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Uwe Walter: Herodot und Thukydides – die Entstehung

der Geschichtsschreibung, In: Erinnerungsorte, S. 400–


648.
UwE WALTER

Herodot und Thukydides -


die Entstehung der Geschichtsschreibung

Ein Tag im Odeion'

Die meisten der Zuhörer, die sich an einem sonnigen Vormittag auf de n Sitzbänken
des Perikles-Odeions am Abhang der Akropolis niederließen , glaubte n zu wissen ,
wa s sie erwartete. Der angekündigte Gast hatte erst vor einer Dekade, zur gleichen
Zeit, als Athen und Sparta den dreißigjä hrigen Frieden beschworen hatten, drüben
auf der Pnyx erstmals aus den Aufzeichnungen seiner Erkundung vorgelesen und
einen großen , bleibe nden Eindruck hinterlassen . Von den Schlachten der großen
Perserkriege hatte er da mals erzählt, aber auch von noch älteren Begebenheiten in
Athen und anderswo. Den wenigen Alten , die bei Marathon noch dabeigewesen wa-
ren, hatten die Tränen in den Augen gestanden, als sie von Miltiades härten und den
tapferen Hopliten, wie sie unter dem persischen Pfeilhagel voranstürmten und den
Feind im Nahkampf besiegten. Sicher, das, was sie davon erinnerten, hatten sie
selbst zuvor dem Mann aus Halikarn assos geschildert. Aber aus seinem Munde
hatte das Geschehen auf ein mal einen ganz neuen Sinn gewonnen, waren sie darin
doch nic ht nur tapfere Vorkämpfer ihrer Polis, sondern Handelnde in einem großen
Ereignisgeflecht , das ihr At hen nicht nur mit den ande ren Hellenen verband , son-
dern mit einer weiteren Welt , über das Meer hinweg nach Asien und Ägypten, zu-
gleich durch die Zeit hinauf, etwa zum wendigen Tyrannen Histi aios von Milet, der
schon fr üher als die Athener mit dem Perserkönig direkt zu tun gehabt hatte . Von
Milet war dann auch der unbedachte Aufsta nd der Ionier ausgegangen, an dem man
sich dennoch beteiligt hatte , nachdem in Gestalt von Ar istagoras der Nachfolger des
Histiaios die Athener um Hilfe gebeten hatte, und das wa r <<der Anfang zu alldem
Unheil für Hellenen wie Barbaren» gewesen.2 Doch war nicht Athen kurz zuvor sehr
stark geworden, weil Kleisthenes nach dem Sturz des Tyran nen Hippias das Volk zu
seinem Verbündeten gemacht und eine freiheitliche Ord nung eingeführt hatte , in
der sich a lle für die Poli s ein setzten? Nach der Niederlage der ionisc hen Städte wa-
ren die Athener ins Visie r des mächtigen Barbarenkönigs gera ten. Da re ios- das wa r
für sie damals bloß ein Name gewesen , bis sie vom Erzä hler hörten, wie dieser mit
List an die Macht gekom men war, wie er sein Reich neu ordnete und erfolglos gegen
die Skythen Krieg führte. Dareios und noch mehr sein Sohn Xerxes hatten damals
in de n Sc hilderungen sozusagen ein G esicht erhalten , als hochfahrende Herrscher,
die anders als die meisten Menschen viele Ratgeher von höchstem Rang hatten , aber
ebenso wie alle Menschen vo n den Göttern Träume gesandt erhi elten.
IIERODOT UND T II UKYD ID ES

Abb. 99: Liebig's Scwnllell;ilder, Serie 94 1: Bedeutn1de Ceschicl1tsschreiber,


Bild 1: Herodot liest öffent li ch sein Geschich tswerh in Athen t•or, 1926.

Doc h a uch von dem Mann, de n sie gleich erwarteten, hande lte n die Gespräche
de r Zuschauer. Herodot - so la utete sein Name natürlich - war damals kurz nach
se ine m Auftritt nach Thurioi übe rgesiede lt, der großen ne ue n Stadt, di e unter athe-
nische r Führung von Koloniste n a us me hre ren Städten an de r Stelle des zerstörte n
Sybari s in Ita lie n gegründet worden war. Halikarnassos im fe rn e n Karie n zum Son-
ne naufga ng hin und Thurioi im Westen - He rodors Heimate n um spannte n einen
weiten Bogen , und be ide Städte lagen im Bere ich athenischer Macht , Ha likarnassos
war sogar seit lange m Mitglie d des Attischen Seebundes. De r Zuhörer, de r das er-
wähnte, se lbst e inst Steuermann auf e ine m Dre irudere r, be ra usc hte sic h e in wenig
a n seinem Wisse n und an de r Vorstellung, w ie za hlreiche athenisc he Schiffe zwi-
schen de n be ide n Orte n und noch vie le n weiteren Patrouille fuhren. Ein anderer
sprach von de n Reise n Herodots. In Agypten und Libyen, ja sogar in Babyion solle er
gewese n se in , dazu natürlich in fast a lle n von He llenen besi ede lte n Regionen .
Ein H e rold trat a uf di e Bühn e und gebot im Namen des Archonten Lysimachos
Ruh e . Dann end li ch sah man de n Gast. Herodot , ein Mann von e twa fünfzig Jah-
re n , wurde beg le ite t von seinem Freund , de m Tragiker Sophok les, und von Protago-
ras, de r sich a lte rsbedin gt be re its auf e inen Stock stützte. De r be rühmte Sophist
hatte se ine rze it die Verfassung für Thurioi entworfen und ka nnte Herodot seit-
de m. Ein Raune n ging durch die M e nge, a ls Aspasia auftrat. <<Wo hat sie de nn de n
Zwiebe lkopf gelassen ?>>, läs terte de r Komödi e ndichte r Kratinos, zur He iterkeit der
Zuhörer rings um ihn. << De r mac ht die W e lt ein weiteres Jahr sicher für die De mo-
kra ti e>>, ga b einer trocken zurück. Je der im Raum wußte, daß Perikles e rneut als
UWE Wi\ LTEH

Stratege mit einem Flottenkontingent im Gebie t des Pontos unter wegs war und
deshalb nic ht anwesend sein konnte. Sophokl es brachte die Spötter mit einer
knappen H andbewegung zum Schweigen. Herodot wurde nunmehr durch den
Herold angekündigt und bega nn , aus de r e rsten de r mitgehrachten Papyrusrolle n
vorzutragen. Zunächst berichtete er von Solon. Dieser war einst von Kroisos einge-
laden worden, dem sagenhaft reichen König der Lyder, der von dem G e setzgeber
aus Athen wissen wollte , we n die ser für den glücklichsten Mensche n hielt , in der
Hoffnun g, er selbst, Kroisos , werde dieses Prädikat erhalten. Doch Solon benannte
nur einige dem Frage nden unbekannte H ellenen , die lediglich gemeinsa m hatte n,
da ß sie sc hon tot wa ren , sich zuvor aber an Gesundheit , m ä ßigem Wohlstand , ge-
deihende n Kindern und höchster Anerkennung bei ihren M itbürgern erfreut hat-
ten: «Kommt noch dazu, daß er sein Le ben gut beschließt, dann ist das der, de n du
suchst: der es verdie nt , glücklich genannt zu werde n. Vor seinem Ende aber ha lte
ma n sich zurück und sage nicht, er se i ein glückliche r M e nsch, sondern, es gehe
ihm wohl. Alles dies nun mite inander zu erlangen ist uns Menschen versagt , wie
es auch d as Land nicht gibt , d as für sic h selber an allem ge nug hat , sondern das
e ine hat es, das andere fehlt ihm. Welc hes aber das meist e hat, das ist d as beste. So
ist auch keines Mens chen Besc haffenhe it allein für sich vollkomm en , das eine ist
d a, am andern fehlt es . \;\!er abe r von den Menschen in de r Dauer se ines Lebens
das mei ste hat und d a nn noch begnadet sein Le ben beschlie ßt. der ist nac h meiner
Einsicht , H err und König, w ürdig, diese n großen Na men zu tragen. Und bei jeder
Sache soll man das Ende ins Auge fass en , wie sie wohl ausgehen wird . Denn schon
so manc he m hat de r Cott d as G lück geze igt und ihn dann mit seinen Wurzeln um-
gesti.irzt. >> l
Danach führte H erodot den Athenern die qu ä lenden Beratungen im Kriegsrat
des Helle ne nbundes vor Augen . Schon da mals , a ls Xerxes im La nde sta nd , wa r es
mit den Korinthern und Spartanern sehr schwi eri g gewesen . Aber nur gemeinsam
hatte man die Invasion abwehren könne n. Der Erzä hler wußte sehr wohl, wie ver-
ha ßt die Athener mittlerweil e in weite n Te ilen von Hellas wa ren , na c hdem sie ihr
e inst zur Fonführung des Kampfes gege n die Pe rse r von Ari steides und Kimon be-
gründete s Bündnis im Interesse ihrer e igenen lVI acht immer weiter ausgebaut hat-
ten. Mancherorts sc himpfte ma n sie deshalb be reits Tyra nnen. \Vas Herrschern
drohte , di e das Ma ß ve rloren und imme r mehr haben wollten , hatte Herodot zur
Ge nüge, wie er meinte , an Gestalten wie dem besagten Kroisos, dem Tyrann en
Polykrates oder Xerxe s gezeigt. Auch ma rkierten die Erobe rung von Sestos durch
e ine athe ni scheFlotte unter Xa nthippos, dem Vate r des Perikle s, und die anschlie-
ßende G ründung des Attischen Secbundes keineswegs e in Ende im << Krei s der
menschlic he n Ange legenhe ite n»; vielm ehr war, so Herodot s Überze ugung, den
He llenen in den le tzte n dre i Generatione n mehr Unheil wide rfahre n a ls in den
zwanzig zuvor, <<und zwar zum Teil von den Persern , zum Te il von den eigenen Vor-
mächten , die blutig um die Herrschaft ra ngen>>. Aber jetzt erinnerte e r a n die Lage
da mals im große n Krieg und w iederholte, was er zuletzt in Theben und Korinth ge-
sagt hatte , jeweils zum Unmut der Zuh örer: «<ch w ill offen eine Meinun g darlegen,
llt·: HO IJOT L'ND TH U KYIJlllES

welc he zwar bei den me ist e n Le ute n auf Ablehnung stoße n w ird , welche ich aber
de nnoc h, wie es mir de r \ Va hrhe it zu e nt sprec hen scheint , nich t zur ück ha lten will.
Hütten die Athcner in Angst und Sc hrec ken vor der nahe nden Gefa hr ihre Heimat
ve rl asse n oderhüttensie die a uc h nicht verlassen , sonelern w~ire n dage blieben und
hütten sich dem Xerxes erge ben. dann hiit te zur See niemand versucht, de m König
\Vid erstand zu leisten. Hütte nun nie mand Xerxes zur See vViderstand geleistet,
dann wiirc es auf dem Land gew iß etwa so gekommen: Mochten die Pe loponnesier
sich auf de m Isthmos mit noch so vie len Mauern gepanzert ha be n, so wiircn die
Lakeda imonie r doch von den Bundesgenosse n im Stich gelassen worden , nicht aus
fre ie n Stücke n, sondern aus Zwa ng, da e ine Stadt nach de r a nde rn der Secmacht
des Barbaren an he imgefa lle n wJre, und so w~iren sie schließlic h a lle in übrig geblie-
ben ; ve rlasse n und allein aber hJtten sie Großes vollbrac ht und eine n e hre nvolle n
Tod gefunden. Entweder wäre ihne n das widerfahren , oder a ber sie würe n schon
vorher, wenn sie sahen , wie auc h die andern Hellenen zum Meder ü bergingen , zu
ein er Übereinkunft mit Xerxes gekomme n. Und so wäre in beid e n 1--'iillen Hellas
unt er persische Herrschaft gekommen . Wer nun also sagt , di e At hencr seien die
Retter von Hellas geworden , der w ird das Wahre kaum verfeh len. Denn a uf welche
Se ite di e sich schlugen, d a mußte die Waage sinken. Sie aber wii hlte n Hellas'
Übe rlebe n in Freiheit , und so sind sie es gewese n , die das ga nze restlic he Hellc-
ne nvolk. soweit es noch nicht zum Meder stand , erweckten und den König, nJchst
de n Göttern, zurückstießen . Und auc h die drohe nde n Orake ls prü c he, die aus Dei -
phi kam e n und sie in A ngst und Sch recken setzten , konnte n sie nicht überreden .
Hell as im St ich zu lasse n , sonde rn sie blieben und wagten , es mit dem , der gegen
ihr Land heranzog, aufzunehm e n.>>
Einer der Zuhörer war durch die Darlegungen besonders beeindruc kt. Den jun-
gen athenischen Aristokraten Thukyclide s hatten die ersten E rzä hlungen Hcrodots
zu Träne n gerührt, als er dam a ls a n der Se ite seines Vaters Oloros gesesse n hatte,
etwa fünfze hn Jahre alt. jetzt, nac h ei ner gründlichen und vie lseiti ge n geistigen
Sc hulung, e rka nnte Thukydidcs , wie raffiniert Herodot seine Geschich ten mitein-
a nder verwobe n hatte, w ie immer w ieder bestimmte Sc hlüsselwörte r und Motive
a ufgegr ifl'cn wurden und wie mühevoll es gewesen sein mußte, die G ründe, Ziele
und Handlungen so viel er Personen und Poleis miteinander in Bez iehung zu set-
zen. G leichwo hl vers pürte der junge Mann ein Ungenügen. Viel zu vie l Honig hatte
1-Ieroclot a n den Becherrand gestrichen, gleich einem Arzt , der dem Kranken die
bitte re Medi zin annehmba r mache n will. Viele Zuhörer mochte n kaum e inen Un-
terschied zu den jiihrlichen Homer-Dek lamationen während des Panathenäenfestes
be me rkt haben , so süß und geschmeidig floß die Rede aus de m Mund des Er-
zä hle rs, noch dazu im ionischen Dialekt. Cewiß, er fragte auch nac h Ursachen
und e rlaubte sich Seitenhie be auf die gegenwärtigen Verhä ltni sse. Aber vie lfac h
ve rh a rrte e r doch dabe i, einfac h w iederzugeben , was man ihm e rzii hlt hatte, gele-
gentlich ga rniert mit seiner e ige nen Meinung. Und was soll ten d ie vielen Ge-
sch ichten von barbarischen Völkern und ihren Sitten? Oder der weise Solon in al-
len Ehren - abe r was konnten se ine Maßhalteappelle bewirken , wenn zugleich so
UWE WALTER

viele Athener vor allem daran interess iert waren, was hinter de m Horizont lag und
wo man noch mehr Holz, Getreide, Silber, Gehorsam , Ehre und Macht gewinnen
konnte ? Schließlich: der Perserkri eg. Er wurde nicht nur immer wieder beschwo-
re n, sondern schien auch mit wachsendem zeitlich en Abstand immer größer zu
werden. Die Zahlen, die H erodot für die Angreifer gab, waren ganz phantastisch;
auße rdem wußte doch jeder, daß die Sache damals durch zwei - zugegeben bedeu-
tende - Schlachten entschieden worden war. Glaubte man a ber den Erzählungen,
da nn hatten sich sogar die Götter eingemischt, inde m sie dem Xerxes Träume
sandten oder wie Pan leibhaft ig einem Boten erschienen. Die Frei heit schließlich,
von h ellenischen Tyranne n wie von persischer Herrsc ha ft , moc hte für Herodot
noc h eine ganz einfache Vorstellung sein, doch heute verstanden und gebrauchten
sie viele sehr verschieden.4 Vom Perse rkrieg mit seiner e in zigartigen Konstellation ,
so resümierte der junge Aristokrat bei sich, konnte jede nfalls nichts lernen , wer
sich darauf vorbereitete, bald a ls Redner und Stratege di e Geschicke der Polis zu
führen, so wie dies im Augenblick Perikles gelang.

Herodot und sein Werk

Die Schilderung bis hierher ist eine Fiktion, freilich ke ine belie bige. Der (allerdings
unzu verlässigen) biographi sc he n Überlieferung zufolge hat der etwa 485 v. Chr. in
Halikarnassos geborene H erod ot tatsächlich im Jahr 445 /4 in Athen aus seinem
en tstehenden Werk vorgetragen und befand sich Thukydides a ls Knabe unter den
Zuhörern. Für die hier vorgestellte zweite Lesereise von 435 gibt es keine Belege,
aber die genannten Zeitgenosse n dürften den Geschichtsschreiber gut gekannt ha-
ben; für Sophokles kann das a ls sicher gelten, wie es auch za hlre iche Berührungs-
punkte zwischen seine n Dramen und Herodots Hi storien gibt. I
Das Werk umfaßt in e ine r Übersetzung etwa sie be nhunde rtfünfzig Seiten.
Alexa ndrinische Gele hrte habe n es später in neun n ach den Musen benannte Bü-
c her e ingete ilt. Herodots Disposition ist sehr viel komplexer. Hören wir ihm zu-
nächst zu, wie er sich selbst einführt. Der erste Satz lau tet : «Herodot aus Hali-
ka rnassos (oder: aus Thurioi) bietet hier die Darlegung de r E rkundung, damit we-
der die von Menschen ausgeh enden Begebenheiten im Laufe der Zeit in Verges-
se nheit geraten noch die großen und staunenswerten Leistungen, die Hellenen
und Barbaren gleichermaße n aufzuweisen haben, ohne Anerkennung bei der
Nachwelt bleiben; die Erkundung aber bezog sich neben manchem anderen vor al-
lem auf die Frage, wer für den Krieg (der Hellenen und Barbaren) gegeneinander
verantwortlich war.»
Herodot nennt zu Beginn seinen Namen. Man kann das prag matisc h als Ersatz
eines Titelblattes oder Rü ckensc hild s ansehen, aber es stec kt auc h ein Stück An-
fang einer spezifisch e uropäisch en Auffassung von Gesch icht ssc hreibung darin.
Zwar hatte schon die Ilias e ine n großen Krieg der Vergangenheit anschaulich vor
Augen gestellt, damit die Ruhm estaten der l\!länner (ldea andrrm ) bewahrt wür-
IILRODOT UND THUKYDIDES

den, und in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments si nd die Hemühungen


von i\ lloscs, den Prophet e n, Königen und Richtern, dem Volk Israel das Gelobte
Land zu sch<iHen und zu sichern, ausfü hrlich beschrieben. J\ ber Homer gibt sich
als Sprach rohr einer höh eren Gewa lt des Wortes; ohne die Musen wäre er stumm.
Und die Geschichtsschreiber des Alten Testaments waren nam enlose C hronisten
der von Jahwe ausgehenden Ere ignisse 6 Bereits Herod ots Vorgänger Hekataios,
der um 500 v. Chr. eine Erdbeschreibung und eine kritische Rev ision der griechi-
schen lVlyt hen verfaßte, eröffnete seine Mythenkritik dagege n mit dem Satz: «He-
kataios von Milet verkündet folgendes: Dies schreibe ich, w ie es mir wahr zu sein
sc heint. Denn die Erzä hlungen de r Gr ieche n sind zahlreich und läche rlic h, wie sie
mi r jedenfa lls vorkomme n. » Seitdem wa r jedes mit höherem Anspruc h versehene
Reden über Verga ngenes untrennbar mit der Autorität und Subjektivität eines sich
mit Namen nennenden Autors verbunden. Es war dies zugleich e ine nicht bloß for-
male Voraussetzung dafür, daß der Diskurs über Geschichte wenigstens auf dieser
Ebene argumentativ, kontrovers und kompetitiv geführt wurde .
Mit <<Da rlegung der Erkundung>> setzte Herodot jede r geha ltvollen Geschichts-
schreibung die Norm: Ohne eine möglichst genaue Erkundung (historie), eine den
Dinge n auf den Grund gehende Tätigkeit des Intellekts - wir würden heute <For-
schung> sagen- bleibt es beim beliebigen Reden über Vergange nes . Herodot nahm
dabe i das Hemühen der sogenannten ionischen Nat urphilosophen oder der Geo-
graphe n a uf, auf versc hiedene n Fe lde rn der Erfahrung den Ph ~inomenen genauer
auf de n Grund zu gehen und - teils aus spekulativer Neugierde, teils aus ga nz
praktischen Bedürfnissen - die We lt besser und rationaler verstehen und erklären
zu könne n. Die Empirie kommt dabei - auch dies eine gültige Einsicht - nicht
ohne Theorie aus, und so hat Herodot manche Überlegungen fruchtba r gemacht,
etwa den Satz des Milesiers Anaximander, der einen gemeinsamen Ursprung der
seienden Dinge angenommen hatte, um dann zu folgern: «Woraus aber das Wer-
den ist den seienden Din gen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der
Schu ldigkeit; denn sie za hle n e inande r gerechte Strafe und Ruße für ihre Unge-
recht igkeit nach der Zeit Anordnung.»
Aber das Erforschte muß auc h öffentlic h «aufgewiesen» werde n- so die Grund-
bedeutung vo n a11odexis -, also einem Publikum in sinnhafter, überzeugender und
für das Handeln bedeutsamer Weise dargeboten werden. Damit waren der Ge-
schichtssc hrei bung für alle Zeiten gle ich drei Brücken gebaut: als Rede über ge-
meinschaftsrelcvante Themen und Verfahren hin wr Politik , als Rede über richti-
ges Verhalten zur Ethik und als Sinnherstellung mit dem Mittel der Sprache zur
Rheto rik.
Die Gegenstände des Werkes werden dann dreifach in trichtera rtiger Veren-
gu ng benannt. «Die von Menschen a usgehenden Begebenheiten>> fassen den Stoff
einerse it s denkbar weit , grenzen ihn zugleich jedoch markant e in: Zwar spielen
Ei ngr iffe der Götter oder «de r Gottheit» in Gestalt von Träume n, Orakeln oder
strafenden Unglücksfällen ein e zentra le Rolle und zwar sind nicht selten sie es, die
«wa hrhaft <Geschichte> werden li eßen, indem sie Schicksale schufen>>.7 Doch «der
UWE WALTEH

Mensch in seinem Tun und Le iden, seinem Le be n und Wirken, se inem Wissen
und Können » steht im Mittelpunkt von He nKlots Interesse , während das Epos von
Heroen und Götte rn h andelt , und unauffällig ist diese them atische Foku ss ierung
mit ei ne r heuri stische n Differenzierung verknüpft: Alte und älteste Erzählungen
können allenfalls wiedererzählt werden , sie sind aber kein sinnvoller G ege nstand
rationalisierender Kritik (wie bei H ekata ios) oder eindringender histurie. Daher läßt
He rodot etwa die Frauenraubgeschichten zwischen Hellene n und Barbaren, darun-
ter immerhin den troianischen Krieg, auf sich beruhen und will lediglich <<a uf den
Mann zeigen, vo n dem ich se lber weiß, daß er den Anfang gemacht hat mit Unrecht
und Gewalt gegen die H ellenen, und dann weiterschreit en in der Eu.;ihlung und da-
bei der Menschen Stätten besuchen , große und kleine , beide >> (1, 5, ;). Indem Hero-
elot ferner die <<gro ße n und staunenswerten Leistungen, die I Icllenen und Barba-
ren gleichermaßen aufzuweisen habe n», in de n Vorde rgrund rückt , h ält er, der
seine Kindhe it a ls Untertan de s Großkönigs zuge brac ht und auf seinen Reisen die
ägyptischen Pyramiden geseh e n hatte, sich frei vo n dem antipersischen C ha uvi-
nismus, der in seiner Zeit aufzukommen b ega nn. In e iner prägnanten Episode
führt er demgegenüber später a m Be ispie l von Begräbnispraktiken der H ellenen
und der indischen Kallatier vor, da ß bei allen Völkern ein bestimmter IWnws, eine
wm G esetz gewordene Sitte, vorher rscht und unbed ingte n Respekt ve rdient (;, ;8).
Dabei war der nomos nic ht be lie big zu gesta lten , de r Mensch also ni cht - wie
Protagoras es verkündete- <<das Maß aller Dinge>>, sond ern geformt durc h Landes-
n atur, Abstammung und Tradition. Individu a lit ät und gestalterisc he Kraft hatte n
in di esem geschichtlich gewachsenen G ehä use indes re ichlich Platz und äußerten
sich in <<Lei stungen » (e rga); das konnten Baute n sein , Techniken w ie die Erfin-
dung de s Eisenlöte ns (1, 2 5, 2), Tapferkeit im Krieg, abe r auch das Erric hte n einer
langlebige n Cemeinschaftsordnung, wie es Lykurg in Sp arta und Klei sthen es in
Athe n ge la ng. Doc h nur die Helle nen ha ben ihren numos zu ein er politische n
Größe gem acht und unter werfe n sich ihm allein bewußt und in Fre iheit. H
Die Lehensformen der Völker schildert H erodor in geschlossenen Erzählungen
(Iogoi); dabei interessiert er sich verst ündlic herwei se in erster Linie für das von den
Sitten der H e lle nen Abweiche nde. Die Abfolge der Barba renkönige von Kroisos bi s
Xe rxes bildet chronologisch den Rahmen , de nn nur von diese n he r ließen sich in
Ermangelung e ine r selbst nur für Hella s a llge mein verbindlichen Ze itrechung
durc h Addition der Regierungszeiten die Hauptereignisse der letzten drei bis vier
Gen erationen wenigstens halbwegs verläßlich verorten - schon dies fü r sich eine
h erkulische Le istung. Auf Kroisos und die Lyder folgt de r Aufstieg des Pe rse rrei-
ches unter Kyros, Kamhyses und Dareios a ls Le itmotiv des \ Ve rke s, mit de n Logoi
über die Perser, Bahylonien, Ägypten, Kyrene, die Skythen und Thra ker. Ab dem
Ionischen Aufstand (499-494 v. C hr.; ), 23-6, 42) we rde n die ethnogra phi sch en
Pa rtie n seltener und kürzer; in der Schilderung des Xerxesfeldzuges ist die H aupt-
linie kaum noch unterbroc hen . Die Stücke aus der ältere n he ll e nischen Ce-
schichte ordnet Herod ot e in , wo sie passen, etwa a nl üßlich von Hilfegesuche n des
Kroisos bzw. des Aristagoras an Athe n und Sparta.'!
HEROIJOT UNO TIIUKYDIJ)ES

Als drittes, am engsten gefaßtes Thema erscheint die Frage nach de r Verantwor-
tung oder Ursac he (aitia ) für den Krieg der Hellenen und Barbaren gegeneinander.
Nicht zufii llig spielen dabei die Stiidte der Hellenen an der Küste Kle inas ie ns für
de n Gesa mte ntwurf e ine 1.e ntralc Rolle . Die Übergriffe a uf deren Freiheit durch
die Rarbare nherrscher seit Kroisos sow ie die Ausbrüc he und Ausbruchsversuche
der Ionier ziehen sich wie e in roter Faden durch das Werk. Die hier zutage tre-
tende <Asymmetrie> ist sicher nicht durch eine <right or wrong, my countryl,_
Gesinnung des Autors zu erklären- auch Hellenen wie der Tyrann Periander von
Korinth oder de r Spartanerkönig Kleome nes fallen de r Verw irrung durch Macht
zum Opfer. Die lydische n und persisch en Könige konnten als Alleinherrscher mit
beträchtlic he n Hessourcen nur viel eher der Expansionsgier und der Hybris unter-
liegen; in diesem Sinne wird selbst der kultivierte und he ll enenfreundliche Kroisos
gleich zu Beginn als Tyra n n bezeichnet (1, 6, I). Die Reihe kulminie rt dann in Da-
reios und Kyros, die beide ganz sinnfällig die Grenze n ihres Herrsc haftsgebietes
überschreit en : Dareios durch die Don au brücke für den Skythenfeldwg, Xerxes
mit der berü hmten Schiffsbrücke über den Hellespont für die Invasion nach Hel-
las. Beide sc he itern am E nde. Den einzigen ausdrücklich genannten helle nischen
Übergriff bildet der von zwe i e hemaligen Ty ra nnen aus ga nz egoistisc he n Gründen
a ngezettelte Ionische Aufst<cmd. Aber Pote nti a l und Politik des Attischen Seebun-
de s seit seiner Gründung im Jahre 478 v. C hr., als die Athener unter einem Vor-
wand <<den Spartanern die Hegemonie wegnahmen>> (8, 3, 2), gaben wmindest An-
laß zur Frage, ob die Linie nicht in die Gegenwart weiter auszuziehen sei. In dieser
Konzeption mußte es für H e rodot ganz unmöglich sein , ein <tnde der Gesc hichte>
vorzustellen oder auch nur mit einem triumphalen Crescendo zu enden . Er blieb
seiner Ein sicht treu: Städ te und Mächte, «d ie vor Zeiten groß waren, von denen
sind die me isten klein gevvorden; und die groß sind zu meiner Zeit , waren früher
klein. Und da ich nun weiB , daß der Menschen Glück nie stille steht, werde ich
beider gedenken in gleicher Weise. >> Und immer w iede r st re ute er Anspielungen
auf die fol genden Jahrzehnte des sich steigernden Konfliktes zwischen Sparta und
Athen ein.' 0
Die bis hierher skizzi e rte Interpretatio n des ersten Satzes erla ubt e ine Zwi-
schenbilanz." Auf einer sy nc hronen Ebene der Betrac htung entwirft Herodot ein
bezie hungsre ic hes Bild der unterschiedlic hen Lebe nsformen zahlre ic her Völker-
schaften der bewohnten Welt auf der Grundlage eigener /\nschauun g und Erkun-
digungen; sein Bild ist zugleich informiert durch zeitgenössische Debatten über
Geographie, politische Systeme oder den Zusammenhang von Landes- und Volks-
natur. Die Linie der Zeit verfolgend entfa ltet er seine Vorste llungen über das Auf
und Ab in de r Geschichte der Menschen und Völker, ihre r Städte und ih re r großen
Herrsch aftsgefügc. Hinter der bunten Fü lle der Geschichten ist bei genauerem
I Iinsehen der Entwurf e iner sinnvollen Ordnung in den historisch en Abläufen
und ihren bewegenden Kräften erkennbar. ln them ati scher Verdichtung und Dra-
matisierung mündet de r Gegensatz von He llenen und Barbaren in die große n Aus-
e inandersetzu ngen der Perserkriege von 4Ro /79· Bei der literarischen Bewältigung
UWE W ALT ER

dieses gewaltigen Themas nahm Herodot am Vorbild Horncrs M a ß, orientierte


sich aber zugleich an de n attischen Tragikern, wenn es darum ging, menschliche
Größe , Verirrung und Verstrickung in lange zuvor a usgelegte Schicksalsfäden zu
deuten. Mit seiner Präsentation des Perse rkriegsgeschehens als eines exemplari-
schen falles der menschlichen Geschichte überhaupt öffnete Herodot einer kri-
senhaften G egenwart eine klare Perspektive: Die Bet rachtung der Geschichte er-
möglicht es, im zunächst noch drohenden, dann realen großen Krieg der Hellenen
gegeneinander eine n festere n Standpunkt jense its de r Lager zu gewinnen. Damit
nehmen die Historien konkret Bezug zur Gegenwart des Publikums, das durch ge-
staltete Geschichte Vorbild und Warnung für die aktuelle Situation erfährt.
Herodot vollendete und verbre itete sein \t\!erk wohl in der Mitte de r 42oer Jahre.
Es ist alles andere als zufällig, da ß Thukydides in seinem Anspruch, das bislang
bede utendste Kriegsgesche hen in der Geschichte der Menschheit zu behandeln,
an Herodot a nschloß und dabei durch eine Analyse des Geschehens der eigenen
G egenwa rt die durch diesen geschaffenen Möglichkeiten geschichtlicher Betrach-
tung folgerichtig erweiterte. Durch die Wahl des Themas konnte Thukydides frei-
lich eine anthropologische Voraussetzung a ußer acht lassen , die für Herodot ele-
mentar wichtig war: Die Zeitgeschichte mag an partikularen oder verzerrten Auf-
fassunge n leiden , die ältere Geschichte aber hat es zusätzlich mit dem drohenden
Vergesse n zu tun. Die Begebenheiten können , so noc h einmal der erste Satz, <<im
Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten>>, weswegen dann die Leistungen <<ohne
Ane rkennung (aklea) bei der Nachwelt bleiben>>. Dem entgegenzuwirken sah
Herodot als seine Aufgabe an, und der Kampf gegen das Vergessen wie gegen das
allw selektive Erinnern ist seitdem Aufga be der Historiker. Wenn Herodot die
mündlichen Überlieferungen, die er von se inen G ewährsleute n ge hört hatte, als
solche kaum umformte, sondern sie mit einem «die Korinther sagen>>, <<wie von den
Athenern erzählt wird>> oder «in Arkadien heißt es>> wiedergibt, 12 so schlägt sich
darin generell ein tiefer Res pekt gegenüber den Erinnerungen der jeweiligen Kol-
lektive nied er. Die intellektuelle Autonomie des Geschichtsschreibe rs blieb davon
unberührt. <<Ich bin », so vermerkt er bei einer Streitfrage, in de r die Wahrheit
nicht zu ermitteln war, <<gehalten, zu berichten , wa s berichtet wird, alles zu glau-
ben aber bin ich nicht gehalten; und dies Wort soll gelten für meine ganze Dar-
ste llung>>(7, 152 , 3).

Die Historie n - ein kanonischer Text?

Die Hi storien genossen in der Antike ein hohes Ansehen; im ersten Ja hrhundert
v. Chr. nannte Cicero ihren Verfasser den «Vater der Geschichtsschreibung» (Von
den Gesetzen I, I, 5). Gleichwohl empfiehlt es sich nicht, von ei nem <kanonischen>
Tex t zu sprechen - und zwar nicht deshalb, weil Kritiker wie Plutarch von der
<<Böswilligkeit H erodots>> gesprochen und ihn e inen «ßarbarc nfreund>>gesc holten
haben. Aber die intellektuell und litera risc h so anspruchsvolle Geschichtsschrei-
bung aus der Feder eines geistig und politisch so un abhängigen Kopfes, wie Hero-
HEHODOT UN D TH U KYDIDES

dot ei ne r war (und Thukydides natürlic h auch), stand im Vergleich zu den anderen
ln sta n:r.e n und Redewei sen, durc h die und in denen sich Geschichtsbewußtsein
bildete, ehe r am Rande.' l Hier blieb der Mythos, der seit dem Ende des 5· Jahrhun-
derts v. C hr. durch die Lokalgeschichtsschreibung <verw isse nschaftlicht> wurde,
mit se ine m Potential zur He roisierung konstitutiv; diese beförderte zugleich die lo-
ka lpatr iotischc Partikularisierung der Geschichte. Letztere fand in Dichtungen,
Festen, Monumenten, Gründungsgesc hichten und öffentlichen Reden ihren wirk-
mächtigste n Ausdruck. Diese Medi en und Diskurse waren weit eher in der Lage,
das legi time Bedürfnis nach gruppen- und vergangenheitsbezogener Identitätsstif-
tung zu befriedigen , als dies die beiden viel schichtigen , eine n Standpunkt jenseits
der Parteien suchenden Großerzählungen beabsichtigten und vermochten. Das
wird nirgends so prägnant de utlich wie a n den Tyrannenmördern Harmodios und
Aristogciton . Diese galten im Athe n des 5· und 4· Jahrhunde rts als Gründerheroen
der demokratischen Ordnung, obwohl Hippias nach dem Tod seines jüngeren Bru-
ders noch für einige Jahre Tyrann blieb und die beiden Attentäter keineswegs im
Namen der Polis, sondern aus persönlichen Motiven gehandelt hatten. Herodot,
besonders aber Thukydides stellten die tatsächlichen Hintergründe und Zusam-
menhänge in jeweils einem Exkurs heraus ~ohne durchschl agenden Erfolg, wie
di e fortdauernde Verehrung für die Tyrannenmörder zeigt. Es mußten Bürger sein,
die At hen befreit und dafür ihr Leben geopfert hatten , und nic ht die Erzfeinde aus
Spa rta ; das war die Geschic hte, die der demokratische Bürgerstaat bra uchte~ und
sie wa r a uch noch durch ein Monument gestützt, nämlich die Tyrannenmörder-
G ruppe auf der Agora. Das Beispiel zeigt, daß das populäre Geschichtsbild durch
ein e kriti sc he Geschichtsforsc hung nicht einfach <abgeräumt> werden kann, weil
es eben elementare Bedürfnisse nac h Orientierung und Stärkung befriedigt und
wei l es, fokussiert um öffentliche Monumente, die Basis von alltäglicher wie festli-
cher Kommunikation in der Bürgergemeinschaft bildet.''

Herodot heute

He rodot ist im Griechischunte rric ht immer gelesen worden, aber die realistisch-
politi sc he Ausrichtung der Alten Geschichte im späten Hi storismus hat seine
We rtschätzung stark verringert. Zum wenn nicht kanonische n, so doch inspirie-
rende n Text ist Herodot jedoch 7.U Ietzt unserer eigenen Zeit geworde n, nicht nur in
Romanen wie Michael Ond aatj es Der englische Patient (1993) oder Ryszard Kapus-
cinski s Reportagen Mein e Reisen mit Herodot (2005). Während Thukydides nach
wie vor in amerikanischen Militärakademien und Seminaren für Politische Wis-
se nsc haft als der eherne Rea li st befragt wird, hat der Ha likarnass ie r in vielerlei
Hin sicht von der kultura listi sc hen Wende profitiert. Er inte ress ie rte sich für Län-
der und Völker und konnte wm Pa radigma für die Konstruktion von Identität und
Alter ität im ethnisch-politischen Sinne werden, indem er ein er Rhetorik der Diffe-
renz ihre Instrumente schmiedete: Gegen satz, Umkehrung, Sy mmetrie, Analogie ,
-f1 0 UWE W t\LT EH

1\ hh. 100: Doppelh ernie llerodot


llllil Tl71l lqdide.~. Fam esiscl1 e
Sa nnnlung Archiiologisches Na tiona i-
II'III Se llln , Neapel

Übernahme, Mischung. Nlan e rka nnte, d aß die Co nqui sta dore n durc h e ine von
He rodor ma ßge bli c h ge prägte Bril le d e r a ntiken Ethnogra phie auf die ne u e nt-
eleckten Vö lker in Amerika und a nde rswo bli c kt e n. He roclot ste ht fe rn e r für e ine n
ge ne rell e rweite rte n Gesc hichtsbegriff, der Sprache, Re li g ion , Tradition und Sitte
e insc hli e ßt und von Ka nnibalismus , Jung fra uen idea l, Mag ie und M ys te rie n ni c ht
sc hwe igt. Hi e r tre te n Frauen a ls akti v ha nde lnde oder H a ndlunge n a u slösend e Ge-
sta lte n a uf, soga r de r gesc hlec hte rgesc hic htli c he Kon strukti v ismu s ha t de n Ama-
zo nenlogos und andere Stücke fü r s ich e ntdec kt. Und sc hli eß li c h e rsc heint unse re
Weit d e r g loba li sierten Unordnung so ve rte ufelt he roclote isc h : Di e bipolare Ko n-
ste ll ation des Ka lte n Kri eges mit d e m übe rs ic htli c he n Konflikt zwe ie r G roß mä c hte
konnte im Werk d es Thukyclicles ihr Mode ll se he n; se it 1990 a be r ha t diese Figura-
t io n v ie le n k le in e n Brandherelen Pl a tz gemacht , die zum Te il re li g iös und kulture ll
bestimmt s ind und oft in mythi sc he Urzeiten zurückreichen. Unkenntnis, Feh l-
d e utunge n , wechse lseitige Übergriffe und di e D y namik vo n Konflikteska lation e n,
Formie rt zug le ic h durc h grundl ege nd versch ie d e ne Orclnungsmocle ll e, die s ic h
a uc h noc h me ta-geog ra phisc h zu e in e m neuen Ost-West-Gege nsa tz überhöhen
lasse n - aus di eser im beste n Sinne he rodote isc he n Konste ll ation spe ist s ic h sogar
d ie in ihre r a hnun gs losen Sch li c hth e it ge ra dezu mon ströse Frage des a me rika ni -
sc hen Präs iele nte n nac h dem 11 . Se pte mber 200 1: «\A/a rum hassen s ie un s?»'>
HI·: HOIJOT LJNIJ TIIUKYDIDES 411

Thuhydides

Die Heimat verlassen, ins Exil gehen zu müssen bedeutet für jeden, den es betrifft,
Härten und Traumatisierungen. Das gilt gewiß auch für Historiker. Sind jedoch
die äußeren Bedingungen erträglich, kann die Verbannung aber gerade für Ange-
hörige dieser geistigen Profession befruchtend wirken, wie die Biographie der drei
bedeutendsten griechischen Geschichtsschreiber zeigt. So mußte Herodot nach
einem Umsturz früh seine griechisch-karische Heimatstadt verlassen und schärf-
ten die anschließenden ausgedehnten Reisen in ihm Neugier, Unbefangenheit und
den ethnologischen Hlick für Muster und Differenzen. Als prominente Figur des
168 v. Chr. in den Strudel der makedonischen Niederlage geratenen Achaiischcn
Bundes gelangte Polybios mit einer Gruppe von Geiseln nach Rom und gewann
dort als Gast einer führenden Familie intime Kenntnis der römischen Verhält-
nisse, die er nunmehr aus der Nähe und mit den analytischen Kategorien helleni-
scher Bildung sehr genau studieren konnte; auf diese Weise gewann er gehaltvolle
Antworten auf die Frage nach den Geheimnissen des römischen Erfolgs. Auch
Thukydides war genötigt, seine Heimatstadt zu verlassen, nachdem er 424 v. Chr.
als verantwortlicher Befehlshaber athenischer Truppen die Stadt Amphipolis an
der thrakischen Küste gegen den spartanischen Feldherrn Brasidas nicht hatte
verteidigen können. <<Zwanzig Jahre lang>>, so notierte er, <<mußte ich mein Land als
Verbannter meiden, hielt mich daher wegen der Verbannung auf beiden Seiten auf,
nicht zuletzt bei den Peloponnesiern, so daß ich in aller Ruhe genauer Erkundi-
gungen einziehen konnte.>>'t. Bezeichnenderweise nennt der Autor als einzige Folge
seines Schicksals eine verbesserte Chance, für sein Geschichtswerk Material zu
beschaffen, er berührt also ein methodisches Problem und dessen Lösung. Diese
Fixierung priigt sein Schreiben in hohem Maße.
Weit stärker als Herodot stellte Thukydides sich selbst, genauer: die prognosti-
sche und diagnostische Kraft seines Geistes in den Vordergrund. Das erste Kapitel
lautet: <<Thukydides der Athener hat den Krieg der Peloponnesier und Athener auf-
gezeichnet, so wie sie den Krieg gegeneinander führten, beginnend sofort bei sei-
nem Ausbruch und nachdem er zu der Erwartung gelangt war, er werde groß sein
und nennenswerter als die vorangegangenen. Er schloß dies daraus, daß beide in
ihrer ganzen Zurüstung auf dem Höhepunkt ihrer lVIachtentfaltung (ah.mazontes)
in den Krieg traten und daß andererseits das ganze übrige I Iellenentum, wie er
sah, sich auf jeweils einen der beiden hin zusammenschloß, teils sofort, teils der
Absicht nach. (2) Die Bewegung (bnesis) nämlich, die dies darstellte, war die ent-
schieden größte für die Hellenen und einen Teil der Barbaren, ja sowsagen für den
größten Teil der Menschheit. (3) Was sich nämlich davor und noch früher ereignet
hatte, war wegen der Länge der Zeit zwar unmöglich genau zu erforschen, auf-
grundvon Anzeichen aber, von deren Richtigkeit ich mich bei der Prüfung eines
langen Zeitraumes überzeugen konnte, bin ich der Meinung, daß es nicht bedeu-
tend war, weder in Kriegen noch sonst.»
41 2 U W E WA LTER

Thukyuidcs' Anli ege n war es nicht , rüc kblickend e in vergangenes G roßereignis


vor dem Vergessenwerden zu bewahren. Vielmehr sc hreibt er a ls e rster Zeitge-
schichte im e ngen Sinne des Wortes, also Gegenwa rt sgeschic hte. Dabe i beste ht
der Gegensta nd aus de m << Krieg der Pe loponnesie r und Athener >> -der Ausdruck
<Peloponnes ischer Krieg• stammt so nicht von Thukydides - und der Vorge-
schichte, die in <<Bewegung>> und << H öhepunkt de r Nl ac htentfaltung•• gefaßt ist.
Diese Prozessualität, die durch die Pa rte inahme de r a nderen Hellene n fü r eine der
beiden Seite n noch unte rstrichen w ird , findet ihre Ent sprec hung in de r Reflexion
des Autors : Dieser hegte bereits vor Kriegsausbru ch ei ne E rwa rtung und konn te
daher sofort darangehen, das Ereigni s aufzuzeichn en (syngraphein) . Auch die
Größe des Krieges habe e r klar erkannt , wie überhaupt das erste Kapite l von Aus-
drücke n intellektueller Operationen a n empirische m Material durc hsetzt ist: E r-
wartung, Wa hrnehmung, Sc hlußfolgerung - Anze ic hen , Prüfung, Meinung. Er
benutzt dabei das Vokabular der zeitgenössischen hi ppokratische n Medizin , deren
Impul sen und Ansprüchen Thukydides noch mehr a ls Hcrodot zu ve rd anken hat.
Seine steile T hese m ac ht se in Werk zu e iner Monographie und ve rla ngt zugleich
eine Begründung, denn immerhin stellt e r <seine n> Krieg übe r de n troianischen
Krieg und den Perserkrieg und damit sic h selbst über Homer und He rodot . Die Be-
gründung wird sogleich in der sogena nnten Arch äo logie (1, 2- 1, 19) geliefert, wo
Thukydides mit bemerke nswerten Beobachtungen und methodi schen Operatio-
nen e ine <philosophi sche Geschichte> der älteren Zeit in Hellas ent w ickelt. Auch
in de r Anlage seines We rkes macht sich de r Historike r zum Herrn üher die Ge-
schichte. Noch im 4· j <lhrhundert sollten Autoren wie Aischines und Platon die
Geschic hte der Hell enen nach den Perserkriegen als eine Kette von Hegemon ial-
kämpfen zwi schen de n führenden Polc is auffassen: Erster Peloponnesischer Krieg
(circ a 460 - 446/ 5), Arc h ida mischer Krieg (4_3 1-421), De keleisch-Ioni sc her Krieg
(414- 404) , Korinthi scher Krieg (395- 387/6). Thukydides dagegen fa ßte die beide n
mittleren Kriege mit de r Sizilischen Expeditio n der Ath ene r zu sa mm en und gesta l-
tete d araus die <Urkatas trophe> der he llenischen Gesc hichte, degradi erte dami t
aber die früheren , teilwe ise sehr verlu streichen Kriege und Unterne hmungen zur
hloße n Vorgeschichte. •?
Die (durchaus wic htige) Frage nac h der Entste hung des Werkes muß hier auf
sich beruhen. Thukydides erwähnt gelegentlich di e Niederlage Ath ens im Jahre
404 v. C hr. ; bedingt durch seine sorgfä lt ige Arhe itswe isc ist die Da rstellung aher
nur bi s 411 gelangt und bricht im achte n Buch mitte n im Satz ah ; das letzte Buch
entbe hrt auch der stilisti schen Glättu ng. Wohl nur we nige Ja hre nac h Kriegsende
hat der Tod dem um 460 v. Chr. geborene n Autor das Wort abgesc hnitten . Auch
der Inha lt der Syngraph.e - in der Übersetzung kn app siebe nhund ert Seiten- kann
hier nicht referiert werden ; der Orientierung m ag im merhin die folgende Über-
sicht dienen:
H F HOllOT L ND TllUKYDIDES

Buc h , lnh <J it Hö he punkte , Ex kurse,


Kapitel Beso nde rh e ite n

Vorspann und These des Werkes

l,l - 1,23 ·3 T l1ese: Der Krieg der Pcloponncsicr und Athener war
bedeutender als alle früh ere n Kriege; das wird durch 1,20 - 22. methodisc her
eine kritische Eriirterung der ~ilteren griechischen /\n spruc h und Zie l
Gesc hichte erwiese n (sog. Archäo logie: 1,2-J,Jl) ). des We rke s

Vorgeschichte des Krieges (435-432)

1,23-4- 1,:q-6h: Die Anlässe des Krieges: Kork yra , Potida ia


J.q6 1,67-H r Beratung in Spart a über Krieg und Friede n vie r große Reden-
1,HH- 11 S: Die wahren Gründe des Krieges: paare in Buch 1
der Aufstieg Athe ns wr i\·1ac ht und Spartas
wac hsende Furcht vor diese r (478 - 432 )
I,IJH,_:;-q6: Kriegsbesc hluß des Peloponncsischen 1,135- 138: Ex kurs über
Bundes, gegenseiti ge Vorwürfe - Beginn d. Krieges Sturz und E nde des
Thcmistoklcs
1,140 - 144 Kriegsrede
des Per ikles

Archidamischer Krieg 431/3o- 422h1

:! ) 1- ) , 2 4 2, 1-46 1. Kriegsja hr .g1 /~ o 2,35- 46 : Gefallenen-


(Sommer/ W int e r) rede de s Perikles

2 -47- 7° 2. Kriegsjahr 43oh y 2 -47- 54 : <Pest>in


(Somme r/ Wint er) Athen

2,71-10) 3· Kri egsja hr 429/zS 2,65: Würdigung des


(Sommer/ Win ter) Perikles

3, 1- 2) 4· Kri egsja hr 428 h7


(Somme r/ W inte r) 3.35- 50 : Ge ric ht üher
das abtrünni ge
3,26-SH 5· Kri egsja hr 427hn Mytilene :
(Somme r/ W int e r) 3,82-83,5: Verwilde rung
3,Hy- rr6 6. Kri egsjahr 4·26h 5 am Beispiel Korkyras
(Sommer/Win ter) (sog. Pathologie )

4-1-51 7· Kriegsj a hr 425h4


(Sommer/Winter)

4,)2-1 16 H. Kri egsja hr 424 h3 4.1 02- 108: Thukydides


(Somme r/ Winte r) verli e rt Amphipol is
a n ßras id as.
4· 11 7- 135 y. Kriegsja hr 423h 2
(Sommer/ Wi nte r)

) ,1- 24 10. Kri egja hr 422 h 1


(S ornm er/ Wint er)
UW E WALTER

Sommer/ Winter-
Zwischenkriegszeit (<fauler Friede>) 421h0-416!I5
Ziihlung fortgesetzt

).2)- JJh 'J'/wsc: Trot z der Unterbrechung bildet der 5,21i: sog. zweites
Peloponnesische Kri eg eine Einhei t ( ) ,25-21i) Proömium
:;.H4- 11h: Expedition
/\thens gegen l'vlclos;
sog. Melier-Dialog

Sommer/VVinter-
Expedition der Athenernach Sizilien 4151!4-413/12
Ziih lung fort gesell t

h.1 - H,1 Die Kata strophe der Ath e ner auf S izilien 6.l)l. Verrat de s
Alkibiades

Somme r/ Winter-
Dekeleisch- Ionischer Krieg 412/n- [404]
L ihlung l'ortge sctzt

H.2 - 109 Crundlegende Veränd eru ng der militürischcn Lage: H.6:; -· 72. H9- yH:
Sparta errichtet einen Stü tzpun kt in Attika Umsturz und Wieder-
( Deke le ia ) und w ird mit Unterstützung herstellungder
persischer Hilfsgelder See macht. Demokratie in Athen
H,J Ol) Darst el lung de s
Jahres 411 / JO bricht
mi tt en im S;ltl. ab.

Die Komposition des Werkes verdient große Aufmerksamkeit, weil sie indirekte
\IVe rtungen e ntlült. So notiert Thukydides nach den Verhandlungen mit Melos
(5. 85 - 113) nur knapp, wie die Athener die kleine , auf ihre Neutralität pochende
Stadt erobe rn, alle männlichen Bürger töten, die Frauen und Kinder in die Skla-
verei verkaufe n. Cle ich im Ansc hluß beginnt der 13ericht über die Si;.ilischc Ex-
pedition, die nach großen Erwartungen in einer völligen Katastrophe endete -
gew iB zu Recht hat man, wie bei I Ierodot , 13ezi.ige zur zeitgenössischen Tragödie
gesehen. Wie sein Vorgänger fügte auch Thukydides zahlreic he Reden ein, oft
paarweise und ant ithetisch angeordnet , um die Kalküle und Motive der handeln-
den Parteien prägnant herauszuarbeite n . Die tats ~ic hlich gehaltenen , gewiß viel
kürzeren und schlichteren Reden wären ihm übrige ns wahrscheinlich lästig ge-
wesen, wenn sie den n authentisch aufge;.eichnet wo rden wären; so aber konnte
Thukydides durch den Umstand, daß es solche Aufzeichnunge n nicht ga b, seine
eigene Kompetenz noch unterstreichen : << Nur wie meiner lVIeinungnach ein je-
der das in se iner Lage Notwendige am ehesten hätte ausdrücken müssen , so ste-
he n die Rede n da , in möglichst e ngem A nsc hluß a n die Gesamtintention des tat-
s ~ic hlich Gesprochenen.>> J\llit anderen Worten: Der I Iistoriker kannt e 1.war nicht
de n banale n \t\/ortlaut, besaß abe r- viel besser- eine tiefere Einsicht in das, was
die Spreche r dachte n oder doc h hätten denken mü ssen.
ll l:llOilOT UND TJILKYDIDES 4 15

Thukydides dmnals und heute

T huk ydid es e in binnerungsort? ll ar t formuliert: für di e H e llenen eher nicht.' ö In


der Antike spielte in der Rück sc hau auf di e eigene Vergangenheit der Peloponnesi-
sc he Krieg ke ine herausragend e Rolle. Zwar genoß Thukydidcs große Autoritüt als
Prosast ili st und wurden Abh andlungen über ihn verfaßt. Aber er schreibt dicht
und schnörkellos, bisweilen geradez u schroff, und die Reden sind gedanklich so
komplex und so voller Abstraktionen und Antithesen , daß sie bereits für antike Le -
ser schwer w verstehen waren und sehr genaue Lektüre erforde rte n. Sein Versuch
jedoch, den Krieg zwischen Athe n und Sparta als de n ne nne nswerteste n über-
haupt w e tablie ren , ist sc hlic ht gesc hei tert. Das herausrage nd e kriegerische Ereig-
ni s de r Vergangenheit , an das immer wieder erinnert wurde, W<H und blieb der
Kampf gege n den Pcrserkönig, nicht d as kleinliche, als innergr iech ischer Bürger-
krieg gelte nde Geschehen des Peloponnesischcn Krieges. Allenfalls wurden einige
Episoden dieses Krieges, wie etwa der Arginusenprozeß 406 v. C hr. (den Thukydi-
dcs nic ht mehr schildern konnte), als Belege für die Entartung der athenischcn
Demokratie angeführt, ohne daß freilich der Kontext noch seh r interessierte. In
byzantini sc hen Weltchroniken des Mittela lters kam der Krieg nur am H.ande vor;
ma n gi ng me ist von der Gesc hic hte der persischen Monarchie direkt w Alexa ndcr
dem G roße n übe r. Zwar ma rkierte die Fortschreibung des thukyd ide isc hen Wer-
kes durch Autoren des 4· Jahrhunde rts w ie Xenophon oder Theopomp ä ußeren Er-
folg, doch die Vorstellung ein er nicht abbrec henden Geschichte (historia perpetua)
widersprac h geradezu den Intent ionen des Thukydides. Auch das Bild e ines <pe-
rikleisc he n Zeitalters>, das Plutarc h fünf Jahrhunderte später in seine r Riographie
entwarf, konnte sich nur bei oberflächlicher Lektüre auf den Athener berufen, der
e ine durc haus gemischte Bilanz des berühmten Strategen aufmachte. Allerdings
hat er dessen Konfrontationspolitik in der Zeit vor 431 v. Chr. hinter dem angeblich
<<letzten und wahren Grund , von dem ma n freilich am we nigsten sprach», ver-
stec kt: Der Krieg sei aufgrund von Athens Machtzuwachs und Spartas ~urcht un-
ve rme idlic h gewesen (t, 23, 6).
Viel größer war die Wirkung in der Ne uzeit ; hier w urde Thukydides a ls tief-
sc hürfende r Denker, sein Werk a ls zeitlos gültige Durchdringung der Wirklichkeit
wa hrgenommen. Kant wiederholte zust immend einen Satz David 1-!umes, das er-
ste 13latt des Thukydides sei <<der ei n zige Anfang aller wahren Gesc hichte». Rous-
seau hielt ihn für das <<echte Mu ster eines Geschichtsschreibers », Nietzsche gar
für e inen Br uder im Geiste : ,:J 'hukydides und, vielleicht, der Principe .M achiavcllis
sind mir se lbe r a m meiste n verwandt durch den unbedingten W illen , sich nichts
vorzumac he n und die Vernunft in der Rea lität zu sehn - nicht in der <Vernunft ,,
noc h weniger in de r <1\ilorah ... Vo n der jämme rlichen Schönfärberei der Griechen
ins Idea l, die der <klassisch gebildete>Jüngling als Lohn für seine Gy mn asial-Dres-
su r ins Leben davonträgt , kuriert nic hts so gründlich als Thukydides. Man muß
ihn Zeile für Zeile umwend en und se ine Hintergedanken so deutlich ablesen wie
lJW E WALTER

seine Worte: es gibt wenige so hintergeda nkenreich e Denker.» Für einen Denker
der Pathologie n des 20. Ja hrhunderts wie Eric Voege lin hat Thukydides schlechter-
dings <<die e mpirische Wissenschaft von der tödlichen Krankheit der Ordnung»
begründet. Es waren (und sind) Wendunge n wie die vom Krieg als e inem gewalttä-
tigen Lehrmeister (3, 82, 2) und brilla nte Miniaturen, die solche Ei n sc hätzun gen
nahel egten: die berühmte Schilderung der Seuche in At hen und ihre r verheeren-
den et hi sc h- sozialen Fo lgen (2, 47-54), der Bürgerkrieg auf Korkyra , der sich im-
mer weiter radikalisierte und zu einer Entwertung von Normen und Sprache führte
(3, 82-85), das Massaker a n den Bewohnern einer kleinen boiotischen Sta dt durch
thraki sche Söldner (7, 29 f.), der bruta l zuschlage nd e Imperiali smus des demo-
kratischen Athen in de r Debatte über die Strafe an der abtrünnigen Stadt Myti-
lene (3, 35-50) und natürlich der ber ühmte Melierdialog, in de m Spätere eine
schonungslose Freilegung der Dä monie de r Macht sehen wollten - freilich mit Un-
terschieden in der Bewertung. Während kulturelle Differenzen und handlungs-
theoretische Unübersichtlichkeit in Herodots Welt dem Hörer nur recht allge-
meine Lehren aus dem Geschehen zu zie hen erlaubten , bewegen sic h Thukydides'
Akteure in einem zie mlich einheitlichen , klar abgestec kten Dreieck aus Politik,
Krieg und Geld . Eine Basisgröße bildet die Natur des Menschen (die eigentlich
Natur des Mannes heißen müßte, denn Frauen spielen keine Roll e); ihre Unverän-
derlichkeit sichert den Wert des ganze n Unternehmens ( I , 22, 4) : <<Wer klare Er-
kenntni s des Vergangenen erstrebt und damit auch des Künftigen, das wieder ein-
mal nach der menschlichen Natur so oder ähnlich ei ntreten wird , de r wird mein
Werk für nützl ic h ha lten , und das soll mir genügen . Als ein Besitz für immer
(ktema es aiei) , nicht als G lanzstück für einmaliges Hören ist es aufgeschrieben. »
Wa s ble ibt? Wenn Historiker heute T hukydides in der Regel nicht mehr als
ihren Gr ünderheros a nsehen, ja ihn sogar aus dem Kreis der Kollegen verbannt se-
he n wollen,'9 so übe rsehen sie, daß der Athener G röße und Elend ihre r eigenen
Existen z auf den Punkt gebracht hat. Im berühmten Methodenkapitel ( I , 2 0 - 21 )
werden drei Arten, mit der Vergangenhe it umzuge hen , angesproche n: Da sind er-
stens die gängigen Vorstellungen der Leute, unkritisc h übernommen und gleich-
gültig gegenüber der Wah rheit; als Be ispiel nennt Thukydides di e bereits erwähn-
ten Ansic hte n der Athe ner über die Tyrannenmörde r Ha rmodios und Aristogeiton.
Es ist dies das auf verschiedenen Kanälen weiterverm ittelte popul äre Geschichts-
bewußt sein, welches der Erinnerungsgemeinschaft ein wohnliches I-laus bietet
und Ich- bzw. Wir-Stä rke vermittelt. Daneben steht, zweitens, das Wirken der
Dic hte r, die << in ihren Hymnen alles mit höherem G la nze schmücke n». Aber auch
das künstle ri sch geschaffene und vermitte lte Wissen von der Verga ngenheit , so ist
einzuwenden , hat seine Evidenz, seine Wahrheit: di e Evidenz und Wahrheit , die
mit ästh etischen Mitteln erzeugt sind , die den Menschen und sein e Si nne unmit-
telbar be rühren, ihn gleic hsa m anspringen , verza ube rn und sofort überzeugen .
Thukyclides meinte hie r für seine Zeit Homer und die Dichter der Perserkriege,
etwa Simo nides. Ein T hukydides des 19. Ja hrhunde rts hätte hi storisc he Romane
und Historiengemäld e genannt; ein he utiger würde auf den Spielfilm weisen- und
I!EROLJOT UND Tl!UKYDIDES

er müßte zugeben, daß viele dickleibige Bücher über die Erfahrung und die Wirk-
lichkeit der Landung in der Normandie im Sommer 1944 nicht so unmittelbar ein-
leuchten können wie die ersten zwanzig Minuten in Spielbergs Der Soldat James
Ryan. Das gilt, um ein anderes Beispiel zu nennen, auch für das tiefe, weil emotio-
nal fundierte Eintauchen in die Welt des Jahres 1954 in Sönke \;\Jortmanns Das
Wunder wm Bern. Der Historiker aber, der seit Thukydides für eine dritte, beson-
dere Form von <Geschichte> steht, muß die beiden anderen Arten kennen und stu-
dieren -und anerkennen, daß er gegen sie mit seinem intellektuell-empirisch ge-
nerierten Wissen auf einigen Feldern nicht konkurrieren kann. Würde er dies
denn doch versuchen und alle seine mühsam geschärften Instrumente über Bord
werfen, hörte er auf, Historiker zu sein. Sein \;\Iissen muß unter dem Imperativ der
Wahrheitssuche sowie unter Beachtung bestimmter Standards zustande gekom-
men sein, sonst hat es keinen Wert und keine Autorität. Wir nennen das heute
historische Methode, Quellen- und Sachkritik, Interpretation. Das so ermittelte
Bild erhebt ausschließlich den Anspruch, der vergangenen Wirklichkeit möglichst
nahezukommen . Die Rekonstruktion, so Thukydides, duldet keine Konzessionen
an Identitätsbedürfnisse oder Hör- und Schaulust; sie ist vielmehr herb und unbe-
quem, und der Leser soll spüren, wieviel Mühe und Arbeit es den Autor gekostet
hat, ein überwiegend kopfbetontes und in erster Linie nützliches \;\Jerk geschaffen
zu haben. Der Erwerb dieser Geschichte durch Lesen ist ebenso wie ihre Herstel-
lung durch das Schreiben harte Arbeit; Thukydides spricht von «mühsamer Unter-
suchung>> (1, 22, 3). Soweit das heroische Moment der Professionalisierung. Ihr
Elend liegt in der dadurch verursachten oder zumindest drohenden Abkoppelung
von den unverzichtbaren lebendigen Impulsen beim Umgang mit dem Vergange-
nen, liegt im <Verlust der Geschichte>. Thukydides selbst würde das Problem aber
wohl umgekehrt bestimmen und damit auch ins Schwarze treffen: Gerade wenn
der Geschichtsschreiber als Miterlebender und Mitleidender von den Konvulsio-
nen und Katastrophen seiner eigenen Zeit aufs tiefste erschüttert ist und Anlaß
hat, an jeder Planungs- und Handlungsrationalität zu (ver)zweifeln, muß er sein
Reden über diese Dinge kontrollieren und objektivieren, damit aus der Unmittel-
barkeit einer überwältigenden Wirklichkeit für die Zukunft wirksame Einsicht er-
wachsen kann.
ANMERKUNGEN n45

il S. GRETHLEIN 200h, 1)4-310.


9 S. dazu I-ILNTER 20o4-
IO Hellanikos FCrHist )23il F 24.

11 Plut. i\lexander il, 2; I), 7-9; 26, 1; Diod. 17, 17,3: Dion. Chrys. 4. 39 bzw. i\rr. i\n. 1, 12, 1; 7,
14, 4· S. dazu AMELING 1l)f>H und den Beitrag von P. CARTLEDGE in diesem Band.
12 S.BOEDEKER ll)l)R.
1.3 Paus. 1, 15, 1-3. Vgl. dazu K.·J. HöLKESKA'VIP, lVIarathon- vom Monument zum Mythos, in:
D. PAPENFUSS, V. lVI. STROCKA (llgg.), Gab es das griechische VVunder? Griechenland zwi·
sehen dem Ende des h. und der Mitte des ).Jahrhunderts v. Chr., Mainz 2001, 329-353:
DEHS., Mythos und Politik- (nicht nur) in der Antike. Anregungen und Angebote der neuen
«historischen Politikforschung», HZ 2HH, 200l), I-)O, hier 29 ff. und die Heiträge von T.
I löLSCHER und i\1. ZAHBNT in diesem Band.
14 Hdt. 2, 112-120 bzw. Thuk. 1, 21, 1. S. zum Beginn der griechischen Geschichtsschreibung in
der Spannung zwischen Tradition und Innovation zur nichthistoriographischen lVlemoria, s.
CBETHLEIN 201ob. Zum Einfluß von J-lomer auf Thukydides s. STRASBLJBGEH 1972. S. w
Herodot und Thukydides generell den Beitrag von U. WALTEE in diesem Band.
15 RAAFLALJB ll)9H; GHETHLEIN 2010<1.
16 BnTLESTONE 2005.
17 \ViLA'VtOWITZ·lVIOlLLEI\lJOHH Il)On, 59 f. S. auch den Beitrag von J. CoBET in diesem Band.
1R S. LATAC:Z 2005; zur Kritik an seiner These s. die Beiträge in ULF (I lg.) 2003. Für einen
ÜberblickS. CRETIILEIN 2010a.
19 Für einen Überblick über diverse epische Traditionen und ihre Darstellung historischer Er·
eignisse s. RAAFLALJil 2005.
20 PARRY I971; LoRD 196o.
21 Zum frühgriechischen Adelund seiner Ethik s. STEIN·IlöLKESKAMP Il)8l).
22 S. HöLKESKAIVIP 2002.
23 S. I IERTEL 2003.

UwE \VALTER
llcrodot und Thukydides- die Entstehung der Geschichtsschreibung

1 Ühersetzlliigen wul zweisprachige !\usgahen: Herodot, Geschichte und Geschichten, übers.


von \V. IVIARC, Bel. I, München u. a. 1973, Bd. 2 mit einem Essay <Herodot als Geschichtsfor-
scher> von II. StHASHL'HCEH, ehd. Il)R3 (danach zitiert; Übers. des <ersten Satzes>: Verf.l
~ I lerodot, I listoricn, griechisch-deutsch von J. FEIX, 2 Bde., München lil)Ho ~ Thukydides,
Der Peloponnesische Krieg, übers. von H. VBETSKA, \,Y. RINI':EH, Stuttgart 2000 (danach zi·
ticrt, z. T veründcrt) ~ Thukydidcs, Geschichte des Peloponnesischcn Krieges, griechisch·
deutsch von C. P. LANDMANN, 2 Bde., München u. a. 1993· - Neuere Kommentare: 1).
i\sHERI, i\. LLOYD, /\. CoHCELLA, ;\ Commcntary on Herodotus I-IV, ed. hy 0. IVILRHAY, A.
MoRDJO, Oxford 2007 (Bel. 2 in Vorbereitung) '" E. I RWIN, E. GREENWOOD (I lgg.), Rcading
llerodotus, A study in the Logoi in Book 5 of Herodotus' Histories, Cambridge 2007'" L.
ScoTT, Historical Commcntary on Herodotus Book 6, Leiden u.a. 2005 "'A.IVI. llowir,
Herodotus, Histories book VIII, Camhridge 2007'" 1\!1. A. FLOWER, J. MARINCOLA, Hcrodo-
tus, l!istories Book IX, Cambridge 2002'" S. Hoi\NBLOWEH, A Commentary on Thucydides,
3 Bde., Oxford '991h99nhooR.- Grundlegende Literatur: E.]. BAKKEH, I. J. F. dc joNG, I I.
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tion und ihrer Geschichte, Berlin 2000'" R. BrcHLER, R. RoLLtNGEH, Herodot, Hildesheim
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(d re i Ge nerationen des Unh ei ls); 7, 138 (!\then einst Heller vo n ll e ll as ).
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(ausfü hrli c he Di s ku ss io n ) . - Die früh e re Les un g in Athe n nut zt a ls fik tiona len Ausga ngs-
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folgen de 1-lekataios-Zitat im Text: FC rll ist 1 F 1. der Sa tz 1\nax imandns: I(, D1ELS, \V.
KRANZ, Die Fragm en te d e r Vors okratike r" 12 ll 1.
7 1-'. hJCKE, I lcrodot a ls Hi stor iker, zi t. nach !\IAHe; ( H g.) 1982 , .'15 : e hd . .'l7 das folgende Zitat
im ' lcx t. Zu r religiüsen Dim ensio n s. H AR RIS0 ,\1 2ooo.
8 Ly kurg: 1, 65 1'. S. den Be itrag vo n K.-J . I lö LK ESKAMI' in d iesem Ban d : Klci sthe nes: 5· 6) ff. -
Freihe it und IW IIW S d e r H e llenen : 7, 104, 5·
9 Z ur Logosstruktur s. j AC:OilY 19 13, 2H3- 326 : CoBET 197 1; zur c hro nolog isc he n Leistung
STR AS RURGEH , 1-l erodots Ze itrec hnung, in : l>EBS. 198::>., 6 27 - 675: J. Cour:T. Th e O rga ni zation
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und Spartas: 1, 59-70; 5, 38- <)6.
10 <I o ni sc he Linie>: Sc:HADEWA!.OT 1982, 132- 141.- «Der M e nsc he n G lück nie sti lle·" : 1, 5· 4- -
A0iMERKUNCEN 047

Durchblicke in die Zeit nach 479 v. Chr. und Kritik an der Politik Athens seit dem Ende des
Krieges: BühEL 2004. 23 f. und passim.
11 Vgl. für das Folgende BICIILEHIRoLLINCER. 2000, 14f.- Geographie: s. die Kritik an Heka-
taios' Weltkarte 4. 36, 2 und an verschiedenen Europakonzeptionen 4. 46; politische Sy-
steme: die Verfassungsdebatte :;. Ho-ih: Zusammenhang von Landes- und Volksnatur: s.
die bewul)t den SchiLd) bildende Vvarnung an Kyros 9. 122.- Beziehungen zur Tragödie: S.
SMD, Herodotus and Tragedy, in: BAKKER u. a. (llgg.) 2002, 117-14H.- Zum intellektuellen
Kontexts. THONlAS 2000 und K. A. HAAI'LAUB, l'hilosophy, Science, Politics, in: BAKKEH u. a.
(Hgg.) 2002, 149-186.
12 Vgl. jACOBY 191), :;92-467: S. lloHI\IlLOWEH, Herodotus and his Sources of Information, in:
BAKKER u. a. (I lgg.) 2002, )7_:;-_:;86: R. L. FowLER. llerodotus and his prose predccessors.
in: DEWALD u. a. (Hgg.) 2006. 29-45.
I) Vgl. zuletzt H.-J. GL!IHKE, Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwick-
lung des Gcschichtsbewußtseins, in: E.-IVI. BECKER (Hg.), Die antike Historiographie und
die Anfünge der christlichen Geschichtsschreibung, Berlin u. a. 200), 29-)1, v. a. 43·
14 Hdt. ), 55· (nff.: Thuk.1, 20,2:6,54-59 (54, 1. «Denn die kühne Tat des Aristogeiton und
des llarmodios entstand aus einem LiebeshandeL den ich etwas ausführlicher berichten
werde, um zu 1eigen, daß weder die anderen noch die Athener selbst über ihre Tyrannen
und über dieses Ereignis auch nur irgendetwas Genaues berichten.»). Vgl. Z. Pu HE, L' uso
politico e retorico del tema del tirannicidio. in: I GRECI. Storia, cultura, arte, societi1, hg. von
S. SnTIS. Vol. 2.2: Una storia greca. Ddinizione (VI-IV secolo a. C.), Turin 1997, 1207-
1226: N. LoRAUX, Born of the Earth. Myth & Politics in Athens, Ithaca u. a. 2ooo, 65-82,
sowie den Beitrag von F. HOLSCHER in diesem Band.
15 Vgl. T. HoLLAND, Persisches Feuer. Das erste Weltreich und der Kampf um den V/esten.
Stuttgart 2ooH, 10 r. - Unterricht: S. KIPF, llerodot als Schulautor. Ein Beitrag zur Ge-
schichte des Griechischunterrichts in Deutschland vom 15. bis zum 20.Jahrhundert, Köln
u. a. 1999.- Herodot gegenüber Thukydides aufgewertet: CnEEN 2003.- ldentitüt und 1\ltc-
ritiit: I L\RTOG 19Ho; vgl. BICIILER 2000.- Conquistadoren: s. \V. NIPPEL, Griechen, Barba-
ren und »\Vilde«, Frankfurt/M. 1990, v. a. 11-55· -I lerodot in politischen und kulturwissen-
schaftlichen Diskursen unserer Zeit: T!IOMPSON 1996, 112-141.- Thukydides und der Kalte
Krieg: z. ll. 1'. J. h.IESS, Thucydides and the Politics of Bipolarity, Nashville 1966: vgl. WtE-
1\tEH 2008, 51 f.
16 Thuk. 5. 26, 5: zum Phlinomen s. J. DILLERY, Exile. TheMakingof thc Creek Historian, in
J. F. GAERTNEH (Hg.), Writing Exile. The Discourse of Displacement in Creco-Roman i\n-
tiquity and Beyond, Leiden u. a. 2007, 51-70.- Zur Biographie des Thukydides s. LusciiNAT
1970, 1087-1 w8.
17 Zu 1.1 s. J. LATACZ, Die rätselhafte <Große Bewegung>. Zum Eingang des thukydidcischen
Geschichtswerks, WJb 6a (Fs. Erbse), 1980, n-99·- Medizin: G. liECIIENACER, Thukydi-
des und die hippokratische Medizin, Hildeshcim u. a. 1991. - Semantik der empirischen
Forschung: lloRNBLOWER 19H7, wo-107- -<Archäologie>: H.-J. CEHHKE, Thukydides und
die Rekonstruktion des llistorischen, !\&!\ 39, 1993. 1-19.- Konstituierung des Peloponnc-
sischen Krieges als einheitliches Großereignis: 5, 26; vgl. VocGELIN 1957hoo3, 229f.; B.
STHAUSS, The Problem of Periodization: The Casc of the Peloponnesian \Var, in: lVI. GoL-
DEN, P. Too!IEY (I lgg.), lnventing i\ncient Culturc, London u. a. 1997, !6)-175·- Heden bei
Heroclot und Thukydides ScARDINO 2007: zum weiter unten im Text zitierten sog. <Heden-
satz, 1, 22, 1 s. K. VöSSING, Historia 54, 2005, 210-215, dem hier 1. T. gefolgt ist.
18 Zum folgenden s. B. BLLCKMANN, Der Pcloponncsische Krieg, München 2007, 9-10. Der
Befund gilt trot1. des umfangreichen Materials zur <Nachwirkung> bei LusC:HNAT 1970,
1266-I_:;II. - Perikles-Bild: s. zuletzt MEIER 2006.- Zur neueren Rezeptionsgeschichte
glämend MEINEKE 2oo:;; zur Bedeutung für die Professionalisierung der Geschichtswis-
ANMERKUNGEN

sen schaft im I9. Jh. WIEMER 2oo8, 49- 52. - Hume /Kant: zit. nach E. 'f'ÄUBLER, Di e Ar-
ch äolog ie de s Thukydides, Berlin 1927, 119 ; J. ·J. RouSS EAU, E mil oder Üb er die Erziehun g,
aus d e m Frz. vo n H. DENHARDT, Leipzig o. J. , Bd. 2, 67: F N rETZSCHE, Götze n-Dämme -
rung, Werke in drei Bä nde n , hg. vo n K. SC IILECI-ITA, Bd . 2, M ünche n 1954, 67 ; Vo EGE LI N
1957/zoo3, 237·
I9 N. LORAUX, Thuc yd ide n'es t pas un co llegue , QS 12, I98 r, 55- 81.- Leb endige Impulse: da-
zu noch immerunüb erholt F. NrETZSC ll E, Vom Nut zen und Nachteil de r Historie für das
Lebe n (I874), in : W erke (s. vorige Anm .) , Bd. I, 209 - 285; s. auch A. Hwss , Verlust de r
G esc hichte , Göttingen 1959. - Inte nsive emotionale A nteilnahme d es T hukydides:
H .-P. STAH L 2oo3 ; vgl. ME IER 2006, I35: Zeitgesc hi c hte a ls «Kontingen zbewä ltig ungs un ·
te rn e hm e n ».

M ARTIN HosE
Die Orestie des Aischylos- die Götter, das Rec ht und die Stad t

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