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Johann Gottlieb Fichte

Die Staatslehre / oder über das Ver­


hältnis des Urstaates zum
Vernunftreiche

Neu h e r a u s g e g e b e n von

Fritz Medicus

Zw eite Auflage

Der Philosophischen Bibliothek Band 132c

Leipzig / Verlag von Felix Meiner / 1922

ii-
Vorträge verschiedenen Inhalts
aus^der

angewendeten Philosophie

Aus Fichtes Nachlaß


Di e a m R ande der T e x tse ite n a n g e g e b e n e S eiten b ezeich n u n g zum erstenmal herausgegeben im Jahre 1820 unter dem Titel:
bezieh t sich a u f die von Im m an u el H erm a n n F ich te b e so rg te G esam t­
a u sg a b e (1 8 3 4 — 1846). D ie am u n teren R a n d e d e r S eiten steh e n d e D ie Staatslehre 0
S eiten zah l v e rw e ist auf F ich tes W erke, A usw ahl in se ch s B änden, oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche,

h e ra u sg e g e b en von F ritz M edicus, B and VI.


in Vorlesungen,
A n m erkungen von Fichte se lb st sind m it *, A nm erkungen des gehalten im Sommer 1813 auf der Universität zu Berlin
H e ra u sg e b e rs m it Ziffern bezeichnet.
durch

J. G. F i c h t e .

Berlin, bei G. Reimer.

ln der Ausgabe der Sämtlichen Werke seines Vaters hat I. H. Fichte


den Titel des ersten Druckes beibehalten. Die in der vorliegenden Aus­
gabe gewählte Überschrift geht zurück auf Fichtes eigene Formulierung
bei der Ankündigung der Vorlesungen.
Die den beiden älteren Ausgaben in vielen Anmerkungen beigefügten
nicht von Fichte selbst stammenden Hinweise auf Stellen des Neuen
Buchdruckerel Julius Klinkhardt in Leipzig Testaments sind getilgt worden mit Ausnahme einiger . Angaben solcher
Stellen, auf deren W ortlaut Fichte im Text deutlich anspielt.
F i c h t e , Di e St aat s l ehre. - 1
Erster Abschnitt. IV, 369

Allgem eine Einleitung.


Inhalt.1 V orträge verschiedenen Inhalts aus d er a n g e w e n d e t e u
P h i l o s o p h i e haben w ir an g ek ü n d ig t: — w as n u n zuvörderst
Erster Abschnitt. Allgemeine E in le itu n g .................................
Philosophie, und w as angew endete sei, darüber können w ir vor­
Zweiter Abschnitt. Über den Begriff des wahrhaften Krieges läufig und m it Einem W orte nicht deutlich w erden; wie wir
Dritter Abschnitt. Von der Errichtung des Vernunftreiches . außerdem zu dem angegebenen verschiedenen Inhalte kom m en,
V o ra u sse tz u n g en ............................................................................ w ird sich zeigen, .
W enn w ir P hilosophie anw enden, so frag t sich's, w as Philo­
Deduktion des Gegenstandes der M enschengeschichte. .
sophie ü b erh au p t sei. D ies b eantw orten w ir vor allen D ingen,
Alte W e lt........................................... .... indem ohne dies üb er alles K ünftige sich keine K larheit v er­
Neue W e l t ............................ • breiten kann.
D er N am e in seiner ursprünglichen W o rtb e d eu tu n g m acht
1 Vom Herausgeber hinzugefügt. schon w ahrscheinlich, daß m an etw as suche, w as m an selbst
nicht kennt, durch M ißvergnügen m it dem B ekannten uud dunkele
A hnung getrieben. — W enn w ir ü ber diesen Z u stan d hinaus
sind, so ist es unsere Sache, jenen ihre A hnung zu erklären,
und ihnen g en au zu sagen, w as sie eigentlich w ollen. In dieser
Lage könnte uns n u n w ohl b e g e g n e n :
a) daß keiner, d er bisher d arü b er gesprochen, so sich er­
klärt, w eil sie näm lich alle n u r suchten, nicht fanden.
b) Daß also unsere E rklärung nicht schon b ek an n t sei,
darum schon verständlich, sondern daß m an eben lernen m üsse
sie verstehen, indem man sie konstruiert, im freien D enken sich IV, 370
beschreibt. — G leich jetzt also, beim B eginne schon, haben wir
ein solches Selbstdenken zu vollziehen. Die H istorie w ürde e r­
innern : „ D u k e n n s t d o c h ! “ So nicht wir.
c) Daß andere, die bisher schon d arü b er gesprochen haben
und sprechen, unw illig w erd en ; weil, w enn w ir recht hätten,
an den T ag käm e, daß sie bisher etw as nicht g e w u ß t, son-
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6 Angewendete^Philosophie. ä $ t , / % Allgemeine Einleitung. 7

dern es erst lernen m üßten, Was niem als ein M eister gern sich kann der M ensch bleiben, aber auch darüber sich e rh e b e n : —
sagen läßt. D ies Schicksal nun m üssen w ir trag en u n d uns eben d as E rkennen und B ew ußtsein selbst erkennen, wie ich
darein ergeben, als unabtrennlich von d er Sache! Ihnen schon im E ingänge an g em utet habe. — ich habe Sie
1. E rkennen, W issen, S ic h v o rste lle n ,— die kennt ein jeder, dadurch in d er T at schon auf den Boden der P hilosophie er
kenn t es unm ittelbar, und m uß es kennen, dadurch, daß er es hoben. Dies die n e u e W elt, g eg eb en durch das neue O rgan.
i s t : und w er es nicht k ennte durch sich, dem w äre von außen Es ist w eiter auseinanderzusetzen: den O rt hätten w ir gefunden.
her diese K enntnis n icht beizubringen. N un bem erken Sie w ohl 3. D iese B em erkung, daß m an eben w isse, vorstelle die E r­
das P ostulat, nicht ü b e rh a u p t zu erkennen, sondern das E r ­ fahrungsw elt, kann m an nun zerstreut fassen, und doch bei der
k e n n e n w ied er zu erkennen, als b eso n d eres, als etw as, das da ersten A nsicht bleiben, daß D inge a n s ic h sind, kann beides
i s t, sich hinzustellen. — D ies nun m uß je d er in eigner Person für w ahr halten, w eil man seine E rkenntnis nicht zur E i n h e i t
tu n ; jeder hat selb st etw as zu konstruieren und anzuschauen: vereinigt, u n v erständig und zerrissen ist. — Soll sie aber Ein­
n u r dadurch ist er in u n serer M ethode, und nur von dem also heit gew innen, so kann beides nicht w ahr sein: en tw ed er nur
K onstruierten ist die Rede, nicht von Frem dem , bloß Erzähltem ; D inge, oder nur Bilder. Die D inge sind durch ihr Sein voll­
so kann es auch keiner auffassen, dies ist g eg en alle philo­ e n d e t: w oher dann also ihre B ilder? W o h er ein W i s s e n d e r­
sophische M ethode. selb e n ? — U m gekehrt aber folgen aus den Bildern die D inge
2. P hilosophie w äre nun w ohl Erkenntnis, W issen; aber nicht notw endig, eben als die gebildeten, als der G e g e n s t a n d des
alles W issen, vielm ehr ein b esonderes, unter ein gew isses genas selbst als Bild erkannten, und schlechthin d a f ü r s ic h g e b e n ­
g eh ö ren d es, m it seiner spezifischen D ifferenz: — ein bestim m tes d e n Bildes.
im G egensätze m it anderem . W elches n u n ? Recht w aF es wohl D adurch nun hat die W elt sich uns verw andelt in eine ganz
nur durch den Besitz zu erkennen; — jetzt durch seinen an d ere: d ort D inge, hier n u r E rkenntnisse, B egriffe; d ort m aterielle
G egensatz. W elt und g e istig e : uns gilt die letztere nur als das Rechte und
Alle E rkenntnis liefert und hat ihre W elt, ihr System des Einzige; und darü b er m uß jed er mit sich selbst aufs reine
Seins. Im G eg ensätze g e g e n die gew öhnliche W elt und ihr System kom m en. — Also dies ist festzuhalten: 1. daß n u r eine geistige,
des Seins, liefert die E rkenntnis, von der w ir sprechen, eine Begriffs w eit, durchaus nicht und in keinem m öglichen Sinne des.
durchaus n e u e ; — sie selbst ist schöpferisches O rgan, neues W ortes eine m aterielle zugegeben w e rd e ; 2 . daß w ir dies nicht
A uge, eben für eine neue G esichtsw elt. zufolge eines R äsonnem ents, sondern eines u n m i t t e l b a r e n B e­
"D en k en Sie einen B lin d g eb orenen: für ihn ist da, w as durch w ußtseins erkennen. Eben nur der Bilder, d er B ^ u rim ü n g e n des
d en G efühlssinn g eg eb en ist, aber kein Licht, keine Farbe und W issens ist man sich b ew u ß t, und durchaus keines a n d e ren :
alle die dadurch gebild eten V erhältnisse. D enken Sie, das G e­ zufolge d er v orgegangenen E r h e b u n g . <&

sicht w ird ihm g e ö ffn e t So gerad e ist es in der Philosophie, P hilosophie sonach w äre ein u n m i t t e l b a r e s B ew ußtsein,
IV, 371 — D urch die G eb u rt sind w ir niedergesetzt in einem gew issen das sich nicht andisputieren läßt, ebensow enig w ie dem Blinden IV, 372
E rkennen und B ew ußtsein, r der D inge, d er g egebenen E rfah­ das A uge; das nicht erw iesen, verm ittelt w erden kann, o d e r des
rungsw elt. D urch d iese E rkenntnis w erden eben die D inge er­ etw as, so n dern n u r geb ild et und entw ickelt.
kan n t und g e w u ß t: nicht einm al g ew u ß t das B ew ußtsein selbst, Z ur ferneren E rlä u te ru n g : N
erk an n t das E rk en n en : dieses i s t ; in ihm g e h t m an auf, als 1. D er P hilosophie W eltansicht, deutlich ausgesprochen, ist
dem H öchsten und Letzten, dem absoluten Sein : — nach obiger diese : .a) Es ist etw as, fest, unw iderruflich bestim m t. — M an
V ergleichung der innere G e f ü h l s s i n n zu nennen. D abei nun denkt vielleicht, d er Philosoph nehm e kein Sein a n : dies ist
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8 Allgewendete Philosophie. Allgemeine Einleitung. 9

g ro b er M ißverstand, b) D ieses Seiende ist nun kein System von Jetzt nur zwei vorauszuschickende B em e rk u n g en :
stehenden, auf sich b eru h en d en m ateriellen D ingen, sondern ein 1. W er auf irgendeine W eise auch n u r m it u n d neben d e r
System von Bildern, in den en eben ein solches System von D ingen geistigen W elt eine m aterielle gelten läß t — D ualism us nennen
hingeb ild et w ird. Es ist ein auf sich selbst beruhendes und durch sie es — ist nicht Philosoph. R äsonieren, ein M annigfaltiges
sich selb st bestim m tes B ew ußtsein, u n d durchaus nichts anderes. von K enntnissen verknüpfen ist nicht P h i l o s o p h i e r e n ; es kann
(Ich g lau b e Ihnen einen g ro ß e n D ienst zu tun, w enn Sie auch dies in dem ganz gew öhnlichen B ew ußtsein geschehen. D ahin
n u r diese A nsicht verstehen, u n d sich' fest einprägen. — F ü r g eh ö rt d er S p rach g eb rau ch : w ir w ollen d a r ü b e r p h ilosophieren;
w enige n u r erinnere ich: dies ist unser, die w ir uns für Philo­ gew öhnlich allerlei T räum e und E rdichtungen schw atzen. — Die
sophen halten, ganzer und u n u m w undener E rnst, nicht etw a bloß V erschiedenheit liegt in der G rundansicht. Ein R äsonieren, Sich­
eine R edensart, die an sich deuteln und drehen, und m it sich bew egen in der Erkenntnis, frei k o n struierend und Begriffe ver­
u n terhandeln ließe. W ir w issen es unm ittelbar, w ie w ir unseres knüpfend, kann allerdings ein Philosophieren sein; ab er nicht
L ebens un s b e w u ß t sin d : so n d erbar kom m t es nur denen vor, d a d u r c h w ird es dies, sondern durch seine G rundansicht. Dies
w elchen jen es A uge noch nicht aufg eg an g en ist). w eiß m an gew öhnlich nicht, g ib t es nicht zu, ärg ert sich daran,
2.. W elches ist nun der eigentliche innere U nterschied jener g lau b t es n icht: aber es kann alles dieses nichts helfen, so ist’s.
ersten natürlichen und dieser erh ö h ten philosophischen W elta n sic h t: 2. Jenen nichtigen N am en darum m üßten w ir au fg eb e n : offen ­
d .i.w a s ist eigentlich m it dem M enschen im Ü bergange von der b ar w äre sie W issen, T heorie, L ehre; und zwar, w ährend das
ersten zur zw eiten v o rg e g a n g e n ? (Es ist entscheidend für die andere D ingelehre, Seinslehre, W eltlehre (gar W eltw eisheit) sich
K larheit d er Lehre, und von den w ichtigsten Folgen.) Die B ild e r , nennte, m üßte diese Erkenntnis-, B ew ußtseins-, W issenschaftslehre
sich d arstellend als solche, setzen ihr A bgebildetes. In dieser heißen, a) In A bsicht des unm ittelbar bew p ß ten Seins sagt je n e :
O p eratio n des B ew ußtseins g e h t der natürliche M ensch auf m it es ist eine m aterielle W elt; diese: es ist ein so und so bestim m tes
seinem ganzen W e se n : das Bild darum selbst und dessen Sein B ew ußtsein, b) A nalysieren beide, so beh au p tet je n e : die W elt
w ird ihm nicht sichtbar. E r g e h t a u f d a r in ,: d. hl sein Sein enthält das und d a s ; d ie s e : das ursprüngliche B ew ußtsein en th ält
ist ein P ro d u k t des ihm gänzlich verborgenen G esetzes des Be­ das, Philosophie darum b e d eu te t eigentlich nichts; erst w enn
w u ß tse in s: er ist g efan g en und befangen in dieser ihm dunkel­ sie W issenschaftslehre w ird, w ird ihr ihre A ufgabe bestim m t a n ­
b leibenden G esetzgebung. D arin b e ru h t sein f o r m a l e s W esen, g e z eig t: das W o rt könnte w ohl anders g ebildet w erd en ; aber ein
— D a g eg en reißt., das . philosophische B ew ußtsein sich los von anderer B egriff kann d er seit Jah rtau sen d e^ dunkel gestellten Auf- IV, 374
dieser B efangenheit, und erh eb t sich, frei ü b e r ihr schw ebend, gäbe nicht u n terg eleg t w erden.
zu einem B ew ußtsein ih rer selbst. M ißverständnisse w ären es a) zu m einen, die W issenschafts­
373 Im V o rb eig eh en : F reiheit von irgendeinem G esetze g ib t Be­ lehre sei n u r der N am e für m e in e Schriften, V orträge usw ., um
w u ß tsein dieses G esetzes. (D ieses V erhältnis ist selb st ein G ru n d ­ etw as historisch G egebenes zu bezeichnen, w ie : T heorie des
gesetz. Jen es B efangenheit, Blindheit, M echanism us. D iesesSehen, V orstellungsverm ögens, Kritik der V ernunft. —- N ein, das, w as
durch B efreiung erw orben.) schlechthin Allen angem utet w ird, ist sie, u n d w as vom A nbeginn
D ies das W esen und die absolut und spezifisch verschiedene eines bis auf auf einen gew issen P u n k t klaren D enkens Alle
W elt d e r P hilosophie. W e r dies gew onnen, d e r ist im G ebiete der suchten. M an könnte m ir verstreiten, daß m eine Schriften o d er
P hilosophie, und ist derselben fähig, ohnerachtet er freilich noch V orträge nicht die W issenschaftslehre seien; dies ein anderes.
keinen eigentlichen p hilosophischen E rkenntnisstoff sich erw orben Daß W issenschafts lehre ü b erh au p t nicht sei, und nicht P hilo­
h a t; w ovon tiefer u nten! sophie — die unter dieser schw ankenden B enennung gesuchte
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10 Angewendet.e Philosophie. Allgemeine Einleitung. 11

E rkenntnis ü b e r alle bek an n te E rkenntnis hinaus — sei, das kann Für d ie s e schlechthin kein solches Sein, sondern n u r ein
m an n icht w issen, nicht verstehen, w eil m an eben blind ist; aber geistiges, d. i. ein freies, lebendiges, w as nur durch die Be­
m an kann es nicht verstreiten. Auf solch einen Streit lasse ich schränkung der F reiheit und des Lebens in ihm zu einem b e ­
mich g ar n icht ein; eb en so w enig als ich jem andem den Beweis stim m ten Bilde w ird. — Beides also verhält sich zueinander, wie
fseines D aseins führen kann. (D ies ist in d er T at das höhere reiner T od und reines L eben; w eil jene das Leben in ihnen
g eistig e D asein eines jeden, das sich ihm nicht geben läßt.) b) So selber, das H inbilden nicht g ew ah r w erden, auch dieses in d e r
denke ich auch ü b e r P hilosophie nicht der Erste, o der allein. T at in ihnen nicht ist, so n d ern in dem ü ber sie w altenden, und
K ant g en au so : er hat sich n u r nicht mit dieser Bestim m theit sie konstituierenden G esetze des V orstellens.
ausgesprochen. T ranszen d en taler Idealism us heiß t g an z dasselbe. Es findet sich hier ein neues M ittel, um die A nsicht der
M an h a t ihn n u r nicht verstanden (w ohl üb er einiges einzelne, W issenschaftslehre vom Sein m it einer neuen K larheit darzu­
nicht aber ü b e r den G ru n d g e d an k e n ); seit g e ra u m er Z eit aber stellen. •••• Es nehm en einige U nphilosophen eine leb endige
t ihn gänzlich verlassen, sich tiefer als jem als in den M aterialis­ N aturkraft, eine W e] tseeje an, die ihr freies Bilden gleichsam
m us hineinbegeben, und will in ihm durch räso n ieren d es Ver- anhalte in den b esthnm ten G estalten, und ihre bildende K raft
i knüpfen eine P h ilosophie h a b e n : N aturphilosophie. — c) U nsere binde in Pflanze, Tier, M ensch usf. D aß diese V orstellung an
^ B enennung sei ein n eugem achtes W ort. W o h l: w eil die Erkennt- sich von dem G esichtspunkte d er Philosophie aus völlig u n ­
* nis n eu ist, u n d vorher nie dagew esen. — M an solle nicht neue richtig und nichtig ist, versteht sich; indem es solche G estalten
W o rte m achen. Richtig, w enn alte d a s in d : „W eltw eish eit“ z. B .! an sich, und als letztes Sein, w ie die Pflanze usf. g a r nicht gibt.
W ie lange d atiert denn dieser N am e zurück; und w as heißt jenen A ber w ir w ollen das Bild brauchen. Ein solches ab so lu t sich
denn n e u ? Ihn h ab en die W olffianer gem acht, und höchst u n ­ selbst bildendes Leben gibt es nun a lle rd in g s; — n u r d arin
glücklich. Die A bgeschm acktheit desselben ist so allgem ein g e ­ gehen w ir a b : nicht zu objektiven G estalten, — zu Bildern, die
fühlt w orden, daß ihn nicht leicht jem and m ehr in d en M und als Bilder sich verstehen, und nicht sind au ß er mit diesem Be- IV, 376
genom m en auß er der N icolaischen Bibliothek. — Ü brigens ist griffe vereint. D iese B ildungskraft nun g estaltet sich allerdings
IV, 375 es gut, daß m an, bis m an zur E insicht kom m t, bei dem W orte nach inneren G esetzen zu solchen und solchen B ildern; und die
bleibe, das die U ng ew iß h eit bezeichnet, der Philosophie. Sum m e dieser Bilder ist das B ew ußtsein un ser Aller, das allein
unm ittelbar i s t , und als seiend sich vorfindet. — (Z u diesen
Bildern nun gibt es ein d o p p e l t e s V erhältnis: entw eder m an
Ehe ich w eiter gehe, will ich den G ru ndunterschied zwischen is t sie selbst, o der m an ist ih r B ild ; man b e h arrt im Bildsein,
der' unphilosöphischen A nsicht und d er philosophischen noch von oder w ird Bild dieses Bildseins selbst. — Es ist alles so einfach,
einer anderen Seite zeigen. (C harakteristische G rundunterschiede daß man es m ißverstehen kann n u r dadurch, w eil man in d ieser
erstrecken sich ü b e r das G anze u n d gehen in die Tiefe.) Einfachheit es nicht auffassen zu dürfen glaubt, viel E ntlegeneres
F ü r je n e i s t ein niaterielles S e in das,letzte, sagte ich. D ieses daru n ter sucht.)
— ein Sein, das da eb en ist, o h n e irgend etw as zu sein, und zw ar
ein to t b eh arren d es und b esteh en d es, dem die E igenschaften, als D eutlich g ew orden ist: der U nphilosophie sind als das letzte
ein Inhärierendes, m an w eiß auch nicht w ie u n d w odurch, auf- Sein D in g e . D er Philosophie, w ie w ir b isher sie d arg este llt
g etrag en w e rd e n : die blo ß e reine Substanz, ohne alle A kzidenzen, h'aben, E r k e n n t n i s s e oder B i l d e r , w elche in >ich selber in
— die denn doch i s t (das G ebildete eben und O bjektive ü b er­ ihrem V erstandenw erden D inge, als das in ihnen A bgebildete,
h au p t aus einem Bilde). setzen.
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Angewendete Philosophie. Allgemeine Einleitung. 13
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Ich sag e — m it m einer B etrachtung w eiter fo rtschreitend: — d er K örper, und begriffe aus dem selben jedw ede Ruhe, jed w ed e
dam it w äre kaum etw as gew onnen, w enn es statt D inge, die B ew egung, teils, daß sie ü b erh a u p t sei, teils, daß sie g erad e m it
auf eine unbegreifliche W eise bestim m t, solche sind, — Baum usw. dieser K raft o der G eschw indigkeit sei: so hätte d ieser zu einem
— Bilder gäb e eines B aum es usw ., auf eine ebenso unbegreifliche Bilde der ersten Art, dem Falle' o der d er Ruhe, eines d er zw eiten,
W eise bestim m t. H öchstens w äre es eine geistigere, lebendigere ein Bild von einem G e s e t z e dieses Bildens. (D eutlich: die Bil­
und beleb en d ere A nsicht derselben U nbeg reiflich k eit.— Ih rW a h r­ d u ngskraft w ürde angeschaut als stehend u n ter einem G esetze,
heitssinn g ib t m ir recht, den ich 'nun zu rechtfertigen habe. das selbst ist ein Bild.)
W ie ist nichts g e w o n n en : und w er kann das sa g e n ? D er, /W enn n u n der Philosoph a u ß er Bildern d er ersten A rt solche
dessen E rkenntnis sich nicht b eruhigen w ill bei der g eg ebenen der zweiten...fände, so w äre dadurch in ider T at etw as gew onnen,
B estim m theit, sond ern der das W ie und W a r u m , die G i ü n d e dleHErkenntnis w äre erw eitert w orden. B esonders aber, w as sich
derselben b eg reifen w ill: der einen B egriff (E rkenntnis) von dem gleich h ier anm erken und deutlich m achen läßt, w äre dies g e ­
Z u sam m en h än g e der E rkenntnis in sich selbst verlangt. — W as w o n n en : 1. D iese Bilder d er G esetze für andere Bilder g e b en
b eg eh rt ein so lch er? Ein Bild (E rkenntnis) eines G e s e t z e s , sich gleich g eradezu und ohne nötiges B esinnen für rein e Bilder
durch w elches das unm ittelbar sich darbietende Bildw esen b e ­ und B egriffe: rein e G esetze, kein besteh en d es.S ein , sondern eben
stim m t sei, und sich erkennen lasse als dadurch bestim m t. n u r bestim m end ein solches. — Schw erkraft, A nziehung — is t
Dies w erde zuerst analysiert, dann durch ein Beispiel e rläu tert: sie, w o ist sie, w o h at sie ihren S itz? Sie is t ja n u r das Bet­
377 Uns sind g eg eb en Bilder o d er E rkenntnisse, als B estim m ungen stim m ende des Seins. So w erden w ir gew altsam zur geistig en IV, 378
des B ew u ß tsein s: diese sind, und sind das einzig Seiende für die Ansicht erhoben. W enn in einen unphilosophischen K opf so etw as
philosophische O rundansicht. — Es sind ihrer ab e r fürs e iste fällt, und er fcs w ieder verkörpert, w as läßt sich da anfangen ? —
3 zw e ie rle i: 1 . solche, die sich u n m i t t e l b a r d u r c h d a s n a t ü r - 2. D as absolute und letzte Sein ist dadurch h oher g e rü c k t: denn
I l ie h e D a s e in d a r b i e t e n j die von dem U nphilosophen für ist Mar, daß die anderen Bilder — o der E rscheinungen, wie w ir
| D inge gehalten, von der P hilosophie für Bildet erk an n t w erden. sie nennen w ollen, — n u r sind, um an ihnen das erste Bild, das
| 2. Solche, die sich n ic h t u n m i t t e l b a r darbieten, und deren' G e s e tz , d arzulegen: das G esetz w ird bildlich und bildbar nur
j W esen ist, daß aus ihnen der G r u n d d e r B e s t i m m t h e i t der an seinem F alle. Die E rscheinungen sind darum eigentlich 1 g a r
nicht selbständige und um ihrer selbst willen seiende Bilder,
J ^ersten erkannt w ird.
M/ Als Beispiel b enutzen w ir das so n st auch schon g eb rau ch te: sondern n u r A bbildungen des G esetzes — die E r s i c h t l i c h k e i t
— d ie K örper ruhen, sie b ew eg en s ic h : dieselben, die da ruhten, desselben.
bew eg en sich j die R uhe h a t einen ;O r a d der Festigkeit, die Be­ D adurch nun w äre die W eltansicht der Philosophie gesteigert.
w eg u n g eine bestim m te G eschw indigkeit. — W as d ort D in g e , Die unm ittelbare E rscheinung, d. i. Alles, w as sich dem M enschen
sind für uns B i ld e r , und zw ar Bilder, die sich schlechthin so m acht dadurch, daß er natürlich d a ist, — ob dieselbe nun gehalten
m achen. N un frag t sich, ob bei dem absoluten Faktum (so w erde für ein System von D ingen, o d er fü r eines von V orstel­
ist’s und dam it g u t) steh en geblieben w erd en m üsse, o hne daß lungen, — ist nicht das Eigentliche, und w ahres O bjeki der E r­
darü b er hinaus eine E rkenntnis m öglich w äre, in d e r jenes sich kenntnis ; sondern ist n u r Ä ußerung eines anderen, d er j /
als F o lg e z e ig te : — so w ie uns das D i n g sich als Folge zeigt und diese w aren hier das letzte O bjekt, - H
des unm ittelbaren Bildes. — W en ig sten s fordern w ir, es solle M erken Sie es gleich an dieser Stelle, w o es durch seine Ab-
sich auf die letzte Art verhalten. — G esetzt nun, es fände jem and g eso n d erth eit am klarsten in die A ugen fällt: — Es ist allerdings
das G e s e t z d e r S c h w e r k r a f t , der allgem einen A nziehung das G laubensbekenntnis der Philosophie, zu d er h. B. ich mich
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14 Angewendete Philosophie, Allgemeine Einleitung. 15

bekenne, und zu w eicher ich alle zu erheben w ünsche, und das sich zeigte, dessen bloße D arstellung w äre das N aturgesetz y, wie
ich g a r nicht verhülle, sond ern so unum w unden als m öglich aus­ dessen bloße D arstellung ist z, die N atur selb st: so erw eiterte
zusprechen suche, daß die g eg eb en e W elt — ob m an dieselbe durch dieses A ufsteigen ü ber ihren ersten E ndpunkt sich d ie
nun für ein System von D ingen, od er für ein S}'stem von B e­ verständige E rkenntnis.
stim m ungen des B ew ußtseins h alte — durchaus nicht da sei in Es sind zwei Fälle m öglich: E n t w e d e r dieses A ufsteigen
irgendeinem gew ichtigen S inne des W ortes, und im G runde und vom P hänom ene — dem in irgendem ein V erstehen als letztes J
Boden N ichts se i: — und dies ist m ir so überschw änglich klar, und absolutes Sein G esetzten — zu dem höheren G runde d e s­
daß ich vorgebliche N aturp h ilosophie u n d alle Philosophie selben g e h t ins U n e n d lic h e fort, — für dieses x g ib t es ein u,
d er A rt ü b e r ih re B lindheit tiloß bem itleiden kann. — Nämlich, das unverständigerw eise w ieder für das A bsolute gehalten w e r­
w enn m an mich o d er die P hilosophie fra g t; erscheint denn die den kann, aber von dem V erstände durch d ru n g en w ieder re d u ­
W elt nicht, ■— ist sie darum nicht für das Sichhingeben an diese ziert w ird auf ein t, — und so ins U nbedingte vorw ärts. —
natürliche E rsch ein u n g ? so sag e ich freilich: — Ja ; w enn ab er D as R esultat davon w äre g a r kein absolutes, dem V erstände
g e fra g t w ird : ist sie fü r die V e r s t a n d e s - E r k e n n t n i s , das Stand haltendes und ihn befriedigendes S e in , kein L e t z t e s ;
Sichverstehen u n d B egreifen dieser E rscheinung aus sich als dem sondern n u r ein solches, das eine Z eitlang durch Irrtum u n d
G ru n d e ? so ist die A n tw o rt: d u r c h a u s n i c h t ! — N ur ein aüf U nverstand d afür gehalten w ürde.
sich se lb st r u h e n d e s — keinen G rund außer sich habendes — O d e r : es g ib t einen letzten und absoluten G rund (ein ab- /j]
IV, 379 Bild k ü n d ig t ein w ahres Sein an. — D iese ist durchaus D ar­ solutes S e in ), der den V erstand vollständig befriedigt, nicht n u r 1V/380
stellu n g der G e s e t z e , ihr S p iegel; n u r die G esetze sind. W er die vorläufige E rkenntnis: ein L e tz te s , dessen E rscheinung das
es anders nim m t, d er hat sich ^eben nicht erw orben jenen V e r ­ U r b i l d w äre, das B ild überhaupt, als dessen E rscheinung nun
s t a n d , hat das Bildw esen in ihm noch nicht zum V erstehen w ieder x verstanden w ürde, und so heru n ter bis auf d ie schlecht­
seiner selbst erhoben. hin sich ergebende Erscheinung.
Dies ein an d erer C h arak ter d er P h ilosophie: sie ist E rk en n t­ Die V oraussetzung einer P hilosophie nim m t a n : daß es sich
nis, die sich selb st w e r d e n sieht, g e n e t i s c h e E rkenn V or­ verhalte nicht auf die erste W eise, sondern auf die zweite.
h e r: nur E r k e n n t n i s ist, nicht D inge; h ie r: E rkenntnis w ird . D enn — die durchgeführte, vollendete Philosophie, die durch­
— D ort — A nerkenntnis d er E rkenntnis in ihrem a l l e i n i g e n g än g ig e A nw endung des philosophischen Blickes, ist eben die
S e i n : hier das V erstehen d er E rkenntnis in ih r e n U r s p r ü n g e ; E rkenntnis jenes absolut letzten T eiles des Bildes (der E rkennt­
v erständiges E rkennen, des E rkennens eben selbst. D ie se s— philo­ nis, des B ew ußtseins) überhaupt, und dieser B eschaffenheit d e s­
sophischer V e r s t a n d , jenes — philosophische A n s c h a u u n g . selben. — So darum ihre A nsicht: Es ist allerdings ein A bso­
H ieran habe ich die F o r m d er genetischen o der v erstän ­ lutes, durch, von, aus sich Stam m endes, — G o tt: dessen O ffen­
d igen Einsicht des Seins (es ist aber für den philosophischen b aru n g ist die E rkenntnis (und w ird als solche verstanden). D iese
Blick nichts denn E rkenntnis) ü b erh au p t beschrieben, W enden E rkenntnis ist nun eine solche (in diesen bestim m ten Form en sich
w ir diese w eiter an : darstellend), w eil sie n u r auf diese W eise sich sichtbar m achen
A uf diesem S tandpunkte sind G e s e t z e , und zwar die im k an n : sie ist durch sich’ selbst und ih r'e ig e n e s W esen auf eine
unm ittelbar E rscheinenden und G egebenen (der N atur) sich d ar­ verständliche und von der P hilosophie verstandene W eise also
stellen, — N atu rg esetze — das absolute und letzte Sein gew orden. bestim m t.
— W ie aber, w enn sich fände, daß m it diesem Sein = y die E r­ Sonach — jetzt ist der Begriff vollendet — w äre Philosophie
kenntnis sich au ch nicht befriedigte, und ein h öheres G esetz = x oder W issenschaftslehre E rkenntnis d er gesam ten E rkenntnis, der
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Angewendete Philosophie, Allgemeine Einleitung. 17
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E rkenntnis als ein S ystem ; und zw ar durch den V e r s t a n d , o d er tische B ew ußtsein sich hinaufschw ingt, g eg ebene. — So Alles,
genetische. was schlechthin sich selbst s e tz t: — das Ich ist davon das 'M üster.
Ich sa g e : 1. sie ist E rkenntnis d urch den V erstand: durch (W ir'd rä n g e n hier höchstw ichtige R esultate zusam m en. W er es
das E insehen des G r u n d e s . — N äm lich — alle E rkenntnis ist schon kennt, w ird es finden: w er noch nicht, d er glau b e es in­
Bild, und setzt darum ihr G ebildetes; das B eharren darin ist dessen, und halte diese Sätze zur L eitung fest.)
A n s c h a u u n g (erk an n t w ird w ohl, aber nicht verständig e r­ W ie auf den obigen Standpunkten, so w ollen w ir auch auf
kannt). So ist das A nnehm en eines g eg e b en e n Seins bloße A n­ diesem letzten und höchsten die A nsicht d er W issenschaftslehre
sch au u n g ohne allen V erstand. V e r s t ä n d i g e E rkenntnis d a ­ deutlich aussprechen, uns anschließend an eine gew isse A nsicht:
g e g e n sieh t das Bild und das G ebildete m it ihm w erden und — richtig! (W ir lassen indes einen g ew issen P u n k t
hervo rg eh en aus seinem G runde. D ies das B egreifen (Begriff unentschieden.) — E r o f f e n b a r t s ic h ': — richtig! — in der
in einem hö h eren S in n e: d er D euter u n d E x p onent des W esens). E rkenntnis näm lich, durchaus n u r in ihr. W as is t, ist G o t t in
2. Sie ist eine solche (verständige) E rkenntnis — der E r­ ihm selber, und s e in e O f f e n b a r u n g : die letztere — E rk en n t­
kenntnis ü b e r h a u p t , in ihrer allgem einen Form . — Am G eg en ­ nis! ~ W as außerdem noch zu sein scheint; s c h e i n t eben nur
sätze w erde es deutlicher: E rkenntnis der N atur durch ihr G esetz, zu sein, in d er E rkenntnis näm lich. — Keine W elt, außer in ih r;
u n d als S ichtbarkeit u n d A bbildung dieses G esetzes — ist g e n e­ weil sie eben ist B ild G ottes, und als Bild üb erh au p t v e r s t a n d e n IV, 382
tische E rkenntnis einer g e w i s s e n E rkenntnis durch eine andere, w ird. — G o tt selbst i s t in der E rkenntnis; aber nicht a ls ,e in
IV, 381 von z durch y. Falls nun dieses G esetz w ieder erkannt w ird aus unm ittelbar in ihr G egebenes, in ih r G esetztes, sondern n u r durch
einem h öheren, etw a dem sittlichen, so ist hier w ieder E rkennt­ das V e r s t e h e n d e r E r k e n n t n i s selbst, eben als das, als w as
nis aus an d erer E rkenntnis erkannt, n irgends a b e r die E rkenntnis w ir sie hier verstanden haben. U nm ittelbar in der E rkenntnis ist
ü b erh au p t, n irgends darum vollendete W issenschaftslehre. — Die G ott g a r nicht (keine A n s c h a u u n g von ihm), sondern n u r im
E rkenntnis selb st w äre nur zu erkennen aus etw as, das nicht E r­ V erstände dieser E rkenntnis selber, als seiner O f f e n b a r u n g .
kenntnis ist, nicht Bild, nicht bloße E rscheinung eines im H inter-
jgrunde liegenden, so n d ern dies selb st: das a b s o l u t e S e i n ; —
freilich auch ein durch den V erstand erkanntes, a b e r schlechthin G rundcharakter der W issenschaftslehre: E rkenntnis mit dem
nicht durch die E rkenntnis gesetztes, indem im G egenteile diese C harakter der A n s c h a u u n g , — w elche es auch sei, ist Be­
fangenheit in irgendeinem G esetze, und P rodukt dieses G esetzes.
durch jen es g esetzt ist.
B em erken S ie: 1. W ir haben die Philosophie der U nphilo­ W issenschaftslehre — vollkom m enes V erstehen, durchgeführtes
so p h ie darin en tg eg en g esetzt, daß die letzte ein stehendes Sein Sehen (dagegen so n st allenthalben etw as verborgen B leibendes,
annehm e, d ag eg en die erste ü b erh au p t nur Bild, n u r E rkenntnis noch zu E rsehendes ist), darum vollkom m ene F r e i h e i t . Sie ist
gelten lasse. Jetzt en d en w ir die P hilosophie selbst in der A n­ V erständige E rkenntnis a l l e r Erkenntnis, indem sie dieselbe so ­
nahm e eines ab so lu ten Seins. W idersprechen w ir uns n icht? N ein; w ohl üb erh au p t, daß sie ist, als insbesondere so, w ie sie ist,
vielm ehr haben w ir dadurch G elegenheit, den Sinn u n serer B e­ hervorgehen sieh t aus ihrem G runde und G esetze. — D iese Ein­
h au p tu n g zu bestim m en. — Das Sein des U nphilosophen ist ein sicht nun ist F r e i h e i t d er E rkenntnis vom G esetze; sie ist in ­
im unm ittelbaren B ew ußtsein g eg e b en es; dieses nun leugnen w ir differentes D a rü b e rsch w eb e n : dageg en alle and ere nicht also sich
d u rchaus ab, einsehend, daß eben darum , w eil es im Bilde g e ­ verstehende Erkenntnis, insofern A nschauung, ist durch blinde
g eb en ist, es ist das gebild ete und g ew ußte. Das unsere dagegen H in g eg eb en h eit an das G esetz. D iese bestim m t eben, w ie eine
ist das d u rchaus nur durch den V e r s t a n d , der ü b er alles fak- blinde N aturkraft, das V orstellen.
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Angewendete Philosophie. Allgemeine Einleitung.
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W isse n s c h a f t s l e h r e a ls o i s t v o l l k o m m e n f r e i e , sich >en Sie ihr B ew ußtsein, und das G esetz bleibe ihr verborgen-
V)selbst im Besitz habende, E r k e n n t n i s . — Die V ollkom m en- denkt sie, sie entw ickele sich m it Freiheit. H ie r h e b t die
jrh e it u n d V ollendung der F reiheit folgt eben daraus, daß die Er- „ _ ./e g u n g an für ihr B ew ußtsein; darum ist dies ih r das A n ­
\ kenntnis selb st in ihrer Form verstanden w ird aus dem , w as f a n g e n d e , das, ohne w elches alles übrige nicht w äre ■ Es
Mmcht selb st E rkenntnis i s t und Bild. - U nd u n ter diesem ^Cha­ haben R äsonneurs die m enschliche F reiheit geleugnet, als B eispiel
rak ter der vollkom m enen F r e i h e i t ist hier die W issenschafts­ anführend eine Kugel, m it S elbstbew ußtsein ausgestattet. Sie
lehre vorzüglich zu b e tra c h ten : dies die Absicht un serer V or­ steh t: bew eg et nun die Tafel, so entsteht in ihr die N eigung
sich herunterzubew egen. Es ist g an z klar und u n ter d er V oraus­
lesungen. ..............
setzung der bew ußtlosen K räfte g an z richtig: d er M ensch ist
liie r ist n u r im m er die R ede gew esen von E r k e n n t n i s s e n , auch nur ein G lied in der Reihe d er N aturkräfte und so un w id er­
stehlich b estim m t: es gibt keine Freiheit.
Bildern die ein Sein au ß er sich setzen, das eben zufolge der
A ussage des Bildes ist. - N un findet das E rkennende, das' Keine F reiheit; denn es gib t kein A nfängen des E reignisses
Ich sich nicht bloß erkennend, — m it dieser B em erkung gehen kein Prinzipsein. (So ist die Freiheit zu denken, so von uns IV,
gedacht. Alles andere ist reiner N ichtsinn.)
IV 383 w ir ü b er zu einer neu en U ntersuchung, — so n d ern auch als
h a n d e l n d e s , w irk en d es: nicht bloß als habend Bilder, sondern Es sollte nun doch in diesem Sinne Freiheit sein : w ie m üßte
auch als selb stän d ig er G ru n d seiend von B estim m ungen des. diese sein? W ir haben Sie zu denken, zu konstruieren. D ies
Seins die, nach d e r gew öhnlichen A nsicht, selbst ihre Bilder unser P ostulat, ich fordere dazu Ihre A ufm erksam keit a uf : es
innerhalb der E rkenntnis setzen. (Ich vernehm e diese R ede, er­ ist nicht gerad e schw er, aber ü ber alles bedeutend. W ie in d e r
kenne diese Schrift, und Sie gleichfalls unm ittelbar.) vorigen W oche, so will ich auch jetzt versuchen, um fassende
W ie nun überein stim m en d m it der G rundansicht d er W issen­ R esultat^ der F orschungen m eines Lebens m it K larheit hinzustellen
schaftslehre dieses H an d eln auch nicht etw a ein H andeln an die zudem nicht seh r b ek an n t sind. Zugleich hoffe ich üb er eine
sich, sondern im Bilde sei, n u r in einem Bilde, das da w ieder M enge von Skrupeln und V erw orrenheiten, in denen Sie vielleicht
setzt andere Bilder, als die Effekte des H an d eln s, können Sie befangen sind, m it leichter H an d Sie hinw egzuheben.
sich, falls Sie das O bige w ohl verstanden haben, im allge­ Auf U nbekanntschaft m it der treibenden K raft b eru h te das
m einen denken. Es b eso n d ers auseinanderzusetzen, ist nicht u n ser B ew ußtsein der Freiheit. W enn jene nun erk a n n t w ürde, und
nächstes V o rh ab en ; dies geschieht in eigenen T eilen der W issen ­ ihr G esetz, w äre dadurch F reiheit g e w o n n e n ? O ffenbar n icht:
sch aftsleh re: — sondern auf F olgendes kom m t es uns an: die T ä u s c h u n g fiele h in w eg ; das Z usehen des W e r d e n s w äre
N un k ann der M ensch h andeln (ebenso w ie er nach O bigem gew onnen, und m ehr nicht. Auch dies ist im m er recht g u t;
vorstellen kann), g etrieb en durch irgendein ü b e r ihm w altendes und darauf eben gehen alle jene R äsonnem ents aus.
G esetz, das ihm verb o rg en ist. —. Es ist klar, daß m d^esenJ W arum ist das Ich nicht frei? W e il e i n e h ö h e r e K r a f t
Falle E r g a r nicht handelt, nicht frei ist. D a s Ic h h a n d e l t . g e s e t z t is t, z u d e r d ie W i l l e n s b e s t i m m u n g d e s I c h
N ein ; dies ist T ä u sc h u n g : G e s e t z I. h. — I ist n u r G lied m s i c h , v e r h ä l t w i e B e w ir k te s , w ie P r in z ip ia t.
Eine solche m üßte ganz h in w e g fa llen : kein N a t u r g e s e t z ,
der K ette d er N aturno tw en d igkeit.
Es kann w ohl sein, daß das H an d eln der gew öhnlichen N aturgesetz aber ist ein solches, durch dessen G esetztsein ein
M enschen durch au s so ist. — D enken Sie eine P flanze, sie gew isses anderes Sein unw iderstehlich u n d m it ab soluter N ot- '
erhält sich se lb st, nim m t in sich auf, treibt aus sich heraus, he- w endigkeit gesetzt ist. D ies schließt darum innerhalb seines G e ­
schreibt die F orm en, die sie beschreiben muß, nach ihrem G esetze. bietes die F reiheit (das A n f ä n g e n ) schlechthin a u s : es ist ein ,
F i c h t e , Di e S ta a tsleh re, 2 435
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f M V
20 Angewendetc Philosophie. Allgemeine Einleitung. 21

rein analytischer Satz. — D as Ich oder d er W ille selbst m üßte produkt w äre ; w o ist dieselbe noch zu fin d en ? H aben den n di e;
darum sein die absolute N a t u r k raft1: kein Sein ohne ihn, alles N aturphilosophen nie auch nur einen Blick auf ihre U m g eb u n g j
Sein nur durch ihn, und als sein Prinzipiat. (Es liegt im absoluten gew orfen, und da nicht ein anderes Prinzip gefunden, als das \
A nfängen, dem E r s t e s - S e i n , und ist notw endig so gedacht. .tote N atu rg esetz?
Sie können es g a r nicht anders denken, und haben es auch nie Der W ille — absolut s c h ö p f e r i s c h e s Prinzip, rein a u s
anders, so gew iß Sie es jem als klar g e d ac h t: jetzt ist es nur s i c h s e l b s t erzeugend eine besondere W elt und eigene Sphäre
deutlich anzuerkennen, und sich fürs L eben zu m erken.) des Seins. — Die N atur bloß der leidende Stoff, o hne allen
F r e i h e i t h eiß t d a h e r: keine N atur ü b er dem W illen, er ihr A n t r i e b . Ihre G esetzm äßigkeit, ihr E ntw icklungstrieb w ird g e ­
einzig m öglicher S chöpfer; darum ü b erh au p t keine absolute N atur, tötet, um zu tragen das neue Leben und den G eist der Freiheit.
IV, 385 keine, denn das P r i n z i p i a t . W er eine absolute N atur behauptet, Dies das E rste!
der kann h ö chstens d er Intelligenz das Z usehen lassen. Es ist W eiter ab e r: Inw iefern nun doch diesem absolut
klar, w ie bloße rein analytische Satze. — H ier streiten w ir un­ schöpferischen W illen Bilder von seiner W irksam keit (Zw eck- IV,
m ittelbar für keines von beiden, sondern bloß für die K onsequenz. begriffe) zugrunde liegen und vorhergehen (daß u n d w arum dieses
W ie könnte N aturphilosophie Freiheit zugeben! so sei, und sein, m üsse, haben w ir hier nicht zu u n tersuchen;
Ich will hier anhalten, um diesen d er gew öhnlichen A nsicht es reicht hin dies vorauszusetzen, u n d in der w irklichen W a h r­
u n g e w o h n te n G edanken gleich an dieser Stelle klarer zu m achen, n ehm ung u n serer selbst im S elbstbew ußtsein es b estä tig t zu
indem w ir ihn g a r seh r brau chen w erden, und u nsere V ertrautheit finden): so sind dies solche Bilder, die d u r c h a u s k e i n S e i n
damit. a u s s a g e n , o der u n m i t t e l b a r s e t z e n , sondern die das ihnen
Keine N atu r u n d kein Sein, außer durch den W illen; die entsprechende Sein bekom m en könnten n u r durch die f r e i e
F reih eitsp ro d u k te das rech te Sein. — D a w ir nun allerdings W i r k s a m k e i t . — (Die Rede, die ich haften will, die Schrift,
F reiheit b eh au p ten dürften, so m öchte dies w ohl gerade u n se re die Ich schreiben will, die O rdnung, die ich in den G eräten
M einung sein. — Die g e g e b e n e Sinnenw elt sänke dadurch eines Z im m ers, oder auch w ohl in einer G esellschaft von M enschen
zur Ersichtlichkeit, V orstellbarkeit des H öheren, der F reiheits­ hervorbringen w ill: — alles r e i n e Bilder o der Begriffe.)
schöpfungen h e ra b : sie m it allen ihren G esetzen ist n u r dazu 1 ■ F r e i , absolut s c h ö p f e . r i s c h ist nur der, dessen H a n ­
(da, — der vorliegende Stoff, die Sphäre, auf w elche die F reih eit deln solche Begriffe zugrunde liegen, die nicht stam m en aus der
iaufträgt: nicht auch a n s i c h , so n d ern durch' die B ildbarkeit .Sphäre des geg eb en en S e in s : der da handelt aus Begriffen,
D arstellbarkeit ih rer selbst g esetzt. W as die F reiheit auf sie auf­ die klar und durchschaut ihm vorschw eben, u n d diese darstellt
trä g t, dies bleibt das W a h r e . — Schauen Sie es im Bilde an! in der W elf der G egebenheit. (A ußerdem ist es ja die S i n n e n ­
W as s c h a f f t denn die N a tu r? G ehen Sie in uranfängliche n a t u r , die im Bilde nur w iederholt, sich' auch im Sein w ied er­
W ildnisse, die nie ein m enschlicher Fuß b etra t; Sie m öchten . holt.) D ies das zw eite M erkm al.
kaum etw as finden, w as sie anzieht und befriediget. Bei uns 2. Es ist dies dieselbe W eltansicht, die w ir oben gew onnen
ist die V egetation g eo rd n et, bestim m t, veredelt; so auch die hatten im N am en der W issenschaftslehre; n u r ist sie hier erw eitert
T ie re : überall g ew isserm aß en neue S ch ö p fu n g e n : m enschliche und verklärt. V on der E rkenntnis d er Bilder des geg eb en en Seins
W o h n u n g en und G ebäude, Rede u n d Schrift. W o ' ist in unserer erhoben w ir uns zu ihrem G esetze = x ; w ir u rteilten : in W ah rh eit
g anzen U m g e b u n g das G eringste versteckt, das reines N atur- sei nur das G esetz, das erscheinende Sein aber sei lediglich der
einzelne Fall (das K onkrete) für die A nschaulichkeit und V orstell­
1 Vielleicht hatte Fichte „Natur“ ausgestrichen, und der Setzer hat
das Ausgestrichene für unterstrichen gehalten. barkeit des G esetzes. — N un sage ich fern er; dieses G esetz selbst
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22 Angewendete Philosophie.
Allgemeine Einleitung. 23
mit allen seinen E rscheinungen m öchte w ohl auch nur w ieder sein
einer W elt, keinesw egs etw a ein e W elt selbst ist die E rscheinung
als die S ichtbarkeit eines H öheren = y, des s i t t l i c h e n G e ­
I des absoluten Seins. (Dies w urde ignoriert, die R ealität in das
s e t z e s . . D ies w ar d o rt ein durchaus u n erk lärter A usdruck; jetzt
g eg eb en e Sein gesetzt, und die Sittlichkeit n u r nachgeholt, als
ist er klar. Jenes sp ieg elt sich selbst ab, und stellt sich d ar in
y' ein w u n d erb arer A nhang.)
d en r e i n e n B e g r i f f e n , w elche einem absolut freien, das N atur­
sein nicht fortsetzenden, sondern ein eigentüm liches Sein aus sich
Dies die Ü berzeugung und W eltansicht der W issenschäftslehre.
h ervorgehenlassenden W illen zugrunde liegen.
Die W orte sind, denk' ich, klar, und nicht m ißzuverstehen. Es IV, 388
W ie darum jetzt das V erhältnis? H i e r das w a h r e S e i n ;
ist nur schw er zu glauben, daß es E rnst sei, und daß nichts w eiter
d o rt n u r die S ichtbarkeit für dasselbe, eben W irk u n g ssp h äre, Stoff,
denn das, so ganz einfach, b eh au p tet w erde. Auch d rin g t diese
IV, 387 auf w elchen aufg etrag en , und in w elchem realisiert w ird. Also —
D enkart natürlicherw eise A chtung a b ; sie läßt sich w ohl b e ­
eine E rkenntnis, die durchaus kein Seih aussagt, sondern etw as,
zweifeln, verleum den, aber im Ernste verachten kaum . — M an
das da in alle E w igkeit fo rt n u r w e r d e n soll. — G ibt es W ahr-
kann so nicht sein, der M ensch ist schw ach, die Sinnlichkeit d rin g t
b e it in u nserer E rk en n tn is? J a : ab e r nicht in der dessen, w as da
sich uns im m er w ieder a u f ! G ut, ihr seid also verächtliches, nichts-
ist, sond ern dessen, w as da e w i g w e r d e n soll durch uns und
w ürdiges Volk, ihr, die ihr so sagt, und b ek en n et es la u t: und
unsere F reih eit; w erd en s o lfre in aus dem G eiste heraus, geschaffen
seid jäm m erliche T oren dazu; denn w er hat diese Beichte eu erer
und d arg estellt in dem G eg ebenen, das nur dazu allein da ist.
V erächtlichkeit von euch b e g e h rt? — M an p aß t bei einer solchen
D ies nicht n u r sag en , sondern alles E rnstes glauben, darin leben,
D enkaft schlecht in die W elt, m acht sich 1 allenthalben V erdruß!
das G egenteil als eine m itleidsw ürdige Jäm m erlichkeit klar b e­
Ihr V erächtlichen! W arum so rg t ihr denn m ehr dafür, daß ihr
g reifen — ist die A nsicht d er W issenschaftslehre, die sie ganz so
euch den ändern anpaßt, als diese euch, und sie für euch zurecht­
u n d unu m w u n d en ausspricht, nicht etw a n u r als renom m istische
legt? W er rech t ist, m uß sich nicht fügen dem U nrechten, sondern
B ehauptung, w om it m an sich ein A nsehen zu geben sucht, w ährend
um gekehrt, die U nrechten m üssen sich fügen dem R echten; d ieser
m an sie selb st nicht g lau b t o der w ah r findet. — N icht das is t,
aber will nicht den Beifall der Schlechten, da m üßte er selbst
w as uns als daseiend erscheint, nicht einm al das, w as w ir alle,
ja ein Schlechter w erd en : sondern er will die Schlechten so bilden
u n d die E delsten u n d B esten u n ter uns s in d , sondern das, nach
und zurechtsetzen, daß sie seinen Beifall haben können. Freilich
dem w ir streben, und in E w igkeit streb en w erden. — W as du
m uß das Rechte auch bei sich führen T üchtigkeit und M u t; aber
gew o rd en , ist n u r die Stufe, die B edingung für den M om ent:
ohne diese kom m t m an g a r nicht zum R e ch te n .— N un m öchte
sobald du stillsteh est und zu sein w ähnest, fällst du in das Nichts.
jem and zugeben, daß dem so sei, aber fra g en : w ie dazu zu g e­
E rkenntnis ist Bild des S e in s . — G o tte s: n u r nicht die E r­
lan g en ? — N u r durch B ildung des eigenen inneren A uges. V on
kenntnis, w elche w ied er ein Sein aus sich setzt, sondern w elche
außen, durch den bloßen G lauben, kom m t es n icht: er m uß in
ein W e r d e n : das Bild d e r ew ig schaffenden Freiheit. D er schöp­
sich selber es haben!
ferische W ille, o b en schw ebend, m it seinem ew ig fo rt in re in e n '
S i t t l i c h e s G e s e t z dem nach ist Bild eines Ü bersinnlichen,
B egriffen sich aussp rech en d en G esetze, — dies ist die W elt;
rein G eistigen, also eines solchen, das nicht ist, so n dern nur
u n d m it einer tieferen sich abfinden lassen w ollen, ist zu bem it­
durch den absoluten A nfänger des Seins, den W illen, w erden soll.
leid en d er B lödsinn. — Je n e w ahre W elt ab er liegt d u rchaus nur
W a h r h a f t f r e i , als H andelnder, ist n u r der, w elcher nach
im V o r b i l d e , nie s e i e n d , sondern w e r d e n sollend. Dies
solchen r e i n e m B e g r i f f e n handelt. D enn ein N aturgesetz, das
b e stä tig e t rech t die A nsicht der Philosophie, die w ir früher aus-
ihn triebe, könnte sich' nicht verstecken, d a das K riterium des
sprachen, daß nur E rkenntnis sei, und Nichts außerdem . — Bi l d
sittlichen B egriffes dies ist: durchaus nicht irgendein Seiendes,
438
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Angewendete Philosophie. Allgemeine Einleitung. 25
24

sondern ausdrücklich das N i c h t s e i e n d e zu enthalten. U nd In einem anderen und abgeleiteten Sinne aber m üßten doch
nur so auch ist er seiner F reiheit s i c h e r . V orträge ü ber das g eistige Leben, als die A nw endung der P h ilo ­
V ergleichen w ir dies m it der P hilosophie o der W issenschafts­ sophie, Bilder eines solchen Lebens selbst, auch an g ew en d ete
lehre, so w issen w ir: Philo soph heißt uns derjenige, dessen Er- Philosophie (im B i l d e eben, in einer bloßen Erkenntnis, die ihr IV, 390
IV, 389 kenntnis d u rchaus frei und vollendet ist. — D er hier als w ah r­ Sein nicht unm ittelbar, w ie der N aturbegriff, setzt, sondern nur
haft frei Beschriebene hat diese höchste u n d vollendete Erkenntnis fordert) g en a n n t w erden. U nd dies darum w äre d er Sinn m einer
er ist durch d ru n g en bis zur reinen E rkenntnis des w ahren A nkündigung gew esen. — Die W issenschaftslehre w äre, von un s
S ein s; er ist darum ein th eoretisch W issenschaftlicher, W as aber als W eisheit, Leiterin des Lebens und W irkens zu b etrach ten ;
noch m e h r ? E r l e b t und w i r k t die philosophische E rk enntnis: w as m an sonst auch n en n t: praktische Philosophie. U nd aus
das d o rt R uhende und U ntätige ist hier T rieb und B estim m ung diesem G ebiete w erden unsere B etrachtungen allerdings g e ­
eines w eltschaffenden L ebens gew orden. In ihm ist die Philo­ nom m en sein; soviel w ar auch angegeben. Die en g ere S phäre
sophie Schöpfer des Seins, also a n g e w e n d e t . A n w e n d u n g habe ich jedoch öffentlich unbestim m t gelassen, o h n erachtet sie
d er P hilosophie ist ein s i t t l i c h e s L e b e n . bei m ir w ohlbestim m t w ar; w eil ich die bloße N eu g ier nicht
(Ein s i t t l i c h e s L eb en: nicht bloß ein nicht unsittliches, anziehen unid kein anderes Interesse erreg en wollte, als das rein
u ng erech tes, lasterhaftes, —; diese N eutralität w ird noch von den w issenschaftliche ohne alle B eziehung auf den besonderen G e g e n ­
m eisten m it d er Sittlichkeit verw echselt, — sondern ein w ah r­ stand, — so lange, bis ich in den V orträgen selbst G elegenheit
haft, positiv sittliches, die sittliche W elt, d. h. dasjenige, w as gefu n d en hajtte, Sie zu dem nötigen E rnste zu stim m en, u n d n u r
in der E rkenntnis liegt als schlechthin s e i n s o l l e n d , erschaffend diesen strengen E rnst Sie erw arten zu lassen.
und auftragend auf die g eg eb en e W elt, die nur dazu da ist. Da D er besondere G eg en stan d dieser V orlesungen w ird m ir
m uß ab er da's ^nnere A uge geb ild et sein zum Ersehen dieses näm lich durch s t r e n g e ^ N o t w e n d i g k e i t vorgeschrieben auf
Ü b ersin n lich en : diese Bildung des A uges aber ist die W issen- folgende W eise. W enn iefi wirklich, den soeben b esch rieb en en
schaftslehre.) und abgeleiteten G eg en stan d ganz und d u rchgeführt ab h andeln
Also — abso lu te E rh eb ung ü ber die N atur, Leben aus dem wollte, oder in diesem' Z eiträum e es könnte, näm lich die voll­
erkannten rein G eistigen heraus, ist die zum Leben selbst und ständige B eschreibung des Lebens im G eiste liefern, so m üßte
zum A ntriebe d esselben g ew o rd en e P hilosophie o der W issen ­ ich dieser B eschreibung durchaus vorausschicken und an ihre
schaftslehre. D iese in der A nw endung heiß t e b e n : im L eben, Spitze stellen: die U ntersuchung ü ber die ä u ß e r l i c h e n B e ­
W irk en und Erschaffen, als eigentliche, die W elt bildende G rund­ d i n g u n g e n dieses durchaus freien u n d geistigen L eb en s; die
k raft; sie tritt an die Spitze der W eltg estaltung im eigentlichen A bschilderung eines v o r a u s z u g e b e n d e n W e l t z u s t a n d e s ,
und höchsten Sinne. falls es zu der g eforderten sittlichen Freiheit im allgem einen
Diese ang ew en d ete lebt man nur; sie trä g t m an nicht vor kom m en solle. — D a ich nun vollenden freilich nicht kann,
in Reden als in einem neuen Bilde. — V orträge darum aus d er aber anheben will, so m uß ich’ da anheben, w o der natürliche
an g ew en d eten P hilosophie, dergleichen ich angekündigt habe, Anfang lie g t: ich m uß jene U ntersuchung, als die des v o rb e­
g äb e es eigentlich nicht. (D a ß v orgetragen w ird als ein M ittel, reitenden A bschnittes liefern; und dies ist denn eigentlich m ein
andere zu dieser beselig en den Ü berzeugung und dem aus ihr V orhaben m it diesen V o rlesu n g en : d ie ä u ß e r e n , in d e r g e ­
erfolgenden L eben zu erw ecken, dies kann allerdings aus dem gebenen Welt liegenden Bedingungen d e r s i t t l i c h e n
S tandpunkte einer P erso n ih r geistiges Leben, das ihr aufgetragene Freiheit darzusteilen. -
W erk sein. Dies aber g eh ö rt eigentlich g ar nicht hierher.) Fassen w ir nochm als scharf jenen Begriff. D er W ille ist das
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26 Angewendete Philosophie, Allgemeine Einleitung. 27

ab so lu t schöpferische Prinzip der w ahren W e lt: diese — seine viduen, deren jedes in B eziehung auf die N atur u n b e d i n g t frei
P ro d u k te und Effekte. D ieser hat seinen g eg eb en en Inhalt, sein ist. D iese u nbedingte F reiheit d er verschiedenen W illen kann IV, 392
anzustrebendes Ziel in dem S ittengesetze: in diesem liegen die sich h in dern und hem m en; und so entsteht U nfreiheit des
IV, 391 Effekte vorg eb ild et; ab er diese Effekte sind F ortbestim m ungen in einzelnen, w eil alle unbedingt frei sein w olIen.
d er v o rau sg eg eb en en S i n n e n w e it. — N un frag t sich: Ist diese A lso: E in m it sich einiger W ille, und es w äre nirgend eine
in jed er R ücksicht geschickt, den Abdruck eines freien und geistigen H em m ung der F reih eit: unsere ganze A ufgabe fiele hinw eg. Aber
W illens aufzu n ch m en ? O d er w ie m üßte sie sein, falls sie dies es s i n d m ehrere, m öglicherw eise m it sich 1 streitende W illen;
nicht schlechthin w äre, und w ie m üßte sie in diesem Falle erst und daher die M öglichkeit der H em m ung der Freiheit.
dazu gem acht w e rd e n ? — Also auf die um g eb en d e W elt, als Das N aturgesetz — etw a eine gew isse N atureinrichtung —
S phäre des freien H andelns, also in g ew isser B eziehung auf die kann diesen Streit nicht schlichten; denn die N atur g eb ietet ü b e r­
N a t u r , und zw ar in Rücksicht auf ihre P aßlichkeit fü r .freies h au p t nicht der F reih eit: also ein s i t t l i c h e s G esetz; eines, das
sittliches W irken, h ätten w ir die B etrachtung zu richten. Dies da an die F reiheit Aller gerichtet, in der E rkenntnis Aller nieder­
im allgem einen der O rt der U ntersuchung. g eleg t w ä re ; das G rundgesetz und d er B ürge gleichsam aller sitt­
Z u v ö rd erst nun: diese U ntersuchung, o h n erach tet sie nach lichen G esetze, — dadurch, daß es bestim m t, w ie \yeit die Freiheit
dem B isherigen erschien als vorläufige für die angew en d ete Philo­ jedes einzelnen gehen könne, ohne' die der übrigen zu stören.
sophie, ist doch auch ein Teil derselben. D enn falls die W elt in So w ird gleichsam das G ebiet d er F reiheit eingeteilt in zwei
ihrem g eg e b e n e n Z u stan d e allerdings sich nicht für jenes W irken S p h ä re n : a) die d er freien W irksam keit jedes einzelnen, b) die,
tauglich fände, so ist es .die allererste und derm alen allein in der w elche keiner unm ittelbar b e rü h re n durfte. — D urch dieses G esetz
Z eito rd n u n g liegende F o rd e ru n g des S ittengesetzes, daß ih r die w ird jener Streit g e s c h i e d e n , und so die einzige G efahr, die
tau g lich e G estalt g eg eb en w erde. Dies darum ist selbst die erste der F reiheit en tgegenstand, aufgehoben.
A nforderung an d en sittlichen W illen : w ir lehren sonach diel Dies nun ist das R e c h t s g e s c t z : es ist s c h l e c h t h i n d a ,,f
nächste Sittenlehre der Zeit. — Soviel im allgem einen. Jetzt näher als die äuß ere B edingung der F reiheit: es m uß d a r u m |
zur Sache: herrschen, als a b s o l u t F e s t e s und G e g e b e n e s , als schlechthin!'
Die g eg eb en e W elt, inw iefern sie bestim m t ist allein durch bindend gleich einem N a t u r g e s e t z e . — Jene gesuchte äußere!
das N aturgesetz, ist ganz gew iß der Freiheit angem essen; denn B edingung darum ist das R e c h t , r e c h t l i c h e W e l t ; das erste^
sie ist, nach dem ursprünglichen G esetze der E rscheinung und G esetz h at vorläufig den R echtszustand hervorzubringen. Die
des B ildw esens ü b erh au p t, nur die S i c h t b a r k e i t des Sittlichen, U ntersuchung jener vorläufigen B edingungen also h ätte gerade
der Freiheit. — Die F reih eit ist das durchaus höhere Prinzip, dies zu besch reib en : sie w äre R e c h t s l e h r e .
durch w elches jene in N ichts verschw indet: sie kann sich für N un ist auch das nicht m eine A bsicht: die R echtslehre habe
sich entw ickeln, ab er sie kann dem höheren Prinzip nicht w id er­ ich voriges Jah r vorgetragen, außerdem ein Buch d arü b er g e ­
ste h e n : dieses h e b t eben an mit d er T ö t u n g jen er leeren E nt­ schrieben; — so n d ern : w ir könnten das R echtsgesetz betrachten,
w ickelung für das A ufnehm en d er Idee. In dieser R ücksicht also nicht als setzend einen vorhandenen Z ustand, also bloß theoretisch,
bedarf es keiner b eso n d eren U ntersuchung ü ber die T auglich­ sondern praktisch, als ein sittliches G e b o t an alle, als das, w as
k eit; dies ist von vornherein abgeschnitten. W as die Freiheit w ir alle s o l l e n fürs erste begreifen, sodann jed er an, seinem
soll, kann s i e nur, nicht die N atur; alles aber, w as jene kann, Teile befördern.
nim m t diese auf ohne W iderstreben. — A ber die F r e i h e i t kann Dies w äre aber n u r m öglich, w enn in d er geg en w ärtig en
nur auf sie w irk en ; nun ist diese zerteilt u n te r m ehrere Indi- W elt der vollendete R echtszustand nicht allerdings ein g eführt
442 * . , t- it \ „ J f'H 443
28 Angewendete Philosophie. Allgemeine Einleitung. 29

IV, 393 w ä re ; und nur inw iefern ich dies glaubte, könnte ich eine solche sondern n u r N egationen), g rü n d et sich auf das Sittengesetz. —
B efrachtung ankündigen. b) D as einzelne in dem selben liegt in einer Reihe, in d e r.je d e s
,M k c # { p i e s ist .«Uli allerdings m eine M einung, die ich späterhin F olgenden M öglichkeit b e d in g t ist durch die W irklichkeit des
bew eisen habe. D as Recht herrscht im geg en w ärtig en W elt- Früheren. c) Setzen S ie: die W irklichkeit, die G eschichte d e r
7 zustande freilich bis auf einen gew issen Punkt, herrsch t auch M enschen an einem O rte sei in irgendeinem P unkte dieser R eihe
1 im ganzen (einzelne v o rü b ergehende A uftritte der Ü berw ältigung g e g e b e n , v e r w i r k l i c h t ; so soll und kann von diesem P unkte
kom m en dabei nicht in B etrachtung) w eiter, als jem als in einem aus nur verw irklicht w erden der unm ittelbar folgende. Die V or­
früheren W eltzu stan d e; ab er es fehlt noch viel, daß es durch- schrift, daß er verw irklicht w erden soll, ist u n m i t t e l b a r p ra k ­
g eh en d s h erg estellt se i: teils, w eil äu ß erst w enige den R echts­ tisch, — auch die E i n s i c h t ist es. — D ies ihr C harakter, m ir
begriff durchaus k en n en ; teils, w eil es bei d er derm aligen Bil­ zu sehen das unm ittelbar N ötige. — d) Die W issenschaft ver­
d u n g des M enschengeschlechts unm öglich sein w ürde, ihn aus­ folgt diese Reihe w eiter, sieht entlegenere P unkte, — die g leich­
zufü h ren ; teils endlich auch, — w ir w ollen dies uns nicht ver­ falls p r a k t i s c h , n u r nicht u n m i t t e l b a r sind. — Zugleich
b erg en — w eil es der V orteil vieler ist, daß derselbe nicht aus­ aber such t sie die M ittel, d ie B edingungen auf für jenes E n t­
g efü h rt w erde, daß selb st die E rkenntnis desselben verdunkelt legenere; diese, W enngleich auch nicht das durch sie B edingte,
bleibe. So sind die vorh andenen R echtsverfassungen — N o t ­ ihr nächster Effekt, m ögen allerdings in die G eg en w art fallen,
v erfassungen, die besten , die jetzt m öglich sind, nur v o r l ä u f i g e , und so kann die W issenschaft dennoch auch unm ittelbar praktisch
Stufen. D abei soll es nun nicht bleiben, — und es w i r d auch w erden. — (In einem anderen Sinne ist sie es freilich im m er:
n ich t: w ir freilich w erden dies nicht erleben, und sollen es auch sobald näm lich eine E r k e n n t n i s durch sie b e g rü n d e t ist, so
nicht begehren. soll diese erhalten, verbreitet, verklärt w erd en ; und es kann diese
A lso w as g e g en w ärtig es und für die Z eit g eltendes S i t t e n ­ Ü berlieferung und V erbreitung selbst u n m ittelbar Z w eck w erden
g e b o t am R echte ist, fällt in unsere U n tersu ch u n g ; darum d e r - ’ für jem and) — e) So J ia tL s chlechthin alle W issenschaft prak-
j e n i g e T e i l des R echtsbegriffes, w elcher derm alen noch nicht tische T endenz u n d ^ is t tatbegründend. D as rein T heoretische
gilt. Dies g en au zu m erken! zeigt die M i t t e l an zur R ealisierung eines noch entlegenen
M it w elchem G eiste der M ilde und des rein abgezogenen Z iels; das rein Praktische g eh t auf den absolut nächsten Zweck.
w issenschaftlichen E rnstes übrigens unsere U ntersu ch u n g diesen Die W issenschaftslehre d u rchdringt beides in seinem V erhältnisse
G eg en stan d b eh an d eln w erde, w ie sie darum denselben auch zueinander, — so w ie w ir es eben ausgesprochen h a b e n : sie
ihren Z uh ö ern anm ute, w enn sie ihnen nicht sta tt einer w ohl­ g ib t eben die U nterw eisung für den w issenschaftlichen V erstan d es­
gem ein ten G ab e eine gefährliche bringen soll; davon noch einige gebrauch für das Leben.
W orte. W ir w ollen in dieser B eziehung gleichsam ' die B edingungen A lso:
v erab red en : die Stim m ung dafür in uns hervorbringen. 1. Alle W issenschaft ist tatb e g rü n d en d ; eine leere, in g a r
D em rein W issenschaftlichen ist entg eg en g esetzt das? u n ­ keiner B eziehung zur P raxis stehende g ib t es n ich t: dies hat /
m i t t e l b a r P raktische, T atb egründende, das, w as sich anknüpft sich durchgreifend gezeigt.
unm ittelbar an die G eschichte d er G egenw art. — D ieser U n ter­ 2. H ieraus ergeben sich z w e i G r u n d s t ä n d e : das V o l k ,
schied, w iew ohl o ft au sg esprochen, ist doch nie, soviel ich w eiß, und die G e l e h r t e n , W i s s e n s c h a f t l i c h e n , — die freilich IV, 395
recht erw ogen. D arum geschehe es h ie r: äußerlich nicht stren g geschieden w erden sollen, und deren Be- Q ,
IV 394 *) A1Ies> w as in der ^ elt geschehen soll (eigentlich auch standteile sich auch in einzelnen P ersonen durchkreuzen m ögen ^ /
’ w ahrh aftig g esch ieh t; denn das V erkehrte sind keine Positionen, (derselbe kann näm lich in g ew isser B eziehung V o l k sein, in Be- ^
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Allgemeine Einleitung. 31
30 Angewendete Philosophie.

aber s c h w e i g e ; mit G eg en w art unct von G eg en w art ist g a r nicht


Ziehung auf m anche ta tb e g rü n d en d e Einsicht, in an d erer dagegen
die Rede.
G eleh rter). Für das erste ist n u r vorhanden das unm ittelbar
D as aber sagen wir vielleicht: es m üsse in die G e g en w art
T a tb e g rü n d e n d e: den letzteren fällt anheim die W e i t e r s i c h t ;
(c) sogleich und auf der Stelle etw as g ele g t w erden, aus dem sich
sie sind freie K ünstler der Z ukunft und ihrer G eschichte, die
glied- und schrittw eise entw ickeln könne, w as jetzt allerdings
beso n n en en B aum eister der W e lt.a u s jenem , als dem b e w u ß t­
u n m ö g l i c h , ist, dam it es m öglich w e r d e . N icht das Ziel, den voll-:
losen Stoffe.
endeten Z ustand, sondern n u r das nächste M ittel dafür m einen w ir.'’
3. So kann der S p ru ch: D ies m ag in d er T heorie w ah r sein,
Vielleicht ist es gut, sogleich das M ittel zu n e n n e n : der
gilt ab er nicht in d er Praxis, nur h eiß en : F ü r j e t z t nicht; aber
R e c h t s zu s t a n d soll schlechthin w erden Z u stan d A l l e r ; dazu
es soll gelten m it d er Zeit. — W e r es anders m eint, h at g a r
v sind nicht alle fähig, — also w ird zunächst g efo rd ert eine Bil­
keine A ussicht auf den F o rtg an g , hält das Zufällige, durch die
dung aller für diesen Zw eck, E r z i e h u n g , — eine erleuchtete,
Z eit B edingte für ew ig und n o tw en d ig : er ist Volk, oder eigentlich
der ihr bestim m tes Ziel an g eg eb en ist. (M an denke nicht, daß die
P ö b e l. V o l k näm lich g rü n d et sich auf die reine U nw issenheit
: Erziehung zihn B ürger einseitig bleibe; es liegt alles darin, w enn
d es eigenen S tandpunktes, w eil es einen änderen nicht kennt,
;; nur das rechte B ürgertum g edacht ist. Auch w ird sich dies zeigen.)
den G eg en satz nicht hat, w elcher alle U nterscheidung erst m öglich
Vielleicht g e h t auch dies nicht u n m ittelb ar: es m uß also
m acht. W er aber den G egensatz kennt, ihn bestreitet, und sich
i; m öglich gem acht w erden, es ist darüber zu d e n k e n . Auf alle
positiv als das R echte hinstellt, ist P ö b e l , und dies W esen
Fälle also soll dies erkannt w erden und das andere, w as daraus
B a u e r n s t o l z . W e r die Scholle bearbeitet, mit den T ieren lebt,
folgt; die E rkenntnis und Lehre desselben darum ist g a n z g e w i ß
kann nicht die B iegsam keit der G lieder und die G e w ö h n u n g an
unm ittelbar praktisch, w eiter aber vor d er H an d nichts. So bleiben
Reinlichkeit haben, die sich ziem t; w er w ird sie auch von ihm
wir rein in unserem Fache der Lehre, und führen es auch u n ­
fo rd ern ? W en n er ab er in diese T ölpelei, dieses H ineintreten,
m ittelbar aus.
in den Kot, daß er um herspritzt, die E hre und B ravheit setzt,
es m it B edacht ü b ertreib t, die G efügigen u n d Reinlichen sich S odann aber sagten wi r: es k o n n t e nicht anders sein; ein
g e g e n ü b e r als W eichlinge v erachtet; so ist dies P öbelhaftigkeit: N o t z u s t a n d , veranlaßt durch die U nw issenheit und U nyorbe-
so bei jenen, die h ochm ütig sind gerad e auf ihre geistige Blind­ reitung im ganzen, auch w ohl durch eigene U nw issenheit des
einzelnen, — die so lange unverschuldet ist, als die B elehrung
heit und gänzliche U nw issenheit.
N u n red en w ir hier bloß von dem, w as uns in dem be- ; nicht darg eb o ten w urde. — W ir klagen darum nicht an, tadeln
zeichneten Sinne rein W issenschaftliches h eiß t; der an gekündigte nicht die M enschen, sondern; anerkennen die N otw endigkeit. W as
G eg en stan d ist dem nach aus dem U m kreise desjenigen, w as d e r­ w ir auch im V erfolge zeigen m ögen, w er sich getroffen fände, iv , 397
;; kann es tra g e n : er ist unschuldig und rein, w enn er nur der L ehre
m alen nicht gilt, nicht in der G eschichte liegt (also nicht ein
sich nicht w idersetzt und gegen sie verstockt. —- *
u n ter c b e fa ß te s); es auch nicht k a n n (also nicht u n ter d),
Ich sage dies nicht, um mich etw a zu sichern vor G efahren,
sond ern irgendeiner, d er en tfernten P unkte ist,
Indem w ir nun s a g e n : es k a n n nicht gelten für jetzt; sagen sondern um Sie zu sichern, und Ihnen den G eist zu zeigen, d e r
IV, 396
Sie bew ahre vor den G efühlen der S chadenfreude, des H ohnes,
w ir: es s o l l ? G ehe hin und führe es aus! — W idersprechen
des N eides u. dgl., die bei w eniger G ebildeten d urch m anche
w ir uns denn ins A ngesicht? W er es' so auffaßt, verdreht. W as
der folgenden B etrachtungen an g ereg t w erden k ö n n ten ; indem
w ir auch sagen, die L ebenden g eh t es nicht an. F ür die unm ittel­
b are A usführung laß t diejenigen, die d a leben w erden, w enn so vieles, w as das Volk (das durch bloße G eschichte gebildete)
verehrt, in einem anderen Lichte sich zeigen dürfte.
es Z eit ist, sorgen, o d er d ag egen p ro testieren : du G eg enw ärtiger
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32 Angewendete Philosophie. Allgemeine Einleitung, 33

D ie Q uelle dieser L eidenschaften ist eben jene blinde V er­ So nun jem and auch unter dieser B edingung dies nicht zu­
eh ru n g des G eschichtlichen, und d er N eid, daß m an nicht selbst geben w ollte: — w aru m ? Es könnte dann anders und b esser
ä ii jenen g eeh rten P lätzen stehe. — W er w ahrhaftig in den U m ­ w erden; das s o l l es nicht, in keiner m öglichen Z ukunft! — W as
kreis klarer E insicht und in den herrlichen G enuß, den diese wäre da zu t u n ? Alle A bw eichung vom Rechte entschuldigt die
g ew äh rt, hineingekom m en ist, hat keinen M enschen zu beneiden, Not. W er diese N ot verew igen will, der will das U nrecht um
und w ün sch t sich kein anderes Geschick. Seines ist das g lo r­ seiner selbst w illen. Er ist Feind des m enschlichen G eschlechts:
reichste und b eseligendste. Er kann darum durch keine B etrach­ dies ist auszusprechen, u n d Er als solcher zu behandeln. D as
tung, die andere in ein niederes Licht stellt, selbst gehoben w erden Recht m uß schlechthin Bahn bekom m en; g e h t er ihm durchaus
zum S to lze: er hat seinen unveränderlichen Platz. nicht aus dem W ege, so m uß dieser W eg eben üb er ihn hin­
N u r der, dem die E rkenntnis noch nicht eigen ist, dem, sie. w eggehen.
au fsch im m ert w ie ein Blitz, als ein noch nicht zu ihm gehöriger N un m öchte dies w ohl nicht sein, aber man könnte fürchten,
Bestandteil, d er darum sich selbst noch von ihr absondert, kann daß es doch auch in d er G e g e n w a r t Schaden anrichten möchte!
durch sie und durch die W ahrheiten, die er in ihr erblickt, aus — U nordnung! — W ie d e n n ? — „D u sag st freilich, es sei nicht
seinem G leichgew ichte zu Stolz und S elbsterhebung u n d allem, für die G e g en w art: aber w enn sie dies nun überhören, nicht
w as daraus folgt, fo rtg erissen w erden. D er u n g ew o h n te Z ustand ac h ten ?“ — G u t: so ist das i h r e Schuld. B ändigt auch diese
ist es, und die V ergleichung m it dem vorigen. W essen eigenes R uhestörer durch dieselben W affen, w ie ihr andere bändigt, mit
und stetes L eben sie ist, w em sie sein W esen selbst ausm acht, guter B illigung, ja auf G eheiß der W issenschaft.
der sieh t sich nicht von ihr g e so n d ert: ihr Blick ist d er seinige. „Sie können aber unvorsichtig dam it u m g eh en : sie können
In diesem ab er w ird er vielm ehr von inniger W ehm ut ergriffen, es unter das Volk — im obigen Sinne — b rin g en !“ Auch dagegen
und von M itleid m it dem G eschick derer, die durch die geschicht­ verw arnt sie die W issenschaft ernstlich. Ich habe den G ru n d dieser IV,
lichen V erhältnisse g e d rä n g t w erden, die Schicksale der V ölker W arnung schon oben a u sg e sp ro c h e n : ich w ill auch die W a r­
zu leiten und auf sich zu nehm en, ohne daß es doch in ihnen nung noch bestim m t aussprechen. Z. B. die T heologen, w elche
vollkom m en hell und klar ist; denen sich w ohl oft die Einsicht Streitigkeiten ü ber die Echtheit der kanonischen Bücher, — w ider-
IV, 398 au fd rän g en m uß, daß sie des R ates bedürfen, und die doch' streitende E rklärungen auf die Kanzel bringen, vor dem Volke
a u ß er sich keinen finden, der ihnen G enüge tut. ihre kritischen und exegetischen H efte repetieren, sind u n g e ­
In diesem G eiste sehe ich die g eg en w ärtig en W eltverhältnisse schickt, lächerlich, und ich denke allgem ein verlacht. N icht w eniger
a n ; in ihm w erd e ich sagen, w as ich ü ber sie sagen w erde. In lächerlich w äre ein Schüler d er W issenschaft, der, um seine K unst
diesem , w ünschte ich auch, daß es em pfangen w ürde. Ich m öchte vom Volke b ew undern zu lassen, D isputierens halber unsere Sätze
Sie h ineinheben in den reinen Äther der W issenschaft, und mit vorbrächte. Dies sind jugendliche A usgelassenheiten, frem d dem
den edlen und hohen G esinnungen, die da liegen, Sie erfüllen; Ernste d er W issenschaft: diese kann d er Schüler d e r W eisheit
nicht aber unedlen L eidenschaften, die unser aller V erhältnisse, nicht früh g e n u g ablegen. Das G lück ist, daß solche au ch vom
ü b e r die w ir uns eben h in w eg h eb en w ollen, nur zu seh r erzeugen Volke verlacht w erden, das das Seiende für das absolut N o tw en ­
und n ähren, neu en Stoff bereiten. dige hält. D as Übel hat sein H eilm ittel selbst bei sich. — A ußer­
An die Schüler d er W issenschaft darum , nicht an das Volk dem, w er jenes kann, der zeigt schon w issenschaftlichen Sinn,
ist die B elehrung gerichtet, und nur in diesem rein w issenschaft­ und er w ird auch die K lugheit haben, die denselben begleitet.
lichen’ Sinne. „N un ja : es ist aber doch nicht die absolute U nm öglichkeit
bew iesen, daß einer von jenen M ißbräuchen nicht eintrete; w as
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34 Angewendete Philosophie.

ohne dein L ehren nicht geschehen sein w ü rd e .“ N ein, gew iß


nicht! W eiß t du n u r andere M ittel, außer den an g egebenen, die
ic h g eb rau ch en soll, so teile sie mir m it; die d u gebrauchen
kannst, so g eb rau ch e sie. — N ein, sagt jen er; du sollst eben gar
nicht lehren, so unterb leib t es sich er: das ist ja das w ahre M ittel!
— V erzeihung! U nd dies das einzige, w as nicht geb rau ch t
W erden kann, — D as kom m t eben auf das V orige h in a u s : die
M enschenfeindschaft, und ü b er diese haben w ir schon gesprochen.
Um des M ißbrauchs w illen den G ebrauch aufheben, heißt eben Zweiter Abschnitt. iv, 4oi
die M enschheit dazu verurteilen, daß m it ihr alles beim Alten
bliebe. — Alles ist g em iß b raucht w orden, alles k a n n es, und
Über den Begriff des wahrhaften Krieges.
w ird es sicher; daran g eschieht nichts N eues.
L assen Sie uns indes den schulgerechten V ortrag des a n g e ­
kündigten G egenstandes aufschieben, und uns unterbrechen durch
D iese L ehrfreiheit ist aber auch wirklich h ergebrachterm aßen ein allerdings dahin gehö ren d es Bruchstück, das zudem Z eit und
IV, 400 und geschichtlich in unserem christlichen E u ro p a; und w er sie U m gebung uns unm ittelbar darb ietet; — durch die F ra g e : W a s
antastet, d er will nicht dieses G eschichtliche erhalten, sondern i s t e in e i g e n t l i c h e r — w a h r h a f t e r — K r i e g , und was
l i e g t in d e m B e g r i f f e e i n e s s o l c h e n ?
selb st ein durchaus N eues und U nerhörtes einführen. Überall
L e h r a n s t a l t e n , und ein philosophisches Sym bol, w elches nicht — Ein dazu geh ö rig es B ruchstück: — es ist teils vorbereitet
u n v erän d ert überliefert, sondern erw eitert w erden soll; dazu also durch das b isher G esagte, und nur u n ter V oraussetzung desselben
F r e i h e i t , und diese zu erhalten des L ehrers Pflicht. Er kann ganz verständlich; te ils b ereitet es vor, und leitet es ein vieles
sich irre n ; d a m ö g en ihn an d ere bestreiten. Die Sache b le ib t auf K ünftige; — w ie w ir uns denn berufen w erden auf künftige
w eitere A useinandersetzungen.
dem G ebiete d er L e h r e . — D ies unser Palladium ; und w er es
anders will, der m üßte eben die M enschheit anfeinden. Eine Z u v o r: Ich trau e Ihnen nicht die verkehrten Begriffe zu, die
solche V erfassung w äre schlechthin unrechtm äßig, und kein M ensch ich als die Begriffe des gem einen Volks nach w eisen w erd e; d e n ­
noch glau b e ich zugleich, daß es zuträglich sein w ird, — w ie es
könnte m it g utem G ew issen in ihr bleiben.
D ies die L eh rstren g e; in d er T at aber ist es nicht so. Ich denn der Jü n g er d er W issenschaft w enigstens w ü rd ig ist, — eine
hab e zu einer anderen Z eit g esag t, daß selbst die, mit denen klare Einsicht in den aufzustellenden G eg ensatz zu bekom m en.
w ir jetzt in einem g erech ten K riege begriffen sind, jenes Prinzip — Dies aber zur M itteilung und E inw irkung auf Ihre U m g eb u n g :
denn es ist unm ittelbare Volkssache, zunächst eingreifend ins
in seiner A llgem einheit nicht antasen.
Leben. N icht n u r die Lage — so g ar die unm ittelbar praktische
So viel zur E inleitung.
B ehörde, die R egierung, h at den geg en w ärtig en K rieg für einen IV, 402
w ahren erklärt, ganz in dem Sinne, den ich aufstellen w erde, in
m ehreren V erordnungen, u n ter anderen in der ü b er den L a n d ­
s t u r m . E iner d er seltenen, nicht oft erlebten Fälle, w o W issen ­
schaft und R egierung Übereinkommen.

450 F i c h l e , Die Staatslehre. 3 451


36 Angewendete Philosophie. Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 37

D er G egen satz in der A nsicht des K r i e g e s g rü n d et sich, das D r i t t e in der Reihe. — Z u erst das Leben, sodann das G ut,
u nd folgt aus einem G egensätze in der A nsicht des S t a a t e s , endlich der Staat, der es schützt.
dieser w ieder aus einem in der des m e n s c h l i c h e n L e b e n s W i e sie zusam m engebracht seien, sage ich — dieser U m ­
.ü b e rh a u p t. W ir m üssen au sg eh en von diesem letzten, um den stand ist bedeutend, und g eh ö rt zu den G rundzügen dieser A n­
•! ersten in u n serer E insicht klar zu begründen. sicht. E rw erb und H andel und ü b erh au p t alles m enschliche T rei­
Q ern gew öhnlichen, natürlichen, unerleuchteten M enschen ist ben ist frei, und ü ber die G esetze des Staats durchaus erhaben.
| das Leben, das durch die W ahrnehm ung ihm gegebene, mithin N ur die R eligion verbietet M eineid, der Staat, wie sich’ versteht,
| derm alige, zeitliche u n d irdische Leben l e t z t e r Z w e c k , Zweck m ateriellen R aub; ü brigens gelten alle M ittel der Industrie. Auch
| an sich. D enn w eiter g e h t seine klare E rkenntnis n icht: da ist’s findet eine V erjährung statt, selbst des R aubes, und bei dem
I a iie ; — N ichts jenseits, für dessen E rscheinung ihm . w iederum v Staate hat m an die P rodukte dieser Industrie n u r anzuzeigen,
I dieses L eben gelte. Das- Leben u n b e g r i f f e n , und bloß a n g e - dam it er wisse, w as er jedem zu schützen h a b e : keinesw egs aber
s c h a u t . Gie h i s t o r i s c ^ ’n'T hn gekom m ene christliche R eligion, darf er bei dem , w as jed er ihm in seiner H and vorzeigt, fragen
1 — die allerdings jenseits des geg en w ärtig en Lebens geht, und ? nach dem E rw erbstitel.
I dieses auf ein anderes, u id dessen B elohnungen und Strafen be- Q er S t a a t eine A nstalt der E igentüm er, die au s dem N atur-
: zieht, — bleibt, w enn sie auch g e g la u b t w ird, eben nur geglaubt, stande heraus, und vor allem Staate, und ohne alle K undnehm ung
lan ihren O rt gestellt, ohne daß sie die ganze Erkenntnis, und des Staates, E igentüm er sind. Die S t a a t s g e w a l t der D i e n e r 1
! daru m die A nsicht des g eg e n w ärtig en L ebens w eiter bestim m te: dieser Eigentüm er, der von ihnen für diese D ienste bezahlt wird.
j — an ihren O rt gestellt, eben ein b esonderer, abgerissener O rt, D iese A nsicht des Staates ist so g ar in den Schulen der W eis­
höchstens A ndachtsübungen und einen gew issen G o ttesdienst her- heit ziemlich allgem ein. Sie zeigt sich in Lehren wie d ie : daß
vorbringend. » h eigentlich die G ru n deigentüm er (der Adel, vom schw edischen
D ies — das L eben — das Erste und H öchste. D as N ächste ; W orte O dal) die ursprünglichen B ürger und Stifter des S taats­
' nach ihm die M i t t e l , d a s s e l b e z u e r h a l t e n , es so m ächtig, vereins seien, und die nachher H inzugekom m enen sich m üßten
f./..so b equem u n d so an genehm als m öglich zu führen: irdische gefallen lassen, w as diese fü r R echte ihnen a b tre te n w ollen;
^ 4 G ü ter u n d B esitztüm er, im m er n u r bezogen auf E rhaltung und in dem Eifer für die Freiheit, das ist, G esetzlosigkeit des E r­
v A nnehm lichkeif des irdischen Lebens, — und die W ege, um zu w erb s; der B eh au p tu n g : daß Kirche, Schule, H andelsgilden und
diesen zu g elan g en , G ew erbfleiß und H andel. Blühende G ew erbe Innungen, und ü b e rh a u p t so ziemlich alles, w as sich nicht auf
und soviel m öglich M enschen durcheinander in m öglichstem W o h l­ die bürgerliche G esetzgebung bezieht, nicht S taatsanstalten, so n ­
stände, — dies das h ö c h s t e G ut, der H im m el auf E rden; etw as dern n u r A nstalten von P riv atpersonen seien, die dem Staate
H ö h e r e s g ib t die E rde nicht. * bloß angezeigt w erden m üßten für seine Schutzschuldigkeit; daß IV, 404
der Staat gänzlich _ w egfallen w ürde, w enn es n u r keine R äuber
403 Warum treibt sich das Volk so, und schreit? Es will sich ernähren,
m ehr gäbe, indem alles übrige a u ß e r seinem U m kreise liegt,
Kinder zeugen, und die nähren, so gut es vermag.
Merke dir Reisender das, und tue zu Hause desgleichen! wie o ft g e h ö rt w ird, und es g ib t vielleicht auch u n ter Ihnen
W eiter bringt es kein Mensch, stell’ er sich, wie er auch will. solche, denen diese Lehre vorgetragen w orden, w ie es zu, ge-
; schehen pflegt, nicht ohne Bissigkeit und schnippisches W esen,
D iese M ittel des Lebens, E i g e n t u m g e n an n t, w ie sie auch und m itleidige Seitenblicke auf die, die zu so hoher W eisheit
zusam m engebracht seien, gegen gew altsam en Raub jeder Art zu sich noch nicht erhoben haben.
schützen, dazu ist d er S t a a t ; er bloß das M i t t e l dazu, darum
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38 Angewendete Philosophie. Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 39

H ierau s fo lg t nun im allgem einen: Es ist darum sicher vorauszusehen, daß der, w elcher zum
1, Die M enschheit zerfällt in zw ei G ru n d stäm m e; die E i g e n ­ Besitze dieses einzig trefflichen, das Leben, seine K räftigkeit und
t ü m e r und die N i c h t e i g e n t ü m er. Die erstereh s i n d nicht seinen G en u ß am allerbesten versichernden Platzes kom m t, alles
der Staat, — sie sind ja als solche vor allem Staate, und ohne tun w ird, um ihn auch seinen E rben und E rbnehm ern zu ver­
sein e K undnehm ung, w ie sie es sind, — so n dern sie h a l t e n sichern ; und so w ird denn die V erteidigung der w ehrlosen E igen­
den Staat, w ie ein H e rr sich einen B edienten hält, und der tüm er d er ganzen W elt anheim fallen einer gew issen Anzahl von
letztere ist in der T a t ihr D iener. W er nun einen D iener b e ­ Fam ilien als ihr Erbbesitz.
zahlen kann, d er d ien t n ic h t: m ithin kom m en auf die M itglieder Da a u f diese W eise das V erteidigungsam t doch m ehr ein trägt,
der S taatsg ew alt n u r die N ichteigentüm er. W e r eigenes V er­ als es kostet, und, w er einm al ein bedeutendes Land verteidigt,
m ö g en hat, d i e n t n ic h t: der D iener dient, w eil er nichts hat, ziemlich m it derselben K raftanstrengung auch das b en ac h b arte
um seinen Sold — d er Soldat. W e r einen D iener hat, tu t die verteidigen könnte, so w erden die H errscherfam ilien einander
D ienste, für die er diesen bezahlt, nicht selber. Das Zeichen — zu verdrän gen suchen; und so entsteht denn zw ischen ihnen,
die K antonfreiheit. den H errscherfam ilien, ein K rieg ü b er die F ra g e : ob ferner die
2. Es ist den E igentüm ern durchaus gleichgültig, w er sie eine ö d er die andere einen gew issen D istrikt verteidigen solle,
schützt, w en n sie n u r g eschützt w erd en ; das einzige A ugenm erk — w as nichts verschlägt — ' und, w orauf es eigentlich ankom m t,
dabei ist: so w ohlfeil als m öglich. D er Staat ist ein notw endiges den G ew inn, der dabei herauskom m t, ziehen solle.
Übel, w eil er G eld kostet, m an m uß aber jedes Ü bel so klein W em verschlägt nun diese Frage e tw as? Eigentlich n u r den
m achen als m öglich. beiden H e rrsch erfam ilien : und diese m ögen denn durch ihre
D ies die A nsicht des Staates, als das Z w e i t e : jetzt das | Söldner, die es sind, w eil sie nichts haben, und d en Schutz nicht
D r i t t e . — W en n es nun u n ter m ehreren Staaten, die so an g e­ ä bezahlen können, darum ihn in P erso n leisten m üssen, die Sache
sehen w erd en , auch w ohl sich selbst, in den Stellvertretern der ^ aüsfechten lassen. D ie E igentüm er u n d G ew erbtreibenden geh t
G ew alt, nicht an d ers ansehen, zum K riege k om m t: w as kann | sie in d er Regel ganz uhd g ar nichts an, und es w äre T orheit,
dieser bed eu ten , u n d w ie kann er g e fü h rt w erd en ? Da d er Stand > w enn sie sich h in einm engten; es ist ein rein er K rieg d e r H errscher-
der E ig en tü m er in d er gebildeten W elt sich, um seinen E rw erb £ familien. D enn ihnen ist es nur um den Schutz des E igentum s zu
u n g eh in d ert zu treib en , d e r S elbstverteidigung begibt, so k a n n ; f tun, dieser aber w ird ihnen, w er da auch siege. D aher w ird auch
e r sich auch nicht verteidigen g eg en seinen V erteidiger selbst; in diesen K riegen die Sicherheit des P rivateigentum s versprochen, IV,
IV, 405 er steht, w ie g e g e n alle W elt, also auch g eg en ihn w ehrlos nur däs d es S t a a t e s , heiß t h ie r: d e r H errscherfam ilie, w ird w e g ­
da. Er kann darum au ch nicht ü ber den Lohn d e r V erteidigung genom m en, u n d der B ürger verliert dabei nichts, sondern ge-
m it ihm dingen, so n d ern m uß eben geben, w as dieser verlangt; : w in n t: es b leibt doch bei seinem V erteidiger, dessen ihm d u rch ­
er kann nicht g eb en , w as e r will, sondern w as sein V erteidiger aus nichts verschlagende P erson bloß verw andelt ist. W as sollte
w ill; dieser ab er w ird, m it seltener A usnahm e, alles w ollen, er t u n ? Sein Leben, seine g esu n d en G liedm aßen in G efahr setzen?
w as der andere n u r irg en d g eb en kann. D ie Stelle eines solchen M an lebt nur einm al, das Leben ist das höchste G u t; w om it will
V erteidigers dürfte darum leicht eine seh r einträgliche Stelle w er­ man ihm denn sein Leben und seine gesu n d en G lieder bezahlen?
den. Sie fü h rt üb erd ies ihrer N atur nach dieses bei sich, daß — Seine Besitztüm er, sein G ew erbe verlassen? N icht um eines
der W ille eines solchen b in d et schlechthin alle W illen in seiner Schrittes Breite, denn n u r das A uge des eigenen H errn h ü te t
Sphäre, selb st ab er g eb u n d en w ird schlechthin durch keinen w ohl: sie könnten zu Schaden kom m en, aber nur durch sie h at
einzigen. sein Leben W ert, und o hne dieselben w äre es auch' n u r jäm m er-
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40 Angewendete Philosophie, Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 41

lieh. Sie sind an dasselbe g eb u n d en und seine H ü te r: w o dies So ist geh an d elt in der Seele eines vorurteilsfreien und au f­
ist, da m üssen sie sein. geklärten Besitzers, d er da Einsicht h a t in den W ert der D inge.
Sobald d e r Feind — nicht der seinige, sondern d er seines V orurteile aus barbarischen Zeiten, voft göttlicher E insetzung
vorigen H errsch ers — sich seines W ohnsitzes n u r bem ächtigt, der K önige, H eiligkeit d es Eides, N ationalehre, sind nichts für
und die Söldner des an deren vertrieben hat, tritt alles w ieder l den, der klar g ew o rd en ist ü b er die so einfachen S ätze: daß das
ein in seinen vorigen G a n g ; seine H ab e ist gesichert, und er : Lehen das Erste, die G iiter das Zw eite, und d e r S taat erst das D ritte, j
g e h t seinen G eschäften ru h ig nach, w ie vorher. N ur der A ugen­ Selbst w ohlm einende F reunde des Fürsten w erden so h a n ­
blick, so lange er unentschieden ist, ist gefährlich; denn aller deln: es schadet ihm nichts, es hilft so g a r; der U nw ille des
Kampf v erh eert das E igentum . W äh ren d desselben ist R u h e d i e Siegers m uß d urch W iderstand nicht gereizt w erden; ist nur d er
e r s t e B ü r g - e r p f l i c h ' t . — B ü r g e r heißt E igentüm er und G e- Kampf bald vorüber, so erfolgt ein, von jenen Barbaren freilich
w erbtreib en d e, im G eg ensätze des Söldners. R ü h e , daß er ganz schm ählich g en a n n ter Friede, w o die Länder, das ist, d er Lohn
neutral, in sein H au s verschlossen, bei verram m elten F enstern, geteilt, der B esiegte zu D ienstleistungen für die übrigen E r­
den A usgang abw arte u n d sehe, w en derselbe ihm zum künf­ oberungspläne verbunden, durch B esetzung d er F estungen seine
tigen V erteidiger geb en w erde, w om öglich für einen g u ten V orrat T reue dem S ieger g esichert wird. Die E i g e n t ü m e r haben nichts
w eißen Brotes, frischen Fleisches uhd stärk en d er G etränke g e­ verloren, w enn sie dem neuen H errn zahlen, w as dem alten,
so rg t habe, m it den en er, nach A usgang des K am pfes, dem und nun fürs übrige sicher sind; darauf allein kom m t es ja an.
Sieger, w elcher von beiden es sei, sich em pfehle und dessen G e ­ Selbst d e r besieg te H errscher hat nichts verloren: zu leben w ird
w o g en h eit gew inne. M acht er es anders, so könnte ja seine P erson er ja noch im m er b eh alten; w as h at er denn in diesem Z usam m en ­
u n d seine H ab e zu Schaden kom m en. D ies in jedem Fall zu ver­ hänge der A nsicht m ehr zu b e g e h re n ? So, — w enn d er Sieger
h indern, m uß ja selb st d er w ohlm einende F reund seines b is­ das E igentum d er U nbew affneten wirklich sichert, nicht seinen
h erigen H errsch ers w ü n sch en ; denn m an kann ja im m er nicht Söldnern R aub und G ew alttätigkeit erlaubt; w enn er das G ew erbe IV, 408
w issen, ob nicht bei dem , so G o tt will, nächstens zu hoffenden wirklich frei läßt, und nicht etw a eine H andelssperre e in fü h rt;
schm ählichen F rieden der Platz zurückgegeben w erd e : aber er w enn er den U nterschied zw ischen K antonfreiheit und K anton-
407 w ird offen b ar von höherem W erte sein, w enn er unverw üstet pflichtigeii, die G rundfeste d er V erfassung in diesen B egriffen,
ist, als w enn er v erw ü stet w äre. stehen läßt, und nicht etw a die K onskription einführt; w enn er
Die F o rtd au er des K am pfes v erheert das E igentum , das für ein Billiges regiert, und nicht etw a unm äßige F o rd eru n g e n
höchste G u t des M enschen nächst dem Leben, und bed ro h et macht. In der Regel w ird dies alles vorausgesetzt nach d er b is­
selb st Lehen und G esundheit, die allerhöchsten G üter. M an m uß herigen A nalogie, und beim B eginn und w ährend d er F ü h ru n g
d ieselbe darum durch jedes M ittel abzukürzen suchen: dies ist des K rieges nicht bezw eifelt. Es w ird ja doch auszuhalten sein,
die höchste Pflicht jedes v erständigen M enschen hach au sg eb ro ch e­ der Feind w ird schon M annszucht halten, es ist dies sein eig e n er
nem K riege. W en n also nach der b ish erigen G eschichte schon zu Vorteil, und derg leich en : m it solchen W orten trö sten sich die
verm uten ist, w ohin d e r Sieg sich w enden w erde, , o der auch der ■Feigen untereinander. F indet sich hinterher, daß er das zw eite,
A usgang der ersten Schlacht dies schon gezeigt hat, so m uß nicht das erste tut, nun dann zieht er sich freilich allgem einen
m an den unzeitigen W id erstand des doch zu B esiegenden nicht H aß zu: er h at das, w arum es allein d er M ühe w e rt ist zu
u nterstützen. Alle hab en sich zu vereinigen, zu ü b ergeben die leben, das E igentum und das Leben selbst angegriffen.
F estu n g en , u n d S taatsg ü ter anzuzeigen; die K rieger, die G e­ A l l g e m e i n e B e m e r k u n g . So oft man aus den G ru n d ­
w ehre w egzuw erfen und überzugehen. D er Sold d o rt ist ebensogut. sätzen, w elche die M ehrzahl der M enschen in der T at hat, folge-
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42 Angewendete Philosophie. “(> Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 43

recht fortschließt, und ihnen darlegt, w ie dem nach ihr Leben n o t­ zeitliche Leben hinaus auf das, w as in allem Leben erscheint,
w en d ig sein m ü sse; so erreg t m an allem al H aß, W iderspruch, und erscheinen soll, auf die sittliche A ufgabe — das Bild G ottes.
u n d die allerdings durch T atsachen zu beleg en d e B eh au p tu n g : — H ierzu das Leben bloßes Mittel.
So schlim m sind w ir nicht, w ie du uns m achst, w enigstens nicht 2- Jede A ufgabe ist schlechthin unendlich, ewig, nie erreicht-
alle u n d nicht im m er. Sie haben, wie g esagt, recht, u n d dies g e h t bat1, Leben ist darum auch unendlich, ew ig, nie zu vollenden,
so zu. Ih r L eben ist bei w eitem nicht d u rchgängig durch O rund- zu erschöpfen, zu zerstören, ebensow enig als sein Z w eck: er ist
sätze u n d klares B ew ußtsein bestim m t, sondern durch dunkle ew ig und üb er alle Z eit erhaben; dem nach nicht zu erhalten,
A ntriebe aus der instin k tartig w irkenden und in so nderbare H üllen nicht zu gefährden, sondern eben schlechthin, und oh n e alles
g ekleideten V ernunft, dergleichen sie, w enn sie es an sich b e ­ Z utun d er Freiheit. Die Z eit und das in ih r liegende und durch
m erken, V orurteile einer finstern Vor w eit nennen, — und recht sie ablaufende Leben ist selbst nur die E rscheinung des Lebens
liättenV falls sie n u r die V ernunft in einer anderen G estalt an über aller Zeit. — Eine Form und G estaltung desselben kann
sich brin g en könnten. D ie T eile ihres L ebens, durch die letztere aufhören: das Leben selbst n i m m e r .
bestim m t, fallen anders aus, als sie ihren G rundsätzen zufolge 3- Das Leben der Individuen g eh ö rt nicht u n ter die Z eit­
ausfallen w ü rd e n : darin sind sie unserer S childerung nicht ä h n ­ erscheinungen, so n dern ist schlechthin ew ig, w ie das L eben selbst
lich. Sie sprechen daru m an die W oh ltat der Inkonsequenz, u n d W er da lebt, w ahrhaftig lebt, im ew igen Zw ecke, der kann nie­
d iese w ollen w ir ihnen denn auch für die g eg en w ärtig e B eschrei­ mals s te rb e n : denn das Leben selbst ist schlechthin unsterblich.
b u n g Vorbehalten. A lso: das Leben und seine E rhaltung kann in dieser A nsicht IV, 410
W as aus ihren G rundsätzen m it K larheit folgt, das ist so, wie ;; nie Z w eck sein, sondern es ist n u r M ittel; d u rc h seinen Zw eck
409 b e sc h rie b e n : und je klarer d er einzelne, desto ähnlicher, d aher aber, als E rscheinung desselben ist es schlechthin als ew ig ge-
in der R egel je vornehm er und je älter der. M ensch, desto | setzt ohne alles Z u tu n einer Freiheit.
sch lech ter: das G ute noch bei G em einen und Jü n g eren , D aher 4. W eiter: die n o tw endige B eschaffenheit des Lebens, falls
auch eine an d ere E rsch ein u n g : M an h a t bem erkt, daß in den i es sein soll M ittel für seinen Zw eck, ist d ie: daß es f r e i sei,
T a g e n der N ot, d er V erleg en heit und der V erw irrung die M en­ ■daß es absolut selbständig und aus sich s e lb s t^ ild i b e s tim m e ^
schen w eit schlechter sind als g ew öhnlich: den G ru n d d ieser ohne allen äußeren A ntrieb od er Z w ang. D iese F reiheit aber ist
E rscheinung g lau b e ich an g eb en zu können. In g u ten Zeiten vnicht g esetzt schlechtw eg, so wie die E w igkeit des L ebens; sie
denken sie w en ig er an sich, und lassen sich g e h e n ; da leitet kann g estö rt w erden, u n d zw ar durch die F reiheit der anderen.
d er Instinkt, die w ohlw ollenden gesellschaftlichen Elem ente. In Sie zu erhalten ist darum d er erste d er F reiheit eines jeden selbst
d er N o t besinnen sie sich, gehen in sich, w erden bedachtsam ; aufgegebene Zw eck.
ihre B esinnung kann aber ihnen nichts anderes darstellen als die So darum die Schätzung der G üter in dieser A nsicht: 1. Die
G ru n d sätze des allgem einsten E igennutzes, weil d arauf einzig sittliche A ufgabe, das göttliche Bild. 2. D as Leben In seiner
Z eit ihres L ebens ihr Sinnen g e g an g e n ist. Ew igkeit, das M ittel dazu; ohne allen W ert, a u ß er inw iefern es
D ies die Eine A rt d er A nsicht des L ebens, darum ist dieses M ittel. 3. Die Freiheit, als die einzige und ausschließende
darum des K rieges. B edingung, d aß das Leben sei solches M ittel, darum — als das
einzige, w as dem Leben selbst W e rt gibt.
N och dieses b em erk t: Ist n u r das Leben frei, w ahrhaftig leer
1. In d e r w ahren A nsicht g e h t die E rkenntnis ü b e r die W ah r­ •anderer A ntriebe, so w ird es von selbst M ittel des Sittlichen, und
n eh m u n g des Lebens, schlechthin ü ber alles erscheinende und stellt sich also, gleichw ie die sittliche A ufgabe gleichfalls durch
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Angewendete Philosophie. Uber den Begriff des wahrhaften Krieges. 45

sich selbst sich stellt; beid es ohne alles w eitere Z utun der F rei­ diesem Z usam m enhänge der Erkenntnis der S t a a t richtiger das
heit. Dies m acht sich selbst. Die Freiheit aber m uß durch F rei­ R eich.- *
h eit selbst erru n g en w e rd e n : u n d so ist denn die F reiheit das W elches innerlichen Ringens nun es bedürfen w erde, um
^höchste von d er F reiheit ab hängige G ut, der höchste im Leben diesen R echtsbegriff erst zur K larheit der Erkenntnis, sodann ü b er
dem M enschen gestellte Zweck. alle V erhinderungen des gew alth ab en d en E igennutzes zur W irk­
Jenes w issend, und u n ter G u t denkend etw as zu E rstrebendes, lichkeit zu erheben, davon in unseren eigentlichen V orlesungen.
m it Freiheit sich zum Ziele zu Setzendes, m uß m an sa g e n : F rei­ Dies jedoch nicht eigentlich Krieg. —
h eit ist das höchste G ut. Alles andere nur das M ittel dazu, g u t Z uvörderst d ies: Al l e sind frei durch ihr Leben als M en­
als solches M ittel, ü b e l , falls es dieselbe hem m t. D as zeitliche schen, sind die zeitliche G estalt der V ernunft auf d i e s e l b e W eise,
L eben h a t darum selbst nur W ert, inw iefern es frei ist: durchaus haben darum gleiche A nsprüche auf F reiheit: d a r ü b e r und j e n ­
keinen, sondern ist ein Ü b e l und eine Q u a l , w enn es nicht frei s e i t s dieser A nsprüche niclits. D arum alle g l e i c h , nicht zwei
sein kann. Sein einziger Zw eck ist darum , die F reiheit fürs erste Stände, sondern Einer. W as irgendeiner d a r f , und zufolge dieses IV,
zu brauchen, w o nicht, zu erhalten, wo nicht, zu erkäm pfen; g eh t D ürfens etw a, und als dessen Produkt, besitzt, g rü n d e t sich auf
es in diesem K am pfe zugrunde, s r g e h t es mit Recht zugrunde, seine Freiheit, zusam m enstehend mit der Freiheit aller; und es
IV, 411 und nach W ünsch'; d enn das z e i t l i c h e L eben — ein K a m p f gibt darum hier keine B efugnis o der Besitz, der nicht stehe unter
um F r e i h e i t . D a s L e b e n selbst, das ew ige, g e h t nicht zu­ dem G esetze, und vor dem G esetze seine R e c h t m ä ß i g k e i t
g ru n d e, keine G ew alt kann es geben oder neh m en : d er T od ist bew eisen m üsse. Auch g ib t es, da das V ernunftgesetz niem als
dann, w o es das zeitliche Leben nicht sein konnte, der Befreier. verjährt, keine V e r j ä h r u n g .
H alten Sie diese in diesem Z usam m enhänge klaren Sätze fest, Alle sind frei, je d er für seinen T eil: Alle m üssen darum ihre
w eil w ir dieselben sodann brauchen w erden. Freiheit selbst, für ihren Teil verteidigen. Keine S t e l l v e r t r e ­
Im G eg ensätze m it dieser nim m t die gem eine Ansicht das t u n g , w ie in jenem System e.
L eben als Z w eck an sich, nicht als M ittei zur Sittlichkeit und, 6. Eine M enschenm enge, durch gem einsam e sie entw ickelnde
dam it es dies sein könne, zur Freiheit seiner selb st: nun hat das G eschichte zur E rrichtung eines R eiches vereint, nennt man ein
Leben, auß er als M ittel, ganz und g ar keinen W ert, ist eine Violk. D essen S elbständigkeit und F reiheit b esteh t darin, in dem
leere täu sch en d e E rscheinung ohne etw as d ah in ter: jene darum angehobenen G ange aus sich selber sich fortzuentw ickeln zu
fangen ihre Schätzung der W elt an mit dem absolut W ertlosen, einem Reiche.
dem reinen N ichts, treib en darum in allen ihren F olg eru n g en 7. D es Volkes Freiheit und S elbständigkeit ist angegriffen,
sich nur in dem in anderen Form en w iederholten Nichts. w enn der G ang dieser E ntw icklung durch irgendeine G ew alt a b ­
5. Z f e itlic h e s L eben — ein K ^ p lJu p ^ E rc ib e it, s a g j ^ w ir^, gebrochen w erden so ll; es einverleibt w erden soll einem anderen
ist d o p p elt zu v ersteh en : B efreiung von den N a t u r a n t r i e b e n — sich entw ickelnden Streben zu einem Reiche, o der auch w ohl zur
i n n e r e Freiheit, die jed er sich d urch sich selbst geben m uß. V ernichtung alles Reiches und alles Rechtes. D as Volksleben,
Von der F reiheit anderer, — ä u ß e r e Freiheit, die jeder einzelne eingeim pft einem frem den Leben, od er A bsterben, ist getötet,
in G em einschaft m it allen durch Ü bereinkunft u n d E rkennung vernichtet und ausgestrichen aus d e r Reihe.
eines R echtsverhältnisses erw irbt. D iese V ereinigung zur Ein­ 8. D as ist ein eigentlicher Krieg, nicht d e r H errscherfam ilien,
fü h ru n g des R echtsverhältnisses, das ist, d er Freiheit aller von der sondern des V o lk es; die allgem eine Freiheit, und eines jeden;
F reiheit aller, des V erhältnisses, w o alle frei sind, ohne daß eines besondere ist b ed ro h t; ohne sie kann e r leben g ä r nicht w ollen,
einzigen F reiheit durch die aller übrigen gestö rt w erde, ist in ohne sich für einen N ichtsw ürdigen zu bekennen. Es ist darum
460 461
Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 47
46 Allgewendete Philosophie.

jedem für die P erso n und ohne Stellvertretung, — denn jeder schiedene, duich die ausdrücklichen E rklärungen ihrer S tellvertreter
sich ankündigende M ehrzahl d er M enschen keine anderen Begriffe
soll es ja für sich selb st tun, — au fgegeben der Kampf auf Leben
von Leben, S taat und K rieg hat, als die gestern beschriebenen,
u n d T od.
fda g e h t den Ei leuchteten ihr ganzes nichtiges T reiben g an z und
S e i n C h arak ter: N u r frei h at das Leben W e rt: ich m uß
g a r nichts an. Er h at kein V aterland auf d er Erde, so n dern sein
darum , d a die Ü berw indung m einer F reiheit mich beraubt, nicht
B ürgerrecht im H im m el, in d er unsichtbaren g eistigen W elt, w o r­
leben, ohne als Sieger, D er T o d ist dem M angel der Freiheit w eit
auf das R echt er dadurch sich verdient, daß er nach V erm ögen
vorzuziehen. M ein ew iges L eben — dies ist sicher —-• dies ver­
das Saatkorn in die G eg en w art w erfe, w o rau s einst nach ihm sich
d ien e ich eb en durch den T od, — verw irke es durch ein sklavisches
auf E id en ein V aterland für die V ernünftigen entw ickeln m öge.
L eben. Also — das L eben w erde ich' u n b ed in g t aufopfern, w ie
viel m eh r denn die G üter. W ozu kann ich denn die G üter g e ­ W enn ab e r die vorausgesetzten D olm etscher des öffentlichen
W illens selbst reden von F reiheit und Selbständigkeit d e r N ationen, IV,
b rauchen, w enn ich nicht leben k a n n ? A ber ich kann unter dieser
u n d eine K riegsw eise befehlen auf Leben und T od, oh n e U nter­
B edingung nicht leben!
schied d er K antonfreiheit, ohne Schonung des E igentum s, wie sie
413 Kein Friede, kein V ergleich, von seiten des einzelnen zuvör­
m öglich und rechtlich ist nur in d er w ahren E rkenntnis’ so soll
derst. D as, w o rü b e r g e stritte n w ird, leidet keine T e ilu n g : die
dem E rleuchteten sich das H erz erheben beim A nbruche seines
F reih eit ist, o d er ist nicht. Kein Kom m en und Bleiben in der
V aterlandes, und er soll es b eg ierig als w ahren E rnst ergreifen.
G ew alt, vor allem diesem ste h t ja d er T od, und w er ste rb en
Die darin gem ischten V erkehrtheiten, w enn z. B. fo rtw äh ren d von
kann, w er w ill denn den z w in g en ? Auch nicht, falls etw a der
U ntertanen gesp ro ch en w ird, w enn d e r H errscher vor das V ater­
zeitige H errsch er sich unterw ürfe, u n d den F rieden schlösse.
land g esetzt w ird, als ob er selbst keins hätte, u n d dergleichen,
Ich w en ig sten s hab e den K rieg erklärt, und bei m ir beschlossen,
übersieht er, als alte schlim m e A ngew öhnungen.
nicht für s e i n e A ngelegenheit, sondern für die m e i n i g e , m eine
F re ih e it: g ib t auch er m ir m ein W o rt zurück, so kann ich selbst (Im V o rb eig eh en : U ntertanen sind w ir alle insgesam t des
göttlichen W illens, im S ittengesetze sich aussprechend, und das
doch es m ir nicht zurückgeben. Er ist, u n d die, w elche bei ihm
ist unsere Ehre und W ü rd e; u n d der glänzendste H errsc h er kann
bleiben, auf diesen Fall als S t a a t , als m öglicher E ntw icklungs­
keine g rö ß ere E hre sich erw eisen, als daß e r sich als M it-
p u n k t eines R eiches des R echtes g estorben. W as soll den, der
untertan bekenne im göttlichen R eiche: ab er w enn ein Individuum
frisches L eben in sich fühlt, b ew egen, innerhalb d er V erw esung
glaubt, andere ihm gleiche m üßten u n tertan sein seinem p ersö n ­
zu v erh arren ?
lichen W illen, so w ürde er dadurch sich selbst zu einem G otte
A n stren g u n g aller Kräfte, Kampf auf Leben und Tod, keinen
machen, und den einigen G ott lästern ; w enn er w üßte, w as er
F rieden ohne vollständigen Sieg, das ist, ohne vollkom m ene Siche­
redete. A ber das w issen sie zum G lücke nicht, und ihre Schreiber
ru n g g eg en alle S tö ru n g d er Freiheit. K eine S chonung, w ed er
legen ihnen n u r solche A usdrücke unter. — Sie selbst nicht, so n ­
des L ebens, noch' E igentum s, keine R echnung auf künftigen
dern ihre unverständigen Schm eichler!)
F rieden. _
Er nim m t es für rechten E rnst. Den A rgw ohn, daß es,
So m u ß der, der ,in dieser E rkenntnis lebt, und kann nicht
nachdem die alten M ittel vergeblich gew esen, auch nur als M ittel
an d ers. A ußerdem lü g t er, und seine W eisheit schw ebt ihm n u r
gebraucht w erde, um die H errscherm acht in dem falschen Be­
auf den Lippen.
9. Es ist nötig, daß ich, um das G esag te vor aller M ißdeutung, griffe zu verteidigen, und, w enn es geholfen, beiseite gestellt,
und alles w ieder in die gew o h n te Bahn w erde eingeführt w erden,
u n d vor allem V erdachte d er U ngründlichkeit u n d Inkonsequenz
diesen erlaubt er sich nicht. Sein A rgw ohn könnte m achen, daß
zu schützen, ein fehlendes M itteiglied einschiebe. W o die ent-
463
462 ✓
48 Altgewendete Philosophie. Über den Begriff, des wahrhaften Krieges. 49

es g e sc h ä h e : sein für E rn st nehm en kann m achen, daß es E rnst M an fehlt m eines Erachtens von zwei Seiten gleich gefährlich:
w ird. W en n sich nun h in terh er doch zeigte, daß es nicht Ernst g e ­ 1. indem m an die C harakterkraft und die H ilfsm ittel unseres
w esen w äre, w enn nach E rrettung im K am pfe aberm als die Selb­ Feindes herabw ürdigt, dadurch uns einschläfert. Jäm m erliche
stän d ig k eit der N ation dem V orteile d e r H errscherfam ilie au f­ W ichte und F eiglinge setzen in diese V ertröstungen den P a ­
g eo p fert w ürde, w enn sich zeigte, daß der H errscher zw ar w ollte, triotism us.
daß für seine H errsch aft das edelste B lut seines V olkes flösse, 2. Indem m an von den G esinnungen und E ntw ürfen d es­
er d ag eg en für die Selbständigkeit desselben seine H errschaft selben uns H offnung m acht, sie in einem milden Lichte darstellt, IV, 416
nicht w agen w olle: so kö n n te unter einem solchen der V ernünftige w ohl g ar d er V orsehung selbst m it ihm Pläne unterlegt, die so
IV, 415 durchaus nicht bleiben. Sein W irken in der G esellschaft könnte, kindisch sind, wie diese D euter des göttlichen W illens selber.
w ie oben erinnert, n u r den Z w eck haben, den Keim einer freien T rost der Feigen, und stren g angesehen, selbst V erw orfenheit
und rechtlichen V erfassung in dieselbe zu le g e n : u n d er kann und V erbrechen!
diese H o ffn u n g so lange hegen, als es an d er allgem einen U n ­ Ich sa g e : daß auch viele unseren Feind betrachten als ein
kunde einer solchen V erfassung liegt, daß m an sie nicht einführt. W erkzeug in der H and G ottes, durch das er irgendw elche P läne
W o ab er F reiheit und Selbständigkeit klar ausgesprochen, und ausführen w olle, die diese Schauer in den göttlichen R at auch
d o c h "m it offenem A uge V erzicht auf sie getan, u n d sie zum wohl anzugeben w issen, z. B. die V ertreibung d er T ürken aus
bloßen M ittel der U nfreiheit h erab g e w ü rd ig t w ird, w o die N ational­ Europa, w enn sie echt abergläubische C hristianer sind, die Z u ­
eigentüm lichkeit, als die B edingung der E ntw icklung, in frem de g runderichtung des Adels, w enn es K räm er, die des K räm er­
F esseln geschlagen w ird : da ist für ihn nichts m ehr zu erw arten. geistes, w enn es Ritter sind.
Ein solcher S taat b efin d et sich im Z u stande der V erstockung, Ich spreche aber daran eine allgem eine Irrnis unerleuchteter,
und hat öffentlich das Siegel der V erw erfung sich selbst au fg e­ rohsinnlicher M enschen aus> und will dieselbe im allgem einen
drückt. D er Edle re tte t sein unsterbliches Leben, indem er ihn flieht. w iderlegen. r
Dies ein eigeiitlTciier Krieg, und die feste und unw andelbare Ihre G rundblindheit b esteh t darin, d a ß . sie nicht erblicken
E ntschließung eines erleuchteten M enschen in einem solchen. die F reiheit als die W urzel alles w ahrhaften Seins. N un m öchten
Das oben h in g ew o rfen e Prinzip ü b rig en s: daß ein Volk g e­ sie aber doch g ern das G u te haben, und dazu haben sie sich einen
bildet w erde durch eine gem einsam e G eschichte, und daß aus G ott verordnet, der es ihnen anw achsen läßt, und zufliegen,
dieser B ildung sich' entw ickeln soll ein Reich, u n d daß, w er ohne daß sie sich selbst zu regen brauchen, durch bloße phy­
da eingreife in dieselbe, als Feind zu betrachten sei, — dies s i s c h e V ereinigung. D a haben sie in der Religion Zauberm ittel,
zu erklären u n d zu b eleg en ist die A ufgabe unseres abgebrochenen ein W asserbad, w elches gebraucht, eine Speise, w elche genossen,
V ortrages, ein T eil desselben. A ber selbst die A nsicht der G eg en ­ ein Salböl, w elches angestrichen, ohne w eitere D azw ischenkunft
w art, die ich Ihnen für die künftige Stunde verspreche, w ird es den M enschen heiligt zur T ugend. D a ist nach ihrer A nsicht die
Ihnen schon näh er rücken. G eschichte des M enschengeschlechts eine g ro ß e Pflanze, w elche
durch die bloße zeitigende E ntw icklung des in ihr liegenden
Keimes von selber aufblühen w ird zu einem göttlichen Reiche
Es m öchte vor jetzt zw eckm äßig sein, die auf gestellten G ru n d ­ der W eisheit und der T ugend. D iesen ihren trä g en G lauben
sätze ganz b estim m t auf unsere Zeit, und auf den K rieg, den w ir preisen sie nun rech t an, w enn etw as recht W iderw ärtiges und
b eg o n n en haben, an zuw enden, und Sie, so g u t ich es verstehe, Bösartiges ihnen in d er E rscheinung vorkom m t — bei dem was
zur B eurteilung anzuführen. ihnen schon so schm eckt, verw eisen sie w eniger auf G ott — und
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50 Angewendete Philosophie. Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 51

trö sten sich m it der göttlichen V orsehung, die auch dabei ihre herige durch sein ganzes öffentliches Leben dargelegte E rschei­
w eisen A bsichten hab en und w issen w erde, w ozu es g u t sei. Sind nung unseres Feindes richtig begriffen, w orin als einem g e ­
sie gew altig, so w issen sie diesen Zw eck G ottes auch wirklich schichtlichen D atum ich mich irren kann; so ist in ihm alles Böse,
anzugeben. W en n sie nun solche R eden führen, die den M enschen g eg en G o tt und F reiheit Feindliche, w as seit Beginn der Z eit IV, 418
so recht, im Sündenschlafe b etäuben — m an h ört sie leider häufig bekäm pft w orden ist von allen T u gendhaften, zusam m engedrängt,
417 von Kanzeln und auch w ohl so n st — so dünken sie sich ab ­ und auf einm al erschienen, au sg estattet m it aller Kraft, die das
sonderlich fttomm, und sie m einen w ohl gar in ihrer B lindheit, Böse haben kann. W o zu ? Auch alle Kraft des G uten, die je ­
daß m an des H eiligen spottet* w enn m an so redet, w ie w ir eben, m als in der W elt erschienen ist, soll sich vereinigen und es ü b e r­
und ih rer spottet. w inden. Digs ist das g ro ß e Schauspiel, w elches, m eines E r -1
Sie irren sich ganz und g ar und sind stockblind. Es g ib t achtens, dieser Z eit Vorbehalten ist. Das Reich des T eufels ist |
schlechthin kein N atu rg esetz und keinen physischen Z usam m en­ nicht dazu da, dam it es sei, und von den U nentschiedenen, w eder j
h an g der D inge, durch w elchen das G ute an uns kom m t. G o tt G ott noch dem T eufel G ehörigen, H errenlosen duldend e rtra g e n !
w ill nicht, ‘G o tt kann n icht das G ute, das w ir g ern m öchten, w erde, sondern dam it es zerstört und durch seine Z erstö ru n g d e r |
un s g eb en , au ß er durch u n sere F reih eit; u n d G o tt ist ü b er­ Nam e G ottes verherrlicht w erde. Ist dieser M ensch eine R ute f
h au p t nicht eine N atu rg ew alt, w ie die blinde E infalt w ähnt, so n ­ in d er H and G ottes, wie viele m einen, und w ie ich in gew issem j
d ern er ist ein G o tt d er Freiheit. D ie N atur ist bloß d er W ider­ Sinne zugebe, so ist e r’s nicht dazu, daß w ir ihr den entblößten
schein des S tandpunktes d er allgem einen F reih eit: in der F rei­ Rücken hinhalten, um vor. G ott ein O pfer zu bringen, w enn es
h eit ab er hat er uns schon g eg eb en sich selbst, und sein Reich, recht blutet, sondern, daß w ir dieselbe zerbrechen. So ist es für
und die ganze Fülle sein er Seligkeit, und es kom m t n u r auf un s mich g ar nicht verborgen, und den geheim en W egen G ottes zu
an, daß w ir dies alles in uns entw ickeln. O h n e Freiheit bleiben überlassen, sondern klar und offenbar, w ozu diese E rscheinung
w ir ohne G o tt, und in dem Nichts. W ir sind w irklich g a r nicht da ist.
da, so n d ern n u r E m bryone, aus denen etw a ein M ensch w erden Es kom m t bei dieser Frage darauf an, ob m an glaube, G ott
könnte. D ie äu ß eren W eltb egebenheiten sind bloß der Stoff, dadurch zu dienen, daß man ü ber seine vorgeblichen geheim en
an dem w ir d ieselbe entw ickeln sollen, und d en w ir verbrauchen P län e träum t, und die E ntw icklung derselben leidend ab w artet;
sollen u n d verbrauchen können, insgesam t, w ie e r auch sei, zu o d er daß man h andelt nach seinem klar zu erkennenden W illen.
unserem H eile. G u t ist gew iß jede E rsch ein u n g : denn sie steh t Die g rö ß te G efahr, der man dabei sich aussetzen kann, ist der
u n ter der Freiheit, und ist zur E ntw icklung .derselben zu g e ­ zeitliche Tod. D ieser aber ist so w enig ein Übel, daß gew iß
b rauchen, diese ab e r ist u n b ed in g t gut. W ozu eine E rscheinung jeder, der zur klaren E rkenntnis gekom m en ist, g ern in jedem
ab er gut, d. i. b rau ch b ar sei, das w ill uns kein G o tt sagen, son­ A ugenblicke hinüberw andern w ürde auf einen höheren Schau­
dern w ir selb st sollen es begreifen, und w ir w erden es begreifen, platz des Lebens, w enn e r nicht w üßte, daß er durch eine solche
w enn w ir von seinem G eiste der klaren Sittlichkeit beseelt sind. V erlassung sich des höheren L ebens unw ürdig machte.
W ir sollen nicht erw arten, w ie G ott nach seinen geheim en W egen Den E rleuchteten g eh t ein Staat, au fg eb au t auf den G ru n d ­
etw as zum B esten w en d en w e rd e ; dann sind w ir unw ü rd ig seiner, begriff I le r E igcntum serhältung, mit allem seinem T reiben in
u n d nicht B ürger seines R e ich e s: sondern w ir sollen es selb st einem K riege g a r nichts an, außer, w iefern er ihn betrach tet
nach u n seren eigenen klaren B egriffen zum B esten w enden. a ls d e n E n t w i c k l u n g s p u n k t e i n e s R e i c h es d e r F r e i ­
So auch in diesem Falle. Erkenne ich recht G ott und seinen h e i t . Sein Zw eck ist n u r das letztere; für dieses aber, und, falls
W eltplan, w ie ich festiglich glaube, — habe ich auch die bis- es auch selb st noch nicht in der W irklichkeit w äre, für die H o f f -
466 Fichte, Die Staatslehre. 4 467
52 Angewendete Philosophie. Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 53

n u n g und k ü n f t i g e M öglichkeit desselben, ist er stets bereit, lieh das Volk zum Volke M achende, sein P u n k t zw ischen dem
E igentum u n d L eben auf das Spiel zu setzen. W ilden und dem B ürger des R echtsreiches. D ieser F o rtg an g das IV, 420
So im allgem einen. Jetzt die Z eitfrag e: eigentlich H eilige; ihn stören, zurückschrauben, ist gottlos.
419 Ist die E ntw ickelung eines Reiches der Freiheit in G efahr, 3. D ieser F ortgang, die G e s c h i c h t e , w ird geb ild et nicht
— u n d in w ie d rin g en d er? sow ohl d u r c h , als a n gem einsam en B egebenheiten. A n : -
M erken Sie folgende Sätze: w o denn die F reiheit einzelner nachhilft, erleuchtet durch Religion
1. D ie M enschen sollen schlechthin sich gestalten zu Reichen und W issenschaft, deren R esultat die V olkserziehung ist.
der F reih eit: denn n u r in solchen ist der sittliche Zw eck, dasjenige, Die G eschichte b egreift eigentlich n u r d er absondernde B e­
w ozu die ganze M enschheit ganz allein da ist. D er M enschheit obachter, der darüber schw ebt und den gem einsam en S tandpunkt
f r ü h e r e s L eben h a t w ahren W ert, w iefern es M ittel und Be­ des Volkes durch den G egensatz erk en n t: das Volk nicht, eben
d in g u n g ist dieser E ntw ickelung; und außerdem ist es nichts. w eil es nicht darü b er streitet, sondern ew ig von seiner b esteh e n ­
M it dem B eginnen dieses Reiches ist das m enschliche Leben den G esinnu ng als dem allbekannten V ordersätze ausgeht.
erst ein g efü h rt und g eboren. V orher n u r d er E m bryo eines Doch ist eigentlich in dieser U ntersuchung uns besonders
M enschengeschlechts, m it w elchem die ew ige Z eit schw anger geht. lehrreich dasjenige in d er Geschichte, w odurch eine M enge sich
2. D iese G estaltu n g des Reiches |lan n erfo lg en nur aus eine*: selber b egreift als E i n s , und zum V olke w ird im e ig e n e n B e­
durchaus g em einsam en A nsicht und D enkw eise vieler, die da g riffe: — entw eder durch hervorstechende E reignisse, g em ein ­
Volk heißen. G em einsam keit der S p r a c h e ist B edingung der schaftliches T un und Leiden, — w enn ein er leidet, leiden alle,
E ntw ickelung und V erb reitu n g dessG beh, IsT das von der geistigen w as alles trifft, trifft jeden, weil e r zu d ieser M enschenm enge
N atur V orau sg eg eb en e. W ie für uns alle schlechthin nur Eine g eh ö rt: durch G em einschaftlichkeit des H errschers, des Bodens,
u n d dieselbe Sinnenw elt ist (nicht von ungefähr, sondern nach der K riege und Siege und N iederlagen und dergleichen; — o d er
einem absoluten G esetze), so soll für gew isse H aufen sein : auch der bloße B egriff an d erer von ihnen als E i n s g ib t ihn
a) e in e .G ru n d a n sicht s i t t l i c h e r W elt überhaupt, als B edingung ihnen selbst.
des Z usam m enlebens, — und daraus gesellschaftliche V erhält­
nisse. O hne diese, zerstreute N aturm enschen, W ilde, K annibalen, A nw endung. D ie a l t e n k l a s s i s c h e n V ö l k e r — P flanz­
die denn doch E hen und E ltern u n d Kinder* haben, b) D iese städte, hervorgehend aus gebildeten V ölkern, bildend, u n ter­
H aufen sind b e s t i m m t durch das G esetz, das für alle schlecht­ jochend, — sie selbst vereint durch gem einsam e Flucht, durch
hin Eine, w ie die S inn en w elt (keine W illkürlichkeit: dies ist gem einsam e, nun erst als solche herau streten d e G eistesbildung,
W ah n !), nur m it dem U nterschiede, daß dieses G esetz nicht das Volk schon ab g etren n t vom Boden. G r i e c h e n , R ö m e r :
w altet schlechthin, w ie das N aturgesetz, sondern durch freie Aus­ darin d e r A ufschluß des Innern ihrer G eschichte: die hohe Aus-
bildung, so daß m an sich zur E rkenntnis desselben erheben m uß. gebildetheit des Staates, ihre Liebe für F reiheit ohne M enschen­
D ies eben ist d er Zw eck, daß a l l e sich dazu erheben. Die D ar­ rechte, daher, w eil ihr Staat rein faktisch, nicht philosophisch,
stellung dieser A nsicht, die A usbildung aller zur Erkenntnis, d a­ nicht aus dem Begriffe hervorging.
m it das G esetz d u rch ihre Freiheit sie bestim m e, ist eben das D ie n e u e r e W e lt: entw ickelt aus einem G rundstam m e von
Reich des R echts, c) D iesem nun sollen sie sich gem einschaft­ E i n g e b o r e n e n , die ohne steten R eichsverband jed er sein
lich an n äh ern ; der jedesm alige S tandpunkt dieser E rkenntnis, eigener H e rr und V erteidiger w aren. Jene eingetreten in die
d er a l l g e m e i n e im D urchschnitte, von w elchem aus der W eg G eschichte als S taat; diese durchaus ohne ein s o l c h e s B a n d .
w eiter zu bestim m en ist, ist die V o 1k s g e s i n n u n g , das eigent- V erbindungen zu A benteuern, zu ernsthaften U nternehm ungen, IV, 421
468 469
Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 55
54 Angewendete Philosophie.

D as W ichtigste, w as daraus hervorgeht, ist: 1. Daß sie sich


vorübergehend, fast allein g e g rü n d e t auf die persönlichen A n­
k n ü p fu n g en — den K om itat, eine ganz eigene E rscheinung. — selbst zum G edanken der F reiheit und des R echtsreiches nie
W ohl etw a im Begriffe d er R öm er als E i n s genom m en, nach erheben können, w eil sie den des persönlichen W ertes, des rein
Sprache, Sitten, A bstam m ung, aber durchaus nicht in ihrem eigenen. schöpferischen, durch ihr D enksystem ü b ersprungen hab en ; auch
(D ies ist w ohl zu m erken.) N ur Religion vereinigte einige, und durchaus nicht begreifen können, daß irgendein anderer M ensch
g e b o t ih n e n : im übrig en Selbsthilfe, K rieg d er einzelnen. — oder Volk so etw as w olle und denke. Zum Reiche kom m t es nicht
G esetze ü b er A b k au fu n g ' (Sühne) desselben erst eine spätere auf diesem W e g e : erst zur P ersönlichkeit; diese überspringend,
E rscheinung. Ü brigens ein g ew isser G rad s i t t l i c h e r Bil­ haben sie die F reiheit gew ollt, durch Schriftsteller gereizt, und
dung, z. B. R einheit d er Ehen. geh o b en durch die öffentliche M e in u n g / 2 . Daß sie von jedem
D ieser G rundstam m bildete bis auf unsere Zeit, a u ß er den zu jedem Zw ecke g eb rau ch t w erden können, w enn er n u r so
in der M itte liegenden Spielarten, sich aus in folgenden beiden glücklich ist, die allgem eine M einung zu g ew in n en ; — so zu
E xtrem en. tun. — Ein solcher ist ihr Selbstherrscher, w elchem zuw ider sie
Ein Stam m , d er sich F ranken nannte, zog aus, und eroberte g ar nicht können. 3. Ihr B estreben zur V erschm elzung an d erer
eine der schönsten Provinzen des röm ischen Reiches, die er in diese Einheit und in diesen G ehorsam g eg en die allgem eine
auch bis auf u n sere Z eit in unverrückter Folge b eh au p tet hat. M einung, die eigentliche W ahrheit, ü ber w eiche hinaus es für ihre
D ie g ro ß e B egebenheit, durch die sie in ihrem eigenen B ew ußt­ Erkenntnis nichts gibt.
sein Eins, ein Volk w u rd en und es blieben, w ar g e g e b e n ; die — Bei anderen anders, w egen anderer Geschichte. S p a n i e r ,
M iteroberer w aren in der E ro b eru n g Eins. M it dieser E inheit vertrieben und unterjocht. I t a l i e n e r , nie Eins seiend. E n g ­
und von ihr aus erhielten sie nun alles übrige, C hristentum , l ä n d e r , M annigfaltigkeit d er G eschichte, und Folge d er h e rr­
schenden V ölker; g ar nicht aus einem so einfachen Prinzipe an ­
B uchstaben, im V erlaufe d er Z eiten so g ar S p r a c h e , E igen­
tu m und die K ünste, dasselbe zu g en ieß e n ; kurz, alle B ildung zusehen, als andere. —
d er einzelnen g in g aus von der V olkseinheit, keinesw egs g in g Die Z urückgebliebenen fingen erst an, durch W iderstand einen
dunkelen Begriff von sich' als Einem Stam m e zu b ekom m en:
u m g ek eh rt die V olkseinheit aus von der B ildung der Persönlich­
keit. (Ich g laube hierin einen durchgreifenden, Licht ü b e r die indem sie diese A usgew anderten unterschieden, begriffen sie sich
als D eutsche, zum Stam m e gehörige. Der E inheitsbegriff kam
ganze G eschichte v erbreitenden G edanken auszusprechen.) D a­
h e r: 1. N ationalstolz, o d er vielm ehr Eitelkeit, 2. P ersönlichkeit ihnen! von außen, im Innern blieben sie in ihrer U nabhängigkeit
als E rzeugnis der G esam theit, und diese, d er G esellschaft, — voneinander, in ihrer Sprache und Leerheit an Bildung. Indessen
D iese — das V orausgesetzte, A usgem achte, nicht aus der V or­ kam auch an sie C hristentum , und m it ihm B uchstaben, und
au ssetzu n g d er Persönlichkeit und F reiheit entspringend, so n ­ m ancherlei V erbesserung des Lebens, vv o h l g e m e r k t an jeden
d ern aus d er des blo ß en Z u sam m enlebens: nicht w ie einer für für sich; d er M ensch, die P erson, die Fam ilie höchstens a u sg e­
sich, sondern w ie m ehrere beisam m en sein können. Die G esell­ bildet, — nicht der B ü rg er: das G u te ohne B ürgertum an den
schaft n icht aus den einzelnen, sondern die einzelnen nur in der Freien. Um die schon so G ebildeten legte sich ein Reichsver-
G esellschaft; diese die H auptsache, und die einzelnen n u r dazu band, aber äu ß erst locker. Die A nziehungen höchstens in ein­
da, daß sie dieselbe bilden. F ür sich der einzelne g a r nichts, zelnen Provinzen durch' die besonderen Fürsten, in K äm pfen
Sondern nur d u rch seinen g eselligen W ert. D aher die gesam ten gegen benachbarte W enden, Slaven; ab er im m er keine gem ein- IV,
422 E rscheinungen des französischen N ationalcharakters: g e i s t r e i c h , sam en T aten und G eschichte, durchaus k e i n U nternehm en d er
liebensw ürdig, g u te r V ater, H err, D iener usf. Art. H öchstens Stamm- und Spracheinhelt, nicht Volks- und
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56 Angewendete Philosophie. Über den Begmf des wahrhaftfn Krieges. 57

G eschichts-E inheit. D iese T ren n u n g konsolidierte sich durch die dem sie ruht, ein A nhang, ein durchaus untauglicher A nhang
U n a b h ä n g i g k e i t d er F ü rsten : nun m e h r e r e Völker, feind­ w erde jenes erst beschriebenen Volkes, und dagegen sich nicht
lich g eg en ein an d er, E rbfeinde; n u r noch zusam m engehalten durch setzen aus allen Kräften auf Leben und T o d ?
den R eichsverband, d er jetzt ausgesprochen w urde als das, w as N och m ehr, lassen Sie uns den M ann sehen, d er an die
er erst schon in d er T a t w ar, kein Staat, sondern ein S taaten­ Spitze jenes V olkes sich' gestellt hat. Z uvörderst, er ist kein
bündnis. Die D eutschen Ein Stam m , ähnlich in n e g a t i v e r G e­ Franzose. W äre er dies, so w ürden jene geselligen G rundansichten,
schichte, zurück w eisend jegliche V erschm elzung zur Einheit, aber jene A chtung für die M einung anderer, und kurz fü r etw as au ß er
niem als, w as auch G elehrte ihnen aufzudringen suchten, e in ihm selber, einige w ohltätige Schwäche und Inkonsequenz seinem
V o lk . — S päterhin so g a r durch K onfession g e tre n n t; in ihrem C harakter beim ischen, w ie dergleichen sich zum Beispiel im Vier­
B egriffe nie E ins; des förderativen S taates B ürger höchstens nur zehnten L udw ig, m eines Erachtens der schlim m sten A usgeburt
die F ürsten, und diese F örderation w ie schw ach und in sich selber des französischen N ationalcharakters, vorfanden. A ber er ist aus
geteilt! P reu ß en , Sachsen, nicht D eutsche. D ennoch h at gerade einem Volke, das schon unter den Alten w egen seiner W ildheit
diese R eichsverfassung, haben die G elehrten, haben die Reisen berüchtigt w ar, das g eg en die Z eit seiner G eb u rt in h a rte r Sklaverei
d er K aufleute und H an d w erk er im Lande d er deutschen Sprache noch m ehr verw ildert w ar, das einen verzw eifelten Kampf g e ­
diesen E inheitsbegriff eines deutschen Volkes, nicht als einert käm pft hatte, um die Fesseln zu zerbrechen, und infolge dieses
unm ittelbar praktischen, so n d ern b loß historischen, u n d als ein Kam pfes in die Sklaverei eines n u r schlaueren H errschers g e ­
allgem eines P ostulat, noch im m er fort erhalten. D ieses P ostulat fallen und um seine F reiheit betro g en w orden w ar. Die Be­
nun von einer R eichseinheit, eines innerlich und organisch durch­ griffe und E m pfindungen, die aus einer solchen Lage seines
aus verschm olzenen Staates darzustellen, sind die D eutschen V aterlandes sich entw ickelten, m ögen die ersten B ildungsm ittel
m eines E rachtens b eru fen , und dazu da in dem ew igen W elt- seines aufkeim enden V erstandes g ew esen sein. U nter der fran ­
plane. In ihnen soll das Reich ausgehen von der ausgebildeten zösischen N ation, die auf diese W eise ihm zuerst bek an n t w urde,
persönlichen, individuellen F reiheit; nicht u m g ek eh rt: von d e r erhielt er seine Bildung, sie legte sich ihm dar in den B egeben­
P ersönlichkeit, g e b ild e t fürs erste vor allem Staate vorher, g e­ heiten einer Revolution, deren innere T riebfedern zu schauen er
b ildet so dann in den einzelnen Staaten, in die sie derm alen zer­ alle G elegenheit hatte, und er m ußte bald m it innigster K larheit
fallen sind, und w elche, als bloßes M ittel zum höheren, Zw ecke dieses Volk begreifen lernen, als eine höchst regsam e M asse, die
sodann w egfallen m üssen. U nd so w ird von ihnen aus erst d a r­ da fähig w äre, durchaus jedw ede R ichtung anzunehm en, keines-
gestellt w erden ein w ah rh aftes Reich des Rechts, w ie es noch w eges aber durch sich selbst sich eine bestim m te und dauernde
nie in der W elt erschienen ist, in aller d e r B egeisterung für F rei­ zu geben. K onnte es anders kom m en, als daß er, w ie er diese
heit des B ürgers, die w ir in der alten W elt erblicken, ohne Nation fand, der er selbst seine V erstandesausbildung dankte,
A ufopferung der M ehrzahl der M enschen als Sklaven, ohne w elche und die er ung efäh r für die erste halten m ochte, so auch das
die alten Staaten nicht b estehen k o n n ten : für Freiheit, g eg rü n d et ganze übrige M enschengeschlecht an sah e ? Von einer höheren
auf G leichheit alles dessen, w as M enschengesicht ttä g t. N ur von sittlichen B estim m ung des M enschen hatte er durchaus keine IV, 425
den D eutschen, die seit Jah rtau sen d en für diesen g ro ß en Zw eck A hnung. W o h er sollte er sie bekom m en, da sie nicht, w ie etw a
IV, 424 da sind, und langsam dem selben en tg eg en reifen ; — ein anderes bei den Franzosen, durch eine glückliche A ngew öhnung in früher
E lem ent ist für diese E ntw ickelung in der M enschheit nicht da, Ju g en d ihm zuteil w ar, durch deutliche E rkenntnis aber ver­
U nd statt dieser h o h en B estim m ung könnte jem and, dem mittels der P hilosophie oder des C hristentum s seine spätere Bil­
darü b er das Licht au fg eg an g en ist, zugebeh, daß das Volk, auf dung sie ihm auch nicht d arb o t? Z u dieser vollkom m enen Klar-
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58 Angewendete Philosophie. Über den Begrin des wahrhaften Krieges. 59

heit über die eigentliche B eschaffenheit der N ation, ü ber die er Ziel eines M enschenlebens sich hin aus erstreckt, soll nun nach
sich' der O berh errsch aft bem ächtigte, trat ein durch seine A b­ ihm seine D ynastie fort- und ausführen, solange bis e tw a nach
stam m ung aus einem kräftigen V olke b eg rü ndeter, und d u rch einem Jah rtau sen d ein anderer inspirierter H eld wie er auftreten,
seinen steten ab er zu verbergenden W id erstreit gegen die U m ­ und m it neuer O ffenbarung in seine und Karls Schöpfung ein-
g eb u n g en sein er Ju g e n d gestählter, k räftiger und u n erschütter- ( greifen' w ird.
licher W ille. M it diesen B estandteilen d er M enschengröße, der M an hat geahnt, daß es m it ihm ein anderes B ew enden
ru h ig en K larheit, dem festen W illen ausgerüstet, w äre er der habe, als m it anderen vorzeitigen und gleichzeitigen H errschern.
W ohltäter und B efreier d e r M enschheit g ew orden, w enn auch nur So ist es aucli. Ö ffentliche B lätter zw ar m einten, daß' d ie G e­
eine leise A hnung der sittlichen B estim m ung des M enschenge­ sinnungen eines G enerals in ihm verschw inden w ü rd en durch
schlechts in seinen G eist gefallen w äre. Eine solche fiel niem als E inführung d er E rbfolge für seine D ynastie. N icht recht b e ­
in ihn, und so w urde er denn ein Beispiel für alle Zeiten, w as griffen. — Jene H errsch er sind gew ohnt, sich als V erteidiger
jene b eiden B estandteile rein für sich, und ohne irgendeine A n­ des E igentum s und L ebens anzusehen, als M ittel zu diesem
sch au u n g des G eistigen geb en können. Es bildete sich ihm h ier­ [Zwecke, der darum nie aufgeopfert w erden d arf: dieser setzt sich
aus folgendes E rk en n tn isg eb äu d e: daß die gesam te M enschheit als V erteidiger eines absoluten — selbst Zw eck seienden —
\ eine blindé, entw eder gänzlich stagnierende, o d er unregelm äßig W illens, eines W eltgesetzes, in der T at aber n u r eines individuellen
u n d v erw irrt du rch ein an d er und m iteinander streiten d sich regende W illens, einer G r i l l e , au sg erü stet m it der form alen K raft des
M asse von Kraft' sei; daß w ed er jene S tagnation sein solle, so n ­ sittlichen W illens. (D ies ist sein w ahres unterscheidendes W esen.
dern B ew egung, noch diese unordentliche, sondern eine nach Jene sind nicht im stande, ihren g eg en sie im m er noch erhabenen
Einem Ziele sich richtende B e w eg u n g : daß selten, und durch G egner auch nur zu begreifen.) Es ist allerdings w ahr, daß
Jah rtau sen d e g e tre n n t G eister g eb o ren w ürden, die bestim m t seien, Alles aufgeopfert w erden soll — dem Sittlichen, d e r Freiheit;
dieser M asse die R ichtung zu geben, dergleichen Einer Karl der d a ß Alles aufg eo p fert w erden soll, hat er richtig gesehen, für
G ro ß e g ew esen ist, und e r d er N ächste nach ihm, daß die Ein­ seine Person beschlossen, und er w ird sicher W o rt halten bis
g eb u n g e n dieser G eister das Einzige, und w ah rh aft G öttliche zum letzten A tem zuge; dafür b ü rg t die K raft seines W illens. —
u n d H eilige, u n d die ersten Prinzipien d er W eltb ew eg u n g seien, Seine D enkart ist mit E rhabenheit um geben, weil sie kühn ist
u nd daß für sie schlechthin alle anderen Z w ecke der Sicherheit und den G enuß verschm äht; darum verführt sie leicht erhabene,
o d er des G enusses aufgeopfert, für sie alle Kräfte in B ew egung das Rechte nur nicht erkennende G em üter. — N u r soll es eben
gesetzt, und jed w ed es L eben in B eschlag genom m en w erden nicht g eo p fert w erden seinem eigensinnigen E n tw ü rfe; diesem
m üsse, und daß es A uflehnung sei g eg en das höchste W eltgesetz, aufgeopfert zu w erden, ist er selbst so g a r viel zu ed el; d er F rei­
solchen A n regungen sich entgegenzusetzen. In ihm sei erschienen heit des M enschengeschlechts sollte er sich aufopfern, und uns
dieses W eltgesetz in d er neu en O rd n u n g der D inge, die er in alle m it sich, und dann m üßte z. B. ich, und jeder, d er die W elt IV, 427
IV, 426 dem K ulturstaate, u n ter seiner O berh errsch aft ausführen w olle: sieht, w ie ich sie sehe, freudig sich ihm nachstürzen in die heilige
das nächste G lied dieser O rd n u n g sei derm alen die F r e i h e i t O pferflam m e.
d er M eere, w ie er sagt, die O b e r h e r r s c h a f t der M eere in In dieser K larheit und in dieser F estigkeit b eru h et seine
seinen H änden, wie er es eigentlich m eint, und für diesen aller­ Stärke. — In der K larheit: alle unbenutzte K raft ist sein ; alle
näch sten durch das W eltgesetz gesetzten Zw eck m üsse alles Glück in der W elt gezeigte Schw äche m uß w erden seine Stärke. W ie
von E u ro p a au fg eo p fert w erden, alles B lut fließen; denn dafür der G eier schw ebt üb er den niederen Lüften, und um herschaut
allein sei es da. D iesen g ro ß en W eltplan, d er freilich ü ber das nach Beute, so schw ebt er über dem betäu b ten E uropa, lauschend
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60 Angewenäete Philosophie. Über den Begriff des wahrhaften Krieges. 61

auf alle falschen M aßreg eln und Schw ächen, um flugschnell herab ­ Ich habe getan, w as m ir obliegt, indem ich m it d e r K lar­
zustürzen, und sie sich zu N utze zu m achen. In d er F estigkeit: heit, die m ir beiw ohnt, diese m eine A nsicht m itteile denen,
die anderen w ollen auch w ohl herrschen, aber sie w ollen noch die m einer M itteilung begehren, und in ihnen den F unken dieser
so vieles andere nebenbei, und das erste nur, w enn sie es neben uns nötigen B egeisterung zur Flam m e anzufachen suche. ,
diesem haben k ö n n en ; sie w ollen ihr Leben, ihre G esundheit, N ur noch dies g eg en den E inw urf: diese D arstellung von
ihren H errsch erp latz nicht au fo p fern; sie w ollen bei Ehren bleiben; ihm sei übertrieben und u n w a h r:
sie w ollen w ohl g ar g elieb t sein. Keine dergleichen Schwächen 1. V on solchen, die, w eil sie selbst ungefähre Z usam m en­
w andelt ihn a n : sein L eben und alle Bequem lichkeiten desselben stim m ung der verschiedensten B estandteile sind, sich auch a u ß er
setzt er daran, d er H itze, dem F roste, dem H u n g er, dem K ugel­ sich nichts anderes, d enn dies, nichts in sich Z u sam m en h än g en ­
reg en setzt er sich' aus, das h a t er g e ze ig t: auf b esch rän k en d e• des einbilden können, denen darum diese Schilderung unglaublich
V erträge, dergleichen m an ihm angeboten, läßt er sich nicht ein; ist. D iesen ist nicht zu helfen, au ß er durch B ildung zur A n­
ru h ig e r B eherrscher von Frankreich, w as m an ihm etw a bietet, schauung, und vorher, dam it dieses m öglich sei, zum eigenen
will er nicht sein, sondern ru h ig e r H err d er W elt will er sein, S e i n : und dies läß t sich m it einer A bhahdlung nicht abtun.
und, falls er das nicht kann, g a r nicht sein. Dies zeigt er jetzt, 2. V on solchen, die dies nicht sind. Diese erinnere ich: daß
und w ird es ferner zeigen. Die haben durchaus kein Bild von man Ä ußerungen von ihm hat, und daß dadurch klar und b e­
ihm, und gestalten ihn nach ihrem Bilde, die da glauben, daß greiflich daliegt sein ganzes Leben, dessen H au p tzu g gänzliche
auf andere B edingungen m it ihm und seiner D ynastie, w ie er sie B lindheit füt die sittliche B estim m ung des M enschengeschlechts
will, sich etw as an d eres schließen lasse, denn W affenstillstände. ist; übrigens alle B estandteile des g ro ß en M annes, die sein Z eit­
Ehre und T re u e ? E r hat es freiw illig bei d er E inverleibung alter ihm zugesteht, außer w o es aus F urcht lü g t und lästert w ie
H ollands ausgesprochen, daß ein H errsch er d am it es halte, wie die Kinder. i !
die Z eiten es m it sich b rin g e n ; so lange es ihm selbst zuträglich Z um entscheidenden Bew eise seiner gänzlichen B lindheit für
ist, — ja; — w enn es ihm nachteilig w ird, nicht mehr. D aher die sittliche B estim m ung des M enschengeschlechts gedenken wil­
kom m t auch in allen n eueren S taatsschriften desselben das W o rt: der bestim m ten T at, durch die er vor W elt und N achw elt das G e ­
R e c h t g ar nicht m ehr vor, und fällt nach ihm' heraus aus d er p räg e seines W esens sich aufgedrückt hat. D ies um so m ehr, da
Sprache, sond ern es ist allenthalben nur die Rede vom W o h l e nach den W ünschen unserer eigenen H errscher und ihrer W erk ­
d er N ation, dem R uhm e d er A rm een, den T rophäen, die er in zeuge, denen diese T a t nach ihrem Sinne w ar, ein allgem eines
allen L anden erfochten. Stillschw eigen ü b er sie ein g etre ten ist, und sie anfängt, aus r, 429
So ist u nser G egner. Er ist b eg eistert und hat einen abso­ dem A ndenken d e r Z eitgenossen herauszufallen. Die ihm das
luten W ille n : w as b ish er g eg en ihn aufgetreten, konnte nur Schlim m ste nachsagen w ollen, deuten nur im m er hin auf des
IV, 428 rechnen, und hatte einen b ed in g ten W illen. Er ist zu besiegen Prinzen E nghien b lutigen Leichnam , als ob dies d e r höchste
auch n u r durch B eg eisteru n g eines absoluten W illens, und zw ar G ipfel w äre seiner T aten. Ich aber m eine eine andere, g e g en
durch die stärkere, nicht für eine Grille, sondern für die F rei­ w elche E nghiens E rm ordung beinahe in N ichts t verschw indet,
heit. O b diese nun in uns lebt, und m it derselben K larheit und und nach m einem Sinne nicht w ert ist, h erausgehoben zu w erden,
F estigkeit von uns ergriffen w ird, m it w elcher er ergriffen hat w eil sie durch die einm al angehobene Bahn m it N otw endigkeit
seine G rille, und durch T äu sch u ng o d e r Schrecken Alle für sie g efordert w urde.
in T ätig k eit zu setzen w eiß, davon w ird der A usgang des b e­ Die französische N ation w ar im R ingen nach dem Reiche ddr
gonnen Kampfes abhängen. Freiheit u n d des Rechts begriffen, und hatte in diesem K am pfe
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62 Allgewendete Philosophie.

schon ihr edelstes B lut verspritzt. — A ber diese N ation w ar der


F reiheit unfähig, sa g t m an — und ich g eb e dies nicht n u r zu,
sondern ich g laube es so g ar bew eisen zu können. Aus folgenden
G rü n d e n : 1. W eil, da E instim m igkeit ü ber das R echt nicht m ö g ­
lich w ar, bei diesem N ationalcharakter jede besondere M einung
ihre P artei finden, und so — o h ne eine schützende G ew alt —
die P arteien im inneren K am pfe sich' selbst auf reiben m ußten,
wie sie auch eine Z eitlang taten. 2 . W eil es in d er ganzen
N ation an der B edingung einer freien V erfassung fehlte, d e r A us­
Dritter Abschnitt. iv, 431
bild u n g der freien Persönlichkeit, u n ab h än g ig von der N ationalität.
So darum stan d es freilich. Indem nun diese S elbsterkennt­
Von der Errichtung des Vernunftreiches.
nis anfing aufzudäm m ern, fiel — ich will davon schw eigen, durch
w elche M ittel — diesem M anne die höchste L eitung der A nge­ V orau ssetzu n g en .
legenheiten zu. Bilder d er F reih eit w aren in m anchen begeisterten N ur G ott ist. A ußer ihm nur s e i n e E r s c h e i n u n g . — In
S childerungen an ihn g ek o m m en ; ganz u n b ek an n t w ar ihm darum der E rscheinung n u r das einzige w ahrhaft Reale die F r e i h e i t ,
nicht der Begriff, und daß er g edacht w ürde. W äre n u r irg e n d ­ — in ihrer absoluten Form , im B e w u ß t s e i n ; also als eine
eine V erw andtschaft dieses B egriffes zu seiner D enkw eise, irg en d ­ Freiheit von I c h e n . D iese und ihre F r e i h e i t s p r o d u k t e das
ein F unke des V erständnisses dafür in ihm vorhanden gew esen, w ahrhaft Reale. — An diese F reiheit nun ist ein G esetz gerichtet,
so hätte er den Z w eck nicht aufgegeben, w ohl ab e r das M ittel ein Reich von Z w e c k e n , — das Sittengesetz. — D ieses darum
g esucht. Es h ätte sich ihm nicht verborgen, daß dieses sei eine und sein Inhalt die einzig realen O bjekte.
vielleicht m ehrere M enschenalter dauernde regelm äßige E rziehung Die Sphäre d er W irksam keit für sie — die S i n n e n w e i t :
der französischen N ation zur Freiheit. Es hätte dem M anne, diese nichts denn d a s ; in ihr keine positive K raft des W id er­
d er sich eine K aiserkrone und eine benachbarte K önigskrone a u f­ standes od er des A ntriebes. W e r diese A ntriebe gelten läßt,
zusetzen, u n d sich d er Erbfolge- zu versichern verm ochte, nicht oder diesem W iderstande weicht, ist u n f r e i , n i c h t i g . Nur
IV, 430 fehlen können, sich an die Spitze dieser N ationalerziehung zu durch' die F reiheit ist er G lied d er w a h r e n W elt, ist er du rch ­
setzen, und dieselbe Stelle einem N achfolger, den er fü r den gebrochen zum Se i n.
w ü rd ig sten dazu geh alten hätte, zuzusichern. Dies hätte er g e ­ Die F reiheit des g eistigen ist, w ie gesagt, zerteilt in
tan, w enn ein Fünklein echter G esin n u n g in ihm g ew esen w äre. eine Individuen weit. D iese i n s g e s a m t o der
W as er d ag egen getan, w ie er listig und lauernd die N ation um auch in dreifacher B ed eutung: von d e r N a t u r ; diese soll
ihre Freiheit b etro g en , b rau ch t hier nicht au sg efü h rt zu w e rd e n : nicht selbst A ntrieb, vielm ehr völlig unterw orfen sein jedem
jen es Fünklein ist. darum nicht in ihm gew esen. U nd so w äre Zw eckbegriffe, den m an^sich in ihr setzen kann, d. h. den das
denn m eine S childerung von ihm zur D em onstration erhoben, s i t t l i c h e G e s e t z se tz t.^ ^ d n jd g r C ^ e jn e in e : K einer soll die F rei­
in so w eit dies bei einem historischen G eg enstände m öglich ist. heit des anderen stören. — Er soll dies w eder u n m i t t e l b a r — iv, 432
durch W i d e r s t a n d , noch m i t t e l b a r , indem er in der Einen
und zusam m enhängenden N atur dasjenige unterläßt, w as die g e ­
bührende H errschaft des G anzen erfordert. (Den letzteren P u n k t
setzen w ir näher ausein an d er: 1, W ie das S ittengesetz redet,
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64 An gewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches, 65

soll die N atur W erkzeug s e i n , od er w e r d e n k ö n n e n . 2. D a­ Begriff sein kann. — W äre dieser B egriff d e r eines frem den Ich
zu g eh ö ren Alle. — F e h lt sonach Einer, so ist die Freiheit dessen, (dessen Einsicht), so m üßte dieses ihn e rst tätig und: w irksam
d er das G esetz will, und ohne Z w eifel rech t h at es zu w ollen, m achen durch irgendeinen Z w ang für einen a n d e re n : dieser w äre
g estö rt. Ich b itte Sie, es im G anzen zu fassen. Die A nw endung, darum zw eites G lied in d er Reihe der U rsachen und W irkungen.
die seh r w ichtig ist, tiefer u nten!) D ann aber ist er nicht frei.
D er erste P u n k t w ird an seinen O rt g estellt: K u n s t l e h r e . (W eitere E x p o sitio n : frei n u r ein W ille als absolut e r s t e s
— A ber der zw eite: Es ist V ernunftgesetz, daß keiner die F rei­ reales G lied, schlechthin a n h e b e n d , m it B eschränkung auf den "
heit eines anderen und des G anzen stören o der aufhalten soll: Z w eckbegriff — x, d er nur in ih m s e l b s t liegen kann. — A n ­
die R egel einer O rdnung, in d e r dies so sicli verhält, ist die d e r s ist es Z w a n g ; er m u ß . )
R echtsregel, das R echtsgesetz. W ir können den. Satz auch so ausdrücken : K einer soll auf
E s ist selbst ein s i t t l i c h e s G esetz, denn es ist die Be­ irgendeine W eise d u rch andere gezw ungen w erden. — Reich
d in g u n g aller Sittlichkeit. — D as Recht soll1 also schlechthin h e rr­ der F reiheit schließt aus jeden Z w ang. D ies liegt im R echts­
schen, so gew iß die Sittlichkeit schlechthin sein soll. U nd zw ar g esetz e; d er Z w an g ist absolut gegen das Recht. Er rau b t die
ist es das G esetz d er B edingung. i n n e r e F reiheit des Individuum s. D ies m erken Sie w ohl.
D en B egriff dieser O rd n u n g aber en th ält und handelt ab G e g e n s a t z : W as im R echtsbegriffe liegt, soll schlechthin
die R e c h t s l e h r e . sein; denn das einem jeden g ebotene Sittliche soll schlechthin
W ie nun aber finden w ir darin einen besonderen, em pirisch sein. O hne F reiheit ist aber sittlicher Zw eck g ar nicht au sfü h r­
b ed ing ten Teil, w elcher derm alen noch 1 nicht gilt, und w phl- b ar: d e r R e c h t s b e g r i f f m ü ß t e d a r u m s o g a r m i t Z w a n g
g em erk t dies nicht e tw a als A usnahm e, sondern in d e r R egel u n d m i t G e w a l t , d u r c h g e s e t z t w e r d e n . — Auch tu t die;
nicht, der nach dem G eiste und S tandpunkte d e r Z eit nicht gelten E inführung des R echtsbegriffes w enigstens der äußeren Freiheit
kann, d er nicht einm al in den Z e i t b e g r i f f e n liegt? keines M enschen A bbruch: denn w as durch diesen ihr entzogen
D abei nun haben w ir gründlich zu W erk e zu g eh e n ; — nicht w ird, ist g ar nicht seine F reiheit als sittliches W esen und M itglied
rh ap so d isch verfahrend, sondern ausg eh en d von einer Einheit, der G em eine, in w elcher Rücksicht allein er Freiheit hat, und
aus d er die g anze U n tersu ch u n g sich entw ickeln soll. ein Recht auf dieselbe. (Er soll es niem als: w enn die Sittlich­
So heben w ir an von dem W i d e r s p r u c h e , d er in dem keit N atur w äre, so w ü rd e er e s niem als w ollen oder k ö n n e n :
Begriffe der E rrich tu n g eines R echtszustandes notw endig liegt. es ist g ar nicht seine Freiheit, als eines Ich, sondern' G ew alt
— (D iesen W iderspruch' zu heben, ist Sache d er Entw icklung einer unbändigen N atur, die durch die F reiheit eben schlechthin
d es M en schengeschlechts: so lan g e er nicht gehoben ist, herrscht unterjocht w erden soll.) — F ü r das Recht ist sonach d e r Z w ang
das R echt nicht d u rc h g ä n g ig ; er ist aber bis jetzt nicht g e ­ sogar g e b o t e n , w ie viel m ehr also erlaubt.
hoben.) Es ist für die G ründlichkeit und K larheit u nserer g e g e n w ä r­
S a t z : J e d e r soll frei s e i n : — er soll n u l r s e i n e r tigen V orträge entscheidend, für das g esam te System der W issen- IV, 434
e i g e n e n E i n s i c h t f 61 g e n . W ir sa g e n : j e j d j T ; es soll a ls o , schaftslehre ab e r erläuternd und belehrend, die innere N a tu r d ie­
IV, 433 in der “W elt d er freien Iche durchaus keinen geben, d e r irg en d ­ ses W iderspruches recht kennen zu lernen.
einem anderen, denn sein er freien E insicht gehorche. D er G e g e n s a t z stützt sich darauf, daß diesseits des Rechts
B e w e i s : Frei sein h e iß t: e rste u nabhängige U rsache sein. und dem R echte zuw ider es gar keine F reiheit u n d kein Recht
N un g e h t diesem U rsache-Sein freilich voraus ein Begriff von darauf gebe, das etw a zu schonen sei, sondern n u r N aturgew alt,
dem Z w ecke, der n u r in d er freien P erson selbst, und ihr eigener welche rings um sich herum zu unterdrücken erste B edingung
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alles sittlichen L ebens sei. E r leugnet, durch jeglichen Z w atjg D er G egensatz, w as will er aufheben, u n d w as kann er
für das R echt und um des R echts w illen m it irg en d ein er Freiheit durch" seinen Z w ang auf heben ? D en A usbruch des rechtsw idrigen
in B erü h ru n g zu kom m en. — . N ur als M itglied des sittlichen W illens in die T a t. So, w enn er sp rich t: — diese Freiheit,,
R eiches hab e jem and F reiheit und R echt: anders sei er g a r nicht dieses R echt h at niem and, es ist N aturgew alt, — w as m eint er?
zu dulden, sond ern w ie eine Flam m e, ein w ütendes T ier zu b ä n ­ Eben die Ä ußerung in der E rscheinung. — N icht ab er kann er,
digen. — Bei dieser A n m u t u n g schlechthin an jeden ist ab er noch w ill er aufheben den i n n e r e n bösen W illen. Er h at ein
dieser als bloß form ales M itglied des sittlichen Reiches über* N aturgesetz als Z w ang gebraucht, z. B. F urcht vor d e r Strafe;
h a u p t gem eint, sag e ich : w as die besondere Pflicht des Einzelnen da gerad e bleibt d er böse eigennützige N aturw ille, der so g a r
sei, darü b er könne k einer für den anderen entscheiden; w as d a­ zur T rieb fed er gew orden. A nders kann er nicht, w eil er nichts
g e g e n zur P flichtm äßigkeit ü b erh a u p t gehöre, sei ein absoluter denn äuß eren Z w an g hat. Es ist ihm g en u g , die sittliche Freiheit,
G em einbegriff, von dem jed er Einzelne in die Seele aller schlecht falls sie irgendw o ist, zu schützen. — D er G ezw ungene bleibt
hin urteilen, und im N am en aller das U rteil au f sich nehm en ihm ü brigens N atur, nur unschädliche N atur, ein gezähm tes w ildes
könne. Tier. Er red e t von der T at, nicht vom W illen.
Von diesem allen leu g n et nun d er S a t z durchaus nichts. Der S a t z hingegen redet vom W illen, nicht von d er Tat.
Er b em erk t bloß, daß se lb st zum M itgliede d er sittlichen G e­ — W ill er, daß das R echtsw idrige geschehe, die N atu rg ew alt
m eine der M ensch durch eigene F reiheit sich erheben solle, — h errsch e? W ie kann eq, ohne die E rscheinung des sittlichen
e r h e b e n , sch rittw eise; — d ag egen der G eg ensatz ihn auf ein­ Reiches ganz unm öglich zu m achen! — N ur will er, es solle
mal, durch Z w ang, w en ig sten s seiner äußeren E rscheinung nach, aus Einsicht, aus den W illen b ew eg en d er Einsicht unterlassen
hineinversetzen will. Da liegt der P u n k t des W id erstreites; im w erden; unterlassen also freilich. — Ü ber die U nterlassung, als j
Begriffe der F re ih e it: diesen nehm en beide in einem streitenden, u n b ed in g t notw endig, sind beide einig; der letztere fü g t bloß
doppelten Sinne, je n e r ; es g ib t g ar keine dem R echte zuw ider; einen B estandteil hinzu, den d er erstere überging.
darum besch rän k e ich auch keine durch m einen Z w an g : es ist da U nd so ist denn ihr V erhältnis gefunden. D er erste will,
n u r N atu rw esen ; — d ie se r: obw ohl dies N aturw esen ist, so b e­ w obei an g ehoben w erden m uß, d er zweite, w as nachgeholt w er­
hält es doch die form ale F reiheit, von d e r N atu r aus in die sitt­ den soll. W en n das R echtsw idrige anfangs auch bloß aus Z w a n g ,’
liche W elt durch eigene F reiheit sich zu e r h e b e n ;—je n e r: Freiheit o hne Einsicht und guten W illen unterlassen w ird, folgt denn
nur in d er sittlichen W e lt; einer anderen sie g a r nicht zu g e­ daraus, daß es späterhin nicht aus Einsicht unterlassen w erden
ste h e n d : rein er Id ealist; — d ieser, beide W elten ins A uge n eh ­ k ö n n e ? M uß das R echtsw idrige denn geschehen, rechte V er­
m end, und den Ü b e rg a n g von d er einen zur anderen auch erfassend w ilderung eintreten, dam it die Einsicht kom m e; o der ist es nicht IV,
als F reih eit; — je n e r: n u r in der sittlichen W elt giltst du, außer- vielm ehr ein g u te s und rechtes B eförderungsm ittel d e r Einsicht,
IV, 435 'dem b ist du nichts, und g iltst nichts! — dieser: auch im Über­ w enn das G egenteil derselben ohnedies nicht herausbrechen darf:
g an g e zu jen er W elt, in der du nicht geb o ren bist, bist du dein man nicht bestochen w ird für das Falsche, sondern den W illen
eigenes Prinzip. und die E rkenntnis h interher nur noch zu u n terw erfen h at der
ohnedies besteh en d en B eschaffenheit der D inge?
Von der F reiheit des N aturw esens daher, dem N aturw illen
Aus dieser E insicht in den Sitz des W iderspruches w ird ist zunächst die Rede. — D ieser h at äußerlich sich darzutun
sich das L ösungsm ittel ergeben. D aran g eh en w ir sogleich, ohn- durchaus kein R echt; er soll unterdrückt w erden, w o er sich
erachtet ü b er Satz und G egen satz noch m anches zu sagen w äre. zeigt, und jeder, der es erkennt und verm ag, h a t Recht zu dieser
482 F i c h t e , Di e S ta a tsle h r e . 5 483
68 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 69

U nterdrückung. D as ä u ß e r e R echt soll erzw ungen w e rd e n ;in n e r­ E iner ist, nicht w illkürlich und w an delbar sein w ird, sondern die
lich ab er durch B eleh ru n g die F reiheit geb ild et w erden zur Ein­ Eine und gem einsam e für alle; — w andelbar n u r d e r F o r m der
sich t: d er g u te W ille des R echts soll in jedem auf eigene Einsicht Einsicht, nicht d er Q ualität nach. ^ ^ " D ie s ab er eben ist das
au fg eb au t w erden. nicht aufzugebende Ziel, hervorzubringen eine den W illen b e­
W eitere A u seinandersetzung in F o lgesätzen: w egende E insicht aller, daß es das R echt sei, w ozu, sie bish er
1. Z u r rechtlichen V erfassung die M enschen zu zw ingen, dem gezw u n g en w orden.
R echte sie durch G ew alt zu unterjochen hat jeder, d e r die E r­ Z u r näheren E rläu teru n g :
kenntnis h a t und die M acht, nicht n u r das Recht, so n dern die 1. N ur zum R echte darf gezw u n g en w e rd en ; jed er a n d ere
heilige P flich t; der Einzelne die ganze M enschheit, falls es sich Z w ang ist durchaus w iderrechtlich (abscheulich, teuflisch). D er
so trä fe ; denn zum R echtsw idrigen haben sie gegen ihn kein Z w in g h err m uß voraussetzen können, daß seine Einsicht u n trü g ­
R echt u n d keine F reiheit. lich sei, und ist h ierüber seinem G ew issen verantw ortlich.
— Z um R e c h t e , w elches ein absolut b estim m ter g em ein ­ F ü r andere ist indessen d ieser Z w ang selbst d er Form nach
g ü ltig er B egriff ist, den sie alle hab en s o l l e n , d en sie auch rechtm äßig nur, inw iefern der Z w in g h err erbötig ist, aller W elt
alle haben w erden, sobald sie zu seiner B ildung sich erheben, den B ew eis zu führen, daß seine E insicht also untrüglich, sei, und
und den E r indessen h a t im N am en aller, als Stellvertreter, von inw iefern er alles, w'as an ihm ist, tu t, um diesen B ew eis
des in ihm w irk en d en G o ttes G naden. Die R ichtigkeit dieses führen zu können. Alle haben das Recht, n u r ihrer Einsicht zu
B egriffes m uß er auf sein eigenes G ew issen nehm en. — Er fo lg en ; dies das ew ige und unveräußerliche: daß sie vorläufig dem
w äre der von G o tt ein g esetzte Z w ingherr. Z w ange g eh orchen m üssen, g eschieht n u r aus N ot, w eil ihre
(Die V oraussetzung ist dabei, das Recht sei ein schlechthin Einsicht nicht die rechte ist. Um ihres Rechtes w illen aber m uß
in d er V ern u n ft liegender, rein apriorischer B e g riff’ — n ich t etw as, eine A nstalt errichtet w erden, w odurch ihre Einsicht z u r rechten
w o rü b er sich alle e rst w illkürlich verständigen, indem jed er schon gebildet w erde.
vor dem R echte voraus besitzt, und davon au fg ib t; — so nach Kein Z w ang, a u ß e r in V erbindung m it d er E rziehung zur.
t R ousseaus contrat social, em pirisch, w illkürlich, erdichtet; ein E insicht in das Recht. D ieser letzte B estandteil fügt jenem erst
P G rübeln ü b er spekulative A ufgaben auf g u te s G lück o hne speku- idie Form der R echtm äßigkeit hinzu. D er Z w in g h e rr zugleich
lative Prinzipien. D arauf die französische R evolution: kein W under, Erzieher, um in d e r letzten F unktion sich als den ersten zu ver­
f daß sie, aus solchen G ru n d sätzen hervorgehend, so ablief!) nichten. — Daß Recht ist, w as ich gebiete, w irst du nachm als IV, 438
437 2. D ies jedoch n u r u n ter d er B edingung, daß m it d e r Z w an g s­ w ohl einsehen, w enn du m ündig b ist; w irst dann einsehen,
an sta lt eine zw eite v erbunden w erde, u m a l l e z u r E i n s i c h t daß ich nur die Stelle d er eigenen V ernunft in d ir vertreten h ab e:
der R e c h t m ä ß i g k e i t des Z w an g es, u n d so z u r E n t b e h r ­ w irst einsehen, daß du selbst mich gew äh lt haben w ürdest. —
l i c h k e i t d e s s e l b e n z u b r i n g e n . D enn Ohne diese zw eite Dies die R echenschaft d er R echtm äßigkeit seiner O berherrschaft,
A nstalt ist der Z w an g , d er freilich nicht g eg en ih r äu ß eres Recht die er nicht n u r G ott, sondern auch der M enschheit ablegen will.
auf H an d lu n g en ist, g e g e n ihr inneres R echt u n d ihre Freiheit, n u r O hne dies der Z w ingherr, w enn e r auch d e r M aterie nach zum
zu geho rch en ihrer eig en en Einsicht. (H ierdurch w ird eben m it Rechte zw änge, d er Form nach ein T yrann und U surpator. —
dem G eg ensätze die A ussag e des Satzes ü b er das innere Recht D adurch ist erst die G l e i c h h e i t w ied erh erg estellt; d er Z w in g ­
vereinigt.) — B ildung aller zu einer b e s t i m m t e n , s o u n d so herr m acht den G ezw ungenen w ied er zu seinem Richten
sich 1 verhaltenden Einsicht, die h u r d er Z w in g h err und d e r E r­ R echtszw ang w ird n u r durch beig efü g te Erziehung des g e ­
zieher vor ihnen allen h a tte ; die d arum , so gew iß d er R echtsbegriff zw ungenen V olkes zur E insicht und zum g u ten W illen rech t-
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m äß ig ; au ßerdem ist sie rechtsw idrig. — D as aber, w ozu g e ­ w erden schlechthin soll, und auch w ird, w enn sie n u r auf die
zw ungen w ird, und das, w as durch E rziehung d er E insicht h in ­ gehörige Stufe d er V erstandesbildung kom m en, dies versteht sich
g e le g t w ird, ist durchaus d asselb e: das letztere kann ab er n u r von selb st; dies haben diejenigen, die da verordnen, zut v eran t­
d er V ernunftbegriff sein vom R echte; denn ü b e r nichts anderes w orten. Die B ildungsanstalt ab er — w ie könnte diese S tudieren­
kann die E insicht aller sich vereinigen. den fe h le n ! W enn sie jedoch einst bei V erstandesreife das G eg e n ­
teil finden, so m ögen sie unser A ndenken verw ünschen, und
ja sorg en für die G esetze des G egenteils, d aß g eb o te n w erde,
So hab en w ir d er R echtslehre einen an sich klaren, jedoch w as sie g ern täten, nun ihnen ab er leider verboten ist. —
höchst w ichtigen Begriff, die Lehre von E rrichtung des Reiches, In S um m a: die M enschheit, als eine w iderstrebende N atur,
beigefügt, der b ish er fast allgem ein verkannt w urde. D unkel soll allerdings ohne alle G nade und Scho nun o b sie es
g efühlt, h a t er zu einem Streite V eranlassung gegeben, d e r auch verstehe o d e r nicif^ gezw u n g en w erden u n te r .die H errschaft des
m ir o ft v orgekom m en; — in fo lg en d er Form , in d e r ich dem­ Rechts durch die höhere Einsicht. M it diesem Z w ange m uß ab er
selben auch w o h l darstellen ka nn : — M it dem Pöbelt und den unabtrennlich verbunden w erden eine A nstalt, um diese höhere
P hilistern m öge es sein, w ie es w olle; die F reiheit d er Studenten, Einsicht zu m achen zur gem einschaftlichen E insicht alter. Wie!
die akadem ische b esteh e §ber darin, daß sie keine G esetze an ­ der U rh eb er g e sin n t w ar, so sollen nach V erlauf eines Z eitraum es
erkennten, als die, deren N otw endigkeit sie selbst einsähen, und g esinnt sein schlechthin alle ohne A usnahm e. N ur durch das
die sie sich gäben. H ierb ei w erde b ed ach t: 1. N icht n u r für letzte w ird das erste rechtlich'.
S tudierende gilt dies, so n d ern schlechthin fü r alle M enschen; —
nicht akadem ische, so n d ern b ü rgerliche F reiheit überhaupt, daß
m an keinem G esetze gtdiorche, dessen N otw endigkeit m an nicht
einsehen und es sich selb st geben s o l l t e und w ürde, w enn N ochm als der G eg ensatz von einer anderen S eite:
m an verständig w äre. 2. K einesw egs ab er gilt es em pirisch, — S a t z : Jeder soll handeln schlechthin nach seiner eigenen
was sie w irklich einsehen und sich geben. — Bei den S tudieren­ E insicht: n u r so ist er frei. Kein Z w ang!
den ist n u r die V oraussetzung, daß sie m ehr V erstand haben, G e g e n s a t z : A ber Einsicht des R echten so g a r läßt sich
IV, 439 ihre E insicht einen g rö ß e re n U m kreis um fasse, als bei dem Volke. nicht hervorbringen ohne einen Z w ang, ohne' B eschränkung der
— D ies die akadem ische und ü b erh a u p t aller gebildeten M enschen äußeren N a tu rfreih eit; — ohne ein A nhalten des H andelns, um , 440
F reih eit: — m eh r E insicht u n d g u te r W ille, w en ig er Z w ang. zurückzuziehen auf B etrachtung u n d E rw ägung. — Die N atur
3. V on den S tu dierenden aber, eb en d aru m w eil sie S tudierende ström t im m erfort, hält nicht an zur R eflexion: dies letzte leistet
sind, ist nicht zu erw arten , daß sie alles einsehen, auf d e r höch­ uns die V ernunft von anderen aus in d e r G em eine, w ider unseren
sten Spitze der Intelligenz ihres Z eitalters u n d ihres Volkes s te h e n : eigenen W illen. — D urch H ineinkom m en in diese S phäre en tste h t
— w en n m an w arten sollte auf die durch die M ajo rität g e­ sogar eine Süßigkeit d er B etrachtung: w o h er so n st die W issen ­
geben en O rd n u n g sg esetze, w ü rd e es m it dem 'kadeniischen G e ­ schaft? — A ber von N atur aus nicht.
m einw esen g a r schlecht b estellt sein : — also auch hier, wie es A u f l ö s u n g : Z w a n g ist die B edingung zur H ery o rb rin g u n g
bei der E rziehung und in allen Ständen ist, soll m an gehorchen der E insicht und zur A nnahm e d er Z ucht: — ist das M ittel,
o h n e Z eitverlust, und auf d er Stelle, — sodann freilich auch ein­ wie die E insicht der G em eine sich anknüpft an das Individuum ,
sehen, w enn die Z eit kom m t; denn dies m uß w ohl Aufschub und das Individuum aus einem bloßen N aturw esen in ein g eisti­
leiden. — D aß nichts verordnet w erde, w as nicht eingesehen ges verw andelt. D ieser Zustand d e r R uhe nun, in d e r die Be-
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leh ru n g ü b er das Leben an E rw achsene kom m en kann, ist der ist auch w ohl klar, ebenso, daß gleich g eteilt w erden solle, d. i.
innerliche F riede und R echtszustand; d e r Z w an g sstaat darum daß auf jeden für seine A rbeit gleichviel R uhe und G enuß, eig en t­
eigentlich die Schule für das Reich aus d e r Einsicht aller. lich F reiheit und M uße k om m e: aber w eichen P latz nun je d e r?
D afür g ib t es g a r keinen E ntscheidungsgrund. K om m t indessen
freilich nicht viel darauf an, so m uß doch jed er seinen gew issen
Die Lehre von E rrich tu n g eines R echtszustandes ist daher Platz haben, bei dem es bleibe: also E ntscheidung m uß sein,
klar, und o h n e alle S chw ierigkeit. Ä u ß e r e s R echt m uß u n b e ­ dam it gew isses Recht sei; — geschehe sie so g a r durch das Los.
d i n g t sein, von S tund an, als E iner es d e n k t; denn es ist die — A ber verschiedene S t ä n d e ! Z u w elchem soll jeder g eh ö re n ?
einzige W eise freier W esen d a zu sein (ihr N atur-, substantielles — D arüber n u r ein annäherndes, niem als ein dem onstratives U r­
u n d S e ih sg e se tz ."“N a t u r g e s e t z ; darum Z w ang). Z w in g h err kann teil m öglich. D ies alles n u r beispielshalber!
je d er seih, der es einsiehet, und es v erm ag: er verletzt dadurch A ber das E ntscheidende ist fo lg en d es: die fo rtzu erw ei­
W eder die ä u ß e r e F reiheit von irgendeinem , noch auch die tern d e H errsch aft ü b e r die .N atur, die das Recht aller ausm acht
i n n e r e ; w enn er n u r R echenschaft ablegen will, daß es das (daß sie näm lich in jedem Zeitabschnitte so frei seien, als sie
Recht sei, w ozu er zvvh.gt, und A nstalten trifft zur M öglichkeit in ihm sein k ö n n e n ); ü b er die ä u ß e r e N atur, V erbesserung;
dieser R echenschaft, durch' B ildung zur Einsicht in das Recht. — des A ckerbaues, d er K ünste und G ew erbe, stets ; im richtigen
Ein durch G o tt selb st in d er Stim m e des Sittengesetzes ein­ V erhältnisse zu ein an d er; ü b e r die i n n e r e , allgem eine Bildung
gesetzter E rzieher d er M enschheit; — göttlichen R echtes! des V erstandes und des W illens aller, — g e h t nach dem G e­
V oraussetzung h ierbei ist d ie ; daß d e r R echtsbegriff so klar setze, in einer steten Linie fo rt: jede Z eit h a t ihren P unkt, g e ­
sei, m it so ü b e rw ie g e n d e r E videnz sich als objektiv g ü ltig darstelle, geben durch den vorfindlichen Z ustand von E iner Seite, durch
daß d er U rh eb er es auf sein G ew issen nehm en, u n d fest ü b er­ die Idee von d e r anderen. — D ieser P u n k t ist das jedesm alige
zeu g t sein könne, d aß die E rziehung aller zur E insicht sie durchaus Recht, zu dem alle. z u .z w in g e n sin d : g e s e t z t m uß er schlecht­
auf denselben P u n k t führen w erde. hin w erden, und die K räfte aller dazu v e r e i n i g t ; denn cs soll
N u r innerhalb dieser V oraussetzung, u n d sow eit diese reicht, in diesem Felde fo rtg earb eitet w erden. — W er w ill diesen P unkt
gilt jen es R echt des Z w an g es. — W ie aber, w e n n d er Begriff nun m it dem onstrativer G ew ißheit bestim m en, es auf sein Ge- IV, 442
IV, 441 des R echtes nicht d u rch g än g ig so klar w äre, d aß d er Z w ingende w issen nehm en, daß er darin nicht irre, und daß die fort­
ds auf sein G ew issen n ehm en, u n d von der F ortbildung die gehende B ildung aller ihn rechtfertigen w erde, um darauf Z w ang
E insicht d er anderen sicher erw arten k ö n n te? — fürs R e c h t — nicht für sein i n d i v i d u e l l e s U rteil zu
W ie v erhält sich die S ache? — a) D as S ittengesetz ist u n ternehm en? D ennoch m uß es auch ü b e r diese P unkte der
schlechthin s e t z e n d etw as aus sich, z. B. die F reiheit aller. — angew endeten R echtsurteile eine E ntscheidung geben, u n d Z w ä n g
Dies ist klar. — b) D as S itten gesetz ist b e u r te ile n d ! , f o r t b e ­ dazu, d e r s c h l e c h t h i n A l l e u m f a ß t . — B eispiele: W er
s t i m m e n d einen in d er Sinnenw elt g eg eb en en Stoff. — D ieses soll entscheiden, ob die F reiheit d e r M eere die z u realisierende
U rteil kann o ft g a r nicht so unm ittelbar klar sein, sondern etw a A ufgabe der G eg en w art sei, w ofür alles Blut, L eben u n d R egung
n u r durch A n n äherung ins U nendliche zu finden. — So, in Rück­ aufgeopfert w erden m üsse, o d er die H eraufbildung d er niederen
sicht des ersten F a lle s : daß keiner den anderen durch positive Stände zu den h ö h ere n ? — W e r K rieg o d e r Frieden auf jene
T at hem m en, ihn an seinem Leibe antasten solle u. dgl., ist klar. V eranlassung hin ü b e r sich n eh m en ? — Jetzt ist die F ra g e : w er
A ber nun w eiter: ein E i g e n t u m f ür jeden, d, i. eine aüs- der Z w in g h err sein solle, g a r nicht m ehr so unb ed in g t zu b e a n t­
schließende Sphäre seines freien H andelns in d e r Sinnenw elt; dies w o rten : d e r e r s t e , d e r b e s t e , d e r es k a n n . — H ie r ist die
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F rage d iese: W e r u n t e r j e n e n U m s t ä n d e n Z w i n g h e r r , ,4. M an kann sich bei diesen U rteilen nicht auf das be­
F ü r s t s e i n a c h d e m R e c h te . Sie zu b eantw orten rüsten wir rufen, w orauf man bei den a b s o l u t e n Sätzen sich’ berufen kann,
uns. auf die notw endige B illigung durch die künftige allgem eine, durch
E rziehung des Volkes hervorzubringende Bildung. In jenem Falle
weiß m an, w eil es ein solcher Satz ist, w ie der gebildete V er­
Schärf den P u n k t d e r U ntersuchung bestim m t! D ies b e­
stand w ird urteilen m üssen; in diesem nicht, sondern dies w äre
trachtet, ist jen er nicht n u r Z w in g h err zum Rechte, sondern vor
von der F olgezeit zu erw arten.
allen D ingen dazu, d aß m an sein U rteil ü b e r R echt fü r gleich 1
A ber ich sage m eh r: — die B ildung der Folgezeit, sobald
m it dem objektiven R ech te g elten lasse. Er zw in g t sich ihnen
sie zur F ällung eines E ndurteils ü b e r eine in d e r G eg e n w a rt
auf, als letzte r u n d h ö ch ster E ntscheider ü b er die F ra g e : w as
genom m ene M aßregel gekom m en sein wird, wird dieselbe nie­
rsf das jedesm alige Recht, o h n e alle W iderrede. In dieser letzten
mals für die bestm ögliche erkennen, sondern eine noch bessere
Q u alität nun ist d er Z w än g bedenklich': davon den R echtstitel
finden. Dies d aru m : durcli jene M aßregel w ird selbst eine n e u e
aufzusuchen. — D ie fortsch reiten de B ildung w ird es b e stätig en ! —
B ildung gew onnen. D iese tritt m it hinein in die sp äte re Be­
W ie aber, w enn sie es nicht b e stä tig t? Um K larheit, nicht um
urteilung und w ird als vorhanden vorausgesetzt, da sie doch
Ü berraschung ist es m ir zu t u n : darum w ollen w ir jene F rage
d a d u r c h erst und s e i t d e m erst en tstan d en ist, und auch, w enn
tiefer b eg rü n d en d u rch eine R eihe von Sätzen.
m an die g eg en w ärtig e B em erkung gem acht hätte, nicht so g enau
1. D as G esam tleberi d e r M enschen (die durch die V ereini­
b ek an n t ist, daß sie abgezogen w erden könnte. So h a t die
g u n g un ter die E inheit einer R echtsverfassung ein Volk gew orden
N achw elt allem al ein reiferes U rteil, als die V orw elt, weil das
sind) ist ein fo rtg esetzter Kampf m it d e r N atu r um Freiheit,
O berh errschäff ü b e r dieselbe? ' ..... ~ durch die U nvollkom m enheit d er letzteren G elernte m it in die
B eurteilung tritt, u n d sie w ird der V orw elt, w enn sie sich, so wie
2. In jedem Z eitm om ente ist notw endig ein durch die V er­
sie ist, an ihre Stelle setzt, allemal unrecht tun. — N u r der fo r­
g an g e n h e it, b e d in g te r und g esetzter höchster P u n k t dieser O b er­
male, in der rein en W issenschaft aufgestellte Begriff ist e n d - IV, 444
herrsch aft m öglich: dieser ist das Recht aller und jedes ein-
IV, 403 zelnen, der ihn ein sieh et und d e r darum die K raft hat, ihn zu lie h 1, denn er ist d er Begriff eines G esetzes: die B eurteilung
des faktisch G eg ebenen aber ist unendlich'; denn sie g e h t einher
b eg eh ren .
3. D arum sin d zu dem , w as diesen P u n k t von ihrer Seite nach' dem in ihr selbst herrschenden, ew ig verborgen bleibenden
G esetze: quillt ew ig neu und frisch. Aus jedem P u n k t entw ickelt
b ed in g t, alle ohne A usnahm e zu zw ingen, im N am en des Rechts,
d a s T ^ e h ^ ^ s s p r i c h t ^ t m “jenem einzelnen (ob sie es nun d e r­ sich 1 ja durch H inzutritt des G esetzes die Ew igkeit, und so in
m alen einsehen o d e r nicht). Also nicht bloß U nterlassungen, jedem folgenden Z eitm om ente.
5. Es ist dies m it B edacht auseinandergesetzt w orden, indem
sondern auch L eistungen sind gefordert.
daraus eine w ichtige Folge h erv o rg e h t; — d iese : das bestim m te
Sow eit ist alles klar, und A nw endung d er früheren allge­
m einen G rundsätze. W ie e s aber zur A nw endung kom m t auf Recht der allgem einen F reiheit in einem g egebenen Zeitm om ente,
das den Kam pf um F reiheit am siegreichsten m achende, ist g ar
eine bestim m te A nsicht, also dabei, w as jetzt an d er Z eit sei:
nicht durch einen objektiv g ü ltigen B egriff anzugeben; denn dies
w e s s e n U rteil un ter den w idersprechenden U rteilen hierüber
w äre ein unendlicher; sondern n u r durch den, d er aus dem
soll d a gelten und die G erechtsam e des absoluten Rechtes
bis jetzt entw ickelten V ernunftgesetze hervorgeht. D ie M aßregel
haben? '
ist niem als die beste üb erh au p t, sondern n u r die beste für die
1 das Recht (?) — (Konjektur von J. H. Fichte). Z eit: diese kann nun nur derjenige angeben, d er den größten Ver-
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Äng^wendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 77

starid h a t in sein er Z eit und in seinem Volke. D er höchste V er­ ausgehe vöii einem einzigen selbständigen U rheber, der allein 1
stan d ab er ist derjenige, d e r das ew ige G esetz d e r Freiheit in An­ frei ist, u n d alle übrigen vorläufig zw ingt. '
w en d u n g auf s e in e .Z e it und sein Volk am richtigsten versteht, In dieser V oraussetzung m üßte es d ieser selbige sein, der
beides in seinem V erhältnisse am bestim m testen und reinsten schlechthin durch sich selbst sich setzte als jenen höchsten V er­
durchdringt. -— D aß er seine Z eit und sein V olk am besten ver­ stand, und auf diesen absoluten B eschluß ü b e r sich selbst g rü n ­
stehe, liegt darin. dete alles übrige, w as daraus folgt. — N icht aus d er Acht zu
D ie A ntw ort auf die F ra g e: W er h a t ein Recht O berherr lassen ist die E igentüm lichkeit dieses absoluten Beschlusses.
, zu sein, erg ib t sich 1 n ä h e r: D er höchste m enschliche V erstand, W enn von dem absoluten V ernunffsatze die Rede ist, daß ü b er­
1 und d a es diesen in keiner Z eit gibt, d er höchste m enschliche haupt Recht sein solle, und w as etw a durch b lo ß e Analyse aus
I V erstand seiner Z eit und seines Volkes. diesem Begriffe fo lg t: so w ird da g ar nicht g e re d e t von einem
6. Ist nun n u r dieser höchste V erstand gefunden, so ist w ieder M ä ß e des V erstandes, so n d ern nur, d a ß V erstand d a sei; es ist
alles äu fgenom m en in die e rste Klarheit. D em V erstände, sow eit ein objektiv g ü ltig e r Begriff, den jeder, dem in dieser Regio;n
er b is jetzt o ffen b art ist in d er W elt, zu gehorchen, ist jeder der V erstand aufgehen w ird, gerad e s o haben mu ß ; u n d w er
F r e i e v erb u n d en ; d en n er ist das G esetz d er Freiheit, und nur ihn nicht hat, dem ist aller V erstand in dieser R egion ohne
inw iefern er diesem folgt, ist jed er frei: es ist die .Bew eis­ w eiteres abzusprechen. D aß m an .V erstand hat, kann m an w issen,
fü h ru n g sein er F re ih e it: — ihm nicht folgend, ist er blinde und dies auf sein G ew issen nehm en: w er auch, d e r ist m it
N aturgew alt. uns übereinstim m end, und ihn trifft d er Z w ang n icht; w er nicht, IV, 446
Die Ä ußerung des U nverstandes in T a t innerhalb d er W elt, nach dem ist so lange nicht zu fragen, bis er V erstand beköm m t.
445 in d er auch nur E iner sich befin det, der es b e sse r versteht, und so, D arum hier — jed er d e r w ill!
daß diese Ä ußerung auf das H andeln dieses Einen einfließe, w as G anz anders da, w o die Rede ist von ein er B eurteilung des
niem als fehlen kann, w enn sie in derselben V olksw elt liegt, — G egebenen, die ein U nendliches ist; also allerdings von einem
ist geg en das R echt dieses Einen, u n d er h a t das vollkom m ene G rade und M aße. M öchte es da w ohl jem and ü ber sich nehm en £u
Recht, sie nicht zu leiden, falls er es verhindern kann — zu behaupten, daß sein Urteil b e sse r sei, als d as schlechthin aller
zw ingen, w enn er stark g e n u g dazu ist. Auch in A bsicht d e r übrigen, die er ja nicht kennt und gep rü ft hat, — und im m er
R echtsurteile steh t dem höchsten V erstände das Z w angsrecht zu, das b essere sein w erde in alter Z u k u n ft? — diese Ü berschw eng­
n eb st dem b ed in g en d en Rechte, als höchster inappellabler Ent- lichkeit seines V erstandes auf sein G ew issen nehm en, seine sitt­
scheider der F rag e vom jedesm aligen Rechte zu gelten. liche W ürde, seine Seele und Seligkeit darauf setzen, daß dies
Die E rziehung zur Einsicht, als die form ale B edingung der U rteil ü ber sich selbst untrüglich sei: verlangen, daß diesem
R echtm äßigkeit alles R echtszw anges w ird auch hier fortgehen, seinem W eltbesten schlechthin alles andere aufgeopfert, w erden
und einst die allgem eine E insicht begründen, daß, w enn auch m üsse, als dem allein H eilig en ? —
nicht das A llerbeste, denn doch ein die F reiheit F örderndes ver­ Es m öchte indessen jem and glauben, dies könne w ohl an-
o rd n et w urde. gehen, w enn ein durch E rziehung A usgebildeter trä te unter ein
7. Ist n u r eben dieser höchste V erstand gefunden — wirklich durchaus u ngebildetes Volk ohne alle E rziehung u n d U nter­
und in der T at, d. i. eine bestim m te, so und so heißende P erson w eisung; und dafür auch 1 Beispiele finden in d er alten G eschichte.
gefunden, die diesen höchsten V erstand h a t: so ist alles g e ­ Ich aber w ürde sag en : das E r s t e , ein Reich d e r G esetze ü b er­
hoben; U nsere V oraussetzung ist, daß die E rrichtung des R echts­ h au p t Und fo rm a lite r, innerer Friede, Sicherheit sind nur n e g a ­
zustandes überh au p t, m it Z w ang, w enn es • nicht an d ers geht, tive B estim m ungen: dam it soll zugleich verbunden sein eine Er-
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78 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 79

% e h u n g zur Einsicht. Ist diese geordnet, so darf durch positives sind die g ro ß en Überblicke aus höheren S tan d p u n k te n : h ie r ist
Z w ecksetzen d er F olgezeit nicht vorgegriffen w e rd e n ; diese, zur eine Stelle, w o ein solcher möglich äst.
Einsicht gekom m en, w ird sich selbst zu helfen w issen, die posi­ , 1. Z w e i W elten einander en tg eg en g esetzt: die des G e-
tive Z w ecksetzung tritt erst dann ein. — Dies also abgerechnet, gegj2h£i3L£,u, und dessen, w as da s e i n s o l l d u r c h F r e i h e i t . —
\ 4- w enn in einem Volke, w o ru n d um ihn herum E rziehung, ein In der e r s t e n : die Individuen m it ihrer persönlichen F reiheit und
\ o rg an isierter Staat, ein g eleh rtes Publikum w äre, einer hinträte, m it B ew uß tsein; sodann ein für je n e G e m e i n g ü l t i g e s , die
\ und jenes von sich b e h a u p te te : so zeigte er dadurch ohne Zw eifel, Sihhenw elt. (H ier ist der objektive, allgem eingültige V erstand eben
j daß er w eder einigen V erstand noch G ew issen habe. — d er ä u ß e r e S i n n ; er ist für jeden vorhanden; zugleich a ls s o l ­
ff, D er höchste V erstand kann also nicht dadurch 1 gefunden c h e n sich setzend. N iem als verw echselt m an die G eg en stän d e des
i w erden, daß irgendeiner, sich selbst als den Inhaber desselben äußeren und inneren Sinnes.) — In d er z w e i t e n: die i n d i-
\ festsetzte, — darum d er H errscher, inw iefern er dies sein m uß, v i d u e I 1 e Pflicht, die jed er nur für sich besitzt, deren e r allein
| kann er sich nicht selb st ernennen. D iesen negativen Satz fürs erste sich be.w ußt-ist: ebenso w ie keiner dem anderen ins H e r z sehen
haben w ir gew o n n en ! kann, so auch keiner darin für den an d eren urteilen. —
A ber w enn nur der M ensch ü b erh au p t zum V erstände darin
g eb ild et w ird, so stellt sich dieses ihm zuerst und gem eingültig
447 N icht bloße T h e s i s m ithin, sondern auch U rteil findet statt, für a l l e Freiheit, — die Freiheit als Eins g e fa ß t m it A bstraktion IV, 448
darüber, w as in dem K am pfe um F reiheit jedesm al d er P u n k t v o n jä e n individuellen iBestim m ungen — w as diese s o l l ü b er­
sei, d er das R echt eines jed en ist, — den auch vielleicht jem and haupt. — Dies is f min Tn seiner A usdehnung der R echtsbegriff:
erkennt und fo rd ert (w en ig sten s erkennen und fordern s o l l t e ) . zuerst die Thesis, lediglich n e g a t i v bestim m end, daß eben
— D araus der O b e r h e r r . — jedw eder fo rm a lite r frei sein soll, und w as nicht sein m üsse,
W e r nun soll ein solches U rteil fällen? — Es ist ein un­ w enn dies m öglich sein solle: — der leichteste Begriff u n ter
en dliches; d er höchste V erstand darum seiner Zeit und seines den sittlichen. — Sodann p o s i t i v , der G egenstand d er B eur­
V olkes. teilung ü ber die jedesm alige B estim m ung des M enschengeschlech­
W e r ist dies? Selber sich d afür zu erklären kann keinem tes, sonach ü ber ihre R echtsanforderung an die N atur, mithin
e rlau b t sein. W o h e r nun soll er k om m en? — G leichbedeutend an die sie hem m ende N atur der anderen Freien in ihrem U m ­
m it d er F ra g e : W er kann und soll O b erh err sein, w er ist d e r kreise. — D ieses letztere nun das, w ovon w ir re d e n : also d er
r e c h t m ä ß i g e O b e rh e rr? objektive, gem eingültige V erstand des O b e rh e rren ; der V erstand,
Es m üßte sich dies durch die Sache selbst finden. Die W ah r­ den alle haben sollen, und den der, w elcher ihn hat, nicht bloß
h eit m üßte erscheinen durch sich; — o h n e irgendeine W i l l k ü r für sich hat, und im eigenen N am en (wie den sittlichen der in d i­
— in un m ittelb arer D arstellung. viduellen Pflicht), sondern für alle mi t: dem auch niem als sein
W ie d ies? D er g e fo rd e rte V erstand — au ßerdem daß e r E ntsprechendes in der Sinnenw elt g eg eben w erden kann, bis
der höchste sein soll, w as lediglich die Q an tität angeht, m üßte ihn alle hab en ; da er ein G esetz au ssp rich t für die Einheit und
noch durch ein anderes qualitatives und W esensm erkm al sich organische V erbindung aller.
bestim m en lassen : — näm lich als V erstand des G e m e i n g ü l t i ­ 2. D iesen sittlich gem eingültigen V erstand könnte nun etw a
g e n , des G esetzes der Einheit. einer m it gute 7 n~T frund sich z i i s c h f e i b e n d i e s hilft aber
A n a l y s e : — zugleich Z u sam m enfassung u n d A ufstellung nichts, dadurch b leibt er in ihm. Ein Frem der kann eben so ­
des G egensatzes, die das G anze deutlicher m achen w ird. Dies w enig ihn einem anderen zuschreiben — a u ß er etw a durch will-
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80 Angewendetè Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 81

kürliche, auf G u td ü n k en g e g rü n d e te W ahl; sondern er m üßte sie kennt, und er ist ein L ehrer nur, in w ie fe rn ' er sie kennt. —
sich seih st u n m i t t e l b a r bew ähren durch "eine schöpferische, So w ie in dem Lichte sich die O b jek te darstellen, als b egrenztes,
alpen offenbare urict faktische, sinnliche G ew ißheit trag en d e T a t . gebrochenes Licht, so in dieser die Evidenz d er W ahrheiten, nach
D ann i s t er in Einem , denn er lebt in ihm als faktische E r­ dem G esetze; die O bjekte sind d a genetisch. Jn d e m er dies nun
scheinung. stets v o r h e r z i B ä f B h - W ^ f ß f ^ ^ f ^ ^ ^ a ß - er die O bjekte dieser
3. W eiches w äre diese E rscheinung? — A ntw o rt: W er an-, W elt kennt, und ihre E ntstehung, indem sie n u r genetisch g ek an n t
dere zu objektiver E rken n tn is zu brin g en verm ag, der besitzt w erden können. (E r kennt \ ihre G eburts- u n d E ntw ickelungs-
sie. W ie .aber, b ew eist er, daß es objektive E rkenntnis sei, daß geschichte, darum sie selbst.) — Er zeigt sich im B e s i t z e d e r­
er etw a nich t n u r seine In dividualität w ied erfin d e? A ntw o rt: selben, und ein Leben durch die K u n s t , ein schöpferisches und
W enn es. ihm bei m ehreren, u n d eigentlich Bei jedem gelingt, an sich verbreitendes Leben jen er W elt. (D ie Stockblinden, die die
dem er die P ro b e m acht. — D enn E rkenntnis entsteht durch eine g eistige W elt g a r nicht kennen, und ihr Elem ent, die K onstruktion,
sich o ffenbarende Evidenz nach einem G esetze, von w elcher d e r­ wie könnten diese L ehrer sein! G lieder in der T radition nur
jen ig e ergriffen w ird, d e r eine gew isse K onstruktion vollzieht. verm ögen sie zu sein. Von solchen aber reden w ir nicht.)
D ieses G esetz, sow ie das G esetz der K onstruktion, w elches die R e s u l t a t : N ur der L eh rer in dem beschriebenen Sinne zeigt IV, 450
449 E rsch ein u n g d e r ersteren b ed ingt, ist allem al gem eingültig. — durch die T at g em eingültigen V erstand; und au ß er diesem gib t
Indem nun ein solcher s a g t: K onstruiere auf diese W eise, so Cs durchaus kein an der es M ittel, k e in ' K riterium .
w irst du ergriffen w erd en von dieser E v i d e n z ; u n d Tndern es sich Soll darum in einem V olke ein rech tm äß ig er O berherr m öglich
dem , d er also tu t, b ew äh rt, so führt er durch diese seine K u n st sein, so m uß es in diesem V olke L e h re r geben, und n u r aus
den sichtlichen Bew eis, daß er gem eingültigen V erstand, und V er­ ihnen könnte d er O b erh err gew äh lt o der errichtet w erden. U nsere
stan d dieses V erstandes habe. *— O b diese m it W orten es ihm Sphäre ist bestim m ter: ein Stand ist uns angew iesen, d er sich
zu g esteh en o d e r n ic h t: die T at, ihres L eugnens W eise und V er­ selbst — nicht setzt, so n d ern m acht in der T at v o n G o t t e s
m ö g en vielleicht, zeigt es. Sie sind w eiter gekom m en; es hat sich G n a d e n . (D er einzige, d er w ahrhaft von G ottes G naden ist,
V erstandeskraft in ihnen entw ickelt. ist d er gem eingültige w issenschaftliche V erstand; und die ein ­
4. D iesen Bew eis fü h rt nun der L ehrer, d er es w i r k l i c h zige äu ß ere E rscheinu n g dieser B eg nadigung ist die T at des
ist, den gem ein g ü ltig en V erstand an d e re r w irklich entwickelt. w irklichen — m it E rfolge g ek rönten — Lehrens.) Die E rnennung
Sein P ro d u k t an an d eren is t. d er d arg eleg te Bew eis. Er selbst des Ö b erh errn ist ü b er alle m enschliche W illkür h inw eg w ieder
b ra u c h t nicht fü r sich zu zeugen (ohnerachtet er einm al m it d e r' dahin gew iesen, w ohin sie gehört, in den unerforschlichen R at­
inneren Ü b erzeu g u n g anfangen m u ß te); jenes zeugt fü r ih n : er schluß G o tte s : — und zw ar dies letztere w enigstens auf eine ver­
b ed arf nicht des Z eu gnisses an d erer m it dem M u n d e; ihr D asein ständliche W eise, d. i. indem m an siehet, daß d er V erstand da
z eu g t für ihn. E r h a t gem ein gültigen V erstand entw ickelt, der durchaus am E nde ist, u n d das ab so lu t faktisch G eg eb en e an ­
nun auch sich zeige in d er T at, durch neue H erv o rb rin g u n g en , geht, — D a w ollen die anderen es eben auch hineinverlegen:
nicht daß er bloß historisch G elerntes w e iterg ib t: — der K unst- : auf w elche unverständliche u n d u nverständige W eise, w erden wir
I 1er dieser E ntw icklung selbst, soviel an ihm liegt, K ünstler zu seiner Z eit sehen.
II m achend. - - W as in d e r S innenw elt das g egebene, allen gem ein- D as D asein eines Standes der L ehrer b e d in g t im F o rtg än g e
11 sam e Licht, dies in d e r hö h eren W elt der 1F reiheit (m erken Sie sich des R eiches das D asein einer rechtm äßigen O berherrschaft.
| I diesen Parallelism us, d er hohe K larheit g ib t) die g eistige K o n - A b er die rechtm äßige V ereinigung von M enschen zu einem
I1 s t r u k t i o n , eb en die genetische. D er L e h r e r zeigt, daß er Volke unter d e r H errsch aft des Reiches setzt, wie oben stren g
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82 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftsreiches. 83

erw iesen w o rd en , E rziehung zur E insicht des R echtes ü b erhaupt, Jetzt w eiter!
sonach einen Stand der L eh rer; so daß hier also unsere Lehre D er höchste g e m e i n g ü l t i g e V erstand soll h errschen: es
ineinandergreift. — W äre eine solche E rziehung und ein solcher kann ohnedies nicht die M einung sein, daß der ganze L eh rer­
S tand nicht da, so w äre die ganze O berherrschaft, so g a r ihrer stand, d er ja nicht die Einheit einer P erson hat, herrschen solle.
bloßen F orm nach, unrechtm äßig, und d er erste Schritt, den jene Ü ber ihn können n u r die urteilen, die ihn h ab en : w en darum
zu tu n hätte, w äre der, diese E rziehung zu organisieren (und diese (die L ehrer) für den H öchsten u n ter sich anerkennen, w em
dadurch fü r die A blösung des N otherrschers durch den einzig diese sich unterw erfen, der ist es. Er selbst hat zu dieser U n ter­
rech tm äß ig en zu so rg en ). ............. w erfu n g gew irk t n u r durch Tat, und diese hat er freiw illig g e ­
Die A ufgabe, das R echt im höheren Sinne, die Zeitbestim - leistet. D as U rteil jen er ist ab e r notw endig das U rteil d er G e­
m ung des V olkes, zu beurteilen, tritt, w ie oben erw iesen w orden, m eine: der L ehrstand hat also aus seiner M itte denjenigen zum
nur sp äter ein in die Zeit, nach d e r E rrichtung des allgem einen H errscher zu ernennen, der sich als den höchsten V erstand aus- IV, 452
F riedens durch das thetische Recht, für w elches allein w ir aller gesprochen hat durch die T at vor dem höchsten Richter.
IV, 451 E rziehung vorher den E rsten den Besten als einen N o therrscher O b dieser nun Eine physische P erson, oder, durch' eine
rech tm äß ig finden können. In d er Z w ischenzeit m uß ja, die K ollektivstim m e bestim m t, ein S enat sein solle, darüber will ich
G leichzeitigkeit d er E rrichtung d er E rziehung m it der des R echts­ nichts g esag t haben, sondern es unbestim m t lassen. D aß es
zw anges v orausgesetzt, w enn es nach dem Rechte sein soll, ein einen letzten E ntscheider g eb e in allen A ngelegenheiten des Volks,
L eh rerstan d sich g eb ild et und b ew äh rt haben. — W enn m an nun dessen Beschluß keine A ppellation leidet, und unm ittelbar ins
auch einräum t, daß, um das form ale Recht zu begreifen, nicht W erk g esetzt w erden m uß, tatb eg rü n d en d ist für alle, dies liegt
u l f v i e i g e h ö re ; so g e h ö rt dennoch dazu, um es zu lehren bis zu
im B egriffe: ob durch den Entschluß eines einzelnen, od er durch
■ |f e i n e r den W illen ergreifenden K larheit, eine U m sicht des ganzen Einstim m igkeit o der M ajorität m e h re re r — bleibt hier u n en t­
IfV e rn u n ftre ic h e s und d e r g eistigen W elt, weil es ja hierm it auf schieden. D er L ehrerstand eben m üßte auch dies entscheiden; die
d as innigste zu sam m en h än g t: und in dem ordentlichen L ehrer K onstitution, d. i. das R eichsgesetz, wie der absolut alle bindende
m uß ja diese A nsicht sich n o tw en d ig entw ickeln, es m uß sonach Entschluß zustande kom m en solle, bestim m en, — w elches G esetz
— w as zu erw eisen w ar — g e rad e ein solcher L ehrerstand sich ja selbst nur ein zeitliches und abzuänderndes sein könnte. — D ies
entw ickeln. unbesch ad et; denn der unsterbliche G esetzg eb er dafür in diesem
D ie R echtm äßigkeit des H errschers in der A usbildung des Volke, d er Stand der L ehrer, ist gefunden.
Reiches setzt voraus einen L ehrerstand, Die erste E rrichtung H ierüber n u r so viel. D er praktische U nterricht könnte h ier­
des R eiches ab e r fo rd ert schon als B edingung ihrer eigenen bei, als bis w iew eit er stre n g dem onstrativ ist, stehen bleiben.
R echtm äßigkeit die E rrichtung eines solchen. D em nach; 1. U nter­ Der Stand der L ehrer hat den O berherrn aus sich zu ern en n en ;
jo ch u n g d er N atu rk raft in ihren Ä ußerungen unter das form ale das G esetz aber kann nie bestim m en, ob einen einzelnen oder
R echt; 2. B ild u n g zur E insicht in die R echtm äßigkeit des Zw anges, m ehrere. D ieses letztere m uß ja g roßenteils eine Sache d er Be­
und zu dem d arau s folg en d en g u ten W illen. Endlich K on­ urteilung sein. W elcher L ehrer in ein er solchen Zeit, die ge-
stitu ieru n g des w ah ren O b erh errn aus dem L ehrerstaiide an die ständlich nicht reif ist zur A usführung, — ein solcher bin ich hier,
— m öchte denn nun in diesem U rteile vorgreifen dem Stande
Stelle des N o therrschers. "V.
Soviel zur inneren B efestigung des L e h rg e b ä u d es: — Alles folgt aller L ehrer der Zeit, die da reif sein w ird, denen er ja ohne
aus dem zu A nfänge auf gestellten G egensätze, und ist n u r die E nt­ die blindeste V erstocktheit einen viel um fassenderen V erstand zu­
w ickelung desselben und seines vereinigenden P unktes, des Reiches. schreiben m uß, da sie auf seine G rundsätze aufgebaut, und die-
F i c l i t e , Di e S ta a tsle h r e . 6 499
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Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 85

selben in einer reicheren A nw endung in den Folgezeiten ent­ selben. D ies nachkom m ende E inteilungen: jene erste aber in die
w ickelt haben w e rd e n : — w er m öchte da vorgreifen, und das Z w eiheit bleibt die ursprüngliche u n d G rundeinteilung. — b) W o ­
G esetz g eb en w ollen! — W ir haben von den ältesten Z eiten an durch soll nun diese G rundeinteilung bestim m t w e rd e n ? Z u ­
i bis auf die u nsrigen eine M enge ein g eb ild eter R epubliken auf­ vörderst — w ollen w ir annehm en, daß die Individuen gleich als
gestellt erhalten. Dies w ar leicht, w o alles auf der W illkür b e ­ verschiedene geb o ren w erden, auf eine von uns zu erkennende,
ruhte, die ein u n b eg ren ztes Feld d e r E rdichtung darbietet. W ir durchaus aber nicht verständliche W eise; daß, wie Plato sich aus­
haben durch ein V ernunftgesetz die W illkür abgeschnitten und drückt, einige G eschlechter nun einm al goldene sind, andere sit- IV,
den Stand erw iesen, d e r sie auf ew ig e Z eiten abschneiden soll; berne oder eherne, — einen G eb urtsadel solcher, die durch die
IV, 453 w ie kö n n ten denn w ir, auf ehrliche W eise verfahrend, jene Bilder G eburt v erständiger sind? (Sie b ehaupten es nicht, w ir ab er in
verm ehren w o llen ? D am it es jedoch nicht scheine, als ob ich diese unserem System e m üßten es.) W elch tiefer und g ro b e r U nver­
U n tersu ch u n g scheue u n d ih r ausw eiche, und Ih nen das Beispiel stand dies sei, an einer anderen Stelle! In d er W ahrheit verhält
eines solchen A usw eichens gebe, — besonders, weil dies zu einer sich die Sache also: Die Individuen in solcher Anzahl w erden
vollständigen B elehrung ü b e r jenen G egenstand geh ö rt, will ich, g e g e b e n ; dies bleibt rein faktisch, dem Begriffe u n d urchdring­
w as zur B eurteilung solcher F ragen ü b er K onstitution, als P rä ­ lich. D a aber g eh t der V erstand a n : g eg eb en in diesem Z usam ­
m isse dieser B eurteilung, g em eingültig sich dartun läßt, tiefer m enhänge dem Volke als seine M itglieder; nicht erkennbar, a u ß er
unten beib rin g en . s üb erh au p t als freie, Rechte habende, und darin schlechthin alle
Jetzt is t die einzig rech tm äßige O berherrschaft des Lehr- gleich, ohne irgendeine A usnahm e und irgendeinen U nterschied,
stan d es ausführlicher von uns auseinanderzusetzen, und zu zeigen, der auf ihre A bstam m ung g e g rü n d e t w äre. Die V erschiedenheit |
w as in diesem Begriffe eigentlich liegt. durch die G eburt, falls es eine solche gibt, faktisch zu erkennen, >
D er L ehrerstand in seiner eigenen V ereinigung zur org an i­ ist von nun an Sache des urteilenden V erstandes; dieser U nter- j
schen Einheit, falls eine solche sich realisieren läßt, regiert m it schied ab er kann erk an n t w erden nur an den verschiedenen Ver- I
R echt den zw eiten S tan d ; denn dieser ist durchaus sein P rodukt, hältnissen derselben zu der gleichen, an ,alle g ew endeten Bil- |
das je n e r darum in n ig kennt, w eiß, w as es bedarf, w as es er­ dung. — Die erste E rfordernis sonach w äre, daß alle aufgenom - '
langen kann, und w ozu es tü ch tig ist. — D en zw eiten S tan d : zwei men w ürden in die gleiche, allen gem einschaftliche Erziehung.'
G ru n d stän d e näm lich, w ie oben E igentüm er und N ichteigentüm er, D iese m üßte erteilen diejenige B ildung, deren jed er schlechthin
so hier L ehrer und d u rch L ehrer G ebildete. bedarf, d er B ürger dieses Reiches, in dieser Zeit und auf dieser
D er zw eite des ersten P r o d u k t : 1. d a r i n , d a ß e r ü b e r ­ Stufe der A usbildung des Reiches, sein soll. A llgem eine V olks-
h a u p t i s t ; er ist Stifter d e r T e ilu n g ; sodann der, w elcher jede erziehung. In dieser E rziehung w ird es sich nun ohne Zw eifel
einzelne P erso n in den einen von beiden setzt. — Lassen Sie zeigen, w elche Individuen bei diesem U nterrichte, d er doch nur
sich dies entstehen. Es ist darin näm lich m ancherlei enthalten, die R esultate und letzten allgem einsten F olgerungen enthalten
w as Ihnen kaum b ek an n t ist, a b e r unm ittelbar daraus folgt. — kann aus d er tieferen und um fassenden V erstandeseinsicht, die da
So ohne Z w eifel en tsteh t die G rundbildüng des R eichs; a) Bei m öglich ist, und den L ehrern auch wirklich beiw ohnt, mit jenen
d ieser A nzahl von B ü rg ern bedarf es d ieser bestim m ten, durch sich beg n ü g en , und welche dam it sich nicht b eg nügen, sondern
R echnung festzustellenden Anzahl zur R egierung, V erw altung, höher auf steigen zur A hnung der höheren G ründe, und diese for­
Lehre — zu verteilen in die verschiedenen Z w eige, Stufen u n d dern. H ierdurch scheiden sich die Z öglinge d er gem einsam en
G eschäfte; die ü b rig b leib en d en m achen d en arbeitenden Stand Bildung selbst; durch ihre ursprüngliche Bestim m ung. H ier en t­
aus, und w erden verteilt u n te r die verschiedenen Klassen des- scheidet sich, w er edler o der unedler geb o ren ist, durch eine offen-
500 501 .
86 Angewendete Philosophie.
Von der Errichtung des Vernunftreiches. 87
bare T atsache, w elche d e r S tand der L ehrer nicht m acht (alle
2. D er zw e ite S ta n d ist f e rn e r P r o d u k t des e r s t e n
hab en ja dieselbe Schule erhalten), sondern die er n u r anerk en n t
darin, daß er un d das g a n z e Reich ü b e r h a u p t — ein
u n d 'n im m t, wie sie sich gibt.
s o l c h e r i s t . — Z u v ö rd erst: die L ehrer kennen die B ildung des
D ie ersteren fallen dem zw eiten Stande anheim , und w erden
zw eiten Standes durchaus, indem dieselbe ganz so, w ie sie ist, IV,
455 nun zu den G eschicklichkeiten desselben g eb ild et; w o dann die"-
von ihnen ausgeht. (D aß es für das Volk andere Q uellen d e r
besondere T auglichkeit fü r diese o der jene Klasse sich ergeben
Bildung gebe, als ihre Schule, etw a Bücher, U m gang mit anderen
, w ird. Die letzteren w erden w eiter fü r V erstandeserkenntnis aus­
aus anderen und besseren Schulen, Ü berlieferung, wie es w ohl
g eb ild et; in w eicher F o rtb ild u n g es sich dann n äh er zeigen wird,
häufig in unseren Zeiten d er Fall sein mag, w äre ihnen die
w elche u n terg eo rd n ete o d er hervorragende Stelle sie durch die
höchste Schmach. In ihrer Schule m uß ja w ohnen alle Bil­
zu erschw ingende G eistesbildung zu besetzen haben w erden. Auch
dung, deren in dieser Z eit das Volk fähig ist.) Allgemeine/
über die nachm aligen, auf die erste G rundeinteilung g eg rü n d eten
V erstandeserkenntnis von Recht, Sittlichkeit, Religion, um den
A bteilungen in K lassen w erd en die L ehrer zu entscheiden haben;
f r e i e n M enschen au szustatten: technische F ertigkeit u n d die zur
und so ist denn klar, w ie ich b ehauptete, daß d er zw eite Stand
A usübung derselben gehörigen M asse von N aturkenntnissen, daß
auch seinem D asein nach P ro d u k t des L ehrerstandes ist, indem
jed er seinen Platz als B ürger behaupten könne. Sie durchschauen
die ganze E inteilung in Stände und Klassen, u n d zu w elchem d e r­
darum , .als ihr P rodukt, die gesam te L ebenskraft ihres V o lk es; —
selben jedes Individuum für seine P erson gehöre, ganz allein
und g en au den G r e n z p u n k t , w o diese steh t; was sie ver­
b eru h t auf d er letzten und inappellablen E ntscheidung des
m ag Und w as sie nicht verm ag, kurz die W i r k l i c h k e i t . — In
L ehrerstandes, w elche dieser, daß sie nämlich nach seinem besten
d er L ehrerschule, die dieser Stand ja gleichfalls übersieht, w ird
.Wissen und G ew issen gem ach t sei, freilich auf sein G ew issen
nun w eiter entw ickelt das G e s e t z , das Ziel. Je klarer nun dies,
nehm en m uß.
desto sicherer findet er den Punkt, d er nun betreten w erden
(D ie im U nterrichte gezeigte ang eb o ren e V erstandesanlage be­
m uß, und hat es in der H and, dahin zu erziehen; weiß, w as
stim m t die Stelle, die jeder im Reiche einnim m t: j e d w e d e ohne
schlechthin und mit jed er G efahr a b g ew eh rt w erden m uß, und das,
A usnahm e, [nicht bloß die O berstelle. D er Sohn des N iedrigsten
w om it es noch Z eit hat.
kann zu r h ö chsten, d er Sohn des H öchsten zur niedrigsten Stelle
Kurz: das Z eitleben und seine Kraft kann g a r nicht ein
kom m en: näm lich die G eb u rt verhindert es nicht. — Eine solche
anderes sein, als wie sie es ierkennen; denn sie haben es ja
E inrichtung m üßte so g a r denen, die durch ihre A bstam m ung
g e m a c h t : sie haben kein anderes E rkenntnism edium nötig, als
edler zu sein beh au p ten , höchst w ünschensw ert sein. W ie e d l e r e n
das ihrer Schule. — Vielleicht hätten sie etw as B esseres m achen
S tan d es? D ies können sie im m er n u r sagen, niem als bew eisen,
können, u n d dies könnte der Irrtum s e in : aber ü ber die W irk­
w eil sie ;in der B ildung m it anderen nie auf gleichen F uß g e ­
lichkeit ist keiner möglich.
setzt w e rd e n ; u n d dies m üßte ihnen, w enn sie w irklich E hrgefühl
Ebenso können sie nie einen unm öglichen und unpassenden
haben, se h r lästig sein. D iese E inrichtung eröffnet ihnen den
F ortschritt fo rd ern ; denn dazu haben sie ja zu erziehen. Ist
B ew eis: ist ihre A der w irklich golden, so w ird sie ja ohne Fehl
das G eforderte unpassend, so m üßte diese U npäßlichkeit sich
so sich zeigen, und sie w erden im unendlichen A blaufe der
schon in der Schule zeigen, ehe sie noch vom Leben g efo rd e rt
Z eiten den Adel ihres Stam m es nie verlieren. — Statt den Adel
w erden k ö n n te ; und sie hätten da Zeit, den F ehler durch Ein­
abzuschaffen, eine rechte A delsbew ährung durch die T at. —
schaltung des ü b ersp rungenen M ittelgliedes zu verbessern.
W ollten sie dies nicht, so w ürden sie zeigen, daß sie ihrer Sache
Das Volk (der R epräsentant des M enschengeschlechts in
nicht sicher seien.) ,
diesem R aum e) ist und bleibt ew ig fort in seiner E ntw ickelung
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503
Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 89
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Effekt d esjenigen V erstandes, der sich in d e r T a t als d er höchste W a h l ; — f r e i e W ahl, hier W illkür. — Auch solche, die so g a r
IV, 457 S e w a ^ J ä t U “ unc* w enn diese E ntw ickelung, sow eit sie kann, einen höchsten Entscheider, ein letztes Prinzip ü b e rh au p t le u g ­
em fiergehen soll nach einem Begriffe, nicht ab e r nach einem blin­ nen, und dies auf einer W e c h s e l w i r k u n g beruhen lassen IV, 458
den O hng efäh r, das d e r U nverstand und d e r G ötzenaberglaube w ollen: die französischen R evolutionisten. Letztere A nsicht n u r
so d an n göttliche V o rseh u n g nennt, s o l l es so sein; und so ist in einer V erstandesverw irrung m öglich. — Nach' uns w ird d e r
denn unsere A bleitung des rechtm äßigen O b erh errn die einzig O b erh err d urch d a s G ^ t z d e r G e i s t e ^ sicht­
richtige. 1 lich und offenkundig;' u n d den Akt dieser E rnennung, das, w o ­
durch sie sich unm ittelbar ausspricht, haben w ir angezeigt. D aß
nun dieses jem and vor uns getan, w üßten w ir nicht. U nd so
O b dies R echt nun, falls es Recht ist u n d ich Sie davon w äre es denn freilich bis jetzt unbekannt gew esen.
ü b erzeu g t habe, g e g e n w ä rtig gelte, od er nicht, bedarf w ohl keiner P lato : die K önige P hilosophen, — o der die P hilosophen |)
F ra g e : es k a n n nicht, w eil es noch ganz u n b ekannt ist. — Es K önige: ein w itziger Einfall! Vom K önige ausgehend, d er darum r
frag t sich so g ar, ob das von uns soeben E rw iesene nicht durch­ durch etw as anderes schon bestim m t ist; — o der vom Philo- p
aus n eu sei, u n d vorher noch nicht au sg esp ro ch en (so w enigstens, sophen, nicht durch sein H errschertum und S chöpferrecht im ’
daß es n ich t in d er allgem einen, sonst g eleh rten K enntnis liegt). Reiche d er G eister. W er ist d enn d er P hilo so p h ? IsFs g en u g ,
— Z u r F assu n g desselb en nach seiner W ichtigkeit setzen w ir daß er es sage ? D a w erden sich viel K önige fin d e n ! D er P rophet,
h in zu : a) M uß ü b e r Sachen des Rechts eine E ntscheidung irgend der in die W elt kom m en soll, — w elch Zeichen und W u n d e r
einm al in delTZeit durch irgendeine m enschliche Stim m e g e g eb en w ird er tu n ? D aß er die T o t e n lebendig m ache; belebende
w e rd e n : so g ilt diese für das R echt selbst und dem selben g l e i c h ­ Kraft von ihm ausgehe.
b e d e u t e n d , im L eben näm lich, und für die W irklichkeit, die
sich in d er Z eit entschließen mu ß ; — obw ohl in d er idealen W elt,
die sich alle Z eit v orbehält, die Sache zur w eiteren U ntersuchung U nsere Frage ü ber das R echt ist eine eigentlich ta tb e g rü n ­
aufbeh alten w erd en darf. — W er dies nicht einsieht, d er h at dende, unm ittelbar freilich bloß deliberative; beachtend das
das R echt nie als praktisches gedacht, als w ahrhaften A nfänger, G esetz, und dasselbe anw endend auf den g e g e n w ä rtig g e ­
u n m ittelb ar tatb eg rü n d en d , sondern nur davon geträum t. " Ein geben en Z ustand der D in g e: sie m uß darum diesen gleichfalls
M e n s c h muß r e d e n ; G o tt selbst steig t nicht zur E ntscheidung beachten.
he ra b ! Den ersten Teil haben w ir abgehandelt, enthaltend, w ie es
b ) D ie A ufgabe, w enn auch nicht das absolute, doch aber sein s o l l : d i e s e s d er H errsch er! W as hierüber noch zu b e ­
das diesem am m eisten sich annähernde Recht zu realisieren, denken, w ird sich finden.
h ä n g t darum ab von d er E r n e n n u n g dieses entscheidenden Je tz t: w ie i s t e s? U nd um dieses recht einzusehen, fassen
M e n sc h e n ,,/.- W as sie darum disputieren m ochten ins Blaue hin, w ir es g en etisch : w ie ist es so g e w o rd e n : um einzusehen, daß
es hilft uns alles n ic h ts: n u r an diesem P unkte ist die R echts­ es nicht w ohl anders sein kann, und zugleich, bei welchem Zwi-
lehre w ah rh aft p rak tisch ?" schengliede die E inw irkung unm ittelbar beginnen m üsse. Also
c) W a s nun sagen sie d a rü b e r? — E n tw ed er E r b e : — w as eine g e s c h i c h t l i c h e A ufgabe!
von der V oraussetzung, daß d e r h ö c h s t r W m i a n d “ forteffie, zu W ir bekennen im voraus, daß auch hier u nsere A nsichten
halten sei, bed arf w ohl k ein er ernsthaften P rüfung. Ich w ü ß te sich 1 seh r abw eichend finden w erden von den g ew öhnlichen; d a ­
auch nicht, daß sie irgend jem and vorgebracht hätte. ~ _ Q d e r ^ her w ir sie nicht als bekannt voraussetzen können, so n dern sie
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90 Aftgewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 91

b eg rü n d en m üssen. — D ies d a h e r: ein besonderes Geschicht- ich darf w ohl als ein B ekanntes oder leicht A nzuerkennendes IV, 460
IV, 459 liehe, ist verständlich n u r durch G eschichte ü b erh a u p t; diese voraussetzen, daß die eigentliche, die M enschheitsgeschichte es
w iederum nur verständlich durch ihren G egensatz, das G esetz­ nicht zu tun habe w ed er m it dem G eg ebenen erster Art (A uf­
liche, stren g w issenschaftlich zu Erkennende. Solch eine A b­ fassung Und V erzeichnung desselben, N aturgeschichte od er auch'
leitung derselben aus dem G esam ten der E rkenntnis heraus flieht Lehre), noch m it der V erm eidung, w elche Individuen g eleb t haben
m an gew öhnlich, w ill das G eschichtliche zu einem A bsoluten od er leben, w as nichts bedeutete, — noch auch m it den P ro ­
für sich 1 m a c h e n ; w eist jene durch Strafreden zurück, indem m an dukten e i g e n t l i c h e r Freiheit u n d d er G eschichte d ieser: w en ig ­
selb st auf einen historischen Sinn und T akt sich beruft — ein stens die bisherige G eschichte hätte dam it nichts zu tun, indem
U nverstandenes und U nverständliches, — und will dem V er­ mit eigentlicher Freiheit ü b erh au p t noch gar w enig geschehen
stän d e eben schlechthin nicht R ede stehen. Jenen T akt nun w ollen ist. — Ihr Stoff darum läge in der M itte zw ischen dem absolut
w ir w ied eru m nicht, so n d ern verw erfen ihn geradezu, indem w ir G egebenen und dem P rodukte absoluter Freiheit, ein V ereini­
m ehr b e g e h re n : klare Einsicht. gun g sg lied etw a d er beiden. (Es ist für w issenschaftliche Forschung
A lso: w as ist G e s c h i c h t e ü b e r h a u p t ? — W ir heben an durch die g e n a u e A ngabe des O rtes derselben in unserem ganzen
von dem B ekanntesten und A llgem einsten. Zusam m enhänge sehr viel gew onnen.)
Sie liefert ein G e g e b e n e s , als zufällig, d . h . als auf kein
G esetz sich g rü n d en d , nicht a p rio ri zu erkennen. — W elches
ist dieses? W o h e r kom m t dasselbe — in dem ganzen Z usam m en­
Deduktion des G egenstandes der Menschengeschichte.
hän g e u n serer anfangs aufgestellten G rundansicht, auf die ich
stets mich beziehe, die Sie g eg en w ärtig haben m üssen, und die B ahnen w ir uns dazu den W eg, u n d leiten uns ein durch
jetzt erw eitert w erd en soll. strlenge S cheidung u n serer Lehre von der Freiheit von dem
' D ie w ah rh afte W elt oder Existenz a u ß er G ott ist nur zu philosophischen System e, das D e t e r m i n i s m u s g e n an n t wird.
erzeugen durch F reih eit; sie i s t nicht, sondern soll w e r d e n : — Nach' dem letzteren ist n u r ein System der g e g e b e n e n
—,'ab er s i c h t b a r w erden. Dies setzt ein S e i e n d e s , im G eg en ­ D i n g e , die Iche, als solche D inge, m it eingeschlossen, —, eben
sätze m it w elchem sie w i r d , und als dessen ew ige F o rtbestim ­ N atur. Alles Sein in sich geschlossen und bestim m t nach einem
m ung sie w ird, die Sinnenw elt, die bloße N atur. D ieses ist, strengen G esetze. D ie körperlichen Dinge, zuvörderst un terein ­
wie es eben ist, so u n d so g e g e b e n ; o h n erachtet aus dem an­ ander in W echselw irkung stehend nach jenem G esetze, sind w ie­
gefü h rten G runde der Sichtbarkeit^es n o t v v e n d i g ist, d a ß ü b er­ derum zugleich die ab so lu t durch dasselbe G esetz bestim m ten
h au p t ein solches g eg eb en sei. —5 F erner ist die Freiheit, auch G ründe der V orstellungen in den Ichen, und diese V orstellungen
dem G esetze d er S ichtbarkeit zufolge, welches sich aber nicht w ieder G ründe ihrer H andlungen auf dieselbe stren g n o tw en d ig e
m it so kurzen W orten , sond ern n u r in seinem Z usam m enhänge W eise. Die m aterielle W elt w irkt durch' diesen U m w eg auf sich
aufstellen läßt, g espalten in eine Sum m e von Freien — Individuen zurück. — U nd so ist darum alles ohne A usnahm e schlechthin
g en an n t. D iese S paltung, ü b erh au p t notw endig, ist dennoch in notw endiges R esultat der W echselw irkung aller. — A ber nicht
ih re r B esonderheit, — wie viele es sind, und in w elcher Reihe alle V orstellungen w erden w ieder w irk e n d — W eil ihre tatbestim ­
und O rd n u n g , — gleichfalls ein G e g e b e n e s . m ende K raft noch nicht vollendet ist, andere noch dazu kom m en IV, 461
D iese b eid en H aup tstü ck e w ären nach' u n serer bisherigen m üssen; also nicht unm ittelbar. M ittelbar ab e r allerdings: keine
A nsicht das G egeb en e alles. D as übrige insgesam t w äre von der V orstellung, die nicht irgend einm al w ieder w irksam w ürde, und
g eg eb en en F reiheit aus zu erzeugen. so durch’ ihren Erfolg im ganzen w iederum V orstellungen be-
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92 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 93

w irkte, diese w ied er W irksam keit auf die M aterie gew önne, und aus nicht beg rü n d et. W ozu es der R egung ein er m enschlichen
so ins u nendliche fo rt nach dem G esetze. — E i n e gesetzliche H an d bedü rfte, das g e h ö rt durchaus nicht in jene Sphäre, sondern
Kraft, die in dem All stets so w irken m uß, w ie sie w irk t; — in diese; denn die N atur verm ag zw ar w ohl eine m enschliche
G ru n d c h a ra k ter: ein schlechthin so, w ie es ist, einm al fü r im m er H an d hervorzubringei^ (der S trenge nach in ihrem W esen, w ie
g e g eb en es Sein, das da i s t , nicht w i r d . w ir es b isher begriffen, nicht einm al dies, w ie w ir an einer
In dem Begriffe des Seins haben jene ganz recht; d arüber ändern Stelle sehen w e rd e n : hier jedoch schenken w ir d ies);
w ollen w ir sie ja nicht bestreiten. (Es ist der absolute V er­ aber sie verm ag dieselbe nicht in B ew egung zu setzen. (Ü ber­
standesbegriff.) N u r daß sie in ihrer inneren Blindheit nicht h au p t denken Sie sich als jene K raft den zur freien und zw eck­
m erken, daß dies ja ein angeschautes Sein, m ithin nicht das m äßigen B ew egung organisierten m enschlichen Leib.)
absolute, sond ern das sichtlich, w enn sie sich n u r besinnen, der Die N atur g ib t sich ihren H errn von d er einen S eite; von
A nschauung en tquellende ist, und daß bei dieser E ntdeckung ihr der anderen, d er H err, die Freiheit, b rin g t ihr W erkzeug und ihren
P hilosophieren, das sie vor derselben geschlossen, erst angehen Stoff m it sich. — D araus die S phäre d er F reiheitsprodukte, als
w erd e m it d er F ra g e ; w as denn nun die A nschauung sei, von eines m öglicherw eise und unter einer gew issen B edingung G e ­
deren B ean tw o rtu n g ab h än g t, w as dieses derselben entquellende g eb enen ; diese sind für die A nschauung ein Zufälliges, also
Sein se i? eben zur G eschichte, als ein er D arstellung des also G egebenen,
N ach uns, die dieses beachten, en d et die b l o ß e N atur — sich qualifizierend.
das B egriffene, nicht B egreifende, A ngeschaute, nicht A nschauende N u n ist schon oben b em erk t: diese F reiheitsprodukte sollen
— und ist ab g eschlossen in einer letzten Kraft, die durch sie aus deutlicher Einsicht, die bis auf das sittliche G esetz zurück­
und nach ihrem G esetze g a r nicht m ehr zu bew egen ist, so n ­ gefü h rt ist, h erv o rg eh en ; u n d so die ganze W elt d er F reiheits­
d ern n u r durch die ü b e r alle N atur hinausliegende K raft d e r schöpfungen oh n e alle A usnahm e. — So s o l l es sein, so w ird es
Freiheit. — j ^ u r j i s t T o d u n d R u h e : die F reiheit erst auch einst sein, w enn die Freiheitsw elt in allen ihren Individuen
m uß sie w ied er beleben und a n re g en ; hach einem B egriffe: u n d vollständig g eg eb en , und die F reiheit durchaus frei, d. i. vom
d l ^ i s F eben der C h arak ter der freien Kraft, daß sie nur nach klaren Begriffe durch d ru n g en sein w ird : aber so ist es derm alen
einem Begriffe b e w e g t w erden kann. — W ir vereinigen die beiden nicht. D as M eiste kom m t zustande ohne diese Z urückführung auf
W elten (jene hab en n u r Eine) durch ein M i t t e l g l i e d : die f r e i e das sittliche G esetz, nur nach einem von ungefähr aufgerafften
K r a f t , — N atur, indem sie i n T l t u s a m n ^ Begriffe; die A ussonderung d e r beiden B estandteile, falls es ja
"geH erTist, ab er r u h e n d u n d t o t ; als Ü bernatürliches, indem etw as vorn ersten gäbe, w ü rd e schw er sein, oder unm öglich, und
sie b eleb t w ird durch die F reiheit nach einem Begriffe. Die so m öchte es nach diesem M aßstabe kaum eine G eschichte geben.
M asse liefert die N atur, das b ew eg en d e Prinzip der G eist. (Es So darum steh t die Sache: Bei w eitem das m eiste d er etw a
ist dies g a r nicht w u n d e rb a r und unverständlich, w enn man sich in einem Z eiträum e d er A nschauung vorliegenden F reih eitsp ro ­
erinnert, daß diese M asse ja n u r die Sichtbarkeit, die bildliche dukte ist zustande gekom m en nicht nach dem deutlichen Be- IV, 463
D arstellung d es g eistig en Prinzips innerhalb d er A nschauung sei — griffe vom sittlichen G esetze, also nicht nach diesem G esetze;
462 u n d m it ihr die g esam te N atur dasselbe.) — W ir erhalten sonach, ebensow enig aber ist e s zustande gekom m en durch das N a tu r­
w orauf es ankom m t, a u ß er dem in d er N atur G egebenen, in gesetz, indem dieses geschlossen ist vor dessen E rzeugung, u n d
dem m öglicherw eise G eg eb enen auch noch eine W elt der Frei- es zu stan d e gekom m en ist durch Freiheit. — D a es nun a u ß e r
heitsp ro d u k te, auf g etrag en durch absolute Freiheit auf die erste, diesen beiden keine G esetzgebung gibt, erfolgen sie ganz g e s e t z ­
in dieser aber, die m it jen er toten Kraft geschlossen w ar, durch- l o s , von ohngefähr. Dies nun eigentlich und notorisch d e r G egen-
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Von der Errichtung des Vernunftreiches. 95
94 Angewendete Philosophie.

A ber — ich darf m ir erlauben, hier historisch anzuknüpfen,


sta n d der bisherigen M en sch engeschichte: Ä ußerung d e r Freiheit,
und auf die g em e in e M einung mich beziehend, indem ich diese
darum nicht d e r N atu r, aber nicht aus dem sittlichen G esetze zu e r­
M einung nachher streng w issenschaftlich z u /p rü fe n gedenke, — )
k lären ; — die freien, w illkürlichen, gesetzlosen H andlungen der
m an scheint außer dieser negativen noch eiine g an z andere b e­
M en sch en : — n u r nicht in dem Sinne, daß sie willkürlich und
jahende und setzende B eziehung des sittlichen G esetzes auf diese
gesetzlos nach einem b ew u ß ten Begriffe handeln w ollen, sondern
blindfreien E ntschließungen'M er M enschen zu verlangen, zufolge
daß es ihnen eben so sich begeben, weil ihr V erstand und ihr
w elcher durch diese E reignisse die sittliche Freiheit gew eckt,
deutlicher Begriff nicht w eiter g eg an g en . — M ehr unerklärliche
befö rd ert und gebildet w erd en so ll: — also — das M ittel für
und auf kein G esetz zurückzuführende B egebenheiten an der F rei­
einen Zweck, ohne daß sie jedoch den freien U rheber also
heit, als H an d lu n g en derselben.
gedacht, und auf diesen Zw eck bezogen w erden. —
D urchaus gesetzlos, absolut vom blinden O h ngefähr ab ­
A. W ir w ollen diesen G edanken zuvörderst in seine Stelle
h ängig, w ie m an dies a u sd rü ck t? — So sieht es aus, zufolge
im System e einführen, und zeigen, w elche Schw ierigkeit er, falls
des R äsonnem ents der beiden G esetzgebungen. Können w ir g e ­
er sich bestätigte, lösen w ürde. — (Es ist höchst w ichtig für die,
n eig t sein, es dabei bew en d en zu lassen ? G ew iß nicht; so gew iß
die das ganze System schon kennen, und m it dieser D eutlichkeit
w ir die G eschichte verstehen w ollen: V erstehen ab er heiß t E in­
noch niem als ausgesprochen.)
sehen aus einem G esetze.
1 . D as Sittliche ist rein g eistig und gestaltlos, G e s e t z , ohne
W iew ohl w ir nun durch die A nlegung beid er G esetzgebun­
alles Bild. Seine G estaltung erhält er erst aus dem sittlichen
g en in ih rer G eschiedenheit abgew iesen w orden, haben w ir es
Stoffe: — so haben w ir gehört.
denn versucht m it b eiden in d e r V erein ig u n g ? — Die N atur m it
2. N un kann durch ein bildendes Prinzip, dergleichen das
ihrem inneren G esetze ist ja durch das G esetz der Sittlichkeit
Ich ist, diese G estaltung geschehen auch nur nach einem Bilde,
selber, als Seins- und N atu rg esetz: — sie ist S t o f f für jen e;
das es schon h a t ^ des Sittlichen.
sind nicht also alle diese B egebenheiten ganz gew iß auch dies,
3. Ein solches Bild des Sittlichen könnte nur sein ein
S t o f f , an w elchem die Sittlichkeit sich zeigen k ö n n e? Also eine
Bild seines eigenen sittlichen W illens, den es nicht m acht
gew isse Ä ußerung d er Sittlichkeit w äre nicht m öglich, w enn nicht
durch Freiheit, so n d ern den es schon h a t; denn alles M achen
diese P ro d u k te d er unsittlichen F reiheit zum G uten zu w enden
setzt eben ein solches Bild voraus, das w ieder ein M achen vor­
w ären. So g eh ö ren auch sie u n ter das G esetz der Sittlichkeit,
aussetzt, w odurch w ir ins unendliche vorw ärts getrieben w erden, IV, 465
als Sichtbarkeit eines gew issen Inhaltes desselben.
und niem als zu einem A nfänge kom m en.
(W as auch die gesetzlose u nd gesetzw idrige Freiheit beginne,
H ätten w ir auch nur einen einzigen M enschen in der G e ­
eine A ufgabe für die sittliche F reiheit enthält es im m er, es zum
m eine der übrigen, d er sich zum Bilde des Sittlichen erhoben
IV, 464 B esten zu w enden. — Alle D inge sollen zum B esten dienen, —
hätte, so ließe sich w ohl denken, w ie dieser durch A ufgabe
selb st die W erke des T eufels, der U nterdrücker usw .)
von K onstruktionen d er Bilder in anderen nach und nach einen
So jen e Sphäre gleichartig m it dem N aturstoffe, d er zu u n te r­
Begriff sittlicher V erhältnisse entw ickelte: zu diesem Ersten aber,
jochenden N aturgew alt, u n d bloß eine E rw eiterung derselben durch
in dem kein F rü h erer sie entw ickeln kann, könnten w ir nicht
die gesetzlose Freiheit. D iese P rodukte ab er m üssen g ek an n t sein
anders kom m en, denn auf die angezeigte W eise. Ein A nfang der
von d er sich Z w ecke setzenden sittlichen Freiheit, und darum aüf-
sittlichen W elt setzt einen W illen, d er qualitativ in seiner eigenen
g en o m m en in eine G eschichte, als Ü bersicht der A nschauung des
A nschauung sittlich ist, ohne durch eigene F reiheit sich dazu
G egebenen. W as das Erste w äre. — D ergleichen m ag es nun w ohl
gem acht zu haben, — durch sein bloßes D asein, durch seine
g ar viel in der G eschichte g e b e n !
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Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches.
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G e b u rt; — d er in der A nschauung seines W illens . die W elt in F reiheit keinen P latz): eines göttlichen W eltplanes zur sittlichen
einer sittlichen O rd n u n g erfaßt. — So n u r ist der d id tu s zw ischen B ildung des M enschengeschlechts. U nd zw ar käm e die W irk­
der absoluten B ildlosigkeit des Sittlichen u n d d e r Bildlichkeit, sam keit des vorausgesetzten G ottes zustande auf die b e ­
die es in d er W irklichkeit annehm en soll, ausgefüllt; Diese Lücke schriebene W eise. — Es ist unstreitig, daß die besten G eschichts­
im System darum w äre ausgetilgt, w enn etw a jene A nnahm e kenner und glücklichsten B earbeiter derselben sie von jeh er so
au ß erd em sich bestätig te. angesehen haben. Es ist d ah er der M ühe w ert, diesen G edanken,
B. K onstruieren w ir aber bestim m t den G edanken selbst, den w ir bis jetzt n u r analysiert haben, ohne dafür oder daw ider
d er d o rt g ed ach t w ird. — Es ist ein W ille und seine W irksam ­ uns zu entscheiden, durch eine eigentliche D eduktion zu prüfen.
keit, w elcher bestim m t ist nicht durch die eigene bis zum G esetz W ir h ab en jenen G edanken m it gutem B edacht w eiter aus-
hin d u rch d rin g en d e Freiheit, so n d ern durch das G esetz u n m i t t e l ­ einandergesetzt. — G ew öhnlich sa g t man, die A nnahm e einer
b a r , ohne H ilfe des Begriffs, durch das G esetz darum als eine V orsehung und d er W u n d er sei g eg en das N aturgesetz, alles
b estim m en d e N atu rg ew alt. (Prinzip und P rinzipiat ohne d a­ sei natürlich, d. h. m echanisch zu erklären. D ies ist aus jenem
zw ischenliegende F reih eit d e r Selbstbestim m ung.) U nd zw ar: Es D eterm inism us h e ra u s gesprochen, d e r ü b erh au p t ein anderes
ist ein M ittel für einen sittlichen Zw eck, liegt in einer sittlichen ; G esetz, als das d er N atur, nicht kennt. — Es m öchte dies alles
R eihe, also das G esetz ist, obw ohl es in der Form w irkt als wohl auf das G eb iet der F reiheit fallen, w o das N aturgesetz
N atu rg esetz, dennoch das sittliche. —- „D as H erz w ird reg iert.“ g ar nichts m ehr zu sagen hat. B egreiflicher w ird es dadurch
D ^s H erz ist d e r W ille, also doch die Freiheit, die anschaulich freilich nicht.
sich bew egt, und ihren E ntschluß nim m t. — R e g i e r t , geleitet Ist nun eine solche G esetzm äßigkeit der nicht auf den klaren
eben durch ein ihr selb st verborgenes P rin zip ; also doch in Begriff des G esetzes zurückgehenden m enschlichen E ntschließun­
diesem allen n u r d er A usdruck d er ihr verborgenen Leitung. gen, — eine göttliche V orsehung, W eltregierung, — versteht
C. D er G eist durch G eist bestim m t, — durfch den alle G eister sich innerhalb d e r W urzel der W elt d e r freien E ntschließungen, —
u m fassenden G eist, G o tt. D iese Erscheinung d er erste G rund anzunehm en o der nich t?
einen G o tt anzunehm en, als s i t t l i c h e s , nicht N a t u r - W e s e n . S a t z : Es g ib t keine solche W eltreg ieru n g ; denn das w ahrhaft IV, 467
IV, 466 Jen e W illensbestim m ung ist aber n u r als M ittel fü r einen Zweck, Reale soll schlechthin n u r durch F reiheit erzeugt w e rd e n : unter
d er d ah er nach u n serer W eise nach einem beide vereinigenden V oraussetzung einer solchen R egierung ab er w ürde es nicht durch
B egriffe darauf bezo g en w erden mu ß ; also durch einen V er­ Freiheit erzeu g t; und, w enn m an das Erscheinen des A bsoluten
stan d , — den göttlichen V erstand. — als seinen W illen betrachtet, eine solche W eltreg ieru n g aber
V erhielte sich dies nun also, — so w äre ein Teil der E r­ gleichfalls, so w äre dadurch d er göttliche W ille in W iderspruch
zeugnisse d er F reiheit b e g rü n d et durch die R egung d e r E n t­ mit sich selbst g esetz t: w ollend u nbedingte Freiheit, w ollend
schlüsse d er einzelnen durch einen verständigen, w eisen und und bew irkend U nterdrückung derselben.
sittlichen G ott, V orseh u n g , W u n d e r ; das letztere gleich einer G e g e n s a t z : Es kann w ohl eine göttliche W eltregierung
natürlichen B egebenheit, die da denkbar ist nur durch einen geben, d. h. eine B estim m ung des m enschlichen W illens nicht
sittlichen Zw eck, u n d um desselben willen. durch seine Freiheit, falls e tw a die unm ittelbare Sichtbarkeit der
W äre dies nun also, so w ürde d e r vorzüglichste und eigent­ Freiheit, au ß e r d er schon bekannten B edingung einer gegeb en en
lichste T eil d er G eschichte die E rzählung sein von d er göttlichen Sinnenw elt, auch noch bed in g t w äre durch irgendeinen g e ­
V orsehung, sein er W eltreg ieru n g (in den freien W illen näm lich; g e b e n e n Z u s t a n d d er Freiheitsw elt, — eine B estim m theit d er
d en n die N atu r g ib t einer solchen R egierung nach Zw ecken der gegebenen, individuellen W illen. Da, eben zufolge des ersten
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98 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 99

G esetzes, die Sichtbarkeit der F reiheit schlechthin sein soll, so form alen G esetze des göttlichen Erscheinens, w ie in ihm liegt
m üßte eben darum auch schlechthin sein diese ihre g en an n te Ichheit, V erstand, Sinnenw elt und alles ü b rig e; — ist darum
B edingung. das Eine, schlechthin unm ittelbare Erscheinen des A bsoluten selbst,
1. D ie V oraussetzung analysiert, und in einen scharfen Begriff das da i s t , nicht w ird in irg en d ein er Zeit, noch in dem etw as
gefaß t, — V orher das G e g e b e n e , die Sinnenw elt, u n d die w ird. D ieses schlechthin durch dies G esetz gesetzte Sein en t­
d er Individuen. Jetzt jener V oraussetzung zufolge noch als D rittes w ickelt sich nun in w irklicher A nschauung in d er Z eit: dieses,
ein bestim m ter, der Q ualität nach sittlicher W ille der Iche, den zu dem nun nichts hinzukom m t o der däyonkom m t, oder in w elches
sie eben m itbringen und haben durch ihr D asein, w ie sie durch eingegriffen w ird durch ein W under, d. i. durch eine neue göttliche
ihr b lo ß es D asein m itbringen die A nschauung d e r Sinnenw elt, Schöpfung in der Zeit.
und die g eg en seitig e ih rer selbst u n terein an d er: — eine s i t t l i c h e M erken Sie diesen P u n k t: w ir w erden tiefer unten in der
N a t u r . — D iese ihre M itgabe eines stehenden und sein N atu r­ A nw endung sehen, ob er sich, und w i e er sich bestätigt.
g esetz in sich trag en d en W illens m ag sich nun entw ickeln in
einzelnen Ä ußerungen und E ntschließungen, — frei und begriffs­ V ereinigung des Satzes und G egensatzes.
artig, inw iefern su b su m iert w ird, nicht frei, inw iefern nur die
sittliche N a t u r eine solche Subsum tion bestim m t. — Diese 1. Im Satze w ird-die F r e i h e i t hervorgehoben als A bsolutes.
Ä ußerungen nun g äb en den Stoff für die M enschengeschichte, Im G egensätze nicht m inder; nur nim m t e r Rücksicht auf die
w ie w ir ihn w ollen. S i c h t b a r k e i t , das Erscheinen der Freiheit. In der Form ist
2. Es ist dadurch die G renze g en au bestim m t, w ie w eit also Ü bereinstim m ung.
eine solche sittliche N atur anzunehm en, und Ä ußerungen derselben ■: 2. A ber w ie m it d er Sache se lb st? — Nichts verhindert, daß
zu erw arten sin d : inw iew eit näm lich die sichtbare Ä ußerung d e r dieses G e g e b e n e , das R esultat d er seienden W illensbestim m ung,
IV, 468 F reih eit dadurch b e d in g t ist, und ein solches V erhältnis sich klar selbst w ied er durch F reiheit nach dem klaren Begriffe herv o r­
n achw eisen lä ß t; w o d u rch uns denn die M öglichkeit g eg eben ist, g ebracht w erden solle; — u n d daß es in seiner G egebenheit IV, 469
selb st den b estim m ten n o tw en d ig en Inhalt jen er g egebenen Sitt­ nur das V orbild sei des H ervorbringens durch Freiheit, So eben
lichkeit abzuleiten, w as w ir nachher auch tun w erden. D adurch, w ürde diese O rd n u n g B edingung des E rscheinens der Freiheit,
daß diese G renze ab g esteck t ist, haben w ir allen E rdichtungen, und G lied einer sittlichen R eihe; das ganze W erk d er Freiheit fiele
w illkürlichen D eutungen, Schw ärm ereien von vornherein das Feld in dieser letzten Rücksicht w ieder d er F reiheit anheim , und so
abgeschnitten. erst w äre d er W iderspruch vollständig gehoben. — Die V oraus­
3 . D urch diese A nsicht w ird alles sehr begreiflich, d. i. unter setzung’ ist h ierbei freilich, daß jene sittliche N atur nicht durch­
unsere aufgestellten G esetze passend, u n d alles S onderbare fällt g än g ig in d er ganzen individuenw eit stattfinde. (H ier das All­
hinw eg. G o tt w ird nicht etw a m it einem diskursiven V erstände, gem eine ; in d er A nw endung w ird es seine g eh örige K larheit
einem synthetischen — sp altenden und vereinigenden — ver­ erhalten.)
sehen, noch in die Zeit, als in ihr sich entschließend und handelnd,
h in ab g ezo g en ; wie es. d er Fall ist beinahe m it allen V orstellungen A lso: D er V orsehung (als W under), dem G runde des eigent­
von V orsehung, u n d w elches eben der G rund des A nstoßes ist, lich geschichtlichen Stoffes d er G eschichte, ist substituiert w orden
den von jeh er alle V erständigen, nicht blind G laubenden an d er B egriff einer sittlichen E rzeugung o der N atur des M enschen.
diesem Begriffe g enom m en haben. Eine solche sittliche Be­ Nach u n serer Idee haben w ir diese Sittlichkeit der N atur gleich
schaffenheit d er g e g eb en en individuellen W illen liegt in dem aufgenom m en in die n o tw endige Form der E rscheinung. —
514 F i c h t e , Die Staatslehre. 7 515
100 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 101

.. D er D eduktionsgrund, die B edingung, u n ter w elcher jenes m üssen, so m üssen w ir irgendeine G esellschaft annehm en, die
anzunehm en, ist: W en n und inw iefern eine solche sittliche N atur d a zw in g t und belehrt, ohne selbst beides bed u rft zu haben,
B ed in g u n g w irklicher Ä ußerung d er F reiheit ist. weil sie durch ihr bloßes D asein das schon w ar, w ozu sie die
Sonach w äre zu untersuchen, w odurch die w irkliche (er­ nach ihr und aus ihr entstehende G esellschaft m it Z w ang und
scheinende) Ä ußerung d er F reiheit bed in g t ist. B elehrung erst b rin g t: von N atur das w ar, w ozu qndere unter
Ü berlegen Sie m it m ir F o lg e n d e s : D ie E n tbindung d e r Freiheit ih rer B ildung sich m achen mit Freiheit.
und des V erstandes aus d e r U nfreiheit und dem U nverstände Die E rscheinung d er F reiheit (und sonach G ottes) läß t sich
, ist n u r in G esellschaft m öglich; und zw ar in leitender u n d b e ­ als ein G egebenes g a r nicht denken ohne eine solche G esellschaft:
leh ren d er G esellschaft, die den V erstand des einzelnen, d e r da diese g eh ö rt sonach gleichfalls zu d en form alen B edingungen
. frei w erd en soll; zw eckm äßig leite. D afür bedarf es bei dem derselben, w ie die Sinnenw elt usw ., und m uß gedacht w erden. —
L eitenden eines reinen u n eigennützigen Interesses für diesen ein­ Eine ursprüngliche M enschheit, die qualitativ sittlich ist; die durch
zeln en ; da ja in sein er e ig en en F reiheit nicht liegt, daß d e r ihr bloßes Sein mit sich b ringt, w as in der fortgehenden Erschei­
V erstand u n d d ie F reiheit des anderen ihm A ngelegenheit sei, nung mit. F reiheit entw ickelt w ird. D abei hebt die G eschichte an,
, w ie seine eigene, und m it sein er eigenen verknüpft sei. — F ern er :
in diesen ersten V ersuchen des F reiheitsgebrauches m uß der andere
sich selb st ü b erlassen w erden, k einer darf gew altsam eingreifen; Durch E inführung in die sichtlichen R egionen d e r E rscheinung IV, 471
sein R echt m uß darum g esich ert sein, ehe qr eigentlich Rechte w ird es deutlicher. Setzen Sie durchaus unrechtliche, die F reiheit
-hat. In diesen V ersuchen b eleid ig t und stö rt er; er m uß n u r m it anderer nicht schonende M enschheit, so w ird dieselbe sich in
IV, 470 B elehrung zurückgew iesen w erden. — F reiheit nur durch E r - \ kurzem vernichten. Sie m üßten da auch noch N atureinrichtungen
z i e h u n g u n ter den M enschen. in der M enschheit hinw egdenken, die zur E rhaltung derselben
N ehm e m an an, die jetzt E rziehenden seien einst selbst zu da sind. W ir sehen es in d e r E rfah ru n g an w ilden V ölkern, die,
d ieser ,Einsicht d er Pflicht erzogen w orden, so m üßten die, w elche so g ar m it jenen N atureinrichtungen der m enschlichen E r­
dazu sie erzogen haben, gleichfalls also erzogen w orden sein, zeugung usw ., sich u n tereinander aufreiben, zerstören; au sg e ­
diese gleichfalls, und so in d er unendlichen R eihe des Auf'-, storben sind, und aussterben w erd e n : O ster-Eiland, N ukahiw a.™
steigens. Wo; nehm en w ir nun aber her eine ursprüngliche, erste W ollen w ir denn n u n annehm en, daß vor d e m M enschen­
erziehende G esellschaft? — O der — die Sache im A llgem einsten geschlechte, dessen M itglieder w ir sind, ehem als die M ensch­
g efaß t, u n d den nervus p ro b a n d i z u sam m en g e d rän g t: in der heit schon beg o n n en habe, und zugrunde g eg an g en sei, w ie sie
u n v erstän d ig en ,ünd rechtlosen M enschheit (so haben w ir sie m ußte und k o nnte, u n d d ann w ieder begonnen, und so fort,
allerdings g en o m m en ), u n d bei ab soluter G enesis d e r Freiheit bis sie endlich B estand bekom m en h a b e? Doch w ohl nicht;
des einzelnen aus d er N ichtfreiheit, w ird als E rzeugungsm ittel denn der U n terg an g läge im G esetze, und m üßte im m er w ieder
d er F reih eit stets ein Z w än g , von B elehrung begleitet, voraus­ erfolgen. — G ottes Erscheinen ist kein P robieren und V ersuchen.
g e se tz t: dieser setzt in den dam als Z w ingenden einen früher Es i s t schlechthin, und durch sein Sein ist die ew ige E nt­
auf sie au sg eü b ten Z w an g , m it B elehrung begleitet, v o raus; und n ic k e lu n g gesetzt, m ithin alle B edingungen desselben. U nter
so w ürden w ir in einer unendlichen R eihe aufw ärts g e trieb en ; diese, das absolut ew ige Sein, g eh ö rt nun d er B eginn m it einem
w ir käm en niem als zu einem e r s t e n Z w ange und einer e r s t e n solchen G eschlechte. N ur dieser sichert nach em pirischer A nsicht
B elehrung, Da w ir ab e r doch die E rscheinung der Freiheit g eg en den U ntergang, d. i. nach ein er höheren Ansicht, er ist
schlechterdings als ein in d er Z eit geschlossenes G anze auffassen die absolute Seinsform der Erscheinung. — W eil es i s t , ü b er
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102 Angewendete Philosophie, Von der Errichtung des Vernunftreiches. 103

aller Zeit, kann es nicht u n terg ehen in irgendeiner Zeit, im N icht­ koinm t, w ird sie gleichsam gehalten, ergriffen von d er Evidenz
un terg eh en k ö n n en aber, d. i. im Sein liegt das A nheben von d e r sittlichen Idee. — D iese W illensbestim m ung nun ist eine
einem durch seine N atur, nicht durch Freiheit sittlichen G e- doppelte, teils partiell: des ersten die M enschheit anhebenden
schlechte. Es ist bloße A nalyse des I s t der göttlichen Erscheinung.
M enschengeschlechtes, um die Entw ickelung der Freiheit erst
,Was in dieser A nalyse liegt, dies eben ist.
zu b eg in n en ; — teils allgem ein: um die E rhaltung upd V er­
Ich will auf diesem Ü b ersichtsstandpunkte, und in dieser
vollkom m nung des M enschengeschlechts auf alle E w igkeit zu
A llgem einheit steh en d die Lehre von dem, w as qualitativ und sichern. D as erste W u n d e r ist vorüber, und seit d er Z eit ist die
als m aterielle Fortb estim m u n g in dem Sein d er göttlichen Er- Entw ickelung d er F reiheit eingetreten in ihren natürlichen G ang.
scheinung liegen m uß, sogleich vollenden. Z unächst w äre in D as letztere W u n d er dau ert fort, so daß w ir alle mit unserer
dem , w as durch die ab so lu t ew ige F o rtd au er zu aller Z eit bedingt ursprünglichen W illensbeschaffenheit m ehr od er m inder hinein­
ist, die M öglichkeit des U n terg an g es a b g e w e h rt: denn das E r­ verflochten sein, und vop Zeit zu Z eit Ä ußerungen desselben
scheinen G o ttes ist absolutes, die M öglichkeit des N ichtseins in d er M enschengeschichte Vorkommen m ögen. (E rw arten soll
ausschließendes Sichsetzen, ein w ahrhaftiges D asein in allem sie indes keiner, so n dern jeder an seinem O rte nachdenken und IV, 473
IV, 472 E rnste, kein P ro b ieren , ob e s etw a gelingen möchte. A ber in streben, als ob auf ihm allein und seinem V erstände u n d seiner
diesem N ichtprobieren liegt noch ein Z w eites. Die Erscheinung A nw endung desselben das Heil d er M enschheit b e ru h e : diesem
ist L eben, stets sich entw ickelndes, frisches, schöpferisches L e b e n ; 1 N achdenken u n d Streben nun w erden eben die rechten G esichte
dies ist ihr Sein: sie g e h t darum fo rt zum V ollkom m eneren in aus jen er ew igen Q uelle, die da ist aus G ott, entström en.)
aller Zeit. Kein Stillstand, kein R ückgang, w elches ja eine ver- — W ir haben eine g eg eb en e Geschichte, den g eg en w ärtig en
verfehlte P ro b e des F o rtg eh en s sein w ürde, die durch eine neue, R echtszustand der M enschen, zu verstehen; uns darum zu halten
vielleicht g elin g en d e zu ersetzen w äre. So nach dem gem ein­ an jenen A nfangspunkt aller G eschichte und Freiheitsentw ickelung,
sam en G esetze aller freien Individuen. Aus dieser P erfektibüität an das erste M enschengeschlecht, und dieses zu beschreiben, wie
können sie nicht fallen: so w eit g eh t ihre Freiheit nicht. (D er es zufolge seiner B estim m ung sein m üsse.
äußere Schein entsch eid et nicht.) — Dies nun Sache keines D er G rundzug d esselben; Interesse schlechtw eg für die F rei­
Individuum s, sond ern des inneren Seins, das alle Individuen regiert, heit aller u n d ihre B ildung dazu; in jedem eine Liebe, die ihn
und in alle E w igkeit fo rt sie regieren w ird. aus seiner Individualität heraustreibt, und m it der er die ganze
U nd so w äre d en n zuvörderst die Lehre von dem , w as M enschheit, als solche, um faßt. — Dies das a n g e b o r e n e Sitt­
sie V orseh u n g und W iunder nennen, die w ir gleich klar auf­ liche, w odurch die sichtbare Entw ickelung zur Freiheit ü b erh au p t
stellen w ollten, vollendet. — K einesw egs ein Eingriff G ottes
b ed in g t ist.
in die Zeit, sondern ein schlechthin qualitatives Sein seiner E r­ In der w eiteren A nalyse können w ir recht g ut geschichtlich
scheinung, ab so lu t u n d ü b e r aller Z eit; w elches nur als G rund einhergehen, indem hier D eduktion und W ahrnehm ung sich be- .
eines Zeitlichen in d er Z eit sich zeig t: u n d zw ar eine qualitative g leitet; b eso n d ers achtend auf jenes alle verbindende Prinzip
B estim m ung des W illens, ursprünglich g eg eben auf eine gew isse in d er M enschheit.
W eise, ebenso, w ie nach dem selben G esetze gegeb en ist eine auf
Z uerst anzum erken ist das natürliche D asein des M enschen
gew isse W eise bestim m te S innenw elt: eine s i t t l i c h e G rundlage
in z w e i G e s c h l e c h t e r n , dem m ännlichen und dem w eiblichen,
der W elt, w ie es g ib t eine n a t ü r l i c h e . — Ein fertiger, fest­
geltend für das ganze g eg en w ärtig e Leben, ohne alles V erm ögen
b estim m ter W ille, — x ; die F reiheit des Z w eckentw erfens bleibt,
der Freiheit, daran etw as zu än d e rn ; und die F o rterzeugung des
diesseits desselben in den Individuen; n u r w enn sie bis so w eit
M enschengeschlechtes aus sich selbst durch diese V eranstaltung,
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104 Angewenäete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 105

1. D ie F reiheitsw elt e rzeu g t schlechthin sich selbst aus sich u n g e te ilt: der S t o f f und di e b e l e b e n d e Kraft. Daß diese
selb st: durchaus eig en er U rheber u n d Schöpfer, wie geistig, durch letztere anhält und im S am enkorne die F ortentw ickelung des
B elehrung und B ildung, ebenso auch physisch1. D as letztere ist P flanzenlebens u nterbrochen ist, liegt nicht an ihm : so n d ern weil
Bild d er ersten E rzeugung, u n d , wie w ir tiefer unten sehen w erden, es sich selb st nicht g en u g ist, vielm ehr entw ickelnder ä u ß ere r
b edin g en d es M ittel, — Die Freiheit ist sichtbar, und in d e r Zeit chem ischer Kräfte bedarf, von deren B erührung es g e tre n n t ist.
d urchaus ihr eig en er Schöpfer. U nd dies ja w ollten w ir eben: B ringt es nur in diese B erührung hinein, senkt es in die Erde,
dieser Sichtbarkeit B ed in g u n g ab er ist jene Einrichtung. laßt es von dem befruchtenden H auche des Frühlings getroffen
2. D erselben zufolge is t aber die Eine E rzeugungskraft des w erden, und es w ird ganz aus sich selbst sich zur Pflanze en t­
M enschen, das m enschenschaffende N aturprinzip g e tren n t in zwei wickeln. So nicht mit dem Saatkorne der höheren N atu rg estaltu n g , IV, 475
IV, 474 H älften u n d perteilt in zw ei Individuen; in dem V erhältnisse, daß dem T iere, und dem T iere, w as einzig w ah rh aft da ist, dem
das eine enthält den blo ß en Stoff, das andere das belebende und M enschen. D ieses zuvörderst steh t unter keiner chem ischen B e­
die B ildung erreg en d e P rinzip dieses Stoffes: daß darum , da dingung sein er Entw ickelung, b ed ü rftig d e r U m gebung, so n d ern
eine b eleb en d e K raft nichts ist ohne B eziehung auf einen Stoff, es trä g t1 schlechthin, w ie es beim H errn d er N atu r sein m ußte,
ein to te r Stoff ab er ohne eine belebende Kraft tot bleibt, beide in sich allein den hinlänglichen G rund zur G estalt: und so w ü rd e
H älften für sich durchaus ohnm ächtig sind, und nur in ihrer die M enschenbildung unaufhörlich fortgehen, und es zum B e -
V erein ig u n g P rinzip w e rd e n : daß es darum durchaus d er V er­ s t e h e n eines S aatkornes g ar nicht kom m en. A ber der F o rtg an g
einigung zw eier individueller W illen bedarf, w enn es zu einer ist u n terbrochen und das Beharren dfes S aatkornes g esichert auf
M ensch en erzeu g u n g kom m en soll. — Die N atur W irkung g e h t eine andere W e is e : das Saatkorn selbst ist g e tre n n t in seine zw ei
bis zur E rzeu g u n g u n d A bsetzung des m enschenbildenden Prin- H älften, den toten Stoff u n d die belebende K raft; und die H älften
zipes; u n d m it dem D asein dieses Prinzipes eben m u ß te die in dieser T ren n u n g sin d aufzubew ahren gegeb en zwei freien
M enschheit anheben. A ber sie leg t es nieder in zwei einander Individuen, so daß n u r durch V ereinigung zw eier Freiheiten d ie
schlechthin erfo rd ern d e H älften, d as W eib und den M ann. N un Eine, durch bloße N atur zerteilte Z eu g ungskraft w ieder zusam m en­
ist die N atu rw irk u n g durch diese T eilung geschlossen; u n d soll zutreten verm ag zu ihrer n o tw endigen Einheit.)
es w irklich zur E rzeu g u n g eines M enschen kom m en, so m uß U nd so ist denn durch dieses innerhalb d er N atur ü b e rn a tü r­
Freiheit, und zw ar vereinigte und einverstandene Freiheit zw eier liche und sittliche G esetz die W illens Vereinigung w enigstens zw eier
dazw ischentreten, — D arum sagten w ir o b en : die N atur könne freien Individuen zur B edingung d er A usübung des höchsten
eigentlich keine H an d , keinen M enschenleib bilden. Einmal, beim M enschheitsrechtes gem acht w orden, d er Erschaffung d e r M ensch­
B eginne, als das sittliche P rinzip mit ihr noch vereint w ar, konnte heit aus sich selbst heraus. H ierin liegt ein notw endiges Bin­
sie es; w ie ab e r d e r M ensch, d er ganze — in seiner Z w eiheit — dungsm ittel d e r W illen, w ie w ir es suchen. Die Individuen können
d a w ar, tra t das sittliche Prinzip aus von ihr und in den M enschen; sich nicht durchaus abspndern und g e tren n t dastehen. A ußerdem
sie h atte ihren H errn sich g egeben, d er von nun an sich, selbst w ürde die M enschheit zugrunde gehen.
erzeugt, bis zu ih rer vollendeten U m w andlung durch den Begriff. — D enn d er T o d g eh ö rt notw endig zu dieser E rzeugung, und
Seitdem g ib t die N a tu r den Stoff in beiden G eschlechtern, die ist das bed in g en d e und N ebenglied derselben. Indem die M ensch­
den Stoff einigende K raft ist e rst die F reiheit; also die N atur heit das V erm ögen erhielt, sich neu zu erzeugen, übernahm sie
verhält sich zu r F reih eit selbst, w ie das W eib zum M anne. in ihren alten M itgliedern die V erpflichtung, abzutreten vom
(V erdeutlicht am G eg en sätze m it dem Sam enkorne im S chauplatze; und w er einen M enschen in seine Stelle erzeugt,
Pflanzenreiche. — In diesem liegt das ganze Prinzip d er Pflanze verpflichtet sich zugleich, ihm dieselbe zu rechter Z eit zu über-
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106 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 107

lassen. So setzen T o d ünd G eb u rt sich g e g en seitig : und nur fassung des sie U m gebenden, ü ber die Zeit hinaus in das Je n ­
in einer solchen W elt kann kein T o d sein, in d er auch keine seitige, w as erst durch eine freie Phantasie zu konstruieren w äre,
G eb u rt ist, — in d er künftigen. Ü brigens w eiß der, w elcher nur sich nicht verlierend. Philosophische B eantw ortung, und Be­
ü b er die E rscheinung hinauszukom m en verm ag, recht w ohl, daß an tw o rtu n g durch verständige N atur ist seh r zw eierlei. — So auch
476 es m it b eiden nicht E rnst ist, so n d ern daß sie n u r sind die w ir h in terh er: auch w ir können ü b e r dieses absolute Faktum
E rscheinung eben d er G enesis d er Freiheit aus sich selber, als ihres S elbstbew ußtseins nicht h inaus; denn darauf nur kom m t IV, 477
w elche w ir sie auch begriffen h a b en : — daß aber in d er W ahrheit es an. — W i e hat es G o tt gem acht, durch w elche M ittel? —
die ganze F reiheitsgem eine in allen ihren Individuen i s t schlecht­ W ie erscheint er d e n n ? Eben ab so lu t: durch g a r kein M ittel,
hin in der absoluten Form der göttlichen Erscheinung, in w elcher und auf g ar keine W eise, als die in dem unm ittelbaren Erscheinen
N ichts w i r d o d er v e r g e h t . selbst liegt.
Zusätze:
1. W ir haben g a r nichts B esonderes g e sa g t; es ist jedem
einleuchtend, d er n u r nicht ganz blind ist. Es könnte aber doch Die B eschreibung des Z ustandes, in dem das M enschen­
auch an d ers sein ; w en ig sten s ehem als hat m an sich g e w u n d e r t , geschlecht uranfänglich g e g e b e n ist, haben w ir angehoben von
auch w ohl den Schm utz, der ihre eigene Phantasie erfüllte, m ir der N atureinrichtung, w odurch die E rzeugung d er neuen G e­
g e lie h e n : vielleicht gesch äh e es noch, w enn sie es nicht vergesset! schlechter d er N atur entzogen, und durch die freie W illens-
h ätten ! D och w er kann w issen, auf w elchem K atheder irgendein vereinigung zw eier Individuen bedingt w o rd en : w ir m einen die
philosophischer S paßm acher und F reibeuter, der ein besseres G e ­ T ren n u n g d er Z eu g u n g sk raft und die V erteilung derselben an
dächtnis hat, m it solchen V erw underungen die Lücken seiner zwei G rundgeschlechter. —
eig en en M editationen ausfüllt! Ich habe mich darum bem üht, N icht unm ittelbar u n d schlechtw eg durch den Z usam m en­
es klar auszusprechen, und ich hoffe, daß Sie besonders ver­ hang genötigt, w iew ohl auch da eine B eziehung gleich beim
m ittels des an geführten G leichnisses mich vollkom m en verstanden folgenden Punkte sich finden wird, w ohl aber durch den U m stand
haben. b ew ogen, daß seiten oder fast nie Jünglingen, und studierenden
2. M eine M einung : es w ar einm al eine Zeit, ein T ag, da Jünglingen, eine gründliche B elehrung ü b e r diesen ihnen so höchst
das M enschengeschlecht, nicht geb o ren von einem früheren, w ichtigen G eg en stan d g eb oten w ird, will ich im V orbeigehen und
so n d ern eben kurz und g u t d a w ar in seinem S elbstbew ußtsein als E pisode m eine B etrachtung auf einen Begriff richten, d er durch
(denn anders, und etw as als D ing an sich ist es ja n ie); in jene Einrichtung b eg rü n d et ist, auf den Begriff d er K e u s c h h e i t .
zw eien G eschlechtern, nicht zw ar als ein einzelnes P a ar (wie 1. D er 'eigentliche Rang, die Ehre und die W ürde des
m an gew öhnlich annim m t), sondern als ein Volk (den Beweis M enschen, und ganz besonders des M annes in seinem sittlich
dafür tiefer u n te n ); versehen m it allen Erkenntnissen und allen natürlichen D asein, b esteh t ohne Zweifel in dem V erm ögen, als
M itteln eines vernünftigen D aseins und vernünftiger E rziehung uranfängÜ cher U rheber neue M enschen, neue G ebieter d er N atur,
der aus ihnen zu G e b ä re n d e n ; indem nun von ihnen aus der aus sich zu erzeu g en : ü ber sein irdisches D asein hinaus und
P ro zeß d er G eb u rt und des T odes begann. V erständig, g u t auf alte E w igkeit der N atur H erren zu setzen; in alle Ew igkeit
und w o h lg esin n t (w ie und w orin, tiefer unten näher) durch ihr fort und ü b e r die G renzen des irdischen D aseins G rund zu
b lo ß es D asein : eine U nschuldsw elt. „D er Reiz d er gro ß en bleiben von sittlichen und sinnlichen E rscheinungen; dies m it
F ra g e n “ nach ihrem U rsp rü n g e und dem d er W elt usw . w ar für freier W ahl einer Gehilfin und T eilnehm erin. M itgenossenschaft
sie nicht da. — Ihr Z u stan d w ar .einfach: beschäftigt m it Auf- des göttlichen Schöpfungsrechtes, der G ew alt, zu e r s c h e i n e n
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108 Angewendete Philosophie, Von der Errichtung des Vernunftreiches. 109

in F re ie n : so d er m enschliche E rzeuger in seinem Erzeugten. 4. A ber w ie ist dieser Verfall der rechten natürlichen A nsicht
H errsch en d es G efühl des A ltertum s, dem N achkom m enschaft üb er Ehre m öglich g e w e se n ; und w ie nur bei dem EinenG eschlechte ?
S egen , är, Fluch — Sterben als d er Letzte seines G eschlechtes. W eil der M ann seine Ehre in etw as anderes setzen k o n n te:
D „r M an n u ra n fä n g lic h : darum er das e r s t e G eschlecht in a) Id die S e l b s t v e r t e i d i g u n g seiner P erson durch physische IV, 479
IV, 478 je d e r 'R ücksicht auf d er E r d e . Im W eibe, so w ie in dieser K raft; a) V erteidigung des bloßen ruhigen D aseins, vor allem
u rsprünglichen E inrichtung, so durchaus, B edürftigkeit und Ab­ schöpferischen G ebrauche desselb en : ß) bed in g t durch die Rei­
hängigkeit. In jenem Leben auch da G leichheit. Ich erinnere zung, die dann o ft herausgefordiirt w erden m uß. - - So sind
d aran, w as Jesu s T iefes sagt! die M änner g en ö tig t gew esen, sich einen falschen — m indestens
2. D ie abso lu te E hrlosigkeit, die W eg w erfu n g der eigentlich u n t e r g e o r d n e t e n — E hrenpunkt zu m achen; w ohl auch, um
m enschlichen und m ännlichen E hre w ü rd e es darum sein, w enn ihre U nverschäm theit mit zu verteidigen, weil sie den eigent­
das zur A u sübung jen es V orrechtes verliehene V erm ögen gem acht lichen und w ahren fallen ließen. — Einen u n t e r g e o r d n e t e n :
w ürde zu einem M ittel sinnlicher Lust. W as ü ber aller N atur ist, denn es g eh ö rt allerdings m it zur Ehre des M annes, sich und das
Und b estim m t !zu r F ortp flanzung d er O berherrschaft üb er sie, w ehrlose G eschlecht zu verteidigen.
w ü rd e ein Z w eites, einem ih rer T riebe, dem d er L ust, U nter­ b) In die g e i s t i g e F ortpflanzung, Schöpfer- und G ebärer-
g e o rd n e te s; das Ü bersinnliche in sich und in seinem D asein kraft durch Erfindung, U nterricht, W eiterbringen. — Ich setze
gem ach t Zum D ien er des Sinnlichen; das B edächtige und Freie nämlich hier, um den äußersten Fall zu berühren, voraus, daß
zum blo ß en N atu rp rin zip ; — das T ierische, Sinnliche dagegen, die g eistige ursprüngliche Schöpferkraft die in den D ienst der
die L u st u n d deren T rieb zum ersten Prinzip. Lust geraten e sinnliche überlebe, u n d in diesem dienstbaren Leibe
a) U nkeuschheit — G ebrauch des Z eugungsverm ögens zur dennoch frei und oben bleibe; — daß auch G eist und K örper
blo ß en Lust, o h n e A bsicht auf den Zw eck, u n d ohne bedachtes; so kräftig organ isiert seien, daß der letztere noch im m erfort
W ollen desselben. 1 ein O rg an für g eistige G estaltungen, und ein M ittel zur V er­
b) U nkeuschheit E h rlosigkeit in höchster Potenz, Ver­ w irklichung in d er S innenw elt bleibe, — w ovon ich die M öglich­
nichtung d er E hre in ih rer W urzel: W eg w erfu n g des eigent­ keit nicht absolut leu gnen w ill: — so entsteht doch zuvörderst
lichen persönlichen W ertes. eine E ntzw eiung im M enschen, ein Zerfallen in zwei ab geschie­
3. D ies ist 'auch g efü h lt w o rd en und w ird noch gefühlt; dene L ebensläufe. W enn d er G eist herrscht, schw eigt die N atur
im V olksglauben, lie g t m ancherlei Ä ußerungen desselben zum und g e h o rc h t Dies das Eine Leben. — W enn dagegen die Sinnlich­
G ru n d e : ein eh rlo ser N am e auf die A usschw eifungen des Ge-: keit herrscht, ist der G eist erstorben. U nd dies w ird so nach
schlechts trieb es. 1— Im V olke, das derm alen m it der u rsp rü n g ­ Zeiten und P erio d en g eteilt sein. — F ern er: dieser so zersplitterte
lichen u nschuldigen A nlage des M enschengeschlechtes noch in M ensch m it halber und g eb ro ch en er Kraft, leistet nie, w as er
n äh erer V erb in d u n g s te h t: nicht bei den höheren S tänden; — leisten sollte, erreicht nie seine B estim m u n g : sein Leben ist einm al
w oher bei diesen nicht, davon später. halb, g eb ro ch en und verschäridet W ie es auch s c h e i n e in einer
Bei dem w eiblichen G eschlechte ist es noch so nach dem vielleicht n och schlechteren U m gebung, so ist es doch n u r ein
allgem einen m enschlichen G lauben, der W eiber selbst, und sogar S chattenbild des w irklich ihm im Rate der G ottheit bestim m ten
d er M än n er von ihnen. Sie haben dadurch die E hre verloren; Lebens : d e n n ein ganzes geistiges Leben fo rdert die unbedingte
d enn sie hab en g a r k ein e andere Ehre, als die unverletzte Keusch­ U n terw erfu n g 'der ganzen K örperkraft, ohne T eilung mit der Lust.
heit, in dem Sinne, daß das G eschlechtsverm ögen nur auf den — D a s schöpferische D enken g elingt g a r nicht so, wie begreiflich
Z w eck d er K in d ererzeu g u n g gerichtet sei. ist, denn die schöpferische Kraft ist Eine.
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Von der Errichtung des Vernunftreiches. 111
110 Angewendete Philosophie.

b o renen (nicht gerad e aus einer verw ilderten und verw orfenen
— E inen bestim m ten Fall n u r zum Beispiel. — G esetzt, das
Fam ilie abstam m enden) M enschen. Er w ird nicht m eh r zu dieser
D e n k e n w erd e nicht g ebrochen, — aber der M u t , - - frei an-
U no rd n u n g ger.eizt, als zu anderen, z. B. zum Stehlen. (H ier IV
IV, 480 zuerkennen, auszuspre'chen, durchzusetzen, unbeach ten d die G e­
auch ieinzelne A usnahm en, sodann die K inder von D ieben: nicht
sichter, die es g eb en m öchte! — U nkeuschheit aber Quelle der
aber d a s m enschliche G eschlecht.) Jene, die es so ansehen, m ögen
F e ig h e it: F eig h eit ist das unm ittelbare G efühl des Lebens, das
für ih re P erso n zu solchen gehören. W er h eiß t sie das G e­
eben nur soviel K raft hat, um sich selbst zu erhalten, und nichts
schlecht so setzen ? — M it solchen soll man sich g a r nicht a b ­
darü b er hinaus. („E r hat kaum das liebe L eben.“ ) D agegen
g eb en u n d die B erührung m it einer unreinen P hantasie, als das
M ut ist unm ittelbares G efühl d er Fülle des Lebens und des Ü ber­
eigentliche G ift, verm eiden. — Es ist ?w ie die B lattern: fliehe
flusses, d as eben auch anderes L eben schaffen könnte, ohne sich
die A nsteckung! Selbst aber m eide M üssiggaug und V erw eich­
selbst Schaden zu tun. — Solche — dennoch R enom m isten: kein
lichung, u n d arbeite g ehörig m it G eist, wie m it K örper.
W u n d e r! Auch von ihr ist F eigheit die Quelle. Sie w ollen lieber
6. Ein faktischer Beweis fü r das G esagte ist das von jen er
v o r a u s s c h r e c k e n , dam it m ag nicht etw a unverhofft u n d aus
angeborenen K euschheit Ü briggebliebene, das G efühl d er S c h a m -
dem S teg reife ihren M ut uf die P ro b e stelle.
h a f t i g k e i t . — Sie errö tet und w ird zurückgestoßen von der
U nverletzte K euschheit in E hren halten, und h e ilig e n unserer
V orstellung, daß sie ihre E hre entw eihen könne, daß in irg e n d ­
P erso n von Ju g en d an ist das einzige M ittel, Alles zu w erden,
einer V orstellung diese M öglichkeit g esetzt sei. — Sie flieht
w as w ir können nach d er uns verliehenen Kraft im ew igen Rate
darum ü b erh au p t alle deutlichen V orstellungen dieses G eg en ­
G o ttes. V erletzung derselben — ganz sicher und unfehlbar eine
standes, alles E rheben zum Begriffe, weil dieses n u r durch den
Z erstückelung, eine teilw eise E rtötung.
G egensatz m öglich ist; d er rechte Zw eck gesetzt w erden kann nur
5. Diese K euschheit nun w ar dem U rgeschlechte, von dem
durch .Setzung u n d N eg ieru n g seines G egenteils. Sie ist ein in das
w ir red en , a n g e b o re n : — w ovon w ir sogleich das R esultat sehen
ganze Sein verflochtenes und körperlich sich ausdrückendes, den
w erd en . — D a w ir dabei sin d : w o h er die V erderbnis, und d er
Körper selbst m odifizierendes Sittliche.
zur M ode g e w o rd e n e Leichtsinn des Z eitalters ü ber diesen G eg en ­
sta n d ? — Sie trag en sie nicht im H erzen, ,als angeborenen .Zu­
sta n d ; eb en so w en ig im V erstände, als freierw orbene Ejnsicht.
W eiter iin der B estim m ung des ursprünglichen M enschen­
Sie seh en darum die vorhandenen K euschheits- und E hrengesetze
geschlechts :
als w illkürliche und eigennützige B eschränkungen d er natürlichen
Aus d ie se r natürlichen K euschheit desselben nun die E h e ,
F reih eit an, hassen sie, sind im A ufruhr gegen dieselben u n d
als d ie für das Leben dauernde und unabtrennliche V ereinigung
suchen alle W elt m it fortzureißen in jenen A ufruhr. — D aher
eines M annes und W eibes, als g eb undene Z eugungskraft. Es
die hinterlistige V orstellung, n ied erg eleg t in m anchen verderb­
findet in dieser Rücksicht eine ew ige B indung d er W illen sta tt;
lichen B üchern, d aß m an jene D ienstbarkeit g a r nicht verm eiden
die Freiheit ist abgeschlossen mit Einem Mal für im m er. —
könnte, daß dies eben der eigentliche Z w iespalt in unserer N atur,
D ieser B egriff w ird klar sein, w enn ich zeige, w ie die Ehe aus
das g a r nicht aufzuH ebende radikale Böse sei: — und die Auf­
der K euschheit n o tw en d ig folgt. K euschheit richtet die Z e u g u n g s­
zieherei dam it. W as ist d ag eg en zu t u n ? Eben den V erstand
kraft n u r auf den Z w eck d er E rzeu g u n g : dieser ist erreicht, w enn
en tsch eid en lassen, durch die Ihnen jetzt dargelegte, ich denke
die M ännlichkeit ü b erh au p t die W eiblichkeit findet; sie siebet im
w ah re u n d klare Ansicht.
G eschlechte ;nur das G eschlecht, nichts m ehr. Sollte sie auch
Z ugleich ist ihr V o rgeben grundfalsch, und eine freche Lüge,
nach g esch eh en er W ahl sich diese noch offen behalten, so m üßte
j'en er u n ordentliche T rieb ist g a r nicht in dem o r d e n t l i c h ge-
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112 Angewendeie Philosophie. Von der Errichtung des'jVernunftreiches. 113

482 sie noch etw as a n d eres: suchen, als den Einen Zw eck (Wie dies in m ögen. 'B ei uns — absolut gleiche B ildung aller durch die allge­
d e r sp ä te re n W elt geschieht, w ohl auch geschehen m uß). R eines m eine 'V olkserziehung. — Alle Streitigkeiten in dieser A ngelegen­
A u fgehen Im Z w ecke und U nterordnen alles anderen u n te r ih n ; heit rü h re n daher, daß der eine Teil die U reinrichtung ergreift
B estim m ung re in u n d allein nach ihm. — M öglichkeit der S c h e i ­ u n d von ihr b eg e istert ist, d er andere den V erständesbegriff des
d u n g ;a lso setzt k ein e E h e : diese h eb t den Begriff ih re r E w i g ­ V erhältnisses. Ein solcher Streit bricht aus, w enn einer der G eg en ­
k e i t a u f u n d m acht sie in d er Z eit ab h än g ig von anderen, will­ sätze ;— u n d da h e b t denn allemal der V e r s t ä n d e s b e g r i f f an,
kürlich zu setzen d en 'N ebenzw ecken. — H ier, w o w ir G eschicht­ dem S e i n s begriffe sein Recht des Besitzes und d e r V erjährung
liches b eh an d eln , ein geschichtliches Beispiel. Jesu s — d er als zu b estreite n — zur Sprache kom m t. D urch Pestalozzi und andere
ein A bköm m ling d er uranfänglichen sittlichen und religiösen Vor- : ist iVolkserziehung gefordert, w o allerdings die V oraussetzung
S tellungen b e tra c h te t w ird — sp rich t: M oses hat euch erlaubet ist, d e r Fam ilie die K fnder zu nehm en. D agegen erheben sich
zu scheiden von eueren W eibern, von eueres H erzens H ärtig - andere, und klagen, als üb er die T ren n u n g d er heiligsten Bande.
keit iw egen; v o m A n b e g i n n a b f i s t e s n i c h t s o g e w e s e n 1. Ein solcher Streit ist n u r so zu schlichten, indem m an den G rund
Di e Z w e i sind durch einm al e ir eg angene V erbindung von nun des G e g n e rs (oft besser als er selbst) k ennt und w ü rd ig t; ihn erst
an n u r Ein Leib. \ in sein volles Recht einsetzt, um das seinige dagegenzusetzen. —
D urch diese E he nun w ird k o n stitu iert die F a m i l i e , Das W ir w erd en an seinem O rte den Streit gründlich scheiden. W as
Kind durch sein e G e b u rt aus d e r M utter, dadurch, daß die erste w ir w ollen, ist indes schon oben ausgesprochen. — —
N ah ru n g fü r dasselb e in ihr b ereitet w ird, w elche sie ein ebenso D iese F am ilien standen nun in einem R e c h t s v e r e i n e ,
g ro ß e s B edürfnis h a t zu g eb en , als das Kind, sie zu nehm en, bleibt einem Staate, d er eben schlechtw eg w ar, so w ie sie selber.
selb st physisch m it derselb en verbunden. D er M ann, durch die 1. Es w aren m eh rere Fam ilien, denn d er Staat m ußie U r­
u ranfängliche '.und ew ig d au ern d e V erbindung an sie geknüpft, a n f a n g 1i c h dargestellt s e in : ein V o 1k darum . Dies g eh t darau s
w ird b e w e g t zu lieben, w as sie liebt. So ist begründet, w odurch hervor, daß die V ernunft zuvörderst sich darstellen m uß in der
allein E r z i e h u n g m öglich w ird, die Teilnahm e an frem der Form d e s g eg e b en en S e in s: — hier d er oben versprochene Beweis.
E insicht ,und Bildung, w ie an seiner eig e n en : — so, w ie w ir 2. Sie alle von N atur rechtlich, jed e r darum die Freiheit
oben dieses G lied g erad e suchten. — Eine natürliche, ohne vorher­ des a n d e re n achtend, sie nicht verletzen w o lle n d : also keiner
g eh en d e freie Ü b erleg u n g und Ü berzeugung des V erstandes, Z w a n g s g e w a l t b e d ü rftig . — A ber w as g e h ö r t jed em ? w elcher
w orauf sich dieselbe T eilnahm e w ohl sp äterh in g ründen m ag, B e s i t z kom m t jed er einzelnen Fam ilie z u ? — Es bedarf wohl
B em erken w ir, daß in ein er solchen O rd n u n g d e r D inge also ;eines R i c h t e r t u m s . D ie E inheit des W illens w ird aber
alle B ild u n g schlechthin und einzig aus d e r Fam ilie hervorgehe. ; rep räse n tiert :in der physischen E inheit einer P e rs o n : also Mon-
Im g a n z e n keine, die nicht ist eben in den einzelnen Fam ilien. ;■ archie. Er — der M onarch — w ar es eben schlechthin durch
In ih r w ird d er M ensch fertig fü r die G em eine. — Es kom m t 5 sein D asein: er erkannte sich also, und sie erkannten ihn. So
bei 'dieser A useinandersetzung ganz besonders darauf an, die 1 w ar ;es G ottes W ille, seine E ntscheidung w ar durchaus keinem
U nterschiede zw ischen u n serer durch den V erstand auf d en Be­ i Zw eifel u n terw orfen; denn darü b er hinaus g in g ihr W ille gar
griff d e r Freih eit g e g rü n d e te n V erfassung d e r M enschen und der ■ nicht.
in d iesem an g eb o ren en Z u stan d e g egebenen ins A uge zu fassen, 3. D er S taat aus den Fam ilien g eb ild et: diese die in te g rie -.
H ie r z e ig t sich einer dieser U nterschiede. D o rt — B ildung in der renden T eile des R echtsganzen. Innerhalb der Fam ilien kein IV, 485
F am ilie; d aru m ungleiche, je nachdem die Fam ilien ungleich sein R echtsstreit, keine A bsonderung, kein M ein und Dein, sondern
1 Matth. 19, 8. ihre M itg lied er stehen u n ter dem O b erhaupte derselben, d er Eigen-
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114 Angewendete Philosophie, Von der Errichtung des Vemunftreiches. 115

tü m er und B erechtigter ist. W as in jen e r vorgeht, g eh ö rt g ar nicht 4. Alles obige ist nur möglich durch eine gem einschaftliche,
für die K undnehm ung des Richters. D er Staat bestand aus den an g eb o ren e S p r a c h e , die da fertig w ar vom Sein aus, und ver­
ew ig leb en d en , unsterblichen S tä m m en : — E r b e — ojier eigentlich ständlich vom Sein aus, — für alle die Begriffe und V erhältnisse,
ew iger, d u rch keinen T o d und keine G eb u rt unterbrochener Besitz deren E rk enntnis an g eboren w ar. D er G edanke redete ohne d a ­
des Stam m es. (Ein H auptbegriff, d er indes bloß h i s t o r i s c h , zw ischentretende W illk ü r: die bew ußte W elt gestaltete sich zu­
aus einer uranfänglichen G eg ebenheit zu erklären ist, und aus gleich in einem allgem einverständlichen Schallbilde. D er G edanke,
V erstan d esg esetzen sich nicht ableiten l äßt : er hält auch, wie wir sagen ,wir; nicht etw a bloß die E m pfindung. M an hat sich viel
zu seiner Z eit sehen w erden, gegen das V erstandes-, d. i. F rei­ M ühe g eg eb en , die E n t s t e h u n g d er Sprache zu erklären. So
heitsgesetz, g a r nicht stand.) gefaßt, w äre es ein Z irkel: jene setzt voraus gebildeten V erstand;
A ber auch nur den ursprünglicher .^Unterschied des Rich­ diese V erstandesbildU ng aber w ieder Sprachzeichen. Von dah er
ters u n d d er zu R ichtenden g esetzt — t ^b es eine U ngleich­ h ätte m an darauf kom m en sollen: hat augh diese A nsicht auf-
heit, sich zeigend in d er B ildung der Fam ilien und so sich fo rt­ gestellt, aber freilich n u r b ib e lg la u b e n d : bei uns anders. Es ist
pflanzend. F o rte rb u n g des Standes, U rsp ru n g des K astenw esens. noch m erklich in gew issen G rund b ed eu tu n g en einzelner B uch­
In einer sp äteren B etrachtung w ird dieser U rsp ru n g d er U n­ staben, z. B. F. R. L, in allen Sprachen, D ie A bw eichungen
gleichheit sich noch sch ärfer erg eb en . W o es keine andere Bildung w ären historisch zu erklären. — D ie Sprache ist verständiger,
gibt, da bildet d er A ckerbauer zu A ckerbauern, d er T ö p fer zum als w i r : in ihr nach H erder, Jacobi, Reinhold die W eisheit nieder­
T öpfer, d er P rie ste r zum P rie ster; und anders kann es bei gelegt. — Ja, w enn sie überall niedergelegt, und die Sprache
ruhigem F o rtg a n g e ohne totale Revolution nicht w erden zu ew igen nicht zugleich auch schöpferisches P ro d u k t w äre d er Freiheit
Z eiten. H ie r lieg t auch einer d e r G rundunterschiede des g e­ aus nichts h eraus! Die freizubildende ist durchaus eine andere,
schichtlich u n d nach den G esetzen des ursprünglich G e g e b e n e n als die anerschaffene. Ein w ichtiger G edanke, w elchen klarer zu
sich m achenden Staates, und des V erstandes-R eiches. — Der m achen w ir w ohl auch d en O rt finden w erden.
erstere aus Stäm m en b estehend, die sich ins U nendliche fort-y — N och dies in A bsicht d er W ortbezeichnung, w orin zu­
erzeugen aus uranfänglichen Fam ilien, u n d so ist es im m erfort gleich eine Revision lieg t: vorher haben w ir das Sittliche, w as
g ew esen , ohne daß es jem and gem erkt, w eil d er G egensatz fehlte. unm ittelbar aus G o tt und seinem Erscheinen ohne Freiheit im
In u n se re n Z eiten w ollte die französische Revolution gerad e die M enschen ist, V orsehung genannt, und W u n d er: es ist auch
S täm m e auflösen, und aus diesen zu Individuen aufgelösten den O f f e n b a r u n g zu nennen. D iese O ffenbarung nun bricht irg en d
Staat konstitu ieren . D a versicherte denn ein D eutscher: sie seien einm al heraus in der Z eit u n d -ä u ß e rt sich; aber es w i r d nur
ja to ll; das sei eben das n g ß ro v ipetidog; der S taat bestehe ihre E rscheinung, s i e selbst nicht; gerad e so, wie w ir oben
nicht aus Individuen, so n d ern aus Stäm m en. — Er hatte ganz recht,; unter d e r B enennung des W unders dasselbe betrachtet haben.
und das G eg eb en e w ohl v erstanden; und seine B elehrung hätte; Die gew öhnliche A nsicht h at auch da G o tt verm enschlicht und
w ohl den D ank d er R evolutionierenden verdient, w enn sie es in die Z e i t h erab g ezo g en : w ohl g a r m it b e i d e n — mit Raum
nicht g e w u ß t hätten. A ber davon w ar eigentlich nicht die Rede, u n d Z eit — versehen. — Eine solche V orstellung ist nun ohne IV, 486
IV, 483 so n d ern d a v o n : ob nach dem F reiheitsgesetze er aus Stämmeny Z w eifel unrichtig.
o d e r Individuen besteh en s o l l e ; ob also die Fam ilien eben zu Ein U rgeschlecht durch O f f e n b a r u n g .
Individuen aufg elö st w erden sollen. W ie w i r es beurteilen,
das ist zum Teil schon deutlich, und soll zu seiner Zeit in
scharfem E rw eise g eg eb en w erden. 1
530 F i c h t e , Die Staatslehre. 8 531
116 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches. 117

Ein solches G eschlecht nun bliebe steh e n ; kein F o rtg an g begriffe .d e r B ilder: einm al — des g e g e b e n e n und schlechthin
in ihm, keine eigentliche G eschichte: es könnte aus dem an ­ v o r h a n d e n e n S eins; sodann des durch F r e i h e i t hervorzu­
g e b o re n e n G rundw illen sich nicht herausbew egen u n d ihn ü b e r­ bringenden S eins: — N a t u r und S i t t l i c h k e i t
schreiten. Die Fam ilien — eine S tehendes und U nsterbliches, 4. In d er ersten H insioht alle Individuen bestim m t auf gleiche
bleib en d in ihrer V erfassung : das R egim ent selbst — ein Fam ilien­ W eise in d er Einen N aturanschauung. (W as ist d ah er ihr W esen,
erbe, (D as g o ldene Z eitalter ohne G eschichte.) H erabsinken etw a und w ie en tsteh t sie ? D as ew ige G ru n d g esetz ihres Bildens ist
k ö n n te es durch M angelhaftigkeit d er E rziehung, indem die für alle dasselbe.)
Stam m fam ilien stets ihre unvollkom m enere F ortsetzungen lieferten. 5. In d er zw eiten Rücksicht ein doppeltes V erhältnis: E n t­
A ber k eine eigentliche F reiheit und V erstandesentw ickelung. w eder 'das sein sollende x ist g eg eb en als B estim m theit eines
D arum keine S i c h t b a r k e i t der Freiheätsen 'wickelung, für Willens., m it ihm zugleich s y n t h e t i s c h vereint: in einem W ollen
w elche, als B edingung, w ir doch ganz allein ei solches G e ­ und an dem selben anschaulich gem acht. Dies das G esetz des
schlecht annahm en. U rgeschlechtes m it O ffenbarung. — D er W ille als S e i e n d e s ,
Eine solche Sichtbarkeit ist m öglich lediglich dadurch, w enn gleich d er N atur, w ie ich dies schon oben ausgesprochen habe.
w ir den k en ein zw eites U rgeschlecht ohne diese ursprünglich Ein solches fertiges W ollen brau ch t freilich auch nicht im m er
sittliche E inrichtung, also m it F reiheit und B ildbarkeit ins U n­ und ew ig g eg e n w ä rtig e V orstellung zu sein, so n d ern w ird e r­
endliche u n d U nbedingte. — Ein U rgeschlecht o h n e O f f e n ­ scheinen auf V eranlassung; also die V orstellung desselben ist
b a r u n g , ein freies. — Jen es e i n z i g , w eil die A nlage bestim m t auch ein in d er Z eit W erdendes. — O d e r : dasselbe w ird g e ­
i s t ; dieses ins U n e n d l i c h e v e r s c h i e d e n , weil eben g a r keine g eb en ausdrücklich als etw as, das da sein s o l l i n e i n e m
B estim m ung d a ist, die N ichtbestim m theit ab e r ist eine unendlich W i l l e n ; der W ille darum ab g e so n d e rt von ihm, und als e in t freie,
m ögliche. j durch 'ihr bloßes Sein unbestim m te, u n d n u r innerhalb ihres Set§s
Es ist hier d er O rt, diesen U nterschied der beiden U rge- duroh sich se lb st zu bestim m ende Kraft. — So beim M ensclien-
schlechter scharf anzugeben, und w as b ish er noch schw ankend geschlechte o hne O ffenbarung.
u n d u n k la r geb lieb en sein dürfte, fest und sicher zu m achen. Z u v örderst: — dieses letzte ist das rechte, eigentliche, d e r
U nsere Philosophie, au ß er d er B eschreibung durch W orte, die Zw eck d e r E rscheinung, als F r e i h e i t . — D agegen das erstere,
n u r an schon B ekanntes erin n ern , höchstens A nalogien geben, obw ohl m an etw a es sich als das edlere denkt, nur das M ittel
h a t noch das V erm ögen d er K onstruktion des Bildes a p r io r i: und die B edingung für das D asein des letzteren. D ort die w ahre
dieses w ollen w ir hier an w enden. Z ugleich ist die U ntersuchung eigentliche M enschheit, die E rscheinung G ottes.
höchst w ich tig fü r die E insicht in das g esam te System. S odann zur näheren V ergleichung; dem ersten G eschlechte
1. D as W esen des S i g h e r s c h e i n e n s (s o sagen w ir) ist ist x (der vernunftgem äße Z ustand d e r M enschheit) g eg eben als.
ein unendliches V erm ögen, B ilder zu entw erfen. etw as, das d a u nm ittelbar g ew o llt w ird, und nicht anders kann, IV, 488
2. H ierau s nun en tstän d e niem als ein wirklich s e i e n d e s , als g ew o llt w erden, das darum schlechthin i s t an d e r M ensch­
IV, 487 f a k t i s c h e s Bild (und so auch nicht d e r A usdruck eines u r ­ heit. D as zw eite faßt auf dasselbe x, falls es ü b erh au p t an jenes
s p r ü n g l i c h e n Seins), w enn nicht dieses V erm ögen in seinem kom m t, als eines, das d a w e r d e n soll, durch F reiheit; darum
w irklichen Bilden e rfa ß t w ü rd e von einem beschränkenden G esetze, m uß in seiner A nschauung auch die F reiheit erscheinen, durch
izufolge d essen das Bild g e ra d e also und night anders ausfallen die 'es w erden soll, sam t den M itteln und W eisen dazu, u n d der
m uß. ganze W eg d er E ntw ickelung. — D o r t x die W elt, d e r Z u ­
3. So nun zwei G rundw eisen des Bildens, d, i. zwei G rund- stand selb st: h i e r eine x erst hervorbringende Freiheit. D arum
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erscheint auch x in der letzteren A nschauung als ein ganz anderes, G egensatz in seinem E inheitsgrunde verstanden w ürde, ist mir
— m it s e i n e r G e n e s i s a u s d e r F r e i h e i t , al s e n d l i c h e s , nicht bekannt. D ahin eben m öchte ich1 durch das B isherige und
zeitliches, durch Mittelglieder bedingtes F r e i h e i t s ­ F olgend« Sie führen.
p r o d u k t : — d o rt a l s u r a n f ä n g l i c h e s S e i n . — a) G e ­ G rundcharakter dieses Zweiten U rgeschlechts für sich w äre
s c h i c h t e nun ist die A nschauung dieses Lebens d e r Freiheit, unbegrenzte Z ügellosigkeit des B ildungsverm ögens in B eziehung
aus einem form alen und leeren Z ustande sich entw ickelnd zu x : auf das Praktische, ohne irgendeinen A nhalt und G esetz in ihnen
— und dies die eigentliche, b) Die G eschichte des M enschen­ selber,
geschlechts, jenes S e i n von x mi t dazugenom m en, läuft darum je n e s erste G eschlecht g ab g a r kein W erden, m ithin auch1
in sich selbst zurück: endend, für dieses Leben näm lich, als einen nicht die A nschauung, die die M enschheit, als das göttliche Bild,
h ingestellten abzuschließenden U m fang, in dasjenige Sein, ’’on g eb en soll.
dem sie a n h o b : die M enschheit erb au t in y einem zw eiten L - D ieses zw eite auch nicht, da in ihm zw ar das Prinzip des
schlechte sich selb st zu dem , w as sie in einem ersten schon W e r d e n s , die Freiheit, aber keine A nw endung und Folge d e r­
uranfänglich w ar, das g e g e b e n e Sein zum P rodukte d e r eigenen selben lag.
F reiheit m achend, c) So m ü ß te es sein, und ich erkläre dadurch Beide U rgeschlechter d aru m ^m ü ssen noch vereint w erden,
einen frü h eren P unkt, d er undeutlich geblieben sein soll. —■ um in ihrer V e r e i n i g u n g das Schauspiel zu bilden, auf w elches
W ie soll denn dem zw eiten G eschlechte, dem eigentlich daran es ankom m t. In dieser V ereinigung konnte nicht unterjochen,
Hegt, u n d ü b e rh a u p t d er ganzen M enschheit jenes x, das, w as überw inden, bestim m en das zw eite G eschlecht das erste; denn
da w erd en soll, und w as h erv o rg eh t aus dem reinen, un b ild ­ dann w äre ü b erh au p t n u r das zw eite übriggeblieben, darum keine
lichen G esetze, sich stellen in einem B i l d e ? — Als O rdnung O rd n u n g und G esetz; e s w äre ü b erh au p t der U n terg an g erfolgt,
eines M a n n i g f a l t i g e n . O ffenbar kann es das nur in einer E r­ W ohl aber um gekehrt m uß das erste G eschlecht bestim m en das
scheinung des S e i n s , als bin d en d eben ein g eg ebenes M annig­ zw eite, jedoch m it B eibehaltung seiner Freiheit. — D iese Über­
faltige eines schon g eg eb en en Seins. D ieses Bild, das Vorbild m acht und H errsch aft des ersten G eschlechtes ü ber das zw eite
für die Freiheit, ist nun g eg eb en an dem ursprünglichen Z u ­ kann nicht dem O h n g efäh r überlassen bleiben (indem auf ihr
stan d e des e rste n M enschengeschlechtes. Es ist V orbild für sich die E rscheinung G ottes beruht, die da ist schlechthin); sondern
selbst in dem zw eiten freien G eschlechte. m uß gesich ert sein durch ein G e s e t z : durch das der A c h t u n g
D ies nun ist die G rundansicht, w elche das Zeitleben der für O rd n u n g ; eine V orstellung, die den freien N aturm enschen IV, 490
M enschen, die v erg an g en e und zukünftige G eschichte vollkom m en zurücktreibt, u n d gleichsam zur B esinnung b rin g t; die erste E r­
verständlich m acht. D asselbe existiert in der Form des Seins, scheinung im M enschen, an welche das absolut g eb ietende Soll
489 w ie in d er Form d er G en esis: F ortschreiten zur letzteren ist sich anknüpft, und aus w elcher es sich entwickelt.
m ithin A ufgeben d er ersten. Die höchste E rkenntnis des Z eit­ U nd jetzt an dem Z usam m entreten d er beiden U rgeschlechter
alters ist nicht d u rchaus blind für dieses V erhältnis: die Elem ente ist der A nfangspunkt d er G eschichte, ihr eigentlicher G eist und
des G egen satzes sind ihm allerdings erschienen. D er eine eifert ihr G rundgesetz, und alle H auptm om ente, die in derselben sich
ein seitig fü r die E rh altu n g des Seins, darein setzend das höchste ereignen m üssen, g e g e b e n ; und dies läßt so g ar a p rio ri sich e r­
G u t: d e r an d ere für das durch F reiheit zu erringende. M ehrere kennen, M it ein er solchen E rkenntnis haben w ir als P hilosophen
stücken ih re A nsicht aus b eiden Elem enten, je nachdem sie an es einzig zu tu n ; dieselben in den vorhandenen E rzählungen
v erschiedenen T eilen von dieser o d e r von jen e r stärker b erü h rt vom Leben unseres G eschlechts auffinden, m ag nun je d er für
sind, zu einem ungleichartigen G anzen zusam m en, usf.. D aß der sich selbst.
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120 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Verminftreiches, 121

D ies darum d er G rundriß d er ganzen m öglichen M enschen­ sod an n auch äußerlich, g eg en das ihm aufg ed ru n g en e frem de
geschichte: N ach der V ereinigung brin g en A bköm m linge des G esetz und O rdnung. — Es sind zwei F älle: en tw eder die andere
ersten G eschlechts die ihnen b ekannt gew o rd en en des zw eiten P artei g ib t nicht nach, oder sie gibt nach. G ibt sie nicht nach',
zu i h r e r O rd n u n g , w elche in ihnen selbst sich g rü n d e t auf das so ist die V ereinigung getrennt, beide sind w ieder sich selbst
nicht w eiter zu b eg rü n d e n d e k a te g o risc h e : S o i s t ’ s s i t t l i c h überlassen, w ie vorher; alle die obigen Folgen treten w ieder ein,
n o t w e n d i g ; — die sittliche N o tw endigkeit G ott genannt, so ist's es en tsteh t keine G esch ich te: keine E rscheinung der F reiheit ist
G o t t e s W i l l e . Ih r G lau b e — abso lu ter N a t u r g l a u b e . — m öglich, die da doch sein soll s c h l e c h t h i n . — ( G e t r e n n t
Sie können jenseits dieser V o rstellung ihr W esen nicht w eiter sind b eide; denn w as dem ersten G eschlechte das Ü bergew icht
auflöseri, u n d so sich nicht losreißen von jen e r Ansicht des versicherte, die A c h t u n g und der G l a u b e , ist für diesen Punkt
Seins. — (M an h a t den B egriff des G laubens nicht im m er r e r v . verloren.)
sta n d e n : G laube g e h t allem al auf ein g e g eb en es Bild, d e m se lt n Also — das zw eite allein bleibt ü b r ig : die P artei des G laubens
ab so lu tes Sein b eim essen d ; und nur vom Bilde einer sittlichen g ib t nach — zufolge eines G e s e t z e s . Auch läß t dieses G esetz
O rd n u n g b rau ch t m an dieses W o rt; — e r g e h t darum allem al auf sich bestim m t nachw eisen. Ist gleich gesagt, die G lieder des
ein g e s c h i c h t l i c h G e g e b e n e s . B eim essen der R ealität einem ersten G eschlechts hätten d u r c h s i c h von jenem Bilde, als
'unbildlichen G esetze d ag eg en ist E i n s i c h t , nicht G l a u b e . — dem ab so lu t sein m üssenden, sich nicht losreißen können, so
M endelssohn, Ja c o b i: — w as dabei w eiter gesp ro ch en w orden, ist doch nich t g esagt, daß sie dies nicht nach A nleitung an d erer
davon zu se in e r Zeit.) D iese U m schaffung ist ihnen möglich': verm öchten, u n d w enn andere ihnen dies L osreißen vorkon-
durch (jie A c h t u n g , w elche ih re O rd n u n g dem zw eiten G e­ strtiieren. H ier tritt w ieder ein das allgem eine G esetz der G eister­
schlecht g eb ietet. Sie im p o n iert diesem in ih rer N e u h eit: — welt, die A usström ung nämlich des freien V erstandes, w enn er
diese A chtung näm lich ist Suspension ihrer F reiheit (sich los­ irgendw o durchgebrochen u n d K raft gew onnen, und die geistige
zureißen u n d d a rü b e r hinauszugehen), g eg rü n d et auf das ab ­ U rheberschaft und F ortpflanzung überhaupt. Die erste P artei
so lu te W eltg esetz d e r M öglichkeit einer G eschichte, d. i. d er sieh t ein, daß die zw eite recht hat, m acht sich selbst frei; und
S ichtbarkeit d er F re ih e it ü b erh au p t. Sie sind b etäu b t u n d g e­ die A ufhebung des A utoritätsglaubens für diesen P u n k t w ird IV, 492
n ötigt, jen es Bild eb en so als A bsolutes zu setzen, w ie die ersteren zugleich die A ufhebung und V ernichtung des N aturglaubens. Die
IV, 491 es t un; auch weil es ihnen am G egensätze gebricht. Es ist Rollen ändern sich: wie das erste G eschlecht die W echselw irkung
eben die U nm öglichkeit, d er frem den A nsicht nicht die seinige an fin g durch das G eb o t d e r A c h t u n g , setzt das zw eite sie
zu u n te rw e rfe n ; doch so , daß sie uns eine frem de bleibt, weil fort durch E ntw ickelung dfes V erstandes, und w ird nun Lehrer
das dunkel gefühlte, n u r je tz t noch nicht ins W erk gesetzte ;: und U rh eb er an seinem Teile.
V erm ögen, den n o ch d a rü b e r h in auszugehen, nicht vertilgt ist. — i W ie w ird der Streit in diesem Punkte, wo er angehoben hat,
A udi ein G laube, ab er ein anderer, A u to ritätsg lau b e; b ed in g t verm ittelt w e rd e n ? Auf diese W eise: die V ereinigung soll bleiben;
in seinem D asein durch die B etäubung von dem frem den N atu r­ V erfassung und O rd n u n g ü b e r die streitig gew o rd en en V er­
g lauben. hältnisse, ü b e r die die bisherige O rd n u n g freilich keinen Streit
W ie jedoch die E rsch ein u n g ihre N euheit verliert, weicht m ehr gelten ließ, m uß darum auch sein: also ein n e u e s Band.
die B etä u b u n g ; die freie P h an tasie des zw eiten G eschlechts reißt Die freig ew o rd en e Phantasie aber w ird gebunden nur durch klare
sich los, w irft den G lauben ab u n d bildet den G egensatz gegen Einsicht. ;Also — es m üßte üb er die streitigen P unkte eine
das, w a s b ish er das einzig M ögliche schien, und erreg t den O rd n u n g gefu n d en w erden, die d e r Freiheit ihr Recht angedeihen
K rieg d a g e g e n : fürs erste innerlich, in seinen V orstellungen; läßt, und sie b in d et n u r durch V erstandesgründe, durch Über-
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122 Angewendete Philosophie. Von der Errichtung des Vernunftreiches.

zeuguing; w elche O rd n u n g vielleicht von d er crsteren g a r sehr lassen, w ürde e s fortreißen zu einer B ew egung ohne allen inneren
sich u n tersch eid en könnte. — Ein n e u e s Band also, ein durch Anhalt, und so es vernichten. N ur in d e r V ereinigung der beiden
d en y e r s ta n d gesetztes. Prinzipien w ird ein w ah rhafter F o rtg an g gew onnen, dadurch eben,
D iese ,f reie Einsicht indes ist logische Folge aüs festen V oraus­ w enn d er G laube in V erstand sich auflöst, d er V erstand d ag eg en
se tz u n g e n ; .aber das vorhandene F este ist G l a u b e ; jene b eru h t an einem G lauben sich hält. D aß, w enn d er G laube allein herrscht,
also ,aiuf F o lg eru n g en aus dem vorhandenen N aturglauben, in kein F o rtg a n g sei, haben w ir schon erseh en ; w as da erfolge,
d er R egion, w o e r noch halt, durch die freie P hantasie noch w enn d er V erstand den G lauben verläßt, w erden w ir zu seiner
nicht au fg elö st, darum zugleich auch A utoritätsglaube ist. — Z eit G elegenheit haben, in Beispielen anzugeben. D as ab e r ist
D er F riede ist h erg estellt; ab er n u r für gew isse Z eit: auch das der F o rtg a n g d er G eschichte, daß im m erfort d er V erstand Feld
neu e G laub en sb an d , als Prinzip, ist dem folgenden V erstände ge.winne ü ber den G lauben, so lange bis der erste den letzten
zur P rü fu n g bloßg estellt. Es kann g a r nicht fehlen, daß diesl ganz vernichtet und seinen Inhalt aufgenom m en h at in die edlere
in denen, w o dieses Prinzip vorherrscht, d urch die G ew ohnheit'-: Form der klaren E insicht: daß jen er diesepi im m er m ehr die
von d e r H eiligkeit des G eg lau b ten nicht m ehr geschreckt, nicht A ußenw erke nehm e und ihn nötige, ins In n e re sich zurück­
auch jen seits d esselben sich versuche, das Prinzip auflöse unU zuziehen nach 'einer bestim m ten R ichtung und Regel. (Aus dem
so streitig mache. Es w ird erfolgen, w as das erstem al; der V er­ Besitze g e w o rfen e r G laube h eiß t seitdem A b e r g l a u b e , Seit­
stän d ig e w ird m it fo rtreiß en den G läubigen, es w ird das Bedürfnis d e m: dies w ird uns V eranlassung geben, eine w ichtige B em erkung
ein treten , die Einsicht zu finden, und eine neue O rdnung auch zu m achen.)
ü b er diesen P u n k t auf V erstandeseinsicht aufgebaut w erd en : — M an versteht ein geschichtliches Zeitalter, w enn man a n ­
Versta>ndeseinsicht, die daru m , w ie die erste, g e g rü n d et ist auf zu g eben verm ag, w iew eit dasselbe bestim m t sei durch den Ver- IV, 494
irg en d ein en G laubensartikel im H in terg rü n d e, für den die Zeit stand, w iew eit durch den G lauben, und an w elcher bestim m ten
IV, 493 d er A nfechtung auch kom m en w ird, und d er eben also g en ö tig t Stelle die beiden Prinzipien m iteinander im Streite Hegen. —
sein w ird, sich zu v erw andeln in eine V erstandeseinsicht, und sich W ie der Streit endigen w erde, w elches darum das N ächste sein
zu stützen auf einen im H in terg rü nde liegenden G laubensartikel: w erde für diesen, läßt sich übersehen. Dies darum ist der Schlüssel
und dieses nach dem selben Einen G esetze im m erfort; so lange zum V erständnisse aller G eschichte.
bis d er letzte G laubensartikel und das letzte R esultat desselben Beide Prinzipien haben ihre g eb o renen W o rtfü h rer; im Be­
im Z u stan d e d er M enschheit au fg ehoben ist, und unser G eschlecht g in n e bestim m t durch die A bstam m ung aus dem ersten oder
aus re in e r und k larer Einsicht, darum mit rein er F reiheit sich zw eiten U rgeschlechte; nach geschehener inniger V erschm elzung
se lb st erb au t h a t; w o m it d en n w ohl seine ganze G eschichte in nicht g erad e dadurch m ehr, sondern durch alle die besonderen
diesem irdischen D asein ab g eschlossen w äre, und es betreten U m stände, w elche die individuelle D enkart der M enschen b e­
d ürfte die S phären hö h erer W elten. stim m en. Beide sind abgesagte W idersacher; auch ist die Form
So darum v erhält sich die S ach e: G laube und V erstand sind d er B eschuldigung im m er dieselbe, hart ausg ed rü ck t: D u G o tt­
die beiden G rundprinzipien d er M enschheit, aus deren W echsel­ loser — du D um m kopf! Es sa g t aber im m er d asselbe: D ir g ilt
w irk u n g sich erzeu g t die G eschichte. D urch d en G lauben ist das d er G laube nicht als höchstes P rinzip; dir gilt der V erstand nicht
M enschengeschlecht fertig, und erhält einen A nfangspunkt seines als höchstes Prinzip, — w orin beide Teile recht haben. D er Streit
L au fes: durch ihn w ird es im m erfort im Sein erhalten und ein kann zu Ende g eb rach t w erden n u r durch den ganz aufs reine
B estän d ig es und d er G rund einer D auer ihm eingepflanzt: durch gekom m enen, d. i. den, allen G lauben aus sich ausscheidenden
den V erstand erh ä lt es B ew eg u n g ; ja dieser sich selbst über-; V erstan d : denn das ist das V orrecht des V erstandes, daß er sich
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selb er e r k e n n t , indem er i s t , und darum auch erkennt, versteht P u n k t seines L ebens darum ist R esultat jen er beiden Daten. —
u n d zu w ü rd ig en w eiß seinen natürlichen G egensatz, den G la u b e n : D er tertninus a quo im B ew ußtsein, m it dem Zusatze, daß er
d ag eg en d er G laube n u r i s t , nicht ab e r sich erkennt und eben eben so sein solle, ist G l a u b e ; das G esetz für die Freiheit im
darum auch n ic h t seinen G egensatz. D a der W id erstreit völlig V e r s t ä n d e . — Jene E ntw icklung aber ist die Geschichte, be­
au fg eh o b en . N icht bis ans E nde hind u rch g ed ru n g en er V erstand steh en d darum au s G l a u b e n und V e r s t a n d , dem Streite beider,
nur befein d et den G lauben, durch einen anderen G l a u b e n , an Und dem S iege des letzten ü b er den ersten.
die Z ulänglichkeit des V erstandes näm lich, die er doch nicht D ies jetzt anzuw enden auf den S t a a t !
einsieht: — indem auch in d er T at u n b ed in g t die Sache sich
nicht also verhält. D er V erstand ist nie erschaffend, sondern,
wie es das W o rt bezeichnet, ein U rsprüngliches verstehend.
E n t w i c k l u n g des S t a a t e s im S t r e i t e des G l a u b e n s
u n d d e s V e r s t a n d e s . (Es ist dies die G eschichte schon in
D ies alles g ilt als der G a n g der K ultur n u r in denjenigen ihrer M itte gefaßt.)
T eilen der M enschheit, w o jene W echselw irkung sta ttfin d e i — H a u p t e p o c h e n : 1. D er S taat als A bsolutes im G la u b e n : — IV, 496
Bei d e r A b so n d eru n g des zw eiten G eschlechts, das an sich un- im G lauben, also in einer g egebenen G estalt; für jeden in der,
495 g ezü g elt ist, m it g esetzlo ser P h an tasie u n d Freiheit, ohne O rd n u n g in w elcher er ihm g eg eb en ist. -
u n d R egel, e n tsteh t V erw ilderung, Abfall, da ursprünglich das F o rtb estim m u n g dieser G estalt und Form durch den partiellen
zw eite G eschlecht n u r tu g en d leer ist, nicht aber lasterhaft. V erstand, indes der G laube an den Staat ü b erhaupt feststeht. —
D ies n u r als G ren ze und A usnahm e: u n s g e h t es g a r nicht Al t e Wel t .
an, d a w ir n u r vom G an g e d e r Kultur reden, — eigentlich auch II. G änzlicher U n terg an g des S taates durch das Prinzip des
nicht die G eschichte ü b erh au p t. Die W ilden haben unter sich vollendeten V erstan d es: B e g i n n d e r n e u e n W e l t . — Er w ird
g a r k e in e : e rst von dem Z eitp u n kte an fallen sie d e r allgem einen zu einem Übel. F ortentw ickelung ,des V erstandes. G elten des
G eschichte anheim , da sie mit d e r K ultur in B erührung kom m en, Staats als eines M ittels, und als V orbereitung d er B edingungen,
und in den P ro zeß derselb en verflochten w erden. um die für die freie K unst entstandene A ufgabe — die E rrichtung
D ies das A llgem eine, w as erst feststehen m uß. W ie nun des Reichs — zu lösen. N euere W eltgeschichte bis auf unsere
in sb eso n d ere die B ildung des S t a a t s und die G eschichte dieses Z eiten.
Staats d arau s sich erg eb e, davon zunächst!
In d es ‘zur allgem einen Ü bersicht:
D avon au sg e h e n d : w ie das R e i c h beschaffen sein solle,
fanden w ir, daß es faktisch nicht so sei, auch füglich nicht, so
sein könne. W arum n ich t? — Ein g e s c h i c h t l i c h e r Z ustand
w ar zu e rk lä re n : dies nur dadurch, daß die G eschichte üb erh au p t
verstanden w ü rd e, d. i. das G ru n d g esetz des g egebenen Seins
aufgestellt.
H ier nun fan d en w ir: D as M enschengeschlecht ist f r e i ,
d. i. sich selb er erzeu g en d und fortentw ickelnd nach einem G esetze
aus einem g e g e b e n e n Z ustande, dem te rtn in u s a quo. Jed er
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Alte Welt. 127

zu erfinden, den G o tt und die Eingänglichkeit ihrer Rede als


sicher und ajuf ein G esetz sich gründend, v o r a u s z u s e t z e n ?
B etru g ist ja M ißbrauch eines G laubens, d er da schon i s t . —
Zw ei Fälle sind: 1. Sie g laubten es entw eder selbst ganz fest
u n d unm ittelbar, und m u ß t e n es, falls sie ihrer A bstam m ung
IV, 497 Alte Welt. vom ersten G eschlechte sich b ew ußt w aren : — für die anderen
A c h t u n g , und allenfalls der bekannte Beweis.
i. 2. O der falls sie, nicht im Besitze des S elbstbew ußtseins
D er B e g i n n des S taates in M ittelasien unbekannt der G e­ jen er A bstam m ung, es nicht so unm ittelbar glauben konnten,
schichte, W ir finden ihn, ohne daß er Rechenschaft gibt, w ohe ? so suchten sie ein Z e i c h e n , um es zu erfahren.
— also M onarchie (also eigentlich h indeutend auf ein Sein, da Ich m uß diesen aus dem gew öhnlichen- D enken h erau sg e­
sich selbst nicht setzt und begreift, weil es ihm am G egensätze kom m enen B egriff erklären. D enken Sie sich einen M enschen,
m angelt, ein an g eb o ren es), und sehen aus ihm K olonisten au s­ d e r g e d ru n g e n ist, einen Entschluß zu fassen zw ischen dem J a
w an d ern . Ä gypten, falls es zu erforschen ist, nach A nalogie der u n d N e i n . Sein V erstand schw eigt schlechthin und verm ag ihn
ü b rig e n : P riester aus N ubien. nicht zu leiten. Doch ist er sittlich und will nicht folgen einem
D as d er G eschichte zugängliche E ntstehen d er Staaten ver­ blinden O hngefähr, so n dern dem „Willen G o ttes; — setzen w ir
läuft allenthalben nach der gleichen R egel: Pflanzvölker aus den noch hinzu: weil er diesen als den allm ächtigen sich denkt, und
g eb ild eten R eichen kom m en u n ter m ehr o der m inder W ilde, nur bei dessen W illen sich G lück verspricht. — W enn er ihn
m achen dieselben bekan n t m it den K ünsten des Lebens, Feuer, nur w üßte! — Sollte G ott, denkt er, einer so redlichen G esinnung,
„G etreide, M etalle; — Ehe, bilden sie zu einem S t a a t e . — G rö ß ­ die ihm allein gehorchen will, und sich durchaus nicht w eiter
ten teils die W en ig eren die M ehrheit aus einem zw anglosen, frei­ zu helfen w eiß, eine O ffenbarung versagen, w enn er ihn darum
lich g a r d ü rftig en L eben zu einem gezw ungenen b rin g e n d : nur b ittet, und ihm erklärt, das und das w olle er als Zeichen an nehm en?
durch A chtung zu erklären. So g ew iß er n u n w irklich so denkt, so ist ihm dies ein Zeichen,
In diesem S taate w erden die A nköm m linge die R egenten, u n d er hat es durch seinen festen G lauben, er könne dabei
die E in g eb o ren en die U nterw orfenen und R egierten. (A ristokratie nicht an ders verfahren, und durch diese Ansicht von G ott, zu
d e r Fam ilien, d er Stäm m e.) — Sobald sich die U nterw orfenen einem Zeichen, einer Stim m e G ottes an ihn und O ffenbarung
so w eit b esinnen, um die F rag e aufzuw erfen: aus welchem Rechte seines W illens — zu einem O rakel gem acht. N ach seinem G e ­
d ies? — so ist die A n tw o rt: aus göttlichem ; so ist es G ottes w issen — das w ohl für einen h öher V erständigen irren, d. h.
W ille, u n d w ir sind seine B evollm ächtigten und handeln in diesem nicht so verständig sein m ag — ist dies der W ille G ottes. — Die
IV, 498 A ufträge. Ist die A ntw ort einm al gefunden, d er G laubenssatz A postel, die B rüdergem eine bis auf diesen Tag, w erfen in diesem
au sg esp ro ch en und b ek an n t: so w ird er auch w ohl, ohne erst Falle das L os: dies, w eil schon M oses, d er keine O rakel, als IV, 499
die A n tw o rt1 zu erw arten, gleich bei der uranfänglichen Stiftung die bei der Stiftshütte einzuholenden dulden w ollte, die anderen
des S taates an g ek ü n d ig t. — Beispiele nachher. üblichen verboten hatte. G i d e o n — das Fell (Richter, Kap. ö,
G öttliche B evollm ächtigte! — B e t r ü g e r ? Nichts seichter, V .36) g e g e n M oses G esetz; die n u r seh r gew öhnliche Inkonse­
d enn d ie s ! W ie w aren sie denn so w itzig, das B etrugsm ittel quenz je n er Schriften, daß ihm dies u n g e rü g t hingeht.
(W as ich dafür halte? Q uod d u b ita s, ne fe c e ris! D er g e ­
1 Frage (?). setzte Fall, d a ß ' m an eben einen Entschluß fassen m üsse, w ird
542 543
128 Angewendete Philosophie. Alte Welt. 129

überall g e le u g n e t — Nun. g la u b t a b e r ein solcher, der dies nicht Bonifatius noch nicht die letzte O ffenbarung G ottes a u sg e sp ro c h e n :
g e h ö rt hat, fest an die O ffen b aru ng des göttlichen W illens durch die rechte eigentliche im V erstände will eben noch g a r nicht
das L os; w as k an n denn d arau s erfo lg en ? Fürs e rste — E r , an die M enschen kom m en; auch er ist darum nur M ittel und be­
d e r e r ist, ist durch sein en G lauben g erec h tfertig t; obw ohl e r dingendes G lied in d e r g ro ß en K ette d er M enschenentw icklung,
vor dem V erstän d e nicht d a rü b e r gerech tfertig t ist, daß er d ieser wie jene, — E benso, w enn R om ulus n u r fest g laubte an die
ist. S o d an n w as er, durch das Los b eraten, tut, ist, da w ir die O ffenbarung des G ottes durCh den.V ogelflug, und jenes A ugurium
F ra g e auf J a o d er N e i n g esetzt haben en tw eder das Rechte, d .i. wirklich g e h ab t hatte (nur w enn eines von beiden nicht w ar -
w as ihm ein hinlänglicher V erstand g era ten haben w ürde, oder w ar er ein B etrü g er): so w u ß te er es g a r nicht anders, als
n ic h t Ist das erste d e r Fall, so isFs g u t. W äre das letzte, so daß G o tt ihn berufen und bevollm ächtigt habe, und keiner, der
w ird einm al d er V erstan d d arüberkom m en, und es b essern ; weil denselben G lauben an O ffenbarung hatte, konnte es ihm a b ­
es als u n v erstän d ig in d e r F olge offenbar w ird : es hat also a "h streiten, so n d ern m ußte ü b erze u g t sein davon, so wie er selber.
zu r E ntw ickelung des V erstandes geholfen, diesen g efö rd ert duf:.;h. Er h a t'z u e r s t den G edanken gehabt, er den G o tt gefragt, und
einen F eh ler: dazu ist ja a b e r eben alles da.) 1) dess B estätigung erh alten : nun steh t es nicht m ehr in seinen
Zum göttlich en Z eichen zu dienen sind ab er passen d alle G elüsten. D aß ein anderer nachher noch frage, g eh t nicht; er hat
E reignisse, die d u rchaus gesetzlos erscheinen: V ogelflug, Ein­ d en G edanken eben nicht gehabt, und G o tt antw o rtet nicht auf ,
w eide d er O p fertiere, w er einem zuerst beg eg n et. So die be­ das schon B eantw ortete, — Dies seine B erechtigung vor aller
stim m ten w irklichen O rakel an einem heiligen O rte, selbst sich W elt: von G o t t e s G naden E rbauer und B eherrscher Roms.
g rü n d e n d au f eine frühere O ffenbarung. ~ M ögen h i n t e r h e r R esultat: D e r S t a a t u n d s e i n e V e r f a s s u n g e i n e a b ­
w ohl zum B etrüge gem iß b rau ch t sein von den U ngläubigen: der s o l u t g ö t t l i c h e A n o r d n u n g: w o rü b er nicht w eiter zu g rübeln,
G läubige w a g t es nicht! A ber jed er bestim m te U nglaube, als d i e d e n V e r s t a n d d u r c h a u s a b w e i s e t . Eine G l a u b e n s ­
etw as N egatives, setzt einen G lauben voraus, den er ab g e­ s a c h e für alle W elt: für die Stifter n a t ü r l i c h e r G l a u b e , für
sch ü ttelt hat, die U nterg eo rd n eten A u t o r i t ä t s g l a u b e ,
Doch w oh lg em erk t: — nach d er ersten A nsicht b edeutet W elche R e l i g i o n g ab dies, und w eichen S t a a t ? (H ier die
d er V ogelflug u. dgl. nicht ü b e rh a u p t e tw a s: dies ist D eutung G rundzüge der gesam ten alten R eligion, des gesam ten alten ^
des u n w issen d en Pöbels, und sein hoohverpönter A berglaube, Staates.) *
w ie es d en n auch die M odernen nicht anders w issen. N ur w enn 1. G o tt hatte durchaus keine B eziehung auf die M enschen,
d er G o tt a n g eru fen w ird um E ntscheidung in einem bestim m ten au ß er m ittelbar durch den Staa„t. N ur dieser für ihn da, als
IV, 500 Falle, b e d e u te t es; und zw ar in öffentlichen A ngelegenheiten, sein eigentliches W erk und W ille, sein A nliegen und Leidenschaft, iv, 501
denn etw as an d eres ist in diesem System e fü r den G o tt nicht Die Individuen nur in d er S taatsordnung, als G lieder des V ereins,
da — w ie ich sp ä te r erw eisen w erde. und als M ittel für dessen Zweck. N ach dem W illen G ottes w ar
W e n n nun K ekrops o d e r K adm us glaubte, daß sein G ott, das Individuum u n terg eg an g en im Staate. (W as einige neuere
d er Schutzherr seines natürlichen Reiches, ihn g e sa n d t habe, um Spitzköpfe sa g te n : G o tt sehe n u r das G anze, nicht die Indi­
die W ilden von A ttika o d er T h eben zu m enschlicher Sitte zu viduen; ist echtes A ltertum , G o tt dann kein sittliches W esen,
bringen, so ist dies dem erleuchteten M enschen ebenso respektabel, kein W eltschöpfer.)
als w en n Jah rtau sen d e sp ä te r B onifatius glaubte, daß G ott ihn So alle A ndeutungen d er G ottheit bezogen auf den Staat,
in die germ anischen W äld er g e sa n d t habe. Kein Bonifatius w ar W enn in m einer H erd e eine M iß g eb u rt erzeugt w ird, wem w ird
m öglich, ohne K ekrops u n d K adm us: und so h a t denn auch es, w enn ich abergläubisch bin, etw as b e d eu ten ? Nach neueren
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Aiigewendete Philosophie. Alte Welt. 131
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Z eitbegriffen mir. Bei den Alten dem Staate, weichem die p ro d ig ia g ö t t e r e i , d. h. die verschiedenen E rscheinungen des Einen G ö tt­
gem eldet w erden m ußten, und d e r sie p rokurierte ( proeurarej. lichen, g e g rü n d e t durchaus nicht auf irgendeine Spekulation,
Die A rroganz, die G o tth eit des Staates in seine individuellen so n d ern auf w ahr geg lau b te G eschichte. (H interher erst kam der
A ngelegenheiten zu m ischen, verhaßt und verboten (d aher b e­ deutende U nglaube; deutend, weil er nicht g lau b te; d er auch noch
so n d ere H aus- und F am ilien g ö tter— Lares, P e n a te s): U n te r­ unter uns herrscht, das A llegorisieren und M etaphysizieren.)
schied zw ischen religio und su p e rstitio . — D ies löst den bekannten m ythologischen Streit. W idersprochen
W o d er Staat zugrunde g e g an g en w ar, der G laube an die hat Voß richtig, nicht ab er das Rechte an die Stelle gesetzt:
G ö tter desselben aber noch io rtd au erte, w ie dies mit Ägypten selbst ungläubig, w as ganz recht ist, nicht jedoch begreifend die
u n d Ju d äa g esch ah : da erhielten die G ö tter solche P rivatangelegen­ Q uelle m öglichen G laubens und O ffenbarung.
heiten. — Beide V ölker in Rom d aiü r b e k a n n t; aber diese pere- G ö t t e r , w ir k l i c h e l e b e n d i g e N a t u r e n , die sich
g rin a e su p e rstitio n e s verpönt, — die C haldäer, Jud en so oft ^r- o f f e nbart haben, und fortoffenbaren, leben und w ir ­
ken.
trieben. %
D ie K onsequenz w ar, daß m an durch N achforschungen ciller- 3. Jeder g laubte nun natürlich am m eisten s e i n e m G otte,
d ings auch von diesen G öttern etw as ü b e r die Staatsschicksale hielt diesen für den m ächtigsten (versteckt für den w ahren und
h erau sb rin g en k ö n n e: sie w ichen den B eschw örungen u n d Z auber­ einzigen.) Dazu hilft Selbstliebe und Selbstvertrauen. Jedoch
form eln. D as sollten nun nur die tun, die dazu verordnet w aren. konnte er den an d eren nicht g eradezu ableugnen, m ußte ihn in­
D aher w ar es so seh r verpönt, und ein M ajestätsverbrechen, nach dessen problem atisch stehen lassen. W ie es dam it stehe,, m ußte
dem Leben der C äsaren und dem Schicksal des S taates zu fo r­ sich finden, je d e r G o tt näm lich hat die T endenz zu w erden der
schen, Ein solcher m ußte A bsichten einer Staatsum w älzung haben. alleinige und rechte; das W e r k z e u g eines jeden sein aus-
2. erw
D ieser G o tt w ar nun nicht ein m etaphysischer, sondern ein ähltes V olk; w elches darum besiegen und unterjochen w ird
E r f a h r u n g s b e g r i f f : d er G o tt, d er nach dem G lauben d e r die anderen, das w ird den rechten G oti g eh a b t haben: d er k a p ito ­
V ölker sich so und so b ezeu g t haben sollte durch wirkliche linische Jupiter b ekriegt so den delphischen Apollo. — D arum
L ebenszeichen, B egebenheiten und Ä ußerungen, w orauf sich eben der Sieg zugleich ein Sieg ü ber die G ötter, die h erausgerufen
seine O ffenbarung g rü n d e t: — w ie näm lich g e ra d e diese Äuße- w u rd en : doch m it A chtung behandelt, denn m an konnte doch IV, 503
IV 502 ru n g e n im G lauben d er V ölker sich vorfanden. (C hristen fällt im m er nicht w issen, ob sie sich nicht rächen könnten.
diese Einsicht schw er, und v erw irrt die O ffenbarungsgläubigen.) Dies läßt sich an einem m erkw ürdigen Beispiele darstellen.
N u n w erd en diese O ffenbarungen bei verschiedenen V ölkern Das Recht des K rieges und der U n terjochung w ar sonach
höchst verschieden sein. — Die E i n h e i t G ottes, im völlig ab g e­ ein göttliches Recht, sich g ründend auf das Recht eines m äch­
zogen en bildloseh Begriffe, ist m etaphysisch — die eigentliche tigeren G ottes, sich zu unterw erfen einen u n te rg e o rd n e ten : darum
M etaphysik selbst, und noch jetzt — Z euge die neuesten Streitig­ auf V erschiedenheit der G ötter. So zw ischen G riechen und
keiten — fällt es den M enschen beinahe unm öglich, sich dazu zu P ersern ; zw ischen Röm ern und G riechen und allen übrigen
erheben. D ie persönliche bildliche E inheit d er Israeliten und N ationen; weil jene eigentlich eine neue G ottheit hatten. (Bei
C hristen, den letzteren eben nicht befohlen, ist eben kein F ortsch ritt den T r o j a n e r n etw a n u r w ar es an d ers; diese w aren aber zum
des V erstandes. Jen e w aren w eit davon en tfern t: ihnen galt Glück unterg eg an g en .) Die H elenen d ag egen hatten gem einsam e
ein G ö t t l i c h e s ü b erh au p t, bestim m t durch seinen G egensatz G ottheiten (daher auch gem einsam e Spiele, W ettkäm pfe, als deren
m it dem M enschlichen; das sich nun g estaltete und personifizierte, gem einschaftliche V ereh ru n g : dies ihr eigentliches, natürliches
hier so, d o rt anders, durch seine Ä ußerungen. D aher die V i e l - V o l k s b a n d ) . D arum h atten s i e kein Kriegs- und U nterjochungs-
F i c l i t e , D i e S ta a t sl e h r e . 9 547
546
132 Angewendete Philosophie. Alte Welt. 133

recht g e g e n e in a n d er: — :w ohl ab er das Recht der gegenseitigen Die Staaten des A ltertum s darum T h e o k r a t i e n ; das Volk
Aufsicht, ob die gem einsam en S tam m götter nicht zum Schaden W erkzeug G ottes, der seine M acht und O berherrschaft offen­
des G anzen von einzelnen beleid ig t w tirden: d ah er ihre heiligen baren will, ausg eh en d auf ein Universalreich. Vom röm ischen
K riege. D er religiöseste S taat d er spartanische, der irreligiöseste Staate aus w urde d er Zw eck so ziemlich erreicht. An dem jü d i­
d er athenische. D iese Einsicht g ib t den w ahren G ru n d von ihrer schen Staate sieht m an es ein, weil dies ein künstlicher, der
g eg en seitig en A bneigung. D as erste H eilige, die A r i s t o k r a t i e , N atur nachgeäffter Staat w ar, gleich nach dem Begriffe erbaut
beizubehalten, und die A chtung vor d er U n ab h ängigkeit helleni­ (w esw egen es in d er W irklichkeit auch niem als zu ihm kam ):
scher Staaten w ar sp artan isch er G eist. Die A thenienser verw andel­ sehe man es an den N aturstaaten des A ltertum s nur auch ein,
ten die A ristokratie in D em okratie, um eine g rö ß ere künstliche so w ird auch ü b e r das andere das Licht aufgehen, und m an
M acht zu haben (eine S eem acht), nach dem Prinzip, dessen A n­ w ird begreifen, w as uns in d er Regel so unbegreiflich ist. So
w en d u n g auch einen C h arak terzu g u n serer geg en w ärtig en Zi-'t. z. B. den G ru n d r ö m i s c h e r G r ö ß e — ihr G laube, ihre Reli­
au sm ach t: daß dem bloß R egierten d er S taat nicht eigene An- g io sitä t: darin ist Livius viel w ert. — D iesen G rund führen
g eleg en h eit ist, er darum fü r ihn nur tut, w as er m u ß ; d ag egen der röm ische Schriftsteller selbst an. W arum hat man sie denn nicht zu
R egierende, w as er irg en d kann, und sich selber g rö ß e r und verstehen gesu ch t?)
reicher m acht, um m eh r zu können. Sie m achten die einzelnen
frei, und nahm en sie auf in den reg ieren d en K örper, um sie
fleißiger im D iensteifer, au fo p fern d er und das S taatsganze reicher II.
und m ächtiger zu m achen. D iese M acht nun gebrau ch ten sie zur W as d er Staat in seinem I n n e r n ? — Z uvörderst: die G ru n d ­
U n terd rü ck u n g d er F reiheit an d e re r hellenischer Staaten, welche lagen desselben sind die oben beschriebenen unsterblichen
* O peration, nach ihrem richtigen Prinzipe, allem al von E inführung Fam ilien, als die B estandteile, aus denen er sich zusam m etisetzte,
d er D em okratie ausg in g , — Im entg eg en g esetzten G eiste die die S t ä m m e ; zugleich das V ehikulum und die G ew ährleistung
IV, 504 S partaner, die m it ih rer natürlichen M acht u n d ’ der ihrer B undes­ der Erziehung d er folgenden G eschlechter zu M enschen. (Dies
genossen sich b eg n ü g ten , und nichts von ihnen begehrten, als die läß t sich durchaus nicht trennen, ohne die V olkserziehung an , 505
Ehre d er O b eran fü h ru n g . D aher jene A bneigung, daher d er pelo- die Stelle zu setzen: auf diese kom m t man aber nicht, ohne den
ponnesische K rieg, dah er die Parteilichkeit der gro ß en , selbst V erstand als das H öchste zu setzen, d er durch das absolute
atheniensischen Schriftsteller g eg en sich selbst für die S par­ G laubensprinzip eigentlich ausgeschlossen w ar u n d verpönt.)
tan er *); dah er die N iederlagen A th e n s; d ah er endlich die U nter diesen Stäm m en galt nun der U nterschied zw ischen den
Schw ächung des G anzen, bis sie zuletzt einer G ew alt anheim fielen, R e g i e r e n d e n und R e g i e r t e n , w ie er nun eben festgesetzt
diq durch g a r nichts b eg eistert w ar, als durch die klare ver­ w ar, als durch göttliches und absolutes Recht bestim m t, w orüber
stän d ig e B erechnung ihres V orteils, der des m azedonischen K önigs kein G rund w eiter anzugeben.
Philippüs, der jedoch bei allem dem , so w ie sein N achfolger, A r i s t o k r a t i e : — E rinnern Sie sich an die G riechen. V er­
g e n ö tig t w ar, die äu ß ere F orm u n ab h än g ig er Staaten stehen zu änderung d er V erfassung in diesem Punkte, V e r g e h e n a n d e n
lassen. G ö t t e r n . Alle ihre g ro ß en Schriftsteller dieses G eistes. Platon
m eint nur, m an solle die Lehre von d en goldenen und silbernen
*). So besonders Xeriophon (s. de republ. L a c e d a e m verglichen mit:
de repubL Atfieniens), Thukydides (L. I.e. 18. usw.); auch Platon (deLegg. G eschlechtern dem V olke b e i b r i n g e n , um doch ihrem ein­
u. de Republ) und Aristoteles (Polit L. II, c. 6. 11.) stimmen diesem Ur-, mal aufgeregten V erstände etw as hinzugeben; nicht daß er selbst
teile bei. es g eg lau b t h ä tte : sein G laube w ar ganz ein anderer. A risto-
548 549
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134 Angewendete Philosophie. Alte Welt. 135

p h an es; n u r im N am en d er R eligion und gegen G ottlose konnte des G ebrauchs, ein E igentum d er B ürger, ü b er dessen Besitz nun
er sich das erlau b en : die g anze griechische T r a g ö d i e g an z die G esetze entscheiden, und ihn entw eder als G em einbesitz m ögen
ausdrücklich dazu bestim fnt, den u n b ed in g ten G lauben an den bestehen lassen (bei den Spartanern z. B.), o d er ihn an die
göttlichen Ratschluß zu predigen. (W ieviel ästhetischer A ber­ einzelnen B ürger verteilen. S k l a v e r e i der Frem den, B esieg­
glaube, in dem die neuere W elt liegt, w ürde hinw egfallen, w enn ten usf. — D iese daher keine E h e , sondern n u r contubsrnium
m an die an g estau n ten E rscheinungen u n ter den Alten, die w ir (nach röm ischem A u sdruck); keine F a m i l i e , ' d enn sie gehörten
g lä u b ig w ahrnehm en, historisch begreifen w ollte, und etw a neb en ­ selbst zur Fam ilie des H errn.
bei auch seine eigene Z eit!) — Sokrates, indem er das V erstan d es­ Dies w erd e scharf gefaß t durch den G egensatz: Bei uns
prinzip b em erkbar m achte, und diesen ansprach und bildete, und G ru n d d er Rechte die M enschheit; diese darum auch G ründ des
auf sittliche und religiöse W ah rh eit richtete, griff clas eigent­ B ürgertum es, sie ist das H öhere. W ie diese Ansicht in der W elt
lich e Prinzip des A ltertum s in d er W urzel an, und w ar auf d t 4 : wirklich g ew o rd en und in den allgem einen G lauben eingetreten
W ege eine neue Z eit zu b egründen. Den Sophisten, die mit dem ist, davon zu seiner Zeit. Im A ltertum e w ar von M enschheit
V erstände nur spielten, R ednerkünste suchten, zu T äu sch u n g ! in g a r nicht, sondern n u r vom B ü r g e r t a r n e die R ede: dies allein
P rivatprözessen u. dgl., den N aturphilosophen hätte es hin­ G rund des bedingten Rechtes des einzelnen, das nur von seiner
geh en m ögen. Ihm nicht. Sobald eine nur ein w enig ernstere Stelle g ilt; also keinesw egs G l e i c h h e i t der Rechte, selbst
und das w ahre Prinzip des S taates erfassende, und zur H e r­ nicht des B ürgers. — D ieses B ürgertum es G rund der die P erson
stellung desselben von den S partanern, bei denen es nie u n ter­ um fassende W ille des G ottes: w en dieser eben nicht um faßt, hat
g e g an g en w ar, eingesetzte R egierung kam , w ie die 30 Tyrannen, kein Recht. — D araus klar, w ie d er Thrazier, der Syrer in seinem
m ußte er büßen. — M y s t e r i e n für die aristokratischen Stäm m e, L ande beim B estehen seines S taates Rechte h at; nicht w enn er in
die schon durch den Vorteil an die V erfassung geb u n d en w aren : Rom ankom m t. D a gilt d er syrische, thrazische G ott und sein r, 507
bei den P hilosophen der U nterschied zw ischen dem Exoterischen ,\Ville nichts, o der er ist ü berw unden und unterjocht, darum auch
IV, 506 und E soterischen: d er erh ab en e Unwille A lexanders, als er die die Seinigen.
g eheim eren Lehren d er P hilosophie vom A ristoteles bekannt g e ­ Um es an einem Beispiele des G egenteils nachzuw eisen:
m acht sa h : die M anier P latons. — -W elcher christliche Philosoph O hne Zw eifel bestand ein g ro ß e r Teil der ersten Bevölkerung
d ag eg en w ird etw as w ahrfin d en und vor tragen, von dem er nicht Rom s aus entlaufenen Sklaven, V ertriebenen und anderen h erre n ­
w ünschte, daß es je eher je lieber Anteil des ganzen m ensch­ losen M enschen ohne B ürgertum : diese w ären nach dem gem ein­
lichen G eschlechts sein, u n d bis zu dem niedrigsten V olke sich sam en Begriffe jenes W eltalters auch in Rom ohne B ürgertum
verbreiten m ö g e? W o d er U nterschied im Prinzip liege, davon geblieben. W ie erhielten sie e s? W ie traten sie ein in den Be­
zu seiner Zeit! griff des kapitolinischen Ju p iters? A ntw ort: durch das vom Ro-
U nter den R e g i e r t e n — V erteilung der verschiedenen m ulus, als seinem Bevollm ächtigten, und in seinem N am en er-
A rbeitszw eige an die Stäm m e, so eben das ganze K a s t e n w e s e n Öffnete Asyl, die Erklärung, daß w er in Rom sich anbaue, w as
bildend. er auch vorher gew esen sei, frei sein solle und B ürger. In dieser
EndÜQh: d er M ensch für sich ist nichts, so n dern n u r d e r E rklärung w ar es Ju piter selbst, der ihn zum B ürger auf nahm ,
B ü r g e r , und zw ar nur als derjenige, u n d an der Stelle, w elcher m it dem im D ekret liegenden G erechtsam en. Die eigentliche
er zufolge seines Stam m es zugehört. W e r darum kein B ürger S tärke des Staates zusam m engesetzt aus den anderw ärts B ürger­
ist, nicht in seinem Stam m e um faßt ist im B ew ußtsein des den schaftslosen. Dies Prinzip der A ufnahm e d auerte fort: so Lucum o
S taat errichtenden G ottes, hat g a r keine R echte; er ist S a c h e (Lucius T arquinius), und A ttus C lausus. (S. Liv, 1,3 4 .2 ,1 6 .)
550 551
136 Angewendete Philosophie. Alte Weit. 137

(D adurch V orbild eines an deren sp äteren Ereignisses, das erst als N atürliches nachzuw eisem — Nach uns die U ngleichheit
d en S taat zerstören so llte; und dadurch die feindliche T endenz ursprünglich: zwei G rund- und Stam m geschlechter. In d er V er­
g e g e n an d ere S taaten, die zu einem anderen gew alttätigen Akte, einigung dieser U ngleichheit u n d d er U n tero rd n u n g der Stäm m e
dem W eib er raube nötig te, ihm die K enntnis sein er Lage recht auf- konnte es sich freilich au f m ancherlei W eise g estalten ; dies ab er
d ran g , u n d ihn nötigte, zu siegen, o der unterzugehen.) w urde angesehen als eine un b ed in g te V erfügung des N ational­
g o ttes, und erfaßt in diesem festen G lauben. — Die G leichheit
ist eine A u f g a b e für die praktische Freiheit. W ie -w ir oben
D araus S childerung des R echtsverhältnisses in d er alten W elt. sa g te n : F o rtg an g der M enschheit vom G lauben zum V erstände
Rechte und g eg en seitig e V erbindlichkeiten durchaus nicht gleich, sei G eschichte, ebenso könnte m an sag en ; von U n g l e i c h h e i t
so n d ern höchst ungleich zw ischen den B ürgern, bis herunter: zur zu G l e i c h h e i t ; denn das erste R esultat des die m enschlichen
völligen R echtlosigkeit d er Sklaven, den F reien geg en ü b er. D i/.re V erhältnisse durchaus ordnenden V erstandes ist die G leichheit
U ngleichheit durch einen absoluten, nicht w eiter begreiflichen in denselben, w ie w ir gesehen haben.
Beschluß der G o tth eit gesetzt, d er sich eben offenbart hat in den W ohlgem erkt, — so verhielt es sich ursprünglich: allenthalben
b ekannten T atsachen. U nd zw ar hat d er G ott in diesem seinem , im A ltertum e u n d ohne alle A usnahm e hat d er Staat also b e­
Rechte ord n en d en Begriffe erfaß t die V äter der unsterblichen g o n n en . W ir haben — und dies ist eben der Vorteil einer ver- IV, 509
Stäm m e. Seit dieser Zeit n u n behält jeder Stam m die G erechtsam e, ständigen A nsicht d er G eschichte — den S t a a t d e s A l t e r ­
die er u rsprünglich hätte. t u m s ü b e r h a u p t u n d s c h l e c h t w e g geschildert.
IV, 508 F ür u n s nun ist dies eine N o tv e rfa s s u n g , befestigt nur (D ies prüfe nun jed er und suche es anzuerkennen. Es will
durch den G lauben d a ra n : d as bestim m te ungleiche Recht g rü n ­ im g ro ß e n u n d ganzen angesehen sein. W as das einzelne an b e­
det sich eben auf einen bestim m ten O ffenbarungsglauben d er langt, so kann man ebensow ohl Belege dagegen, als dafür b rin g e n :
V ölker, und w ird geh alten u n d allen erträglich gem acht durch ü b erh au p t diese nicht z ä h l e n ! Es kom m t nur darauf an, die
diesen G lau b en ; in seinen beiden G rundform en (als N atur- und G r u n d r e g e l der E n t w i c k l u n g zu fassen, — nicht to t die
A utoritätsglaube). A nekdoten, sondern mit , Leben das fortgehende Leben anzu­
(„Ich stehe an diesem Platze, weil es G ott so g e w o llt/' W ie schauen, w as freilich nicht jedem g eg eben ist. E rstreiten läßt
w ir noch jetzt, ebenso die A lten: so in d er K om ödie d er Alten hierin sich noch w eit w eniger, als in d er stren g en W issenschaft:
die Sklaven oft sich tröstend, w ie u nsere gem einen L eute: w ir dies ist schon A nw endung des w issenschaftlich gebildeten V er­
können nicht alle reich sein, d er arm e M ann m achPs wie er standes.)
kann, u. dgl. W elch ein G rund u n terschied jedoch sei in diesem
G lauben d er Alten, und dem d er N eueren, an G ott, als den U r­
h eb er d er U ngleichheit, w erden w ir zu seiner Zeit sehen.) So indessen b l e i b t es nicht. D er A u t o r i t ä t s g l a u b e , g e ­
Über den U r s p r u n g d e r U n g le ic h h e it unter den g rü n d e t aufs Im ponieren, unterd rü ck t und b etäubt nur die
M e n s c h e n w ar einst die P reisau fgabe einer A kad em ie: R ousseau. U n tergeordneten. — Sie sind doch gleichw ohl B ürger, und haben
(Sie g eb en dies jetzt nicht m eh r auf: die draußen sind den Aka­ ihren Anteil an den allgem einen Pflichten. Ü ber dieses B e ­
dem ien ü b er den K opf gew achsen, und haben vor ihnen den s o n d e r e , i n i h r e m U m k r e i s e L i e g e n d e , den V e r s t a n d
R espekt verloren.) Bei diesen F ragen denken aber alle im m er zu gebrauchen, u n tersag t ihnen d er n u r a l l g e m e i n e G laube
an K u n s t ; bei dem , w as ihnen nicht ansteht, an List und B etrug: nicht. H ier ist er nicht verschanzt, und gibt Blöße. Es kann nicht
die K unst kom m t jedoch im m er erst nach — d er N a t u r : darum fehlen, daß die R egierten nicht häufig glauben sollten, bisw eilen
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Angewendete Philosophie. Alte Welt, 139
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m it U nrecht, bisw eilen auch w ohl mit Recht, sie hätten dieses gesprochene, o d er in dem allgem einen G lauben d er V ölker liegende
o d er jenes b esser verw altet. So g ib t sich ihnen der U nglaube K onstitution. — T yrannen nur im Zeitalter d er K onstitutionen.
an die U ntrüglichkeit d er R egenten von selb st in die H ände, (D as glänzendste und zum Glück uns zugänglichste und offen
b eso n d ers bei eigenem Leiden und U ngem ach. (Um desto m ehr, vor- A ugen liegende Beispiel dieses K rieges u n d seines Erfolges
je m ehr die R egierten für d en Staat w irken, und für ihn dulden ist die r ö m i s c h e G e s c h i c h t e . Am Senate in seiner E rblich­
und tra g e n m üssen: dies der d u rchgehende M aßstab. Ist der keit, nach den Begriffen des A ltertum s, w ar schon beim B eginne
Staat im tiefen Frieden, o d er g ib t es eine eigene Kaste der Krie- das K orps d er A ristokraten festgesetzt und abgeschlossen: sie
ger, und die R egierten w erd en in die W erkstätten und an den w aren eine v e r m i t t e l n d e M acht zw ischen den K önigen und
A ckerbau verw iesen, so zeigt sich dies alles w eniger.) Jetzt ver­ der plebs. Sie, nicht das Volk hoben die K önigsw ürde auf; der
langen sie Teil an der R egierung. Es beg in n t der Streit der D em o­ erste Schritt zur K onstitution und D em okratie. Sie, — dem Volke
kratie m it der A ristokratie. Ist auf jene W eise d er G laube ein./, w äre es auch nicht e i n g e f a l l e n . (U nsittlichkeit, V ergreifung
mal durchbrochen, so stellt sich ihnen die Einsicht, daß alle ; an keuschen M atronen verm ochte, w as alle T yranneien des Su­
G lied er des S taates das gleiche R echt haben z u r Teilnahm e p erb u s nicht konnten. So w iederholte es sich nachher auch bei IV, 511
der R egierung. In den leidenschaftlichen V erhandlungen darü b er den Dezem virn. Nichts h e b t den G lauben so gew altsam auf,
510 kann es nicht fehlen, daß, da m it V erstandesw affen g estritten als tierische L ust der G ottg eb o rn en .) D ies w ar nun nichts w ei­
w ird, die A ristokraten, w enn sie n u r ü b erh au p t auf dieses Feld ter, als V ernichtung eines G liedes der V erfassung, dessen G ew alt
sich b eg eb en , vor sich selb st und in ih rer eigenen Einsicht b e s i e g t üb erg in g an den Senat. — E benso erging es in G riechenland, ohn-
w erden, uitd nachgeben. — E r w e i t e r u n g der A ristokratie; ein g efäh r aus den gleichen G ründen, p e r trojanische Krieg und
neues u n d zw eites G eschlecht d er A ristökraten, nicht durch den seine E reignisse stürzten das K önigtum . — Die A ristokratie w ar
W illen G o ttes, s o n d e r n . durch die K o n s t i t u t i o n des Staates. nun innerlich verändert, ihres persönlichen E inheitsbandes ver­
D iese K onstitution eröffnet nun m ehr o der m inder allen B ürgern lustig, an dessen Steile ein inneres, konstitutionelles trat, z. B.
die M öglichkeit des E intritts in jenen Stand. — Bem erken Sie W a h l g e s e t z , da zu den K önigsrechten alle A ristokraten das
w ohl den untersch eid en d en C h arak ter derselben. D iese V erände­ gleiche R echt hatten. Nach außen also, in B eziehung auf die
ru n g in d er N atu r der A ristokratie bildet eine H a u p t e p o c h e ; plebs blieb sie politisch d ieselbe; faktisch und historisch aber
hier tritt näm lich zu erst ein V erstandesprinzip in Kraft, die K on­ w ar das V erhältnis folgenderm aßen verändert.
stitu tio n , g e g rü n d e t auf V erstan d esberechnungen. So das Ende D er so n st fürs Leben bleibende geheiligte Ausfluß aller G e ­
der T h e o k r a t i e . (D er K onstitution g eh t n o tw endig eine Zeit w alt vom K önige aus, fiel hinw eg. Die Einheit w ard zum bloßen
des Staats voraus, wo sie noch nicht ist.) B e g r i f f e , dargestellt in w andelnden P ersonen, die außerdem
K onstitution = G esetz ü b e r E rrichtung des regierenden K ör­ auch auf andere Art bekannt w aren (in denen die M ajestät nur
pers. E rrichtung, sage ich, G e n e s i s . In d er T heokratie i s t er, akzidentell w ar, durch Z eit beschränkt, nicht substantiell ihnen
und leb t unsterblich in den unsterblichen Stäm m en. beiw ohnend). Ein M ittelglied w ar aufgehoben, und das H öchste
N och d ies: W as b ü rg t für die K onstitution? G l a u b e n an grenzte unm ittelbar an das N iedrige.
g eg en seitig e T reu e, g e b a u t selbst auf G lauben an die R eligiosität, Die A ristokratie w ar darum durch die A ufhebung des KÖnig-
durch Eid u. dgl. D enn w elch ein höheres G esetz gäbe es noch tum es geschw ächt, d. i. d er G laube an sie sichtlicher dem p rü ­
ü b e r die K o n stitu tio n ? — W e r diesen G lauben verletzt, w ird fenden V erstände ausgesetzt. A ußer anderen G ründen erleichter­
m it dem alten W orte ein T y r a n n , m it dem neuen ein U s u r ­ ten zu Rom den A ngriff des letzteren die grö ß ere A nspannung
p a t o r g e n a n n t: ein G ew alth ab er gegen die entw eder deutlich aus- des V olks für den Staat in den b eständigen harten Kriegen, so-
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dann das tägliche B eisam m enleben in E iner Stadt, und die m ög­ sie m ußten es w ohl selbst fest glauben, m ußten auch w issen,
liche g e n a u e B eo b achtung d er Persönlichkeiten. — Er begann daß alle W elt w enigstens die Präm issen dieser Schlüsse fest glaube.
von seiten d er plebs m it F o rd eru n g persönlicher F reiheit und Sie w aren nicht die N e u e r e r , so n dern die A l t - und R e c h t -
Schutz g eg en G ew alttätig k eit an den P ersonen, u n d hob in fo rt­ G läu b ig en : die N euerer, K etzer und F reigeister w aren in der T at
gesetzten Siegen sich bis zur F o rd e ru n g d er kurulischen W ürden, ihre plebejischen G egner.
als d er T eile der eigentlichen königlichen G ew alt, und d er g e ­ B em erken Sie so d an n von der ändern Seite, daß, nachdem
m ischten E h en ; m ithin zur F o rd e ru n g d er A ufhebung alles U n ter­ nicht n u r durch die K raft des V olkes, sondern durch den Ü ber­
schiedes zw ischen ihnen und der A ristokratie selbst, zur F ord eru n g tritt m ehrerer d er A ristokraten zur Ü berzeugung dieser Partei,
der R echtsgleichheit aller B ürger durch die G eburt. — Bem erken die N euerer gesetz- u n d k o n stitutionsm äßig ihre F o rd eru n g d u rch ­
Sie von d er Einen Seite, zum sichtlichen Bew eise der W ahrheit g esetzt hatten, u n d das K onsulat z.B . aus den plebejischen Stäm- IV, 513
m einer aufgestellten T heorie. — (Sie k ö nnen dies alles b :m m en besetzt w erden durfte, dennoch d er alte V olksglaube so fest
IV, 512 Livius nachlesen, dem unverd äch tig sten G ew ährsm anne, da er j o n hielt, daß sie von dieser V erstattung keinen G ebrauch machten,
u n serer T h eo rie gew iß um die beinah zw ei Jah rtausende e n t­ so n dern fortfuhren n u r aus den P atriziern zu w ählen; so daß
fernt ist, die zw ischen un s liegen.)- Die G eg en g rü n d e d er w ahr­ ihre G egner, entschlossen die Revolution durchzusetzen, genötigt
haften, echten A ristokraten w aren religiöser A rt: w ie denn die w urdeji, eine and ere höhere O brigkeit, tribmios militares coti-
P leb ejer die A uspizien, O pfer, u n d alles G ottesdienstliche ver*. sulari potestate m it vier, fünf, sechs und m ehreren Teilnehm ern
w alten k ö n n ten ? ob denn zu diesen die G ö tter redeten, diese für zu ernennen; daß E iner der Konsuln ein P leb ejer sein m ü s s e ,
sie ü b erh au p t da seien, und sie von ihnen w ü ß te n ? Die gem ischten um die kurulischen W ürden nur an sich zu b rin g en : u n d dies,
E hen betrach teten sie w ie V erm ischung m it T ieren. — Die G e­ w ährend m enschlicher A nsicht nach die plebejischen K onsuln und
schlechter (die göttlichen) w ü rd en dadurch ungew iß. K urz: aus­ D iktatoren mit ebensoviel G lück und Kraft den Staat verw alteten.
drücklich nicht als ein V ergehen gegen s i e , die A ristokraten, (Livius nennt dies M äßigung. Persönliche Rücksichten auf die
so n d ern als A uflehnung geg en die G ötter. D a w urde eben d er Patrizier aber w aren es sicher nicht; sondern es w ar religiöser
reine G laube, der auch den an d eren an g em utet w ird, als an er­ G laube. Doch welch ein unbilliges, d er M ajestät des w ählenden
kan n t und offenbar v orausgesetzt. W ie d er Plebejer, dem n atür­ Volkes selbst E intrag tuendes G esetz, nach welchem es g a r w ohl
lichen V erstände folgend, dies g erad e ergreift, um die A risto­ erlaubt war,., zwei plebejische K onsuln zu ernennen, durchaus
k raten v erhaßt zu m achen: da höre man es; sie schlössen so g a r aber nicht zw ei patrizisch e!)
die plebs aus von den g em einsam en G öttern. F e r n e r , wie, nachdem n u r dieser Satz des V erstandes sich
(Ich selb st habe in frü h erer Ju g en d dies oft mit E rbitterung g eltend gem acht hatte, m an hinterher das G esetz einschlafen ließ,
g elesen : und so jed er N euere, selbst d er erklärteste A ristokrat. und gew öhnlich n u r aus schon senatorisch gew ordenen Stäm m en
Alle m o derne A ristokratie d er G esinnung ist nur ein Schatten w ählte; also, daß Cicero zu seiner Z eit es als ein seltenes W u n ­
g e g e n die alte! W o h e r dies, davon zu seiner Zeit. — A ber ich der preisen konnte, daß er als novas homo das K onsulat erlangt *
b itte: dachten diese M änner etw a boshafterw eise sich nur so habe, da doch schon Jah rhunderte vor seiner G eburt alle
etw as aus, rein aus den F in g ern es s a u g e n d ; u n d w arum fürch­ Jah r w enigstens ein novas homo zum K onsulate erhoben w erden
te te n sie nicht, daß alles Volk sie stein ig e; und w arum steinigte m üßte. . i
sie dieses nicht in der T at, — o der schickte sie ins T o llh au s?
W ie es, w enn w ir nicht so g a r zahm w ären, heute gew iß jedem
erg in g e, der eine solche Lehre von sich hören ließe. N ein;
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Bleiben w ir stehen :bei d er röm ischen G eschichte, um so ­ eher konnten die P lebejer die V ornehm en plagen, und taten es.
gleich am Beispiele den F ortsch ritt von jenem Siege des V er­ Auch durch die E ro b eru n g en w urde ihre Ruhe nicht g e fä h rd e t;
stan d es und den b erechneten K onstitutionen aus darstellen zu aus diesen E inkünfte und T ruppen, ohne die souveränen B ürger
können. d er H au p tstad t zu belästigen, die nichts begehrten, denn panem
Ich b eh au p te: M it dem E inschlafenlassen jen er G esetze für et circenses. — M ithin: jene Sätze g alten gesetzlich; keiner leu g ­
die A n w endung ging d er alte S taat zugrunde, und bew ies seine nete sie. Doch wirklich zu r e g i e r e n ? Dies konnte sie nur in­
innere E rstorbenheit. kom m odieren; so hatten sie es besser. D er Staat w ar ihnen ein
1. D er A nalogie nach, w ie der Senat das K önigtum stürzte, F r e m d e s , wie Tacitus sp äter sagt. — So bei dem g ro ß en V olke; IV, 515
das Volk den S enat besiegte, so h ätten auch die S k l a v e n die — d er V erstand ist kein treibendes Prinzip.
514 B ü r g e r . D azu k o n n te es nun nicht kom m en innerhalb des B ürt er- Bei den A ristokraten d er G laube und die B egeisterung daran
tum s, da jene g ar nicht B ürger w aren. Dazu bedurfte es a n d e ' T veraltet, erbleicht, verschw unden: darum auch in ihnen kein A n­
erw eitern d er Prinzipien, u n d einer tiefer greifenden U m kehrung trieb für den S taat zu w irken. Der Staat ist keinem m ehr G egen-
der Begriffe, zu d er es sp äter auch kam. — N achdem also die s ta n d .u n d A ngelegenheit: w eder um in ihm seine eigenen Ange-
B ürger gesetzliche G leichheit der R echte erru n g en hatten, w ar legerfheiten zu bedenken, weil diese schon bedacht sind, noch
d er F ortsch ritt der alten G eschichte-geschlossen. um in ihm das W erk des G ottes zu treiben, weil dieser den G e­
2. W ie ab er erstarben sie: und w arum folgte aus jen er R e­ d anken entschw unden ist.
volution nicht, w as m an hätte erw arten sollen? Aus folgenden W as w ird nun das A ugenm erk? D as persönliche W ohlsein.
G rü n d e n : W as dadurch d er S ta at? D as G ehege, innerhalb dessen w ir
D er V erstand will recht haben und b e h a l t e n , sich nicht sicher sind. — Es tritt in die allgem eine D enkart die Ansicht
für U nverstand, o d er für u n g ü ltig ausgeben lassen. S o w e it b e­ ein: der G enuß des L ebens ist Z w eck, des L ebens; d er S taat
g e iste rt er zur feurig en Tat. W enn m an ihm nun sein Recht nur das M ittel dazu; kurz ganz und g a r dasselbe System , das
w iderfah ren läßt, ist er befriedigt, und hat in sich unmittelbaV w ir oben geschildert haben. Ehem als ist es dagew esen, jetzt w ieder.
keinen tatb eg rü n d en d en T rieb. Er ist spekulativ und betrachtend. D er Staat M i t t e l ; dies auf eine doppelte W eise: zur E r ­
Soll durch ihn das in d e r E rkenntnis D urchgesetzte auch im h a l t u n g des E rw orbenen, und um zu gew innen, durch das Re­
L eben erru n g en w erden, so m üssen m it ihm andere A ntriebe sich gieren selbst zu verdienen, w eil man es sich g u t bezahlen läßt.
vereinigen. W elche? Z u erst — w as ihn auch vornehm lich en t­ D as erste für das Volk, das zw eite für die V ornehm en. S teht
w ickelt — die S orge fü r persönliche Sicherheit und W ohlsein. es auch dem Volke offen, so w issen diese doch nicht so B escheid;
D iese t r e i b t un m ittelb ar; ist sie ab er ohne seine D azw ischenkunft sie w ürden auch m it ganz anderen M itteln von der H absucht
befriedigt, so bleibt er ruhig. — Auch noch ein an d eres: d e r und R aubgier abgew iesen w erden. D iese, sich verbergen m üssend,
p r a k t i s c h e T rieb, — den w ir K unsttrieb nennen m öchten, die erlaubt sich auch v erb orgene krum m e W ege, nicht m ehr fechtend
Liebe zur G estaltu n g des V ersiandesgebildes re in um des Ge- bloß m it den W affen des V erstandes. (So ihre V aterlandsliebe,
staltens w illen. — D ieser tritt ein bei einer sehr hohen und sehr w ie ein E ngländer sagt, gleich der Liebe zum R in derbraten; jeder
verbreiteten A usbildung des V erstandes, und bei einer hohen schneidet davon sein. Stück!) — Dem Staate nun erging es in
S icherheit und R uhe des persönlichen D aseins, und g eh ö rt nicht d er Regel so : der V ornehm e w ollte allerdings die Staatsw ürden
verw alten, die H eiligtüm er usf. innehaben (ihrer im H erzen
hierher.
In Rom nun w ar die Sorge für das persönliche W ohlsein lachend; siehe C icero!); aber nicht um ihrer selbst willen, so n ­
befriedig t nach jenen Siegen durch höchst b e g ü n stig en d e G esetze: dern um Prokonsulate, P ro p rätu ren zu erhalten, und in diesen
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die Provinzen zu p lü n d ern ; diese vielleicht auch tapfer erobernd W enn es nun einmal dazu gekom m en ist nach diesem Prin- iv, 517
und v erteidigend, w ie d e r R äu b er seinen R au b : — weil jenes E rste zipe, daß eigentlich g a r keiner m ehr für den Staat, sondern alle
die B edingung, das Letzte d er Lohn w ar. Die Plebs, durch die nur für sich selbst sich interessieren : w ie kann d er S taat fort-
W ohlfeilheit der L ebensm ittel, die öffentlichen Spiele, Trium phe, d auern, leben u n d sich regen, vielleicht seine g rp ß te W irkung
IV, 516 G erichte, W ahlversam m lungen abgehalten und beschäftigt, b e ­ nach außen haben seit dieser Zeit, wie in Rom es doch gesch ah ?
g eh rte nichts w eiter. Es tritt vielleicht ein G e n i a l i t ä t : B egeisterung und G e ­
Z e i t a l t e r d e s L u x u s ; d essen Prinzip, richtig erfaßt, darin triebenw erden durch das bew ußtlose religiöse Prinzip.
lieg t: das irdische L eben und sein G enuß letzter Zw eck, nicht 1. M an hält dies für ein Zeichen einer g u ten Z eit: um es um ­
M ittel; alles andere n u r M ittel dazu. Aus diesem folgt dann zukehren, begreifen Sie es als Zeichen einer bösen, verfallenden.
das übrige. — Die röm ischen Schriftsteller, Livius, Sallust, s, In der guten a l l e o h n e A u s n a h m e b eg eistert vom W illen
setzen offenbar darein den Verfall des Staats von d e r ehem alig a G ottes, u n d sich, erfassend als sein W erkzeug. D a isFs keine
inneren Stärke u n d E h rw ü rd ig k eit: luxuria perditi mores. ^ M erkw ürdigkeit; w ird es g a r nicht b em erk t: ein solcher kein
N icht g e ra d e die g r o ß e Schw elgerei; darauf kom m t es nicht G enie, denn Einer eben wie alle. D enken Sie das Urvolk. — In
an, W ir sind nicht so, weil w ir die M ittel dazu nicht haben, der schlechten Z eit alles versunken; ab er ein e i n z e l n e r : da
auch nicht die physische K raft; sind aber nicht um ein H aar is f s W un d er! Livius bem erkt es als ein B esonderes in den puni-
besser. Jenes Prinzip, als das Leben bestim m ende, m acht es schen K riegen, daß, w elchen m an auch herausgegriffen, alle den
aus! — D iese D enkart nun ist nichts P o s i t i v e s , U rsprüngliches, Staat gleich g u t geführt. D ies als ein E igenes g ep rie sen : ein
W äre dies, w ie sollte d er M ensch zu etw as B esserem kom m en! S enat von K önigen; im Vergleiche mit dem A uslande. Später,
Sie ist die negative. W en n die Sittlichkeit, die eigentliche Kraft hätte m an dem M arius, Sulla, P om pejus, C äsar, A ntonius, Octa-
des V erstandes, die K unsttriebe, die R eligion verfällt, so tritt vian jeden ersten besten aus dem H aufen gegenüberstellen k ö n ­
sie ein. D er M ensch m uß irg en d einen M ittelpunkt haben, auf nen, w ären sie denn das gew orden, w as sie w a ren ? V ergleichen
den er alles beziehe. Ist ihm alles and ere entzogen, so bleibt Sie nur ihre Z eitgenossen, die öffentlich geschändeten R äuber
er sich selbst in seinem sinnlichen D asein. D ies ist ihm das (V erres), G auner, W ucherer, G esetzverdreher und U m geher, —
Sichere, denn er ist das A llerletzte und Schlechteste. Livius hat B estechende und B estochene, gänzlich aufgegangen im scham ­
es w enigstens g efü h lt: d er Verfall aus d er V e r a c h t u n g der losesten E igennütze. Sie w aren nicht g ro ß an sich; in jene alten
G ötter. W o h er nun ab e r d ie se ? H aben die A ltvordern sich b o s­ Z eiten versetzt, der M ittelstab: g ro ß n u r durch die K leinheit der
h afterw eise v orgenom m en, sie zu v erach ten ? ■-*- Es w ar n o t­ U m gebung.
w en d ig nach dem G esetze d er Z eit, durch den A ngriff des V er­ 2. D as religiöse Prinzip, b e w u ß t l o s w irkend: es bleibt
stan d es, der erst nach Jah rtau sen d en die Kraft gew innen sollte, übrig fürs erste in der Sprache: ergreift so das jugendliche G em üt '
das scheinbare Ü bel w ied er gutzum achen, und an die Stelle der u n d entzündet da die Flam m e. — D iese G e n i a l i t ä t folgt auf
v erschw undenen T h eo k ratie eines praktischen G ottes zu setzen ein praktisch religiöses Zeitalter, und kann sich verstecken in
das Reich des w ahren u n d ew ig en G ottes. Bilder der N ationalgröße, der N acheiferung, des persönlichen
Z e i t a l t e r d e s E i g e n n u t z e s h erb eig efü h rt durch den E hrgeizes. — Sie erzählen, daß den T hem istokles die T aten des
im Streite ü b e r K o nstitution erschütterten G lauben, indes der M iltiades nicht schlafen ließen. Ich bitte, w aren denn die T aten
V erstand selbst keine b eg eistern d e K raft hat. D ieser letztere w ird an d er Schlaflosigkeit schuld, o der etw as im T hem istokles se lb st?
nun zum B erechner des V orteiles: — A ufklärung. — W enigstens tausend P hilister zu A then w ußten sie eb e n so g u t; iv 518
tausend Philologen seitdem nicht m inder. W arum denn diese
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nicht? Ei, dabei konnte: m an um seine g esu n d en G lie'dm aßen Z eitalter folgt das geniale. D er g rö ß te Teil der Z eitgenossen
kom m en; ich lobe m ir m eine Ruhe und Bequem lichkeit, und m ein d er G enialen ist durchaus gem ein, also ohne H eiliges. D iese
O rd in äres an Speise, T ran k und Schlaf. W as will der M ensch letzteren selbst, obw ohl o hne ihr B ew ußtsein getrieb en durch
m ehr! — N ein, ih m stan d en solche T aten da als das, w as schlecht­ das G öttliche, können in dem, w as zum B ew ußtsein kom m t, sehr
hin sein solle, und a u ß er ihm nichts, als B estim m ung des M en­ profan und gottlos sein ; sind es auch gew öhnlich, als K raftgenies.
schen, als das einzige, w as ihm W ert g ib t: w as ist denn dies In einem solchen Z eitalter verstum m en darum alle religiösen A n­
nun, als das G öttliche im M enschen? — Dies die Präm isse, ent­ klänge, w erden zu einem , dessen man sich in g u ter G esellschaft
wickelt, w er kann w issen, w ie? Die T aten des M iltiades w aren schäm t. D a darum keine m ehr um herfliegen, so können auch
n u r das Bild, in dessen B eurteilung sich jene tiefere P räm isse keine m ehr herabfallen und zünden in jungen G em ütern. Sprache
zeigte. i und Begriff des Z eitalters gehen ganz auf mit d er Sinnenw elt,
und m it der B erechnung derselben durch den Eigennutz.
2. Ist es auc:h nicht nötig. Es darf n u r eine Form , die den a b ­
D urch dieses ü b er die E igennützigkeit sich erhebende Prinzip: g eg an g en en H errscher ersetzt, gefunden w erden, u n d d a findet
d er genialen B egeisterung w urde in den letzten Z eiten der röm i­ sich ja aus d er U rm onarchie die E r b l i c h k e i t im Stam m e: und
schen R epublik die W eltero b eru n g (des Reiches des alten poli­ so w ird ein solches dem S taate entfrem detes Volk sich sogar
tischen G ottes) vollendet, und alles unterw orfen dem Ju piter freuen, daß es auch m it W ahl und E rn en n u n g keine Sorge habe,
C apitoiinus. so n d ern daß sein H errscher ihm im W ege d er N atur ohne sein
W elche F o lg e dies für den K ultursiaat ü b erh au p t hatte, da­ Z utun geb o ren w erde, w ie ohne sein Z u tu n die Sonne ihm au f­
von sodann, nachdem ich erst die angegeben, welche es in ner­ g eh t und u n tergeht. (B em erken Sie, daß diese Erblichkeit hier
lich gehabt. * k ü n s t l i c h konstitutioniert ist.) — W ie nun einem solchen Staate
D er G eniale, d er allein zu reg ieren versteht, will es auch sich solle aufhelfen lassen, ist durchaus nicht begreiflich: in ihm
a l l e i n ; die, so es nicht verstehen, besonders, w enn n u r für ist das L eben e r s t o r b e n . H at er keine ausw ärtigen Feinde,
das, w as allein sie b eg eistert, für ihre persönliche Sicherheit und so kann er als dieses corpus m ortm im fortdauern, D er erste A n­
W ohlsein g e so rg t ist, k ö n n e n nicht w iderstehen, noch w o l l e n fall derselben aber w irft ihn sicher ü ber den H aufen. —
sie ; der S taat g e h t aus der D em okratie w ieder ü b er zur O ligarchie In dem eigentlichen B ürger die Religion aufgegangen in
und M onarchie, — und endet hierin seinen Lauf : eine zw eite ganz Sinnlichkeit. —
andere H errsch aft der G e n i a l e n , d o rt der G o t t g e s a n d t e n . A ber das B ürgertum um faßte nicht die M enschheit: denn im
Je n e r Recht das des g eistig S tärkeren. D ort das O p fer d er G leich­ röm ischen Reiche 1, S k l a v e n : zum Teil m it hoher A usbildung
h eit dem göttlichen W illen, hier, das der schon errungenen d e r des V erstandes, — K ünstler, Räte, Freunde, E rzieher d er H erren.
eigenen Faulheit, F eigheit, N ichtsw ürdigkeit gebracht. — T heo- — D iese hörten von der G ottheit, von H eiligkeit: sie selbst
k ratie — G eniokratie. — (Nach T acüus — M ü d i g k e i t , also sollten keinen Teil daran haben. 2. Alle die u n t e r w o r f e n e n
F eig h eit: in cu ria reipablicae u t a lienae: „W en g e h t der Staat V ö l k e r : ihre V oreltern verehrten einen starken und m ächtigen
etw as an, w enn ich nur sicher bin m eines Lebens und m eine G ott. — W o ist er h in ? Ist er tot, o d er hat er uns v ersto ß en ? IV, 520
N ah ru n g habe, w as will ich m ehr! Ich halte es w enigstens für 3. Das gesam te w e i b l i c h e G e s c h l e c h t : u n m i t t e l b a r auch
reichlichen G ew inn, für jen es nicht so rg en zu m üssen.“ ) au sg esto ß en — nur M ütter der Kinder, nicht B ürger. D ennoch
519 So d er U rsp ru n g der zw eiten M onarchie — durch G enialität: hörten sie davon, h atten zugleich die höchste Em pfänglichkeit.
ab e r nicht jede w ird so fo rtg e se tz t; d e n n : 1. Einem religiösen D er M ann durch T aten ze rstre u t: sie ruhend, bedürfend einer
562 F i c h t e , Die Staatslehre. 10 563
148 Angewendete Philosophie.

Liebe und T eiln ah m e: — s;uperstitiös, so daß sie fast nicht zu


b än d ig en w aren . Sie auch hernachm als bei V erbreitung des
C hristen tu m s die ersten, u n d allen voraus! — So hatte sich g egen
den A nfang d e r röm ischen W eltherrschaft überall verbreitet ein
Erschrecken ü b e r die Sünde u n d U nheiligkeit, und ein an g st­
volles S treben, in das B ew ußtsein, den Schutz, die Liebe einer
G o tth eit au fgenom m en zu w e rd e n : durch alle M ittel. So Ein­
w eihung in die ägyptischen, persischen, griechischen M ysterien;
die Ju d e n g e n o sse n ; die Sum m e d es G eldes, die aus allen Län­
d ern im T em pel zu Jerusalem 'aufgehäuft w ar. Jeder, d er so N eue Welt. IV, 521
etw as versprach, w illkom m en. — D ieser D urst nun sollte auf
eine g an z an d ere W eise b efried ig t w erden, wie er auch das ." I.
G elingen dieser. W eise v o rb ereitete: ein D urst, d er n u r z w e i - j N e u e r e G eschichte! Die B erechtigung zu dieser T rennung
m a l also sich zeigte in d er G eschichte; dam als, und zur Zeit m uß uns g eg eb en w erden durch einen absoluten G eg ensatz b eid er;
d er R eform ation, und d er zum d r i t t e n M a l e dereinst, noch diesen:
w iederkom m en w ird in einer anderen G estalt. — Die a l t e W elt hatte zum letzten Prinzipe e i n e n m i t a b s o ­
luter Willkür das gesellschaftliche Verhältnis der
M e n s c h e n o r d n e n d e n G o t t : — nach u n s , dam it üb erh au p t
ein solches V erhältnis sei, als das schlechthin notw endige für
Sichtbarkeit der Freiheit. — D as R esultat dieses göttlichen W illens
w ar darum ein g e g e b e n e s Sein: — eines g eordneten M enschen­
geschlechtes eb en ; denn vom Sein einer objektiven Sinnenw elt
ist da noch g a r nicht die Rede,
Das G eg en teil: ein G ott, dessen W ille durchaus n i c h t g e h t
auf ein g e g e b e n e s Sein, sondern auf ein solches, das da sein
soll, — auf ein W erdendes, in alle E w igkeit, u n d sein soll
nicht aus irg en d ein er, W illkür G ottes, sondern zufolge seines
in n eren W e se n s: dessen W ille darum , falls e r ab solut gesetzt
ist, schlechthin au ß er sich setzt absolute F reiheit: d e r darum
für sich gar kein S e i n seines O bjekts b eg ründet, indem , falls
es zu einem solchen O bjekte kom m en sollte, dieses nur durch
die au ß er ihm, -und nicht als die seinige gesetzte Freiheit m ög­
lich ist. D ie F r e i h e i t ist also die absolut sichtbare Substanz,
als Sichtbarkeit — B edingung des G esehenw erdens — des g ö tt­
lichen W illens, d. i. des inneren W esens G ottes und seines Bildes. IV, 522
N ur in der F orm d er Freiheit ist G o tt sichtbar, — wie er ü b e r­
h aupt sichtbar ist, im Bilde, im G esichte!
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150 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 151

U n m ittelbar ist also. G ott nur sittlicher G esetzg eb er: aber — d e r M e n s c h h e i t — W esen. Schlechthin a l l e s daher, w as
in d e r Form d er Sichtbarkeit: darum m ittelbar U rheber dieser M ensch ist, ist gleich in A bsicht der F reih eit: d a s C hristentum
F orm selbst, d. i. d er W elt (innerhalb dieser Form , d. i. im darum das Evangelium der F reiheit und G l e i c h h e i t : der ersteren
B ew ußtsein). Kurz, unsere oben vorgetragene Lehre von der nicht bloß im m etaphysischen, sondern auch im bürgerlichen
F reiheit. Sinne: A ufhebung aller O berherrschaft u n d bürgerlichen Ungleich-,
G anz dieselbe ist ab er die des C hristentum s und dies darum heit. So folgFs aus dem G rundprinzipe: w as dabei noch zu b e ­
das g esuchte Prinzip d er neuen G esch ich te; nur daß sie bei denken ist, w ird sich finden.
uns d asteh t absolut, a u ß er allem historischen Z usam m enhänge, D araus erg ib t sich; Da alles, w as M ensch ist, auf die gleiche IV, 524
und an fan g en d als die einzige (wie sie se lb e r dies f a k t i s c h zu W eise berufen ist durch Freiheit darzustellen den göttlichen W illen,
sein verm ag, davon geb en w ir, als Philosophen in reiner W issen­ so h ä n g t alles ohne A usnahm e auf d ie-gleiche W eise zusam m en
schaft, keine R echenschaft, indem w ir sie als f a k t i s c h — i \ m it d er G ottheit, u n d ist, falls G ott ein B ew ußtsein zugeschrieben
zufällig, a u ß e r der auch noch eine an d ere m öglich sei, — ga wird, auf die gleiche A rt befaßt in diesem , allen Seinen auf d ie­
nicht d en k en : hier w erd en w ir zu seiner Z eit auch auf diesen selbe W eise gen eig ten und gn äd ig en B ew ußtsein. Nichts, w as
P u n k t m erken m ü ssen ); im C hristentum e dageg en als ein Faktum , M enschengesicht trägt, ist ausgeschlossen von der gleichen G nade,
ab lö sen d und aufhebend eine andere Lehre, und durch diesen nichts sündig o der verw orfen. Ein Evangelium der V ersöhnung
G eg en satz bestim m t in ih rer F orm . — U nsere B etrachtung d e s­ und E ntsü n d ig u n g — historisch genom m en, nicht m etaphysisch:
selben als solchen G egensatzes dürfte freilich- in den g ew ö h n ­ d. h. nicht, als o b in G ottes ew igem W esen bis auf Jesus w irk­
lichen A nsichten d arü b er vieles ändern. — lich es so ausgesehen hätte, w ie in dem G otte des A ltertum es,
O biges g ib t den Begriff des H i m m e l r e i c h s , im G eg en ­ so n d e rn nur, daß erst jetzt in d er E rkenntnis der M enschen diese
sätze des R e i c h e s v o n d i e s e r W e l t . Dies die G rundansicht A nsicht von ihrem V erhältnisse zur G ottheit treten soll an die
des C h risten tu m s: dieser G eg en satz erscheint allenthalben als der Stelle der früheren, tief eingew urzelten.
eigentlich charakteristische. F o l g e r u n g e n : D as C hristentum ist d a ru m ' durchaus eine 1
D adurch w ird g e ä n d e rt 1. die stehengelassene Ansicht von Sache des V erstandes, d er klaren E insicht: und zw ar des indivi­
G o t t . D ieser ist nach d e m A l t e r t u m e ein qualitativ u nbe­ duellen V erstandes eines jeden C hristen, keinesw egs etw a eines
greiflicher G eschichts- Und N atu ra n h eb er: — nach u n serer W eise stellvertretenden. D enn schlechthin jed er soll gehorchen dem IV, 525
an g eseh en , g ru n d lo se W illkür, d e r m an sich fügen m u ß : eine v o n ih m s e l b s t als solchen verstandenen W illen G ottes, indem
Z w an g sg ew alt. N a c h d e m C h r i s t e n t u m e , ein durch sein nur u n ter dieser V oraussetzung derselbe durch die Freiheit g e ­
inneres W esen bestim m tes H eiliges, ohne alle W illkür. schieht, w ie er ja allein dadurch geschehen soll.
IV, 523 2. Die A nsicht von d er M enschheit. D iese stim m t m it dem A ber d er V erstand b e g rü n d e t sich nur in sich selbst, und
g öttlich en W illen überein nicht durch irgendein geg eb en es Sein, h än g t zusam m en nur m it sich s e lb s t So wie obeft g e sa g t w orden,
so n d ern durch ein T u n : ist also schlechthin f r e i : m etaphysisch: soll also d er C hrist ü b e rh au p t sein auch n u r zufolge seiner freien
je d e r soll tun nach seinem e i g e n e n Begriffe, zw ischen w elchem Einsicht. Jeder C h ris t darum m uß zuvörderst ein sehen, und klar
und dem W illen G o ttes d u rchaus kein M ittelglied eintreten darf: verstehen, daß er den W illen G ottes nur nach seiner klaren E in­
e r h at darum keinen H errn au ß er physisch sich selbst, sittlich sicht tun solle, einsehen u n d verstehen eben sein ganzes V er­
G o tt: ist also auch p o l i t i s c h frei und u n ab h än g ig von je d er hältnis zur G ottheit. >■ .
O b erg ew alt. M enschheit ist nichts, denn diese m it dem g ö tt­ 1. D as C hristentum ist darum zuvörderst L e h r e , Es setzt
lichen W illen übereinstim m ensollende Freiheit. D arin b esteh t ihr sich die A ufgabe m bilden den V erstand des M enschen, und
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152 Anjgewendete Philosophie. Reue Welt. 153

zw ar dert aller M enschen ohne A usnahm e, zu einer gew issen kenne, als das göttliche, das da sich richtet nur an seine Freiheit.
Einsicht, zur ab so lu ten , des V erhältnisses d er M enschheit zu G ott. Das m it dem B ew ußtsein d er Evidenz ergreifende Bild dieses
Es ist bis jetzt an erk an n t und w ird fast einseitig, betrieben, Z ustandes in allen beabsichtigt die Lehre. — Diese kann im m er
daß es sei M itteilung einer E rkenntnis, eines System s. Doch diesen Z ustand setzen, als einen, der d a sein soll, u n d dadurch
stutzen sie w ieder, w enn m an es konsequent durchsetzt. Darin ist das w irkliche Sein in nichts g e än d e rt: das C hristentum ist
b esteh t auch sein G eg en satz m it dem A ltertum e, dem H eiden- dann noch w eiter nichts gew orden, denn Lehre, —* Es kann auch,
tum e. D ort G lauben, hier unm ittelbare, selbsteigene E insicht eines welches die erste W eise des w irklichen Seins ist, innerlich den
je d e n : d o rt stellvertretende O ffenbarung, die in den Inspirierten ; W i l l e n aller bestim m en, daß sie — m it diesem guten W illen —
IV, 526 selb st sich nicht R echenschaft geben konnte bei dem zu Ende keinen H errn und G esetz anerkennen, als G ott, und fertig sein
gek o m m en en V erstände, ebendarum von anderen auch nicht zu w ürden, allein ihm zu gehorchen, w enn sein G esetz sich nur
verstehen, sondern nur zu erfassen w ar in einem verstu m m en cTu zeigte, und jede andere G esetzgebung aufhöbe. — S odann ist
u n d b etä u b te n A u to ritätsg lau b en ; hier schlechthin unm ittelbare das C hristentum innerlich realisiert in dem W illen des M enschen,
O ffenbarung in d e r individuellen S elbstanschauung eines jeden'. und es folgt daraus, daß ein Staat nach altertüm licher Form ,
D o rt M ittlerschaft zw ischen G o tt und dem M enschen, hier Auf­ w enn er auch etw a noch ist und die M enschen zw ingt, w enigstens
h eb u n g des Z w ischengliedes, und so unm ittelbarer Z usam m en -: des inneren Beifalls und G laubens entbehrt, und daß jene Ge-
hang. So ist’s. Doch d ieser G eg en satz mit dem richtigversfandenen sinnung ihm feindselig ist, und ihn Umstürzen w ürde, sobald sie
H eid en tu m e, ist fast g a r nicht gem acht. — W as aber in den äußere T atkraft erhält. O der, w elches die zweite durch die erste
Ä ußerungen des C h ristentum s selbst m itverstanden, und zu der bedingte W eise des w irklichen Seins ist, G ott w ird wirklich und
en tg eg en g esetzten M einung, es sei eine Religion des G laubens, in der T at alleiniger H err, ohne Z w eifel durch den U m sturz
g e d e u te t w ird, w erd en w ir zu seiner Zeit ersehen. jedw edes anderen H errn, es tritt eine V erfassung ein, in der
2. Es ist Lehre. A ber dies nicht allein, dies nicht w ahr­ jeder gehorcht nur dem von ihm selbst deutlich erkannten W illen
haft und in seiner letzten B edeutung. W enigstens können w ir ; G ottes. Es i s t w ohl klar, daß nur im letzteren Falle das C hristen­
es so nicht nehm en w ollen, indem w ir es nicht zum G egensätze i tum w irkliche V erfassung des M enschengeschlechtes gew o rd en
einer Lehre in einer G eschichte der Lehre überhaupt, sondern w äre, u n d daß derjenige, der da sa g t: das C hristentum ist nicht
zum G egensätze einer V erfassung m achen in einer G eschichte etw a bloße Lehre, sondern es ist w irkliche V erfassung des m ensch­
der M enschheit, als sich entw ickelnder Freiheit überhaupt. Nach lichen G eschlechtes, sa g e: zu einer solchen O rdnung der D inge
IV, 527 uns m uß es darum selbst V e r f a s s u n g sein, durchgreifende soll es durch dasselbe kom m en, m uß es dadurch m it ab soluter IV, 528
historische U m schaffung des M enschengeschlechtes, bis hinein N otw endigkeit kom m en. D ies darum hätte ich durch das Bis­
in die W urzel, die durch d en früheren Z u stan d n u r vorbereitet herige gesagt, m it gutem Bedachte, es also sagen w ollend. Ich
und m öglich gem ach t w urde. W ir m üssen es so nehm en, w obei hätte ein historisches Faktum a prio ri abgeleitet, g e w e issa g t:;
u ns freilich d er B ew eis obliegt, daß w ir es auf diese W eise — d er Beweis des Rechts liegt m ir noch im m er ob.
richtig gestellt und angeseh en haben. ■ In B eziehung auf die dadurch gegeb en e Ü bersicht der ganzen
Also nicht n u r L ehre, sond ern V e r f a s s u n g , B estim m ung G eschichte w äre nun die F rage, ob ich mit dieser neuen G e­
des w i r k l i c h e n Seins des M enschengeschlechtes ist es.; Auch schichte die ganze abzuschließen gedenke, oder noch eine neuere
dies g ib t eine doppelte Ansicht. Z uvörderst und ü b e rh au p t: das und vielleicht allerneueste annehm e. Im ersten Falle, w orüber
Sein des M enschen nach dem C hristentum e b esteh t darin, daß dann freilich der B ew eis zu führen w äre, w ürde von unserem
er d u rchaus keinen H e rrn h ab e a u ß er G ott, kein G esetz aner- S tandpunkte allerdings eine Ü bersicht der gesam ten G eschichte
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154 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 155

d e s m enschlichen G eschlechtes auf d er Erde m öglich: sie zerfiele geschehen m uß. Auf diese W else darum w erde ich m eine w issen­
in E ntw icklung d er F reiheit u n d A ufgeben d er entw ickelten, schaftliche A ufgabe lösen, und Sie haben hierin die Übersicht
U n terw erfu n g derselben u n te r die H errschaft G o ttes: beginnend dessen, w as ich noch zu sagen habe.
von einer faktischen H errsch aft desselben, einer T heokratie des
G laubens, als der alten Z eit, fortlaufend bis zu einem für jeder­
m ann verständlichen u n d v erstandenen Reiche G ottes auf der
Erde, als dem neuen und zw eiten W eltalter. II.
W as nun insb eso n d ere den ganzen U m fang d e r in diesen D er G egensatz alter und neuer W elt besteht in ihrer V er­
V orlesungen vor Ihnen angestellten B etrachtung betrifft, falls fassung, der B estim m theit der M enschen als G esellschaft: .ihr
sich etw a finden sollte, daß dasselbe, w as ich Ihnen zu A nfänge Prinzip ist die A nsicht von G o tt und seinem V erhältnisse zur
ab g eleitet und hingestellt habe als das durch d e n V e rsta n d schlecht- A, M enschheit. Nach d e r a l t e n W elt fo rd ert G ott willkürlich einen
hin g e fo rd erte Reich des V erstandes, zugleich w äre das durch , g e g e b e n e n Z u s t a n d d erselben: daraus U ngleichheit, m ittel­
das C hristentum gesetzte, u n d in seiner G rundlage schon w irk-“-“ bare H errschaft G o ttes; d. i. M enschen hatten M enschen zu
, lieh eingeführte Reich G o ttes auf der E rd e: so w ürde sich d as­ H erren. D ies Prinzip ist ab g elaufen; w ir bedurften darum ein
jenige, w as erst erschien als eine w illkürliche und m it K unst zu anderes, dies: G o tt fordert die E rg eb u n g des W illens: ist sitt­
lösende A ufgabe der W issenschaft, verw andeln in eine absolut licher G esetzgeber d er F reiheit: dies sei das C hristentum , sagten
t n o tw en d ig e A ufgabe d er Zeit und d e r in derselben sich entw ickeln­ wir, es dadurch hinstellend als Prinzip eines w irklichen W elt­
den G eschichte, die nicht um hin kann g e lö s t zu w erden. A nstatt zustandes, eines Z ustandes der M enschheit, als einer G esellschaft.
' R egeln zu geb en irg en d ein er Freiheit, wie ich zu w ollen schien, U nsere A ufgabe blieb darum zu zeigen, w ie sie dies w erden könne,
h ätte ich bloß zu entw ickeln ein historisches G esetz, und Sie also aus jenem , als Prinzipe, dieses als das P rinzipiat abzuleiten:
auf das ruh ig zu erw arten d e R esu ltat desselben zu verw eisen. - w ir w erden darum die neue Z eit nicht, w ie die alte abgelaufene,
M eine U ntersuchung h ätte ihre N a tu r geän d ert, und aus einer als g eg eben auffassen, sondern sie ableitend w eissagen. Dies
philosophischen sich verw andelt in eine historische. Die H au p t­ ist von nun an u n ser G eschäft. F ände sich nun dieser Z ustand
sache hierbei w äre freilich, die W issenschaft selbst und die p rak­ als derselbe, den w ir erst philosophisch gefo rd ert, so w äre unsere
tische K unst derselben nicht, wie sie e rst stand, ab solut zu setzen, A ufgabe: w ie es zu ihm kom m en solle, rein historisch (nicht IV, 530
IV, 529 so n d ern sie selbst als ein G lied d er G eschichte abzuleiten, und als A ufgabe der Freiheit, sondern als no tw en d ig er Erfolg nach
sie dieser, u n d in sb eso n d ere dem C hristentum e, dessen eigent­ einem G esetze) gelöst.
liche A ufgabe ja durch dieselbe g e lö st w erden soll, als M ittel Z u erst darum hätten w ir das C hristentum zu schildern, als
u nterzu o rd n en . So, sage ich, das V erstandesreich unter die Ga- eine geschichtliche E rscheinung es a u f f a s s e n d (nicht etw a er­
. rantie des C hristentum s, als eines historischen und m it historischer denkend), es r i c h t i g v e r s t e h e n d , indem w ir erstlich das
N otw en d ig k eit sich entw ickelnden P rinzipes gesetzt, w ird sich M annigfaltige aus seiner G rundeinheit ableiten, und diese G ru n d ­
sag en lassen, w arum es b ish er zu dem selben nicht kom m en konnte, einheit w ieder aus jenem erfassen, nach d er R egel: ein solches
w eil näm lich das C hristentum noch nicht so w eit entw ickelt w ar; M annigfaltige g ib t eine solche Einheit, und um g ek eh rt; zw eitens
daß es ab er n o tw en d ig und aller m e n sc h lic h e n , F reiheit zum ab er die E inheit selbst v e r s t e h e n aus ihrem G egensätze, dem
T ro tze zu ihm kom m en m uß, w eil das C hristentum sich ent­ Prinzipe der alten W elt.
w ickeln m uß bis zum E n d e : w ann es ferner daz.u kom m en w ird, D as erste w äre, w enn es vollständig auf alle Ä ußerungen
nicht in Jahreszahlen, sond ern in Epochen, d. i. w as vorher noch der biblischen Schriften, dann der K irchengeschichte zurückgeführt
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156 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 157

w erden sollte, ein um fassendes U n te rn e h m e n /flie r nur die G rund- hält wie Prinzip zum Prinzipiat). D er G egensatz ist das E rsth e i­
zü g e; selber darin au sg efü h rter verfahrend, als es für unseren nende, Irdische, w as d a ist von d e r W elt.
Z w eck d er A bleitung nö tig w äre, um die Irrtüm er abzuw eisen. Jene Freiheit w u rd e durch C hristus v erk ü n d ig t, d e r objek­
Quell derselben ist d er M angel d er B egriffseinheit, das nur Z u ­ tiven B em erkung hingestellt, fern er ein Reich derselben Frei­
sam m enschichten des M annigfaltigen ohne organische E inheit einer heit, und eine B eherrschung seiner durch G ott, g eg en ü b er dem
A bleitung, das B eieinander- und nicht D urcheinandersein des­ Reiche von dieser W elt, u n ter dem Fürsten der W elt; eben dem
selben: so dann auch der M angel des G egensatzes, w odurch das alten heidnischen G otte. G ott ist unm ittelbar Und ohne Da-
H auptm erkm al, daß das C hristentum ein historisches ist, zur zw ischenkunft der B estim m er desselben. — D aß es dazu kom m e,
unsäglichen V erw irru n g verloren g eht. Auch w erden w ir es nicht dazu g ehört, daß der M ensch, das freie Subjekt, m it gänzlicher
so m achen, wie N euere, die es recht g u t zu m achen suchen A bsterbung des eigenen W illens sich ihm hingebe. — Dies G o t t : IV, 532
Das C hristentum sei e t w a s , nicht nichts, nicht ein solches, das; und dies allein. Alle andere Ä ußerungen desselben sind als unm it­
in an d e re r G estalt, z.B . d er P hilosophie, auch d a ist, und darunü telbare fallen gelassen. Dies der M e n s c h ; und nur unter dieser
n u r das U nverständliche u n d U nverständige herausheben, das B edingung ist er w ahrhaft da. Dies das V erhältnis beider.
sie selbst durch ihr N ichtverstehen sich erst m achen. Nach uns Z uvörderst die U m d eu tu n g : d e r W ille G ottes ist ew ig, un­
ist es durchaus verständlich, durch W issenschaftslehre. D iese vergänglich. W as darum zu dessen W erkzeuge sich m acht, ist
enthält den L ehrinhalt d esselben in ih rer Form . ^ A ber v/ie denn, gleichfalls ü ber allen T od, d. i. U n tergang, oder A bänderung
w enn die W issenschaftslehre selb st nur durch das C hristentum jener seiner w esentlichen G rundeigenschaft hinaus: es ist etw as,
faktisch m öglich w äre, sein kö n n te n u r als w issenschaftlicher Be­ das notw endig, ew ig und unveränderlich ist, und ihm selbst
griff, E xposition des v o rau sg eg eb en en C h risten tu m s; w enn sie seine U nveränderlichkeit zusichert; — Dies kann jeder w erden
ferner, in sich selbst tot, n u r durch jenes eine das Leben be­ zur S tunde; darum zur S tunde vom T ode zum Leben durchdringen.
stim m ende K raft bekom m en könnte (wie sie diese erhalten w erde, Dies hat m an nun u m g ed eu tet und g e sa g t: — der H im m el nur
ist ja unsere versprochene H a u p ta b leitu n g ): w äre es denn so ­ nach dem T o d e : den A usdruck T o d nicht begreifend. W ah r isFs,
dann nichts? nur nach dem T ode, aber dem T ode w äh ren d des äußeren Lebens IV, 533
hienieden, dem A bsterben der W elt. D ieses aber hat man ver­
w echselt m it dem T ode, als einer äußeren Begebenheit, und g e ­
m eint, nur nach diesem : dies sei der H im m el; eine V erw echslung,
IV, 531 D er w e s e n t l i c h e E i n h e i t s b e g r i f f des C hristentum s ist w enigstens V erm engung, w elche schon von den A posteln g e­
d a s H i m m e l r e i c h . (Auch dieser ist m ißgedeutet, und bis jetzt m acht w orden. Falsch, in der Lehre Jesu unterscheiden sich
kaum richtig v e r s t a n d e n . — Auf im m er für ähnliche Ä uße­ zwei Z u stän d e: der eine, das G etriebensein vom eigenen W illen;
run g en , die ohne diese B eschränkung h a rt erscheinen, und H aß dieser, w ie er auch sein m öge, wie sittlich und glänzend scheinbar,
erregen m üssen, g em erk t: g e l e b t kann er sein, und ist's ohne ist nichts, au ß er G ott, der Tod, das B egrabensein. In diesem
allen Z w eifel: aber ein an d eres ist S e i n , ein anderes V erstehen, w erden schlechthin alle M enschen geboren. Diesem nun m uß
,6 .1 ein Bild hab en dieses Seins, das da ausdrückt dessen G esetz.) m an absterben; dies ist der T o d und die neue G eburt, der D urch­
H im m el b e d e u te t das Ü bersinnliche, durchaus nicht Erschei­ bruch zum w ahren Sein und Leben. W e r dies, — der hat d as IV, 534
n ende, rein Intelligible, die Freiheit (die — das setze ic h hinzu Leben in ihm selber, lebet in Ew igkeit, ü ber ihn h at d er T od
zur V erdeutlichung, in jenem Begriffe ist, darauf noch nicht Rück­ keine w eitere G ew alt. D er äußerliche T o d m acht im C hristentum e
sicht g enom m en -—- zu einem Teile des Erscheinenden sich ver- g a r keine Epoche, es w ird von ihm nicht geredet, er ist ver-
572 573
s
Neue W elt 159
158 Angewendete Philosophie.

Ich will das W esentliche dieses historischen Inhaltes, dieser


stinken in das allgem eine N ichts der gehaltlosen, im C hristenium e
durch die Z eit b edingten L ehren a u s d e m G e g e n s ä t z e d e s
einm al für im m er vernichteten E rscheinung.
C h r i s t e n t u m s g e g e n d i e Z e i t s e i n e r E n t s t e h u n g so g ar
Die in den G räbern Hegen, w erden die Stimme hören und
leb en : h a t m an nicht aus dieser u n d ähnlichen Stellen einen ableiten.
Jene G rundansicht des C hristentum s, die rein geistige W elt,
jü n g sten T ag, und eine allgem eine T otenerw eckung gem acht?
w ar durchaus n e u in der Zeit, v orher u n erhört. (Dies ist ein
So viel m ir b ek an n t ist, bis jetzt allgem ein. Es ist daran kein
historisches P ostulat, w ovon der W idersprechende das G egen- IV, 536
w ahres W o rt: so, w ie g esag t, is f s zu versteh en ; H im m el ist
teil bew eisen m üßte aus irgendeiner vorchristlichen Ä ußerung.
ejwiges L eben aus, von u n d durch sich; w er aber hier nicht dazu
N ur w erde es nicht gem acht, w ie gew öhnlich, hineingetragen,
kom m t, d er nie. W enn das H eidentum ein künftiges Leben an­
alles in s e i n e m Sinne genom m en. D iese verstehen keine G e­
nahm , so w ar dies n u r eine F o rtsetzu n g des hiesigen sinnlichen,
schichte: sie geben g ar keine zu: ihnen bleibt die W elt, w ie sie
und d er T o d die V erbindung beider. A nders das C hristentum ,
ist: f ü r ; d a s Fassen der eigentlichen F rage vom W e r d e n , ja
dies setzt das E w ige in das Zeitliche hinein, als den eigent­
für das B i l d d e s W e r d e n s ist ihr V erstand verschlossen. So
lichen A nfang des Zeitlichen selbst.
trag en sie auch w ohl hier recht m it K unst hinein durch Um-
Die O ffenbarung dieses Reiches, die E inladung, G lieder des­
deufung d er Schriften des alten T estam entes. D ies ist ein gro b er
selben zu w erden, und die allgem eine A nw eisung, w ie dies zu
M ißgriff, auch g eg en ihr System , daß C hristus sei aller V o r b i l d .
m achen, das ist das W e s e n des C hristentum s, sein a b s o l u t e r ,
— W ir sollten uns doch nicht so sehr geg en dieses B ekenntnis
e w i g e r , v o n d e r Z e i t u n a b h ä n g i g e r Z w e c k für alle Zeit.
der N euheit strä u b e n ; denn für die M enge, für die s i c h t b a r e
IV, 535 Dies auch d er g an ze: daraus ist alles abzuleiten, darauf zurück-
und anerkannte christliche Kirche ist sie noch heute, fast zw ei­
züführen. D ies w ird auch in den durch die sicherste V eranstal­
tausend Jahre nach C hristo, neu in ih rer w ahren K raft und
tu n g zur E rhaltung desselben vor uns liegenden unsterblichen
Schriften des neuen T estam en tes als die H auptsache behandelt, Reinheit.)
Auch Jesus hatte es nicht von einem anderen g eh ö rt oder
u n d jen e zwei Z u stän d e als W ie d e rg e b u rt und T o d bei Johannes,
überliefert bekom m en, sondern es rein in s i c h s e l b s t a n ­
als L eben im G eiste u n d im Fleische bei P aulus bezeichnet. D as­
g e s c h a u t , — w ie w ir m it gutem F u g postulieren. Rein d u r c h
selbe ist auch von d er durch ihre Früchte b estätigten P artei der
A n s c h a u u n g u n d B e g r i f f s e i n e r s e l b s t w ar er dazu g e­
so g en an n ten M ystiker vom A nfänge an bis jetzt für die H au p t­
kom m en. W as heiß t dies? W as denken w ir durch eine solche
sache geh alten w orden.
V oraussetzung, nach den G esetzen der A nschauung und des
A us ihm u n d durch dieses ist ein zw eiter H auptteil zu be­
Begriffes ü b e rh a u p t? W as h eiß t das, das H im m elreich erhalten
greifen u n d abzuleiten, der h i s t o r i s c h e , enthaltend Lehren,
durch V e r s t e h e n seiner selb st? Eine analytische A ufgabe. Dabei
die n u r im G eg ensätze m it anderen, aus dem Z eitglauben h er­
etw as tiefer zu gehen, indem w ir Jesu seinen notw endigen Be­
v org eh en d en B ehauptungen, um diese zu vernichten, g e sa g t w u r­
griff von sich selbst nachkonstruieren: es ist der M ühe w ert, teils
den, Ih r D asein ist b ed in g t durch den G eg en satz; n u r durch ihn,
um innerer W ichtigkeit, teils um des Lichtes willen, w elches
und m it ihm zusam m engenom m en, sind sie verständlich. H a t
es ü ber die ganze M enschengeschichte verbreitet. Es. kom m t
diö L ehre Erfolg, so m uß doch d e r G eg ensatz einm al W egfällen;
dazu, daß w ir einen d er Sätze, die hierbei hervorgehen, auch
m it ihm aber fällt zugleich die B estreitung. W ill m an sie, sie für
noch anderw ärts brauchen w erden.
ein E w iges haltend, auch dann noch b eibehalten, so w ird m an
V erstehen heißt, das G esetz sehen, w onach ein gew isses
ihnen einen an deren Sinn geb en m üssen; oft keinen finden, und
Sein zustande kom m t, — g e n e t i s c h e E rkenntnis. — Ein solches
sodann g e n ö tig t sein, U nsinn zu reden.
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160 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 161

V erstehen, als freie K unst g etrieben, wie es in der Philosophie g e ­ Seins seinen E xponenten bei sich, weil es ein H andeln nach
trieben .w ird, setzt ein Bild jen es Seins voraus, üb er welchem diesem E xponenten w ar.
m an indifferent darüberschw ebt, es darum nicht selbst ist. D ieses Stückw eise: w ie er von seinem D asein ü berzeugt w ar, so
Bild, in sein er reinen A b so n d eru n g g e fa ß t und festgehalten, stei­ w ar er es von seinem Berufe, das H im m elreich zu stiften, d. i.
g e rt sich nach und nach zum Begriffe. die M enschen zu überzeugen, daß sie absolutes Prinzip w ären;
Auf d iese W eise k o n n te es m it dem V erstehen des Him m el- dieses h ingegeben w erden m üsse an einen höheren, durchaus
IV, 537 reiches im V erstände Jesu nicht zu g ehen; denn das vorausgesetzte nicht in ihnen liegenden A ntrieb, und sie zu verm ögen, also sich
Bild ist w ed er durch die sinnliche E rfahrung m öglich, noch konnte hinzugeben, dam it allein herrsche, u n d Prinzip alles Lebens sei
es ihm als A ufgabe einer freien K onstruktion durch einen anderen G ott. W o h er nun dieser sein B eruf? D er Inhalt desselben e r­
g estellt w erden, w ie es bei uns in M itteilung der W isse n sc frT klärte ih n : es w ar eben dieses H ingegebensein seines eigenen
geschieht, da d er V o rau ssetzu n g nach dieses Bild vor ihm nie freien W illens an jenes höhere Prinzip, w as er verkündigen sollte,
eines M enschen V erstände w irklich g ew o rd en w ar. '? er w ar durch sein S e i n , w ie er alle m a c h e n w ollte. W iederum
N icht ein M ögliches darum , so n d ern ein W irkliches im u n ­ — jenes V erhältnis der M enschen zu G o tt w ar ihm gew iß durch
m ittelbaren B ew ußtsein sein er selbst, sein unm ittelbares, ihm also nichts anderes, als durch seinen u n m i t t e l b a r gew issen Beruf,
ohne alle sein Z u tu n g e g eb en es Sein m ußte er durch diesen ein solches V erhältnis zu realisieren, u n d der Stifter des H im m el­
B egriff b egreifen. W ie m ußte sich dies Selbstbew ußtsein aus- reichs zu w erden. A nders ist es dem W issenschaftslehrer g e ­ , 539
d rü ck en ? E r w ar u n m ittelbar, ohne ihm b ew u ß te Freiheit, durch wiß : ihm leuchtet es ein als B edingung des Seins d e r M enschen
sein D asein B ürg er des H im m elreichs; sein W ille g in g auf, und üb e rh a u p t: nur G o tt ist; w as au ß er ihm , ist seine E rscheinung;
w ar g efan g en in einem hö h eren W illen, er w ar dessen W erkzeug, aber nur also verm ag er zu erscheinen, w ie er aus dem allge­
und so w urde er sein er sich bew u ß t. Auf dieses erste M erkm al m einen G esetze der Erscheinung selbst einsieht. So nicht bei
nun g each tet! Er w ar, w as w ir ein bestim m tes künstlerisches Jesu, w eil es bei ihm nicht also m öglich w ar, weil diese E in­
o d er praktisches G enie nennen, m it einem angeborenen Triebe sicht d er W issenschaftslehre einen Jesus in d er Z eit voraussetzt.
zu einem gew issen T un, K aum ist nötig zu erinnern, daß dies ein Bei ihm w ar es w ahr, zufolge des unm ittelb ar gew issen B e­
b estim m ter T rieb des W illens sein m ußte, denn das A llgem eine rufes, eine V erfassung zu stiften, w elche dies als ihre M öglich­
ist nichts W irkliches. keit voraussetzt. Die W ah rh eit darum ab h än g ig von diesem F ak­
N un ab e r w ürde er, dieses sein Sein anschauend, sich b e­ tum des Berufes.
griffen haben als eben g e t r i e b e n , dam it gut, und sein Begriff D arum zuvörderst, — w as für uns ein M etaphysisches ist,
w äre zu E nde: k einesw egs aber, als getrieben durch das A bsolute, konnte nur für ihn ein H istorisches sein. F ür ihn w ar es w ahr
Ü bernatürliche, G ott. Also — seine W illensbestim m theit m ußte durch seinen B eruf; da er ü b er dieses sein Selbstbew ußtsein
zugleich den klaren B egriff ih rer selbst, ihren E xponenten m it nicht zu G esetzen hinausging, ü b erh a u p t n u r durch seinen Beruf.
sich b rin g en ; nicht bloß d en Begriff des Faktum s, so n d ern auch Seit diesem B erufe erst ist dieses V erhältnis; die ganze frühere
dessen C h arak ter; so daß jen er organisch mit diesem vereinigt, Z eit fällt anheim dem Z ustande, d er in ih rer G eschichte sich au s­
und dadurch selbst gesetzt, letzterer nicht etw a ein blo ß er Z u ­ spricht, indem dieses g esam te W ahrfinden ü b er unm ittelbare G e ­
satz zum ersteren w ar. D ies w ar m öglich n u r auf die W eise, schichte g ar nicht hinausgeht.
IV, 538 w enn es die B estim m ung seines W illens w ar, S t i f t e r des H im m el­ „G o tt sen d e t mich, das H im m elreich zu stiften; dessen bin
reichs zu w erden, alle M enschen ohne A usnahm e zu B ürgern ich unm ittelbar gew iß. G o tt kann nicht zu dem senden, w as
desselben zu m achen. D ann fü h rte das B ew ußtsein seines eigenen nicht möglich ist, m ithin ist ein Himmelreich', so wie ich es
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163 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 163

stiften soll, m öglich, und alle B edingungen desselben sind gegeben die unm ittelbare A nschauung desselben an einem Exem pel: er
W a ru m ? W eil Q o tt g e sen d et h a t; also nicht ü ber die S endung selbst stand in diesem V erhältnisse zu G ott, u n d d u rch ihn schlecht­
hinaus g e h t d er B ew eis: jenseits derselben b ehaupten w ir g ar hin alle M enschen, die m i t ihm und n a c h ihm lebten: also das
nichts, und bescheiden uns u n serer U nw issenheit.“ Bild w ar in seiner A nschauung r e a l i s i e r t .
D er nervus: die E insicht des V erhältnisses und seiner all­ Die Einsicht in die W ahrheit des H im m elreichs w ar also
gem einen W ah rh eit ist g e g rü n d e t lediglich auf den göttlichen eine absolute F ortbestim m ung seiner f a k t i s c h e n A nschauung
Beruf, d er innerhalb klar ist, nicht auf Einsicht in ein G esetz. und V erstandes durch ein U r s p r ü n g l i c h e s aus sÜ ner Indivi­
D iesen u m g esto ß en o d er seine G ew ißheit getrübt, so ist alles dualität, d. i. aus G o tt: — w ie es in dieser Form durchaus m it
u m gestoßen. allen tüchtigen M enschen auf der W elt hergeht.

N ochm als: Irg en d einm al, in einem bestim m ten Z eitpunkte


in Je su L eben fiel in Jesu V erstände die B egebenheit vor, daß Um der Sache die höchste K larheit zu geben, — von einer iv, 541
ihm klar einleuchtete, als d er an ihn gestellte Beruf, das H im m elreich anderen Seite, durch ein anderes H ilfsm ittel, Aus der faktischen
540 in dem erklärten Sinne des W o rtes, zu stiften. Durch den In­ Entw icklung des M enschengeschlechts läßt eine gew isse P erson
halt dieses Berufes w urde ihm nun klar desselben Form , indem in der Geschichte, die eigentliche H au p tp erso n in derselben, der
er sich selbst als ein g eb o ren en B ürger des H im m elreichs, und A nfänger aller w ahren Geschichte, sich als schlechthin notw endig
als ersten begriff. Beides durchaus in Einem Schlage, indem nach einem . G esetze a p rio ri ableiten. Diese schlechthin n o t­
beides n u r m it- u n d du rch ein an d er m öglich ist. D ieser Revo­ w endige P erson stim m t überein m it dem , w as die E rzählungen
lution in Jesu V erstände, diesem eigentlichen D urchbruche der uns von Jesu berichten, und$w ir verstehen dies G esetz und seine
K larheit ü b e r sich selbst g in g freilich ein Z ustand d er U nklarheit A nforderungen in einem organischen Z usam m enhänge mir, w enn
v orher, — denn außerdem w äre jenes Selbstbegreifen, m it welchem wir Jesus als diese notw endige P erson denken.
eigentlich das C hristentum anh o b , kein bem erkbares, durch seinen Die Sache verhält sich so. Das M enschengeschlecht soll mit
G egen satz abstechendes Faktum g ew o rd e n ; und vorbereitende eigener Freiheit, ausgehend von einem entgegengesetzten Z u ­
Ü b erlegungen, die ihm das M ittel, jenen B egriff zu bilden, die stande und diesen vernichtend, sich erbauen zu einem Reiche
B ilderelem ente angaben. D iese w aren nun ohne Zw eifel B etrach­ G ottes, zu einer W elt, in der G ott allein Prinzip sei aller Tätigkeit,
tu n g e n d er alttestam entlichen L ehren von G o tt u n d seinem Ver­ und nichts außer ihm, indem alle m enschliche Freiheit aufgegangen
hältnisse zu den M enschen, die ihn nicht befriedigten. W arum ist, u n d h ingegeben an ihm. (Dies ist die Absicht des E rden­
n ich t? W eil in ihm dunkel und u n entw ickelt ein anderes höheres lebens, dieses ew ige Sichmachen, nie abreißend w egen T o d und
Bild lag. W o h e r? A bsolut durch sein individuelles D asein, aus G e b u rt; dagegen in dem höheren Leben das M achen w egfällt,
G ott. D ies ist bedeu ten d . An diesem G egensätze gestaltete und das Sein vorausgesetzt w ird.) D ies geschieht einzeln durch
sich nun dieses Bild zur vollkom m enen K larheit und B estim m theit; jedes Individuum , indem d ie. unm ittelbar sich bestim m ende Kraft
nicht etw a durch den G e g e n s a t z , durch S teigerung desselben, der F reiheit nur in individueller F orm vorkom m t. Abei dazu
— aus nichts w ird nichts, aus Irrtum keine W ahrheit. Jedes so bedarf es eines Bildes dieser Bestim m ung des sich E rtötens und
erzeugte Bild ab er ist zu erst p roblem atisch: w as g ab ihm die H ingebens. D ieses Bild könnte die M enschheit haben nur durch
W ah rh eit? F ür uns g ib t sie dem selben Bilde die alleinige Be­ eine vo rh erg eg an g en e F reiheit: — s i n n l i c h nicht, denii das
greiflichkeit des vorfindlichen Seins durch d asselb e; für ihn —- cra nze V erhältnis ist ein übersinnliches. — Also die F teiheit setzt
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F i c h t e , Die Staatslehre.
164 Angewendete Philosophie, Neue Welt. 165

voraus das Bild, u n d das Büd setzt voraus die Freiheit. D ieser für das ganze G eschlecht d a w äre. Alle darum sollen durch das
Zirkel löst sich nur so, daß das Bild einm al S a c h e , R ealität sei, von ihm in die Z eit eingeführte Bild, verm ittelst d er eigenen F rei­
schlechthin ursprünglich und g ru ndanfangend in einer P erson heit, in dieses Reich kom m en: w i e d e r g e b o r e n w erden von ihm
sich verw irkliche. D ies nun bei Jesus. aus. (D iese A nforderung d er W ied erg eb u rt an alle hat er ja nie
von sich au sgesagt, w ie er ja im entgegengesetzten Falle gesollt
hätte.) Er w ar d er eingeborene Sohn G ottes, durch den allein
F o lgenderm aßen darum begriff notw endig der -Erste, dem das alle selig w erden können, die ,es w erden. Kein anderer N am e,
w ahrhafte Sein klar w urde als ein H im m elreich, zuvörderst s i c h f andere P erson, andere V eranstaltung. Keine Botschaft, E vange­
IV, 542 selbst, sein V erhältnis zu G ott, sodann sich g ründend au f die lium nach ihm, weil dies das Evangelium d er absoluten W ahrheit
W ahrhaftigkeit dieses s e i n e s V erhältnisses, das aller AV u se h e n : und R ealität ist. (W er ein anderes Evangelium predigt, sei es ein
1. E r w ar b e r u f e n durch G ott. — Dies fand er .faktisch vor. Engel vom H im m el, sei v erflucht,1)
2. D er Inhalt sein er B erufung, seine V erkündigung u n d sein D ieses, — die B edingtheit alles göttlichen Reiches auf d er
G eschäft an dem M enschengeschlecht w ar w ah r — nicht aus Erde durch eine erste Erscheinung des Begriffes desselben in d er­
allgem einen G ründen, wie für uns, — so n d ern um der W ahrheit jenigen Form , welche sie nach den G esetzen der Erscheinung
u n d G öttlichkeit seines Berufes willen. D ieser w ar eine Z eit­ ü b erh au p t haben m ußte, in d er Form eines C hristus, — ist nun
begeb en h eit, darum zufolge eines freien Entschlusses G ottes, — eine ew ig gültige historische W ahrheit für jeden, bis an das Ende IV, 544
nicht, wie für uns, zufolge eines inneren G esetzes des göttlichen der T age, der jene E rscheinung als Faktum erfassen, und als
Erscheinens. — D aß alle M enschen B ü rger w erden könnten und solches sich in der Reihe der Fakten genetisch m achen w ird. Er
sollten, w ar nur dadurch w ahr, daß G o tt es durch Jesus ver­ w ird auf einen einst vorhanden gew esenen C hristus stoßen* auf
sprechen ließ, darum nur u n te r d er B edingung, d aß er durch einen eingeborenen Sohn G ottes, einen M enschen, den G o tt un­
Jesu s rede, diesen berufen habe, zu dieser Stiftung. Also das m ittelbar zu seinem W erkzeuge gem acht, um durch ihn alle ein­
H im m elreich datiert von je n e r Zeit. zuladen, sich selbst mit Freiheit, durch freie H ingebung, dazu
3. Jesus darum der e r s t e B ürger des Reiches, in welcher zu mächen. W ah r darum ist, daß es notw endig einen Sohn G ottes
Art, sogleich. gibt. So hat es sich auch in der nachfolgenden G eschichte b e s tä tig t
4. Setze m an, w ie m an ohne Zw eifel, durch den Z usam m en­ Alle nachfolgende E ntw icklung der Freiheit hat sich g eg rü n d et,
hang g en ö tig t, setzen m uß, es habe Jesu beigew ohnt folgende und ist bed in g t gew esen durch das V orhandensein jenes E van g elii;
Einsicht: w as für die E ntw icklung des M enschengeschlechts fak­ von der Philosophie w erde ich dies noch besonders zeigen, W ie
tisch g eg eb en sein m uß, w ie nach u n serer obigen D eduktion ein w ir uns stellen m ögen, in den Boden der christlichen Zeit hinein
Jesu s, ist g eg eb en n u r einm al in d er Zeit, und w iederholt sich sind w ir gesetzt, durch seine Einflüsse ist das faktische G ru n d ­
nicht (weil so dann das erste n u r P ro b e w äre, und noch dazu sein bestim m t, von w elchem w ir ausgehen.
v erfehlte); es ist für das g anze M enschengeschlecht. Er ist darum W er, sage ich, jenen B egriff nicht nur ü b erh au p t erfaßt, ihn
in sein er F orm einzig: alle, die in das H im m elreich kom m en, g e­ vielleicht lebt, und sich ihm einbürgert, w ozu es des einfachen
lan g en dazu n u r durch ihn, das durch ihn hergeg eb en e Bild. Er A bsterbens seiner selbst bedarf, sondern auch auf ihn als ein
IV, 543 darum d e r e r s t e , u n d d e r g eb o ren e, und d er einzige geborene, Faktum reflektiert (w as er ja unbeschadet des eigentlichen In ­
d er ein g eb o ren e B ürger u n d Sohn, W erkzeug und geistige Effekt: haltes und der praktischen A nw endung seh r w ohl unterlassen
a u ß er ihm keiner g eb o ren , w eder vor ihm, weil er sodann nicht
sein konnte, noch nach ihm, weil er sodann vergebens, und nicht 1 Gal, 1, 8.
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166 Angewendete Philosophie.
Neue Welt. 167
k a n n ); w er fern er nicht bloß dies tut, und ihn nun eben stehen
läßt, so n d ern auch ihn begreift, durchgeführt bis zum Ende, d e r' turne kom m t es g a r nicht eher, auch in d er T heorie, bis je n er
w ird C hristus als Sohn G o ttes anerkennen. W er dies nun aber W eg der Seligkeit als d er einzige und ganze erkannt ist, und das
H istorische als historisch dem freien V erstände anheim gegeben
nicht tu t? W as können w ir von ihm sa g e n ? Er ist nicht durchaus
w ird.
klar, versteht sich nicht im Z u sam m enhänge d er E rscheinung.
D ies ist allerdings eine U nvollkom m enheit, die verm ieden w erden
U nm ittelbar bei d er ersten Erscheinung Jesu w ar ein ent- IV, 546
soll, falls sie es kann. A ber er kann nicht in das H im m elreich
scheidender G rund, auf die E rkenntnis dieser P e r s ö n l i c h k e i t
k o m m en ? D es Bildes bed arf es: dies ist w ahr. W enn nun dieses
des C hristus zu dringen. Es ist nötig, dies auseinanderzusetzen,
in sein er U m gebung allenthalben vorhanden ist, allenthalben ihm
um einen an d eren H auptteil des C hristentum s zu erklären,, und
entg eg en k o m m t, in einer K larheit, V erständlichkeit, Ausi Idung
von den darauf ruh en d en M ißverständnissen zu reinigen. — Die
ihm entg eg en k o m m t, w ie Jesus selbst und seine A postel dm ohaus
W ahrheit eines H im m elreichs ü b erh au p t beruhte in Jesu auf d er
nicht fähig w aren, es aufzustellen, — dies nach dem eigenen G e­
unm ittelbaren G ew ißheit, daß er von G ott berufen sei, es zu
ständnisse u n d der W eissag u n g Jesu, die ich zu seiner Z eit an­
stiften : dies w ar ihm der B ew eis; so hatte er auch für andere
führen w erde, — soll dann dieses Bild nicht g u t sein, u n d seine
keinen anderen. Dies m ußten sie vor allen D ingen m it ihm
D ienste tun, w enn m an nicht historisch begreift, w o h er es ist in
g lau b en : ihm glauben, Wie Er sich, durch ein N achbild ersetzen
seinen allerersten A n fängen?
sein unm ittelbares S elbstbew ußtsein. Dies ist nun der G laube,
545 Vom M i t t e l z u r S e l i g k e i t ist die R ede, von dem einzigen,
den Jesus forderte, d er G laube an ihn, als von G o tt berufenen
a u ß er w elchem kein H eil ist. H ie rü b e r sollen alle M enschen
Stifter, der w esentlich w ar u n d ihm fürs erste also erschien.
unterw iesen w erden. D ieses M ittel nun ist der T od d e r Selbst-
Dies w ar nun eine u n g eh eu ere F o rderung, w egen des gänz­
heit, d er T o d m it Jesu, die W ie d e rg e b u rt usf. D ieses hilft einzig,
lich unbekannten und unerhörten Inhalts d er Botschaft. Beides
und dieses g a n z , gründlich, durch und durch. — D aß man wisse,
stand einander im W ege. Es zeigte sich darum , daß Jesus, a u ß er
es sei dies d er T o d m it J e s u , d aß m an neben jener U n terw eisung
bei einigen V ertrauten, die eigentlich seiner M oralität glaubten,
zugleich die ganze H isto rie d er U n terw eisung m it kenne, das trä g t
keinen G lauben fand. Es lag in dem Begriffe d er alten W elt, u n d ‘
zur Seligkeit durchaus nicht bei. Den W eg zur Seligkeit m uß m an
in der Praxis derselben, göttliche S endung durch Zeichen und
g e h e n : d a s isP s: die G eschichte, w ie er entdeckt und geebnet
W u n d e r zu bew eisen. D iese F o rd eru n g m ußte ihm gestellt w er-
w o rd en , ist w ohl so n st gut, ab e r zum G ehen hilft sie , nichts.
deßj und er konnte sie auch vor seiner eigenen E rkenntnis nicht
Ich hoffe, dies ist klar u n d durchgreifend. M an sage nicht,
w ohl abw eisen. D adurch g eriet nun Jesus in den W iderspruch
w as sc h a d e fs, w enn auch auf dieses H istorische gehalten w ird ?
d er beiden Zeiten. Nach dem Prinzip d er alten Z eit w ar diese
Es schadet, w enn N ebensachen in gleichen R ang m it d er H au p t­
A nforderung an ihn, an sich selbst, und an G o tt durchaus passend
sache gestellt, o d er w ohl g a r für die H auptsache ausgegeben,
und ünabw eislich. Nach dem Prinzip d e r neuen Z eit — ich bitte
u n d diese dadurch u n terd rü ck t und die G ew issen g e än g stig e t
dies, obw ohl ich es kurz abtue, w ohl zu m erken, — ist eine solche iv, 547
w erd en , zu b egreifen u n d zu glauben, w as sie unter solcher A n­
F o rderung absurd. G ott ist der H e rr des G eistigen, nicht des
w eisung nim m erm ehr g lau b en k ö n n en ; w o sich darum die ganze
Sinnlichen, das ihn g ar nichts angeht. Zeichen und W under m ag
Sache in das H ersag en u n v erstan dener Form eln endiget. Es ist
der F ü rst d er W elt tun, B eelzebub, der O b erste der Teufel, wie
dies n u r eine andere V erfälschung der G rundlehre des C h risten­
auch seine Z eitgenossen, g ar nicht inkonsequent, dies für w ah r­
tum s von d er R echtfertigung, g e trete n an die Stelle anderer V er­
scheinlich an sah en : des him m lischen V aters ist dies durchaus u n ­
fälschungen, w ie ich zu seiner Z eit zeigen w erde. Zum GJhristen-
w ürdig. In seinem Reiche soll innerhalb dieser Sinnenw elt nichts
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168 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 169

g e ä n d e rt w erden, a u ß er durch Frei) d unter dem göttlichen Pflicht­ Der andere Beweis. W enn es w ah r war, daß eine göttliche
g e b o te ; und w er es anders will, und W u n d er begehrt, d er will Kraft ergreife und treibe jeden, der n u r sich hingibt, so m üßte
sich seiner Pflicht entziehen. O hne Zweifel gin g Jesu, d er bei, sich dies in der E rfahrung eine% jeden, d er sich' hingab, b estätig en ;
seinem ersten Erscheinen auf den ersten Beweis bestand, und er m ußte sich als einen durchaus anderen M enscheh, mit nie
auch die B ew eisführung versuchte, durch das M ißlingen das Licht gehabten Plänen und nie em pfundener Kraft, fühlen. Dies führte
auf ü b er das zw eite, wie ihm denn zugleich das Licht aufging ihm in ihm selber den Beweis, ebenso wie er Jesu g e fü h rt w ar
ü b er eine an d ere B ew eisführung für die Realität «des H im m el­ in ihm selber. Für einen solchen nun fiel die N otw endigkeit des
reichs, w ovon sogleich. (Keine der Ehre Christi nachteilige Be­ unm ittelbaren G laubens an den Beruf Jesu w eg : er erhielt die IV, 549
h auptung.) D er i n d i v i d u e l l e Zw eck w ar ihm aus G o tt: die Ü berzeugung von dem selben m ittelbar durch die unm ittelbare
W elt kennen lernen und sie ihm subsum ieren konnte er ur durch E rfahrung an sich selbst, in u m g ek eh rter Richtung d er B ew eis­
E rfahrung. Auch g e s te h e n d die A postel zu: er s e i versucht führung in Jesu. W ie viel bedurfte d ieser? N ur die p ro b lem a­
allenthalben, gleich w ie w ir.1 D aher ohne Zw eifel die anscheinend tische V o rau ssetzung: auf diese hin sollte man es w agen. So
w idersp rech en d en B ehauptungen Jesu ü ber diesen P u n k t: einmal, erhält der G laube an Jesu Beruf eine doppelte G estalt: er ist x
w ie es scheint, w irkliche B erufung auf seine W under, als Beweise teils kategorisch, teils problem atisch: letzteren bedurfte Je su s:
sein er G öttlichkeit: an an deren Stellen klar u n d ganz unzw eideutig So jem and will des W illen tun, der mich gesan d t hat, der wird
S trafreden ü b er den irdischen Sinn, d e r d a W u n d er fordere, inne w erden, ob diese Lehre von G ott sei, o der ob ich von mir
IV, 348 diesen eine B ew eiskraft zuschreibe. Dies ist nun ganz richtig. selbst rede. (Joh. 7, 17.)
Ehe dieser Sinn nicht a u sg e ro tte t ist bis auf die W urzel, ist kein Die Jü n g er hatten, w ie g esag t, den ersten G lauben, und
C hristentum . D er W u n d erg lau b e und das H alten darauf sind rein hielten auf ihn. Zum zw eiten Bew eise kam en sie w enigstens
heidnisch, v erstoßend g eg en die ersten Prinzipien des C hristentum s. bei dem Leben Jesu nicht. W ohl aber nach seinem T o d e; und
S tatt dessen bed ien te er sich nun der V erw eisung an M öses so führten sie denn neben dem ersten auch den zweiten, d en sie
und die P ropheten, u n d an d en i n n e r e n Beweis. Also es sind den Bew eis des G e i s t e s und der K r a f t n a n n te n ,1 i h n auch
hierin zwei Epochen etw a in dem L eben Jesu, welche die E vange­ so g ar zu einem äußeren m achend.
listen, die ü b er diesen P u n k t nie klar gew orden, verw echselt W ie im Fortlaufe durch Vers tan de seinsicht von d er Realität
haben. (Die A uferw eckung des Lazarus ist freilich d a g e g e n : dies des H im m elreichs ein d ritter Beweis sich eingefunden habe, d e r
m ag nun ein an d erer untersuchen.) die P erson Jesu gänzlich überflüssig m acht (für die Seligkeit der
Jesus hat W u n d erb ares in Fülle getan, weil er ein erhabener Individuen), w erden w ir sehen.
M ensch w ar; sein ganzes D asein ist das g rö ß te W u n d er im ganzen
V erlaufe d er Schöpfung; ab e r eigentliche W u n d er hat er nicht
g etan , nicht tu n können, noch sollen, indem diese im geraden D ieser historische Satz: Jesus w ar durch seine S tellung in
W id ersp ru ch e stehen m it seinem Begriffe von G ott und dem g ö tt­ der Zeit, und durch sein V erhältnis zur V orw elt, M itw elt und
lichen Reiche. — E benso h a t Jesus ja keine E rscheinungen, Ge- N achw elt der erstg eb o rn e und eingeborne Sohn, w urde nun
, sichte, T räum e, o d er des etw as gehabt, und darauf sich berufen, m etaphysisch genom m en. G o tt erzeugte in der Zeit den Sohn,
w ie die alten P ro p h eten . W ie ist ihnen denn das entfallen ? Alles als sein Beruf ihm klar w a rd : dieser M om ent w ar es, von w elchem
dies sind H exenm ittel, die einen willkürlichen G ott voraussetzen. in der Z eit der Beginn des H im m elreichs datierte. K l a r w a r d ,

1 Hebr. 4, 15. 1 1. Kor. 2, 4.


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170 > Angewendete Philosophie, Neue Welt. 171

sag en auch w ir, und können nicht anders sagen, den Beruf an Zeit eine gew isse U nterscheidung nicht m achte, m it dem , was
sich vor seiner E rscheinung im klaren B ew ußtsein voraussetzend. in dieser ihrer Sprache ganz richtig w ar, die Folgezeit, w elche
IV, 550 N ein, sag te m a n : die D ü rftigkeit und U nzulänglichkeit d er Z eit diese U nterscheidung m acht, v e ra n la ß tG lä tte n /ih n e n U nsinn en t­
ü b erh au p t fehlt; er h a t ih n g ezeu g t von Ew igkeit. Richtig. W ir w eder zuzutrauen, oder, nach B efinden, auch nachzusagen. N äm ­
haben oben den stren g en Beweis geführt. Ein C h risti > lag schlecht­ lich U nsinn w äre es g ew o rd en in d er sich eingestellt habenden
hin n o tw en d ig und nach ihrem inneren G esetze in der E rscheinung: neuen Sprache, g e g rü n d e t auf eine neue U nterscheidung,
sie gesetzt, ist E r gesetzt. Kurz und scharf: die Sache verhält sich also. M annigfaltig­
Es geschieht oft, daß m an, um, einen einzelnen Fall beküm ­ keit, Wäre es auch nur Z w e i h e i t , ist nur im Begriffe, d er die
m ert, ein allgem eines G esetz findet, es aber nicht ak allgem eines, E inheit und das Z usam m enfassen derselben ausm acht, ohne
sond ern n u r als dieses Falles G esetz ansieht. So g. g es hier. welches sie nicht ist, m ithin nur im Bilde und d er schon fertigen
Alle G run d m ö m en te d er M enschengeschichte, durch^-die das G e­ Erscheinung. Jenseits der Erscheinung, und mit völliger A bstrak­
schlecht in der T at w eiter kom m t (nicht die V erzögerungen durch tion von ihrem G esetze, ist nur absolute Einfachheit. W er darum
individuelle Freiheit), liegen im G esetze der E rscheinung. E benso sag en w ürde, G o tt jenseits seiner E rscheinung, der G egenstand
wie ‘C hristus, hat G o tt von E w igkeit z. B. die M athem atik, d ie des die E rscheinung schlechthin vernichtenden G edankens, sei ein
P hilosophie aus seinem W esen gezeugt. D er Ehre Jesu geschieht M ehrfaches, d er w ürde absoluten U nsinn aussprechen, den reinen
dadurch kein Nachteil. G rund- und E inheitspunkt der G eschichte, W iderspruch in d er höchsten Potenz, w o die E rscheinung nicht
zu w elchem alles V o rh erg eg an g ene sich, als V orbereitung,, und sein sollte, und doch auch sein. Jenen Satz aussprechen konnten nicht
alles K ünftige sich als E ntw icklung verhält, bleibt er do ch : der Jesus, noch seine Apostel, noch die ersten K irchenlehrer; denn
E ingeborene und M ittelpunkt, in welchem u n d um desw illen alles: von ihnen w ar jene A bsonderung, durch w elche ein G ott je n ­
andere g e zeu g t ist. seits d er E rscheinung entsteht, g a r nicht g em ach t; Jesus ging
: C hristus ist selb st G o tt m it dem V ater u n d G eiste, sagte man bis auf den in ihm erscheinenden V ater; dieser w ar ihm das Letzte,
ferner: G o tt ist in w esentlicher E inheit ein Dreifaches, Daß dies U nm ittelbare: und so seine N achfolger. Sie reden darum von IV, 552
nirg en d s m it diesen W o rte n in den auf uns gekom m enen U r­ D reiheit in E inheit des erscheinenden G o ttes; wie es h e iß t: G o tt
kunden steht, auch nicht irgendw o, außer an einer einzigen Stelle h a t sich o f f e n b a r e t als V ater, Sohn und G eist. O f f e n b a r e t :
'des P a u lu s 1, C hristus ist G o tt; daß der U nterschied und die nicht in W orten, so n dern in d er T at ist er also erschienen. U nd
IV, 551 U n tero rd n u n g des Sohnes u n te r den Vater, ebenso des G eistes dies ist denn offenbar u n d klar: denn d e r V ater ist das absolut
unter den letzteren, oft unum w unden ausgesprochen w ird, ist kein V orausgegebene, der S paltung d er Individualität V orhergehende
W id ersp ru ch g eg en jene Lehre. An den B uchstaben der Schrift, in der E rscheinung: d er S ohn ist die absolute Steigerung d e r­
und das ew ige W ied erh o len derselben ohne V eränderung ist d er selben zur A nschauung des Reichs G ottes, und der G eist ist die
C hrist nicht g eb unden. Die folgenden L ehrer h atten das Recht, V ereinigung der beiden, u n d die A nw endung des ersten auf das
in E inheit zu fassen, u n d den Sinn herauszuheben, w enn sie letzte, w ie ich dies tiefer unten, w o die einzig schickliche Stelle
ihn n u r nachw eisen k o nnten, — w as sie in diesem Falle, m eines dazu kom m en w ird, zeigen w erde. Die vom C hristentum e aus­
E rachtens, vollkom m en können, — und diesen Sinn zu fassen in g eh en d en B estrebungen der Philosophie haben in der allgem einen
die Sprache ih rer Z eit; w ir schreiben es uns zu, und u n se re n A nsicht d er C hristen an die Stelle des unm ittelbar im Innern des
N achfolgern. N un ab er könnte es doch sein, daß sie, weil ihre M enschen erlebten, und so erscheinenden G ottes gesetzt den ab s­
trak ten G ott des reinen Begriffs, den nicht erscheinenden, ohne
1 Röm, 9, 5 nach Luthers schwerlich richtiger Übersetzung. jedoch, d a bis auf die W issenschaftslehre die Philosophie w ohl
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anderes, ab er n i c h t' sich selb er verstanden hat, dieses, und notw endig zur Seligkeit, obw ohl das G egenteil eine U nklarheit ist,
den U nterschied des erscheinenden recht zu w issen. W ird nun die als solche geh o b en w erden soll, w enn sie kann. Bei dem
seit dieser U m w andlung des G rundbegriffs von einer D reiheit in g eg en w ärtig en Z ustande des C hristentum s, d. i, nachdem die
G o tt gesprochen, so w ird es verstanden von diesem allein g e ­ Einheit G ottes begriffen ist, die Lehre von d er D reieinigkeit, o b ­
dachten G o tte ; da ist es nun nicht zu konstruieren, weil es in w ohl sie, von dem sich offenbarenden G otte verstanden, dem IV, 554
IV, 553 dieser W eise dem G esetze aller K onstruktion w iderspricht; d er gebildeten V erstände klar und offenbar ist, zur B edingung der
S chüchterne läß t es b ei dem W orte bew enden, und spricht; es Seligkeit zu m achen, ist durchaus g eg en das C hristentum , und
sei ein G eheim nis, d er M utigere g esteh t sich: es sei das U nsinn; führt vom eigentlichen C hristentum e ab, ebenso w ie das Be­
w oran er, w enn es so g enom m en w ird, wie die U rheber der Lehre stehen auf den G lauben an die Person Jesu,
es freilich niem als g enom m en, vollkom m en recht hat. Solche Ex­
positionen des L ehrbegriffs sind entstanden im Streite und durch
P olem ik; um sie zu verstehen, m uß m an den Streit als die g e­ Z u s a t z ü b e r e i n e n P u n k t . G laube an W under im g e ­
schichtliche V eranlassung kennen. So hier; den K irchenlehrern w öhnlichen Sinne, d .i. an ursprüngliches E ingreifen des G eistigen
und K onzilien w ar es nicht zu tun um die D reiheit, diese w urde in die Sinnenw elt, ebenso w ie an E rscheinungen, und üb erh au p t
zu g estanden und g e le b t: um die E inheit w ar es ihnen zu tun; an eine m agische E inw irkung des Ü bersinnlichen auf das Sinn­
diese w urde durch den H an g zum Polytheism us bestritten in den liche, sei g ro b e r heidnischer A berglaube, unw ürdig des christ­
■ K etzern, welche Z ersp alter w aren, zwei N aturen in C hristo be­ lichen V aters im H im m el, und aufhebend die Reinheit des G lau ­
haupteten , M anes — zw ei G ötter. Dies w ar gegen die Seligkeit, bens an ihn, sagte ich oben. Ich w eiß w ohl, daß in diesem Stücke
g eg en die ru h ig e H in g eb u n g , indem ja dieser Streit erst aus­ das C hristentum noch am allerw enigsten gesiegt, und den heid ­
g em acht w erden m ußte. — W er also die E inheit in d er D reiheit nischen H an g zum W und erb aren a u sg ero tte t hat. W ie oft habe
nicht g lau b t, d er ist ohne allen Zw eifel verloren, der S egnungen ich so g ar unter studierenden Jünglingen einen heiligen Eifer für
des C h ristentum s unfähig. A nders bei uns. D as C hristentum w ird den W u n d erglauben bem erkt. M it d er Sinnenw elt hat d er w ahre
doch nicht an zw eitausend Jah re vergebens in d er W elt gew esen G o tt unm ittelbar g ar nicht zu tu n ; seine Sphäre ist d er W ille
sein, so daß es nicht einm al m it einem seiner G rundelem ente hätte des M enschen, und durch diesen erst w irkt er m ittelbar auf jene.
durch d rin g en k ö n n en ? M it d er Einheit hat es allgem ein gesiegt, W er darum diese anders will, d e r w ill sich dieser W irk u n g en t­
w eil m an es zum G o tte des B egriffs in allen Katechism en ohne ziehen, und seine Pflicht g eän d ert haben. Auf diese Einsicht kom m t
A usnahm e g eb rach t hat. Diese ist jetzt nicht bestritten, w ohl aber es an. Zum Beispiel: W enn Jesus w irklich seinen V ater um W u nder
die D r e i h e i t . D iese den M enschen einzureden, ist also die Auf­ ersucht h ätte ; w ie hätte ihm G o tt antw orten m üssen? Bedenke
g ab e d er neuen T rinitarier. Auf jene W eise nun g e h t es nicht. ’ doch, daß du nicht, w ie m eine G esan d ten d er alten W elt, die
T u n sie ’s darum auf die w ahre. Ist denn nun aber die A nerken­ M enschen n u r dahin bringen sollst, daß sie etw as äußerlich tun,
n u n g d er U rsprünglichkeit des Sohnes u n d G eistes so durchaus w ozu die B etäubung durch ein W u n d e r recht g u t w ar, sondern
n o tw en d ig zur S elig k eit? W en n nun d er Sohn und d e r G eist in daß sie es zufolge klarer Einsicht m it freiem E ntschlüsse tun,
uns w irkt, gilt das nichts, w enn es nicht im klaren Bew ußtsein w obei jene B etäubung nur hinderlich und im W ege sein w ird.
an erk an n t w ird ? K ann denn d er Sohn und G eist nicht selig m achen, W ie du sie nun zu dieser Einsicht bringest, da siehe d u zu;
ohne W issen und D ank des B eseligten? Ich sollte doch denken. denn n u r inw iefern du dies tust, erfüllst du deine Bestim m ung,
O hne Sohn und G eist kom m t k einer zu G ott, dies bleibt ew ig tu st du deine Pflicht, und b ist d e r C hristus, d er Stifter des neuen
w a h r: daß m an sie ab e r in seinem B ew ußtsein erfasse, ist nicht B undes. K annst du dies nicht, und bed arfst du d er W under, so
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entziehst du dich deinem Berufe, und w illst lieber sein, w as ich bei den Juden noch insbesondere durch die B eschneidung, als
IV, 555 nicht b eg eh re, ein P ro p h e t d er V orzeit; du b ist dann g a r nicht das Zeichen des B undes u n d des auserw ählten Volkes, H alten
der C hristus, u n d d ieser m uß erst nach dir kom m en. Die G e­ des Z erem onialgesetzes, und dergleichen. Dies liegt schon also
legenheit, w o das W u n d e r recht am Platze gew esen w äre, war* in u nserer früheren D arstellung.
sich vom K reuzestode zu re tte n : so w ie Elias, als er gefangen Nach d er Sprache d er Jud en nun insbesondere, w elche diese
w erden sollte, F e u e r vom H im m el fallen und die Bew affneten D enkw eise bis zu einem durchgeführten System e ausgebildet
verzehren ließ, Jesus erklärt sich auch d arü b er: M einet ih r nicht, hatten, hießen diese außer G ott Seienden S ü n d e r . Sünde also
daß ich m einen V ater bitten könnte um eine L egion E n gel? — A usgestößen heit von d er G ottheit, U nheiligkeit; en tsündigt w urde
wie er im Sinne des A ltertum s allerdings die Sache ansehen, und m an darum durch Beschneidung, A ufnahm e in M ysterien, E in­
seinen Jü n g ern vorstellen k o n n te; — aber das tu e ich nicht, denn w eihung zu Isis, O siris und dergleichen, wie denn dies bei der
wie w ürde so d an n die Schrift erfü lle t,1 w ie w äre ich sodann der B edrängnis der G ew issen Sitte w urde. Daß G o tt einen M enschen
C h ristu s? D er an dieser Stelle geführte Beweis aber ist allgem ein: ergreifen und beg eistern könne, u n d um schaffen nach seinem
ein W u n d e rtä te r konnte sein ein M oses, ein Elias, ein R om ulus, B ilde, w ie das C hristentum behauptete, konnten sie allenfalls
ab er niem als ein C hristus, ein Stifter des H im m elreichs. noch zugeben: nur u n ter d e r B edingung, daß er schon vorher ein
D iese W u n d e r in d er Sinnenw elt, (vom H im m el) leugne ich G ew eihter u nd G erechter sei, in ihrem Sinne nicht ein S ünder:
entsch ied en : lehrend ü brigens einen lebendigen und: w irkenden den Sünder h ö rt G o tt nicht, und tritt m it ihm in keine: G em ein­
G o tt in der G e iste rw e lt D aß er allen, die zu ihm sich nahen, ein schaft. Dies ist die alte B edeutung des W ortes Sünde, w ie ich klar
neues H erz schafft, ist sein ew iges g ro ß es W under, und einzelne erw eisen w erde. An die n euerdings untergeschobene U n s i t t l i c h - iv, 557
W u n d e r in dieser Sphäre, daß ein C hristus kam , er A postel fand, k e i t ist nicht zu denken.
Durch d en oben aufgestellten Satz des C hristentum s w urde
diese bis auf diese Stunde die ihrigen gefunden, w erden w ir
allenthalben zu bem erken G elegenheit haben. dieser U nterschied zwischen A usgestoßenen und A userw ählten,
S ündern und G erechten gänzlich aufg eh o b en ; im Z ustande d er
G eb u rt u n d A bstam m ung keines lag ein H indernis g erecht zu
Z u dem historisch d ogm atischen Inhalte des C hristentum s sein. Die Sünde darum , u n d m it ih r die E n tsündigung w a r durch
g e h ö rt noch die L ehre von d er R e c h t f e r t i g u n g , mit dem auf das C hristentum rein ausgetilgt und w eggenom m en aus d er W elt.
die. biblischen A usdrücke g e g rü n d ete n W o rte des System s. Seit dem durch Jesus erklärten Entschlüsse G ottes, durchaus jeden,
Ihr Inhalt für uns, natürlich ausgesprochen, ist d ie se r: Jeder d er sich ihm nahe, aufzunehm en, gab es keine Sünder m ehr, noch
M ensch, ohne A usnahm e, dadurch, daß er ein M ensch g eboren E ntsündigung, noch des etw as. W ir w issen, daß G ott die Sünder
ist, und solches A ngesicht träg t, ist fähig ins H im m elreich zu nicht hört. A n tw ort: Es g ib t keine Sünder,
k o m m e n : G o tt ist b ereit, ihn zu beleben und zu b e g e iste rn ; denn D ieser Lehrsatz und die A bleugnung des G egenstandes w aren
n u r dazu eben ist je d e r M ensch da, und nur u n ter dieser Be­ w esentlich. M it jenen E ntsündigungsm itteln, W eihung, B eschnei­
d in g u n g ist er ein M ensch. dung, T aufe, od er w as es sei, bleibt G ott d er w illkürliche, eigen- IV, 558
IV, 556 So nicht nach den B egriffen d e r alten Zeit, und besonders sinnige D espot, der ohne G ru n d befiehlt, und dem m an gehorchen
des Jud en tu m s. N ach diesen bedurfte es für diese Fälligkeit m uß ohne Einsicht, nach dem R echte des Stärkeren, d er F ürst
einen . G o tt zu hab en u n d Teil an ihm e rst einer besonderen Er-, d e r W elt u n d Z a u b e rg o tt; u n d w ird nie der him m lische V ater des
w ählung, G nadenw ahl durch Einverleibung in ein B ürgertum , C hristentum s, dem d er M ensch, so w ie er ist, kindlich und ohne
Furcht sich nahen darf.
1 Matth. 26, 53 f.
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So ist ü b e rh a u p t-je d e r dazu fähig, durch die G eh u rt als m uß diejenige, die m an früher durch den G lauben los w ird, eine
M ensch und m it m enschlichem A ngesichte. Daß nun aber je- ^ andere sein: und es ist eben die von d e r V orw elt geglaubte Ver- IV, 560
m and w irklich fähig sei, sich G o tt zu nahen, dazu gehört, daß w orfenheit von G ott, die auch E rbsünde gen an n t w ird.
er die Lehre Jesu vom H im m elreich w isse, und dieselbe entw eder D es G e s c h l e c h t s S ünde: für diese ist Jesus das O pfer und
m it kategorischem o d er problem atischem G lauben annehm e. (Vgl. die G en u g tu u n g . So re d e t die Schrift. Z eige m an m ir doch nur
o ben S .169.) Also — d er w irkliche M ensch w i r d g e r e c h t allein eine einzige Stelle, wo dem einzelnen g esag t w ird: Jesus h at für
durch d en G lauben an das E vangelium , und au ß er dieser V oraus­ deine persönliche Sünde g en u g getan, wie aus U nverstand die
setzu n g bedarf es keines anderen, w eder vorhergehenden, noch N eueren sagen, und dabei recht from m und erbaulich zu reden
nachfolgenden M ittels, glauben.
Diese A ufhebung der Sünde und E ntsündigung w ar nun für
Jesus u n d seine N achfolger w a h r lediglich zufolge des Faktum s W eniger von Jesus selbst, der den G egensatz w enig b e­
sein er S en d u n g ; keinesw egs aber, wie für uns, zufolge d er Einsicht achtete, und das heidnische Prinzip des Judentum s ohne Scho­
eines G esetzes. A ber ein Faktum kann, w enn man nicht u n b e­ nung nießerschlug, als von seinen A posteln, die bei E rrichtung
so n n en ist, ein g eg en ü b ersteh en d es Faktum aufheben nur der einer C hristengem eine die B erührung mit dem Judentum e nicht
Z eit nach. „M ag w ohl sein, daß es ehem als einer B eschneidung verm eiden konnten, w urde dieser P u n k t behandelt: besonders
IV, 559 b ed u rft h ab e; d arü b er w eiß ich nichts, es steht an seinem,, O rt, von Paulus, der, bei einigem W ankelm ute der übrigen, das
es g e h t mich nicht a n .“ Jetzt, seitdem G o tt durch Jesus das christliche Prinzip kräftig durchsetzte. E r hat den G egenstand
G egenteil erklärt hat, ist es nicht m ehr so. — Seit der B erufung ausführlich und gründlich behandelt in d en E pisteln an die Römer,
ist es so : durch sie ist die Sünde aufgehoben. Die Jü n g er ins­ G alater und sonst mehr. Jene Sündhaftigkeit gesetzt, w aren die
b eso n d ere d atierten den B eginn des Reichs G ottes vom T ode Jesu, Juden eben auch S ü nder; denn es ist nicht w ahr, d aß die B eschnei­
weil sie als die B estim m ung seines Lebens nur ihre V orbereitung dung und das H alten des G esetzes rechtfertiget: die ganze alte
ansahen, und sie erst seit diesem T ode au sg esan d t w urden au W elt bis auf C hristus w ar in d e r Sünde. N ur seit Erscheinung
die ganze en tsü n d ig te W elt. Nach ihnen ist darum die Sünde des E vangelium s ist die Sünde vernichtet; und allein der C hristen­
durch den T o d Je su au fg eh o b en , sein Blut hat sie w eggenom m en, glaube m acht in diesem Sinne gerecht. D ies ist d er historische,
im Bilde vom jüdischen O pferdienste, er ist das Sühnopfer für die B edeutung bestim m ende U rsprung d e r Lehre von E rlösung,
die W elt, er ist uns v o rgestellt zum G n ad en stu h l, 1 in welchem G enugtuung, E ntsündigung usf., und der polem ische G ebrauch IV, 561
Bildersystem e m an sich nun ins U nendliche ergehen m ag ü b er derselben g e g e n das von G rund aus nicht zu w iderlegende heid­
diesen G eg en stan d , für die, denen dieses B ildersystem geläufig nische Prinzip von einer S ündhaftigkeit des natürlichen (durch
ist, wie z. B. der A postel P aulus recht m it Liebe sich also ergehet. keine E inw eihung gereinigten) M enschen vor den A ugen G ottes,
D aß dies so ist, u n d schlechthin nicht anders sein kann, er­ D erm alen ist durch die W irkung des C hristentum s diese
hellet aus dem U nterschiede d er H eiligung von d er R echtfertigung, heidnische V oraussetzung aus der christlichen W elt rein und
Die R echtfertigung g e h t nach alter Lehre vor d er H eiligung voraus; durchaus verschw unden; sie ist so g ar vergessen und u n verständ­
durch diese aber erst, durch d en von G o tt erschaffenen neuen lich gew orden. D ie E ntsündigung und R echtfertigung vor G ott
M enschen, w ird m an, falls m an die natürliche N ichtigkeit des ist Je su durchaus gelungen. W o findet sich w ohl noch jem and,
M enschen Sünde nennen will, d er w irklichen Sünde los. M ithin d er sich vor G ott sch eu e? W ir nahen ihm, könnte m an sagen,
w enn m an bedenkt, daß d e r allgem einen R echtfertigung so selten
1 Röm. 3, 25. die H eiligung folgt, w ir nahen G o tt n u r zu dreist. Das zarte
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178 Angewende.te Philosophie. Neue Welt. 179

K ind w ird durch das, C hristentum gew öhnt, jede Nahruno* als Fleisches, w erden w ir erlöset doch w ohl nur durch unsere eigene IV, 563
ein G eschenk aifs d er H and des him m lischen V aters anzunehm en H eilig u n g ; und von dieser w ird doch hoffentlich Jesus uns nicht
und m it seinen kindischen A ngelegenheiten vertrauensvoll im erlöst haben, und in dieser Rücksicht unsere Stelle vertreten,
G ebete sich ihm zu n ah en : w as da ganz rech t ist und gut. w enn da ja seine eigene H eiligkeit nur eben darin besteht, daß durch
n u r h in terh er die H eilig u n g folgt. Also die Sache, die Erlösung ihn w ir alle geheiligt w erden. Also h a t er uns auch nicht von
ist da, und diese lasse m an ja nicht u n terg eb en : die sie be- d e r Sünde erlöst, die w ir nur durch die eigene H eiligung los
abzw eckende Lehre, die sich selbst durch sich selbst vernichtet w erden. Jenes erste w ollen sie auch eben nicht sa g en : doch
b a t, w ird eine au sg esto rb en e Form el.
m üßten sie es sagen, w enn sie irgend etw as sagen w ollen. Sie
Die nun aber doch, dam it nichts um kom m e, derselben ein erscheinen darum in kläglichster V erw irrung, und w issen selbst
künstliches Leben einflößen w ollen, w as m üssen sie t un? Sie nicht, w as sie reden.
m üssen dem H au p tw o rte Sünde einen anderen Begriff unter­ Da haben sie sich z. B. folgende H eilsordnung ersonnen,
schieben. Sünde soll sein die U n s i t t l i c h k e i t . Dies ist ein auf weiche, als ein H öchstes, m ancherlei V erw andtes unter sich
philosophischer, durch A bstraktion entstandener, durchaus kein, B efassendes, zw eckm äßig sein dürfte, Rücksicht zu nehm en. (Die
historischer, und ein Faktum bezeichnender Begriff, dessen die HaUischen T heologen, und nach ihnen die B rüdergem eine. Es
alte W elt, so auch Jesus und seine A postel, durchaus unfähig ist aber in d er Lehre des L uthertum s sehr w ohl begründet, n u r
w aren (also kein christlicher Begriff). W enn nämlich v o n - d e r daß sie rechten E rnst dam it gem acht haben.)
äußerlichen G esetzlichkeit, w elche allein d e r V orw elt bekannt D er M ensch solle vor allen D ingen seine Sündhaftigkeit ,
wai-, so d an n auch von den H andlungen, aus G o tt getan, die recht innig erkennen, gleichsam H öllenangst ü ber sie em pfinden,
b l o ß e F o r m ab g ezogen wird, so h eiß t diese sittlich, das G egen- und in dieser A ngst äeine Z uflucht nehm en zum Erlöser, — w elches
teil unsittlich, und die philosophische W issenschaft, die diese letztere hoffentlich der lebendige, heiligende G o tt selbst sein w ird,
A bstraktion vollzieht, h eiß t die Sittenlehre. N un aber ist keine und nicht w iederum ein verw irrendes Schattenbild. — D ies sei
leb en d ig e H an d lu n g bloße F o rm : es lebt sich darum niem als 1 der W eg der Buße, B ekehrung ü n d R echtfertigung; und außer
rein aus dem Begriffe der Sittlichkeit o der d e r U nsittlichkeit diesem gebe es keinen. — Als S ünder erkennen? W ie d en n ? IV, 5 6 4
IV, 562 obw ohl allerdings die H an d lu n g unter E iner dieser Form en stehen Da m uß er doch irgendein Bild, ein G esetz haben, gegen w elches
w ird, so n d ern das eigentliche Leben hat einen anderen A ntrieb, i er in der S elbstprüfung sich halte, w ie auch das System gesteht,
In dieser R ücksicht g ib t es nun nach dem C hristentum e, und und als dies G esetz die heiligen zehn G ebote aufstellt. D iese soll
nach vollendeter P hilosophie zwei L ebensw eisen: a u s d e r s i n n ­ er nicht gehalten h a b e n ? W enn er sie nun gehalten und alles
l i c h e m P e r s ö n l i c h k e i t h e r a u s : d a sei die H andlung noch getan hätte, w as er zu tun schuldig ist, seine H abe den Armen
so glänzend legal, so ist sie nichts, leerer Schein, ohne G ehalt, -J gegeben, seinen Leib brennen lassen, w äre er denn dann w eniger
nicht einmal S ünde; denn es ist selbst ein sündlicher H ochm ut des ein S ü n d e r? Die eigentliche Sünde h at ja ihren Sitz g a r nicht
M enschen, zu glauben, daß er sü ndigen und etw a den göttlichen in den Erscheinungen d er grö ß eren o der kleineren G esetzw idrig­
W eltplan rea liter stö ren könne. Doch, um m it D iesen nur keit, und zu deren E rkenntnis w ird er durch keine em pirische
fortreden zu können, m ag diese N ichtigkeit einm al Sünde genannt Selbstprüfung kom m en, welche die eigentliche Sündlichkeit erst
w erden. — O d er das Leben l e b e t a u s G o t t , so ist es G ottes recht befestigt, so n dern durch den schlechthin apriorischen Satz
E rscheinung, und w er aus G o tt geb o ren ist, sündiget nicht.1 des C hristentum s, daß alles, w as aus dem eigenen W illen hervor­
V on d er Sünde nun im ersten Sinne, von d er N ichtigkeit des geht, und nicht aus G ott, nichtig sei und, w enn man so reden
■ 1 1. Joh. 5, 18.
594 will, Sünde. W arum hebt ihr denn nicht gleich mit diesem Satze
F i c h t e , Die S t a a t sl eh re . 12 595
Angewendete Philosophie. Neue Welt. 181

an, m it welchem ihr doch, falls ihr euren P flegebefohlenen wirklich drin g en : erstere dagegen, weiche um den B uchstaben, den sie
zum C hristentum e b ringen, und ihn nicht in einer nichtigen W erk­ m ißverstehen, eifern, u n d die P erso n Jesus d e m '‘ w ahrhaften
heiligkeit w ollt enden lassen, kom m en m ü ß t? Von A ngst und C hristus und seiner W irksam keit in den W eg stellen.
Schrecken soll er ergriffen w erden über die S ünde: also, falls ihr
dam it nicht etw a die m öglichen G esetzw idrigkeiten, sondern die
eigentliche Sünde m eint, darü b er soll er A ngst em pfinden, daß Zum V erständnisse des C hristentum s, als einer B egebenheit
er a u ß er G o tt nichts ist, und ohne ihn nichts kann. Soll er denn in der Zeit, geh ö ren ganz vorzüglich die W eissagungen desselben
dies w u n d erb ar finden, und es anders g ew o llt h a b e n ? Soll er von sich selber, als seine A ussage, wie es sich selbst als
IV, 565 denn glauben, daß er sich selbst habe helfen können und auf historisches Prinzip in der W elt ansieht. Die W eissagungen
sich laden, w as G o ttes Sache ist? D er C hrist will eben nichts ü b erhaupt g ründen sich auf den früher abgeleiteten, nachher im
sein a u ß er G o tt, und au ß er diesem seiend, will und m ag er nichts Z usam m enhänge historisch eingeführten Satz, daß eine w ahrhafte
G utes an sich finden. Ihr ab er schiebt ihm u n ter das anti­ F ortentw ickelung des M enschengeschlechtes nicht vergeblich,
christliche P rinzip d er Selbstliebe und S elbstobjektivierung, fordert nicht ein b lo ß er V ersuch sein könne, sondern daß alles aus ihr
auf dasselbe und b estärk t es, um daran das G eschäft eurer Be­ erfolgen und durch sie geleistet w erden m üsse, w as d a könne
k eh ru n g zu knüpfen. Ihr m acht die M enschen zu H eiden, so gut und solle. Die W e issag u n g ist n u r die A nalyse dieser Einsicht:
ihr könnt, dam it ihr G eleg en h eit findet, euer Kunststück, zu V oraussicht der Z ukunft aus der G eg en w art nach einem G esetze.
C hristo zu b ekehren, auszuüben. So konnte denn Jesus w eissagen, und so kann es eigentlich jeder,
In S um m a: Alle H eilso rd n u n gen ohne A usnahm e, außer der der etw as Tüchtiges beginnt, o der das von anderen B egonnene
einfachen, daß m an sich selbst verleugne und vernichte in jedem versteht.
Sinne, m ögen dieselben nun bestehen in historischen E rkenntnissen, Es g ib t zwei H au p tw eissagungen Jesu. Die eine, daß sein
o d er in gew issen, auf dieses H istorische g eg rü n d eten Ü bungen, W erk, die Stiftung des H im m elreiches, ü b e rh au p t durchgehen
geh en hervor aus jenem Selbst, und sind A ufrechthaltungen des­ w erd e ; die zw eite, ü ber das sichere und entscheidende Mittel,
selben, m ithin feindselig dem C hristentum e, und antichristlich. verm ittelst dessen es w erde durchgesetzt w erden, H eben w ir an
W ie die Juden stolz w aren auf ihre A bkunft von A braham , bei der letzteren, die da früher erfüllt w erden, und deren G e g en ­
und die M enschen erst beschneiden w ollten, ehe sie ihnen die stand, als M ittel, natürlich in d er Zeit früher erscheinen m uß.
E rlaubnis, sich G o tt zu nahen, und die E m pfänglichkeit fü r seine Jesus hatte, bald belehrt, daß er keinen allgem einen G lauben
E inw irkung zugestanden, so sind bis auf den heutigen T a g die, finden w erde, die A ufgabe seines Lebens bald darauf beschränkt,
welche dieser A rt sind, stolz auf ihre A bkunft aus d er C hristen­ sich nur A postel, als ein L ehrerkollegium zu bilden. W ie es m it IV, 567
schule, u n d m achen sta tt d er B eschneidung das E rlernen und dem G lauben und der Einsicht dieser bestellt sei, und, solange
B ew undern ihres K atechism us zur B edingung der R echtfertigung. er unter ihnen sei, bestellt sein m üsse, wie derselbe ohne alle
W as Paulus von den Ju d en , w as L uther von den P apisten, in Selbständigkeit, sähe er w ohl ein, W ie sollte nun durch solche,
IV, 566 A bsicht der V erfälschung d er Lehre von d er R echtfertigung allein u n d ihre N achfolger und deren, sein W erk ausgeführt w erden,
durch den G lauben an Jesus, und d e r V erkleinerung des V er­ welches, er w ußte es allgem ein, ausgeführt w erden w ü rd e ? Er
dienstes Jesu jem als H artes g esag t, gilt also von diesen C hristianern, fand die L ösung d er F rage, und sprach sie zum T röste seiner
nicht C hristen. Die letzteren sind die, welche auf das W esen der Jü n g er aus. E s w e r d e n a c h s e i n e m H i n s c h e i d e n d e r
Lehre Jesu, welches m an seh r g u t in die Lehre von der R echt­ heilige Geist g e s e n d e t w e rd e n, der vom Vater a u s ­
fertigung, die ich oben vorg etrag en, setzen kann; ausschließend g e h e ; d i e s e r w e r d e z e u g e n v o n i hm: v o n d e m S e i n e n
596 ■ 5 9 7
182 Angewendete Philosophie.
Neue Welt. 183

w e r d e er es n e h m e n , u n d i h n e n a l l e s s a g e n , si e in N un ist insbesondere in d er Lehre vom heiligen G eiste die


a l l e W a h r h e i t l e i t e n . So im Evangelium Jo h an n is.1 W as
Rede nicht von etw as N atürlichem , das schon w ar unter d en >
heißen diese W o rte ? ■W ohlgem erkt, w ir liefern durch die E r­
C hristen, sondern das erst nach dem H ingange Jesu unter ihnen
klärung derselben zugleich die oben versprochene E rö rteru n g
erscheinen sollte; und zw ar u n te r den C hristen als solchen,
ü b er die A rt d er D reiheit im erscheinenden G otte nach der
d. i. schlechthin bei allen M enschen, indem ja alle M enschen
Lehre des C hristentum s.
ohne A usnahm e zum C hristentum e berufen sind: darum durchaus IV, 569
Z u v ö rd erst: e r g e h t v o m V a t e r a u s . Ein Glück, daß
nicht von d en besonderen, individuellen, gleichsam genialischen
die okzidentalische Kirche, w elche in dieser nicht verstandenen
A nlagen für dasselbe, w ie sie sich schon bei Lebzeiten Jesu
Stelle etw as g eg en die Ehre des Sohnes w itterte, und ihr zum
bei m ehreren, u n d ganz sicher bei den elf A posteln fanden, die
T rotze festsetzte: der G eist gehe auch vom Sohne aus, diese
allerdings G abe des V aters sind, aber nicht der heilige G eist, —
Stelle nicht verfälschte, w ie sie es mit anderen zum Schutze
so n d ern von einer im g a n z e n M e n s c h e n g e s c h l e c h t e
ihres System es tat, u n d so uns. die in die A ugen sp ringendste
liegenden natürlichen A nlage für das Ü bersinnliche, die dam als
Ä ußerung g ew o n n en hat, um in den Sinn Jesu einzudringen. noch nicht entw ickelt w ar, und deren Entw ickelung eben die
W as h eiß t e s? Eine Parallelstelle m acht es ganz klar. Als nach A nw esenheit C hristi im W eg e stand. W elches ist denn nun diese?
einer entschiedenen und tiefergehenden Rede Jesu eine M enge
D er n a t ü r l i c h e a l l g e m e i n e V e r s t a n d ist es. D ieser G eist
von M enschen, die bisher an ihm g eh an g en hatten, aber durch
aus dem V ater, nicht aus dem Sohne, von dessen b esonderer
IV, 568 diese g e ä rg e rt w urden, ihn verließen, es gänzlich aufgaben, ihn
faktischer E rscheinung u n ab h ä n g ig er durch die bloße G eb u rt t i n
w eiter zu vernehm en, erklärte er den noch bei ihm bleibenden
Anteil des M enschen Jst, w erde es nehm en von dem Seinen;
Jü n g ern , die durch diese E rscheinung denn doch betroffen w aren,
er bedürfe das faktisch gelieferte, Bild, w elches er für sich nie
d ieselbe fo lg en d erm aß en : Es kann niem and zu m ir kom m en, es
gefunden haben w ürde, darin von ihm ab h ä n g ig ; dieses ab er
sei denn, d a ß i h n z i e h e d e r V a t e r .2 N ur die der V ater
mache er durch die E insicht seiner G esetzm äßigkeit (aus dem
m ir g eg eb en hat, kom m en zu mir. Also, die Lehre Jesu setzt
G esetze a p rio ri) klar, verständlich, und verkläre so Jesus, indem
eine E m pfänglichkeit im S ubjekte voraus, und ohne diese E m pfäng­
aus anderen, von ihm u n d seinem Z eugnisse ganz u n ab h ängigen
lichkeit vorzufinden, verm ag sie nichts. D iese Em pfänglich­
G ründen erhelle, daß Jesus die W ahrheit g esag t h a b e : Jesus erhalte
keit nun, w o sie ist, ist ein G eschenk des V aters, nicht des
nun einen Z eugen außer sich. D urch diese B eschäftigung m it
Sohnes, von welchem sie ja vorausgesetzt w erden m uß. W as ist
dem H im m elreiche w ird er nun erst der h e i l i g e G eist, d a er
sie d aru m ? Eine durch die G eb u rt in den Individuen liegende
früher nur d er G eist vom V ater ist, vielleicht ein profaner, der
A nlage, V erw andtschaft zur Lehre vom H im m elreiche; dunkele
seinen W ert nur darin hat, daß er d er heilige w erden soll.
und unentw ickelte A hnungen, w elche nur in der Lehre Jesu
H ier die E rklärung d er D reiheit: d er V a t e r , das Natürliche,
ihre L ö sung und K larheit finden, — ebenso, wie in Je su selbst
A bsolute in der E rscheinung, das A llgem einvorausgegebene; der
das Bild des H im m elreichs la g ; das nur durch das V erständnis
S o h n , die faktische S teigerung dieses zum Bilde d er üb ersin n ­
seines B erufes zur Stiftung desselben die L ösung fand.
lichen W elt; der G e i s t , die A nerkennung u n d A uffindung dieser
W as vom V ater ausgeht, ist darum eine natürlich und u n ­
W elt durch das natürliche Licht des V erstandes.
ab h än g ig von d er Lehre Jesu in den M enschen liegende V er­
E benso liefert dieser G eist den dritten Beweis, d er von J e s u ,
w andtschaft zur übersinnlichen W elt; w as das Erste w äre.
falls man historisch von ihm w eiß, zeugt, und ihn verklärt,
seiner aber als ein G lied in der Kette der Einsicht nicht m ehr
1 Joh. 15, 26; 16, 14; 16, 13. - J o h . 6, 44.
bedarf, weil er rein a p rio ri aus dem G esetze geführt wird.
598
599
184 Atigewendete Philosophie. Neue Welt. 185

D ieser vom V ater ausgehende G eist w ar nun schon vor jetzt erhalten w orden ist. Seit dieser Z eit sind Je su A l l e vom
IV, 570 C hristus, ohne daß er es w ußte, o der zu w issen brauchte, objektiv V ater gegeben, u n d es bedarf keiner b esonderen G enialität m ehr,
g ew o rd en , und in dieser O bjektivität faktisch herausgebrochen weil das C hristentum sich anknüpft an das, w as eben allen
in dem A thenienser S o k rates; in ihm hatte d er V erstand sich g egeben ist, an den gem einsam en V erstand aller. Jetzt e rst ist
selbst zuerst ergriffen, und sich entdeckt, als eine eigentüm liche alle V ernunft zu zw ingen u n ter den G ehorsam des G laubens,
u nd rein apriorische Q uelle von Erkenntnissen, und w ar also nicht fo rm a lite r , in dieser H insicht w ird eben der G laube
durch die E ntw ickelung von W ah rheit aus ihm geb rau ch t w orden:, seiner D ienste en tlassen ; so n d e rn m a te ria lite r. N achdem nun
in B eziehung auf die Form d er W ahrheit gerad e ein so großes durch die Z eit diese A ufgabe gelöst ist, tritt freilich eine andere
W under, und eine so m ächtige F ö rderung der M enschheit, als ein, von w elcher zu seiner Zeit.
das in Jesu in B eziehung auf ihren G ehalt. D ieser so bearbeitete Ü berhaupt dies bei dieser G elegenheit, weil es an dieser
V erstand, dies w ar d er Sinn d er W eissag u n g Jesu, sollte nun Stelle einzig klar w ird. W ir sagten oben: d er F o rtg an g der
im V erfolge m it dem C hristen tu m e vereinigt, u n d der christliche W eltgeschichte bestehe darin, daß durch den V erstand der G laube
G ehalt aufgenom m en w erden in die Form der Sokratik, indem aufgehoben w erde. D ies geschieht nach einem verschiedenen
n u r in dieser V ereinigung es sicher zur allgem einen K larheit G esetze in d er alten und in d er neuen W elt, ln jener w urde
d er E rkenntnis kom m t. So ist es denn erfolgt, bis endlich durch das durch den G lauben G esetzte vom V erstände vernichtet, und
K ant der letzte Schritt geschah, daß jene Sokratik, jene Kunst das G egenteil an die Stelle gesetzt: der V erstand w ar polem isch
des V erstandes sich selb st erkannte, und sich von anderer, von darum , w eil die A nschauung der alten W elt g ar nicht richtig ist,
dem V erstehen in der A nschauung unterscheiden lernte, w odurch sondern nur vorbereitend auf ein künftiges Evangelium , Vorbild.
nun endlich die V erw irrung zw ischen historischem V erstände und In dieser w ird d er G laube vom V erstände bestätigt, dasselbige
d er E rkenntnis durchs G esetz g eh o b en ist. N un erst verm ag der durch ihn, wie durch jenen gesetzt, darum n u r die Form auf­
G eist ein heiliger zu w erden, und den C hristen A l l e s zu sagen, g eh oben, w eit die A nschauung des C hristentum s real ist, selbst
in alle W ahrheit sie zu leiten, und für den historischen Jesus, das letzte Evangelium . D arum w äre d er Eifer für die Form hier
welchem g e g e n ü b e r er seine Selbständigkeit gew onnen hat, zu um so m ehr kindischer Eigensinn, da der G e h a l t ja bleibt. -
zeugen u n d ihn zu verklären. Diese Epoche tritt so rech t eigentlich W as bis jetzt freilich nicht so ganz klar und erw eislich der Fall war.
m it u n serer Zeit ein, und durch sie erst ist jene W eissagung
vollkom m en erfüllt. ---- W ir haben, was auch zu u nserer A ufgabe
g eh ö rte, die Zeit, in d er w ir stehen, in B eziehung auf den So ist nun die W eissagung vom heiligen G eiste freilich
absoluten Endzw eck des m enschlichen Lebens gedeutet. durch die ersten C hristen nicht verstanden w o rd en ; und vielleicht
W ohlgem erkt, weil dies späterhin auf eine entscheidende ist es jetzt das erstem al, daß sie also erklärt w ird (weil jede
W eise g ü ltig gem acht w erden w ird. — Durch diese E poche ist W eissag u n g erst durch ihre Erfüllung recht klar w ird), W ir
nun die F o rtd au er und d e r letzte Endzweck des C hristentum s dürfen diese anderw eitige D eutung nicht mit Stillschw eigen ü b e r­
durchaus gesichert. V orher w ar dieselbe bed in g t durch die zu­ gehen. Die Jü n g er w aren ebensow enig, als es irgendein anderer
fällige Form des G laubens, jen er besonderen individuellen, und M ensch an ihrer Stelle gew esen w äre, darauf gestellt, dem G e ­
gleichsam genialischen V erw andtschaft zum C hristentum e, die vom schäfte Jesu in E rrichtung des H im m elreiches eine so lange IV, 572
V ater g eg eb en ist, g estü tzt darum auf das fortd au ern d e W under, A usdehnung zu geben, als w ir es nun w ohl zu tun g e n ö tig t sind,
IV, 571 daß in d er C hristengem eine im m er solche geboren w urden, w elches und doch nicht g ern tun, böse w erden, w enn man herrliche Sachen
G o tt denn auch ohne Zweifel g etan hat, da das .C hristentum bis um lahrtausende hinaussetzt. G erade wie wir, w ollten auch sic
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186 Angewendete Philosophie. Neue Wplt. 187

alles selb st erleben, u n d w en ig stens nicht ü b e r ihr Leben hinaus welche jede E rscheinung in ihrem Z usam m enhänge beg reift und
sollten alle W eissag u n g en verziehen, w ovon w ir sp äter ein treffen­ beurteilt, u n d keiner Z eit eine Erleuchtung anm utet, die sie nicht
des Beispiel sehen w erden. So auch mit der vom heiligen O eiste. haben kann. D er heilige G eist w ar ja in d e r T a t noch nicht
U nd so hielten sie denn diese W eissagung für erfüllt an sich in erschienen, u n d hatte sie in alle W ah rh eit g eleitet: w as W under,
einem P h än o m en e an d erer Art, in d er V erw andlung u n d U m ­ daß sie selbst ü b e r den heiligen G eist in unrichtige Ansichten
schaffung, die nach dem T o d e Jesu m it ihnen sich zu trug, in fielen.
dem neuen M enschen, d e r ihn en an die Stelle des anderen en t­
stand. D ies ist nun allerdings eine h ohe G edankenw irkung, und
die von C hristo versprochene, ab er sie ist nicht der heilige G eist, Die zweite W eissagung Jesu w ar üb er die sichere A usführung
so n d e rn sie ist d e r V ater selbst, und seine E inw irkung, durch die seines W erkes. Jesu Beruf w ar, Stifter des H im m elreiches zu
Lehre des Sohnes g esteig ert, und m öglich gem acht. Sie w urden w erden auf der Erde, nicht etw a bloß Lehrer, die E w igkeit schon
seit diesem Z eitp u n k te in d er T at w irksam fü r.d ie V erbreitung hienieden in d er T at allgem ein anzufangen. So sähe er sich an :
des E vangelium s, opferten alles hin, litten u n d starben dafür, kein also allerdings als Stifter eines Reiches, obw ohl in dieser W elt,
Irdisches m ehr b eg eh ren d , und selig in d e r H offnung. So ihre nur nicht v o n dieser W elt, w o die G ew altigen herrschen, sondern
N achfolger, in den ersten Jah rh u n d erten nach' ihnen. D iese E r­ w o sie D iener sin d aller. W ir w erden zu seiner Z eit diesen A us­
scheinung nun des eigentlichen H im m elreiches ist von den druck verstehen und w ah r finden: Er sei allerdings ein K önig.'IV , 574
A posteln, und von d er Kirche nach ihnen für die W irkung des So h at er von jeh er ü b er sich gedacht. W as er nun auch etw a
verheißenen heiligen G eistes geh alten w orden, w eil es ihnen an im A nfänge seines G eschäftes ü ber die Zeit dieser Stiftung g e ­
scharfer S o n d eru n g der Begriffe, U m sicht und V erbreitung der g lau b t haben m ag, so konnte sich ihm im Fortgange,, als er das
K enntnis fehlte, um jene W eissag u n g in ihrem w ahren Sinne V erhältnis d er vorhandenen M enschen zu seinem A ntrage kennen
zu fassen. lernte, nicht verbergen, daß eine solche A ufgabe ü ber die G renze
D iese übersinnliche Kraft und E rhebung in ihnen, sage ich, jedes einzelnen M enschenlebens, geschw eige des seinigen, dessen
ist der r e c h t e Beweis des C hristentum s von d er zw eiten Art, schleuniges, gew altsam es E nde er sich leicht prophezeien konnte,
der B ew eis des G eistes und d e r Kraft. D ies nun nannten sie hinausliegeri m üsse. N un sollte aber Er es tun, u n d kein Frem der.
den heiligen G eist. W en n sie nun ferner W u ndertätigkeiten da D ies w ar n u r so zu vereinigen: er solle es tu n durch seine
m iteinm ischten, u n d auch diese dem heiligen G eiste zuschrieben, F ortw irkung, durch die F olgen seines D aseins, die er auf der
573 jen e Schw eißläppchen, die au fg eleg t die K ranken gesund m achten, E rde ließe,; doch er selbst in eigener Selbstheit, indem er durch
jene B erührung durch den Schatten der vorbeigehenden A postel, keinen anderen S tellvertreter w erden konnte. Aus dieser Sicher­
die gleichfalls h e ilte ,1 und dergleichen, so entrichteten sie darin heit sag te er ih n en : er sei bei ihnen alle T age, bis an d e r W elt
die Schuld dem dicken A berglauben ih rer Z eit und ihres Volkes. Ende,1 zuvörderst im L ehrgeschäfte ihnen beiw ohnend, u n d lehrend
W ie ;er es d arüber, und m it Schriftstellern, die so etw as ernsthaft durch sie hin d u rch ; am Ende ab er dieseer Lehrepoche w erde er
berichten, zu halten, u n d w elches A nsehen er ihnen bei sich zu nicht in der S chattengestalt der Lehre, sondern in aller K raft IV, 575
g ö n n en habe, W eiß d er verständige Christ. Ebenso auch m it den realen W irkens w ieder erscheinen, und in der T a t und sichtbar
sp äteren A u sgeburten des A berglaubens, — alles jedoch nach auf d er E rde sein vom V ater ihm beschiedenes Reich beginnen.
d er Liebe richtend, nicht nach blinder, sondern nach1verständiger, D ann w ürden vor ihm alle V ölker versam m elt w e rd e n ; 2 es sei

1 Apostelgesch. 19, 12; 5, 15. * Matth. 28, 20. 3 Matth. 25, 31 f.


602 603
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dies das E nde d er W' e l t , des Reiches, das da ist von dieser gebildetes Dasein hatten zu der Lehre Jesu, welche verschiedene
■Welt, d er Ü berbleibsel des Staates, die, obw ohl heidnischen U r­ B estandteile w enig paßten, und sich drängten. Auch nach ihrer
sp runges, b ish er aufbehalten w ürden im C hristentum e, und neben W ied e rg e b u rt: den n der neue M ensch knüpft denn doch sich an
dem selben, als einer bloß vorbereitenden Lehranstalt, auch w ohl die persönliche Id entität des alten.)
b estehen konnten. In diesem Reiche w erde alles unterw orfen D iese W eissag u n g Jesu, — klar aussprechend, w as w ir sa g ­
sein dem S o h n e; die H eiligen w ürden m it ihm regieren tausend te n : das C hristentum ist nicht etw a bloß Lehre, es ist Prinzip
J a h r e 1 (eine unbestim m te, jedoch lange Zeit). N ach diesen tausend einer W eltverfassung, u n d das erstere ist es nur für eine Z eit
Jah ren erst kom m e das eig en tliche Ende, von w elchem an d er und als M ittelzustand, um zu w erden das letztere, — ist, eben aus
IV, 576 Sohn w ied er u n tertan sein w erde dem V ater, mit allen, die er dem M angel d i e s e r Erkenntnis, nicht verstanden w orden. M an dachte
V ater u n terw ü rfig gem acht h a t ; 2 u n d wie er noch w eiter in allen sich zuvörderst ein V erbrennen d er W eit im Feuer, indem man
W eissag u n g en , die u n ter uns b ekannt sind u n ter dem Titel d er einen bildlichen A usdruck w örtlich nahm , eine persönliche W ieder­
W eissag u n g en vom E nde d er W elt und dem jüngsten Tage, erscheinung Jesu auf d e r W elt zur A uferw eckung d er T oten,
sich ü b e r diesen G eg en stan d ausgedrückt hat. und zur A bhaltung eines allgem einen V erhörs u n d G erichtstages
Die Sicherheit dieser V o rh ersagung g rü n d ete sich in Jesu ü b e r alle M enschen. Die A postel konnten nicht um hin, diese
lediglich auf das sichere B ew ußtsein, daß G o tt das durch ihn B egebenheiten noch bei ihren Lebzeiten zu erw arten ; späterhin er- IV, 578
an g efan g en e W erk ausführen w erde, nicht um hin könne, es aus­ w artete m an sie von Z eit zu Z eit bei w ichtigen Epochen, z. B.
zuführen, so gew iß er G o tt sei, und ist eigentlich n u r die Analyse m it dem Schlüsse des ersten Jahrtausend. Ich selbst bin noch
dieser V ersich eru n g : k einesw eges g rü n d e t sie sich auf eine Ein­ unterw iesen, das H ereinbrechen dieses jü n g sten T ages m ir jeden
sicht in den Z u stan d d er W elt, von w elcher er höchstens d as Jud en ­ M orgen als m öglich zu den k en : sie herrscht b esonders in christ­
tum , das H eidentum aber, w elches ja in seinem P lane nicht lichen Liedern, z . B. den K lopstockischen, d e r seine P hantasie
m inder b efaß t w ar, g a r nicht kannte. Er konnte über jene Aus­ davon, als von einem prächtigen Bilde, erfüllt hatte.
fü h ru n g darum g a r nichts N äheres spezifizieren, sondern nur D a sich’s doch verzogen hat, so w urde es ganz auf die
im allgem einen sich d a rü b e r ausdrücken, um so m ehr, da der Z erstörung Jerusalem s g ed eutet, wie es sich denn auch w ohl
heilige G eist erst kom m en m ußte, und er w ar sich dessen deutlich nicht leugnen läßt, daß in den vorhandenen Evangelien Reden
b e w u ß t: darum auf die F rag e nach dem W a n n , wie im Ä ußeren Jesu, die er bei verschiedenen G elegenheiten ü ber diese beiden
B efangene und sich B edenkende fragen, a n tw o rtet er: vom T age abgeso n d erten B egebenheiten gehalten, zusam m engew orfen, und
und d er S tunde w eiß niem and, auch nicht die Engel im Himmel', m iteinander verw echselt sein m ögen. Es ist allerdings w ahrschein­
auch der Sohn nicht, sondern allein d er V ater. (M ark. 13,32.) lich, daß Jesus zur N achachtung und B eratung d er Seinigen
(Es lie g t dies in dem allgem einen schlechthin vorauszusetzenden nötig gefunden, sie von d er leicht vorauszusehenden Z erstörung
W eltplane.) Jerusalem s u n te r anderen auch zu u n terrichten: tn dem G anzen
IV, 577 (W ie klar und vollendet Jesu s gew esen sei in seiner B eschrän­ d er G eschichte aber ist diese Z erstörung ein so durchaus u n ­
k ung, seiner A nschauung, u n d wie eisern er sie durchgeführt w ichtiger G eg en stan d — Jerusalem m it seinem ganzen W esen
und alles durch sie begriffen habe, zeigt sich hier. D aher, weil w ar schon lä n g st ein bloßes Schattenbild, und hatte in seiner
e r nichts an deres w ar. W ie seh r verschieden von den Jüngern, g rö ß ten H errlichkeit g egen andere Staaten in Beziehung auf das
die doch ein äußerliches, natürliches, durch die U m gebenheiten G anze w enig zu bedeuten gehabt, und die einzige w ahrhaft h isto ­
rische B edeutung erhalten n u r durch den A uftritt Jesu in seinen
1 Offenb. Joh. 20, 6. M . Kor. 15, 24 u. 28. M auern —, daß m an ein Jude sein m uß, oder ein durchaus zunj
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Neue Welt. 191
190 Aiigewendete Philosophie.

anbetrifft, so m uß m an diesen P u n k t n u r richtig verstehen. N ach


Ju d en g e w o rd en er C hristiäner, u n d jesu m selbst, der übrigens
derselben W eissag u n g ist Jesus ja auch bei uns a l l e T a g e ; 1
niem als hohe Begriffe vom Ju d entum e zeigt, in einen solchen
das versteht doch w ohl keiner von persönlich-sinnlicher G e g en ­
IV, 579 verw andeln m uß, um die ü b e r alles erhabenden Bilder jener W eis­
w art, so n d ern durch die F olgen seines einm aligen D aseins. W ie
sa g u n g auf diese B egebenheit zu deuten.
er nun diese zw eitausend Jahre im m er g eg en w ärtig gew esen,
Indem m an auch dies gefühlt hat, nachdem ferner, durch
und es heute ist, und in dieser Stunde unter uns, ebenso w ird
aus d er Philosophie stamlmende, u n d in allgem einen U m lauf ge­
er auch bei jen er E poche g eg en w ärtig sein, nur nicht als bloß
kom m ene andere A nsichten von d er m enschlichen F ortdauer, die
lehrend, so n d ern als w i r k e n d e Kraft, wie in seinem Leben,
Ruhe d er m enschlichen L eiber in den G räbern L an den jüngsten
w as m an nun ein G egenw ärtigsein xat" e^oxijv u n d so ein W ie­
T ag, und die W ied erb eleb u n g derselben Lcibei urcli Jesu den
derkom m en nennen m ag. U nm ittelbar w erden sodann w irken
K redit verloren, auch durch die lange D auer d e r W elt seitdem
diejenigen W erkzeuge G ottes, die zu dieser Z eit leben w erden,
die Begriffe ü b e r die M enge d er lebenden M enschen sich so
da sie aber dies nicht könnten, w enn nicht einst ein Jesus d a g e ­
g e ste ig e rt hab en , daß es d er P hantasie nicht w ohl gelingen will,
w esen w äre, und ihr W erk doch n u r die V ollendung ist des
einen P latz zu finden, um sie zu einem allgem einen G erichts­
bisher sich fortentw ickelt habenden W erkes, w elches G ott durch IV, 581
tag e zu versam m eln; hat m an neuerdings diese W eissagung so
Jesus r e i n u r s p r ü n g l i c h , und an den absoluten G egensatz
ziemlich an ihren O rt gestellt, sie aufgegeben, und sein N icht­
es anknüpfend, anfing, so w ird diese W irksam keit m it Recht
v erständnis derselben deutlich gefühlt. W ir nehm en dieselbe w ie­
Jesu, dessen F ortsetzungen sie bloß sind, zugeschrieben. Auch
der auf, als den eigentlichen S chlußstein, und den V ollendungs­
ist jene E inführung des C hristentum s in die W elt nicht zu denken
p u n k t des C hristentum s, weil w ir an d erw ärts her, aus der d u rch ­
als eine einzige, m om entane, blitzähnliche Begebenheit, sondern
g efü h rten V erstandeserkenntnis, ihren Inhalt erhalten, und die
selbst sie m ag ihren stillen, langsam en und der W elt u n b e ­
N o tw en d ig k eit desselben a p rio ri einsehen. D as C hristentum
m erkten G an g gehen, ebenso w ie die A usgießung des heiligen
ist nicht blo ß e Lehre, es soll eben dadurch w erden Prinzip einer
G eistes ja auch Jah rh u n d erte g e d au ert hat, u n d noch d au ern
V erfassu n g ; es m uß dazu kom m en noch auf dieser W elt, daß G ott
w ird, ehe m an so recht eigentlich und allgem ein sagen k a n n :
allein und allgem ein herrsche, als sittliches W esen, durch freien
N u n is t er da!
W illen und E insicht; daß schlechthin alle M enschen w ahrhafte
IV, 580 C hristen, und B ürger des H im m elreichs w erden, und daß alle
an d ere H errsch aft ü b e r die M enschen rein und lauter verschw inde.
III.
Dies ist der Sinn jen er W eissagung, und m uß d er Sinn d er­
selben sein, w eil es n u r diesen Sinn ü ber das letzte Ziel des E igentlich sind, indem ich hierdurch die Schilderung des
M enschengeschlechtes auf d er Erde gibt. W as Jesus ausgesagt, C hristentum s schließe, m it derselben zugleich m eine V orlesungen
als eine notw en d ig e B egebenheit in d er Zukunft, darum , weil geschlossen, und die eigentliche A ufgabe ist gelöst. D enn auf
G o tt die W elt regiere, trifft m it dem , w as w ir zu A nfänge dieser die F ra g e : w ird es denn zu dem von un s beschriebenen Reiche
V orlesungen als eine A ufgabe der F reiheit von d er Philosophie d er F reiheit und des eigentlichen Rechts kom m en, w erden die
aus erk an n t haben, zusam m en. D aß G o tt die W elt regiere, indem B edingungen d er Freiheit, die ja offenbar, bloß auf die Freiheit
diese nur ist seine E rscheinung, anerkennt die P hilosophie auch'; gesehen, auch nicht eintreten könnten, ganz gew iß ein treten ?
sie darum u n d jen e stim m en durchaus überein. — (bem erken Sie: w enn etw as als Folge eines N aturgesetzes
W as nun in sb eso n d ere die in jen er W eissag u n g au sg esag te
1 Matth. 28, 20.
p e r s ö n l i c h e W iederkunft Jesu zur E rrichtung dieses Reiches
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606 '
192 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 193

an g eseh en w ird, so ' ist die V ergew isserung leicht, denn das Das von der V ernunft g eforderte Reich des Rechts, und
N atu rg esetz w altet schlechthin; w enn aber nun als des Frei­ das vom C hristentum e verheißene Reich des H im m els auf der
h eitsg esetzes; g ib t es denn ein die Freiheit faktisch B indendes? Erde, ist Eins und dasselbe. Für das E rste darum b ü rg t das
D a m üssen w ir h ö h er: von d ieser Art ist nun unsere U nter­ Zw eite. Das D a ß ist ohne Zweifel. — N ur zum Ü berflüsse, und
suchung), — können w ir auf diese H offnung ruhig sterben, können nächstdem für unsere eigene B elehrung und B erichtigung über
w ir, falls, w ir zu diesem Z w ecke beizutragen berufev sind, auch die dahin einschlagenden G egenstände, ü ber das W i e .
m it d e r F reu d ig k eit arbeiten, daß un ser W erk, falls s nur in W ir heben an m it einer g enaueren B eschreibung dieses
G o tt g e ta n ist, und nicht aus uns, nicht verloren g eu e ? --- ist Reichs.
die A n tw o rt: J a ! D enn die E rscheinung G ottes als E rdenleben Das H im m elreich ist T heokratie in dem deutlichen B ew ußt­
ist nichts an deres, denn jenes Reich G ottes; G ott aber erscheint sein eines jeden, und durch dieses B ew ußtsein; wie das Reich
nicht vergeblich, m acht nicht einen m ißlingenden V ersuch des der alten Zeit, m it welchem die G eschichte begann, T heokratie
IV, 582 E rscheinens; also kom m t es sicher zu diesem Reiche G ottes, w ar für den blinden G lauben aller. — Jederm ann soll gehorchen IV, 583
und kann nicht nicht zu ihm kom m en. nur G ott nach seiner eigenen klaren Einsicht von G ottes W illen
D ies ist es eben, w as die Freiheit auch faktisch bindet, daß an ih n ; und inw iefern er doch gehorchen w ürde einem M enschen,
in ihr nicht N ichts erscheine, wie es in d er T a t ohne dieses Band so soll auch dies nur geschehen zufolge seiner klaren Einsicht,
sein w ü rd e, sondern G ott. Die Freiheit bleibt darum Freiheit; daß dieses M enschen Stimme nicht sei des M e n s c h e n , s o n ­
es ist ihr keine Zeit g eg eb en , sie kann in dem Leeren sich ab- dern G o t t e s an ihn. Jede andere M acht auf den W illen der
treib en , und das Rechte auf halten; darin gilt ihr R echt: aber M enschen, außer d er des G ew issens eines jeden, soll w egfallen.
irg en d einm al, w ie lange es auch dauern m öge, kom m t es dennoch W ie läß t eine solche V erfassung a u f d e r E r d e u n d i n d e r
zu ($em Rechten. D ieses g e h t einem nun nicht eher auf, als g e g e n w ä r t i g e n W e l t , und u n te r dem G esetze derselben sich
bis m an das Prinzip d er G eschichte b eg reift; denn dies ist eben denk en ? denn so ist die F rage gestellt.
das faktische G esetz d er Freiheit, eine gew isse G eschichte zu 1. G rundgesetz dieser W elt ist, daß die M enschen g eb oren
bilden. — Das nim m t der Freiheit den G rund, den sie dem w erden mit unentw ickeltem V erstände. Durch die E rfahrung der
Zw eifel darreicht: die F reiheit m u ß , nur nicht dieses o der jenes abgelaufenen W eltalter h at sich’s b e s tä tig t/d a ß dieser V erstand
Freiheit, sond ern die Freiheit ü b e rh a u p t: d er Rechte w ird sich nicht durch sich selbst (und gleichsam nach einem N aturgesetze,
schon finden. so wie der Leib in die m enschliche G estalt hineinw ächst) sich
W enn nun g e fra g t w ird ; w ie und w o d u r c h kom m t cs entw ickelt zur richtigen Einsicht des W illens G ottes, sondern
zum R e i c h e ? so ist heute die A ntw ort: durch das in d e r Zeit es hat dazu einer K unst bedurft, die bisher nur w enigen
schon vorlängst n iedergelegte Prinzip des C hristentum s, welches, B egünstigten gelungen. Es ist darum klar, daß für die M ö g ­
zur g rö ß eren B estätigung, nach der W eissag u n g Jesu nun auch, lichkeit einer solchen V erfassung vorausgesetzt w ird, daß a l l e
m it dem an sich davon verschiedenen Prinzipe des G eistes, des zur Fähigkeit, den W illen G ottes an sie klar einzusehen, er­
zu einer K unst erhobenen V erstandesgebrauchs, durchdrungen zogen w erden; und da a l l e ohne Ausnahm e, die da g eb oren
zu w erden anfängt. — w erden, zu dieser. Einsicht gebildet w erden sollen, ohne U nter­
Es bleibt darum bloß noch übrig, dieses W ie näher zu schied (ohne etw a eine besondere G enialität und V erw andtschaft
beschreiben. zum Ü bersinnlichen vorau szu setzen ); daß es eine sichere, u n ­
fehlbare, u n d an jedem g egebenen Individuum ihren Zweck e r­
reichende K u n s t einer solchen M enschenbildung geben m üsse.
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194 Angewendeie Philosophie. Neue Welt. 195

2. Solange die W elt u n ter diesem Reiche fortdauern w ird, so­ ; so w ürden sie an derselben arbeiten zum gem einschaftlichen
lange w ird fo rtd au ern T od und G e b u rt; darum die N otw endig­ Z w ecke ohne allen Streit untereinander,
keit der-j E rziehung d e r N ach g eb o ren en ; es m uß darum eine 5. Jene E rziehung d e r M enschen, zu d e r w ir zurückkom m en
u n u n terb ro ch en fo rtd a u e rn d e '“A nstalt zu dieser E rziehung g eb e n : w erden, die d a ist die U n terw erfu n g der dem M enschen a n g e ­
diese E rziehungsanstalt ist darum ein das Reich in seiner F o rt­ borenen N atur u n te r den Begriff, u n d dad u rch u n te r den W illen
dau er begleitender, u n d von ihm unabtrennlicher Bestai teil. G ottes, indessen abgerechnet, *— bleibt dem M enschen als. Auf- IV,
3. D iese E rziehung lä ß t durch ihren allgem einen Z u k sich tra g des göttlichen W illens ü brig die U n terw erfung der ä u ß e r e n
leicht bestim m en. Jed er soll mit klarer Einsicht verstehen den N atu r, der Sinnenw elt u n ter den Begriff. In dieser N atu ru n te r­
IV, 584 W illen G ottes an ih n : sich in klarer Selbstanschauung, die kein w erfung nun m üßte im P lane G ottes jedem , den er nicht zur
U nterschied in ihm stell vertreten kann, subsum ieren jenem all­ E rziehung bestim m t, sein Platz angew iesen sein, und diesen
gem einen G esetze d e r G eisterw elt. Dies setzt voraus die klare m ü ß te jed w ed e r erkennen,
allgem eine Einsicht, daß der M ensch unter dem W illen G ottes 6. Die E rw eiterung der H errsch aft d er V ernunft ü b e r die
stehe, und daß er ohne den G ehorsam nichts sei, und eigentlich N atu r g eh t schrittw eise. Es m uß in einem gew issen P unkte erst
g ar nicht da. D iese E insicht ist nun die des C hristentum s, o d er d u rch gem einsam e K raft die H errschaft ü ber sie erru n g en w e r­
auch, w elches in diesem Z u sam m enhänge gleichgeltend ist, der den, und so d a n n erst ist von diesem P unkte aus m öglich das
W issenschaftslehre. Die g efo rd erte E rziehung m uß darum die F ortschreiten zu einem w eiteren Siege nach einem klaren Z w eck­
K unst besitzen, alle M enschen ohne A usnahm e unfehlbar zu die­ begriffe des ganzen G eschlechts. Es bedarf darum in dieser
ser Einsicht zu b ringen, und dam it dies m öglich sei, die M en­ reg elm äß ig en B earbeitung zw eier S tücke: a) eines V erstandes,
schen von B eginn an, aus dem , w as allen gem einschaftlich ist, also der die G esam tarbeit an d er N atur übersieht, und jedesm al den
zu bilden, daß diese K enntnis mit Sicherheit an sie g eb rach t P unkt erkennt, w ie in d er U nterw erfung derselben regelm äßig
w erden könne. — (D iese K unst ist nun noch nicht erfu n d en : bis fo rtgeschritten w erden m üsse, und b) d er G esam tkräfte, die u n ter
jetzt rechnet d er U nterricht in d er W issenschaftslehre auf ein O hn- d e r A nleitung jenes V erstandes arbeiten. D ieser V erstand b rau ch t
gefähr, auf eine V erw andtschaft: ihr Besitz aber ist vorläufige nicht in allen vorhanden zu sein, indem sodann alle in dieser
B ed ingung jenes Reichs.) Dies ist das A l l g e m e i n e , w elches Rücksicht einen und ebendenselben V erstand haben w ürden, so n ­
schlechthin jeder durch die E rziehung erhalten m uß. dern es reicht hin, w enn er nur ü b erh au p t im m er w äh ren d der
4. U n ter dieses allgem eine G esetz soll jeder in seiner Selbst­ D auer der W elt u n te r diesem Reiche in der W elt vorhanden ist:
an sch au u n g sich subsum ieren, um zu erkennen den W illen nach seinem P lane aber m üssen alle Kräfte der einzelnen die
G ottes an ihn. Die durch V ernunft a p rio ri eingesehene V or­ R ichtung erhalten. Jen e r V erstand w ird darum in d e r T at nicht
aussetzung ist näm lich die, daß jedem unter den freien Indi­ bei allen, so n d ern n u r bei einzelnen vorhanden sein, und die
viduen im göttlichen W eltplane angew iesen sei seine bestim m te letzteren w erden in d ieser Rücksicht d e r Einsicht d e r ersteren
Stelle, die nicht sei die Stelle irgendeines anderen zu derselben folgen m üssen. D am it sie nun jedoch auch hierin nur folgen
Z eit in dem selben G anzen L ebenden, indem der göttliche W ille ihrer eigenen Einsicht, so w ird entstehen m üssen das gem ein­
nicht m it sich selbst streiten kann; daß darum , w enn alle den sam e, und durchaus übereinstim m ende B ew ußtsein in allen, w elche
W illen G o ttes ü b er diese ihre Stellen nur klar verstehen, eb en ­ berufen seien zum ersteren G eschäfte, zur Leitung, w elche d a ­
sow enig zw ischen ihnen selb st ein W iderstreit d er Kräfte, der g eg en zum zw eiten, dem G ehorchen der L eitung. Sehen die
durch eine R echtsverfassung verm ittelt w erden m üßte, entstehen letzteren dieses in B eziehung auf sich selbst ein, sehen sie ferner
könnte. Diese seine Stelle soll eben jeder klar erkennen, und ein, w ie sich ihnen in ihrem Begriffe von G o tt ja auf dringt, daß
610 F i c h t e , Die Staatslehre. ^
196 Angewendete Philosophie. Neue Welt. 197

dieser M angel in ih rer V erstandesanlage, dageg en d e r Besitz bildung, w elche das D asein d es Reichs, von dem w ir reden,
derselben bei jenen, auch G o ttes F ü g u n g sei: so erkennen sie voraussetzt.
klar, daß sie in d er V erfü g u n g jener nicht g eh o rchen ihnen, son- In A bsicht des beso n d eren Z w eiges d ie se r A rb eit nun h a t IV,
586 d ern allein dem als G esetz G o tte s erkannten N aturgesetze ihrer ja die E rziehung ihm ein Bild d er ganzen g egeben; und versucht
verschiedenen V erstandesanlagen. nach den A nleitungen, die ihr die N atu r des Z ögilings, b eso n d ers
7. W ie soll die zuletzt g efo rd erte V erstandeseinsicht und ub- seine N eigung — da N eig u n g hier w ohl, zum al da die P h a n ­
sum tio n jed es Individuum s u n te r dieses G ru n d g esetz m öglich se in ? tasie nicht durch M einungen m ißleitet w ird, fü r K önnen zeugt,
Ich sag e also : A ußer je n e r religiös-sittlichen B ildung m uß allen an die H and gab, das V erm ögen desselben. W o sich dies am
m itg eteilt w erd en ein bestim m tes Bild und eine Ü bersicht des besten zeigt, dafür bestim m t ihn seine N atur o d e r G ott. Die
d erm aligen G eschäfts d e r F reih eit an d e r N atur, als des zw eiten W ahl eines bestim m ten G eschäfts beschließt seine E rziehung,
G ru n d b estan d teils d er allgem einen M enschenbildung. Diese zer­ die hierdurch sich seihst als vollendet au sspricht: und nun ist
fällt natürlich in die zwei Teile, die K enntnis d e r N atur, und er freies M itglied d er G em eine, d a er bisher u n ter d er Z ucht
d e r m enschlichen Kraft, inw iew eit sie bis jetzt entw ickelt ist. der E rziehung stand. Solange diese W ahl sich nicht entscheidet,
W enn dieses Bild an d en Z ö g lin g g eb rach t und von dem selben ist sie nicht geschlossen, und d er M ensch bleibt u n m ü n d ig : die
w ohl g e fa ß t ist, kann erfolgen nur zw eierlei: entw eder sein V er­ g eistig e Individualität ist in ihm noch nicht reif, geso n d ert und
stand w ird durch dasselbe befriedigt, u n d b eruhigt sich dabei, an erk an n t: er hat darum noch keine in einem Reiche des klaren
o d er das g eg eb en e Bild w ird ihm schöpferisch für ein höheres V erstandes, sondern bleibt in d er verschm olzenen M asse, aus
und neues. D urch das letztere w ird bew iesen d er göttliche Ruf w elcher die Individuen erst durch die K unst d e r E rziehung nach
an dieses Individuum , den F o rtg a n g und die E rw eiteru n g der V er­ A nleitung G ottes — die E rziehung ist hier ein E rforschen des
stan d esh errsch aft zu leiten; durch das erstere dieser Beruf ver­ göttlichen W illens — h erausgebiidet w erden.
n eint und er an gew iesen, an dem gem einsam en G eschäfte, w ie * 8. D ie 'E rz ie h u n g selbst fällt anheim d er zw eiten Klasse der
es bis jetzt vorliegt, seinen A nteil zu nehm en. schöpferischen G eister: denn zuvörderst ist m an nur von dem
D agegen, daß die schöpferische Fähigkeit, die w ohl vor­ rech t sicher, daß er das Leben im G eiste und dessen G esetze
han d en sei, sich nicht etw a verstecke, und hinterher, nachdem begreife, für dessen A uge sich auch so g ar die leblose und durch
d er Stand schon entschieden ist, zum V orschein kom m e, daß darum ihr G esetz abgeschlossene N atu r in ein geistiges F ortschreiten
d er Schluß vom S ich-nicht-Z eigen in d er Erziehung auf das N icht­ verw andelt: sodann sollen ja die künftigen G enerationen nicht
vorhandensein richtig sei u n d unfehlbar, ist g e so rg t dadurch, daß gerade zur W ied erh o lu n g des L ebens d e r unm ittelbar früheren,
die E rziehung eine sichere K unst ist, w ie denn auch n u r u n ter d er sondern vielleicht zu einer neuen E ntw ickelung desselben an der
B edingung, daß sie dies sei, sie b ü rgen kann für die U ntrüg- N atur gebildet w e rd en ; d er E rzieher darum , der nicht bloß das
lichkeit ihres U rteils. Die bish erige M enschenbildung re g t nicht Bild der früheren E rziehung w iederholen, sondern für das F o rt­
die m enschliche K raft auf in ih rer T iefe u n d in ihrem letzten schreiten bilden soll, m uß bestim m t w issen, wie dieses G eschlecht
Q uellpunkte, u n d verfolgt nicht diese A ufregung in system atischer in B ildung d er N atu r fo rtschreiten kann.. D iese E rzieher o rg a n i­
O rd n u n g , w ie die K raft nach ihrem G esetze sich entw ickelt, so n ­ sieren sich in sich selbst und durch E rn en n u n g u n ter sich, allent­
dern sie g reift ein, w ohin sie trifft, w ie die eigene B ildung halben sich g rü n d e n d auf die in d er E rziehung gezeigte Indi­
des L ehrers, und darum seine L ust und Liebe es m it sich bringt, vidualität, zu einem R egenten- und L ehrerkorps,
und so kann sich ihr g a r leicht ein schlum m erndes T alent ver­ 9. W issen ist nicht T un, nicht freudige, nichts anderes b e ­
b e rg e n ; nicht ab e r d erjenigen system atischen K unst der M enschen- gehrende U nterw erfu n g : w ie will man sich ihres W illens ver-
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198 Angewendete Philosophie.
Neue Welt. 199
IV, 588 sich ern ? Ich sa g e : In: u n serer W elt, und bei u nserer E rziehung
in der m an nicht einm al m it S icherheit es zu irgendeinem Er- rein aus sich Erschaffens nach dem göttlichen Bilde. N un ist
1V- k en n en b ringt, so n d ern das gew öhnliche E rkennen hur ist ein auch die N atur in ihr selbst, d. i. in einem W illen, d er doch
a n seinen O rt G estellt-sein-Iassen, weil man nichts d ag egen hat w iderstehen könnte, und sich lösreißen könnte, o h n erachtet er
o h n e eigentlich E rg eb u n g des W illens darein,, weil es auch nicht es freilich nie w ollen kann, aufgehoben, und d e r M ensch w ill
bis zur V erbindung m it dem W illen fo rtg esetzt ist, ist diese durch sein bloßes Sein nichts anderes, als w as G o tt will. Es
F ra g e g an z gerecht. So a b e r nicht d o rt, w o d er ganze M ensch ist darum nun auch der Sohn, durch w elchen bisher d e r V ater
aus Einem Stücke g eb ild et w ird, w ovon ja das D asein des Reiches regierte, u n tertan u n d au fgegangen im V ater, d er nun allein,
ab h än g t. Auch läßt sich schon jetzt anzeigen, w orauf diese Sicher­ und unm ittelbar durch sich, u n d ohne Z utun eines Sohnes, als
h e it d er W illen sb estim m u n g beruhen w erde. D er M ensch sieht' des die F reiheit bestim m enden, regiert. Die H eiligen aber, w elche
ein , daß er, ohne diese E rg e b u n g seines W illens in den göttlichen, m it Jesu regieren tausend Jahre, sind die beschriebenen R egenten
n i c h t s i s t , d i e s s i e h t e r e i n l e b e n d i g , so daß er yon und L ehrer in diesem Reiche.
dem G efü h le.d ieses N ichts ergriffen ist; ab er niem and will nichts 11. Die faktischen B edingungen dieses Reichs von einer Seite
se in : an dem Sein halten w ir alle. W ir auch: n u r uns stellt es haben in dieser D arstellung sich gezeigt. Z uvörderst m uß die
Sich in einer T äu sch u n g dar. D iese T äu sch u n g aufzuheben habe A nerkennung des H im m elreichs u n ab h än g ig gem acht w erden vom
jene die vollkom m ene K unst; es ist darum dem M e n sc h e n . aller historischen G lauben u n d der besonderen G em ütsverw andtschaft
A nhalt g erau b t. D ies d er eigentliche u n d d er einzige Zw ang, einzelner dazu, und die Form annehm en eines von jederm ann,
d e r ü b e r ihn von d e r E rziehung au sg eü b t w ird, d e r ab e r autTh d er nur m enschlichen V erstand hat, zu E rzw ingenden. D iese
allen an deren ersetzt. B edingung ist wirklich erfüllt durch die E rscheinung d er Wissen-;
(W ir sind d u rchaus das E n tg eg en g esetzte eines solchen Z u ­ schafts *hre, die freilich noch ringt, und vielleicht noch Jahr-*
standes; Z erflossen und d e r R ealität berau b t in d er W urzel: h u n d e ih ringen w ird um ihr V erständnis und ihre A nerkenntnis
erm an g eln d der A nschauung, w ie sie d ie alte W elt hatte, des unter den G elehrten. U n tergehen können ihre in der W elt be­
leb en d ig en Begriffs, w ie die g eschilderte sie haben w ird, leben gonnenen A nfänge “nicht, denn sie ist eine absolute F ord eru n g
w ir nur in einem p ro blem atischen u n d p robierenden B egreifen, des,G esch lech ts durch G o tt u n d aus G o tt; sie m uß aber die B e­
so daß es uns so g a r schw er w ird, einen solchen besseren Z u ­ ziehung nehm en auf das Reich G ottes, und ausdrücklich dies als
stan d Uns zu bilden. D och w äre dies gut, um unseren G egensatz ihren G ru n d p u n k t aussprechen, denn nur so nim m t sie in sich auf
desto deutlich er zu em pfinden. D ieser M angel m uß nun von eine lebendige Kraft, und erh eb t sich ü b e r die Leerheit an prak­
tischer W irksam keit, die d er bloßen Spekulation beiw ohnt. U nter
einigen aus, in denen er sich nicht findet, in allen ausgefüllt
w erd en . D ies nicht bedacht, bleibt unverständlich und u n g lau b ­ den G e l e h r t e n : die G elehrtengem eine ist das L ehrerkorps des
lich, w as ich über dieses Z eitalter sage.) ; ; . C hristentum s, des Reiches G ottes, die angefangene G esellschaft,
- 10, H ierm it ist nun das Reich G ottes wirklich dargestellt aus deren un u n terb ro ch en er F o rtd au er jene R egenten und Bildner
•in. d er W elt. Jesus, d . i . die von ihm eingeführte und durch­ im geschilderten Reiche h ervorgehen w erd en ; ob sie sich nun
s e t z t e F reiheit des H in g eb en s an G ott, herrscht. So w ird nun in einzelnen G liedern dafür erkenne, o der nicht, davon g eh t sie
d ie N atu r fo rtsch reiten d u nterw orfen, bis sie es g an z ist, bis aus, darauf g e h t sie h in : in d er M itte eines langen W eges kann
sie keinen AViderstand m ehr leistet dem reinen Begriff, sondern m an wohl den A nfangs- und E n dpunkt aus dem W ege Verlierern
dieser u n m ittelbar, w ie er ist, h erau stritt in der E rscheinung; Eben: durch die Schw ierigkeit, w elche die W issenschaftslehre fin-; . r
IV, 589 und nun b e tritt das M enschengeschlecht die höhere Sphäre des den w ird, sich annehm lich zu m achen, und dadurch, daß sich ihr IV, 590
•614 d e r eigentliche Sitz dieser Schw ierigkeit, ein M angel in dem
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200 Angewendete Philosophie. Neue Wett. 201

g eistig en A uge selbst, nicht verbergen kann, fü h rt sie bei sich d aß ein von ihr E rgriffener schlecht sei, u n d sinnlichen Z w ecken
die A ufgabe d er K unst, dieses A uge für den Zw eck zu bilden; diene, tra g w erde und abfalle. W e r also tut, d e r h a t die E r­
also d er E rziehungskunst. D a diese K unst sich w en d et an das kenntnis nie um ihrer selbst w illen geliebt, sie auch niem als
m enschliche A uge schlechtw eg und allgem ein, so fällt, sie ein­ erhalten, so n d ern n u r T raditionen derselben um eines äußerlichen
mal g efunden, in dieser R ücksicht d er U nterschied zw ischen G e­ Zw ecks w illen aufgefaßt. Sie kü n d ig t sich ferner an durchaus
lehrten und U n gelehrten w eg. (D ie ersten E rfinder sind schöpfe­ als nicht persönlicher Besitz, so n d ern als ein G em eingut, sie
risch ; das einm al E rfundene ab e r w ird e in G egebenes, das schlecht­ tre ib t zur M itteilung, und w er eine W ahrheit begriffen, d e r kann
hin an Alle zu b rin g en ist. Jetzt scheint es sonderbar, B auern­ nicht ruhen, bis sie auch andere a u ß er ihm begriffen haben.
kin d er in d er Schule die W issenschaftslehre zu lehren, doch is t’s Sie entw ickelt sich so nach dem G esetze des V erstandes not­
nicht so n d erb arer, als es etw a dem ersten, dem d a rü b er ein w endig bis zum Ende. M an kann sagen, daß die F o rtd au er
Licht aufging, g ed eu ch t haben w ürde, daß sie einen Begriff von und das W achsen der Erkenntnis, w enn es nur einmal in einer
d er E inheit G o ttes, und von seinem V erhältnisse zu uns als gü ti­ steh en d en G elehrtenschule W urzel gefaßt, und die äußerlichen
g en V aters in d er T at erhalten.) D iese B ildungskunst des M en­ B edingungen d er F o rtd a u e r einer solchen gegeben sind, der
schen, w elcher durch die W issenschaftslehre selbst erst ihr letztes m enschlichen Freiheit und W illkür ganz entnom m en ist. Es ist
Z iel, ihr A n f a n g s p u n k t , s i c h als G eist zu erkennen, und ein geistiges Leben, das sich selbst gestaltet, und die P ersonen
das M ittel, sich selb st zu verstehen, g eg eb en ist, ist die nächste au s und durch sich. Diese, - innere G esetz ist nun recht lebendig
A ufgabe, die an d er Z eit ist. (U nser Z eitalter h at sie in d er T at einzusehen. 3
schon au sg esp ro ch en in Pestalozzi. Ihr H a u p t c h a r a k t e r i s t 12. D er F o rtg an g ist gesichert, w enn nur die äuß eren Be­
U n f e h l b a r k e i t . F rü h er b rach te m an durch psychologisch-m e­ dingungen einer stehenden G elehrtenschule gegeben sind, sagte
chanische H ilfsm ittel zum L ernen; hier durch den Begriff der ich. Dies führt uns darauf, daß w ir die B edingungen des R eiches
eigenen T ätig k eit und die R egel derselben.) G o ttes, und w as für die E rscheinung desselben bürgt, w ie w ir
S odann bed arf es einer so g ründlichen Ü bersicht d e r N atur auch g esa g t, n u r von E iner Seit ^ b e tra c h te t haben. Es bleibt die
und des V erhältnisses d e r m enschlichen K raft zu ihr (der Be­ F rage ü b rig : — ob denn auch diese äußeren B edingungen g e ­
dürfnisse und ih rer U n tero rd n u n g ), d aß aus derselben ein g e ­ g eb en sein w erden, und w as uns für diese b ü rg t? Da aber jenes
m einschaftlicher P lan für eine jene b earbeitende vereinigte M en- von diesen ab h ängig ist, so fällt, w enn diese nicht nachzuw eisen,
schenm ässe sich entw erfen lasse. D as Z eitalter stre b t riiit aller auch das erst E rw iesene hin. — W er sichert der G elehrtenschule
K raft einer solchen N atureinsicht entg eg en , und ist durch glück­ die E rhaltung, die Ruhe, die M u ß e ? Da ferner w ir w ohl g e­
liche E ntdeckungen, um in das Innere derselben einzudringen’ zeigt haben, daß die von d er E rkenntnis schon E rgriffenen frei­
ausgezeichnet gew esen. lich nicht w ieder abfallen können, w ir aber alles zur E rkenntnis
D iese b e g o n n en e und bis auf diese H öhe gediehene Bahn versam m eln w o llen : w er verm ittelt denn die V erbreitung, und
d e r L ehrergem eine b ü rg t nun durch sich selbst für ihre F ort­ b rin g t die, w elche g a r keine Lust haben (w ie aller natürliche
d auer, fü r ihre S teig eru n g und für ihr G elangen ,zum Ziele, M ensch), in die Schule d er E rkenntnis?
ohne alle äu ß ere Beihilfe o d er A ntrieb (allenthalben diese G a­ Von einer anderen Seite an gesehen: — D urch das Reich
ran tie zu erblicken, darau f kom m t es uns ja an). Die E rkenntnis fällt aller äußere R echtszw ang w eg (w eil ein W iderstreit in ihm IV
IV, 591 ist darin w ah rh aft göttlichen G eistes, daß sie aus sich selbst g a r nicht m ehr m öglich ist); fällt ü b erh au p t w eg alle U ngleichheit
lebt, den M enschen, den sie einm al ergriffen hat, festhält, und durch die A b s t a m m u n g , die Fam ilie (Alle nur Eine), des
in ihm sich fo rtb ild et nach ihrem G esetze. Es ist unm öglich, persönlichen E igentum s (alle G ru n d b esitzer u n d G em eingenießer);
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202 Angewendete Philosophie. Neue W elt 203

kurz alle die 1E rscheinungen des alten, durch die neuere Z eit in den V ölkerverein g etrete n en N ationen, W elche den eigentlichen
fq rtgepflanzten Staates. D er Z w ang aber, u n ter anderem auch Staat g a r nicht gekannt, sondern im N aturzustände g e leb t hatten,
zur A ufrechterhaltung dieser B estim m ungen des herköm m lichen und erst durch das C hristentum , u n d gleichzeitig m it d e r A nnahm e
S taats, ist u n ter uns u n d d au ert fo rt: w elches sind denn seine desselben, den S taat b ild e ten ; darum d en heidnischen S taats­
B ed ingungen, b eso n d ers un ter d er R eg ierung eines sein Reich g o tt nicht zu vergessen brauchten, w eil sie ihn nie gehabt. G o t t '
v orb ereiten d en G o tte s? Fallen diese B edingungen w eg, fällt er, lernten sie kennen nicht als Stifter des Staates, u n d darin auf­
u n d w ie fällt er d ann selb er w e g ? W ie löst dem Reiche G o tte s gehend, so n d ern als sittlichen G esetzg eb er: den S taat darum als
zu g u n sten d er S taat, d er von dieser W elt ist, sich auf ? D ies d er eine nur m e n s c h l i c h e E i n r i c h t u n g , eine künstliche, u n ter
zw eite T eil: der R est u n serer U ntersuchung. den G rundgesetzen des C hristentum s, und diesem nicht en tg e g en ;
als E inrichtung m enschlicher K lugheit, und dieser freigegeben
bis zu jenen G esetzen: dies der G rundbegriff des n e u e r e n Staates,
1. D as C hristentum w urde durch sich selbst eine L ehr­ der sich allenthalben bestätigt. N ur u n ter d er B edingung des
a n sta lt: so b etrach tete Jesu s sich selbst, so seine Jünger, so C hristentum s, und dam it dieses bestehen könne, w urde er an ­
die g an ze erste Kirche, und natürlich, so lan g e sie von U nchristen erkannt, sodann u n ter d er B edingung seines G rundgesetzes ab ­
in der G esellschaft, in d er sie u n m ittelbar lebten, um geben w aren. soluter G leichheit d er M enschen i der Kirche, und der b ü rg e r­
D iese h at teils an ihrem Inhalte, teils an der form alen B eschaffen­ lichen, daß jene bestehen k ö nne: so ferner d er G ew issensfreiheit:
h eit aller E rkenntnis eine B ürgschaft ihrer inneren F ortdauer. kein S taatsgesetz g eg en G ottes G ebot. Aus dem ersten folgte
D er heidnische S taat, in dem sie zuerst sich bildete, w ar m it ihr seine Pflicht, das C hristentum a ls eine L ehranstalt zu erhalten,
im W id erstreit d er P rin zip ien ; erk en n b ar jedoch und erkannt, und die M enschen in die Schule desselben zu nötigen. S taat u n d IV, 594
als gleichsam d er um sie h eru m gezogene Z aun, der ihren F rie­ Kirche kam en dadurch in gegenseitige W echselw irkung: d e r
den und ihr F o rtb esteh en sicherte g eg en die W i l l k ü r d e r e i n ­ S taat w urde der Z w in g h err der K irche, inw iefern sie einen solchen
z e l n e n . Jed erm an n soll u n tertan sein d er O rd n u n g des Staates; bedurfte und zulassen konnte, näm lich zur Schule und zur E r­
selb st G ew alt leiden, um erhalten zu w erd e n ; dies sei der W ille haltung derselben (zum G lauben und zur E rkenntnis nicht). Die
IV, 593 G o ttes, ab e r nicht d er o r d n e n d e , — d ieser erst im Reiche Kirche hinw ieder erleichterte dem Staate sein G eschäft, indem sie
Jesu, — so n d ern d er zulassende,; d. i. ein Stoff, d e r erst durch G ehorsam , nicht zw ar als g eg en ein unm ittelbares göttliches G e­
F reiheit b estim m t w erden sollte. bot, aber als ein m ittelbares, als g eg en eine m enschliche O rd n u n g
So konnte es nicht b le ib e n : teils, das C hristentum w ürde befahl. D adurch, daß d er S taat gleich im G rundbegriffe aufgestellt
durch die E n tfern u n g in d er Z eit von Je su und die V erblassung w ar als ein W erk m enschlichen V erstandes, ohne alle höhere und
seines persönlichen A ndenkens schw ächer, d er heidnische S taat göttliche A utorität, w ar d er F o rtschritt desselben gesichert, der
d ag eg en in seinem K riege g eg en dasselbe stärker gew orden, und V erstand in diesem F elde g erad ezu durch den G lauben selbst un­
das C hristentum durch diese beiden F ortschritte au sg etilg t w orden ab h än g ig gem acht vom G lauben, u n d durch diese freie W irk u n g s­
sein. S odann, die Z eitgeschichte, die m it einem absoluten Staate sp häre ihm ein kräftigeres B ildungsm ittel angew iesen, das der
b egann, sollte in einer abso lu ten K irche en d en ; es bedurfte darum Kirche selbst zum N utzen gereichen m ußte. So w u rd e der S taat
des M ittelzustandes eines Staates, der die Kirche anerkannte, und durch diese seine Form auf eine andere W eise d ien stb ar der
ihr in d e r Rücksicht, w elche einst im Reiche zur höchsten sich en t­ Kirche, die ihm erst diese F orm gegeb en und dadurch im voraus
w ickeln sollte, das P rim at anerk annte. D ieser zw eite Staat er­ sich selbst g ed ien t hatte. — Daß ich diese höchst w ichtige Epoche
zeugte sich aus den g erm anischen, und aus den nachher m it ihnen in der G eschichte scharf bezeichne. U rsprünglicher V erstand w ar
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204 Angewendete Philosophie.

bei dieser E n tsteh u n g ; des christlichen Staats nirgends zu finden, g ro ß en A nstrengung’ w id erh alten : denn teils g rü n d et sich ja die
w ed er im Staate selbst, der so eb en erst au sg in g aus dem N atur­ Echtheit, das kanonische A nsehen und die U nfehlbarkeit dieser
stan d e, noch in d er Kirche, die auf den faktischen G lauben sich B ücher selbst auf T radition und S atzungen; die Reform ation läßt
g rü n d ete. D er freig eg eb en e V erstand m ußte darum gesucht w er­ darum an dieser Stelle gelten, w as sie üb erh au p t leu g n et: teils ist,
den in d er alten W elt. D as w ar es auch eigentlich, w as in der da d er authentische E rklärer an d er Kirche und ihrem O berh au p te
n eueren Z eit erst zur T radition, sodann zur L iteratur des A lter­ aufgehoben ist, die E rklärung anheim gefallen dem V erstände, d er
tum s fü h rte : das B estreben, die R eg ieru n g sk u n st von ihm zu nicht um hin kann, die A nalogie des G laubens, d. i. w as aus d e r
lernen. (D as Studium des röm ischen R echts w ar d er eigentlich Einheit des Begriffs folgt, als die E rklärungsregel - äufzusteilen,
praktische A ntrieb bei d er W ied ererw eck u n g der alten L iteratur; und so 20i erklären, w ie ich oben in der früheren S childerung des
daß P hilologie an g efan g en w urde, geschah n u r auf jene V eran­ C hristentum s erklärt habe. Es kom m t darum eben zu dem Re­
lassung. — N ur auf den V erstand g in g m an aus, d er allein b e ­ sultate, w elches w ir vielfältig ausgesprochen haben. v
g e h rt w urde. Da geschah die A b so n d eru n g : den G lauben oder 2. D urch diese E ntw icklung des C hristentum s vom Staate
A berglauben ließ m an liegen. So m achen w ir es noch im m erfort. aus g e rät jedoch dasselbe mit diesem in eine V erlegenheit a n d erer
D aher m eine K lage, d aß d as A ltertum seh r w enig verstanden Art. W enn d er S taat dasselbe als L ehranstalt au frecht erhält,
w erde.) und die U ntertanen in die Schule nötigt, so tu t er dies selber als IV, 596
D iese E ntw icklung des freien V erstandes an w eltlichen D ingen, ein G läubiger, und aus dem G la u b e n ; w eil er durch die U n ter­
595 w o rü b e r die Kirche ihn freig eg eben hatte, konnte nun nicht er­ lassung sich den Z orn G ottes, und alles U nglück^zuzuziehen glaubt,
m angeln, sich auch an die K irche selbst zu w enden, und dadurch o d er weil er die V erstärkung des G ehorsam s vom' C hrislentum e
ein höchst w ichtiges W erk in d e r m enschlichen E ntw icklung zu aus erw artet, w elches ein Staat, der sein H andw erk versteht,
vollziehen. — D er heidnische A berglaube näm lich konnte in der durchaus nicht bedarf. Fällt nun dieser A berglaube w eg, fällt
alten W elt durchaus nicht m it dem V erstände durch d ru n g en und er auch bei den S taatsbeam ten w eg, w as soll sie denn ferner
a u fg elö st w erd en ; w eil auf ihm d er Staat b eruhte, darum dieser verbinden, die Kirche zu erhalten, und fü r sie G ü te r und Kräfte
zugleich aufg elö st w o rd en u n d die W elt zugrunde geg an g en aufzuw enden, die w ohl an d erw ärts für ihre Zw ecke besser an ­
w äre. W enn der C hem iker eine G asart, vereinigt m it einem Stoffe, g ew en d et w ä ren ? Auf dem historischen Prinzipe bestehend, w ird
nicht verflüchtigen kann, so lockt er sie in V erbindung mit einem die Kirche so g ar leugnen, daß jene, das H istorische im C hristen-
a n d e re n : so der g öttliche W eltplan m it dem A berglauben. Nach tum e nur als eine Sache der V erstandesbildung behandelnde und
dem U n terg an g e des H eid en tu m s flüchtete er sich in das C h risten­ übrigens das W esentliche n u r auf den V erstand grü n d en d e Lehre
tum . In diesem ko n n te er au fg elö st und verflüchtigt w erden, weil üb erh au p t noch C hristentum sei, sondern m enschliche A ufklärung,
dieses sich auch m it dem V erstände vereinigt, und d e r Staat durch w elcher der Schutz des S taates keinesw egs versprochen, und w elche
dasselbe in je d e r F orm g esich ert w ar. — D er neuere S taat also unter die nach den V orkom m nissen zu tolerierenden K onfessionen
w ar zunächst das M ittel, durch w elches, nach christlicher Sprache, auf keine W eise gehöre. W as soll denn sodann, nachdem die
d er heilige G eist einkehren kon n te in das C hristentum . Auf eine L ehranstalt selbst ihre b isherige Stütze im S taate sich h in w eg ­
höch st m erk w ü rd ig e A rt w u rd e ein auffallender A nfang dieser gezogen hat, dieselbe erh alten ?
O p eratio n gem ach t durch L uthers R eform ation, indem sie ab ­ Ich an tw o rte : ein g an z anderes Prinzip im christlichen Staate,
schaffte die T radition und die S atzungen d e r Kirche, und allein das, nach A ufhebung jenes sich erst recht deutlich aussprechen
b an d an d en Inhalt d er schriftlichen U rkunden. D ieses B and und eine kräftige W irksam keit erhalten w ird. Es verhält sich
k o n n te kaum fü r die erste B etäubung und E rm attung von d e r also : der christliche Staat, nach keinem V erstandesbegriffe ge-
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206 Angewendete Philosophie.

b aut, so n d e rn durch das O h n g e fä h r hier und da auf den B oden So lä ß t sich auf die F o rtd a u er des notw endigsten Z w anges
des alten Reichs anschießend, zerfiel in m ehrere S taaten; so rechnen, so lange er nötig sein w ird. D er S taat glau b t sich selbst
m ußte es kom m en nach dem N aturgesetze, und nach d er A bsicht zu dienen, und dient, ohne sein W issen oder W illen, einem höheren
Zw ecke.
G o ttes m it dem selben. Die U ntertanen aller w ären sich gleich in
3. D ieser w esentliche Z w an g w ird unnötig, sobald es keine
dem , w as das C hristentum gibt, und das ist v ie l: w aren darum zu
Eltern m ehr u n te r dem V olke g ib t, die sich nötigen lassen, die
brauchen, o h n g efäh r w ie sie sind, mit nicht se h r bedeutenden U m ­
Ihrigen d er Schule zu ü b erg eb en , und diese durch ihre B eiträge
bildu n g en in jedem S taate; dah er die Tendenz, nicht, w ie im
zu erhalten. D adurch h at die K unst d e r M enschenbildung die erste
A ltertum e, zu zerstören, sondern sich e i n z u v e r l e i b e n , und sich
offenkundige P robe abgelegt, daß es ihr gelungen, w enn sie eine
zu v e rg rö ß e rn : u n d die durch diese T endenz allen auferlegte N o t­
solche Liebe für V erstandesbildung ü b e r die N ation verbreitet hat, IV, 598
w endigkeit, darum die A ufgabe, so volkreich, so reich, so stark
daß keiner m ehr ist, der seine Liebe g eg en die aus ihm G eb orenen
zu sein, als irg en d m öglich, für den W iderstand. D er Krieg aller
anders auszusprechen w üßte, und die Ä ußerung der Liebe des
g eg en alle n ö tig t sie m ächtig zu sein. N un fän g t es aber schon
bei sich haben W ollens dageg en aüfgibt. Da diese W irk u n g in
IV, 597 an deutlich zu w erden, und w ird, je m ehr d e r V erstand sich ver­
d er K unst d er M enschenbildung selbst liegt, so ist sicher, so g e­
breitet, es im m er m eh r w erden, daß das sicherste M ittel für
w iß diese K unst nicht in Verfall g eraten kann, vielm ehr durch
M acht und R eichtum eines S taates dieses ist, die verständigsten
Ü bung steigen m uß, daß sie fo rtdauern w ird, und die N o tw en d ig ­
und g eb ild etsten U ntertanen zu haben. Dies w ird ihnen von der
keit dieses Z w anges einm al aufgehoben, sie nie w iederkehren
Seite d er N aturerk en n tn is und d e r K unstentw icklung ein fo rt­
kann. Daß bei d er E rkenntnis sein er besonderen B estim m ung
dau ern d es In teresse für die E rh altung, E rh ö h u n g und V erbesse­
durch jeden, und bei d er Liebe, sie zu erfüllen, als dem n o tw en ­
ru n g so g a r d er Schule g eb en , sie w erden nicht Schulen g enug
digen R esultat der allgem einen V olksbildung von nun an je d ­
haben können. K üm m ern sie sich nicht um C hristen, so küm m ern
w eder andere Z w ang, das U nrecht zu verm eiden, w egfällt, indem
sie sich um geschickte H a n d a rb e iter und A ckerbauer, und alles
ein U nrecht und eine V ersuchung dazu g a r nicht da ist, hat schon
dieses b e ru h t auf V erstandeserkenntnis. Die L ehrer aber, durch
oben eingeleuchtet.
d en o b en b eschriebenen G eist geleitet, einsehend, daß d er letztere
4. N och ein Z w ang, d er zum K r i e g e . — D er K rieger bildet
nicht ist ohne den ersten, w erd en , um den letzten hervorzubringen,
keinen beso n d eren Stand, und kann im Reiche G ottes auf der
und ü b e rh a u p t nach d er K unst des G anzen verfahrend, den ersten
Erde kein b e so n d ere r Stand w erden, und zum K riege w erden,
bilden. So ist es schon g esch eh en. A rzneikunde und Staats Wirt­
au ß er in besonderen Fällen, die ich schon in einer früheren V or­
schaft b rin g t die W issenschaft durch. Die letzte ist ein vortreff­
lesung an g ezeig t habe, die M enschen niem als willig sein, —
liches S u rro g a t für den ein g eg än g en en R espekt gegen das C hristen­
Es m üßte darum , um die Zeit des ersten D urchbruchs des Reichs
tum . W as so n st d er Beichtvater, ist jetzt d e r Leibarzt, und ganz
G ottes in einem christlichen Volke, d er christliche V ölkerverein
b eso n d ers d er F inanzm inister.
in d er Lage geg en ein an d er sein, d a ß zw ar die B ereitschaft zum
Jenes S treben nach M acht h a t noch einen N ebenvorteil, das
K riege fo rtd au erte (um das Interesse der Staaten für ihre M acht,
A ufheben d er U n gleichheit auch des persönlichen Besitzes. Der
und so für die Schule zu erhalten), des w irklichen K rieges aber
S taat will, daß alle ihm gleich un terw o rfen sind, und h a t g ar
alle herzlich m üde w ären, w eil eben keiner, bei dem allgem einen
keine Lust, zu g estan d en e Privilegien zu ehren, will ü b er das E igen­
Eifer, sich so m ächtig als m öglich zu m achen, des Sieges sicher
tum aller verfügen, u n d m acht sogleich, falls es nach seinem
ist, jeder darum sich scheute anzufangen, und so ein se h r la n g ­
Sinne g eh t, daß keinem m eh r ü brig bleibt, als die bloße N ot­
w ieriger Friede entstände. In eine solche Epoche, wo bloß des
durft. D azu hilft die E rk e n n tn is: d a v erschw indet Adel und Reichtum
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208 Angewendete Philosophie,

inneren Z w anges M öglichkeit stattfände, m üßte die erste deutliche gegen den äußeren Feind stehen w erde m it gem einschaftlicher
W ah rn eh m u n g eintreten , daß k einer m ehr nötig sei, indem die Kraft, als Ein M ann, w ie es g eg en den inneren Feind, die N atur,
Z w in g en d en und R egierenden ohne alle B eschäftigung blieben, im m erfort steht, und ob es nicht bei seiner überw iegenden N atur-
und alles schon g etan fänden, w enn sie es gebieten, und u n ter­ kenntnis, K unstfertigkeit und g o ttb egeisterten Mute" entschiedener
lassen fänden, w enn sie e s verbieten w ollten, durch die Kraft Sieger sein w erde. — W enn nicht anderes, so w ird dies die
d er allgem einen B ildung. — Eine solche A bneigung u n d Scheu übrigen christlichen V ölker anreizen, ihm nachzufolgen, u n d von
vor dem K riege kann eintreten, w ir haben sie in der T at an dem ihm die B edingungen seiner V erfassung und die V erfassung selb st IV
IV, 599 in gleichm äßiger G eschichte fo rtschreitenden Staate gesehen, der sich anzueignen: u n d so w ird sie denn allm ählich sich ü b er alle
durch die fre c h s te n , G riffe eines revolutionierenden Staates kaum V ölker des C hristentum s verbreiten. Solche V ölker aber bekriegen
a u fg e re g t w urde. sich nicht, u nd u n ter ihnen ist ew iger F riede und ew iges B ündnis
Auf diese W eise w ird irg en d einm al irgendw o im Reiche da. M it den übrigen noch unchristlichen, ungebildeten V ölkern
des C hristentum es die h e rg eb rach te Z w an g sreg ieru n g allm ählich stehen sie im natürlichen Kriege, o d er diese vielm ehr m it ihnen.
einschlafen, w eil sie durchaus nichts m ehr zu tu n findet. W as Es kann nicht fehlen, daß sie nicht S ieger seien: und dieser Sieg
d er g u te und w ackere M ensch schon je tz t kann, und w ovon kann keine andere W irkung haben, als daß auch sie aufgenom m en
es u n ter un s nicht an Beispielen fehlt, dem Richter, d er Polizei, w erden in den Schoß d es C hristentum s, und durch N achbildung
und aller n ö tigenden G ew alt m it sich g a r kein G eschäft zu m achen, in die V erfassung desselben, und so das ganze M enschengeschlecht
das w orden sie d an n alle so halten, und so w ird denn die auf der Erde um faßt w erd e durch einen einzigen innig v er­
O b rig k eit jah rau s jah rein kein G eschäft finden. D ie A ngestellten bündeten christlichen Staat, d er nun nach einem gem einsam en
w erden sich darum ein and eres su ch en : und es ist zu hoffen,: P lane besiege die N atur, u n d d ann betrete die höhere Sphäre
daß d er Ü brigbleibende, d e r etw a durch G e b u rt für diesen Platz eines anderen Lebens.
sich b estim m t hält, w enn auch etw a in einer künftigen G eneration,
m üde w erden w ird, eine P räten sio n fortzusetzen, von d er kein
M ensch a u ß er ihm m eh r K unde nim m t. So w ird d e r derm alige So ist unsere A ufgabe vollständig gelöst. — Ü ber die W elt­
Z w an g sstaat o hne alle K raftäu ß erung g eg en ihn an. seiner eigenen, ereignisse können w ir ruhig sein, so g a r u nsere R uhe verstehen,
durch die Z eit h erb eig efü h rten N ichtigkeit ruhig absterben, und und ü ber den G rund derselben R echenschaft ablegen. Die sich
d er letzte E rbe d er S ouveränität, falls ein solcher vorhanden, rein den W issenschaften w idm en, haben das b este Teil erw äh lt:
w ird eintreten m üssen in die allgem eine G leichheit, sich d e r V olks­ ein Ew iges, U nberührtes von dem verw orrenen, und zuletzt, doch
schule ü b erg eb en d , u n d seh en d , w as diese aus ihm zu m achen in nichts endenden T reiben d er W elt. Ich schließe, und w ünsche
verm ag. Zum T röste, falls etw as von d ieser W eissag u n g vor allen die F rüchte, die ich Ihnen dabei zudachte.
ihnen verlauten sollte, lä ß t sich hinzusetzen, daß sie weichen
w erden nur G o tt und seinem S ohne Jesu C hristo.
5. D ies, sag e ich, w ird eintreten in einem Z w ischenräum e,
da äu ß erer K rieg u n d daru m Z w ang zu dem selben nicht statt­
findet. W äre die M öglichkeit desselben in der W elt dennoch
nicht gänzlich au fg eh o b en , u n d w ürde späterhin ein Volk, in
w elchem die T h eo k ratie schon feste W urzel g efaß t, m it dem ­
selben ü b erzo g en , so -ist keine F rage, ob nicht dieses Volk ebenso
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