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Der Mythos Atlantis

Der Krieg in Kroatien

Kehren die Engel wieder?

Neuheidentum in Deutschland

Wandlungen der Ökosophie

Materialdienst der EZW


^ xX Evangelische Zentralstelle
j^Sj für Weltanschauungsfragen
Informationen
ABERGLAUBE
Ein Ring aus Atlantis 21

NEUHEIDEN
»Germanische Glaubens-Gemein-
schaft« wiederbelebt 23

ESOTERIK
Wandlungen der Ökosophie 25
im Blickpunkt
SCIENTOLOGY
KARLHEINZ WEISSMANN Privatinitiative gegründet 28
Der Mythos Atlantis
EINZELGÄNGER
Der platonische Ursprung
„Satan, fahr aus, fahr a u s . . . " 28
Die Suche nach dem verlorenen
Kontinent
Die Atlantis der Okkultisten
Atlantis - Die Heimat der „Arier"?

Dokumentation Impressum
Herausgegeben von der Evangelischen Zentralstelle
„Atlantis" für Weltanschauungsfragen (EZW) im Quell Verlag
im Spiegel der Literatur Stuttgart. Die EZW ist eine Einrichtung der Evangeli-
Eine Übersicht schen Kirche in Deutschland (EKD). Für den Inhalt der
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die Verantwortung. Sie geben nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wieder. - Redaktion: Pfarrer
Berichte Dr. Hans-Jürgen Ruppert (verantwortlich), Dr. Hans-
jörg Hemminger, Pfarrer Dr. Reinhart Hummel, Pfarrer
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GOTTFRIED KÜENZLEN Anschrift: Hölderlinplatz 2 A, 7000 Stuttgart 1, Telefon
Der Krieg in Kroatien 10 0711/2 2 6 2 2 8 1 / 8 2 . - Ver/ag.Quell Verlag und Buch-
handlung der Evang. Gesellschaft in Stuttgart G m b H ,
Der Krieg Furtbachstr. 12A, Postfach 10 38 52, 7000 Stuttgart
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Die Geister der Vergangenheit giro Stuttgart 2 036 340. Verantwortlich für den An-
Nation, Nationalismus und Religion zeigenteil: Heinz Schanbacher. - Bezugspreis: jähr-
lich D M 4 8 , - einschl. Zustellgebühr. Erscheint mo-
Der Krieg und wir natlich. Einzelnummer D M 4,10 zuzügl. Bearbei-
tungsgebühr für Einzelversand. - Alle Rechte vorbe-
halten. - Mitglied des Gemeinschaftswerks der Evan-
GERHARD ADLER
gelischen Publizistik. - Druck: Maisch & Queck,
Kehren die Engel wieder? 17 Gerlingen/Stuttgart.
im Blickpunkt
Karlheinz Weißmann, Göttingen

Der Mythos Atlantis


Am 2. August 1991 startete die amerikani- wichtig) und der Fantasy-Romane (bei-
sche Raumfähre »Atlantis« von Cape Ca- spielsweise in Marion Zimmer Bradleys
naveral aus zu einem mehrtägigen For- »Die Nebel von Avalon«) gehört, daß
schungsflug. Das Routine-Unternehmen sich selbstverständlich der Film seit sei-
hat kaum Aufsehen erregt, und nieman- nen Anfängen des Stoffes bedient (Pierre
dem dürfte der Name der Raumfähre auf- Benoits Novelle »L'Atlantide« wurde drei-
gefallen sein. Welche Motive mögen mal, 1921, 1932 und 1961, verfilmt; zu
aber die Konstrukteure, Wissenschaftler erinnern wäre auch an den Streifen »At-
und Manager der NASA bewogen haben, lantis - Der verlorene Kontinent«, USA
ein hochmodernes Fluggerät mit der Erin- 1960, und an die Fernsehserie »Der
nerung an die geheimnisvolle Insel der Mann aus dem Meer« der 70er Jahre)
Vorzeit zu verbinden? - Eine offizielle Er- und daß sich Reminiszenzen sogar in
klärung hielt man wohl für überflüssig; den Texten der Rock-Musik (z. B. Dono-
und wahrscheinlich lag der Grund für die vans »Hey, Atlantis« oder Peter Maffays
Benennung allein darin, daß man auch »Eiszeit«) wiederfinden.
in der Welt der Technologie nicht frei
von den Einflüssen jener populären
Der platonische Ursprung
Mythen ist, zu deren Beständen „Atlan-
tis" gehört. Ganz im Gegensatz zu dieser Atlantis-
Als populäre Mythologie sei hier ein diffu- Faszination steht das „Atlantis-Tabu" [1]*
ses und keineswegs widerspruchsfreies in der Wissenschaft. Wer eine historische
Gefüge von Vorstellungen verstanden, Theorie aufstellt, die mit der Existenz von
das im wesentlichen durch das Absinken Atlantis rechnet, verliert jeden Anspruch
älterer religiöser oder quasi-religiöser In- auf Seriosität. Solche Skepsis hat durch-
halte entsteht und trotz oder wegen sei- aus ihre Gründe, denn es gibt überhaupt
nes Mangels an Klarheit dauernd einen la- nur eine selbständige Quelle, aus der wir
tenten geistigen Einfluß behält. Der zeigt Informationen über dieses frühgeschicht-
sich in bezug auf „Atlantis" nicht nur liche Imperium haben. In den um 350
darin, daß sich halbwissenschaftliche Bü- v. Chr. entstandenen philosophischen
cher zum Thema immer gut verkaufen Dialogen »Kritias« und »Timaios« überlie-
lassen. Er zeigt sich z.B. auch darin, daß ferte Piaton, was Solon angeblich durch
„Atlantis" zu den klassischen Kulissen ägyptische Priester erfuhr: daß jenseits
der Science Fiction- (schon in Jules Ver- der „Säulen des Herakles", im „Ozean",
nes »Zwanzigtausend Meilen unter dem eine Insel gelegen haben soll, die „größer
Meer«, zuerst 1870, können die Gefange- als Libyen und Asien" war, mit einer
nen Nemos von dessen Tauchboot aus ei- prächtigen, umwallten und von schiffba-
nen Blick auf die untergegangene Stadt ren Wassergräben geschützten Haupt-
werfen, in Deutschland war Hans Domi-
niks »Atlantis«, Leipzig 1925, besonders * Anmerkungen s. u. S. 6f.

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stadt, regiert von einem Königsge- werden; später verbreitet sich vor allem
schlecht, das seine Abkunft von Posei- eine Identifizierung von Atlantis und
don herleitete; diese Atlantis soll dann Amerika. Die damit beginnende Diskus-
versucht haben, die ganze bekannte Welt sion über die ursprüngliche Lage der In-
zu unterwerfen, scheiterte allerdings bei sel führte bald zu zahlreichen verschiede-
der Eroberung Athens und wurde schließ- nen Theorien, die die alte Kultur abwech-
lich durch eine Flutkatastrophe, 9000 selnd im Atlantik, in Nordafrika, in Süd-
Jahre vor dem Zeitpunkt der Erzählung, afrika, in Palästina, \n Schweden, im Kau-
vernichtet. Trotz zahlreicher Details ma- kasus, auf Ceylon etc. vermuteten. Schon
chen die beiden Atlantis-Texte einen un- die Veröffentlichungen, die bis zum Ende
vollständigen Eindruck, und es ist unter des 19.Jhs. erschienen, sind kaum zu
Philologen und Altertumswissenschaft- überblicken. Die Ansichten blieben w i -
lern durchaus umstritten, ob es sich hier dersprüchlich, oft so phantastisch oder
um ein Gegenbild zu Piatons Idealstaat, absurd, daß eine vollständige Erfassung
um einen fragmentarischen platonischen weder sinnvoll noch möglich erscheint.
„Mythos" oder um einen von Piaton als Einen wichtigen Einschnitt in der Atlan-
authentisch betrachteten Bericht handelt. tis-Debatte bedeutete das Jahr 1882.
Diese Auseinandersetzung läßt sich bis Damals ließ der Amerikaner Ignatius
in die Antike selbst zurückverfolgen. Donnelly einen Band mit dem Titel »At-
Während schon Aristoteles Zweifel an lantis. The Antediluvian World« heraus-
der Existenz von Atlantis geäußert hatte, geben, der einen außerordentlichen Ein-
ging Krantor, der den ersten Kommentar fluß ausüben sollte. Donnelly, eigentlich
zu »Timaios« und »Kritias« schrieb, von ein gescheiterter Politiker, der sich ins Pri-
der Wahrheit des Ganzen aus. Im übri- vatleben zurückzog und als wissenschaft-
gen scheint das Interesse an dem Thema licher Dilettant später noch viel Energie
damals nicht so groß gewesen zu sein darauf verwenden würde, um nachzuwei-
wie in der Gegenwart. Atlantis tauchte sen, daß die Shakespeare zugeschriebe-
zwar in einigen Geschichtswerken auf, nen Werke eigentlich von Francis Bacon
etwa in der »Historischen Bibliothek« stammten, nahm eine bereits im 18. Jh.
des Diodor Siculus, aber für die meisten diskutierte These wieder auf, nach der
war der sagenhafte Kontinent kaum et- die Azoren und Madeira die Überreste
was anderes als die Insel der Seligen, der des im Meer versunkenen Kontinents At-
Hesperiden etc. lantis seien. Er verband diese Auffassung
mit neueren geologischen Erkenntnissen
über den sog. „atlantischen Graben" und
Die Suche nach dem verlorenen
einer in den USA gelegentlich geäußer-
Kontinent
ten Vermutung, daß zwischen der ägypti-
Von der Spätantike bis zum 16. Jh. gibt es schen und mesopotamischen einerseits
in der Literatur dann fast gar keine Hin- und den indianischen Hochkulturen an-
weise auf Atlantis mehr. Erst unter dem dererseits in der Vorzeit engere Beziehun-
Eindruck der Entdeckungsfahrten änderte gen bestanden haben müßten. Donnelly
sich das. 1553 veröffentlichte der Spa- erklärte diesen Zusammenhang - wie
nier Gomora seine »Historia general de schon der Archäologe L. M. Hosea vor
las Indias«, in der er Amerika mit jenen ihm (»Atlantis«, Cincinnati 1875) - mit
Inseln westlich von Atlantis gleichsetzte, der Annahme, daß Atlantis überhaupt die
die in den platonischen Texten genannt Wiege der menschlichen Kultur gewesen

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sei und ein atlantisches Imperium seine esse an der Klärung eines Phänomens der
Kolonisten nach Amerika, an die Küsten Vorgeschichte. Trotz gewisser Verände-
Europas, nach Nordafrika, in das Nil- rungen, die im Laufe der Zeit zustande
delta, das Zweistromland und die übri- kamen, kann man behaupten, daß die
gen Mittelmeerländer entsandt habe. At- am weitesten verbreitete Vorstellung von
lantis sei die Urheimat der Indoeuropäer Atlantis bis heute wesentlich von dem
ebenso wie der Semiten und der „Tura- bestimmt wird, was Donnelly geschrie-
nier" gewesen, dann habe eine Flutkata- ben hat. Das betrifft nicht nur weite Berei-
strophe am Ende des Pleistozän, vor etwa che der „Atlantologie", die unermüdlich
zehntausend Jahren, die blühende Zivili- weiter nach den Resten der Atlantis
sation vernichtet. Nur wenige Überle- sucht, und die gewisse Dosis mysteriöser
bende konnten sich retten, der Mensch- Hinweise auf Atlantis in der Medienkul-
heit blieb allein die Erinnerung an ein tur, sondern auch die beiden großen sta-
Goldenes Zeitalter, die „Sintflut", und die bilen Grundrichtungen der Atlantis-My-
atlantischen Könige und Königinnen leb- thologie: die okkulte und die völkische.
ten weiter in Gestalt der Götter der grie-
chischen, der nordischen und der Hindu-
Die Atlantis der Okkultisten
Mythologie.
Selbstverständlich war mit Donnellys Wie in vielen anderen Bereichen des mo-
Werk die Diskussion über den geographi- dernen Okkultismus kommt auch in die-
schen Ort der Atlantis nicht abgeschlos- sem der »Geheimlehre« Helena Blavats-
sen. Neben seiner Auffassung (der sich in kys eine ausschlaggebende Bedeutung
der Folgezeit Spencer Lewis, Edgar Dac- zu. In ihrem 1888 erschienenen, mehr-
que, nach dem Zweiten Weltkrieg noch bändigen Werk, das der dogmatischen
Otto Muck und Charles Berlitz weitge- Grundlegung ihrer sog. „Theosophie"
hend anschlössen) spielte die Theorie diente, behauptete sie, daß ein Teil des sa-
von einer Atlantis in Nigeria eine gewisse genhaften Kontinents „Lemuria" zusam-
Rolle, da sie von dem renommierten Geo- men mit zahlreichen anderen Inseln in
graphen Leo Frobenius aufgestellt wor- Folge eines tektonischen Vorgangs, der
den war (»Erlebte Erdteile«, Leipzig vor ca. 1 Million Jahren abgelaufen sein
1925; »Atlantische Götterlehre«, Jena soll, zur geologischen Basis der Atlantis
1926). In Deutschland kam außerdem wurde. Unter den sieben Rassen der At-
die Idee eines „nordischen Atlantis" lanter waren die „Tolteken" die bedeu-
hinzu, auf die noch detailliert einzuge- tendste; sie schufen eine hochentwik-
hen sein wird. Weiter wurden Verbindun- kelte Zivilisation, zu deren Errungen-
gen zwischen Atlantis und der mi- schaften auch Luftschiffe und Flugzeuge
noischen Kultur geknüpft (zuerst E. 5. gehörten! Nach einer Phase der Deka-
Balch, heute vor allem bei John V.S. denz wurde Atlantis durch eine erste Flut
Luce). Donnellys Wirkung lag letztlich gestraft. Sie vernichtete allerdings nur ei-
weniger in der Plausibilität seiner Argu- nen Teil des Kontinents. Bei einem zwei-
mentation begründet, vielmehr löste sein ten und dritten Meereseinbruch, der
Werk, das bald in zahlreiche Sprachen letzte vor 80000 Jahren, verschwand die
übersetzt wurde (die erste deutsche Fas- Insel ganz in den Fluten. Daß trotz sol-
sung erschien 1911), eine „spezifische cher Phantastereien bei Helena Blavats-
Atlantisstimmung" [2] aus, ein bis dahin ky eine deutliche Beeinflussung durch
ganz unbekanntes, massenhaftes Inter- Donnellys Thesen vorauszusetzen ist,

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kann man nicht nur an der Verortung von »Aufbruch ins dritte Jahrtausend«, Mün-
Atlantis auf der Linie des heutigen „atlan- chen 1962; Robert Charroux »Phantasti-
tischen Grabens" erkennen, sondern sche Vergangenheit«, Neudruck: Frank-
auch daran, daß sie neben den Indoeuro- furt/Main - Berlin - Wien 1990), wäh-
päern und den Semiten die ominösen rend die exzentrische, „satanische" Atlan-
„Turanier" zu einer der atlantischen Ras- tis-Version, die die „Hexe" Ulla von Ber-
sen zählte und wie Donnelly davon aus- nus medial empfangen haben will (vgl.
ging, daß die frühen Kulturen alle von »Abrahadabra«, H.4 und 5/1990) eher
Atlantern gegründet worden sind. am Rande steht; in „New Age"-Zirkeln
Die Atlantis-Theorie der Theosophen hat hat Atlantis immer noch etwas von Dono-
ihren Niederschlag später noch einmal in vans freundlichen Träumen.
einem Buch von W. Scott-El Hot gefun-
den, sie hat aber auch die Vorstellungen
Atlantis - Die Heimat der „Arier"?
Rudolf Steiners sehr stark beeinflußt.
Steiner, der ursprünglich selbst der »Theo- Bezeichnenderweise hat die politische
sophischen Gesellschaft« angehörte, be- Linke niemals ein intimeres Verhältnis zu
hauptete, durch intuitive Schau den In- Atlantis gewonnen. Wenn überhaupt,
halt der sog. „Akasha-Chronik" erfahren dann taucht die Insel nur als utopische
zu haben. Diese berichte über die Ur- Chiffre auf, so wie sie schon Bacon in der
sprünge der Menschheit, daß nach dem »Nova Atlantis« (1638) verwendet hatte,
Untergang von Lemuria und Atlantis die um seinem Idealstaat einen Namen zu ge-
„WürzeIrasse" der „Arier" als der geret- ben [3]. Ganz anders die völkische Bewe-
tete, nicht degenerierte Rest der atlanti- gung als Teil der ideologischen Rechten.
schen Bevölkerung die Grundlagen aller Hier spielt Atlantis gleich in mehrfacher
späteren kulturellen Entwicklung legte. Hinsicht eine wichtige Rolle. Einmal in
Die Originalität der Aussagen Steiners ist der Legierung völkischer Gedanken mit
gering, die Wirkung dürfte allerdings im dem Okkultismus. Für die völkischen Ok-
deutschen Sprachraum durch die massen- kultisten wurde Atlantis ausschließlich
hafte Verbreitung seiner Werke erheblich zur Heimat der „Arier", die man sich -
gewesen sein und bis heute anhalten. neben allen anderen Vorzügen - auch
Jedenfalls findet man immer noch in noch mit paranormalen Fähigkeiten aus-
den einschlägigen Äußerungen okkul- gestattet dachte. Einzelgänger wie Karl
ter Kreise zum Atlantis-Thema Bestandtei- Georg Zschaetzsch und Peryt Shou müs-
le der theosophisch-anthroposophischen sen in diesem Zusammenhang ebenso ge-
Ideen. Das trifft besonders auf den Be- nannt werden wie die „Ariosophen" Her-
reich des „Channel ing" zu (etwa Rainer mann Wieland, Rudolf John Gorsieben
Holbe: »Wir von Atlantis. Protokolle aus und Herbert Reichenstein [4]. Schließ-
fernen Zeiten«, München 1988), nicht zu- lich darf man den Einfluß nicht unter-
letzt deshalb, weil hier auch der Einfluß schätzen, den die „Welteislehre" Hanns
von Edgar Cayce besonders spürbar ist, Hörbigers auf diese Kreise ausgeübt hat
dessen Trance-Erinnerungen an Atlantis [5].
mit den Aussagen der Blavatsky weitge- In abgeschwächter Form werden solche
hend identisch sind. Eine gewisse Bedeu- völkisch-okkulten Ideen auch heute
tung haben außerdem die Atlantis-Aussa- noch in neuheidnischen Kreisen vertre-
gen der „phantastischen Wissenschaft" ten, etwa in der Gemeinschaft der »Go-
(etwa Louis Pauwels I Jacques Bergier den«, die nicht nur die Arbeiten Gorsle-

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bens als Nachdruck angeboten hat, son- lisationen zu schaffen. Wahrscheinlich
dern auch die mit Atlantis argumentieren- wurde Wirth in seinen Annahmen sehr
den Schriften K. O. Schmidts (hier vor stark von der sog. »Ura Linda-Chronik«,
allem wichtig: »Baldurs Wiederkehr. Die einer gefälschten friesischen Handschrift
Weisheit des Nordens«, Bad Schussen- des 19. Jhs., die angeblich auch die Über-
ried o. J.) herausgibt. lieferung des frühgermanischen „Atland"
Allerdings dürfte diese okkulte Richtung enthielt, beeinflußt. Ein weiterer völki-
innerhalb der völkischen Atlantis-Vorstel- scher Theoretiker, der diese Arbeit für au-
lung heute erst in zweiter Linie wichtig thentisch hielt und seine eigene Atlantis-
sein. Von größerer Bedeutung ist die Vorstellung entsprechend ausrichtete,
Idee, daß Atlantis der Ursprungsort der war Albert Herrmann, für ihn lag Atlantis
nordischen oder germanischen Kultur allerdings in Nordafrika und bildete nur
war. Für diese Vorstellung gibt es einen eine Kolonie des germanischen Volkes
sehr frühen Beleg bei dem schwedischen der „Fryas".
Universalgelehrten Olof Rudbeck, der Von Wirths und Herrmanns Vorstellun-
1675 in seinem Buch »Atland eller Man- gen ist schließlich als dritte völkische At-
heim dedan japhetz afkomme« behaup- lantis-Theorie diejenige von Heinrich Pu-
tete, daß die Atlantis in Skandinavien ge- dor, einem völkischen Lebensreformer
legen habe. Bis zum Ende des 19.Jhs. und Verfechter der „Nacktkultur", zu un-
scheint dieser, vor allem durch den Kul- terscheiden. Pudor begann seit dem An-
turnationalismus Rudbecks bestimmte fang der 30er Jahre in mehreren Büchern
Gedanke keine weiteren Anhänger gefun- und sogar mit Hilfe einer eigenen Zeit-
den zu haben. Erst mit der Suche nach schrift (»Neue Helgoland-Forschungen.
der Urheimat der indogermanischen Mitteilungen der Arbeitsgesellschaft zur
oder „arischen" Völker kam erneut die Erforschung Helgolands«, 1936/37) die
These auf, daß diese Urheimat im Nor- Idee zu verfechten, daß Helgoland der
den gelegen habe, bevor die Polar- Rest der untergegangenen Atlantis sei, in
kappen vereisten. Verbreitung fand die der auch er den Ursprungsort der „ari-
Idee vor allem durch Ernst Krause, der schen" Rasse sah.
unter dem Pseudonym „Carus Sterne" Pudor hat schon zu Lebzeiten wenig An-
das Buch »Tuisko-Land. Der arischen hänger gefunden, nach dem Zweiten
Stämme und Götter Urheimat« (Glogau Weltkrieg ist keine Wiederaufnahme sei-
1891) verfaßte; der völkische Vielschrei- ner Gedankengänge bekanntgeworden.
ber Willy Pastor dürfte bei der Populari- Dagegen wurden die Bücher Wirths
sierung und der Verbindung mit Atlantis ebenso wie der Band Herrmanns auch
eine wichtige Rolle gespielt haben. nach 1945 in neuer Auflage herausge-
Die Theorie vom „nordischen Atlantis" bracht, obwohl auch der Kreis ihrer An-
fand nach dem Ersten Weltkrieg vor al- hänger klein geblieben sein dürfte. Ihre
lem in den Büchern von Herman Wirth Funktion haben in vieler Hinsicht die Ar-
ihren Niederschlag. Wirth glaubte, daß beiten von Jürgen Spanuth übernommen.
im heutigen Polargebiet der „weiße Keil" Als dieser 1953 sein Buch »Atlantis ent-
der nordischen Rasse entstand, und daß rätselt« veröffentlichte, löste das in der
diese als „Herren- und Kulturbringer- Bundesrepublik eine breite Diskussion
schicht" seit dem Diluvium oder Quartär aus [6]. Die These Spanuths besteht kurz
in alle Küstenregionen des atlantischen darin, daß die Atlantis-Erzählung Piatons
Beckens auswanderte, um dort neue Zivi- in Zusammenhang mit den großen Wan-

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derungsbewegungen am Ende des zwei- Davon kann jedoch keine Rede sein.
ten vorchristlichen Jahrtausends und Eine rassisch argumentierende Ge-
dem Kampf der sog. „SeeVölker" gegen schichtsbetrachtung ist ihm völlig fremd
die Ägypter zu interpretieren sei, daß wei- (er weist z. B. ausdrücklich darauf hin,
ter diese „Seevölker" ebenso wie die von daß ein Sieg der Seevölker für die Ägyp-
Norden nach Griechenland eindringen- ter eine Katastrophe bedeutet hätte).
den Stämme aus einem bronzezeitlichen Im Schlußteil seines berühmten „Romans
Germanenreich kamen, dessen Zentrum der Archäologie", »Götter, Gräber und
auf einer Insel zwischen England und Jüt- Gelehrte«, schrieb C W. Ceram (eigent-
land lag, die um 1200 v.Chr. durch eine lich Marek) ein Kapitel über die archäo-
Flutkatastrophe bis auf einen Rest, Helgo- logischen Untersuchungen, die in Zu-
land, vernichtet wurde. kunft noch zu verfassen seien. Er zählte
Es ist im nachhinein noch überraschend auch seine Arbeit über die atlantische
zu sehen, mit welcher Gereiztheit Alter- Kultur zu diesen Desideraten. Seit dem
tumswissenschaftler und Archäologen ersten Erscheinen des Buches, 1949,
auf diese Vorstellung reagierten, wäh- dürfte die Zahl der Veröffentlichungen
rend die Begeisterung in völkischen Krei- über Atlantis - zweitausend Bände
sen durchaus verständlich wirkt: Fast alle wollte Ceram damals gefunden haben -
völkischen und andere Gruppen haben auf ein Vielfaches angewachsen sein.
in der einen oder anderen Weise Spa- Gewißheit über Existenz oder Nicht-
nuths Atlantis-Hypothese in ihre Gedan- Existenz des Inselreiches haben sie nicht
kenwelt übernommen oder betrachten gebracht. Die Zeiten, daß man Expeditio-
sie doch mit Wohlwollen, angefangen nen ausrüstete, um das versunkene Land
bei den »Ludendorffern« über die »Go- zu finden [7], sind indes vorbei: For-
den« bis hin zu der Berliner »Heidni- schungsgesellschaften wie die französi-
schen Gemeinschaft«, in deren Umkreis sche »Societe d'Etudes Atlanteennes« der
die »Germanische Reihe« erscheint, un- zwanziger Jahre hatten keine lange Le-
ter deren Heften sich eines ausführlich bensdauer. Und dennoch bedarf es kei-
mit Atlantis beschäftigt (H. 11. Der Text ner prophetischen Gabe, um vorauszusa-
stammt von Michael Pflanz). Auch im gen, daß das Thema Atlantis seinen Reiz
»Armanenorden« ist der Einfluß der Ge- nicht verlieren wird. Wahrscheinlich ge-
danken Spanuths spürbar; so heißt es rade deshalb, weil wir nichts Genaues
etwa in einem Gedicht, das in der Zeit- über dieses sagenhafte Land wissen, eig-
schrift »Irminsul« erschien: „Wohin die net es sich, Ersatz zu schaffen für die ver-
Welt ihre Besten gesandt / dort die Leh- sunkenen Städte und Inseln, Vineta,
ren erhielten für ihr Land. / Wo vor Urzei- Thule, Avalon...
ten Atlantis stand / unsere heilige Erde,
unser heiliges Land. / Ich sehe drei weiße Anmerkungen
Schwäne ziehn / dort zum Tempel der [1 ] Hans Biedermann. Die versunkenen Länder. Die
Göttin Fosite hin, / hin wo einst unser hei- Atlantis-Frage und andere Rätsel der Menschheits-
geschichte, Graz 1975, S. 29.
liges Land, / heilige Erde und heiliger [2] Alexander Bessmertny: Das Atlantisrätsel. Ge-
Strand." (Folge 4/1991, S. 1) schichte und Erklärung der Atlantishypothesen,
Aus solchen Sympathiebekundungen Leipzig 1932, S. 70.
wird vielfach der Schluß gezogen, daß [3] In Deutschland veröffentlichte ein Karl Ballod
1898 ein Buch »Der Zukunftsstaat. Produktion und
Spanuths Argumentation selbst in den Be-
Konsum im Sozialstaat« unter dem Pseudonym „At-
reich völkischer Gedankengänge gehört. lanticus" (2. Auflage: Berlin 1919); in den USA er-

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schien 1906 ein Roman (David M. Parry »Scarlet [6] Vgl. dazu den in der Vortragsreihe »Sinngebungs-
Empire«), dessen sozialistisch-pazifistische Utopie versuche unserer Zeit« der »Carl Friedrich von Sie-
in ein Atlantis auf dem Meeresgrunde verlegt wor- mens Stiftung« gehaltenen Vortrag von Pastor Ekke-
den war; vgl. dazu: Lyon Sprague de Camp: Lost hard Hieronimus: Der Traum von den Urkulturen
Continents. The Atlantis Theme in History, (Privatdruck o.J., S. 17).
Science, and Literature, New York 1954, S. 259. [7] Ein Enkel Heinrich Schliemanns, der (wenn auch
[4] Es sei hier am Rande erwähnt, daß Heinrich nicht sehr glaubhaft) behauptete, daß sein Großva-
Himmler, darin gleichermaßen von seinen Interes- ter ein geheimes Testament mit dem Hinweis auf at-
sen für die Frühgeschichte wie für den Okkultis- lantische Fundstücke hinterlassen habe, ist wohl
mus bestimmt, das sog. »Ahnenerbe« der SS auch bei einer solchen Unternehmung verschollen; sein
mit Atlantis-Forschungen beauftragte. Vgl. Mi- Aufsatz zum Atlantis-Thema, der 1912 in einer
chael H. Kater' Das „Ahnenerbe" der SS amerikanischen Zeitung erschien, spielte auch in
1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Drit- Deutschland eine erhebliche Rolle; eine vollstän-
ten Reiches. Studien zur Zeitgeschichte, Stuttgart dige Übersetzung findet sich abgedruckt in der
1974, S. 5 1 , 71 Zeitschrift der Anhänger von Hörbigers „Welteis-
[5] Vgl. etwa den Abschnitt über Atlantis in Hans lehre" Paul Schliemann. Wie ich das verlorene At-
Wolfgang Behm. Hörbigers Welteislehre, Leipzig lantis, die Quelle aller Kultur, fand. In: Schlüssel
1931, S. 1 6 5 - 1 7 1 zum Weltgeschehen, 7/1931, S. 2 3 8 - 2 4 5 .

Dokumentation

„Atlantis" im Spiegel der Literatur


Eine Übersicht
1. Darstellungen zur Geschichte Einen gewissen Überblick vermittelt auch
des Atlantis-Themas
1.3 Hans Biedermann, Die versunkenen
Die wohl umfassendste Darstellung des Länder. Die Atlantis-Frage und andere
Themas, wenn auch konzentriert auf den Rätsel der Menschheitsgeschichte,
angelsächsischen Bereich, ist Graz 1975.

1.1 Lyon Sprague de Camp: Lost Conti-


nents. The Atlantis Theme in History, 2. Die wichtigsten Hypothesen
Science, and Literature, New York Der „Klassiker" unter den Atlantologen
1954 (Deutsch unter dem Titel: Versun- bleibt bis heute selbstverständlich das in
kene Kontinente, München 1975). zahllosen Neuauflagen erschienene
Werk von
Stärker auf die deutsche Literatur bezo-
gen (wenn auch etwas unkritisch gegen- 2.1 Ignatius Donnelly: Atlantis - The
über Hörbigers Welteislehre und Wirths Antediluvian World, London 1882
Theorien) ist die Arbeit von (Deutsch: Atlantis, die vorsintflutliche
Welt, Esslingen 1911).
1.2 Alexander Bessmertny Das Atlantis-
rätsel. Geschichte und Erklärung der Seine Thesen wurden modifiziert und
Atlantishypothesen, Leipzig 1932. weitergeführt von

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2.2 Otto Muck: Atlantis gefunden, Stutt- or Fiction? Bloomington 1978
gart 1954. Erweiterte Neuauflage un- (Deutsch unter dem Titel: Atlantis.
ter dem Titel: Alles über Atlantis, Düs- Mythos, Rätsel, Wirklichkeit, Frank-
s e l d o r f - W i e n 1976. furt/Main 1979).

Daneben spielt die sog. „Santori^'-Theo- Speziell mit den Thesen Spanuths setzte
rie, die eine Verbindung zwischen Atlan- sich auseinander
tis und dem minoischen Kreta herstellt,
eine wichtige Rolle; sie wird heute vor al- 3.2 Richard Weyl (Hrsg.): Atlantis enträt-
lem von einem Amerikaner vertreten: selt? Wissenschaftler nehmen Stellung
zu Jürgen Spanuths Atlantis-Hypo-
2.3 John V. 5. Luce. The End of Atlantis, these, Kiel 1953.
London - New York 1969 (Deutsch:
Atlantis, Legende und Wirklichkeit.
Darauf antwortete der Angegriffene wie-
Bergisch-Gladbach 1975).
derum mit einem eigenen Buch
Schließlich sind in Deutschland die Ar-
3.3 Jürgen Spanuth, ... und doch: Atlan-
beiten Jürgen Spanuths von besonderer
tis enträtselt! Stuttgart 1955.
Wichtigkeit:
4. Atlantis im Okkultismus
2.4 Jürgen Spanuth: Das enträtselte At-
lantis, Stuttgart 1953. Die grundlegenden Aussagen zu Atlantis
bzw. Lemuria im okkulten Sinne finden
2.5 Ders. Atlantis, eine Germania der sich bei
Bronzezeit, Tübingen 1965.
4.1 Helena Blavatsky The Secret Doc-
2.6 Ders. Die Atlanter. Volk aus dem trine. The Synthesis of Science, Reli-
Bernsteinland, Tübingen 1976. gion, and Philosophy. 2 Bde., London
1888 (Deutsch: Die Geheimlehre. 2
Zuletzt hat Spanuth seine Thesen vertre- Bde., Leipzig 1921).
ten in:
Eine Darstellung im „theosophischen"
2.7 Ders. Die Rückkehr der Herakliden.
Geist findet sich auch bei
Das Erbe der Atlanter - der Norden als
Ursprung der griechischen Kultur, Tü-
4.2 W. Scott-Elliot: The Story of Atlantis,
bingen 1989.
New York 1882 (Deutsch: Atlantis
nach okkulten Quellen, Leipzig 1912).
3. Kritik der Hypothesen
Eine umfassende Kritik diverser Atlantis- Die Verarbeitung für die Anthroposophie
Theorien (u. a. derjenigen von Donnelly setzt bereits vor dem Ersten Weltkrieg
und Luce) findet sich In dem von amerika- ein, und zwar in
nischen Wissenschaftlern herausgegebe-
nen Band 4.3 Rudolf Steiner Aus der Akasha-
Chronik (1904-1908), Buchausgabe:
3.1 Edwin S. Ramage (Ed.): Atlantis. Fact Dornach (?) 1939.

8 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


4.4 Ders. Der Orient im Lichte des 5.6 Herbert Reichenstein: Gelöste Rätsel
Okzidents, Berlin 1910. ältester Geschichte - von Atlantis,
Edda und der Bibel, Berlin 1934.
Zusammenfassend schließlich in
Als Einzelgänger ist noch aufzuführen
4.5 Ders. Unsere atlantischen Vorfah-
ren, Berlin 1928. 5.7 Karl Georg Zschaetzsch, Die Her-
kunft und Geschichte des arischen
In den Bereich der okkulten Atlantis- Stammes, Nikolassee 1920.
Theorie gehören schließlich auch noch
die Prophezeiungen von Cayce, die - so- 5.8 Ders. Atlantis, die Urheimat der
weit sie das Thema Atlantis betrafen - Arier, Nikolassee 1922. Neuauflage:
nachträglich zusammengefaßt wurden: Berlin 1934.

4.6 Edgar Cayce Mysteries of Atlantis re- Desweiteren spielen hier die kulturtheo-
visited, San Francisco 1988 (Deutsch: retischen Überlegungen einzelner Völki-
Das Atlantis-Geheimnis, München scher eine Rolle; so etwa
1990).
5.9 Herman Wirth. Der Aufgang der
Menschheit. Untersuchungen zur Ge-
5. Das Atlantis der Völkischen
schichte der Religion, Symbolik und
Hinweise auf die frühe völkische Rezep- Schrift der atlantisch-nordischen
tion des Atlantis-Gedankens finden sich Rasse. Textband 1: Grundzüge (mehr
etwa bei nicht erschienen), Jena 1928.

5.1 Willy Pastor Aus germanischer Vor- 5.10 Ders. Die heilige Urschrift der
zeit; Wittenberg 1913. Menschheit. Untersuchungen diesseits
und jenseits des Nordatlantik. Bd. 1:
Für den Bereich des völkischen Okkultis- Text, Leipzig 1931. Neudruck in zehn
mus dürfen hier als einschlägig benannt Bänden, Saarbrücken 1979-1987.
werden:
Außerdem auch
5.2 Peryt Shou Die Esoterik der Atlan-
tier in ihrer Beziehung zur ägypti- 5.11 Albert Herrmann. Unsere Ahnen
schen, babylonischen und jüdischen und Atlantis. Nordische Seeherrschaft
Geheimlehre, Leipzig 1913. von Skandinavien bis nach Nord-
afrika, Berlin 1934. Neudruck: Steinkir-
5.3 Ders. Atlantis. Das Schicksal der chen 1985.
Menschheit, Lorch 1931.
Wegen der besonderen Skurrilität sei
5.4 Hermann Wieland: Atlantis, Edda noch hingewiesen auf:
und Bibel, Nürnberg 1922.
5.12 Heinrich Pudor Helgoland - Hei-
5.5 Rudolf John Gorsieben, Hoch-Zeit ligland. Volksausgabe in Lieferungen,
der Menschheit, Leipzig 1929. Neu- Leipzig 1931 (für das Atlantisthema
druck: Freiburg 1971. Bremen 1981. wichtig: die 3. und 4. Lieferung).

MATERIALDIENST DER EZW 1/92


Berichte
Gottfried Küenzlen

Der Krieg in Kroatien


westlichen Medien immer wieder be-
Der Krieg
zeichnet wird, es ist vielmehr ein Erobe-
„Wir haben lange genug gewartet. Es ist rungskrieg der serbischen Armee und der
Zeit einzugreifen. Der Krieg fordert viel- in ihrem Schatten kämpfenden serbi-
leicht 10000 Tote - dann ist Ruhe in Jugo- schen Freischärler gegenüber Kroatien
slawien." Mit diesem Satz wurde im Som- mit dem Ziel, weite Teile Kroatiens auch
mer 1991 der Chef des Generalstabes der um den Preis völliger Zerstörung zu er-
jugoslawischen „Volksarmee", General obern und in ein künftiges Großserbien
Adzic, zitiert. Inzwischen haben sie ein- (oder auch Rest-Jugoslawien") einzuglie-
gegriffen, die Zahl der Getöteten dürfte dern. Dieses Ziel ist bei Abfassung dieses
nach letzten Schätzungen schon sehr viel Berichtes (Ende November) weitgehend
höher liegen, 500000 Menschen sind erreicht, und es ist nicht mehr sicher, ob
auf der Flucht, das Land ist in weiten Tei- die Pläne nicht schon weiter reichen und
len zerbombt, Dörfer und Städte, weite auf die völlige Zerstörung Kroatiens zie-
Teile der kroatischen Industrieanlagen len. Dieser Krieg ist insofern kein (noch
sind zerstört, zivile Ziele, Krankenhäuser, nicht!) Krieg der Völker, da Kroatien ge-
Schulen und Kulturdenkmäler und insbe- genüber Serbien keinerlei hegemoniale
sondere auch Kirchen sind bevorzugtes Ansprüche erhebt und da in Serbien
Ziel der Generale der einstigen „Bundes- selbst trotz gelenkter Propaganda und
armee". Mitte November waren es 174 Agitation durchaus Stimmen durchdrin-
kroatische Kirchen, die planmäßig zer- gen, die sich gegen diesen Krieg wenden,
stört wurden und deren Zerstörung im ge- ja eine eigene kleine serbische Friedens-
lenkten Belgrader Fernsehen vorgeführt bewegung existiert.
wurde. Der Krieg wird vielmehr von der serbisch
Was in der westlichen Publizistik ver- dominierten Armee und der jetzigen ser-
harmlosend immer noch gerne der „jugo- bischen Führung unter Slobodan Milo-
slawische Konflikt" genannt wird, ist in sevic im wesentlichen aus drei ineinan-
Wahrheit ein Krieg in seiner häßlichsten der fließenden Motiven geführt. Zum ei-
und mörderischsten Gestalt, wie er in Eu- nen sind es die nach wie vor kommunisti-
ropa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht schen Generale des alten Regimes, die
mehr erlebt wurde. Die Grausamkeiten diesen Krieg als Kampf des „Sozialismus"
gegenüber Zivilbevölkerung und Gefan- gegen den „Faschismus" führen, wie dies
genen sind unvorstellbar, auch wenn es etwa der serbische Verteidigungsminister
schwer ist, bei kriegsbedingt üblicher Kadijevic auch offen aussprach; sodann
Desinformation auf beiden Seiten, sich geht es um die Realisierung großserbi-
ein sicheres Bild zu verschaffen. Wichtig scher Hegemonialansprüche, nach der
ist die Einsicht, daß der Krieg kein klassi- Devise „wo Serben wohnen, ist Serbien".
scher „Bürgerkrieg" ist, als der er in den Schließlich geht es auch um ganz reale

10 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


Existenzängste der Armee. Im zerfallen- dem Zwang der Einheitsparole „Einigkeit
den Jugoslawien hat sie keinen Platz und Brüderlichkeit" des kommunisti-
mehr, ein Großserbien oder Rest-Jugosla- schen Tito-Regimes wurden die Schrek-
wien könnte ihr die künftige Existenz si- ken der Vergangenheit nie ans Licht geho-
chern. Aus solchen Motiven ist der Erobe- ben, sie lebten aber im Bewußtsein der
rungs- und Vernichtungskrieg gegen Kroa- Völker weiter und können nunmehr in
tien zu erklären, der mit allen Mitteln der schrecklicher Aktualität die Gegenwart
hochgerüsteten „Bundesarmee", zu Was- bestimmen. Ein „Historiker-Streit" wie
ser, zu Lande und in der Luft geführt der über die deutsche Vergangenheit und
wird. Die kroatischen Nationalgarden ha- ihre Stellung in der europäischen Ge-
ben dem außer ihrem bedingungslosen schichte der ersten Hälfte des 20. Jahr-
Selbstbehauptungswillen nur wenig ent- hunderts, der vor Jahren in Deutschland
gegenzusetzen. Sie besitzen weder die öffentliche Debatte bestimmte, wäre
Kampfflugzeuge, noch Kriegsschiffe oder im kommunistischen Regime unmöglich
Raketen. Noch in den letzten Wochen gewesen; wer als Intellektueller derglei-
des alten kommunistischen Regimes weit- chen versucht hätte, wäre im Gefängnis
gehend entwaffnet, konnten sie nur gelandet. Doch ist es für den, der sich als
durch spätere Besetzung von Kasernen Außenstehender ein Bild der gegenwärti-
usw. sich vereinzelt leicht aufrüsten. Das gen Lage verschaffen will, unumgäng-
inzwischen ergangene Waffenembargo lich, sich in Umrissen wenigstens die jün-
der EG-Staaten trifft vor allem Kroatien, gere Geschichte des Verhältnisses von
Serbien dagegen kaum: Nahezu die ge- Kroaten und Serben ins Gedächtnis zu ru-
samte, sehr ausgedehnte Waffenproduk- fen. Wir geben hierzu Auszüge aus ei-
tion des früheren „Jugoslawien", das ei- nem Referat wieder, das der Erzbischof
ner der größten Waffenexporteure der France Perko aus Belgrad kürzlich auf
Welt war, liegt in Serbien. dem Jahrestreffen des »Wiener Kreises«
So eindeutig Slobodan Milosevic und die gehalten hat, einem unter dem Patronat
serbisch-kommunistischen Generale die von Kardinal Franz König stehenden und
Aggressoren und Interessenten dieses vom Züricher Institut »Glaube in der 2.
Krieges sind, so mehrdeutig wird die Welt« getragenen interkonfessionellen
Lage, wenn man sich die historischen Experten-Forum über die Lage in Osteu-
und kulturell-politischen Hintergründe ropa. Erzbischof Perko, der Nationalität
des Gegensatzes zwischen Serbien und nach Slowene, hat in Belgrad ständigen
Kroatien in Erinnerung ruft. Kontakt mit den Vertretern der serbisch-
orthodoxen Kirche:
„Auf dem Gebiet des bisherigen Jugosla-
Die Geister der Vergangenheit
wien kam dieser Konflikt zwischen Kroa-
Wann immer man mit Kroaten und Ser- ten und Serben bald nach der Gründung
ben spricht, tauchen die Schatten der Ver- des Königreichs der Serben, Kroaten und
gangenheit auf, welche die Gegenwart Slowenen nach dem Ersten Weltkrieg
bestimmen. Daß die böse Vergangenheit zum Vorschein. Kroaten und Slowenen
heute zwischen beiden Völkern steht, hat wurden in das damalige Königreich ein-
vor allem auch den Grund, daß sie in gegliedert ohne irgendeinen Vertrag über
den 40 Jahren des kommunistischen Re- einen künftigen gemeinsamen Staat. Be-
gimes nie offen diskutiert, verarbeitet denken wir heute, wie langsam und stu-
und auch versöhnt werden konnte. Unter fenweise sich die politische Vereinigung

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 11


Europas entwickelt, müssen wir eingeste- grader Parlament ermordete. Die Folge
hen, daß es so einen Prozeß bei der Bil- davon war, daß die Kroaten den neuen
dung des Königreichs der Serben, Kroa- Staat noch mehr boykottierten und we-
ten und Slowenen nicht gab. Dieser ge- der in der Regierung noch im Parlament
meinsame Staat wurde in einigen Mona- mitwirkten. Ein zweites wichtiges politi-
ten auf die Beine gestellt. Mehr noch: sches Ereignis war sechs Jahre später,
Die Serben faßten sofort die Kroaten und 1934, die Ermordung des Königs Alexan-
Slowenen als Kriegsbeute auf. Diese ge- der in Marseille. Dies schrieb man gleich
hörten ihnen, da sie an der Seite der Sie- den Kroaten und ihrer Bewegung zu.
ger am Ersten Weltkrieg teilgenommen Diese Bewegung wird zur Zeit des Zwei-
hätten. Die Idee, daß Kroaten und Slowe- ten Weltkrieges vor allem mit dem Na-
nen Kriegsbeute sind, ist nicht metapho- men >Ustascha< bezeichnet. Mit diesen
risch, sondern es sind gleiche Worte zu zwei Morden nimmt das Mißtrauen zwi-
finden in vielen damaligen und späteren schen Serben und Kroaten zu und gefähr-
Texten, in denen serbische Theoretiker det die Erhaltung Jugoslawiens. Die späte-
über die Natur und die Zukunft der ren Ereignisse trugen nichts zur Beruhi-
neuen Staatsbildung verhandeln. So ist gung und größeren Kooperation bei, son-
klar, daß es auf einer solchen Grundlage dern verschärften die Situation."
unmöglich war, irgendein Staatsgebilde „Während des letzten Krieges wird der
zu formen, das demokratisch sein und zu >Unabhängige Staat Kroatien< gegründet,
einem nationalen Pluralismus führen geleitet vom Ustascha-Führer Pavelic.
würde. Das Königreich wurde bald zu ei- Da auf dem Territorium dieses Staates
ner Diktatur, in der die Serben die Macht eine erhebliche Zahl von Serben lebt, ver-
in den Händen hielten. Das dauerte sucht dieser Staat ihre Zahl zu vermin-
hauptsächlich bis zum Zweiten Welt- dern, indem er sie zwingt, katholisch zu
krieg und ist auch ein Grund dafür, werden oder er vernichtet sie, vor allem
warum das Königreich keinen ernsthaf- im Lager Jasenovac. Die genaue Zahl der
ten Widerstand leistete, als das national- ermordeten Serben ist nicht gesichert.
sozialistische Deutschland es im April Aber nach dem Krieg verbreitete die ser-
1941 überfiel. Die Kroaten erhielten bische Propaganda die Idee, die Kroaten
zwar 1939 zum Teil eine Teilautonomie seien ein ,Volk von Henkern', sie hätten
in der Form einer >Kroatischen Bano- 1 Mio. Serben umgebracht, und sie beab-
vina<. Doch ist die Geschichte Jugosla- sichtigten auch weiterhin, das serbische
wiens zwischen den zwei Weltkriegen Volk zu vernichten. Zwischen den Ser-
eine Geschichte von verschiedenen For- ben und Kroaten kam es nach dem Krieg
men der Diktatur, die in jener Zeit wech- nie zu einer Versöhnung wie zum Bei-
selten/' spiel zwischen Deutschen und Franzo-
„Aus dieser Zeit sind zwei große Bege- sen oder Deutschen und Polen. Hier
benheiten zu erwähnen. Da ist die Ermor- muß erwähnt werden, daß auch die ka-
dung von Stjepan Radic, dem Führer der tholische Kirche in Kroatien wegen der
kroatischen parlamentarischen Gruppe kommunistischen Propaganda, die die
im Parlament in Belgrad. Radic wider- Schuld für den sogenannten Genozid an
setzte sich ständig dem serbischen Zen- den Serben der katholischen Kirche, be-
tralismus und forderte eine föderale Glie- sonders dem Erzbischof Stepinac, zu-
derung Jugoslawiens, bis ihn ein Agent schrieb, keine Möglichkeit sah, einen sol-
der großserbischen Gruppe 1928 im Bel- chen Versöhnungsprozeß in die Wege zu

12 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


leiten. Das ist sicher ein großes histori- schen Minderheit. Wahr ist, daß die Ser-
sches Versäumnis. Aber auch die ser- ben eine große Zahl leitender Positionen
bisch-orthodoxe Kirche tat sich schwer, und Funktionen innehatten, und zwar im
auf Gesten der Versöhnung einzuge- umgekehrten Verhältnis zur Stärke dieser
hen ..." Minderheit in Kroatien. Die Vertreter der
„Während der kommunistischen Periode, 12% serbischen Einwohner in Kroatien
besonders nach der Verfassung von hatten mehr als 50% aller leitenden Funk-
1974, besteht Jugoslawien aus sechs Re- tionen in der Regierung und der Wirt-
publiken und zwei autonomen Provin- schaft Kroatiens inne..." (F. Perko)
zen: Kosovo und Vojvodina. Dieser Ein- So ist die geschichtliche Erinnerung an
teilung Jugoslawiens wollten die Serben massenhaftes Unrecht und Terror auf bei-
nicht zustimmen. Als zahlenmäßig größ- den Seiten, weil nie die Chance zur Verar-
tes Volk widersetzten sie sich einem Jugo- beitung bestand, der gegenwartsbestim-
slawien, das den Völkern große Autono- mende Hintergrund des Krieges. Freilich
mien verlieh und den Minderheiten weit- ist gleich beizufügen, daß das schlimme
läufige kulturelle wie andere Rechte gab. Leid und Unrecht der Vergangenheit in
Tito wird das Wort: ,seh waches Serbien, bewußtem politischem Kalkül von der
starkes Jugoslawien' zugeschrieben. Das serbischen Führung zur Legitimation des
Gebiet Serbien wurde in drei Republiken Krieges instrumentalisiert werden. Auch
und zwei autonome Provinzen aufgeteilt. mögen auf kroatischer Seite vor Anfang
Dadurch war die Macht der Serben ge- des Krieges in dem Zusammenhang ohne
schwächt. Sie fühlten sich betrogen, und Augenmaß schwere Fehler gemacht wor-
unter den Serben, die die Idee, Kroaten den sein, wenn unter Verharmlosung der
und Slowenen seien ihre Kriegsbeute, Ustascha-Greuel nur von den zweifellos
nicht aufgegeben hatten, entstand ein tie- zahlreichen Verbrechen der Tschetniks
fes Gefühl der Frustration. Nach Titos an den Kroaten die Rede war.
Tod versuchten die Serben, Jugoslawien
langsam zu zentralisieren. Zur entschei-
denden Wende kam es 1986, als die kom-
Nation, Nationalismus und Religion
munistische Fraktion mit Milosevic an
der Spitze die Macht in Serbien über- Im Gegensatz zu den „Staatsnationen"
nahm." Westeuropas haben sich die Völker Ost-
„Aber bedroht fühlen sich in Jugoslawien und Südosteuropas, wegen ihrer wechsel-
nicht nur die Serben. In der Nachkriegs- haften, von häufiger Fremdherrschaft be-
zeit können im kommunistischen Jugosla- stimmten Geschichte, immer als Kultur-
wien mehrere Perioden unterschieden nationen verstanden; das heißt, sie ha-
werden. Es wechseln Perioden strenger ben bei wechselnden Staatszugehörigkei-
Diktatur mit einem liberaleren Regime. ten ihre Identität in ihrer Kultur, Sprache
Solch eine Zeit des Liberalismus war zwi- und Religion gefunden und bewahrt. So
schen 1965 und 1972. Aber als Tito im ist auch in Jugoslawien in der Zeit des
Herbst 1972 den liberalen Strömungen kommunistischen Regimes, wie auch
ein Ende setzte, übernahmen die Serben schon im 1918 gegründeten Königreich
in Kroatien führende Positionen. Und so „Jugoslawien""hie ein eigenes „jugoslawi-
fühlten sich die Kroaten seit 1972 bis zu sches" Nationalgefühl entstanden, viel-
den freien Wahlen 1990 in ihrer Repu- mehr wußte sich der einzelne gebunden
blik okkupiert von der eigenen serbi- an die Kultur seines Volkes (Kroaten, Ser-

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 13


ben, Slowenen usw.). Das schlimme Ver- genüber anderen, Mißachtung der
sagen der europäischen „Friedensbemü- Rechte der anderen, die die Serben für
hungen" der vergangenen Monate hat sich fordern, geht in Genozid über." (Erz-
neben anderem sicher auch darin seine bischof Perko) Und auch hier gilt, daß
Begründung, daß die Verantwortlichen die nationalistische Idee eines Großser-
in Europa über diese Zusammenhänge bien vom Regime Milosevic systematisch
nichts mehr wußten. für seine Zwecke manipuliert und instru-
Dieses in Kulturtraditionen gegründete mentalisiert wird. „Es begann eine syste-
Nationalbewußtsein von Kroaten, Ser- matische Propaganda, man säte Haß,
ben, Slowenen, von Bosniaken und Ma- nicht nur gegen Albaner, sondern auch
zedoniern, ist freilich zu unterscheiden gegen Kroaten und Slowenen... Diese
von der Idee eines aggressiven Nationalis- Kampagne wurde systematisch über
mus, der sich mit dem Historiker Isaiah Jahre hinweg durchgeführt. Das Volk
Berlin so definieren läßt: „Der Nationalis- wurde von der Information abgeschnit-
mus unterscheidet sich vom Nationalbe- ten, denn alle wichtigen Medien, be-
wußtsein vor allem darin, daß er den Vor- sonders Fernsehen, Radio und
rang der Nation gegenüber allen anderen Tageszeitungen und deren Redaktionen
Forderungen und Werten postuliert." Ein standen unter ständiger Kontrolle der Re-
solcher Nationalismus, den man sich frei- gierung. Wer nicht nationalistisch genug
lich hüten sollte als zum Wesen der Ser- war, wurde durch einen anderen ersetzt.
ben oder Kroaten notwendig gehörig zu Die Leute konnten die Information nicht
betrachten, prägt den Hintergrund des überprüfen, da keiner informiert war. Die
Krieges gegen Kroatien. Mag es auch in Folge ist: Die Bürger Serbiens, die nicht
Slowenien, mehr noch in Kroatien Stim- nationalistisch eingestellt waren, werden
men eines solchen Nationalismus gege- dies und fangen an, die Kroaten als Usta-
ben haben und geben, seine aggressive scha-Anhänger und Feinde der Serben
und mörderische Gestalt hat er im Re- aufzufassen... Damit wird systematisch
gime Milosevic und der Generale gewon- der Haß gegen andere Völker gepflegt,
nen. „Der heutige Krieg zwischen Ser- besonders aber gegen Albaner und Kroa-
bien und Kroatien geht aus der großserbi- ten. Bei den Bürgern will man das Gefühl
schen Idee hervor, daß alle Serben das wecken, die Serben seien bedroht und
Recht haben, im eigenen Staat zu le- sie müßten sich verteidigen... Auch das
ben ... Dies stellt das Recht nur eines Vol- kann zur Klärung beitragen, warum es im
kes in den Vordergrund und verdrängt gegenwärtigen Krieg zu ausgesproche-
die Rechte anderer Völker. Diese Idee, nen Verbrechen und Massakern an der
auf die wir in Serbien seit dem Ersten kroatischen Bevölkerung, ohne Rück-
Weltkrieg stoßen, verwehrt das gleiche sicht auf Alter, Geschlecht und Beruf,
Recht den Angehörigen anderer Völker, kommt." (F. Perko)
denn es ist klar, daß die Serben ihren Die Zugehörigkeit zur Nation war in
Plan: ,Alle Serben im selben Staat' nur so Kroatien wie in Serbien immer auch
glauben verwirklichen zu können, daß durch die Religion bestimmt. Der Katholi-
sie die Angehörigen anderer Völker, die zismus in Kroatien, das orthodoxe Chri-
mit den Serben leben, zu Minderheiten stentum in Serbien waren immer mehr
machen, sie aus dem Land vertreiben als nur national unabhängige Glaubens-
oder sogar ermorden. Und eben dies ge- gemeinschaften. Der Zusammenhang
schieht im jetzigen Krieg. Intoleranz ge- von Nation und Religion trat mit dem Zer-

14 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


fall des kommunistischen Regimes wie- gen mit dem Knüppel geschlagen wor-
der klarer hervor, hatte freilich auch un- den, auch auf die drei Finger." (»FAZ«,
ter dem Tito-Regime nie aufgehört zu exi- 12.11.1991)
stieren. Freilich muß man auch hier zwi- Auf die systematische Zerstörung kroati-
schen religiös ausgerichtetem Nationalge- scher Kirchen durch die serbische Armee
fühl und religiös überhöhtem und legiti- wurde schon hingewiesen. Unerträglich
miertem Nationalismus unterscheiden. und den Charakter des gegenwärtigen
So geht es beim Katholizismus in Kroa- Belgrader Regimes enthüllend war ein
tien wie beim orthodoxen Christentum in Auftritt im Belgrader Fernsehen Ende No-
Serbien auch um kulturellen Reichtum, vember. Hier wurde eine gefangene
um identitätssichernde Kulturbestände junge kroatische Frau vorgeführt, die be-
und vor allem um die religiöse Heimat schuldigt wurde, in Vukovar serbische
dieser Nationen. Die Gefahr eines reli- Kinder getötet zu haben. Die Fragen an
giös überhöhten Nationalismus mag es in die im Fernsehen vorgeführte junge Frau
beiden Nationen geben. Vor ihm haben waren: „Glaubst du an Gott? Gehst du in
noch im April auf dem Symposion »Fu- die Kirche? Sagten dir deine Priester, daß
ture of Religion« in Dubrovnik der evan- du tun sollst, was du getan hast, nämlich
gelische Theologe Kuzmic aus Osijek serbische Kinder zu ermorden?" Die Ant-
ebenso gewarnt, wie der bosnische Fran- wort der jungen Frau, der die Todesangst
ziskanerpater Marko Orsolic aus Sara- vor ihren Peinigern im Gesicht stand,
jevo. Bislang gibt es aber weder in Kroa- war jedesmal ein tonloses: „Ja".
tien noch auch in Serbien Anzeichen ei-
nes unmittelbaren religiösen Nationalis-
mus; nach meiner bisherigen Kenntnis
Der Krieg und wir
hat die Führung des serbisch-orthodoxen
Christentums auf eine religiöse Legitimie- Zu Anfang war die Gleichgültigkeit in Eu-
rung des Krieges gegen Kroatien nicht ropa und in der Bundesrepublik gegen-
nur verzichtet, sondern sich gegen derlei über dem Krieg in Kroatien groß. Das
Bestrebungen gewehrt. Insofern ist der Schweigen angesichts dieses Krieges
Krieg nicht nur kein ethnisch begründe- stand in merkwürdigem Gegensatz zur
ter Bürgerkrieg, er ist auch kein Religions- Betroffenheit beim Golfkrieg wenige Mo-
krieg. Doch es gibt Nachrichten, daß das nate zuvor. Inzwischen mag diese Gleich-
serbische Regime Milosevics den religiö- gültigkeit geringer geworden sein: Zu
sen Faktor in abstoßend-grausiger Weise groß sind die Zerstörungen, zu unüber-
für seine Zwecke einspannt. So gibt es sehbar die Kriegsverbrechen. Doch im-
den Bericht des Provinzials (Oberen) der mer noch tut man sich hierzulande
kroatischen Ordensprovinz des Salesia- schwer mit klaren Stellungnahmen.
nerordens, der, von Serben willkürlich Dazu trägt das unklare, ja undurchsich-
verhaftet, nicht nur von sadistischen Fol- tige, zumindest hilflose Agieren der west-
terpraktiken serbischer Schergen an kroa- lichen Politik bei. Jeder einzelne Waffen-
tischen Gefangenen berichtet, sondern stillstand hat bislang der serbischen Ar-
auch mitteilt, „die serbischen Wachen" mee die Gelegenheit gegeben, weitere
hätten „von ihm verlangt, daß er sich auf Gebiete zusammenzurauben. Die Aus-
orthodoxe Weise, also mit drei Fingern, sichten, den mörderischen Krieg zu Ende
bekreuzige. Er habe getan, wie ihm gehei- zu bringen, sind jetzt, da dieser Bericht
ßen, sei aber dennoch an mehreren Ta- geschrieben wird (Ende November), so

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 15


schlecht wie zuvor. In den kommenden zen mit Hilfe der Vermittlung der Europäi-
Tagen wird voraussichtlich Osijek das schen Gemeinschaft erfolgt. Dies alles
Schicksal Vukovars erleiden, und die Ge- war vorauszusehen schon Jahre bevor
nerale, die auch vor der Beschießung Du- die EG-Emissäre verhandelten, die dann
brovniks nicht zurückschreckten - eines immer noch auf - interessengeleiteten -
Dubrovniks, in dem es keine Serben zu Illusionen von der Erhaltung eines Ge-
„befreien" gilt, weil dort keine leben - , samtjugoslawiens beharrten und Slowe-
werden auch vor der weiteren Zerstö- nien und Kroatien die Anerkennung als
rung Kroatiens nicht Halt machen. Schon unabhängige und selbständige Staaten
ist von einem Marsch auf Zagreb die verweigerten und dies bis heute tun.
Rede. Doch auch, wenn es dazu nicht Wie in der Politik, so in der Kultur. Wer
kommt, die serbische Eroberungs- und je mit kroatischen, serbischen, sloweni-
Vernichtungspolitik wird von einem Eu- schen oder auch bulgarischen Intellektu-
ropa, wie es sich bislang gezeigt hat, ellen gesprochen hat, weiß wie sehr sie
nicht rückgängig gemacht werden. Das von der europäischen Kultur nicht nur ge-
Recht auf Freiheit und Selbstbestim- prägt sind, sondern sich als ein Teil von
mung, das Prinzip, daß Grenzen durch ihr wissen. Dagegen steht der Dünkel ver-
Gewalt nicht verändert werden dürfen, meintlicher Überlegenheit in Westeu-
wird im Spiel der Interessen eines bislang ropa gegenüber dem „Balkan", der sich
ganz und gar nicht einigen Europas ver- darin gefällt, Slawonien von Slowenien
mutlich wenig gelten. Die Geister der nicht unterscheiden zu können und die
Vergangenheit scheinen auch im Westen schlichte Unkenntnis über diesen Teil der
Europas wieder aufzutauchen; alte Allian- europäischen Kultur, zu der Kroatien und
zen werfen wieder ihre Schatten. Serbien gehören. Die Verbitterung und
Die westeuropäische Gleichgültigkeit, das Entsetzen in Kroatien heute darüber,
wohl auch Ratlosigkeit, gegenüber dem von Europa, zu dem man doch gehören
Krieg in Kroatien liegt, neben anderem, will und gehört, alleingelassen zu wer-
auch in einer traditionellen westlichen den, ist auch die Verbitterung und das
Ahnungslosigkeit, teils in Überheblich- Entsetzen über das weitgehende Schwei-
keit gegenüber dem „Balkan" begründet. gen der westeuropäischen und gerade
Dies zeigt sich in der Politik, wie auch in auch deutschen Kulturintelligenz.
der Kultur. Wer sich nach Auflösung des Nachdenklich stimmen auch die bisheri-
kommunistischen Systems in Jugosla- gen kirchlichen Verlautbarungen. Hier
wien auch nur ansatzweise mit der dorti- wird zwar von Genf bis in einzelne Syn-
gen Lage befaßte, konnte wissen, daß oden hinein zu Frieden und Versöhnung
nun auseinandergehen würde, was nicht aufgerufen. Dies ist gewiß der Auftrag
mehr zusammengehört. Ich selbst habe der Kirche, wie auch die Bemühungen
vor über zwei Jahren in Dubrovnik die um den Frieden zwischen den Kirchen
Lage mit jugoslawischen Freunden erör- Kroatiens und Serbiens unbedingte Unter-
tert: Es waren serbische, kroatische und stützung verdienen. Aber warum tut man
bosnische Intellektuelle. Das übereinstim- sich so schwer mit eindeutigen Stellung-
mende Ergebnis der Analyse war: Jugosla- nahmen? Hier ist gewiß Umsicht und Au-
wien als Gesamtstaat wird nicht weiter genmaß vonnöten. Aber auch dieser
existieren können, ein Krieg wird nur zu Krieg hat Name, Anschrift und Gesicht.
verhindern sein, wenn das Auseinander- Noch einmal: Es ist (bislang) kein ethni-
gehen unter Wahrung der Republikgren- scher und kein religiöser Krieg, kein

16 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


Krieg der Kroaten gegen Serben, keiner durch sein Eingreifen zu sichern hätte.
zwischen katholischem und orthodoxem Aber was ist die Rede vom gemeinsamen
Christentum. Der Krieg wird aus ideologi- „Haus Europas" wert, wenn das Recht
schen und nationalistisch-machtpoliti- auf Freiheit und Selbstbestimmung seiner
schen Motiven geführt. Wieder drängt Völker nur selektiv und nicht allen gilt?
sich die Erinnerung an den Krieg am Golf Warum soll Slowenien und Kroatien ver-
auf, der uns gerade auch innerkirchlich wehrt bleiben, was den baltischen Staa-
betroffen machte und aufgewühlt hat. An ten zugestanden wird? Die Hinnahme
kirchlich eindeutigen Stellungnahmen der Zerstückelung oder Zerstörung Kroa-
hat es damals nicht gefehlt. Warum feh- tiens durch Europa wird Folgen haben,
len sie heute - angesichts des unendli- die Libanisierung des Balkans ist dann
chen Leids des Überfallenen kroatischen keine Schreckensvision mehr, sondern
Volks, angesichts der nahezu 200 be- reale Perspektive. Auch täusche man
wußt zerstörten kroatischen Kirchen? sich nicht: Der Blick in die Geschichtsbü-
Es mag sein, daß Europa (und die westli- cher lehrt, daß das ganze Haus Europas
che Welt) in „Jugoslawien" keine kurzfri- nicht unbeschädigt davonkommt, wenn
stigen Interessen gefährdet sieht, die es es auf dem Balkan knirscht und kracht.

Gerhard Adler, Baden-Baden

Kehren die Engel wieder?


Wer dem Lebensgefühl unserer Gegen- logen, nicht aber die Kinder des Wasser-
wart auf der Spur zu bleiben sucht, mannzeitalters: „Warum der Glaube an
kommt mit dem Lesen nicht mehr nach, einen Verkehr der Engel auf der Erde fast
vor allem aber aus dem Staunen nicht ganz verschwunden ist"? Rilkes Klage in
mehr heraus. Ganz entgegen dem Haupt- der zweiten Duineser Elegie „Wohin sind
strom abendländischer Tradition haben die Tage Tobiae" wird vielleicht bald
sich seit gut zehn Jahren (auch bei regel- nicht mehr verstanden.
mäßigen Kirchgängern) Reinkarnations- Der Zusammenhang zwischen den bei-
vorstellungen zu einer eigenartigen den weltanschaulichen Grenzgebieten
Lehre von den Letzten Dingen entwik- „Reinkarnation" und „Engel" ist den An-
kelt; von Illustrierten und Schlagersän- throposophen viel eher aufgegangen als
gern erhält diese modische Eschatologie den Theologen. Dabei ist seit der Apostel-
Unterstützung. Die jüngste Überra- geschichte das Problem auf den Punkt ge-
schung stellt die neue Vitalität eines The- bracht. „Die Sadduzäer behaupten näm-
mas dar, das seit der Aufklärung eigent- lich", so heißt es dort, „es gebe weder
lich abgeschrieben war: die Welt der En- eine Auferstehung noch Engel noch Gei-
gel und Geister bricht sich wieder Bahn. ster, die Pharisäer dagegen bekennen
Die melancholische Frage des alemanni- sich zu all dem" (Apg 23, 8). Nur so viel
schen Kirchenvaters Johann Peter Hebel, als aktualisierte Erläuterung dieser mo-
1787 im Gegenwind der Aufklärung ge- dellhaften Beschreibung: Wo in der
stellt, trifft allenfalls rationalistische Theo- Theologie und in der Philosophie die

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 17


Idee des Engels geschwunden ist, dort ist Das vom Griechischen (äggelos) über
auch die Idee der Seele als eine im Prin- das Lateinische (angelus) ins Deutsche
zip von der menschlichen Leiblichkeit ab- eingeführte Lehnwort „Engel" ist die Be-
lösbare geistige Substanz geschwunden. zeichnung für ein Amt (die Botenschaft
So ist die Verbreitung der Reinkarnations- nämlich), nicht eine ontologische Be-
idee (auch) eine Reaktion auf den „Ganz- schreibung; denn im Griechischen be-
tod", und dieser steht in engem ideenge- deutet „äggelos" zunächst nur das, was
schichtlichem Zusammenhang mit dem das Lateinische mit „nuntius" (Bote) be-
Vergessen der Engelwelt. Der antihelleni- nennt.
stische Affekt in Bibelwissenschaft und Man könnte nun hinzufügen, daß in ei-
christlicher Anthropologie erfährt in der ner großen christlichen Tradition mit den
weltanschaulichen Subkultur einen neu- Engeln eine eigene Schöpfungskategorie
platonischen Gegenschlag; man mag gemeint war. Jedenfalls wird dies in dem
dies nun Neognosis nennen oder Rück- berühmten Aphorismus Pascals vorausge-
kehr zu den Kirchenvätern. setzt, wenn es dort heißt: „Der Mensch
Soweit kirchliche Autoren die Engel ist weder Engel noch Tier; und das Un-
„wiederentdecken", tun sie dies in erster heil w i l l , daß, wer den Engel spielen will,
Linie in Reaktion auf „Erfahrungen", wie das Tier spielt" (L'homme n'est ni ange ni
sie das New Age verbreitet, und zwar bete, et le malheur veut que qui veut
in seinem spiritistisch-spiritualistischen faire Tange fait la bete).
Zweig. Gleichzeitig, und wohl auch un- Die evangelische Theologie hat mit onto-
tergründig im Lebensgefühl damit verbun- logischen Aussagen die größten Pro-
den, bringen künstlerische Produktionen bleme. Das Anliegen einer natürlichen
die Engel wieder ein. Der Kultfilm »Der Theologie, das auch zu Heilswahrheiten
Himmel über Berlin« von Wim Wenders einen denkerischen Zugang sucht, ist ihr
und Peter Handke gehört dabei zu den nicht geheuer. Das Sola-scriptura-Prinzip
einflußreichsten Ergebnissen. Die geho- ist aber auch nicht ohne Rückwirkung
bene Popwelt einer Laurie Anderson mag auf die katholische Theologie geblieben,
als Beispiel für den musikalischen Be- die gerade in Sachen Schöpfungslehre,
reich dienen. zu der die Angelologie gehört, außeror-
Der Begriff „Engel" ist kein „geschütztes dentlich zurückhaltend geworden ist.
Warenzeichen", heute weniger denn je. Der Exeget Claus Westermann, ein beson-
Mit dieser dem Gegenstand vielleicht ders sympathisches Beispiel für eine bibli-
unangemessenen Bemerkung sei darauf sche Engellehre, bemerkt: „Dem reinen,
aufmerksam gemacht, daß die Verständi- dem objektiven Denken sind die Engel so
gung darüber gar nicht so einfach ist, was wenig zugänglich wie Gott. Das Sein der
unter den Engeln eigentlich zu verstehen Engel oder die Existenz von Engeln kann
sei. Schon Augustinus wies darauf hin, nicht festgestellt werden." Soweit richtet
daß uns die Bibel bei ihren Engelberich- sich seine Aussage gegen ein philosophi-
ten keineswegs eine Wesensbeschrei- sches Nachdenken, in dem von Aristote-
bung mitliefert, daß das Wort „Engel" ei- les bis zum jungen Kant die größten Gei-
gentlich nur als eine Funktionsbeschrei- ster der Menschheit es nicht versäumt ha-
bung zu verstehen ist: angelus enim offi- ben, sich ihre klugen Köpfe auch über
cii nomen est, non naturae; nam angelus Geistwesen zu zerbrechen. Dann aber
graece, qui latine nuntius appelatur. Ver- wird die Sache von Westermann biblisch
deutlichend verdeutscht ist damit gesagt: gewendet. „Gibt es Engel? Nein, so kann

18 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


nach den Boten Gottes nicht gefragt wer- ster Linie die biblischen Zeugnisse spre-
den. Schickt Gott Boten zu uns Men- chen, und erst danach stellt er sich der
schen auf unsere Erde? Ja, das bezeugen Bedeutung von Liturgie und Dogmatik.
die, zu denen sie kamen, durch die Hier bewegt man sich aufeinander zu.
ganze Bibel hindurch." Nun aber wird dieses Insider-Gespräch
Allerdings gibt es viel skeptischere Theo- der Theologen und Gläubigen aufgebro-
logen, in beiden Konfessionen, vermut- chen durch einen ganz anderen Aspekt
lich sind es sogar die allermeisten, die heutiger Rede vom Engel: Es geht um die
die Engel der Bibel unter all die Relikte Erfahrung von geistigen Wirklichkeiten
des antiken Weltbilds einreihen, die man und um die Deutung solcher Erfahrun-
eigentlich erst eliminieren müsse, um die gen. Das Problem ist natürlich nicht neu.
Botschaft nach heutigem Weltverständ- Vor der Bibel, in der Bibel und neben
nis angemessen verstehen zu können. und nach der Bibel, namentlich im Zu-
Diese Mentalität reicht bis hin zur aus- sammenhang mit Heiligen, aber auch in
drücklichen Leugnung einer geistigen den Traditionen anderer Religionen hat
Welt, von der die Glaubensbekenntnisse es immer diese „Begegnungen" gegeben.
ja nur aussagen, daß auch ihr Schöpfer Die Kunstgeschichte wäre viel ärmer
Gott ist (creatorem omnium visibilium et ohne deren Niederschlag, auch die Litera-
invisibilium). Und es ist gleich hinzuzufü- tur müßte ein wichtiges Element entbeh-
gen, daß auch in der katholischen Dog- ren. Das New Age, um diesen schwer zu
matik gilt: Über die Engel sagt die Kirche definierenden Begriff noch einmal zu ver-
letztgültig nicht mehr aus als daß sie, wenden, scheint solche Erfahrungen mit
wenn es sie gibt, geschöpfliche Wesen Engeln und Geistern zu aktualisieren, ja
sind. Das Lehramt und ein Teil der Theo- zu forcieren. Ganz anders als in der Ge-
logen gehen allerdings von der Existenz neration von Achtundsechzig wird hier
der Engel aus, auch wenn diese nicht dog- die Welt „transzendenzoffen" gedeutet,
matisch definiert ist. der Verkehr mit der Geisterwelt sogar
Die ontologische Sicht und die biblische technisiert und damit banalisiert, aber im-
Sicht lassen sich keineswegs säuberlich merhin wieder zur Sprache gebracht und
konfessionell zuordnen. So hat der vor allem „erlebt".
verstorbene evangelische Systematiker Es zeigt sich nun, daß es schon ein Pro-
Ulrich Mann in der Theologischen blem darstellt, wenn man auf Definitio-
Realenzyklopädie die überraschende nen von „Warenzeichen" verzichtet,
Aussage gemacht: „Ohne Engel läßt sich, wenn man den ontologischen Ansatz,
vereinfacht gesagt, der Monotheismus das nützliche klare Denken mißachtet.
nicht wirklich durchhalten. Es muß, hin- Plötzlich wird nicht mehr unterschieden
ter und über ,Wolken, Luft und Winden' zwischen Engeln, Verstorbenen, Natur-
(Paul Gerhardt), Wesen geben, die so- geistern und allen anderen leibfreien und
wohl Gott personhaft gegenüberstehen - halbleibfreien Wesenheiten, die wir aus
und damit den paganistischen Polytheis- der Religionsgeschichte kennen. Es geht
mus theologisch abzulösen in der Lage durcheinander. Zwar wird etwas „erlebt"
sind, wie auch der Vielfalt der Phäno- (in den Kirchen ist das bekanntlich eher
mene von Natur und Geschichte entspre- selten), aber man weiß nicht so recht
chen." Der katholische Dogmatiker Her- was. Wer begegnet mir denn da in einer
bert Vorgrimler wiederum läßt in seiner „Vision", in einer spiritistischen Sitzung?
eben erschienenen Angelologie in allerer- Ist denn mein verstorbener Großvater

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 19


schon als ein Engel zu bezeichnen? Viele lich, denen man sich bei einer Kontakt-
Spiritisten deuten den Aufstieg über im- nahme mit der „Geisterwelt" aussetzt,
mer neue Inkarnationen als den Weg braucht nicht viel gesagt zu werden.
vom Mineralischen über das Pflanzliche, Diese Gefahren bestehen, ob man nun
das Tierhafte und das Menschliche hin- meint, man begegne sich ja doch nur
auf zum bloß Geistigen, zum Engelhaf- selbst, oder man finde, wie Swedenborg,
ten. Oder aber bin ich selbst, insoweit Lorber oder Steiner, Zugang zu anderen
ich ein geistiges Wesen bin, letztlich von Welten.
meinem Ursprung her der gefallene En- Vermutlich käme man einen Schritt wei-
gel, der für seinen Hochmut in die Leib- ter, wollte man sich gegenseitig zur
lichkeit gebannt ist, aus der er sich wie- Kenntnis, ja ernstnehmen: die Bibelwis-
der zu seinem ursprünglichen Wesen em- senschaft die natürliche Theologie und
porläutern muß? So sehen es neugnosti- die gemachten Erfahrungen; das New
sche Gruppierungen, von denen das Age das klare Denken und die Er-
»Universelle Leben« in Würzburg zu den kenntnisse der Heiligen Schrift; der Phi-
derzeit dynamischsten gehört. losoph den Frommen und den medial
Die Theorien über die Welt der Archety- Begabten.
pen und die bikamerale Seele spielen, Das geistige Chaos, in dem wir heute le-
wie allgemeiner die Psychologie von ben, macht gelegentlich geneigt, um der
C G. Jung, auch ihre Rolle. Weltanschau- Bewahrung der Identität willen sich Anre-
lich wird aber sehr unterschiedlich akzen- gungen von außen zu verschließen.
tuiert. Für die einen bleibt das Gespräch Doch wäre auch dies zu beachten: Der
der linken mit der rechten Hirnhälfte so- Zeitgeist ist sicherlich mächtiger als die
zusagen radikal innerweltlich, auf das Re- traditionellen Instanzen. So bleibt eine
servoir der menschengeschaffenen und Mitgestaltung nur dort möglich, wo das
-vererbten Archetypen beschränkt; für an- (vielleicht risikoreiche) Hineingehen in
dere dagegen (und da sollten nun auch diese geistigen Strömungen gewagt wird.
Theologen achthaben) wird diese Bika- Wer sich auf New Age-Kongressen auf-
meralität durchaus als Schöpfungsstruk- hält, wird immer wieder auch großer Auf-
tur ernstgenommen und als der men- geschlossenheit, Toleranz und sogar Neu-
schengemäße Zugang zu einer höheren gierde gegenüber theologischen Stand-
Wirklichkeit gedeutet, der seinen Weg punkten begegnen. Dies stellt eine
über Verbildlichung und Versinnlichung Chance dar, noch gehört zu werden, aus
nimmt. dem Umgang mit der Bibel, aus der lan-
Die streng ontologische Engellehre in der gen Tradition einer natürlichen Theolo-
Tradition der Scholastik scheint heute al- gie einen Beitrag zu leisten dort, wo
lenfalls in eher konservativen katholi- heute die Erfahrungen tatsächlich ge-
schen Kreisen auf Interesse zu stoßen; macht werden, die ihrerseits auch eine
das »Engelwerk«, das allerdings auch ei- christliche Deutung erheischen.
nen spiritistischen Einschlag hat, ist hier
in erster Linie zu nennen. Ob die ganz
streng biblisch nüchterne Annäherung an Unter den Herbstneuerscheinungen sind folgende
die Engelwelt in ihrer protestantischen Engel-Bücher aufgefallen:
Unanschaulichkeit heute den Zugang
Anne Marie Fröhlich (Hg.): Engel. Texte aus der Welt-
zum Menschenherzen findet, ist aber literatur. Manesse, Zürich, 462 S., 19,90 DM, spä-
auch fraglich. Über die Gefahren schließ- ter 29,90 DM.

20 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


Paola Ciovetti: Engel - die unsichtbaren Helfer der beschützt seinen Besitzer durch 5000
Menschen. Aus dem Italienischen von Giovanni Jahre alte Form-Wellen" lautet die Über-
Bandini und Ditte König. Ariston, Genf und Mün-
chen, 229 S., 35,00 DM. schrift eines Prospekts, der kürzlich einer
Johannes Kuhn (Hg.): Der Engel leuchtende Spuren. esoterischen Zeitschrift bei lag. Eine ge-
Ein Lesebuch für stille Stunden. Mit Fotos von schäftstüchtige, jedenfalls einfallsreiche
Ewald Stark. Quell, Stuttgart, 176 S., 32,00 DM. Münchner Firma preist mit diesem Satz
Hans-Dieter Leuenberger Engelmächte. Vom prakti-
schen Umgang mit kosmischen Kräften. Bauer, die originalgetreue Kopie eines „atlanti-
Freiburg, 187 S., 32,00 DM. schen Rings" an, der - man lese und
Rudolf Steiner- Vom Wirken der Engel und anderer staune - „wahrscheinlich von den Atlan-
hierarchischer Wesenheiten. Herausgegeben von tern hergestellt" worden sei. Die popu-
Wolf-Ulrich Klüncker. Freies Geistesleben, Stutt-
gart, 229 S., 14,80 DM (Rudolf Steiner Themen- läre „Atlantis"-Mythologie wird dabei zu
taschenbücher 17). einer offenbar auch in gebildeteren
Herbert Vorgrimler- Wiederkehr der Engel? Ein altes Schichten noch durchaus anzutreffenden
Thema neu durchdacht. Butzon & Bercker, Keve- abergläubisch-magischen Erwartungshal-
laer, 120 S., 19,80 DM.
tung in Beziehung gesetzt - im Sinne ei-
Vom Autor dieses Beitrags liegt ein Taschenbuch nes aus der Alltagsmagie bekannten
zum Thema vor: Schutz- und Abwehrzaubers. Die Verbrei-
tung dieser magischen Erwartungshal-
Gerhard Adler Erinnerung an die Engel. Wiederent-
deckte Erfahrungen. Herderbücherei 1245, Frei- tung belegen etwa Umfragen des »IFKA-
burg 1986, 191 S., 8,90 DM. Instituts für Markt- und Sozialforschung«
und der Illustrierten »Stern« aus den 80er
In der Reihe der EZW-Texte erschien 1991 Jahren (vgl. H.-J. Ruppert, »Umgang mit
Uwe Wolff: Die Wiederkehr der Engel. Boten zwi- dem Okkulten III« = Studienbrief S 23,
schen New Age, Dichtung und Theologie (Impulse hg. von der »Arbeitsgemeinschaft Missio-
Nr. 32). narische Dienste«, Stuttgart):
„Ungefähr 1860 entdeckte der berühmte
Ägyptologe Marquis de Agrain im Tal der
Könige bei Ausgrabungen einen Ring aus
Assuan-Sandstein. Das Tausende von Jah-
Informationen ren alte Kleinod schien von den Vorfah-
ren der Ägypter, den Atlantern, angefer-
tigt worden zu sein, und war voll von rät-
selhaften geometrischen Zeichen, die in
einer deutlich beabsichtigten Anordnung
eingraviert worden waren...
Der Ring schien durch sogenannte
,Form-Wellen' eine Art Absperrung ge-
gen alles zu bilden, was die Schwingun-
ABERGLAUBE gen oder das Gleichgewicht seines Besit-
zers stören könnte. Die Formel, die diese
Ein Ring aus Atlantis. Eine neue Art unsichtbaren Kräfte zur Wirkung bringt,
des „Bildungsaberglaubens" macht sich steht in Symbolen verschlüsselt auf dem
bemerkbar, der gerne auf alte Mythen Ring, und wird heute noch immer als ei-
wie „Atlantis" (s.o. S. 1 ff) oder auf um- nes der erstaunlichsten Wunder der M i -
strittene physikalische Theorien bezug kro-Schwingungs-Physik angesehen.
nimmt. „Geheimnisvolles Schmuckstück Schon 64 Jahre nach seinem Fund be-

MATERIALDIENST DER EZW1/92 21


schützte der Ring Howard Carter gegen stellt, die auf gar keinen Fall abgeändert
den Fluch, der das Grab Tut-Anch- werden dürfen. Der Ring besitzt die For-
Amons schützte. Heute ist eine original- mel eines der erstaunlichsten Wunder
getreue Kopie des atlantischen Ringes in der Mikro-Schwingungs-Physik, deren
den meisten New-Age-Geschäften erhält- unsichtbare Kräfte die ,Form-Wellen'
lich. Nach Aussagen des Herstellers sind. Die Kräfte dieser,Form-Wellen' wa-
AQUARIUS! ist der Ring ,ein einzigarti- ren in Ägypten bekannt und wurden be-
ger Beschützer auf vielen Gebieten und reits vor mehr als 5000 Jahren genutzt.
absolut persönlich; der Ring wird durch Unser Ring ist die Nachbildung eines der
die eigenen Wellen seines Besitzers ge- ältesten Geheimnisse der Welt; er ist
speist' ... eine genaue Reproduktion des Originals,
Der Ring wurde wahrscheinlich von den das im Besitz der Familie A. de Belizal ist
Atlantern hergestellt. Er läßt uns eintreten und das im Werk Roger de Lafforests >Ces
in ein Mysterium von unerklärlicher Im- Maisons qui tuent< (Die Häuser, die tö-
munität gegen unsichtbare Störungen, ten) so gut beschrieben wird.
die sich aus den von diesen bestimmten Der Ring kann an verschiedenen Fingern
Formen ausgesandten Wellen bilden. Er der Hand getragen werden; an der rech-
neutralisiert die Mächte, die die Schwin- ten am Tage, an der linken in der Nacht.
gungssphäre oder das Gleichgewicht ei- Es ist aber notwendig, den Ring immer
nes Wesens stören können und bildet so zu tragen, da die von ihm ausgehenden
eine undurchdringliche Sperre. Schwingungen bestimmten Zwecken die-
Wir können mit Fug und Recht behaup- nen:
ten, daß die Eigenschaften dieses Ringes Zum Schutz kann man ihn zu allen wich-
außergewöhnlich sind; er schützt vor Ge- tigen Begegnungen an der linken Hand
fahren, gegen irdische Mächte oder Zau- tragen. Bei Besuchen, oder wenn man
ber, die auf die eine oder andere Störung mit Menschen konfrontiert wird, deren
der Schwingungssphäre zurückzuführen Absichten undurchsichtig sind, an der
sind. Eine weitere recht mystische Eigen- rechten Hand.
schaft: der Besitzer des Ringes verstärkt Auf Reisen, besonders auch, wenn man
seine mentalen und metaphysischen Fä- selbst einen Wagen lenkt. Es wird gesagt,
higkeiten. daß er Unfälle verhüten kann.
Es kann bewiesen werden, daß die Wirk- Während der Entspannung und im Schlaf
samkeit des Ringes nicht aus den Stoffen, getragen, verstärkt der Ring einige meta-
aus denen er zusammengesetzt ist, her- physische Fähigkeiten, vornehmlich die
rührt, ebenfalls nicht aus magnetischen Intuition und die Klarträume.
oder physischen, religiösen oder verzau- Der Ring speist sich aus den rein persönli-
berten Ladungen. Er ist weder ein ma- chen Strahlungen seines Besitzers und
gnetischer Talisman noch ein Fetisch. Er kann demzufolge weder verliehen noch
hat absolut nichts gemein mit irgend- verschenkt werden, nachdem er getragen
welchen vielversprechenden Neuheiten wurde. Er ist Ihr persönliches Eigentum
oder auf Aberglauben basierenden Talis- und wird so Ihr bester Verbündeter!
manen. Zudem ist der Ring vollkommen Lieferbar in Damen- und Herrengrößen
persönlich. nur je 9 8 - D M
Er speist sich aus den Strahlungen des Be- 925 Silber, auf Wunsch auch 24 et vergol-
sitzers. det oder 18 et Gold
Er wird nach bestimmten Regeln herge- erhältlich bei: AQUARIUS! ru

22 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


NEUHEIDEN schaft e.V.« und der »Artgemeinschaft
e.V.«.
»Germanische Glaubens-Gemein- Als Vorsitzender des „Godenrats" der
schaft« wiederbelebt. (Letzter Bericht: »Germanischen Glaubens-Gemeinschaft
1991, S. 120ff) Wie jetzt bekannt wurde, e.V.« fungiert „Ve-Gode" Geza von Ne-
haben Anfang 1991 Berliner Neuheiden menyi, der von der »Heidnischen Ge-
die seit den 70er Jahren infolge Überalte- meinschaft e.V.« in Berlin her bekannt ist
rung des Mitgliederbestandes zurückge- (vgl. M D 1991, S. 103f). In einer Schrift
gangenen Aktivitäten der »Germani- »Neuheidentum in Deutschland« hat
schen Glaubens-Gemeinschaft« (GGG) von Nemenyi nach eigenen Angaben
wiederbelebt. F.-W. Haack bezeichnet „alle neu-heidnischen Bewegungen in
diese 1913 gegründete Gemeinschaft in Deutschland" aufgeführt und Selbstdar-
seinem Buch »Wotans Wiederkehr« stellungen der meisten Gruppen mit aktu-
(1981) als „eine der wichtigsten Erstlings- ellen Angaben zu ihrer Organisation und
gruppen neugermanischer Religiosität" Leitung dokumentiert. Das Inhaltsregister
(S. 33). Ihr Gründer war der Maler und der Schrift (Redaktionsschluß 1.5.1991)
Kunstprofessor Ludwig Fahren krog führt in alphabetischer Reihenfolge fol-
(1867-1952), der sie zugleich bis zu sei- gende Gruppen und Gemeinschaften auf:
nem Tode als „Hochwart" geleitet hat.
Ihre Geschichte ist eng mit der »Deutsch- »Abendländischer Besinnungskreis
gläubigen Gemeinschaft« verbunden, Heimatreligion«
die von Otto Sigfrid Reuter (1876-1945), »Arbeitsgemeinschaft naturreligiöser
einem Halbbruder des späteren Berliner Stammesverbände Europas (ANSE)«
Regierenden Bürgermeisters Prof. Dr. »Armanen-Orden«
Ernst Reuter, zusammen mit Gleichge- »Asgard Bund e.V.«
sinnten aus dem Kreis um Fahrenkrog »Bund der Goden«
1911 unter dem Namen »Deutschreli- »Die Artgemeinschaft e.V.«
giöse Gemeinschaft« gegründet worden »Die Goden e.V.«
war und 1916 ihren jetzigen Namen er- »Deutscher Orden«
halten hatte (vgl. »Wotans Wiederkehr«, »Deutsch-religiöse Gemeinschaft«
S. 75). »Deutschgläubige Gemeinschaft e.V.«
Bei der Mitgliederversammlung der »Deutschgläubiges Bildungswerk
»Deutschgläubigen Gemeinschaft« an- Österreich«
läßlich ihres 80. Jahrestages am „18. bis »Earth worm-Coven «
20. Sonnmond 1991" in Dorfmark »Fellowship of Isis«
wurde nach Mitteilung der Zeitschrift der »Freundeskreis Ludwig Fahrenkrog«
GGG, »Germanen-Glaube«, „eine Zu- »Gemeinschaft der Goden«
sammenarbeit mit der Heidnischen Ge- »Gemeinschaft der Nordungen«
meinschaft e.V. [vgl. M D 1991, S. 113ff] »Gemeinschaft zur Erhaltung von Burgen
beschlossen". Neben der Festansprache (GEB) e.V.«
des „Amtmanns" der »Deutschgläubigen »Germanisch-tffeutsch-religiöse Gemein-
Gemeinschaft e.V.«, Dr. Odfried jung- schaft«
klaaß, referierten auch der Obmann »Germanische Glaubens-Gemeinschaft
des »Deutschgläubigen Bildungswerkes e.V.«
Österreich«, Karl-Heinz Schwecht, so- »Goden-Orden«
wie Redner der »Heidnischen Gemein- »Golden-Eagle-Coven«

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 23


»Guido von List-Gesellschaft e.V.« ligion unserer Vorfahren. Hinter dem Be-
»Gylfiliten Gilde« griff ,Gott' steht für sie der Allvater Wo-
»Hegsen-Kreis« dan, daneben werden auch alle anderen
»Heidnische Gemeinschaft e.V.« Götter und Göttinnen der Germanen ver-
»Heidnische Glaubensgemeinschaft« ehrt, besonders z. B. auch die Erdmutter
»Hexencoven Weeda« Frigg... Wichtigstes Anliegen ist, den
»Nebel wald-Coven« Menschen wieder in den Zyklus der Na-
»Nordisch-religiöse Arbeitsgemeinschaft« tur zu integrieren, um ein Handeln im
»Nordisch-religiöse Gemeinschaft e.V.« Sinne der Götter und des Kosmos zu er-
»Nordische Glaubens-Gemeinschaft reichen."
e.V.« Daß solche geschickt auf eine esoteri-
»Nordischer Ring e.V.« sche Naturverbundenheit abzielenden
»Pendragon Arbeitskreis Marburg« Ideen, die man ohne Bezug auf germani-
»Schild-Gemeinschaft« sche Götter auch bei Vertretern der New
»Starmaiden-Earthdream-Coven« Age-Szene finden kann, durchaus auf Re-
»Tempel der Semnonen« sonanz stoßen, belegt der im Dezember
»Thors Wikinger (Thorguard Vikings)« 1991 von der Zeitschrift »Esotera« veröf-
»Treuekreis Artglaube Irminsul« fentlichte Bericht »Wodans neue Erben«
»Urlagu-Verbund der Vor- und Früh- „Die Unzufriedenheit mit den etablierten
geschichtsforschung« christlichen Kirchen und ein zunehmen-
»Verein für Urgestaltung e.V.« des Unbehagen vieler Menschen an der
»Vertrauenskreis Freigläubiger Gefährten« technologischen Zivilisation", heißt es
»Waxing Oak Coven« da, „haben in den letzten Jahren zu einer
»Waxing Oak Network« beachtlichen internationalen Renais-
»Wicca« sance des Neuheidentums geführt. Die
»Wicca-Arbeitskreis Taunus« in New York erscheinenden >Earth Reli-
»Wotans Volk« gion News< weisen weltweit auf Tau-
»Yggdrasil e.V.« sende neuheidnische Gemeinschaften
Über die »Germanische Glaubens-Ge- mit Millionen Anhängern h i n . . . Wäh-
meinschaft e.V.«, die sich als „älteste rend ,emanzipative' Neuheiden ihren
heidnisch-germanische Religionsgemein- Glauben als Voraussetzung für ein liebe-
schaft der Welt" bezeichnet, wird u. a. volles Miteinander von Menschen, Völ-
mitgeteilt, daß an die Stelle des früher kern und Naturwesen ansehen, strebt das
von L. Fahrenkrog geleiteten „Ältestenra- zeitgenössische rechtsextreme Neuhei-
tes" ein „Godenrat" getreten sei, der „für dentum, das auch in den USA, in Austra-
die religiös-inhaltliche Führung der Ge- lien und in Südafrika im Aufwind ist,
meinschaft verantwortlich ist". Weiter eine elitäre, hierarchische und in letzter
heißt es: „Die Germanische Glaubens- Konsequenz rassistische Gesellschaft
Gemeinschaft hatte schon in den 20er an." (»Esotera« 12/1991, S. 88; 22) Daß
Jahren Lehrpläne für heidnisch-germani- sich laut »Esotera« „auch in Deutschland
schen Religionsunterricht (z. B. an den ein stärkeres Engagement der Neuheiden-
Schulen) fertiggestellt und die Bedeutung szene für aktive Umweltschutzarbeit ab-
der Edda klar erkannt... Die Germani- zeichnet", darf daher auch nicht den
sche Glaubens-Gemeinschaft bekennt Blick auf die andere Seite der Szene ver-
sich zum polytheistischen Götterglauben stellen: „Ein Teil der neuheidnischen
der Germanen, zur heidnischen Naturre- Szene wird", so die religionswissenschaft-

24 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


liehe Zeitschrift »Spirita«, „beherrscht weltanschaulich fast hindu istischen)
von Gruppierungen, deren Ideologie auf Kurs durchsetzen wollten.
einige Rasse-Okkultisten der Jahrhundert- Aus dieser Krise zogen die anderen Öko-
wende zurückgeht." (Zit. »Esotera«, sophen, unter denen sich ihr Kern be-
S. 88) Für seinen Rassismus aber beruft fand, vier radikale Konsequenzen:
sich dieser Teil des neugermanischen 1. Auflösung oder besser Kündigung des
Heidentums, worauf F.-W. Haack hinge- eingetragenen Vereins (was von der Öf-
wiesen hat, zu Unrecht auf die „alten fentlichkeit als Auflösung der Ökoso-
Germanen": „Das Neugermanentum und phischen Gesellschaft mißverstanden
das aus ihm kommende Denken und Tun wurde);
ist eine gänzlich eigenständige Angele- 2. Aufhebung des Vorstands und damit
genheit. Es ist eine Neugründung, die auf aller Ämter;
einem bestimmten Grundgefühl aufbaut, 3. Ersetzung der formalen Mitgliedschaft,
das der ursprünglichen germanischen Re- welche schriftlich beantragt und vom
ligion deutlich fremd ist: Der Glaube an Vorstand „genehmigt" werden mußte,
die Höherwertigkeit einer bestimmten durch den Status des Mitwirkenden,
Menschenart." (»Wotans Wiederkehr«, der sich mit einer Erklärung und
S. 18) Eine solche Einstellung sei im Spende selber einführt (auch nicht aus-
ursprünglichen Germanentum, soweit geschlossen werden kann).
es überhaupt der Geschichtsforschung 4. Umwandlung der Ökosophischen Ge-
zugänglich ist, nicht zu finden. ru sellschaft aus einer Organisation in ein
„Netzwerk" autonomer Gruppen und
Einzelpersonen.
ESOTERIK Damit war - wie beabsichtigt - alle Ver-
einsmeierei zu Ende und die anfänglich
Wandlungen der Ökosophie. (Vgl. „bürgerliche" Struktur zerschlagen. Die
1987, S. 144f) Die Geschichte der Öko- Ökosophische Gesellschaft paßte sich
sophie, die im Juli 1985 begann (vgl. M D den Grundvorstellungen und anti-hierar-
1985, S. 369f), liefert ein drastisches In- chischen Tendenzen der Alternativbewe-
diz dafür, daß auch der neue Typus des gung an, was jedoch durchaus ihrem We-
Spirituellen nicht gefeit ist gegen die Ver- sen entsprach.
führungen der Macht und Bürokratie, Die beiden Hauptquellen der Ökosophie
welche er allein den intellektuellen Appa- sind einerseits die Grüne Bewegung, an-
ratschiks zuzuschreiben geneigt war. dererseits der Feminismus gewesen. Sie
Kaum waren in der Ökosophischen Ge- entwickelte sich aber auch aus der spiri-
sellschaft die für einen eingetragenen Ver- tuellen Bewegung, insbesondere aus der
ein unabdingbaren Vorstandsämter ge- Anthroposophischen Gesellschaft her-
schaffen, da begann schon das Gerangel. aus, welcher mehrere Gründungsmitglie-
Besonders verführerisch schien das Präsi- der der ökosophischen Initiativgemein-
dentenamt zu sein, von dem aus ein Pa- schaft angehört hatten. Gerade diese Ne-
pierkrieg entfesselt wurde. So geriet die benquelle sollte zum ersten Streitpunkt
»Ökosophische Gesellschaft« bereits werden.
Ende 1987 in eine existentielle Krise, die Ein Teil der Ökosophen verstand die Öko-
nur um den Preis des Austritts der Hälfte sophie als erweiterte Anthroposophie,
ihrer Freiburger Mitglieder gelöst werden während der andere Teil einen völlig ei-
konnte, welche einen politischen (und genständigen Weg suchte und beschritt -

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 25


für ihn war auch die Anthroposophische verstehen, hieß es im September 1990
Gesellschaft ein bürgerlicher Verein mit auf einem Geschichtsseminar. Dieses Ein-
hierarchischen und patriarchalischen greifen habe sich bereits Anfang des
Strukturen, die aufgebrochen zu werden 20. Jahrhunderts in den Sophia-Begeg-
verdienten. Der Konflikt griff jedoch tie- nungen Solowjews, Bloks und anderer
fer. Es ging um die gleichzeitige Verwur- Russen angekündigt.
zelung in Himmel und Erde, während Es gibt weit mehr Ökosophen als Mitwir-
die Anthroposophie eine Art Jakobsleiter kende in der Ökosophischen Gesell-
zu sein schien. Es ging um eine ganzheit- schaft, welche nur ihr engerer Zusam-
liche Spiritualität, während die Anthropo- menhalt ist. Davon zeugte schon die So-
sophie nur eine geistige und bewußtseins- phia-Tagung der Evangelischen Akade-
mäßige zu pflegen schien. Die Ökoso- mie Bad Boll vom Januar 1988, zu der
phie wuchs an diesem Konflikt, der sie sich überraschend über 200 Interessen-
freilich viel Kraft kostete. Der eigenstän- ten eingefunden hatten. Die Vorträge
dige Weg setzte sich durch, worauf sich von Dr. Susanne Schaup (Das Ewigweibli-
das Verhältnis zur Anthroposophischen che im Wandel der Zeiten) und Hilde-
Gesellschaft wieder entspannte. Man ist gunde Woller (Die Weisheitstradition
jetzt sogar zu Arbeitsgemeinschaften mit und ihre Bedeutung für das Neue Testa-
anthroposophischen Kreisen geneigt. Ru- ment) arbeiteteten sowohl eine aktuelle
dolf Steiner, obwohl man ihm gewisse als auch eine archetypische Problematik
Einseitigkeiten nachsagte, wurde in der auf. Einen besonders wunden Punkt so-
Ökosophie schon immer hochgeschätzt, wohl der katholischen als auch der evan-
ebenso Valentin Tomberg (vgl. M D 1987, gelischen Kirche berührte Susanne
S. 106ff), dessen »Große Arcana des Ta- Schaup, als sie in Bad Boll sagte: „Die Ge-
rot« in der Ökosophischen Gesellschaft schichte des Begriffs ,Sophia' zeigt, daß
starke Beachtung fanden (es gab Vorträge sie sich immer mehr hat verstecken müs-
und Diskussionen darüber). sen, daß sie immer mehr in den Unter-
Das Zentrum der Ökosophie liegt in Frei- grund und in Nebengeleise abgedrängt
burg im Breisgau. Es ist mit einer Reihe wurde. Wie jeder andere philosophische
von Stützpunkten in anderen Teilen und theologische Begriff ist auch ,So-
Deutschlands lose verknüpft. Ökoso- phia' vom männlichen Geist verwaltet
phen gibt es auch in Skandinavien, in der worden." (Protokoll, S. 20)
Sowjetunion und in den USA. Eine Dies legt die tiefere geschichtliche Wur-
30köpfige Gruppe im damaligen Lenin- zel der Ökosophie frei. Sollte sie die ge-
grad hat, als sie noch illegal war, über schichtliche Mission haben, Sophia aus
mehrere Vermittlungen den Kontakt mit dem Untergrund herauszugeleiten und
dem Freiburger Zentrum herstellen kön- ihr volles Daseinsrecht zu verschaffen
nen. Die Ökosophie liegt in der Luft. Es (auf weite Sicht vielleicht auch innerhalb
ist jedoch noch nicht gelungen, sie auf der beiden Kirchen)? Die Tagung in Bad
die Erde herunterzuholen und alle Öko- Boll zeigte das Entstehen einer neuen
sophen zusammenzuführen. Sophialogie auf, für die in Deutschland
Allerdings hat die Ökosophie „Sophia" Otfried Eberz eine gewisse Vorarbeit ge-
in die Geschichte eingebracht und sie leistet hat, deren Hauptquelle jedoch die
gleichsam aus ihrer Verbannung in den Mystik Jakob Böhmes ist. Auch in diese
Himmel befreit. Die osteuropäische Um- Sophialogie wirkt der Feminismus hin-
wälzung sei ohne ihr Eingreifen nicht zu ein, das heißt die Suche nach der weib-

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liehen Identität und nach der „inneren Ökosophen können sie nur in Frauen ent-
Frau" des Mannes. decken, manche Frauen und Mädchen
Die Ökosophische Gesellschaft hat sich sagen, Sophia begegne ihnen auch in
dieser Problematik genähert, ohne sie Männern. Wie dem auch sei: entschei-
schon erschöpfend beantworten zu kön- dend wird nunmehr der Sophia-Impuls.
nen. Das Schwergewicht lag bei ihr län- Er kann jedoch verschieden ausgelegt
gere Zeit auf ökologischer Spiritualität. werden. Auf jeden Fall ist er ein spritiuel-
Doch nun geht auch hier ein gewisser ler Impuls, der nach meiner Erfahrung im-
Wandel vor. Die heutige Freiburger Öko- mer weitere Kreise zieht.
sophie besteht hauptsächlich aus einem Eine insgeheime Seitenader der Ökoso-
Meditationskreis, der sich wie das Leben phie beschritt den tantristischen Pfad der
selbst immer wieder rhythmisch erwei- Synthese von Sexualität und Spiritualität.
tert und zusammenzieht. Seine Zusam- Die mächtigste Kraft des Menschen
menkünfte finden 14tägig unter der Lei- könne vor Gewaltausbrüchen bewahrt
tung von Christian Lauermann statt. Die werden, indem man auch die Leiden-
meditativ gesammelte geistig-seelische schaft akzeptiert und umwandelt. Sexua-
Energie des Kreises wird jeweils an einen lität sollte spiritualisiert und in den
Krisenpunkt geschickt. Anschließend be- Dienst der Ökosophie gestellt werden.
richten die Teilnehmer, was in oder mit Dieses Experiment führte in eine gefährli-
ihnen während der Meditation geschah, che Grenzzone und wurde nach 2 - 3
was sie innerlich sahen und erlebten. Monaten eingestellt.
Während die frühere Ökosophische Ge- Mehrere Ökosophen sind in Volkshoch-
sellschaft überwiegend aus Männern be- schulen tätig. Andere bilden den Kern
stand, was ein Widerspruch in sich war, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Poli-
setzt sich der heutige Meditationskreis tik und Spiritualität innerhalb der Grü-
hauptsächlich aus Frauen und Mädchen nen Partei. Die Ökosophie ist mehrspu-
zusammen. Diese Veränderung wird als rig geworden. Und doch sucht sie sich
erfreulich und wesentlich betrachtet. Ei- noch selbst.
ner der ökosophischen Theoretiker hatte Inzwischen ist die Umbenennung von
schon mehrmals gesagt: „Wir warten auf Ökosophie in „Öko-Sophia" erfolgt. Da-
die weiblichen Propheten!" Ob sich sol- mit soll der weibliche Aspekt und der
che Prophetinnen unter den Frauen und Glaube an Sophia stärker betont werden.
Mädchen des Meditationskreises befin- An öffentliche Seminare ist vorerst nicht
den, muß allerdings abgewartet werden. gedacht, doch sind auch ohne solche
Sie sind teilweise blutjung. Andere schei- neue Mitwirkende hinzugekommen. Ein
nen sich freilich im Hintergrund bereit Schwerpunkt der inneren Aktivität soll
zu halten. die Erarbeitung eines neuen Menschen-
Parallel zu diesem Kreis oder aus ihm her- bildes sein. Eine andere Richtung der
aus bilden sich Nebengruppen mit spe- Ökosophie, welche gleichzeitig mit der
ziellen Bedürfnissen und Arbeitsformen. Freiburger ganz unabhängig von ihr ent-
Eine solche Nebengruppe ist z. B. am stand, betätigt sich im Maingebiet. Die
1 2 . 1 1 . 1990 in Denzlingen entstanden. dortigen Ökostophen haben von vornher-
Ob man sich „ökosophisch" nennt oder ein auf eine Organisation verzichtet und
namenlos bleibt, erscheint jetzt als ne- kommen sporadisch in einem Gesprächs-
bensächlich. Doch rückt das Bekenntnis kreis zusammen.
zu Sophia in den Mittelpunkt. Manche Günter Bartsch, Neuershausen

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 27


SCIENTOLOGY Sprecherin der Initiative resümiert: „Die
Aufrufe einiger besonnener offizieller
Privatinitiative gegründet. (Letzter Be- Stellen und Religionswissenschaftler, die
richt: 1991, S. 283) »Scientology im Ge- Sachverhalte objektiv und nüchtern zu
genwind« - so lautete der Titel unseres betrachten und zu beurteilen, gehen in
Berichts vom Juni 1991 (S. 172 ff). Ange- der aufgeheizten öffentlichen Stimmung
sichts der dort geschilderten Zunahme unter." th
von Kritik in den öffentlichen Medien
und den daraus resultierenden Stimmun- EINZELGÄNGER
gen und verschiedenartigen Aktionen ha-
ben sich mittlerweile deutsche Scientolo- „Satan, fahr aus, fahr a u s . . . " Die
gen zu einer „Privatinitiative" zusammen- Stadt war voll der rot-gelben Plakate.
geschlossen. Deren Zweck soll es sein, Das blaue Kreuz und die bekannten
den „progromartigen Übergriffen auf Worte „Der Weg, die Wahrheit, das Le-
zahlreiche Bundesbünder scientologi- ben" luden ein. Der Zusatz „Willkom-
schen Bekenntnisses" zu begegnen und men im Zelt" ließen keinen Zweifel auf-
die Öffentlichkeit „sachlich" über die kommen: Eine Zeltmission sollte inmit-
Scientology Church zu informieren. Sitz ten des Tempels des Kommerz, auf der
der Anfang November 1991 ins Leben ge- Konstablerwache in Frankfurt, stattfin-
rufenen »Privatinitiative scientologischer den. Ein Besuch bestätigte diesen Ein-
Bürger« ist Ascheberg in Schleswig-Hol- druck: Eine ganz normale Zeltmission
stein. mit geschulten Rednern, die ihren Weg
Zum Zeitpunkt der Gründung wurde zu Gott und Christus schildern. Auf dem
auch eine Broschüre publiziert, die „Hin- Büchertisch Schriften des Missionswer-
tergründe, Fakten, Analysen und Progno- kes Werner Heukelbach, die zwar jedem
sen" enthält. Die „Rufmordkampagne", Anspruch emanzipatorischer Erziehung
die seit Jahrzehnten namentlich von Ver- zuwiderlaufen, aber immer noch Väter
tretern der beiden Großkirchen hierzu- und Mütter erreichen, die sie in bester
lande gegen Scientologen betrieben Absicht an ihre Kinder weitergeben.
werde, sei in den letzten Jahren ausgear- Auch die Art der Veranstaltungen war alt-
tet in Übergriffe auf Hausflure, Fenster bekannt: Ein eloquenter Herr, es sind mei-
und Autos sowie in Angriffe selbst auf stens Herren, berichtet von seinem Be-
Kinder. Entlassungen aus dem Beruf und kehrungsweg, umrahmt von Gesang. Le-
Geschäftseinbußen bei Selbständigen diglich eine Wandtafel verriet die für die
und Unternehmern hätten zu Schäden in Veranstaltungen verantwortliche Organi-
Millionenhöhe geführt. Die Initiative sation. »Missionsgemeinde« war da zu le-
plant daher unter anderem, daß ihre be- sen. Gründer dieser in Frankfurt am Main
troffenen Mitglieder Schadensersatzkla- beheimateten Gemeinde ist der Bautech-
gen in Millionenhöhe gegen Betreiber niker Werner Bergmann, Die Führung
von Rufmordkampagnen sowie gegen un- der Organisation liegt in den Händen
genügend recherchierende Zeitungen Bergmanns und einiger leitender Mitar-
und Journalisten wegen Verbreitung un- beiter, die „Älteste" genannt werden.
bewiesener Anschuldigungen einrei- Nach Berichten von ehemaligen Mitglie-
chen. Mit solchen Mitteln möchte man dern paart sich der hierarchisch-autori-
die „religionsfeindlichen Tendenzen" in täre Führungsstil mit einem eigenwilli-
Deutschland wirksam bekämpfen. Eine gen Rigorismus. So sagt Bergmann: „Wir

28 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


alle wissen: In geistlichen Dingen gibt es glied bestätigt, daß man erst langsam in
keine Neutralität. Entweder wir wandeln die Abhängigkeit geführt wird: „Durch
als Errettete im Licht oder in der Finster- die Lehre Werner Bergmanns wird man
nis/' dahin geführt, daß man all diese Reaktio-
Während am Sonntag Gottesdienste und nen für normal hält. In Wirklichkeit sind
Feiern stattfinden, wird unter der Woche, es Folgeerscheinungen dieser sogenann-
bevorzugt samstags, zu einer sogenann- ten See I sorge."
ten „Belasteten-Seelsorge" eingeladen. Nicht nur in Frankfurt, auch in Bremen
Hier sollen die Mächte der Finsternis, die gibt es eine »Missionsgemeinde«. Der
Dämonen vertrieben werden. Und dies Bremer Journalist und Religionswissen-
ist ganz wörtlich gemeint. Diejenigen, schaftler Peter Meier-Hüsing beschreibt
die neu zur Bergmann-Gemeinde sto- die dortige Gemeinschaft so: „Man prakti-
ßen, erfahren zunächst nichts von die- ziert die Glaubenstaufe und ein exklusi-
sem Treiben. Heinz-Peter Tjaden läßt in ves Abendmahl. Es herrscht ein klar fun-
seinem Buch »Gift gegessen. Aussteiger damentalistisches Bibelverständnis, Be-
aus ,Endzeitkirchen' berichten« (Worms ziehungen zu anderen fundamentali-
1989) ehemalige Mitglieder der Ge- stisch-theologischen Gruppen werden
meinde zu Wort kommen. Diese veröf- nicht gepflegt. Theologische Sonderleh-
fentlichten Berichte dramatisieren keines- ren, die stark auf den Leiter der Frankfur-
wegs. Ein ehemaliges Mitglied: „Amtsträ- ter Gemeinde, Werner Bergmann, zu-
ger [der Missionsgemeinde] schrieen die rückgehen, bestimmen das Gedanken-
Dämonen an, die angeblich in ihrem Kör- gut. Es gibt eine starke Betonung der
per hausten und wiederholten Sätze wie dämonischen Besessenheitsphänomene
diese unzählige Male: Wir rotten die und deren Austreibung, wie sie im
Mächte aus... Satan, du hast hier nichts Neuen Testament erwähnt werden.
zu w o l l e n . . . Fahr aus, fahr aus, aus, Diese ,dämonische Besessenheit' wird
aus..." Immer wieder ist zu hören, daß zu einem zentralen Aspekt der Lehre und
während dieser „Austreibungen" die Op- Praxis, denn jeder Mensch ist grundsätz-
fer zittern, zucken, stöhnen, röcheln, wei- lich besessen und muß daher gewisse
nen, lachen und sich auch übergeben Austreibungen über sich ergehen lassen,
müssen. Man kann sich vorstellen, wel- um befreit zu werden."
che Qual es für Menschen bedeutet, An anderer Stelle berichtet Meier-Hü-
wenn sie sich bei dieser Behandlung so sing: „Am 2. Februar 1988 stürzte sich
in einen Wahn hineinsteigern, daß sich die 25jährige Gertrud K. (Name geän-
die Grenzen zwischen dem, was sie den- dert) von einem Bremer Hochhaus. Sie
ken und fühlen und dem, was wirklich war seit ihrem 17. Lebensjahr Mitglied in
passiert, die Grenzen zwischen psychi- der Missionsgemeinde und hatte der Or-
scher Realität und der übrigen Wirklich- ganisation größere Geldbeträge gespen-
keit verwischen. det. Seit 1986 befand sie sich fast ohne
„Dies ist Teufelsbeschwörung, mittelalter- Unterbrechung in stationärer psychiatri-
liche Hexenmeisterei", urteilt ein Ehema- scher Behandlung. Sie glaubte, vom Teu-
liger. Und weiter sagt er: „Das Blut Jesu fel besessen zu sein und lehnte alle Medi-
wird magisch verwendet. Die Dämonen kamente mit dem Hinweis auf Jesus Chri-
kreischen, schreien, wenn Werner Berg- stus ab. An ihrer Beerdigung nahm kein
mann oder andere Brüder auftreten, um Mitglied der Missionsgemeinde teil."
sie auszutreiben." Das ehemalige Mit- Kurt-Helmuth Eimuth, Frankfurt a. M.

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 29


Zeugnisse von Menschlichkeit
unter Lebensgefahr
Dr. Alexander Bronowski gehört
ALEXANDER BRONOWSK» zu den Gründern und Leitern der
Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem in Jerusalem. In diesem
ES WAREN Buch stellt er Menschen vor, die
SO WENIGE während des Zweiten Weltkriegs
RETTER
in von den Deutschen besetzten
IM europäischen Ländern und in
HOLOCAUST
Deutschland selbst verfolgte Juden
gerettet haben, unter größter
Gefährdung ihres eigenen Lebens.
Sie wurden von Yad Vashem mit
dem Ehrentitel »Gerechte dieser
Welt« ausgezeichnet. Vorangestellt
ist diesen Zeugnissen die Überle-
vnun bensgeschichte Bronowskis selbst
QUELL und seiner Familie in Polen wäh-
rend des Zweiten Weltkriegs.

Alexander Bronowski Durch seine Authentizität spricht


das Buch jeden an Zeitgeschichte
Es waren so wenige und an jüdisch-deutscher Ge-
Retter im Holocaust schichte Interessierten an. Es wen-
Vorwort von Yoav Gelber det sich vor allem auch an junge
256 Seiten Menschen und gibt ihnen über-
Kartoniert. DM 12,80 zeugende Beispiele für Mensch-
lichkeit.
Unsere Bücher erhalten
Sie in jeder Buchhandlung.
Ausführliches Verlagsprogramm
vom Quell Verlag • Postfach 10 38 52
7000 Stuttgart 10 Quell Verlag

30 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


Heiße Rhythmen in der Kirche ?
Seit rund 30 Jahren existiert in
Deutschland eine christliche Pop-
musikszene, deren bunte Vielfalt
inzwischen kaum mehr zu überblicken
ist. Peter Bubmann, selbst Sacropop-
Komponist, Kirchenmusiker und
Theologe, kennt sich hier aus. Er
informiert über Geschichte, Stilrich-
tungen und Künstler, gibt Einblick in
die Texter- und Komponistenwerkstatt,
reflektiert ästhetische, soziologische
und theologische Aspekte dieser Musik
und plädiert eindrücklich für eine
vielgestaltige spirituelle Kleinkunst.

Aus dem Inhalt:


Peter Bubmann Protest, Profit und Lebenshilfe
Lobpreis, Tanz und Prophetie
Sound zwischen Von »Danke« bis »Christival«
Himmel und Erde Es werde Klang - Wege und Mittel
Populäre christliche Musik der Vertonung
Mit Beiträgen von Friedrich In aller Freiheit - eine theologische
Rößner, Wolfgang Schuhmacher Standortbestimmung
und Wolfgang Töllner Hinweise zum Einsatz von Rock- und
144 Seiten. 8 Fotos Popmusik im Religions- und Konfir-
Kartoniert. DM 16,80 mandenunterricht.

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7000 Stuttgart 10 ffl Quell Verlag

MATERIALDIENST DER EZW 1/92 31


Hiob - Rebell statt Dulder
Der Schweizer Theologe und
Werner Reiser Schriftsteller Werner Reiser legt
mit diesem Buch eine allgemein-
verständliche Auslegung des
ganzen Hiob-Buches vor.
Reiser stellt ins Zentrum seiner
Auslegung den Rebellen Hiob, der
gegen sein Geschick protestiert,
HlOBi
IVB Ein Rebell der Gott zum Prozeß fordert, der
bekommt recht sich allen frommen und berechnen-
den Theorien seiner Freunde
verweigert. Hiob greift alle gängi-
gen Gottesbilder auf und stellt sie
in Frage. Er hält dem Unsinnigen
stand und schreit seine Klage Gott
entgegen. Sein Schreien führt ihn
zum Leben, zu einer Gottesbezie-
hung, die Erfüllung und Enttäu-
Werner Reiser schung umschließt. Werner Reiser
Hiob legt eine sprachlich, psychologisch
Ein Rebell und seelsorgerlich differenzierte
bekommt recht Auslegung vor. Er ermutigt dazu,
208 Seiten Glaubens- und Gottesbilder
Kartoniert. DM 29,80 kritisch zu befragen und zu einer
persönlichen Gottesbeziehung
zu kommen.

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32 MATERIALDIENST DER EZW 1/92


Die religiöse Dimension der Kultur
in der pluralistischen Gesellschaft
Der Kulturbetrieb nimmt ständig
zu und erfaßt alle Lebensbereiche.
Dabei drohen die Kirchen ins
Abseits zu geraten. Das fordert sie
zu genauer Situationsanalyse und
Standortbestimmung heraus.
Dieses Buch dokumentiert die
aktuelle Diskussion. Es enthält
unter anderem die Referate des
che im 20. Evangelischen Kirchenbautags
Abseits? 1989 in Wolfenbüttel und Vorträge
Zum Verhältnis einer Veranstaltungsreihe im
ton Religion und Hospitalhof Stuttgart, in der breit-
Kultur gefächert der Kulturbegriff und die
religiöse Dimension der Kultur in
der pluralistischen Gesellschaft
Quell unserer Tage behandelt wurde.
Mit Beiträgen von Horst von
R. Bürgel/H.A. Müller/ Gizycki, Wolfgang Erich Müller,
R. Volp (Hg). Hans-Georg Soeffner, Ezzelino von
Wedel, Rainer Volp, Hermann
Kirche im Abseits? Glaser, Freimut Duve, Wolf-Dieter
Zum Verhältnis von Narr, Wolfgang Welsch, Clytus
Religion und Kultur Gottwald, Hermann Hipp,
244 Seiten Härmen Thies und Gotthardt
Kartoniert. D M 3 2 - Frühsorge.
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