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de.

Weitere Beiträge untersuchen Rituale und deren Wechselwirkung mit Vorstel-


lungen über Vergangenheit (Emily Kearns) und familiäre Netzwerke der Erinne-
rungspflege. Hier unternimmt Lin Foxhall den interessanten, wenn auch nicht voll-
ständig überzeugenden Versuch, Verbindungen unter Frauen durch Webgewichte
nachzuvollziehen.
Die Beiträge zeigen, dass die Vergangenheit in vielen verschiedenen Bereichen
aufgerufen wurde und offenbaren, wie vielschichtig die griechische Erinnerungs-
landschaft in archaischer und klassischer Zeit war. Auch wenn nur wenige Artikel
Neues bieten, demonstriert der Sammelband insgesamt erneut eindrucksvoll, dass
die Suche nach der griechischen Geschichte nicht bei der Historiographie beginnen
muss. Da für die Beiträge ausgewiesene Expertinnen und Experten gewonnen wur-
den, bietet das Buch einen guten Einstieg für alle, die sich für das Thema der Erinne-
rungskultur in Hellas interessieren. Die abschließenden Kommentare sowie die Re-
gister runden das positive Gesamtbild ab.

Roxana Kath / Michaela Rücker (Hrsg.), Die Geburt der griechischen Weisheit
oder: Anacharsis, Skythe und Grieche. Mitteilungen des SFB „Differenz und In-
tegration“ 13. (Orientwissenschaftliche Hefte, H.29.) Halle, Zentrum für Inter-
disziplinäre Regionalstudien Vorderer Orient, Afrika, Asien der Martin-
Luther-Universität Halle-Wittenberg 2012. VIII, 226 S., € 14,–.
// doi 10.1515/hzhz-2014-0338
Christoph Ulf, Innsbruck

In diesem Band, entstanden im Rahmen des SFB 586 „Differenz und Integration“ an
den Universitäten Halle-Wittenberg und Leipzig, steht Nomadismus als eine Art
von Metapher für physische und intellektuelle Mobilität und Weisheit im Zentrum.
Dieser Zusammenhang wird vor allem am Beispiel der fiktionalen Figur des Skythen
Anacharsis erörtert, die in intellektuellen Diskursen in der Antike immer wieder als
Referenzfigur für die Beurteilung der eigenen Welt benützt wird. Doch zuerst wird
im ersten Kapitel mit dem Titel „Die Anfänge der griechischen Weisheit“ davon aus-
gegangen, dass sich die griechische Weisheitstradition ‚am Anfang‘ in Spruchweis-
heiten präsentiert habe, gebündelt durch das Konstrukt der Sieben Weisen. Aus den
diesen zugeschriebenen Sprüchen, aber etwa auch aus den Sprüchen des Delphi-

152 Historische Zeitschrift // BAND 299 / 2014


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schen Orakels seien Corpora entstanden, deren Inhalte in vielfacher Weise gedeutet
werden konnten.
Beschreibt hier C. W. Müller deren historischen Kontext und argumentiert an einigen kon-
kreten Beispielen (Solon, Kleisthenes von Sikyon) für ein reformerisches Potential der mit die-
sen Personen verbundenen Aktivitäten, so fasst P. Stekeler-Weithofer die Sprüche der Sieben
Weisen als eine vorwissenschaftliche Wissensform auf, die sich auf dem Weg von der sophia
zur philosophia befunden habe. Für den in seiner Argumentation wichtigen Heraklit sei, so im
daran anschließenden Beitrag von K. Sier, das Fragment die bewusst gewählte Darstellungs-
form gewesen. Der Leser sollte dadurch zur Reflexion herausgefordert werden, um aus der
Schlafende und Träumende kennzeichnenden Unbewusstheit zur Erkenntnis zu finden.
Im zweiten, umfangreicheren Kapitel „Anacharsis und die Weisheit des einfa-
chen Lebens“ wird der Figur Anacharsis direkt nachgegangen, ihrer Verbreitung
und Bedeutung bis in die römische Kaiserzeit.
Ch. Schubert arbeitet die Bedeutung von Anacharsis als Personifikation des einfachen Le-
bens zuerst als Nomade und erst in hellenistischer Zeit als Barbar heraus, die zum Gegenbild
für das aufwändig gewordene Leben der Poliswelt gestaltet werden konnte und damit gleich-
zeitig auch zu einem mit Mobilität verbundenen Symbol für Freiheit. War diese Verbindung
einmal gegeben, habe sich die Alternative zwischen Anacharsis als Skythe oder Grieche nicht
mehr gestellt. Mit dem Thema des durch einen fiktiven Nomadismus repräsentierten einfa-
chen Lebens beschäftigt sich auch R. Kath in einigen philosophischen Konzepten und auch im
Christentum – ein Bild, das ins Mittelalter und die Moderne transferiert wurde. Die große Prä-
senz von Anacharsis im antiken Alltag, der M. Rücker nachgeht, und die von B. Fietz verfolgte
Rezeption des Skythen in der griechischen und lateinischen Literatur machen es nachvoll-
ziehbar, dass gerade über die Figur des Anacharsis Kritik an der eigenen Welt transportiert
werden konnte. Mit der Verbindung der ungepflegten Optik des Nomaden mit der Anacharsis
gleichzeitig zugeschriebenen Autorität des Weisen greift Ch. Taube einen einzelnen Aspekt
des Ineinandergreifens von Fremdheit und Vorbildhaftigkeit heraus, verfolgt diesen in Plu-
tarchs ‚Gastmahl der Sieben Weisen‘ und den anderen der Fremdheit des Skythen bei Lukian
von Samosata.
M. Flashar beschäftigt sich nicht direkt mit Anacharsis, sondern geht von dem bei Herodot
in seiner zweiten Ursprungsversion der Skythen enthaltenen Motiv aus, dass Skythes den
(Komposit-)Bogen des Herakles spannen musste, um die Herrschaft über die Skythen zu erlan-
gen. Über viele bildliche Darstellungen verfolgt er dieses Motiv des Bogenspannens unter an-
derem bis in den Palast des Assurbanipal in Ninive und macht sichtbar, dass es sich in Grie-
chenland im 5.Jh. v.Chr. aus dem Nomadendiskurs gelöst hat und zur Konnotierung ‚des Ori-
entalischen‘ geworden ist, um sich dann zu einem frei verfügbaren Motiv zu wandeln. Wohl
um diesen Beitrag in die Themen von Weisheit und Anacharsis einzugliedern, wird in der Ein-
leitung zum Band darüber hinaus noch eine Verbindung mit dem Anacharsis (spät) zuge-

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NEUE HISTORISCHE LITERATUR
BUCHBESPRECHUNGEN ALTERTUM
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schriebenen Ausspruch hergestellt, dass nicht nur ein Bogen, sondern auch der Verstand zwi-
schen dem Zustand der Spannung und Entspannung abwechseln müsse, um nicht zu „reißen“
– hier als ein Indiz für die Kritik an der eigenen Welt verstanden. Die von der der Barbaren ab-
gehobene Welt der Nomaden als Feld der Projektion zur Verdeutlichung eigener Werthaltun-
gen führt A. Weiß am Beispiel des Kolosserbriefes (3, 11) vor, während A. Bammer im letzten
Beitrag an der Yurte und dem Beduinenzelt das symbolische Ordnungssystem „des Nomadis-
mus“ festmacht, das sich in die Architektur fester Bauten, im Kuppeldach und der Säulenhalle
wiederfindet.
Auch wenn ‚Weisheit‘ die beabsichtigte wissenstheoretische Klammer darstellen
soll, so hat diese nicht so viel Gewicht, dass daraus eine klare innere Verzahnung der
Beiträge entstanden wäre. Die andere Intention des Bandes, einen Wandel der Figur
des nomadischen Skythen Anacharsis von der in ihr verkörperten Kombination von
‚Edler Wilder’ und ‚skythisch/griechischer Weiser‘ zur positiv besetzten Unzivili-
siertheit im „griechisch-römischen Kulturraum“ nachzuzeichnen, also vom Kultur-
bringer zum „Spiegel“ für die eigene Welt, ist in vielen Punkten nachvollziehbar; es
überrascht jedoch, dass da und dort eine klare Trennung von „Kulturkreisen“ postu-
liert wird – angesichts der zahlreichen jüngeren Untersuchungen zu den vielfälti-
gen Prozessen, aus denen alle kulturellen Identitäten hervorgehen.

Hans Beck (Ed.), A Companion to Ancient Greek Government. (Blackwell Com-


panions to the Ancient World.) Malden/Oxford, Wiley-Blackwell 2013. XXII,
590 S., € 155,–. // doi 10.1515/hzhz-2014-0339
Stefan Link, Paderborn

Auf 524 Seiten (zuzüglich Bibliographie und Index) bietet der Companion eine um-
fassende, aspektreiche Darstellung griechischen Regierungs- und Verwaltungshan-
delns sowie seiner Institutionen. Laut Klappentext tritt er damit einem auf die „com-
munication of power“ gerichteten Forschungstrend entgegen, um stattdessen den
Fokus „on institutions and state actions“ zu legen – sowie auf „recent scholarship on
[…] political culture“. Sein Inhalt stellt also ein mixtum compositum dar.
Mit je 4 bis 6 Beiträgen unter den Überschriften „Greek Government in History“,
„Ancient Templates and Typologies“, „To Rule and Be Ruled“, „Process and Procedu-
re“, „Responsibilities and Realms of Action“, „Space and Memory“ sowie „Govern-
ment Beyond the City-State“ bietet der Band ebenso einen Überblick über das Ge-

154 Historische Zeitschrift // BAND 299 / 2014


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