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DOSSIER

Diabetes mellitus – der „honigsüße Durchfluss“


Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der
es zu einem Anstieg der Glukose (Traubenzucker, unser wichtigster
Energielieferant) im Blut kommt. Weil Glukose osmotisch wirksam ist,
zieht es vermehrt Flüssigkeit aus dem Gewebe, die dem Körper dann
über die Niere verloren geht. Symptome sind daher starker Durst, eine
hohe Urinausscheidung und eine trockene Haut. Unbehandelt kann der
Blutzucker immer weiter steigen und schließlich ein lebensbedrohliches
diabetisches Koma auslösen. Außerdem führen hohe Werte langfristig
zu Gefäß- und Nervenschäden, erhöhen das Risiko von Herzinfarkten
und Schlaganfällen und können Nieren- oder Augenschäden verursachen.
Der Begriff Diabetes mellitus stammt aus dem Griechischen und

Diabetes
bedeutet „honigsüßer Durchfluss“. Im Mittelalter diagnostizierten
Ärzte die Krankheit aufgrund des süßen Uringeschmacks. Heute stehen
Praxis
dafür Schnelltests zur Verfügung. Auch den Blutzuckerwert kann heute
jeder medizinische Laie – mithilfe kleiner Geräte – leicht selbst aus
einem Bluttropfen bestimmen. Ärzte messen außerdem bestimmte

Foto: Andrea Müller


Langzeitwerte, wie das HbA1, die Rückschluss über den durchschnitt-
lichen Blutzucker der vergangenen Wochen liefern.
Zu einem Diabetes kommt es zum Beispiel, wenn die Bauch-
speicheldrüse kein oder nicht mehr genug Insulin produziert. Dieses

Doppelt
Fotos: © S.Kobold/Photographee.eu/rkris/Fotolia.com

Hormon ist dafür zuständig, den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu
schleusen. Typ-1-Diabetes entsteht durch einen Autoimmunprozess,

gefährdet der die Insulin-produzierenden Betazellen in den Langerhansschen


Inseln der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) zerstört. Warum das Immun-
system die Zellen angreift, ist bisher nicht bekannt. Experten vermuten,
Demenz und Diabetes Eine Demenzdass unter anderem bestimmte Infektionen eine Rolle spielen. Bei dem
und ein Diabetes mellitus sind bereits Typ-2-Diabetes hingegen bildet die Bauchspeicheldrüse zwar Insulin.
isoliert betrachtet schwerwiegende Es verliert aber zunehmend seine Wirksamkeit.
Erkrankungen. Beide zusammen in den Während Typ-1-Diabetes die Lebensgewohnheiten nach dem
Griff zu bekommen, stellt eine immense heutigen Wissensstand keine Rolle spielen, begünstigen den Typ-
Herausforderung dar. Die Betroffenen2-Diabetes bestimmte Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel
benötigen eine individuelle Therapie, und eine ungesunde Ernährung.
die kontinuierlich zu überprüfen und
anzupassen ist.

Von Katja Hodeck

Wir sind an Ihrer Seite

Leitfaden zur Injektion


bei Diabetes mellitus

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ad Tip
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Leitfaden zur Injektion

Z
bei Diabetes mellitus
Die Empfehlungen für die
Welche Nadeln verwenden? wischen der Demenz
Insulininjektion
Health Care Professionals

sind aus-und dem Diabetes mellitus www.vdbd.de


Typ 2 besteht ein direkter Zusammenhang: Wer
führlich in einer Broschüre
ut gliedert sich in drei Schichten: Epidermis einen Diabetes aufweist, hat im Vergleich zu stoffwech-
des Verbands für Diabetes-
ut), Dermis (Lederhaut) und Subkutis (Unter- selgesunden Menschen ein 1,5- bis zweifach erhöhtes
Qualifizierte Aktuelle Individuelle Hilfe für

beratungs- und Schulungs-


Mitglieder Fort- und Weiterbildung Menschen mit Diabetes

Demenzrisiko (Deutschl et al. 2016, Cheng/Huang et al.


ür die Insulininjektion muss die Kutis (Epidermis berufe (VDBD) veröffent-
2012, Bahrmann et al. 2012). Etwa jeder vierte Demenz-
mis) überwunden werden, um in das subkutane licht worden. Die gedruckte Version kann beim
patient weist zusätzlich einen Diabetes auf (Meyer 2017).
VDBD gegen eine Gebühr von 3,50 Euro bestellt
zu gelangen. Fachleute gingen lange davon aus,
werden: VDBD Geschäftsstelle, Habersaathstr. 31,
Dicke des Hautgewebes je nach Body-Mass-In- Frühzeitig Hilfe anbieten
10115 Berlin. Ein kostenfreier Download der PDF-
ersgruppe, Geschlecht und geografischer Her- Version istDiabetes
unter folgendem Link möglich:
Demenz und – beide Krankheiten zusammen in
on Mensch zu Mensch unterschiedlich ausfällt. denhttps://vdbd.de/Downloads/VDBD-Leitfaden_zur_
Griff zu bekommen, stellt für alle Beteiligten eine
er Information ausgehend, wurden bei Patienten Injektion_2016.pdf
besondere Herausforderung dar. Um frühzeitig Unter-
betes mellitus Pen- und Injektionsnadeln in un- stützung anbieten zu können, sollte bei allen Personen
dlichen Längen eingesetzt, die zwischen 5,0 und mit Diabetes aufmerksam auf kognitive Veränderungen
llimetern variierten. geachtet werden – auch wenn diese bislang keine Ein-
schränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit zeigen.
e Vorgehensweise ist aus heutiger Sicht als veral- Da intramuskuläre Injektionen bei Diabetes-melli-
Dies gilt umso mehr, wenn weitere diabetesbeding-
betrachten, denn neue Erkenntnisse aus Ultra- tus-Patienten
te Risikofaktorenaufgrund
für eineder Gefahr
Demenz von Hypoglykämien
vorliegen. Hierzu
nd MRT-Messungen belegen zwar unterschied- grundsätzlich zu vermeiden
zählen die arterielle sind,diesollen
Hypertonie, bei Kindern
Hyperlipopro - kei-
ärken des subkutanen Gewebes, aber eine fast neteinämie Nadeln sowie
zurmikro- und makrovaskuläre
Anwendung kommen, die Erkrankun-
länger sind als
che Kutisdicke von 1,9 bis 2,4 Millimetern. gen. So ist beispielsweise das Alzheimer-Risiko
6,0 Millimeter (31/32 G), und bei Erwachsenen keineum das
Dreifache erhöht, wenn Patienten gleichzeitig einen
dieser Erkenntnis leiten sich neue Empfehlun- Nadeln, die länger sind als 8,0 Millimeter (30/31 G).
Diabetes und eine arterielle Hypertonie aufweisen
die Insulininjektion ab: Um das Ziel zu erreichen, Medizinisches
(Luchsinger Personal sollte grundsätzlich Sicher-
et al. 2005). Ausgewählte Fachartikel und Interviews
ulinwirkstoff zuverlässig ohne Rückfluss aus der heitskanülen verwenden, um Nadelstichverletzungen zu
stelle bei möglichst geringen Beschwerden in 34
das vermeiden. Verschiedene Hersteller bieten Sicherheitska-
aus den letzten drei Jahren inklusive
ne FettgewebeDie Schwester Dergelten
zu bringen, Pfleger 55. Jahrg.
kürzere und 5|16
nülen an, die für den einmaligen Gebrauch in stationären
Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 12|17
Literaturangaben zur weiterführenden Recherche.
45
Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 12|17

Nadeln von 4,0 (32–34 G) bis 6,0 Millimetern und ambulanten Pflegeeinrichtungen sowie im Kranken-
G) für Patienten heute als verträglicher (4). haus bestimmt sind (Abb. 1).

ster Der Pfleger 56. Jahrg. 6|17 39

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michael.kraemer@bibliomed.de
Inhaltsverzeichnis

1 Diabetes mellitus: Neue Empfehlungen für die Insulininjektion


Eine internationale Expertengruppe hat neue Empfehlungen für die Insulininjektion formuliert.
Die Empfehlungen wurden mittlerweile auch als deutschsprachige Broschüre veröffentlicht.
Der Artikel fasst die wichtigsten Inhalte zusammen.
Von Andrea Müller (06/2017)

2 Diabetologische Pflege: „Jeder Pflegende sollte über Diabeteswissen verfügen“


Wir sprachen mit Diabetes-Expertin Katja Hodeck über pflegerische Besonderheiten
bei Diabetes, neue Therapiemöglichkeiten und die Notwendigkeit eines Diabetespflege-
Qualitätsmanagements.
Von Stephan Lücke (01/2015)

3 Typ-1-Diabetes bei Kindern: Den Diabetes managen


Die Zahl der Diabetiker im Kindes- und Jugendalter steigt. Betroffene müssen lebenslang konsequente
Maßnahmen durchführen, um ihren Blutzucker in Grenzen zu halten. Spezialisierte Diabeteszentren richten
ihren Fokus vor allem darauf, die Familien bestmöglich anzulernen und psychisch zu stärken.
Von Dorothess Schulte (05/2016)

4 Das dibetische Fußsyndrom: Den Druck nehmen


Eine besonders gefährliche Folge einer Diabeteserkrankung ist der diabetische Fuß. Im schlimmsten
Fall droht eine Amputation. Durch eine sachgerechte Therapie unter Mitarbeit des Betroffenen und
eine gute Fußpflege lässt sich diese Komplikation oft verhindern.
Von Kerstin Protz (02/2018)

5 Demenz und Diabetes: Doppelt gefährdet


Demenz und Diabetes mellitus sind bereits isoliert betrachtet schwerwiegende Erkrankungen.
Beide zusammen in den Griff zu bekommen, stellt eine immense Herausforderung dar. Die Betroffenen
benötigen eine individuelle Therapie, die kontinuierlich zu überprüfen und anzupassen ist.
Von Katja Hodeck (12/2017)

6 Mundpflege bei Diabetes-Patienten: Oralen Komplikationen vorbeugen


Ein Diabetes mellitus geht oft mit entzündlichen Erkrankungen der Mundhöhle einher.
Um gefährliche Folgeerscheinungen zu verhindern, muss die Mund- und Zahnpflege
besonders sorgfältig erfolgen.
Von Dr. Anja Ratzmann (01/2015)
Neue Empfehlungen
für die Insulininjektion
Diabetes mellitus Eine internationale Expertengruppe hat neue Empfehlungen
für die Insulininjektion formuliert, die auf dem Kongress FITTER (Forum for Injection
& Therapie Expert Recommendation) in Rom vorgestellt wurden. Die Empfehlungen
sind mittlerweile auch als deutschsprachige Broschüre veröffentlicht worden.
Dieser Artikel fasst die wichtigsten Inhalte zusammen.

Von Andrea Müller

L ipohypertrophien sind bei Patienten mit Diabetes


mellitus ein häufig zu beobachtendes Phänomen.
Diese gutartigen, übermäßigen Wucherungen des Unter-
hautfettgewebes treten bei rund 40 Prozent der Betroffe-
Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus welt-
weit zu verbessern und Handlungssicherheit für medizi-
nische Fachpersonen zu erbringen. Eine Projektgruppe
führte 2014 und 2015 eine systematische Literaturre-
nen auf (1, 2). Sie sind maßgeblich darauf zurückzufüh- cherche mit Stichworten wie Insulin, Insulininjektion
ren, dass bei der Insulininjektion die Kanülen und Ein- und Injektionstechnik durch.
stichstellen nicht regelmäßig gewechselt wurden. In Darüber hinaus wurde eine Fragebogen-Studie
Kombination mit der wachstumsfördernden Wirkung durchgeführt, an der 13 264 insulinspritzende Menschen
des Insulin kommt es so zu diesen Fettgewebeverände- mit Diabetes mellitus aus 42 Ländern teilnahmen. Zu-
rungen. Sie treten überwiegend am Bauch und an den sätzlich zu den Patientendaten wurden die Sichtweisen
Oberschenkeln auf – also an Körperstellen, an denen In- und Erfahrungen von Diabetesberatern erfasst. Eine
sulin meist verabreicht wird. Lipohypertrophien können internationale Expertengruppe traf sich im Abstand von
als sichtbare Erhebungen auftreten und sind als gummi- 18 Monaten in Workshops, um die aktuelle Literatur zu
artige oder verhärtete Hautveränderung tastbar. sichten und Relevanzkriterien zu erarbeiten.
Lipohypertrophien führen aufgrund ihrer unvorteil- Auf dieser Grundlage wurden Empfehlungen ver-
haften ästhetischen Auswirkungen oft zu einem enormen fasst, die von 183 Experten aus 54 Ländern überprüft
Leidensdruck der Patienten. Hinzu kommen erhebliche und gemeinschaftlich beschlossen wurden. Die Ergebnis-
medizinische Konsequenzen: Injektionen in lipotrophier- se aus den vier Workshops wurden im Oktober 2015 in
te Stellen führen nachweislich zu Resorptionsverzögerun- Rom auf dem Kongress FITTER (Forum for Injection
gen des Insulins (3). Die Folge sind erhöhte Blutzucker- Technique & Therapy Expert Recommendations) 1 000
werte und -entgleisungen. Online-Teilnehmern vorgestellt. Der Verband für Diabe-
tes-Beratungs- und Schulungsberufe (VDBD) hat die
183 Experten beschlossen Empfehlungen Empfehlungen übersetzt und in einer kompakten Bro-
schüre zusammengefasst. Sie kann beim Verband gegen
Diese schwerwiegenden Erkenntnisse motivierten Ex- eine geringe Gebühr bestellt oder online heruntergeladen
perten aus der Diabetologie zu einem Projekt, um die werden (siehe Kasten).

Produkt Nadellänge (mm) Nadelstärke (mm) Gauge (G)


BD Autoshield® Duo 5 mm, 8 mm 0,30 mm 30 G
BD Safe Assist® 5 mm, 8 mm 0,30 mm 30 G
Mylife Clickfine AutoProtect® 5 mm, 8 mm 0,25 mm, 0,33 mm 31 G, 29 G
Novofine Autocover® 8 mm 0,30 mm 30 G

Abb. 1
Übersicht an Sicherheitskanülen

38 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 6|17


Praxis

Foto: Andrea Müller


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Leitfaden zur Injektion


bei Diabetes mellitus

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Leitfaden zur Injektion
bei Diabetes mellitus
Die Empfehlungen für die
Welche Nadeln verwenden? Insulininjektion sind aus-
Health Care Professionals

www.vdbd.de

führlich in einer Broschüre


Die Haut gliedert sich in drei Schichten: Epidermis des Verbands für Diabetes-
(Oberhaut), Dermis (Lederhaut) und Subkutis (Unter-
Qualifizierte Aktuelle Individuelle Hilfe für

beratungs- und Schulungs-


Mitglieder Fort- und Weiterbildung Menschen mit Diabetes

haut). Für die Insulininjektion muss die Kutis (Epidermis berufe (VDBD) veröffent-
und Dermis) überwunden werden, um in das subkutane licht worden. Die gedruckte Version kann beim
VDBD gegen eine Gebühr von 3,50 Euro bestellt
Gewebe zu gelangen. Fachleute gingen lange davon aus,
werden: VDBD Geschäftsstelle, Habersaathstr. 31,
dass die Dicke des Hautgewebes je nach Body-Mass-In- 10115 Berlin. Ein kostenfreier Download der PDF-
dex, Altersgruppe, Geschlecht und geografischer Her- Version ist unter folgendem Link möglich:
kunft von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausfällt. https://vdbd.de/Downloads/VDBD-Leitfaden_zur_
Von dieser Information ausgehend, wurden bei Patienten Injektion_2016.pdf
mit Diabetes mellitus Pen- und Injektionsnadeln in un-
terschiedlichen Längen eingesetzt, die zwischen 5,0 und
12,7 Millimetern variierten.
Diese Vorgehensweise ist aus heutiger Sicht als veral- Da intramuskuläre Injektionen bei Diabetes-melli-
tet zu betrachten, denn neue Erkenntnisse aus Ultra- tus-Patienten aufgrund der Gefahr von Hypoglykämien
schall- und MRT-Messungen belegen zwar unterschied- grundsätzlich zu vermeiden sind, sollen bei Kindern kei-
liche Stärken des subkutanen Gewebes, aber eine fast ne Nadeln zur Anwendung kommen, die länger sind als
einheitliche Kutisdicke von 1,9 bis 2,4 Millimetern. 6,0 Millimeter (31/32 G), und bei Erwachsenen keine
Aus dieser Erkenntnis leiten sich neue Empfehlun- Nadeln, die länger sind als 8,0 Millimeter (30/31 G).
gen für die Insulininjektion ab: Um das Ziel zu erreichen, Medizinisches Personal sollte grundsätzlich Sicher-
den Insulinwirkstoff zuverlässig ohne Rückfluss aus der heitskanülen verwenden, um Nadelstichverletzungen zu
Einstichstelle bei möglichst geringen Beschwerden in das vermeiden. Verschiedene Hersteller bieten Sicherheitska-
subkutane Fettgewebe zu bringen, gelten kürzere und nülen an, die für den einmaligen Gebrauch in stationären
dünnere Nadeln von 4,0 (32–34 G) bis 6,0 Millimetern und ambulanten Pflegeeinrichtungen sowie im Kranken-
(31/32 G) für Patienten heute als verträglicher (4). haus bestimmt sind (Abb. 1).

Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 6|17 39


Praxis

Insulingruppe Firma
Novo Nordisk Sanofi Lilly Berlin-Chemie B. Braun
Normalinsuline Actrapid® Insuman Huminsulin Berlinsulin B. Braun
Wirkbeginn: nach15 Min. Rapid® Normal® Normal® Ratiopharm
Wirkmaximum: nach 2 Std. Normal®
Wirkdauer: 4–6 Std.
Spritz-Ess-Abstand: 15–30 Min.

Schnellwirkende Novo Rapid® Apidra® Humalog® Liprolog®


Analoginsuline
Wirkbeginn: nach ca. 10 Min.
Wirkmaximum: nach 1 Std.
Wirkdauer: 3–4 Std.
Spritz-Ess-Abstand: ca. 10 Min.

Ultraschnellwirkende Fiasp®
Analoginsuline
Wirkbeginn: sofort
Wirkmaximum: nach 1 Std.
Wirkdauer: 3–4 Std.
Spritz-Ess-Abstand: 2 Min. vor
und ca. 20 nach der Mahlzeit

Basalinsuline Protaphane® Insuman Huminsulin Berlinsulin B. Braun


(Verzögerungsinsulin mit NPH) Basal® Basal® Basal® Ratiopharm®
Wirkbeginn: nach 2 Std.
Wirkmaximum: nach 4–6 Std.
Wirkdauer: 8–12 Std.

Langwirkende Analoginsuline Levemir® Lantus® Tujeo® Abaglasar®


Wirkbeginn: nach 2 Std.
Wirk- kein Wirk- kein Wirk-
maximum: maximum, maximum,
nach 8 Std., Wirkdauer: Wirkdauer:
Wirkdauer: nach ca. nach
12–17 Std. 24 Std. ca. 24 Std.

Mischinsuline Actraphane Insuman Profil III® Berlinsulin B. Braun


(Normalinsulin und NPH 30® Comb 25® 30/70® Ratiopharm®
anteilig gemischt)
Wirkbeginn: nach 20–30 Min.
Wirkmaximum: nach 2–8 Std.
Wirkungsdauer: ca. 12 Std.
Spritz-Ess-Abstand: 20–30 Min.

Analog-Mischinsuline Novo Mix 30® Humalog Liprolog


(Schnelle Analoginsuline & Mix 25® Mix 25®
NPH anteilig gemischt)
Wirkbeginn: nach ca. 10 Min.
Wirkmaximum: nach 2–8 Std.
Wirkungsdauer: ca. 12 Std.
Kein Spritz-Ess-Abstand

Abb. 2
Übersicht der Insulingruppen und die entsprechenden erhältlichen Insulinpens
Hinweis: Die Farben entsprechen den Farben der Insulinpens

Patienten sollten diese Sicherheitskanülen nur in be- nen Wirkeintritt. Eine Übersicht der Insulingruppen und
gründeten Einzelfällen und nur nach Schulung für die entsprechenden auf dem Markt erhältlichen Insulinpens
Selbstinjektion nutzen, zum Beispiel bei Nadelphobien zeigt Abbildung 2. Nach FITTER werden der Bauch
und Infektionserkrankungen wie HIV, Hepatitis B und und die Flanken als Injektionsorte empfohlen (Abb. 3).
C (4) sowie bei Sehbehinderungen. Die Beschreibung des Bauchareals als Injektionsort
reicht von einem Zentimeter über der Schambeinfuge bis
Injektionsorte nach Schema wechseln zu einen Zentimeter unter der untersten Rippe. Der Ab-
stand zum Nabel bei der Injektion soll einen Zentimeter
Die Auswahl des Injektionsorts richtet sich im Wesent- betragen (4). Beim Bauch handelt es sich um eine
lichen nach der Insulingruppe und dem damit verbunde- „schnelle Spritzstelle“. Insuline, die zu den Mahlzeiten

40 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 6|17


Praxis

von der Wirkung schnell verfügbar sein müssen – zum


Beispiel schnellwirkende Insuline –, werden bevorzugt in
diesen Bereich gespritzt.
Bei den Flanken ist das obere Drittel der Außensei-
ten beider Oberschenkel und der hintere seitliche Be-
reich beider Gesäßhälften gemeint (4). Bei den Flanken
handelt es sich um „langsame Spritzstellen“. Das Ein-
bringen von langwirkenden Insulinen wie Verzögerungs-
insulinen sollte bevorzugt in diesen Bereich erfolgen.
Injizierbare Antidiabetika werden ebenfalls am Bauch
oder an den Flanken gespritzt. Die Studienlage gibt kei-
ne Auskunft über die Wirksamkeit der beiden Injekti-
onsbereiche.
Besonderheiten bestehen bei Mischinsulinen, also
schnellwirkenden Humaninsulinen oder Analoginsuline Abb. 3
Empfohlene Injektionsorte
gemischt mit dem Verzögerungsstoff NPH (Neutrales
Quelle: BD
Protamin Hagedorn). Um hier die Aufnahmegeschwin-
digkeit des Gewebes für Insulin zu nutzen, gilt die Emp-
fehlung: Das Mischinsulin morgens in den Bauch und Bei diesem Injektionsort wird keine Hautfalte gebildet
abends in Oberschenkel oder in das Gesäß injizieren. und es kommen vier Millimeter lange Pennadeln zum
Eine Injektion in den Oberarm als mittelschnelle Re- Einsatz.
sorptionsstelle wird wegen des Risikos einer intramusku-
lären Injektion nur unter Vorbehalt empfohlen. Sichere Spritzstellen vor Injektion begutachten
Injektionen in den mittleren, hinteren Bereich des
Oberarms können mit Fremdhilfe – zum Beispiel über Die Injektionsstellen müssen vor jeder Injektion begut-
Angehörige – oder über medizinisches Personal erfolgen. achtet werden, um dann über die Nadellänge, den Ein-

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Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 6|17 41


Praxis

stichwinkel und die Bildung einer Hautfalte zu entschei- Die vier Millimeter lange Nadel muss senkrecht in
den. Bei der Überlegung, eine Hautfalte zu bilden, geht die Haut eingestochen werden – ohne eine Hautfalte zu
es nicht um das Vorhandensein von mehr oder weniger bilden, um in das Subkutangewebe zu gelangen. Bei einer
Subkutangewebe, sondern um die zu verwendende Na- Nadellänge von fünf Millimetern kann bei Erwachsenen
dellänge und den Einstichwinkel. auf eine Hautfalte verzichtet werden, bei Kindern und
Sicherheitskanülen, die von medizinischem Personal Jugendlichen sollte in eine Hautfalte injiziert werden. Bei
verwendet werden, sind mit einer Länge von fünf und einer Nadellänge von sechs bis acht Millimetern wird bei
acht Millimeter erhältlich. Für Kinder und Jugendliche Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen immer eine
sollten Sicherheits-Penkanülen mit einer Länge von fünf Hautfalte gebildet.
Millimetern und für Erwachsene in einer Länge von fünf Die Einstichtiefe im 45-Grad-Winkel bei einer
oder acht Millimetern verwendet werden. Sechs-Millimeter-Nadel beträgt vier Millimeter und
sollte bei Kindern bis zum Alter von sechs Jahren und bei
sehr schlanken Erwachsenen nicht angewendet werden.
Bei einer Nadellänge von sechs Millimetern kann ohne
Schritt für Schritt: Ablauf der Injektion von Hautfalte und bei einer Länge von acht Millimetern mit
Insulinen und injizierbaren Antidiabetika in Hautfalte, bei Erwachsenen an den Flanken – Ober-
stationären Einrichtungen schenkel und Gesäß – im 45-Grad-Winkel injiziert wer-
Quelle: (4) den.
1. Injektionsstelle auswählen und mit Hautdesinfektions- Sicherheitskanülen sind von den Firmen für einen
mittel einsprühen. Wichtig: Die Einstichstellen sind senkrechten Einstich konzipiert. Deshalb ist bei einer
bei jeder Injektion im Abstand von zwei bis drei Nadellänge von acht Millimetern immer auf das Bilden
Zentimetern zu wechseln. Der Injektionsbereich wird einer Hautfalte zu achten – oder es muss eine Fünf-Mil-
wöchentlich gewechselt – zum Beispiel linker und limeter-Nadel verwendet werden. Sollte der Oberarm als
rechter Oberschenkel. Injektionsstelle gewählt werden, ist immer eine Hautfalte
2. Injektionsstelle überprüfen – es erfolgt keine Injektion – durch eine zweite Person – zu bilden. Eine korrekte
in Hämatome, Narben, Leberflecke oder lipohyper- Hautfalte wird locker gehalten und nicht zu fest zusam-
trophierte Hautveränderungen mengedrückt.
3. Richtige Nadellänge auswählen. Medizinisches Der Leitfaden zur Injektion bei Diabetes mellitus
Personal verwendet grundsätzlich Einweg-Sicher-
enthält auch Hinweise zum Umgang mit Insulin. Bei
heitskanülen.
der Lagerung von Insulinen sind die Hersteller-Emp-
4. NPH- und Mischinsuline – erkennbar an der trüben
Farbe – durchmischen (20-mal schwenken).
fehlungen zu beachten. Grundsätzlich sollten Tempera-
5. Insulinmengen über 20 IE sollten wegen der Gefahr turen von unter zwei Grad Celsius und über 30 Grad
des Rückflusses aus der Einstichstelle gesplittet Celsius vermieden werden. Gefrorene Insuline verlieren
werden. Wenn beispielsweise um 22 Uhr 28 IE eines ihre Wirksamkeit; bei Lagertemperaturen über 30 Grad
Basalinsulins verabreicht werden, sollte dieses auf Celsius und nach Verfall des Haltbarkeitsdatums nimmt
zwei gleich große Mengen – 14 IE und 14 IE – die Wirksamkeit ab. Das Insulin wird seitlich in der
auf zwei Spritzstellen aufgeteilt werden. Kühlschranktüre oder im Gemüsefach bei zwei bis acht
6. Schutzkappe entfernen, neue Kanüle aufschrauben Grad Celsius aufbewahrt. Angebrochene oder unge-
7. Bei allen Kanülen erfolgt vor der Injektion eine kühlte Insuline können bis zu vier Wochen verwendet
Funktionskontrolle des Insulinpens und ein Entfernen werden. Kaltes Insulin sollte vor der ersten Injektion die
des Luftreservoirs aus der Nadel. Hierzu am Dosier- Raumtemperatur bei etwa 21 bis 25 Grad Celsius an-
fenster des Pens 2 IE einstellen und Dosierknopf
nehmen.
durchdrücken, bis Insulin austritt.
8. Insulindosis einstellen.
9. Falls nötig, Hautfalte bilden. (1) De Coninck, F.A. et al. (2010): Results and analysis oft the
10. Gleichmäßiges, zügiges und vollständiges Einstechen 2008–2009 Insulin Injection Technique Questionaire survey. J Diabetes,
der Pennadel. 2: 168–179
11. Wirkstoff gleichmäßig und langsam injizieren. Hierzu (2) Schmeisl, G.W.; Drobinski, E. (2009): Koinzidenzen: Injektionsge-
wohnheiten, Lipohypertrophien, Glukoseschwankungen. Diabetes &
Dosierknopf vollständig eindrücken, bis Anzeige auf Stoffwechsel/Herz 18: 251–258
„0“steht. Die Nadel dabei nicht tiefer in das Hautareal (3) Famulla, S. et al. (2016): Insulin Injection Into Lipohypertrophic Tis-
eindrücken und langsam bis zehn zählen. Danach die sue: Blunted and More Variable Insulin Absorption and Action, and Im-
Pennadel herausziehen und erst dann die Hautfalte paired Postprandial Glucose Control. Diabetes Care 39: 1486–92
(4) Cureu, B. et al. (2016): Leitfaden zur Injektion bei Diabetes mellitus.
lösen. Health Care Professionals. VDBD, 9–63
12. Gebrauchte Sicherheits-Penkanülen gemäß der
Hygienebestimmungen sicher entsorgen.
13. Überprüfen der Einstichstelle – bildet sich zum
Beispiel ein Hämatom aufgrund einer Verletzung Andrea Müller, M.Sc., ist Diabetes-Pflege-
und Gesundheitswissenschaftlerin, Diabetes-
eines kleinen Hautgefäßes, wird dies in der beraterin DDG und Gesundheits- und Kranken-
Patientenakte dokumentiert. pflegerin am Klinikum Fürth.
Mail: andrea.s.e.mueller@googlemail.com

42 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 6|17


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Pflegeschwerpunkt Diabetisches
Fußsyndrom: Eine sorgfältige
Fußbeobachtung und -pflege ist
in der Diabetespflege essentiell

Beispiel für Qualität in der


Diabetespflege: Um Blutzucker-
Fotos: M. Glauser

werte korrekt einzuschätzen,


brauchen Pflegende individuelle
Zielgrößen

14 Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 1|15


Top-Thema

„JEDER PFLEGENDE
SOLLTE ÜBER DIABE TESWISSEN
VERFÜGEN“
Diabetologische Pflege. Diabetes mellitus ist eine komplexe Erkrankung,
die mit vielen Gefährdungen für Patienten einhergeht. Mit Expertin Katja Hodeck,
Leiterin der Diabetespflege-Akademie in Berlin, sprachen wir über Besonderheiten
in der Pflege, neue Therapiemöglichkeiten und die Notwendigkeit eines
Diabetespflege-Qualitätsmanagements.

Interview mit Katja Hodeck

Frau Hodeck, warum ist Diabetes len richtig, aber häufig wird verges-
mellitus ein so wichtiges Thema für sen, dass die Gründe für diese Pfle-
die Pflege? geprobleme auch ein schlecht einge-
Ein Grund ist allein die hohe Präva- stellter Diabetes sein kann. In dieser
lenz: In der stationären und ambu- Hinsicht ist es höchst problematisch,
lanten Pflege ist jeweils ein Drittel dass gerade stark pflegebedürftige
der Patienten von Diabetes betrof- Menschen kaum Zugang zu spezia-
fen. In Einzelberichten werden sogar lisierter diabetologischer Fachkom-
Werte von bis zu 50 Prozent ge- petenz haben.
nannt. Bei älteren Patienten im
Krankenhaus ist von ähnlichen Zah- Pflegende übernehmen hier also
len auszugehen. Zudem ist die Dun- eine Schlüsselfunktion …
kelziffer sehr hoch. Diabetes mellitus Definitiv. Gerade bei sehr hilfebe-
ist gerade auch deswegen ein wichti- dürftigen Patienten schlagen Pfle-
ges Pflegethema, weil es sich um eine gende die Brücke zwischen dem
komplexe Erkrankung handelt und Arzt und anderen Versorgern. Inso-
Katja Hodeck ist Leiterin der
besonders hochaltrige Betroffene fern können sie deutlich dazu beitra- Diabetespflege-Akademie des IIGM –
mit ohnehin geschwächter Immun- gen, eine für den Patienten bestmög- Institut für Innovatives Gesundheits-
abwehr vielfältig gefährdet sind. In- liche Versorgungssituation zu schaf- management in Berlin. Sie ist
kontinenz, Sturz, Mobilität, Wun- fen. Aufgrund der Komplexität des Fachbuchautorin und Referentin
zu Themen des Diabetes-Pflege-
den, Mundhygiene, Hautzustand – Krankheitsbildes brauchen sie dafür qualitätsmanagements.
das sind Beispiele für Bereiche, bei ein tiefes diabetologisches Verständ- Kontakt: k.hodeck@iigm.de
denen sich der Diabetes zusätzlich nis, um die Gesamtsituation ein-
nachteilig auswirkt, und das wird schätzen zu können und mit anderen
vielfach noch zu wenig wahrgenom- Professionen wie Diabetologen und
men und beachtet. Kognitive Ein- Podologen auf Augenhöhe zusam-
schränkungen oder der Verlust an menzuarbeiten.
Selbstständigkeit werden oft zu stark
vorrangig auf das hohe Lebensalter Was sind die wesentlichen Schwer-
zurückgeführt – das ist in vielen Fäl- punkte in der Diabetes-Pflege?

Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 1|15 15


In der Akutsituation müssen Pfle- wird. Grundsätzlich sollten pH- Kommen wir auf ein weiteres wich-
gende die Symptomatik von Über- Wert-neutrale Waschzusätze zum tiges Thema zu sprechen: die Er-
und Unterzuckerung sowie Notfall- Einsatz kommen, weil diese die nährung. Müssen sich Diabetespa-
maßnahmen sicher beherrschen. Das Haut am wenigsten austrocknen. tienten grundsätzlich einschränken
ist trotz Ausbildung nicht immer der Ganz wichtig ist auch ein sorgfälti- und auf Genussmittel verzichten?
Fall. Hierbei ist zu beachten, dass ges Abtrocknen, besonders in den Ganz klar nein. Bei hochaltrigen Pa-
sich diabetesspezifische Symptome Zehenzwischenräumen. Zudem ist tienten gilt: Die Diabetestherapie
bei älteren Patienten anders zeigen auf eine angemessene Fußbeklei- sollte sich an den individuellen Er-
können als bei jüngeren und sich dung zu achten. Socken, Schuhe und nährungsgewohnheiten des Patien-
auch im Laufe der Zeit verändern. Hausschuhe sollten grundsätzlich ten orientieren und nicht umge-
Pflegende brauchen ein gutes Ge- passgenau und keinesfalls zu eng kehrt. Das Wichtigste bei dieser Pa-
spür dafür, inwieweit der Patient sein. tientengruppe ist, eine adäquate
selbst noch in der Lage ist, diese Ver- Nährstoffversorgung mit Kohlenhy-
änderungen wahrzunehmen und Eincremen ist vorteilhaft? draten, Vitaminen und Eiweiß si-
Hilfsbedarf zu artikulieren. Zudem Eincremen ist immer gut, weil es die cherzustellen. Dies wirkt in Verbin-
ist immer auf stoffwechselbeeinflus- Haut geschmeidig hält. Diabetische dung mit einem leichten Körpertrai-
sende Faktoren wie zum Beispiel Haut trocknet schnell aus und wird ning dem sogenannten Frailty-Syn-
Veränderungen in der Ernährung, rissig. Hautläsionen erhöhen wieder- drom entgegen, also der altersbe-
bei Medikamenten oder beim Bewe- um die Gefahr von Infektionen. dingten, chronisch herabgesetzten
gungsverhalten zu achten. Auch Harnstoffhaltige Pflegeprodukte Belastbarkeit bei vermindertem
Stress oder leichte Infekte können bieten einen guten Schutz vor Tro- Kraftzustand. Auf alle Bereiche der
von Bedeutung sein. Im Pflegepro- ckenheit. Wichtig ist, die Socken Gebrechlichkeit nimmt der Diabetes
zess ist das Diabetische Fußsyndrom erst anzuziehen, wenn die Creme in Einfluss. Um der für den Stoffwech-
ein ganz wichtiger Schwerpunkt. die Haut eingezogen ist. Sonst kann sel ungünstigen Abwärtsspirale ent-
Hier ist eine gute Fußbeobachtung besonders zwischen den Zehen gegenzuwirken, ist auf eine gesunde
und -pflege das A und O. leicht ein feucht-warmes Milieu ent- und abwechslungsreiche Ernährung
stehen, was ein idealer Nährboden – wie bei jüngeren Menschen auch –
Worauf muss hier geachtet wer- für Pilzinfektionen darstellt. zu achten. Die Vorstellung, dass sich
den? Diabetespatienten beim Essen be-
Zunächst sollte bei jeder Patienten- Sollte die Nagelpflege stets Sache schränken müssen, ist im höheren
aufnahme eine dezidierte Fußanam- des Podologen sein? Alter überholt. Es ist wesentlich
nese erfolgen. Pflegende verschaffen Vorteilhaft ist es schon, wenn die sinnvoller, von individuellen Ge-
sich hierbei ein allgemeines Bild Nägel vom Podologen versorgt wer- wohnheiten wie dem Stück Torte am
vom Fuß und achten auf Risikofak- den. Denn diese Berufsgruppe ver- Sonntagnachmittag zu wissen und die
toren wie Neuropathie, periphere ar- fügt über das nötige Know-how. Therapie entsprechend anzupassen.
terielle Verschlusskrankheit, Defor- Grundsätzlich gilt: Nägel von Dia-
mitäten sowie ausgeheilte oder akute betespatienten sollten aufgrund der Gibt es Handlungsempfehlungen
Wunden und Amputationen. Ein Verletzungsgefahr nicht geschnitten, für die Versorgung von Diabetes-
besonderes Augenmerk ist auf den sondern nur gerade und nicht zu Patienten mit Demenz?
Hautzustand zu legen: trockene kurz gefeilt werden. An den Nagel- Hauptprobleme bei demenzerkrank-
Haut, Risse, Einblutungen, Druck- enden sollte nicht zu tief gefeilt wer- ten Diabetespatienten sind eine un-
stellen, Blasen, Pilz – jede Abwei- den, um das Einwachsen der Nägel kontrollierte Ernährung sowie Um-
chung vom Normalzustand sollte zu vermeiden. herwandern und starker Bewegungs-
Beachtung finden und sofort in eine drang. Denn dies sind stoffwechsel-
Folgebehandlung münden, um wei- Abgesehen von der Fußpflege: Wel- wirksame Faktoren, die eine Über-
tere Komplikationen zu vermeiden. che Besonderheiten bestehen bei der oder Unterzuckerung begünstigen
Grundpflege noch? können. Ein weiteres relevantes Pfle-
Was ist beim Waschen der Füße zu Patienten sollten möglichst nicht zu geproblem ist die bei Demenz häufig
beachten? lange baden oder duschen, um den vorkommende Verweigerungshal-
Das Wasser darf nicht zu heiß sein, natürlichen Hautschutz zu erhalten. tung, da dies vor allem die medika-
weil sonst Verbrühungsgefahr be- Zudem ist es für Patienten vorteil- mentöse Therapie erschwert. De-
steht. Aufgrund der Neuropathie haft – wenn man das An- und Aus- menz ist in der Diabetespflege per se
können Diabetespatienten die Tem- kleiden zur Grundpflege dazurech- ein schwieriges Themenfeld und ei-
peratur des Wassers oft nicht realis- net –, auf synthetische Kleidungsstü- ne Wunderpille gibt es nicht. Es
tisch einschätzen. Zudem sollten cke zu verzichten. So kann Schweiß- können aber bestimmte Empfehlun-
Fußbäder nicht zu lange dauern, da bildung vermieden werden. Sinnvoll gen ausgesprochen werden.
die Haut dann zu sehr aufweicht und ist nicht zu enge, atmungsaktive
die natürliche Schutzfunktion der Kleidung. Strümpfe sollten täglich Können Sie diese bitte kurz zusam-
Haut in Mitleidenschaft gezogen gewechselt werden. menfassen?

16 Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 1|15


Es ist sinnvoll, möglichst frühzeitig Es gibt ständig Neuerungen hin- Gerät für die Pflege künftig eine
bestimmte Routinen einzuführen, an sichtlich der medikamentösen The- spannende Ergänzung sein. Darüber
die sich der kognitiv eingeschränkte rapie und bei Hilfsmitteln. Einen hinaus gibt es im Bereich der Hilfs-
Patient gewöhnen kann, zum Bei- Überblick über die neuen Medika- mittel ständig Weiterentwicklungen
spiel im Bereich der Fußkontrolle mente zu behalten ist nicht leicht. der Blutzuckermessgeräte und Pens.
und -pflege. Zudem sollte die beste- Viele neue Medikamente kommen
hende Therapie so lange wie mög- eher bei jüngeren Patienten zum Können Sie hier eine Empfehlung
lich fortgeführt werden. Denn Ver- Einsatz, sodass Pflegende diesen in aussprechen?
änderungen sind für Menschen mit der Praxis seltener begegnen. Bei den Nein, es kommt immer auf die je-
Demenz bekanntermaßen kontra- Hilfsmitteln gibt es ein Leuchtturm- weilige Therapie und die Bedürfnis-
produktiv. Ein weiterer wichtiger projekt, das in der Fachwelt für Fu- se des Patienten an. Für blinde Per-
Bereich ist das Schmerzmanage- rore gesorgt hat: der sogenannte In- sonen gibt es zum Beispiel Messge-
ment. Denn wenn ein demenzkran- supad. Es handelt sich um ein klei- räte mit Sprachfunktion oder für Pa-
ker Patient eine Schmerzsymptoma- nes Gerät, das direkt auf die Haut tienten mit Sehbeeinträchtigung
tik aufgrund einer diabetischen Neu- des Patienten aufgesetzt wird. Durch Geräte mit großem Display und gro-
ropathie oder Parodontose hat, soll- elektrische Reizung wird die Haut- ßen Zahlen.
ten Pflegende über Instrumente und durchblutung stimuliert. Insulin soll
Interventionsmöglichkeiten verfü- so besser vom Körper aufgenommen Vor zwei Jahren haben Sie Deutsch-
gen, diese Schmerzen zu erkennen, werden. Das Gerät ist noch recht lands erste und bislang einzige Dia-
einzuschätzen und zu behandeln. neu und es gibt bislang wenige Stu- betespflege-Akademie gegründet.
dien. Erste Ergebnisse legen aber die Ist eine solch spezialisierte Bil-
Ein anderes Thema: Gibt es Neue- Vermutung nahe, dass der Insupad dungseinrichtung wirklich notwen-
rungen in der ärztlichen Diabetes- tatsächlich eine bessere Diabetesein- dig?
therapie, die für Pflegende wichtig stellung und geringere Insulinmen- Ja, das zeigt uns die Erfahrung der
zu wissen sind? gen ermöglicht. Insofern könnte das vergangenen Jahre. Als wissenschaft-

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Therapieren mit Unterdruck


In der Versorgung von großen Defektwunden oder
Wundinfekten ist die Unterdruck-Therapie
als Therapie-Möglichkeit nicht mehr wegzudenken
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tiefere Gewebeschichten kann die Unterdruck-Therapie die ideale Thera-
pieform der Wunde nach einem Debridement sein. Bisher musste jedoch
beim Anlegen eines Unterdruckverbands an den Extremitäten mühsam und
mit großem zeitlichen Aufwand abgeklebt sowie nach Leckagen gesucht
werden. Das zeitaufwendige vollflächige Abkleben mit Folie entfällt nun
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le Frage, weil man hierfür eigentlich pflege-Qualität. Das bekommt das Kraft – aber jeder Mitarbeiter sollte
eine theoretische Fundierung Haus nicht bezahlt, aber im Sinne für seinen Aufgabenbereich über ein
bräuchte. Diese fehlt aber, weil der der Prävention ist das ein ganz wich- angemessenes Fundament an Diabe-
Bereich der diabetologischen Pflege tiger Punkt. Das hebt eine Einrich- teswissen verfügen. Sollten hier De-
noch recht jung ist. Daher beziehen tung schon positiv von anderen ab. fizite bestehen, bieten sich systema-
wir uns im Diabetespflege-Quali- tische Fortbildungen, Schulungen
tätsmanagement vorrangig auf Er- Was kann eine Einrichtung tun, um oder eventuell auch E-Learning an.
kenntnisse des diabetologischen, und ihre Diabetespflege-Qualität zu ver- Weitere wichtige Punkte, um die
damit ärztlichen Bereichs. Diese ver- bessern? Diabetespflege-Qualität zu verbes-
suchen wir für die Pflege zu trans- Ein guter Anfang ist immer ge- sern, sind regelmäßig stattfindende
portieren und damit handhabbar zu macht, wenn man sich einen Über- Fallbesprechungen und eine gute
machen. blick verschafft, wo man momentan Zusammenarbeit mit externen Part-
steht. Sonst kann eine Einrichtung nern. Die Versorgung sollte optima-
Was bedeutet das konkret? Änderungen nicht systematisch und lerweise ineinander verzahnt erfol-
Qualität in der Pflege von Diabetes- strukturiert voranbringen. Wenn klar gen, da man so das für den Patienten
patienten betrifft zunächst einmal ist, was die Ziele sind und wo Defizi- beste Ergebnis und ein möglichst
die Frage, wie die ärztliche Diabetes- te vorliegen, muss die Einrichtung hohes Maß an Lebensqualität er-
therapie von der Pflege begleitet Prioritäten setzen. Grundsätzlich zielt. Und das ist schließlich das, wo-
wird. Ein Qualitätsparameter wäre wichtig ist aber immer die Diabetes- rum es in der Diabetespflege zualler-
beispielsweise, ob individuelle Ziel- kompetenz. Jeder Pflegende, der erst geht.
werte für den Blutzucker vorliegen. Diabetespatienten betreut, sollte
In der Praxis ist es ja oft so, dass der über sicheres Diabeteswissen verfü- Frau Hodeck, vielen Dank für dieses
Blutzucker gemessen wird und gar gen. Natürlich muss der Pflegehelfer Gespräch.
keine Referenzgröße vorliegt. Dann nicht über das gleiche Maß an Fach-
wird es für die Pflege natürlich wissen verfügen wie eine examinierte Das Interview führte Stephan Lücke.
schwierig, die Therapie angemessen
zu begleiten. Denn sie können gar
nicht einschätzen, ob die Werte des
Patienten akzeptabel sind. Qualität
in der Diabetespflege beinhaltet also gesundheitskongresse.de
unter anderem das Vorhandensein
von Zielwerten beziehungsweise
Sorge dafür zu tragen, welche zu be-
kommen.

Was sind weitere Qualitätspara-


meter?
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gerade bei älteren Patienten Symp-
tomfreiheit und Freiheit von Akut- 30. und 31. Januar 2015
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ßen. Diabetesassoziierte Klinikein-
weisungen und Notfallaufnahmen
sollten möglichst nicht vorkommen.
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Das Beobachten und Abtasten von · Pflegemanagement-Kongress
Spritzstellen sowie die Fußkontrol- · Pflegebildung
len sind weitere wichtige Themen. · Pflegepraxis aktuell
Die Liste lässt sich natürlich weiter
ergänzen: intakte Haut, gesunde
Mundflora, Schmerzfreiheit. Das al-
les sind Ziele, die mit einer guten Weitere Informationen:
Pflege erreichbar sind und zu einer 030 / 827 87 – 5513
guten Versorgung des Patienten bei-
tragen. Um es mal an einem prakti- andrea.tauchert@springer.com
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die Tatsache, dass eine Pflegeein-
richtung täglich auf die Füße bei ei-
nem Diabetespatienten schaut,
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DEN DIABETES MANAGEN
Typ-1-Diabetes bei Kindern. Die Zahl der Diabetiker im Kindes- und
Jugendalter steigt. Betroffene müssen lebenslang konsequente Maßnahmen
durchführen, um ihren Blutzucker in Grenzen zu halten. Spezialisierte Diabetes-
zentren richten ihren Fokus vor allem darauf, die Familien bestmöglich
anzulernen und psychisch zu stärken.

Von Dorothee Schulte

A
Viel Wissen erforderlich
Für Kinder mit Diabetes und ihre Familien gibt
uf dem Schrank direkt neben der Küchentür der es eine Menge zu lernen. Sie müssen wissen,
Familie W. liegt ein kleines Heft. Darin stehen wie Insulin wirkt, was Broteinheiten sind
die Blutzuckerwerte und die gespritzten Insulin-Dosen und wie die Insulindosis entsprechend der
Ernährung berechnet wird. Sie müssen lernen,
von Timon. Seit etwa zwei Jahren weiß der heute Sechs- den Blutzucker zu messen und Insulin zu
jährige, dass er an Typ-1-Diabetes leidet (siehe Kasten). verabreichen. Und sie müssen wissen, was im
Schon einige Monate zuvor war seiner Mutter aufgefal- Falle einer Über- und Unterzuckerung zu tun ist
len, dass der Junge mehr Durst hatte als gewöhnlich und
dass er wieder anfing, ins Bett zu machen. Der Kinder-
arzt wies in seinem Urin zunächst Glukose nach – ein
Zeichen für einen zu hohen Blutzuckerwert, weil die
Niere bei normalen Werten keinen Zucker ausscheidet.
Doch eine Kontrolluntersuchung gab wieder Entwar-
nung. „Da hat die Bauchspeicheldrüse vorübergehend kliniken. Dann gelte es, ihnen die Angst zu nehmen und
nochmal ausreichend Insulin produziert“, erklärt Andreas geduldig zu erklären, dass man mit Diabetes heute ganz
W., der Vater von Timon. Die ganze Familie kennt sich gut leben könne. Seit 26 Jahren arbeitet die 56-Jährige
inzwischen gut aus mit der Krankheit. bereits auf der Station und hat in dieser Zeit unzählige
„Fit gemacht“ hat sie auch das Team vom Diabetes- Kinder mit der Krankheit „großwerden“ sehen. Denn die
zentrum der Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Patienten kommen nicht nur nach der Diagnosestellung,
Margaret. Etwa ein halbes Jahr nach den ersten Sympto- sondern im Verlauf auch zu weiteren Schulungen und
men stellte Timons Kinderarzt die Diagnose und wies mitunter mit Blutzuckerentgleisungen oder zur Therapie
ihn in die Klinik ein. Im Rahmen des stationären Auf- anderer Erkrankungen.
enthaltes stand neben der Einstellung seines Blutzuckers Tatsächlich stehen den Betroffenen heute gute Be-
durch eine Insulintherapie die Aufklärung der Familie im handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zwar ist der
Vordergrund. „Wir kannten Diabetes zu diesem Zeit- Typ-1-Diabetes bis heute nicht heilbar, wenn auch viele
punkt nur im Zusammenhang mit älteren Menschen“, Forschungsansätze, wie die Transplantation von Insulin-
erzählt Andreas W., „in der Klinik haben meine Frau und produzierendem Inselgewebe, einen Weg dafür suchen.
ich viele Gespräche geführt und uns mit dem Thema Dennoch haben Typ-1-Diabetiker heute durch gut
auseinandergesetzt.“ verträgliche synthetische Insuline und technische Hilfs-
Wie gut die Familien betroffener Kinder mit der mittel, wie leicht händelbare Blutzucker-Messgeräte,
chronischen Erkrankung zurechtkommen, hängt wesent- Insulinpumpen und Pens gute Voraussetzungen, trotz
lich von der ersten Zeit nach der Diagnosestellung ab. den Umständen eine gute Lebensqualität zu erreichen
„Viele Eltern fühlen sich überfordert und weinen erst und durch konsequente Messungen und entsprechende
einmal viel“, erzählt Martina Meuren, Kinderkranken- Insulingaben gefährliche Entgleisungen und langfristige
schwester auf der Station A der Darmstädter Kinder- Folgeschäden zu verhindern.

44 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 5|16


Pflegen + Unterstützen

Diabetes mellitus – der „honigsüße Durchfluss“


Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der
es zu einem Anstieg der Glukose (Traubenzucker, unser wichtigster
Energielieferant) im Blut kommt. Weil Glukose osmotisch wirksam ist,
zieht es vermehrt Flüssigkeit aus dem Gewebe, die dem Körper dann
über die Niere verloren geht. Symptome sind daher starker Durst, eine
hohe Urinausscheidung und eine trockene Haut. Unbehandelt kann der
Blutzucker immer weiter steigen und schließlich ein lebensbedrohliches
diabetisches Koma auslösen. Außerdem führen hohe Werte langfristig
zu Gefäß- und Nervenschäden, erhöhen das Risiko von Herzinfarkten
und Schlaganfällen und können Nieren- oder Augenschäden verursachen.
Der Begriff Diabetes mellitus stammt aus dem Griechischen und
bedeutet „honigsüßer Durchfluss“. Im Mittelalter diagnostizierten
Ärzte die Krankheit aufgrund des süßen Uringeschmacks. Heute stehen
dafür Schnelltests zur Verfügung. Auch den Blutzuckerwert kann heute
jeder medizinische Laie – mithilfe kleiner Geräte – leicht selbst aus
einem Bluttropfen bestimmen. Ärzte messen außerdem bestimmte
Langzeitwerte, wie das HbA1, die Rückschluss über den durchschnitt-
lichen Blutzucker der vergangenen Wochen liefern.
Zu einem Diabetes kommt es zum Beispiel, wenn die Bauch-
speicheldrüse kein oder nicht mehr genug Insulin produziert. Dieses
Fotos: © S.Kobold/Photographee.eu/rkris/Fotolia.com

Hormon ist dafür zuständig, den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu
schleusen. Typ-1-Diabetes entsteht durch einen Autoimmunprozess,
der die Insulin-produzierenden Betazellen in den Langerhansschen
Inseln der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) zerstört. Warum das Immun-
system die Zellen angreift, ist bisher nicht bekannt. Experten vermuten,
dass unter anderem bestimmte Infektionen eine Rolle spielen. Bei dem
Typ-2-Diabetes hingegen bildet die Bauchspeicheldrüse zwar Insulin.
Es verliert aber zunehmend seine Wirksamkeit.
Während Typ-1-Diabetes die Lebensgewohnheiten nach dem
heutigen Wissensstand keine Rolle spielen, begünstigen den Typ-
2-Diabetes bestimmte Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel
und eine ungesunde Ernährung.

Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 5|16 45


Ganz normale Kinder ter zu wechseln und zu den Mahlzeiten und bei Bedarf
Boli zu geben. Ohne Pumpe müssen sie das synthetische
Je schneller die Familien die Krankheit akzeptieren, desto Hormon entsprechend mehrmals täglich injizieren.
eher seien sie offen für die notwendigen Maßnahmen. Typ-1-Diabetes kann zwar prinzipiell in jedem Alter
Etwa zehn bis 14 Tage bleiben die Kinder nach der Erst- auftreten, gehäuft erkranken aber Kinder, Jugendliche
diagnose in der Klinik, je nach Alter in Begleitung eines und junge Erwachsene. Vor allem bei Kleinkindern steigt
Elternteils. Bei Timon fiel der Aufenthalt 2013 sogar die Zahl der Neuerkrankungen. Je nach Alter bei der
über Weihnachten. Da habe die Station einen Baum auf- Manifestation gibt es laut Kempe Besonderheiten. So
gestellt und die Familie mitsamt Timons älterem Bruder seien Kleinkinder in ihrem Essverhalten oft schwer kal-
und Großeltern zusammen gefeiert, erzählt der Vater. kulierbar. Auf ein „Ich habe einen Riesenhunger“ seien
Alles sollte so normal wie möglich weiterlaufen, damit sie manchmal trotzdem schon nach wenigen Löffeln satt.
das Kind nicht das Gefühl bekommt, etwas Schlimmes Da mache es unter Umständen Sinn, das Insulin erst
sei eingetreten. Zwar seien in der ersten Zeit bei seiner nach dem Essen zu spritzen. „Grundschulkinder sind
Frau schon ab und an ein paar Tränen geflossen, erinnert hingegen in der Regel sehr gut zu händeln“, erzählt Kem-
sich Andreas W. Doch Timon habe davon nichts mitbe- pe. Sie würden sich über kleine Trostgeschenke freuen
kommen. „Du bist ein ganz normaler Junge“, habe der und seien stolz, wenn sie den Blutzucker selbst messen.
Vater ihm erklärt, „nur produziert dein Körper kein Insulin Außerdem seien die Eltern „dicht dabei“.
mehr, aber dafür hast du jetzt deine Pumpe als Freund.“
Schon von Anfang an habe der damals Vierjährige Kein Platz mehr für Diabetes
seinen Blutzucker selbst gemessen. „Wir lernen Kinder
etwa ab drei Jahren dazu an“, sagt die Kinderkranken- Das ändere sich aber gewöhnlich in der Jugend. „Puber-
schwester Meuren, „zuerst führen wir ihnen die Hände, tierende wollen autonom sein und ihre Eltern nicht mehr
später machen sie das ganz allein.“ Wenn ein Patient das immer mit im Boot haben“, erzählt sie. Hinzu kämen
nicht wolle, dann müssten die Eltern das übernehmen. weitere Schwierigkeiten. Teenager haben ein starkes
Manchen falle der Stich in den Finger zunächst schwer. Bedürfniss, nicht anders zu sein als ihre Freunde. Heran-
Die Kinder können das dann an einem großen Teddy, die wachsende machen oft erste Erfahrungen mit Alkohol-
Eltern an sich selbst ausprobieren. „Mit der Zeit ist das in konsum. „Besonders in Verbindung mit Tanzen kann das
der Regel kein Problem mehr“, so Meuren. zu Unterzuckerung führen“, so Kempe. Denn wenn die
Etwa 250 Kinder und Jugendliche mit Diabetes mel- Leber mit dem Abbau des Alkohols beschäftigt sei,
litus im Quartal behandelt und betreut das Zentrum. Mit vermindere das die Zuckerneubildung, und durch die Be-
zum Team gehören neben Pflegekräften und Ärzten auch wegung verbrauche der Körper viel Energie. Auch wollen
Fachpsychologen für Diabetes und Diabetesberaterin- Jugendliche möglichst frei von Zwängen, ungeplant in
nen. Die Kinderkrankenschwester Stephanie Kempe hat den Tag leben und unbeschwert sein. „Diabetes und
sich schon in den 1990ern von der Deutschen Diabetes Pubertät, das passt nicht zusammen“, sagt Kempe.
Gesellschaft zur Beraterin ausbilden lassen, dann das Auch eine Reihe anderer Faktoren erschweren das
Zentrum mit aufgebaut und schult seither die stationären Management. Bereits bestehende Probleme in der Fami-
und ambulanten kleinen Patienten, ihre Eltern, aber auch lienstruktur ließen oft nicht ausreichend Platz für den
Erzieher und Lehrer. Diabetes. So seien etwa berufstätige Mütter auf ein gutes
Netzwerk und die Kooperation der Erzieher in Kinder-
Eltern benötigen viel gärten angewiesen, so die Beraterin.
medizinisches Know-how
„Hypomännchen“ zeigt Symptome
Mindestens 30 Stunden Unterricht bekommen die Fami-
einer Unterzuckerung
lien als Grundschulung im Rahmen des stationären Auf-
enthaltes nach der Diagnosestellung. „Sie müssen bei der Damit die Familien auch in schwierigen Situationen
Entlassung in der Lage sein, den Diabetes zu managen“, bestmöglich zurechtkommen, bietet das Zentrum ihnen
erzählt sie. Dazu gehören unter anderem ein gutes Ver- eine Reihe von Unterstützungen, darunter Schulungen
ständnis der Krankheit und der medizinischen Zusam- wie „Fit für die Schule“, in dem die Diabetesberaterinnen
menhänge, was eine Unterzuckerung und eine Überzu- Kindern Tipps geben, wie sie ihren Freunden erklären
ckerung bedeuten und welche Maßnahmen sie erfordern. können, was an ihnen besonders ist, und wann sie etwa
„Sie müssen wissen, wie Insulin wirkt, welche Lebens- im Kindergarten einer Erzieherin Bescheid sagen müs-
mittel sie abwiegen müssen, was Broteinheiten sind und sen. Um die körperlichen Symptome einer Unterzucke-
wie die Insulindosis entsprechend der Ernährung berech- rung anschaulich zu erklären, hängt im Zentrum ein von
net wird“, zählt Kempe auf, „und sie müssen den Blut- Kindern gemaltes „Hypomännchen“, mit den zu den ver-
zucker messen und Insulin verabreichen lernen.“ Klein- schiedenen Körperstellen gehörenden Erscheinungen.
kinder bekommen in der Regel von der Krankenkasse eine Timon kennt sich inzwischen schon so gut damit aus,
Pumpe bezahlt, die ihren Körper kontinuierlich mit In- dass er eine Unterzuckerung schon bei noch fast norma-
sulin versorgt. Dann ist es Aufgabe der Eltern, die Kathe- len Werten spürt. „Er hat dann ein komisches Gefühl

46 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 5|16


und kann das schon selbst managen“, erzählt sein Vater. Das Beste daraus machen
Einmal habe er angerufen und gesagt: „Mama, ich hab 65
gehabt und zwei Traubenzucker gegessen.“ Timon steht die Pubertät noch bevor. Doch sein Vater
Trotzdem müssen auch Erzieher und Lehrer ent- will es gelassen angehen. Es gebe Dinge, sagt er, die
sprechend über die Erkrankung Bescheid wissen. Timons könne man nicht beeinflussen. Die müsse man hin-
Vater hat das tatkräftig selbst in die Hände genommen, nehmen und das Beste draus machen. Nur ein einziges
einen Vortrag im Kindergarten seines Sohns gehalten Mal habe Timon bisher gesagt, er wolle kein Diabetiker
und die wichtigsten Punkte schriftlich zur Verfügung mehr sein. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich das
gestellt. Das Zentrum bietet ebenfalls regelmäßig ent- zwar nicht aussuchen könne, aber dass es auch nichts
sprechende Kurse. Schlimmes sei“, erzählt Andreas W. Die Familie hat den
Auch für ältere Kinder gibt es dort Angebote. Im Diabetes von Timon akzeptiert und die notwendigen
„Wake up“-Kurs finden Jugendliche verständnisvolle, Maßnahmen in ihren Alltag integriert.
professionelle Gesprächspartner für ihre Probleme und Doch trotz aller Konsequenz: Nicht immer gelingt es,
bleiben schon mal eine gewisse Zeit danach mit anderen die Blutzuckerwerte in einem „normalen“ Bereich zu
Betroffenen über eine WhatsApp-Gruppe in Ver- halten. Aber starke Abweichungen über einen längeren
bindung. Mit dem Workshop 16+ möchte das Zentrum Zeitraum und damit Folgeschäden zu vermeiden, „dafür
die Heranwachsenden schließlich an ihre Zukunft als geben wir alles“, so der Vater.
Erwachsene heranführen. Dort besprechen die Berate-
rinnen allgemeine Fragen, wie „Wie lief es bisher?“ oder
„Wo siehst du dich in der Zukunft?“. Aber auch konkrete Dorothee Schulte ist Krankenschwester und
Themen, zum Beispiel Sexualität und Schwangerschaft, Wissenschaftsjournalistin. Sie schreibt schon
kommen zur Sprache. Mit den Eltern bleibt das Team seit vielen Jahren für Die Schwester Der Pfleger.
Mail: doro.schulte@gmx.de
ebenfalls weiter in Kontakt und bespricht die anfallenden
Probleme und bietet psychologische Unterstützung.

Die medizinisch wirksame Salbe


gegen das Hand-Fuß-Syndrom.

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Den Druck nehmen


Das diabetische Fußsyndrom Eine besonders gefährliche Folge einer
Diabeteserkrankung ist der diabetische Fuß. Im schlimmsten Fall droht eine
Amputation. Durch eine sachgerechte Therapie unter Mitarbeit des Betroffenen
und eine gute Pflege der Füße lässt sich diese Komplikation oft verhindern.

Von Kerstin Protz

I n Deutschland sind über sechs


Millionen Menschen an Diabetes
mellitus erkrankt. Jährlich gibt es
zirka 300 000 Neuerkrankungen. Ei-
gen und Infektionen oberhalb des
Sprunggelenks amputiert (Major-
amputation). Hinzu kommen knapp
30 000 Minoramputationen.
tionen. Die Erkrankung ist gekenn-
zeichnet durch lang anhaltende, ho-
he Blutzuckerwerte. Diese sind ur-
sächlich für Folgeschäden an Gefäß-
ne Folge ist das diabetische Fußsyn- und Nervensystem.
drom (DFS), das eine Vielzahl von Ursachen des diabetischen Die Hauptursachen für das Dia-
pathologischen Veränderungen auf- Fußsyndroms betische Fußsyndrom sind zu etwa
grund einer Diabeteserkrankung zu- 50 Prozent die Polyneuropathie, zu
sammenfasst. Die schwerwiegends- Das diabetische Fußsyndrom um- etwa 15 Prozent die periphere arte-
ten Folgen sind Fußulzera, Infektio- fasst verschiedene krankhafte Verän- rielle Verschlusskrankheit (pAVK)
nen und Amputationen. Zwei bis derungen an den Füßen von Men- und zu etwa 35 Prozent eine Mi-
zehn Prozent aller Diabetiker entwi- schen mit Diabetes mellitus. Hierzu schung aus beiden. Bei der Polyneu-
ckeln im Laufe ihres Lebens ein gehören Nagelbettentzündungen, ropathie sind die sensorischen, mo-
Fußulkus. Jährlich werden 12 000 Pilzbefall, Fußdeformitäten bis hin torischen und autonomen Nervenfa-
Diabetespatienten hauptsächlich zum Zusammenbruch des Fußge- sern geschädigt. Typische Symptome
aufgrund von Durchblutungsstörun- wölbes, Infektionen und Fußulzera- sind Verhornungen (Hyperkerato-

28 Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 2|18


Praxis

Foto: Getty Images/Ocskaymark

Wichtiger Schutz
Eine gute Hautpflege, gutes Schuhwerk und eine regelmäßige Inspektion tragen wesentlich zur Vorbeugung bei

sen) an der Fußsohle sowie Horn- geschränkt oder gar nicht mehr und Läsionen sind meist äußert
hautschwielen an druckexponierten wahrgenommen. Dadurch erhöht schmerzhaft und bilden sich an den
Stellen. Zudem können sich Hüh- sich das Verletzungsrisiko. Der Be- äußeren Extremitätenenden, den
neraugen, Warzen oder Blasen aus- troffene nimmt den Fuß nicht mehr Zehen, aus.
bilden. Die Haut ist rosig, warm, tro- als Teil seines Körpers wahr. Dies be- Zur Klassifikation des neuropa-
cken und rissig (Rhagaden). Hinzu zeichnet der Dortmunder Diabeto- thisch-ischämischen diabetischen
kommt Pilzbefall an Nägeln und loge Dr. A. Risse als Leibesinsel- Fußes wird die kombinierte Eintei-
Haut. schwund. Aufgrund dieser gestörten lung nach Wagner-Armstrong ge-
Aufgrund der gestörten Nerven- Wahrnehmung bilden sich dort Ul- nutzt (Abb. 1).
versorgung ist ein normaler Abroll- zerationen oft unbemerkt aus und
vorgang beim Laufen nicht mehr werden bagatellisiert. Hinzu kommt, Umfassend behandeln
möglich. Der Betroffene geht wa- dass solchen Patienten oft ein
ckelig, unsicher und „wie auf Watte“. Krankheitsverständnis und somit die Die Behandlung der Ursachen, die
Eine dadurch bedingte Atrophie der Einsicht in die Notwendigkeiten der ein diabetisches Fußsyndrom auslö-
Fußmuskeln führt zur Ausbildung Therapie fehlen. sen, steht im Vordergrund der The-
von Krallen-/Hammerzehen, zu Ge- Bei der pAVK kommt es durch rapie. Hierzu zählt die Optimierung
lenkschwellungen, und es kann sich Verengungen und Verschlüsse der des Blutzuckers, das heißt regel-
ein Hohl-, Senk-, Spreizfuß entwi- Arterien zu einer Minderung oder mäßige Stoffwechselkontrollen und
ckeln. Die drastischste Folge ist der Unterbrechung des Blutflusses. Die die Therapie von internistischen
Zusammenbruch des Fußgewölbes Haut ist dünn, pergamentartig und Begleiterkrankungen. Der HbA1c-
(Charcot-Fuß). Die Haut reagiert blass-bläulich. Die Füße sind kalt Wert sollte bei Typ-2-Diabetes in-
auf die unphysiologische Druckbe- und meist unbehaart. Die Betroffe- nerhalb einer Spanne von 6,5 bis
lastung beim Laufen mit verstärkter nen klagen über Wadenkrämpfe und 7,5 Prozent liegen (AWMF 2013,
Hornhautausbildung. Unter der Schmerzen beim Laufen und kön- Nationale VersorgungsLeitlinie
Hornhaut kann es als Spätfolge zum nen nur noch kurze Gehstrecken zu- Therapie des Typ-2-Diabetes). Bei
sogenannten Mal perforans, einem rücklegen (Schaufensterkrankheit). Typ-1-Diabetes wird ein Wert un-
Druckulcus kommen. Nachts beziehungsweise im Liegen terhalb von 7,5 Prozent empfohlen
Zudem verursacht die Polyneu- tritt häufig ein Ruheschmerz auf, der (AWMF-Leitlinie Therapie des
ropathie Missempfindungen wie sich durch Heraushängen der Füße Typ-1-Diabetes, Deutsche Diabetes
Kribbeln, Taubheit oder ein Kältege- aus dem Bett bessert. Schmerzen, Gesellschaft 2011). Ein sorgfältig
fühl an warmen Tagen. Temperatu- Berührungen und Temperaturen geführter Diabetespass zeigt Verän-
ren und Schmerzen werden nur ein- werden normal empfunden. Wunden derungen auf.

Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 2|18 29


Praxis

Wagner- 0 1 2
Grad

Armstrong-Stadium
A Deformität oder Hyperkeratose, Oberflächliche Wunde Tiefes Ulcus bis zur Gelenkkap-
keine Läsion sel, zu Sehnen oder Knochen

B Mit Infektion Mit Infektion Mit Infektion


C Mit Ischämie Mit Ischämie Mit Ischämie
D Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie

Wagner- 3 4 5
Grad

Armstrong-Stadium
A Tiefes Ulcus mit Abszedierung, Vorfuß- oder Fersennekrose Nekrose des gesamten Fußes
Osteomyelitis, Infektion der
Gelenkkapsel

B Mit Infektion Mit Infektion Mit Infektion


C Mit Ischämie Mit Ischämie Mit Ischämie
D Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie

Abb. 1
Die Wagner-Armstrong-Klassifikation des neuropathisch-ischämischen diabetischen Fußes

Zudem sollten zeitnah eine Be- Wundauflagen mit Silber oder Poli- Hallux-Valgus-OP, Resektion des
handlung der pAVK durch Revasku- hexanid (PHMB) sowie hydrophobe Mittelfußknochens sowie Minor-
larisation, zum Beispiel Bypass, Ge- Produkte (Cutimed® sorbact), die oder Majoramputation notwendig.
fäßdilatation, Stent-Einlage, sowie Keime binden, zur Versorgung von Bei geplanten Amputationen ist
eine Infektionsbehandlung erfolgen. infizierten Wunden an. grundsätzlich eine Zweitmeinung
Lokale Infekte sind mit Lokalanti- Bei systemischen Infekten ist einzuholen!
septika zu therapieren, auf Basis von nach Antibiogramm-Bestimmung
Octenidin (z. B. Octenisept®) oder eine systemische Antibiotikagabe Druckentlastung: Eine wesentliche
Polihexanid (z. B. Serasept®). Neben abzuwägen. Beim Charcot-Fuß soll- Therapiemaßnahme ist die wirksa-
diesen flüssigen beziehungsweisen ten zeitnah chirurgische Maßnah- me Druckentlastung des betroffenen
halbfesten Wundantiseptika bietet men erfolgen. Zudem sind gegebe- Fußes. Eine neuere, effektive Me-
der Markt diverse antiseptische nenfalls weitere Operationen wie thode ist das Filzen. Hierbei werden

30 Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 2|18


Praxis

selbstklebende Filzplatten zur Ent- beugen, sind die Zehenzwischenräu- Exsudat als „Lite-Variante“ gut geeig-
lastung des Mal perforans individuell me auszusparen. Bei Pilzbefall ist der net. Aufgrund der trockenen, rissigen
zurechtgeschnitten und mit Fixier- Einsatz von Antimykotika nach der- Haut sollten Produkte ohne Klebeflä-
klebevlies appliziert. Dies gewähr- matologischer Abklärung erforder- chen oder gegebenenfalls mit haut-
leistet eine permanente Druckent- lich. Zur Vorbeugung von Mazeratio- freundlicher Silikonbeschichtung ge-
lastung, auch wenn der Betroffene nen im Zwischenzehenbereich eig- wählt werden. Eine Fixierung erfolgt
ohne entlastendes Schuhwerk nur nen sich transparente Hautschutzfil- durch locker angelegte, nicht ein-
barfuß oder auf Socken durch die me. Vor Applikation ist unbedingt ein schnürende elastische Mullbinden
Wohnung geht. Pilzbefall auszuschließen! und/oder einen Schlauchverband
Bei bereits bestehenden Defor- Tipp: Zum Schutz vor Druck (Achtung: keinen Druck auf den Ze-
mationen oder Ulzerationen ist eine und Feuchtigkeit, wie Schweiß und hen durch abschließende Drehungen
individuell angepasste orthopädische Wundexsudat, aber auch Pilzbefall provozieren!).
Schuhversorgung mit spezieller Fuß- lässt sich ein grob- und gemischt- Cave: Ein Einsatz von Hydro-
bettung erforderlich, zum Beispiel poriger, individuell zugeschnittener kolloidverbänden ist kritisch zu
mit diabetesadaptierter Weichbet- Polyurethanschaum (LIGASANO® sehen. Durch die Polyneuropathie
tung und Sohlenzubereitung, gege- weiß) verwenden, zum Beispiel in bemerken Patienten Entzündungs-
benenfalls mit Abrollhilfe. Als den Zehenzwischenräumen, aber zeichen oft nicht. Aufgrund des
Grundausstattung sind zwei Paar auch als Schutz eines Mal perforans, schlechteren Gasaustauschs bei die-
Straßen- und ein Paar Hausschuhe der Ferse oder der Knöchel. Zudem sen Produkten und gegebenenfalls zu
verordnungs- und erstattungsfähig. können einzelne Kompressenstreifen langer Wechselintervalle kann sich
Alle zwei Jahre können die Straßen- zum Schutz in die Zehenzwischen- unbemerkt eine Infektion ausbilden.
und alle vier Jahre die Hausschuhe räume gelegt werden, damit sich dort Zudem kann die Haut durch die
neu verordnet werden. kein Pilzbefall entwickelt oder sich Hydrokolloidklebeflächen weiter ge-
Zudem ist spezielles orthopädi- durch Aneinanderreiben der Zehen reizt werden.
sches Schuhwerk notwendig, zum Ulzerationen ausbilden. Die Kom-
Beispiel Orthesen, Total Contact presse sollte dabei nicht schlangen- Podologie: Bestandteil der soge-
Cast in Zwei-Schalen-Technik förmig durch die Zwischenräume nannten podologischen Komplexbe-
(TCC), orthetische Vakuum-Stütz- geführt werden. Sie würde die Zehen handlung sind regelmäßige Fuß-,
Systeme (z. B. VACO®ped Diabetic, unphysiologisch nach oben und un- Nagel-, Hautinspektion und -pflege,
AIRCAST® AIRSELECT® ELITE), ten beugen und Fehlstellungen un- die Behandlung krankhaft verdickter
Interimschuhe (z. B. VACO® paso terstützen. und eingewachsener Zehennägel
Free) oder Langzeitverbandschuhe. und das regelmäßige Abtragen der
Auch eine anfängliche Bettruhe so- Wundversorgung: Ein weiteres Au- Hornhaut. Betroffene sollten regel-
wie der Hilfsmitteleinsatz von Roll- genmerk liegt auf der lokalen Wund- mäßig – alle vier bis sechs Wochen –
stuhl oder Unterarmgehstützen situation. Zunächst wird per Wund- eine solche Behandlung wahrneh-
können eine Druckentlastung un- débridement, zum Beispiel chirur- men. Die Kostenübernahme erfolgt
terstützen. gisch, biochirurgisch, mechanisch für Wagner-Grad 0 durch die Kran-
Cave: Der Einsatz eines Vorfuß- oder autolytisch die Wunde von avi- kenkasse. Ab Wagner-Grad 1, das
entlastungsschuhs sollte nicht erfol- talem Gewebe gereinigt sowie Hy- heißt bei bestehenden Wunden, ist
gen! Über dessen keilförmige Aus- perkeratosen im Bereich von Wund- eine Behandlung von Hautdefekten
sparung im Vorfußbereich kann rand und -umgebung entfernt. Eine und Entzündungen sowie einge-
nicht abgerollt werden. Dennoch Ausnahme ist das arterielle oder ge- wachsenen Zehennägeln ärztliche
versucht der Betroffene, „normal“ mischt arteriell-neuropatische diabe- Leistung.
damit zu gehen. Das unsichere tische Ulcus mit trockener Nekrose.
Gangbild aufgrund der Neuropathie Solche Nekrosen sind erst im An- Interdisziplinäre und interprofessio-
wird noch verstärkt. Dadurch besteht schluss an eine erfolgreiche Revas- nelle Zusammenarbeit: Für die be-
ein erhöhtes Sturzrisiko. Aus dem kularisation oder zur Entlastung schriebenen, umfassenden Therapie-
Vorfußentlastungsschuh wird somit akuter Infektionen zu entfernen. Sie maßnahmen ist eine reibungslose
ein Vorfußbelastungsschuh! dürfen keinesfalls vor einem solchen Zusammenarbeit von vielen Berufs-
Eingriff angeweicht werden. Bis da- gruppen erforderlich, wie Internis-
Hautpflege: Die Haut des Betroffe- hin sind nur trockene Verbandwech- ten/Diabetologen, Gefäßchirurgen,
nen ist aufgrund der reduzierten sel durchzuführen! Angiologen, Dermatologen, Pflege-
Schweißproduktion schuppig und Nach ausführlicher Wundreini- fachkräften, Wundexperten, Podolo-
trocken. Daher ist diese mindestens gung folgt dann eine individuelle, gen, Diabetesberatern, Ernährungs-
einmal täglich mit Cremes oder phasenadaptierte Wundversorgung. beratern, Physiotherapeuten und
Schäumen, die schnell einziehen, auf Als Standardabdeckung gelten fein- Orthopädie-Schuhtechnikern. In
Wasser-in-Öl-Basis mit Feuchthalte- porige Polyurethanschaumverbände. Deutschland gibt es diverse speziali-
faktoren, wie Urea, zu pflegen. Um Diese sind für Wunden mit mittlerer sierte diabetische Fußnetze/-zentren
Mazerationen und Pilzbefall vorzu- Exsudation und für solche mit wenig sowie Fußsprechstunden und Diabe-

Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 2|18 31


Praxis

tesambulanzen. Eine zeitnahe Über- Rasierklingen, Nagelzwicker, Sche- sundheit, sondern auch für die Le-
weisung zum Spezialisten optimiert ren, Hornhaut- oder Hühneraugen- bensqualität und den Alltag der Be-
die Therapie und beugt einer Ver- pflaster nicht zu verwenden. troffenen darstellt, ist zuvor grund-
schlimmerung des Krankheitsbildes sätzlich eine Zweitmeinung in einem
vor. Unter spezialisierter Behand- Schuhe und Strümpfe: Schuhe soll- spezialisierten Gefäßzentrum einzu-
lung gibt es deutlich weniger Major- ten grundsätzlich abends gekauft holen. Experten diskutieren daher
amputationen, weniger stationäre werden, wenn die Füße dicker sind. ein verpflichtendes Zweitmeinungs-
Aufenthalte und weniger Komplika- Sie sollten aus weichem Leder sein, verfahren sowie ein Bonussystem für
tionen. über flache Absätze verfügen und eine Fußrettung.
keine drückenden Nähte und Ösen
Effektiv vorbeugen haben. Um Verletzungen zu vermei- AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissen-
schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaf-
den, ist auf einen gepolsterten Ein- ten. Patienten-Leitlinie zur Nationalen Versor-
Diabetesberater vermitteln Betroffe- schlupf sowie auf eine ausreichende gungsLeitlinie Typ-2-Diabetes Prävention und
Behandlungsstrategien für Fußkomplikatio-
nen und ihren Angehörigen durch Länge, Breite und Höhe zu achten.
nen. 2008
Schulungen allgemeine Informatio- Eine Pappschablone des eigenen Fu- AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissen-
nen zum Krankheitsbild, zur diabe- ßes kann beim Kauf als Orientierung schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaf-
ten. Nationale VersorgungsLeitlinie: Typ-
tesgerechten Ernährung und über- dienen. Bei Bedarf sind orthopädi- 2-Diabetes Präventions- und Behandlungs-
wachen therapeutische Maßnah- sche Maßschuhe erforderlich (siehe strategien für Fußkomplikationen. Version
men. Solche Schulungen sind halb- oben). Die Bestrumpfung sollte 2.8. 2010. AWMF-Leitlinien-Register Nr.
nvl/001c
jährlich verordnungs- und erstat- nahtlos, ohne einengende Bündchen AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissen-
tungsfähig. Sie befähigen Betroffene, und aus atmungsaktivem Material, schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaf-
Risikofaktoren und Anzeichen, die wie Mikrofaser, Wolle oder Baum- ten. Nationale VersorgungsLeitlinie: Therapie
des Typ-2-Diabetes. Version 3. 2013, geän-
der Entwicklung eines diabetischen wolle sein, um Verletzungen und dert April 2014. AWMF-Leitlinien-Register Nr.
Fußsyndroms vorausgehen, zu er- Pilzrisiken vorzubeugen. Das Tragen nvl/001 g
kennen und motivieren zu regelmä- von hellen Farben ist hilfreich, um Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und
diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe (2017):
ßigen Arztbesuchen. Zu den Inhal- mögliche Verletzungen zeitnah zu Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2017
ten gehören die regelmäßige, selbst- erkennen. – Die Bestandsaufnahme, Kirchheim + Co
ständige Blutzuckermessung, die GmbH Verlag, Mainz
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung
tägliche Selbstuntersuchung der Fü- Sonstiges: Aufgrund von Verbren- in der Pflege (DNQP) Hrsg. (2015): Experten-
ße sowie die Inspektion und Austas- nungsgefahr sollte der Betroffene standard Pflege von Menschen mit chroni-
schen Wunden, 1. Aktualisierung, Osnabrück
tung der Schuhe vor dem Anziehen. grundsätzlich auf die Verwendung
Hochlehnert D, Engels G, Morbach S (2014):
Zudem wird Wissen über eine sach- von Wärmflaschen und Heizdecken Das diabetische Fußsyndrom – Über eine En-
gerechte, verletzungsfreie Fußpflege verzichten. Zudem besteht eine Ver- tität zur Therapie, Springer-Verlag, Berlin Hei-
delberg
und zu einer angepassten Ernährung letzungsgefahr bei offenen Schuhen Protz K (2016): Moderne Wundversorgung,
vermittelt. oder Barfußlaufen, da mögliche Praxiswissen, 8. Auflage, Elsevier Verlag,
Fremdkörper nicht gespürt werden. München

Fußinspektion und -pflege: Bewe- Dieses Risiko besteht ebenfalls bei


gungseingeschränkte Patienten mit Bettbrettern. Daher sind diese, wenn
ausreichendem Sehvermögen kön- möglich, zu entfernen.
nen einen langstieligen Handspiegel
zur selbstständigen täglichen Fußin- Eine gute Fußpflege
spektion nutzen. Hierbei werden die
kann Leben retten
Füße auf Hühneraugen, Hornhaut,
Druckstellen, Einblutungen, Risse, Die Füße von Diabetikern sollten Kerstin Protz ist Krankenschwester,
Projektmanagerin Wundforschung
eingewachsene Zehennägel, Pilzbe- mindestens einmal jährlich ärztlich
CWC-Comprehensive Wound Center im
fall, Fuß- und Zehdeformitäten, Ver- untersucht werden. In spezialisierten Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf,
letzungen und Entzündungen begut- Diabeteszentren liegt die Rate an Vorstandsmitglied Wundzentrum
Hamburg e.V. und Referentin für
achtet. Die Reinigung der Füße er- Majoramputationen durch die Zu- Wundversorgungskonzepte.
folgt täglich mit pH-hautneutraler sammenarbeit der Berufsgruppen Mail: kerstin.protz@gmx.de
Waschlotion und einem weichen nach einheitlichen Standards bei 3,1
Waschlappen. Sie werden vorsichtig Prozent, hingegen in nicht-speziali-
und gründlich, insbesondere in den sierten Einrichtungen bei zehn bis
Zehenzwischenräumen, abgetrock- 20 Prozent. Nur jeder vierte Patient
net. Mittels Feile oder Bimsstein lebt nach so einem Eingriff noch
kann Hornhaut schonend entfernt länger als fünf Jahre, bei einer Mi-
werden. Optimal ist eine regelmäßige noramputation sind es hingegen bis
Fußpflege durch einen Podologen. zu 80 Prozent.
Cave: Aufgrund von Verlet- Da so ein Eingriff nicht nur eine
zungsgefahr sind Hornhauthobel, erhebliche Konsequenz für die Ge-

32 Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 2|18


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Doppelt
gefährdet
Demenz und Diabetes Eine Demenz
und ein Diabetes mellitus sind bereits
isoliert betrachtet schwerwiegende
Erkrankungen. Beide zusammen in den
Griff zu bekommen, stellt eine immense
Herausforderung dar. Die Betroffenen
benötigen eine individuelle Therapie,
die kontinuierlich zu überprüfen und
anzupassen ist.

Von Katja Hodeck

Z wischen der Demenz und dem Diabetes mellitus


Typ 2 besteht ein direkter Zusammenhang: Wer
einen Diabetes aufweist, hat im Vergleich zu stoffwech-
selgesunden Menschen ein 1,5- bis zweifach erhöhtes
Demenzrisiko (Deutschl et al. 2016, Cheng/Huang et al.
2012, Bahrmann et al. 2012). Etwa jeder vierte Demenz-
patient weist zusätzlich einen Diabetes auf (Meyer 2017).

Frühzeitig Hilfe anbieten


Demenz und Diabetes – beide Krankheiten zusammen in
den Griff zu bekommen, stellt für alle Beteiligten eine
besondere Herausforderung dar. Um frühzeitig Unter-
stützung anbieten zu können, sollte bei allen Personen
mit Diabetes aufmerksam auf kognitive Veränderungen
geachtet werden – auch wenn diese bislang keine Ein-
schränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit zeigen.
Dies gilt umso mehr, wenn weitere diabetesbeding-
te Risikofaktoren für eine Demenz vorliegen. Hierzu
zählen die arterielle Hypertonie, die Hyperlipopro-
teinämie sowie mikro- und makrovaskuläre Erkrankun-
gen. So ist beispielsweise das Alzheimer-Risiko um das
Dreifache erhöht, wenn Patienten gleichzeitig einen
Diabetes und eine arterielle Hypertonie aufweisen
(Luchsinger et al. 2005).

34 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 12|17


Praxis

Zudem ist bekannt, dass erhöhte Blutzuckerwerte auf


längere Sicht die kognitiven Fähigkeiten verschlechtern
können. Spezielle genetische Voraussetzungen verstärken
dieses Risiko nochmals. Insulinresistenz und Defizite in
der Insulinsekretion sind folgerichtig eigene Risikofakto-
ren für die Alzheimer-Demenz (Kopf 2009).
Auch der Depression kommt bei der Demenzent-
wicklung eine besondere Bedeutung zu. Sie ist bereits oh-
ne einen Diabetes als wichtiger Risikofaktor für demen-
tielle Syndrome und kognitive Störungen bekannt.
Interessant ist, dass die bei einer schweren Depression
nachweisbaren physiologischen Veränderungen auch im
Zusammenhang mit der Entwicklung eines metaboli-
schen Syndroms stehen. Einige Experten schließen daher
auf eine gemeinsame physiologische Grundlage von De-
pression, Demenz und Diabetes (Leonard 2007, Riederer
et al. 2011). Fakt ist: Menschen mit Diabetes sind dop-
pelt so häufig von Depressionen betroffen wie Stoff-
wechselgesunde.
Um kognitive Defizite möglichst früh zu erkennen,
sollten die bei Diabetespatienten ohnehin empfohlenen
Augenuntersuchungen unbedingt wahrgenommen wer-
den. Veränderungen im Zusammenhang mit den Netz-
hautgefäßen sind häufig mit Einschränkungen der Ko-
gnition verbunden.

Individuelle und flexible


Therapie erforderlich
Um einen Diabetes erfolgreich behandeln zu können, ist
bei den Patienten ein hohes Maß an Motivation, kogniti-
ver Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Konzentra-
tion vorauszusetzen. Hierzu sind Menschen mit kogniti-
ven Einschränkungen häufig nicht in der Lage. Für diese
Patienten ist die Therapie und Pflege individuell zu ge-
stalten und situationsgerecht anzupassen. Oberste Ziele
sind eine größtmögliche Lebensqualität, Sicherheit und
Symptomfreiheit.
Die Vermeidung von Unterzuckerung hat in der Dia-
betesbehandlung demenzkranker Personen Priorität.
Aber auch lange Phasen von Überzuckerung sollten
nicht die Regel sein, weil die typischen Symptome wie
Konzentrationsschwäche, Abgeschlagenheit, Infektions-
anfälligkeit und schlechte Wundheilung die Betroffenen
unnötig belasten. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft
(DDG) empfiehlt für Menschen im höheren Alter einen
Blutzuckerzielkorridor von 150 bis 180 mg/dl. Starke
Blutzuckerschwankungen sind grundsätzlich zu vermei-
den, weil diese glukoseempfindliche Organe wie die
Netzhaut des Auges schädigen können.
Es sollte darauf geachtet werden, möglichst früh die
Anforderungen der Diabetestherapie an die sukzessive
nachlassenden Fähigkeiten des Patienten anzupassen.
Foto: mauritius images / BSIP / B. BOISSONNET

Vereinfachungen der Insulintherapie, etwa durch eine


Umstellung auf weniger verschiedene Insulinarten,
überschaubare Insulinschemata und Gedächtnishilfen,
verringern die Verwechslungsgefahr und das Risiko für
Fehldosierungen und Doppelinjektionen.

Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 12|17 35


Praxis

Foto: Getty Images/Wavebreakmedia


Foto: Martin Glauser

1 Bewegung aktiv fördern: Der demenztypische


Bewegungsdrang ist sowohl für den Diabetes
als auch für die Demenz förderlich und sollte
nicht unterbunden werden

2 Grundsätzlich sollte bei Diabetespatienten


darauf geachtet werden, dass die Mahlzeiten
optisch ansprechend, schmackhaft und
abwechslungsreich sind
1 3
Foto: Getty Images/Steve Debenport
3 Unter den oralen Antidiabetika ist Metformin
bei ausreichender Nahrungszufuhr die erste Wahl

Neuerungen können Demenzpatienten verwirren tung, eine leitliniengerechte Diabetestherapie mit den
und die Gesamtsituation verschlechtern. Insofern kann es Möglichkeiten des Alltags zu verbinden, zunehmend bei
hilfreich sein, frühzeitig Rituale zu etablieren, die für die den Pflegefachpersonen. Die Deutsche Diabetes Gesell-
Diabetestherapie bedeutsam sind. Beispiele sind die schaft (DDG) bietet mit der Basisqualifikation Diabetes-
Blutzuckermessung und Fußpflegemaßnahmen. Jede Pflege ab 2018 eine neue zweitägige Fortbildung an, bei
notwendige Veränderung in späteren Phasen sollte sehr der diabetologisches Fachwissen anwendungsorientiert
behutsam angegangen werden. vermittelt wird. Ist geplant, in der Pflegeeinrichtung
Es hat sich gezeigt, dass ältere Menschen mit gerin- übergreifend leitliniengerechte Pflegeprozesse aufzubau-
gen kognitiven Einschränkungen von einer Strukturier- en, sollte die vertiefende Weiterbildung der DDG zur
ten geriatrischen Schulung (SGS) profitieren. Hier wird Diabetes-Pflegefachkraft genutzt werden.
das notwendige Wissen über Erkrankung, Therapie und
präventive Maßnahmen zur Vermeidung diabetesbeding- Mangelernährung vermeiden,
ter Notfälle vermittelt, das speziell auf ältere Menschen
Bewegung fördern
zugeschnitten ist. Dieses Wissen schafft Sicherheit und
versetzt Diabetespatienten in die Lage, die notwendigen Die medikamentöse Therapie ist bei Menschen mit Dia-
Maßnahmen der Diabetestherapie zu verstehen. Die Ko- betes und Demenz an die Ernährungsgewohnheiten an-
operation mit dem Versorgungsteam gelingt dann meist zupassen. Süße Säfte, Brei und Mus sind bei schlechtem
besser. Zahnstatus und nachlassendem Geschmackssinn im Al-
Es ist wichtig, den Betroffenen in dieser Phase vor- ter sehr beliebt. Um Blutzuckerspitzen zu reduzieren,
handene Kompetenzen nicht voreilig zu entziehen. Den- bieten sich Saftschorlen an.
noch sollte in der Pflege sehr aufmerksam bereits auf Verbote oder diabetesspezifische Ernährungsvorga-
kleinere Veränderungen der geistigen Kapazitäten geach- ben sind kontraproduktiv. Die Mahlzeiten sollten ab-
tet werden. Betroffene schaffen es häufig, kognitive wechslungsreich, schmackhaft und optisch ansprechend
Einschränkungen lange zu verbergen. sein. Wichtig ist, an Ernährungsgewohnheiten anzu-
Nehmen funktionelle Einschränkungen zu und die knüpfen, da die Mahlzeiten sonst nicht angenommen
kognitiven Möglichkeiten weiter ab, liegt die Verantwor- werden. Im Verlauf der Demenzerkrankung kommt es

36 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 12|17


Praxis

oft zu einer verringerten Nahrungs- und Flüssigkeitsauf- Pflegende dürfen zwar nicht ohne Rücksprache Medi-
nahme, was mit einem erhöhten Risiko für eine Mangel- kamente absetzen und Dosisanpassungen vornehmen,
ernährung einhergeht. können aber durch rechtzeitige Kontaktaufnahme mit
Viele Demenzpatienten sind eher untergewichtig. Es dem behandelnden Arzt zu einer gelingenden Diabe-
ist deshalb darauf zu achten, die notwendige Zufuhr von testherapie und zur Vermeidung von Entgleisungen
Nährstoffen und Energie aufrechtzuerhalten und einen beitragen.
Body-Mass-Index von 20 oder höher anzustreben. Die Liegen Kontraindikationen vor oder werden die The-
bei Demenzkranken häufig nicht kalkulierbaren Zeitab- rapieziele nicht erreicht, ist der Einsatz von Insulin indi-
stände der Mahlzeiten und Nahrungsmengen stellen ziert. Einfache Therapieschema sind zu bevorzugen. Bei
hierbei eine Herausforderung dar. Insbesondere beim einer basal unterstützten oralen Therapie (BOT) wird
Einsatz von Insulin oder insulinotropen Medikamenten einmal täglich langwirksames Insulin zusätzlich zur Ein-
muss die ausreichende Aufnahme von Kohlenhydraten nahme von OAD gegeben. Reicht dies nicht aus, kann ei-
sichergestellt werden. Dies gilt umso mehr bei ausge- ne konventionelle Insulintherapie (CT) mit täglich zwei-
prägtem Bewegungsdrang. Fingerfood entlang der Geh- maliger Gabe von Mischinsulin angezeigt sein.
strecke kann dem Vergessen der Nahrungsaufnahme ent- Bei unregelmäßiger Nahrungsaufnahme bietet sich
gegenwirken und zur Vermeidung von Unterzuckerun- eine supplementäre Insulintherapie (SIT) an. Hier wird
gen beitragen. kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten entsprechend
Neben der Ernährung ist die regelmäßige Bewegung der tatsächlich eingenommenen Kohlenhydrate appli-
ein wichtiger Aspekt. Der demenztypische Bewegungs- ziert. Zur Vermeidung von Hypoglykämien kann das In-
drang ist sowohl für den Diabetes als auch für die De- sulin auch nach der Mahlzeit verabreicht werden. Hierfür
menz förderlich und sollte nicht unterbunden werden. eignet sich kurzwirksames Analoginsulin.
Bewegung wirkt sich auf den Stoffwechsel, die Kogniti- Wenn Patienten Insulin erhalten, muss der Blutzu-
on, den Gleichgewichtssinn und die Kraft stabilisierend cker aufgrund des hohen Risikos von Unterzuckerungen
aus. Rundwege und verborgene Ausgangstüren in Ge- regelmäßig beobachtet werden. Die „Glukosebestim-
bäude und Gärten bieten sichere Rahmenbedingungen. mung ohne Blut“ (Flash Glukose Monitoring, FGM)
Um die Entwicklung eines Diabetischen Fußsyn- bietet hier neue Möglichkeiten: Ein am Oberarm befes-
droms (DFS) bei den oft langen Gehstrecken vorzubeu- tigter Sensor misst minütlich und speichert die Werte ab.
gen, sollten Pflegende sorgfältig auf die tägliche Fuß- Mit einem Lesegerät im Format eines üblichen Blutzu-
beobachtung und auf geeignetes Schuhwerk achten. Pfle- ckermessgeräts können die gespeicherten Werte jederzeit
gehilfskräfte sind im Rahmen der Grundpflege zu den aktuell sowie rückblickend für die letzten acht Stunden
Risiken des DFS und der korrekten Fußpflege zu schu- angezeigt werden. Ein Trendpfeil informiert über die
len. Sie sollten Veränderungen im Fußstatus erkennen Tendenz und unterstützt damit die Handlungsentschei-
können und die Information sofort an die zuständige dungen. Seit 2016 übernehmen immer mehr Kassen die-
Pflegefachperson weiterleiten. ses System. Stehen solche Hilfsmittel nicht zur Verfü-
gung bleibt die konventionelle Blutzuckermessung.
Medikamente:
Was ist zu beachten? Therapie regelmäßig überprüfen
Im Rahmen der medikamentösen Behandlung ist zu be- Die Pflege von Menschen mit Demenz und Diabetes
achten, dass Antidementiva und Neuroleptika, die mög- stellt besondere Herausforderungen an alle Beteiligten.
licherweise im Rahmen der Demenzbehandlung einge- Die Diabetestherapie muss zur Sicherheit des Diabetes-
setzt werden, sich ungünstig auf den Glukosestoffwechsel patienten regelmäßig überprüft und an die sich ständig
auswirken können. Die antidiabetische Therapie muss verändernden Fähigkeiten behutsam angepasst werden.
darauf entsprechend angepasst werden. Auf die Insulin- Pflegefachpersonen übernehmen in diesem Prozess zu-
sekretion fördernde Medikamente, wie Sulfonylharnstof- nehmend die Verantwortung eines am aktuellen Wissen
fe, sollte bei Demenzpatienten verzichtet werden, da die- orientierten Diabetes-Managements.
se mit einem erhöhten Risiko für langanhaltende Unter-
zuckerungen einhergehen. Literatur bei der Verfasserin.

Unter den oralen Antidiabetika (OAD) ist Metfor-


min bei ausreichender Nahrungszufuhr die erste Wahl.
Katja Hodeck ist Institutsleitung der IIGM –
Bei Nierenfunktionsstörungen sollte Metformin abge-
Institut für Innovatives Gesundheits-
setzt werden, da es bei kurzfristiger Verschlechterung des management GmbH in Berlin.
Allgemeinzustands mit reduzierter Flüssigkeitsaufnahme Mail: k.hodeck@iigm.de
oder Infekten zu einer erheblichen Verschlechterung der
Nierenfunktion kommen kann (Meyer 2017).
Bei fortschreitenden Nieren- und Leberfunktions-
störungen ist auf die regelmäßige Dosisanpassung zu
achten, um niedrige Blutzuckerwerte zu vermeiden.

Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 12|17 37


Top-Thema

ORALEN KOMPLIKATIONEN
VORBEUGEN
Mundpflege bei Diabetes-Patienten. Ein Diabetes mellitus geht oft
mit entzündlichen Erkrankungen der Mundhöhle einher. Um gefährliche
Folgeerscheinungen zu verhindern, muss die Mund- und Zahnpflege
besonders sorgfältig erfolgen.

Von Dr. Anja Ratzmann

E s gilt als wissenschaftlich gesi-


chert, dass zwischen Diabetes
mellitus und entzündlichen Erkran-
kungen der Mundhöhle enge Zu-
schen Blutzuckerauslenkungen und
damit zu einer Verschlechterung der
diabetischen Stoffwechseleinstellung
führen kann. Somit besteht zwischen
schmack und Schmerzen in den aku-
ten Phasen. Es bilden sich soge-
nannte Zahnfleischtaschen, deren
Tiefe mit dem Schweregrad der Pa-
sammenhänge bestehen (Chåvarry et Diabetes und Parodontitis ein wech- rodontitis korreliert.
al. 2009, Demmer et al. 2010, De- selseitiger Zusammenhang (Demmer Verantwortlich für die Zahn-
schner et al. 2011). Symptome wie et al. 2010 & 2012, Deschner 2011). fleisch- und Zahnbetterkrankung
Mundtrockenheit, Geschmacksver- Die Parodontitis ist eine chroni- sind spezielle Bakterien. Sowohl die
änderungen, Zungenveränderungen, sche Erkrankung, die nicht nur das genaue Befundung als auch Behand-
Pilzbefall und schwere Erkrankungen Zahnfleisch, sondern den gesamten lung der Parodontitis ist nur durch
des Zahnhalteapparates (Parodonti- Zahnhalteapparat – Zahnfleisch, einen Zahnarzt und geschultes
tis) können erste Hinweise auf das Kieferknochen, Wurzelzement und zahnärztliches Fachpersonal wie
Vorliegen eines Diabetes mellitus Wurzelhaut – betrifft und in ver- Prophylaxeassistentin und/oder
sein oder im Rahmen einer bereits schiedenen Schweregraden auftreten Dentalhygienikerin möglich.
vorliegenden Diabeteserkrankung kann. Dazu werden zuerst die Zähne
auftreten. Das Anfangsstadium besteht in mit Handschall- und Ultraschall-
einer Zahnfleischentzündung, der instrumenten gereinigt sowie an-
Parodontitis häufigste sogenannten Gingivitis. Sie ist schließend poliert und fluoridiert.
gekennzeichnet durch gerötetes, ge- Zusätzlich erhält jeder Patient ge-
orale Komplikation
schwollenes Zahnfleisch, das meis- naue Instruktionen, wie die häus-
Die Parodontitis, auch Zahnbett- tens auch beim Zähneputzen oder liche Zahnpflege in Abhängigkeit
erkrankung genannt, ist die häufigste bei Druck mit der Parodontalsonde vom Ausprägungsgrad seiner Er-
orale Komplikation eines Diabetes blutet (Abb. 1). krankung durchzuführen ist. Diese
mellitus. In diesem frühen Stadium ist die Maßnahmen werden zusammen mit
Bei einer chronisch schlechten Erkrankung in der Regel noch rever- der Prophylaxeassistentin geübt.
Stoffwechseleinstellung kann die sibel. Mit weiterem Fortschreiten Die Reinigung von tiefen Zahn-
Hyperglykämie über verschiedene kommt es jedoch zu irreversiblem fleischtaschen ist nur durch den
Mechanismen die Entstehung einer Knochenabbau, Zahnfleischrück- Zahnarzt mit speziellen Instrumen-
Parodontitis begünstigen. Anderer- gang und Zahnlockerung (Abb. 2). ten möglich.
seits gibt es Hinweise, dass eine Pa- Symptome dafür sind geschwollenes, Wichtig ist es zu wissen, dass die
rodontitis ähnlich wie andere Ent- blutendes Zahnfleisch, Sekretentlee- Parodontitis eine chronische Er-
zündungsprozesse zu hyperglykämi- rung, Mundgeruch, fauliger Ge- krankung ist. Daher ist es nötig, eine

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Top-Thema

Pflegebedürftige Diabetespatienten
benötigen spezielle Maßnahmen
zur Zahn- und Mundpflege

Abb. 1 Abb. 2
Zahnfleischbluten ist Bei Fortschreiten der Gingivitis kommt
typisches Symptom es zu einer Erkrankung des gesamten
der Gingivitis Zahnhalteapparats mit Rückgang des
Zahnfleischs und Knochenabbau

lebenslange Kontrolle und Nachsor- erfolgen. Erkrankungen der Mund- Daraus kann ein Vitaminmangel re-
ge – die sogenannte Recallmaßnah- höhle können zum Beispiel durch sultieren, welcher wiederum zu Man-
me – durchzuführen. Schmerzen und Mundgeruch die gelerscheinungen wie aufgeplatzen
Lebensqualität der betroffenen Pa- Lippen, schmerzhaft geschwollener
Mundpflege besonders tienten erheblich reduzieren. Zunge und Mundulzerationen
Weiterhin wird das Ernährungsver- (Mundgeschwüre) führen kann.
sorgfältig durchführen
halten negativ beeinflusst, da die Daher ist es notwendig, ein syste-
Aufgrund der engen Zusammen- Kaufunktion durch die Parodontitis matisches orales Assessment in die
hänge zwischen Mundgesundheit erheblich eingeschränkt wird. Be- tägliche Pflege des Diabetespatien-
und Diabetes mellitus sollte die stimmte Nahrungsmittel können ten zu integrieren. Mit einer einfa-
Zahn- und Mundpflege bei Diabe- nicht richtig gekaut werden, beim chen regelmäßigen Blickdiagnose
tespatienten besonders sorgfältig Essen können Schmerzen auftreten. lässt sich der Zustand der Mund-

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EMPFOHLENER ABLAUF ZUR MUNDHYGIENE ■ Ernährungsgewohnheiten (Ursa-
chen identifizieren, ggf. insuffizien-
BEIM DIABETESPATIENTEN ter Zahnersatz als Ursache für einge-
Zahnreinigung schränkte Ernährung),
■ Rauchen und Alkoholkonsum,
■ Regelmäßigkeit zahnärztlicher
Kontrolluntersuchungen.

Definierte Reihenfolge
einhalten
Prinzipiell sollte die Mundhygiene im-
mer in einer definierten Reihenfolge
■ Es sollten Zahnbürsten mit abgerundeten und weichen bis mittelharten Borsten und individuell auf die Bedürfnisse und
sowie fluoridhaltige Zahnpasta verwendet werden Erfordernisse des einzelnen Patienten
■ Empfehlenswert bei der Zahnreinigung ist die sogenannte BASS-Technik:
abgestimmt durchgeführt werden.
Der Bürstenkopf wird im Winkel von 45 Grad am Übergang des Zahnfleischs
Wichtig ist, nach einer Mahlzeit zir-
zur Zahnfläche angesetzt. Es erfolgen dann leichte rüttelnde Bewegungen
und Ausstreichungen in Richtung Mundhöhle ka 30 Minuten zu warten, da unmit-
telbar nach dem Essen ein saurer
Zahnzwischenraumreinigung pH-Wert im Mund vorhanden ist.
■ Zur Mundhygiene zählt die Reinigung Die dafür verantwortlichen Säuren
der Zahnzwischenräume fest dazu greifen den Schmelz an. Nach etwa
■ Bei normalen Zahnzwischenräumen einer halben Stunde hat sich die
sollte Zahnseide zum Einsatz kommen neutralisierende Wirkung des Spei-
■ Bei vergrößerten Zahnzwischenräumen
chels entfaltet. Es sollte mindestens
sollten Interdentalbürstchen verwendet
werden
zweimal täglich, möglichst zur sel-
■ Dentalfloss ist bei Kronen, Brücken ben Tageszeit – morgens nach dem
und Implantaten gut geeignet Frühstück und abends vor dem
Schlafengehen – geputzt werden.
Zungenreinigung
Abbildung 3 zeigt den empfohlenen
■ Eine gute Zungenpflege wird durch sanftes Ablauf der Mundhygiene.
Schaben mit dem Zungenschaber erreicht Prothesenträger sollten den
■ Es sollte folgendermaßen vorgegangen
Mund nach jeder Mahlzeit ausspü-
werden: Den Zungenschaber hinten auf
die Zunge aufsetzen und nach vorne ziehen.
len und die Prothese ebenfalls durch
Dieser Vorgang wird einige Male wiederholt Abspülen von Speiseresten befreien.
■ Die Zungenreinigung sollte möglichst täglich Abends sollte die Prothese gründlich
durchgeführt werden mit eine entsprechenden Zahn- oder
■ Besonders das hintere Drittel der Zunge besser noch Prothesenbürste gerei-
sollte gereinigt werden nigt werden (Abb. 4). Reinigungs-
Abb. 3
tabletten ersetzen nicht die mecha-
nische Reinigung und sollten daher
nur unterstützend und nicht täglich
zur Anwendung kommen.
höhle kontrollieren und somit kön- Bezüglich der durchzuführenden
nen entsprechende Behandlungs- Mundhygienemaßnahmen ist es Hilfsmittel nutzen
und Pflegemaßnahmen eingeleitet wichtig, individuelle Risikofaktoren
werden. Auf folgende Symptome für den einzelnen Patienten zu iden- Insbesondere stark pflegebedürftige
sollte dabei geachtete werden: tifizieren und ein angepasstes Mund- Patienten sind auf die Assistenz von
■ Mundgeruch, hygieneprogramm zu konzeptionie- Pflegepersonal beziehungsweise auf
■ Entzündungen von Zahnfleisch ren. Als Risikofaktoren einer unzu- die Anwendung von bestimmten
und Mundhöhle, reichenden Mundhygiene gelten: Hilfsmitteln bei der Mundhygiene
■ Zahnfleischbluten, ■ verwendete Produkte, insbeson- angewiesen. Bei motorisch einge-
■ Entzündungen der Mundwinkel, dere Zahnbürsten/Zahnpasta, schränkten Patienten können Zahn-
■ Beläge an Zunge und Mund- ■ Zustand und Sitz von heraus- bürsten mit verstärktem Spezialgriff
schleimhaut (eventuell Hinweise auf nehmbarem Zahnersatz, insbeson- verwendet werden (Abb. 5).
Pilzbefall), dere Prothesen, Bei Mundtrockenheit aufgrund
■ gelockerte Zähne, ■ Medikamente (ggf. Wechselwir- von vermindertem Speichelfluss ist
■ Druckstellen, kungen im oralen Bereich, z. B. Wir- es hilfreich, die Speichelproduktion
■ Karies. kung auf Speichelproduktion), durch das Lutschen zuckerfreier Sal-

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Abb. 5
Zahnbürsten mit Spezialgriff
eignen sich für motorisch
eingeschränkte Patienten

Abb. 4
Prothesen sollten mit entsprechendem
Equipment gereinigt werden

beibonbons anzuregen. In Absprache mit dem behan-


delnden Zahnarzt ist die Gabe von Speichelersatzmitteln
möglich. Auf eine ausreichende Trinkmenge ist zu ach-
ten.
Bei stark pflegebedürftigen Patienten kann der
Mundraum mehrfach täglich mit Olivenöl ausgestrichen
werden.
Zur Vermeidung von Verletzungen sollten keine Ein-
mal- oder Naturborstenzahnbürsten verwendet werden.
Es empfiehlt sich der Einsatz weicher Zahnbürsten mit
abgerundeten Borsten. Zusätzlich können alkoholfreie,
fluoridhaltige Mundspüllösungen die tägliche Mund-
pflege ergänzen.
Trägt der Patient einen herausnehmbaren Zahner-
satz, sollte dieser zur Nacht aus dem Mund entfernt und
gründlich gereinigt werden. Wie bereits erwähnt, sollte
dies analog zur Zahnreinigung mit Zahnbürsten oder
speziellen Prothesenbürsten erfolgen. Die alleinige An- Infoabe
wendung von Sprudeltabletten im Wasserglas ist nicht Perspektiven erweitern 16. Jan nd
u
ausreichend. Entzündliche Veränderungen und/oder Berufsbegleitend 19:00 U ar
schlechter Prothesensitz sollte in jedem Fall dem Haus-
hr
zahnarzt vorgestellt werden.
studieren
an der Willhelm Löhe Akademie
Chávarry NG, et al. The relationship between diabetes mellitus and de-
in Kooperation mit der Fachhochschule Münster
structive periodontal disease: a meta-analysis. Oral Health Prev Dent.
2009;7(2):107–27 Berufsbegleitender Master Studiengang
Demmer RT, et al. Periodontal status and A1C change: longitudinal re-
sults from the study of health in Pomerania (SHIP).Diabetes Care. 2010
Bildung im Gesundheitswesen
May; 33(5): 1037–43. doi: 10.2337/dc09–1778. Epub 2010 Feb 25
mit dem Schwerpunkt „Berufspädagogik Pflege“
Demmer RT, et al. The influence of type 1 and type 2 diabetes on peri- Beginn Sommersemester 2015
odontal disease progression: prospective results from the Study of He-
alth in Pomerania (SHIP). Diabetes Care. 2012 Oct; 35(10): 2036–42. Berufsbegleitender Bachelor Studiengang
Epub 2012 Aug 1
Deschner J, et al. [Diabetes mellitus and periodontitis. Bidirectional re-
Berufspädagogik im Gesundheitswesen
lationship and clinical implications. A consensus document]. Internist Beginn Wintersemester 2015/2016
(Berl). 2011 Apr; 52(4): 466–77
Kontakt WILHELM LÖHE AKADEMIE
Merkurstraße 41 | Südstadtpark | 90763 Fürth
Dr. Anja Ratzmann, MSc Telefon 0911-766 069-0 | Fax 0911-766 069-29
Fachzahnärztin für Kieferorthopädie info@wla-fuerth.de | www.wla-fuerth.de
Universitätsmedizin ZZMK
Rotgerberstraße 8, 17475 Greifswald
anja.ratzmann@uni-greifswald.de

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