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stellt, ist ausdrücklich zu begrüßen.

Zumal die Propagandaschrift eine wichtige


Stimme darstellt, die mit ihren Positionen zum besseren Verständnis der politischen
und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland in der „Sattelzeit“ wie der
vielfältigen Reaktionen der Zeitgenossen darauf beitragen kann. Die Rezensentin
kann das Buch ohne Einschränkung empfehlen – nicht nur wegen der gut lesbaren
Darstellung und des sorgfältig edierten Textes, sondern auch wegen der sachkundi-
gen Quellen- und Literaturauswahl, der historischen Zeittafel und des nützlichen
Orts-, Personen- und Werkregisters. Kritisch anzumerken ist nur, dass in der Darstel-
lung die vielen liberalen und demokratischen Stimmen als Gegengewicht zu kurz
kommen, die zwischen 1789 und 1870/71 für Verständigung, Austausch und Zusam-
menarbeit zwischen beiden Nationen eintraten, wie die rheinischen Jakobiner,
Hambacher Festteilnehmer und Achtundvierziger. Über jene Männer und Frauen
hätte man gern etwas mehr erfahren – schließlich gehörten sie zu den Wegbereitern
der deutsch-französischen Partnerschaft der Gegenwart.

Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010. Begonnen v. Rüdiger


vom Bruch u. Heinz-Elmar Tenorth. Hrsg. v. Heinz-Elmar Tenorth. Biographie
einer Institution. Bd. 1: Gründung und Blütezeit der Universität zu Berlin
1810–1918. Von Heinz Elmar Tenorth u. Charles E. McClelland in Zusammen-
arb. mit Torsten Lüdtke, Hannah Lotte Lund u. Werner Treß. Bd. 3: Sozialisti-
sches Experiment und Erneuerung in der Demokratie – die Humboldt-Univer-
sität zu Berlin 1945–2010. Von Konrad Jarausch, Matthias Middell u. Annette
Vogt in Zusammenarb. mit Reimer Hansen u. Ilko-Sascha Kowalczuk. Berlin,
Akademie 2012. XLIII, 674 u. 715 S., je € 99,80. // doi 10.1515/hzhz-2014-0077
Notker Hammerstein, Frankfurt am Main

Zwei Jahre später als geplant erschienen die beiden letzten Bände der voluminösen
Berliner Universitätsgeschichte. Der zeitlich und inhaltlich erste Band war dann so-
gar der letzte. Damit ist dieses Unternehmen glücklich und überzeugend abge-
schlossen worden. Dass Rüdiger vom Bruch, der den Anstoß dazu gegeben hatte,
nicht mitwirken konnte, wird kommentarlos erwähnt. Heinz-Elmar Tenorth, der
neue/alte Herausgeber und Autor verstand die Aufgabe dieser Geschichte als eine,
die „Forschung und Erkenntnis, Studium und Lehre, Bildung als eigene Lebensform
in spannungsreichen Umwelten“ darzustellen habe. Er eröffnet mit einem Über-

224 Historische Zeitschrift // BAND 298 / 2014


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blick über „200 Jahre Universität Berlin“ den zuletzt erschienen ersten Band. Dass
diese Geschichte sich an der Glanzleistung von Max Lenz, dem Autor der Geschichte
zum 100jährigen Jubiläum, messen lassen müsse, sei allen Mitschreibenden be-
wusst gewesen, wenn auch andere Schwerpunktsetzungen inzwischen angebracht
seien. Daher habe man sich entschlossen, nicht eine, sondern zwei Geschichten zu
schreiben, eine „Biografie einer Institution“ (die Bände 1–3) und die andere als „Pra-
xis ihrer Disziplinen“ (Bde. 4–6) Das ist gelungen und liegt nun komplett vor (vgl.
dazu HZ 297, 2013, 102–125).
Nach seiner glänzenden Übersicht stellt Tenorth diese Geschichte von der Grün-
dung und Einrichtung bis 1860 dar. Er erweist sich auch hier als bestens vertraut mit
dieser Geschichte. Für ihn gingen, trotz der in jüngerer Zeit beliebten Skepsis gegen-
über dem „Mythos Humboldt“, die eigentlichen Impulse von diesem Mann aus, die
dann der lang amtierende Altenstein zu nutzen und zu stabilisieren wusste. Hum-
boldts Verdienste seien nicht vorab die, aus dem Geist der Philosophie die Gründung
betrieben zu haben, sondern die einer pragmatischen Lösung der zentralen Voraus-
setzungen: Personen, ein Gebäude und Finanzen. Auch seien nicht die politischen
und sozialen Zäsuren für diese wie die anderen Universitäten bestimmend gewesen,
sondern die intellektuellen und wissenschaftsimmanenten Momente. Dass die
Hochschule für die Stadt und das Territorium von großer Bedeutung und Wirkung
war, wird ebenso präzise wie überzeugend dargestellt. Die innere Geschichte der Fa-
kultäten tritt, wie generell in dieser Universitätsgeschichte, hinter den herausragen-
den Gelehrten zurück, deren Anteil aber an der Erfolgsgeschichte Berlins klar be-
schrieben wird.
Drei weitere Großkapitel steuert Tenorth diesem Band bei. Verfassung und Ord-
nung der Universität; Studenten, Studium, Lehre; und die Universität in der Mitte
ihres Jahrhunderts: Revolution und Reaktion. Sie sind naturgemäß nüchterner, aber
allemal gleichermaßen kenntnisreich und abgewogen, wie das erste. Allein bei dem
letzten Kapitel zur Mitte des Jahrhunderts ist zu spühren, dass Tenorth sich in die-
sem Zeitabschnitt nicht so souverän auskennt, sich auf fremden Rat stützen musste.
Das ist angesichts der immensen Arbeitsbelastung aber nicht verwunderlich.
Die beiden weiteren Kapitel zur ersten Hälfte der Berliner Universität beschäfti-
gen sich mit wichtigen, die Institution wie die Stadt prägenden Verhältnissen. Tors-
ten Lüdtke schreibt über Studentisches Leben in Berlin zwischen Universitätsgrün-
dung und Revolution, über Turner, Burschen und Philister. Das ist grundsolide und
erlaubt Einblicke in das Universitätsleben, die so in vielem neu sind. Hannah Lotte

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Lund widmet sich einer bisher selten behandelten Thematik „Universität in der
Stadt 1810–1840 – Geselligkeit – Kultur – Politik“. Sie schreibt einen ebenso glänzen-
den wie überzeugenden Beitrag zum gesellschaftlichen Umfeld einer Universität,
einer, die gerade gegründet worden war und unter besonderen Bedingungen ihren
Platz zu finden hatte.
Der „disziplinär organisierten Forschungsuniversität, 1860–1918“ widmet sich
Charles McClelland. Dem ausgewiesenen und souveränen Kenner der deutschen Uni-
versitäten dieser Jahre gelingt erneut ein zuverlässiger, informativer und intelligen-
ter Beitrag zu dieser Geschichte. Ausgehend von allgemeinen Gesichtspunkten, ge-
stützt auf vielfältige quantitative Befunde stellt er die Entwicklung dieser Jahre dar.
Die allgemein bekannten Berliner Professoren erfahren zum Teil neue Zuordnung,
McClelland ergänzt zuverlässig die von Lenz eigentlich nicht behandelten Vorgän-
ge und Ereignisse. Eine Geschichte der inneren Entwicklung der Universität in ihren
Fakultäten und Personen kommt so freilich nur bedingt in den Blick. Aber das tut
dem Beitrag keinen Abtrag. Er bringt viel Neues, nicht nur faktisch, sondern auch in
den abgewogenen Urteilen. Ob freilich ab 1910 die Universität in eine Krisenphase
eintrat, ob das nicht als anpassende Veränderung gekennzeichnet werden müsste,
kann zumindest gefragt werden.
Der dritte Band behandelt die Jahre von 1945 bis 2010. Auch er besticht durch
gute Gliederung und einleuchtende Urteile. Konrad H.Jarausch stellt in seiner einlei-
tenden Einführung diese Geschichte unter das Motto „Universität in Umbrüchen“.
Der DDR-Zeit bescheinigt er auf dem Bildungssektor, den Gesamtzeitraum betrach-
tend, Stagnation und „einfallsreiche Eigenentwicklungen“ bei zugleich „tiefem Pro-
vinzialismus“. Entsprechend schwierig und langwierig musste der Erneuerungspro-
zess sein.
Den Band leitet Reimer Hansen ein mit einem Kapitel: „Von der Friedrich-Wil-
helms- zur Humboldt Universität zu Berlin“. Neuanfang, Wiedereröffnung, Grün-
dung der Freien Universität, die Umbenennung als Programm und im Deutungs-
konflikt werden ausführlich, profund und klar dargestellt. Ebenso zuverlässig, infor-
mativ und ausgewogen beschäftigt sich Annette Vogt mit dem „Wiederaufbau der
Berliner Universität bis zum Universitäts-Jubiläum 1960“. Wie bei der Kennerin die-
ser Verhältnisse nicht anders zu erwarten, stellt sie die vielfältigen und oft wider-
sprüchlichen Pläne und Vorgaben der DDR-Führung, die sogenannten Reformen,
aber auch Remigranten, Studenten, die Beziehungen zur Sowjetunion, Frauenfrage,
Dozenten und Professoren klar dar. Sie zeichnet ein eindrucksvolles Bild dieser Jah-

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re, stellt viele der Handelnden in sprechenden Portraits vor. Ein Einblick in die inne-
re Verfasstheit entsteht dadurch zwar nicht, ähnlich wie in den anderen Beiträgen,
aber das Mitgeteilte erlaubt einen annähernden Zugang zu den Verhältnissen und
Vorgängen.
Der anschließende Beitrag von Matthias Middell „Die Humboldt-Universität im
DDR-Wissenschaftssystem“ weist den Verfasser erwartungsgemäß als bestens ver-
traut mit der Thematik aus. Die Hochschulpolitik der Jahre 1960 bis 1985 wird prä-
zise analysiert, das DDR-Wissenschaftssystem als Großbaustelle und die Ära Honne-
cker als bleierne Zeit vorgeführt. Die Sozialgeschichte der Universität wird in einem
eigenen Abschnitt dargestellt ebenso wie die Raumsituation und die Baupläne. All
das wird sorgfältig, kenntnisreich und klug dargeboten. Alle Aspekte einer Univer-
sitätsgeschichte finden Beachtung, wenn ich manchesmal auch eine weniger enge
Berücksichtigung des sogenannten Datenschutzes gewünscht hätte. Da begibt sich
der Verfasser der Möglichkeit, die historische Entwicklung noch anschaulicher und
lebendiger zu beschreiben. Dass er das gelegentlich in einer sehr flapsigen Sprache
tut, scheint eine für ihn typische Art zu sein. Das mindert aber nicht die bemerkens-
werte Leistung.
Natürlich durfte ein Kapitel zu Universität und Ministerium für Staatssicherheit
nicht fehlen. Ilko-Sascha Kowalczuk, ausgewiesen als Kenner dieser Behörde, hat es
verfasst. Er beschreibt die Organisation des Ministeriums und dessen Absichten.
Eine umfassende Analyse, so bemerkt er, könne noch nicht gegeben werden. Er zeige
Fragestellungen für spätere Forschungen auf und korrigiere zugleich viele Vorurtei-
le. An Einzelfällen, die aber nicht das Ganze abdeckten, könne ermessen werden, wie
dies Verhältnis gewesen sei. In der Tat lassen solche Beispiele gut erkennen, wie ver-
flochten, zum Teil merkwürdig und gefährlich diese Situation war. Es bleibt aber bei
diesen Einzelbeispielen, eine zusammenfassende Bewertung gibt der Verfasser
nicht.
Die Schlusskapitel hat Jarausch geschrieben. „Das Ringen um Erneuerung, 1985–
2000“ nennt er sein Kapitel. Es beginnt mit dem „Höhepunkt und Erosion sozialisti-
scher Wissenschaft“, dem deutlichen Niedergang und der Stagnation der als DDR-
Vorzeigeuniversität imaginierten Hochschule. Dass die Wende dann die Befreiung
– hauptsächlich für den Westen – und „Versuche der Selbstreform“ – die übrigblei-
benden Universitätsmitglieder – brachte, wird präzise und anschaulich geschildert.
Klar wird, wie schwierig und steinig dieser Weg war, wie viele Missverständnisse,
Verletzungen und Positionswechsel stattfanden und wie wenig außergewöhnlich

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das Resultat war. Die Umwandlung habe weder eine Volks- noch eine Eliteuniversi-
tät geschaffen, wie teilweise und abwechselnd erstrebt. Vielmehr könne das Ergeb-
nis als „erneuerte Hauptstadtuniversität mit tendenziell linker Studentenschaft“
chrakterisiert werden. Nach der langwierigen Stabilisierung habe sie inzwischen je-
doch Ansehen, Qualität und Attraktivität wiedergewonnen.

Harm Klueting (Hrsg.), Das Herzogtum Westfalen. Bd. 2: Das ehemalige kurköl-
nische Herzogtum Westfalen im Bereich der heutigen Kreise Hochsauerland,
Olpe, Soest und Märkischer Kreis (19. und 20. Jahrhunder). 2 Teilbde. Hrsg. in
Zusammenarb. mit Jens Foken. Münster, Aschendorff 2012. 1172 S., € 35,–.
// doi 10.1515/hzhz-2014-0078
Peter Burg, Münster

Harm Klueting hat mit der Herausgabe des in zwei Halbbände gegliederten Bandes
2 zur Geschichte des Herzogtums Westfalen die wissenschaftliche Aufarbeitung der
ehemaligen kurkölnischen Provinz vorangebracht. Der im Jahre 2009 erschienene
erste Band erhält damit die geplante Fortsetzung. Für die in Band 2 dargestellte Zeit
wird der Obertitel beibehalten, obwohl es, abgesehen von der hessischen Zeit (1803–
1816), keine politisch-administrative Nachfolgeeinrichtung gab, die den Namen
„Herzogtum Westfalen“ weiterführte. Allerdings stellt sich der Sauerländer Heimat-
bund in dessen geschichtliche Tradition. Da es dem Herausgeber um die Geschichte
des Raumes geht, nennt er im Untertitel die vier Landkreise, die sich heute im We-
sentlichen auf dem Boden des einstigen Herzogtums befinden. Die Frage nach der
geschichtlichen Identität des ehemaligen Herzogtums und nach deren Weiterexis-
tenz lässt sich auch in Bezug auf die Nachfolgeinstitutionen stellen. Dazu wäre nach
spezifischen Merkmalen der Mentalität, der Konfession, des Bevölkerungsverhal-
tens, der Wirtschaft, der Kultur, des Wahlverhaltens usw. zu fragen. Eine solche Fra-
ge bietet sich als Leitfaden gerade eines Sammelbandes an, der sich einem unterge-
gangenen Gebilde widmet. Darauf hätten die beitragenden Autoren verpflichtet
werden können. Der Herausgeber zog es aber vor, diesen freie Hand in der Ausfüh-
rung zu lassen.
Insgesamt beteiligen sich 19 Autoren an dem Sammelband, darunter namhafte
Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen, Verwaltungsfachleute, Lehrer, Ar-
chivare. Von den 23 Beiträgen hat der Herausgeber allein fünf beigesteuert. Er be-

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