondern kraft einer Identitätsbehauptung. Fälschungen sind somit
vor allem ein pragmatisches Problem. […]

12  Hanno-Walter Kruft, Rekonstruktion als Restauration?


Zum Wiederaufbau zerstörter Architektur (1993)

Dieser Beitrag des deutschen Kunsthistorikers Kruft ist 1993 in der Neuen
Zürcher Zeitung erschienen und entstand gewissermaßen als Reaktion
auf die problematische Entwicklung der vor allem deutschen Denkmal-
pflege nach der Deutschen Wiedervereinigung. Zu wenig hätte diese sich,
so Kruft, vom aufkommenden neokonservativen Ruf nach angeblich
geschichts­heilenden Rekonstruktionen distanziert, die jetzt angeblich die
tragischen Denkmalverluste um 1945 und jene während der Deutschen Tei-
lung w­ ieder gut machen sollten. Rekonstruktion dürfe nicht zur neohisto-
ristischen Strategie einer neuen deutschen Identitätsstiftung werden, weil
gerade ­Rekonstruktionsbauten einer angeblich guten alten Zeit bis heute
jeder a­ bsolut notwendigen Verarbeitung beziehungsweise Aneignung zwei­
deutscher, also zeitgeschichtlicher Baudenkmäler entgegenwirkten. Kruft
machte somit auch überzeugend deutlich, daß Rekonstruktionen zu aller-
erst ein historisch-moralisches Problem sind.

Seit der deutschen Wiedervereinigung ist eine Diskussion an die Ober-


fläche des öffentlichen Bewußtseins gekommen, die vorher weitgehend
zwischen Denkmalpflegern und Politikern ausgetragen wurde. Die ‚Pro-
visorien‘ der deutschen Teilung, der Teilung Berlins und das Proviso-

127
rium der westdeutschen Hauptstadt Bonn erzwangen einen Aufschub
von Entscheidungen, die jetzt überfällig zu sein scheinen.
Der Zeitpunkt der Diskussion ist historisch-politisch bedingt, die Fra-
gestellung ist jedoch von grundsätzlicher Natur: Unter welchen Um-
ständen ist es erlaubt, zerstörte Architektur durch eine Rekonstruktion
zu ersetzen? Man muß bei dieser Fragestellung davon ausgehen, daß
eine Rekonstruktion auf Grund einer vorhandenen Dokumentation
überhaupt möglich ist. Die öffentliche, aber auch die fachinterne Dis-
kussion der letzten Zeit macht deutlich, daß das Spektrum von Antwor-
ten fast sämtliche denkbaren Lösungsvorschläge anbietet, woraus
man schließen könnte: Alles ist erlaubt. Das erschreckende Niveau der
­Diskussion läßt es ratsam erscheinen, die Problematik neu zu durch-
denken. Dabei muß es vor allem darum gehen, die ideologischen Prä-
missen vermeintlich objektiver Standpunkte offenzulegen. […]
Wann ist ein Gebäude eigentlich ‚zerstört‘? Wenn es nicht mehr funk-
tionsfähig ist? Wenn seine physische Substanz ganz oder teilweise (wie-
viel Prozent?) verloren ist? Oder erst, wenn es völlig von seinem Stand-
ort verschwunden und möglicherweise durch ein anderes Gebäude
ersetzt ist? Uns interessieren natürlich nur solche Gebäude, die als
­historische Denkmale gelten.
Die Frage nach dem Grad der Zerstörung ist erheblich und wird sich
nicht prozentual über eine Faustregel beantworten lassen. Eine andere
Qualität besitzt die Frage nach dem Grund der Zerstörung. Diese kann
reinen Zufälligkeitscharakter haben oder die Bedeutung eines histori-
schen Strafvollzugs besitzen, um zwei extreme Möglichkeiten zu be-
zeichnen. […] man [muss] den Grund einer Zerstörung kennen […],
wenn man einen Wiederaufbau als Rekonstruktion in Erwägung zieht.
Eine Rekonstruktion ist nicht primär ein urbanistisches, ästhetisches,
technisches oder finanzielles Problem, sondern ein historisch-morali-
sches. Das bedeutet, daß es eine prinzipielle Antwort auf die Frage „Re-
konstruktion: ja oder nein?“ nicht geben kann. Die Kategorien der
Denkmalpflege betreffen die Rekonstruierbarkeit, doch diese ist keine
Legitimation für den Vollzug einer Rekonstruktion. Offensichtlich
­geraten Rekonstruktionen mit wachsendem zeitlichem Abstand zwi-
schen Zerstörung und Wiederaufbau aus der moralischen Schußlinie
in die geschmacklich-ästhetische. […] Zerstörung ist der historische
­Extremfall eines zeitlichen Verschleißes, dem jedes Monument unter-
worfen ist. Zerstörung ist Mord im Sinne eines vorzeitigen Todes, der
­unter natürlichen Alterungsbedingungen wesentlich später eingetreten

128
wäre. […] Die Vorstellung, ein Monument durch Konservierung oder
Rekonstruktion dem Schicksal seines Unterganges entziehen zu kön-
nen, ist in jedem Fall eine Fiktion. Die Festschreibung auf einen zeit­
losen Zustand des Nichtalterns ist ebensowenig wünschbar wie die
­Herstellung eines ursprünglichen Erscheinungsbildes durch Rekon-
struktion, in der der Faktor Zeit geleugnet wird.
Die Einwirkung der Zeit auf ein Monument wird in jedem Fall zu sei-
nem Bestandteil. Die Entstehung eines Monuments ist zeitgebunden.
Spätere Zeiten können verändernd, konservierend, vernachlässigend
oder zerstörend mit Monumenten umgehen. […] Zerstörung kann im
Sinne einer damnatio memoriae oder eines Racheaktes eine Demonstra-
tion der Befreiung sein. Wie viele königliche Monumente – von hohem
ästhetischem Wert – wurden während der Französischen Revolution
zerstört! Wie viele Monumente der alten DDR – von weniger hohem
ästhetischem Wert – wurden jüngst demontiert und verschwanden in
Magazinen, um vielleicht in historischen Museen wieder aufzutauchen!
Der Palast der Republik in Berlin wird ja nicht nur aus urbanistischen
und ästhetischen und Asbest-Gründen abgerissen, sondern auch, um
ein Stück sichtbare Erinnerung an eine ungeliebte Geschichte zu tilgen.
In einer anderen Optik wird der gleiche Vorgang als Identitätsverlust
deklariert. Die Sprengung der Tribüne auf dem Nürnberger Zeppelin-
feld nach 1945 – als Strafaktion der Amerikaner – zielte in die gleiche
Richtung. Zerstörung kann ein eminent historischer Vorgang sein.
Wenn man sich entscheidet, ein Gebäude, das nicht zufällig, sondern
aus einer bewußten Entscheidung zerstört worden ist, zu rekonstruie-
ren, bedeutet dies den Versuch eines Eingriffs in die Geschichte, d. h.
­einer Revision. Unabhängig von der Frage nach der „Gerechtigkeit“ der
Zerstörung haftet einer solchen Entscheidung der Charakter der Mani-
pulation und Unredlichkeit an. Historische Ereignisse, d. h. auch be-
wußte Zerstörungen, sind irreversibel. Um Tote kann man trauern, und
man kann sie beerdigen. Rekonstruktionen sind historische Nostalgien
von Menschen, die mit ihrer Geschichte nicht fertig werden und sich
den Schein einer anders verlaufenen Geschichte vor Augen führen
­wollen. Rekonstruktionen sind ein Symptom für das Phänomen, das
­Alexander und Margarete Mitscherlich bereits 1967 als „Die Unfähig-
keit zu trauern“ beschrieben haben.
Rekonstruktionen sind in jedem Falle Falsifikate. Die vorangehende
Diskussion könnte zu dem Schluß führen, daß sie als Geschichts­
fälschungen grundsätzlich abzulehnen seien. Auf einer historisch und

129
moralisch abstrakten Ebene ist diese Schlußfolgerung kaum vermeid-
bar, doch in Wirklichkeit wird es Fälle geben, in denen eine Rekonstruk-
tion unter übergreifenden Gesichtspunkten das geringste Übel ist. Wenn
ein Monument als einzelnes mitsamt seiner historischen Umgebung
durch Zerstörung ausgelöscht ist, wird eine – wenn auch technisch mög-
liche – Rekonstruktion zur Geschichtsattrappe. Eine solche kann […]
als „Handeln der Gegenwart“ unter kollektivem Druck erforderlich
werden, wenn ein mehrheitlicher Wille zur Geschichtsverdrängung be-
steht. Positiv werden solche Rekonstruktionen dann als Symbole der
Identitätssicherung interpretiert. Die Bewertung dieses Vorganges ist
eine moralische und eine Frage des Umgangs mit der Geschichte. Das
bekannteste Beispiel ist der beschlossene Wiederaufbau der Frauen­
kirche in Dresden. Historisch und denkmalpflegerisch ist dieser Wie-
deraufbau nicht zu rechtfertigen, als politische Entscheidung wird er
verständlich, doch müssen sich die Entscheidungsträger – dies gilt auch
für eine kollektive Mehrheit – sagen lassen, daß ihr Umgang mit der
­Geschichte unehrlich ist. Solche Entscheidungen sind Ausdruck der
­Restauration und spiegeln einen orientierungslosen, historisch retro-
spektiven gesellschaftlichen Zustand. Man kann solche Tendenzen nicht
aufhalten, allenfalls bewußt machen.
Das Erstaunliche und Ärgerliche an dieser Entwicklung ist, daß es
­Historiker, Denkmalpfleger und Kunsthistoriker gibt, die diese Ent-
scheidungen mit angeblich wissenschaftlichen Argumenten unterfüt-
tern, so daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen muß, daß sich
solche Rekonstruktionen legitimieren lassen. Man kann die kollektiven
Verdrängungsmechanismen bedauern, ihre willentliche Unterstützung
durch eine Instrumentalisierung wissenschaftlicher Argumentation liegt
außerhalb jeder Anstandsgrenze und markiert lediglich den Standort
derer, die sich dafür hergeben. Falls sie an ihre eigenen Argumente glau-
ben, wäre das schlimm.
Jede Rekonstruktion ist letztlich eine Einzelentscheidung, doch muß
sie vor dem historisch-moralischen Hintergrund gesehen werden […].
Die Münchner Residenz zeigt exemplarisch, wie allmählich das Bewußt-
sein der Zerstörungen schwindet und sich die Grenze zwischen origi-
nalen und rekonstruierten Bauteilen verwischt. Die Befürworter tota-
ler Rekonstruktionen werden aus diesem nicht zu leugnenden Prozeß
natürlich ein Argument für ihren Standpunkt ableiten. Die Rekonstruk-
tion wird im Bewußtsein durch den Faktor Zeit immer mehr zum Ori-
ginal. Die Zerstörung, wenn man überhaupt davon weiß, wird zum

130
­ istorischen Unfall. Die Handvoll Wissenschaftler und Kenner, die sich
h
über Fehler und Unzulänglichkeiten der Rekonstruktion aufregen, läßt
sich ignorieren. […]
Der Wissenschaftler stellt sich aus der persönlichen Identifikation mit
einem kollektiven Identifikationsbedürfnis hinter eine Rekonstruktion,
deren objektive Bedenklichkeit er sieht, die er dann aber optimal durch-
zuführen sucht. Im Falle der Semperoper, bei der von einer erheblichen
erhaltenen Substanz ausgegangen werden konnte, ist dieser Kompro-
miß nachvollziehbar. Die Grenze wird jedoch überschritten, wenn sich
der gleiche Denkmalpfleger zum Wortführer für den Aufbau der Frau-
enkirche in Dresden macht. Der eigentlich kritische Fall tritt ein, wenn
ein Monument weitgehend oder ganz zerstört ist. Man kann natürlich
nicht in allen Fällen die Ruinen als solche konservieren und als histori-
sche Mahnmale behandeln. Dies ist nur bei Monumenten mit einem ho-
hen Identifikationspotential möglich – wie etwa bei der Frauenkirche
in Dresden, deren mahnende Qualität den Dresdnern lästig geworden
ist und die deshalb durch eine Rekonstruktion ersetzt wird […].
Der Wunsch nach einer Erinnerung an die Geschichte ist […] verständ-
lich. Die Frage ist jedoch, wie sich diese Erinnerung – nicht nur durch
eine Ruine als Mahnmal – erreichen läßt, ohne zum Mittel der Rekon-
struktion zu greifen. Rekonstruktionen spiegeln eine neohistoristische
Haltung, die der Mentalität der ‚Postmoderne‘ entspricht. […] Daß die
öffentliche Diskussion über die Rekonstruktion von Baudenkmälern
in Deutschland ihren entscheidenden Auftrieb durch die Wiederverei-
nigung erhielt, unterstreicht, daß es sich um primär politische Entschei-
dungen handelt. Es wäre mehr als fatal, wenn das wiedervereinigte
Deutschland derartige Rekonstruktionen als Identitätssymbole nötig
haben sollte, die nichts als ein versuchter Blick zurück wären.
Der Historiker, Denkmalpfleger und Architekt sollte dazu die Hand
nicht reichen. Da sie jedoch Menschen und d. h. korrumpierbar sind,
werden sie auf Bestellung oder aus gutem Glauben jede gewünschte
­Rekonstruktion begründen und liefern. Die Zukunft wird mit ihnen
­leben. Den Mut und Charakter, Rekonstruktionen wegen ihrer Unred-
lichkeit zu zerstören, wird es niemals geben. Außerdem würde sich
wieder jemand finden, der zerstörte Rekonstruktionen rekonstruieren
würde.

131
Anmerkungen

1 Sauerländer, Willibald, Erweiterung des Denkmalbegriffs? In: Deutsche Kunst und


Denkmalpflege 33, 1975, 117–130. Neuabdruck mit einem Kommentar von 1993, in:
Wilfried Lipp, Denkmal – Werte – Gesellschaft; Frankfurt/New York 1993, 120–149
2 Falser, Michael, Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der
Denkmalpflege in Deutschland, Dresden (Thelem Verlag) 2008
3 Baudrillard, Jean, Ramses oder die jungfräuliche Wiederaufstellung, in: derselbe, Agonie
des Realen, Berlin 1978, 16–24
4 Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt am Main (Suhr-
kamp) 1965
5 Lübbe, Hermann, Technische Evolution als Faktor der Selbsthistorisierung unserer
­Zivilisation, in: derselbe, Der Lebenssinn der Industriegesellschaft. Über die moralische
Verfassung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Berlin 1990, 103–206
6 Koolhaas, Rem, Preservation is overtaking us, Future Anterior 1/2, Fall 2004
7 Meadows, Dennis et al., The Limits of Growth, New York 1972
8 Berger, Peter L. et al., Die Grenzen der Entmodernisierung, in: dies., Das Unbehagen in
der Modernität, Frankfurt/New York 1975, 185–201

Literatur

1 Benjamin, Walter (1936), Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier-


barkeit, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1977, 9–23
2 Brandi, Cesare (1963), Theorie der Restaurierung, in: Ursula Schädler-Saub, Dörthe ­Jakobs
(Hg.), Hefte des Dt. ICOMOS Nationalkomitees, München 2006, 95–98
3 Adorno, Theodor. W. (1963), Résumé über Kulturindustrie, in: derselbe, Ohne Leitbild.
Parva Aesthetica, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1970, 60–70
4 Toffler, Alvin (1970), Überlebensstrategien – Enklaven der Vergangenheit, in: derselbe,
­Zukunftsschock, Bern, München, Wien 1970, 9–14, 309–311
5 Haug, Wolfgang Fritz (1971), Ästhetische Abstraktion der Ware: Oberfläche – Ver­
packung – Reklamebild, in: ders., Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main (Suhr-
kamp) 1972, 60–64. Überarbeitete Neuausgabe: Kritik der Warenästhetik. Gefolgt von
Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus, edition suhrkamp 2553, 2009
6 Mörsch, Georg (1986), Kopieren in der Denkmalpflege? In: Unsere Kunstdenkmäler
37/1,1986, 73–86
7 Treinen, Heiner (1987), Das Original im Spiegel der Öffentlichkeit, in: Deutsche Kunst
und Denkmalpflege 45/2, 1987, 180–186
8 Bentmann, Reinhard (1988), Die Fälscherzunft – Das Bild des Denkmalpflegers, in:
­Deutsche Kunst und Denkmalpflege 46/2, 1988, 155–169. Neuabdruck mit Kommentar,
in: Wilfried Lipp, Denkmal – Werte – Gesellschaft, Frankfurt/New York 1993, ­203–246
9 Michel, Karl Markus, Echt gleich falsch – Identität als Fassade, in: Deutsche Kunst und
Denkmalpflege 46/2,1988, 98–109
10 Bacher, Ernst, Original und Rekonstruktion in: Georg Mörsch und Richard Strobel (Hg.),
Die Denkmalpflege als Plage und Frage, Berlin-München (Deutscher Kunstverlag) 1989,
1–5

132
11 Eco, Umberto (1990), Fälschung und falsche Identifikation. In: Derselbe, Die Grenzen
der Interpretation. München 2004, 225–227
12 Kruft, Hanno-Walter, Rekonstruktion als Restauration? Zum Wiederaufbau zerstörter
Architektur, in: Neue Zürcher Zeitung, 3./4. Juli 1993. Neu abgedruckt in: Kunstchronik
46, 1993, 582–589

133
Gabi Dolff-Bonekämper

Denkmalverlust als soziale Konstruktion

Wenn für oder gegen den Wiederaufbau oder, wie es seit geraumer Zeit
heißt, die Re-Konstruktion eines Baudenkmals gesprochen wird, ist selbst-
verständlich vorausgesetzt, daß das Denkmal zuvor verlorengegangen sein
muß. Man könnte also davon ausgehen, daß die Befürworter und die Geg-
ner von Rekonstruktionen zumindest eines verbindet, nämlich der Verlust.
Aber schon da beginnen die Differenzen. Denn Verlust ist viel mehr als ein
dem Wissen zugänglicher Sachverhalt – das Verschwinden eines Gegen-
standes, die Abwesenheit von etwas, das vorher da war. Verlust ist eine per-
sönliche Erfahrung, die, eng verwoben mit der sozialen Interpretation und
Bewertung sowohl des verlorenen Gegenstandes als auch der Umstände
seines Verlorengehens, vergesellschaftet werden kann. Das Erleben und die
soziale Bewertung eines Denkmalverlustes können divergieren, je nach-
dem durch wen sie wann artikuliert werden. Mit anderen Worten: Wenn
auch exakt bestimmt werden kann, wann genau ein Denkmal zu wie vie-
len Teilen unterging, so ist damit noch nicht abschließend gesagt, wer seine
Abwesenheit wann und warum als Verlust empfinden wird. Ebensowenig
ist vorbestimmt, ob und gegebenenfalls wann mit dem Verlustempfinden
ein Wunsch nach Wiederbeschaffung verknüpft wird. Die Verknüpfung ist
nicht notwendig: Man kann einen Denkmalverlust erleben, betrauern und
verschmerzen, ohne an Wiederbeschaffung zu denken. Aber kann man
auch eine Wiederbeschaffung wollen, einfach so, ohne zuvor den Verlust
betrauert oder überhaupt erlebt zu haben? Ist das Sprechen über Verlust­
erleben obligatorisch, gewissermaßen als moralische Untermauerung des
Ersatzbeschaffungswunsches?

Die Umstände des Verlorengehens

Ich schlage vor, zur näheren Beschreibung und Bewertung eines Baudenk-
mals hier die Parameter Substanz, Form, Ort, Namen und (sozial zugewie-
sene) Bedeutung anzusetzen.1 So wird es einfacher, im Falle einer Zerstö-

134
rung den Stellenwert dessen zu bestimmen, was noch da ist. Gibt es noch
wiederverwendbare Substanz? Kann man noch Formen/Konturen unter-
scheiden oder sind sie auf Bildern überliefert? Ist der Ort noch erkennbar
und der Name gegenwärtig? Und schließlich: Ist die Bedeutung des Denk-
mals sozial überliefert, gegebenenfalls auch nach der Zerstörung von Form
und Substanz und gar der Neubesetzung oder Unkenntlichmachung des
Ortes? Dies ist am Ende entscheidend, denn nur wenn das Denkmal als Erbe
über seine Zerstörung hinaus gesellschaftlich interpretiert und wertgeschätzt
wird, wenn also seine soziale Bedeutungskonstruktion trotz ­seiner materi-
ellen Abwesenheit fortbesteht und keine höhere Weisung anderes bestimmt,
kann mit dem Wunsch nach einer Wiederbeschaffung g­ erechnet werden. Es
sollte noch erwähnt werden, daß die jeweilige Bestimmung von Ort, Form,
Substanz und Bedeutung zeitgebunden ­erfolgt, daß also über die Zeit so-
wohl mit der Veränderung des Gegenstandes als auch mit der Veränderung
der Beobachtungs- und Bewertungsmaßstäbe zu rechnen ist.
Die meisten, wenn auch durchaus nicht alle Verluste von Baudenkmalen
in Deutschland und in den angrenzenden Ländern sind durch Bombenan-
griffe, schweren Artilleriebeschuß oder gezielte Sprengung oder Brand-
schatzung eingetreten, also durch Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg.
Oder sie traten im Zuge der Neugestaltung der Stadtzentren nach dem
Krieg ein, durch die zahlreichen Abbrüche, die größtenteils in den 1940er
und 1950er Jahren erfolgten. Mithin hat sich die Anzahl der Personen, die
den Denkmal-Verlust selber, mit eigenen Sinnen, erlebt haben, während
der Wiederaufbau- beziehungsweise Rekonstruktionsdebatten der vergan-
genen drei Jahrzehnte kontinuierlich verringert. Die wenigsten von ­denen,
die heute für Rekonstruktionen von kriegszerstörten Baudenk­malen spre-
chen, können sich auf eigene direkte Zeitzeugenschaft berufen – sie wün-
schen beziehungsweise fordern also die Wiederbeschaffung von Bauwer-
ken, die sie nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus medialer
Überlieferung (Bild, Schrift, Erzählung) kennen. Ist das überhaupt legitim?
Bevor wir rundheraus abstreiten – oder bekräftigen –, daß es plausibel sein
könnte, etwas „wieder“-haben zu wollen, was man nie materiell besaß, ist
es sinnvoll, sich genauer mit diesem Präfix Wieder zu beschäftigen.

Die Magie der Worte

Der alltägliche Gebrauch der Worte „Wiederaufbau“, „Wiederbeschaffung“,


„Wiederherstellung“ enthält in der Präposition Wieder den Hinweis auf ein

135
früher bestehendes soziales Verhältnis zu einem Bauwerk, also auch auf
dessen Interpretation und Wertschätzung als Denkmal, an das beziehungs-
weise an die nun angeknüpft werden soll. Es geht hier weniger darum, daß
es das Bauwerk schon einmal gab, wie es genau aussah und wie man es ge-
nau so wieder hinstellt. Mit der Präposition Wieder soll vielmehr ein schon
Gehabtes, schon Gewesenes, früher Wertgeschätztes zurückgeholt werden,
das im Empfinden derer, die es fordern, an die Stelle des Verlorenen tritt,
gegebenenfalls noch bevor es überhaupt materiell hergestellt ist. Diese
Denkfigur ist durch fachliche Hinweise auf die Unwiederbringlichkeit des
historischen Originals und auf zu erwartende formale Differenzen zwi-
schen dem letzteren und dem angestrebten „Wieder“-Aufbau, der doch
materiell unbedingt ein Neubau sein wird, nicht aus dem Weg zu räumen.
Die soziale Identifikation des Ersatzes mit dem Ersetzten hängt zwar
mit dem erreichten Grad formaler Gleichheit zusammen, aber sie hängt
nicht ausschließlich von ihm ab. Nicht umsonst wird der soziale und der
künstlerische Erfolg früherer Wiederaufbauten – nehmen wir den Prinzi-
palmarkt oder den Dom in Münster, die Pinakothek in München oder die
Kirche Groß Sankt Martin in Köln – gerade nicht durch Formgleichheit,
sondern durch formale Ähnlichkeit und kulturell und künstlerisch pro-
duktive ­Abweichung begründet. Allerdings ist hier anzumerken, daß Ort,
Form, Substanz und Bedeutung der genannten Bauten nicht vollständig
ver­loren ­waren.
Auch der Ausdruck Rekonstruktion, in bezug auf neu zu beschaffende Bau-
werke inzwischen allgegenwärtig, verdient eine nähere Betrachtung, denn
er ist nicht einfach ein Synonym für „Wieder-Aufbau“. Der Begriff „Kon-
struktion“ weist im heutigen Gebrauch, in Analogie zu seiner Verwendung
in Komposita wie ‚Identitätskonstruktion‘ oder ‚Erbekonstruktion‘ über
die materielle Herstellung eines Bauwerkes und dessen Wiederkehr nach
einer Zeit der Abwesenheit hinaus. Er zielt auch auf die gesellschaftliche
Sinnzuweisung, die soziale ‚Bedeutungs-Konstruktion‘, die ihm zuteil wird.
Diese kann, selbst wenn es gelingen sollte, das Verlorene täuschend ähn-
lich neu zu beschaffen, niemals vollkommen identisch mit derjenigen sein,
die vor dem Verlust bestand.
Denn das zu rekonstruierende Gebäude wird von anderen für andere
­unter anderen Zeitumständen mit anderen Mitteln zu einem anderen Zweck
errichtet. In die neue soziale Bedeutungskonstruktion werden also nicht
nur die sozial überlieferten mannigfaltigen Werte des Alten sowie die Um-
stände seines Verlorengehens eingehen, sondern auch die erhofften oder
versprochenen sozialen und ästhetischen Werte des neuen Alten und die

136
Umstände seiner Beschaffung. Man hat also bei der Rekonstruktion eines
verlorenen Baudenkmals nicht nur mit formalen Differenzen, sondern auch
mit Bedeutungsdifferenzen zu rechnen. Genau dies wird aber im Argu-
mentieren der Akteure gewöhnlich nicht ausgesprochen, denn Wieder
und Re nehmen die Gewißheit der formalen und sozialen Identifikation
des ­Ersatzes mit dem Verlorenen vorweg, selbst wenn das Denkmal schon
seit vielen Jahrzehnten, vielleicht seit mehreren Generationen nicht mehr
­direkt erlebt werden konnte.
Gerade in solchen Fällen wäre es meines Erachtens lohnend, gewisser­
maßen in umgekehrter Perspektive die ohnehin unvermeidliche formale
und semantische Abweichung als Herausforderung zu betrachten und kul-
turell produktiv zu machen. Denn die Bedeutungs-Ungleichheit wächst
notwendigerweise mit dem zeitlichen Abstand, der zwischen Untergang
und Wiederbeschaffung des Denkmals liegt. Viele haben sich unterdessen
an den Verlust gewöhnt und haben ihn verkraftet. Ort, Staat und Gesell-
schaft haben sich verändert.
Hier wird es unverzichtbar, die Wege der medialen und sozialen Überlie-
ferung näher zu beleuchten. Wie kommt das Wissen um das verlorene
Denkmal, wie kommt sein Bild auf die heutigen Akteure und, im hier
­diskutierten Zusammenhang mindestens so wichtig: Wie wird das Wissen
und das Empfinden des Verlustes über Generationen weitergegeben? Wie
ist es möglich, Verlust zu vermitteln, wie kann man ihn auch viele Jahre
später nacherleben, und wie unterscheidet sich dieses nachgeholte Erleben
von dem der Zeitzeugen?

Nachgeholtes Verlusterleben

Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Ich bin seit 1991 für die Erhal-
tung des Palastes der Republik in Berlin eingetreten. Das Berliner Schloß
hat mich nur am Rande interessiert; daß es 1950/1951 gesprengt wurde,
habe ich selbstverständlich bedauert, aber es berührte mich nicht persön-
lich. Erst als ich in der Masterarbeit einer Studentin2 über die genauen
­Umstände der Sprengung und die hoffnungslose Vergeblichkeit der vom
­Ministerium für Aufbau der DDR beauftragten Dokumentation und Ber-
gung wertvoller Bauteile durch das dazu eingesetzte „Wissenschaftliche
Aktiv“ las, kam mir die Sache näher. Ich studierte die fotografische Doku-
mentation, die die notdürftig in Stroh gewickelten Bauglieder vor der Spren-
gung und die Schutthaufen nach der Sprengung zeigte, erfuhr von den mehr

137
als ungenügenden Lagerungsbedingungen für die am Ende tatsächlich auf-
bewahrten Stücke und las die immer eindringlicheren Appelle des seiner-
zeit mit der Leitung des Wissenschaftlichen Aktivs betrauten Kunsthisto-
rikers Gerhard Strauss an die zuständigen Stellen, sich um das wertvolle
Gut doch besser zu kümmern.3 Ich empfand Sympathie für die damaligen
Akteure und eine Art Mitgefühl für die Schloß-Bruchstücke.
Entscheidend aber war etwas anderes: Nachdem die letzten Reste des
­Palastes der Republik abgeräumt waren, gähnte in der Mitte der Stadt ein
riesiges Loch, in dem ich unversehens die Abwesenheit von zwei Gebäu-
den wahrnahm. Mit dem Palast der Republik war dem Schloß ein durch
­Namensgebung, funktionale Widmung und kulturellen Anspruch gleich-
gesetzter Gegenbau entstanden, mit dessen Abbruch das Schloß nun ein
zweites Mal verlorengegangen war, und dieses Mal berührte mich das erst-
mals ganz direkt. Man mag dies als Einfühlungsdiskurs abtun und mich
zur Versachlichung meiner Ausführungen mahnen. Damit wäre aber ein
ganz wesentlicher Aspekt der generationenübergreifenden sozialen Ver-
lustkonstruktion außer Acht gelassen. Deren Vermittlung erfolgt nicht nur
über das Wissen, sondern auch über das Gefühl; Empathie ist dem Nach-
Erleben von Verlust wesentlich.
Mit meinem Beitritt zu der Verlustgemeinschaft, die sich mit den Jahren
um das Berliner Schloß gebildet hat, habe ich aber nun keinesfalls das Er-
leben der Zeitgenossen von 1950/1951 nachvollzogen. Denn die wohnten
in einer noch immer schwer von Bombenschäden gezeichneten Stadt, hat-
ten selber unendlich viel mehr verloren als ein barockes Baudenkmal, und
die Ostberliner lebten zudem in einem Staat, in dem sie das Bedauern über
den Verlust des Schlosses nicht einmal öffentlich artikulieren konnten. Im
nachgeholten Verlusterleben spielen mithin nicht nur die Abwesenheit des
Denkmals und die historischen Umstände seines Verlorengehens eine Rolle,
sondern auch die jeweils gegenwärtigen gesellschaftlichen Begleitumstände
des Nacherlebens und die persönlichen Interessen, die damit verknüpft
werden. Nicht jeder wird sogleich oder überhaupt je für die Wiederbeschaf-
fung des Verlorenen eintreten wollen!
Diese Überlegung führt mich zu dem Beitrag, mit dem der Bremer Roma-
nist Peter Bürger jüngst in die Rekonstruktionsdebatten eingetreten ist
(Text 1). Bürger verbindet seine Überlegungen mit einer fundamentalen
Kritik an Städtebau und Stadtplanung der Moderne, deren Ergebnisse
er ­geringschätzt und für den steigenden Bedarf nach identitätsstiftender
­Rekonstruktionsarchitektur verantwortlich macht. Aber dies soll hier
nicht mein Problem sein. Wichtiger sind in diesem Zusammenhang seine

138
­ usführungen zum Thema Verlust, nachgeholtes Verlusterleben und
A
­Rekonstruktionswunsch. Auf seine eigene Eingangsfrage „Warum äußert
sich das Verlangen nach Rekonstruktion so spät?“4 gibt er die Antwort,
„dass die Auslöschung der meisten deutschen Städte im Bombenkrieg der
Jahre 1 ­ 943–45 in der Nachkriegszeit ebenso beschwiegen worden ist
wie die Reaktion der Überlebenden auf dieses zweifellos traumatische
­Erlebnis“.5
Ein persönlicher Bericht soll dies belegen: Bürger schreibt darüber, daß er
als Kind die Bombenangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 miterlebt habe
und daß seine Familie bereits 1947 in die schwer getroffene, noch immer
in Ruinen daliegende Stadt zurückgekehrt sei. Die Zerstörung der Stadt
sei indes in seiner Familie nicht thematisiert worden, „die zu erwartende
Trauer blieb aus“; und weiter: „So seltsam es klingen mag. Man sah die
Trümmer nicht.“6 So lebte er, wie er berichtet, viele Jahre ohne eigenes Be-
wußtsein vom Untergang seiner Stadt und all der anderen Städte. Erst
50 Jahre nach Kriegsende hat es ihn direkt und unmittelbar getroffen: Im
Angesicht des wiederaufgebauten Nürnberg erlebte er mit einem Schlag
und mit voller Wucht den Verlust der alten Stadt, gewissermaßen stell­
vertretend für alle bis dahin nicht wahrgenommenen Fehlstellen in der
­historischen deutschen Städtelandschaft. (Text 1) Daher datiert, so darf man
schließen, sein lebhaft artikuliertes Interesse an der Rekonstruktion kriegs-
zerstörter ­Baudenkmale.
Zur weiteren Erklärung des „Zeitversatzes“ im Verlusterleben und im
­Rekonstruktionsbegehren greift Bürger auf Winfried Georg Sebalds 1999
publizierte Zürcher Vorlesung Luftkrieg und Literatur7 zurück. Sebald
macht darin den deutschen Autoren der Nachkriegszeit den Vorwurf, keine
ungeschönten, erlebensgenauen literarischen Schilderungen der verwüsten-
den Folgen des Luftkrieges für Menschen und Städte verfaßt, sondern sich
in narrative und sprachliche Ausweichmanöver geflüchtet zu haben.
„Die in der Geschichte bis dahin einzigartige Vernichtungsaktion ist in die
Annalen der neu sich konstituierenden Nation nur in Form vager Verall-
gemeinerungen eingegangen, scheint kaum eine Schmerzensspur hinter­
lassen zu haben im kollektiven Bewußtsein, ist aus der retrospektiven
Selbsterfahrung der Betroffenen weitgehend ausgeschlossen geblieben“,
schreibt Sebald8. Und weiter, in freilich einseitiger Zuspitzung: „Der in-
zwischen bereits legendäre und, in einer Hinsicht, tatsächlich bewunderns-
werte deutsche Wiederaufbau, der, nach den von den Kriegsgegnern ange-
richteten Verwüstungen, einer in sukzessiven Phasen sich vollziehenden
zweiten Liquidierung der eigenen Vorgeschichte gleichkam, unterband

139
durch die geforderte Arbeitsleistung sowohl als durch die Schaffung einer
neuen, gesichtslosen Wirklichkeit von vornherein jegliche Rückerinnerung,
richtete die Bevölkerung ausnahmslos auf die Zukunft aus und verpflich-
tete sie zum Schweigen über das, was ihr widerfahren war.“9
Folgt man Sebald und Bürger, dann haben die Zeitgenossen der Denkmal-
verluste die Bearbeitung ihrer Verlusterfahrungen unterlassen und diese
­somit der Nachwelt als verdrängte Masse, als eingekapseltes Trauma über-
liefert. Daher obliege es nun den Nachgeborenen, das Verlusterleben
schließlich doch zuzulassen, die ausstehende Trauer nachzuholen – und
den seinerzeit aufgrund mangelnder Mittel oder aus modernistischer Ver-
blendung nicht gewollten oder doch nicht genügend begehrten Ersatz in
Gestalt von Rekonstruktionen zu beschaffen.
Nachgeholtes Verlustempfinden und Wiederbeschaffungswunsch erschei-
nen auf die Art fest miteinander verschränkt. Genau dies artikuliert sich in
den allenthalben im Lande geführten Rekonstruktionsdebatten. So auch
während der Baukulturwerkstatt „Identität durch Rekonstruktion“ nach
Peter Bürgers Vortrag. Angehörige der überregionalen Initiative „Stadtbild
Deutschland“, nach eigener Bekundung zwischen 40 und 50 Jahre alt,
­bekannten sich zu ihrem Denkmal-Verlustgefühl und untermauerten da-
mit ihre Rekonstruktionswünsche.10

Trauer um verlorene Städte

Wurde der Verlust der Städte tatsächlich so konsequent beschwiegen, wie


es der Literat und der Literaturwissenschaftler aus ihrer Quellenkenntnis
angenommen haben? Oder haben sie am Ende wichtige Quellen über­sehen
oder möglicherweise das Falsche gesucht? Wie hätten die Zeitgenossen des
Verlorengehens überhaupt Trauer über den Verlust einer Vielzahl von Häu-
sern, Kirchen, Straßen, Plätzen, von städtischen Baudenkmalen aller For-
mate und Epochen artikulieren sollen? Ausschließlich in der harten, scho-
nungslosen Beschreibung und Abbildung der versehrten Bauwerke und
der Ruinen? Sind sprachliche Ausweichmanöver grundsätzlich als Eska-
pismus abzulehnen oder ist auch im ausweichenden Beschreiben eine Be-
arbeitung des Verlustes zu erkennen? Sollen wir sprachliche Vorprägun-
gen, Topoi und Metaphern für Unglück und Zerstörung als unangemessene
Euphemismen verwerfen? Und ist das hartnäckige Abbilden der nicht mehr
existierenden Bauten eine Realitätsverweigerung oder ist auch das eine Art
der Bearbeitung?

140
Die Städtebücher aus der Reihe Deutsche Lande – Deutsche Kunst bieten
reiches und wertvolles Material zu diesem Thema. Seit Burkhard Meier die
Reihe im Jahre 1925 im Deutschen Kunstverlag einrichtete, sind etwa
150 Bände über deutsche Kunstlandschaften und vor allem über deutsche
Städte erschienen, viele davon in mehreren Auflagen und gelegentlichen
Neu­bearbeitungen. Format, Aufbau und Layout der Bücher sind über all
die Jahre kaum verändert worden.11 In jeder Bibliothek kann man sie im
Regal sogleich erkennen: schwarzer Leineneinband, auf dem Rücken der
Titel, jeweils nur der Name der Stadt in schwarzen Lettern auf Goldgrund,
und auf dem Buchdeckel ein goldfarbenes Prägebild, sei es das Stadt­
wappen oder die Kontur eines besonders charakteristischen Bauwerks
oder Bildwerks. Jeder Band beginnt mit einem zusammenfassenden Text
zur G ­ eschichte, Topographie und Baugeschichte der Stadt, gefolgt von
­einem ­Erklärungsteil mit beschreibenden und wertenden Texten zum
Hauptteil des Buches, das heißt zu den zahlreichen ganzseitigen Fotos, die
in hervor­ragender Qualität auf gutem Kunstdruckpapier wiedergegeben
sind. Berühmte Fotografen wie Walter Hege, Alfred Renger-Patzsch
und Lala Aufsberg wirkten mit. Man darf wohl annehmen, daß die guten
­Fotos die Bücher, deren Finanzierung gewöhnlich durch die jeweils dar­
gestellte Stadt unterstützt wurde, besonders begehrenswert machten. Die
Serie kam dem Kulturtourismus, der gehobenen Stadtreklame, dem urba-
nen Bürgerstolz und dem Bilderbedarf der Fachdisziplin Kunstgeschichte
gleicher­maßen entgegen. Sie wurde über die Jahre zu einer Art Denkmal-
inventar der Deutschen Städte, weshalb man zahlreiche Bände in den kunst-
historischen und bauhistorischen Bibliotheken des Landes findet. So auch
in der Architekturbibliothek der TU Berlin.
Wo, wenn nicht in diesen Büchern, sollte die Spur der Vernichtung sicht-
bar werden, waren doch die in der Serie bereits vor dem Zweiten Weltkrieg
vertretenen Städte – Hildesheim, München, Nürnberg, Braunschweig,
Lübeck, um nur einige zu nennen – schwer vom Bombenkrieg betroffen.
Wie zeigen die nach Kriegsende erschienene Neuauflagen und Neubear-
beitungen den Verlust? Schon der Titel des 1948 erschienen Berlin-­Bandes
von Paul Ortwin Rave12, mit dem die Reihe nach Kriegsende wieder auf-
gegriffen wurde, ist aufschlußreich: Er lautet „Berlin. Vor der Zerstörung“
(aufgenommen von Otto Hagemann). Das kann nicht als Weigerung be-
zeichnet werden, die Zerstörung zur Kenntnis zu nehmen, denn immerhin
steht sie im Titel. Auch eine Täuschungsabsicht kann nicht unterstellt
­werden, denn die Käufer, soweit sie in Berlin lebten, waren ohnehin von
Trümmern umgeben. Man darf wohl unterstellen, daß sie die Vorkriegs­

141
fotos ­zugleich mit Freude und mit Schmerz betrachteten, ja daß die Bilder
der unversehrten Bauwerke zum einen möglicherweise das Verlustempfin-
den verstärkten und zum anderen zugleich als Gedächtnisstütze und mög-
licherweise auch zum Trost dienten.
Otto Stelzer findet in der 1952 erschienenen Neubearbeitung13 des von Paul
Jonas Meier zuerst 1929 veröffentlichten Braunschweig-Buches14 einen an-
deren Weg, die Zerstörung, die die Stadt in einem großen Bombenangriff
1944 erlebte, zu reflektieren. Auch hier sind ausschließlich Vorkriegsfotos
verwendet worden. Die Erklärungen zu den Abbildungen sind unverän-
dert, nur hat der Autor hinter die Texte zu untergegangenen Bauwerken
ein Kreuz gesetzt. So stehen auf Seite 28, wo die Erklärungen für Abbil-
dungen 43 bis 59 zu lesen sind, neun Kreuze. Die Häuser sind tot. Das
­Bibliotheksexemplar der TU Berlin15 zeigt darüber hinaus ein mit Bleistift
notiertes zusätzliches Kreuz.
Womöglich noch eindrucksvoller sind die Bleistiftanmerkungen, die ein
Leser im Bibliotheksexemplar des 1943 erschienenen Lübeck-Buches von
Hans Schröder16 hinterlassen hat und die die weise TU-Bibliotheksleitung
wegzuradieren sich gehütet hat. Schröder stellte seinem Buch ein im De-
zember 1942 verfaßtes Vorwort voran, in dem er die im Bombenangriff
vom März 1942 zerstörten Häuser nach Abbildungsnummer im Buch
kenntlich machte. Einleitend schrieb er: „Während der Vorbereitung der
vorliegenden Auflage erfolgte in der Nacht vom 28. zum 29. März 1942 der
ruchlose Terrorangriff britischer Luftstreitkräfte, der einen großen Teil der
hervorragendsten Bau- und Kunstdenkmäler der ehrwürdigen Hansestadt
in Schutt und Asche legte.“17 Der Bleistift-Anmerker strich mit entschie-
dener Energie die Worte „ruchlose“ und „Terror“, um, wie ich annehme,
Schröders Ton selbstgerechter Entrüstung außer Kraft zu setzen. Weiter
hinten im Buch hat derselbe Schreiber einige sachliche Anmerkungen und,
an zahlreichen Objekttexten, den Vermerk „zerstört“ angebracht. So wird
das Buch selber zum Zeugnis zumindest zweier Verlustbearbeitungen.18
Eine Buchseite voller Kreuze, Bleistifthinweise auf Zerstörungen, Vorworte
voller Trauer um das Verlorene, immer wieder Fotos von untergegangenen
Häusern – die nach 1948 erschienenen Stadtbücher sind voller Belege da-
für, daß die Zerstörung der Städte in den Jahren nach dem Zweiten Welt-
krieg eben nicht beschwiegen, sondern vielfach bearbeitet wurde, wenn
auch vielleicht nicht in der literarischen Form, die Sebald und Bürger gern
vorgefunden hätten. Als später Hinzugetretene können wir – Peter Bürger,
ich selbst und viele andere – den Verlust eines lange untergegangen Denk-
mals in unserer eigenen Gegenwart erstmalig persönlich erleben. Wir soll-

142
ten daraus aber nicht schließen, daß wir die ersten sind, die den Verlust be-
merken oder gar die einzigen, die ihn angemessen betrauern.
Die Texte 2 Seiler, Münster 19, 3 Hager, Münster 20 und 4 Löffler, Das alte
Dresden 21 belegen die sehr unterschiedliche Modi der Verlustbearbeitung
in Bild und Text. Harald Seiler ist der einzige Autor, der in seinem bereits
1948 erschienenen Münster-Buch zahlreiche Ruinenfotos veröffentlicht,
Werner Hager schildert in seinem Münster-Buch von 1961 bereits den neu
errichteten Prinzipalmarkt und das eben vollendete Rathaus und reflek-
tiert klug das Ineinander des Alten und Neuen im Wiederaufbau. Löffler
wiederum konzentriert seine außerordentlich eindrucksvolle Einlassung
auf den Tatbestand der Zerstörung Dresdens auf sein Vorwort und den
­Beginn seines Textes, schreibt dann aber, konsequent und ausschließlich
mit Vorkriegsfotos illustriert, nur über das Alte Dresden.
Text 5 Uwe Tellkamp. Der Turm22 führt in die nächste Generation. Im
­Kapitel 29, „Kupfervitriol“, berichtet der Autor, wie die Personen seiner
Erfindung das durchaus reale Buch von Fritz Löffler in ihrem Leben und
damit die untergegangene alte Stadt Dresden präsent hielten. Dies ist zwar
auch literarische Fiktion, aber dahinter steht eine wiederum durchaus
­reale Erfahrung. Löfflers Buch nämlich, von dem bis zum Jahre 2006 ins-
gesamt 16 Auflagen erschienen, war tatsächlich in den meisten – und nicht
nur in den bildungsbürgerlichen – Haushalten in Dresden präsent 23 und
wirkte so daran mit, daß die verlorenen Denkmale des alten Dresden als
Erbe über ihre Zerstörung hinaus gesellschaftlich interpretiert und wert-
geschätzt wurden, ihre soziale Bedeutungskonstruktion also trotz ihrer
materiellen Abwesenheit fortbestand. Man darf wohl annehmen, daß die
anderen Stadtbücher in den anderen Städten ähnliches bewirkten.
Ob und in welchem Ausmaß die in den Stadtbüchern publizierten Fotos
der alten, untergegangenen Häuser ihrerseits, über alle längst erfolgten Ver-
lustbearbeitungen hinweg, späteren Lesern zu Sehnsuchtsbildern gewor-
den sind, die wiederum zur Grundlage von Wiederbeschaffungswünschen
gemacht werden können – nicht müssen! –, muß noch erforscht werden.

Verluste und Verzichtleistungen

Unter den unmittelbar und, wie man denken könnte, in durchaus gleicher
Weise vom Untergang historischer Bauwerke betroffenen Zeitgenossen
können grundlegende Differenzen über die kulturelle und moralische Be-
wertung des Denkmälerverlustes auftreten. Das betrifft zum einen die Fälle,

143
in denen es sich um ein umstrittenes Denkmal (zum Beispiel um den
­ alast der Republik in Berlin) gehandelt hat, dessen Beseitigung die einen
P
mit Bedauern, die anderen mit Genugtuung registriert haben. Zum ande-
ren betrifft es Fälle, in denen zwar alle gleichermaßen den Untergang be-
dauern (zum Beispiel den der im Zweiten Weltkrieg zerstörten histori-
schen Bauten in den Städten Europas), aber die Verlusterfahrung sehr
unterschiedlich bewerten. Die kriegstechnischen Umstände des Verloren-
gehens mögen sich ähneln – Bombenangriff, Artilleriebeschuß, Brand,
Sprengung –, aber die politische und moralische Position der ‚Denkmal-
hinterbliebenen‘ kann sehr unterschiedlich sein.
Nehmen wir die Seefahrerstadt Saint Malo in der Bretagne, die von der
deutschen Wehrmacht besetzt und von den Westalliierten im Kampf gegen
die deutschen Besatzer durch Beschuß und Bombardement im August 1944
in einem mehrtägigen Brand weitgehend zerstört wurde. Die Bewohner
von Saint Malo und ihre Stadt waren gewissermaßen doppelt unschuldige
Opfer, wie auch die Bewohner und die Bauten anderer französischer
­Küstenstädte (unter anderen Caen, Le Havre, Brest), die nach der Invasion
im Juni 1944 von den Verbündeten Frankreichs bombardiert wurden, um
die dort in den Festungen des Atlantikwalls verschanzten deutschen Be-
satzer zu treffen.
Ganz anders liegt der Fall beim Goethehaus in Frankfurt am Main. Es
wurde am 22. März 1944 während eines Großangriffs bombardiert und
brannte vollständig nieder. Wie sehr die Frankfurter und andere Deutsche
den Verlust dieses ganz besonderen Hauses auch bedauern mochten, sie
konnten sich selbst nicht leicht als ganz und gar unschuldige Opfer be-
trachten, jedenfalls nicht mehr, als nach Kriegsende das volle Ausmaß der
Nazi-Verbrechen bekannt geworden war. Walter Dirks, Publizist und Mit-
herausgeber der 1946 begründeten Zeitschrift Frankfurter Hefte, bewer-
tete denn auch die Zerstörung des Goethehauses als Konsequenz der ver-
brecherischen Politik des Nazi-Regimes und des Versagens der deutschen
Kulturnation:
„Das Haus am Hirschgraben ist nicht durch einen Bügeleisenbrand oder
Blitzschlag oder durch Brandstiftung zerstört worden; […] wäre das Volk
der Dichter und Denker (und mit ihm Europa) nicht vom Geiste Goethes
abgefallen, vom Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es die-
sen Krieg nicht unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht pro-
voziert. […] Mit anderen Worten: es hatte seine bittere Logik, daß das Goe-
thehaus in Trümmer sank. Es war kein Versehen, das man zu berichtigen
hätte, keine Panne, die der Geschichte unterlaufen wäre; es hat seine Rich-

144
tigkeit mit diesem Untergang. […] Nur eines ist hier angemessen und groß:
den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig“24
Hier ist die Verlusterfahrung eindeutig mit Schuld und (verdienter) Strafe
verknüpft. Der Verzicht auf den Wiederaufbau, zu dem Dirks in seinem
Aufsatz, dem er nicht zufällig den Titel „Mut zum Abschied“ gab, seine
Leser aufrief, wurde von ihm als positive Leistung bewertet. Auf den Wie-
deraufbau der Goethehauses zu verzichten, war für ihn eine Art Sühne,
man könnte von Verzichtleistung, ja von einer Moralisierung des Verzichts
sprechen.
Walter Dirks konnte seine Position im Streit um das Goethehaus nicht
durchsetzen. Ernst Beutler, der damalige Leiter des 1869 als Träger der In-
stitution Goethehaus begründeten Freien Deutschen Hochstiftes, vertrat
die entgegengesetzte Meinung und sah gerade im getreuen Wiederaufbau
des Goethehauses ein Mittel auch zum geistigen Wiederaufbau Deutsch-
lands.25 Das Haus wurde als Fachwerkbau neu errichtet und 1951 wieder-
eröffnet. Walter Dirks‘ rigorose Parteinahme von 1947 blieb jedoch bis
heute ein Leitmotiv in der bundesrepublikanischen Auseinandersetzung
mit Verlust, Schuld und Verantwortung, und der Text ist mir persönlich
bis heute so wichtig, daß ich ihn auch in diesem Buch als Text 6 wiederum
ins Bewußtsein bringen will, obwohl – oder gerade weil ihm heute keiner
mehr folgen will. Walter Dirks‘ positive Moralisierung des Verzichts als
Leistung und Sühne ist historisch geworden. Die Verknüpfung von Verlust
und Schuld, von Verzicht und Sühne ist aufgelöst.
Aber warum ist das so? Warum werden heutzutage Verlustempfinden und
Wiederbeschaffungswunsch so unbedingt und so offensiv kulturell und
­moralisch verknüpft, daß es ausdrückliche Verwunderung auslöst, wenn
man, wie ich, über ein nachgeholtes Verlusterlebnis spricht, ohne sich den
Forderungen nach Rekonstruktion anzuschließen? Eine nicht vollständige
Rekonstruktion – man denke an den jüngst in der Presse geführten Streit
um die Finanzierung der Kuppel auf dem noch nicht einmal abschließend
geplanten neuen Berliner Schloß – gilt bereits als Beraubung, weil ein
­Anrecht auf das ganze Schloß geltend gemacht wird. Das Bild des ‚form-
gleichen‘ Ersatzbaus, nennen wir ihn Simulacrum, hat sich in der Vorstel-
lung seiner Anhänger bereits soweit verfestigt, daß jeder Abstrich, jede
­Abweichung als Zumutung empfunden wird. Erfüllung bringt nur die voll-
ständige, vollständig gleich aussehende Rekon­struktion, wie sie in zahlrei-
chen Bildsimulationen im Umlauf ist. Schon Aufschub ist kaum hinnehm-
bar, ­geschweige denn Verzicht. Ein Zusammenhang mit dem heutzutage
weit verbreiteten Prinzip der „instant gratification“, also der direkten und

145
­uneingeschränkten Erfüllung des Bedürfnisses nach Glück, mag angenom-
men werden.26 Die Formgleichheit hebt aber den Verlust nicht auf, sie ver-
deckt ihn nur.
Dies bestätigt, nach meiner Interpretation, selbst Peter Bürger in seinem
Bericht über den Besuch der eben vollendeten Frauenkirche in Dresden.
Gemeinsam mit seiner Frau hat er den Wiederaufbau mit Anteilnahme ver-
folgt und hatte erwartet, „beim Anblick des wiedererstandenen Barock-
baus Freude, ja Glück zu verspüren; aber nichts dergleichen stellte sich ein.
Wir blickten um uns, sahen den frischen Glanz der Vergoldungen, staun-
ten über architektonische Durchblicke, aber von einer emotionalen Regung
keine Spur. Beim Verlassen der Kirche gestanden wir uns ein: Wir hatten
nichts empfunden, außer unserer eigenen Empfindungslosigkeit, eine Art
Gefühlsstarre. Wir sagten uns: Was in den Bombennächten geschehen war,
ließ sich auch durch eine bewundernswerte Rekonstruktion nicht wieder-
gutmachen.“27
Das rekonstruierte, also neu hingestellte Bauwerk kann niemals dasselbe
sein wie das, das vorher bestand. Es wird ein neues Werk, eine neue
­Setzung, deren Autoren die Akteure der Gegenwart sind. Ihnen gebührt
das Urheberrecht und auch die Urheberpflicht, das heißt: Sie müssen sich
und anderen erklären, was ihr Werk bedeutet. Denn Formgleichheit als sol-
che gibt noch keinen Sinn.

Texte

1  Peter Bürger, Moderne – Identität – Rekonstruktion (2009)

Peter Bürger, 1971 bis 1998 Professor für Romanistik an der Universität in
Bremen, ist mit seinem hier in Auszügen wiedergegebenen Vortrag bei der
Berliner Veranstaltung „Identität durch Rekonstruktion?“ im Oktober 2008
in die Debatte um die Rekonstruktion von verlorenen Baudenkmalen ein-
getreten. Aus seinem persönlichen Erleben in der eigenen Familie im kriegs-
zerstörten Hamburg leitet er die These ab, der Verlust der Städte sei nach
dem Krieg in Deutschland nicht oder zumindest nicht genügend betrauert
worden. Er selber, und da wird sein Text außerordentlich prägnant und
überzeugend, habe den bis dahin gar nicht wahrgenommenen und daher
unbearbeiteten Verlust erst 50 Jahre nach dem Krieg bewußt erlebt, im An-
gesicht Nürnbergs, dessen Wiederaufbau er als banal und häßlich empfand:
„Maßlos brach in mir die Trauer auf über einen Verlust, den ich fast ein

146
­ eben lang nicht wahrgenommen hatte, nicht hatte wahrnehmen können.“
L
Bürgers Text macht beispielhaft deutlich, daß es möglich und plausibel ist,
das Gefühl von Verlust lange nach dem Untergang eines Gegenstandes
(erstmalig) zu erleben. Ob daraus der (nachgeholte) Wunsch nach einer
(nachgeholten) Rekonstruktion des Verlorenen abgeleitet werden kann oder
soll, muß ­gesondert untersucht werden. Eines ist jedenfalls ganz klar: Bür-
gers Text zeigt, daß Verlusterleben von subjektiven und objektiven Zeit-
umständen, sozialen Rahmenbedingungen und persönlicher Bereitschaft
abhängig ist. Es ist eine soziale Konstruktion.
Auch Bürgers Schilderung seiner Enttäuschung über das ausgebliebene
Glücksgefühl beim Anblick der rekonstruierten Frauenkirche in Dresden
ist bemerkenswert. Er schreibt: „Was in den Bombennächten geschehen
war, ließ sich auch durch eine bewundernswerte Rekonstruktion nicht
­wiedergutmachen“. Er und seine Frau hätten beim Verlassen der Kirche
„­etwas von den inneren Zerstörungen geahnt, die Bombenkrieg und Kind-
heit in zerstörten Städten in uns angerichtet haben“. Hier scheint auf, daß
die heilende sozialtherapeutische Wirkung von Denkmalrekonstruktionen
auch nur ein Versprechen ist.

Auch Rekonstruktionen werden den Prozess der Identitätsbildung nur


in dem Maße mitgestalten können, wie es gelingt, die Verstörungen
wahrzunehmen, die in uns hausen. Ich spreche absichtlich nicht von
Aufarbeitung, weil dergleichen Einstellungen sich nicht aufarbeiten
­lassen. Denn es geht dabei ja weniger um die Analyse von Zusammen­
hängen als vielmehr um die Aufhellung verschütteter Erfahrungsgrund­
lagen. Die aber muss jeder für sich leisten.
Ich kann mir vorstellen, dass die zuletzt im Anschluss an Sebald ange-
stellten Überlegungen manchem von Ihnen fremd sind. Wer mag sich
schon eingestehen, dass die Quellen seines Selbstverständnisses, ihm
unzu­gänglich, in einem traumatischen Ereignis verkapselt sind, das über
sechzig Jahre zurückliegt. Ich will daher im Folgenden andeuten, auf
Grund welcher Erfahrungen mich Sebalds Gedanken überzeugt ­haben.
Angehöriger einer Generation, die man bezeichnenderweise erst seit
­einiger Zeit die Kriegskinder nennt, aufgewachsen in einem antifaschi-
stischen Elternhaus, habe ich seit meiner Jugend ein gebrochenes
­Verhältnis zu unserem Land. Die Anfänge der Bombenangriffe auf
­Hamburg im Sommer 1943 habe ich miterlebt, auch wir verloren da-
mals unsere Wohnung. Die kulturelle Katastrophe aber, die der Verlust
einer geschichtsgesättigten städtischen Umwelt bedeutete, wurde – dies­

147
bezüglich kann ich die Aussagen Sebalds bestätigen – selbst in unserer
Familie nicht thematisiert. Die zerstörte Stadt, in die wir 1947 zurück-
kehrten, war eine Tatsache; die zu erwartende Trauer blieb aus; ja, ich
glaube mich zu erinnern, dass meine Mutter zumindest die Zerstö-
rung der Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Erkern und
­Kariatiden als Chance für eine moderne Architektur begriff. Sachliches
konnte an die Stelle treten, breite Fenster, Licht. Die Erwachsenen
­haben uns damals einen Heroismus des Faktischen vorgelebt. Man hatte
sich einzurichten in dem, was war. Sentimentalität war verpönt. So selt-
sam es klingen mag: man sah die Trümmer nicht. Der Blick war auf den
Wiederaufbau gerichtet (übrigens ein Begriff, der das Baugeschehen
fälschlich an die Vergangenheit band).
Was in den Bombennächten geschah, mit mir geschah, blieb mir lange
Zeit verschlossen. Ich lernte wiederaufgebaute Städte kennen, ohne dass
diese Begegnungen in mir Schmerzempfindungen wachgerufen hätten.
Dann über fünfzig Jahre nach dem Ende des Krieges plötzlich das
­Erschrecken über den Wiederaufbau von Nürnberg: beibehalten die
alte Straßenführung, die Einteilung der Parzellen, die Traufhöhe der
Häuser und der steile Neigungswinkel der Dächer, aber darunter Häu-
ser aus den fünfziger Jahren, in den Jahrzehnten danach im Ungeist der
Zeit renoviert: Riffelglastüren und sprossenlose Fenster. Maßlos brach
in mir die Trauer auf über einen Verlust, den ich fast ein Leben lang
nicht wahrgenommen hatte, nicht hatte wahrnehmen können.
[…] Und noch ein Erlebnis muss ich erzählen, weil es hierher gehört.
Christa Bürger und ich haben bei unseren Besuchen in Dresden die
Fortschritte beim Wiederaufbau der Frauenkirche mit Anteilnahme ver-
folgt. Was uns dabei besonders beeindruckt hat, war die Beteiligung der
Dresdner an dem Baugeschehen. Ein Herzstück des alten barocken
Dresden war im Begriff wiederzuerstehen. Man tauschte sich über den
Stand der Arbeiten aus, zitierte, was man der lokalen Presse entnom-
men hatte. Der Wiederaufbau der Kirche war für die Stadt ein Ereignis.
Bei einem späteren Besuch hatten wir Gelegenheit, das vollendete Werk
zu betrachten. In zerbombten Städten aufgewachsen, hatten wir erwar-
tet, beim Anblick des wiedererstandenen Barockbaus Freude, ja Glück
zu verspüren; aber nichts dergleichen stellte sich ein. Wir blickten um
uns, sahen den frischen Glanz der Vergoldungen, staunten über archi-
tektonische Durchblicke, aber von einer emotionalen Regung keine
Spur. Beim Verlassen der Kirche gestanden wir uns ein: Wir hatten nichts
empfunden, außer unserer eigenen Empfindungslosigkeit, eine Art

148
­Gefühlsstarre. Wir sagten uns: Was in den Bombennächten geschehen
war, ließ sich auch durch eine bewundernswerte Rekonstruktion nicht
wiedergutmachen. Wir waren unserm Kriegskinder-Trauma begegnet,
einer Leerstelle in uns, die sich kalt und frostig anfühlte. Zum ersten
Mal haben wir beim Verlassen der Frauenkirche etwas von den inneren
Zerstörungen geahnt, die Bombenkrieg und Kindheit in zerstörten Städ-
ten in uns angerichtet haben.
Ohne die Aussagekraft dieses Erlebnisses überbewerten zu wollen, las-
sen sich doch einige Folgerungen daraus ableiten. Da wir erst mit gro-
ßer Verspätung zu ahnen beginnen, was die Zerstörung fast aller deut-
schen Städte wirklich bedeutet – nicht nur die Vernichtung einer sinnlich
erfahrbaren, geschichtsträchtigen Umwelt, sondern auch aus der Ab-
wehr Existenz bedrohender Erfahrungen herrührende, innere Verhee-
rungen – ist auch das erneute Aufflammen der Rekonstruktionsdebatte
verständlich und legitim. Dass sie Emotionen weckt, ist nicht einfach
als Mangel unserer Diskussionskultur abzutun, sondern eher als An-
zeichen dafür zu werten, dass sich unsere Gefühlsstarre zu lockern
­beginnt, dass wir endlich anfangen, unsere Trauer zuzulassen. Dem­
entsprechend sollten wir den Wunsch nach Wiederherstellung des Ver-
lorenen, so illusorisch er ist (ich werde darauf zurückkommen), nicht
vorschnell als reaktionären Versuch denunzieren, das Geschehene un-
geschehen zu machen und unsere Geschichte umzuschreiben, sondern
als legitimes Verlangen, wenigstens Fragmente urbaner Identität wie-
derzugewinnen, ein Verlangen, das die moderne Architektur leider nur
selten befriedigt hat.

2  Harald Seiler, Münster: Die alte Stadt (1948)

Harald Seiler, Leiter des Münsteraner Kunstvereins, geht ungewöhnlich in-


tensiv auf die 1948 noch allgegenwärtige Zerstörung der Stadt ein. Er bil-
det zahlreiche ruinöse Denkmale ab und geht als einziger Stadtbuchautor
dieser Zeit so weit, sie in seinen Texten im Imperfekt zu beschreiben. Die
­Gebäude und ihre Details waren, sie sind nicht mehr. Der Denkmalverlust
wird also nicht hinter Metaphern verborgen, sondern schmerzhaft offen-
gelegt. Der Text ist voller Trauer und dabei noch immer sehr präzise. Mit
dem Satz „Das alte Münster lebt nun nur noch in dem Gewahrsam derer,
die seiner inne sind, die sich seiner Gestalt und seines Wertes, seiner Schön-
heit und seiner Würde noch bewußt sind, in dem Gedächtnis derer, die sich

149
zu erinnern wissen und Überlieferung und Bild zu bewahren fähig und ge-
neigt sind“, erfaßt Seiler meines Erachtens den komplizierten Vorgang der
Bewahrung eines Denkmals in seiner sozialen Bedeutungskonstruktion.
Diese kann über den materiellen Verlust des Bauwerks hinaus von Dauer
sein. Gerade weil er den Verlust und das Verlusterleben der Stadtbewoh-
ner sehr persönlich schildert, erzeugt der Autor noch heute große Anteil-
nahme beim Leser. Der Aschendorff-Verlag in Münster brachte 1956 eine
zweite Auflage heraus, in der Seiler den zweiten, hier abgedruckten Absatz
wegließ. Er war wohl nicht mehr zeitgemäß, nachdem der Prinzipalmarkt
bereits wiederaufgebaut war und allenthalben weitere Wiederaufbauten
und Neuplanungen im Gange waren. Seiler fügte seinem Text einen Ab-
satz hinzu, der aus unvermindert intensivem, direktem und unmittelbarem
Verlustempfinden ausdrücklich keinen Rekonstruktionswunsch im heu­
tigen Sinne ableitet: „ Der ungeheure Einschnitt, den die Katastrophe des
letzten Krieges für Münster bedeutet, soll nicht verkannt werden. […] Den-
noch muß man erkennen, daß es bei allem geschichtlichen Bewußtsein nicht
darum gehen kann, das Zerstörte in seinen Einzelheiten zurückzurufen.
[…] Zu der materiellen Substanz des einstigen Lebensraumes zurückzu­
tasten, hieße einen Weg gehen, der ins Nichts führt, es kann nur darum
­gehen, nach neuen Formen zu suchen, die imstande sind, das Verlorene
würdig zu vertreten, so daß in ihrer Würde die Achtung vor dem Vergan-
genen ihren bleibenden Ausdruck erhält.“ (Seiler,2 1956, S. 9). Diese Text-
fassung wurde bis zur 7. und letzten Neuauflage 1980 beibehalten.)

Umsäumt von dem Grüngürtel ihrer ehemaligen Befestigungsanlagen


war die Altstadt Münsters wie nur wenige deutsche Städte unversehr-
tes Denkmal ihrer langen Geschichte gewesen. Mehr denn tausend Jahre
hatten an ihr gewirkt, und die Zeitalter, die sich hier einst durchdrun-
gen und abgelöst hatten, deren Kräfte und Besonderheiten auf diesem
Boden Niederschlag und Abbild gefunden, waren in den hinterlassenen
Zeugnissen weiterhin lebendig, fortwährend wirklich geblieben. Diese
Wirklichkeit ist zerstört. Zwar war schon früher im Wechsel der ge-
schichtlichen Gezeiten, im Hin und Wider natürlichen Vergehens und
ebenso natürlichen Werdens auch vieles Ältere längst abgelöst worden
aus dem Bestand, vieles Neuere hatte bereits vergebenen Platz gefor-
dert und eingenommen, das Ganze des so in steter organischer Wand-
lung Begriffenen war dennnoch (!) gewahrt geblieben, und selbst wenn
Kriege und anderes Unglück plötzliche Lücken verursacht und gefähr-
liche Brüche geschlagen hatten, so war der Stadt dann doch stets wie-

150
der Zeit gegeben. Diese Zeit hatte alsbald die ihr eigene Kraft bewiesen
und die entstandenen Wunden sich schließen, ja heilen lassen.
Heute jedoch ist die Ganzheit zerstört, und das vordem alles behütende
Sein, unter dem Werden und Vergehen sich bargen, wurde vernichtet.
Das alte Münster lebt nun nur noch in dem Gewahrsam derer, die
­seiner inne sind, die sich seiner Gestalt und seines Wertes, seiner Schön-
heit und seiner Würde noch bewußt sind, in dem Gedächtnis derer, die
sich zu erinnern wissen und Überlieferung und Bild zu bewahren fähig
und geneigt sind. Aber die Zahl derer nimmt ab, die das einst gültige
Münster noch gesehen und erlebt haben, die selber hier so gelebt haben,
wie ein wirkliches Leben es meinte. Dazu lehrt die eigene Erfahrung,
wie groß die Gefahr des Vergessens als Folge der Zerstörung des Sicht-
baren ist. Münster war eine der durchaus eigenartigen Städte Europas,
und die der Zerstörung entgangenen Reste sind erhaben genug. Jedoch
sie allein bieten dem Sinn nicht mehr genügend Anhalt, sofern Bild und
Wort nicht dazu beitragen, das Vergessen zu mindern.
Andererseits läßt noch das beste Abbild Wesentliches vermissen. Nur
farblos und punktweise zeigt es, was an Schönem, Bemerkenswertem
und Liebenswürdigem erst in seinem räumlichen Beieinander, in seiner
abwechslungsreichen Verteilung über das ganze Stadtgebiet hinweg Gel-
tung besaß, und selbst wenn die Ungunst der Zeit für das vorliegende
Heft nicht nur eine kleine Auswahl an Bildern zugelassen hätte, das
Lückenhafte wäre nie zu vermeiden gewesen. Ferner gehört zu dem
Ganzen schließlich der Atem der Stadt als eines lebendigen Wesens, ge-
hört das Leben, das die Straßen erfüllte, das in den Kirchenräumen, in
den Höfen und Häusern herrschte, gehört der Impuls, der ebenfalls
­unsichtbar bleibt. Kein Teil dieser Stadt ist nur als historisches Denk-
mal von diesem Leben isoliert gewesen, und wenn das eine oder andere
Gebäude zeitweise auch anderen Zwecken gedient hat, als in der Ab-
sicht seines Erbauers gelegen, so war es erst recht doch eigentlicher Be-
standteil der Gegenwart geblieben.
Das Leben Münsters erhielt seine besondere Färbung sowohl durch
starke Traditionen, deren Pflege Anliegen der gesamten Bevölkerung
war, als auch durch die dauernd wirksamen Wechselbeziehungen zwi-
schen Stadt und Land.

151
3  Werner Hager, Münster in Westfalen (1961)

Werner Hager, 1950 bis 1965 Lehrstuhlinhaber am kunsthistorischen Insti-


tut der Universität Münster, kann über die Zerstörung der Stadt bereits in
der Vergangenheitsform berichten. Die Verluste erscheinen eindrucksvoll
und bestürzend, aber im statistischen Überblick zugleich beherrschend
­versachlicht. Es ist Anlaß zu Optimismus, die Trümmer sind weggeräumt,
die Bürger haben die Stadt wiederaufgebaut. Und das ausdrücklich nicht
als Kopie, sondern, wie Hager schreibt, „in Grund- und Aufriß dem ver-
nichteten Original in großen Zügen“ nachgezeichnet. Wie kann die Bedeu-
tung eines untergegangenen Denkmals auf einen Ersatzbau ähnlicher Form
übertragen werden? Wenn sie, um nochmals Harald Seiler zu zitieren, „in
dem Gewahrsam derer, die seiner inne sind, die sich seiner Gestalt und
­seines Wertes, seiner Schönheit und seiner Würde noch bewußt sind“,
­gehalten wurden? Oder wenn, wie Hager 1961 schreibt, die Stilkopie sich
mit Überzeugungskraft an die Stelle des verschwundenen historischen
­Gebäudes setzt und dessen Rolle weiterspielt?
Hager macht klar, daß die neue und die alte Stadt der Münsteraner sich in
der sozialen Wahrnehmung und Würdigung ineinanderschieben: „ Es ist
also eine neue und zugleich alte Stadt, die zu beschreiben ist, und zwar
nicht als ein Nebeneinander, sondern als ein Ineinander von Neu und Alt.“
Das „echte Alte“ und das neu Beschaffte, welches das verlorene Alte evo-
ziert, bilden eine neue Einheit. Man könnte behaupten, daß Hager in
­seinem Text ein Beispiel für das vorstellt, was neuerdings die „Eigenlogik
der Städte“ genannt wird.

„Unter allen Städten Westfalens ist Münster die vornehmste, ja in ganz


Deutschland gibt es keine, die ihr darin gleichkommt.“
Die von der Dichterin Ricarda Huch mit solchen Worten gepriesene
Stadt besteht nicht mehr. Das altertümliche, kunstreiche, behagliche
Münster, dessen Antlitz die Zeit so veredelt hatte, ist in den 102 Luft-
angriffen untergegangen, die 1940 einsetzten, an dem furchtbaren
10. Oktober 1943 ihren Höhepunkt erreichten und bis Kriegsende nicht
nachließen. Der Dom brach zusammen, der Rathausgiebel stürzte ein,
und als die Sieger einrückten, war die Stadt nach Aussage der Statistik
insgesamt zu 62%, die Altstadt aber zu 91% vernichtet. Noch im Früh-
jahr 1947 sah man vom Bahnhof aus quer über das Trümmerfeld unmit-
telbar die leere Kulisse der Schloßfront vor sich; nachts leuchtete in den
Häuserresten innerhalb des Wallrings kaum ein Licht auf. In den Vor-

152
orten hausten noch an die 25.000 von den einstigen 132.000 Einwoh-
nern. Ernstlich wurde gefragt, ob ein Wiederaufbau überhaupt mög-
lich sei; die Behörden drohten abzuwandern, die bis auf die Kliniken
vom Erdboden vertilgte Universität erwog, sich außerhalb anzusiedeln.
­Münster stand in Gefahr, seinen geschichtlichen Ort, sein Gesicht und
damit sich selbst aufzugeben.
Die Tatkraft der Bürger, ihr unbeirrbarer Sinn haben anders entschie-
den. Heute steht auf dem alten Gelände wieder eine blühende Stadt,
volkreicher als zuvor, in deren Gestalt sich die verlorene mit erstaun­
licher Treue erneuert. Dom und Kirchen, das Rathaus und was immer
an Gebäuden noch zu retten war, sind so sorgsam wiederhergestellt, daß
man auf den ersten Blick kaum einen Unterschied sieht. Vor allem aber
hat sich der Wiederaufbau der Altstadt, die ja Haus für Haus fast
­gänzlich zu erneuern war, so weit wie möglich an die historischen Stra-
ßenzüge und die ererbte Grundstückverteilung, an die herkömmliche
Bauweise in Backstein mit Hausteingliederung und die überlieferte
­Außenform der Gebäude gehalten. Dieser Entschluß, ein zerstörtes
Stadtbild in Grund- und Aufriß dem vernichteten Original in großen
Zügen nachzuzeichnen, ist von den Verfechtern eines neuen Bauens um
jeden Preis herb getadelt worden, in der Tat aber entsprang er der nüch-
ternen Wirklichkeit der Dinge selbst. Münster konnte sich seiner Lage
und Eigenart nach nur behaupten, wenn es blieb was es war. Rang und
Verpflichtung der alten Metropole Westfalens geboten außer der Be-
wahrung der geschichtlichen und geweihten Stätten auch die Wiederer-
weckung ihrer von der Zeit geprägten Erscheinung. Das Festhalten am
Gewachsenen und Gewordenen liegt im Wesen ihrer Bewohner. So
kehrte alles an seinen Ort zurück, und gerade darin bewies sich die zähe
Kraft, die das fast unmöglich Scheinende geleistet hat. In aller Verwand-
lung hat sich das Dauernde behauptet. Die Stadt hat sich auf der ein-
mal gewählten Grundlage wiederhergestellt und breitet sich lebhaft
aus. ­Dabei müssen auch in der Altstadt weite Bezirke völlig neu geschaf-
fen werden, und was hier und in den Außenvierteln entsteht, vielfach
­unter sachgerechter Weiterführung des heimischen Backsteinbaus, zeigt
mit Entschiedenheit und erfreulichem Wagemut die Bauformen unse-
rer Tage.
Der Gang durch die Gefilde des Todes gehört nun schon der Geschichte
der Stadt an, daher bildet der Bericht davon den Ausgangspunkt jeder
Beschreibung ihrer heutigen Gestalt. Denn diese wird nicht verständ-
lich ohne fortwährenden Rückblick auf den Vorgang der Erneuerung,

153
der selbst unter den kriegszerstörten Städten Deutschlands durch seine
Vollständigkeit und sein einheitliches Verfahren eigenartig hervortritt.
Die Überzeugungskraft, mit der sich die Stilkopie an die Stelle des ver-
schwundenen historischen Gebäudes setzt und seine Rolle weiterspielt,
ist wohl kaum irgendwo so deutlich zu beobachten wie in Münster, wo
die Lebensfähigkeit des wieder erstehenden Stadtleibes von dem Über-
gang der Lebenskräfte auf diese ihm eingepflanzten Organe entschei-
dend abhing.
Es ist also eine neue und zugleich alte Stadt, die zu beschreiben ist, und
zwar nicht als ein Nebeneinander, sondern als ein Ineinander von Neu
und Alt. Forschen, wie das Alte im Neuen gegenwärtig bleibt, heißt
nicht nach unaufhaltsam verblassenden Schatten haschen, sondern ver-
stehen wollen, warum das Heutige so und nicht anders aussieht. Denn
in das bei allem kräftigen Dasein doch noch etwas glatte Gesicht dieser
neuen Altstadt ist die überstandene Vernichtung eingezeichnet als das
Nichtmehrsein von etwas, das noch vor zwanzig Jahren war und wor-
auf sich das Bestehende auf Schritt und Tritt bezieht. Was man sieht und
greift, ist weithin nicht mehr das Alte und wäre doch ohne jenes Bild
hinter seinem Bilde nicht wie es ist. Auch die Zusammenhänge haben
sich gelockert; das bauliche Kunstwerk, erhalten oder wiederhergestellt,
ist nicht mehr in seine mit ihm gewachsene Umgebung eingebettet. Folg-
ten nicht die Straßen ihrem alten Zug, so wäre seine Vereinzelung noch
stärker fühlbar. Aber in der Stille wirkt die Zeit den Ausgleich und
­arbeitet von Jahr zu Jahr merklicher die unverkennbar münsterischen
Züge in dem Antlitz heraus, das im kühlen Licht des neuen Tages
steht.

4  Fritz Löffler, Das alte Dresden: Geschichte seiner Bauten (1955)

Fritz Löffler war von 1951 bis 1967 am sächsischen Denkmalamt tätig. Als
unermüdlicher Streiter für die Erhaltung der Denkmale, die den Krieg,
und sei es nur als Ruine, überdauert hatten, ist er selbst in die Geschichte
der Stadt eingegangen. Auf der vom Bildhauer Wieland Förster gestalteten
­Gedenktafel vor seinem Wohnhaus liest man: „Als Bewahrer seiner Stadt
/ Denkmalpfleger / Freund der Künstler / lebte er in diesem / Hause drei
Jahrzehnte / bis zu seinem Tod.“ In seinem Werk, dessen 16. Auflage 2006
erschienen ist, schreibt Löffler mit großer Entschiedenheit gegen den
­Verlust der Stadt an. Er zeigt und bespricht die Abbildungen zahlreicher

154
untergegangener Baudenkmale so intensiv, daß sein Buch für jeden Leser
stets aufs Neue zu einer Vergegenwärtigung des Vergangenen wird.
Damit wird freilich nicht nur die Erinnerung an das Verlorene wachge­
halten und gepflegt, sondern auch das Verlusterlebnis immer neu im Prä-
sens geschrieben und auf die Art über Generationen hinweg weitergege-
ben. Die exakten Informationen über Zerstörung, Bestand und Verbleib
der besprochenen Denkmale und Sammlungsstücke hat der Autor im
­dritten Anhang mehr verborgen als auffindbar gemacht. Die ausdrück­
liche Weigerung, Trümmer abzubilden, hat indes nichts Eskapistisches.
Löffler weicht damit nicht etwa dem Verlust aus, er macht ihn vielmehr
im Umkehrschluß anschaulich. Nur im Vorwort und im „Memento“ sei-
ner Einleitung schreibt er, in Umfang und Ton zurückhaltend, über die
Zerstörung der Stadt. G­ erade diese Zurückhaltung macht seinen Text so
besonders intensiv.

Vorwort (Auszug)
Der vorliegende Band soll einen Überblick über die baugeschichtliche
Entwicklung der Stadt Dresden vermitteln und sie durch Bilddoku-
mente belegen. Ein umfangreicher Registerteil will darüber hinaus
­Unterlagen zur Beantwortung von Fragen beisteuern, die sich bei in-
tensiverer Beschäftigung mit den Problemen von selbst ergeben. Es ist
dies nach mehr als dreißig Jahren der erste Versuch einer Gesamt­
betrachtung. Nach den Schreckenstagen im Februar 1945, in denen die
Stadt an den Rand des Unterganges gebracht wurde, bedarf zu einem
solchen Unternehmen keiner besonderen Rechtfertigung.
Der Bildteil schließt mit dem Ende der Semperzeit ab, da das Werk
­Sempers den letzten Höhepunkt historischer Baukunst in Dresden be-
deutet. Im Text gibt er einen Ausblick bis zum Ende des 19. Jahrhun-
derts. Im Bildteil erscheinen keine Trümmer. Der Verfasser hat sie nicht
deshalb beiseite gelassen, weil er weiß, wie schmerzlich und nieder­
drückend ihr Anblick dem Betrachter ist, sondern weil er seine histo-
rische Betrachtung lange vor dem Februar 1945 abschließt. Doch sind
im ­Registerteil der Zerstörungszustand und der Stand des Wiederauf-
baues vermerkt. Die innerhalb der vielhundertjährigen Geschichte der
Stadt bereits in älteren Epochen verschwundenen namhaften Bauwerke
­werden vom Verfasser ebenfalls untersucht. So sind auch alle bedeuten-
den Bauten Dresdens aus früheren Jahrhunderten aufgenommen, von
­denen uns nicht mehr als ein bildliches Zeugnis geblieben ist, gleichviel,
wann sie versanken. Doch mußte in jedem Falle ausgewählt werden,

155
wenn der ohnehin umfangreiche Band nicht zum Kompendium an-
schwellen sollte. Dabei wurde dem Barock als dem klassischen Zeit­
alter der Stadt etwas mehr Raum als anderen Perioden zugebilligt. Wie
bei jeder Auswahl wird es verschiedene Meinungen darüber geben, was
wichtig und was unwichtig ist. Der Verfasser bittet um Nachsicht, wenn
er hier gefehlt haben sollte.
Der Band wendet sich zuerst an alle, die mit der Stadt noch vor ihrer
Zerstörung durch eigenes Erleben verbunden waren. Er wendet sich
aber auch an die, die ihre frühere Größe und Herrlichkeit nur nach Bil-
dern oder von Erzählungen her kennen und niemals das Glück hatten,
„diesen heiteren Morgenstern, der der Welt leuchtete“, wie es der greise
Gerhart Hauptmann im Februar 1945 ausdrückte, zu sehen. Er wendet
sich besonders an die junge Generation, damit sie aus dem Glück und
Unglück dieser Stadt ihre Erkenntnisse ziehe. Nicht zuletzt hofft der
Verfasser, mit dieser Zusammenfassung auch der Fachwissenschaft zu
dienen. […]

Dresden, 25. Oktober 1955 Fritz Löffler

MEMENTO (Auszug)
Als das „auf dem höchsten Gipfel seiner Vollkommenheit prangende
Dresden“ hatte der barocke Chronist Iccander in der üppigen und blu-
migen Sprache seiner Zeit die Stadt an der Elbe in den Tagen ihres Glan-
zes im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts beschrieben und als ihre
­sieben Wunderwerke „das unvergleichliche Zeughaus, die in aller Welt
berühmte Kunstkammer, den recht königlich ausgezierten Stall, die in
ganz Europa jetzt berühmteste Elbbrücke, das mit allen japanischen
Kostbarkeiten versehene ostindianische Palais am Weißen Tor, den
­seinesgleichen in Europa nicht habenden Zwingergarten und das große
und trefflich ausmöblierte Jägerhaus“ gerühmt. Nach dem Chronisten
war wenige Jahrzehnte später der Maler gekommen und hatte mit dem
Pinsel festgehalten, was die Reisenden in ganz Europa von den Schön-
heiten der Stadt am Strom zu berichten wußten. Bernardo Belotto, ge-
nannt Canaletto, der Neffe des großen Venezianers Antonio, schuf in
der minutiösen Art des spätbarocken Realismus mit allen Hilfsmitteln
der exakten Wissenschaft, wie der Camera obscura, die umfangreichen
Veduten, die die Stadt in dem Augenblicke der letzten Vollendung der

156
Nachwelt überliefern. Die Gemälde bilden noch heute, einern der
Haupt­anziehungspunkte der Pillnitzer Galerie, die Stiche nach ihnen
sind ein begehrtes Objekt der Sammler aus aller Welt geblieben.
Noch war der Firnis auf den spätesten Bildern nicht getrocknet, als wäh-
rend des Siebenjährigen Krieges durch die frivole Beschießung der
­Artillerie Friedrichs II. von Preußen ein wesentlicher Teil der Stadt in
Asche sank. Zu den glücklich erhaltenen Denkmalen zählte die Kuppel
der Frauenkirche, von deren Laterne der jugendliche Goethe 1768 diese
leidigen Trümmer übersah: „Die Mohrenstraße (Moritzstraße) in Schutt
sowie die Kreuzkirche mit ihrem geborstenen Turm drückten sich mir
tief ein und stehen noch wie ein dunkler Fleck in meiner Einbildungs-
kraft. Nun lagen die königlichen Schlösser zerstört, die Brühlschen
Herrlichkeiten vernichtet, und es war von allem nur ein sehr beschädig-
tes herrliches Land übriggeblieben. Da rühmte mir der Küster die Kunst
des Baumeisters, welcher Kirche und Kuppel auf einen so unerwünsch-
ten Fall scheinbar eingerichtet und bombenfest erbaut hatte. Der gute
Sakristan deutete mir alsdann auf Ruinen nach allen Seiten und sagte
bedenklich lakonisch: Das hat der Feind getan!“
Doch fünfundvierzig Jahre nach diesem Ereignis, während der Befrei-
ungskämpfe von 1813 zwischen dem gemeinsamen Einzuge des russi-
schen Zaren mit dem Preußenkönige Friedrich Wilhelm III. und einer
letzten Begegnung mit Napoleon vor dem Brühlschen Palais an der
­Augustusstraße, bestieg Goethe zum zweiten Male die Kuppel. Die
Schäden des vergangenen Krieges waren inzwischen vernarbt, wenn
auch manche der architektonischen Perlen für immer aus der Stadtkrone
gebrochen blieben, und es bot sich dem alternden Dichter der fried­
liche Anblick des Spieles der Mücken in der Abendsonne dar, den er
im ­Tagebuch vermerkte.
Seltsam wiederholen sich die geschichtlichen Ereignisse. Wer im Herbst
des Jahres 1944 in der Jahreszeit in der Dresden seine Reize zum letz-
ten Male in der ganzen Üppigkeit seines Farben- und Formenreichtums,
wunderbar offenbarte, die Chancen der Stadt in dem unseligen Kriege
sorgsam abwog, konnte nicht ganz ohne Hoffnung für ihr künftiges
Schicksal bleiben. Ihre besonderen Schönheiten lagen im wesentlichen
abgetrennt von den übrigen Bezirken, von der Brühlschen Terrasse bis
zum Zwinger, vom Neustadter Markt bis zum Japanischen Palais hin-
gezogen. Kilometerweit war dieser Stadtkern von jeder industriellen
Tätigkeit entfernt. Der modernen Kriegstechnik wäre es ein leichtes
­gewesen, diese architektonischen Kostbarkeiten, die der ganzen Welt

157
gehörten und die länger als ein Vierteljahrtausend im Brennpunkt der
künstlerischen Auseinandersetzungen gestanden hatten, von jeder Be-
schädigung sorgsam auszunehmen. Aber wie der Preußenkönig im
­Sommer 1760 aus Abneigung gegen seinen persönlichen Gegner Brühl
­gerade die kostbarsten Kunstwerke zerstörte, so vernichteten in der
Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 amerikanische und englische Bom-
ber systematisch die Kleinodien der Stadt und ließen die kriegswichti-
gen Industrien in den weiteren Vorstädten unberührt bestehen. Nicht
einmal das inmitten kilometerweiter Parkanlagen sich ausbreitende und
von jeder Besiedlung ferne Barockpalais des Großen Gartens blieb
vor den Nachstellungen aus der Luft verschont. Und wie damals der
­jugendliche Goethe die Wortes des Erinnerns für seine Autobiographie
„Dichtung und Wahrheit“ festhielt, so fand jetzt der greise Gerhart
Hauptmann, schon selbst vom Tode gezeichnet, Worte der Klage und
der Trauer für alle, die guten Willens sind.

5  Uwe Tellkamp, Der Turm, „Kupfervitriol“ (2008, Seiten 363–365)

Uwe Tellkamp, Arzt und Schriftsteller, schildert in seinem 2008 erschiene-


nen Roman Der Turm das Leben der bildungsbürgerlichen Dresdener in
den 1980er Jahren, also im letzten Jahrzehnt der DDR. Seine Protago­
nisten, die „Türmer“, wohnen in den vielfach geteilten, durch jahrelange
Übernutzung und mangelnde Bauunterhaltung mürbe gewordenen groß-
bürgerlichen Villen am Elbhang über der Stadt. Umgeben von sozialisti-
scher Mangelwirtschaft, wenden sie sich der großen Vergangenheit der Stadt
zu, gestützt auf verblassende Fotos und auf Fritz Löfflers Buch Das Alte
Dresden. In Tellkamps literarischer Darstellung wird die von einer Kaffee-
gesellschaft vorgenommene gemeinsame Lektüre von Löfflers Buch zum
Schlüsselbild für die Rückwärtsgewandtheit der Gebildeten und für ihre
Sehnsucht nach dem Schönen. Der Verlust der alten Denkmale, gegen den
Löffler einst angeschrieben hatte, ist nicht vergangen, die immer wieder
­betrachteten Bilder des Alten werden zur Überblendung der brüchigen
Gegenwart gebraucht.
So wird Tellkamps Roman zu einer wichtigen Quelle für die – freilich im
literarischen Rückblick verarbeitete – soziale Rezeption von Löfflers Buch
in der DDR-Gesellschaft. Und wenn es das alte Dresden weitertrug, so
trägt Tellkamps Buch das alte Dresden und Löfflers Buch über das alte
Dresden weiter in die Zukunft.

158
Ja, das ist er, einer von hier oben, ein Türmer: die von der Vergangen-
heit wie von einem Gelobten Land sprachen, sich mit ihren Insignien,
heraldischen Erkennungszeichen, ihren Kar­ten und Fotografien um­
gaben; was war sie ihnen? Ein Sternbild von Namen, eine Milchstraße
von Erinnerungen, ein Planetensy­stem Heiliger Schriften, und die
­heiligste davon, die Sonne, hieß DAS ALTE DRESDEN, geschrieben
von Fritz Löffler (und hörte die Spieluhr: Dresden … in den Musen­
nestern/wohnt die süße Krank­heit Gestern) … und erinnere mich an
Abende im Haus Zu den Meerkatzen: Man trat durch die zerkratzte
Schwingtür des Ein­gangs, lief über abgetretene, von der Zeit zur Farbe
siechendes Ro­senholz gebleichte Spannteppiche, die an den Seiten aus-
gefranst waren und Herrn Adelings tägliches Mißfallen erregten, an
Kübel­pflanzen auf den Etagenkehren vorbei, die mich an die jahrzehnte­
lang in Formalingläsern schmollenden, nikotingelben Kraken zoologi-
scher Sammlungen erinnerten, betastete bröckelnden, mit Sze­nen aus
den „Meistersingern“ verzierten Putz, hatte sich an die mit Ankerplast
geklebten Scheiben in den Etagen-Flurtüren ge­wöhnt – und geriet vor
einen Zeigefinger, fischblaß und arthrose­knotig, über den sich ein Ver-
schwörerlächeln schob: „Herr Rohde, kommen Sie herein, wir gucken’s
uns gerade an!“ Auf damastge­decktem Tisch, auf geschnitztem, mit
Nußöl blankpoliertem und penibel trockengeriebenem Lesepult lag es
und breitete seine Pa­pierschwingen wie Engelsflügel aus: das Buch;
kommt und labt euch, die ihr mühselig seid, und seid geborgen in der
Unverrück­barkeit meiner Wohnung, kommt und genest. Aufgeschla-
gen: der Zwinger, Fotografie des Mathematisch-Physikalischen Salons.
„Er entstand 1711 bis 1714, als frühester der Pavillons M. D. Pöppel-
manns während des Reichsvikariats Augusts des Starken, wie das Auf-
treten des Reichsadlers im Schmuck des Giebelfrieses beweist.“ Zuerst
brüchige, dann von Kaffee mit Sahne, Kirschlikör und Eier­schecke ge-
festigte Vorlesestimmen, Zeigefinger, die die Zeilen ent­langrutschten,
Fingernägel, die sich in einzelne Buchstaben bohr­ten, über dem Papier
auf- und niederteleskopende Lesegläser. […] Der gelbe Nebel zog durch
ihre Zimmer, laugte an den Häusern, machte den Dresdner Sandstein
porös, überkrustete die Dächer, fraß an den Schornsteinen, ließ die Kitt-
fassungen der Fenster brüchig werden, aber die Türmer hörten Tann-
häuser in sieben verschiedenen Aufnahmen und verglichen sie mit­
einander, um sich über die „beste, die höchste, die schönste, die
Standard-Aufnahme“ zu streiten; sie maßen das zerstörte Kurländer
­Palais nach, in Gedanken und auf dem Papier, während ihre Wohnun­

159
gen mürbe wurden und das Holz der Dachstühle zundrig, und so kannte
ich es aus der ganzen Stadt, diesem zerschossenen Barockschiff im
Waschzuber des Elbtals, dieser schimmernden Frucht gefangen im Ute-
rus seiner eigenen, der parallelen Zeit; überall, wo ich hinkam, war es
das gleiche: Kaffeetafeln, Eierschecke, DAS ALTE DRESDEN.

6  Walter Dirks, Mut zum Abschied: Zur Wiederherstellung des


Frankfurter Goethehauses (1947)

Walter Dirks, katholischer Theologe und Journalist und langjähriger Her-


ausgeber der Frankfurter Hefte, ist wohl der am häufigsten zitierte Autor,
wenn es um die Ablehnung von Denkmalrekonstruktionen geht. Warum
soll sein Text auch hier erscheinen? Weil Dirks derjenige ist, der am deut-
lichsten vorträgt, was ich „Moralisierung des Verlustes“ genannt habe.
Wenn Dirks schreibt: „wäre das Volk der Dichter und Denker (und mit ihm
Europa) nicht vom Geiste Goethes abgefallen, vom Geist des Maßes und
der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht unternommen und die
Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert“, dann stellt er eindeutig den
Verlust des Hauses in den Zusammenhang mit der Kriegsschuld der Deut-
schen, die für ihn 1946 unabweisbar war. Die Assoziation von Verlust und
Schuld zieht für ihn die Bereitschaft zur Sühne nach sich, die in diesem
Falle nur im Verzicht liegen kann: „Die Zerstörung dieses Hauses gehört
so gut zur deutschen und europäischen Geistesgeschichte wie seine Errich-
tung […]. Wir sollten dieses letzte Kapitel einer langen Geschichte, den Zu-
sammenbruch, nicht wegwischen wollen […]. Nur eines ist hier angemes-
sen und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig.“
Verlust als Strafe, Verzicht als Sühneleistung – daran soll, so Walter Dirks
1946, die deutsche Demokratie wachsen. Hier geht es, wohlgemerkt, nicht
um die technische Machbarkeit oder den kulturellen Wert einer Denkmal-
rekonstruktion, es geht um moralische Werte.
Wie allgemein bekannt, wurde das Goethehaus unter Verwendung der
­erhalten gebliebenen Bauteile als Fachwerkhaus neu errichtet und 1951
­eröffnet. Walter Dirks Text hat gleichwohl die Debatten um Verlust und
Wiederaufbau über viele Jahre nachhaltig geprägt. In den 1980er Jahren und
noch mehr seit der Wende haben sich die moralischen Positionen jedoch
verschoben. Denkmalverluste, die in beiden Teilen Deutschlands auch nach
dem Krieg eintraten, ob aus politischen Gründen oder aufgrund von Pla-
nungsentscheidungen oder Kapitalinteressen, wurden beziehungsweise

160
werden nun nicht mehr mit Schuld sondern mit Entbehrung assoziiert und
nicht mit Sühne und Verzicht, sondern mit Belohnung und Anspruch auf
Ersatz verknüpft. Die soziale Verlustkonstruktion hat sich grundlegend
verändert.

Eines Tages mußte die Frage an die Verantwortlichen herantreten, was


mit dem Platz zu geschehen habe, der geblieben ist, und was mit den
Resten und den geretteten Möbeln. Sollte man den „heiligen“ Ort als
Erinnerungsstätte unbebaut lassen, einen Gedenkstein setzen, die ge-
retteten Stücke irgendwo in einem Museum aufstellen? Sollte man ein
solches Museum an Ort und Stelle errichten? Oder sollte man das Haus
selbst wiederaufbauen? Vielleicht hätte sich die Antwort auf diese Fra-
gen noch hinausschieben lassen, bis die Voraussetzungen des Neuauf-
baus der deutschen Städte im allgemeinen und der Frankfurter Altstadt
im besonderen materiell, rechtlich und geistig geklärt sein würden.
Manch einer, und nicht nur unter den Banausen, wird sagen: haben wir
nicht andere Sorgen? Aber der Eifer der Freunde dieses ehrwürdigen
Ortes und ihre Sorge um die Rettung und den Verbleib der bisher noch
erhaltenen Erinnerungsstücke drängten nach einer rascheren Entschei-
dung. Außerdem steht ein Jubiläum in Aussicht: das Jahr 1949, das zwei-
hundertste seit Goethes Geburt. Daß gerade diesem Argument schwer
zu widerstehen ist, zeigte schon der vorausgehende Beschluß über die
Paulskirche; ein Jubiläum ist nun einmal ein mächtiger Hebel: es setzt
Kräfte und Mittel frei, auf welche die verantwortlichen Männer jeweils
kaum werden verzichten wollen. So fiel denn die Entscheidung bald:
zuerst im Verwaltungsrat des „Freien Deutschen Hochstiftes“, der be-
kannten Stiftung in Frankfurt, die als Eigentümerin des Hauses um seine
Pflege die größten Verdienste hat, sodann im Magistrat der Stadt, der
sich – obschon grundsätzlich ungeklärt blieb, wieweit er zuständig ist –
ebenfalls damit befaßt hat. Der Beschluß lautete: das Goethehaus soll
unverändert und am alten Platz wiederaufgebaut werden. Am 5. Juli
ist der Grundstein gelegt worden.
Wahrscheinlich ist jene Entscheidung im Grunde schon viel früher
­gefallen: an dem Tage, da Ernst Beutler zum ersten Mal über die rau-
chenden Trümmer kletterte. Der Wille dieses verehrungswürdigen und
in allen Fragen, die Goethe und sein Haus betreffen, außerordentlich
zuständigen Mannes hatte von vornherein ein großes Gewicht. Auch
hat der Gedanke, das Haus in seiner alten Gestalt wiederhaben zu kön-
nen, etwas sehr Einfaches und Einleuchtendes: ihm öffneten sich sofort

161
die Köpfe, die Herzen und die Geldschränke, und es waren gute Köpfe,
gute Herzen und gute Geldschränke darunter.
Nach alledem ist es sehr wahrscheinlich, daß allen zeitbedingten Schwie-
rigkeiten zum Trotz das Goethehaus am 28. August 1949 in der alten
Gestalt dastehen und wie in früheren guten Zeiten die Blumengabe des
Shakespeare-Hauses zu Stratford on Avon entgegennehmen wird.

Als wenn nichts geschehen wäre


Aber es ist etwas geschehen, und dieses Geschehen ist unwiderruflich.
Um dieses Schicksals willen mehr noch als wegen der einzigartigen Be-
deutung des Goethehauses ist jener Entschluß nicht eine Frankfurter
Angelegenheit, sondern eine nationale. […]
Das Haus am Hirschgraben ist nicht durch einen Bügeleisenbrand oder
einen Blitzschlag oder durch Brandstiftung zerstört worden; es ist nicht
„zufällig“ zerstört worden, genauer gesagt: in einer Kausalkette, die keine
Beziehung zu dem eigentümlichen Wesen dieses Hauses hätte und also
ihm gegenüber äußerlich wäre. Sondern dieses Haus ist in einem ge-
schichtlichen Ereignis zugrundegegangen, das mit seinem Wesen sehr
wohl etwas zu tun hat. Es gibt Zusammenhänge zwischen dem Geist
des Goethehauses und dem Schicksal seiner Vernichtung. Einige von
ihnen sind mit Händen zu greifen: wäre das Volk der Dichter und Den-
ker (und mit ihm Europa) nicht vom Geiste Goethes abgefallen, vom
Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht
unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert. Die
große Vernichtung steht folgerichtig am Ende eines Weges, der von
­Goethe weggeführt hat. Andere Zusammenhänge, positive, sind weni-
ger leicht einzusehen, aber darum nicht weniger wahr und wirklich.
­Jenes deutsche Volk der Dichter und Denker hat unter dem Einfluß des
Idealismus und der Klassik, unter dem Einfluß auch Goethes, die Wirt-
schaft und die Macht allzusehr außer Kontrolle gelassen und dadurch
den Mächtigsten überliefert, und es ist nun einmal so, daß diese Auf-
spaltung des deutschen Wesens und diese ,,trahison des clercs“, dieser
hochmütige und schwächliche Verrat der Geistigen an der „Welt“,
­unmittelbar zu dem geführt hat, was über uns gekommen ist. Daß der
große Realist Goethe nicht auch im Politischen ein gläubiger Realist
war, sondern trotz großen Einsichten idealistisch und allzuklug vor ihm
resignierte, gehört zu den Teilvoraussetzungen der Katastrophe, die sein
Geburtshaus vernichtete. (Vergleiche auch den eingangs erwähnten Auf-
satz „Goethes Straßburger Credo“ in II/5.) Hätten wir diese Schwäche

162
Goethes und vieler guter Deutscher rechtzeitig überwunden, so wären
wir derer Herr geworden, die seine Größe verraten haben.
Mit anderen Worten: es hatte seine bittere Logik, daß das Goethehaus
in Trümmer sank. Es war kein Versehen, das man zu berichtigen hätte,
keine Panne, die der Geschichte unterlaufen wäre; es hat seine Richtig-
keit mit diesem Untergang. Deshalb soll man ihn anerkennen. Die Zer-
störung dieses Hauses gehört so gut zur deutschen und europäischen
Geistesgeschichte wie seine Errichtung im Stil eines gotischen Bürger-
hauses, wie sein Umbau im Geist neuer Zeiten, wie die Weihe, die es
durch seine Bewohner vor zwei und anderthalb Jahrhunderten erhal-
ten hat, und wie die etwas bedenkliche Apotheose, die es im bürger­
lichen Jahrhundert erfuhr. Wir sollten dieses letzte Kapitel einer langen
Geschichte, den Zusammenbruch, nicht wegwischen wollen, es ist
­außerordentlich beredt und wichtig, es ist die Pointe: wir könnten sonst
die Nutzanwendung verfehlen. Nur eines ist hier angemessen und
groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig.

Anmerkungen

1 Ich habe diese Parameter in meinem Aufsatz „Histoire sans abri – abris sans histoires“
entwickelt, der in der für 2011 angekündigten Publikation der Tagung „Living with hi-
story“ in Leuven/Ypern 2004 erscheint. In deutscher Sprache vgl. auch: „Ähnlichkeit
erwünscht. Zum sozialen und formalen Wert von wiederaufgebauten Denkmalen“, in:
Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum (Hg.), Rekonstruktion am Beispiel Berliner
Schloss aus kunsthistorischer Sicht. [Arbeitstitel], Stuttgart (Franz Steiner Verlag (Im-
pulse)), Dezember 2010
2 Anja Tuma, Berlin Mitte. Die Bauplastik-Fragmente des Schlosses. Dokumentation
­erhaltener Fassadenelemente und denkmalpflegerische Zielstellung, unveröffentl. Ab-
schlußarbeit des Aufbaustudiums Bauforschung und Denkmalpflege an der TU Berlin
im Jahrgang 2007/2008
3 Gerhard Strauss erhielt im Sommer 1950 den Auftrag, das „wissenschaftliche Aktiv“ zu
leiten, das von September 1950 bis Januar 1951, also während der abschnittsweise durch-
geführten Sprengung, die Bergung und Inventarisierung wertvoller Bauteile zu leisten
hatte (vgl. Masterarbeit, Anm. 2). Die Arbeit des wissenschaftlichen Aktivs ist Gegen-
stand des Dissertationsprojekts von Anja Tuma am Lehrstuhl für Denkmalpflege der
TU Berlin
4 Bürger (2009), 26
5 Ebda.
6 Bürger (2009)
7 Sebald, Winfried Georg (2009), Luftkrieg und Literatur. Mit einem Essay zu Alfred
­Andersch, München (Carl Hanser Verlag) 1999
8 Ebda., 12

163
9 Ebda., 15
10 Persönliche Notizen von der Veranstaltung am 16. 10. 2008 im Bärensaal des Alten Stadt-
hauses in Berlin
11 Roosens, Elisabeth (2005), Am Anfang war das Bild. Zur Geschichte von Kunstverla-
gen, in: Katharina Krause und Klaus Niehr (Hg.), Kunstwerk – Abbild – Buch. Das
­illustrierte Kunstbuch von 1730 bis 1930 [Beiträge einer Tagung 2005 im Gutenberg-­
Museum Mainz], München (Deutscher Kunstverlag) 2007, 267–280, hier 269
12 Rave, Paul Ortwin, Berlin. Vor der Zerstörung aufgenommen von Otto Hagemann.
­Beschrieben von Paul Ortwin Rave. In der Reihe „Deutsche Lande, deutsche Kunst“,
Deutscher Kunstverlag, Gebrüder Mann Berlin 1948
13 Stelzer, Otto, Braunschweig. In der Reihe „Deutsche Lande, deutsche Kunst“, Berlin
(Deutscher Kunstverklag) 1952.
14 Meier, Paul Jonas (1929, 1931), Braunschweig (Aufnahmen Staatliche Bildstelle). In der
Reihe „Deutsche Lande/Deutsche Kunst“, hg. von Burkhard Meier, Berlin (Deutscher
Kunstverlag)
15 Stelzer (1952). Das mit Bleistiftanmerkungen versehene Buch steht heute in der TU/BB
Abteilung Architektur und Kunstgeschichte, die Signatur lautet: 4Bg213, Regalstandort
T-D BRAUN 20/A/4A
16 Schröder, Hans, Lübeck (Aufnahmen Wilhelm Castelli), in der Reihe „Deutsche Lande,
deutsche Kunst“, Berlin (Deutscher Kunstverlag) 1943 (11940)
17 Schröder (1943)
18 Schröder (1943). Das Buch steht heute in der TU/BB Abteilung Architektur und Kunst-
geschichte, die Signatur lautet: 8Bk9089, der Regalstandort T-D/Luebe/A/3A. Es trägt
den Stempel: Technische Universität/ Berlin- Charlottenburg /Humanistische Fakultät,
der mit „ungültig“ in roter Farbe überstempelt ist. Ich gehe davon aus, daß die TU-­
Bibliothek das Buch neu erwarb und die Anmerkungen von einem Lehrenden der Hoch-
schule stammen.
19 Seiler, Harald (1948)
20 Hager, Werner (1961)
21 Löffler, Fritz (1955)
22 Tellkamp, Uwe (2008)
23 So der angesehene langjährige Dresdner Denkmalpfleger Dr. Heinrich Magirius, dem ich
für diesen persönlichen Hinweis danke.
24 Dirks, Walter (1978) 825–826, siehe auch Textdokument 4.6
25 Zur Debatte um den Wiederaufbau des Goethehauses vgl. das Kapitel „Der ‚Deutsche
Geist‘ und die Rekonstruktion des Frankfurter Goethehauses – die Trümmer des Gei-
stes“, in: Falser (2008), 82–87
26 Den Hinweis auf den Begriff und das Konzept der „instant gratification“ verdanke ich
Julian Bonekämper.
27 Bürger (2009), 28

164
Literatur

1 Bürger, Peter, „Moderne – Identität – Rekonstruktion“, in: Bau und Stadtentwicklung –


Initiative Architektur und Baukultur Bundesministerium für Verkehr (Hg.), Identität
durch Rekonstruktion? Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume
[Dokumentation der Baukulturwerkstatt vom 16. Oktober 2008 im Bärensaal des Alten
Stadthauses in Berlin], Berlin, 22–29, hier 27–28 (Abschnitt „Grenzen der Rekonstruk-
tion“)
2 Seiler, Harald, Münster. Die alte Stadt, Münster (Aschendorff Verlag) 1948, 3–4
3 Hager, Werner, Münster in Westfalen (Reihe Westfälische Kunst), München (Deutscher
Kunstverlag) 1961, 5–6
4 Löffler, Fritz, Das alte Dresden. Geschichte seiner Bauten, Dresden 1956 (11955): Sach-
senverlag (Deutsche Bauakademie / Schriften des [Forschungs-] Instituts für Theorie und
Geschichte der Baukunst). 7 (Vorwort), 9–10 „Memento“ (Einführung)
5 Tellkamp, Uwe, Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land, Roman, Frankfurt
am Main (Suhrkamp Verlag) 2008
6 Dirks, Walter (1947), „Mut zum Abschied. Zur Wiederherstellung des Frankfurter
­Goethehauses“ in: Eugen Kogon, Walter Dirks (Hg.), Frankfurter Hefte. Zeitschrift für
Kultur und Politik, 1. bis 7. Jahrgang, Faksimile-Ausgabe, 2. Jahrgang 1947, Frankfurt am
Main (Fischer-Taschenbuch-Verlag) 1978 

165
Adrian von Buttlar

Auf der Suche nach der Differenz:


Minima Moralia reproduktiver Erinnerungsarchitektur

Das im Zuge der Modernisierung, Globalisierung und Virtualisierung der


Welt offenbar wachsende Desiderat, physisch erlebbare Räume und Bilder
der historischen Erinnerung in unseren Städten zu etablieren, die psychi-
sche Bedürfnisse nach Orientierung durch retrospektive Identitätsstiftung
befriedigen, aber zunehmend auch kommerziellen Interessen dienen, hat
uns weit von den Aufgaben der Fachdenkmalpflege ab- und an Grund­
fragen der Baukultur herangeführt: Denn beide Sphären – Denkmalpflege
und Neubaureglements – bilden selbstverständlich ein dialektisch aufein-
ander bezogenes Ganzes. Wie der Architekt im Ernstfall des Denkmal-­
Sanierens oder Weiterbauens im Bestand den denkmalpflegerischen Auf-
trag nicht ignorieren darf, so wenig kann es dem sich als ‚nicht zuständig‘
verstehenden Denkmalpfleger gleichgültig sein, wenn Neubauten im
­historischen Gewand die Rolle des Denkmals usurpieren. Diesem immer
wieder anzutreffenden Konflikt möchte ich im abschließenden Beitrag mit
dem Thema „Erinnerungsarchitektur“ in einer eher essayistischen Form
nachgehen, die anstelle von einzelnen Schlüsseltexten lediglich mit Zitaten
arbeitet. Alle bisher in der Quellenexegese erörterten Aspekte sind hier
noch einmal aufgenommen, aber die aus der klaren Trennung von Denk-
mal und Erinnerungsarchitektur resultierenden Schlußfolgerungen führen
nun keineswegs zur Aufweichung des denkmalpflegerischen Auftrages, der
sich wieder stärker auf den tradierten Bestand zurückorientieren sollte, son-
dern vielmehr zur Präzisierung der Anforderungen an unsere Baukultur,
das heißt an die bauenden und gestaltenden Planer und Architekten, so-
fern sie sich mit der Evokation des „Geschichtlichen“ auseinandersetzen.

166
Die Charta von Venedig extrapolieren!

Die Denkmalpflege-Charta von Venedig (1964) spricht aus gutem Grund


die Rekonstruktion eines verlorenen Baudenkmals überhaupt nicht an: Eine
in erster Linie der Erinnerung dienende Denkmalfiktion zu errichten, liegt –
wie in den vorangehenden Beiträgen dieser Anthologie noch einmal deut-
lich wird – schlichtweg außerhalb des Auftrags der Denkmalpflege, mate-
riell überlieferte Denkmäler als authentische Zeugnisse der Kunst und der
Geschichte zu pflegen und zu erhalten. Lediglich im Bereich der archäolo-
gischen Grabungen ist in der Charta die Anastylose, die Wiederaufrich-
tung und Zusammenfügung herabgestürzter oder umgefallener Original-
fragmente, gestattet (im Interesse der Tourismus- und Eventindustrie wird
aber leider auch diese gängige Praxis zunehmend durch spektakuläre, mehr
oder minder fiktionale Rekonstruktionen überholt bis hin zum spektaku-
lären Neubau weitläufiger historisch-archäologischer Stätten, beispiels-
weise des 1945 zerstörten Schuri-Castle auf Okinawa 1992).1 Man kann
deshalb nur die Artikel 12 und 9 der Charta, die die Ergänzung beziehungs-
weise die Restaurierung eines teilzerstörten Denkmals regeln, auf die
‚­Rekonstruktion aus dem Nichts‘ extrapolieren: „Die Elemente, welche
dazu bestimmt sind, fehlende Teile zu ersetzen, müssen sich dem Ganzen
harmonisch eingliedern, aber dennoch vom Originalbestand unterscheid-
bar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst- und
Geschichtsdokument nicht verfälscht.“ Und: „Dort, wo es sich um hypo-
thetische Rekonstruktionen handelt, wird jedes Ergänzungswerk, das aus
ästhetischen oder technischen Gründen unumgänglich notwendig wurde,
zu den architektonischen Kompositionen zu zählen sein und den Charak-
ter unserer Zeit aufzuweisen haben.“2
Diese soliden Grundsätze bestimmten nicht nur aus materiellen Gründen,
sondern aus wohl begründeter Überzeugung einen großen Teil des Wieder­
aufbaus der schwer beschädigten Denkmalbauten in der Nachkriegszeit.
In einigen – selbstverständlich seinerzeit auch kontrovers diskutierten und
Jahrzehnte später sogar rückbaugefährdeten – Fällen, etwa der Frankfur-
ter Paulskirche (1945–1948) und der Alten Pinakothek in München (1952–
1957, 1971–1980)3 oder beim Wiederaufbau des Saarbrückener Schlosses
durch Gottfried Böhm (1982–1987) ist die Differenz zwischen tradierter
historischer Denkmalsubstanz, Reparaturzone und ergänzendem Neubau
als mehr oder minder scharfer Kontrast inszeniert worden: „­Warum etwas
vertuschen? Die Leute sollen sehen, daß die Pinakothek ihre Geschichte
hat und daß auch ihr der Krieg nicht erspart geblieben ist“ erläuterte Hans

167
Döllgast diese durchaus moralisierende Haltung.4 Und Gottfried Böhm,
der 1977/1978 zunächst den historischen Rekonstruktionsauftrag respek-
tierte und seine moderne Alternative für das gläserne Corps de Logis des
Saarbrückener Schlosses eher als Experiment entwickelte, spielte 1980 auf
das künstlerische und ethische Defizit des bloßen Reproduzierens an: „Wir
glauben nicht, daß wir mit diesem Vorschlag etwas Schöneres entworfen
haben, als das alte Stengelsche Schloss darstellt. Das wäre in der Tat ver-
messen. Aber wir glauben, daß dieses ehemalige Schloß so nicht mehr zu
erstellen ist und eher eine Peinlichkeit wird und die Alternative in dieser
Erkenntnis richtiger und der Funktion entsprechender ist. Wir glauben
auch, so im Sinne von Stengel zu handeln.“5 Meist wurde die Differenz um
des homogenen Denkmalbildes willen zurückhaltender, in der Regel aber
in noch immer spürbarer Weise überbrückt.
Der gewaltsame Bruch der geschichtlichen und ästhetischen Präsenz durch
die materielle Zerstörung, oft auch das Aufgeben der ideellen und funk­
tionalen Kontinuität des Bauwerks, sind auf diese Weise als Teil seiner
­Geschichte lesbar geblieben, ohne die Erinnerung an seine einst intakte
­Gestalt und Bedeutung aufzuheben. Es ging bei dieser Wiederaufbau­
strategie also nicht um eine „interpretierende“, das historische Werk für
eine bestimmte formale oder ideologische Haltung vereinnahmende Denk-
malpflege6, sondern in erster Linie um die reflektierte Vermittlung des
­Wiederaufbauens als einer materiellen und ideellen, auf die Bedürfnisse der
Gegenwart antwortenden Konstruktion. Daß nicht alle Versuche, die
­Baudenkmäler in abstrahierender und kontrastierender Form zu reparie-
ren, gelungen sein mögen, wie auch der gegenteilige Nachweis, daß auf
diese Weise beispielhafte Denkmalrettungen und neue Denkmalsetzungen
realisiert worden sind und daß das beherzte „Weiterbauen im Bestand“
heute als eine „kreative“ Form der Denkmalerhaltung Anerkennung fin-
det 7, wäre auf anderer Ebene zu diskutieren. Es kommt zunächst vielmehr
darauf an, heute nicht hinter ein damals bereits erreichtes Reflexionsniveau
zurückzufallen.
Methodisch läßt sich nämlich fragen: Müssen die in der Charta von V­enedig
formulierten und vielfach umgesetzten Grundsätze der Differenzierung
zwischen Originalsubstanz, Reparatur und moderner Ergänzung nicht erst
recht gelten, wenn Baudenkmäler nicht nur teilzerstört, sondern gänzlich
ausgelöscht worden sind, ihr Verlust jedoch – wie sich anhand der Verlust-
und Erbekonstruktion im vorangehenden Aufsatz nachvollziehen läßt –
durch Neubauten mit der Funktion von Erinnerungsarchitektur kompen-
siert werden soll? Wenn die moderne Denkmalfiktion vom verlorenen

168
Original ununterscheidbar ist, wird – gelegentlich mit offener Fälschungs-
absicht – die Wahrnehmung der Rezipienten getäuscht und ihre intellek-
tuelle Integrität verstört. Gerade darin liegt ja die Gefährlichkeit des er­
weiterten Authentizitätsbegriffs im Protokoll der Nara-Konferenz (1994),
der eigentlich den wilden Boom an Rekonstruktionen durch restriktive
­Regelungen eindämmen sollte, gleichzeitig aber das Mißverständnis einer
aus Asien importierbaren „zyklischen“ Verjüngungsmethode für Denk­
mäler in die europäische Diskussion brachte.8 Gefordert wurde dort von
den Fachleuten im Namen der Authentizität unter anderem, daß beim nun
unter Auflagen legitimierten rekonstruierenden Nachbau des verlorenen
Denkmals identische Formen, Materialien und Bearbeitungstechniken
­angewendet werden müssen. Es soll demnach gerade kein distanziertes
künstliches Denkmalbild erzeugt werden, sondern ein alle Sinne ergreifen-
des, täuschend ähnliches Monument, das in seiner materiellen Präsenz über
formale Identität, scheinbares Alter und immanente Geschichtlichkeit das
denkbar höchste Echtheits-Versprechen verkörpert, obwohl es als Denk-
malsimulation keine dieser Eigenschaften wirklich besitzt. Das Denkmal-
Faksimile, so plastisch, wortgetreu und detailliert es sich auch darstellen
mag, ist aber stattdessen immer nur verkürztes Abbild, gänzlich zeitgenös-
sisch und – wenn nicht ‚Spolien‘ einen letzten Rest seiner auratischen Be-
deutung transportieren – unberührt von den Spuren der fließenden Zeit.
Ganz abgesehen davon, daß, denkmalpolitisch gesehen, die Konkurrenz
um die Zuwendung an öffentlicher Aufmerksamkeit, fachlichem Engage-
ment und Geldmitteln zu Lasten des unersetzbaren Denkmals auszugehen
droht: Es ist unbestreitbar, daß die Würde des tradierten Denkmals ver-
letzt wird, wenn man das Surrogat einer aus genuin sachfremden Ab­sichten
(Erinnerungs- und Geschichtspolitik, werbewirksames branding und mar-
keting) neu errichteten Denkmalfiktion mit dem Verlorenen gleichsetzt.
Eine Denkmalattrappe usurpiert dann den Denkmalstatus und wird – so
gesehen – tatsächlich zu einer „zweiten“ Denkmalzerstörung (Georg
Mörsch nach John Ruskin).9 Ich habe diesen Gedanken 2000 in einem Vor-
trag über „Bewahren, Ertüchtigen, Ersetzen“ aufgegriffen:
„Wo aber Rekonstruktion nicht mehr an Originalsubstanz anknüpfen kann,
wo Geschichte selbst den Ort ausgelöscht oder neue Setzungen vollzogen
hat, endet im Sinne Mörschs die Verantwortlichkeit des Denkmalpflegers:
Das Denkmal ist – so tragisch es erscheinen muß – tot und begraben, es
kann auch im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit nicht zurück­
gewonnen werden. Stattdessen geht es nurmehr um einen Neubau, um
­Erinnerungsarchitektur. Das sollten mittlerweile auch diejenigen wissen,

169
die das Berliner und das Potsdamer Stadtschloß, die Bauakademie, das
Kommandantenhaus und viele andere verlorene Baudenkmäler wortgetreu
reproduzieren wollen. Sie berufen sich zwar noch immer auf eine ‚Wieder-
gewinnung‘ der Meisterwerke, zunehmend aber auch auf die Reparatur des
historischen Stadtbildes. Ich will nicht in Abrede stellen, daß Reproduk-
tionen die Sehnsucht nach einem Geschichtsbild, das die zum Teil selbst-
verschuldeten physischen und emotionalen Wunden überdeckt, stillen kön-
nen, halte solche Totalsurrogate aber nach wie vor für kontraproduktiv, d. h.
geschichts-, kunst- und denkmalfeindlich: Geschichtsfeindlich, weil sie das
tatsächliche Geschehen zugunsten eines willkürlich harmonisierten Epo-
chenbildes verdrängen: Wir sind auf dem besten Wege, das Motto des Denk-
maljahres 1975 ‚Eine Zukunft für unsere Vergangenheit‘ in sein Gegenteil
zu verkehren und uns stattdessen die passende Vergangenheit für unsere
Zukunft zurechtzuschneidern. Kunstfeindlich, weil sie ohne zwingenden
Konnex zwischen Form und Bedeutung, Funktion und Gestalt, Konstruk-
tion und Materialität, Innen und Außen, Anspruch und Nutzung nur
schöne Oberflächen reproduzieren und dadurch ihre historischen Vorbil-
der nicht ehren, sondern ad absurdum führen. Denkmalfeindlich, weil sie
durch eine entsprechend verkürzte Wahrnehmungsperspektive das kom-
plexe Verständnis echter historischer Monumente untergraben und ihr
­werbewirksamer Glanz im Verdrängungswettbewerb des Stadtbildmarke-
ting Bedeutung und Wirkung originaler Baudenkmäler verdunkelt.“10
Von einer „Tragödie der denkmalpflegerischen Fälschung“ (so Andrzej
­Tomaszewski) ging schon der polnische Generalkonservator Jan Zach­
watowicz nach dem Kriege angesichts der Rekonstruktion der zerstörten
Altstädte von Warschau und Danzig aus, deren Wiederaufbau als Erinne-
rungsbild er für unverzichtbar hielt, um die Symbole nationaler Identität
nicht gänzlich preiszugeben.11 Ob und wann aber ein solcher Sondertatbe-
stand tatsächlich vorliegt, muß stets sehr sorgfältig geprüft und ausgehan-
delt werden. Allzu durchschaubar ist die ideologische Komponente im Pro-
jekt der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses als „Gegenbau“12 zum
abgerissenen Palast der Republik, bei der Moskauer Christus-Erlöser-­
Kathedrale als Gegenbau zum nie vollendeten Sowjet-Palast13 oder in dem
Plan, das durch die kommunistische Commune 1871 zerstörte Pariser
­Tuilerien-Schloß wiederaufzubauen, als Revision der Geschichte.14
Denkmalpfleger stehen heute vor dem Dilemma, sich entweder – zumeist
unter Preisgabe ihrer professionellen Grundüberzeugungen – auf Denk-
malfiktionen einzulassen und als Fachleute für historisches Bauen an der
Produktion der jeweils gewünschten Vergangenheit mitzuwirken oder

170
aber in einem mühsamen und oft fast aussichtslosen Kampf die Unter-
scheidbarkeit zwischen Denkmal und Erinnerungsarchitektur einzufor-
dern. Wenn Wolfgang Pehnt sich in seinem viel zitierten Aufsatz über
das „Ende der Wundpflege“ (2008) zwar vom aktuellen Trend des Rekon-
struierens distanziert, andererseits aber nicht ohne Verständnis den post­
modernen „holistic turn“ beschreibt, der das schöne Ganze wiedergewin-
nen wolle und das didaktische Vorzeigen und künstlerische Verarbeiten
der „Wunde“ satt habe15, so holt ihn am Ende doch der unauflösbare
­Widerspruch zwischen Denkmal und Erinnerungsarchitektur ein: Eine der
­aufklärerischen und kritischen Tradition verpflichtete Baukultur wird
um die strikte Historisierung und Verdeutlichung der Denkmalschichten
­eines fragmentarischen Bauwerks auch dann nicht herumkommen, wenn
am Ende ein neues künstlerisches Ganzes angestrebt und erreicht wird
wie etwa in David Chipperfields ergänzendem Wiederaufbau des Neuen
­Museums in Berlin.16 In analoger Weise bedarf es der kritischen Reflexion
über, der spürbaren Distanz zu und der kreativen Annäherung an das
­verlorene „Original“ bei jeder neu errichteten Erinnerungsarchitektur.
­Mitnichten ist ein angebliches „Prinzip Rekonstruktion“ – wie die Rekon-
struktionsfreunde behaupten – Ausdruck einer anthropologischen Kon-
stanten des Ungeschehenmachens, so als könnten wir wieder unschuldig
an die Baugesinnungen und Baulösungen der Romantik und des Historis-
mus anknüpfen, uns rekonstruierend und weiterbauend in die vormoder-
nen Epochen einfühlen und dabei einfach zwischen einer vermeintlich
­häßlichen (modernen) und einer angeblich schönen (vormodernen) Stadt
wählen.17 Ergebnis der gleichnamigen Zürcher Rekonstruktions-Tagung
2008 war vielmehr gerade das Gegenteil, nämlich daß es den Begriff der
„Rekonstruktion“ im heutigen Sinne in keiner anderen Zeit gab, daß Nach-
bau, Abbild, Zitat von Referenzbauten sich stets als schöpferisch, kultisch,
wetteifernd oder kommentierend verstanden. Und dies war auch bei die-
ser Gelegenheit das Ergebnis des erkenntnistheoretisch argumentierenden
Vortrags des Philosophen Günter Abel: Zu befinden sei lediglich über Kon-
struktionen, das heißt neue Setzungen und die ihnen eingeschriebenen
Zwecke.18 Das klingt fast wie die Potsdamer Erklärung der Denkmalpfle-
ger von 1991, derzufolge „die Errichtung von Nachbildungen verlorener
Baudenkmale […] nur Bedeutung haben [kann] als Handeln der Gegen-
wart“19. Infolgedessen ist die Diskrepanz zwischen dem Bauen in der glo-
balisierten, hochtechnisierten und ökologisch bedrohten Welt und der An-
wendung historischer und lokaler Ordnungsmuster, Architektursprachen
und Materialien heute so offensichtlich geworden, daß jeder Rückgriff, erst

171
recht jede wörtliche Rekonstruktion eine um so schwergewichtigere pro-
grammatische Aussage darstellt: Wer, wie, was, warum ? – so beginnt das
kritische Einmaleins des Rekonstruierens.20

Das Beispiel Bauakademie – eine „contradictio in adiecto“?

Die grundsätzliche Notwendigkeit der reflektierenden Distanznahme und


der daraus resultierenden Differenz zum verlorenen Baudenkmal läßt sich
beispielhaft am Vorschlag zur Rekonstruktion der Berliner Bauakademie
von Karl Friedrich Schinkel (Schleifung der noch teilgenutzten Ruine 1962)
diskutieren. Die Bauakademie war bei ihrer Vollendung 1836 ein program-
matischer, weil innovativer Bau zum Thema ‚Baukultur‘ gewesen und soll
es nach dem Willen der Architekten Hans Kollhoff und Paul Kahlfeldt, die
einem 2001 gegründeten Verein zum Wiederaufbau der Bauakademie vor-
stehen, auch für das 21. Jahrhundert wieder werden.21 Die Nordostecke des
Gebäudes wurde bereits 2002 aufgemauert, der Baukörper in seinem gan-
zen Volumen wird seither durch eine Plane simuliert. Daß eine wortgetreue
Rekonstruktion der Außenhaut des Gebäudes Schinkels Idee von Bau­
kultur diametral widerspricht, versuchte der Autor 2002 in der traditionel-
len „Schinkelrede“ des Berliner Architekten- und Ingenieurvereins anhand
­einer fiktiven Begegnung Schinkels mit seinem in ‚neuem Glanz‘ erstrah-
lenden Meisterwerk mit leichter Ironie zu skizzieren:
„Was würde Schinkel wohl sagen, wenn er – vielleicht im Jahre 2007 – zur
Wiedereröffnung seines Bauakademie-Neubaus eingeladen wäre. Auf den
ersten Blick würde er sich sicherlich freuen, daß der ‚rote Kasten‘ wieder
an seinem Ort steht, genauso wie wir alle, insbesondere die Architekturhi-
storiker, die die lange verkannte Schönheit und vergessene Bedeutung des
Bauwerks wiederentdeckt und hymnisch verbreitet haben.22 Als Städte-
bauer würde er sich freuen, einen Orientierungspunkt seines alten Berlin
wiederzuerkennen, aber dennoch würde er, wenn ich nicht irre, sofort mit
seinem Spazierstock im Sand malend nachweisen, daß der Würfel jetzt, wo
sich das Umfeld so stark verändert habe, ein klein wenig anders stehen
müßte, so oder vielleicht so…?
Als Denkmalpfleger würde er sich vielleicht geschmeichelt fühlen, mit sei-
nen Bauten selbst in den Denkmalstatus aufgerückt zu sein, andererseits
aber die geringe, auf wenige Spolien beschränkte materielle Authentizität
des Nachbaus bemängeln. Mehr oder minder detailtreue Rekonstruktion
schätzte Schinkel nur im Sinne der Reparatur oder der vollendenden Er-

172
gänzung eines überwiegend erhaltenen Originalbestandes wie etwa im Falle
der Marienburg. Wo es aber um Weiterbau wie beim Kölner Dom oder um
Wiederauf- und Ausbau etwa der Ruinen der Rheinburgen für die Preu-
ßenprinzen ging, zielte er von vornherein auf Abgrenzung. Als moderner
Architekt des 19. Jahrhunderts würde er sich beim Betreten des Inneren
­sicherlich wundern, daß hinter seiner Fassade ein blitzmoderner Neubau
aus unbekannten Materialien und neuen Konstruktionen steckt, die keinen
zwingenden organischen Zusammenhang mit dem erkennen lassen, was
sich auf ihr in subtiler Ordnung abbildet: Gerade dieses täuschende Ver-
kleiden der ‚Kernform‘ habe man doch vermeiden wollen. Wohlgemerkt,
der gern zitierte Brief Max Tauts an Otto Nagel vom 26. Februar 1960, der
diese kontrastierende Lösung propagiert, bezog sich auf das damals noch
stehende Gehäuse des Schinkelbaus – also auf eine grundsätzlich andere
Ausgangslage des Bauens im historischen Bestand.23
Auf das Organische – das Ganzheitliche des Zwecks, der Disposition,
der Konstruktion des Materials und des Ausdrucks, deren Produkt zu je-
dem Zeitpunkt, an jedem physischen und geistigen Ort zu anderen Resul-
taten führen, eine „Fortsetzung der Geschichte zulassen“ müsse – kam es
­Schinkel immer an. Schinkel – der moderne Historist, der „nichts abge-
schlossenes Historisches wiederholen“ wollte24, sondern sich – wie Wolf-
gang Hardtwig in der Historismusdebatte der siebziger Jahre formulierte –
durch die Neuinterpretation der historischen Vorbilder und Typologien
„in selbstbewussten Gegensatz zum Vergangenen“ stellte25, würde vermut-
lich sagen: ‚Hätte ich Eure technischen Möglichkeiten und Eure Zeit- und
Selbsterfahrung, sähe der rote Kasten natürlich etwas anders aus, warum
versucht Ihr es nicht mit einer neuen Bauakademie am alten Ort?‘ In die-
sem Sinne plädiert beispielsweise auch Harald Bodenschatz in seiner dif-
ferenzierten Analyse, die die historische Nutzungs- und Umbaugeschichte
in den Vordergrund rückt, für eine ‚freie‘ Rekonstruktion, die den neuen
Bedingungen Rechnung tragen müsse.26 Um noch einmal Schinkel zu
­zitieren: ‚Hierzu gehört freilich neben der Kenntnis des ganzen historisch-
vorhandenen eine Phantasie und ein Divinationsvermögen: das rechte und
gerade der Kunst notwendige Mehr in der Welt, wenigstens für die näch-
ste Zeit zu finden.‘“27
Dieses „Mehr“ Schinkels ist auch heute noch die eigentliche Herausfor­
derung, insbesondere wenn sich in dem Neubau die aktuelle Baukultur
­manifestieren soll. Eine „kritische Rekonstruktion“ der Bauakademie
könnte Schinkels Vorbild zitieren und doch zugleich eine intelligente
Brücke in die Gegenwart schlagen. Auch wenn derzeit noch immer die

173
­ ittel und ein überzeugendes Nutzungskonzept für einen Wiederaufbau
M
­fehlen: Unser Plädoyer gegen eine Attrappe und für eine kritische Rekon-
struktion, die schon 1995 in einem eher spielerischen Ideenwettbewerb
des Zeit-Magazins angedacht worden war, erscheint derzeit chancenlos,
zumal ausgerechnet prominente Fachkollegen aus Kunst- und Architek-
turgeschichte glaubten, ihren geliebten Schinkelbau durch die „authen­
tische“ Reproduktion der Fassaden zurückgewinnen zu können.28 Für
diese leicht mißbräuchliche Macht der Denkmalbilder, die gleichermaßen
„kulturelle Projektionsflächen“ bieten wie für „marketinggerechte Stadt-
bildkosmetik“ stehen, erfand Jürgen Tietz den schönen Begriff „Monumen­
tainement“, dem er die Forderung nach am echten Baudenkmal exem­pli­
fizierten Bildern entgegenstellt, die „den Facettenreichtum, […] seine
klassischen Qualitäten wie seine künstlerische und historische Bedeutung
[…] aber eben auch seine Bedeutung im Rahmen eines nachhaltigen Um-
gangs mit unserer Umwelt“ vermitteln.29

Kritische Rekonstruktion I: Abstrahierende Ersatzbauten


der Nachkriegszeit

In der Geschichte des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg – ange-


sichts eines bis dato unvorstellbaresn Maßes an Zerstörung – waren die zu-
gleich auf Erinnerung wie auf Differenz angelegten Neuschöpfungen im
Vergleich zu den detailgetreuen Denkmalreproduktionen zweifellos in der
Überzahl. Die oftmals heftigen Diskussionen, die sich seit der Debatte um
den Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses (1949/1950) mit solchen
Ersatzbauten verbanden, belegen das Ringen um die Einsicht, daß eine
­unreflektierte Reproduktion einer bewußten Geschichtskorrektur oder gar
einer Geschichtsfälschung gleichkommen könne.30 Schon bei der berühm-
ten Heidelberger Schloßdebatte um 1900 war ja die Option einer Rekon-
struktion nicht zuletzt als potentielle Revanche gegen die Zerstörung des
Schlosses durch die Franzosen 200 Jahre zuvor verstanden worden.31 An-
dererseits wurde seit den sechziger Jahren angesichts der bedrohlichen
­tabula-rasa-Ideologie vieler Planer und der vehementen Moderne- und
Stadtkritik der späten Nachkriegsepoche deutlich, daß für die nationale
und lokale Identität bedeutsame Merkzeichen und Erinnerungsorte nicht
länger ignoriert werden sollten, sondern einer Gestaltung bedurften, die
solche erinnernden Reflexions- und Identifikationsprozesse zulassen oder
sogar stimulieren. Die von Stadtsoziologen eingebrachten Begriffe „Ori-

174
entierung“, „Identität“ und „affektive Besetzung“ und ein neues Verständ-
nis von „Heimat“ bestimmten nun die Debatte.32
Verschiedene bekannte Strategien, mit dem Verlust bedeutender Orte und
Bauten in der Stadttopographie umzugehen, sollen hier noch einmal kurz
genannt werden:
Zum einen die traditionelle „damnatio memoriae“, die den Vorgängerbau
negativ identifiziert und den Ort mit einem „Gegenbau“ besetzt. Dadurch
soll die Erinnerung an das Verlorene getilgt oder seine einst affirmative
­Bedeutung dialektisch aufgehoben werden. Dies gilt beispielsweise für
den Ersatz der ursprünglichen Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau
durch den nie vollendeten Palast der Sowjets (1934–1952) und des ruinö-
sen B­ erliner Stadtschlosses durch den Palast der Republik (1950/1970–1976)
und in gleicher Weise für die oben bereits erwähnte Vernichtung die-
ser ­beiden „Gegenbauten“ durch „Gegengegenbauten“ beziehungsweise
­Rekonstruktionen des status quo ante.33
Eine andere, eher von Ehrfurcht und Erinnerungswillen geleitete Strategie
war das gänzliche Freihalten des Denkmal-Ortes über einen langen Zeit-
raum oder das Statthalten durch die Konservierung einer Ruine beziehungs-
weise deren Integration in einen Neubau9: Bekannte Breispiele sind die
­Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von Egon Eiermann (1891–
1895/1955–1961) und das 1952 errichtete Bauensemble aus den Ruinen des
Kölner Gürzenich, dem modernen Foyertrakt und der Kirche St. Alban.34
Der Charakter eines Mahnmals, der diesen Konzepten eingeschrieben ist,
kann auch durch Materialikonologie verstärkt werden, etwa wenn ein
­Neubau aus den Trümmersteinen des Vorgängerbaus errichtet wird.35 In
­Dresden wurde hingegen nach jahrzehntelanger Verteidigung des offenen
Gedenkortes der Ruine der heftig umstrittene Weg zur umfassenden
­Rekonstruktion der Frauenkirche (1990–2005) eingeschlagen.36
Der wichtigste Anstoß zur ersten Welle von abstrahierenden Rekonstruk-
tionen kam aus dem Städtebau, auch wenn der Begriff „Rekonstruktion“
selbst damals zumeist nicht auftauchte.37 Diese wurden realisiert, noch
­bevor die Stadt der Nachkriegsmoderne als „unwirtlich“, landschafts­
mordend und monoton erlebt und beschrieben wurde. Erst gegen Ende
der sechziger Jahre sind die bereits in den dreißiger Jahren in die Städte-
bau-Charta von Athen (1933) und nachfolgend auch in die Planungen des
­nationalsozialistischen Wiederaufbaustabes und in die Nachkriegspraxis
eingegangenen Grundsätze der städtebaulichen Moderne zum Feindbild
geworden: funktionale Desintegration, Dominanz der Verkehrsschließung
und insbesondere stadtlandschaftlich aufgelöste Stadträume, Stadtgrund-

175
risse und Stadtbilder, die in ihrem Wechselbezug die historische Stadt­
gestalt ersetzen oder überlagern. Der Paradigmenwechsel läßt sich daran
ablesen, daß die ursprünglich verheißungsvoll-utopische Dimension der
grünen Auflösung der engen, ungesunden und lichtlosen Städte plötzlich
im Rückbezug auf das gänzlich enthistorisierte und ästhetisierte ‚Leitbild
der alten europäischen Stadt‘ nur noch als zerstörerisch galt.
Doch gab es schon in der Modernisierungseuphorie des Wiederaufbaus
vielfach Ansätze, charakteristische Konfigurationen der zerstörten Alt-
städte in einer die neuen Bedürfnisse integrierenden und den wirtschaft­
lichen Möglichkeiten entsprechenden Form zu erhalten oder zu rekonstru-
ieren. Eines der frühesten Projekte war der Wiederaufbau der Ende des
16. Jahrhunderts entstandenen, fast gänzlich zerstörten Planstadt Freuden-
stadt in den Jahren 1946 bis 1954. Der keinesfalls preiszugebende regelmä-
ßige Stadtgrundriß wurde beibehalten, ja sogar auf einen ‚­ ursprünglicheren‘
Zustand zurückgeführt, während die zweigeschossigen Giebelhäuser durch
modernisierte dreigeschossige, traufständige Bauten von regionaler An­
mutung ersetzt wurden. Das Heimatgefühl des Menschen „hänge an einer
bestimmten sichtbaren Form“, schrieb der Konservator des Staatlichen
Amtes für Denkmalpflege in Tübingen 1946 zu diesem Spagat, „und in die-
ser Zeit der Entwurzelung der Hälfte unseres Volkes ist Heimat eine große
Kostbarkeit geworden, die nur ganz zu würdigen weiß, der sie verloren hat.
Wir sollten Heimat pfleglich behandeln! Soll also genau in der alten Weise
wieder aufgebaut werden? Nein, das ist damit nicht gesagt!“38 Immer wie-
der zitiert wird auch der Neuaufbau des Prinzipalmarktes in Münster
(1946–1960), dessen zerstörte Giebelhäuser „bereinigt“ und auf stark
­vereinfachte Formen reduziert neu errichtet wurden, um den zentralen
­historischen Platzraum der Stadt angemessen zu artikulieren. Die Bauwelt
diskutierte 1951 diesen aus heutiger Sicht geglückten Versuch als Grat­
wanderung zwischen „taktvoller Neuschöpfung“ und „unangenehmer Imi-
tation“39. Der Wiederaufbau Neubrandenburgs, der die Blockrandbebau-
ung des historischen Stadtgrundrisses neu formulierte, wird 1955 erstmals
als „kritische Verarbeitung und Weiterentwicklung“ des „wertvollen Bau-
kulturerbes bei der Gestaltung dieser neuen Stadt“ kommentiert.40 Ein eher
vergessenes Beispiel ist der Wiederaufbau von Helgoland, dessen Befesti-
gungen und Siedlungen zwischen April 1945 und der Rückgabe der Insel
an Deutschland im März 1952 (als von den Briten besetztes Übungsziel
der Royal Air Force) dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Der
­moderne Wiederaufbau erfolgte im wesentlichen in den Jahren 1952 bis
1962 und konnte als Denkmal der Nachkriegsmoderne in der denkmal­

176
pflegerischen Bewertung als „unwiederholbares Experiment“ angesehen
werden: „Die Orientierung an den städtebaulichen Strukturen der Vor-
kriegsbebauung und der Rückgriff auf traditionelle Gestaltungselemente
wurden mit architektonischen Anregungen aus Skandinavien und den
Licht-, Luft- und Sonne-Grundsätzen der 50er-Jahre-Siedlungen verbun-
den.“41
Diesen Wunsch eines behutsamen, modernisierenden Anknüpfens an den
Bestand drückte der Architekt Dieter Oesterlen (1911–1994), einer der
Hauptvertreter der sogenannten Braunschweiger Schule, in seiner Antritts-
vorlesung an der Technischen Universität 1953 aus:
„Die sinngemäße Übersetzung und Weiterentwicklung der vergangenen in
unsere zeitgemäßen Konstruktionen und Formen dürfen also nicht ein
­Versuch sein, die alten Formen mit heutigen Materialien zu wiederholen,
vielmehr müssen zeitgemäße Ideen und Konstruktionen angewandt wer-
den, es muß zwischen dem Alten und dem Neuen – wenn ich dieses Bild
gebrauchen darf – ein Wechselgespräch zustande kommen. Das neu Aus-
zusagende muß auf die Gedanken- und Formenwelt des damals Gesagten
eingehen, daran anknüpfen, den alten Gedanken fortsetzen und ihn in un-
serer Sprache, nach unserem Denken und Bauen hin, ausdrücken […].“42
Das gilt nicht nur für Oesterlens Hauptwerke wie die wiederaufgebaute
Marktkirche, das Historische Museum und den (abrißgefährdeten) Land-
tag am ehemaligen Leineschloß in Hannover, sondern für zahlreiche wei-
tere Werke des Wiederaufbaus, die unter dem Begriff „Traditionaler An-
passungsneubau“ (Klaus von Beyme)43 zumeist zu wenig Anerkennung
fanden. Zur Schließung historischer Bauensembles brachten sie gelegent-
lich hervorragende und selbstbewußte Baulösungen hervor wie etwa
­Wassili Luckhardts (anstelle der zerstörten neugotischen Börse errichtetes)
„Haus der Bürgerschaft“ am Bremer Marktplatz (1962–1966). Es war das
modifizierte Ergebnis einer langen und heftigen Kontroverse zwischen
­Rekonstrukteuren und Modernisten:
„Der Bau dominiert nicht, sondern nimmt gewiß eher die Melodie der an-
gestammten, benachbarten Bauten auf, als es zuvor die alte Börse tat. Mag
man Einzelheiten, wie die gefaltete Gesimslinie – die kleine Giebelchen
sind! –, im Vergleich zum Gesamtwerk der Brüder Luckhardt als fremd
empfinden, so ist der Maßstab der Umgebung gewahrt. Wobei der Bau
­jedoch klar als Werk unserer Zeit zu erkennen ist. Die senkrecht struk­
turierte Glasfront des erweiterten Festsaales nimmt zum Marktplatz das
Motiv der kaum weniger großen Fensterfront des selbstverständlich domi-
nierenden Rathauses auf, hält sich aber in seiner knappen Detaillierung zu-

177
rück. Auch Bernhard Heiligers Relieffries, in guter Sichthöhe, ist an den
Reliefs der Rathausarkaden orientiert, läßt aber in seiner gegenstandslosen
Form diesen den Vortritt.“ 44

Kritische Rekonstruktion II: Ein offenes städtebauliches Konzept –


Chancen und Gefahren

Der erst in den späten siebziger Jahren von Hardt-Waltherr Hämer und
Josef Paul Kleihues geprägte Begriff der „kritischen Rekonstruktion“, der
in der Debatte um das „steinerne Berlin“ der neunziger Jahre zu einer Stil-
bezeichnung verkam, die bald kaum mehr als hausteinverkleidete Gleich-
förmigkeit und Mittelmäßigkeit längs des Blockrandes suggerierte45, knüpft
zweifellos an die Tradition der Wiederaufbauzeit an.46 Er besaß ursprüng-
lich das Potential, das Spannungsfeld zwischen Gegenwärtigkeit und Er-
innerung, Modernität und Geschichtlichkeit zu definieren, das einen Aus-
weg aus den falschen Alternativen ignoranter Überbauung oder peinlicher
Verdinglichung der Geschichte in rekonstruierten Fassadenbildern eröff-
net. Der Begriff wurde erst im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung
(IBA 1984/1987) von Kleihues zu einem durchdachten städtebaulichen
Konzept erhoben.47 Der Ansatz, der am Sonderfall West-Berlin auf die viel-
dimensionalen Fehlentwicklungen des modernen Städtebaus der sechziger
und siebziger Jahre reagierte, ist sehr viel komplexer als die Wiederaufbau-
philosophie in der frühen Nachkriegszeit. Man kann die Strategie der kri-
tischen Rekonstruktion als einen ergebnisoffenen und dialektischen Pro-
zeß von Erinnerung und Erneuerung verstehen, der nun alle relevanten
Planungsfaktoren des Städtebaus, insbesondere auch die gesellschaftspoli-
tischen, wieder ganzheitlich zusammendenken wollte, ohne dabei in einem
eindimensionalen Historisieren der Stadt zu erstarren:
„Denn die Konzeption unserer Arbeit, die Idee einer kritischen Rekonstruk-
tion der Stadt, ist im Gegensatz zu der reduktiven, den Traditionsbezug
betonenden Theorie [Aldo] Rossis offener und experimentierfreudiger. Im
Sinne einer nicht vordergründig harmonischen, sondern dialektisch ge­
fächerten Ganzheit bekennen wir uns zum Gegensätzlichen und Wider-
sprüchlichen als Ziel und Methode.“
Dazu gehört nach Kleihues auch angesichts der angestrebten Rekonstruk-
tion des historischen Stadtgrundrisses eine Respektierung bedeutsamer
­Setzungen der Moderne, selbst wenn sie diesen Stadtgrundriß konter­
karieren:

178
„Denn die Moderne ist ein Stück unserer Lebens- und Kulturgeschichte,
und damit müßte sich ein Konzept von Geschichtlichkeit, das sich nicht
seinerseits wieder charakteristischen Verdrängungen unterstellen will,
nicht nur die komplex und widersprüchlich organisierte Überlieferung,
sondern auch den modernen Protest gegen die Tradition bewußt halten.
[…] Deshalb das Attribut kritisch, denn es kann und darf – relativ oder
auch nur im übertragenen Sinne – nicht um die Rekonstruktion eines
­status quo ante gehen. […] Die kritische Rekonstruktion versucht ledig-
lich, aus dem Bewußtsein der Krise nicht resignativ in heile Welt zurück-
zuflüchten, sondern in konstruktiver Opposition zur klassischen Einheit
im Großen die virtuelle Einzigartigkeit der Teile als Teile eines lebendigen
­Ganzen zu stärken.“48
Die Verabsolutierung eines vormodernen Status des Stadtgrundrisses, der
Bautypologie und der Stadtgestalt sollte einer der wesentlichen Kritik-
punkte gegen das nachfolgende, in vieler Hinsicht verdienstvolle Konzept
des Berliner „Masterplans“ nach der Vereinigung 1990 werden. Der
­Berliner Landesdenkmalrat brachte diese Erstarrung 2001 hinsichtlich der
­Hoheitsmitte auf folgende Punkte49:
„Es ist unstrittig, daß die stadträumlichen Qualitäten und die Maßstäblich-
keit der umgebenden Denkmalensembles (Lustgarten, Museumsinsel,
­Unter den Linden usw.) auf den Solitär des verlorenen Stadtschlosses be-
zogen waren und ohne dessen dominante Kubatur an künstlerischer Wir-
kung und Identität eingebüßt haben. Insoweit ist eine Annäherung an
den historischen Stadtgrundriss im Sinne einer Reparatur des historischen
Stadtraumes anzustreben. Dabei sollte jedoch die Überlagerung der neuen
antithetischen Nachkriegs-Zeitschicht ablesbar bleiben. Die städtebau­
liche Gelenkfunktion des ehemaligen Schlossplatzes bedarf darüber hin-
aus ­einer Interpretation, die den neuen städtebaulichen Rahmenbedingun-
gen der ‚Historischen Mitte‘ Rechnung trägt.
Die Kriterien für eine Neubebauung am Ort des ehemaligen Stadtschlos-
ses ergeben sich in erster Linie aus Nutzungskonzepten, die der Würde
und dem Rang des Ortes angemessen sind und dem öffentlichen Interesse
dienen sowie aus den genannten städtebaulichen Funktionen des Gebäu-
des. Die Gestaltung ist nach denkmalpflegerischem Selbstverständnis nur
indirekt eine denkmalpflegerische Aufgabe, da das Denkmal Berliner
Schloss 1951 materiell untergegangen ist und weder als authentisches Ge-
schichtszeugnis noch als authentisches Kunstwerk wiedergewonnen wer-
den kann. Allerdings muß jede Neubebauung dem denkmalpflegerischen
Ziel der Reparatur bzw. Interpretation des historischen Stadtraumes

179
­dienen und bezüglich der umgebenden Denkmalensembles denkmal­
verträglich sein.
Eine getreue Rekonstruktion des Stadtschlosses als eines über Jahrhunderte
gewachsenen Baumonumentes ist de facto aus diversen bekannten Grün-
den nicht möglich. Eine Rekonstruktionslösung, die sich auf die möglichst
genaue Reproduktion des barocken Baukörpers und der drei westlichen
Fassaden mit oder ohne Schlüter-Hof und Stüler-Kuppel beschränkt, kann
sich auf das legitime Bedürfnis nach identitätsstiftender Erinnerung beru-
fen. Die Mehrheit der Mitglieder des Landesdenkmalrates spricht sich aus
denkmalfachlichen Gründen gegen eine solche Rekonstruktion aus. Sie
bliebe ihrer Auffassung nach eine willkürliche Fiktion des Vorbildes, die
gleichwohl den untauglichen Anspruch auf Authentizität erhebt. Ein Neu-
bau als eine die ursprüngliche Kubatur aufnehmende ‚Erinnerungsarchi-
tektur‘ sollte nach Auffassung der Mehrheit der Mitglieder historische
­Authentizität nicht vortäuschen, sondern sich deutlich als reflektierte Aus-
einandersetzung mit dem verlorenen Monument zu erkennen geben. Das
schließt detailgetreue Zitate oder Teilrekonstruktionen nicht aus. Neubau-
ten in Form einer das historische Vorbild interpretierenden oder freien
Fortschreibung der Moderne sind mit Hilfe ihrer jeweiligen künstlerischen
Mittel gleichermaßen an die Rücksichtnahme auf die genannten histori-
schen und städtebaulichen Determinanten gebunden […].“
In der Erkenntnis, daß weder städtebaulich noch architektonisch eine wört-
liche Rückkehr zu vergangenen Zuständen möglich ist, lag das Zukunfts-
Potential des Konzepts der „Kritischen Rekonstruktion“. Selbst in seiner
eigenen Festschrift wird dem seinerzeit für das Planwerk verantwortlichen
Senatsbaudirektor Hans Stimmann die Verantwortung für den Niedergang
der anfänglich differenzierten und flexiblen Städtebautheorie zu einem
­stereotypen Rezept vorgeworfen. Symptomatisch dafür ist dessen Einlei-
tungssatz zu einem programmatischen Aufsatz von 1994: „Auf eine theo-
retische Begründung der Methode der ‚kritischen Rekonstruktion‘ wird
an dieser Stelle verzichtet. Stattdessen sollen die Regeln, d. h. sozusagen
das praxisbezogene Output dieser anspruchsvollen theoretischen Position
beschrieben werden.“50 Die IBA-Initiatoren hatten ihre Grundsätze einer
„behutsamen Stadterneuerung“ (Hardt-Waltherr Hämer) seit 1980 am
­offensichtlichen Niedergang des West-Berliner Grenzbezirks Kreuzberg
entwickelt, und sie gingen davon aus, „daß die für das Bauen grundlegen-
den Verhältnisse, die das Leben in der Stadt wirklich bestimmen, um­
fassend und im einzelnen zu bedenken und in wirklich tragfähige Propor-
tionen [Bruno Taut] zueinander zu bringen sind“51. Die soziale Stadt und

180
die Partizipation der Bewohner standen im Vordergrund, die historische
Erinnerung an die unzerstörte Vorkriegs-Stadt war nicht primäres Ziel,
­sondern ein eher peripherer Faktor dieser der Politik mühsam abgetrotz-
ten Strategie: „Bürgerbeteiligung und Stadtteildemokratie, Selbsthilfe und
Mietermodernisierung, ökologische Stadterneuerung als vernetztes System,
Kieztradition und Aufarbeitung der Geschichte, um nur einige [Ziele] zu
nennen, sind inzwischen nicht nur allgemein akzeptiert, sondern bestim-
men heute schon alltägliches planerisches Handeln“, heißt es im Vorwort
zum IBA-Katalog 1984.52 Es ging 1980 um die Rückkehr zur „Innenstadt
als Wohnort“. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Geschichte komme
es darauf an, „neben denkmalpflegerischen Aspekten auch soziale, funk-
tionale und kulturhistorische Gesichtspunkte einzubeziehen. In Ausein-
andersetzungen mit der jüngeren Geschichte der Demonstrationsgebiete
wird angestrebt, die historisch-politische Dimension des Bauens an den
unterschiedlichen Orten des Stadtraums aufzuzeigen.“53
Kleihues schlug hinsichtlich des Umgangs mit der Geschichte drei „sich
ergänzende Strategien“ vor, die in der frühen Wiederaufbauzeit bereits
­erprobt waren, nämlich erstens die „wörtliche Wiederherstellung eines
­vergangenen Zustandes, welcher uns der Erinnerung besonders wert er-
scheint oder aber über gestalterische Qualitäten verfügt, die nicht verbes-
sert werden können“. Offensichtlich knüpft jedoch diese Definition von
„‚Rekonstruktion‘ auch im denkmalpflegerischen Sinne“ an noch vorhan-
dene und ‚wiederherzustellende‘ Substanz an, denn sie wird erläutert als
das „generelle Plädoyer also für die ausnahmslose Erhaltung der vom Krieg
und den nachfolgenden Zerstörungen verschonten Wohn- und Geschäfts-
häuser“ bzw. für „die Erhaltung des noch existierenden Stadtgrundrisses
und dessen Wiederherstellung durch Rückbau, soweit sinnvoll und mög-
lich“. Die zweite Alternative läge darin, „Vergangenheit, verfremdend,
­collagierend, überlagernd durch eine Gegenwartsabsicht“ zu erweitern:
„‚kritische Rekonstruktion‘ als Durchscheinenlassen von Vergangenheit in
aktueller, Neues suchender Formgebung“ einschließlich des „möglichst
unverkrampfte[n], respektvoll spielerische[n] Umgangs mit geschichtlichen
Spuren“. Die dritte Strategie geschichtlicher Erinnerung wäre schließlich
„die bewußte Kontradiktion, die sich gegen das Vergangene stellt, um es
­opponierend und der ‚Krise‘ aussetzend, nur um so stärker herauszustel-
len“54 – eine Strategie, die wir mit Martin Warnke unter dem Begriff des
„Gegenbaus“ kennengelernt hatten.55
Freilich kommt es für die Qualität der architektonischen Transforma-
tion von Erinnerung immer wieder auf den konkreten Fall, auf Reflexion,

181
­Emotion und individuelle kreative Lösung an. Der generalisierenden Ent-
wicklung von pseudo-historischen Typologien sind enge Grenzen gesetzt,
wie schon am industriell vorgefertigten Plattenbau-Historismus des Ber­
liner Nikolaiviertels Ende der siebziger Jahre – seinerzeit ein Tabubruch
ersten Ranges – deutlich wurde.56 Kleihues warnte bereits 1984 vor einer
verkitschten pseudoklassizistischen Geschichtsfiktion, wie er sie insbeson-
dere seinem IBA-Kollegen Rob Krier vorwarf. Kriers mehr oder minder
historisierende Vorstadtsiedlungen, beispielsweise die Retortenstadt Bran-
devoort in Holland (1997–2017), oder Prinz Charles’ Poundbury im Süd-
westen Englands (seit 1993) wurden bald heftig attackiert: „Dem Gros
­seiner Kollegen wirft er [Krier] vor, sich den Forderungen einer auf Total-
konsum getrimmten Massenkunst widerstandslos unterworfen zu haben.
Angesichts dieser Misere kommt der Wahlberliner zu dem Schluss, dass
Architekten heute besser daran täten, ‚altes, Bewährtes nachzumachen,
als Neues zu erstellen‘. Und so überzieht der gebürtige Luxemburger die
Bauwelt zwischen Amsterdam und Berlin mit seiner historisierenden, zu-
gleich aber zeit- und ortlosen Erinnerungsarchitektur. Als Kritik am inhu-
manen Wohnungsbau der Kollegen entwirft und baut er seine ‚humanen‘
Idyllen, die einem fragwürdigen Mythos der heilen Kleinstadtwelt der Ver-
gangenheit zur Auferstehung verhelfen sollen“, schreibt Nicolaus Neu-
mann 2003.57 Genau genommen sind diese Kunststücke Kriers keine Erin-
nerungsarchitektur, denn sie ersetzen ja nicht konkret Verlorenes, das des
Erinnerns wert wäre, sondern erfinden eine schöne vormoderne Welt im
Geiste des ‚New Urbanism‘. Das unterscheidet sie von postmodernen Wie-
deraufbauten etwa in Elbing / Polen, wo die Parzellen, Maße, Typologien
und Motive der zerstörten Altstadt auf dem historischen Stadtgrundriß in
erkennbar modernem Duktus wieder aufgegriffen worden sind.58 Daß die
verlorene Heimat auch ganz ohne direkte Zitate, aus modernem Geist und
in moderner Form neu geschaffen werden kann, ist ein Anliegen, das man-
che Bauverwaltungen und Architekten insbesondere beim Bauen auf dem
Lande, in kleineren Kommunen und beim Umgang mit bedeutenden Alt-
städten herausfordert: „Es gilt ‚Heimat‘ zu vereidigen gegen ‚Heimattüme-
lei‘, gegen ihre Beschlagnahme durch eine Haltung, welche die Wertschät-
zung des historisch Gewordenen als Waffe gegen das Auftauchen der ihrer
Zeit verpflichteten neuen Gestaltungen instrumentalisiert […]. Heimat ge-
winnen auch durch Neues Bauen – diesem hochgesteckten Anspruch stellt
sich die Stadt Ulm konsequent seit vielen Jahren“, schreibt Baubürgermei-
ster Alexander Wetzig 2009 mit Blick auf Ulms durch spektakuläre Neu-
bauten von Richard Meier und Stephan Braunfels geprägte Neue Mitte.59

182
Kritische Rekonstruktion als Strategie für Erinnerungsarchitektur?

Ging es bei der kritischen Rekonstruktion der IBA zunächst um Lücken


schließende, in der Regel im Duktus der Moderne gestaltete Ergänzungs-
bauten, so wurde dieses vom eigentlichen Denkmaldiskurs unabhängig
­gedachte städtebauliche Konzept zwangsläufig in dem Maße auf das ein-
zelne Bauwerk übertragen, in dem dieses als Teil eines historischen stadt-
baukünstlerischen Ensembles interpretiert werden mußte. Das läßt sich
beispielsweise am Wiederaufbau des Pariser Platzes in Berlin in den frühen
neunziger Jahren nachvollziehen: So unsanft mancher Architekturkritiker
damals mit dem von Joseph Paul Kleihues nördlich des Brandenburger
­Tores wieder errichteten Palais Liebermann beziehungsweise dessen süd-
lichen Pendant auch umgegangen ist, so unbestreitbar hat sich in unmittel-
barer Nachbarschaft zu diesem zentralen Baudenkmal und Geschichts­
symbol grundsätzlich die abstrahierende, Masse, Kontur und Anmutung,
nicht aber alle Details berücksichtigende, „kritische“ Rekonstruktionsweise
als richtige Strategie erwiesen:
„Die Genesis der beiden Torhäuser Sommer und Liebermann hat alle Chan-
cen, in die Berliner Baugeschichte einzugehen. In einem langen Entwurfs-
prozeß hat sich der einflußreiche Architekt des neuen Berlin von zwei nüch-
ternen, rationalistischen Kuben ohne Mittelachse bis zu den sehr viel
differenzierteren jetzigen Palais herangearbeitet. Obwohl die beiden Bau-
werke in der Öffentlichkeit auf Zustimmung stoßen, ist Kleihues selbst
nicht mehr so recht glücklich: Er habe dem ‚Druck von allen Seiten‘ wohl
zu sehr nachgegeben und ‚zu historisch‘ gebaut“, hieß es 1997.60
Die beiden Neubauten stehen jedoch gleichermaßen in der historischen
wie in der gegenwärtigen Zeit.
Als wenig gelungenes Beispiel muß das beliebte, schräg gegenüberliegende
Hotel Adlon (1995–1997 von Patzschke, Klotz und Partner) gelten, das
durch seine vermeintliche Detailnähe auf den ersten Blick einen originalen
Status suggeriert, obwohl durch den Einschub eines zusätzlichen Stock-
werks und die Modernisierung der Fensterachsen und Stockwerkshöhen
alle Proportionen am Äußeren und Inneren stark verändert wurden. An-
gesichts der nicht kreativ verarbeiteten, sondern absichtlich kaschierten
Differenz zwischen Urbild und Abbild wird das ‚gefälschte‘ Adlon tatsäch-
lich von manchem blauäugigen Berlin-Touristen für das einzige Gebäude
am Platz gehalten, das den Krieg unbeschadet überdauert habe! Das 1999
bis 2003 auf Wunsch des Senats rekonstruierte Kommandantenhaus am
Ende der Linden (Van den Valentyn, Köln, Stuhlemmer & Stuhlemmer,

183
­Berlin, für Bertelsmann, 2004) hält sich hingegen auf der Schauseite mit
Hilfe „digital geschärfter Fotovorlagen“ detailgetreu an sein Vorkriegsbild,
bleibt aber dennoch in der stumpfen Reproduktion des Bauschmucks völ-
lig steril, während der rückseitig brutal inszenierte ‚Bruch‘ mit der schwer-
fällig den Baukörper durchschneidenden Stahl-Glas-Fassade diese potem-
kinsche Rekonstruktion keineswegs dialektisch kommentiert.61
In der reproduktiven Erinnerungsarchitektur bewähren sich stattdessen –
und hier unterscheidet sie sich von den Versuchen der frühen Nachkriegs-
zeit – die Spielarten der architektonischen Postmoderne, deren Zitierlust
ohne einen solch konkreten Spannungsbogen zur Geschichte und histori-
schen Identität eines Ortes meist ins Beliebige und Belanglose abzusinken
droht. Zwei Potsdamer Beispiele für Ersatzbauten zeigen die Bandbreite
der Möglichkeiten: Das markante Stadtzeichen des zerstörten barocken
Turmes der Heiliggeistkirche (1725/1718, Ruine gesprengt 1974), an deren
Stelle von Romano Burelli und Paola Gennaro 1997/1798 in gleicher
­Kubatur ein Seniorenheim errichtet wurde, ist durch eine fast konstruk­
tivistisch anmutende, zeichenhafte Stahlkonstruktion ersetzt worden. Sie
bildet nicht die authentische Baugestalt ab, sondern ruft nur das Profil der
­historischen Stadtsilhouette (und zugleich die Tragik des Verlustes) in Er-
innerung und ermöglicht somit physische und geistige Orientierung.62 Am
Neuen Markt hingegen sollte ein noch dichtes friderizianisches Bauen-
semble ergänzt werden. Hier entstand 1999/2000 eine im Detail getreue,
jedoch durch Inversion verfremdete Barockfassade, die sich mit dem glä-
sernen ‚Grund‘ hinter der historischen Gliederung als Gegenwartsbau
­deutlich zu erkennen gibt. Wolfgang Schäche urteilt:
„Ein herausragendes Beispiel für die gelungene Wiederherstellung des Stadt-
bildes von Potsdam bildet die Lückenschließung Am Neuen Markt 5, wo
das Wohn- und Geschäftshaus nach Entwürfen der Architektin Nicola
Fortmann-Drühe nicht nur die bauliche Fassung des aus dem 18. Jahrhun-
dert vermittelten Platzraumes perfekt vollendet, sondern zugleich eine
­geradezu exemplarische Auseinandersetzung mit der Restitution nicht
mehr existierender Gebäude vermittelt. Indem die Architektin den zerstör-
ten Vorgängerbau thematisch aufgreift und seine an Palladios Palazzo
Thiene orientierte Fassadengestaltung als vorgesetzte Schale kompromiss-
los in den Neubau miteinbezieht, gelingt ihr eine beeindruckende Verbin-
dung von geschichtlichem Widerschein und gegenwärtiger Architektur, die
ohne Vorbild ist.“63
Und die bis zum Überdruß diskutierten aktuellen Prestige-Projekte? Die
Kritik am Berliner Schloßprojekt „Humboldtforum“ (Baubeginn 2010,

184
z­ urückgestellt), an der Rekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses (Bau-
beginn März 2010) oder dem Neubau des Dresdner Neumarktes (Realisie-
rung seit 2004) entzündet sich – wenn man von den städtebaulichen und
baupolitisch-ideologischen Grundsatzentscheidungen pro oder contra ein-
mal absieht – gerade daran, daß über den Unterschied zwischen dem
­untauglichen Versuch distanzloser Wiedergewinnung des Verlorenen und
der höchst komplexen Konstruktion eines reflexiven Erinnerungsbildes
nicht hinreichend nachgedacht wurde. In Potsdam werden deshalb eher
beiläufige Vereinfachungen, Auslassungen und Veränderungen an der Fas-
sadenhülle des Landtagsgebäudes im Vergleich zur tradierten Schloßgestalt
von beiden Lagern heftig kritisiert, einerseits weil es nicht „echt“ aussehe,
andererseits aber aus der Not der Nichtwiederholbarkeit und der verän-
derten funktionalen Erfordernisse keine Tugend einer erkennbaren, das
Vorbild transzendierenden Entwurfsidee gemacht wurde. Joachim Kuke,
Protagonist der Initiative „Mitteschön“, nannte den Entwurf tadelnd ein
„‚mixtum compositum‘ aus teilweise halbwegs denkmalgerechten Partien,
historisierenden Elementen und mehrheitlich Formen, die Architekt Peter
Kulka für richtig hält“. Es entstehe keine Rekonstruktion, sondern auf-
grund von ‚Vereinfachungen‘ eine ‚Erinnerungsarchitektur‘.64 Zum Glück
also kein Faksimile, leider aber wohl auch keine wirklich „kritische“
­Rekonstruktion!65 Beim Dresdner Neumarkt, der den barocken Stadtraum
um die rekonstruierte Frauenkirche nachformulieren will, fällt die gleiche
intellektuelle und somit auch gestalterische Unentschiedenheit auf. Der
vielfach beschriebene Eindruck substanzloser und steriler Kulissen resul-
tiert aus den nostalgischen Oberflächen, die durch den dahinter lauernden,
gnadenlosen Nutzungsdruck des Kommerztourismus sichtbar konter­
kariert werden, ohne daß dieser Konflikt in irgendeiner Weise gestalterisch
thematisiert worden wäre.66 Und auch das Berliner Schloßprojekt löst
­weiterhin neben klarer Ablehnung eher Pflichtbekenntnisse als Begeiste-
rung aus. Denn anfänglich wurden die Vorüberlegungen zu einem moder-
nen Schlüter-Ersatzbau nie ernsthaft genug verfolgt, beispielsweise das
­geniale „Janusschloß“ von Gerkan, Marg und Partner (2000) mit dem virtu­
ellen Bild der historischen Fassaden über einem nutzungsneutralen städte-
baulichen Solitär, wie er im November 2000 mit großer Begeisterung so-
gar von dem konservativen Architekturkritiker Rainer Haubrich in der
Tagezeitung Die Welt beschrieben wurde:
„Es ist eine Synthese aus Rekonstruktion und Neubau – deswegen konsens-
fähig. Die Gestalt des wilhelminischen Stadtschlosses erscheint in den
­alten Umrissen an historischer Stelle mit seinem städtebaulichen Volumen,

185
jedoch als virtuelles Bild. Es ist janusköpfig, real und irreal zugleich. Der
altrömische Gott ‚Janus‘ als ‚Schützer des Hauses‘ ist auch in seiner späte-
ren Bedeutung als ‚Gott des Anfangs‘ eine tragfähige Metapher, die die ge-
gensätzlichen Positionen vereint. […] Es ist denkmalpflegerisch und als
zeitgenössisches Dokument unzweifelhaft authentisch. Erhalten geblie-
bene Spolien werden als ungeschönte Fassadenfragmente in ihrer ehe­
maligen Position integriert. Die übrige Fassade wird digitalisiert auf Glas
dargestellt. Die quadratischen Pixel messen real 30 mal 30 Zentimeter, er-
scheinen also gegenüber einem Computerbild in 700-facher Vergrößerung.
Durch die Anordnung von zwei hintereinanderliegenden Glasebenen mit
jeweils andersfarbig nuancierten Quadratfeldern lässt sich eine plastische
Tiefe und starke Räumlichkeit erzeugen, ähnlich der Wirkung eines Holo-
gramms. Das auf größere Entfernung wahrnehmbare virtuelle Bild des
Schlosses wandelt sich bei Annäherung zu einer im Karomuster nuanciert
getönten High-Tech-Glasfassade, die als äußere Haut für jede dahinter­
liegende Nutzung geeignet ist – ein Fata-Morgana-Effekt. Die originalen
Fassadenfragmente und die Planarglasfassade werden von einem feinglied-
rigen Gitter aus Bronze getragen. Die Synthese aus originalen alten Frag-
menten, modernster Technologie und ambivalenter Wahrnehmung wird
somit zum direkten Spiegelbild eines einmaligen Streits um Sein und Schein
in der Stadtgestaltung. Damit gewinnt das janusköpfige Stadtschloss eine
Autorität in der zeitgenössischen Baugeschichte.“67
Mit der Bundestagsentscheidung 2002/2007 wurden die Rekonstruktions-
bedingungen so stark festgezurrt, daß für eine freie Vergegenwärtigung der
Schloßreminiszenz und eine innovative städtebauliche Modellierung kein
Raum blieb. Andererseits war (und ist) die kulturelle und gesellschaftliche
Nutzungsidee für das künftige Humboldt-Forum und weitere Funktionen
noch immer so vage und heterogen, daß daraus kaum Inspiration für die-
sen künstlerischen Transformationsakt hätte erwachsen können. Franko
Stellas schwächelnder Preisentwurf dürfte deshalb weder die Erwartungen
der Rekonstruktionsfreunde auf Rückkehr „ihres“ Schlüter-Schlosses noch
die Erwartungen derjenigen erfüllen, die sich einen beispielhaften archi-
tektonischen Dialog zwischen der vielschichtigen Historie dieses zentra-
len deutschen Geschichtsortes und einer zwingenden, global orientierten
Zukunftsvision gewünscht hätten: „… für imaginative Lösungen zum
Thema Rekonstruktion war hier kein Raum. Man hatte von Anfang an
alle Möglichkeiten dazu verbaut“, so Jury-Mitglied Jean-Louis Cohen.68
­Vielleicht verschafft uns das jüngste Moratorium der Bundesregierung
vom Juni 2010 die nötige Distanz, sowohl die Aufgaben eines Humboldt-

186
­ orums als auch dessen glaubhafte künstlerische Gestaltung an diesem Ort
F
noch einmal zu überdenken und auch die städtebauliche Funktion des
­Monumentalbaus und – gegebenenfalls – den medialen Status des histori-
schen Erinnerungsbildes zu präzisieren.
Der Diskurs über die Funktion von Rekonstruktionen als Erinnerungs­
architektur, über die dahinter stehenden Verlustkonstruktionen und über
die Umsetzung der immer auf neue Weise zu gestaltenden Spannung zwi-
schen dem Vergangenen, dem Verlorenen, dem Gegenwärtigen und dem
zukünftig Gewünschten (ganz im Sinne von Schinkels oben zitierter
­Architekturauffassung) wird nicht abreißen. Die Definitionen und Rela­
tionen werden stets neu auszuhandeln sein. Zu den hier eingeforderten
„­minima moralia“ gehört die Einsicht, daß die Differenz der Tätigkeit des
Rekonstruierens eingeschrieben ist und daß deshalb auch die Gestalt des
Werkes, das in einem Prozeß des Erinnerns zurückgewonnen und neu in-
terpretiert werden soll – wenn vielleicht auch nur auf subtile Weise – eine
bewußt andere sein muß. Das griechische krinesthai, von dem sich das Ad-
jektiv „kritisch“ ableitet, bedeutet in erster Linie unterscheiden. Diese For-
derung nach Unterscheidung – und damit kehren wir zum Ausgangspunkt
der Denkmalpflege-Maximen des ersten Beitrags in dieser Anthologie
­zurück – schrieb schon John Ruskin im Kapitel über die „Erinnerung
[­Memory]“ seiner Seven Lamps of Architecture (1849) als Mahnung den
Restauratoren und Rekonstrukteuren ins Stammbuch – ein Satz, der auch
am Ende noch einmal zitiert werden soll:
„Weder vom Publikum noch von denen, deren Obhut die öffentlichen Bau-
denkmäler anvertraut sind, wird die wahre Bedeutung des Wortes ‚Wie-
derherstellung‘ (restoration) verstanden. Es bedeutet die vollständigste Zer-
störung, die ein Bauwerk erleiden kann; eine Zerstörung, aus der keine
Überreste mehr zu bergen sind; in Verbindung mit einer falschen Beschrei-
bung des Zerstörten […]. Täuschen wir uns nicht über diesen wichtigen
Punkt: Es ist ganz unmöglich, so unmöglich, wie die Toten zu erwecken,
irgendetwas wiederherzustellen, das jemals groß oder schön in der Bau-
kunst gewesen ist […]. Ein anderer Geist mag durch eine andere Zeit ge-
geben werden, und dann ist es ein neues Gebäude …“69
Wenn also in unserer Zeit, aus welchen Gründen auch immer, Erinnerungs-
architektur gebraucht und gewünscht wird, dann sollte diese – meine ich –
unerreichbare historische Authentizität gerade nicht vortäuschen, sondern
sich als reflektierte Auseinandersetzung mit dem verlorenen Monument
und dem eigenen Erinnerungswunsch zu erkennen geben. Darin liegt
die gestalterische Herausforderung, und nur durch deren Erfüllung als

187
­eigenständige künstlerische Leistung kann das Resultat Authentizität im
Gegenwärtigen gewinnen: „Häuser, die Beziehungen aufspüren und neue
begründen, Bauten, in denen die Nachbarschaft historischer Architektur
verarbeitet wird. Gebäude, die mit der Erinnerung ans Vergangene ein dia-
lektisches Spiel treiben (Wolfgang Pehnt).“70

Anmerkungen

1 Weitere umstrittene Fälle archäologischer Anastylose sind etwa die Rekonstruktion der
Bibliothek von Ephesos oder der Rückbau des Diokletianspalastes in Split, neuerdings
die im Bau befindliche antike Prachtstraße von Luxor.
2 Charta von Venedig im Internet unter http://www.bda.at/documents/455306654.pdf
3 Brock, Ingrid, Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg – Erhaltung des Status quo heute.
Die Paulskirche in Frankfurt am Main (mit Hinweisen zur Alten Pinakothek und Gly­
ptothek in München und zum Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg), in:
­Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e. V., Achim Hubel, Hermann Wirth,
(Hg.), Wiederaufgebaute und neugebaute Architektur der 1950er Jahre – Dokumenta-
tion der Jahrestagung 1996 in Köln, 1997, 11–41. Vgl. auch Werner Durth, Niels Gut-
schow, Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen
Deutschlands 1940–1950, Braunschweig/Wiesbaden 1988 (Schriftenreihe des Deutschen
Architekturmuseums. Zu Architekturgeschichte und Architekturtheorie. Frankfurt am
Main)
4 Döllgast, Hans, in: Münchner Merkur Nr. 153 vom 26. 6. 1952, zit. nach E. Altenhöfer,
Hans Döllgast 1891–1974, Callwey Verlag München 21988, 78
5 Saarbrücker Bürgerforum, 1980, 9–10, in: Lüth, Johann Peter, Gutachterliches Planver-
fahren Schloß/Schloßbereich, 1977. Derselbe, Von der Rekonstruktion zur Instandset-
zung und Komplettierung des Saarbrücker Schlosses – Dialoge und Innenansichten zu
einem zwölfjährigen Planungsprozess, in: Kurt Bohr, Peter Winterhoff-Spuck (Hg.),
Die Stadt als Erinnerungsort – Friedrich Joachim Stengel in Saarbrücken, Verlag Saar­
kultur Saarbrücken 2009, 125–147; im Internet: unter [Kunstlexikon Saar:] http://www.­
kunstlexikonsaar.de/artikel/-/saarbruecken-schloss/2/
6 Vgl. hierzu beispielsweise die differenzierenden und umfassenden Studien von Scheck,
Thomas, Denkmalpflege und Diktatur im Deutschen Reich – Die Erhaltung von Bau-
und Kunstdenkmälern in Schleswig-Holstein und im Deutschen Reich zur Zeit des
­Nationalsozialismus, Berlin 1995, und von Brandt, Sigrid, Geschichte der Denkmal-
pflege in der SBZ/DDR dargestellt an Beispielen aus dem sächsischen Raum 1945–1961,
Berlin 2003
7 Vgl. zum Beispiel Falk Jaeger, Denkmalpflege kreativ – 20 anregende Beispiele aus
­Hamburg, Dinse, Peter (Hg.), Hamburg 2007
8 ICOMOS-Protokoll der Nara-Konferenz on Authenticity 1994, im Internet unter:
[http://www.international.icomos.org/charters/nara_e.htm]. Vgl. dazu die kritische Ana­-
lyse von Falser, Michael S., From Venice 1964 to Nara 1994 – changing concepts of
­authenticity?, in: Conservation and Preservation – Interactions between Theory and
Practice – In memoriam Alois Riegl (1858–1905) Proceedings of the International Con-

188
ference of the ICOMOS International Scientific Committee for the Theory and the
­ hilosophy of Conservation and Restoration, (ed. by Michael S. Falser, Wilfried Lipp,
P
­Andrzej Tomaszewski), Firenze 2010, 115–132
9 Mörsch, Georg, Rekonstruktion zerstört, in: Barbara Jakubeit, Barbara Hoidn (Hg.):
Schloß – Palast – Haus Vaterland – Gedanken zu Form, Inhalt und Geist von Wiederauf-
bau und Neugestaltung. Basel/Berlin/Boston 1997, 37–62. Zum umfangreichendenkmal-
theoretischen und denkmalpraktischen Werk von Mörsch vgl. dessen Schriftenverzeichnis
1965–2009 in: Hans-Rudolf Meier, Ingrid Scheurmann (Hg.), Denkmalwerte – Beiträge
zur Theorie und Aktualität der Denkmalpflege – Georg Mörsch zum 70. Geburtstag,
­Berlin/München 2010, 261–266
10 Buttlar, Adrian von: „Bewahren – Ertüchtigen – Ersetzen?“ Referat, gehalten auf der
Jahrestagung der „AG Kommunale Denkmalpflege des Deutschen Städtetages 2000“ im
Berliner Rathaus am 29. September 2000, im Internet unter http://www.stadtentwick-
lung.berlin.de/denkmal/landesdenkmalrat/de/beschluesse/beschluss_ref09b00.shtml
11 Nach Kalinowski, Konstanty, Der Wiederaufbau der historischen Stadtzentren in Polen –
Theoretische Voraussetzungen und Realisation am Beispiel Danzigs, in: Deutsche Kunst
und Denkmalpflege, Nr. 2, 1989, 101–113 und ders., Rückgriff auf die Geschichte. Der
Wiederaufbau der Altstädte in Polen, in: Deutsches Polen-Institut Darmstadt, Bingen,
Dieter, Hinz, Hans Martin (Hg.), Die Schleifung: Zerstörung und Wiederaufbau histori-
scher Bauten in Deutschland und Polen, Wiesbaden 2005, 80–96
12 Zum Begriff Gegenbau vgl. Warnke, Martin, Bau und Gegenbau. in: Hermann, Hipp,
Seidl, Ernst (Hg.), Architektur als politische Kultur. Philosophia practica, Berlin 1996,
11–18
13 Vgl. hierzu unter anderem Bartetzky, Arnold, Gebaute Geschichtsfiktionen – Architek-
tonische Rekonstruktionsprojekte der letzten Jahrzehnte in Mittel- und Osteuropa, in:
Klein, Bruno, Sigel, Paul (Hg.), Konstruktionen urbaner Identität – Zitat und Rekon-
struktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart, Berlin 2006, 63-86. Sachse,
­Henrike, Die Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale und die Dresdner Frauenkirche –
zwei programmatische Rekonstruktionen des späten 20. Jahrhunderts im Vergleich,
­unpubl. Magisterarbeit TU Berlin 2007
14 Bastoen, Julien, La résurrection des Tuileries, ou la tentation de l’hyperréalité, in: Criticat,
05, Paris 2010, 36–49
15 Pehnt, Wolfgang, Das Ende der Wundpflege, in: FAZ 19. 11. 2008, im Internet unter:
http://schlossdebatte.de/?page_id=20
16 Vgl. u. a. Chipperfield, David (Hg.), Neues Museum – Dokumentation und Planung,
Berlin 2003. Buttlar, Adrian von, Neues Museum Berlin – Architekturführer, Berlin/
München ³ 2010, 32–36
17 Stimmann, Hans, Vorwärts Genossen, wir müssen zurück zur Geschichte, in: heimat
bauen, Stadt Ulm, Fachbereich Stadtentwicklung, Bau und Umwelt, Bürgermeister
Alexander Wetzig in Zusammenarbeit mit der Architektenkammer Baden-Württemberg
(Hg.), Ulm 2009, 41-55, hier 44
18 „Das Prinzip Rekonstruktion. Eine Tagung des Instituts für Denkmalpflege und Baufor-
schung der ETH Zürich und des Architekturmuseums der TU München“, ETH Zürich
24./25. Januar 2008. Die zugehörige Publikation: Uta Hassler, Winfried Nerdinger, (Hg.),
Das Prinzip Rekonstruktion, Hochschulverlag an der ETH Zürich, Zürich 2010. Daraus
hervorgegangen die Ausstellung: Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der
Geschichte, Architekturmuseum, Pinakothek der Moderne, München 22. Juli – 31. Okto-

189
ber 2010 mit gleichnamigem Katalog, auf den hier aus redaktionellen Gründen nicht
mehr eingegangen werden kann. Zum Gebrauch der Kampfbegriffe in diesem Diskurs
vgl. Baus, Ursula, Facetten einer Begriffsgeschichte – Rekonstruktion, in: Baus, U­ rsula,
Braum, Michael (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland – Positionen zu einem umstritte-
nen Thema, 98–105. Die Besprechung der Ausstellung von Michael S. Falser im Anhang
dieses Buches
19 Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, Rekonstruk­
tion von Baudenkmalen – Potsdam, Juni 1991, im Internet unter: http://www.dnk.de/_
uploads/media/206_1991_VdL_Rekonstruktion.pdf
20 Vgl. Buttlar, Adrian von, Wer, wie, was, warum? Kritisches Einmaleins des Rekonstruie-
rens (vorgerechnet am Rekonstruktionsprojekt des Heidelberger „Hortus Palatinus“),
in: topiaria helvetica, Jahrbuch SGGK Schweizerische Gesellschaft für Gartenkultur
2008, Zürich 2008, 11–24 und in: Rekonstruktion und Gartendenkmalpflege, hg. von der
Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland zusammen
mit Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege (= Berichte zur For-
schung und Praxis der Denkmalpflege in Deutschland, Heft 15), 2008, 21–29
21 Es handelt sich um den Verein „Internationale Bauakademie Berlin“, der mit dem 1995
gegründeten Verein „Bauakademie e.V.“ konkurriert. Vgl. Internationale Bauakademie
Berlin (Hg.), Internationale Bauakademie Berlin – Idee, Programm, Rekonstruktion,
Berlin 2003
22 Zur Rezeptionsgeschichte der Bauakademie u. a. Bodenschatz, Harald, „Der rote Ka-
sten“ – Zu Bedeutung, Wirkung und Zukunft von Schinkels Bauakademie, Berlin 1996;
Mythos Bauakademie. Die Schinkelsche Bauakademie und ihre Bedeutung für die Mitte
Berlins, Ausstellungskatalog, Berlin 1998
23 Geist, Jonas, Karl Friedrich Schinkels Bauakademie – eine Vergegenwärtigung, Frankfurt
am Main 1995, 87
24 Schinkel über ein Ideal in der Baukunst, an Kronprinz Maximilian von Bayern, 24. Januar
1833 – zit. nach Kühn, Margarethe, Karl Friedrich Schinkel – Ausland – Bauten und
Entwürfe, München/Berlin 1989, 4 (= Schinkel Lebenswerk Bd. 15)
25 Hardtwig, Wolfgang, Kunst und Geschichte im Revolutionszeitalter. Historismus in
der Kunst und der Historismusbegriff der Kunstwissenschaft, in: Archiv für Kultur­
geschichte Nr. 61.1 (1979), 154–190
26 Harald Bodenschatz (wie Anm. 22), 97
27 Buttlar, Adrian von, Welche Vergangenheit für unsere Zukunft: Anmerkung zur Repro-
duzierbarkeit historischer Architektur, Festvortrag zum 147. Schinkelfest des Architek-
ten- und Ingenieurvereins zu Berlin, AIV Berlin 2002 (2003). Letztes Zitat: Schinkel über
ein Ideal in der Baukunst, an Kronprinz Maximilian von Bayern, 24. Januar 1833 (wie
Anm. 24)
28 Vgl. Buttlar, Adrian von, Die Bauakademie – Plädoyer für eine „kritische Rekonstruk-
tion“, in: Karl Friedrich Schinkel – Führer zu seinen Bauten, Bd. I: Berlin und Potsdam,
hg. für das Schinkel-Zentrum, der Technischen Universität von Cramer, Johannes, Laible,
Ulrike, Nägelke, Hans-Dieter, München/Berlin 2006, 62–64, und den nachfolgenden
Beitrag „Die Bauakademie – weiterbauen“ von Kollhoff, Hans, 64–66; Zeit-Magazin
Nr. 48 (24. November 1995). Zur diesbezüglichen Debatte unter den Baupolitikern und
Fachkollegen vgl. Falser, Michael S., Zwischen Identität und Authentizität – Zur politi-
schen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008, 240–243

190
29 Die Macht der Denkmalbilder: Denkmalbild versus Denkmalwirklichkeit, in: Denkmal-
kultur zwischen Erinnerung und Zukunft – Dokumentation der Tagung des Deutschen
Nationalkomitees für Denkmalschutz am 20./21. Oktober 2003 in Brandenburg an der
Havel (= Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 70),
112–115
30 Vgl. den Beitrag von Gabi Dolff-Bonekämper in diesem Buch, S. 134–165
31 Vgl. Müller von Königswinter, Wolfgang, (ohne Titel), in: Kölnische Zeitung, 10.Okto-
ber 1868, in: Traum & Wirklichkeit – Vergangenheit und Zukunft der Heidelberger
Schlossruine – Begleitbuch zur Ausstellung im Heidelberger Schloss, Regierungspräsi-
dium/Landesamt für Denkmalpflege 2005, 102. Zu der Konkurrenz zwischen den Denk-
malwerten vgl. u. a. Buttlar, Adrian von, Kunstdenkmal versus Geschichtszeugnis, in:
Denkmalkultur zwischen Erinnerung und Zukunft – Dokumentation der Tagung des
Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz am 20./21. Oktober 2003 in Branden-
burg an der Havel (= Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz
Bd. 70), 32–35
32 Vgl. zum Beispiel Berndt, Heide, Klaus Horn, Alfred Lorenzer, Architektur als Ideolo-
gie, Frankfurt am Main 1968²
33 Dolff-Bonekämper, Gabi, Kulturforum II – konkurrierende Leitbilder in der Stadtpla-
nung. Oder: Was passiert, wenn auf Bau und Gegenbau ein Gegen-Gegenbau folgen
soll?, in: Hans-Rudolf Meier (Hg.), Denkmale in der Stadt – die Stadt als Denkmal: Pro-
bleme und Chancen für den Stadtumbau, Dresden 2006. (Schriftenreihe Stadtentwick-
lung und Denkmalpflege, Bd. 1), 155–162
34 Vgl. Pfotenhauer, Angela, Das Bauensemble Gürzenich – Sankt Alban, in: Arbeitskreis
Theorie und Lehre der Denkmalpflege e. V., Achim Hubel, Hermann Wirth (Hg.), Wie-
deraufgebaute und neugebaute Architektur der 1950er Jahre – Dokumentation der Jah-
restagung 1996 in Köln, Weimar 1997, 89–96. Umfassend zu dieser Thematik ist die
­Darstellung von Falser, Michael S., Trauerarbeit an Ruinen – Kategorien des Wiederauf-
baus nach 1945, in: Ursula Baus, Michael Braum, (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland
(wie Anm. 18), 60–97
35 Kappel, Kai, Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und
in der Bundesrepublik Deutschland, München 2008
36 Die zentrale theoretische Auseinandersetzung darüber zwischen Jörg Traeger und Georg
Mörsch: Zehn Thesen zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in: Kunstchronik 45
(1992), 629–633 (dazu Entgegnung von Georg Mörsch, ebd. 634–638); geringfügig er­
weitert in: Bauwelt 85 (1994), 352–353 (dazu Entgegnung von Ludger Fischer, ebd.
­354–355)
37 Vgl. Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstellung –
Kopie – Rekonstruktion: Wiederaufbauüberlegungen in Kassel, Rostock, Münster, Freu-
denstadt und Neubrandenburg 1944–1955, in: Deutsches Nationalkomitee für Denk­
malschutz (Hg.), Rekonstruktion in der Denkmalpflege, Überlegungen – Definitionen,
Erfahrungsberichte, Schriftenreihe Bd. 57, 1997, 30–37
38 Zit. nach Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstel-
lung – Kopie – Rekonstruktion (wie Anm. 37), 32
39 Schmitt, Otto, „Taktvolle Neuschöpfung“ oder „unangenehme Imitation“. Einige Ge-
danken zum Neubau zerstörter Baudenkmäler, in: Bauwelt Nr. 32, 1951, 529–530
40 Erich Brückner, zit. Nach Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau,
Wiederherstellung – Kopie – Rekonstruktion (wie Anm. 37), 36

191
41 Denkmalpflegerische Zielplanung Helgoland, hg. vom Landesamt für Denkmalpflege
Schleswig-Holstein als Nr. 15 der Reihe „Baudenkmale in Gefahr“, Kiel 1992, hier 29
42 Oesterlen, Dieter, „Restaurierung oder Neugestaltung von historischen Bauten“. An-
trittsvorlesung in der Architekturabteilung der Technischen Hochschule Braunschweig
am 19. 2. 1953, in: Ders., Bauten und Texte, Tübingen 1992, 232–235
43 Beyme, Klaus von, Der Wiederaufbau – Architektur und Städtebaupolitik in beiden
deutschen Staaten, München 1987, insbes. 176–182
44 Aus einem Gespräch des Weser-Kuriers mit Wassili Luckhardt, 5. August 1966, zit. nach
Kühne, Günter, Drei Berliner Architekten, in: Brüder Luckhardt und Alfons Anker
(= Schriftenreihe der Akademie der Künste Bd. 21), Berlin 1990, 23
45 Burg, Annegret (Hg.), Neue Berlinische Architektur: Eine Debatte, Basel/Berlin/Boston
1994
46 Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstellung – Ko-
pie – Rekonstruktion, (wie Anme 37), 37
47 Kleihues, Josef Paul, Südliche Friedrichstadt – Rudimente der Geschichte, Ort des
Widerspruchs, Kritische Rekonstruktion, in: Internationale Bauausstellung Berlin
­
1984/87, Teil 3: Die Neubaugebiete, Dokumente, Projekte, Stuttgart 1987, 11-26
48 Kleihues, Josef Paul, Südliche Friedrichstadt – Rudimente der Geschichte, Ort des
­Widerspruchs, Kritische Rekonstruktion, in: Internationale Bauausstellung Berlin 1984/
1987, Teil 3: Die Neubaugebiete, Dokumente, Projekte, Stuttgart 1987, 13–15
49 Thesenpapier Neugestaltung der „Historischen Mitte“ Berlins – Kriterien der Denkmal-
pflege vom 24. September 2001, im Internet unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.
de/denkmal/landesdenkmalrat/de/beschluesse/download/thesenpapier_schlossplatz.
pdf. Vgl. auch „Landesdenkmalrat zum ‚Planwerk Innenstadt‘, in: Der Architekt, Heft
12, Dezember 1997, 721–723. Zur robusten Durchsetzung des Leitbildes neuerdings
Hennecke, Stefanie, Die Kritische Rekonstruktion als Leitbild – Stadtentwicklungspoli-
tik in Berlin 1991–1999, Hamburg 2010
50 Freiesleben, Antje, Johannes Modersohn (Hg.), Kritische Würdigung der Kritischen
­Rekonstruktion – 71 Beiträge von Wegbegleitern und Widersachern des Hans Stimmann,
München/Berlin 2006. Zitat: Stimmann, Hans, Kritische Rekonstruktion und steinerne
Architektur für die Friedrichstadt, in: Neue Berlinische Architektur (wie Anm. 45),
­107–133, hier 110
51 Hämer, Hardt-Waltherr, Die Kunst der Proportionen, in: Idee, Prozess, Ergebnis – Die
Reparatur und Konstruktion der Stadt, Senator für Bau- und Wohnungswesen Berlin,
1984, 13–19
52 Abschied vom Mythos, in: Idee, Prozess, Ergebnis (1984, wie Anm. 51), 9
53 Erste Projekte zur behutsamen Stadterneuerung – Internationale Bauaustellung, Berlin
1984, 14
54 Kleihues, Josef Paul, Südliche Friedrichstadt – Rudimente der Geschichte, Ort des
­Widerspruchs, Kritische Rekonstruktion, in: Internationale Bauausstellung Berlin 1984/
87, Teil 3: Die Neubaugebiete, Dokumente, Projekte, Stuttgart 1987, 15
55 Vgl. Martin Warnke (Anm. 12)
56 Urban, Florian, The invention of the historic city, deutsch: Berlin/DDR – neo-historisch:
Geschichte aus Fertigteilen, Berlin 2007
57 Neumann, Nicolaus, Brüder im Geist von gestern, in: Art 5, 2003, 36-43, im Internet
unter http://www.art-magazin.de/div/heftarchiv/2003/5/OGOWTEGWPPEPSPOGO
CPHOGACREOGWTRWOPWE/Br%Fcder-im-Geist-von-gestern

192
58 Bartetzky, Arnold, Gebaute Geschichtsfiktionen – Architektonische Rekonstruktions-
projekte der letzten Jahrzehnte in Mittel- und Osteuropa, in: Bruno Klein, Paul Sigel
(Hg.), Konstruktionen urbaner Identität – Zitat und Rekonstruktion in Architektur und
Städtebau der Gegenwart, Berlin 2006, 73 f
59 Wetzig, Alexander, heimat bauen – „Heimat“ bauen? in: Stadt Ulm, Fachbereich Stadt-
entwicklung, Bau und Umwelt, Bürgermeister Alexander Wetzig in Zusammenarbeit mit
der Architektenkammer Baden-Württemberg (Hg.), heimat bauen, Ulm 2009, 10 f
60 Haubrich, Rainer, in: Skyline, Heft XII, 1997, im Internet unter http://www.sky-line.de/
archiv/arc_12_497a.html
61 Vgl. Bernau, Nikolaus, Hübsch verlogen. Die neue Kommandatur des Bertelsmann-
Verlages oder: Wie inhaltsleer darf Architektur sein?, in: Berliner Zeitung, Nr. 259 vom
6. November 2003, 11–12
62 Burelli, A. R., Entwürfe für Potsdam. 1991–2001, Stiftung Preußische Schlösser und Gär-
ten, 2001
63 Schäche, Wolfgang, Am Neuen Markt 5. Ein Haus in Potsdam, Berlin 2003, Klappentext
64 Berg, Guido, Baustart für das Landtagsschloß, in: Potsdamer Neueste Nachrichten vom
23. März 2010
65 Zur Potsdamer Diskussion vgl. Baus, Ursula, Facetten einer Begriffsgeschichte – Rekon-
struktion, in: Ursula Baus, Michael Braum (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland – Posi­
tionen zu einem umstrittenen Thema, Birkhäuser Basel/Boston/Berlin 2009, 8–45
66 Zum Dresdner Neumarkt vgl. den Text von Hans-Rudolf Meier in diesem Werk (S. 80);
Lupfer, Gilbert, Vom Historischen Neumarkt zu den Sandsteintapeten am Altmarkt, in:
Klein, Bruno, Sigel, Paul (Hg.), Konstruktionen urbaner Identität, Berlin 2006, 33–48
67 RHA, Das Schloss als Illusion – Der Vorschlag des Hamburger Architekten Meinhard
von Gerkan für das Zentrum der Hauptstadt, in: Die Welt vom 27. November 2000 im
Internet unter http://www.welt.de/print-welt/article549687/Das_Schloss_als_Illusion.
html; Zur Umdeutung der Historischen Mitte Berlins durch Denkmal- und Baupolitik
vgl. Falser, Michael S.: Zwischen Identität und Authentizität, Zur Politischen Geschichte
der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008, insbes. 176–289
68 Nur Stellas Freund Hans Stimmann verteidigte ihn (gegen die Kritik Hanno Rauter-
bergs) als: „Herausragend!“, in: Die Zeit Nr. 52 vom 17. Dezember 2008, 57. Vgl. Ra-
decke, Sebastian, Kritische Rekonstruktion – Internationaler Wettbewerb Humboldt-
Forum im Schlossareal Berlin, in: Bauwelt 3, 2009, S. 12–17, 26–28. Cohens Stellungnahme
edt. 30 f
69 Wortlaut im Original: “Neither by the public, nor by those who have the care of public
monuments, is the true meaning of the word restoration understood. It means the most
total destruction which a building can suffer; a destruction out of which no remnants can
be gathered; accompanied with false description of the thing destroyed. Do not let us
deceive ourselves in this important matter; it is impossible, as impossible as to raise the
dead, to restore anything that has ever been great or beautiful in architecture. […] An­
other spirit may be given by another time, and it is then a new building …” Ruskin, John,
The Seven Lamps of Architecture, Chapter VI – The Lamp of Memory, Absatz XVIII,
Ausgabe: Waverley edition London o. J. (ca. 1910), 203 f
70 Pehnt, Wolfgang, Sehnsucht nach Geschichte – Neu und Alt in Architektur und Städte-
bau, in: Ursula Baus, Michael Braum (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland (wie
Anm. 18), 46–56

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­Marquart, Wüstenrot Stiftung Deutscher Eigenheimvereine e.V., Stuttgart (Deutsche
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203
Autorinnen und Autoren

Adrian von Buttlar  Studium der Kunstgeschichte, Archäologie, Soziolo-


gie und Jura in München und London. 1985–2001 Professor für Kunst­
geschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, seit 2001 am
­Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin.
1996–2009 Vorsitzender des Landesdenkmalrates Berlin. Zahlreiche For-
schungen und Veröffentlichungen zur Geschichte der Gartenkunst, zur
Architekturgeschichte der Neuzeit und Moderne sowie zur Denkmalpflege
und Denkmalpolitik

Gabi Dolff-Bonekämper  Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und


christlichen Archäologie in Marburg und Poitiers. Von 1988 bis 2002 Denk-
malpflegerin beim Berliner Landesdenkmalamt. 2001/2002 Guest-Scholar
beim Getty Conservation Institute in Los Angeles. Seit Oktober 2002 Pro-
fessorin für Denkmalpflege am Institut für Stadt- und Regionalplanung der
TU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Architektur und Städtebau der Nach-
kriegsmoderne, Denkmalwerte- und Kulturerbe-Theorie im internationa-
len Vergleich, Denkmale der Zeitgeschichte, Erinnerungstopographie

Michael S. Falser  Studium der Architektur und Kunstgeschichte in Wien


und Paris. Promotion an der TU Berlin zur politischen Geschichte der
Denkmalpflege in Deutschland. Publikationen zur Architekturgeschichte
des 19. und 20. Jahrhunderts und zu Fragen der Denkmalpflege. Mitglied
bei ICOMOS Österreich, dem ICOMOS International Scientific Com-
mittee for the Theory and the Philosophy of Conservation and Restoration
und im Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e. V. Zur Zeit
Research Fellow am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Con-
text“ (Chair of Global Art History) an der Universität Heidelberg

Johannes Habich  Studium der Kunsterziehung, Kunstgeschichte, klassi-


schen Archäologie und Literaturwissenschaft in Hamburg. Ab 1966 Be­
arbeitung des Dehio-Handbuches der deutschen Kunstdenkmäler für
­Hamburg und Schleswig-Holstein. 1969 bis 1998 im Dienst der staatlichen
Denkmalpflege, ab 1983 als Landeskonservator des Saarlandes, ab 1985 als
Landeskonservator von Schleswig-Holstein, 1979–1987 im Vorstand der
­Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutsch-
land, 1984–1990 in der Redaktion der Zeitschrift Deutsche Kunst und
Denkmalpflege

204
Achim Hubel  Kunsthistoriker, Studium in Regensburg und München. Seit
1981 Professor für Denkmalpflege am Institut für Archäologie, Denkmal-
kunde und Kunstgeschichte der Universität Bamberg; dort Aufbau und
Leitung des postgradualen Studiengangs Denkmalpflege (seit 2002 Master-
studiengang). Mitglied des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS.
Zahlreiche Veröffentlichungen zur Architektur, Skulptur und Malerei des
Mittelalters, zur Goldschmiedekunst, zur Denkmalkunde sowie zur Ge-
schichte und Theorie der Denkmalpflege

Georg Mörsch  Studium von Kunstgeschichte, Geschichte und Archäo­


logie in Bonn, Freiburg i.Br. und Berlin. Nach Stipendium in Rom prak­
tischer Denkmalpfleger in Rheinland-Westfalen. Von 1980–2005 Vorsteher
(Direktor) des Instituts für Denkmalpflege der ETH Zürich und ord.
­Professor für Denkmalpflege. Publikationsschwerpunkte: Methode und
­Methodengeschichte der europäischen Denkmalpflege

205
Michael S. Falser

Die Erfindung einer Tradition namens Rekonstruktion


oder 
Die Polemik der Zwischenzeilen

Besprechung der Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion – Konstruk-


tion der Geschichte1, Architekturmuseum der TU München in der Pinako-
thek der Moderne, 22. Juli – 31.Oktober 2010. Ein Projekt des Architek-
turmuseums der TU München, Winfried Nerdinger, mit dem Institut für
Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich, Uta Hassler2

Zu Döllgasts Gedenken

Es war 1945 und es war in München: Die Stadt lag zu großen Teilen in
Trümmern – nicht nur weite Teile der Innenstadt, sondern auch bedeutende
Kulturbauten. Und während sich die Stadtplanung zusammen mit der
Denkmalpflege letztlich darauf einigten, den Stadtgrundriß Münchens in
weiten Teilen mit teilweise zeitgenössischer Architektursprache und wohn-
raum- beziehungsweise verkehrstechnisch angepaßt wiederaufzubauen,
blieb Klenzes Pinakothek bis in die frühen 1950er Jahre eine innerstädti-
sche Ruine. Es war ohne Zweifel das Verdienst des Architekten und Leh-
rers an der TH München, Hans Döllgast, dieses einzigartige Gebäude vor
dem kompletten Untergang bewahrt zu haben, gelang es ihm doch, seine
abrißorientierten Widersacher mit detaillierten Vorstudien, einleuchtenden
Notsicherungsmaßnahmen der Originalsubstanz und kostensparenden
Neueingriffen von einer funktionsidentischen Nutzbarmachung zu über-
zeugen. Döllgasts ­Pinakotheksprojekt ist heute eines der wichtigsten
­deutschen Wiederaufbaudokumente der unmittelbaren Nachkriegszeit: als
zeitgenössischer Akt einer original- und zugleich kriegsspurensichernden
Trauerarbeit am Verlust baulichen Kulturerbes.3
Warum diese lange Vorbemerkung? Weil am 21. Juli 2010 die Ausstellung
Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte wenige
­Meter von Döllgasts Projekt eröffnet wurde – jetzt in den Schauräumen
des Architekturmuseums der TU München in der erst kürzlich neu erbau-
ten Pinakothek der Moderne – und weil es sich hier um den augenschein-
lichen Versuch handelt, trotz einer über hundert Jahre andauernden archi-

206
tekturgeschichtlichen und denkmalpflegerischen Ausdifferenzierung der
Standpunkte zu Wiederaufbau, Reparatur und Vollrekonstruktion bewußt
wieder Unklarheit zu stiften. Gewiß nicht aus laienhafter Unwissenheit
und überzogener Emotionalität fallbeispielhafter Betroffenheit, sondern
mit dem geschickt verpackten Ziel, durch angeblich standpunktlose Dar-
stellung von Fakten dem ahnungslosen Besucher letztlich doch eine ganz
bestimmte Meinung zu oktroyieren: Rekonstruktionen gibt es angeblich
seit Menschengedenken, sie sind selbstverständlich ein Teil der zeitgenös-
sischen Baukultur, weltumspannend nachweis- und problemlos vergleich-
bar; es gibt eine Tradition der Rekonstruktion … also warum und wofür
das gehässige Geschrei in der speziell deutschen Fach- und Laienszene der
letzten Jahre gegen solche Unternehmungen! Damit ist die Meinung klar
erkennbar – auch wenn eine angeblich neutrale, um Differenzierung be-
mühte Position suggeriert wird. Diese Konstellation allein ist für eine
­öffentlich geförderte Bildungsinstitution mißlich: Mythenbildung, nicht
Aufklärung steht im Mittelpunkt.

Eric Hobsbawm läßt grüßen!

Der Text auf der Tafel „Zur Ausstellung“ grenzt grundsätzlich richtig, wenn
auch zu undeutlich, den Begriff des kollektiven Gedächtnisses, das gene-
rationenübergreifend überkommene Bauwerke beinhaltet, gegen Rekon-
struktionen ab, die als bewußte Rückgriffe verlorene Erinnerungsorte aus
einem jeweiligen Gegenwartsinteresse wiedergewinnen möchten. Rekon-
struktionen sind also als aktive „Konstruktionen von Geschichte“ zu ver-
stehen, die folglich auch nur aus dem Verständnis der jeweils zeitgenössi-
schen Wiederherstellungsmotivation heraus erklärbar sind. Aufhorchen
läßt die Behauptung, daß „Wiederherstellungen und Rekonstruktionen“
angeblich „seit der Antike selbstverständliche Bestandteile des Bauwesens“
und erst ab dem 19. Jahrhunderts als „unehrlich“ und „Lüge diskreditiert“
worden seien – und plötzlich ist Rekonstruktion mit Wiederherstellung
gleichgesetzt. Eine Art Glossar „Zum Themenfeld Rekonstruktion“ un-
ternimmt den grundsätzlich zu begrüßenden Versuch, alle um das Ausstel-
lungsthema gelagerten Bedeutungsfelder zu definieren, um – so ein Haupt-
ziel der Ausstellung – begriffliche Klarheit zu schaffen. Das Gegenteil ist
der Fall. Neben den Begriffen Erneuerung, Kopie, Nachahmung, Replik,
Rückbau, Vollendung und Wiederaufbau werden Reparatur, Restaurierung
und Rekonstruktion fälschlich als „fließend ineinander übergehende“ Be-

207
griffe ausgewiesen, obwohl Reparatur (bestandsorientierte Ausbesserung)
und Rekonstruktion als „möglichst genaue Wiederherstellung eines [kom-
plett, M.F.] verlorenen Zustands“ Konzepte völlig konträrer Ausgangs­
lagen und Zeitmodi darstellen: Reparatur wie auch Konservierung gehen
von einem durch geschichtliche Akkumulation gewachsenen Bestand aus,
Rekonstruktion jedoch vom Totalverlust als schmerzvoll empfundenem
Gegenwartsinteresse.
Diese definitorische Inkonsistenz ist jedoch Programm: Der unkundige
­Leser nimmt all diese Begriffe als einzelne, jeweils sehr speziell gelagerte
­Untergruppen von „Wiederherstellung“ wahr, die im Glossar als Sammel-
begriff „nahezu aller Arten von Wiedererrichtung oder Wiedergewinnung
eines verlorenen Gebäudes“ ausgegeben wird. Rekonstruktion (nach
­Totalverlust) wäre demnach nur ein spezieller Fall von Wiederherstellung,
die ja auch die komplett anders gelagerte Reparatur (des Originalbestands)
subsumiert. Die fatale Reduktion, die wie ein unscheinbarer Nebensatz
­daherkommt, entnimmt der Leser aber nur dem Glossar des gedruckten
Ausstellungskatalogs, das alle Definitionen als „überholt und historisch“
entwertet: „Für die Publikation wurde Rekonstruktion deshalb im Sinne
des relativ neutralen Begriffs ‚Wiederherstellung‘ weit gefasst […]“ (478).
Damit erhält der Unterbegriff Rekonstruktion jetzt dieselbe definitorische
Macht wie der Oberbegriff Wiederherstellung und stellt sich sozusagen an
die Spitze aller anderen begrifflichen Untergruppen, die teils ganz andere
Bedeutungsfelder abdeckten. Denkt man diese vorsätzliche Verunklärung
beziehungsweise semantische Umschichtung weiter, so handelt es sich bei
dem Ausstellungstitel „Geschichte der Rekonstruktion“ eigentlich ent­
weder um eine unbewußte Themaverfehlung oder um eine bewußte Irre-
führung: Es hätte „Geschichte der Wiederherstellung“ heißen müssen (nur
das verkauft sich nicht), da 80 Prozent aller in der Ausstellung angeführ-
ten Fallbeispiele streng genommen keine Rekonstruktionen nach Totalver-
lust sind, sondern alle anderen Arten von denkbaren Wiederherstellungen
umfassen. Mit der geschickt eingestreuten Behauptung, daß Rekonstruk-
tion „seit der Antike“ gängige Praxis der Baukultur sei, handelt es sich so-
gar um den platten, jedoch gefährlichen Versuch der „Erfindung einer Tra-
dition“ (Eric Hobsbawm) unter dem Namen „Rekonstruktion“. Dazu paßt
die in der Einleitung sich findende Bemerkung – „Die Beispiele aus der Zeit
nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich fast beliebig vermehren ließen, wur-
den bewußt reduziert“ (7) –, die wohl bewußt ausblenden möchte, daß sich
in Wirklichkeit die große Mehrzahl der gezeigten Beispiele mit dem bis
­dahin im Maßstab- und Umfang nicht gekannten Denkmalverlust nach

208
dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen: daß also gerade die Geschichte der
(Voll)Rekonstruktion maßgeblich gerade durch die hochrelevante Zeit-
marke 1945 konstituiert wird. Das gedruckte Glossar selbst bekennt je-
doch, daß der Begriff der Rekonstruktion bis 1893 nicht einmal in Grimms
­Deutschem Wörterbuch erwähnt wird (S. 478). Auch die Kulturwissen-
schaftlerin Aleida Assmann erläutert in ihrem Beitrag „Konstruktion und
Rekonstruktion ­historischer Kontinuität“ im Katalog mit Bezug auf die
zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Rekonstruktion ist eine neue Option
in der Architekturgeschichte, die mit einem Paradigmenwechsel einher-
geht. Dieser hat mit einer tief greifenden Veränderung unseres Zeitverständ-
nisses zu tun und betrifft das Verhältnis von Zukunft und Vergangen-
heit.“ (16)

Rekonstruktion kann, muß aber nicht Fälschung sein!

Die im Aufwand und der Materialdichte beeindruckende Ausstellung


­gliedert sich in zehn Themengruppen nach „Beweggründen der Wieder-
herstellung“ mit insgesamt 150 Fällen, die durch Texte, Fotos, Schau­
kästen und Modelle erklärt werden, ergänzt um einen Bilderfries mit Kurz­
beispielen.
Nach der Sektion „Rekonstruktionen am heiligen Ort“ (der Salomonische
Tempel als erstes Beispiel mehrfacher und zukünftiger Rekonstruktion?)
kommt man im Teil „Rekonstruktion aus nationalen, politischen und
­dynastischen Gründen“ gleich in medias res: erneut betroffen steht man
vor den Ruinenbildern der im Herbst 1944 total zerstörten Warschauer Alt-
stadt, die bis 1953 wieder komplett in historischer Erscheinung als „welt-
weit größte Rekonstruktion eines Flächendenkmals“ (S. 280) wiederauf­
gebaut wurde. Dazu überragt das an die Wand applizierte Zitat des
polnischen Denkmalpflegers Ian Zachwatowicz die Sektion: „Die Nation
und ihre Denkmäler sind eins, deshalb besteht gerade eine Pflicht zu einer
genauen Wiederholung“; der Nachsatz, daß dies im vollen „Bewusstsein
der Tragödie der begangenen denkmalpflegerischen Fälschung“ geschah,
steht leider (wieder!) nur im Ausstellungskatalog (S. 281) und widerlegt
ganz einfach Nerdingers apodiktisch vorangestellten Slogan seines Einlei-
tungstextes: „Eine Kopie ist kein Betrug, ein Faksimile keine Fälschung,
ein Abguss kein Verbrechen und eine Rekonstruktion keine Lüge“ (S. 10).
Doch ist das so einfach? Nerdingers Aussage ist ebenso eindimensional wie
jenes Diktum „Rekonstruktion ist verboten“, das er seinem deklarierten

209
Feind, der zeitgenössisch verorteten Architektenschaft, in den Mund legt.
Im Sinne seiner angeblich auf Ausgleich, Entemotionalisierung und begriff-
liche Klärung angelegten Ausstellung hätte man konsequenter Weise er-
gänzen müssen: Eine Kopie kann (muß aber nicht) ein Betrug sein, ebenso
wie eine Rekonstruktion eine Lüge oder Fälschung sein kann (aber nicht
sein muß). Nerdingers durchaus richtiger Anspruch, fallweise den zeit- und
ortsabhängigen Kontext von Rekonstruktionen in der Vordergrund zu stel-
len, müßte auch bei der Frage ‚Fälschung oder Nichtfälschung‘ von Belang
sein und irgendwo erwähnen, daß die Rekonstruktionsproblematik gerade
in Deutschland direkt mit dem wiederholt bruchhaften Nation-Building-
Prozeß und den enormen Bauverlusten dieses Landes zu tun hat.4

Die Ausblendung von Zwischenzuständen und Verlusterfahrungen,


oder: Rekonstruktionen ad infinitum?

In der Sektion „Rekonstruktion von Bildern und Symbolen einer Stadt“


fallen die drei nebeneinander aufgestellten Modelle des Chinesischen
­Turmes in München, des Knochenhaueramtshauses in Hildesheim und der
Dresdner Frauenkirche auf. Sicherlich alle drei wünschenswert als Identi-
tätsmarker, doch bei genauerer Analyse läßt sich exemplarisch eine weitere
Problematik der Ausstellung aufzeigen: Sie blendet systematisch auch ein
ganz wesentliches Charakteristikum von Rekonstruktionen aus, nämlich
ihre o­ ftmals zerstörerische Wirkung gegen vor Ort zeitlich wie baulich,
­semantisch wie politisch nachgewachsene Tatbestände. Während der
­Chinesische Turm 1944 zerstört wurde und 1951/1952 wiedererstand, muß-
ten für die Re­konstruktion des Knochenhaueramtshauses (zerstört 1945,
rekonstruiert ­1987–1989) ein nachgefolgter Hotelbau (1962/1964) ebenso
abgerissen werden wie die gesamte Platzkonfiguration der Nachkriegszeit
für rehistorisierende Kulissenbauten. Mit dem als „archäologische Rekon-
struktion“ be­titelten Wiederaufbau der Kriegsruine der Dresdner Frauen-
kirche (zerstört 1945, rekonstruiert 2005) setzte sich die zerstörerische
Rekonstruktions­praxis fort. Der Versuch, die erhaltenen, aber durch
den Kriegsbrand ausgeglühten und durch Witterungseinfluß inzwischen
schwarz verfärbten Steine als zeitgeschichtliche Referenz zum Neubau in
die rekonstruierte Gesamtfassade zu integrieren, war zwar ein ernstzuneh-
mender Versuch, Zeitgeschichte in eine Vollrekonstruktion einzubeziehen,
weil außer wenigen Alibistücken fast keine originalen Steinquader wieder-
verwendet werden konnten. Vor ­allem aber kann diese Lösung in Anbe-

210
tracht der katastrophalen, baulichen wie denkmalpflegerischen Neben- und
Folgewirkungen kaum überzeugen. Erstens ignoriert die Argumentation
eines über eine ­angeblich vergleichbare „zweite Stunde Null“ (1945 = 1990)
liegengebliebenen Rekonstruktionsvorhabens den semantischen Zuwachs
an der Ruine als antifaschistisches Mahnmal und späteren Ausgangspunkt
der friedlichen DDR-Revolution von 1989. Zweitens wurde eine hoch­
destruktive Kettenreaktion ausgelöst: Zugunsten einer neu-alten Perspek­
tivführung auf die Kirche wurde die komplette Platzrandbebauung des
­Neumarktes auf historisch simuliertem Parzellengrundriß mit drittklassig
historisierenden Fassaden hinter einer überwiegend kommerziellen, histo-
risch unproportional gegliederten Innenraumgliederung wieder aufgeführt
und die barocken Kellergewölbe (als einzige wirklich original erhaltene
Relikte vor Ort) zugunsten von Parkgaragen ebenso zerstört wie die kom-
plette, an dieser Stelle entstandene DDR-Architektur – eine Kettenreak-
tion, die mit der schrittweise erfolgten Demontage der nahen Prager Straße,
ihrerseits ein Denkmal der DDR-Moderne, ihre Fortsetzung gefunden hat.
Doch all dies erfah­ren die Besucher der Ausstellung nicht. Und es dürfte
sich deshalb auch um keinen Zufall handeln, daß gerade Stefan Hertzig als
allpräsenter und eben wenig um reale Fakten bemühter Fürsprecher der
Neumarkt-Rekonstruktion eben diesen Katalogbeitrag verfaßt hat. Wo
bleibt die ­Neutralität?
Dazu paßt auch die Präsentation des schon erwähnten, durch die Ausstel-
lung laufenden Bildfrieses mit über 200 „Rekonstruktionen – von Japan
bis Kanada und von der griechischen Antike bis heute“, wie die Presse­
information erklärt. Ohne Zweifel: Die auf den ersten Blick wahllos
­nebeneinander montierten Drei-Bild-Collagen – Original-Zerstörung-­
Rekonstruktion – fördern völlig unbekannte Beispiele zu Tage und erfri-
schen die Aufmerksamkeit. Nur ohne den notwendigen Kontext (war nicht
genau er der Anspruch der Ausstellung?) bleiben die Fälle rein spekulativ.
Hier fehlen Informationen zu Zwischenzuständen, die im Falle der Wie-
dererstehung der um 1900 von Robert Koldewey entdeckten Ruinen
­Babylons durch Saddam Hussein bis zu 5000 Jahre umfassen können; oder
zur ­genauen Motivation und Auftraggeberschaft, wie im Falle der neu-­
alten Geburtshütte Abraham Lincolns oder der wiederaufgeführten Kon-
trollstation am Berliner Checkpoint Charlie. Betrachter des scheinbar
­unendlichen Bilderfrieses sollen offenbar eine Botschaft mitnehmen: Die
Welt ist voller Rekonstruktionen, deren weltumfassende Beispiele sich ad
­infinitum hätten fortsetzen lassen. Nur: bei genauer Analyse handelt es sich
hier in 80 Prozent der Beispiele eben nicht um Rekonstruktionen nach

211
­ otalverlust, sondern um Reparaturen, Komplettierungen, Vollendungen
T
und so weiter, die sich gut an die glossarisch ausgewiesenen Differenzie-
rungen hätten zurückbinden lassen können.
Macht es wie im Falle der Sektion „Rekonstruktion zur Erinnerung an
­Personen und Ereignisse“ dann auch keinen Unterschied mehr, ob Henry
David Thoreaus verlorene Hütte am ehemaligen Walden Pond vor Ort
zum rekonstruierten Wallfahrtsort aufsteigt, während parallel „zahlreiche
­weitere Kopien nach den Rekonstruktionen“ (S. 438) entstehen? Hieß es im
Vorwort nicht etwas belehrend (aber falsch), daß „Kopie“ und „Replik“
sich immer „eindeutig auf ein noch vorhandenes Original beziehen“ (S. 6)?
Daß es Thoreaus Hütte 2002 sogar bis zu einer temporären Kunst-Instal-
lation durch Tobias Hauser am Leipziger Platz geschafft hat, während sie
in den USA als Serienhütte oder mit Selbstbau-Anleitung verkauft wird,
ist ein spannender Hinweis, doch kaum mehr der unterschwelligen Aus-
stellungsmessage „Rekonstruktionen sind doch gar nicht so schlimm“ zu-
zuordnen, sondern genau der entgegengesetzten Kritik von Anything goes,
Konsum, Kommerz und jener je nach Bedarf medial steuer- und zirkulier-
baren Bilderflut, zu der eben auch Rekonstruktionen gehören.

„Nicht getäuscht, sondern zu wenig informiert“ – Rekonstruktionen


als „Truman-Show“?

Im nächsten Raum geht es um „Archäologische Rekonstruktionen“ und


„Rekonstruktion als Antikenrezeption“. Während zum ersteren Thema
hochspekulative Nachbauten nach Bodenbefunden wie Limes-Nachbau-
ten oder die Pfahlbausiedlung im deutschen Unteruhldingen mit freizeit-
aktiven und ‚authentisch‘ kostümierten Protagonisten als „Living History-
Entertainment“ zählen, wartet die Abteilung „Antikenrezeption“ mit einem
spannenden Beitrag auf: Neben der Rekonstruktion eines Panorama-­
Gemäldes von 1888 zum Konstantinischen Rom wird eine Sequenz aus
dem Film The Fall of the Roman Empire (Anthony Mann, 1965) als angeb-
lich „größte jemals nachgebaute Freiluftkulisse der Filmgeschichte“ gezeigt.
Akteure wie Zuschauer sind sich hier in jedem Moment des filmischen
­Re-enactments im Forum Romanum über die Künstlichkeit der Situation
bewußt. Beklemmung überkommt die Ausstellungsbesucher allerdings,
wenn sie Nerdingers Einleitungskommentar memorieren, in dem es heißt:
„Wer Hinweise nicht sieht oder wer glaubt, die Altstädte von Warschau,
Danzig, Breslau und Posen seien ‚historisch‘, der wird nicht getäuscht,

212
­sondern der ist zu wenig informiert“ (10). In letzter Konsequenz hieße
das, daß jede Form von zunehmend perfektionierter Fassadensimulation
­erlaubt wäre und die bisher noch geltende Ausweispflicht der stadträum-
lichen Neuinszenierer zu Lasten der Stadtraumbenutzer aufgehoben wäre.
Man fühlt sich irritiert, wenn solche Second-Life-Szenarien à la The
­Truman-Show jetzt auch im öffentlich-demokratischen Raum ohne Scham-
grenzen und mit Steuergeld-Rekonstruktionen aufgeführt werden dürften
(in dem 1998 gedrehten US-Film The Truman Show war der Protagonist
der um ihn völlig künstlich inszenierten Lebenswelt wenigstens in letzter
Sekunde auf die Schliche gekommen). Letztlich wäre das sogar ein Schritt
noch hinter den Totalitarismus, hatte doch selbst ein Regime wie dasjenige
der DDR seine Altstadtsimulation im Berliner Nikolai-Viertel zur ­Berliner
750-Jahrfeier (1987) größtenteils in Plattenbauästhetik und damit mit ein-
deutiger Gegenwartsreferenz aufgeführt.
Jetzt befinden wir uns in der drittletzten Sektion „Rekonstruktion zur Wie-
derherstellung der Einheit eines Ensembles oder zur Wiedergewinnung
­eines Raumes“. Neben einem erneuten Bilderfries unendlicher Erfolgs­
beispiele steht recht bescheiden jene bis 1990 deutschlandweit wichtigste
Rekonstruktionsdebatte hinter Glas, die mit Hilfe von Georg Dehios
­berühmtem Ruinenerhaltungsplädoyer die segensreiche Relativierung
von der bis 1900 grassierenden, hegemonial-preußisch forcierten Rekon-
struktionswut einläutete: jene zum Heidelberger Schloß. Es ist zutiefst
zu ­bedauern, daß die Ausstellungsmacher diesen so lehrreichen Fall
nicht ­breiter präsentiert und in die Diskussion sogar als eine Art geschei-
tertes Rekonstruktionsprojekt eingebracht haben – gilt er doch als Bei-
spiel  einer in breiter Öffentlichkeit und sogar international geführten
­Debatte, „in ­deren Verlauf entscheidende Klärungen der Denkmalpflege
über ihre e­ igenen Prinzipien erfolgten“ (so zitiert die Schautafel, nicht aber
der Kata­logtext!) und die bis heute so oft hochspekulative Wiederauffüh-
rungsästhetik von politisch forcierten Rekonstruktionen ad absurdum
­geführt  wurde.

Essentialismus pur: der ‚Osten‘ als zyklisch a-materiale Kultur

Der vorletzte Raum ist nicht wie alle anderen der sogenannten westlichen
Welt, sondern dem europäisch-exotischen Blick auf den allzu friedvoll in
vormoderner Traditionalität herbeigewünschten ‚Osten‘ gewidmet. Schon
alleine die Sektionsüberschrift „Rekonstruktion des ‚authentischen Gei-

213
stes‘ und rituelle Wiederholung“ läßt nichts Gutes ahnen. Der Einleitungs-
text eigen-stereotypisiert die „westliche Kultur“ mit einer „linearen Wahr-
nehmung der Zeit“, dem unbedingten Glauben an „originale Substanz“
und obendrein mit einer „westlichen Denkmalpflege“, die sich „um den
Erhalt von originaler Substanz als dem Garanten von Erinnerung bemüht“
(S. 191) – wollte die Ausstellung nicht gerade beweisen, daß auch wir es
­immer schon nicht so ganz genau nehmen mit der Originalsubstanz und
ständig und auf quasi „ganz natürliche Weise“ (Nerdinger) alles immerfort
und nach Verlusten so ganz und gar nicht „linear“ gegen jede Geschichts-
kausalität ­wiederherstellen? Mit Hinblick auf eine „zyklische Zeitauffas-
sung in der Weitergabe des ‚authentischen Geistes‘ von Generation zu
­Generation“, der in der „Substanz verloren gehen kann“, ist auf der gesam-
ten rechten Seite unserer Weltkarte also laut Ausstellungstext alles ganz an-
ders – Eigen- ­gegen Fremdstereotypisierung: „In vielen [welchen? welchen
nicht? M. F.] Kulturen des nahen, mittleren und fernen Ostens finden sich
unzählige ­Rekonstruktionen oder Wiederholungen [sogar so viele wie auf
den uns gezeigten Bilderfriesen, warum sehen wir sie dann nicht? M. F.],
die Frage nach dem Alter der Substanz oder nach ‚Originalität‘ ist in die-
sem kulturellen Zusammenhang relativ bedeutungslos“ (ebda.). Starker
essentiali­stischer Tobak, wenn man bedenkt, daß spätestens seit dem euro-
päischen Kolonialkontakt in Nahost, Indien, ganz Südostasien, aber auch
in unkolonisierten Ländern wie Japan die in der Tat materialbezogene,
„westliche Denkmalpflege“ im 19. Jahrhundert Einzug hielt oder zumin-
dest teiladaptiert ihre Spuren hinterließ. Diese Doppelstruktur institutio-
nalisierter/professionalisierter Denkmalpflege und lokaler Traditionen vor
Ort rief und ruft im Kampf um die Deutungshoheit um Kulturerbe bis
heute oftmals starke Konflikte unter religiösen und politischen Gruppie-
rungen hervor, von denen es zu berichten gälte – spätestens dann, wenn es
auch um die gesprengten Bamiyan-­Buddhas geht.
Alle 14 Beispiele (davon fünf aus Japan, drei aus Nepal, zwei aus Myanmar
und je eines aus der Mongolei, aus China, Afghanistan und Indien) stam-
men von Niels Gutschow, dem versierten Nepal-Experten und Leiter
­eines am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ an der
Universität Heidelberg angesiedelten Projekts zu Kulturerbe-Forschung
im Spannungsfeld Asien-Europa. Gutschow spricht in seinem detail­reichen,
in sich stimmigen Katalogbeitrag stellenweise auch von klimabedingtem
„Ersatz von Schadhaftem, Reparatur“ (S. 40) also von Materialerhalt und
nicht zyklischem Totalaustausch. Als spannende Beispiele zeigt er uns
­rekonstruierte Tempelstrukturen in Nepal sowie einen aus nationalpoliti-

214
schen Gründen vollrekonstruierten Hindutempel in Indien. Zentral in
­ ieser Sektion der Ausstellung selbst ist aber der schintoistische Ise-Schrein
d
in ­Japan. Dessen zentrales Heiligtum wird seit 1300 Jahren alle 20 Jahre an
abwechselnd direkt benachbarter Stelle als rein religiös motiviertes Erneue-
rungsritual neu aufgeführt. So interessant dieses Ritual auch sein mag, aus
diesem Einzelfall dezidiert religiöser Praxis gleich auf eine materialferne
(a-materiale) und sich zyklisch wiedererneuernde Kulturpraxis ganz Asi-
ens zu schließen, mag mit einem banalen Beispiel entkräftet werden: Der
hindu­istische, später buddhistische Tempel von Angkor Vat im heutigen
Kambodscha, das größte steinerne religiöse Bauwerk der Welt aus dem 12.
Jahrhundert, wurde zur Zeit der buddhistischen Renaissance vor Ort im
16. Jahrhundert substanzrückgewinnend repariert/restauriert und ist bis
heute nahezu unversehrt erhalten – lange vor dem französischen Koloni-
aleinfluß im 19. Jahrhundert. Aber auch dieses Beispiel taugt nicht für die
Pauschalisierung des Umgangs eines ganzen Kontinents mit seinem Kul-
turerbe, zumal kein einziger Repräsentant dieser ganzen Hemisphäre um
seine Meinung für die Ausstellung ­gebeten wurde.

Die „Moderne“ ist an allem Schuld – nur welche Moderne ist gemeint?

Der letzte Großraum der Ausstellung kombiniert zwei Themenfelder. Wäh-


rend das vorletzte „Rekonstruktionen für Freizeit und Konsum“ archäo-
logische Fun-Parks wie Xanten und Einkaufszentren mit angehängten
­Rekonstruktionsfassaden in Form des Braunschweiger Schlosses oder der
Mainzer Markthäuser zeigt (kein Kommentar!), ist die Kategorie „Rekon-
struktion und die ‚Ehrlichkeit‘ der Moderne“ das Allerletzte vor der ret-
tenden Flucht ins Freie. Sie ist als Doppelschlag gegen die dem bestands­
orientierten Erhaltungsauftrag verpflichtete Denkmalpflege und die sich
immer wieder jeweils zeitgenössisch (das heißt ‚modern‘) verortende Archi­
tektenschaft inszeniert. Laut Ausstellungstext geht es um die „Vorstellun-
gen von ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘, die als Antwort der Moderne auf die
‚­Lügen‘ des Historismus formuliert wurden, basierend auf einer angebli-
chen Kenntnis dessen, was ‚zeitgenössisch‘ und ‚zeitgemäß‘ sei“ (465). Man
ist über das hochideologische Outing als Schlußbemerkung einer doch
sonst angeblich so meinungsneutralen, emotionslos lediglich Sachverhalte
dokumentierenden Ausstellung nur überrascht, wenn man nicht schon zu-
vor all die versteckten Polemiken ‚gegen die Moderne‘ erkannt hat, die wie
so oft zwischen den Zeilen zu finden sind.

215
Lediglich sieben und in ihrer Zusammenstellung wenig hilfreiche Beispiele
sollen die ‚moderne Lügenthese‘ belegen (im Vergleich zu allein 25 Beispie-
len in der Sektion national-politisch motivierter Rekonstruktionen!). Da
sieht man Robert Venturis stangenmodellierte Silhouette von 1976, die Ben-
jamin Franklins ehemaliges und völlig verschwundenes Wohnhaus am ori-
ginalen Erinnerungsort evoziert; oder den in zeitgenössischer Architektur
ausgeführten, die Symmetrie der Saarbrücker Schloßanlage respektieren-
den Mittelpavillon von Gottfried Böhm der 1980er Jahre; oder den moder-
nen, wiederinstandsetzenden und im Detail historisch oftmals ungesicher-
ten Weiterbau der römischen Theaterruine im spanischen Sagunt durch
Giorgio Grassi. Das Fallbeispiel der um 1800 erbauten Kommandantur in
Berlin fällt aber wohl nicht in die Kategorie „Ehrlichkeit der Moderne“,
sondern in jene der politisch motivierten Unehrlichkeit der späten Post-
moderne deutscher Nachkriegszeit: Hier wurde von Stuhlemmer/­Valentyn
2003 ­anhand nur eines einzigen Meßbildes und Katasterplanes von 1879
eine Fassadenrekonstruktion in Hohllochziegeln und modernem Innen­
leben aufgeführt, der als Gesamtresultat straßenseitig einen Altbestand mit
rückseitig moderner Glasadaptation simuliert. Dieser Fall illustriert aber
weniger unfähige Architekten, sondern die Garantie immer schlechter Er-
gebnisse, wenn die Politik, wie in diesem Fall der Berliner Senat, mit einer
verbindlich historisch rekonstruierenden Gestaltungssatzung in die Grund-
lagen und damit Gestaltungsfreiheiten des Wettbewerbs eingreift … ver-
gleichbar mit der gesamten Schloßdebatte, wo der gesamte Bundestag ­einer
neokonservativen Rekonstruktionsinitiative auf den Leim gegangen ist und
eine ganze Generation qualitätvoller Architekten vor den Kopf stieß.
Interessant auch die Bemerkung, daß man sich aus aktuellen Rekonstruk-
tionsdiskussionen heraushalten möchte: zum Stadtschloß keine Meinung?
Geschickt plaziert und anscheinend ganz harmlos wird den Besuchern ganz
am Ende der Ausstellung eine Best-Of-Liste zu aktuellen, „geplanten
­Rekonstruktionen“ präsentiert: Da steht die erdbebenzerstörte Zitadelle
vom iranischen Bam neben der Bauakademie und dem Stadtschloß in ­Berlin,
dem Königsberger Schloß und dem Stadtschloß in Potsdam und den von
den Taliban im März 2001 (genau sechs Monate vor dem 11. September!)
gesprengten Buddhastatuen von Bamiyan; im letztgenannten Beispiel gibt
es bisher jedoch noch gar keinen Rekonstruktionsbeschluß – self-fulfilling
prophecy? Gerade hier hätte ein wenig Reflexion um Verlust, Ost-­West-
Fundamentalismus und die Optionen beziehungsweise Limits der Wieder-
gewinnung von Kulturerbe am Ende der Ausstellung unbedingt Not
­getan.5

216
Eine weitere Frage drängt sich auf: Welche Moderne ist überhaupt gemeint,
wenn man so viel über die angebliche Tradition von Rekonstruktionen
spricht? Die Verwirrungsstrategie – oder das bloße Ausweichen vor ­einer
gut definierten Antwort? – illustriert der Aufsatz von Uta Hassler, i­hres
Zeichens Professorin für Denkmalpflege an der ETH Zürich. Sie war die
Organisatorin der vorgeschalteten Tagung „Das Prinzip Rekonstruktion“
2008 in Zürich, die inhaltlich durchaus ähnliche Ziele wie die Münchner
Ausstellung verfolgte, für deren Zuschnitt sie deshalb wohl auch mit ver-
antwortlich sein dürfte. Mit Bezug auf eine im 19. Jahrhundert ansetzende
Moderne faßt sie zusammen: „Die Reste historischer Zufälle und ­Ereignisse
werden als Faktum historischer Bedeutung nobilitiert, Geschichtlichkeit,
einschließlich der Spuren und Gefährdungen durch Verfall, höher einge-
schätzt als das Ideal einer ‚Vollendung‘“ (S. 179). Wenige Sätze zuvor hatte
sie noch in Hinblick auf das späte 18. Jahrhundert von der „Weiterführung
der aufklärerischen Traditionen der Moderne“ (Habermas‘ Diktum der
­‚Moderne als Projekt der Aufklärung‘?), dann aber wieder von der ­„Moderne
des 20. Jahrhunderts“ gesprochen – was eher der sogenannten klassischen
Moderne der Architekturgeschichtsschreibung entsprechen würde. Folgt
man den Fallbeispielen im zweiten Teil ihres Beitrags, spannt sich der
­Argumentationsbogen gegen die „Inszenierung des Fragmen­tarischen“
(S. 187) von der ‚Nachkriegsmoderne‘ über die ‚Postmoderne‘ bis zur Ge-
genwart, nimmt die Autorin doch die jeweils zeitgenössisch ­ver­orteten Rui-
nenaneignungen von Döllgasts Pinakothek und Wiedemanns Glyptothek
ebenso ins Visier wie David Chipperfields gerade erst eröffnetes Berliner
Projekt des Neuen Museums. Hasslers Kritik, daß ­Chipperfields Konzept
einer partiellen Bewahrung und konservatorisch-künstlerischen Kommen-
tierung des über 60 Jahre (!) andauernden Ruinen- beziehungsweise Frag­
mentzustandes des Museums ein „künstliches und intellektuell gewolltes
Ergebnis“ (S. 187) sei, kann hingegen leicht entkräftet werden, da auch Voll-
rekonstruktionen wie jene des Frankfurter ­Goethehauses immer und ganz
zwangsläufig künstliche und intellektuell gewollte Ergebnisse sind, ja sein
müssen. Würde ‚Moderne‘ also (wie es richtig erscheint) mit der Aufklä-
rung des 18. Jahrhunderts beginnen, so würden aber auch fast alle beklatsch-
ten Fallbeispiele der Ausstellung ­darunter fallen; fokussiert man nur auf
die Nachkriegszeit, so müßte man ­zugestehen, daß die Zäsur von 1945 ge-
rade in Deutschland einen normativ besetzten und damit kriegsspurenbe-
wahrenden Ansatz im Angesicht des so noch nie dagewesenen und größ-
tenteils mitverschuldeten Denkmal­verlustes zwingend notwendig gemacht
hat. So aber bedienen sich die Ausstellunsgmacher je nach Lust und

217
Argumenta­tionslaune mal dieser und mal jener ‚Moderne‘, um ihre zwi-
schen den Zeilen angesiedelten Polemiken ­anzubringen.

Und die deutschen Meister der Ruinenaneignung


und Verlustverarbeitung?

Zur abschließenden Frage: Wo stecken die architektonischen Großmeister


der zeitgenössisch verorteten, spurensichernden Ruinenwiederaufbauten –
nach Nerdingers intendierter Gesamtdarstellung müßten sie eigentlich auch
ihren Platz in der Ausstellung finden, geht es doch um alle nur erden­klichen
Formen der „Wiederherstellung“. Allein in Deutschland wären hier unter
anderen zu nennen Rudolf Schwarz (Frankfurter Paulskirche, G ­ ürzenich/
St. Alban in Köln), Egon Eiermann (Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-
kirche) – und eben Hans Döllgast in München (Allerheiligenhofkirche,
­Basilika St. Bonifaz, Alte Pinakothek, Aussegnungshalle des Ostfriedhofs),
zu dessen Werk Nerdinger selbst noch 1984 den Band Aufbauzeit – Planen
und Bauen München 1945–1960 mitherausgab und die traditionsorientiert,
aber nachkriegszeitliche, und eben nicht zwangsläufig voll­rekonstruktierende
Architektursprache des Wiederaufbaus in München würdigte … so ändern
sich die Zeiten. Warum keine Pläne und Fotos zu Döllgast? Der Verdacht
liegt nahe: Einen so München- und deutschlandweit anerkannten Architek-
ten wie Döllgast, noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft zu der von ihm
geretteten Alten Pinakothek, zu verunglimpfen, hätte dem Duo Nerdinger/
Hassler zu viel Gegenwind eingebracht und ihr neokonservatives Plädoyer
für Vollrekonstruktion ebenso bloß­gestellt wie die These der „denkmalpfle-
gerischen Utopie eines tradier­baren ­Ruinenzustandes“ (S. 188) widerlegt.

Zurück zum Start: Chipperfield-„Bashing“


zur Ausstellungseröffnung

Wem diese Interpretation zu scharf ausgefallen erscheint, der sei kurz in


die Situation der vorabendlichen Rede Nerdingers zur Ausstellungseröff-
nung am 21. Juli 2010 um 19 Uhr zurückversetzt: Wie Kommissar Columbo
die wichtigsten Hinweise zum mörderischen Tatbestand immer erst zum
Abgang nach seinem Zeugenverhör erfährt, so gab Nerdinger hier schon
vor der Ausstellungseröffnung mehr von seiner unterschwelligen Projekt-
­Intention preis als in der Ausstellung selbst. Es war eine einzige Tirade ge-

218
gen die i­ hrer jeweiligen Zeitgenossenschaft verpflichteten Architekten, die
im ­Umgang mit verlorenen Bauten oder halbzerstörten Ruinen mit dem
„zwanghaften Zeigen der Brüche“ angeblich nur ihren unstillbaren Durst
nach Selbstdarstellung stillen wollten. Rekonstruktionen seien ganz natür-
lich, der Verdachtsmoment einer Täuschung durch vollrekonstruktives
­Beseitigen aller Verlustspuren sei „durch den Unsinn der Väter der ­Moderne
in die Welt gesetzt“ worden. Und eben: Rekonstruktionen seien auch keine
Täuschung, die Getäuschten hätten sich eben nicht genug informiert. Der
Name Döllgast fällt in einem Nebensatz, doch der Prügelknabe ist eindeu-
tig der Brite David Chipperfield mit seinem Neuen Museum in Berlin. Man
könnte dies alles als durchaus legitime Privatmeinung im Raum stehen las-
sen, wäre es nicht der Hauptinhalt einer Rede des amtierenden Direktors
zur Ausstellungseröffnung zur „Geschichte der Rekonstruktion – Kon-
struktion der Geschichte“ gewesen.
Eines ist sicher: Hans Döllgast, der umsichtige Bewahrer von Münchens
erstem Pinakotheksgebäude in der Sprache nachkriegszeitlicher Beschei-
denheit, hat sich ohne Zweifel während der Ausstellungseröffnung im
Grabe umgedreht – aber das stört die Ausstellungsmacher Nerdinger/
Hassler – wenige Meter entfernt im neuesten Pinakotheksgebäude – kaum:
Sie haben Döllgast aus ihrer Ausstellung zur angeblich weltumspannenden
Geschichte der Rekonstruktion einfach gestrichen.
So wird eben auch Geschichte konstruiert und geklittert – und anschei-
nend ganz nebenher noch eine neue Tradition erfunden: die Tradition
­namens Rekonstruktion.

Anmerkungen

1 Diese Rezension erschien in einer reduzierten, aber bebilderten Version in werk, bauen
+ wohnen, 10/2010, 66–88
2 Alle in Klammern gesetzten Seitenangaben beziehen sich auf den Ausstellungskatalog:
Winfried Nerdinger (Hg.), Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte,
München 2010.
3 Dazu: Michael Falser: Trauerarbeit an Ruinen – Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945,
in: Braum, Michael; Baus, Ursula (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland. Positionen zu
einem umstrittenen Thema, Basel, Boston, Berlin (Birkhäuser) 2009, 60–97
4 Genau zu dieser Problematik: Michael Falser, Zwischen Identität und Authentizität. Zur
politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008
5 Dazu: Michael Falser: Die Buddhas von Bamiyan, performativer Ikonoklasmus und das
„Image“ von Kulturerbe, in: Kultur und Terror, Zeitschrift für Kulturwissenschaft, Heft
1/2010, S. 82–93
Jan Pieper

Das Labyrinthische

Über die Idee des


Verborgenen, Rätselhaften,
Schwierigen in der
Geschichte der Architektur

Das „Labyrinthische“ ist eine Eigenschaft von Stadt, Archi-


tektur und Raum, die sich ungeachtet ihrer umgangs-
sprachlichen Geläufigkeit einsilbigen Definitionen entzieht.
Der Begriff vermag vielmehr ganz unterschiedliche Formen
und Qualitäten der architektonischen Ordnung zu benen-
nen, die in wechselnden Konstellationen und Intensitäten in
labyrinthischen Raumgefügen zusammenwirken können.

368 Seiten, 180 Abbildungen, Broschur


(BWF 127) ISBN: 978-3-7643-8627-6
Architekturtheorie/ Baugeschichte

Undine Giseke
Erika Spiegel
(Hg.)

Stadtlichtungen

Irritationen, Perspektiven,
Strategien

Stadtplanung war stets Lenkung von Wachstum. Ein ge-


sichertes Wachstum wird es nicht mehr geben. Baulücken
und Brachen werden zunehmen, Freiräume auch. Das
Verhältnis von bebauten zu unbebauten Flächen gerät in
Bewegung. Strukturkonzepte und Planungsstrategien
müssen dem Rechnung tragen und für vielfältige Alter­
nativen offen sein.

272 Seiten, 18 Abbildungen, Broschur


(BWF 138) ISBN: 978-3-7643-8357-2
Baupolitik / Planung / Städtebau
Erol Yildiz
Birgit Mattausch
(Hg.)

Urban Recycling

Migration
als Großstadt-Ressource

Von Migranten bewohnte Stadtteile gelten oft als „Ghettos“


oder „Parallelgesellschaften“. Die kritische Migrations­
forschung verlangt einen entschiedenen Perspektiven­
wechsel: Es geht darum, den konstitutiven Zusammenhang
von Migration und Urbanisierung endlich zur Kenntnis zu
nehmen und den Beitrag der Einwanderer zur (Wieder-)
Belebung von Stadtquartieren anzuerkennen.

176 Seiten, 36 Abbildungen, Broschur


(BWF 140) ISBN: 978-3-7643-8804-1
Stadtforschung / Stadtpolitik

Günther Fischer

Vitruv NEU
oder
Was ist Architektur?

Ohne Kenntnis Vitruvs sei die gesamte architekturtheore-


tische Diskussion der Neuzeit, zumindest bis ins 19. Jahr-
hundert, nicht verständlich, sagt Hanno-Walter Kruft. Was
aber, wenn diese Diskussion unter falschen Vorzeichen
geführt wurde? Vitruv war Architekt, kein Kunsthistoriker.
Die Neuinterpretation seines Textes als Theorie des Fachs
öffnet endlich den Weg zu einer schlüssigen Architektur-
theorie.

256 Seiten, 50 Abbildungen, Broschur


(BWF 141) ISBN: 978-3-7643-8805-8
Architekturtheorie
Bauwelt Fundamente
(lieferbare Titel)

1 Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur


des 20. Jahrhunderts
2 Le Corbusier, 1922 – Ausblick auf eine Architektur
12 Le Corbusier, 1929 – Feststellungen
16 Kevin Lynch, Das Bild der Stadt
50 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur
53 Robert Venturi / Denise Scott Brown / Steven Izenour,
Lernen von Las Vegas
56 Thilo Hilpert (Hg.), Le Corbusiers „Charta von Athen“.
Texte und Dokumente. Kritische Neuausgabe
86 Christian Kühn, Das Schöne, das Wahre und das Richtige.
Adolf Loos und das Haus Müller in Prag
118 Thomas Sieverts, Zwischenstadt – zwischen Ort und Welt,
Raum und Zeit, Stadt und Land
123 André Corboz, Die Kunst, Stadt und Land zum Sprechen zu
bringen
125 Ulrich Conrads (Hg.), Die Städte himmeloffen. Reden und
Reflexionen über den Wiederaufbau des Untergegangenen und
die Rückkehr des Neuen Bauens (1948/49)
126 Werner Sewing, Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign
und Eventkultur
128 Elisabeth Blum, Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn
die urbane Welt diszipliniert
129 Hermann Sturm, Alltag & Kult. Gottfried Semper, Richard Wagner,
Friedrich Theodor Vischer, Gottfried Keller
130 Elisabeth Blum / Peter Neitzke (Hg.), FavelaMetropolis.
Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und São Paulo
131 Angelus Eisinger, Die Stadt der Architekten
132 Karin Wilhelm / Detlef Jessen-Klingenberg (Hg.),
Formationen der Stadt. Camillo Sitte weitergelesen
133 Michael Müller / Franz Dröge, Die ausgestellte Stadt
134 Loïc Wacquant, Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays
135 Florian Rötzer, Vom Wildwerden der Städte
136 Ulrich Conrads, Zeit des Labyrinths
137 Friedrich Naumann, Ausstellungsbriefe Berlin, Paris, Dresden,
Düsseldorf 1896–1906. Anhang: Theodor Heuss − Was ist Qualität?
(1951)
138 Undine Giseke / Erika Spiegel (Hg.), Stadtlichtungen. Irritationen,
Perspektiven, Strategien
140 Erol Yildiz / Birgit Mattausch (Hg.), Urban Recycling. Migration
als Großstadt-Ressource
141 Günther Fischer, Vitruv NEU oder Was ist Architektur?
142 Dieter Hassenpflug, Der urbane Code Chinas
143 Elisabeth Blum / Peter Neitzke (Hg.), Dubai. Stadt aus dem Nichts
144 Michael Wilkens, Architektur als Komposition. Zehn Lektionen
zum Entwerfen
145 Gerhard Matzig, Vorsicht, Baustelle!
146 Adrian von Buttlar et al., Denkmalpflege statt Attrappenkult
147 André Bideau, Architektur und symbolisches Kapitel
148 Jörg Seifert, Stadtbild, Wahrnehmung, Design
149 Ulrike Franke, Torsten Lockl, Steen Eiler Rasmussen, LONDON,
The Unique City

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