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Glossar
Wege zum Abitur
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Anregungen zum Umgang mit dem Glossar

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Für einen vertieften Zugang zu den Materialien im Rah- Ausdrücklich sollen Sie dazu aufgefordert werden, die vor-
men einer wiederholenden Reflektion oder im Kontext einer liegenden Erklärungen des Glossars in eigenen Worten
Prüfung ist es wichtig, Fachbegriffe präzise zu verwenden. zu formulieren oder zu ergänzen. So eignen Sie sich die
Außerdem können Sie Ihre Kompetenz zeigen, indem Sie Begriffe wirklich an. Am Ende ist entscheidend, dass Sie im
die Begriffe inhaltlich korrekt erläutern und anwenden Diskurs über die Themen des Faches Katholische Religions-
können. Das vorliegende Glossar möchte Ihnen dazu eine lehre möglichst souverän und präzise über die notwendigen
Hilfestellung geben, indem es alle Fachbegriffe, die der Fachbegriffe und ihre Bedeutungen verfügen und diese
Bildungsplan 2016 für das Fach Katholische Religionslehre in korrekt anwenden können.
der Kursstufe nennt, in alphabetischer Reihenfolge aufführt
und kurz und gut verständlich erklärt.

Wie Sie mit diesem Glossar arbeiten können:


 Im Rahmen von Unterrichtseinheiten oder auch vor Abi-

turprüfungen können entsprechende Glossarbegriffe


wie Vokabeln gelernt werden (vgl. kostenfreie Online-
Vokabeltrainer).
 Je umfangreicher die Fülle theologischer Inhalte, auf die Sie

sich beziehen, je umfassender und komplexer die Zusam-


menhänge sind, die Sie darstellen möchten, umso wichtiger
ist es, vor einer mündlichen oder schriftlichen Darstellung die
wichtigsten Fachbegriffe zu sammeln und zu strukturieren.
So ist es möglich, für ein bestimmtes Thema eine Mindmap
zu erstellen – mit den entsprechend zusammenhängenden
Glossarbegriffen etwa als Ober- bzw. Unterbegriffe und
ergänzenden und erläuternden Belegen und Beispielen.
Oder es bietet sich an, mit Hilfe bzw. ausgehend von den
Glossarbegriffen Kausalitäten in einem Wirkschema/Fluss-
diagramm darzustellen.
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A
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actio et contemplatio: Bereits in der pragmatische Agnostizismus hält die lichen Ämter wieder vermehrt in den
griechischen Philosophie wurden die Frage nach Gott generell für bedeu- Blick genommen.
Lebens- und Verhaltensweisen der Ak- tungslos; sie wird nicht gestellt und
tion und der Kontemplation gegen- die Frage nach seiner Existenz spielt Atheismus: Der Begriff Atheismus (Wort-
übergestellt und diskutiert. So war einfach keine Rolle für das Leben. wurzel griechisch: ohne Gott) verweist
etwa für Platon die Überlegenheit der auf eine Geisteshaltung, in der die Exis-
betrachtenden Haltung (lat. contemp- Allgemeines (gemeinsames) Priester- tenz Gottes entweder explizit negiert
latio: Anschauung) über die Aktion im tum aller Gläubigen: Das Zweite Va- wird oder überhaupt keine Rolle spielt.
Sinne von tätiger Handlung unzweifel- tikanum lehrt in Lumen Gentium (10), War in früheren Zeiten der Glaube an
haft. Aristoteles war ebenfalls der An- dass alle Gläubigen kraft der Taufe einen Gott oder mehrere Götter eher
sicht, die höchste Lebensform sei das zu „einem heiligen Priestertum“ (vgl. selbstverständlich, so wurden im Euro-
betrachtende Leben (bios theoretikos) 1 Petr 2,9) geweiht sind, um die Sen- pa des 19. Jahrhunderts von etlichen
des Philosophen. dung des einen Priesters Jesu Christi Philosophen (Feuerbach, Marx, Nietz-
Auch in das NT fand der Gegen- fortzusetzen. Aus ihrer Mitte werden sche), Psychologen (Freud) und später
satz von Aktion und Kontemplation einige kraft der Weihe zu amtlichen auch Naturwissenschaftlern (Dawkins)
Eingang: In der Perikope der zwei Priestern bestellt, die in der Person erhebliche Zweifel an der Existenz ei-
Schwestern des Lazarus, die Jesus in Christi Leitung und Spendung der Sak- nes Gottes geäußert und diese auch
ihrem Haus empfangen (Lk 10,39–42), ramente ausüben. Zusammen mit dem ausführlich begründet. In den meis-
verkörpert Maria die vita contemplati- Diakonat und Episkopat wird dadurch ten Fällen ergab sich die atheistische
va und Martha die vita activa. Augusti- das dreigliedrige Amt, die hierarchi- Haltung aus einer scharfen Kritik der
nus nahm diese Erzählung zum Anlass, sche Verfassung und der eigene Stand bestehenden Religion(en), und ein Le-
um ebenfalls der Kontemplation den des Klerus in der Kirche begründet. ben ohne Gott hatte für die meisten
Vorrang vor der Aktion zuzuweisen. Die katholische Lehre vom gemein- eine Befreiung und Wertschätzung des
Die Ordensregel des Hl. Benedikt be- samen Priestertum reagiert damit Menschen zur Folge. In einer ausge-
inhaltet Elemente der actio ebenso auf die von Martin Luther vertretene klügelten Argumentation wiesen die
wie solche der contemplatio. Daraus Lehre vom allgemeinen Priestertum, Atheisten in der Regel nach, dass Gott
entwickelte sich im Spätmittelalter die das ursprünglich gegen das katholi- lediglich eine Erfindung von geplagten
berühmte Maxime ora et labora – bete sche Verständnis eines sakramentalen Menschen sei und seine Existenz ver-
und arbeite. Bis heute legen christliche Weiheamtes gerichtet war und eine nünftigem Nachdenken widerspreche.
Ordensgemeinschaften ihren Schwer- Begründung aller Ämter allein aus der Der sogenannte neue Atheismus, der
punkt wahlweise auf actio oder con- Taufe vornimmt. in den letzten Jahrzehnten aus den Rei-
templatio, wobei die Verbindung bei- hen von Naturwissenschaftlern aufkam,
der Lebensweisen nicht zuletzt nach Amt als Dienst: Ein Amt ist eine öffent- erhebt die naturwissenschaftliche Sicht
den Umwälzungen der Säkularisierung liche Funktion im Rahmen einer vor- auf die Welt zum Maß der Erkenntnis
üblich geworden ist. gegebenen Institution und im Dienst und nimmt keine weitere, z. B. theolo-
einer maßgebenden Macht. Das kirch- gische Antwort auf die Frage nach dem
Agnostizimus (griechisch: ohne Wissen, liche Amt ist nach theologischem Ver- Sinn unserer Existenz ernst. Diese Ein-
ohne Erkenntnis) betont die Begrenzt- ständnis eine Funktion innerhalb der stellung bzw. dieses Vorgehen nennt
heit des menschlichen Erkennens und Glaubensgemeinschaft, die – theolo- man (methodischen) Naturalismus.
Wissens. Demzufolge lassen sich für gisch legitimiert und beauftragt von
Agnostikerinnen und Agnostiker auch der Gemeinschaft selbst – in ihrem Auferweckung und Auferstehung: Bei-
keine klaren Aussagen über die Exis- Dienst steht. de Begriffe werden verwendet, um
tenz Gottes tätigen. Man könne weder Ämter bildeten sich bereits in der das Geschehen nach Jesu Kreuzes-
sagen, dass er existiere, noch, dass es Frühkirche heraus, um die christliche tod zu umschreiben. Jesus begegnet
ihn nicht gebe, da man es einfach nicht Verkündigung und Lebenspraxis in den Jüngerinnen und Jüngern als der
wisse. Kritik äußern Agnostiker an den heidnischer Umgebung durchzuhal- Auferstandene bzw. Auferweckte. Hier
sogenannten Gottesbeweisen, die ja ten und die stetig wachsenden Ge- wird klar markiert, dass Jesus nicht
den Anspruch erheben, Gottes Exis- meinden zu organisieren. Im Verlauf sofort als er selbst erkennbar ist. Es
tenz vernünftig herleiten zu können. der Kirchengeschichte wurde immer bedarf eines Erkenntnisweges, einer
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Der agnostische Theismus setzt zwar wieder um ein angemessenes Amts- Umkehr, um Jesus als den Auferstan-
die Unerkennbarkeit Gottes voraus, verständnis gerungen – nicht zuletzt denen bzw. von Gott Auferweckten
der Glaube an Gott wird aber trotz- auch zwischen den christlichen Kon- (wieder) zu erkennen. Mit der Aufer-
dem nicht ausgeschlossen. Im Gegen- fessionen. Dabei geriet das urchrist- weckung eng verbunden ist das Be-
satz dazu verneinen die Vertreter des liche Verständnis vom Amt als Dienst kenntnis zu Jesus als dem ersten der
agnostischen Atheismus ganz klar die nicht selten in den Hintergrund. Heute Auferweckten und der Identifikation
Existenz Gottes. Der apathische und wird der dienende Charakter der kirch- der Person mit dem Messias bzw. dem
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A–C
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Christus. Hier zeigt sich, dass Aufer- chen Gemeinden bis heute versucht Gott und nie eine Beschreibung von

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weckung der ursprünglich verwendete man, die Frage Wer ist dieser Jesus? in ihm sind.
Begriff für dieses Geschehen ist. kurzen Bekenntnisformeln oder auch
Der Begriff Auferstehung legt eine ak- in Hymnen möglichst präzise auf den Caritas (lateinisch: Liebe) bezeichnet eine
tive Beteiligung Jesu an diesem Ge- Punkt zu bringen. zentrale Ausdrucksform christlichen Le-
schehen nahe, während Auferweckung Ausgangspunkt aller frühchristlichen bens und steht thematisch verwandt
dieses Geschehen als Werk Gottes Bekenntnisse war die Identifikation mit dem Begriff Diakonie konfessions-
sieht, der Jesus auferweckt und damit des historischen Jesus von Nazareth übergreifend für die Zuwendung zu
auch seine Botschaft und sein Wirken mit dem erwarteten Heilsbringer, dem Menschen in sozialer, materieller und
sowie seinen Anspruch, in seinem Tun Messias, die in dem Titel Christus (grie- psychischer Not. Ausgehend von dem
zeige sich das Tun Gottes, endgültig chisch der Gesalbte, Übersetzung des erfahrenen Zuspruch der Liebe Gottes
bestätigt. hebräischen Messias) zum Ausdruck zu den Menschen (z. B. 1 Joh 4,11.19)
kommt. Mit dem Entstehen der christ- waren gelebte Caritas und Diakonie
Autonomie (griechisch autonomía: lichen Kirche aus der Jesusbewegung die Kennzeichen der ersten christlichen
Selbstgesetzlichkeit) bezeichnet in bilden sich – noch bevor die Evangelien Gemeinden (Apg 2,43–47). Durch die-
der griechischen Antike das Recht ei- entstehen – weitere Bekenntnisformeln, se gelebte Gerechtigkeit gewann das
ner Gesellschaft, sich selbstbestimmt die z. B. als Hymnen im Gottesdienst Christentum viel an Überzeugungskraft
die eigenen Rechtsnormen geben zu gebetet wurden oder aber für die Ver- und Zuspruch. Seit dem Ende des 19.
können. Im Laufe ihrer Begriffsge- kündigung des Glaubens Glaubensin- Jahrhunderts entstanden eigenständi-
schichte wird die Autonomie um ei- halte kurz auf den Punkt bringen. So- ge kirchliche Organisationen (katho-
nen ethischen Aspekt ergänzt. Dem- wohl solche Hymnen (z. B. Phil 2,5–11) lisch: Caritas; evangelisch: Diakonie),
zufolge ist Autonomie die menschliche als auch kurze Glaubensformeln (z. B. die professionalisiert und institutiona-
Fähigkeit, auf Grundlage des freien 1 Kor 15,3–5) haben zum Teil Eingang in lisiert in großem Umfang caritative Auf-
Willens und gemäß der Vernunft die die Paulusbriefe und andere NT-Schrif- gaben in der Gesellschaft übernehmen.
Gesetze seines ethischen Handelns ten (z. B. Joh 1) gefunden.
selbst festzulegen. Da diese eigenen Auf den Konzilien in Nizäa (325) und in Christologie ist die Lehre von Jesus
Gesetze vernunftgemäß sind, kann Konstantinopel werden nach langem Christus. Der Begriff Christus stammt
von Willkür keine Rede sein. Immanu- Ringen komplexe Glaubensinhalte in aus dem Griechischen (Christos) und
el Kant zufolge ist nämlich Handeln, das sogenannte Nicäno-Konstantino- bedeutet der Gesalbte. In der Be-
das einem vernunftgemäßen eigenen politanum gefasst, das als gemeinsam zeichnung der historischen Person Je-
Gesetz entspricht, gleichermaßen all- gesprochenes Glaubensbekenntnis sus von Nazareth als Christus werden
gemein. Im heutigen Sprachgebrauch (Credo) bis zum heutigen Tag Bestand- seine Verkündigung, sein Handeln,
wird Autonomie häufig gleichgesetzt teil der Eucharistiefeier ist. sein Tod und seine Auferstehung so
mit Selbstbestimmung sowie Entschei- gedeutet, dass er der von Jahwe im
dungs- und Handlungsfreiheit. Ihr Ge- Bilderverbot: In den drei großen mo- Alten Bund verheißene Heilsbringer
genteil ist die Heteronomie. notheistischen Religionen ging und und Erlöser sei.
geht es oft um die Frage, ob man Gott Die Christologie beschäftigt sich somit
Basisgemeinde: Basisgemeinden sind darstellen dürfe. Sehr klar sind hierbei mit Jesus Christus, mit seinen histori-
vor allem katholische Gruppen oder das Judentum und der Islam, die de- schen Hintergründen, den biblischen
Gemeinschaften, die sich seit den zidiert jegliche Abbildung Gottes ver- Zeugnissen und der Entwicklung des
1950er Jahren in Lateinamerika gebil- bieten. Ausgehend vom Bilderverbot Christusglaubens seit biblischer Zeit,
det haben und in den darauffolgenden in Ex 20,4 und der Selbstoffenbarung über die frühkirchlichen Konzilien bis
Jahrzehnten auch in Nord-Amerika Jahwes im brennenden Dornbusch zu aktuellen Deutungen der Person
und Europa sowie in Asien und Afri- und mit seinem Namen (Jahwe) achten und Lehre Jesu.
ka entstanden sind. Kennzeichen der jüdische Gläubige seit jeher die Unbe- Man unterscheidet die explizite und
Basisgemeinden sind eigenständige schreiblichkeit und Unvorstellbarkeit die implizite Christologie. Während
Spiritualität, eigene amtliche Dienste Gottes mit menschlichen Kategorien die explizite Christologie unter dem
bei Aufrechterhaltung der Zugehörig- und Bildern. Im Christentum wurde Eindruck der Auferstehungserfahrung
keit zur Gesamtkirche, Gemeinschafts- immer wieder diskutiert, wie bindend nach Formulierungen (z. B. Hoheitsti-
bewusstsein und genossenschaftliche das Bilderverbot auch für sie sei. Doch teln) sucht, um die heilsgeschichtliche
Arbeit. Den lateinamerikanischen Ba- ausgehend vom Glauben daran, dass Bedeutung Jesu Christi in Worte zu
sisgemeinden ist zudem ein starkes Gott sich in Jesus, einem Menschen, fassen, zeigt sich die implizite Chris-
politisches Bewusstsein eigen, das sich gezeigt bzw. offenbart hat, und im tologie in der Darstellung der Taten
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in Anlehnung an die Befreiungstheo- Wissen darum, dass Jesus von Gott und Worte Jesu durch die Evange-
logie gegen Ausbeutung und Kapita- in vielen Gleichnissen und Bildern ge- listen, z. B. in der Sündenvergebung,
lismus wendet. sprochen hat, entstanden im Laufe der die den besonderen Anspruch Jesu
Zeit nicht nur Bilder von Jesus, son- erkennen lässt.
Bekenntnis meint eine kurze, prägnan- dern auch von Gott. Immer sind diese
te Formulierung wesentlicher Glau- Bilder aber begleitet vom Bewusst- Creatio ex nihilo: aus dem Lateinischen
bensinhalte. Von den ersten christli- sein, dass sie nur eine Annäherung an stammender Ausdruck, der übersetzt
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D–E
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Schöpfung aus dem Nichts bedeutet. am Nächsten oder der soziale Dienst Exegese weist zum Verständnis auf
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Diese Vorstellung, die dem Alten Tes- zu den Erkennungsmerkmalen der die Königsmythologie des Vorderen
tament noch unbekannt ist, geht da- christlichen Gemeinden. Nicht zuletzt Orients hin, in der der König bei der
von aus, dass Gott die alleinige Ursa- wegen dieser tätigen Nächstenliebe Thronbesteigung zum Bild Gottes ein-
che der Welt ist und auch die Materie entfaltete das Christentum eine hohe gesetzt wird. Im ganzen Land werden
erschaffen hat. Attraktivität und Anziehungskraft auf Standbilder aufgestellt, die ihn und
die jüdisch-hellenistisch geprägte seinen Herrschaftsbereich repräsen-
Dekalog bedeutet wörtlich zehn Wor- Umwelt. Begründet ist dieser tätige tieren. Im biblischen Text wird der
te. Sie enthalten sowohl Gebote als Dienst in Jesus, der sich vor allem den Mensch als Bild Gottes eingesetzt. Er
auch Verbote. Man findet sie in den Ausgestoßenen, Kranken und Schwa- soll herrschen über den Lebensraum
fünf Büchern Mose an zwei Stellen: chen zuwandte und seine Jünger dazu der Schöpfung, den Gott eröffnet und
Ex 20,1–17 und Dtn 5,6–21, in unter- berufen hat, ihm hierbei nachzufolgen. geschenkt hat, und über die Lebewe-
schiedlichem Wortlaut. Der Dekalog Da die Kirche die Verkündigung Jesu sen, die ihn bevölkern. D.h. er soll
wird durch die Erinnerung an die Exo- fortführt und um seine Nachfolge be- ihn erhalten, beschützen und ihn ge-
duserfahrung eingeleitet und insofern müht ist, kann sie nur eine Kirche für stalten, damit er Lebensraum für alle
seine Geltung auf die Befreiungstat die anderen, d.h. eine anderen die- bleibt und immer mehr wird. Wichtig
Gottes zurückgeführt. Inhaltlich geht nende Kirche sein. An diesem Kriteri- ist, dass die Bibel den Menschen, also
es im ersten Teil um die Beziehung um muss und wird sie sich immer wie- jeden ohne Ausnahme zum Herrscher
zu Gott und im zweiten Teil um das der um ihrer Glaubwürdigkeit willen einsetzt. Die Herrschaft von Menschen
Verhalten der Menschen zueinander. messen lassen müssen. über Menschen ist nicht der Auftrag
Teilweise lassen sich inhaltliche Über- Gottes.
schneidungen feststellen, so z. B. Dialogisches Wesen: Der jüdische Reli-
bei den Verboten von Ehebruch und gionsphilosoph Martin Buber (†1965) Ecclesia semper reformanda: Die For-
Begehren der Frau. Die Zehn Gebo- beschreibt in seinem grundlegenden mel von der immer zu reformierenden
te sind das Grundgesetz Israels. Sie Werk Ich und Du, wie der Mensch in Kirche stammt ursprünglich aus der cal-
bestimmen das Verhältnis Gottes zu zwei Welten lebt: In der Welt ICH-ES vinistischen Theologie des 17. Jahrhun-
seinem Volk. In ihnen geht es um die und in der Welt ICH-DU. Alles um derts und wurde dort im antikatholi-
befreiende Zusage Gottes, die in der uns sind Objekte, die wir beschrei- schen Sinn verwendet. Der reformierte
Vergangenheit bereits erfahrbar war. ben, messen, bestimmen, behandeln Theologe Karl Barth wendete sie auf
Sie stellen die ethischen Grundsätze können. Daneben gibt es die Welt der die eigene Kirche an. Das Zweite Va-
des Judentums und des Christentums Beziehung. Immer wieder erleben wir tikanum spricht hingegen von der Er-
dar und sind allgemein gültig für das in Begegnungen, dass wir in Bezie- neuerung (renovatio) der katholischen
gute Zusammenleben der Menschen. hung stehen und uns in Beziehung Kirche (Lumen Gentium 8). In der bin-
Bei der Zählung der Gebote gibt es entwickeln dadurch, dass uns jemand nenkatholischen Diskussion um die
im Judentum und in den christlichen anspricht und ansieht. Manchmal so- Rechtmäßigkeit des Begriffs Reform un-
Kirchen unterschiedliche Traditionen. gar in der Begegnung mit Sachen: et- terscheiden manche zwischen der Re-
Eine andere Zählung als bei der lu- was spricht uns an und will unsere Ant- form der Kirche, die dem katholischen
therischen und römisch-katholischen wort. Wir erleben Ver-ant-wort-ung. Kirchenverständnis widerspreche, und
Fassung ergibt sich dort, wo das Bil- Wir fühlen uns angesehen und wis- der Reform in der Kirche, derer sie im-
derverbot – „Du sollst dir kein Bildnis sen uns aufgefordert, unser Gesicht mer bedarf. Andere fordern mit Paulus
machen“ – als zweites Gebot aufge- zu zeigen. Dies geschieht vor allem eine „Erneuerung des Denkens, damit
führt wird, so in der anglikanischen, re- in Begegnungen mit Personen. Aber ihr prüfen und erkennen könnt, was der
formierten und orthodoxen Tradition. auch Dinge, Situationen können uns Wille Gottes ist“ (Röm 12,2). Auch Papst
Dort werden dann neuntes und zehn- in die Verantwortung rufen. „Ich wer- Franziskus fordert die Teilkirchen auf,
tes Gebot als ein Gebot verstanden. de am Du. Ich werdend spreche ich „in einen entschiedenen Prozess der
Du. Alles wirkliche Leben ist Begeg- Unterscheidung, der Läuterung und
Deus absconditus: Dieser theologische nung.“1 So fasst Martin Buber diese der Reform einzutreten“ (Evangelii
Begriff aus dem Lateinischen, der sich Erfahrung der dialogischen Struktur Gaudium 30).
mit der verborgene Gott wiedergeben unseres Wesens und Lebens zusam-
lässt, beschreibt die grundsätzliche men. Gleichzeitig ist er überzeugt, Entmythologisierung: Das Vorhaben der
Unerkennbarkeit Gottes. Zurückge- dass sich in allen Begegnungen die Entmythologisierung zum Verständnis
führt wird diese Bezeichnung auf das Stimme des Herrn, die Stimme Gottes biblischer Texte geht auf den Mar-
alttestamentliche Buch Jesaja (45,15): meldet. Gott ist vernehmbar in allem, burger Theologen Rudolf Bultmann
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Wahrhaftig, du bist ein verborgener was mich anspricht und ansieht und (1884–1976) und zuerst auf seinen Auf-
Gott, Israels Gott, der rettet. meine Antwort will. satz Neues Testament und Mythologie
(1941) zurück. Bultmann geht davon
Diakonia (griechisch diakonia: Dienst am Ebenbild Gottes: Die theologische Vor- aus, dass für den modernen Menschen
Nächsten) gehört zu den Grundvoll- stellung von der Gottebenbildlich-
zügen der Kirche. Bereits in der frü- keit des Menschen geht zurück auf 1) Buber, Martin: Das dialogische Prinzip.
hen Christenheit gehörte der Dienst Gen  1,26f. Die historisch-kritische Heidelberg 41979.
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E–F
Wege zum Abitur
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biblische Erzählungen einen logischen Christliche Eschatologie gibt aus der Diskussion klare Wertvorstellungen

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Widerspruch hervorrufen, da die dort Perspektive des Glaubens reflektiert und Zielsetzungen auf der Grundlage
geschilderten Ereignisse nicht mit dem Auskunft von der Hoffnung, die Chris- der Freiheitsbotschaft des Evangeli-
naturalistischen Denken kompatibel tinnen und Christen erfüllt (1 Petr 3,15). ums und des christlichen Menschen-
sind. Ursache für diese Dissonanz ist, Existieren in biblischen Büchern und bildes mit ein.
dass dem heutigen Menschen, für den in systematischer Theologie vonein- Mit Moral (lateinisch: Sitte, Regeln)
es keine unterschiedlichen Realitäts- ander abweichende Aussagen, ist ver- wird die Summe der Verhaltensre-
stufen gibt, das Verständnis vom My- antworteter Eschatologie gemeinsam, geln, Haltungen und Wertvorstellun-
thos fehlt. Bultmann schlägt als herme- dass sie keine Detailbeschreibungen gen einer Gesellschaft, einer Epoche
neutisches Verfahren zur Erschließung für das Jenseits bieten will, sondern oder einer Gruppe (z. B. Religionsge-
biblischer Text daher die Entmytholo- im Zentrum christlicher Hoffnung die meinschaft, Berufsgruppe) bezeichnet:
gisierung vor, wonach der Existenzsinn Vorstellung sieht, dass der Tod nicht Diese Wertvorstellungen werden nicht
der Texte aus dem mythischen Kontext das letzte Wort hat. nur durch Erziehung und Konventio-
herausgearbeitet werden soll. Damit nen weitergegeben und eingefordert,
möchte Bultmann die Differenz zwi- Eschatologischer Vorbehalt/Schon-und- sondern auch von den Mitgliedern der
schen Gott und Welt wahren und den noch-nicht: Die Verkündigung Jesu Gruppe gelebt.
anthropologisch-existenziellen Kern beginnt programmatisch mit dem
der Texte identifizieren, der Menschen Satz: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Evolutionstheorie ist der Sammelbegriff
auch heute noch anspricht. So ist die Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt für die unterschiedlichen wissenschaft-
Verkündigung von Tod und Auferwe- an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Dieses lichen Analysen und Deutungen der
ckung Jesu, das Kerygma, Vorausset- Reich Gottes oder die Herrschaft Got- Entstehungs- und Entwicklungspro-
zung der Theologie des Neuen Testa- tes ist ein Zustand des Heils, der allen zesse in biologischen Systemen. Das
mentes und nicht Teil derselben. Die Menschen ohne Vorleistung gleicher- heute am meisten akzeptierte Modell
neutestamentlichen Texte entfalten in maßen gilt und mit der Verkündigung unter den verschiedenen Evolutions-
ihren auch mythischen Bildern diese und mit dem Handeln Jesu beginnt: theorien ist die synthetische Evo-
Voraussetzung. Kranke werden geheilt, Sündern wird lutionstheorie. Ihr zufolge sind die
vergeben, Ausgestoßene werden in Prinzipien Mutation (zufällige Verän-
Erlösung: In der Alltagssprache bezeich- die Gemeinschaft aufgenommen. Das derung im Erbmaterial), Rekombinati-
net Erlösung die Überwindung eines Reich Gottes steht immer in Spannung on (Neuanordnung von genetischem
Zustandes, der als bedrückend und zwischen Schon und noch nicht, die Material in den Zellen) und Selektion
belastend erfahren wird. Auch in bib- als eschatologischer Vorbehalt be- (Überlebens- und Fortpflanzungsvor-
lischen Texten finden sich derartige Er- zeichnet wird: In Jesus selbst ist es teil durch die erfolgte Veränderung)
fahrungen, etwa die Exodus-Erfahrung jetzt schon angebrochen, seine Voll- zentrale Motoren des (biologischen)
des Volkes Israel, das von Gott aus der endung durch Gott steht aber noch Entwicklungsprozesses hin zu mehr
Knechtschaft in Ägypten befreit wird, aus (vgl. Lk 22,14–18). Die Kirche, aber Komplexität.
die Überwindung von Krankheit, Tod auch jeder Christ und jede Christin ist
oder Schuld. in der Nachfolge Jesu Christi aufge- Exklusivismus bezeichnet eine religiöse
In der Vorstellung „Gott ist die Lie- rufen, sich für Frieden und Gerechtig- Überzeugung, die die Möglichkeit, in
be“ (1 Joh 4,8.16b) soll aus christlicher keit einzusetzen, in dem Wissen, dass einer anderen als der eigenen Religi-
Perspektive deutlich werden, dass das mit allem Einsatz von Menschen selbst on Wahrheit und deshalb auch Heil
bedingungslose Liebes- und Bezie- kein Zustand vollkommenen Heils er- zu finden, grundsätzlich ausschließt.
hungsangebot Gottes, sein Ja allem reicht werden kann, sondern dass die- Diese Möglichkeit existiert nur in der
menschlichen Handeln vorausgeht, se Vollendung des Reiches Gottes al- eigenen religiösen Tradition. Christli-
Erlösung zugesagt ist und uns zu ent- lein Gott obliegt. cher Exklusivismus behauptete, dass
sprechendem Antworten einlädt. Erlö- nur das Christentum als wahre und al-
sung in einem vollumfänglichen Sinn Ethik und Moral: Ethik (griechisch: Ge- lein seligmachende Religion gelte (Ex-
steht noch unter einem eschatologi- wohnheiten, Sitten und Gebräuche) tra ecclesiam nulla salus – außerhalb
schen Vorbehalt Eschatologischer lässt sich als reflektierte Suche nach der Kirche kein Heil). Andere religiöse
Vorbehalt/Schon-und-noch-nicht. Antworten auf die Frage verstehen, Überzeugungen werden aus der Sicht
wie sowohl individuelle menschliche des Exklusivismus als falscher Glaube,
Eschatologie: Der Begriff setzt sich aus Lebensführung als auch das gemein- Aberglaube oder religiöse Fehlent-
den griechischen Begriffen eschatos schaftliche Zusammenleben gelingen wicklung abgewertet. Diese Position
(äußertes, letztes) und logos (Lehre, können: was zu tun bzw. was zu un- wurde von der katholischen Kirche bis
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Wort) zusammen und meint die Lehre terlassen wäre. Unter Annahme der zum II. Vatikanischen Konzil vertreten,
von den letzten Dingen. Darunter wer- Autonomie des Menschen reflektiert gilt seitdem klar als überwunden.
den die Vorstellungen vom Jenseits Ethik im Dialog mit unterschiedlichen
und Hoffnungen auf Vollendung des Wissenschaftsdisziplinen konkrete Ver- fides qua und fides quae: Die klassische
und der Menschen, der Welt und der haltensmöglichkeiten und will so Ori- kirchliche Dogmatik unterscheidet seit
Geschichte im und nach dem Tod bei entierung und Weisung geben. Theo- Augustinus zwischen zwei Arten, bes-
Gott zusammengefasst. logische Ethik bringt in die ethische ser: Dimensionen des Glaubens:
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F–G
Wege zum Abitur
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fides quae creditur bezieht sich auf Für das frei gewählte Denken und Han- In den USA verstehen fundamentalis-
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die Inhalte des Glaubens und meint deln kann der Mensch auch zur Re- tische Christinnen und Christen die Bi-
den Sachverhalt, der geglaubt wird. chenschaft gezogen werden; er muss bel als unmittelbares Wort Gottes und
Diese Dimension wird auch als Dass- also Verantwortung übernehmen. Die legen sie wortwörtlich aus. Islamischer
Glaube bezeichnet und manifestiert dafür nötige Autorität besteht z. B. in Fundamentalismus wird auch Islamis-
sich unter anderem in Form von der Überzeugung, dass die Freiheit, mus genannt; islamische Fundamenta-
Glaubensbekenntnissen, dogmati- die man für sich selbst in Anspruch listen halten sich streng an den Koran
schen Lehrsätzen und Katechismen. nimmt, auch allen anderen Menschen und an die islamischen Gesetze. Auch
Hier geht es um das Für-wahr-Halten zukommt. Verantwortung als Folge im Judentum gibt es – besonders in
einer Glaubenslehre. von Freiheit kann aber auch heißen, streng orthodoxen Kreisen – Funda-
 fides qua creditur meint den Glau- dass der Mensch sich kraft seiner Frei- mentalismus.
ben als Vertrauensakt. Diese Dimen- heit in den Dienst des Guten und der Fundamentalismus gibt es überall auf
sion des Glaubens wird auch als Du- Gerechtigkeit stellt. der Welt, in allen Religionen und Welt-
Glaube bezeichnet, weil sie zum anschauungen.
Ausdruck bringt, dass der Mensch Friedensethik bezeichnet eine Teildiszip-
sich ganz auf ein personales Gegen- lin der Ethik. Aufgabe der Ethik ist es, Gemeingut bezeichnet Ressourcen (z. B.
über verlässt und diesem rückhaltlos eine reflektierte Theorie menschlicher Zugang zu Wasser) oder Güter, die der
vertraut. Damit trifft er eine existen- Lebensführung zu erarbeiten. Da die Allgemeinheit zur Verfügung stehen
zielle Grundentscheidung, die Kon- Sorge um den Frieden wegen seiner und deswegen dem alleinigen Zugriff
sequenzen für seine Sicht auf die existentiellen Dimension ein zentrales einer einzigen Person entzogen sind.
Wirklichkeit hat. Anliegen aller Menschen ist, muss die Der Begriff erlebt vor allem in aktuel-
Beide Dimensionen spielen bei gläu- Ethik ihr bei ihren Überlegungen eine len Entwicklungen hin zu mehr Nach-
bigen Menschen zusammen, etwa hohe Bedeutung beimessen. Die Frie- haltigkeit eine Renaissance. Vor dem
wenn im Gebet ein persönliches Ver- densethik gehört daher zu den wich- Hintergrund der katholischen Sozial-
trauensverhältnis zu Jesus Christus tigsten Aufgabenfeldern heutiger phi- lehre entstehen besondere Pflichten
aufgebaut wird und Jesus Christus losophischer und theologischer Ethik. in der nachhaltigen Bewahrung und
gleichzeitig auch Inhalt des Glaubens Friedensethik stellt Kriterien zur Beur- Sicherung dieser Güter.
ist, indem an seine Botschaft vom teilung von Handlungen im Hinblick
anbrechenden Reich Gottes oder an auf Erhaltung, Wiederherstellung und Gewissen ist die innere Instanz des Men-
seine Auferstehung als Grund der Schaffung von Frieden auf und bewer- schen, die als Richtschnur und Korrek-
Hoffnung für die Auferstehung aller tet ihre Folgen. Unter Frieden versteht tiv Handlungen reflektiert, beurteilt
Menschen geglaubt wird. man meist einen politischen Zustand und bewertet. Mit der Betonung der
zwischen Völkern und Nationen, der Bedeutung des Gewissens wird dem
Freiheit und Verantwortung hängen durch ein Fehlen von Gewaltanwen- Menschen die Fähigkeit zugespro-
untrennbar miteinander zusammen, dung gekennzeichnet ist (negativer chen, ethische Werte, Gebote und
wobei Verantwortung aus der Freiheit Friede), weniger häufig versteht man Gesetze erkennen und auf das eige-
folgt. In der Philosophiegeschichte ha- darunter einen durch Gerechtigkeit ne Leben anwenden zu können. Das
ben sich viele, teils sehr unterschiedli- und Liebe gekennzeichneten Zu- Gewissen ist nichts Statisches, sondern
che, Verständnisse von Freiheit entwi- stand (positiver Friede). Friede kann kann sich sukzessive entwickeln. Auch
ckelt. Gleichwohl lässt sich ein relativ zwischen Einzelpersonen herrschen, Fehlformen der Gewissensbildung
großer gemeinsamer Nenner ausma- symbolisch kann Friede auch ein Zu- sind möglich, z. B. verstummtes oder
chen. Demnach ist Freiheit als Prozess stand innerhalb einer Person sein (Ge- irrendes Gewissen. Das Zweite Vati-
zu verstehen, bei dem sich – ohne Ein- fühl einer Zufriedenheit und Balance). kanische Konzil wertet das Gewissen
fluss äußeren Zwangs – ein individueller als „verborgenste Mitte und Heiligtum
Wille bildet (Willensfreiheit). In der Re- Fundamentalismus (lateinisch: funda- des Menschen“ (GS 16) und sieht darin
gel ist der einmal entwickelte Wille be- mentum: Unterbau/Grundlage): Wenn die Möglichkeit, die Weisung Gottes
strebt, in die Tat umgesetzt zu werden man von Fundamentalismus spricht, zu erkennen.
(Handlungsfreiheit). Diese individuelle meint man, dass kompromisslos an
Freiheit steht in enger Verbindung mit politischen oder religiösen Grund- Gemeinwohl: Das Gemeinwohl ist eines
einem freiheitlichen Gesellschaftsge- sätzen festgehalten wird. Fundamen- der Sozialprinzipien der katholischen
füge: Die freie Gesellschaft erwächst talistinnen und Fundamentalisten Soziallehre. Es schließt die Forderung
aus der Freiheit des Einzelnen; und beharren auf ihren Überzeugungen nach Gerechtigkeit, d. h. die Berück-
der Einzelne kann dann freier leben, und sind der Meinung, dass nur ihre sichtigung des Wohls aller Menschen,
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wenn die Bedingungen des sozialen Vorstellungen richtig sind. Zu einem ein. Gemeint ist damit die Aufgabe
Umfeldes und der Gesellschaft das zu- konstruktiven Dialog, zur inhaltlichen des Staates bzw. der Gesellschaft, Vo-
lassen. Theologiegeschichtlich ist der Auseinandersetzung mit Andersden- raussetzungen und Rahmenbedingun-
freie Wille, ausgehend von der anti- kenden bzw. Andersgläubigen kommt gen zu schaffen, die den Menschen die
ken Philosophie, auf das (umfassende) es daher nicht. Teilweise vertreten sie volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit in
Gute und damit letztlich auf die Ge- ihre Überzeugungen auch aggressiv der Gemeinschaft ermöglichen und
meinschaft mit Gott ausgerichtet. und mit Gewalt. erleichtern. Das Gemeinwohl ist dabei
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10 Wege zum Abitur · RiS 11/12 · © IRP-Freiburg


G–H
Wege zum Abitur
Glossar

sowohl Mittel als auch Ziel. Der Grund- bensinhalts oder der Glaubensinhalte Liturgia (Gottesdienst und Feier) und

Glossar
wert Gemeinwohl stellt das Gesamtziel einer Religion. Diese Inhalte werden Martyria (Verkündigung) bilden die
der Gesellschaft dar und wird aus der in Sätzen ausformuliert mit dem Ziel, drei Grundfunktionen der Kirche, die
Gemeinschaft und den Bedürfnissen Wesentliches einer Religion wiederzu- bisweilen noch durch Koinonia (Ge-
der Einzelnen heraus definiert. Theolo- geben. Glaubensbekenntnisse besit- meindebildung) ergänzt werden. Die-
gisch begründbar ist dieses Sozialprin- zen oftmals die Funktion der Abgren- se verschiedenen Funktionen werden
zip z. B. mit Röm 12,5. Der biblische zung nach außen und der Integration nicht als nebeneinanderstehend bzw.
Text verweist hier auf Gott, der das nach innen. Im Christentum fassen getrennte Bereiche kirchlichen Han-
Heil für alle Menschen will, ohne Klas- Glaubensbekenntnisse, worunter vor delns betrachtet, vielmehr bedingen
sen-, Rassen- oder Gruppenegoismus. allem das Apostolische Glaubensbe- und durchdringen sie sich gegenseitig.
kenntnis in der katholischen Kirche
Gerechtigkeit: Der Begriff der Gerech- von überragender Bedeutung ist, als Heteronomie (griechisch heteronomía:
tigkeit lässt sich philosophisch und bi- Sprechakte einerseits die Inhalte des Fremdgesetzlichkeit) wird oft synonym
blisch definieren bzw. einordnen. Die Glaubens (fides quae) in verdichteter verwendet für Begriffe wie Fremdbe-
philosophische Klärung ist abhängig Form zusammen und ermöglichen an- stimmung oder Unfreiheit. Im Gegen-
von der jeweiligen philosophischen dererseits und den Glaubensinhalten satz zur  Autonomie bezeichnet He-
Richtung. In der Antike wird Gerechtig- vorausgehend die Aktualisierung des teronomie in der Ethik den Umstand,
keit oft als Tugend verstanden (Platon). Glaubens (fides qua) als ein Vertrauen dass der Wille bei der Festlegung
Aristoteles unterscheidet austeilende auf das Heilshandeln Gottes. Kritisch der Gesetze des ethischen Handelns
Gerechtigkeit (jeder bekommt das, anzumerken ist, dass das offizielle nicht frei ist, sondern abhängig von
was ihm zusteht) und ausgleichende Glaubensbekenntnis der Kirche auf der menschlichen Natur, Zufälligkeiten
Gerechtigkeit (jedem ist das ihm Zu- der einen Seite dogmengeschichtli- oder dem Willen anderer. Der Zustand
stehende zu geben). John Rawls sieht ches Vorwissen voraussetzt und an- der Heteronomie kann allerdings auch
Gerechtigkeit in der Fairness, die ge- dererseits theologisch bedeutsame selbst gewählt werden, etwa in Form
prägt ist durch ein kooperatives Mitei- Themen (z. B. Theodizee oder die Ver- eines freiwilligen Gehorsams gegen-
nander, in dem alle die gleichen Chan- kündigung der Reich-Gottes-Botschaft über natürlichen Autoritäten oder in
cen haben und gleich profitieren. Jesu) nicht wiedergibt. Form von Gehorsam gegenüber Gott
Die Sozialethik unterscheidet vier (Theonomie).
Grundarten von Gerechtigkeit: kom- Gnade: Das Exodus-Ereignis, der Bun-
mutative (Tausch-), distributive (Ver- desschluss und Tod und Auferweckung Hierarchie der Wahrheiten: Wenn die
teilungs-), kontributive (Beteiligungs-) Jesu sind Ausdruck der gnadenhaften Lehre der Kirche als eine Summe von
und legale Gerechtigkeit (Verfahrens-). Zuwendung Gottes zu den Menschen, Glaubenswahrheiten aufgefasst wird,
Biblisch wird Gerechtigkeit von den die deutlich machen, dass Gnade kein dann meint Hierarchie (Rangordnung)
Propheten im AT verkündet, z. B. durch Abstraktum, sondern leibhaftig, sicht- die Struktur, nach der die Wahrheiten
Amos, der im 8. Jahrhundert v. Chr. bar und innerweltlich erfahrbar ist. auf ein Zentrum ausgerichtet sind und
heftige Kritik an den gesellschaftli- Gott handelt frei und selbstlos am untereinander im Zusammenhang ste-
chen Zuständen Israels übte. Er pran- und zum Wohl des Menschen. Damit hen. Das Zentrum oder auch Funda-
gerte die ungerechten Verhältnisse wird deutlich, dass Gnade ein Relati- ment der Glaubenslehre bildet das
an, rief im Namen Gottes, der sich als onsbegriff (Sabine Pemsel-Meier) ist Dogma (Lehre) der Dreifaltigkeit und
Anwalt für die Schwachen und Unter- und Ausdruck der Beziehung zwischen der Menschwerdung Gottes in Jesus
drückten versteht, zur Umkehr auf. Im Gott und Mensch, wobei der Mensch Christus. Die Glaubenswahrheiten
AT steht hierfür der Begriff zedakah, der Empfangende und Gott der aus können im Leben und Glauben der
das Tun der Gerechtigkeit, das ein an bedingungsloser Liebe und freier Zu- Christinnen und Christen von unter-
der Gemeinschaft orientiertes Han- wendung Gebende ist. Bei Paulus fin- schiedlicher Bedeutung und Relevanz
deln meint. Im NT ist Gerechtigkeit det dieser Gedanke darin seinen Nie- sein. Dies steht der kirchlichen Lehre
ein zentraler Inhalt der Reich-Gottes- derschlag, dass sich Glaube an Gott von der hierarchischen Ordnung nicht
Botschaft Jesu. Das Gleichnis von den und rechtes Handeln Gott selbst ver- entgegen. Von besonderer Bedeutung
Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–15) danken. Nicht der Mensch kann sich ist dieses Prinzip des Verstehens von
verweist exemplarisch auf zwei Ge- aus den Verstrickungen lösen, sondern dogmatischen Aussagen für den öku-
rechtigkeitsaspekte: einerseits darauf, Gott löst ihn und eröffnet ihm die Mög- menischen Dialog, da es mit der auf
dass Menschen sich ihre Daseinsbe- lichkeit zum gerechten Leben. Aus die- Luther zurückgehenden Vorstellung
rechtigung und Menschenwürde nicht sem Verständnis von Gnade ergeben von der Mitte des Evangeliums ver-
erst verdienen müssen, andererseits sich für Theologie und Kirche, dass ihre einbar ist und die zentralen Gemein-
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auf die Forderung, das eigene Leben Verkündigung von der Gnade Gottes samkeiten des Glaubens in den Mittel-
und das anderer Menschen zu erhalten eine Entsprechung im eigenen Urteilen punkt rückt. Das Zweite Vatikanische
und zu bewahren. und Handeln finden muss. Konzil erwähnt es daher im Dekret
über den Ökumenismus.
Glaubensbekenntnis: Unter einem Glau- Grundfunktionen – Grundvollzüge der
bensbekenntnis versteht man eine for- Kirche: Diakonia – Liturgia – Mar- Hoheitstitel: Als Hoheitstitel werden
melhafte Zusammenfassung des Glau- tyria: Diakonia (Dienst am Nächsten), Begriffe bezeichnet, die, meist aus
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Wege zum Abitur · RiS 11/12 · © IRP-Freiburg 11


H–K
Wege zum Abitur
Glossar

der alttestamentlichen Tradition kom- die Zustimmung ihrer Mitglieder zu er- werden, dass Jahwe keine statische
Glossar

mend, auf die Person Jesu angewen- langen. Hierbei besteht die Gefahr der göttlich-ferne Instanz ist, sondern dass
det werden. Beispiele sind: Logos, Überlegitimierung, z. B. das Beharren er in Bewegung auf den Menschen zu
Sohn Gottes, Messias/Christus oder auf kontextbedingten Lehrmeinungen, ist. Gott zeigt sich in der Geschichte
Menschensohn. Dabei wird versucht, die als historisch verbindliche Setzung des Menschen und kann dort erfah-
die Bedeutung Jesu als Erlösergestalt zurückprojiziert werden und sich somit ren werden. Gläubige Jüdinnen und
und Heilsbringer herauszustellen. Bei gegen jegliche Veränderung immuni- Juden vermeiden aus Respekt vor der
der Interpretation dieser Vorstellungen sieren. Heiligkeit Gottes das Aussprechen sei-
sollte immer im Blick sein, dass es sich nes Namens und verwenden stattdes-
um Versuche handelt, das Besondere Interreligiöser Dialog bezeichnet Ge- sen das Wort adonaj, mein Herr, oder
der Christuserfahrung in der Sprach- spräche zwischen Menschen unter- haschem, der Name.
und Denkwelt der biblischen Tradition schiedlicher Religionszugehörigkeit
zum Ausdruck zu bringen und in neue über religiöse, aber auch soziale, ethi- Konfession: Wörtlich bedeutet das la-
Kontexte, z. B. die der hellenistischen sche und politische Fragestellungen. teinische confessio Bekenntnis. Ge-
Denkwelt, zu vermitteln bzw. zu inkul- Ziel des Dialogs ist es, das je Beson- meint sein kann damit sowohl das
turieren. dere der Überzeugung des anderen Schuld- wie auch Glaubensbekennt-
besser zu verstehen und die eigenen nis der Gläubigen. Immer ist es ein-
Inklusivismus bezeichnet eine religiöse Überzeugungen im Dialog weiterzu- gebunden in eine Gemeinschaft von
Überzeugung, die zwar von der Vor- entwickeln. Interreligiöser Dialog setzt Glaubenden. Da sich christliche Glau-
rangstellung der eigenen Religion aus- die Haltung voraus, die Perspektive bensgemeinschaften, und damit die
geht, anderen Religionen aber auch wechseln zu wollen und dem Ande- verschiedenen Kirchen, aufgrund ge-
Anteile an der Wahrheit bzw. dem Heil ren aufmerksam, respektvoll und auf- schichtlicher Entfremdungs- und Spal-
zugesteht. Deshalb ist ihnen gegen- geschlossen zu begegnen. Konflikte tungsprozesse in ihren Bekenntnissen
über Wertschätzung angebracht, al- werden nicht prinzipiell vermieden, unterscheiden können, wurde der Be-
lerdings nur insoweit, wie sich deren sondern produktiv ausgetragen. Ge- griff ab dem 19. Jahrhundert synonym
religiöse Überzeugungen in die eige- meinsamkeiten werden gestärkt und für die verschiedenen christlichen Kir-
ne integrieren lassen. Aus der Sicht Differenzen nicht ausgeblendet, son- chen verwendet. Entsprechend wird
des II. Vatikanischen Konzils (1962– dern respektvoll angesprochen und Schülerinnen und Schülern Unterricht
65), das in der Enzyklika Nostra Ae- behandelt. in christlicher Religion nach Konfes-
tate das Verhältnis der Kirche zu den Interreligiöser Dialog kann auch das sionen getrennt, d.h. konfessionell
nichtchristlichen Religionen bestimmt, gemeinsame Handeln von Menschen erteilt. Neben diesem abgrenzenden
bedeutet dies, dass es auch in ande- unterschiedlicher Religionsgemein- Gebrauch des Begriffs verweist er zu-
ren Religionen etwas geben kann, was schaften einschließen, wenn sich Men- gleich auf eine Gemeinsamkeit aller
wahr und heilig ist. Das Konzil spricht schen z. B. in einem sozialen Projekt Christinnen und Christen. Der Glaube
in diesem Zusammenhang vom „Strahl gemeinsam engagieren oder sich zu verlangt danach, vor anderen und in
jener Wahrheit, die alle Menschen er- einem ethischen oder politischen The- der Welt bezeugt und bekannt zu wer-
leuchtet“ (NA 2). Gleichzeitig betont ma gemeinsam äußern. den. Nur so bleibt er authentisch. Die
es, dass die Fülle der Wahrheit durch christlichen Kirchen tun dies wiederum
Christus offenbar werde. In diesem Jahwe: Das Wort Jahwe ist im Alten Tes- nicht uniform, sondern in unterschied-
Sinne brauche man die anderen Re- tament der Name des Gottes Israels. lichen Profilen.
ligionen nicht zu verurteilen, denn sie An 6828 Stellen findet sich dort die-
seien nicht aus Gottes Wahrheit und ser Name. In der hebräischen Sprache Konstruktivismus ist eine Erkenntnis-
Heil ausgeschlossen, sondern darin umfasst der Name Gottes drei Wörter, theorie, die davon ausgeht, dass es
eingeschlossen. Doch enthalten sie die nicht in der ersten Person Singular, dem Menschen nicht möglich sei, eine
nur Teilwahrheiten und bedürfen der sondern in der dritten Person Singu- objektive Wirklichkeit zu erkennen. Er
vollen Wahrheit des Christentums. lar formuliert sind: ehje asher ehjeh. geht davon aus, dass die äußere Re-
Übersetzungen dieses Namens ori- alität, die wir über Sinneseindrücke
Institution: Institutionen sind anerkannte entieren sich an Ex 3,14. So übersetzt aufnehmen, nicht passiv empfangen,
Gebilde sozialer Ordnung, welche das dies die Einheitsübersetzung mit Ich sondern vom denkenden Subjekt ak-
menschliche Zusammenleben auf Dau- bin, der ich bin während manche Ex- tiv konstruiert werde. Dieselben äuße-
er normativ strukturieren. Da Instituti- egeten Übersetzungen wie Ich bin da ren Sinnesreize können im Zuge der
onen das Zusammenleben entlasten und werde da sein als dein helfender individuellen Verarbeitung zu ganz
und zugleich die individuelle Selbstbe- und heilvoller Gott, was auch gesche- unterschiedlichen (inneren) Wirklich-
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stimmung und -verwirklichung garan- he (Alfons Deißler) oder Er ist da und keiten führen. Deshalb gibt es im
tieren sollen, befindet sich die Institu- er will da sein so, wie er von seinem Konstruktivismus kein Erkennen der
tion in einem Spannungsverhältnis von tiefsten Wesen her da sein will: näm- Wirklichkeit an sich. Was der Mensch
Ordnung und Freiheit. Institutionen lich als der, der befreit und vom Tod von der Wirklichkeit wisse, sei im-
generell und die Kirche als Institution zum Leben hinüberführen will (Erich mer subjektiv gefiltert, immer auch
im Besonderen sehen sich ständig vor Zenger) vorschlagen. Mit diesen Über- Produkt seiner eigenen, individuel-
der Aufgabe, sich zu legitimieren und setzungsversuchen soll ausgedrückt len Deutungskonstrukte, die er sich
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12 Wege zum Abitur · RiS 11/12 · © IRP-Freiburg


K–M
Wege zum Abitur
Glossar

im Lauf der Biographie angeeignet Martyria (griechisch: Verkündigung, schichtlich geht die Erkenntnis der

Glossar
habe. Radikal gedacht würde dies zur Zeugnis) gehört zu den Grundvollzü- individuellen Menschenwürde auf die
Einsicht führen, dass alle Wirklichkeit gen der Kirche. Nicht zuletzt aufgrund antike Naturrechtslehre zurück (Pla-
letztlich erfunden sei. Dieser Denkan- des gesellschaftlichen Wandels (Säku- ton, Aristoteles, Seneca). Aufgrund
satz verunsichert viele Menschen, weil larisierung) muss die Weitergabe des ihrer Würde sind alle Menschen Trä-
er eine verlässliche gemeinsame Basis Glaubens heute zeugnishaft gesche- ger unveräußerlicher und jeder posi-
des Zusammenlebens in Frage stellen hen. Das Bekenntnis zur Botschaft Jesu tiven Gesetzgebung vorausliegender
könnte. Andererseits kann konstrukti- kann nur im Erzählen und Erinnern an Menschenrechte, die zu schützen und
vistisches Denken aber auch vor Ideo- das, was Menschen in der Begegnung zu garantieren Grund und Ziel aller
logien schützen, weil es der Mehrper- mit dem christlichen Gott erfahren ha- Rechtsordnungen sein sollte.
spektivität von Wirklichkeit Rechnung ben oder erfahren, überzeugend wei-
trägt und der Verabsolutierung der tergegeben werden. Bekennen ist ein Messias: Mit dem Begriff Messias ver-
eigenen Interpretation vorbeugt. öffentlicher Akt, hat immer eine Nähe bindet sich die aus dem Hebräischen
zum Erfahrungszeugnis des Glaubens stammende Vorstellung eines von Gott
Liturgia – Gottesdienst – gehört zu den und unterscheidet sich von theologi- gesandten Gesalbten und Retters, den
Grundvollzügen der Kirche. Im Got- scher und philosophischer Argumen- das Volk Israel zur Zeit Jesu erwartete.
tesdienst tritt der Einzelne und die tation, da sie dieser vorausgeht. Zur In dieser Vorstellung verbinden sich
Gemeinschaft der Glaubenden aus Martyria gehört es auch, sein Leben prophetische und königliche Aspek-
dem Alltag, aus den Zwängen und im Sinn der christlichen Werte zu ge- te. Die Erwartungen erstreckten sich
Verpflichtungen, heraus und kann so stalten. nicht nur auf rein religiöse Aspekte,
eine reflektierte Distanz zum Leben sondern auch auf die politische Ebe-
gewinnen. Gottesdienste und Feste Menschensohn: Der Begriff Menschen- ne. Die Vorstellung des befreienden
vergegenwärtigen das Heilshandeln sohn wurde zunächst alttestamentlich Handelns Jahwes führte besonders in
Gottes – an seinem Volk und in Jesus verwendet, an verschiedenen Stellen der Apokalyptik zur Erwartung, dass
Christus – in Geschichte und Gegen- auch im Sinne des Menschenkindes Gott einen königlichen Retter schicken
wart und stellen somit das Zentrum (z. B. Ps 8,5). In prophetischen Texten könnte, der das Reich Davids wieder-
des kirchlichen Lebens dar. Mit ihren und besonders in nachexilischer Zeit aufrichten und die Fremdherrschaft
Formen, Riten und Symbolen beglei- bildet sich unter der Bezeichnung des durch die Römer beenden würde. Die
ten und gestalten Gottesdienste und Menschensohnes die Vorstellung einer verschiedenen Gruppen zur Zeit Jesu
Feste wichtige Stationen des Lebens. Erlösergestalt heraus: Zunächst findet – ausgenommen die Tempelaristo-
sich der Begriff als Selbstbezeichnung kratie der Sadduzäer – waren von der
Logos: Logos ist einer der zentralen Be- des Propheten Ezechiel z. B. in Ez 2,1 Erwartung eines Messias geprägt, ver-
griffe der johanneischen Theologie, und 8,5. In besonderer Weise wandelt banden aber jeweils unterschiedliche
insbesondere des Johannesevange- sich die Figur des Menschensohnes Vorstellungen mit dessen Ankunft. In
liums (JohEv). Im Prolog Joh 1,1–18 im Buch Daniel zu einer Gestalt, die der griechischen Übersetzung Christos
wird das Kommen Jesu in Beziehung das Weltgericht bringt (vgl. Dan 7,13). wird die Vorstellung des Gesalbten auf
gesetzt zur Vorstellung des göttli- Diese Vorstellung wird im Neuen Tes- Jesus übertragen und drückt so in der
chen Logos, der in die Welt kommt. tament auf Jesus angewendet und Verbindung mit dem Namen Jesus ein
Dabei werden Motive des weisheit- damit sein Auftreten – entsprechend eigenes Bekenntnis aus: Jesus ist der
lichen Denkens, das die Vorstellung den apokalyptischen Vorstellungen im Christus, der Messias.
der göttlichen – weiblich gedachten Frühjudentum – in den Zusammen-
– Weisheit als einer eigenen Größe im hang des Gerichts gestellt. Diese Be- Modi der Weltbegegnung: Wirklichkeit
Kontext der Gottesvorstellung kennt, zeichnung findet sich an prominenten ist mehrdimensional, d.h. sie wird je
deutlich. Diese Vorstellungen verbin- Stellen aller vier Evangelien, meist als nach Blickwinkel unterschiedlich wahr-
det das JohEv mit dem Denken der Selbstbezeichnung Jesu: z. B. Mk 2,10 genommen und unterschiedlich inter-
griechisch-hellenistischen Philosophie Vollmacht des Menschensohnes; Mk pretiert. Zu dieser einen Wirklichkeit
und der Idee des Logos als eines ver- 10,45 Hingabe und Dienst des Men- gibt es deshalb unterschiedliche Zu-
nunftgemäßen Prinzips, das sich als schensohnes; Lk 12,40 und Joh 5,27 gänge, die auch als Modi der Welt-
schöpferisches Wort zeigt. Davon Kommen des Menschensohnes zum begegnung bezeichnet werden. Der
ausgehend bildet der Begriff des Lo- Gericht. Bildungsforscher Jürgen Baumert hat
gos eine Brücke zwischen biblischen vier zentrale Modi der Weltbegeg-
Schöpfungstexten und der Schöpfung Menschenwürde bezeichnet die Sum- nung identifiziert, die im Zusammen-
durch Gottes vollmächtiges Wort in me aller Werte, die ausschließlich dem hang mit einer umfassenden Allge-
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Gen 1,3 und der philosophischen Menschen, aber gleichermaßen allen meinbildung allesamt notwendig sind
Denkwelt. Das JohEv wendet diese Menschen – unabhängig von Herkunft, und sich gegenseitig nicht ersetzen
Vorstellung auf Jesus an und versteht Geschlecht, Entwicklungsstand, Bil- können. Neben dem mathematisch-
das Kommen Jesu insofern im doppel- dung, Besitz usw. – zukommen. Bib- naturwissenschaftlichen, dem sprach-
ten Bezug auf die göttliche Weisheit lisch-theologisch folgt die Menschen- lich-ästhetischen und dem gesell-
des AT und das vernunftgemäße Prin- würde aus der Ebenbildlichkeit schaftlich-politischen Zugang bieten
zip der zeitgenössischen Philosophie. Gottes (Gen 1,26f). Philosophiege- Religion und Philosophie eine eigene
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Wege zum Abitur · RiS 11/12 · © IRP-Freiburg 13


M–P
Wege zum Abitur
Glossar

Art und Weise, Wirklichkeit zu verste- Weise erfasst wird, wie Gott sich den testamentlichen Überlieferungen die
Glossar

hen. Sie sind für Fragen konstitutiver Menschen mitteilt. Bis zum Zweiten Va- Erzählungen vom Leiden und Sterben
Rationalität zuständig, die darauf ab- tikanischen Konzil (1962–1965) wurde Jesu bezeichnet, die von den Evange-
zielen, der Welt einen Sinn zu geben. unter Offenbarung in erster Linie eine listen überliefert wurden. Diese Dar-
Lehre im Sinne von Anweisungen ver- stellungen sind zum Teil voneinander
Monotheismus (Wortwurzeln von grie- standen: Gott teilt den Menschen mit abhängig, zeigen aber jeweils eine ei-
chisch monos: eins und theos: Gott) der Bibel und – in katholischer Sicht genständige Darstellung und Deutung
bezeichnet den Glauben an den einen – durch die kirchliche Tradition mit, der Person Jesu.  
Gott im Unterschied zum Polytheis- wie sie sich zu verhalten haben. Die Im Allgemeinen wird unter Passion
mus, dem Glauben an viele Götter. angemessene Reaktion auf dieses Of- theologisch die Leidensgeschichte
Monotheistinnen und Monotheisten fenbarungsverständnis ist Gehorsam. Jesu verstanden, in der sich die Fra-
betonen, dass es neben dem einen Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil ge der Theodizee und des Mitleidens
Gott keine anderen Götter gibt. Mo- hat sich das Offenbarungsverständnis Gottes in besonderer Weise stellen
notheistische Weltreligionen sind – in geändert: Es stehen nicht mehr die In- und sich Antwortperspektiven zeigen.  
der Reihenfolge ihrer Entstehung – Ju- struktionen im Vordergrund, sondern
dentum, Christentum und Islam. Eine die Selbstmitteilung Gottes. Gott hat Person: Der theologische Begriff Person
kritische Anfrage, mit der sich der Mo- sich in Jesus Christus selbst offenbart. hat eine lange Traditionsgeschichte. Er
notheismus auseinandersetzen muss, Die angemessene Reaktion des Men- stammt aus dem antiken Theater und
ist die Frage nach dem Gewaltpoten- schen auf diese Selbstgabe Gottes ist bezeichnet die Maske, die die Schau-
tial, das sich aus dem Anspruch auf ebenso ganzheitlich wie dialogisch. spieler tragen, durch die die verkör-
Ausschließlichkeit ergeben kann. In Menschen dürfen Gott vertrauen, in perte Person hindurchtönt. Im Ringen
aktuellen Theologien lassen sich Mo- Beziehung zu ihm leben und dem Bei- um die Frage, wer Jesus Christus ist,
notheismus, Toleranz und Religions- spiel Jesu folgen. wird er in die Gottesvorstellung über-
freiheit miteinander verbinden. Aus tragen, um die Vielfalt der Äußerungen
muslimischer Sicht ist der christliche Ökumene: Mit dem aus der Antike stam- Gottes mit der Einheit Gottes denken
Glaube an die Trinität schwer mit dem menden Begriff (ursprünglich: der be- zu können. Von der Gottesvorstellung
Monotheismus zu vereinbaren. wohnte Erdkreis) wird zunächst die kommend, wird der Begriff Person
Tatsache beschrieben, dass es von dann für den Menschen gebraucht.
Nachhaltigkeitsprinzip: Wirtschaftlicher Anfang an eine Vielfalt von christli- Er bezeichnet die Eigenständigkeit,
Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und chen Kirchen und Konfessionen auf Einmaligkeit, Unverwechselbarkeit
Ökologie sind in der Globalisierung der Welt gab und gibt. Das Verhält- und unantastbare Würde einerseits
eng verflochten. 1987 hat die UN nis mancher Kirchen untereinander und die Bezogenheit des Menschen
Nachhaltigkeit definiert als Entwick- ist jedoch durch Spaltung, Trennung auf andere, durch die er wird und die
lung, welche die Bedürfnisse der Ge- und Streit in der Geschichte belastet. durch ihn hindurch tönen, durch die
genwart befriedigt, ohne zu riskieren, Besonders die Kirchenspaltung in öst- er aber gleichzeitig eigenständig, ein-
dass künftige Generationen ihre Be- liche (orthodoxe) und westliche (katho- malig, unverwechselbar wird und seine
dürfnisse nicht mehr befriedigen kön- lische) Kirchen sowie die zwischen der unantastbare Würde erhält, letztlich
nen. römisch-katholischen und den Kirchen darin seine Bezogenheit auf Gott. Ver-
Für die Kirche erwächst die Pflicht zur des Protestantismus in Folge der Re- nunft, Freiheit, Sprache entwickeln sich
Nachhaltigkeit aus der Schöpfungs- formation sind als besonders folgen- in diesem Beziehungsgeschehen und
theologie. Im biblischen Denken ist reich und schmerzlich zu benennen. sind Ausdruck der Person; Mündigkeit,
die Dimension der Verantwortung Da dies offensichtlich der christlichen Selbstbestimmung, Verantwortung
für die Schöpfung darin begründet, Lehre von der Nächstenliebe und der ihre Aufgabe.
dass der Mensch Geschöpf unter Mit- Einheit der Christinnen und Christen
geschöpfen ist. Er soll die Erde kulti- widerspricht, werden seit der zwei- Personalitätsprinzip: Das Personalitäts-
vieren, sie als Lebensraum bewahren. ten Hälfte des 20. Jahrhunderts alle prinzip kann auch als Leitprinzip der
Das 1997 veröffentlichte Wort des Ra- Bemühungen um die Einheit auf den katholischen Soziallehre charakterisiert
tes der Evangelischen Kirche und der verschiedenen kirchlichen Ebenen, in werden. Der Mensch wird als Person
Deutschen Bischofskonferenz Für eine kirchlichen Institutionen und unter den in den Mittelpunkt gestellt: jeder
Zukunft in Solidarität und Gerechtig- Gläubigen als Ökumene verstanden. Mensch ist als Geschöpf einzigartig,
keit hat die Nachhaltigkeit als neues Der Begriff Ökumene meint daher in ausgestattet mit freiem Willen, Ver-
Sozialprinzip in die kath. Soziallehre einem weiteren Sinn den langwierigen nunft und Gewissen. Zur Entfaltung
eingeführt. 2015 weist Papst Franziskus Prozess der Verständigung und Ver- seiner Persönlichkeit braucht er die
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in der Enzyklika Laudato si‘ eindrück- söhnung auf die Einheit in Verschie- Begegnung mit anderen Menschen,
lich auf soziale Ungerechtigkeit und denheit hin. insofern ist er Individuum und zugleich
die Erschöpfung natürlicher Ressour- Sozialwesen. In der Gesellschaft ist
cen hin. Passion  (von griechisch pas‘chein lei- der Mensch Schöpfer und Gestalter,
den, durchstehen; von lateinisch pati mit dem Ziel einer Gemeinschaft zum
Offenbarung ist der theologische Re- erdulden, erleiden). Mit Passionserzäh- Wohl aller Menschen. Das Personali-
flexionsbegriff, mit dem die Art und lungen werden im Kontext der neu- tätsprinzip geht vom Menschen aus
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14 Wege zum Abitur · RiS 11/12 · © IRP-Freiburg


P–S
Wege zum Abitur
Glossar

und macht ihn zum Maßstab der po- existentieller Krisen Israels auftreten, aufgerichtet wird. Dies geht mit einer

Glossar
litisch-ökonomischen Gesellschafts- zeigen sie sich oft als Unheilsprophe- Neuordnung der Lebensverhältnisse
verfassung. Gen 1,27 verweist auf die ten, indem sie Jahwes Gericht oder der Menschen untereinander einher.
zentralen Aspekte des Personalitäts- den Untergang des Reiches ankündi- Diese neue Lebensordnung wird von
prinzips, genauer: auf den Menschen gen. Sie legitimieren sich durch ihre Gott her errichtet und ist schon im
als Ebenbild Gottes in Freiheit, Selbst- Berufung und äußern dies sprachlich Wachsen begriffen (vgl. Wachstums-
verantwortung und personaler Würde. durch die Formel „So spricht Jahwe“. gleichnisse). Mit und in Jesu Kommen,
Die Propheten entstammen ganz un- seinem Auftreten und Wirken wird
Pluralismus: Als pluralistisch wird eine terschiedlichen Gesellschaftsgruppen: diese neue Ordnung aufgedeckt und
religiöse Überzeugung bezeichnet, die Amos und Micha sind Bauern, Jesaja sichtbar. An seinem Handeln lässt sie
von einer prinzipiellen theologischen ein Weisheitslehrer, Jeremia und Eze- sich ablesen und in seinem Tun wird
Gleichberechtigung aller (Welt-)Religi- chiel gehören der Priesterschaft an. die damit verbundene Zuwendung
onen ausgeht. Wahrheit und Heil kön- Teilweise unterstreichen sie ihre Bot- Gottes erfahrbar. Entscheidend ist die
nen in anderen Religionen im gleichen schaft durch eindrückliche Zeichen- eschatologische Perspektive auf dieses
Maß vermittelt werden wie in der eige- handlungen (z. B. Jes 20, Jer 19). Die Geschehen: Mit dem Reich Gottes ver-
nen Religion. Das pluralistische Modell Prophetensprache ist oft sehr deutlich bindet sich die Hoffnung auf das end-
grenzt sich programmatisch von Ex- und bilderreich; dies trifft besonders zeitliche Heil, das in zeitgenössischen
klusivismus und Inklusivismus ab und für das prophetische Gerichtswort zu. jüdischen Vorstellungen auch mit dem
verwirft den in diesen Modellen im- In ihren Reden prangern sie Missstän- Gericht verbunden ist. Das Kommen
plizierten Absolutheitsanspruch. Dem de an, zeigen soziale Ungerechtigkei- des Reiches Gottes steht in der Span-
pluralistischen Modell zufolge hat sich ten auf und kritisieren mangelnden nung des sogenannten eschatologi-
Gott den Menschen auf unterschied- oder falschen Gottesglauben. Erst schen Vorbehaltes.
liche Art und Weise offenbart, sodass nach dem babylonischen Exil werden
die Menschen – je nach kultureller und die großartigen Heilsworte aufgezeigt, Religionskritik: Der Begriff Religionskritik
geschichtlicher Gegebenheit – zu un- die später von den Christen auf den kam im 19. Jahrhundert im Zeitalter
terschiedlichen Aussagen über die Messias Jesus hin interpretiert werden. der Aufklärung auf. Die, ausgehend
transzendente Wirklichkeit gekommen von Kant, geforderte Betonung der
sind. Gerade diese religiöse Vielfalt Rechtfertigung: Wenn im zwischen- Vernunft hatte eine Welle von Kritik
erfährt im Pluralismus Wertschätzung. menschlichen Umgang Fehler ge- an Religion zur Folge. Betont wurde
Das aus Südasien stammende Bild von macht werden, wird das Verhalten oft die Nichtvereinbarkeit von Glaube
den Blinden, die an unterschiedlichen gerechtfertigt, indem Gründe und und Vernunft, infolgedessen wurden
Stellen einen Elefanten betasten, ver- Ursachen genannt werden. Rechtfer- auch Religionsgemeinschaften und
anschaulicht das pluralistische Mo- tigung zielt also auf die Richtigstel- Kirchen kritisiert als Instanzen, die
dell vielleicht am besten: Alle Blinden lung von Falschem. Weil Menschen in den eigentlich mündigen Menschen
kommen zu scheinbar unvereinbaren letzter Konsequenz nicht dem eige- in Abhängigkeit und Unselbstständig-
Aussagen über das, was sie mit ihren nen Anspruch und Potential gerecht keit hielten. Es gab aber auch immer
Händen betastet haben, und sollten werden können und auch nicht dem, Kritikerinnen und Kritiker einer Reli-
doch ihre innere Nähe und Überein- was Gott den Menschen zugedacht gion aus den eigenen Reihen. Häufig
stimmung wahrnehmen. Kritisiert wird hat, ist Rechtfertigung auch zentraler waren dies Personen oder Gruppen,
am pluralistischen Modell, dass es Un- Gegenstand theologischer Reflexion. die führende Vertreter der Religions-
terschiede unterbewerte und Wider- Die Rechtfertigungslehre fragt danach, gruppe durch ihr Verhalten oder ihre
sprüche zwischen den Religionen nicht wie das gute Verhältnis zwischen Gott Anklagen darauf hinwiesen, dass sie
plausibel machen könne. und Mensch angesichts menschlicher den eigentlichen Geist der Religion
Schuld wiederhergestellt werden kann. nicht mehr verkörperten (z. B. Prophe-
Prophet: Im Alten Testament sind Pro- Die zentrale Erkenntnis Martin Luthers, ten oder Martin Luther).
pheten Menschen, die von Jahwe be- dass ausschließlich Christus den Men- Heutige Religionskritiker betonen häu-
rufen werden (nabi: Berufener), um schen rechtfertigen kann und sich der fig die Verbindung von Religion und
seinen Willen zu verkünden. Sie sind Mensch den Himmel nicht aufgrund Gewalt. Sie kritisieren, dass fundamen-
das Sprachrohr Gottes und verkün- seiner Leistung verdienen kann, ist talistisch argumentierende Gläubige
den dem Volk Israel Gottes Willen in seit der Gemeinsamen Erklärung zur ihren Glauben meist für den einzig
der jeweiligen geschichtlichen Situa- Rechtfertigungslehre 1997 zwischen richtigen halten. Die daraus abgeleite-
tion. Man unterscheidet am Umfang katholischer und evangelischen Kir- te Abwertung Andersgläubiger mün-
ihrer Schriften die großen Propheten chen weitgehend Konsens. de in der Regel in Gewalt; deshalb sei
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Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel eine Welt ohne Religion(en) friedlicher.
und die kleinen Propheten des Zwölf- Reich Gottes (griechisch basileia: wört-
prophetenbuchs (u. a. Hosea, Amos, lich Königreich). Das Reich Gottes stellt Sakrament: Grundlegend für das Ver-
Maleachi). Neben diesen Schriftpro- einen der Kerngedanken der Verkün- ständnis von Sakramenten ist die
pheten gibt es weitere in den Büchern digung Jesu dar. Damit ist die Vorstel- christliche Gottesvorstellung, wonach
der Könige, z. B. Elija, Elischa und Na- lung verbunden, dass von Gott her eine Gott den Menschen in und als Liebe
tan. Da die Schriftpropheten während neue Ordnung des Zusammenlebens nahekommen und ihr Leben verwan-
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S–T
Wege zum Abitur
Glossar

deln will und in Jesus Christus für uns mentlichen Tradition eine der zentra- Gruppen überfordert sind, ist die Un-
Glossar

Mensch geworden ist. Das als Gna- len Deutungen der Person Jesu. Die terstützung dieser Instanzen gefordert.
de bezeichnete Geschenk der Liebe Vorstellung des Sohnes Gottes findet Nach dem Subsidiaritätsprinzip bie-
Gottes erfahren Menschen als Be- im altorientalischen Kontext in beson- tet die Gemeinschaft ihren Gliedern,
freiung, Heilung und Heil. In sinnlich derer Weise für die Figur des Königs wenn notwendig, sinnvolle Hilfe an,
erlebbaren Zeichen und Worten wird Verwendung. So sind in den babyloni- ohne jedoch deren Eigeninitiative zu
dies wirksam, sichtbar und erfahrbar, schen und ägyptischen Vorstellungen unterbinden. Biblisch beschrieben und
so dass der Mensch zustimmend auf die Könige die Söhne Gottes bzw. ei- theologisch begründet wird das Sub-
Gottes Zuwendung antworten kann. ner Gottheit. In Israel findet sich zu- sidiaritätsprinzip z. B. in Gal 6,2 sowie
Da sich in den Sakramenten bereits die nächst die Formulierung des ganzen in Ex 18,12–26.
Wirklichkeit einer neuen Schöpfung Volkes als erstgeborener Sohn oder
und des Reiches Gottes ereignet, wird Kind Jahwes (vgl. Ex 4,22; Hos 11,1). In Synodalprinzip: Eine Synode (griechisch:
die Spendung der Sakramente in einer Ps 2 wird der König durch seine Thron- gemeinsamer Weg) ist eine kirchliche
eigenen Liturgie zum Lob Gottes ge- besteigung zum Sohn Gottes. Diese Zusammenkunft mit den Aufgaben ge-
feiert. Die Bedürftigkeit der Menschen Vorstellung der Inthronisation wird meinsamer Beratung, Konsensbildung
nach der Zuwendung Gottes zeigt sich im NT aufgegriffen und als Zugang und Entscheidung. Anfänge gehen be-
in bestimmten Lebenssituationen und verwendet, um das Geschehen des reits auf das 2. Jh. zurück. Das 2. Vati-
an herausgehobenen Knotenpunkten Kommens Jesu und seinen Anspruch kanische Konzil äußert den dringlichen
des Lebens. Daher haben sich im Laufe zu deuten. Von besonderer Relevanz Wunsch, auf allen Ebenen der Kirche
der Kirchengeschichte sieben Sakra- ist der Titel Sohn Gottes v.a. deshalb, das synodale Prinzip zu stärken. So
mente herauskristallisiert: Taufe, Eu- weil sich die an Jesus Glaubenden als wurde z. B. der Pfarrgemeinderat als
charistie, Firmung, Versöhnung, Kran- in diese Beziehung des Sohnes zum beratendes Gremium eingerichtet. Mit
kensalbung, Ehe und Priesterweihe. Vater Hineingenommene verstehen. Hilfe von nationalen Synoden sollten
Da die Sakramente an die Gemein- Insofern sind alle, die an Christus glau- die Beschlüsse des Konzils vor Ort um-
schaft der Kirche rückgebunden sind ben, Töchter und Söhne Gottes. gesetzt werden (Würzburger Synode
und zum Teil auch die Mitgliedschaft 1972–1975). Ziel war es, das neue Bild
in ihr begründen, wird die Kirche auch Solidaritätsprinzip: Das Solidaritätsprin- der Kirche als Volk Gottes institutionell
als Grund-Sakrament bezeichnet. Ihr zip ist Teil der klassischen Sozialprin- abzubilden. Dennoch bleibt bis heute
geht Jesus Christus als Ur-Sakrament zipien der katholischen Soziallehre. die Spannung zwischen dem synoda-
der Liebe Gottes immer voraus. Es hebt auf die Beziehung der Men- len und dem zentralistischen Prinzip
schen untereinander ab. Menschsein innerhalb der Katholischen Kirche be-
Schuld und Sünde: Wo in Freiheit gehan- entwickelt sich in wechselseitiger Ver- stehen.
delt wird, kommt es zu Fehlern. Trotz bundenheit und Verpflichtung der Per-
bester Absichten handeln Menschen sonen untereinander. Wie das Perso- Theodizee (griechisch: Rechtfertigung
falsch und verletzen sich oder andere: nalitätsprinzip zeigt, ist jeder Mensch Gottes) Der Begriff, der auf den Phi-
Schuld bzw. schuldig werden gehört auf Gemeinschaft angewiesen. Gleich- losophen Gottfried Wilhelm Leibniz
zum Menschsein dazu. Handelt der zeitig ist jede Gemeinschaft abhängig (1646-1716) zurückgeht, wirft die Fra-
Mensch gegen sein Gewissen oder von dem Mittun ihrer Mitglieder. Nur ge auf, wie der Glaube an einen all-
egoistisch, wird er seinen Möglichkei- im Miteinander lässt sich Gemeinschaft mächtigen, gütigen und gerechten
ten und nach christlicher Vorstellung gestalten. Als Grundsatz gilt: Einer für Gott angesichts des Leids in der Welt
seiner Bestimmung nicht gerecht. alle, alle für einen. Das Solidaritätsprin- zu rechtfertigen sei. Die Antwortver-
Mit Sünde (Wortwurzel: absondern) zip stellt eine sittliche Verpflichtung suche gehen von der Modifikation der
wird eine Störung im Verhältnis des des Menschen dar, sich gemäß seiner Eigenschaften Gottes über die Neu-
Menschen zu Gott klassifiziert – wenn sozialen Natur zu verhalten und Verant- interpretation des Übels bis hin zum
der Mensch das ihm zugedachte Po- wortung für Andere zu übernehmen. Argument der Willensfreiheit (free-will-
tential etwa durch egozentrisches Für die theologische Begründung des defense), das darin besteht, dass das
Handeln missachtet und negiert. Eine Prinzips kann auf verschiedene bibli- vom Menschen verursachte Leid eine
theologische Reflexion von Sünde sche Texte verwiesen werden, so z. B. Folge des menschlichen Missbrauchs
muss Maß nehmen am liebenden Um- Phil 2,5–8 und Joh 3,17. seiner Freiheit ist. Besonders nach
gang Jesu mit den Menschen seiner Auschwitz stellt sich die Frage noch
Zeit, die als Sünderinnen und Sünder Subsidiaritätsprinzip: Das Subsidiaritäts- drängender, wie und ob überhaupt
gewertet wurden. Das Gleichnis vom prinzip ist Teil der Sozialprinzipien der angemessen von Gott gesprochen
verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) und die katholischen Soziallehre. Das Prinzip werden kann.
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darin ausgedrückte Aufforderung zu unterstreicht die Eigenständigkeit des


Umkehr, Vergebung und Zusicherung Einzelnen bzw. von Gruppen in einer Theologie: setzt sich aus den beiden
einer bleibenden Liebe Gottes kann Gemeinschaft. Was einzelne Personen griechischen Worten theos (Gott)
hier im Zentrum stehen. oder kleinere Gemeinschaften leisten und logos (Wort, Lehre) zusammen.
können, soll nicht von übergeordneten Diese Lehre über Gott beinhaltet die
Sohn Gottes: Hinter dem Begriff Sohn Instanzen übernommen werden. Wenn wissenschaftliche Auseinandersetzung
Gottes verbirgt sich in der neutesta- jedoch der Einzelne oder kleinere mit den biblischen Schriften (Exege-
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Wege zum Abitur
Glossar

se des Alten und Neuen Testaments), den zwischenmenschlichen Bereich als die Jüngerinnen und Jünger ihre

Glossar
den historischen Quellen (Kirchenge- ebenso wie zwischen Gott und den vorösterlichen Erfahrungen mit Jesus
schichte), den Glaubensinhalten und Menschen. Wird Vergebung gewährt durch eine österliche Brille, also im
ihren Konsequenzen für das mensch- und trifft sie zudem auf Reue und ech- Licht der Auferstehungserfahrungen
liche Handeln (Dogmatik, Fundamen- te Bereitschaft zur Umkehr, wird ein sahen. Die Erzählungen der Evange-
taltheologie und Ethik) und mit der Neuanfang möglich, die Schuld steht lien vom Leben Jesu wurden somit
religiösen Praxis (Religionspädagogik nicht mehr zwischen den Menschen. von Menschen verfasst, die von der
und praktische Theologie). Im Zentrum der neutestamentlichen Osterbotschaft überzeugt waren. Da-
Botschaft Jesu steht die bedingungs- her sind sie keine Tatsachenberichte,
Theologie der Befreiung fasst theologi- lose Zusage von Gottes Liebe. So ist sondern – wie auch die neutestament-
sche, mit konkreten praktischen Hand- es den Menschen, die Vergebung er- lichen Briefe – Verkündigungsschriften
lungsimpulsen verbundene Reflexio- fahren, möglich, ihrerseits zu vergeben und somit Bekenntnisse zum Christus
nen zusammen, die seit den 1960er (vgl. Vaterunser; Mt 18,21f.) des Glaubens, dem Messias und auf-
Jahren in Lateinamerika ihren Ausgang erstandenen Herrn.
nahmen. Erfahrungen von Armut, sozi- Volk Gottes gilt seit dem II. Vaticanum als
aler Ungerechtigkeit und fragwürdigen ekklesiologische Basismetapher. Lu- Zeichen der Zeit: Evangelische und ka-
Verbindungen von Kirche und Macht, men Gentium, die dogmatische Kon- tholische Theologinnen und Theolo-
stehen zentrale Aussagen der Bibel stitution über die Kirche aus dem Jahr gen (z. B. Paul Tillich, Joseph Cardijn)
wie Exodus-Motiv, prophetische Kritik 1964, widmet sich im zweiten Kapitel erhoben zu Beginn des 20. Jh. die For-
oder die klare Verortung Jesu an der dieser Metapher für die Kirche. Volk derung, die Gegenwart prophetisch
Seite der Ausgestoßenen seiner Zeit Gottes nimmt zunächst Bezug auf Is- als Anruf Gottes zu verstehen. Das
gegenüber. Dieser Widerspruch führt rael als das erwählte Volk JHWHs und Zweite Vatikanische Konzil nahm diese
zu konkretem Einsatz für Befreiung aus die damit verbundene Heilszusage Forderung auf und formulierte in An-
ungerechten Verhältnissen. Gestärkt (Ex 6,7; Lev 26,12; Dtn 26,16–19). Im lehnung an Mt 16,3: Die Kirche habe
durch das Zweite Vatikanische Konzil Neuen Testament wird Jesus als „Licht „allzeit die Pflicht, nach den Zeichen
stehen sozialethische Impulse und die zur Erleuchtung der Völker“ (Lk 2,30 f.) der Zeit zu forschen und sie im Licht
Zusage und Mitarbeit an der Realisie- gepriesen, und die ersten Christinnen des Evangeliums zu deuten“ (GS 4).
rung einer befreienden Kraft des Evan- und Christen werden als „Volk Gottes“ Seither wird Zeichen der Zeit innerhalb
geliums im Zentrum. bezeichnet (1 Petr 2,9f), ohne dabei und außerhalb der Kirche als geflügel-
eine Abgrenzung oder einen Gegen- tes Wort verwendet, um die Notwen-
Trinität ist der Fachbegriff für den christ- satz zum Volk Israel aufzubauen. digkeit einer Gegenwartsanalyse und
lichen Glauben an den dreieinen oder An diesen Gebrauch von Volk Gottes einer sich daraus ergebenden Verän-
dreifaltigen Gott. Das Christentum knüpft das 2. Vatikanum an und stellt derung oder Erneuerung zu betonen.
gehört zu den monotheistischen Re- es als zentrales Kirchenbild vor. So
ligionen, die an einen Gott glauben kann kirchliche Vielfalt ebenso darge-
und betonen, dass es keine anderen stellt werden wie die Kontinuität zwi-
Götter gibt. Gott existiert nach dem schen Israel und der Kirche. Ebenso
christlichen Verständnis in drei Perso- kann der geschichtliche und eschato-
nen: Gott Vater, Gott Sohn und Gott logische Charakter von Kirche (pilgern-
Heiliger Geist. Person bedeutet in des Gottesvolk, LG 8) und die grundle-
diesem Kontext nicht Individuum im gende Gemeinsamkeit aller Gläubigen
neuzeitlichen Sinne, sondern Seinswei- verdeutlicht werden.
se. Gott – in der Vorstellung als Vater
und Mutter, ist Schöpfer und Ursprung Vorösterlicher Jesus – Christus des
allen Seins. Er kann als Gott über den Glaubens: Für das Verständnis aller
Menschen bezeichnet werden. Jesus biblischen Überlieferungen von Jesus
Christus ist Gottes Sohn, der zugleich Christus ist das Auferstehungsereignis
als wahrer Mensch und wahrer Gott entscheidend. Über den historischen
geglaubt wird: Gott mit den Men- (vorösterlichen) Jesus weiß man aus
schen. Der Heilige Geist geht aus dem einzelnen wenigen außerbiblischen
Vater und dem Sohn hervor und stärkt Quellen, dass er ein Wanderprediger
die Menschen: Gott in den Menschen. und Wunderheiler war, auch sein Tod
Wenn Menschen sich im Gebet an eine ist überliefert. Auch die Evangelien
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der drei göttlichen Personen wenden, lassen einzelne Taten (z. B. Heilungen)
beten sie zugleich immer zu dem ei- und Worte erkennen, die Forscher auf
nen Gott. den historischen Jesus zurückführen
und die schon zu seinen Lebzeiten wei-
Vergebung: Auf Vergebung hat nie- tererzählt wurden.
mand einen Anspruch – sie kann nur Die eigentliche christliche Verkündi-
freiwillig gewährt werden. Das gilt für gung entstand aber erst nach Ostern,
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