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Ilija Trojanow/Juli Zeh: „Angriff auf die Freiheit"

Verbindungen zum Roman

Im Jahr 2009 veröffentlichten die Schriftsteller Juli Zeh und Ilija Trojanow gemeinsam das politische
Pamphlet „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher
Rechte". Darin weisen sie auf plakative, polemische Weise auf die Gefahren für die Freiheit des Individu-
ums in unserer Welt hin, in der Sicherheit als oberstes Ziel gelte. Mit dem Argument Sicherheit, insbe-
sondere derjenigen vor terroristischen Angriffen, würden umfassende Überwachungs- und Kontroll-
maßnahmen be
begründet, welche die Bürgerrechte empfindlich beschnitten.
Vorbemerkung: Voraus geht die Vorstellung diverser Methoden der Kommunikationsüberwachung in
den modernen Industrieländern.

|... Aber das, heißt es, geschehe ja nur zu unserem Hobbes , dem Menschen alles Böse zutraut, wird
Scthutz. „Freiheit" düirfe nicht als eine Freiheit
' dürf
-
zur Überwachung und Abschreckung verschärfen und 4
Begehung von Straftaten missverstanden werden. durch staatliche Allmacht die freiheitliche Sphäre
Natürlich: Indem sich „Freiheit“ zum zentralen Be- des Einzelnen reduzieren wollen. Wer jedoch, wie et-
ggs griff der Gesellschaftslehre entwickelte, intensivierte wa John Locke , den Gemeinsinn des Menschen für
sich auch die Diskussion, welche Grenzen dieser bestimmend hält, wird den Privatbereich vor dem
Freiheit gesetzt werden müssten, damit die Freiheit Zugriff der Autorität schützen, als eine Keimzelle ge-
des Menschen nicht die anderer bedrohe. Aber ob- sellschaftlicher Verträglichkeit und Entwicklung.
wohl die meisten Denker für eine Beschränkung der Jenseits dieser unterschiedlichen Ansätze existiert je-
o Handlungsfreiheit eintraten, um Schaden von ande- denfalls ein unbestreitbarer Erfahrungswert: Die to-
ren abzuwenden, forderten sie mit gutem Grund, ei- talitären Systeme des 20. Jahrhunderts haben nicht
nen gewissen persönlichen Freiraum unter allen nur der Schreckensvision Mills vom „kollektiven s=
Umständen zu garantieren. Die Wahrung eines sol- Mittelmaß“ recht gegeben, sondern alle konserva-
chen Intimbereichs ermögliche erst die Entfaltung tiven Kontrollfantasien seit Hobbes diskreditiert.
as des Menschen in seiner ganzen Eigenwilligkeit – und Denn die Auswirkungen staatlicher Übermacht ha-
damit seine Würde. John Stuart Mill' vertrat die Auf- ben sich als unendlich viel schlimmer erwiesen als
fassung, die Zivilisation selbst hänge von diesen jede individuelle Verfehlung. [...)
Grundsätzen ab, denn ohne freien Gedankenaus- Es gibt auf diesem Planeten keinen Zustand vollkom-
tausch komme die Wahrheit nicht ans Licht, gebe es mener Sicherheit. es sei denn. man Wollte den Tod
o keinen hinreichenden Raum für Spontaneität, Origi.- als eine sichere Sache betrachten. „Sicher ist, dass
nichts sicher ist. Selbst das nicht“, lautet ein be-
nalität, Widerspenstigkeit, woraus der Geist und das
Denken schöpften. Aus Vielfalt würde Konformität, liebtes Graffito. Leben ist angewandte Unsicherheit. 60
die nur „beschränkte und bornierte, verkrampfte Wir gehen täglich Risiken ein, im Straßenverkehr,
ind verkrümmte Menschen“ hervorbringe. Klimax
Mill am Arbeitsplatz, im Umgang mit unseren Mitmen
ging noch einen
n Schritt Weiter: schen, Verzehr von Naahru1
zungsmitteln. Würden
ein Mensch wider besseren Rat und Warmung bege- wir unseren Ängsten freien Lauf lassen, wären wir Metapher
hen kann, sind bei weitem nicht so schlimm wie Ver- handlungsunfähig, Gerade Tätigkeiten, die wir be-
hältnisse, in denen andere ihn zu etwas zwingen sonders gern ausführen, weil sie unsere Lebensquali-
können, das sie für gut halten.“ Damit benannte tät steigern, sind oft mit einem hohen Risiko behaf-
to Mill ein Prinzip, das bis zum heutigen Tag für Emoti-tet. In unserer Freizeit stürzen wir uns schneebedeckte
onen und Streit ssorgtt.
1gt.
Die Frage nach den zulässigen Grenzen der Freiheit
Abhänge hinab oder springen von Klippen, rasen
mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn, ver- 0
aneinander .

wird sich niemals abschließend beantworten lassen reinen


reisen in ungesunde Länder und kriminelle Städte.
– gerade ihre vermeintliche Beantwortung wäre ein Der mutigste Kerl von allen ist statistisch gesehen
is untrügliches Zeichen für eine Gleichschaltung der der Heimhandwerker – ein kolossaler Draufgänger in
Gedanken. Zu welchem Ergebnis eine Gewichtung Anbetracht der hohen Wahrscheinlichkeit, sich im
kommt, hängt nicht unwesentlich davon ab, welches eigenen Haushalt zu verletzen oder gar einen töd- 75
Menschenbild man vertritt. Wer, wie etwa Thomas 2
Thomas Hobbes (1588–1679): engl. Philosoph und Be
gründer des aufgeklärten Absolutisn
John Stuart Mill (1806–1873); engl. Philosoph und Öko- John Locke (1632–1704); engl. Philosoph, ein Begründer
nom der Aufklärung
Ilija Trojanow/Juli Zeh: „Angriff auf die Freiheit"
Verbindungen zum Roman

Im Jahr 2009 veröffentlichten die Schriftsteller Juli Zeh und Ilija Trojanow gemeinsam das politische
Pamphlet „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher
Rechte". Darin weisen sie auf plakative, polemische Weise auf die Gefahren für die Freiheit des Individu-
ums in unserer Welt hin, in der Sicherheit als oberstes Ziel gelte. Mit dem Argument Sicherheit, insbe-
sondere derjenigen vor terroristischen Angriffen, würden umfassende Überwachungs- und Kontroll-
maßnahmen be
begründet, welche die Bürgerrechte empfindlich beschnitten.
Vorbemerkung: Voraus geht die Vorstellung diverser Methoden der Kommunikationsüberwachung in
den modernen Industrieländern.
* Anapher
|... Aber das, heißt es, geschehe ja nur zu unserem Hobbes , dem Menschen alles Böse zutraut, wird
Scthutz. „Freiheit" düirfe nicht als eine Freiheit
dürf zur Überwachung und Abschreckung verschärfen und 4
Begehung von Straftaten missverstanden werden. durch staatliche Allmacht die freiheitliche Sphäre
Natürlich: Indem sich „Freiheit“ zum zentralen Be- des Einzelnen reduzieren wollen. Wer jedoch, wie et-
s griff der Gesellschaftslehre entwickelte, intensivierte wa John Locke , den Gemeinsinn des Menschen für
sich auch die Diskussion, welche Grenzen dieser bestimmend hält, wird den Privatbereich vor dem
Freiheit gesetzt werden müssten, damit die Freiheit Zugriff der Autorität schützen, als eine Keimzelle ge-
des Menschen nicht die anderer bedrohe. Aber ob- sellschaftlicher Verträglichkeit und Entwicklung.
wohl die meisten Denker für eine Beschränkung der Jenseits dieser unterschiedlichen Ansätze existiert je-
o Handlungsfreiheit eintraten, um Schaden von ande- denfalls ein unbestreitbarer Erfahrungswert: Die to-
ren abzuwenden, forderten sie mit gutem Grund, ei- talitären Systeme des 20. Jahrhunderts haben nicht
nen gewissen persönlichen Freiraum unter allen nur der Schreckensvision Mills vom „kollektiven s=
Umständen zu garantieren. Die Wahrung eines sol- Mittelmaß“ recht gegeben, sondern alle konserva-
chen Intimbereichs ermögliche erst die Entfaltung tiven Kontrollfantasien seit Hobbes diskreditiert.
as des Menschen in seiner ganzen Eigenwilligkeit – und Denn die Auswirkungen staatlicher Übermacht ha-
damit seine Würde. John Stuart Mill' vertrat die Auf- ben sich als unendlich viel schlimmer erwiesen als
fassung, die Zivilisation selbst hänge von diesen jede individuelle Verfehlung. [...)
Grundsätzen ab, denn ohne freien Gedankenaus- Es gibt auf diesem Planeten keinen Zustand vollkom-
tausch komme die Wahrheit nicht ans Licht, gebe es mener Sicherheit. es sei denn. man Wollte den Tod
o keinen hinreichenden Raum für Spontaneität, Origi.- als eine sichere Sache betrachten. „Sicher ist, dass
Akkumulationnalität, Widerspenstigkeit, woraus der nichts sicher ist. Selbst das nicht“, lautet ein be-
Geist und das
Denken schöpften. Aus Vielfalt würde Konformität, liebtes Graffito. Leben ist angewandte Unsicherheit. 60
die nur „beschränkte und bornierte, verkrampfte Wir gehen täglich Risiken ein, im Straßenverkehr,
* ind verkrümmte Menschen“ hervorbringe. Mill am Arbeitsplatz, im Umgang mit unseren Mitmen
ging noch einen
n Schritt Weiter: schen, Verzehr von Naahru1
zungsmitteln. Würden
ein Mensch wider besseren Rat und Warmung bege- wir unseren Ängsten freien Lauf lassen, wären wir
hen kann, sind bei weitem nicht so schlimm wie Ver- handlungsunfähig, Gerade Tätigkeiten, die wir be-
hältnisse, in denen andere ihn zu etwas zwingen sonders gern ausführen, weil sie unsere Lebensquali-
können, das sie für gut halten.“ Damit benannte tät steigern, sind oft mit einem hohen Risiko behaf-
to Mill ein Prinzip, das bis zum heutigen Tag für Emoti-tet. In unserer Freizeit stürzen wir uns schneebedeckte
onen und Streit ssorgt
\
t.
1gt. Abhänge hinab oder springen von Klippen, rasen
Die Frage nach den zulässigen Grenzen der Freiheit mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn, ver- 0
wird sich niemals abschließend beantworten lassen reisen in ungesunde Länder und kriminelle Städte.
– gerade ihre vermeintliche Beantwortung wäre ein Der mutigste Kerl von allen ist statistisch gesehen
Antithese
is untrügliches Zeichen für eine Gleichschaltung der der Heimhandwerker – ein kolossaler Draufgänger in
Gedanken. Zu welchem Ergebnis eine Gewichtung Anbetracht der hohen Wahrscheinlichkeit, sich im
kommt, hängt nicht unwesentlich davon ab, welches eigenen Haushalt zu verletzen oder gar einen töd- 75
Menschenbild man vertritt. Wer, wie etwa Thomas 2
Thomas Hobbes (1588–1679): engl. Philosoph und Be
gründer des aufgeklärten Absolutisn
John Stuart Mill (1806–1873); engl. Philosoph und Öko- John Locke (1632–1704); engl. Philosoph, ein Begründer
nom der Aufklärung
A
(lichen Unfall zu erlelden. Im Alltag subllmieren wir stahl von 1000 Euro für eine alte Frau, die auf jeden
Souverän dle RIsiken, denen wir uns andauernd au einzelnen Cent angewiesen Ist? Kann man seine
setzen, und stürzen uns mit Bravour in Gefahren. achtjährige Tochter ruhigen Herzens zur Schule ge-
Dessen ungeachtet ist „Sicherheit" zu einem Lieb. hen lassen, solange Verkehrssünder mit 80 Sachen
w lingsschlagwort der politischen Debatte geworden. durch Wohngebiete rasen? Steuerbetrüger, Diebe,
Jede zweite Maßnahme wird mit dem Hinweis auf Verkehrsrowdys – alle iausschalten. Wären Sie dann
unsere „Sicherheit" begründet. Autos sollen auch bei sicher? Vielleicht. Fühlten Sie sich sicherer? Wahr
hellem Sonnenschein mit Licht fahren, was die Um- scheinlich nicht.
welt und den Geldbeutel belastet und die Kassen der Bedrohung ist subjektiv und damit relativ. Sie be- 10
Glühbimenhersteller klingeln lässt: Sicherheit. Der stimmt sich nicht im Verhältnis zu einem irgendwie
Nacktscanner am Flughafen soll Röntgenaufnahmen messbaren Gefahrenpotenzial, sondern anhand der
von Quadratschädeln und krummen Beinen ma- Risiken, die jeder von uns wahrnimmt.In einer zu-
chen: Sicherheit. Hunde an die Leine, Raucher vor die nehmend sichereren Welt richtet sich die Angst auf
Tür, Computerspiele auf den Index: Sicherheit. Der immer kleinere oder immer unwahrscheinlichere
vermeintlich abgesicherte Bürger ist der regulierte Szenarien. Während etwa die Kriminalitätin
Bürger. Deutschland im Bereich schwerer Delikte wie Mord,
Zu diesem Zwe
vecke will der Staanat moglichst viel über Totschlag und Vergewaltigung seit Jahren kontinu-
seine Bürger wissen, um sie wirksam gegen alle er. ierlich sinkt, sind die Menschen notorisch vom Ge-
denklichen Bedrohungen schützen zu können. Wa- genteil überzeugt und geben bei Umfragen an, sich 190
9s rum auch nicht? Wenn man eine Weile darüber immer stärker durch Kapitalverbrechen bedroht zu
nachdenkt, kommt man dann nicht unweigerlich zu fühlen. Ähnlich empfand es Donald Rumsfeld, der
dem Schluss, dass gerade die umfassende Informiert- ehemalige Verteigungsminister der USA:
heit der Behörden uns davor Sch
schützt, Opfer eines Po- sind heute sicherer vor der Bedrohung durch
lizei- oder Justizirrtums zu werden? Denn ein Staat, einen großen Atomkrieg [..J und dennoch verwund-
der alles weiß, wird doch nicht versehentlich einen barer durch Kofferbomben (...)“
Unschuldigen belangen. Also die Guten ins Topf- Großer Atomkrieg versus Kofferbombe: IDurch diese
chen (sie haben nichts zu befürchten), die Schlech- Aussage wird klar, dass Sicherheit nichts mit der Grö-
ten ins Kröpfchen (die Freiheitsrechte sollen schließ- ße realer Gefahren zu tun hat. Sicherheit ist keine
lich keine kriminellen Absichten begünstigen). Tatsache, sondern ein Gefühl. Wer in den letzten 160
pas „Mal so betrachtet“ und „eigentlich“ ist da einiges Jahren die massenmedialen Hysterien um BSE, Vo-
dran, finden Sie nicht auch? Je länger Sie überlegen,gelgrippe und natürlich immer wieder Terrorismi
desto mehr wirkt eine Welt, in der Sie keiner Bedro uitverfolgt hat, wird nicht auf den Gedanken kom-
hung mehr durch Kriminelle, Leichtsinnige oder men, dasS man die Welt heute als sicherer empfindet
auch nur durch Gesundheitsrisiken ausgesetzt wä- als vor hundert Jahren. Dabei standen den Men- 16s
1o ren, wie das Paradies auf Erden. Dafür wären Sie schen damals zwei Weltkriege bevor, von der
durchaus bereit, den Preis allumfassender staatlicher Spanischen Grippe, die 25 Millionen Menschen da-
Kontrolle zu bezahlen. hinraffte, ganz zu schweigen.
Sind Sie sicher? Wenn die Politik also behauptet, „Sicherheit"“ für die
Nehmen wir einmal an, Verbrechen könnten tat-Bürger gewährleisten zu wollen, nährt sie einen ge- 17
mithilfe Ube achung Und 1deren fährlichen Irrtum. .Wir Wollen. dasS Sie sicher le-

präventiven Maßnahmen des Staates flächende- ben!“ wirbt die Polizei in U-Bahn-Haltestellen. Aber
ckend unterbunden werden. Zuerst würden Terroris- wann wären Sie denn sicher? Wenn es keine Ter
mus, Mord und Totschlag abgeschafft. Für eine Weile risten mehr gäbe? Oder keine Krankheiten? Wenn
ürden Sie sich erleichtert fühlen, dann fiele IhnenSie das Haus nicht verließen? Wenn Sie monatlich 175e
i das organisierte Verbrechen wieder ein, das dem 3000 Euro Staatsrente erhielten? Wenn kein Freund
Land schlaflose Nächte bereitete, bevor es vom Ter- Sie verriete, kein Geliebter Sie verletzte? Oder wenn

rorismus abgelöst wurde. Drogenkartelle, Mafiafami der Tod endlich abgeschafft würde?
lien, Schlepperbanden - weg damit. Wenig später Sicherheit lässt sich nicht herstellen, weil kein Risiko
würden Sie in der Zeitung lesen, wie viele Vergewal- völlig ausgeschaltet werden kann. Im Grunde wissen 18o
z5 tigungen, Raubüberfälle und schwere Körperverlet. wir das alle. Aber wir vergessen es augenblicklich, so-
zungen im Jahr begangen werden. Beängstigend. bald uns Politiker und Journalisten die nächste Hor-
Unerträglich. Nicht zu vergessen die ausufernde rorvision vor Augen führen. Wir wÍssen, dass wir
Steuerkriminalität, durch die sich der Staat in seinen ach aller berechenbaren Wahrscheinlichkeit am
Bestand bedroht sieht. Genügend Gründe für wei ehesten beim Putzen des Bads oder im Verkehr eines 18S
(130 tere, immer weiter reichende Maßnahmen. Und was unnatürlichen Todes sterben werden. Trotzdem be-
ist mit Kindesentführungen? Was bedeutet der Died kommen wir keine Gänsehaut beim Anblick unseres
Badezimmers oder Autos. Fahrzeughersteller vwerden Die scheinbar unübersichtliche und unverständliche
nicht von der Polizei überwacht, obwohl es gemes Gegenwart, nicht zuletzt ihre technologischen Inno- 24
190 sen an den Todeszahlen, naheliegender wäre, einen vationen, tragen zu einem Gefühl der Verängstigung
„Krieg gegen den internationalen Straßenverkehr“ bei, das paradoxerweise durch ein mehr an Technik
auszurufen. und Entmündigung gelindert werden soll. Ein ty.
Es entspricht der Natur des Menschen, vor unwahr- pisches Beispiel, wie der Teufel mithilfe des Beelze-
scheinlichen Ereignissen mehr Angst zu haben als bubs ausgetrieben wird. Das Gefühl der Unsicherheit so
vor wahrscheinlichen. Wir fürchten uns am meisten existiert losgelöst von tatsächlichen Bedrohungen.
vor Dingen, die uns selten bis nie begegnen und die Die Bewohner von Kairo oder Bombay äußern weni-
wir deshalb nicht einschātzen können. Das ist wohl ger Ångste als jene von Hannover oder Basel, gerade
gut so. Es gibt eine Theorie, die besagt, dass uns die weil sie davon ausgehen, dass das Leben kein Gelän-
Evolution dieses Missverständnis antrainiert habe. der hat, und weil sie iinsofern weder RuckverSICne-
20 Dem Uberleben sei es dienlicher, das Risiko von Situ- rung noch Risikobeseitigung erwarten
ationen falsch zu bewerten. Andernfalls würden wir Wer etwas annähernd Objektives über unsere Sicher-
nämlich in kein Auto mehr steigen und keine Treppe heit erfahren möchte, sollte nicht den staatlichen
hinuntergehen. Um lebensfähig zu bleiben, ist es Sicherheitsexperten oder den medialen Angstprofi-
wichtig, „kein Gefühl“ für Wahrscheinlichkeiten zu teuren zuhören, sondern lieber einen Blick in die 26
20s haben, jedenfalls kein zutreffendes. Statistiken werfen. Er wird erkennen, dass Deutsch-
Diese Unfähigkeit kann man leicht am eigenen Leib land von Jahr zu Jahr sicherer wird, was nicht an
one überprüfen. Sie sind auf einer Party mit gut vierzig Schäubles' Anstrengungen liegt, sondern an der ver
Gästen. Wie hoch, glauben Sie, liegt die Wahrschein- besserten Technologie von Autos und der stetigen
lichkeit, dass zwei dieser Personen am gleichen Tag Abnahme von Delikten. Natürlich können wir nicht 26s
Geburtstag haben? Zehn Prozent? Oder nur fünf? - wissen, was die Zukunft bringt. Solange der Trend
Sie liegt bei 90 Prozent, weshalb sich eine Wette auf aber ein positiver ist, besteht wahrlich kein Anlass
diesen Umstand lohnen würde. Das hätten Sie nie für den aussichtslosen Versuch, Bollwerke gegen ei-
gedacht? Eben. Wie hoch liegt seit dem 11. Septem- ne unbekannte Zukunft zu errichten. Konkrete Bei-
ber die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Opfer eines Ter- spiele beweisen, dass gesellschaftliche Strategien der
z1s roranschlags werden? 0,01 Prozent? Weniger? Mehr? Verständigung, der Integration, des sozialen Au
Selbst wenn wir davon ausgeh
Chen, die „Kofferbomber gleichs und der Bildung keineswegs vversagt haben,
fon Köln“ hätten Erfolg gehabt, bedroht Sie das mit wie die Versicherungspropheten verkünden. Viel-
einem Risiko von eins zu vier Millionen. Rund sie- mehr sind die Erfolge dieser Strategien zum einzig
benmal wahrscheinlicher ist es, als Kind zu ertrinken.
wahren Fundament unserer Sicherheit geworden. 2s
2o Natürlich kommt trotzdem niemand auf die Idee,Alle rationalen Argumente sprechen dafür, Kurs zu
Schwimmbäder oder Badeteiche zu verbieten. Aber halten und den Weg der Vernunft nicht zu verlassen.
76 Prozent der Deutschen geben an, dass sie Angst Um mit Karl Popper 7zu sprechen: „Wir müssen für
haben, Opfer eines terroristischen Anschlags zu wer- Frieden sorgen und nicht für die Sicherheit, einzig
am Mut,
den. aus dem Grund, weil nur der Frieden Sicherheit si- 28o
Courage, Contenance sind Werte, die jede cher machen kann.“
menschliche Gesellschaft hochhält - manchmalAus: llija TrojanowiJuli Zeh: Angnitf auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Uberwa-
mehr, manchmal weniger. Wo gilt der Feigling schon chungsstaat und der Abbau burgerlicher Rechte
Verlag, S. 226f., S. 45 -, 51
Copynght 2009, Carl Hanser

als Vorbild? Betrachten wir unsere Sprache. Deftig


wird verspottet, wenn es an Mut fehlt: Angsthase,
Lesen Sie die Ausschnitte aus dem Pamphlet „An-
23 Duckmäuser, Drückeberger, Pantoffelheld, Jämmer-—
ling, Bangbüchse, Ausreißer, Hasenfuß, Kriecher, Lei- griff auf die Freiheit". Wo finden sich Verbin-
setreter, Memme, Schlappschwanz, Waschlappen, dungen zum Roman? Notieren Sie diese Stellen
Jammerlappen. Keine Frage, wir schätzen den )Mut, and fügen Sie pas.
uSsende Stichwort und Zitate
und das aus gutem Grund. Die Angst ist – im Gegen- aus „Corpus Delicti“ hinzu, welche die Verbin-
E
satz zur nützlichen Vorsicht - eine der größten Gei- dungen belegen.
Beln des Menschen. Hat sie sich einmal eingenistet,
beginnt sie zu wuchern, lähmt uns, lässt sich durch
kein vernünftiges Wort und Ikeine passende Geste
eindämmen. Wer jemals einen Menschen gesehen
o hat, der in Panik gerät, weil ihm ein giftiges Insekt
über den Fuß kriecht, der weiß, dasS wir aus Angst -
Wolfgang Schäuble (*1942): CDU-Politiker, 2005– 2009
gegen die eigenen Interessen – um uns schlagen und
Bundesinnenminister, seit 2009 Bundesfinanzminister
uns dadurch nur umso mehr gefährden. Karl Popper (1902–1994): österreich.-brit. Philosoph
"

auf die Freiheit Antwort


23.02.2022 Angriff
-

sehr vielen Punkten stimme ich


In Ihrer
Meinung
zu dem Thema Sicherheit und der Angst des
Menschen zu Es ist wahr dass der Staat nie eine
.

totale Sicherheit für den Menschen garantieren


kann . Wenn der Staat behauptet :

Hiermit
garantieren
wir Ihre volle Sicherheit i. gibt es darauf nur eine

passende Antwort :

die volle Sicherheit wird nie
erreicht Jedoch ist hierbei beachten dass
"

sein . zu ,

es keineswegs falsch ist die zufriedenstellende


Sicherheit des Menschen anzustreben . Das ist meiner ,

Meinung nach ,
der
einzige
Sinn
utopischer Vorstellungen .

viele Menschen deprimiert der Gedanke einer


Welt
utopischen nur .
Eine utopische Welt ohne
Ängste , eine utopische Welt voller Freude eine ,

utopische Welt ohne Sorgen . Das ist es , was die

Menschen zwar nie erreichen werden . jedoch


schadet es nicht sich diesem anzunähern ,
sein
Bestes zu geben , um die Welt zu einem schöneren
Ort ZU machen .
Also stimme ich Ihnen in dem
Punkt mit der Sicherheit nicht
vollständig zu .

ist wahr , dass


Angst den
Menschen solange
Es die in

existiert vollkommenes Gefühl der ,


nie ein
Sicherheit existieren kann .

jedoch kann man sich


dem immer annähern .
Außerdem liegt es in der
Natur des
Unbenannten
Menschen ,
dass er sich vor dem
fürchtet Daher
ganz natürlich .
ist es ,
dass
er sich vor dem Tod am meisten fürchtet .
Der Tod

ist die
größte Angst jedes Menschen Und solange .

der
Alterungsprozess und der darauffolgende Tod
nicht verhindert werden kann , wird der Mensch nie

sicher sein .

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