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Einleitung

Mehr als ein Jahrzehnt nach Überwindung der Spaltung Deutschlands ist es angesichts der
derzeitigen Diskussion über die bevorstehende Osterweiterung der Europäischen Union kaum noch
vorstellbar, daß Europa fast ein halbes Jahrhundert durch den Eisernen Vorhang getrennt war und
sich auf dessen beiden Seiten zwei waffenstarrende und scheinbar unversöhnliche politische
Systeme gegenüberstanden.
Diese Situation fand erst ein Ende, als in den späten achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts
politische Reformen und demokratische Oppositionsbewegungen in Mittel- und Osteuropa die
meisten der kommunistischen Regime zu Fall brachten und mit dem Auseinanderbrechen der
Sowjetunion schließlich der gesamte Ostblock kollabierte.
Mit der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Verbleib der Vereinigten Staaten als einziger
Supermacht verlor auch der Ost-West-Konflikt an Bedeutung, der seit dem Beginn des Kalten
Krieges Ende der vierziger Jahre bestimmend für die internationalen Beziehungen geworden war.
Damals wurden besonders deutlich die anscheinend unüberbrückbaren ideologischen Gegensätze
zwischen westlicher Demokratie und stalinistischem Kommunismus sichtbar, die während des
Kampfes gegen den Nationalsozialismus in den Hintergrund getreten waren. Gleichermaßen war die
unmittelbare Nachkriegszeit auch geprägt von politischen Entwicklungen, die später auf die
Gründung der beiden deutschen Staaten hinausliefen. Die temporale Parallelität dieser beiden
Prozesse, einerseits die Zunahme der Spannungen zwischen USA und UdSSR, andererseits die sich
abzeichnende Teilung Deutschlands, legt die Vermutung nahe, daß ein Zusammenhang zwischen
diesen beiden historischen Abläufen besteht.
Tatsächlich wird in der Fachliteratur diese Annahme bestätigt. So führt Colschen aus, daß die
deutsche Frage, wie sie aus den Folgen des Zweiten Weltkrieges resultierte, von den vier
Siegermächten entscheidend mitgestaltet wurde und später die weltpolitische Gesamtlage für die
Erklärung des deutschlandpolitischen Handelns der Alliierten eine tragende Rolle spielte.
[1] Auch Link betont die Bedeutung der internationalen Politik und spricht von ihr als dem
durchgängig entscheidenden Faktor der deutschen Teilungsgeschichte bis hin zur
Wiedervereinigung, welche sich aus dem Ende des Kalten Krieges als Möglichkeit ergab.[2]
Der von mir gewählte Untersuchungszeitraum beginnt in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, als
sich zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges eine rüstungs- und machtpolitische Parität
zwischen USA und UdSSR einstellte. Diese mitunter als „große Epochenwende“[3] der
Nachkriegsära bezeichnete Zeit, für die das Jahr 1968 symbolisch wurde, ging einher mit einer
Reihe von tiefgreifenden politischen Ereignissen: Angefangen von demokratischen
Regierungswechseln in der westlichen Hemisphäre, wie dem Übergang von der Johnson- zur
Nixon-Administration in Washington oder dem Ende der Großen Koalition in Bonn, der eine
sozialdemokratisch geführte Regierung nachfolgte, über die gewaltsame Niederschlagung der
tschechoslowakischen Reformbewegung durch die Warschauer-Pakt-Staaten bis hin zu den
Protesten gegen den Ende der sechziger Jahre an Härte zunehmenden Vietnamkrieg begann diese
Periode mit Entwicklungen, die das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten und deren
internationale Rolle neu definieren sollten.
In meiner Diplomarbeit werde ich der Frage nachgehen, welche Rückschlüsse sich aus der
Interdependenz von Kaltem Krieg und deutscher Teilungsgeschichte für den Grad der
Selbstständigkeit ziehen lassen, den Bundesrepublik beziehungsweise DDR in politischer Hinsicht
gegenüber der Führungsmacht ihres jeweiligen Staatenblockes innehatten.
Meinen Ausführungen möchte ich eine Darstellung des Kalten Krieges voranstellen, der nach dem
Sieg über das Deutsche Reich die Koalition gegen Hitler entzweite und den bereits schwelenden
Ost-West-Konflikt verschärfte. Neben einer kurzen Skizzierung der historischen Fakten soll das
erste Kapitel verschiedene theoretische Überlegungen bezüglich der Entstehung des Kalten Krieges
enthalten. Dabei soll von besonderem Interesse sein, wie die miteinander konkurrierenden
Entstehungstheorien angesichts späterer Entwicklungen des Ost-West-Konfliktes beziehungsweise
den Umständen der Entschärfung desselben gegen Ende der achtziger Jahre aus heutiger Sicht
beurteilt werden müssen.
Danach folgt eine in drei zeitgeschichtliche Phasen gegliederte Beschreibung der Politik der
Supermächte und deren Auswirkungen auf das bilaterale Verhältnis zwischen Washington und
Moskau beziehungsweise auf den Status des Ost-West-Konfliktes insgesamt. Die Auflösung des
Ostblocks und die damit einhergehenden politischen Veränderungen für Mittel- und Osteuropa
werden den Abschluß dieses Bereichs meiner Diplomarbeit bilden. Hier schließt sich ein Kapitel
über die Rolle der beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg an, wobei sowohl das außenpolitische
Auftreten von Bundesrepublik und DDR in ihren jeweiligen Blöcken, als auch die innerdeutschen
Beziehungen über den gesamten Zeitraum der drei voranstehenden Kapitel untersucht werden
sollen. Zur Abrundung des Themas werde ich abschließend auf die internationalen
Rahmenbedingungen des deutschen Vereinigungsprozesses eingehen. Die Schlußbetrachtung wird
die Erörterung meiner Fragestellung und weitere Überlegungen zum Themenkomplex meiner
Diplomarbeit umfassen. Im Anhang zu dieser Diplomarbeit finden sich in der Reihenfolge ihrer
Verwendung die Ausdrucke der Internetseiten, auf die ich mich im Verlauf meiner Argumentation
beziehe.
1. Der Kalte Krieg

1.1 Begriffsklärung und geschichtlicher Verlauf


Der Begriff „Kalter Krieg“ wurde geprägt von Herbert Bayard Swope, der als Redenschreiber für
den US-amerikanischen Präsidentenberater Bernard Baruch tätig war. Baruch äußerte am 24.
Oktober 1948 vor einem Senatsausschuß, daß sich die Vereingten Staaten seiner Ansicht nach in
einem „Kalten Krieg“ mit der Sowjetunion befänden. Die Presse griff sein Schlagwort auf und
allmählich wurde Kalter Krieg Teil der Alltagssprache.[4] Die Mehrzahl der Quellen verweist
allerdings auf den amerikanischen Journalisten Walter Lippmann, der den Begriff Kalter Krieg
bereits 1947 in seinem gleichnamigen Buch verwendete. Lippmann wies darin darauf hin, daß die
Beziehungen zwischen der UdSSR und ihren Kriegsalliierten USA und Großbritannien sich derart
verschlechtert hätten, daß sie denen während eines Krieges gleichkämen, ohne allerdings wirkliche
militärische Auseinandersetzungen hervorzurufen.[5]
Der Terminus beschreibt also die Periode nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, die von
feindseligen, aber nicht in einen direkten bewaffneten Konflikt gipfelnden Beziehungen zwischen
USA und UdSSR gezeichnet war.
Im Jahre 1945 kristallisierten sich Washington und Moskau als die zwei Führungsmächte im vom
Krieg geschwächten Europa heraus, wobei die Sowjetunion mit der Roten Armee große Teile
Osteuropas kontrollierte und die Vereinigten Staaten teils als Befreier der zuvor von Hitler besetzten
Staaten, teils als Alliierter der Länder Westeuropas auftrat. Nachdem noch auf den Konferenzen von
Jalta und Potsdam im Februar beziehungsweise Juli 1945 von den Siegermächten versucht wurde,
Rahmenbedingungen für eine Nachkriegsordnung in Europa zu schaffen, traten bald ernsthafte
Differenzen zwischen Washington und Moskau zutage. Nach Ansicht der Westmächte USA,
Großbritannien und Frankreich beabsichtigten die Sowjets, mit der Errichtung von
kommunistischen Marionettenregimen in Osteuropa die Demokratisierung in ihrem Einflußbereich
zu verhindern. Obwohl die Sowjetunion die von ihr unterstützten Regierungen in Mittel- und
Osteuropa mit dem Hinweis auf deren breitgefächerten, antifaschistischen Ursprung zu legitimieren
versuchte, nahmen die USA die Sowjetunion künftig als agressive Gegner der liberalen
Demokratien Westeuropas und selbst Nordamerikas wahr. Umgekehrt empfand Moskau die
Vereinigten Staaten als Bedrohung für den Kommunismus und seine eigene Sicherheit.
Die frühen Jahre des Kalten Krieges waren von bedeutenden Ereignissen wie der Berlin-Blockade
1948/49, der Machtergreifung Maos 1949, dem Ausbruch des Koreakriegs 1950, den im Mauerbau
1961 gipfelnden Berlin-Krisen und schließlich dem amerikanisch-sowjetischen Streit über die
Stationierung von Raketen im kommunistischen Kuba gekennzeichnet. Während dieser Zeit
festigten die Amerikaner ihre Position als Führungsmacht des Westens indem sie mittels des
„Marshall-Plans“ den Staaten Westeuropas wirtschaftliche Unterstützung gewährten und den
transatlantischen Verteidigungspakt NATO ins Leben riefen. Die Sowjetunion bildete ihrerseits den
„Warschauer Pakt“ mit den kommunistisch regierten Staaten Osteuropas als Gegenstück zur NATO.
Nach der friedlichen Beilegung der Kubakrise verbesserten sich die offiziellen Beziehungen
zwischen Moskau und Washington allmählich. Verschiedene bilaterale und multilaterale
Vereinbarungen wurden getroffen, um Spannungen abzubauen und vor allem die Situation im
geteilten Europa zu entkrampfen. Obwohl das Ost-West-Verhältnis nach wie vor von weltweiten
Stellvertreterkriegen und dem Wettrüsten geprägt war, endete mit Beginn der siebziger Jahre der
Kalte Krieg in seiner ursprünglichen Form und machte einer Ära Platz, die den Leitbildern von
Kooperation und friedlicher Koexistenz folgte.
Allerdings fand diese Entspannungsphase Ende der siebziger Jahre mit dem sowjetischen
Einmarsch in Afghanistan und der umfangreichen Nachrüstung der NATO-Staaten bereits wieder
ihr Ende. Der in den frühen achtziger Jahren zu konstatierende Rückfall in die Anfangsphase des
Ost-West-Konfliktes wird häufig wegen der Parallelen zu den fünfziger Jahren hinsichtlich der
praktizierten Sicherheitspolitik und der Härte der ideologischen Auseinandersetzung als „Zweiter
Kalter Krieg“ bezeichnet. Mit Beginn der Amtszeit Michail Gorbatschows kehrten die Supermächte
allerdings wieder zu Verhandlungen über Abrüstung und weitere Zusammenarbeit zurück.
Vor allem aufgrund wirtschaftlicher Ursachen sah sich die neue Sowjetführung nicht mehr in der
Lage, ihre Führungsrolle im Ostblock so beizubehalten wie bisher, so daß in den späten achtziger
Jahren ein machtpolitischer Erosionsprozeß zu ungunsten Moskaus einsetzte, der in der Auflösung
des Ostblocks und 1991 der Sowjetunion selbst mündete.[6]

1.2 Theoretische Überlegungen zu den Ursachen des Kalten Krieges


1.2.1 DIE OST-WEST-BEZIEHUNGEN
Die Frage nach den Zielen der Sowjetunion nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erscheint
von großer Bedeutung, um die Ursprünge des Kalten Krieges zu verstehen. Ob letzterer nun
vorrangig aufgrund expansionistischer Absichten der UdSSR entstand oder aus einer komplexen
Zusammenwirkung entgegengesetzter Interessen der drei Kriegssieger Großbritannien, Sowjetunion
und Vereinigte Staaten resultierte, war und ist Gegenstand historischer Debatten.
Dieses Bild hat sich auch nach Öffnung sowjetischer Archive nicht grundsätzlich geändert, da ein
großer Teil der neuen Geschichte des Kalten Krieges sich zwar mit verschiedenen Einzelaspekten
der Nachkriegsgeschichte, aber nicht mit den Ursachen des Kalten Krieges selbst auseinandersetzt.
[7]
Vor meinem Überblick auf die wissenschaftliche Diskussion über die Hintergründe für den
Ausbruch des Kalten Krieges, möchte ich noch einige Anmerkungen über die Deutung der Ost-
West-Beziehungen insgesamt einfügen.
Grundsätzlich sind zwei unterschiedliche Interpretationen des Ost-West-Verhältnisses auszumachen.
Zufolge des ersten Erklärungsversuchs handelte es sich bei der Rivalität zwischen USA und UdSSR
um einen Hegemoniekonflikt zwischen zwei auf ökonomische und militärische Machtkonzentration
hinarbeitenden Führungen, wie er seit der Entstehung der modernen Staatenwelt häufig auftrat.
Diese unter anderen von Geiss vertretene Denkschule betrachtet die ideologischen Gegensätze
zwischen den Supermächten als zweitrangig, und interpretiert den Ost-West-Konflikt als eine
traditionelle Auseinandersetzung zwischen Großmächten. Dem treten Vertreter des zweiten
Interpretationsansatzes entgegen, die in den Ost-West-Beziehungen vor allem einen Wertekonflikt
sehen, der sich angesichts der gegensätzlichen Vorstellungen von bürgerlicher Freiheit
beziehungsweise der Diktatur der Arbeiterklasse entzündete. Der Machtkonflikt zwischen
Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wird zufolge dieses Erklärungsansatzes mit dem
ideologischen Systemgegensatz beschrieben.[8] Unabhängig davon, welchem dieser beiden
Denkansätze sie sich zuordnen, unterscheiden sich die Historiker auch nach dem Zeitrahmen, in
dem sie die Dauer des Ost-West-Konfliktes einordnen. Während einige erst nach Beendigung des
Zweiten Weltkrieges vom selbigen sprechen, datieren andere den Beginn der Ost-West-Spannungen
mit der russischen Revolution von 1917.[9] Darüberhinaus verweisen manche Wissenschaftler sogar
auf Alexis de Toqueville, der bereits 1835 den Aufstieg der Vereinigten Staaten beziehungsweise
Rußlands zu miteinander konkurrierenden Weltmächten vorhersagte.[10]
Die Diskussion über die Deutung der Ost-West-Beziehungen wird ständig mit neuen Aspekten
angereichert. Ergänzend zur Theorie des ideologischen Gegensatzes deutet beispielsweise Link die
Ost-West-Beziehungen als strukturellen Weltkonflikt, der nicht nur aus gegensätzlichen
Gesellschaftsordnungen, sondern auch aus unterschiedlichen Vorstellungen über die Ordnung der
internationalen Beziehungen resultierte. Demnach ergab sich hier ein Konfliktpotential, da dem
westlichen System durch Freihandel verbundener unabhängiger Staaten dominiert vom
zurückhaltenden Hegemon USA die östliche Vorstellung einer genossenschaftlichen
Staatengemeinschaft unter Führung der Sowjetunion gegenüberstand. Ein weiterer Denkansatz,
angeführt von Senghaas, verweist auf die Unterschiede in der sozioökonomischen Entwicklung als
mögliche Ursache für den Ost-West-Konflikt. Das seit der industriellen Revoloution bestehende
Wohlstandsgefälle zwischen Westeuropa und Rußland erhob demnach den Sozialismus zur
Ideologie der nachholenden Entwicklung, die letztenendes scheiterte.[11] Diese Erklärung erscheint
besonders heute einleuchtend, da das wirtschaftliche Ost-West-Gefälle eine der wichtigsten
Kontinuitäten seit Beendigung des Kalten Krieges darstellt. Andererseits umfasst sie nicht
vollständig die ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, in denen anders als in
Rußland beziehungsweise der Sowjetunion keine eigenständige sozialistische Revolution stattfand.
Bevor ich jedoch weiter auf Erkenntnisse bezüglich des Ost-West-Konfliktes aus heutiger Sicht
eingehe, möchte ich auf die unterschiedlichen Interpretationsversuche hinweisen, die sich mit den
Ursachen des Kalten Krieges selbst befassen.

1.2.2 DIE URSACHEN FÜR DEN KALTEN KRIEG


Bis in die sechziger Jahre hinein dominierte in der Wissenschaft eine Auffassung, die von vielen in
der unmittelbaren Nachkriegszeit agierenden westlichen Politikern, wie etwa Winston Chuchill,
George Kennan oder Dean Acheson geprägt und mitgetragen wurde. Dieser häufig als traditionelle
oder auch orthodoxe Theorieschule bezeichnete Erklärungsansatz sieht als Hauptgrund für den
Ausbruch des Kalten Krieges das sowjetische Expansionsstreben. Wissenschaftler wie Herbert
Feis, John Spanier und Arthur Schlesinger Jr. tendierten dazu, die Sowjetunion als
Herausforderung für die westliche Welt zu betrachten, da sich Moskau einer militant und expansiv
ausgerichteten Revolutionsideologie hingab. Für die Autoren dieser Theorieschule, zu denen
auch Boris Meissner und John Lukacs gehörten, unterschied sich das totalitäre Regime Stalins von
dem Hitlers lediglich in seiner geduldigeren Strategie und der Bemühung, die sozial Benachteiligten
dieser Welt für sich zu gewinnen.[12] Laut der traditionellen Auffassung verfolgte die Sowjetunion
eine feindselige Politik gegenüber den westlichen Staaten, welche sie zwar phasenwesise zugunsten
einer Zusammenarbeit mit dem „Klassenfeind“ aussetzte, aber trotzdem eine Schwächung der
kapitalistischen Länder herbeizuführen und dafür ihre eigene Stellung zu stärken versuchte. Stalins
Ziel sei es gewesen, möglichst große Teile Mittel- und Osteuropas unter seine Kontrolle zu bringen,
indem er die von deutscher Besatzung befreiten Staaten sozialistisch umgestalten ließ. In
Westeuropa und dem Rest der Welt sollte, so die traditionelle Denkschule, die Förderung
kommunistischer Bewegungen durch Moskau das Ende des Kapitalismus herbeiführen. Da der
Westen die machtpolitischen Absichten Stalins zunächst nicht erkannte, sondern versuchte, die
Sowjetunion in eine im Sinne der Atlantik-Charta zu schaffende Nachkriegsordnung zu integrieren,
konnte der sowjetische Diktator eine Reihe von osteuropäischen Staaten in seinen Einflußbereich
einfügen.[13] Erst mit der Truman-Doktrin und Maßnahmen wie dem Marshall-Plan oder der NATO-
Gründung machten die westlichen Staaten unter Führung der USA deutlich, Stalins
Expansionsdrang eindämmen zu wollen. Die Vereinigten Staaten, die sich zunächst wie schon nach
dem Ersten Weltkrieg militärisch aus Europa zurückziehen wollten, waren als einziges westliches
Land wirtschaftlich in der Lage, Westeuropas Wiederaufbau zu ermöglichen.[14] Zusammenfassend
läßt sich also festhalten, daß die Anhänger der traditionellen Theorieschule die Schuld an der
Entstehung des Kalten Krieges der auf Machtausdehnung fixierten Sowjetführung zuschreiben,
welche das anfangs noch auf weltweite Kooperation setzende Washington allmählich zu ihrem
Gegenspieler machte.
Eine entgegengesetzte Position nehmen die Verfechter der revisionistischen Denkrichtung ein, die
Mitte der sechziger Jahre entstand und unter dem Eindruck des Vietnamkrieges die Vereinigten
Staaten für den Kalten Krieg mit der Sowjetunion verantwortlich machte. Revisionisten
wie William Williams, Gabriel Kolko, Walter La Feber, Lloyd Gardner und Thomas
McCormick sahen im Unterschied zu den bis dahin dominierenden orthodoxen Wissenschaftlern in
den USA die einzige wirklich expansive Nachkriegsmacht, da sie, angetrieben vom kapitalistischen
Wirtschaftssystem, ständig neue Märkte, Rohstoffe und Investitionsmöglichkeiten zur
Aufrechterhaltung ihres Wohlstandes benötigte. So hätten die Vereinigten Staaten den
Kommunismus als Hindernis für die Marktwirtschaft empfunden und deshalb bekämpft.[15] Die
Sowjetunion hingegen war nach Ansicht der Vertreter der revisionistischen Theorieschule nach dem
Zweiten Weltkrieg weder willens noch dazu in der Lage, ihren weltrevolutionären Anspruch zur
Geltung zu bringen, sondern verfolgte lediglich das Ziel, größtmögliche Sicherheit für sich selbst in
Europa herzustellen. Die Unterstützung sowjetfreundlicher Regime in Mittel- und Osteuropa diente
vor allem zum Schutz vor einem erneuten Angriff von Deutschland aus und kann nach Meinung
von Revisionisten wie David Horowitz nicht als Ausdehnungsdrang Moskaus angesehen werden.[16]
Die Kernaussage der revisionistischen These beruht auf der Annahme, daß die Strukturen des US-
amerikanischen Wirtschaftssystemes von der politischen Führung in Washington die ständige
Neuerschließung von Absatzmärkten verlangten, um existentielle Krisen zu vermeiden. Somit
betrachteten Anhänger dieser Theorieschule die Ausdehnung des amerikanischen Einflußbereiches
nach dem Zweiten Weltkrieg als eine gezielt von den USA geplante Politik und mithin als den
grundlegenden Auslöser des Kalten Krieges, da amerikanische Wirtschafts- und sowjetische
Sicherheitsinteressen miteinander kollidierten.[17]
Im Zeichen der Entspannungspolitik, die in den siebziger Jahren das Verhältnis der Supermächte
weitgehend bestimmte, trat eine dritte Theorieschule hervor. Autoren wie Wilfried Loth und John
Lewis Gaddis versuchten die Ursachen für die Entstehung des Kalten Krieges zu ermitteln, indem
sie die überzeugendsten Elemente der beiden vorigen Ansätze verknüpften und diese Argumente mit
Hilfe von Quellen aus staatlichen Archiven belegten. Diese als postrevisionistischer
Interpretationsversuch bezeichnete Denkrichtung bemühte sich, im Gegensatz zur traditionellen und
revisionistischen Theorieschule monokausale Erklärungen für die Entstehung des Kalten Krieges zu
vermeiden und so die Schwachpunkte der anderen Theorien zu umgehen.[18] Verfechter der
postrevisionistischen Denkschule betonen die Verantwortung beider Supermächte für den Ausbruch
des Kalten Krieges, da beidseitige Fehlwahrnehmungen zu einer Steigerung der Spannungen
zwischen Washington und Moskau führten. Ähnlich wie die Revisionisten tendieren allerdings auch
viele Postrevisionisten dazu, die sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa als legitime
Schutzhandlung zu betrachten, die von den Amerikanern fälschlicherweise als Aggression
interpretiert wurde.[19] Darüberhinaus weist diese Denkschule auch häufig auf Spannungen in der
amerikanischen Innenpolitik hin, die den Ausbruch des Kalten Krieges begünstigt hätten. In diesem
Zusammenhang nennt Loth die Londoner Außenministerkonferenz der Siegermächte im Herbst
1945, auf der unter anderem die politische Zukunft Osteuropas behandelt wurde. Als sich dort US-
Außenminister Byrnes in der Frage der Durchsetzung freier Wahlen in den von der Roten Armee
besetzten Ländern kompromißbereit gegenüber der sowjetischen Seite zeigte, rief dies den
Widerstand von John Foster Dulles hervor, der ebenfalls Mitglied der amerikanischen Delegation
war. Dulles, Mitglied der in Washington oppositionellen Republikanischen Partei, warnte Byrnes
davor, daß, falls die Truman-Administration dem Kreml zu große Zugeständnisse machen würde,
das Verhalten der Regierung im Kongress als „Appeasement-Politik“bekämpft werden würde. Loth
schildert diesen Konflikt als Hauptursache für das Scheitern der Londoner Konferenz, die ohne
Unterzeichnung eines Abschlußprotokolls abgebrochen wurde.[20]
Analog zu diesen drei Erklärungsansätzen lassen sich auch entsprechend gegensätzliche Ansichten
zu den Ursachen für die Teilung Deutschlands ausmachen. Im Wesentlichen stehen hier Historiker,
die die Gründung des westdeutschen Staates unter Hinweis auf die expansive Politik Stalins
verteidigen, im Widerspruch zu den Wissenschaftlern, die davon überzeugt sind, daß Stalin ein
neutrales, aus allen vier Besatzungszonen bestehendes Deutschland hingenommen hätte.[21]
Heute, zehn Jahre nach Ende des Kalten Krieges und in Kenntniss zahlreicher Dokumente aus
mittlerweile frei zugänglichen Archiven deuten viele Wissenschaftler an, daß die sowjetische Politik
der Nachkriegsjahre, verkörpert durch Stalin, größeren Anteil an der Entstehung des Kalten Krieges
hatte, als es Vertreter der revisionistischen aber auch der postrevisionistischen Theorieschule
annahmen. So beschreiben Meissner und Eisfeld die sowjetische Außenpolitik nach dem Zweiten
Weltkrieg als eine Verschmelzung von imperialer Machtpolitik und weltrevolutionärem
Expansionsstreben, die zum Kalten Krieg führte.[22] Wettig sieht in Stalins Nachkriegspolitik eine
ganze Reihe von Widersprüchen, von denen er dem Gegensatz von kommunistischer Ideologie und
einem eigentlich notwendigen realpolitischen Ansatz die größte Bedeutung zumisst: Anstatt mit den
Westmächten auch nach dem Sieg über Deutschland ein kooperatives Verhältnis zu pflegen, was
schon allein hinsichtlich der desolaten wirtschaftlichen Situation in der UdSSR empfehlenswert
gewesen wäre, sah Stalin im Kapitalismus einen Erzfeind, den es in einem Konflikt von
weltgeschichtlicher Bedeutung zu überwinden galt.[23]
Auch die Auswertung von Dokumenten des US-amerikanischen Geheimdienstes, dessen Bedeutung
in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgrund des weltweiten Engagements der Vereinigten Staaten
als Beratungsinstrument für die Politik zunahm, deutet in eine ähnliche Richtung. Obwohl CIA-
Papiere aus den späten vierziger Jahren die militärische Bedrohung durch die Sowjetunion noch
herunterspielen, werden Moskaus politische Ambitionen durchaus als Bedrohung angesehen. Die
Notwendigkeit einer amerikanischen Reaktion auf den sowjetischen Expansionsdrang wird hier mit
den Sicherheitsinteressen der USA und ihrer Verbündeter begründet.[24] Für sich alleine betrachtet,
würden diese nachrichtendienstlichen Quellen auf eine Fehleinschätzung der revisionistischen und
auch postrevisionistischen These hinweisen, die beide, erstere unter Bezugnahme auf
wirtschaftliche Interessen, letztere im Hinblick auf den Einfluß der amerikanischen Innenpolitik, die
Eindämmungsstrategie der Truman-Regierung primär ohne Berücksichtung sicherheitspolitischer
Leitmotive erklärte.
Insbesondere der Betonung ökonomischer Expansionsabsichten der USA als Ursache des Kalten
Krieges widerspricht Gaddis mit dem Hinweis auf die Langzeitwirkung der US-
Wirtschaftsunterstützung. Der Marshall-Plan, der Wiederaufbau Japans und die Förderung
europäischer Integration sicherten den USA zwar zunächst Absatzmärkte und politischen Einfluss,
kreierten jedoch gleichzeitig künftige Konkurrenten auf dem globalen Markt. Abgesehen davon
bestanden die USA anders als die Sowjetunion in ihrem Machtbereich nicht auf Uniformität und der
Adaption des eigenen politischen und wirtschaftlichen Systems. Viele der westeuropäischen Staaten
hatten wohlfahrtsstaatliche Traditionen und einige wurden, wie beispielsweise Großbritannien, nach
dem Zweiten Weltkrieg von Sozialdemokraten regiert. Gleichwohl erwarteten die Vereinigten
Staaten außer grundlegenden marktwirtschaftlichen Prinzipien keinerlei vorbestimmte Strukturen
und reagierten flexibel auf das jeweilig gewählte Format und den Zeitplan der ökonomischen
Integration.[25]
Noch im Verlauf der Konferenz von Bretton Woods im Juli 1944, als das Fundament der Weltbank
und des Internationalen Währungsfonds ausgehandelt wurden, waren die USA darauf bedacht, die
Sowjetunion in die internationale Gemeinschaft zu integrieren. Die sowjetischen Vertreter erhielten
Gelegenheit, das Wiederaufbauprogramm für die Nachkriegszeit mitzugestalten, welches
schließlich auch Bestandteile umfasste, die den amerikanischen Prinzipien der freien
Marktwirtschaft widersprachen: Die Einführung fester Wechselkurse, die den US-Dollar später
lange Zeit überbewerteten und die Integration staatlich gesteuerter Volkswirtschaften in den
internationalen Handel. Obwohl im Dezember 1945 offizielle Verlautbarungen des sowjetischen
Handels- und Außenministeriums den Beitritt zu Weltbank und IWF angesichts in Aussicht
gestellter Kredite befürworteten, weigerte sich Stalin dagegen, weil ein solcher Schritt seiner
Meinung nach als Schwäche der Sowjetunion hätte angesehen werden können. Gaddis sieht in
dieser überraschenden Absage des Kremls ein entscheidendes Schlüsselereignis, da es George
Kennans oft zitiertes Telegramm nach Washington herausforderte. Der in Moskau als
amerikanischer Diplomat tätige Kennan schätzte damals die Sowjetunion als eine Macht ein, mit
der nicht länger auf dem Verhandlungswege kommuniziert werden könne, sondern die in ihrer
externen Wirkung eingedämmt werden müsse. Die Konsequenz des Scheiterns der globalen
Wirtschaftsordnung sei dann die Ausführung des auf westlich orientierte Staaten zugeschnittenen
Marshall-Plans gewesen, was zeitgleich mit der Verkündung der Truman-Doktrin die veränderte
Haltung der USA gegenüber der UdSSR kennzeichnete.[26]
Gaddis, der in den siebziger Jahren zu den postrevisionistischen Wissenschaftlern gehörte, sich aber
mittlerweile von seinen alten Thesen distanziert[27], stellt fest, daß insbesondere die Person Stalins
den Kalten Krieg zwischen Vereinigten Staaten und Sowjetunion unvermeidbar machte, da kaum
ein anderer autoritärer Führer des 20. Jahrhunderts die Außenpolitik seines Landes in ideologischer
Hinsicht so stark und andauernd prägte wie er.[28]
Stellvertretend für diejenigen Wissenschaftler, die auch nach Zugang zu bislang verschlossenen
Archiven an ihren meist postrevisionistisch einzustufenden Thesen festhalten, sei hier noch
auf Melvyn Leffler verwiesen.
Leffler wendet sich gegen die unter anderen von Gaddis oder Miner publizierte „Rennaisance“ der
traditionellen Denkschule. Er vertritt die Auffassung, daß die kommunistische Ideologie nur
begrenzt die Außenpolitik der Sowjetunion bestimmte und es somit keine auf Expansion des
Machtbereiches der UdSSR ausgerichteten Absichten gab. Er erklärt die Übernahme des
sowjetischen Modells in Osteuropa mit der Anwesenheit der Roten Armee, die lediglich das ihr
einzig bekannte politische und wirtschaftliche System implementierte, allerdings ohne dazu
ausdrückliche Anweisung aus Moskau erhalten zu haben. Leffler betont die Sicherheitsinteressen
Stalins, der die Sowjetunion vor einem wiedererstarkenden Deutschland schützen und einen Krieg
mit den USA vermeiden wollte. Mit dem Hinweis auf Wladimir Pechatnow, der Dokumente aus
sowjetischen Archiven untersuchte, legt Leffler dar, daß laut hochrangigen sowjetischen
Funktionären des Außenministeriums wie Iwan Maisky, Maxim Litwinow und Andrej Gromyko für
die Nachkriegszeit mit einer Fortsetzung der Anti-Hitler-Koalition gerechnet und insbesondere die
wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten als bedeutend eingestuft wurde.[29]
Was Leffler dagegen nicht erwähnt, ist die Tatsache, daß der damalige sowjetische Außenminister
Molotow dem von den drei erwähnten Diplomaten empfohlenen kooperativen Verhältnis zu den
Westmächten kritisch gegenüberstand und zumindest Maisky und Litwinow bereits zu Kriegsende
ihren Einfluß im Ministerium verloren hatten. Weiterhin betont Pechatnow die Bedeutung der
kommunistischen Ideologie, nicht nur im Hinblick auf die Schriften Maiskys, Litwinows und
Gromykos, sondern auch hinsichtlich Molotows und Stalins. Alle fünf hatten gemeinsam die
Ansicht, entsprechend der marxistisch-leninistischen Grundüberzeugung, daß sich die
„Selbstzerfleischung des Kapitalismus“, insbesondere das Konkurrenzverhältnis zwischen USA und
Großbritannien langfristig positiv für die Sowjetunion auswirken würde, was sich aus heutiger Sicht
als Fehleinschätzung herausstellt. Im Gegensatz zu den drei erstgenannten hegten Molotow und
Stalin allerdings ein größeres Mißtrauen gegenüber dem Westen[30], obwohl Stalin vor Kriegsende
auch die weitere Zusammenarbeit mit den USA in Betracht zog. Doch selbst Maisky, Litwinow und
Gromyko betrachteten die westlichen Staaten als imperialistische Mächte, mit denen auch ein
bewaffneter Konflikt unter Umständen nicht hätte vermieden werden können.[31]
Im Hinblick auf die Anfänge der deutschen Teilungsgeschichte konstatieren sowohl Gaddis als
auch Leffler, daß der sowjetische Drang nach Reparationszahlungen sowie die Plünderungen und
Massenvergewaltigungen der Roten Armee den Bemühungen Moskaus, Unterstützung bei
deutschen Kommunisten zu finden, entgegenwirkten und die westdeutsche Bevölkerung in ihrer
späteren Unterstützung für Adenauers antikommunistische Haltung noch bestärkte. Hingegen
interpretieren die beiden Historiker Stalins deutschlandpolitische Intentionen sehr unterschiedlich.
Während Leffler die Auffassung vertritt, daß Stalin kein Konzept für Deutschland besaß, sondern
immer nur auf aktuell auftretende Probleme in den vier Zonen reagierte[32], ist Gaddis der Meinung,
daß Stalin zunächst die Teilung Deutschlands in Kauf nahm, um später eine Vereinigung nach
seinen Wünschen durchzuführen[33]. Die bereits angeführten von Pechatnow examinierten
Dokumente scheinen eher Lefflers These zu stützen, da sie Deutschland nur am Rande und meist im
Hinblick auf sowjetische Sicherheitsinteressen nennen. Allerdings finden sich in Maiskys
Aufzeichnungen auch Hinweise auf sowjetische Überlegungen, die Kriegsverlierer Deutschland und
Japan für das sozialistische Lager zu gewinnen.[34]
Pechatnows Untersuchungen zeigen schließlich, daß trotz der Existenz gemäßigter Kräfte in der
sowjetischen Regierung Mitte der vierziger Jahre letztenendes nur Stalins Vorstellungen die
außenpolitische Linie der Sowjetunion bestimmten und auf Konfrontationskurs mit dem Westen
brachten. Dies kann auch Gaddis´ Fokussierung auf die Person des sowjetischen Diktators erklären,
wobei allerdings offenbleibt, warum erst mit der Machtübernahme Gorbatschows mehr als dreißig
Jahre nach Stalins Tod ein deutlicher Wandel der sowjetischen Außenpolitik zutage
trat. Lefflers Hinweis, daß sich die Nachfolger Stalins von der antikommunistischen Haltung
Washingtons zu abgeschreckt fühlten, um nach engerer Kooperation mit dem Westen zu streben[35],
halte ich für nicht ausreichend, wie ich später noch ausführen werde.
Wie dieser Überblick auf die unterschiedlichen Ansichten zu den Ursachen des Kalten Krieges
zeigt, scheint die wissenschaftliche Diskussion trotz einer gewissen Dominanz der traditionellen
Denkschule, beziehungsweise der Wiederkehr orthodoxer Thesen, noch nicht beendet. Angesichts
der anhaltenden Auswertung neuer oder Neubewertung alter Dokumente aus diversen Archiven und
der Vielzahl wissenschaftlicher Organisationen, die sich mit der Geschichte des Kalten Krieges
befassen, dürfte auch zukünftig mit neuen Erkenntnissen über die Ursachen und den Ausbruch des
Kalten Krieges zu rechnen sein.
2. Die Zeit der Entspannungspolitik

2.1 Von der Friedlichen Koexistenz zur Phase der Entspannung


zwischen den Supermächten
Hinsichtlich der Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR erscheinen die sechziger Jahre im
Rückblick als ein Jahrzehnt grundlegender Veränderungen, das dem Kalten Krieg mehr als nur
einen Wendepunkt bescherte.
Einer der Bereiche, in dem sich ein tiefgreifender Wandel ankündigte, war der Rüstungs- und
Technologiewettlauf zwischen den Supermächten. Trotzdem die Sowjetunion noch 1949 durch die
Zündung einer eigenen Atombombe das Nuklearwaffenmonopol der Vereinigten Staaten gebrochen
hatte, hinkte Moskau selbst nach dem Erfolg der ersten bemannten Raumexpedition technologisch
den USA noch über Jahre hinterher. Ein unmißverständliches Anzeichen für den sowjetischen
Fortschritt in der Waffenentwicklung war der sogenannte U2-Zwischenfall im Jahre 1960, bei dem
ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug über der UdSSR abgeschossen wurde. Zuvor hatten US-
Piloten jahrelang unbehelligt in großen Höhen über sowjetisches Gebiet fliegen können, da die Rote
Armee nicht über so moderne Technik wie die USA verfügte. Nach dem gescheiterten Versuch, den
Spionageflug zu leugnen, musste sich Präsident Eisenhower schließlich öffentlich für die
Verletzung sowjetischen Luftraumes entschuldigen und sich mit der Erkenntnis abfinden, daß die
UdSSR auf dem besten Wege war, ein auf der militärischen Ebene gleichwertiger Gegenspieler der
Vereingten Staaten zu werden.[36] Die gleiche Erkenntnis mag kurze Zeit später auch John F.
Kennedy dazu bewogen haben, das Mondlandungsvorhaben zur nationalen Aufgabe zu erklären, die
die technologische Vormachtstellung der USA unterstreichen sollte. Den Amerikanern gelang es
zwar, noch vor den Sowjets den Mond zu betreten, jedoch mussten sie Ende der sechziger Jahre
ebenfalls feststellen, daß die UdSSR auf dem Feld der Rüstung erstmals in ihrer Geschichte mit den
Vereinigten Staaten gleichgezogen hatte. Ihr nukleares Arsenal hatte die Rote Armee so weit
aufgerüstet, daß sie nun, wie die Amerikaner, auch die Zweitschlagskapazität, also die Fähigkeit zur
Vergeltung im Falle eines nuklearen Angriffs, vorweisen konnte.[37]
Ein ebenso bedeutsamer Wandel vollzog sich im Verlauf der sechziger Jahre im Bereich der
politischen Auseinandersetzung zwischen Washington und Moskau. Hierbei war ein nicht zu
unterschätzender Faktor der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow, der sowohl die Innen- als
auch die Außenpolitik der Sowjetunion durch seine Persönlichkeit stark prägte.[38] Nachdem
Chruschtschow auf die Operation in der kubanischen Schweinebucht einerseits harsch reagiert,
andererseits aber auch Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte, kam es im Juni 1961 zu einem
Gipfeltreffen zwischen ihm und Kennedy in Wien. Die sowjetische Seite betonte hierbei vor allem
das aus ihrer Sicht seit mehr als einem Jahrzehnt ungelöste Berlin-Problem und drohte, mit der
DDR einen einseitigen Friedensvertrag zu schliessen. Kurz darauf begannen die Sowjets damit,
reflektierende Metallschnipsel in den Luftkorridoren nach West-Berlin abzuwerfen, um die Flüge
der Westalliierten zu behindern. Auch der Straßenverkehr der Westmächte wurde durch
unberechtigte Maßnahmen ostdeutscher Organe schikaniert, so daß NATO-Militäreskorten
eingesetzt wurden, um den freien Zugang in die Westsektoren Berlins zu gewährleisten. Daraufhin
erwägte Chruschtschow öffentlich den Einsatz sowjetischer Truppen an der innerdeutschen Grenze,
und weniger als drei Monate nach seiner ersten Drohung auf dem Gipfeltreffen in Wien errichtete
die DDR am 13. August 1961 die Mauer um West-Berlin und stoppte damit die Flüchtlingsströme
von DDR-Bürgern gen Westen.[39]
Aus meiner Sicht markierte diese Berlin-Krise insoweit einen Wendepunkt in der Geschichte des
Kalten Krieges, als daß sie die letzte große Konfrontation der beiden Supermächte auf dem
europäischen Kontinent darstellte. Sie zeigte, daß die Bewahrung des Status Quo in Europa sowohl
für Washington als auch für Moskau Priorität besaß. Für Deutschland selbst bedeutete der
Mauerbau im wahrsten Sinne des Wortes die Zementierung der Teilung auf unabsehbare Zeit.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer bereits angedeuteten technologischen Fortschritte trat die Sowjetunion
international nach dem Mauerbau noch selbstbewusster auf. Ende August 1961 begann die UdSSR
die seit 1958 ruhenden Atomwaffentests wieder und löste im Rahmen zweimonatiger
Versuchsreihen die stärkste atomare Explosion aus, die je in der Erdatmosphäre stattgefunden hatte.
Ein gutes Jahr später trat der Kalte Krieg in seine gefährlichste Phase ein, nachdem amerikanische
Aufklärungsflüge in Kuba Basen mit sowjetischen Mittel- und Langstreckenraketen entdeckt hatten.
Die USA verhängten daraufhin eine Seeblockade um die karibische Insel, um die Lieferung weiterer
Rüstungsgüter zu verhindern. Das sowjetische Verteidigungsministerium versetzte im Gegenzug
weite Teile der Roten Armee in Alarmbereitschaft und so drohte einige Tage lang selbst der
geringste Anlaß zum Auslöser des Dritten Weltkrieges zu werden. Die Kuba–Krise wurde
schließlich beigelegt, indem die Sowjets ihre Raketen zurückzogen und Präsident Kennedy
zusicherte, keine Invasion der kommunistisch beherrschten Insel durchzuführen.[40]
Ähnlich wie im Fall der Berlin-Krise läßt auch die Beendigung der Raketenkrise um Kuba die
Vermutung zu, daß die Sicherung des Status Quo letztenendes für beide Supermächte im
Vordergrund stand. Weiterhin war die Stationierung sowjetischer Raketen in der von Moskau weit
entfernten Karibik beispielhaft für die zunehmende Verlagerung des Ost-West-Konfliktes auf
Schauplätze außerhalb Europas, was sich in den folgenden Jahren noch verstärken sollte.
Die bedeutenste Konsequenz der Kuba-Krise war allerdings die Einsicht beider Seiten, die
Wiederholung eines solchen die Welt an den Rand eines Atomkrieges führenden Zwischenfalls zu
vermeiden. Chruschtschow hatte bereits 1956 auf dem XX. Parteiteag der KPdSU den von Lenin
und Stalin geprägten Konfrontationskurs gegenüber der nichtkommunistischen Welt revidiert, als er
von der "friedlichen Koexistenz" zumindest mit den westlichen Industriestaaten sprach.[41] In Ost
und West begann ein Umdenkprozeß, der die Achtung der verschiedenen Einflußsphären der
Großmächte stärker in Betracht zog, um eine alles vernichtende nukleare Auseinandersetzung zu
verhindern. Präsident Kennedy drückte dies am 10. Juni 1963 in einer Rede vor der Washingtoner
Universität aus, als er das gemeinsame Interesse in Ost und West nach einem dauerhaften Frieden
und nachhaltiger Abrüstung betonte. Diese als "Strategie des Friedens" bezeichnete Grundposition
mündete bald darauf in der Einrichtung des "Heißen Drahtes" zwischen Washington und Moskau,
der es den Supermächten erlaubte, im Krisenfall schnell und direkt miteinander kommunizieren zu
können. Kurze Zeit später wurden im sogenannten begrenzten Teststopvertrag überirdische
Atomtests seitens der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion verboten. Auch nach Kennedys
Ermordung kam es trotz des steigenden amerikanischen Engagements in Vietnam zu weiteren
Rüstungskontrollverhandlungen, so unterzeichneten beispielsweise Großbritannien, die
Sowjetunion und die Vereinigten Staaten 1968 den Nichtverbreitungsvertrag, der untersagte,
nukleare Technologien an Drittländer weiterzugeben. Präsident Lyndon B. Johnson betonte seit
seiner Amtsübernahme das Element der „Friedlichen Kooperation“ zwischen den USA und der
UdSSR und schließlich wurden noch während seiner Amtszeit Verhandlungen für die Begrenzung
strategischer Waffen eingeleitet.[42]
Gleichzeitig waren sowohl im westlichen als auch im östlichen Lager Anzeichen von Desintegration
sichtbar geworden, als de Gaulle 1966 Frankreichs Mitarbeit im gemeinsamen NATO-
Militärkommandostab beendete und 1968 Albanien dem rumänischen Beispiel von 1961 folgte und
den Warschauer Pakt verließ.[43]
Die Entwicklungen seit der Kubakrise signalisierten die gestiegene Kooperationsbereitschaft der
beiden Supermächte, jedoch zeigte sich insbesondere gegen Ende der sechziger Jahre, daß die
Gegensätze zwischen Washington und Moskau weiterhin ein bestimmender Faktor für das
Verhältnis zwischen Ost und West bleiben sollten.
Vor allem stand der an Härte zunehmende Vietnamkrieg den amerikanischen Bemühungen zur
Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Wege: Nachdem bereits unter Präsident Eisenhower seit
den späten füfziger Jahren Wirtschafts- und Militärhilfe an das antikommunistische Regime
Südvietnams geflossen war, begann John F. Kennedy, anfangs mit sogenannten Militärberatern,
später auch mit regulären Armeeeinheiten das direkte militärische Engagement der USA in
Indochina. Nach dem manipulierten Zusammenstoß amerikanischer und nordvietnamesischer
Schiffe im Golf von Tonking ermächtigte der US-Kongreß Präsident Johnson zur Durchführung
jeglicher Maßnahmen, um die in Vietnam befindlichen Truppenverbände zu schützen. Trotz
großangelegter Flächenbombardements und dem Einsatz chemischer Kampfmittel erschien im
Wahlkampfjahr 1968 nach der erfolgreichen Tet-Offensive des Vietcong ein Sieg der Amerikaner
unwahrscheinlich, so daß Johnson angesichts starker Kritik sowohl innerhalb als auch außerhalb der
Vereinigten Staaten auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur verzichtete.
[44] Nach McNamaras Ansicht schwand das Interesse der Sowjets an Rüstungskontrollgesprächen in
dem Maße, in dem die amerikanische Präsenz in Vietnam anwuchs aber nicht etwa, weil Moskau
die Aktivitäten der USA in Vietnam als direkte Bedrohung ansah oder sich dadurch die
Unvereinbarkeit der jeweiligen Sicherheitsinteressen offenbarte, sondern weil die UdSSR die
Vestrickung Amerikas in Indochina propagandistisch für ihre Zwecke ausnutzen wollte.[45] Vor
allem bemühte sich demnach die Sowjetunion, sich als Alternative zu den Vereinigten Staaten zu
präsentieren, wenn Staaten der Dritten Welt auf der Suche nach Unterstützung durch eine der beiden
Supermächte waren. McNamara zufolge sei es dem Kreml gelungen, sich im Kontrast zu den USA
in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zunehmend als Macht des Friedens darzustellen, wie
beispielsweise bei den erfolgreichen Verhandlungen in Taschkent, als 1965 der fünf Monate
währende Krieg zwischen Indien und Pakistan beendet werden konnte.[46]
Doch zeigte die gewaltsame Niederschlagung des „Prager Frühlings“ und die Verkündung der
sogenannten "Breschnew-Doktrin", die die Integrität des sozialistischen Lagers vor das
Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Völker setzte, recht deutlich, daß die Friedensliebe der
sowjetischen Führung auch Grenzen hatte. Als die tschechoslowakische Staatsführung in der ersten
Hälfte des Jahres 1968 eine Reihe von Reformen im politischen und sozialen Leben des Landes
durchführte, um in der Tschechoslowakei einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“
aufzubauen, demonstrierte der seit 1964 in Moskau regierende Leonid Breschnew, daß Alleingänge
der sozialistischen „Bruderstaaten“ für ihn nicht annehmbar waren.[47] In der Nacht zum 20. August
1968 drangen sowjetische Panzer gemeinsam mit Verbänden aus anderen Warschauer Pakt-Staaten
in die ČSSR ein und setzten somit den dortigen Reformbestrebungen ein Ende, was schließlich auch
die USA dazu bewegten, ihre Pläne, mit den Sowjets über die Begrenzung strategischer Waffen zu
verhandeln, aufzuschieben.[48]
Trotzdem also die bereits als Wendepunkte im Verhältnis der Supermächte beschriebenen
Ereignisse, das Erreichen der technologisch-militärischen Parität und die Doppelkrise um Berlin
und Kuba, die Sensibilität und Bereitschaft der USA und der UdSSR für friedliche Koexistenz und
Kooperation steigerten, stagnierten die Bemühungen um Verständigung am Ende der sechziger
Jahre nicht zuletzt aufgrund der amerikanischen Militärpräsenz in Vietnam.

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