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Henning Wallentowitz | Arndt Freialdenhoven | Ingo Olschewski

Strategien in der Automobilindustrie


Aus dem Programm Kraftfahrzeugtechnik

Handbuch Verbrennungsmotor
herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer

Lexikon Motorentechnik
herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer

Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik


herausgegeben von H.-H. Braess und U. Seiffert

Automobildesign und Technik


herausgegeben von H.-H. Braess und U. Seiffert

Bremsenhandbuch
herausgegeben von B. Breuer und K. H. Bill

Fahrwerkhandbuch
herausgegeben von B. Heißing und M. Ersoy

Virtuelle Produktentstehung für Fahrzeug und Antrieb im Kfz


herausgegeben von U. Seiffert und G. Rainer

Handbuch Kraftfahrzeugelektronik
herausgegeben von H. Wallentowitz und K. Reif

Kraftfahrtechnisches Taschenbuch
herausgegeben von Robert Bosch GmbH

www.viewegteubner.de
Henning Wallentowitz | Arndt Freialdenhoven |
Ingo Olschewski

Strategien in der
Automobilindustrie
Technologietrends und Marktentwicklungen
Mit 227 Abbildungen

STUDIUM | ATZ/MTZ-Fachbuch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten


© Vieweg +Teubner | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Lektorat: Ewald Schmitt | Gabriele McLemore
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von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg


Satz: FROMM MediaDesign, Selters/Ts.
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
Printed in the Netherlands

ISBN 978-3-8348-0725-0
V

Vorwort

Die erste Auflage des Studienbuches „Strategien in der Automobilindustrie“ richtet sich
zum einen an Studenten der Fachrichtung Maschinenbau, Wirtschaftsingenieurwesen und
Betriebswirtschaftslehre mit der Vertiefungsrichtung Fahrzeugtechnik, die das vorliegen-
de Buch als Begleitunterlagen zur gleichnamigen Vorlesung nutzen können. Darüber
hinaus richtet sich das Buch aber auch an alle Interessierte, die sich einen aktuellen Über-
blick zu Marktentwicklungen und Technologietrends im Bereich der Automobilindustrie
verschaffen möchten. Diese Auflage spiegelt den derzeitigen Stand der gleichnamigen
Vorlesung wider, die seit 2005 an der RWTH Aachen angeboten wird.
Ausgehend von der heutigen Bedeutung der Automobilindustrie werden beobachtbare
Trends aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgezeigt, welche die Dynamik in dieser
Branche verdeutlichen. Ergänzend werden ausgewählte Veränderungstreiber detailliert
vorgestellt, welche die aktuellen Herausforderungen der Automobilindustrie beschreiben.
Darauf basierend werden Strategien der Fahrzeughersteller (OEM) sowie resultierende
Wirkungen auf die Zulieferer aufgezeigt. Neben verschiedenen Formen von Kooperatio-
nen und Standortstrategien wird auch auf den Aspekt des Markenmanagements einge-
gangen.
Einen Schwerpunkt in diesem Buch bildet die Vorstellung verschiedener Technologieana-
lysemethoden. In diesem Rahmen wird besonders auf die Bereiche des strategischen
Technologiemanagements, der potentialbasierten Bewertung und der Ableitung einer in-
dividuellen Technologiestrategie eingegangen.
Einen breiten Raum nehmen die Technologietrends verschiedener Fahrzeugbereiche ein,
die zum Teil bereits eingeschlagenen Entwicklungsrichtungen werden darstellen und mit
konkreten Produktbeispielen veranschaulicht. Die Themen gliedern sich dabei in die
Fahrzeugbereiche:
Karosserie mit Bauweisen sowie Plattform- und Modulstrategien, Antrieb mit einem
Schwerpunkt auf der zunehmenden Elektrifizierung des Antriebsstranges, Fahrwerk mit
Bremse, Lenkung und integrierten Chassissystemen sowie Fahrzeugelektronik, bei dem
die Aspekte Fahrerassistenz- und Fahrerkomfortsysteme beispielhaft beleuchtet werden.

Aachen/Braunschweig Henning Wallentowitz


im Oktober 2008 Arndt Freialdenhoven
Ingo Olschewski
Inhaltsverzeichnis VII

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ........................................................................................................................ V

1 Grundlagen der Automobilindustrie ................................................................ 1


1.1 Die Bedeutung der Automobilindustrie ..................................................... 2
1.2 Beobachtbare Trends ................................................................................. 8
1.2.1 Automobilstandort Deutschland ..................................................... 8
1.2.2 Mangelnde Fahrzeugqualität .......................................................... 8
1.2.3 Verkaufsfördernde Maßnahmen ..................................................... 9
1.2.4 Klimaschutz .................................................................................... 11
1.2.5 Ausweitung des Produktangebotes ................................................. 13
1.3 Fazit ........................................................................................................... 13

2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie ............................................ 14


2.1 Das globale Umfeld ................................................................................... 14
2.1.1 Der Kunde als Treiber für Veränderungen ..................................... 14
2.1.2 Technologische Veränderungstreiber ............................................. 18
2.1.3 Politisch-rechtliche Veränderungstreiber ....................................... 20
2.1.4 Ökonomische Veränderungstreiber ................................................ 21
2.2 Das brancheninterne Umfeld ..................................................................... 23
2.3 Fazit ........................................................................................................... 27

3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer ............... 28


3.1 Strategien der Automobilhersteller ............................................................ 28
3.2 Chancen und Risiken für Zulieferer ........................................................... 37
3.3 Fazit ........................................................................................................... 43

4 Kooperationen in der Automobilindustrie ....................................................... 44


4.1 Sonderformen und Fallbeispiele ................................................................ 47
4.1.1 Strategische Allianzen .................................................................... 47
4.1.2 Joint Ventures ................................................................................. 51
4.2 Übernahmen und Fusionen ........................................................................ 53
4.3 Fazit ........................................................................................................... 58

5 Standortstrategien in der Automobilindustrie ................................................ 59


5.1 Exkurs: China als Automobilstandort ........................................................ 65
5.2 Der Standort Deutschland .......................................................................... 69
5.3 Fazit ........................................................................................................... 73

6 Markenmanagement in der Automobilindustrie ............................................ 74


6.1 Grundlagen, Strategien und Trends ........................................................... 74
6.2 Beispiel: Markenvielfalt bei General Motors ............................................. 85
6.3 Fazit ........................................................................................................... 87
VIII Inhaltsverzeichnis

7 Technologieanalysemethoden ............................................................................ 89
7.1 Grundlagen der Technologieplanung ......................................................... 89
7.1.1 Entwicklungsstatus von Technologien ........................................... 92
7.1.2 Aspekte der Technologieplanung ................................................... 94
7.2 Strategisches Technologiemanagement ..................................................... 98
7.2.1 Technologiefrüherkennung ............................................................. 98
7.2.2 F&E-Aufwendungen und F&E-Personalstatistiken ........................ 99
7.2.3 Literaturrecherche ........................................................................... 100
7.2.4 Patentrecherche ............................................................................... 100
7.2.4.1 Klassifizierung von Patenten ........................................... 101
7.2.4.2 Vorgehensweise bei einer Patentrecherche ...................... 101
7.2.5 Technologische Prognosen ............................................................. 102
7.2.5.1 Szenariotechnik ................................................................ 103
7.2.5.2 Relevanzbaummethode .................................................... 104
7.2.5.3 Delphi-Methode ............................................................... 105
7.2.6 Portfoliotechniken als integrierte Analysekonzepte ....................... 106
7.2.6.1 Ansatz von PFEIFFER et al. ............................................ 107
7.2.6.2 Ansatz von McKINSEY ................................................... 109
7.2.6.3 Ansatz von A.D. LITTLE ................................................ 110
7.2.6.4 Kritik an Portfolios ........................................................... 112
7.3 Potentialbasierte Bewertung neuer Technologien ...................................... 113
7.3.1 Das objektive Technologiepotential ............................................... 113
7.3.2 Beschreibung des subjektiven Technologiepotentials .................... 115
7.3.3 Kosten und Risiken der Technologieentwicklung .......................... 115
7.3.3.1 Abschätzung der Herstellungskosten ............................... 116
7.3.3.2 Varianzen im Technologie-Entwicklungsprozess ............ 117
7.3.3.3 Reduktion des Technologiepotentials
durch Umsatzrisiken ........................................................ 118
7.4 Ableitung einer Technologiestrategie ........................................................ 119
7.4.1 Porter’s Five Forces zur Ableitung einer Technologiestrategie ..... 119
7.4.1.1 Intensität der Rivalität unter den bestehenden
Wettbewerbern ................................................................. 120
7.4.1.2 Gefahr des Markteintritts neuer Anbieter ........................ 120
7.4.1.3 Bedrohung durch Substitutionsprodukte .......................... 121
7.4.1.4 Verhandlungsstärke der Abnehmer .................................. 121
7.4.1.5 Verhandlungsstärke der Lieferanten ................................ 122
7.4.2 Unterschiedliche Technologiestrategien ......................................... 122
7.4.2.1 First- versus Follower-Strategie ....................................... 122
7.4.2.2 Nischen- und Kooperationsstrategien .............................. 123
7.5 Fazit ........................................................................................................... 124

8 Technologietrends Karosserie ........................................................................... 125


8.1 Karosseriebauweisen von Pkw .................................................................. 127
8.1.1 Karosseriebauformen ...................................................................... 127
8.1.2 Aufbauformen von Pkw .................................................................. 134
8.2 Karosseriebauweisen von Lkw .................................................................. 134
8.2.1 Karosseriebauformen ...................................................................... 135
Inhaltsverzeichnis IX

8.2.2 Aufbauformen von Lkw ................................................................. 136


8.2.3 Anhänger ........................................................................................ 137
8.2.4 Neue Konzepte ............................................................................... 137
8.3 Karosseriebauweisen von Bussen .............................................................. 138
8.3.1 Karosseriebauformen ...................................................................... 139
8.3.2 Aufbauformen von Bussen ............................................................. 139
8.4 Plattformen und Module ............................................................................ 140
8.4.1 Plattformstrategie ............................................................................ 142
8.4.2 Modulbauweisen ............................................................................. 145
8.4.3 Modular Sourcing ........................................................................... 149

9 Technologietrends Antrieb ................................................................................ 152


9.1 Getriebe ...................................................................................................... 155
9.2 Alternative Antriebe ................................................................................... 158
9.2.1 Alternative Kraftstoffe .................................................................... 159
9.2.2 Hybridantrieb .................................................................................. 164
9.2.3 Brennstoffzelle ................................................................................ 171
9.3 Entwicklung der Antriebssysteme ............................................................. 175

10 Technologietrends Fahrwerk ............................................................................ 177


10.1 Radaufhängung .......................................................................................... 177
10.1.1 Federung ......................................................................................... 177
10.1.2 Stabilisatoren .................................................................................. 178
10.1.3 Stoßdämpfer .................................................................................... 180
10.1.4 Fazit Radaufhängungen .................................................................. 183
10.2 Bremse ....................................................................................................... 183
10.2.1 Bremssysteme ................................................................................. 183
10.2.2 Antiblockiersystem ......................................................................... 187
10.2.3 Antriebsschlupfregelung ................................................................. 187
10.2.4 Elektronisches Stabilitätsprogramm ............................................... 188
10.2.5 Zusatzbremsfunktionen ................................................................... 190
10.3 Lenkung ..................................................................................................... 192
10.4 Integrierte Chassissysteme ......................................................................... 196
10.5 Zusammenfassung ...................................................................................... 198

11 Technologietrends Fahrzeugelektronik ............................................................ 200


11.1 Fahrerinformationssystem .......................................................................... 202
11.2 Beleuchtungssysteme ................................................................................. 204
11.2.1 Intelligente Lichtsysteme ................................................................ 205
11.2.2 Nachtsichtsysteme .......................................................................... 207
11.3 Fahrerassistenzsysteme .............................................................................. 208
11.4 Fahrerkomfortsysteme ............................................................................... 217
11.5 Bussysteme ................................................................................................ 218
11.6 Zusammenfassung Technologietrends ....................................................... 221
Literatur ....................................................................................................................... 223

Stichwortverzeichnis .................................................................................................... 231


1

1 Grundlagen der Automobilindustrie

Mit dem Begriff „Automobilindustrie“ sind gemäß dem Verband der Automobilindustrie
(VDA) Hersteller von Kraftwagen und Motoren, Anhängern und Aufbauten sowie Her-
steller von Kfz-Teilen und Zubehör gemeint [VDA07]. Diese Definition richtet den Fokus
auf die eigentliche Produktion, wobei in der Literatur der Begriff zum Teil noch weiter
gefasst wird und um Unternehmen, die der Fahrzeugherstellung nachgelagert sind
(Downstream-Bereich) ergänzt wird. Auch Logistikdienstleistungen werden häufig als
zugehörig zur Automobilindustrie angesehen [STR05]. Ähnlich den gemachten Ausfüh-
rungen sind auch die Begriffe „Automobilwirtschaft“ und „Automobilbranche“ aufzufas-
sen. Der Forschungsstelle Automobilwirtschaft (FAW) zufolge, beinhaltet die Automo-
bilwirtschaft „die Gesamtheit aller an der Produktion, der Distribution, der Aufrechterhal-
tung der Nutzungsfähigkeit und der letztendlichen Verwendung von Automobilen betei-
ligten Wirtschaftssubjekte“ [FAW07]. In der vorliegenden Arbeit sollen die drei genann-
ten Begrifflichkeiten synonym verwendet werden. Außerdem wird bei der Betrachtung
der Akteure vorrangig auf Automobilhersteller und deren Zulieferer abgestellt.
Als „Automobilhersteller“ oder synonym „Original Equipment Manufacturer“ (OEM),
Kraftfahrzeughersteller o. Ä. werden Unternehmen bezeichnet, die selbst gefertigte oder
fremdbezogene Komponenten, Module etc. zu kompletten Fahrzeugen kombinieren und
diese den Endverbrauchern am Markt anbieten.
Der Begriff „Zulieferer“ schließt alle wirtschaftlichen Einheiten ein, welche im Rahmen
zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung für ein in der Wertschöpfungskette nachgelagertes
Unternehmen industrielle Vorprodukte liefern oder entsprechende Dienstleistungen
erbringen. Oft werden Zulieferer nach der Zusammenarbeitsform mit den OEM struktu-
riert. Man unterscheidet demnach:
x Entwicklungslieferanten, d. h. reine Entwicklungsdienstleister (EDL), z. B. EDAG
oder Rücker
x Produktionslieferanten, d. h. reine Produktion nach Herstellervorgaben, z. B. Guss-
Auftragsproduktion
x Entwicklungs- und Produktionslieferanten, welche die eigene Entwicklung und Pro-
duktion kombinieren, z. B. Bosch oder ZF
Man differenziert Zulieferer häufig auch nach ihrer Position in der Wertschöpfungskette.
Dem OEM direkt vorgelagerte Zulieferer bezeichnet man als „1st -Tier-Lieferanten“. In
Abhängigkeit der Lieferebene werden die Akteure der nachfolgenden Stufen 2nd oder 3rd -
Tier Zulieferer bezeichnet [TIE03]. Darüber hinaus gibt es „Tier 0,5“ Lieferanten wie
Karmann, Valmet oder Magna. Diese stellen im Auftrag der OEM ganze Fahrzeuge her
und übernehmen die Koordination der Zulieferer. Im weitesten Sinne kann auch die Grup-
pe der Logistik-Dienstleister zu den Zulieferern hinzu gezählt werden.
Bild 1-1 veranschaulicht die Struktur der Akteure. Es ist zu beachten, dass die Auto-
mobilindustrie derzeit einen umfassenden Wandel durchlebt, der die abgebildete klassi-
sche Rollenverteilung unter den Akteuren in Frage stellt. Aus diesem Grund ist die ge-
zeigte Struktur der Zuliefererpyramide allein zur Verdeutlichung der grundlegenden Ver-
hältnisse hinreichend.
2 1 Grundlagen der Automobilindustrie

Koordination der Zulieferer,


Wertschöpfungsanteil 30–35
30 %
OEM

Logistik-
1st Tier Zulieferer Komplexe Systeme
Dienstleister

2nd Tier Zulieferer Subsysteme, Module

Komponenten,
3rd Tier Zulieferer
Ersatzteile

Bild 1-1 Hierarchie der Hersteller und deren Zulieferer

1.1 Die Bedeutung der Automobilindustrie


Hochrechnungen zufolge wurden im Jahr 2003 in Deutschland über 915 Mrd. Personen-
kilometer, was den beförderte Personen multipliziert mit der von ihnen zurückgelegten
Entfernung in km entspricht, zurückgelegt. Unter den genutzten Verkehrsmitteln nimmt
der Pkw eine vorherrschende Stellung ein, denn etwa 80 % des individuellen Verkehrsbe-
darfs gehen auf den Pkw-Verkehr zurück. Täglich werden mehr als 140 Millionen Fahrten
mit über 45 Millionen Autos allein in Deutschland unternommen. Das Automobil steht
darüber hinaus für Mobilität, Emotionalität und Unabhängigkeit, es verkörpert Lebensein-
stellungen und dient als Statussymbol [POI04; DUD04].

280
260
240
220
Mrd. €

200
180
160
140
120
100
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bild 1-2 Umsätze der deutschen Automobilindustrie [VDA07]


1.1 Die Bedeutung der Automobilindustrie 3

In Deutschland hat die Automobilindustrie traditionell eine große wirtschaftliche Bedeu-


tung. Der Umsatz ist, wie in Bild 1-2 erkennbar, von 1998 bis 2006 um rund 60 % ge-
wachsen, gleichzeitig stieg der Anteil am Gesamtumsatz der deutschen Industrie von 13
auf 19 % [VDA07].
Zu beobachten ist darüber hinaus, dass die Neuzulassungszahlen im Zehnjahreszeitraum
auf dem deutschen Automobilmarkt nur leicht angestiegen sind. Wie Bild 1-3 veranschau-
licht, wiesen hingegen die Umsätze der Automobilindustrie in Deutschland im selben
Zeitraum ein konstantes Wachstum auf und verdreifachten sich seit 1985.

%
350

300 Umsatz
250

200

150

100

50 Neuzulassungen
0
1985 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2005

Bild 1-3 Umsätze und Neuzulassungen auf dem deutschen Automobilmarkt

Gründe sind vor allem in einem „qualitativen Wachstum“ der abgesetzten Fahrzeuge zu
sehen, das sich in einem gestiegenen Durchschnittswert manifestiert [DIE06]. Prognosen
zufolge wird der Durchschnittspreis eines deutschen Neufahrzeuges 2008 bei etwa
25.640 Euro liegen, was im Vergleich zum Jahr 2000 einer Steigerung von rund 28 %
entspricht [AUT04]. Die Automobilindustrie stellt zudem einen der größten Arbeitgeber
in Deutschland dar. Nachdem seit den 90er Jahren etwa 90.000 Arbeitsplätze in der deut-
schen Automobilindustrie entstanden sind, zeigt die Beschäftigung seit Mitte 2004 jedoch
eine leicht rückläufige Tendenz, Bild 1-4.
4 1 Grundlagen der Automobilindustrie

780
770
Mitarbeiter in [Tsd.]

760
750
740
730
720
710
700
690
680
670
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bild 1-4 Beschäftigte in der deutschen Automobilindustrie [VDA07]

Auch bei den deutschen Zulieferern ist neben ebenfalls gestiegenen Umsätzen eine Stag-
nation der Beschäftigungszahlen festzustellen, Bild 1-5. Dies ist zum großen Teil mit der
hohen Wettbewerbsintensität der Branche sowie den wachsenden Kostendruck zu er-
klären.

80 350

70
Umsatz
300
Beschäftigte
60

Beschäftigte in 1.000
250
Umsatz in Mrd. €

50
200
40
150
30

100
20

10 50

0 0
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bild 1-5 Umsätze und Beschäftigte deutscher Automobilzulieferer [VDA07]

Bild 1-6 veranschaulicht die Zulassungsanteile nach Marken in Deutschland 2006. Mit
mehr als 60 % der Pkw wird der deutsche Automobilmarkt von den heimischen Her-
stellern bestimmt. Bis auf Mercedes und Opel verzeichneten diese im Vergleich zum Jahr
2000 steigende Zulassungsquoten. Es fallen allerdings die zum Teil enormen Wachstums-
1.1 Die Bedeutung der Automobilindustrie 5

raten asiatischer OEM auf dem deutschen Markt auf. Unter diesen stechen besonders die
Marken Kia und Hyundai hervor, welche ihre Absätze im betrachteten Zeitraum mehr als
verdoppeln konnten. Auch Toyota, Skoda und Citroen steigerten ihre Absatzraten be-
trächtlich, während Renault, Nissan und Fiat im Jahr 2006 über 20 % weniger Fahrzeuge
verkauften als noch im Jahr 2000.

2000 2006
Volkswagen 643.615 689.116 +7,07 %
Nissan Hyundai Honda Kia Volvo
1% 1% Mercedes 409.214 342.768 –16,24 %
2% 2% 1%
Opel 411.193 334.479 –18,66 %
Seat Sonstige
2%
BMW 237.750 272.805 +14,74 %
7%
Mazda Audi 234.404 262.356 +11,92 %
2 % Fiat Ford 238.530 243.845 +2,23 %
Citroen 2 % Renault 200.361 149.516 –25,38 %
2% Volkswagen
Toyota 86.794 147.995 +70,51 %
Peugeot 20 %
Skoda 68.757 118.523 +72,38 %
3%
Peugeot 100.348 111.151 +10,77 %
Skoda
3% Citroen 50.108 83.469 +66,58 %
Fiat 98.370 78.072 –20,63 %
Toyota
4% Mazda 76.701 77.051 +0,46 %
Renault Mercedes Seat 60.813 60.975 +0,27 %
4% 10 % Nissan 74.671 55.231 –26,03 %
Hyundai 24.411 52.405 +114,68 %
Ford Honda 33.538 48.588 +44,87 %
7%
Audi Opel Kia 18.392 46.184 +151,11 %
BMW
8% 10 % Volvo 41.563 37.057 –10,84 %
8%
Sonstige 268.810 256.375 –4,63 %

Bild 1-6 Neuzulassungsanteile in Deutschland nach Herstellern 2006 [KBA07a]

Vergleicht man den Anteil ausländischer Fabrikate am Gesamtabsatz auf dem deutschen
Pkw-Markt in den Jahren 2000 und 2006, so wird der wachsende Einfluss nicht-deutscher
Hersteller auf den deutschen Automobilmarkt deutlich. 2006 besaßen japanische Herstel-
ler einen Marktanteil von insgesamt 12 %, dicht gefolgt von französischen Herstellern mit
knapp 10 %. Insgesamt besaßen ausländische Hersteller 2006 in Deutschland einen
Marktanteil von etwa 36 %, was einer absoluten Steigerung von mehr als 2 % seit dem
Jahr 2000 entspricht.
Auch weltweit nimmt die Automobilindustrie einen hohen volkswirtschaftlichen Stellen-
wert ein. In den 39 größten Hersteller-Ländern sind mehr als 8,5 Millionen Menschen
direkt im Automobilsektor beschäftigt, der jährlich fast 2 Billionen Euro Umsatz erwirt-
schaftet. In der Rangliste der größten Volkswirtschaften der Welt wäre damit der sechste
Platz zu erreichen.
Bild 1-7 gibt Aufschluss über die Beschäftigungszahlen in der Automobilindustrie nach
Regionen [MER04a]. In der Abbildung ist zu erkennen, dass 2002 ein Grossteil der Be-
schäftigten in Europa, der NAFTA Region (USA, Kanada und Mexiko) und Japan ange-
stellt war. Bis zum Jahr 2015 wird ein Anstieg der Beschäftigung in allen Regionen er-
wartet, wovon insbesondere Niedriglohnländer im asiatischen und osteuropäischen Raum
profitieren werden. Geht man vom Umsatz aus, waren im Jahr 2004 Japan
(435 Milliarden Euro), dicht gefolgt von den USA (425 Milliarden Euro) und mit größe-
rem Abstand Deutschland (228 Milliarden Euro) die wichtigsten automobilproduzieren-
den Länder.
6 1 Grundlagen der Automobilindustrie

NAFTA Europa Südkorea, Indien Rest der Welt


2002 2.630 2002 2.746 2002 553 2002 840
2015 3.000 2015 3.965 2015 721 2015 1.168

Japan
2002 1.337
2015 1.402

China
2002 385
2015 987
Südamerika
2002 343
2015 570

Bild 1-7 Beschäftigung in der Automobilindustrie nach Regionen in Tausend [MER04a]

Die Forschungsgesellschaft Millward Brown ermittelte 2007 in der Markenuntersuchung


„BRANDZ“ die wertvollsten Automobilmarken weltweit, Bild 1-8

Rang Marke Wert (Mio. US$) Rang Marke Wert (Mio. US$)
1 Toyota 30.201 11 Lexus 5.050
2 BMW 23.820 12 Dodge 4.133
3 Mercedes 17.801 13 Volvo 3.469
4 Honda 14.394 14 Audi 3.200
5 Ford 13.844 15 Chrysler 3.174
6 Chevrolet 12.458 16 Opel 3.059
7 Porsche 12.025 17 Cadillac 2.241
8 Nissan 10.915 18 GMC 2.125
9 VW 6.793 19 Mini 1.978
10 Renault 5.173 20 Pontiac 1.913

Bild 1-8 Die wertvollsten Automobilmarken weltweit 2007 [MIL07]

Demnach führt Toyota das Ranking vor BMW, Mercedes, Honda und Porsche an. Grund-
lage der Untersuchung waren sowohl der wirtschaftliche Erfolg, als auch die marktbe-
dingte erwartete Unternehmensentwicklung [MIL07].
Reiht man die weltgrößten Automobilkonzerne nach ihrem Umsatz und vergleicht dies
mit den erzielten Gewinnen, so fällt besonders die schlechte Profitabilität der US-Konzer-
ne General Motors (GM) und Ford auf, Bild 1-9. Zwar erzielten beide Unternehmen im
Jahr 2006 relativ hohe Umsätze, doch der jeweilige Konzerngewinn fiel jeweils negativ
aus. Der höchste Gewinn wurde von Toyota erwirtschaftet. Als profitabelster Hersteller
gilt jedoch Porsche, denn im Vergleich zum relativ geringen Umsatz wurde ein beachtli-
cher Konzerngewinn realisiert.
1.1 Die Bedeutung der Automobilindustrie 7

180.000 15.000
160.000 Umsatz
Gewinn (EBIT) 10.000
140.000

Gewinn in Mio. €
Umsatz in Mio. €

120.000 5.000
100.000
0
80.000
60.000 –5.000
40.000
–10.000
20.000
0 –15.000
ta

da

ai
C

rd

Po ru
M lt
M

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VW

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ub

rs
To

yu
H

its
Bild 1-9 Umsatz und Gewinn der größten Automobilkonzerne weltweit 2006 [BRA07]

Unter den größten Zulieferern der Welt nehmen deutsche Unternehmen 2006 eine starke
Position ein, Bosch erwirtschaftete fast 30 Milliarden Euro Umsatz und ist damit der
größte Zulieferer weltweit. Auch Continental und Siemens VDO nahmen mit jeweils etwa
12 Milliarden Euro Umsatz einen Platz unter den 20 größten Zulieferern in der Rangliste
ein. Durch die Mitte 2007 angekündigte Übernahme von Siemens VDO durch Continental
wird sogar der fünfte Platz erreicht. Andere deutsche Unternehmen wie ZF, Mahle oder
Benteler sind ebenfalls in großer Zahl unter den Top 50 der größten Zulieferer zu finden.
Unter den zehn umsatzstärksten ausländischen Zulieferern nehmen besonders US-ameri-
kanische, wie Delphi, Johnson Controls, Lear und TRW Automotive eine starke Position
ein. Darauf folgen japanische (Denso, Aisin Seiki) und französische Zulieferer (Faurecia,
Valeo). Im Vergleich zum Jahr 2005 kann festgehalten werden, dass die 12 betrachteten
Zulieferkonzerne ihren Umsatz um durchschnittlich 7,1 % steigern konnten.

29,96
35
Umsatz in Mrd. US$

23,90 24,00 24,40 (+5,5 %)


30
17,84 19,40 19,50 (+4,8 %) (+4,9 %) (+8 %)
25
15,00 (+4,3 %) (+8,4 %) (+0,5 %)
11,50 12,00 12,20 12,70 20
(+7,1 %)
(+11,4 %) (6,2 %) (+4,3 %)(+19,8 %) 15
10
5
0
Siemens VDO (D)

Aisin Seiki (JPN)


Faurecia (F)
Continental (D)

TRW Automotive (USA)

Valeo (F)

Magna Intl. (CAN)


Johnson Controls (USA)
Lear (USA)

Denso (Jap)

Delphi (USA)

Bosch (D)

Bild 1-10 Umsatz der größten Zulieferer weltweit 2006 in Milliarden $ (vgl. 2005) [IGM06]
8 1 Grundlagen der Automobilindustrie

1.2 Beobachtbare Trends


Aus der Perspektive des Endkunden stellt sich das Bild der Automobilindustrie unein-
heitlich dar. Einerseits ist in der Presse zum Teil von massivem Stellenabbau die Rede, da
Deutschland als Produktionsstandort an Attraktivität eingebüßt hätte. Andererseits wird
der Kunde von den verschiedenen Herstellern umworben wie noch nie zuvor. Konnte er
noch vor 20 Jahren in einem Fahrzeugsegment aus nicht mehr als einer handvoll Fahrzeu-
gen wählen, so stehen ihm heute meist mehrere Dutzend Möglichkeiten offen. Fest steht
in jedem Fall, dass Automobilhersteller und deren Zulieferer einem großen Druck unter-
liegen, der sie zwingt, einige Problemstellungen mit teilweise drastischen Mitteln zu über-
winden. Im Folgenden sollen exemplarisch fünf beobachtbare Trends ausgemacht wer-
den, die auch aus Kundensicht in den letzten Jahren von Bedeutung waren.

1.2.1 Automobilstandort Deutschland


In der Presse mehren sich seit einigen Jahren die Meldungen von Werkschließungen und
einer Reduktion der deutschen Produktionskapazitäten, einhergehend mit einem Aufbau
von Kapazitäten in Niedriglohnländern. Experten der Branche beziffern die Zahl der
Stellenstreichungen bis 2015 auf rund 100.000 [DUD06a]. Dies entspricht nicht weniger
als 13 % aller derzeit beschäftigten Arbeitnehmer in der deutschen Automobilindustrie.
Es scheint beinahe so, als sei der Standort Deutschland nur noch mit größter Mühe über-
haupt überlebensfähig.
Als bezeichnendes Beispiel kann Continental mit dem Werk Hannover Stöcken heran-
gezogen werden. Trotz insgesamt guter Wirtschaftslage des Konzerns und Profitabilität
des betreffenden Werkes in Hannover Stöcken, wurde die Reifenproduktion 2006 nach
Osteuropa verlagert. Neue Kapazitäten entstehen bei Continental ebenfalls vornehmlich
dort. Insgesamt verloren rund 320 Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz [SYW06].
Ohne den gesamten Kontext der Verlagerung zu berücksichtigen, könnte man zu der
Ansicht gelangen, dass einige Unternehmen eher im Sinne der Shareholder (Aktionäre)
als aller Stakeholder (sämtliche Anspruchsgruppen) handelten. Als Gegenbeispiel kann
der Automobilstandort Leipzig angeführt werden. BMW baute dort 2001 ein neues Pro-
duktionswerk für die 3er-Reihe auf und investierte in diesem Zuge mehr als eine Milliarde
Euro in den Standort. Neben Leipzig zog BMW über hundert weitere Städte, darunter
viele in Osteuropa, in die engere Wahl [PRI06].
Für den Beobachter stellt sich das Bild also recht undurchsichtig dar. Einerseits gibt es die
Tendenz zur Auslagerung von Produktionskapazitäten. Andererseits werden in Deutsch-
land gezielt neue Standorte aufgebaut. Auf den Automobilstandort Deutschland wird im
Kapitel 5 „Standortstrategien“ in detaillierterer Form eingegangen werden.

1.2.2 Mangelnde Fahrzeugqualität


Automobilhersteller geraten zudem vermehrt wegen mangelnder Qualität ihrer Fahrzeuge
in die Kritik. Besonders deutlich werden Qualitätsprobleme, wenn Automobile im Rah-
men einer Rückrufaktion in die Werkstätten gebeten werden. Rückrufaktionen sind aktive
Maßnahmen von Unternehmen zur Abwendung von Personen- oder Sachschäden durch
fehlerhafte Produkte [KBA07b]. Sie werden in Deutschland durch das Geräte- und Pro-
duktsicherheitsgesetz geregelt, welches den Behörden das Recht einräumt, Rückrufaktio-
1.2 Beobachtbare Trends 9

nen anzuordnen und zu überwachen. Gegenüber Endabnehmern besteht seitens der Au-
tomobilhersteller überdies eine Produkthaftungs- und Produktbeobachtungspflicht.
Die Anzahl der Rückrufaktionen stieg im Zeitraum von 1993 bis 2004 drastisch von 35
auf 216 an. Bild 1-11 quantifiziert die Rückrufaktionen für das Jahr 2006 nach Modell
und Hersteller. Diese Entwicklung kann nicht zuletzt dem stetig steigenden Elektronik-
anteil im Automobil zugeschrieben werden. DaimlerChrysler beispielsweise musste im
Jahr 2004 rund 680.000 Modelle der E- und SL-Klasse wegen Problemen mit dem neu
eingeführten, elektrohydraulischen Bremssystem (SBC) in die Werkstätten berufen
[NTV04]. Da DaimlerChrysler mit dem Problem nicht allein ist und sogar beim Bran-
chenprimus Toyota, bekannt für hohe Produktqualität und beste Kundenzufriedenheit,
2006 allein in Europa etwa eine halbe Million Fahrzeuge beanstandet wurden, leidet der
Ruf der Branche deutlich [GÖT06].

Die 10 größten Rückrufaktionen 2006 und ihre Ursachen Anzahl betroffener Fahrzeuge
nach Hersteller 2006

Anzahl Modell Betroffenes Bauteil Anzahl Hersteller


84.720 Renault Scénic Gurtschlösser 162.758 Renault
69.391 Fiat Stilo Vorderradfelgen 93.549 Toyota
39.000 Toyota Corolla Verso Beifahrer- Airbag 73.230 VW
33.390 Nissan X- Trail Tankeinfüllstutzen 69.391 Fiat
30.000 VW Sharan Xenon-licht etc. 53.792 Nissan
29.519 R. Laguna/Espace/Vel. S. Abgasrückführ-Ventil 34.000 BMW
29.081 R. Laguna/Espace/Vel. S. Kupplungsgeber-Zyl. 32.237 Opel
26.933 Toyota Avensis Lenkspindel 32.200 Audi
22.000 BMW 1er, 3er Diesel Lichtmaschine 25.667 Peugeot
21.000 Volvo S40/V50 Handbremse 14.671 Alfa Romeo

Bild 1-11 Rückrufaktionen 2006 nach Modellen und Herstellern [BIL07]

In der Presse wird die Situation zum Teil ironisiert. Dem Magazin Spiegel folgend, gelte
in der Automobilindustrie zunehmend das „Bananenprinzip“, d. h. dass das Produkt erst
beim Kunden die endgültige Reife erreicht und alle Kinderkrankheiten beseitigt werden
können. [SPI03]. Da es sich bei den betroffenen Fahrzeugen meist um ein bis drei Jahre
alte Modelle handelt, lässt sich darauf schließen, dass das Problem weniger in übermäßi-
gen Verschleißerscheinungen der Bauteile, als vielmehr in fehlerhaften Produktentste-
hungsprozessen zu suchen ist [HAB06].
Untersuchungen zufolge beeinflussen Rückrufaktionen den Kaufentscheidungsprozess
der Kunden nachhaltig negativ. So sei es für mehr als 20% der Kunden naheliegend, nach
einer Rückrufaktion vom Kauf der betreffenden Marke abzusehen. Fast die Hälfte sieht
sogar ihr Vertrauen in die Marke als beschädigt an [WES07].

1.2.3 Verkaufsfördernde Maßnahmen


Wie durch Studien ermittelt wurde, belasten auch Rabatte das Herstellerimage empfind-
lich. Dies ist neben dem wirtschaftlichen Schaden und der Minderung des Fahr-
zeugrestwertes eine der gravierernsten Folgen von Rabatten. Im Jahr 2007 sollen von
Automobilherstellern und Händlern 6 Milliarden Euro in verkaufsfördernde Maßnahmen,
10 1 Grundlagen der Automobilindustrie

so genannte Incentives, investiert worden sein. Dies entspricht in Einzelfällen bis zu 70 %


des gesamten Marketingbudgets der Hersteller [DEL07]. In den meisten Fällen handelt es
sich bei diesen Maßnahmen um Barnachlässe, gefolgt von einer vorteilhaften Inzahlung-
nahme des Gebrauchtfahrzeuges oder auch vergünstigten Sonderausstattungen und Son-
dermodellen, Bild 1-12.

80 % 75 %
Anteil der Befragten

70 %
60 %
50 %
40 % 32 % 30 %
30 % 20 % 18 %
20 % 12 %
10 % 5% 3%
0%

Bargeld (z. B.
Nachlässe auf

Urlaubsgeld)
Kostenlose

ditionen beim
Finanzierung
Erparnis durch

Wegfall der
ausstattungen

Sondermodell

Sonderkon-
ditionen bei
Vergünstigte

Sonderkon-
Wartung
Listenpreis

MwSt.
Rabatte/

Leasing
Sonder-

Bild 1-12 Beim Fahrzeugkauf erhaltene Incentives [SCH07]

Der vom Hersteller angegebene Listenpreis wird immer häufiger zur Makulatur. In-
zwischen werden bereits weniger als 2 % aller Neuwagen ohne einen Rabatt veräußert,
während im Schnitt Nachlässe in Höhe von ca. 15 % auf den Listenpreis gewährt werden.
Es hat sich herausgestellt, dass Rabatte aus Kundensicht nicht mehr nur als erfreuliche
Besonderheit gelten, sondern mittlerweile von den Kunden explizit erwartet und einkalku-
liert werden [SCH07].
Als Folge der hohen Nachlässe auf den Listenpreis sind derzeit sinkende Margen sowohl
bei Händlern als auch bei Herstellern zu beobachten. Wie die Rabattschlachten auf dem
nordamerikanischen Automobilmarkt beweisen, führt eine stark rabattorientierte Preispo-
litik langfristig nicht zum Zugewinn von Marktanteilen, sondern eher zu hohen Verlusten.
Besonders die amerikanischen „Big Three“ (Chrysler, General Motors, Ford) mussten
dies leidlich erfahren, als sie sich gegenseitig mit Rabatten unterboten, sich aber bislang
dennoch nicht gegenüber der ausländischen Konkurrenz durchsetzen konnten [WHE06].
Zur Lösung des Problems könnten so genannte „All-Inclusive-Angebote“ beitragen. Da-
mit sind Kaufanreize gemeint, die dem Kunden statt eines Rabattes ein Rundumpaket,
bestehend aus Finanzierungs- bzw. Leasingbestandteilen, gepaart mit Versicherungs-
dienstleistungen und zusätzlichem Service, wie Mobilitätsdienstleistungen, Inspektionen
etc. aus einer Hand offerieren. Diese Vertriebsstrategie ist in mehrerer Hinsicht vorteil-
haft, denn es profitieren nicht nur Kunden, sondern auch Hersteller und Händler in hohem
Maße. Es hat sich gezeigt, dass die Kundenloyalität bezüglich Händler und Marke durch
solche Rundumpakete deutlich erhöht wird. Darüber hinaus steigt die Auslastung der
Händlerwerkstätten durch langfristige Inspektionsverträge deutlich [VWD06, SCH07].
1.2 Beobachtbare Trends 11

1.2.4 Klimaschutz
Im Zuge aufkommender Klimaschutzdiskussionen ist die Automobilindustrie in den letz-
ten Jahren zunehmend wegen des Ausstoßes von CO2 kritisiert worden. Bild 1-13 veran-
schaulicht in diesem Zusammenhang die Anteile der CO2-Emissionen aufgeschlüsselt
nach Verursachern. Es wird deutlich, dass lediglich 3,5 % der globalen CO2-Emissionen
vom Menschen verursacht werden, von denen wiederum gerade einmal 11,5 % dem Stra-
ßenverkehr zuzurechnen sind.

Verbrennung Verbrennung
von Biomasse von
1,0 % Anthropogene Biomasse Hausbrand
CO2- 15 % und Kleinver-
Emissionen braucher
3,5 % 23 %
Boden
27,0 % Industrie
Vegetation 19 %
27,0 %
Kraftwerke Straßen-
Ozeane 25 % verkehr
41,5 % 11,5 %
Sonstiger
Verkehr
6,5 %
Bild 1-13 Globale CO2-Emissionen [WEI05]

Im Jahr 1998 verpflichteten sich die europäischen Automobilhersteller gegenüber der EU,
den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge innerhalb von 10 Jahren um 25 % zu reduzieren, d. h.
von durchschnittlich 186 g/km (1998) auf 140 g/km im Jahr 2008. Die Vorgabe bezieht
sich auf den Durchschnittsverbrauch aller Hersteller, so dass Porsche z. B. davon profi-
tiert, dass FIAT vor allem Kleinwagen produziert. 140 g CO2 pro km entsprechen einem
Durchschnittsverbrauch von ca. 5,9 l Benzin bzw. 5,3 l Diesel. Im Jahr 2006 lag der deut-
sche CO2-Schnitt bei etwa 162 g/km [PLA07, BEH04]. Aktuell wird seitens des EU-Um-
weltkommissars eine weitere Senkung auf 130 g/km bis 2012 gefordert.
Obgleich deutsche Automobilhersteller hinsichtlich gewichts- und leistungsbezogener
CO2-Effizienz weltweit führend sind, ist diese Vorgabe auch für sie nicht ohne sehr hohen
technischen Aufwand realisierbar. Gerade bei Premium-Marken stellt sich die Erfüllung
der CO2-Ziele in Anbetracht der hohen nachgefragten Leistungen der Fahrzeuge als
schwierig heraus. Porsche erzielte im Jahr 2007 einen über alle angebotenen Fahrzeuge
gemittelten Durchschnittswert von 297 g/km, bei Smart waren es hingegen 116 g/km
[VDA07; PLA07]. Die Zusatzkosten, um ein Fahrzeug von beispielsweise 163 g/km auf
140 g/km umzugestalten, liegen derzeit bei 400 bis 700 Euro. Bei einer weiteren Ver-
schärfung der Grenzwerte würden die Kosten allerdings überproportional ansteigen. Her-
steller selbst geben bei einer Festlegung der 130 g/km Grenze Zusatzkosten von
2.500 Euro pro Fahrzeug an. Diese entstehen bei benzingetriebenen Fahrzeugen z. B.
12 1 Grundlagen der Automobilindustrie

durch aufwendigen Hybridsysteme und beim Diesel durch die notwendige Reduktion der
Stickoxidemissionen. Im Vergleich zu anderen Verursachern, welche überdies mehr zu
den gesamten CO2-Emissionen beitragen, muss damit in der Automobilindustrie deutlich
mehr Kapital aufgewendet werden um die gleiche Menge an CO2 einzusparen [DUD07a;
DUD07b; JOH07b].
Ein möglicher Lösungsansatz zur Erfüllung der 130 g/km Forderung könnte in einem so-
genannten „CO2-Handel“ liegen. Dieser Emissionshandel beinhaltet zwei Grundregeln.
Erstens muss jeder Automobilhersteller die 130 g/km-Regelung umsetzen. Zweitens kann
ein Hersteller, der den Zielwert unterschreitet, die zusätzlichen Einsparungen an andere
Autohersteller „verkaufen“. In Verbindung mit einer Sanktionierung für Hersteller, die
trotz zugekaufter Einsparungen den Zielwert überschreiten, ergäbe sich ein praktikables
System, dass die Erreichung des Grenzwertes sicherstellt. Profiteure eines solchen Markt-
platzes wären dann Hersteller verbrauchsgünstiger Pkw wie Smart (<100 g/km in 2012
prognostiziert), während Premium-Pkw teurer würden [DUD07b].

1.2.5 Ausweitung des Produktangebotes


Ein weiterer Trend, der aus Kundensicht zu beobachten ist, bezieht sich auf das ange-
botene Modellprogramm der Hersteller. Alle großen OEM haben in den vergangenen
Jahrzehnten ihr Modellprogramm deutlich erweitert. Bild 1-14 zeigt beispielhaft die Mo-
dellprogramme von Mercedes-Benz in den Jahren 1990 und 2007.

A -Klasse B -Klasse C -Klasse E -Klasse

SLR SLK
SLK -Klasse SL
SL-Klasse
-Klasse S -Klasse

190er W124 G -Modell CLS


CLS-Klasse
-Klasse CLK
CLK-Klasse
-Klasse CL
CL-Klasse
-Klasse
2007
2007

S -Klasse SL R -Klasse M -Klasse GL


GL-Klasse
-Klasse G -Klasse
1990

Bild 1-15 Modellportfolio von Mercedes-Benz 1990 und 2007

Neben den klassischen Segmenten Kleinwagen, untere Mittelklasse, Mittelklasse, obere


Mittelklasse, Oberklasse sowie Sport- und Geländewagen besetzen die Hersteller zuneh-
mend auch Nischensegmente. Zudem steigt die Anzahl der Varianten pro Modell. Bei-
spielhaft sei an dieser Stelle der Renault Mégane genannt, der im Jahr 2004 in insgesamt
sechs Modellvarianten (Coupé, Fließheck, Classic, Cabrio, Minivan und Kombi) angebo-
ten wurde, um möglichst jedem Kundenwunsch gerecht zu werden.
1.3 Fazit 13

1.3 Fazit
Über begriffliche Grundlagen hinaus wurde dargestellt, dass die Automobilindustrie nicht
nur in Deutschland eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung besitzt. Weiter wurde
aufgezeigt, welche Unternehmen auf Hersteller- und Zuliefererseite auf internationaler
Ebene zu den „Global Player“ zählen und wie die Beschäftigung in der Automobilindus-
trie auf die Weltregionen verteilt ist. Die Analyse der beobachtbaren Trends zeigt, dass
Konsumenten derzeit ein uneinheitliches Bild von der Automobilindustrie haben. Einer-
seits profitieren Kunden von verkaufsfördernden Maßnahmen der Hersteller und der zu-
nehmenden Vielfältigkeit im Fahrzeugangebot, andererseits wurde jedoch deutlich, dass
die Klimaschutzdiskussion, geplante Stellenstreichungen und mangelnde Fahrzeugqualität
das Image der Hersteller nachhaltig belasten. In den nachfolgenden Kapiteln sollen einige
dieser Themen erneut aufgegriffen und vor dem Hintergrund strategischer Optionen für
Automobilhersteller und Zulieferer betrachtet werden.
14

2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

Der folgende Abschnitt widmet sich den Herausforderungen der Automobilindustrie. Um


sicherzustellen, dass alle grundsätzlich in Frage kommenden Einflussbereiche Berück-
sichtigung finden, wird eine Unterteilung in globale und brancheninterne Veränderungs-
treiber vorgenommen.

2.1 Das globale Umfeld


Mit dem Aspekt des globalen Umfelds sind hier solche Veränderungstreiber gemeint, die
auf alle Unternehmen eine Auswirkung haben, aber im Gegensatz zu brancheninternen
Treibern, nicht von den Unternehmen selbst beeinflusst werden können. Es sind sozu-
sagen die exogenen Rahmenbedingungen, in denen sich die Unternehmen bewegen. Zu
nennen sind an dieser Stelle die politisch-rechtliche, kundenspezifische sowie technolo-
gische und ökonomische Treiber [WEL01; TIE03].

2.1.1 Der Kunde als Treiber für Veränderungen


Da der Kunde darüber entscheidet, ob ein Produkt am Markt abgesetzt werden kann, soll-
te ihm seitens der Automobilhersteller und Zulieferer besondere Beachtung zukommen.
Um zielgruppengerechte Automobile anbieten zu können, muss die anvisierte Käufer-
schaft näher analysiert werden. Dazu bietet es sich an, die Veränderungen im Kundenver-
halten und in der Kundenstruktur zu untersuchen. Ökonomisch betrachtet erweist sich
eine hohe Kundenzufriedenheit als vorteilhaft, da sie die Bindung des Kunden an die
Marke direkt beeinflusst. Ist diese Bindung stark, so müssen weniger Kosten für Vertrieb
und Marketing aufgewendet werden. Speziell für den Automobilmarkt ist empirisch be-
wiesen, dass ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kun-
denloyalität besteht, Bild 2-1.

Variety
Seeking
100
Kunden-
80 begeisterung
Kundenloyalität in %

60

40

20 Kunden-
zufriedenheit
0
Kundenzufriedenheit in % 100

Bild 2-1 Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität [DIE06]


2.1 Das globale Umfeld 15

Demnach führen niedrige und mittlere Werte der Zufriedenheit nur zu einer geringen Stei-
gerung der Kundenbindung, während hohe Zufriedenheitswerte die Kundenloyalität sehr
stark steigern.
Sehr hohe Werte der Kundenzufriedenheit bewirken jedoch eine nur unterdurchschnitt-
liche Steigerung der Bindung. Dies ist auf das sogenannte „Law of Variety“ zurück-
zuführen, welches besagt, dass Kunden nicht wegen Unzufriedenheit das Produkt oder die
Marke wechseln, sondern weil der Wechsel als solcher attraktiv erscheint. [DIE06].
Es wäre allerdings kontraproduktiv, aus dieser Tatsache abzuleiten, dass Automobilher-
steller nicht die höchstmögliche Kundenzufriedenheit anstreben sollten. Dies wäre sicher-
lich die falsche Schlussfolgerung aus dem vorgestellten Modell. Eine sinnvollere Mög-
lichkeit, dem Streben nach Abwechslung zu begegnen, kann hingegen darin gesehen
werden, dem Kunden verschiedene Wahlmöglichkeiten aus dem konzerneigenen Portfolio
zu offerieren. Dann würde der Kunde zwar weiterhin das Modell wechseln, aber zumin-
dest nicht zur Konkurrenz abwandern. Insbesondere vor dem Hintergrund einer durchweg
sinkenden Kundenloyalität in der Automobilbranche nimmt die Steigerung der Kunden-
zufriedenheit vor, während und nach dem Automobilkauf eine entscheidende Rolle ein
[DAN05; BRA05].
Ähnlich wie Verhaltensformen anderer Lebensbereiche unterliegt auch das Kaufverhalten
der Automobilkunden einem stetigen Wandel. Daher sollen nun einige wichtige Trends
im Kundenverhalten aufgezeigt werden. Die folgenden Aussagen beziehen sich im We-
sentlichen auf den deutschen und europäischen Raum, da das Verhältnis zum Automobil
in den verschiedenen Kulturen stark variiert [DIE06].
Die Ansprüche von Fahrzeuginteressenten manifestieren sich heutzutage nicht mehr ein-
zig und allein in dem Wunsch, mobil zu sein und ein Fahrzeug zu erwerben. Im Laufe der
Zeit haben sich gewisse „Must Haves“ entwickelt, ohne die ein Automobil nicht erfolg-
reich vom Markt angenommen wird, Bild 2-2. Daneben müssen Hersteller der zunehmen-
den Individualisierung der Kundenwünsche gerecht werden. Aufgrund der wachsenden
Pluralisierung von Lebensstilen und dem Wunsch, sich von der Masse abzuheben, dient
das Automobil, neben der reinen Transportfunktion, zunehmend auch dem Zweck, unter-
schiedliche Lebensweisen zu repräsentieren [MAR04; DIE06]. Henry Fords Ausspruch:
„People can have the Model T in any color – so long as it’s black“, den er zu Beginn des
20. Jahrhunderts tätigte, wäre in der heutigen Zeit wahrscheinlich nicht sonderlich ver-
kaufsfördernd.
Darüber hinaus müssen Hersteller einer flexibilisierten Lebensgestaltung der Kunden
Rechnung tragen. Diesbezüglich ist eine Werteverschiebung der Konsumenten zu beo-
bachten. Pflicht- und Akzeptanzwerte verlieren zugunsten von Selbstverwirklichungs-
und Abwechslungsmotiven zusehends an Bedeutung. Resultat ist ein unberechenbares
Kaufverhalten, das sich z. B. durch Multioptionalität, also dem Springen zwischen extre-
men Preis- und Qualitätsklassen, zeigt.
Convenience-Orientierung bezeichnet das Streben der Konsumenten nach Vereinfachung
und Bequemlichkeit. Hat sich der Kunde an bestimmte Komfortmerkmale im PKW ge-
wöhnt, so fällt ein Verzicht oft schwer. Es zeigte sich, dass gezielte Angebote auf diesem
Gebiet die durchschnittliche Preisbereitschaft der Kunden erhöhen.
Zudem zeichnet sich eine wachsende Anzahl der Kunden durch ein ausgeprägtes Öko-
logiebewusstsein aus. Da die umweltbelastende Wirkung von Automobilen unbestritten
16 2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

ist, trägt dieser Faktor zur Beeinflussung der Kaufentscheidung bei. Angesichts jüngster
Klimaschutzdiskussionen, Fahrverboten in Innenstädten und emissionsorientierten Kraft-
fahrzeugsteuern steht das Thema mit im Vordergrund [MAR04; DIE06].
Kundenerwartungen

„Interactive
Generation“
(Jahre 20xx)
ƒ Infotainment
„Post Baby ƒ Vernetzung
che Boomer Generation“ ƒ Kombination aus
prü
Ans (80er Jahre) Auto, Zuhause, Büro
ƒ Lifestyle ƒ Lifestyle
„Baby Boomer ƒ Preis-/Leistungs- ƒ Preis-/Leistungs-
Generation“ verhältnis verhältnis
(60er Jahre) ƒ Entertainment ƒ Entertainment

„Pioneer ƒ Sicherheit ƒ Sicherheit ƒ Sicherheit


Generation“ ƒ Qualität ƒ Qualität ƒ Qualität
(50er Jahre) ƒ Zuverlässigkeit ƒ Zuverlässigkeit ƒ Zuverlässigkeit
ƒ Bezahlbares ƒ Bezahlbares ƒ Bezahlbares ƒ Bezahlbares
Transportmittel Transportmittel Transportmittel Transportmittel
Zeit
Bild 2-2 Anstieg der Kundenansprüche [LEY05]

Allgemein festzustellen ist der Trend zur sinkenden Preisbereitschaft der Kunden. Ur-
sächlich dafür sind vor allem verringerte Realeinkommensspielräume, die Präsenz neuer
Wettbewerber mit besserem Preis-Leistungs-Verhältnis und die Sensibilisierung der Kun-
den durch aggressives Preismarketing [DIE06]. Kunden sind oft nicht bereit, Innovatio-
nen monetär entsprechend zu honorieren, was besonders in unteren Fahrzeugklassen deut-
lich wird. Wie in Bild 2-3 zu erkennen ist, beträgt die Preisbereitschaft für eine elektri-
sche Überlagerungslenkung in der Kompaktklasse nur wenige hundert Euro, während
man in der Oberklasse bereit ist, ein Vielfaches dessen aufzuwenden [VDA03]. Gleich-
zeitig erkennt man, dass das Preisniveau der Fahrzeuge inflationsbereinigt in den letzten
Jahren nahezu gleich geblieben ist. Es kann gezeigt werden, dass der Preis eines Massen-
automobils wie dem VW Golf in einem Betrachtungszeitraum von 1990 bis 2002, inflati-
onsbereinigt nahezu gleich geblieben ist, obgleich immer neue Technologien, wie ABS
und ESP Einzug in die Serie erhalten haben [VDA03].

Kompaktklasse z. B. Golf

Mittelklasse z. B. C-Klasse

Oberklasse z. B. 7er

0 500 1.000 1.500 2.000


Bild 2-3 Preisbereitschaft für elektrische Überlagerungslenkung als Sonderausstattung [VDA03]
2.1 Das globale Umfeld 17

Enorm wichtig für die Produktplanungen der Hersteller und Zulieferer ist gleichwohl die
Kundenstruktur. Um einen langfristigen Unternehmenserfolg sicherzustellen, sollten sich
Automobilhersteller und Zulieferer an die strukturellen Veränderungen der Kunden an-
passen und zielgruppengerechte Produkte anbieten.
Fast alle Industrienationen der Welt stehen gleichermaßen mehr oder minder vor dem
Problem, dass sie schrumpfen und überaltern. Neben Deutschland und Japan, wo schon
heute mehr Todesfälle als Geburten gezählt werden und demnach eine Schrumpfung der
Bevölkerung bereits im Gange ist, wird der Prozess der Überalterung der Gesellschaft auf
globaler Ebene weiter anhalten. Wie Bild 2-4 verdeutlicht, wird das Durchschnittsalter
der Bevölkerung in allen Regionen der Welt rapide ansteigen. Lag das mittlere Alter in
Deutschland im Jahr 2005 noch bei 42 Jahren, so wird es nach Angaben der UN im Jahr
2050 bei 50 Jahren liegen. Selbst wachsenden Gesellschaften wie den USA und Asien
bescheinigt man die Tendenz zur Überalterung [KRA06].
Ferner zeichnet sich ein Bedeutungsverlust der Mittelschicht ab, der allgemein auch als
„Verlust der Mitte“ bezeichnet wird. Bedingt durch die klassische Einkommensverteilung,
wies die Nachfragestruktur des Automobilmarktes über viele Jahre hinweg eine pyrami-
denartige Form auf. Es gab wenige Oberklassekunden, viele Kunden der Mittelklasse und
die meisten Nachfragen entstanden in den unteren Fahrzeugsegmenten.

Mittleres Alter der Bevölkerung in Jahren 2005


2050
60
50
40
30
20
10
0
Welt USA Asien Europa Deutschland
Bild 2-4 Mittleres Alter der Bevölkerung in Jahren [UNA07]

Entsprechend der heutigen Wohlstandsverteilung erscheint die Wahl einer Pyramide zur
Veranschaulichung der Nachfragestruktur jedoch zunehmend unpassend. Dies ist darauf
zurückzuführen, dass der Mittelstand in der Einkommensverteilung immer mehr an Be-
deutung einbüßt und die Ober- und Unterschicht im Gegenzug an Gewicht zunehmen
[BEC07]. Prüft man diese Aussagen anhand von Veränderungen in den Fahrzeugsegmen-
ten auf dem Automobilmarkt, so fallen einige Parallelen ins Auge. Anhand der jeweiligen
Zulassungszahlen ist feststellbar, dass Fahrzeugsegmente, die preislich eher auf den Mit-
telstand zugeschnitten sind, zugunsten der anderen Segmente tendenziell an Bedeutung
verlieren. Wachsende Bedeutung für den Automobilmarkt werden in Zukunft auch Kun-
dengruppen genießen, die bislang von den Automobilherstellern zum Teil vernachlässigt
wurden. In dieser Hinsicht sind besonders Frauen und Singles zu nennen, welche ihr
Gewicht als Zielgruppe weiter ausbauen werden [DIE06].
18 2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass Automobilhersteller und Zulieferer den ver-
änderten Kundenanforderungen mit innovativen Produkten Rechnung tragen müssen, um
ihre Marktanteile zu verteidigen. Da dieser Innovationsdruck allerdings von der Zah-
lungsunwilligkeit der Kunden und nahezu konstanten Fahrzeugpreisen begleitet wird,
stellt sich die Frage nach der Finanzierung dieser Neuerungen. Es entsteht somit ein Kos-
tendruck, welcher die OEM dazu zwingt, ihre Prozesse zu optimieren und Einsparungen
vorzunehmen.

2.1.2 Technologische Veränderungstreiber


Im folgenden Abschnitt sollen exemplarisch die Veränderungstreiber Elektronik bzw.
Mechatronik vorgestellt werden. Seit Mitte der 90er Jahre lässt sich ein drastisch anstei-
gender Einsatz von elektronischen Komponenten im Fahrzeug beobachten. Aufgrund der
zunehmenden Vernetzung und Implementierung neuer Funktionalitäten ergeben sich stei-
gende Datenvolumina im Automobil, welchen mit immer leistungsfähigeren Verbindun-
gen Rechnung getragen werden muss. Bild 2-5 veranschaulicht die Entwicklung der Da-
tenbandbreite im Pkw am Beispiel von verschiedenen BMW-Modellen [AIN07].

1.600
1.200
Kbit/s

800
400
0
1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
E 38 E 38 E65 E6x E9x
(7er) (7er) (7er) (5er) (3er)

Bild 2-5 Entwicklung der Datenübertragungsbandbreite im PKW [AIN07]

Schon heute beläuft sich der Wertanteil der Elektronik im Automobil auf ca. 25 %, bei
Oberklassefahrzeugen sogar auf bis zu 30 %. In Zukunft werden traditionelle mechani-
sche Komponenten zunehmend durch elektronische ergänzt oder gänzlich durch sie er-
setzt werden. Die Kombination aus Mechanik, Elektronik und Informatik wird als Me-
chatronik bezeichnet. Im Automobilbau der Zukunft spielt die Beherrschung der Schnitt-
stellen zwischen diesen drei Disziplinen eine entscheidende Rolle, während einseitige
Mechanikkompetenzen zur Entwicklung intelligenter Systeme nur begrenzt beitragen
können [VDA03; VDA05; VDA07].
Bild 2-6 deutet die steigende Bedeutung elektronischer Komponenten im Automobil an.
Zum einen ist zu erkennen, dass die Hauptbereiche eines Pkw bis 2015 einer umfassenden
Wertverschiebung unterliegen werden. Während der Interieur-Bereich seinen Anteil um
fast 10 % ausbauen wird, nehmen die Bereiche Antrieb und Karosserie jeweils stark an
Gewicht ab. Nicht zuletzt ist dies auf aufwendige Komfort- und Sicherheitsmerkmale im
Fahrzeuginnenraum zurückzuführen. Zum anderen deutet sich in allen Fahrzeugbereichen
eine starke Zunahme des Elektronikanteils an, dessen Gesamtwert sich von 19 % im Jahr
2004 auf etwa 40 % im Jahr 2015 verdoppeln wird. Insbesondere im Interieur-Bereich
werden sich Elektronikanwendungen weiter durchsetzen und mechanische Komponenten
2.1 Das globale Umfeld 19

im Wert sogar übertreffen. Einhergehend mit diesen Entwicklungen wird das Markt-
volumen für elektronische Komponenten im Automobil bis 2015 insgesamt nahezu ver-
doppeln.
Elektronik besitzt ebenfalls in der Fahrzeugentwicklung einen hohen Stellenwert. Nach
Einschätzung von Audi sind 90 % aller künftigen Innovationen durch Elektronik und
Software getrieben [ROT05].
Zudem bieten sich in diesem Bereich große Differenzierungspotentiale für Innovatoren.
Fahrzeugelektronik ist maßgeblich an der Realisierung von Sicherheitssystemen, z. B.
ESP, Abstandskontrolle, Komfortfunktionen, z. B. Sitzheizung, Klimatisierung und Info-
tainmentsystemen wie z. B. Navigationssysteme beteiligt. Ebenso wäre die Einhaltung der
strengen Abgasvorschriften ohne Elektronik nicht vorstellbar [HEY06].

100
2004 19 250
80 Elektronisch
Wert in %

60 Mechanisch > 200

40 81 200
4 2

Marktvolumen elektronischer Bauteile


12
20 1 165
23 24 23
11

im Automobil [Mrd. US-$]


0
Interior Antrieb Fahrwerk Karosserie Gesamt- 150
fahrzeug 122

100
100
2015
80 40
Elektronisch
Wert in %

60 Mechanisch

40 50
24 60
2
20 9 5
20 15 17
0 8
0
Interior Antrieb Fahrwerk Karosserie Gesamt-
2004 2010 2015
fahrzeug

Bild 2-6 Links: Wertanteil elektronischer Bauteile an den Fahrzeuggesamtkosten,


Rechts: Weltweites Marktvolumen elektronischer Bauteile im Automobil [BUS06]

Als Beispiel für innovativ angewendete Mechatronik kann das Projekt „eCorner“ von
Siemens VDO gelten. Das hochintegrierte System soll den Verbrennungsmotor, die
Bremse, die hydraulischen Stossdämpfer und die Radaufhängung herkömmlicher Art
durch Elektronikkomponenten ersetzen und auf engstem Raum an jedem der vier Räder
unterbringen. Die Marktreife soll das Systems Schätzungen zufolge im Jahr 2020 errei-
chen [PAN06].
Automobilhersteller und Zulieferer müssen auf dem Gebiet der Elektronik bzw. Me-
chatronik neue Kompetenzen aufbauen und vorhandene weiterentwickeln, um den An-
schluss an den sich rasch entwickelnden Markt nicht zu verlieren.
20 2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

2.1.3 Politisch-rechtliche Veränderungstreiber


Der Gesetzgeber übt in mehrerer Hinsicht Druck auf die Automobilindustrie aus, denn er
bürdet den Herstellern und Zulieferern durch Verordnungen hinsichtlich Abgas- und
Lärmemissionen, Altfahrzeug- und Sicherheitsvorschriften ein ganzes Bündel von Reg-
lementierungen auf, das sich direkt auf die Entwicklung und Produktion der Fahrzeuge
auswirkt. Es ist nachvollziehbar, dass so die Freiheitsgrade in der Entwicklung verringert
werden und aufwendigere Produktionsverfahren mit anderen Materialien verwendet wer-
den müssen, so dass infolgedessen zusätzliche Kosten entstehen [VDA03].
Bild 2-7 stellt beispielhaft die Abgasemissionsgrenzwerte für den europäischen Raum dar.
Die Ende 2006 vom EU-Parlament beschlossenen Euro 5- und Euro 6-Normen deuten
eine drastische Verschärfung der Grenzwerte vor allem für dieselbetriebene Fahrzeuge an.
Ausgehend von der seit 2005 gültigen Euro 4 Norm soll insbesondere der zugelassene
Ausstoß von Stickoxiden (NOx), Kohlenwasserstoffen (HC) und Rußpartikeln (PM) um
bis zu 80 % reduziert werden [SPI06]. International agierende OEM müssen zudem län-
derspezifischen Anforderungen genügen. Hinsichtlich der Abgasemissionen existieren
beispielsweise in den USA seit längerem Bestrebungen, die geltenden Vorschriften dras-
tisch zu verschärfen, um den Smog-Problemen in Großstädten beizukommen [HER04].

Otto-Motor Diesel-Motor
2,3

g/km
1

1
1

1
0,64

0,8
0,56

0,5
0,5

0,5

0,5
0,6
0,25
0,3

0,23

0,4
0,18

0,17
0,075
0,15
0,2

0,075

0,025
0,06

0,08
0,08

0,06

0,005

0,005
0,05
0,1

0,2
0

0
0

0
Euro 3 Euro 4 Euro 5 Euro 6 Euro 3 Euro 4 Euro 5 Euro 6
Benzin Benzin Benzin Benzin Diesel Diesel Diesel Diesel
2000 2005 2009 2014 2000 2005 2009 2014

NOX CO

HC+NOX (Diesel) / HC (Benzin) PM

Bild 2-7 Abgasemissionsvorschriften für den europäischen Raum [SPI06]

Abgesehen von Emissionsgrenzwerten erließ der Gesetzgeber in der Vergangenheit eben-


so zahlreiche Sicherheitsvorschriften. Beispielhaft sei an dieser Stelle der Fußgänger-
schutz genannt. Für europäische Automobilhersteller aktuell relevant ist die Richtlinie
2003/102/EG, welche die Europäische Union 2003 verabschiedet hat. Neuzertifizierte
Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von weniger als 2,5 Tonnen müssen in
einer seit 2005 geltenden ersten Phase der Richtlinie eine Fahrzeugfront aufweisen, die
fest definierten Impaktortests genügt. Ab Dezember 2012 ist in den Mitgliedsstaaten der
EU dann die Zulassung, der Verkauf und die Inbetriebnahme untersagt wenn Neufahr-
2.1 Das globale Umfeld 21

zeuge den Komponententest der ersten Phase nicht erfüllen. Schließlich müssen alle Neu-
wagen ab 2015 auch die nochmals verschärften Kriterien der Phase zwei erfüllen um eine
EU-Typzulassung zu erhalten [KÜH07].
Ähnlich den Abgasemissionsvorschriften gibt es auch im Rahmen der Fußgängerschutz-
richtlinien keine globalen Richtlinien, so dass sich Automobilhersteller und Zulieferer auf
die länderspezifischen Unterschiede einstellen müssen, mit entsprechenden Folgekosten
in der Fahrzeugentwicklung bzw. -produktion. Da sich der automobile Entwicklungspro-
zess durch seine Komplexität, verbunden mit hohem Änderungsaufwand auszeichnet,
müssen spezielle konstruktive Lösungen zur passiven Sicherheit in möglichst frühen Sta-
dien Berücksichtigung finden. Die Europäische Wirtschaftskommission der Vereinten
Nationen (UN/ECE) arbeitet seit einigen Jahren an einer Harmonisierung der Fußgänger-
schutzbestimmungen (Global Technical Regulation), um einerseits ein weltweit hohes
Niveau durchzusetzen und andererseits der Automobilindustrie entgegenzukommen
[KIN06; VDA06].

2.1.4 Ökonomische Veränderungstreiber


Erweitert man nun die bisherigen Ausführungen um eine ökonomische Sichtweise, so er-
kennt man die immense Bedeutung des Kapitalmarktes für die Branche. Denn es gilt nicht
nur, das Interesse der Kunden für ein Kraftfahrzeug zu wecken, sondern auch die Gunst
der Kapitalgeber zu gewinnen, um günstig an Kapital zu gelangen und so Wettbewerbs-
vorteile gegenüber Konkurrenten zu festigen. Im Rahmen einer konsequenten Kapital-
marktorientierung muss dieser Aspekt bei strategischen und taktischen Entscheidungen,
insbesondere bei börsennotierten Unternehmen, berücksichtigt werden, um für Investoren
ein notwendiges Maß an Transparenz zu schaffen. Gerade vor dem Hintergrund eines, seit
den 90er Jahren aufkeimenden und nunmehr deutlichen Rentabilitätsproblems im Ver-
gleich zu anderen Branchen, ist eine solche Kapitalmarktorientierung von enormer Wich-
tigkeit [MEN06]. Gelingt es nicht, die Anziehungskraft für Kapitalanleger aufrecht zu
erhalten, steigen die Kapitalkosten, die Marktkapitalisierung sinkt im Vergleich zur Kon-
kurrenz und im Extremfall wird das Unternehmen zum Übernahmekandidaten [NIT06].
Bezüglich der strategischen Grundausrichtung eines Unternehmens besteht generell die
Fragestellung, inwieweit alle vom Unternehmen betroffenen Anspruchsgruppen (Stake-
holder) in den Unternehmenszielen Berücksichtigung finden [INT04]. Dabei steht in
erster Linie der Zielkonflikt zwischen Wirtschafts- und Sozialzielen im Vordergrund.
Nach dem Konzept des Shareholder-Value werden dabei eindeutig die Aktionärsinteres-
sen in den Mittelpunkt gerückt, während Sozialziele wie etwa die Verantwortlichkeit
gegenüber Mitarbeitern oder die bewusste Schonung der Umwelt hingegen nur verwirk-
licht werden können, sofern sie die Wirtschaftsziele nicht negativ beeinflussen. Es lässt
sich allerdings anfügen, dass eine Fokussierung des Shareholder-Values zur Sicherung
der Wettbewerbsfähigkeit einer Unternehmung wesentlich beiträgt und somit grundsätz-
lich auch im Interesse aller Stakeholder liegt.
Eine Divergenz tritt erst dann ein, wenn bestimmte Interessengruppen aufgrund einer rein
wirtschaftlichen Orientierung unmittelbar negativ betroffen sind. Dies ist z. B. bei einem
Stellenabbau der Fall, wenn dieser zur Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit eines
Unternehmens dienen soll. Um dem Zielkonflikt zwischen Wirtschafts- und Sozialzielen
nachzugehen, wurden die Unternehmenszielsetzungen von 8 internationalen Automobil-
22 2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

herstellern (DaimlerChrysler, BMW, VW, Porsche, GM, Ford, Toyota, Renault) unter-
sucht. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass alle betrachteten Unternehmen eindeutig
den Shareholder-Value-Gedanken priorisieren. Nur vereinzelt werden Sozialziele über-
haupt verfolgt. Und wenn dies geschieht, dann lediglich falls sie gleichfalls einen Nutzen
für Aktionäre implizieren [INT04].
In ökonomischer Hinsicht ist darüber hinaus die Entwicklung der Rohstoffpreise für die
Automobilindustrie von großer Bedeutung. Im Vergleich zum Jahr 2002 sind die Preise
für Stahlschrott, Rohöl und Aluminium jeweils um 100 bis 200 % (Stand: 12/2006) ge-
stiegen, mit gravierenden Folgen für die erzielten Roherträge, welche als Differenz zwi-
schen Umsatz und reinen Materialkosten zu verstehen sind, Bild 2-8. Vor allem für Au-
tomobilzulieferer stellt sich die Lage an den Rohstoffmärkten zunehmend schwierig dar,
da sich die gestiegenen Preise nur zum Teil an OEM bzw. nachgelagerte Zulieferer wei-
tergeben lassen und sie somit direkt mit sinkenden Erträgen verbunden sind.
Beim deutschen Zulieferer ZF Friedrichshafen macht der Werkstoff Stahl rund 35 bis
40 % des Einkaufsvolumens aus. Allein aufgrund der Entwicklungen am Stahlmarkt re-
duzierte sich das Unternehmensergebnis bei ZF im Jahr 2005 um einen dreistelligen Mil-
lionenbetrag. Zumindest der Bilanz nach lässt sich allerdings eine Unterscheidung zwi-
schen Zulieferunternehmen verschiedener Umsatzgrößen treffen. So wurde die Roherträ-
ge von kleinerer Unternehmen bis 40 Millionen Euro Umsatz noch wesentlich stärker von
gestiegenen Rohstoffpreisen beeinflusst als die der größeren Zulieferunternehmen
[IKB06; BÜC03; RUE05].
Die Gesamtkostensituation eines Unternehmens wird durch zahlreiche ökonomische Ein-
flussfaktoren determiniert. Neben reinen Materialkosten spielen unter anderem Wechsel-
kurs- und Nachfrageschwankungen, Kapitalkosten und die Koordination der Supply
Chain eine wichtige Rolle.

Rohöl

Stahlschrott

Aluminium

Bild 2-8 Preisentwicklung wichtiger Inputfaktoren für Zulieferer [IKB06]


2.2 Das brancheninterne Umfeld 23

2.2 Das brancheninterne Umfeld


Nun soll der Blick auf die brancheninternen Veränderungstreiber des automobilen Unter-
nehmensumfeldes gerichtet werden. Dazu werden insbesondere die zunehmende Bedeu-
tung neuer Absatzmärkte sowie die Sättigung der Triadenmärkte fokussiert.
Um die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft zu bestimmen, wird im Allge-
meinen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verwendet. Betrachtet man die Beiträge einzelner
Länder bzw. Regionen zum Welt-BIP, so zeigt sich, dass führende Industrienationen der
Triade (Japan, Nordamerika, Westeuropa) im Jahr 2005 zusammen fast 70 % zur weltwei-
ten Wirtschaftsleistung beitrugen. China spielt hingegen mit etwa 5 % nur eine unterge-
ordnete Rolle [BEC07, S. 98]. Nach Prognosen werden die nächsten 50 Jahre von einer
Verschiebung dieser Aufteilung gekennzeichnet sein, Bild 2-9. Aufgrund signifikant
höherer BIP-Wachstumsraten werden dabei besonders die BRIC-Staaten (Brasilien, Russ-
land, Indien, China) an Bedeutung gewinnen, welche bereits im Jahr 2025 die Hälfte des
BIPs der G6-Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien, USA)
erwirtschaften werden. 2040 werden sie dies sogar insgesamt übertreffen. Unter den
BRIC-Staaten wird für Indien und China langfristig das größte Wachstumspotential vor-
hergesagt. Es wird vermutet, dass China im Jahr 2050 die größte Volkswirtschaft der
Welt sein wird, gefolgt von den USA, Indien und Japan [WIL03].
Mit dem erwarteten Wirtschaftswachstum geht überdies eine optimistische Haltung hin-
sichtlich des Automobilabsatzes in Wachstumsländern einher, Bild 2-10. Insgesamt wird
erwartet, dass der PKW-Absatz von derzeit 65 Millionen auf etwa 76 Millionen Einheiten
bis 2015 weltweit ansteigen wird [IKA07; BEC07].

90.000
80.000
70.000 G6
60.000 BRICs
Mrd. US$

50.000
40.000
30.000
20.000
10.000
0
2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

Bild 2-9 Prognosen zum Bruttoinlandsprodukt [WIL03]

Betrachtet man die volumenmäßigen Absatzanteile und deren prognostizierten Verände-


rungen, so ist zu erkennen, dass voraussichtlich besonders Asien und Osteuropa als Ab-
satzmarkt stark an Bedeutung gewinnen werden. In diesen Regionen wird der Automobil-
absatz durchschnittlich um 7 bzw. 6 % jährlich steigen. Den klassischen Automobil-
märkten wie Nordamerika und Westeuropa wird hingegen ein weitaus geringeres Wachs-
tum, von maximal einem, respektive 2 % zugetraut.
24 2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

NordAmerika Asien WestEuropa OstEuropa SüdAmerika MittlererOsten Afrika

25
Abgesetzte Fahrzeuge

20

15
[Mio.]

10

0
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Bild 2-10 Entwicklung der Fahrzeugabsatzzahlen nach Regionen [IKA07]

Schon in der jüngeren Vergangenheit wurden besonders in der Triade niedrige Absatz-
wachstumsraten erreicht. Dem VDA zufolge war im Zeitraum 2000 bis 2005 sogar ein
leichter Rückgang zu verzeichnen, Bild 2-11 [BEC07].
Millionen Einheiten

Bild 2-11 Fahrzeugneuzulassungen in der Triade [BEC07]

Führt man sich die in den Triadeländern jeweils vorliegenden Motorisierungsdichten, also
die Anzahl der Pkw auf eine festgelegte Anzahl volljähriger Einwohner, so wird deutlich,
weshalb in der Literatur von einer Sättigung die Rede ist. Von 1.000 Einwohnern besaßen
im Jahr 2002 in den, jeweils etwa auf gleichem Niveau liegenden, Triadenländern im
Schnitt fast 500 Menschen, also jeder zweite, ein Automobil. Zum Vergleich waren es in
2.2 Das brancheninterne Umfeld 25

China und Indien im selben Jahr 9 bzw. 7 Pkw je 1.000 Einwohner [STA02]. Ein weiterer
aussagekräftiger Indikator zur Bestimmung des Sättigungsgrades eines Marktes ist der
Anteil des Fahrzeugersatzbedarfes an allen Neuzulassungen. In gesättigten Märkten ist
dieser Anteil tendenziell hoch, in wachsenden eher gering. 1960 lag der Anteil der Ersatz-
fahrzeuge in Deutschland bei ca. 16 %, im Jahr 2003 waren es dagegen über 95 %
[SHE04].
Ein Kennzeichen gesättigter Märkte stellt ihre hohe Wettbewerbsintensität dar. Dies ist im
Wesentlichen durch den Umstand begründet, dass neue Marktanteile ausschließlich durch
Verdrängung von Konkurrenten gewonnen werden können, während der Gesamtabsatz
etwa auf einem konstanten Niveau verharrt. Zusätzlich wettbewerbsverschärfend wirkt
die Konsolidierung unter den Automobilherstellern. Gab es 1970 noch über 30 internatio-
nal operierende, rechtlicht und wirtschaftlich unabhängige Hersteller, so waren es im Jahr
2005 nur noch 13, Bild 2-12.
Diese Betrachtungsweise schließt die zahlreichen kleineren Automobilhersteller aus, die
keine internationale Bedeutung besitzen. In China gibt es beispielsweise über 90 solcher
unabhängigen Hersteller. Es wird erwartet, dass sich durch Konsolidierungsvorgänge im
eigenen Land zunächst einige größere Automobilkonzerne indischer oder chinesischer
Herkunft herausbilden werden, welche auch international präsent und mittel- bis langfris-
tig unabhängig bleiben werden. Es gibt allerdings Anzeichen dafür, dass dieser Prozess,
welcher der erläuterten Reduzierung der Anzahl unabhängiger Hersteller entgegenstrebt,
nur als zeitliche Verschiebung der branchenweiten Konsolidierung angesehen werden
kann. Vor allem der steigende Wettbewerb unter den Herstellern und die Sättigung wich-
tiger Kernabsatzmärkten tragen zu dieser Ansicht bei [JOH07a].

1970
• Albarth 1980
•• Albarth
Alfa-Romeo • Alfa-Romeo
•• Alfa-Romeo
Alpine • Alfa-Romeo
•• Alpine
AMC •

AMC
AMC
•• AMCMartin
Aston •

Aston Martin
Aston Martin 1990
•• Aston Martin
BLMC • BL
•• BLMC
BMW • BL • BMW
• BMW
•• BMW
Chrysler •
• BMW
Chrysler •
• BMW
Chrysler
•• Chrysler
Citroen •
• Chrysler
Daimler-Benz •
• Chrysler
Daewoo
2005
•• Citroen
Daimler-Benz • Daimler-Benz • Daewoo
•• deDaimler-Benz
Tomaso •

de Tomaso
de Tomaso


Daimler-Benz
Daimler-Benz •

BMW-Group
BMW-Group
•• de Tomaso
Fiat •

Fiat
Fiat


Fiat
Fiat • DaimlerChrysler
•• Fiat
Simca/Chrysler • Ford • Ford • DaimlerChrysler
•• Simca/Chrysler • Ford • Ford • Ford-Gruppe
••
Ford
Ford
Fuji H.I


Fuji H.I
Fuji H.I


GM
GM •
• Ford-Gruppe
GM-Gruppe
2010
• GM • Honda
•• GMFuji H.I • GM • Honda

• GM-Gruppe
Honda
• Honda • Hyundai
•• GM
Honda • Honda • Hyundai • Honda
••

??
Honda
Innocenti • Isuzu • Isuzu • Hyundai/Kia
• Isuzu • Isuzu • Hyundai/Kia
•• Innocenti
Isuzu •

Lamborghini
Lamborghini


Mitsubishi
Mitsubishi • Mitsubishi
•• Isuzu
Lamborghini • Lotus • Nissan • Mitsubishi
•• Lamborghini
Lotus •
• Lotus
Mazda •
• Nissan
PSA


PSA
PSA
•• Lotus
Maserati •
• Mazda
Mitsubishi •
• PSA
Porsche • Porsche
•• Maserati
Mazda • Mitsubishi • Porsche

• Porsche
Renault/Nissan
•• Mazda
Mitsubishi • Nissan • Renault
• Nissan • Renault • Renault/Nissan
•• Mitsubishi
Nissan •

Peugeot/Citroen
Peugeot/Citroen


Rolls-Royce
Rolls-Royce •

Toyota
Toyota
•• Nissan
Peugeot •

Porsche
Porsche


Rover
Rover • VW-Konzern
•• Peugeot
Porsche • Renault • Suzuki • VW-Konzern
•• Porsche
Prince •
• Renault
Rolls-Royce •
• Suzuki
Toyota
•• Prince
Renault •
• Rolls-Royce
Saab •
• Toyota
Volvo
•• Renault
Rolls-Royce • Saab • Volvo
•• Rolls-Royce
Saab • Suzuki • VW
• Suzuki • VW
•• Saab
Seat •

Talbot/Matra
Talbot/Matra
•• Seat
Suzuki •

Toyota
Toyota
•• Suzuki
Toyota • Volvo
•• Toyota
Volvo •

VW
Volvo
•• VWVolvo • VW
• VW

Bild 2-12 Konsolidierung unter Automobilherstellern [IKA07]


26 2 Die Herausforderungen der Automobilindustrie

Der internationale Automobilmarkt ist in mikroökonomischer Hinsicht dem Oligopol


zuzuordnen, d. h. vielen Nachfragern stehen relativ wenige Anbieter gegenüber. Auf-
grund der Transparenz im Angebot und dem sich daraus ergebenden, schnellen Reakti-
onsvermögen der Hersteller auf Aktionen der Konkurrenz, ist eine hohe Intensität des
Wettbewerbes zu beobachten. Jeder Akteur ist schnell und umfassend über neue Marke-
tingstrategien der Wettbewerber, wie neue Modelle oder Rabattaktionen, informiert. Vor
diesem Hintergrund erscheint unter anderem die Strategie einiger Hersteller, durch Preis-
nachlässe dauerhaft Marktanteile sichern zu können, eher fraglich [DIE06; DAL07].
Um an der erwarteten Automobilnachfrage in wachsenden Ländern partizipieren zu kön-
nen, weiteten zahlreiche Automobilhersteller in den vergangenen Jahren ihre Produktions-
kapazitäten im jeweiligen In- und Ausland aus. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass
mittlerweile seitens der OEM in vielen Wachstumsregionen Überkapazitäten drohen, bzw.
bereits vorhanden sind. Ein charakteristisches Beispiel stellt der chinesische Automobil-
markt dar. Wie Bild 2-13 zeigt, werden in China derzeit zwar relativ hohe Absatzwachs-
tumsraten erreicht, doch zur Auslastung der stetig wachsenden Kapazitäten reichen sie
nicht aus.

9 1
Absatz
8 0,9
Kapazitäten
7 0,8
Auslastung
0,7

Auslastungsgrad
Einheiten in Mio.

6
0,6
5
0,5
4
0,4
3
0,3
2 0,2
1 0,1
0 0
2003 2004 2005 2006 2007 2008
Bild 2-13 Kapazitätsauslastung in China [GÖT05]

Betrug die Auslastung in China im Jahr 2003 noch über 90 %, so waren es Ende 2005 nur
noch etwa 50 %. Man schätzt, dass die Kapazitätsnutzung in Westeuropa dagegen derzeit
im Schnitt bei knapp 80 % liegt. BMW erreicht sogar 90 % [BEC07]. Bleiben Produkti-
onskapazitäten ungenutzt, kommen auf die Hersteller enorme Kosten zu. Aus diesem
Grund wird ein zunehmendes „Zurückfahren“ der Produktion in „teuren“ Produktionslän-
dern prognostiziert, um im Gegenzug die neu errichteten Fabriken in China oder anderen
Emerging Markets auslasten zu können [GÖT05].
2.3 Fazit 27

2.3 Fazit
Die Betrachtung des globalen Umfeldes hat gezeigt, dass die Automobilindustrie Heraus-
forderungen verschiedener Art begegnen muss. Durch veränderte Kundenanforderungen,
schärfere Reglementierungen und technologische Veränderungstreiber muss sie einer
Reihe von Anspruchsfaktoren genügen. Folge dieser Drucksituation werden in den nächs-
ten Jahren vor allem rapide ansteigende Kosten bei Automobilherstellern und Zulieferern
sein. Daneben müssen vor allem an der Börse Unternehmen einen Mittelweg zwischen
einer reinen Orientierung am Shareholder-Value und der Berücksichtigung aller Stake-
holder-Interessen finden. Zwar hat sich in einer Untersuchung gezeigt, dass sich alle be-
trachteten Automobilhersteller klar zum Shareholder-Value bekennen, doch wäre es wün-
schenswert, wenn in Zukunft vermehrt auch andere Interessen Beachtung finden würden.
In vielen klassischen Kernautomobilmärkten, wie der Triade, ist eine Stagnation des Ab-
satzes zu beobachten. Durch die zunehmende Übersättigung dieser Märkte entsteht eine
Situation, in der Marktanteile ausschließlich durch Verdrängung der Konkurrenz gewon-
nen werden können. Angesichts eines ohnehin wettbewerbsintensiven Marktes, der durch
die Konsolidierung unter den Herstellern einem Oligopol gleicht, ist damit eine weitere
Verschärfung des Wettbewerbs zu beobachten. Größeres Absatzpotential bergen hingegen
Emerging Markets, darunter vor allem die BRIC-Staaten, deren Bedeutung zukünftig
enorm wachsen wird. Durch das Eintreten aller großen OEM in die Emerging Markets
sind allerdings vielerorts bereits Überkapazitäten in der Fahrzeugproduktion zu beob-
achten.
28

3 Strategien der Fahrzeughersteller und


Wirkungen auf Zulieferer

In den folgenden Kapiteln soll der Blick auf allgemeine Strategien der Automobilher-
steller und Zulieferer gerichtet werden. Dazu werden in Kapitel 3.1 Möglichkeiten zur er-
folgreichen Bearbeitung gesättigter Märkte sowie die Veränderungen in der zwischen-
betrieblichen Zusammenarbeit zwischen den Akteuren thematisiert. Im Anschluss daran
behandelt Kapitel 3.2 sich daraus ergebende Chancen und Risiken für Zulieferunter-
nehmen.

3.1 Strategien der Automobilhersteller


Um den veränderten Kundenanforderungen gerecht zu werden und sich im Wettbewerb
behaupten zu können, ist seit längerem die Strategie der Erweiterung des Modell- und
Variantenangebots der Hersteller zu beobachten. Dies wird allgemein als Pro-
duktproliferation bezeichnet. Im weitesten Sinne zählen auch Sondermodelle und die
Bildung von Ausstattungspaketen zur Produktproliferation. Im Zuge dieser Produkt-
offensive suchten Premium-OEM oft den Weg in untere Fahrzeugsegmente (Trading-
down), wie BMW mit dem Einser in der unteren Mittelklasse, während mancher Volu-
menhersteller mittlerweile auch in oberen Segmenten vertreten ist, wie Volkswagen mit
dem Phaeton (Trading-up). Häufige Zielsetzung ist es, sich zu sogenannten Full-Line-
Anbietern zu entwickeln, um eine breitere Zielgruppe anzusprechen und damit Marktan-
teile erobern zu können [MAT04; LAM07; BEC07]. Prinzipiell können Hersteller ver-
schiedene Segmente durch eine oder auch mehrere Marken abdecken. Wie in Bild 3-1
anhand einiger Automobilmarken zu erkennen ist, deckten diese 2005 im Vergleich zu
1970 wesentlich mehr Fahrzeugsegmente ab. Am Beispiel Volkswagen ist die Entwick-
lung von einer reinen Kompakt- bis Mittelklassemarke hin zu einer Full-Line-Marke
deutlich festzustellen.
Angesichts der oben genannten, weitgehenden Sättigung klassischer Automobilmärkte,
kann Produktproliferation zudem Abhilfe gegen drohende Marktanteilsverluste bieten.
Für Automobilhersteller bestehen in Anbetracht dessen gegenwärtig genau zwei erfolg-
versprechende Wachstumsstrategien. Dies sind die Erschließung neuer Märkte durch
Globalisierung und die Ausweitung des Angebotsspektrums in bereits bearbeiteten Märk-
ten durch Produktproliferation. Während der Erfolg einer Globalisierungsstrategie immer
auch von unbeeinflussbaren Faktoren wie dem Marktwachstum und Eintrittsbarrieren
abhängig ist, gilt eine Proliferationsstrategie als kalkulierbarer. Hersteller können letztere
an ihren Kompetenzen ausrichten und Imagetransfers von Kernprodukten realisieren.
Überdies kann die Attraktivität einer vorhandenen Baureihe durch neue Varianten oder
ein Facelift über längere Zeit aufgewertet werden [DIE06].
3.1 Strategien der Automobilhersteller 29

1970 Utility/ Super- Lower Upper Large & High


2005 City mini medium Medium medium Executive Luxury luxury SUV MPV
Mercedes-Benz

BMW

Volvo

Chevrolet

Chrysler

Audi

VW

Citroen

Peugeot

Renault

Bild 3-1 Bearbeitete Fahrzeugsegmente nach Herstellern [MAL06]

Bild 3-2 veranschaulicht die Veränderung der Fahrzeugsegmentanteile in Deutschland


von 1995 bis 2006 [KBA07a]. Besonders auffallend ist der Bedeutungsverlust der ehe-
mals dominierenden klassischen Segmente (Kleinwagen, Kompaktklasse, obere Mittel-
klasse, Mittelklasse, Oberklasse), deren Anteil von fast 90 % im Jahr 1995 auf nunmehr
66 % im Jahr 2006 gesunken ist, mit weiter fallender Tendenz. Noch vor den Trendseg-
menten (Minis, Utilities, Cabriolets und Roadster) nahmen im gleichen Zug vornehmlich
Crossoversegmente, mit Geländewagen und Vans an Gewicht zu. Von relativ unbedeu-
tenden 4 % 1995 wuchs ihr Anteil auf mittlerweile über 20 % (2006).

1995 1999 2003 2006 Tendenz


Klassische Segmente 87,5 % 78,9 % 74,0 % 66,1 % ––
Trendsegmente 8,5 % 12,1 % 11,2 % 12,9 % +
Crossover-Segmente 3,8 % 8,7 % 14,5 % 20,1 % ++

35,0 %
30,0 % 1995 1999
2003 2006
25,0 %
20,0 %
15,0 %
10,0 %
5,0 %
0,0 %
Kompaktklasse

Cabriolets und
Mittelklasse

Mittelklasse

Oberklasse

Geländewagen

Utilities
Kleinwagen
Minis

Sonstige
Vans
Roadster
Obere

Bild 3-2 Bedeutung von Fahrzeugsegmenten in Deutschland [KBA07a]


30 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

Durch die Aufweitung der Produktportfolios mit vielen Modellen und Varianten kann es
allerdings zu Kannibalisierungseffekten unter den Baureihen eines Herstellers kommen,
was gleichbedeutend mit einer Reduzierung der verkauften Stückzahlen pro Modellvari-
ante ist. Aufgrund der sensiblen Kostensituation vieler Hersteller und der daraus erwach-
senden Notwendigkeit von Economies of Scale ist häufig eine Verschlechterung der Pro-
fitabilität einer Modellreihe die Folge. Einerseits müssen Automobilhersteller aus oben
genannten Gründen den Weg der Proliferation gehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben,
andererseits stehen sie vor der Aufgabe, dem anwachsenden Kostendruck standzuhalten.
Entlang der Wertschöpfungskette ist Produktproliferation mit einer Erhöhung der Kosten
in allen Bereichen verbunden. Es sei der Fall mehrerer Varianten pro Modell gegeben.
Gegenüber der Erstellung nur einer Modellvariante ergeben sich deutliche Mehrkosten.
Angefangen in der Entwicklung, in der komplexere Konstruktionsaufgaben bewältigt
werden müssen, über den Einkauf, der durch die niedrigeren Losgrößen mit erhöhten
Einstandspreisen einhergeht. Die niedrigen Losgrößen machen sich ebenfalls in der Ferti-
gung bemerkbar, da sie höhere Rüstkosten und eine abnehmende Produktivität nach sich
ziehen. Gleichfalls bedingen die im Vergleich geringeren Wiederholungshäufigkeiten
weniger ausgeprägte Lerneffekte in der Fertigung. Eine höhere Variantenvielfalt bewirkt
zusätzlich komplexere Logistikketten und gestiegene Anforderungen an Vertrieb und
After Sales. Durch lange Nachversorgungsdauern von 15 Jahren wird die Problematik im
After Sales Bereich weiter verschärft. Noch bis zum Jahr 2006 konnte z. B. die Mittel-
konsolenverkleidung der 1991 ausgelaufenen S-Klasse (BR 126) in 8 Farbvarianten be-
stellt werden. Über die reinen Kostentreiber hinaus ist auch ein negativer Einfluss auf die
Qualität der hergestellten Fahrzeuge beobachtbar. Dies geht vor allem auf häufigere Rüst-
vorgänge und viele unterschiedliche Montageanweisungen zurück [PAU04].
Neben der herstellerseitigen Ausweitung des Modell- und Variantenangebots ist darüber
hinaus ebenso eine Verkürzung der Modelllebenszyklen zu beobachten. Dies lässt sich an
zahlreichen Beispielen festmachen. Betrug der Lebenszyklus eines Volkswagen Golf II in
Deutschland noch ganze 10 Jahre, so wird der im Jahr 2003 eingeführte Golf V aller Vor-
aussicht nach bereits 2008 abgelöst. Die Tendenz der verkürzten Lebenszyklen ist bei
nahezu allen Modellen zu beobachten. So wurde im Jahr 2005 ein durchschnittlicher
Modelllebenszyklus von 6 Jahren ermittelt [DAN05].
Die ansteigende Modellwechselrate bewirkt in der Entwicklung erhöhte Erfordernisse, die
sich insbesondere in kürzeren zur Verfügung stehenden Entwicklungszeiträumen nieder-
schlagen. Die Entwicklungszeiten für neue Automobile im Jahr 2006 wurden im Schnitt
auf 24 Monate quantifiziert. In der Branche variiert dieser Durchschnitt zwischen 17 und
31 Monaten. Gegenüber den bis zu 58 Monaten im Jahr 1990 wurde der Wert demnach
also etwa halbiert. Seit 1990 ist im Durchschnitt eine Verkürzung der Entwicklungszeiten
alle 4 Jahre um 6 bis 7 Monate festzustellen. Wesentlich zu dieser Verkürzung beigetra-
gen haben rechnergestützte virtuelle Entwicklungstools, welche in der Fahrzeugent-
wicklung inzwischen als Standard gelten [BÜC06, OEH05].
Durch Produktproliferation, den daraus entstehenden Kosten, gesteigerter Komplexitäts-
und Qualitätsanforderungen des einzelnen Fahrzeuges und den verkürzten Entwick-
lungszeiten ist die Produktentwicklung in eine Konfliktsituation geraten. In der Literatur
wird dies als Zielkonflikt der Produktentwicklung beschrieben [COR02]. Bild 3-3 stellt
dieses Problem graphisch dar. Benötigte Daimler-Benz für die Entwicklung der über
2,2 Millionen mal produzierten Baureihe W124 (E-Klasse) noch ein Budget von
3.1 Strategien der Automobilhersteller 31

400 Millionen Euro, so belief sich der Entwicklungsaufwand des nur 1,4 Millionen mal
hergestellten Nachfolgemodells auf 500 Millionen Euro. Umgelegt auf das einzelne Fahr-
zeug verdoppelten sich die Entwicklungskosten somit innerhalb nur eines Generations-
wechsels auf über 350 Euro [DAN05].

Ent -
Bild 3-3 Zielkonflikt der Produkt- wicklungs-
entwicklung [COR02] kosten

Ent -
Produkt-
wicklungs-
kosten
zeit

Produkt-
qualität

Um sich dieser Drucksituation teilweise zu entziehen und den oben genannten Heraus-
forderungen der Automobilindustrie erfolgreich zu begegnen, trafen viele Hersteller in
der Vergangenheit die Entscheidung, ihre Wertschöpfungstiefe zu verringern und sich
vermehrt auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. In diesem Zuge wurden aus einfa-
chen Teilelieferanten strategische Partner, die bereits im Jahr 2002 fast zwei Drittel der
automobilen Wertschöpfung kontrollierten. Es wird geschätzt, dass dieser Anteil bis 2015
noch auf über 77 % anwachsen wird [MAT04; MER04a]. Als Beispiel eines OEMs mit
besonders geringer Wertschöpfungstiefe kann Porsche genannt werden. In der Sportwa-
genfertigung werden hier Anteile von rund 20 % erreicht, bei der Fertigung des Cayenne
(SUV – Sport Utility Vehicle) sind es sogar nur etwa 10 %. Hinsichtlich der Kernkompe-
tenzen, die weiterhin „inhouse“ verbleiben, werden bei Porsche z. B. die Fertigung des
Motors oder die Endmontage angesehen. Darüber hinaus wird die Durchführung von
abschließenden Qualitätsprüfungen durch Firmenmitarbeiter als entscheidend angesehen.
Nach eigenen Angaben sieht Porsche das Outsourcing allerdings nicht als Selbstzweck,
sondern verfolgt vielmehr das Ziel, möglichst flexibel auf Umfeldbedingungen reagieren
zu können und einen Fixkostenaufbau zu vermeiden, um langfristig wirtschaftlich unab-
hängig zu bleiben [MAC04].
Hinsichtlich der Wertschöpfungsumfänge wird in allen Teilmodulen eines Pkw ein An-
stieg der Aufwendungen zu verzeichnen sein, siehe Bild 3-4 [MER04a]. Neben sonst eher
leichten Zuwächsen werden sich die Elektronikausgaben in diesem Zuge mehr als ver-
doppeln. Dies untermauert die oben getroffene Wahl von Elektronik als technologischen
Veränderungstreiber für Automobilhersteller und deren Zulieferer. Mit einem prognosti-
zierten Wachstum der jährlichen Ausgaben um mehr als 7 % wird dieser Bereich im Jahr
2015 mehr Ausgaben auf sich ziehen als sämtliche anderen Bereiche.
32 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

Summe 2002: 645 Mrd. € +X,XX


+X,XX%% = CAGR +7,26 % 316
Summe 2015: 903 Mrd. €

+1,24 % +0,30 %
+0,37 %
+4,0 % 135 133
+0,0 % +0,11 % 128 127
115
102 107
90
70 71
54 50 50

2002 2015 2002 2015 2002 2015 2002 2015 2002 2015 2002 2015 2002 2015

Fahrwerk Antriebs- Motor und Karosserie- Body Interior Elektrik/


strang Aggregate struktur (Exterior) Elektronik

Bild 3-4 Wertschöpfung nach Hauptmodulen 2002-2015 [MER04a]

Innerhalb dieser wachsenden Bereiche wird eine weit reichende Verlagerung der Wert-
schöpfung in Richtung Zulieferer erwartet, Bild 3-5.

2002 2015
OEM Zulieferer OEM Zulieferer

23 % 77 % 15%
15 % 85%%
85
Fahrwerk

Antriebs- 37 % 63 % 20%
20 % 80%%
80
strang

Motor und 50 % 50 % 36%


36 % 64%%
64
Aggregate
41%
41 %
Karosserie- 96 % 4% 59%
59 %
struktur

Body 55 % 45 % 29%
29 % 71%%
71
(Exterior)

Interior 16 % 84 % 14%
14 % 86%
86 %

Elektrik/ 16 % 84 % 16%
16 % 84%
84 %
Elektronik
1 inkl. Dienstleister
Quelle: Mercer Wertschöpfungsmodell 2015

Bild 3-5 Wertschöpfungsverlagerung nach Hauptmodulen [MER04a]

Dabei fällt besonders der Bereich Karosserie auf, welcher im Jahr 2002 mit einem Anteil
von 96 % rein durch die Automobilhersteller dominiert wurde. 2015 werden es voraus-
sichtlich weniger als 60 % sein. Die einzigen Fahrzeugbereiche, die von einer Wertschöp-
3.1 Strategien der Automobilhersteller 33

fungsverlagerung weitgehend unberührt bleiben, sind die Bereiche Interieur und Elektro-
nik. Hier ist festzustellen, dass bereits 2002 jeweils etwa 85 % der Wertschöpfung von
Zulieferern erbracht wurde. Eine weitere Verlagerung wird nur in geringem Ausmaß
erwartet.
Das absolute Wachstum der Fahrzeugbereiche wird nicht von Herstellern und Zulieferern
gleichermaßen getragen. Bezogen auf die absolute Ist-Wertschöpfung 2002, welche die
Automobilhersteller selbst leisten, wird prognostiziert, dass auch hier in fast allen Berei-
chen eine Reduktion stattfinden wird. Besonders drastische Einschnitte in der Eigenleis-
tung von mehr als 30 % werden in den Bereichen Fahrwerk, Karosserie und Exterieur zu
verzeichnen sein. Dagegen wird dem Bereich Elektronik mit einem Plus von fast 160 %
bis 2015 sogar ein enormes Wachstum bei den Automobilherstellern bescheinigt.
Hinsichtlich der grundlegenden Wertschöpfungsstufen im Entstehungsprozess eines Au-
tomobils werden sich Automobilhersteller in Zukunft vornehmlich auf dem Gebiet der
Fahrzeugendmontage und selektiv in der Entwicklung betätigen, Bild 3-6.
Zugleich werden markenprägende Marketing- und Vertriebsaktivitäten für die Automo-
bilhersteller an Bedeutung gewinnen, während die reine Fertigung immer mehr in den
Hintergrund tritt [BER07]. Unterdessen wird die Wertschöpfungstiefe der Zulieferer bzw.
Entwicklungs- und Logistikdienstleister auf allen Stufen rapide ansteigen. Man vermutet,
dass Zulieferer im Jahr 2015 rund 90 % aller Fertigungsaktivitäten ausführen werden, in
der Entwicklung werden es zusammen mit Entwicklungsdienstleistern etwa zwei Drittel
sein.

Vor- Serien- Modul- Modul- Fahrzeug-


entwicklung entwicklung fertigung montage montage

‡ OEM-
1
1% Zulieferer Eigenleistung
55 % 54% 75% 75 %
2002 35,3%
35,3 %
99%
99 %
45%
45% 46%
46% OEM
25
25%% 25 %

' Eigenleistung
OEMs –9
-9 –14
-14 –15
-15 –12
-12 –3
-3 –12,8
(%-Punkte)

4%
4 % Zulieferer
64%
64 % 68%
68 % 90%
90 % 87%
87 %
2015 22,5%
22,5 %
96%
96 %
36%
36 % 32%
32 % OEM
10
10%% 13%
13 %

Bild 3-6 Veränderungen in den Wertschöpfungsstufen [MER04a]

Die Hinzuziehung von spezialisierten Dienstleistungsunternehmen nimmt in der Auto-


mobilindustrie einen hohen Stellenwert ein. Im Folgenden soll im Besonderen auf die
Auslagerung von Logistik- sowie Entwicklungsdienstleistungen eingegangen werden.
Ausschlaggebend für die Auslagerung von Logistikdienstleistungen an spezialisierte
Dritte sind vor allem die in der Regel kostengünstigeren und die in einer mindestens
ebenbürtigen Qualität angebotenen Leistungen. In vielen Fällen übernehmen Logistik-
dienstleister sogar ganze Teile der Produktionslogistik innerhalb der OEM-Werkhallen.
34 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

Beispielsweise gab Porsche die operative Logistik der Leipziger Cayenne-Produktion fast
komplett an einen Logistikdienstleister ab. Dieser kommissioniert, erhält Abrufe, steuert
die Anlieferung durch Zulieferer und liefert die benötigten Bauteile und Module zumeist
nach dem Just-in-Time Prinzip direkt ans Endmontageband. Porsche zufolge ist die Ein-
behaltung der Prozesshoheit relevanter als die „operative Seite“ der Logistik. BMW ver-
folgt eine ähnliche Logistikstrategie, denn auch im 2001 entstandenen Werk Leipzig, in
dem täglich über 650 Modelle der 3er Reihe entstehen, übernimmt der Logistik-
dienstleister Schenker einen Großteil der Logistikaufgaben [WIT05; LAN05; MAC04].
Im Zeitalter der Globalisierung werden darüber hinaus Logistikdienstleistungen für die
Automobilindustrie als Mittel zur weltweiten Beschaffung oder zur Bearbeitung entfernter
Absatzmärkte fortwährend wichtiger. Die weltweite Automobillogistik ist durch ihre hohe
Komplexität und einen stetig steigenden Aufwand gekennzeichnet. Logistik ist mittler-
weile zu einem strategischen Wettbewerbsfaktor geworden, denn die Vorteile einer effi-
zienten Belieferung gewinnen zunehmend an Bedeutung. Gemäß einer Untersuchung an
41 Zulieferunternehmen verschiedener Wertschöpfungsstufen erachteten 84 % eine effi-
ziente Logistik als überaus wichtig für den Unternehmenserfolg. Es stellte sich weiterhin
heraus, dass Unternehmen, die einen höheren Anteil an Logistikdienstleistungen ausla-
gern, tendenziell auch eine höhere Unternehmensrendite aufweisen. Durchschnittlich
25 % der Logistikaufgaben wurden 2005 in Automobilzulieferunternehmen von
Dienstleistern übernommen. Die Autoren der Studie erwarten allerdings eine deutliche
Steigerung in den nächsten Jahren [AUT06].
Quantifiziert man Unternehmenserfolg als reine Verbesserung des Shareholder-Value, so
stellt sich heraus, dass effiziente Logistikstrukturen diesen in mehrerer Hinsicht positiv
beeinflussen. Vor diesem Hintergrund tragen zeitgerechte und einwandfreie Lieferungen
maßgeblich zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit und -loyalität bei, was einem Wachs-
tum des Unternehmensumsatzes zugute kommt. Überdies ist ein deutlich positiver Ein-
fluss der Logistik auf Warenbestände, Verbindlichkeiten sowie Forderungen und demzu-
folge auf das sich im Umlauf befindliche Kapital feststellbar. Durch ausgefeilte Techni-
ken, wie dem „Merge-in-Transit“, welches unterschiedliche Warensendungen zu einer
Lieferung kombiniert, kann z. B. die Vorratshaltung von Waren und somit unnötige Kapi-
talbindung vermieden werden. Ebenso ist es möglich, den Shareholder-Value durch eine
Reduktion des Anlagevermögens zu erhöhen. Im Rahmen einer Make-or-Buy Ent-
scheidung kann es für einen Automobilhersteller oder Zulieferer überdies günstiger sein,
lokale Größenvorteile eines Logistikdienstleisters auszunutzen und geringfügige Monta-
gevorgänge an diesen zu übergeben, anstatt eigene Kapazitäten aufzubauen.
Auch Entwicklungsdienstleister nehmen in den Augen von Automobilherstellern und
Zulieferern einen hohen Stellenwert ein. Nach sinkenden Ausgaben seit dem Jahr 2003,
stiegen die Aufwendungen der deutschen Automobilindustrie für Forschung und Ent-
wicklung in Deutschland im Jahr 2006 wieder leicht auf insgesamt ca. 15,2 Milliarden
Euro an. Bild 3-7 gibt Aufschluss über das Marktvolumen für Entwicklungsdienst-
leistungen bis 2010. Dargestellt sind die Ergebnisse einer Befragung von Automobilher-
stellergruppen (MB-Group, BMW-Group, VW-Konzern, Opel/Saab) bezüglich der von
ihnen geplanten Auslagerung von Entwicklungsumfängen.
Es wurde angegeben, dass die auszulagernden Entwicklungsumfänge bis 2010 auf zusam-
men 3,4 Milliarden Euro anwachsen werden. Dieser Zuwachs betrifft zwar alle Haupt-
module, doch das mit Abstand größte Wachstum wird voraussichtlich im Elektronik-
3.1 Strategien der Automobilhersteller 35

bereich stattfinden. Während der zuletzt sinkenden Marktvolumina in fast allen Haupt-
modulen, entwickelte sich dieser Bereich seit 2004 mit einem durchschnittlichen jährli-
chen Wachstum von fast 8 % [VDA07; KÖT06].

4.000

3.500
278
3.000 401
Gesamtfahrzeug
Marktvolumen in Mio. €

2.500
263 Interior
199
925 Karosserie
313 303
2.000 Elektrik/Elektronik
Motor
909 792 Antriebsstrang
1.500
891 Fahrwerk
1.000
435 544

605
500 391 417
146 138 177
0 128 121 165

2004 2007 2010


Bild 3-7 Marktvolumen für Entwicklungsdienstleistungen nach Hauptmodulen [KÖT06]

Unter den 25 umsatzstärksten Entwicklungsdienstleistern der Welt genießen die deut-


schen Vertreter einen hohen Stellenwert. Im Jahr 2005 stammten allein 20 dieser Unter-
nehmen aus Deutschland, allen voran EDAG (Engineering and Design AG) mit einem
Umsatz von ca. 530 Millionen Euro im Automobilbereich. Hinsichtlich der Positionierung
von Entwicklungsdienstleistern sind sich Experten darüber einig, dass eine breite Aufstel-
lung nach dem „Bauchladenprinzip“ ohne echte Kerngebiete zukünftig weniger gute
Erfolgsaussichten bietet. Auch die Strategie einer verlängerten Werkbank wird kritisiert.
Hingegen sieht man eine Spezialisierung auf bestimmte Technologiefelder, die einen
Vorsprung gegenüber der Konkurrenz festigen kann, als äußerst aussichtsreich an.
Bei der sich daraus ergebenden Wertschöpfungsverlagerung lassen sich regionale Unter-
schiede beobachten. Während die absoluten OEM-Eigenleistungen in Europa, Südame-
rika und Asien sogar wachsen werden, ist im Gebiet der NAFTA und in Japan eine rück-
läufige Tendenz zu erwarten sein, Bild 3-8.
Die Eigenleistungstiefe wird in den nächsten Jahren, abhängig vom jeweiligern Hersteller,
stark variieren, Bild 3-9. Im Vergleich zum aktuellen Niveau wird prognostiziert, dass
Premiummarken ihre absoluten Eigenleistungen bis 2015 tendenziell eher erhöhen wer-
den, während Massenmarken wie Ford, Chrysler oder Citroen diese eher senken werden.
Ein Grund liegt darin, dass Premiummarken das Know-how, welches für die Markendif-
ferenzierung relevant ist, tendenziell eher im Hause behalten, anstatt es extern zu verge-
ben und so in ein Abhängigkeitsverhältnis zu geraten.
36 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

318,1

266,6
192,1 75 %
227,1

64 % OEM-WS
64 % 79 %
+8%
+ 5,8 Mrd. €
OEM-WS 36 % 11,9 25 % OEM-WS
–33 % 64 % 43,5 + 121 %
36 %
21 % –26,7 Mrd. € 12,1 + 5,2 Mrd. €
West Ost 65 % 78 %
2002 2015
2002 2015 Europa 2002 2015
NAFTA 115,4 127,6
China
65 % 77 %
OEM-WS
2,5 10,7
+ 161 %
35 % 23 %
+ 1,4 Mrd. €
2002 2015
2002 2015
Indien 25,9 30,9 Japan OEM-WS
73 % 77 % –27 %
OEM-WS –10,7 Mrd. €
Zulieferer 2002 2015 +1%
OEM-WS + 0,05 Mrd. €
OEM 39,5 + 17 % Südkorea
18,9 + 1,1 Mrd. €
64 % 80 %
OEM-WS
2002 2015 66,1
39,5 –5 %
Südamerika 80 % –0,6 Mrd. €
65 %

2002 2015
ROW

Bild 3-8 Regionale Auswirkungen der Wertschöpfungsverlagerung

Zunahme um 4,5 Mrd. €

40 %
Bezogen auf absolute Ist-Eigenleistung

30 %

20 %
30 % Sonstige
Premium-
10 %
15 % Marken
–14,4 –1,2 –6,4 –1,1 –2,1 –1,1 –0,8 –1,2 –1,0 –0,3 0,6
Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € 4% 7% 5%
0% –3 %
–8 % –6 % 0,4 0,4 1,2 1,2 1,3
–13 % –12 % –11 % Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. € Mrd. €
–16 %
–10 % –20 %
–24 %
–28 %
–33 %
–20 %
Sonstige
Massen-
–30 % Marken

–40 %

Abnahme um 30,2 Mrd. €

Bild 3-9 Entwicklung der absoluten OEM Eigenleistungen [MER04a]

Im Gegensatz zu den absoluten Eigenleistungen wird prognostiziert, dass der absolute


Umfang an Fremdleistungen bei allen Herstellermarken, unabhängig von der Unterneh-
menspositionierung, bis 2015 signifikant zunehmen wird. Während bei einem Großteil
der betrachteten Marken eine Steigerung der Fremdleistungen um 40 bis 80 % erwartet
3.2 Chancen und Risiken für Zulieferer 37

wird, geht man bei Opel, Audi und Fiat von einer Steigerung im Ausmaß von über 100 %
aus. Als Konsequenz dieser Auslagerungstendenz müssen alle Hersteller deutlich höhere
Wertschöpfungsvolumina steuern und integrieren, was mit einem erheblichen Komplexi-
tätswachstum einhergeht [MER04a].
Begünstigt durch die zunehmende Verwendung von hochaggregierten Modulen sind
Automobilhersteller allerdings bestrebt, diesem Komplexitätszuwachs mit einer sukzessi-
ven Reduzierung der Anzahl ihrer Direktlieferanten (Tier 1) zu begegnen [GIE04]. Die
durchschnittliche Reduzierung der direkten Lieferantenbasis wird sich bis 2008 in Relati-
on zur Anzahl der First-Tiers im Jahr 1995 auf über 80 % belaufen. Audi wird sich bei-
spielsweise im Jahr 2008 nur noch von etwa 100 Unternehmen direkt beliefern lassen
[TIE03].

3.2 Chancen und Risiken für Zulieferer


Wie die Ausführungen des vorherigen Abschnitts bereits nahe legen, wird die Situation
für Zulieferer der Automobilindustrie in den nächsten Jahren durch gravierende Ver-
änderungen gekennzeichnet sein. Auf der einen Seite werden Zulieferer dem Umsatz nach
vom Outsourcing der Hersteller profitieren können. Dies wird in allen Weltregionen und
durchweg bei allen Herstellern zu beobachten sein. Durch Globalisierungstendenzen der
Automobilindustrie bieten sich für Zulieferer zudem Chancen hinsichtlich einer Vergrö-
ßerung des Gesamtmarktes, anstatt nur Anteile auf bereits bearbeiteten Märkten auszu-
bauen. So können konjunkturelle Schwankungen auf Heimatmärkten zum Teil kompen-
siert und Währungsschwankungen ausgeglichen werden. Sofern entsprechende Integrati-
onskompetenzen vorliegen, kann für Zulieferer darüber hinaus die zunehmende Modul-
arisierung im Automobil von Vorteil sein, wenn es darum geht, den Zuschlag für die
Komplettvergabe von Großmodulen wie Frontends oder Türen zu erhalten. In diesem Fall
ergibt sich ebenfalls die Chance auf vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufen tätig
zu sein und somit das Tätigkeitsfeld zu erweitern [GER04; BAI03].
Durch die umfassende Abgabe von Know-how an Zulieferer gerieten Automobilhersteller
in einigen Fällen sogar bereits in ein Abhängigkeitsverhältnis. Als Beispiel kann die dro-
hende Insolvenz der Firma Peguform, eines Zulieferers mit speziellem Kunststoff Know-
how, genannt werden. Durch mangelnde Investitionen des amerikanischen Mutterkon-
zerns Venture Industries stand das Unternehmen 2002 vor dem Bankrott, welcher direkt
die Lieferungen an Automobilkonzerne wie VW, BMW, DaimlerChrysler und Porsche
gefährdete. Da es sich bei den Lieferungen um besonders hochwertige Komponenten
handelte, wie das Cockpit des VW Phaeton, die kein anderer Zulieferer in vertretbarer
Zeit substituieren konnte, entschlossen sich die Hersteller, das Unternehmen mit Krediten
von fast 100 Millionen Euro zu unterstützen und so am Leben zu erhalten. Um die Exis-
tenz wichtiger Zulieferer zu sichern, erscheinen finanzielle Beteiligungen von Herstellern
an Zulieferern auch in Zukunft möglich [RUE05; GER04].
Vor dem Hintergrund, Zulieferermarken vor dem Endkunden zu etablieren, wird das so
genannte „Ingredient Branding“ seitens der Zulieferer in der Automobilindustrie in den
nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Als Ingredient Branding wird die Bildung einer
Marke für ein Produkt verstanden, dass nicht einzeln, sondern nur als Bestandteil eines
anderen Produktes erworben werden kann. Allgemein wird damit das Ziel verfolgt, die
38 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

vom Endkunden wahrgenommenen Eigenschaften des Zulieferproduktes auf das Gesamt-


gut zu übertragen und das Markenbewusstsein des Kunden auszunutzen. Einer repräsenta-
tiven Erhebung zufolge, ist es 60 % der potentiellen Autokäufern wichtig, dass bestimmte
Teile im Automobil von namenhaften Automobilzulieferern stammen. 65 % der Befragten
gaben an, dass namenhafte Zulieferer die Qualität eines Fahrzeuges steigern. 40 % sind
darüber hinaus bereit, für Fahrzeuge mit derartigen Bauteilen einen Mehrpreis zu entrich-
ten, da sie das Gesamtprodukt durch die Zuliefermarken als wertvoller erachten.
Zu den notwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Etablierung einer Zulieferer-
marke zählen ein hoher Innovationsgrad des Produktportfolios und die Schaffung eines
wahrnehmbaren Zusatznutzens für den Endkunden. Automobilhersteller stehen den unter-
schiedlichen Formen des Ingredient Branding oft zwiespältig gegenüber. Während Opel
z. B. die Sportlichkeit einiger Modelle durch Recaro-Symbole auf den Sportsitzen unter-
streicht, dulden Premiumhersteller oft kein Branding in dieser Form. Es wird befürchtet,
dass Ingredient Branding das eigene Markenimage verwässert und Kunden Qualitätsprob-
leme der Zulieferer in hohem Maße mit der Marke des Automobilherstellers in Verbin-
dung bringen [WES05; FRA05].
Den oben genannten Chancen stehen allerdings verschiedene Anforderungen und Risiken
gegenüber. So wird durch das verstärkte Outsourcing der Automobilhersteller ein Kompe-
tenzaufbau der Zulieferer in allen Fahrzeugbereichen notwendig. Angesichts einer Reduk-
tion der Anzahl von Direktlieferanten und dem Trend zur Modularisierung ist eine Integ-
rationskompetenz von Bauteilen vorgelagerter Wertschöpfungsstufen speziell für Tier 1
Zulieferer von entscheidender Bedeutung.
Der Aufbau von Kompetenzen bedingt einen hohen Investitions- und Finanzierungs-
bedarf bei den Zulieferern, welcher durch den in der Regel bestehenden Druck seitens der
Hersteller, Entwicklungsprojekte vorzufinanzieren, zusätzlich erhöht wird. Diesbezüglich
verdeutlicht Bild 3-10, wie eine unzureichende Eigenkapitalausstattung die Wettbewerbs-
fähigkeit einer Unternehmung negativ beeinflussen kann.

Überbrückung der Finanzierungslücke Hohe Investitionen und


durch Fremdkapital Anlaufkosten bei
3 2
Entwicklungsprojekten
Atypische Ver-
schlechterung 4
der Bilanz Zulieferer mit geringer
1
Eigenkapitaldecke

Verschlechterung
des Ratings 5

7 Verschlechterung der
Erhöhung der Finanzie- Wettbewerbsfähigkeit, ggf.
rungskosten und damit 6 weitere Verschlechterung der
der Stückkosten EK-Ausstattung

Bild 3-10 Folgen einer unzureichenden Eigenkapitalausstattung


3.2 Chancen und Risiken für Zulieferer 39

Einer Studie zufolge lag der von Automobilherstellern und großen Zulieferern geforderte
Preisnachlass gegenüber Lieferanten im Jahr 2006 bei durchschnittlich 4,2 %. Erwäh-
nenswert ist die Tatsache, dass die höchsten Preisnachlässe von großen Zulieferunter-
nehmen (im Schnitt 7,1 %), gefolgt von Volumenherstellern (Opel 6,3 %; Ford 5,6 %)
gefordert wurden. Premiumhersteller forderten dagegen eher unterdurchschnittliche Nach-
lässe (BMW 2,6 %). Der Preisdruck in der Branche brachte in jüngster Zeit einige drasti-
sche Ausprägungen hervor. So werden von Konzerneinkäufern teilweise Preisnachlässe
für bereits laufende Projekte gefordert, damit überhaupt die Chance auf einen Folgeauf-
trag besteht. Ebenfalls sind Fälle bekannt, in denen Zulieferunternehmen gezielt von Aus-
schreibungen ausgeschlossen wurden, weil sie nicht bereit waren, vorab einen gewissen
Betrag zu entrichten, um in die engere Wahl der Konzernpartner zu gelangen. In Verbin-
dung mit den dargelegten Steigerungen aller wichtigen Rohstoffpreise, lässt sich ein deut-
licher Margendruck der Zulieferer konstatieren [GER04; BAI03; LOI07].
Die durch die Konsolidierung bedingten, strukturellen Veränderungen unter den Auto-
mobilherstellern bergen für Zulieferer eine zusätzliche Wettbewerbsverschärfung, da sich
die Anzahl der Kunden reduziert und sich die Verhandlungsmacht des jeweiligen Ab-
nehmers auf diese Weise steigert. Auch wenn im Fall einer Fusion von Herstellern deren
Einkaufsorganisationen nicht unbedingt vollständig verschmelzen, so entstehen durch
Bündelung von Bestellungen und innerbetriebliche Preisvergleiche mit hoher Wahr-
scheinlichkeit Synergien, die zu Lasten des allgemeinen Preisniveaus der Zulieferteile
gehen. Im Fall von PSA (Peugeot und Citroen) teilen sich die Schwestermodelle Citroen
C4 und Peugeot 307 ca. 60 % der Komponenten.
Die Folgerung, dass aufgrund der Bündelung von Bestellungen jedoch zwangsläufig ver-
vielfachte Stückzahlen für Zulieferer vorlägen und damit Economies of Scale realisierbar
wären, greift allerdings zu kurz, denn die wachsende Produktvielfalt im Angebot der Her-
steller bewirkt innerhalb der einzelnen Baureihen kleinere Losgrößen, welche für Zuliefe-
rer ein Stückzahlrisiko implizieren. Aus diesem Grund ist für Bauteile, die nicht über
mehrere Modelle oder Varianten hinaus verwendet werden, eher die Tendenz zu kleineren
Losgrößen festzustellen. Die sich stetig verkürzenden Modelllebenszyklen verhindern
ausgeprägte Lern- und Skaleneffekte über einen längeren Zeitraum gleichermaßen. In der
Praxis werden Verträge häufig sogar nur über einen Zeitraum von 3 Jahren, entsprechend
einem „Facelift-Zyklus“, geschlossen. Um diese Anforderungen bewältigen zu können,
sind entscheidende Faktoren eine weitreichende Flexibilität und Kosteneffizienz in Pro-
duktion und Entwicklung. Nur so können kleine Losgrößen in einer hohen Varianz herge-
stellt werden [LOI07; BAI03; HAM06].
Über viele Jahre hinweg wurde das in Bild 3-11 auf der linken Seite dargestellte Bild
einer Zulieferpyramide als adäquate Beschreibung der zwischenbetrieblichen Verhältnisse
zwischen Herstellern und Zulieferern der Automobilindustrie angesehen. Unter den Au-
tomobilherstellern rangierten Zulieferer komplexer Systeme als 1st Tier, darunter wieder-
um Zulieferer von Subsystemen bzw. Modulen als 2nd sowie Zulieferer einfacher Kompo-
nenten und Teile als 3rd Tier. Diese Struktur trägt den vorherrschenden Verhältnissen
jedoch nur noch in unzureichender Weise Rechnung und bedarf demnach einer Überar-
beitung. Aufgrund der oben dargestellten Situation der Hersteller und Zulieferer erweist
sich das in Bild 3-11 auf der rechten Seite angeordnete Bild einer Zulieferpyramide für
das Jahr 2010 als angemessener.
40 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

2000 Koordination der Zulieferer, 2010 Kernbereiche: Marketing, Vertrieb,


Wertschöpfungsanteil 30–35 % Entwicklung und Innovation
OEM OEM
Integrationskompetenz:
•Technologien und Prozesse
1st Tier Komplexe Systeme 1st Tier •Module und Systeme
•2nd + 3rd Tier Zulieferer
••Technologieführerschaft

Technologieführerschaft in
2nd Tier Subsysteme, Module 2nd Tier
einzelnen Feldern

Komponenten, Prozess-/Kostenführer-
3rd Tier Teile 3rd Tier schaft (v. a. Produktion)

Bild 3-11 Entwicklung der Zulieferpyramide [HAN01]

Während Automobilhersteller nur wenige Teilbereiche im Entstehungsprozess eines Au-


tomobils fokussieren, werden Zulieferer einen Großteil der Wertschöpfung tragen. Die im
Folgenden vorgestellten Zulieferebenen sollen jedoch nicht als einseitig ausgerichtete
Lieferketten verstanden werden. Vielmehr existieren zwischen den beteiligten Unterneh-
men netzwerkartige Strukturen, die sich durch zahlreiche Verknüpfungen und Kommuni-
kation unter den verschiedenen Ebenen auszeichnen [AUT06].
Auf der untersten Stufe der Zulieferpyramide stehen 3rd Tier Zulieferer, die vor allem Pro-
duktions-Know-how aufweisen und aufgrund dessen im Hinblick auf Prozesse und Kos-
ten marktführend sind. Als 2nd Tier Zulieferer werden in der Pyramide Spezialisten auf
ausgewählten Gebieten bezeichnet. Anstatt eine Diversifikationsstrategie zu verfolgen,
legen sich diese Zulieferer auf bestimmte hochkomplexe Technologiefelder fest und si-
chern sich infolgedessen einen Wettbewerbsvorteil. Hersteller werden derweil besonders
den Wettbewerb auf Tier 1-Ebene fördern, um den Kunden ein möglichst breit gefächer-
tes Spektrum an differenzierbaren Leistungen zur Verfügung stellen zu können. Durch die
fortschreitende Modularisierung im Automobilbau müssen den Herstellern direkt vorge-
lagerte Zulieferer vor allem Integrationskompetenzen und ein fachgebietsübergreifendes
Know-how aufweisen, um die Produkte ihrer Lieferanten in Module einzubinden.
Darüber hinaus müssen sie eine gewisse Unternehmensgröße besitzen, damit umfangrei-
che Projekte geschultert werden können und alle erforderlichen Kompetenzen unmittelbar
zur Verfügung stehen. Diese Anforderungen in Kombination mit der Reduzierung der
Anzahl von Direktlieferanten seitens der Hersteller sind für einen umfangreichen Konsoli-
dierungsprozess unter den Tier 1 Zulieferern verantwortlich, der zur Bildung so genannter
„Mega-Zulieferern“ führt. Die durch Fusionen und Akquisitionen entstehenden Mega-
Zulieferer vereinen Entwicklungs-, Integrations- und Fertigungs-Know-how in allen
Fahrzeugbereichen und koordinieren vorgelagerte Zulieferer der 2nd und 3rd Tier Ebene.
Es wird vermutet, dass es langfristig nicht mehr als 30 bis 50 Mega-Zulieferer weltweit
geben wird [TIE03; HAN01].
Überdies wird sich der Konsolidierungsprozess auch auf den anderen Ebenen der Zu-
lieferpyramide fortsetzten, Bild 3-12. Hauptsächlich werden sich Unternehmen mit einem
geringen Differenzierungspotential und wenig innovativen, substituierbaren Produkten
vom Markt zurückziehen müssen. Auch eingeschränkte Ressourcen hinsichtlich Finanz-
3.2 Chancen und Risiken für Zulieferer 41

kraft oder Know-how können die Unternehmenszukunft gefährden. Von den 5.600 Zulie-
ferbetrieben im Jahr 2000 werden 15 Jahre später nur noch die Hälfte als unabhängige
Unternehmen tätig sein. Im Vergleich zur drastischen Abnahme der Zulieferbetriebe von
1980 bis 2000 ist allerdings eine sichtbare Verlangsamung der Konsolidierungsgeschwin-
digkeit zu beobachten [MEI07].

30.000
40.000 (1988)

Anzahl Zulieferer
Anzahl Zulieferer

8.000
(1998)

5.600
8.000 (2000)
~2.800
5.000 (2015)

500

50
0
1900 1950 2000 2015
Bild 3-12 Konsolidierung unter Zulieferern [MER04a]

Angesichts der wettbewerbsintensiven Situation in der Automobilindustrie und insbeson-


dere unter den Zuliefererunternehmen werden im Folgenden fünf Geschäftsmodelle vor-
gestellt, die für Zulieferer als aussichtsreich angesehen werden können. Anhand der drei
Dimensionen Integrationspotential, Innovationspotential und Volumen pro Modul veran-
schaulicht Bild 3-13 die grundlegende Ausrichtung des jeweiligen Geschäftsmodells. Das
erste Modell des so genannten „Volumenanbieters“ bezieht sich auf Unternehmen, die
weder durch ihre Innovationsfähigkeit noch durch ihr besonderes Integrationspotential
auf sich aufmerksam machen. Stattdessen verfolgen sie eine Kostendegressionsstrategie
und profilieren sich mit relativ einfachen Standardprodukten in hohen Stückzahlen, um
sich Marktanteile zu sichern. Die klare Fokussierung auf operative Exzellenz und Econo-
mies of Scale geht in diesem Fall mit intensivem Low-Cost-Sourcing sowie einem Supply
Chain Konzept zur Auslastung der globalen Kapazitäten einher. Als Beispiel eines Volu-
menherstellers kann der Scharnierhersteller Edscha gelten, der beweist, dass mit diesem
Geschäftsmodell profitables Wachstum zu erzielen ist.
Nischenanbieter wie der Bremsenhersteller Brembo oder der Gliederkettenhersteller Luk
sind Vertreter des zweiten Geschäftsmodells. Bei vergleichsweise geringem Auftragsvo-
lumen streben sie die Innovationsführerschaft in speziellen Technologiefeldern an. Außer-
dem hat Kundenbindung für sie einen hohen Stellenwert, denn sie fokussieren bestimmte
Abnehmer und bieten diesen hoch spezialisierte und maßgeschneiderte Lösungen an.
42 3 Strategien der Fahrzeughersteller und Wirkungen auf Zulieferer

Das dritte Geschäftsmodell des Komponentenspezialisten zeichnet sich zwar ebenfalls


durch Innovationskraft und Spezialisierung aus, allerdings ist hier tendenziell ein höheres
Auftragsvolumen zu verzeichnen, da man sich gleichermaßen bei Automobilherstellern
als auch bei Systemintegratoren profiliert. Die Integration der meist auf Zusatz-
funktionalitäten beruhenden Innovation übernimmt in der Regel ein Systemintegrator.
Komponentenspezialisten zeichnen sich mit ihr durchgängiges Innovationsmanagement
aus und werden auch als „Innovationsschmieden“ der Zukunft bezeichnet. Als Beispiele
für dieses Geschäftsmodell seien der Spiegelhersteller Gentex oder der Scheibenwischer-
hersteller Trico genannt.

Bild 3-13 Fünf Geschäftsmodelle für Automobilzulieferer [EHM02]

Ein charakteristisches Merkmal für Modul- und Systemspezialisten ist die Fähigkeit,
Komponenten und Teile in Module und Systeme zu integrieren und diese den kundenspe-
zifischen Anforderungen anzupassen. Sie verfolgen eine differenzierte Know-how-
/Wertschöpfungsstrategie und müssen durch kontinuierliche Innovation der Modul- und
Systemfunktionalität permanent Fahrzeugveränderungen antizipieren oder selbst voran-
treiben. Zudem ist es entscheidend, dass Neudefinitionen von Schnittstellen bezüglich
Modulen und Systemen im Automobil frühzeitig erkannt und in den Entwicklungsprozess
einbezogen werden.
Systemintegratoren kommt die Aufgabe zu, Komponenten, Module und Systeme, die ent-
weder selbst entwickelt und hergestellt oder auch fremdbezogen sind, zu hochkomplexen
Großmodulen zu kombinieren. Sie profilieren sich bei den OEM durch Entwicklungs-
3.3 Fazit 43

partnerschaften, Übernahme von Systemverantwortung, Funktionsintegration sowie Inno-


vations- und Partnermanagement. Daher kann ihre Verbindung zu den Automobilherstel-
lern als besonders eng bezeichnet werden.
Unter allen vorgestellten Geschäftsmodellen ergeben sich für Systemintegratoren zugleich
die ausgeprägtesten Chancen, durch Ingredient Branding die eigene Marke zu etablieren.
Ihre Zielsetzung muss unterdessen darin bestehen, intelligente globale Produktionsnetz-
werke aufzubauen, sich in aussichtsreichen Technologiefeldern zu verstärken und Kern-
kompetenzen zu fokussieren. Als Beispiel für einen erfolgreichen Systemintegrator gilt
Continental. Durch die jüngst durchgeführte Akquisition von Siemens-VDO verstärkte
man sich gezielt in den wachsenden Geschäftsfeldern Antriebsstrang und Infotainment
[EHM02; GER04].

3.3 Fazit
Die Ausführungen der letzten Abschnitte haben gezeigt, dass sich die Wettbewerbsbedin-
gungen sowohl für Automobilhersteller als auch für deren Zulieferer in den vergangenen
Jahren deutlich verschärft haben und auch in nächster Zukunft mit hoher Wahrschein-
lichkeit nicht mit einer Entspannung der Lage zu rechnen ist. Zu beobachten ist ein Kon-
solidierungsprozess auf allen Ebenen der Automobilindustrie, der die Anzahl der unab-
hängigen Unternehmen bereits wesentlich reduziert hat. Vor allem für kleinere Unter-
nehmen mit wenig Innovationskraft wird das Überleben deutlich schwieriger werden.
Begründet durch die Sättigung der klassischen Kernabsatzmärkte wurden zwei effektive
Lösungsansätze für Hersteller vorgestellt, um neue Marktanteile zu gewinnen und beste-
hende zu sichern. So bietet sich zum einen die Erschließung neuer Märkte durch Globali-
sierung sowie zum anderen die Auffächerung der Produktpalette durch Produktprolifera-
tion an. Da nahezu alle internationalen Automobilhersteller bereits die Anzahl ihrer ange-
botenen Modelle und Modellvarianten stark erhöht haben und sie die infolgedessen resul-
tierenden, gesteigerten Entwicklungs- und Produktionserfordernisse oftmals nicht alleine
zu schultern im Stande sind, wird sich die Verlagerung der Wertschöpfungsanteile in
Richtung Zulieferer noch ausweiten. Diese Tendenz wird zusätzlich durch verkürzte
Fahrzeuglebens- bzw. Faceliftzyklen sowie durch erhöhte Komplexitäts- und Qualitäts-
anforderungen der Automobile verstärkt. Im Bezug auf die Automobilhersteller ist über-
dies zu erkennen, dass man sich zukünftig insbesondere auf markenrelevante Kernberei-
che fokussieren wird, während andere Bereiche, wie große Teile der Produktion und Ent-
wicklung von Zulieferern übernommen werden.
Zulieferer werden indessen nur teilweise von dem verstärkten Outsourcing der Hersteller
profitieren können. Einerseits bestehen für Zulieferunternehmen Chancen hinsichtlich
einer Umsatzsteigerung oder der Etablierung einer Marke durch Ingredient Branding.
Andererseits geraten die Margen der Zulieferer durch steigende Rohstoffpreise, geforder-
te Preisnachlässe und andere Faktoren weiter unter Druck. Die vorgestellten Chancen und
Risiken lassen erkennen, dass sich die Konsolidierung unter den Automobilzulieferern
noch weiter fortsetzen wird und in diesem Zuge durch Fusionen und Akquisitionen ver-
mehrt große Zulieferkonzerne entstehen werden, die innovative kleine Unternehmen ko-
ordinieren und deren Erzeugnisse in Module und Systeme integrieren.
44

4 Kooperationen in der Automobilindustrie

Allgemein existiert eine Vielzahl von Kooperationsformen, die für Unternehmen der
Automobilindustrie relevant erscheinen. Im weitesten Sinne zählen auch Fusionen und
Akquisitionen zu den Formen der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit. Unternehmen
erhoffen sich von den letztgenannten Transaktionen ein schnelles Wachstum, welches die
Nutzung von Skaleneffekten verschiedener Form in Aussicht stellt, die mit einem organi-
schen Wachstum kaum in einem vergleichbaren Zeitraum zu erreichen wären. In der Au-
tomobilindustrie waren derartige Transaktionen in der Vergangenheit allerdings in vielen
Fällen weniger erfolgreich als zunächst angenommen. Zu nennen sind hier etwa die
Übernahme von Rover durch BMW im Jahr 1994 oder die Fusion von Daimler-Benz und
Chrysler 1998. Rover und Chrysler wurden inzwischen weiterveräußert. Im Gegensatz zu
Fusionen und Akquisitionen gewinnen andere Kooperationsformen, wie Joint Ventures
oder strategische Allianzen, in der Automobilindustrie zunehmend an Bedeutung
[DUD06b; JOH07a].
Als Beispiel für den hohen Stellenwert von Kooperationen in der Automobilindustrie
kann PSA (Peugeot und Citroen) gelten, wo insgesamt fast 20 % aller Herstellungskosten
in Kooperationsprojekten anfallen. Die Kooperationsbereiche erstrecken sich dabei von
der gemeinsamen Komponenten- und Teileentwicklung bis hin zur Produktion kompletter
Fahrzeuge. Beispielsweise werden in Zusammenarbeit mit BMW verschiedene Benzin-
motoren entwickelt, die im BMW Mini und in diversen Modellen von Peugeot und Citro-
en Anwendung finden. PSA kooperiert seit 2002 ebenfalls mit Bosch, um gemeinsam
Innovationen bezüglich Fahrzeugsicherheit, Komfort, Abgasverhalten und Treibstoff-
verbrauch zu entwickeln [PSA07; DUD06b].
Definitorisch stellt eine Kooperation die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen dar,
x die rechtlich und wirtschaftlich selbstständig sind,
x die durch wechselseitige Abstimmung von Aufgaben gekennzeichnet ist,
x die auf freiwilligem Entschluss aller Kooperationspartner beruht,
x die der Verfolgung von gemeinsamen oder miteinander kompatiblen Zielen der Ko-
operationspartner dient,
x aus der sich die Partner im Vergleich zum alleinigen Vorgehen eine höhere Zielerrei-
chung versprechen [BOE04].
Für die Entstehung und Gestaltung von Kooperationen existiert eine Vielfalt ökonomisch-
er und sozialer Theorieansätze. Besondere Beachtung genießen diesbezüglich die Spiel-
theorie, die Prinzipal-Agent-Theorie, der Transaktionskostenansatz sowie die Theorie des
organisationalen Lernens. In Bild 4-1 werden diese Theorien anhand zentraler Fragestel-
lungen und Aussagen vorgestellt. Während Spiel- und Prinzipal-Agent-Theorie primär
das Verhalten der Kooperationspartner und die Stabilität der Kooperation erforschen,
wenden sich der Transaktionskostenansatz und die Theorie des organisationalen Lernens
den Gründen für eine Kooperation bzw. dem Wissenstransfer zwischen den Partnern zu.
3.3 Fazit 45

Zentrale Fragestellung Zentrale Aussagen


Transaktions- Welche Gründe gibt es Kooperationen werden geschlossen,
kosten Ansatz für die Existenz von wenn marktliche und hierarchische
Kooperationen? Transaktionsformen nachteilig sind.
Spieltheorie Wie verhalten siche
sich die Wann wird von opportunistischen
Kooperationspartner? verhalten abgesehen und eine „Win-Win-
-Win-
Wovon hängt die Situation hergestellt–
Situation“ – Kooperationen mit
Stabilität ab? Kapitalbeteiligung
Kapitalbeteiligung.
Prinzipal-Agent- Wie verhalten siche
sich die Beauftragte Agenten verfügen durch
Theorie Kooperationspartner?
Kooperationspartner Informationsvorsprüngeüber einen
eine
Wovon hängt die Entscheidungsspielraum, der für eigene
Stabilität ab? Vorteile genutzt werden kann.
Theorie des Wie kann sich das U. Kooperation wird als Instrument
organisationalen Know-how des Partners
Know- betrachtet, durch welches das U. Zugriff
Lernens zu eigen machen und auf Know-
Know-how des Partners erhält.
das eigene Know-
Know-how Kooperationserfolg hängt von Gleich-
vor Diffusion schützen? gewicht bezüglich Lernentschlossenheit,
Transparenz und Lernbereitschaft ab.

Bild 4-1 Theorien die in Verbindung zu Kooperationen stehen [BOE04]

Einer Studie zufolge, welche auf einer Umfrage unter Automobilherstellern und Zuliefe-
rern verschiedener Umsatzgrößen basiert, stellte sich heraus, dass im Jahr 2005 bereits
95 % aller befragten Unternehmen Partner einer Kooperation waren. Im Hinblick auf die
häufigsten Kooperationsbereiche zeigt sich das Bild einheitlich. Unabhängig von der
Unternehmensgröße kann festgestellt werden, dass die mit Abstand meisten Koopera-
tionen den Bereichen Forschung und Entwicklung, Beschaffung sowie Produktion zuzu-
ordnen sind. Darüber hinaus wurde deutlich, dass besonders größere Unternehmen
(> 50 Millionen Euro Umsatz pro Jahr) auch andere Funktionsbereiche, wie den Vertrieb,
in Betracht ziehen, während sich kleinere Unternehmen zumeist auf die oben genannten
Bereiche beschränken.
Unter den Kriterien der Partnerwahl dominieren die Kernkompetenzen, die zur Verfügung
stehenden Ressourcen und die bearbeiteten Geschäftsfelder eines potentiellen Partnerun-
ternehmens andere Auswahlkriterien deutlich. Es spielt bei der Suche eines Kooperations-
partners offenbar nur eine untergeordnete Rolle, ob sich das Unternehmen in größerer
geografischer Entfernung befindet oder ob die Unternehmensgröße stark von der eigenen
abweicht. Auch stellt eine fehlende Kooperationserfahrung anscheinend kein ausschlag-
gebendes Hindernis dar. Generell bergen Kooperationen eine Vielzahl von Chancen und
Risiken, die Unternehmen dazu verleiten, eine überbetriebliche Zusammenarbeit einzuge-
hen oder dies zu unterlassen. Bild 4-2 stellt eine Auswahl dieser Faktoren dar. Hinsicht-
lich der relevanten Gründe für die bereits eingegangene Kooperation stufte die Mehrheit
der befragten Unternehmen den Zugewinn an Know-how, die Fokussierung auf Kern-
kompetenzen und die Erzielung von Synergieeffekten als bedeutsamste Aspekte ein. Als
größte Hürden gegen eine Kooperation wurden am häufigsten die Abwanderung von
Know-how, fehlendes Vertrauen und geringe Marktransparenz genannt [GRO05;
46 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

DAN06a]. Aus der Tatsache, dass fast alle betrachteten Unternehmen kooperieren ist ab-
zuleiten, dass aus Unternehmenssicht die Chancen von Kooperationen insgesamt höher
ins Gewicht fallen als die möglichen Nachteile.

n
Risike

en
Chanc • Hohe Komplexität durch viele
Schnittstellen
• Gegensatz: Vertrauensaufbau bei
• Zugang zu neuen Märkten begrenzter Kooperationsdauer
• Zugewinn von Know-how • Gründungs- und Koordinationskosten
• Ausnutzung von Synergieeffekten • Verlust des eigenen Know-hows
• Senkung von Investitionskosten • Verlust qualifizierter Mitarbeiter durch
• Konzentration auf Kernkompetenzen Abwerben
• Kostensenkungen • Entstehung eines Abhängigkeits-
• Reduzierte Kapitalbindung verhältnisses
• Produktivitätssteigerungen • Eigenständigkeitseinbußen
• Erhöhte Innovationsfähigkeit
• Entschärfung des Wettbewerbs

Bild 4-2 Chancen und Risiken von Kooperationen für beteiligte Unternehmen [GRO05]

Einer ähnlich gearteten Umfrage zufolge stellte sich heraus, dass Zulieferunternehmen
zeitlich begrenzte Kooperationen deutlich anderen vorziehen, die über einen längeren
Zeitraum wirksam sind oder mit einer Kapitalbeteiligung einhergehen, Bild 4-3.

100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
hoch temporäre dauerhafte Beteiligung an Fusion mit Partner
projektbezogene Kooperation ohne anderen
mittel
Zusammenarbeit kapitalmäßige Unternehmen
gering Bindung

Bild 4-3 Stellenwert verschiedener Kooperationen für Zulieferer [BÜC03]


4.1 Sonderformen und Fallbeispiele 47

So räumen 70 % der befragten Zulieferer einer temporären projektbezogenen Zusammen-


arbeit einen hohen Stellenwert ein, während eine Fusion mit anderen Unternehmen von
weniger als 10 % als wichtig angesehen wird [BÜC03].
Als Einflussfaktoren erfolgreicher Kooperationen sind besonders so genannte „weiche“
Faktoren wie Vertrauen, Partizipation und strategische Bedeutung relevant. Ersteres ist
damit zu begründen, dass der Aufbau von Vertrauen die Verhaltenssicherheit stärkt, In-
formationsasymmetrien vorbeugt und die Tendenz zu opportunistischem Verhalten min-
dert. Partizipation, im Sinne einer Teilhabe an bedeutenden Entscheidungen, verbessert
den Informationsfluss und ermöglicht eine Akquisition von Partnerwissen. Darüber hin-
aus wird das Commitment zur Kooperation erhöht und opportunistisches Verhalten eher
aufgedeckt. Schließlich kann argumentiert werden, dass der Erfolg einer Kooperation
auch von der Bedeutung derselbigen für die jeweiligen Partner abhängt. So ist nachvoll-
ziehbar, dass die beteiligten Akteure ihr Engagement den erwarteten Erfolgspotentialen
anpassen werden. Demnach wird ein Bezug zur strategischen Bedeutung deutlich
[MÖL06, DAN06a].

4.1 Sonderformen und Fallbeispiele


Wegen der häufigen Bildung von Joint Ventures und strategischen Allianzen in der Auto-
mobilindustrie, sollen diese im Folgenden als wichtige Sonderformen näher erläutert
werden.

4.1.1 Strategische Allianzen


Als strategische Allianz wird eine zwischen zwei oder mehreren selbstständigen Unter-
nehmen derselben Wertschöpfungsebene (z. B. zwei OEM) angesiedelte Koalition zur
Stärkung der individuellen Fähigkeiten in einzelnen Geschäftsfeldern bezeichnet. Erfolg-
reiche strategische Allianzen zeigen ein klares Muster. Die Kooperationspartner weisen
ähnliche Kulturen auf, haben eindeutige Ziele und Verantwortlichkeiten für die Gemein-
schaftsaufgaben definiert und eine gemeinsame Vision von dem zu erstellenden Produkt.
Ein spezifischer Nachteil von strategischen Allianzen ergibt sich allerdings aus den oben
angeführten, weichen Erfolgsfaktoren einer Kooperation. Da die beteiligten Unternehmen
in vielen Fällen außerhalb der Allianz in einem Konkurrenzverhältnis stehen und oft Pro-
dukte an identische Zielgruppen anbieten, liegen erschwerte Vorraussetzungen für die
Bildung des notwendigen Vertrauensverhältnisses vor [KIL04; DUD06b].
Ein Beispiel kann mit der strategischen Allianz zwischen DaimlerChrysler, BMW und
General Motors (GM) angeführt werden. Die Automobilhersteller gingen 2005 eine Alli-
anz auf dem Gebiet der Hybridtechnologie ein. Ziel ist die Entwicklung eines modularen
„Two-Mode“-Hybridantriebes, welcher deutliche Verbrauchsreduzierungen ohne Kom-
promisse bei den Fahreigenschaften bieten soll. In einem gemeinsamen „GM, Daimler-
Chrysler and BMW Hybrid Development Center“ mit Sitz in Troy, Michigan (USA),
werden das modulare Gesamtsystem sowie die einzelnen Komponenten entwickelt: Elekt-
romotoren, Leistungselektronik, Verkabelung, Sicherheitssysteme, Energiemanagement
sowie die Steuerung des Gesamtsystems. Momentan werden Hybridsysteme für Pkw mit
Front- und Heckantrieb, leichte Nutzfahrzeuge und SUVs entwickelt. Das so genannte
Vollhybridsystem mit einer vollständig integrierten Kombination aus zwei Elektromoto-
48 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

ren und einem Getriebe mit festem Übersetzungsverhältnis soll, verglichen mit herkömm-
lichen Hybrid-Systemen ohne feste mechanische Übersetzungsverhältnisse und mit nur
einer Drehmomentverzweigung, wesentliche Vorteile in punkto Kraftstoffverbrauch und
Dynamik bieten. Eine essentielle Voraussetzung für das Zustandekommen der Allianz lag
in der Erforderlichkeit begründet, das System individuell an die jeweiligen markenspezifi-
schen Anforderungen anpassen zu können [DAI05, JUN06].
Verschiedene Faktoren waren für das Zustandekommen der Allianz ursächlich. So setzen
die japanischen Hersteller Toyota und Honda seit längerem unerwartet hohe Stückzahlen
von Hybridfahrzeugen ab und etablierten die Technologie auf den Weltmärkten. Da sich
in den Portfolios von BMW, DaimlerChrysler und GM hingegen noch keine vergleichba-
ren Modelle vorfanden, wurde angenommen, dass dies im Zeitalter von steigenden Kraft-
stoffkosten bei zunehmendem Umweltbewusstsein der Konsumenten und schärferen Reg-
lementierungen zu nicht unerheblichen Wettbewerbsnachteilen führen könnte. Überdies
wurde der technologische Vorsprung Toyotas im Hybridbereich im Jahr 2006 auf mehrere
Jahre geschätzt, wenn jeder Hersteller seine Bemühungen isoliert fortsetzen würde. Eine
strategische Allianz bot den drei betrachteten Automobilherstellern die Möglichkeit, die
erforderlichen enormen Kosten zur Weiterentwicklung der Hybridtechnologie zu teilen
und auf den jeweiligen Entwicklungsstand bzw. das Know-how der Partner zugreifen zu
können. Eine Grundvoraussetzung zur Durchführung der Allianz war darüber hinaus die
Modularität und Individualisierbarkeit des Systems, um eine Differenzierung der beteilig-
ten Marken sicherzustellen [BER07].
Hinsichtlich eingegangener Risiken kann argumentiert werden, dass zumindest zwei der
drei identifizierten wesentlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kooperation in
ausreichender Form erfüllt sind. Auf der einen Seite sind die drei Unternehmungen etwa
in gleichem Maße an der Allianz beteiligt, weiterhin kann den obigen Ausführungen ent-
nommen werden, dass die strategische Bedeutung jeweils außerordentlich hoch ist und die
Unternehmen bestrebt sind, in kurzer Zeit mit hybridgetriebenen Fahrzeugen auf dem
Markt vertreten zu sein. Allein beim Aspekt des Vertrauens kann keine eindeutige Aussa-
ge getroffen werden. Zusammenfassend lässt sich folgern, dass durch die eingegangene
Allianz für die 3 Hersteller eine Win-Win-Situation in Aussicht steht, welche sich in der
Bildung eines erfolgreichen Gegenpols zu den Hybridvorstößen japanischer Hersteller
manifestieren könnte.
Ein weiteres Beispiel für eine strategische Allianz soll an dieser Stelle Renault-Nissan
bilden. Im Zuge der Merger & Acquisitions – Welle unter internationalen OEMs Ende der
90er Jahre, zu denen unter anderem die Fusion von Daimler und Chrysler sowie die Ak-
quisition von Volvo durch Ford gehörten, waren auch Renault und Nissan auf der Suche
nach strategischen Partnerschaften, um dessen Vorteile zu nutzen. Nach Verhandlungen
mit mehreren OEMs erfolgte im März 1998 die Unterzeichnung eines Allianz-Vertrages
zwischen Renault und Nissan.
Wie Bild 4-4 veranschaulicht, hält Renault 44,3 % an Nissan, Nissan 15 % an Renault.
Beide Partner gründeten 2002 die Renault-Nissan B. V., eine GmbH niederländischen
Rechts mit Sitz in Amsterdam und Büros in Paris und Tokio. Sie gehört Renault und Nis-
san zu gleichen Teilen und ist nach eigenen Angaben als strategische Allianz ausgestaltet.
Die R.-N. B. V. ist Träger des Alliance-Boards, welches die Aktivitäten der Kooperation
steuert [NIS07].
4.1 Sonderformen und Fallbeispiele 49

Wenngleich Analysten Ende der 90er Jahre häufig Merger & Acquisitions propagiert
hatten, da sie der Ansicht waren, dass Unternehmen unterhalb einer kritischen Größe von
4 Millionen abgesetzten Fahrzeugen pro Jahr dem internationalen Wettbewerb kaum
standhalten könnten, ist für weiterführende Beweggründe zum Eingang der Allianz die
Situation der beiden Hersteller zu diesem Zeitpunkt zu beachten. Nachdem Renault be-
reits in den 70er Jahren den nordamerikanischen Automobilmarkt betrat und sich Anfang
der 80er Jahre wegen massiven Qualitätsproblemen mit großen Verlusten wieder zurück-
zog, war Renault Ende der 90er Jahre stark vom europäischen und südamerikanischen
Markt abhängig. Da Renault eine gleichberechtigte Partnerschaft anstrebte, kamen große
deutsche oder amerikanische Hersteller, wie GM, Ford oder Volkswagen, nicht in Frage.
Aus diesem Grund sowie der Bedeutung eines Zugangs zum wachsenden asiatischen
Markt, entschloss sich Renault schließlich zu einer Kooperation mit einem japanischen
OEM. Dabei wurde Nissan der Vorzug vor Mitsubishi gewährt, da man sich vom absatz-
stärkeren der beiden Unternehmen höhere Economies of Scale versprach. Nissan bot
außerdem überlegene Produktionstechnik, höhere Qualitätsstandards und war ebenfalls in
den USA vertreten.

44,3%
44,3 %

50
50%
% 50%
50 %

Renault-Nissan B.V.
Renault

Nissan

100%
100 %

Joint Ventures
RNPO (R.-N. Purchasing
Organisation)
RNIS (R.-N. Information
Service)

15%
15 %

Bild 4-4 Die strategische Allianz zwischen Renault und Nissan

Für Nissan war der betreffende Zeitraum vor allem durch finanzielle Schwierigkeiten ge-
kennzeichnet. Dies stellte letztlich auch den Hauptgrund für die Suche nach einem Ko-
operationspartner, bzw. einem Investor, dar. Ebenso wie Renault strebte auch Nissan eine
insgesamt internationalere Ausrichtung an und wollte in diesem Zuge die Aktivitäten in
Europa und Lateinamerika verstärken. Anfangs plante man bei Nissan eine Kooperation
mit größeren Herstellern, die sich mangels Interesse jedoch nicht ergab [SCH06; BUC06,
NIS07].
Renault-Nissan selbst formuliert beachtliche Zielsetzungen der Allianz, Bild 4-5:

1. To be recognized by customers as being among the best three automotive groups in the
quality and value of its products and services in each region and market segment.
2. To be among the best three automotive groups in key technologies, each partner being a
leader in specific domains of excellence.
3. To consistently generate a total operating profit among the top three automotive groups in
the world, by maintaining a high operating profit margin and pursuing growth.

Bild 4-5 Zielsetzungen von Renault-Nissan [NIS07]


50 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

Die in die Allianz involvierten Kooperationsbereiche von Renault und Nissen erstrecken
sich über alle wesentlichen Unternehmensgebiete, Bild 4-6.

Einkauf: Logistik: F&E-Bereiche:


– Das Joint Venture RNPO bezieht – 6 spezielle Logistik-Teams in – Antrieb
Zulieferteile beider Firmen und zwischen den Werken
– Navigations- und
– Umsatz mit 25 Mrd.€ jährlich sowie zwischen Fabriken und
Kommunikationssysteme
bereits 70 % des Gesamtvolumens Händlern
– Gemeinsame Entwicklung und
Produktplanung: Nutzung von Plattformen
– Gemeinsame „Alliance Quality
– Allgemein getrennte Ent- Kooperationsbereiche
wicklung zur Wahrung der Charta“ zur Qualitätssicherung
von Renault-Nissan bei der Entwicklung
Markenidentität
– Ausnahmen nur bei Produktion:
speziellen Projekten
– „Best-Practice“-Vergleiche
Informationssysteme und Technologie: – „Alliance Vehicle Evaluation
– Das Joint Venture RNIP dient der Standardisierung System“ zur Qualitätssicherung
der Infrastruktur zur Absicherung einer reibungslosen – Teilweise gemeinsame Nutzung
Kommunikation von Produktionskapazitäten

Bild 4-6 Kooperationsbereiche von Renault Nissan [NIS07; SCH06]

Einige Jahre nach der abgeschlossenen Transaktion lassen sich erste Schlüsse zum Erfolg
der Allianz ziehen. Während die Erreichung der ersten beiden selbst gesetzten Ziele
schwer nachweisbar erscheint, so fällt dies beim dritten Ziel leichter. Gemäß Bild 1-9
erzielten die Marken Renault als auch Nissan im Jahr 2006, gemessen an ihrem jeweiligen
Umsatz einen außerordentlich hohen Gewinn. Sie waren demnach im Vergleich zu ande-
ren Herstellern relativ erfolgreich. Nissan galt 2004 überdies als der profitabelste Auto-
mobil-Volumenhersteller der Welt. Renault-Nissan verkaufte im Jahr 2005 über
6 Millionen Fahrzeuge, wozu Nissan etwa zu 60 % beitrug. Insgesamt nimmt die Allianz
damit den 4. Rang der weltweit größten Automobilherstellergruppen ein.

1.200.000

1.000.000 Renault
Verkaufte Einheiten

Nissan
800.000

600.000

400.000

200.000

0
Rumänien
Italien

Niederlande
Belgien/Lux.

Portugal
Deutschland

Türkei
Frankreich

Spanien

China

Russland

Brasilien
Mexico

Kanada
UK

Südafrika
Japan

Korea

Australien
USA

Taiwan

Bild 4-7 Verkaufte Einheiten von Renault-Nissan 2005 [NIS07]

Das positive Ergebnis wird allerdings durch weitgehende Nichterreichung der erwünsch-
ten Markterweiterungen getrübt, da die Mehrheit der PKWs in Regionen abgesetzt wur-
den, in denen der jeweilige OEM vor der Allianz bereits tätig war, Bild 4-7. Beispielhaft
4.1 Sonderformen und Fallbeispiele 51

ist Renault auf US-amerikanischen und asiatischen Märkten außer in Südkorea noch nicht
vertreten. Bei Nissan ist die Situation vergleichbar.
Ein weiterer Aspekt betrifft das empfundene Markenimage der beiden Hersteller seitens
der Endkunden, welches einer Untersuchung zufolge im Gegensatz zu den meisten Kon-
kurrenten seit Beginn der Allianz etwa auf einem konstanten Niveau verharrt. Zudem
traten Probleme mit dem Vertriebssystem einzelner Länder auf. Aufgrund der guten Ge-
schäftszahlen zeigen sich die Partner insgesamt mit dem Ergebnis allerdings sehr zufrie-
den. Wesentlich für den Erfolg der Allianz ist nach Angaben des Managements die un-
verändert strenge Markentrennung sowie die weitere Profilierung der jeweiligen Marken-
identitäten [SCH06; NIS07; LYC04; DUD06c].

4.1.2 Joint Ventures


Als Joint Venture wird die Gründung eines gemeinsamen, rechtlich selbstständigen Un-
ternehmens im Rahmen einer zwischenbetrieblichen Kooperation verstanden. Die be-
teiligten Unternehmungen bringen unterschiedliche Ressourcen ein und sind etwa zu
gleichen Teilen beteiligt. Joint Ventures werden auch als institutionalisierte Form von
strategischen Allianzen bezeichnet, obgleich die Partner nicht zwingend auf einer Wert-
schöpfungsstufe stehen müssen [KIL04; BOE04].
Beispielhaft sei das Joint Venture zwischen PSA (Peugeot und Citroen) und Toyota he-
rangezogen. Die Automobilhersteller entschlossen sich im Jahr 2002 gemeinsam ein neu-
es Werk im tschechischen Kolín aufzubauen, um dort verschiedene Kleinwagen auf Basis
einer identischen Plattform aufzubauen. In das 2005 in Betrieb gegangene Werk, das auf
300.000 Fahrzeuge pro Jahr ausgelegt ist, wurden diesem Zuge rund 1,3 Milliarden Euro
investiert. Mit über 92 % Gleichteilen sind Peugeot 107, Citroen C1, Toyota Aygo, bis
auf die markendifferenzierende Optik im Ex- und Interieur, nahezu identische Fahrzeuge,
die von Benzin oder Dieselmotoren (1,0 bzw. 1,4 l) angetrieben werden.
Es lassen sich drei Faktoren identifizieren, welche die Kooperation maßgeblich beein-
flussen. Erstens weisen die Partner eine homogene Zielvorstellung auf. Toyota und PSA
wollen das Werk in Kolín nutzen, um moderne, hochwertige Kleinwagen zu produzieren,
um sie im unteren Preissegment auf dem europäischen Markt zu vertreiben. Da dem Seg-
ment der Klein- und Kleinstwagen in Europa gute Zukunftsaussichten bescheinigt wer-
den, kann die strategische Bedeutung für PSA und Toyota als hoch eingeschätzt werden.
Zweitens liegt eine eindeutige Rollenverteilung vor, die sich an den Kernkompetenzen der
Unternehmungen orientiert. Aufgrund umfangreicher Erfahrungen mit dem europäischen
Zuliefermarkt und fortgeschrittenen Kenntnissen bezüglich der Dieseltechnologie ist PSA
sowohl für Einkaufsoperationen und Zuliefererkoordination als auch für Dieselmotoren
zuständig. Toyota steuert das Toyota Produktionssystem bei und liefert das Know-How
für Benzinmotoren. Drittens basiert das Joint Venture auf klaren Grundregeln. Jede Partei
leistete den gleichen Anteil an den Entwicklungskosten von über einer Milliarde Euro.
Die erforderlichen Investitionskosten in das Werk werden äquivalent zu den jeweils er-
zielten Verkaufzahlen der einzelnen Modelle aufgeteilt.
In Branchenkreisen gilt das Joint Venture als „Musterbeispiel für gelungene Kooperatio-
nen“, da die Partner die kulturellen Hürden rasch überwunden hätten und schneller als
geplant „exzellent zusammenarbeiten“. Mit jeweils knapp 100.000 Einheiten je Marke
wurden 2006 insgesamt mehr als 290.000 Einheiten hergestellt und somit die maximale
52 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

Kapazität fast vollständig ausgereizt. Um auf Kundenaufträge schneller reagieren zu kön-


nen ist unter anderem durch effektiver genutzte Schichtzeiten eine Erweiterung der Kapa-
zitäten auf 310.000 Einheiten pro Jahr geplant. Obgleich eine Gesamtbewertung des Joint
Ventures nur abschließend erfolgen kann, ist die Erwartungshaltung der Partner weiterhin
außerordentlich hoch [BEC06; BER07; AUT07].
Als weiteres Beispiel soll das Joint Venture der Zulieferer Hella, Behr und Plastic Omni-
um dienen, welches Anfang 2004 als HBPO aus der seit 1999 bestehenden Hella-Behr
Fahrzeugsysteme GmbH hervorging. HBPO ist Spezialist für die Entwicklung und Pro-
duktion komplexer Frontendmodule. Nach einer Vervielfachung des Umsatzes seit 1999
erwirtschaftete HBPO 2006 über 570 Millionen Euro (+29 % im Vergleich zu 2005) und
beschäftigt weltweit über 800 Mitarbeiter, die in zehn Fertigungsstätten in Europa, Nord-
amerika und Asien etwa 1,9 Millionen Frontends pro Jahr montieren.
Unter den sichtbaren Teilen eines Fronendmoduls befinden sich im Wesentlichen die
Scheinwerfer, das Kühlerschutzgitter und der Stoßfänger. Dahinter verbergen sich haupt-
sächlich der Frontend-Modulträger, die Komponenten der Fahrzeugklimatisierung sowie
Motorkühlung und das Crash-Management-System. Wie Bild 4-8 veranschaulicht, unter-
scheidet HBPO grundsätzlich zwischen Montage-, Entwicklungs- und Systemintegrations-
projekten, welche zugleich das Ausmaß der Zusammenarbeit mit OEM widerspiegeln.

OEM HBPO
• Design&Entwicklung
System- • Auswahl
• Beschaffung
integra- System
Zunahme der Verantwortung

tion Integrator • Montage&Logistik


• Projekt Management

Entwick- • Design • Montage


lungs
Projekt • Entwicklung • Logistik
• Beschaffung • Projekt Management

• Design • Montage
Montage
Projekt • Entwicklung • Logistik
• Beschaffung • Projekt Management

Bild 4-8 Kooperationsformen von HBPO mit OEM [HBP07]

HBPO gilt als äußerst erfolgreiche Kooperation, was sich nicht zuletzt am stark ge-
wachsenen Umsatz der letzten Jahre festmachen lässt. Dementsprechend lassen sich eini-
ge Erfolgsfaktoren des Joint Ventures ausmachen. Gemäß den vorherigen Ausführungen
hinsichtlich dem Trend zur Modularisierung seitens der OEM, wird auch das Marktseg-
ment der Frontendmodule in den nächsten Jahren von Wachstum geprägt sein. Man
4.2 Übernahmen und Fusionen 53

nimmt sogar an, dass dieses Segment bis 2010 um 25 % jährlich wachsen wird. Die Zu-
sammenarbeit zwischen den drei Zulieferern zeichnet sich vor allem durch sich ergänzen-
de Kompetenzen aus. So wird Hellas Licht- und Elektronik-Know-how mit Behrs Kühl-
kompetenz und Plastic Omniums Exterieur Expertise kombiniert.
Für die Kunden stellt diese Leistungsbündelung einen eindeutigen Vorteil dar, denn die
Anzahl der Schnittstellen wird verringert und die Montage vereinfacht. Als weitere Vor-
teile können vergleichbare Unternehmens- und Managementkulturen der drei Partner
sowie die hohe Flexibilität im Hinblick auf Kundenwünsche angeführt werden [DUD06b;
HBP07; BER07].

4.2 Übernahmen und Fusionen


Einhergehend mit steigendem Margendruck und den in den vergangenen Jahren vermehrt
anzutreffenden Zulieferunternehmen, welche in finanzielle Bedrängnis geraten sind, er-
öffnen sich im Rahmen der angesprochenen Konsolidierungswelle unter Zulieferern,
zunehmend Chancen für eine Vielzahl anderer Unternehmen im Bereich von Fusionen
und Übernahmen (engl.: Mergers and Acquisitions – M&A). Dabei kann es sich zum
einen um Unternehmen handeln, die sich in strategischen Bereichen verstärken oder Grö-
ßenvorteile nutzen wollen. Zum anderen kann es sich daneben z. B. um Finanzinvestoren
handeln, die unter Umständen auf die Restrukturierung von Unternehmen spezialisiert
sind und beabsichtigen, ein übernommenes Unternehmen mit Gewinn weiterzuverkaufen
oder zumindest eine gewisse jährliche Mindestrendite zu realisieren. In der jüngeren Ver-
gangenheit kamen zudem so genannte Hedge Fonds auf, welche zum größten Teil fremd-
finanziert sind und mit teilweise äußerst aggressiven Methoden vorgehen, um die Ent-
scheidungsgewalt in Unternehmen zu erlangen. Zwei wichtige Wertsteigerungsstrategien,
die Finanzinvestoren bei ihren Investitionen im Automobilzuliefersektor verfolgen, bilden
der Zukauf anderer Unternehmen („Buy-and-build“) und Renditesteigerungen durch straf-
fes Kostenmanagement.
Hinsichtlich M&A-Aktivitäten war Europa 2005 die aktivste Region weltweit. Auch
Asien war durch die sich dort in Gang befindliche Konsolidierungswelle an zahlreichen
Transaktionen beteiligt. Chinesische und indische Unternehmen profitierten derzeit von
boomenden Heimatmärkten und guten Ratings, weshalb sie verstärkt Beteiligungen oder
Übernahmen anstreben. Als ein Beispiel dafür kann die Übernahme von MG Rover sei-
tens des chinesischen Herstellers Nanjing Automobile Corporation angesehen werden.
Unter den international operierenden OEM scheinen große Fusionen vorerst nicht ab-
sehbar zu sein. Offenbar setzt sich die Ansicht durch, dass die antizipierten Synergien der
vergangenen „Mega-Deals“ überschätzt wurden und ein großes Problem der OEM, die
Überkapazitäten, durch sie nicht beseitigt wurde. Stattdessen werden Kooperationen mit
anderen Herstellern oder Anteilsbeteiligungen bevorzugt. Bild 4-9 gibt Aufschluss über
Wert und Anzahl von Übernahmen und Fusionen der Automobilindustrie inklusive der
Downstream-Bereiche seit 1998. [PWC06a; PWC06b; PWC07].
In Deutschland befinden sich nach Schätzungen des VDA inzwischen fast 100 Automo-
bilzulieferer unter dem Einfluss von Finanzinvestoren. Dabei liegt der Schwerpunkt ins-
besondere auf mittelständischen Unternehmen, während international bereits weitaus
größere Unternehmen übernommen wurden. Eine Befragung ergab, dass Finanzinvesto-
ren und Automobilzulieferer an denen Finanzinvestoren beteiligt sind, gleichermaßen mit
54 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

großer Mehrheit der Meinung sind, dass der Einfluss von Finanzinvestoren auf die Auto-
mobilindustrie künftig zunehmen wird. Gleichwohl wurde festgestellt, dass Finanzinves-
toren in den Augen der meisten Zulieferer wesentlich an der positiven Entwicklung bzw.
am Wachstum des betreffenden Unternehmens beteiligt waren und dem Unternehmen
insgesamt zu einer höheren Rendite verhalfen.

90,0 700
618 621 588
80,0 580 583
543 600
515
70,0
462
500

# Transaktionen
60,0
Wert 400
Mrd. $

50,0
Anzahl
40,0 80,5 300
71,3
30,0
48,1 200
20,0 35,1 40,6
10,0 19,0 21,1 25,9 100

0,0 0
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
Bild 4-9 Weltweite M&A-Transaktionen in der Automobilindustrie [PWC06b]

Während der wertmäßige Anteil der Private Equity Transaktionen, also Investitionen in
nicht an der Börse notierte Firmen, in den Jahren 2003 und 2004 mehr als die Hälfte aller
verzeichneten M&As der Zuliefererindustrie ausmachte, fiel ihr Anteil im ersten Halbjahr
2006 auf 15 %. Insbesondere wegen steigenden Rohstoffkosten und dem enormem Preis-
druck der OEM, haben Private Equity Investoren in den vergangenen Jahren teilweise
schlechte Ergebnisse mit Investitionen in Zulieferunternehmen erzielt. Daher wird dieses
Feld oft zugunsten aussichtsreicherer Investitionsobjekte, wie dem boomenden After-
Sales Markt gemieden. Bild 4-10 stellt den Wert der Private Equity Transaktionen im
Zuliefersektor bis zum ersten Halbjahr 2006 sowie dessen Anteil an allen Übernahmen
und Fusionen, welche Zulieferer betrafen, dar. Entgegen dem augenscheinlichen stetigen
Bedeutungsverlust derartiger Transaktionen seit 2004 stiegen Wert und Anzahl von Priva-
te Equity Investitionen im After-Sales Bereich im selben Zeitraum stark an [PWC06a;
PWC06b; PWC07].
Im Allgemeinen werden Übernahmen und Fusionen aus Gründen der Konzentration von
Kompetenzen, zur Kostenreduktion sowie zur räumlichen Abdeckung relevanter Märkte
getätigt. Primär wird angestrebt, durch die Transaktion Synergien nach dem Prinzip
2 + 2 = 5 freizusetzen. Die Synergieprinzipien können nach Economies of Scale, Econo-
mies of Scope und Markt-/Wettbewerbssynergien differenziert werden.
Der durch die Mikroökonomie geprägte Begriff der Economies of Scale bezeichnet die
Proportionalität zwischen Produktionsgröße und Wirtschaftlichkeit. Durch die Erhöhung
der Stückzahlen können Kostenvorteile in den Bereichen Entwicklung, Einkauf, Ferti-
gung, Vertrieb und Organisation geltend gemacht werden. Infolge der Tatsache, dass sich
4.2 Übernahmen und Fusionen 55

die Fixkosten auf eine erhöhte Outputmenge verteilen, ergeben sich somit niedrigere
Stückkosten.

7,0 70,0 %
60,8 %
Wert

Wert in % des Gesamtsektors


6,0 60,0 %
51,5 % % Gesamtsektors
5,0 50,0 %

4,0 29,5 % 40,0 %


Mrd. $

6,6
3,0 30,0 %
5,5
11,8 % 15,3 %
2,0 20,0 %
3,0
1,0 1,9 10,0 %
0,9
0,0 0,0 %
2002 2003 2004 2005 H1 2006

Bild 4-10 Private Equity Transaktionen im Zuliefersektor [PWC06b]

Economies of Scope beschreiben die Proportionalität von Produktvielfalt und Wirtschaft-


lichkeit. Damit sind Verbundvorteile gemeint, die bei einer Diversifikation des Produkt-
portfolios auftreten können. Bei Fusionen liegt dieses Synergieprinzip als Potential vor,
wenn die gemeinsame Produktpalette günstiger produziert werden kann als von einer
Gruppe von Ein-Produkt-Unternehmen. Der erzielbare Kostenvorteil hängt dabei in we-
sentlichem Maße davon ab, in wieweit im Portfolio mehrere Produkte auf ähnliche Pro-
duktionsressourcen wie z. B. Wissen, zugreifen. Bei diesen Ressourcen darf es sich aller-
dings nicht um Güter handeln, die verbraucht werden können. Im Falle einer Vollauslas-
tung könnte ansonsten eine Konkurrenzsituation entstehen, die der synergetischen Wir-
kung entgegenstrebt.
Schließlich beruhen Markt- und Wettbewerbssynergien auf einer Veränderung der Po-
sition der Partner gegenüber Kunden, Wettbewerbern und Lieferanten. Findet bei einer
Fusion oder Übernahme nur eine reine Addition der Geschäftsbereiche statt, so bleibt
Potential ungenutzt. Chancen bestehen vielmehr in der Steigerung der Marktmacht und
der relativen Wettbewerbsposition durch eine überproportionale Vergrößerung des Ge-
schäftsvolumens. Kundenspezifische Synergien können genutzt werden, wenn die betei-
ligten Unternehmen vom Marktzugang und dem Vertriebsnetz des jeweils anderen profi-
tieren und somit das Produktportfolio internationaler sowie an andere Kundensegmente
vertrieben werden kann. Gegenüber Lieferanten stehen Vorteile hinsichtlich der Durch-
setzbarkeit günstigerer Beschaffungspreise und -konditionen in Aussicht, die unmittelbar
mit der Bündelung der Beschaffungsvolumina und der Reduzierung der Lieferantenanzahl
zusammenhängen. Markt- und Wettbewerbssynergien gegenüber Konkurrenten treten vor
allem durch die Steigerung von Markteintrittsbarrieren und die gewachsene Möglichkeit
der Beeinflussung von Trends, wie etwa Preisentwicklungen auf.
Die hohen Erwartungen der Teilnehmer einer M&A-Transaktion wurden in der Vergan-
genheit allerdings oftmals enttäuscht, da die alleinige Existenz von Synergiepotentialen
56 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

noch keine Garantie für deren Realisierung ist. Hinsichtlich der Erfolgsrate von Mergers
& Acquisitions in der Automobilindustrie gibt es gegenläufige Beobachtungen. Während
einige Untersuchungen durchweg Aktienkurssteigerungen bei allen beteiligten Unterneh-
men feststellten, kommen andere Studien zu dem Schluss, dass fast alle Transaktionen
den Shareholder-Value überhaupt nicht verbessern. Einige Analysen behaupten sogar,
dass 3 von 4 Fusionen bzw. Übernahmen misslingen [WIL02; MEN06].
Als offensichtlich gescheiterte Fusion ist DaimlerChrysler zu interpretieren. Überein-
stimmend mit den obigen Ausführungen war der damalige Daimler Benz Vorstandsvor-
sitzende, Jürgen Schrempp, 1998 davon überzeugt, dass sich als „gemeinsames Unter-
nehmen“ die „Wettbewerbsposition erheblich verbessern“ ließe und mit der Fusion „be-
trächtliche Synergien“ verbunden wären [JAC07]. Daimler Benz verfolgte zum Zeitpunkt
der Fusion unter anderem das Ziel, auf allen wichtigen Weltmärkten (Europa, USA,
Asien) mit einer breiten Produktpalette vertreten zu sein. Vor diesem Hintergrund muss
ebenfalls die inzwischen aufgelöste Beteiligung an Mitsubishi im Jahr 2000 gesehen wer-
den, denn durch sie erhoffte sich Daimler Benz Zugang zum asiatischen Markt. Außer-
dem versprach man sich vom Stückzahlenvorsprung Chryslers Economies of Scale, die
durch Plattformkonzepte und Gleichteile, genutzt werden könnten. Chrysler wollte dage-
gen vorrangig eine feindliche Übernahme verhindern und war überdies am Qualitäts-
Know-How von Daimler interessiert [GEI07; RIB04; JAC07].
Nach anfänglicher Euphorie über die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler, setzte rasch
Ernüchterung ein, als Synergien nicht in der erwarteten Form eintraten. Insgesamt wird
geschätzt, dass die Fusion mit Chrysler den Daimler-Konzern mehr als 30 Milliar-
den Euro gekostet hat. Obwohl auch Daimler während der Zusammenarbeit Verluste
machte, war Chrysler mit zuletzt 1,5 Milliarden Euro Verlust im Jahr 2006 der größere
Verlustbringer für den Konzern. Zum Beweis, dass Unternehmensgröße und Marktbe-
herrschung nicht die alleinigen Determinanten für den Wert eines Unternehmens sind,
liefert DaimlerChrysler ein gutes Beispiel. Ohne Chrysler ist der Konzern um einiges
Wertvoller als vor der Trennung. Bereits die Verlautbarung im Februar 2007, „man prüfe
alle Optionen“ für Chrysler, womit auch eine Trennung möglich schien, ließ den Aktien-
kurs um mehrere Prozentpunkte steigen. Bild 4-11 visualisiert den Aktienkurs von Daim-
ler-Benz bzw. DaimlerChrysler bis zum Jahr 2007.

Bild 4-11 Entwicklung des Aktienkurses von Daimler-Benz bzw. DaimlerChrysler [WIR07]
4.2 Übernahmen und Fusionen 57

Der Misserfolg der Fusion findet seinen Ursprung in zahlreichen Faktoren. So wurden vor
allem zu wenig Synergien in der Zusammenarbeit realisiert, denn Daimler und Chrysler
sind in vielen Geschäftsbereichen getrennte Wege gegangen, statt zu verschmelzen. Mit-
arbeiter von Mercedes Benz berichten, dass Daimler und Chrysler „immer zwei eigen-
ständige Unternehmen gewesen seien“. Kulturelle Unterschiede zwischen amerikani-
schem und deutschem Managementstil konnten nach eigenen Angaben über die gesamte
Dauer der Beziehung kaum überwunden werden. Manager von Chrysler sprechen nach
der Trennung über die Schwierigkeiten mit deutschen Formalien, extensiven Besprechun-
gen und dem übermäßigen Bedarf an Gremien. Weiterhin wurde die Dominanz von
Daimler bei entscheidenden Fragen kritisiert, was grundsätzlich gegen den anfangs beti-
telten „Merger of Equals“, also der Fusion unter gleichberechtigten Partnern, spricht.
Durch das kaum aufeinander abgestimmte Modellprogramm blieben Skaleneffekte weit-
gehend aus. Schwierigkeiten bestanden darin, Massenautomobile und Premiumfahrzeuge
mit einer Gleichteilstrategie kostengünstig zu fertigen, ohne das jeweilige Markenimage
zu verwässern. Diese Erfahrung musste bereits BMW mit Rover machen. Das Beispiel
Jeep Grand Cherokee und Mercedes M-Klasse untermauert die These. Obgleich beide
etwa zur selben Zeit auf den Markt kamen und ungefähr das gleiche Format aufweisen, ist
lediglich ihr V6-Diesel im Grunde identisch [GEI07; RIB04; BAU07; DEC07; PIP07;
LOI07].
Ein aktuelles Beispiel für eine aussichtsreiche Akquisition bildet Continental. Durch die
Übernahme von Siemens VDO im Juli 2007 wird Continental zum fünft größten Zu-
lieferer weltweit. Dies soll nach eigenen Angaben dazu beitragen, im Wettbewerb zu be-
stehen und ein Gegengewicht zu den amerikanischen und japanischen Zulieferern zu
bilden. Es entsteht durch die Übernahme ein Unternehmen mit 140.000 Mitarbeitern,
welches ab 2010 Synergien in Höhe von mindestens 170 Millionen Euro jährlich frei-
setzen soll. Auch aus politischen Gründen hat Continental den Zuschlag erhalten, ob-
gleich der amerikanische Mitbieter TRW Automotive, welcher vom Finanzinvestor
Blackstone kontrolliert wird, nach Schätzungen mehr als den Kaufpreis von 11,4 Milliar-
den Euro geboten hätte. Nach der insolventen früheren Handysparte und den Korruptions-
skandalen im Konzern stand Siemens allerdings stark unter öffentlichen Druck, weshalb
der entgangene Gewinn zum großen Teil als Imagekosten verbucht werden konnte.
Continental hatte sich in der Vergangenheit mit den Akquisitionen von Teves, Temic,
Phoenix und der Autoelektroniksparte von Motorola in strategischer Hinsicht bereits ver-
stärkt und sich fehlende Kompetenzen angeeignet. Die Übernahme von Siemens VDO
dient nach eigenen Angaben in erster Line dazu, die Marktführerschaft in den wachsen-
den Geschäftsfeldern Antriebsstrang, Sicherheit (aktiv und passiv) sowie Infotainment zu
erlangen. In diesen Bereichen liegen die Entwicklungsschwerpunkte auf der Erfüllung
von strikteren Emissionsvorschriften, Konvergenz von aktiver und passiver Sicherheit
sowie auf beschleunigter Informationsübertragung im Fahrzeug. Das margenschwächere
Reifengeschäft, einst Fundament von Continental, spielt inzwischen nur noch eine unter-
geordnete Rolle [WEN07; THI07; FTD07b].
58 4 Kooperationen in der Automobilindustrie

4.3 Fazit
Abschließend kann festgehalten werden, dass keine pauschalen Aussagen hinsichtlich des
Erfolgs einer Zusammenarbeitsform getroffen werden können. Zu sehr fallen individuelle
Besonderheiten der betreffenden Partner oder andere Einflüsse ins Gewicht. Allerdings
wurde deutlich, dass Unternehmen derzeit offenbar den Weg einer Kooperation ohne
Kapitalbeteiligung in einem bestimmten Bereich bevorzugen, anstatt Größenvorteile
durch Fusionen oder Akquisitionen zu nutzen. Die besonders Ende der 90er Jahre weit
verbreitete Ansicht, dass die Größe einer Unternehmung zwangsläufig wirtschaftlichen
Erfolg nach sich zöge, kann nicht durchgängig bestätigt werden. Viele Unternehmen
scheinen dies ähnlich einzuschätzen und wählen stattdessen andere Kooperationsformen.
59

5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

Die Automobilindustrie gilt im Vergleich zu anderen Branchen als äußerst stark globali-
sierte Branche. Pioniere unter den Automobilherstellern waren General Motors (GM) und
Ford, die bereits in den 20er Jahren in Europa und Asien Fertigungsstätten errichteten.
Als Vorteil versprach man sich die Erschließung neuer, wachsender Märkte, Profitieren
von niedrigen Löhnen bzw. Faktorkosten und Nutzung von Economies of Scale in Ent-
wicklung und Produktion. Durch die globale Präsenz besaßen General Motors und Ford
einen Vorteil gegenüber dem Wettbewerb, den sie über Jahrzehnte hinweg weiter ausbau-
en konnten. Mitte der 60er Jahre kontrollierten sie, mit über 10 Millionen produzierten
Einheiten jährlich mehr als 50 % des Weltmarktes. Die strategischen Hauptmotive von
damals gelten noch heute. Jedoch sind GM und Ford heute weit weniger erfolgreich
[SED07; BLO03; NUN04].
Der Begriff Globalisierung bezeichnet allgemein den Prozess der Zunahme länderüber-
greifender kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen. Dieser Prozess geht mit
einer Konvergenz von Handlungen, Werten und Kulturen und damit einer Verminderung
nationaler Differenzen einher [HAR06]. Es können 4 wesentliche Treiber der Globalisie-
rung unterschieden werden, Bild 5-1. Es ist zu erkennen, dass die Haupttreiber der Globa-
lisierung dem Wachstum der Nachfrage in neuen Märkten sowie ökonomischen Verände-
rungen zugeschrieben werden.

Wachstum der Nachfrage


Ökonomische Gründe
in Low-Cost-Ländern

• Faktorkostenvorteile • Erwartetes Wachstum von Haupttreiber


Low-Cost-Ländern
• Geringere
Kommunikationskosten • Wachstum einer
Mittelschicht in China

Globalisierung

• Globale Marken (z. B.


McDonalds) • Welthandelsorganisation
eingeführt
• Globale Gewohnheiten/
Geschmacksempfinden • Sinkende Zölle und Tarife
Nebentreiber
(z. B. Coca Cola)
Geringere regulatorische
Globales Konsumverhalten
Hindernisse

Bild 5-1 Vier Treiber der Globalisierung [MCK05]


60 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

In der Automobilindustrie nimmt die Frage, welcher Standort, d. h. welches Land bzw.
welche Region, für die Produktion und die Entwicklung eines bestimmten Produktes am
besten geeignet ist, einen hohen Stellenwert ein. Unter den Kriterien der Standortwahl
sind dabei regelmäßig niedrige Gesamtkosten sowie die Aufrechterhaltung eines gewissen
Qualitätsniveaus ausschlaggebend [BEC07; BER07].
Bild 5-2 stellt die Produktionszahlen von Automobilen nach Regionen im Zeitraum von
2003 bis 2006 dar. Im Hinblick auf die Tatsache, dass die absoluten Zahlen der Kraftfahr-
zeugproduktion in den Triadenländern auf ähnlich hohem Niveau blieben, nahm ihr An-
teil an der Weltproduktion in den letzten Jahren stetig ab. Besonders auffallend ist der
starke Anteilsverlust in der NAFTA-Region und Westeuropa, während in Japan nur leich-
te Verluste zu verzeichnen sind. Gleichzeitig nahmen die Produktionsanteile der übrigen
Regionen zu, was auf einen massiven Ausbau der dortigen Kapazitäten schließen lässt.

2003 2004 2005 2006


30.0%

25.0%
20.0%

15.0%
10.0%

5.0%
0.0%
NAFTA EU-15 Japan Neue EU- Osteuropa Mercosur China Indien übrige
Länder Länder

Bild 5-2 Automobilproduktion nach Regionen [VDA04-07]

Seit längerer Zeit wendet sich die Automobilindustrie verstärkt den Wachstumsregionen
Osteuropa und Asien zu. OEM wie Hyundai, Kia, PSA und VW gaben an, bis 2008 meh-
rere Milliarden Euro allein in neue osteuropäische Produktionsstätten investieren zu wol-
len. Triadenländer spielen für die OEM im Vergleich nur eine untergeordnete Rolle. Ob-
wohl OEM in Wachstumsmärkten zumeist Arbeitsplätze in der Produktion schaffen wer-
den, entstehen neue Stellen für die Entwicklung ebenfalls vornehmlich dort. Analysten
prognostizieren eine Verdopplung der Entwicklungskapazitäten sowohl in China als auch
in Osteuropa bis 2015. Unterdessen werden diese Kapazitäten in den Triadenländern eher
stagnieren oder sogar leicht rückläufig sein [BER07].
Es wird deutlich, dass die anfallenden Produktionskosten in einer Region für die Standort-
wahl von entscheidender Bedeutung sind. So gaben in einer Befragung von 200 deut-
schen Zulieferbetrieben unterschiedlicher Größe fast 70 % an, dass Standorte mit nied-
rigen Produktionskosten Vorteile gegenüber solchen mit einer guten strategischen Lage
besitzen. Bei einer Bewertung der wichtigsten Faktoren der Standortwahl stuften fast
dreiviertel der Befragten Produktionskosten als wichtigsten Faktor ein. Mit einigem Ab-
stand erschienen den Zulieferern die Qualifikation der Arbeitnehmer vor Ort, die Flexibi-
lität des Faktors Arbeit und die Arbeitseinstellung der Mitarbeiter als ebenfalls sehr wich-
tig, Bild 5-3 [FUS04].
4.3 Fazit 61

100

24 eher wichtig
80
sehr wichtig
44 44 41
60 39 36
% 36
36
40 38 26
73 21
31
20 46 45 44 39 39 35 29 28
24 23
14
0

Rahmenbedingungen

Verfügbarkeit von
regionale Infrastruktur

Steuern und Zölle

Immobilienpreise
Qualifikation der

geringe bürokratische
Nähe zu attraktiven

Nähe zu Herstellern
Arbeitseinstellung
Produktionskosten

Flexibilität des
Faktors Arbeit
Arbeitnehmer

Absatzmärkten

Ressourcen
politische

Hürden
Bild 5-3 Wichtige Standortfaktoren [FUS04]

Innerhalb der Produktionskosten bilden die Löhne der Arbeitnehmer, insbesondere wenn
es um personalintensive Arbeitsprozesse geht, eine entscheidende Größe. Vergleicht man
die durchschnittlich anfallenden Arbeitskosten in verschiedenen Ländern, so werden
gravierende Differenzen offensichtlich. Während in hoch industrialisierten westeuropäi-
schen Ländern, wie Deutschland, Frankreich, England und den Niederlanden im produ-
zierenden Gewerbe im Jahr 2006 Löhne von 25 bis 30 Euro die Regel waren, musste in
Osteuropa schon deutlich weniger für eine Arbeitsstunde bezahlt werden. Dort lagen die
Lohnkosten im Durchschnitt zwischen 3 und 7 Euro, wobei Slowenien mit rund 12 Euro
und Bulgarien mit etwa 2 Euro die größte Abweichung nach oben bzw. nach unten bilden.
Ein nochmals niedrigeres Lohnniveau findet sich in China und Indien, wo im Jahr 2004
umgerechnet durchschnittlich 50 bzw. 80 Cent pro Stunde Arbeit anfielen, Bild 5-4
[STA07; EAC05].

33,8 28,7
14
11,9
12

10

8 7,4
6,7
€/h

5,9 5,8
6 5,4
4,3
3,7
4 2,9
1,8
2
0,8 0,5
0
Ungarn

Indien
Rumänien

China
Dänemark

Slowenien

Bulgarien
Litauen
Polen
Deutschland

Lettland
Slowakei
Estland
Tschechische
Rep.

Bild 5-4 Lohnkosten pro Stunde in verschiedenen Ländern 2006 [STA07; EAC05]
62 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

Aus der Befragung der Zulieferbetriebe ergab sich weiterhin, dass bereits 2004 über 50 %
der Unternehmen in China oder Osteuropa vertreten waren oder dies zumindest mittelfris-
tig geplant hatten. Zudem wurde festgestellt, dass 90 % der Unternehmungen, die bereits
in diesen Regionen einen Standort aufgebaut hatten, weitere Verlagerungen aus Deutsch-
land anstrebten.
Es fällt auf, dass besonders Zulieferer mit einem hohen Umsatz (über 100 Millionen Eu-
ro) den Weg nach Osteuropa oder China suchen, während kleinere Firmen dies tenden-
ziell eher unterlassen. Für den Aufbau eines neuen Standortes können in erster Linie zwei
Faktoren verantwortlich gemacht werden. Dies ist zum einen der Zwang, den Abnehmern,
also nachgelagerten Zulieferern oder OEM, ins entfernte Ausland zu folgen, um eine
durchgehende Lieferfähigkeit aufrecht zu erhalten. Angesichts oft erforderlicher „Just-in-
Time“ Lieferungen ist die Nähe zu Automobilherstellern bei Tier 1 Zulieferern mittler-
weile selbstverständlich. Aber auch Tier-2- und Tier-3-Unternehmen stehen unter einem
erheblichen Internationalisierungsdruck. Zum anderen sind Zulieferer durch die zum Teil
schwierige Kostensituation oftmals gezwungen, Produktionskostenvorteile in Niedrig-
lohnländern zu nutzen [FUS04].
Für das Beispiel Zentral- und Osteuropa sollen nachfolgend exemplarisch Motive für
Direktinvestitionen aus Sicht grenzüberschreitender Unternehmen, sowie Motive des
Gastgeberlandes für die Förderung derartiger Investitionen aufgezeigt werden. Aus Unter-
nehmenssicht werden im Rahmen eines „Resource-Seeking“ der gute Zugang zu natürli-
chen Ressourcen und qualifiziertem Personal, Kostenvorteile bei der Beschaffung von
Produktionsfaktoren, Vergünstigungen und staatliche Anreize angeführt. Unter dem As-
pekt des „Market-Seeking“ werden der Zugang zu Wachstumsmärkten, „First-Mover“
Vorteile vor der Konkurrenz und der Aufbau einer langfristigen Markt- und Wettbe-
werbsposition genannt. Aus strategischer Sichtweise („Strategic Asset-Seeking“) kann ein
Standort in Zentral- oder Osteuropa zudem als Ausgangsbasis für weitere Expansionen
dienen, einen Zugang zu lokalem Wissen und Netzwerken erschließen und zur Erhöhung
der Wettbewerbsfähigkeit beitragen.
Aus Sicht des Gastgeberlandes besitzt die Förderung ausländischer Direktinvestitionen
ebenfalls zahlreiche Vorteile. Zu nennen sind unter anderem der Zugang zu Technologien
und Management Know-how, die Nutzung vakanter Ressourcen und Verbesserung der
Produktivität, die Chance zum Abbau von Auslandsschulden und öffentlichem Defizit,
die Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum, erhöhte Steuer-
einnahmen und der Transfer von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen in das Land.
Durch die lokale Ansiedlung von Unternehmen der Automobilindustrie können überdies
Spill-Over-Effekte für andere Unternehmen und Branchen erreicht werden [SCH06].
Hinsichtlich der Risiken einer Verlagerung besteht in den Augen der untersuchten Zulie-
ferbetriebe ein wahrnehmbarer Vorteil für Osteuropa gegenüber China. Wie Bild 5-5
verdeutlicht, wird das Risiko eines Technologiediebstahls in China als besonders hoch
eingeschätzt. Dies mag zum Teil daran liegen, dass China eine offizielle Politik betreibt,
die den Know-how-Transfer von ausländischen Unternehmen stark unterstützt. In Osteu-
ropa gibt es dagegen fast keine derartigen Befürchtungen. Neben den aus Zulieferersicht
vor allem in China bestehenden Sprachbarrieren darf auch das Thema Korruption nicht
unterschätzt werden. 2004 „verschwanden“ in China allein in der Regierungsverwaltung
umgerechnet rund 900 Millionen Euro, bei chinesischen Staatsbetrieben waren es sogar
mehr als 1,3 Milliarden Euro [FUS04; SPI05a].
4.3 Fazit 63

100 96
90
80 80 China
80 75
69 71 Osteuropa
61 57 57
60
52
%

41
40 33
30 30
25
20 9 15

Tranferierbarkeit
nahme vor Ort
Sprachbarrieren
Technologie-

Management-

mangelhafte
Korruption

Währungs-

Infrastruktur

mangelhafte
Arbeitsmoral
Möglichkeiten

von Gewinnen
der Einfluss-

kapazitäten
diebstahl

risiken
fehlende

schwierige
Bild 5-5 Befürchtete Risiken bei Auslandsstandorten [FUS04]

Der wahrgenommene Grad der Korruption in nahezu allen Ländern wird jährlich durch
die Organisation Transparency International im Corruption Perception(s) Index (CPI) be-
stimmt. Es handelt sich dabei um einen zusammengesetzten Index, der sich auf verschie-
dene Umfragen und Untersuchungen stützt, die von neun unabhängigen Institutionen
durchgeführt wurden. In die Umfragen miteinbezogen werden die Aussagen von Ge-
schäftsleuten sowie Länderanalysten und Staatsbürgern aus dem In- und Ausland. Das
Spektrum des CPI reicht von 10 (keine Korruption) bis 0 (äußerst korrupt). Laut CPI von
2006 ist Finnland mit einem Ergebnis von 9,6 das Land mit der niedrigsten wahrgenom-
menen Korruption. Während Deutschland mit 8,0 auf dem 16. Platz rangiert, erreichen die
meisten osteuropäischen Länder nur Werte von 3,5 bis 5 Punkten. Von über 160 un-
tersuchten Ländern befindet sich China in dieser Platzierung mit 3,3 Punkten auf dem 70.
und Russland mit nur 2,5 Punkten auf dem 121. Platz [TRA07].
Wenn es in einer Unternehmung darum geht, verschiedene Faktoren bezüglich einer
Standortwahl abzuwägen, kann ein Scoring Modell hilfreich sein. In Bild 5-6 ist ein ver-
einfachtes Scoring Modell für die Standortwahl in Zentral- und Osteuropa dargestellt.
In diesem Beispiel wurden die Einflussfaktoren nach den Kategorien Kosten, Stabilität
und Abgaben eingeteilt. Je nach Präferenzen des Unternehmens sind die Faktoren einzeln
zu gewichten, so dass im Anschluss daran eine individuelle Standortvorauswahl getroffen
werden kann. Beispielsweise liegt die Gewichtung in diesem Fall zu 60 % auf den Kosten
(30 % Personal- und 30 % Logistikkosten), zu 30 % auf der Stabilität des betreffenden
Landes (politisch, ökonomisch) und zu 10 % auf Zöllen und Steuern. Wurde ein Land
nach den gesetzten Prioritäten ausgewählt, so muss die Analyse im nächsten Schritt auf
regionaler Ebene fortgeführt werden [BER07].
In der Vergangenheit entschlossen sich eine Reihe von Automobilherstellern und Zu-
lieferern, einen Standort in Osteuropa zu errichten. Als Beispiel eines internationalen
OEM sei Audi herangezogen. Primär um Produktionskosten zu senken, entschied sich
Audi zu Beginn der 90er Jahre von der bisherigen Strategie, nur im Inland zu pro-
duzieren, abzuweichen. Außerdem mussten Kapazitäten für den Bau einer neuen Mo-
64 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

torengeneration aufgebaut werden. Nach einer Prüfung von 180 unterschiedlichen Stand-
orten fiel die Wahl auf das ungarische Györ, wo 1993 die Hungária Motor Kft. gegründet
wurde. Ausschlaggebend war das Zusammenspiel von vergleichsweise niedrigem Lohn-
niveau, günstiger geographischer Lage relativ zum Stammsitz Ingolstadt, guter Erreich-
barkeit über Straße und Schiene und dem ausreichenden Vorhandensein von Fachkräften.
Zusätzlich sicherten die ungarischen Behörden Steuervergünstigungen sowie den Ver-
zicht auf Importzölle und langwierige Zollkontrollen zu. Nachdem deutlich wurde, dass
der Standort Györ nicht nur Kostenvorteile, sondern auch ein adäquates Qualitätsniveau
bot, entschloss man sich 1998 das Motorenwerk um die Montage des Audi TT zu erwei-
tern. Audi ist inzwischen der größte Exporteur Ungarns und produziert fast die gesamte
Motorenpalette in Györ. In Unternehmenskreisen wird der Standort als wesentlich für den
Erfolg des gesamten Unternehmens verantwortlich gemacht [SCH06; AUD07].

Weight- New EU member countries Non-EU countries


ing (%) Candidates

Herzegovina
Bosnia and
Czech Rep.

Mecedonia
Lithuania

Romania
Slovenia
Hungary

Slovakia

Bulgaria
Poland

Ukraine
Estonia

Croatia

Russia

Turkey
Latvia
Criteria
Personnel 30
Current wage costs 20 3 2 3 1 4 4 4 4 5 5 3 4 5 5 5 5
Long-term wage trend 50 2 2 2 1 3 3 4 3 5 4 2 4 4 5 5 4
Costs

Availability 30 5 5 5 2 5 2 2 2 3 4 2 1 1 2 4 3
Logistics 30
Distance 40 4 5 4 4 4 3 2 2 2 4 4 2 3 2 1 1
Reliability 60 5 5 5 5 5 4 4 4 2 3 4 2 2 1 1 1
Economic and
7.5 4 4 4 5 4 4 4 4 3 3 3 1 1 2 3 2
Stability

financial stability
Political and legal
10 5 5 5 5 5 5 5 5 3 3 3 1 1 1 1 1
stability
Transparency 12.5 2 3 3 4 3 3 3 4 3 3 2 1 2 1 1 2
Duties/
taxes

Corp. Income taxes 5 3 2 4 2 3 4 4 1 4 4 3 5 1 2 2 1


Customs tariffs 5 5 5 5 5 5 5 5 5 4 4 3 3 3 3 3 3
Weighted score 100 3.8 3.9 3.9 3.5 4.1 3.6 3.6 3.4 3.2 3.5 2.9 2.2 2.3 2.3 2.4 2.2
Ranking 4 2 2 7 1 5 5 9 10 7 11 16 14 14 12 16

Bild 5-6 Scoring Modell zur Standortauswahl [BER07]

Die langfristige strategische Planung von Produktion und Produkten spielt in der Auto-
mobilindustrie eine entscheidende Rolle. Dabei müssen die einzuplanenden Kapazitäten
in der Produktion für den gesamten Lebenszyklus eines Modells, also 6 bis 8 Jahre, aus-
reichen. Zu beachten ist allerdings, dass ungenutzte Kapazitäten die Profitabilität eines
Produktes schmälern. Obwohl sich die Time-to-market neuer Produkte drastisch verkürzt
hat, vergehen von der Investitionsentscheidung bis zum Start der Produktion immer noch
mehrere Jahre, so dass Standortentscheidungen sorgfältig geplant werden müssen. Die
Güte der Planung beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens nachhaltig.
Bei BMW erfolgte die strategische Planung von Modellen und Varianten sowie der ent-
sprechenden Produktionsstätten bis zum Jahr 2000 mit einem Zeithorizont von rund
12 Jahren. Nachdem das zukünftige Produktportfolio mit genauen Angaben zu Start und
Ende der Produktion festgelegt und die Absätze während der Lebenszyklen in den unter-
schiedlichen Regionen abgeschätzt waren, bestimmte man die dafür benötigten Fabrika-
tionskapazitäten. In diesem Schritt ordneten die Planer die Produkte den Fabriken manuell
(via Excel) zu und stellten die Belegung eines Werkes in einem Diagramm dar, Bild 5-7.
5.1 Exkurs: China als Automobilstandort 65

Die von den Planern bestimmte Allokation von Produkten und Produktionsstätten war be-
grenzt durch technische Produkteigenschaften und die Fähigkeiten des Personals am je-
weiligen Standort. Um eine höhere Kapazitätsauslastung zu erreichen, konnten gewisse
Modelle in mehreren Fabriken hergestellt werden. Neuere Ansätze von BMW zur Kapazi-
tätsplanung beziehen unter anderem globale Verflechtungen der Standorte mit ein
[FLE06].

Bild 5-7 Vereinfachte Form eines Fabrik-Nutzungsplans [FLE06]

5.1 Exkurs: China als Automobilstandort


Ein Hauptargument für Hersteller und Zulieferer, die Märkte in China und Indien zu be-
arbeiten, liegt im theoretisch hohen Absatzpotential begründet. Dies wiederum basiert im
Wesentlichen auf zwei Faktoren, der hohen Einwohnerzahl und der niedrigen Pkw-
Dichte. Wie bereits erläutert wurde, liegt die Pkw-Dichte in China weit unter der von
gesättigten Märkten wie Deutschland oder den USA. Hält man sich vor Augen, dass die
Einwohnerzahl, welche bei steigender Tendenz inzwischen bei ca. 1,3 Milliarden Men-
schen liegt, mehr als 4-mal so hoch ist wie die der USA, werden hohe Absatzprognosen
verständlicher. Überdies wurde festgestellt, dass neben nochmals geringeren durchschnitt-
lichen Lohnkosten gegenüber Indien zudem ein Produktivitätsvorteil ausgemacht werden
kann. Bezogen auf eine durchschnittliche Arbeitsstunde der verarbeitenden Industrie in
Deutschland, mussten 2005 in China aber 3,64 und in Indien 5,35 Stunden kalkuliert
werden, sodass ein deutlicher Produktivitätsvorsprung erkennbar wird [EAC05; STA02;
UNA07].
Im Vergleich zur deutschen Wirtschaft wuchs die chinesische in den vergangenen Jahren
deutlich schneller. Im Zeitraum von 2000 bis 2006 stieg das nominale Bruttoinlands-
produkt in China mit ca. 16 % jährlich, während in Deutschland im selben Zeitraum
66 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

7,4 % erreicht wurden. Es gilt jedoch das chinesische Wachstum regional zu differenzie-
ren, da in dieser Hinsicht große Unterschiede vorzufinden sind. Vor allem die Diskrepanz
zwischen städtischer und ländlicher Entwicklung wird als kritisch angesehen, denn städti-
sche Einkommen werden um bis zu 80 % höher quantifiziert. Als direkte Folge ist „Ar-
mutsmigration“ vom Land in die Städte zu beobachten. Ein ähnlicher Kontrast besteht
zwischen östlichen Küstenregionen und dem Hinterland, da die meisten ausländischen
Investitionen in diese Gebiete fließen. Die Automobilindustrie siedelte sich ebenfalls
vornehmlich in den östlicheren Regionen des Landes an, wie Bild 5-8 veranschaulicht
[KÜC07; TOM01; BAR04].

Bild 5-8 Regionale Verteilung der Automobilindustrie in China [BAR04]

Da in China sowohl von ausländischen als auch von inländischen Herstellern massiv Pro-
duktionskapazitäten aufgebaut werden, wird Chinas Bedeutung als Automobilhersteller-
land weiter zunehmen. 2006 verdrängte China Deutschland vom 3. Platz in der Rangliste
der bedeutendsten Herstellerländer, Bild 5-9. Es wird erwartet, dass China das Ranking,
vor Japan und den USA, ab 2015 anführen wird. Indessen spielen Importe in China eine
immer geringere Rolle, was sich auch an dem 2005 erstmals erzielten Exportüberschuss
bei Fahrzeugen festmachen lässt. Angesichts eines erwarteten Gesamtabsatzes in China
von etwa 5 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2010 erscheinen die Kapazitätsplanungen man-
cher Hersteller, welche teilweise eine Verdopplung der Produktionskapazitäten bis 2010
vorsehen, diesbezüglich entweder sehr optimistisch oder bereits exportorientiert [HEY06;
VDA04-07; EAC05].
Wenngleich das Absatzwachstum in China begrenzt ist, gibt es keinen anderen Staat, der
aufgrund seines theoretischen Marktpotentials den internationalen Automobilherstellern
den Marktzugang derart diktieren kann wie China. Die internationalen Regeln der Markt-
5.1 Exkurs: China als Automobilstandort 67

wirtschaft konnten in China nicht durchgesetzt werden, da von staatlicher Seite regulie-
rend eingegriffen wird und den ausländischen OEM enge Grenzen gesetzt werden. Zum
einen dürfen sie ausschließlich in Gemeinschaftsunternehmen produzieren, in denen chi-
nesische OEM eine Anteilsmehrheit besitzen. Auf diese Weise gelangt Produkt- und Pro-
zess-Know-how zu den chinesischen Herstellern. Zum anderen haben ausländische OEM
nur geringe Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Ausgestaltung und Entwicklung der
Kooperationen. Weiterhin ist die maximale Anzahl der Kooperationspartner beschränkt
und oft besteht kein direkter Zugang zum Vertrieb der eigenen Fahrzeuge.

14 11,5 11,3
Produzierte Einheiten (Mio.)

12 (+6,5 %) (–5,0 %)

10
6,7
8 5,8
(+26,4 %)
6 (+0,0 %)
3,8
(+2,7 %) 3,1 2,8 2,6
4 (–11,4 %) (+0,0) (+8,3 %)
2

0
Japan

Deutschland

Frankreich
Südkorea
China

Spanien
USA

Bild 5-9 Die bedeutendsten Automobilherstellerländer 2006 verglichen mit 2005 Brasilien

Als Beispiel eines westlichen Herstellers, der die Marktregulierung umgehen wollte, gilt
BMW. Ende der neunziger Jahre verweigerte BMW zunächst die Zusammenarbeit mit
staatlichen Autoherstellern und nahm Kontakt zu einem privaten, marktwirtschaftlich
orientierten Unternehmen (Brilliance China Automotive) auf. Durch gute Kontakte schien
der Markteintritt erfolgreich zu verlaufen, bis der Staat 2002 rigoros eingriff. Er konfis-
zierte die Aktien von Brilliance und verstaatlichte das Unternehmen auf diese Weise.
Neben anderen Hindernissen wurden BMW in diesem Zuge vom Staat verringerte Mitbe-
stimmungsrechte bei der folgenden Kooperation mit Brilliance eingeräumt. Zwei wichtige
Unternehmensfunktionen, Personal und Finanzen, musste BMW beispielsweise den Chi-
nesen überlassen. Fünf Jahre nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation beschwe-
ren sich auch Europa und die USA, welche es im Handel mit China auf jeweils mehr als
100 Milliarden Euro Defizit bringen, über Wettbewerbsverzerrungen und einen künstlich
niedrigen Wechselkurs. Zudem würden Genehmigungsverfahren oft zu schleppend bear-
beitet [OED06, ERL06].
Mittlerweile gibt es in China rund 90 Automobilhersteller, wovon laut Branchenbeobach-
tern aufgrund von Konsolidierungsvorgängen langfristig nur fünf bis zehn finanzstarke
Konzerne übrig bleiben werden. Auch in diesem Fall ist die chinesische Regierung be-
68 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

strebt, ihren Einfluss geltend zu machen, indem zum Teil massiv auf Automobilhersteller
eingewirkt wird. So z. B. im Falle der Hersteller NAC und SAIC, denen die Regierung
unter Druck nahe legte, zusammen zu fusionieren, um aufgrund ihrer ähnlichen Produkt-
palette eine stärkere Position im Wettbewerb einzunehmen [DRA07; JOH07a].
Überdies gibt es bereits jetzt seitens chinesischer Hersteller Bemühungen, Fahrzeuge auf
anderen Märkten zu vertreiben. Mit dem Erwerb von Rover gewann die Nanjing Auto-
mobile Corporation neben dem Know-how und der Expertise auch die vorhandenen Ver-
triebsstrukturen und somit einen vereinfachten Zugang zu europäischen Märkten. Ein
weiteres Beispiel ist der chinesische OEM Brilliance, welcher seit Ende 2006 den „BS6“
auf dem deutschen Markt vertreibt. Nach dem Debakel des „Landwind“ vom Hersteller
Jiangling Motors, welcher laut ADAC im Crashversuch einen „unakzeptablen“ Überle-
bensraum bot, fällt allerdings auch der Crashtest des BS6 unzureichend aus, was beweist,
dass die Sicherheit der Fahrzeuginsassen bei der Entwicklung nicht ausreichend berück-
sichtigt wurde. Aufgrund dieses Ergebnisses bot der Importeur für Deutschland und die
Beneluxländer allen Kunden eine kostenlose Rücknahme des BS6 an. Trotz Anfangs-
schwierigkeiten werden chinesische OEM langsam aber sicher auch auf anderen Märkten
Fuß fassen. Der Technologiezufluss ausländischer Hersteller und die Eingriffe des chine-
sischen Staates bieten gute Voraussetzungen dafür [ADA05].
Für westliche Hersteller drängt sich eine Analogie zu japanischen und koreanischen Her-
stellern auf, die ebenso mit günstigen Preisen in den Markt drängten und sich auf diese
Weise Marktanteile sicherten. Als auf den wichtigsten Märkten langsam eine breite Ak-
zeptanz ihrer Marken erreicht wurde, waren sie in der Lage, langsam ihr Preisniveau zu
heben. Es wird erwartet, dass chinesische Hersteller genau diese Lücke füllen und mit
extrem preiswerten Produkten den etablierten OEM Konkurrenz machen werden [SED07;
OED06; DAL07].
In der jüngeren Vergangenheit wurde deutlich, dass Automobilhersteller den chinesischen
Automobilmarkt bezüglich der Kundenanforderungen nicht korrekt eingeschätzt haben.
Es wurden auf diesem Wege einige „Mythen“ identifiziert, um diese Sichtweise zu ver-
deutlichen [MER04b]:
1. Mythos: In China gibt es 1,3 Milliarden potentielle Autokunden.
Realität: Bisher verdienen nur etwa 50 Millionen Chinesen genug Geld, um sich ein
Auto leisten zu können. Bis 2010 werden es voraussichtlich mehr als 170 Millionen
sein.
2. Mythos: Autos müssen in China vor allem funktionieren.
Realität: In China ist das Auto ein mindestens ebenso wichtiger Imageträger wie in
Deutschland. Deshalb gilt hier wie überall, dass erst die Kraft der Marke nachhaltigen
Absatz schafft.
3. Mythos: Die Chinesen wollen einfache Kleinwagen.
Realität: Nicht Transport steht im Zentrum der Autowünsche, sondern Komfort und
Sicherheit. Deshalb strebt die überwiegende Mehrheit der Chinesen nach einem Mit-
telklassewagen. Bild 5-10 veranschaulicht diesbezüglich den erwarteten Automobilab-
satz nach groben Fahrzeugsegmenten.
5.2 Der Standort Deutschland 69

8
Premium 0,4
7
Mittelklasse
6 Low Cost
Mio. Fahrzeuge
5
4 4,2

3
0,2
2
1,2
1 2,1
0,9
0
2004 2010
Bild 5-10 PKW-Absatz auf dem chinesischen Automobilmarkt nach Segmenten [MER04b]

Um auf dem chinesischen Automobilmarkt erfolgreich zu sein, sollten Automobilher-


steller den Aufbau starker Marken in den Mittelpunkt der China-Strategien stellen. Da die
Markenangebote der Mittelklassemarken in China oft unübersichtlich und relativ un-
differenziert erscheinen, dient ein klar strukturiertes Fahrzeugangebot in Zukunft als
grundlegende Basis für die Wirkung der Markenbotschaft. Darüber hinaus ist eine Ver-
besserung und Erweiterung der Vertriebs- und Servicenetze notwendig, um die Kunden-
zufriedenheit zu erhöhen und eine Marke zu etablieren. Denn auch auf dem chinesischen
Markt nimmt die frühzeitige Festigung von Markenloyalität und Kundenbindung eine
strategische Position ein [MER04b].

5.2 Der Standort Deutschland


In Anbetracht der erläuterten, in hohem Maße auf günstigeren Produktionskosten be-
ruhenden, Attraktivität ausländischer Standorte stellt sich die Frage, wie groß die Über-
lebenschance für Produktionsstandorte der Automobilindustrie in den Ländern West-
europas mittel- bis langfristig ist. Zwei Faktoren belasten den Standort Westeuropa maß-
geblich:
x Die Verlagerung der Produktionsstandorte ins Ausland und
x das Outsourcing von Vorleistungen.
Nur die Lohnkosten als Kriterium heranzuziehen würde allerdings zu kurz greifen, denn
Standortentscheidungen werden immer im Rahmen komplexer Faktorenbündel getroffen.
Das aktuelle Bild der Standortstrategien zeigt sich indessen uneinheitlich. Während na-
menhafte OEM und Zulieferer massiv Fertigungskapazitäten in Low Cost Ländern auf-
bauen, verlagern andere ihre Produktion in das Ursprungsland zurück. In Deutschland
wird der Anteil letzterer auf mindestens 20 % geschätzt. Als Gründe für eine Rückverla-
gerung werden vor allem Qualitätsprobleme, erhöhter Koordinationsbedarf, Logistikprob-
leme und längere Lieferzeiten genannt. Studien kommen zum Ergebnis, dass Verlage-
70 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

rungskosten oftmals zu niedrig eingeschätzt und Kostenveränderungen im jeweiligen


Low-Cost-Land nur unzureichend berücksichtigt werden. Zudem wurde ermittelt, dass
Verlagerungen, die rein auf Kosteneinsparungen basieren, eher scheitern als solche, die
zur Erschließung neuer Märkte dienlich sind [SCH05; SYW06]. Bild 5-11 visualisiert die
Ergebnisse einer Studie, welche grundlegende Stärken und Schwächen von Deutschland
im Vergleich zu Niedriglohnländern in den Augen von Zulieferern ermittelte.

Schlechter als Standort Deutschland Gleich oder besser als Standort Deutschland

100 %
80 %
60 %
40 %
20 %
0%
Löhne Material- Liefer- Zölle/ Ferti- Preisab- Produk-
kosten zeiten Abgaben gungs- schlag tivität
qualität wegen
Auslands-
produktion

Bild 5-11 Einschätzung von Niedriglohnländern im Vergleich zu Deutschland [SCH05]

Über die abgebildeten eindeutigen Vorteile gegenüber Niedriglohnländern hinaus, weist


der Standort Deutschland zahlreiche weitere Stärken auf. Zu nennen sind etwa eine gut
ausgebaute Infrastruktur für Transport, Logistik und Telekommunikation, hohe politische
Stabilität und Rechtssicherheit, Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, ein be-
reits bestehendes Netzwerk unter Automobilherstellern und Zulieferern sowie der breite
Zugang zu Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. 2007 erreichte Deutschland
unter den Top-Standorten für Forschung und Entwicklung weltweit erneut den 2. Platz
hinter den USA [ENG07].
Hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung wird gemeinhin angenommen, dass Wachstum
bis auf Ausnahmen besonders in den Regionen stattfinden wird, in denen geringe Produk-
tionskosten vorliegen. Da der Personalkostenvorteil im Vergleich zu Hochlohnländern
besonders gravierend ist, müssen neue Strategien Anwendung finden, um ein weiteres
Auslagern der Produktion zu vermeiden. Länder mit relativ hohen Personalkosten können
gegenüber neuen Standorten allerdings rein ökonomische Vorteile geltend machen, wenn
Unternehmen bereits einen Standort im Hochlohnland besitzen und erwägen, existierende
Produktionslinien in Niedriglohnländer zu verlagern. In diesem Fall sollten die Kosten
von Sozialplänen und sonstige Kosten, die bei Werkschließungen anfallen, nicht unter-
schätzt werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich die zusätzlichen Kosten auf das 3-
bis 4-fache der jährlichen Einsparungen am neuen Standort belaufen. Berücksichtigt man
die anfallenden Kapitalkosten, so kalkuliert man sogar das 4- bis 6-fache.
An diesem Punkt müssen Hochlohnländer die Chance wahrnehmen und durch Kosten-
reduktionen und Flexibilitätszuwächse den Break-Even-Point der neuen Standorte weiter
hinauszögern. Verfügbare Hebel sind z. B. eine verlängerte Arbeitswoche von 35 auf 38
bis 42 Stunden ohne Lohnausgleich, Kürzung des Weihnachtsgeldes oder verminderte
5.2 Der Standort Deutschland 71

Urlaubsansprüche. Man schätzt, dass diese Maßnahmen am Standort Deutschland zur


Reduktion der Personalkosten von bis zu 15 % beitragen können. Zahlreiche westeuropäi-
sche Unternehmen bedienten sich bereits mit Erfolg ähnlicher Mittel. Namenhafte Zulie-
ferer wie Bosch, Continental oder FAG Kugelfischer erreichten durch verlängerte Ar-
beitswochen, Verzicht auf Vergünstigungen und flexiblere Überstundenvereinbarungen
ansehnliche Einsparungen [BER07].
Als Beispiel dafür, dass in Deutschland profitabel Automobile hergestellt werden können,
gilt der Standort Leipzig, an dem Porsche und BMW bereits seit 1999 bzw. 2001 ansässig
sind. Neben dem Cayenne und dem Carrera GT wird Porsche ab 2009 auch den Panamera
in Leipzig fertigen. BMW produziert dort die Einser- und die Dreier-Reihe. Unter ande-
rem durch notwendige Just-in-Time Lieferungen siedelten sich bereits zahlreiche Zuliefe-
rer, wie Faurecia, EMAG oder ThyssenKrupp Automotive an. Bis 2010 sollen insgesamt
20.000 Arbeitsplätze durch die Automobilindustrie geschaffen werden.
Leipzig erwies sich als konkurrenzfähig im internationalen Vergleich und setzte sich bei
der Standortwahl der OEMs gegen Hunderte weiterer Standorte durch, denn es bietet
potentiellen Investoren eine Reihe von Vorteilen. So beispielsweise individuell verein-
barte Förderprogramme für Investoren, relativ günstige Grundstückspreise, sehr gute
Infrastruktur durch 4 Autobahnen in nächster Nähe und gut ausgebauten Nahverkehr,
gegenüber Westdeutschland relativ niedriges Lohnniveau, viele hochqualifizierte Arbeits-
kräfte sowie „Flexibilität und Schnelligkeit der Leipziger Stadtverwaltung bei der Umset-
zung von Investitionsprojekten“. Nach eigenen Angaben war für BMW die Flexibilität
von Arbeit und Produktion ein entscheidender Faktor. Diese sollte durch die „BMW For-
mel für Arbeit“ verwirklicht werden. Ein Modell, das im Wesentlichen auf hochflexiblen
Arbeitszeiten beruht und es ermöglicht, auf Basis des Flächentarifvertrages die Produkti-
onszeit der Fabrik zwischen 60 und 140 Stunden pro Woche zu variieren. Die persönliche
Arbeitszeit der Beschäftigten und die Maschinenlaufzeiten sind unabhängig voneinander,
was wiederum dem Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, die Produktion sehr flexibel
zu steigern oder zu senken. Der Standort Leipzig zog unter anderem Vorteile daraus, dass
sich die deutsche Gewerkschaft auf das Modell einließ, während es z. B. im tschechischen
Kolín wegen Uneinigkeit mit der Arbeitnehmervertretung in dieser Form nicht hätte be-
trieben werden können. Das Modell wird jedoch auch kritisiert, denn im Leipziger Werk
sind bis zu ѿ der Arbeitskräfte bei Zeitarbeitsfirmen angestellt und bei BMW nur befristet
tätig. Einschließlich Zulagen erhalten Leiharbeiter bei BMW einen weitaus geringeren
Tariflohn als fest angestellte Mitarbeiter. Die ungleiche Behandlung führte unter den
Mitarbeitern bereits zu Spannungen, denn die zu verrichtende Arbeit unterscheidet sich
nicht. [SPI05b; KRI06; PRI06; AUB07].
Das Beispiel des Automobilstandortes Leipzig wirft die Frage auf, in wieweit es sich
dabei um eine Ausnahmeerscheinung im allgemeinen Trend der Produktionsverlagerung
nach Osteuropa und Asien handelt. Natürlich können Aspekte angeführt werden, die für
einen solchen Sonderfall sprechen. Dazu zählt unter anderem die Tatsache, dass BMW
und Porsche mit ihren Produkten das Premiumsegment der jeweiligen Fahrzeugklassen
bedienen und demnach nicht primär über den Preis im Wettbewerb stehen, wie dies in den
unteren Fahrzeugsegmenten, welche in erster Linie von Volumenherstellern wie Ford, Kia
oder Volkswagen besetzt werden, der Fall ist. Durch die Positionierung als Premium-
hersteller liegt also ein anderes Abwägungsverhältnis zwischen Innovations- und Quali-
tätsorientierung einerseits und Kostenorientierung andererseits vor, als dies bei anderen
72 5 Standortstrategien in der Automobilindustrie

Herstellern anzutreffen ist. Darüber hinaus kann festgehalten werden, dass BMW und
Porsche sehr erfolgreiche, expandierende Unternehmen sind, die andere Prioritäten setzen
können als weniger profitable Automobilhersteller wie Ford oder General Motors.
Neben den Gesichtspunkten, die für eine Ausnahme im Globalisierungsprozess sprechen,
können ebenso Aspekte dagegen genannt werden. Das Automobil als hochkomplexes
Produkt unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen Gütern wie Textilwaren oder
Unterhaltungselektronik. Montagewerke wurden in den letzten Jahrzehnten derart opti-
miert und in diesem Zuge reduziert, dass sie heute extrem fragile und empfindliche Ferti-
gungsstätten sind. Angesichts gleichzeitig reduzierter Produktlebenszyklen und der Erhö-
hung des Ausmaßes kundenbezogener Auftragsfertigung, wird eine Nähe zum Endkunden
geradezu erzwungen. Unterdessen verändern sich Automobilfabriken immer mehr zu
hochgradig flexiblen, intelligenten und in ständigem Wandel begriffenen Produktionssys-
temen. Es liegt daher nahe, dass die Produktion von arbeitsintensiven Produkten eher in
entfernte Niedriglohnländer verlagert wird, während die Endmontage weiterhin in der
Großregion angesiedelt bleibt, in welcher sich die wichtigsten Märkte und Käufergruppen
befinden.
Die Faktoren, die für BMW in Leipzig entscheidend waren, sind durchaus auch für andere
Unternehmen relevant. Entgegen einfacher, auf Kosten fixierte Standortvergleiche verfol-
gen viele Unternehmen differenzierte und langfristig ausgerichtete Strategien, die eine
Vielzahl weiterer Aspekte berücksichtigen. Toyota untermauert die These, dass Automo-
bile nahe dem Zielmarkt entstehen sollten, durch die Devise „Lokalisierung statt Globali-
sierung“. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Anzahl ausländischer Produktions-
werke in den USA und Kanada vervielfacht. Die so genannten „Transplants“ japanischer
und koreanischer OEM produzieren mittlerweile ѿ aller dort montierten Pkw. Aufgrund
von hochkomplexen Wertschöpfungsketten, extrem empfindlichen Logistikstrukturen und
hohen Transportkosten relativiert sich der Lohnkostenvorteil in weit entfernten Regionen
in vielen Fällen. Für die Automobilindustrie lassen sich drei Schlussfolgerungen ziehen:
x Der Wettbewerbsdruck ist in der Branche nach wie vor sehr hoch. Dies wird weiterhin
zu Restrukturierungsmaßnahmen führen.
x Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Automobilproduktion in Ländern mit relativ ho-
hen Kostenanteilen keine Zukunftsperspektive mehr hätte. Endmontagen werden wei-
terhin in den einzelnen Absatzregionen erfolgen und auch Kernkompetenzen für Ent-
wicklung, Produktion und Montage von komplexen Modulen werden in den hochin-
dustrialisierten Stammsitzländern verbleiben.
x Einige spezifisch westeuropäische bzw. deutsche Standortfaktoren werden, angesichts
des höheren Wissensanteils im Auto und zu erwartender zukünftiger Energieknappheit
noch an Bedeutung gewinnen. Hierzu zählt etwa die enorme Produkt- und Produkti-
onsflexibilität, die nicht zuletzt durch eine hohe Beschäftigtenqualifikation und parti-
zipationsorientierte Arbeits- und Unternehmenskultur getragen wird [PRI06].
5.3 Fazit 73

5.3 Fazit
Die Betrachtungen dieses Kapitels legen den Schluss nahe, dass die Automobilindustrie
hinsichtlich neuer Standorte zunehmend den Weg in Niedriglohnländer finden wird. Un-
ter diesen weisen dabei vor allem Osteuropa und der asiatische Raum eine hohe Bedeu-
tung auf. Obgleich zu beobachten ist, dass jeder fünfte deutsche Zulieferer wieder nach
Deutschland zurückkehrt, waren zum Zeitpunkt der Befragung bereits 50 % der Zulieferer
in China oder Osteuropa vertreten und viele andere haben dies mittelfristig vor. Ein-
hergehend mit diesen Ergebnissen weist die weltweite Automobilproduktion einen Be-
deutungsverlust der triadischen Produktionsländer auf.
Das Beispiel Leipzig beweist allerdings, dass der Automobilstandort Deutschland nicht
gänzlich an Attraktivität eingebüßt hat. Auch für reine Produktionstätigkeiten bestehen
eindeutige Vorteile gegenüber anderen Standorten, welche auch auf andere Hersteller und
Zulieferer übertragbar sind. Um das Interesse für Investoren weiter zu steigern, müssen
die Vorteile des Standortes gezielt ausgebaut und Nachteile abgebaut werden. Insbeson-
dere wurde deutlich, dass die Produktionskosten, als in der Regel wichtigster wahrgenom-
mener Standortfaktor, durch flexible Arbeitsmodelle signifikant gesenkt werden können.
Zudem können Hochlohnländer davon profitieren, dass die Endmontage von Automobi-
len aus mehreren Gründen insgesamt am effizientesten ist, wenn sie in geografischer
Nähe zum Zielabsatzmarkt stattfindet.
74

6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

Im folgenden Kapitel wird das Markenmanagement in der Automobilindustrie themati-


siert. Dazu werden in einem ersten Schritt die Grundlagen sowie allgemeinen Strategien
und Trends vorgestellt, anschließend wird als Beispiel das Markenmanagement von Ge-
neral Motors behandelt.

6.1 Grundlagen, Strategien und Trends


Der konsequente Aufbau sowie die Festigung und das Management einer starken Marke
sind für Automobilhersteller heute so wichtig wie nie zuvor. Den bisherigen Ausführun-
gen konnte bereits entnommen werden, dass die Automobilindustrie einer Drucksituation
unterliegt, welche eine grundlegende Veränderung der Wertschöpfungskette nach sich
zieht. Es wurde dabei insbesondere deutlich, dass die Wettbewerbsintensität und der Kos-
tendruck unter den Herstellern und Zulieferern in den letzten Jahren deutlich zuge-
nommen haben. Vor dem Hintergrund, dass die angebotenen Fahrzeuge in technischer
Hinsicht zunehmend konvergieren, was nicht zuletzt auf ansteigende Outsourcingumfän-
ge der Automobilhersteller zurückzuführen ist, und die kundenseitige Markentreue eine
abnehmende Tendenz aufweist, erscheinen starke Automobilmarken notwendig, um sich
im Wettbewerb zu differenzieren und auf diese Weise einen Markterfolg zu erzielen.
Übereinstimmend mit diesen Aussagen genießt Markenmanagement in der Automobil-
industrie einen äußerst hohen Stellenwert. Allgemein wird die Attraktivität und Reputa-
tion einer Marke als wesentlich für den Unternehmenserfolg und Markenmanagement als
zukünftige Kernkompetenz der Hersteller angesehen [LÖF05; CLA04; GOT05; MAT04].
Unter dem Terminus „Marke“ versteht man allgemein ein Nutzenbündel, welches über
einen längeren Zeitraum einen gleichartigen Auftritt aufweist, über eine mindestens gleich
bleibende wahrgenommene Qualität verfügt und sich aus Sicht der Zielgruppe von funk-
tional vergleichbaren Produkten nachhaltig abhebt [DIE06; MEF05a]. Diesbezüglich
stellt ein „Markenimage“ ein mehrdimensionales Konstrukt dar, welches die wertende
Einschätzung zur Marke als Meinungsgegenstand darstellt [LÖF05]. Die Bedeutung einer
Marke bzw. von Markenimage beruht auf dem nachweisbaren Einfluss auf das Kaufver-
halten der Konsumenten. In dieser Hinsicht können drei Kernfunktionen aus Nachfrager-
sicht identifiziert werden [MEF05a]. Marken besitzen demzufolge eine Orientierungs-
und Informationsfunktion, eine Vertrauensfunktion und eine symbolische Funktion. Zu-
nächst dienen Marken der effizienten Orientierung und Informationsbeschaffung. Durch
Markenpräsenz wird die Markttransparenz erhöht und demnach die Produktidentifikation
beschleunigt. Zudem fällt die Bewertung und Entscheidungsfindung einfacher aus, da mit
der Wahrnehmung der Marke bzw. der Aktivierung des Markenimages gespeicherte In-
formationen aufgerufen werden, die den Kunden an einen vergangenen Kauf oder andere
Erfahrungen mit der betreffenden Marke erinnern. Durch die Verringerung von Such- und
Informationskosten kann ein Markenprodukt für den Konsumenten in der Gesamtbetrach-
tung somit „günstiger“ sein als ein markenloses Produkt. Ferner wird Marken aufgrund
ihrer Kompetenz, Bekanntheit und Identität ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenge-
6.1 Grundlagen, Strategien und Trends 75

bracht. Dies trägt dazu bei, eine markentypische Produktqualität vorauszusetzen und so-
mit das subjektiv empfundene Risiko einer Kaufentscheidung zu reduzieren. Schließlich
üben Marken eine symbolische Funktion aus, die Konsumenten dazu verhelfen kann, ihre
persönliche Identität anderen Menschen mitzuteilen oder sich selbst über eine Marke zu
definieren. Darüber hinaus ist mit Hilfe einer Marke Kommunikation im sozialen Umfeld
möglich, indem Konsumenten bestimmte Wertvorstellungen oder Lebensstile über das
Image der Marke vermitteln. In der Automobilindustrie wird der symbolische Nutzen
einer Marke bzw. eines Markenimages als besonders relevant eingestuft [BRE03]. Aus
diesen Markenfunktionen leiten sich zwei wichtige Handlungsmuster ab: Marken-
bereitschaft und Markentreue. Markenbereitschaft bezeichnet allgemein die Ausrichtung
des Kaufverhaltens auf Marken. Unter Markentreue versteht man demgegenüber den
Wiederholungskauf einer Marke, welcher durch eine hohe Zufriedenheit begründet ist.
[DIE06; BRE03; MEF05a; LÖF05].
Der grundlegende Nutzen von Marken aus Anbietersicht lässt sich anhand der nachfol-
genden Hauptkategorien festhalten: Präferenzbildung und Differenzierung, erhöhte Kun-
denbindung, extensivere Preisspielräume, differenzierte Marktbearbeitung, Erschließung
von Wachstumspotentialen und Steigerung des Unternehmenswertes. Durch die Etablie-
rung einer starken Marke sollen Präferenzen für das eigene Produktportfolio geschaffen
und gleichzeitig eine Differenzierung von Konkurrenzangeboten erreicht werden. Syn-
onym wird in diesem Zusammenhang auch von der Profilierung einer Marke gesprochen
[MCK06]. Mit Hilfe von konsequentem Markenmanagement kann darüber hinaus die
Planungssicherheit erhöht werden, da Kunden aufgrund ihrer gefühlsmäßigen Verbun-
denheit und Zufriedenheit die markierten Produkte wiederkaufen und weiterempfehlen.
Auf diese Weise kann eine hohe Kundenbindung erreicht werden, die Absatzschwankun-
gen entgegenwirkt und so letztendlich zu einer Risikoreduktion in der betreffenden Un-
ternehmung führt. Diese Risikoreduktion begünstigt wiederum, durch niedrigere Zinssät-
ze bei der Diskontierung von zukünftigen Einzahlungsüberschüssen, die Steigerung des
Unternehmenswertes. Auch die Durchsetzbarkeit erhöhter Endpreise beim Endkunden,
z. B. durch die Bildung einer Premiummarke, unterstützt die Wertsteigerung einer Unter-
nehmung. Marken gelten als der mit Abstand wichtigste immaterielle Vermögenswert ei-
ner Unternehmung. Der Wert von Automobilmarken wird nach verschiedenen Kriterien
jährlich von Organisationen wie Interbrand oder Millward Brown ermittelt. Der anbieter-
seitige Vorteil von starken Unternehmensmarken erschließt sich weiterhin durch die leich-
tere Erschließung geografisch neuer Absatzregionen und die einfachere Möglichkeit einer
segmentspezifischen Marktbearbeitung. Einzelne Marktsegmente können auf diese Weise
mit zielgruppenspezifischen Marken optimal bedient werden, ohne dass mit ausgeprägten
Kannibalisierungseffekten gerechnet werden muss [MEF05a; DIE06; BRE03; MIL07].
Das Hauptziel einer effektiven Markenführung muss darin bestehen, den ökonomischen
Wert einer Marke sukzessive zu erhöhen. Zwei zweckdienliche Stellhebel in diesem Zu-
sammenhang sind die Erhöhung des Bekanntheitsgrades sowie die Sicherung eines eigen-
ständigen und unverwechselbaren Markenimages. Während in der Automobilindustrie bei
den meisten Marken durchweg bereits ein hoher Bekanntheitsgrad vorliegt, gibt es im
Hinblick auf die Klarheit des Markenbildes erhebliche Unterschiede. Beispielsweise asso-
ziierten im Jahr 2003 rund 80 % der deutschen Kunden mit VW ein absolut klares Mar-
kenbild, während andere deutsche Marken nur knapp darunter lagen. Umgekehrt schätz-
ten deutsche Autokäufer das Markenbild von Marken wie Chrysler, Suzuki oder Lancia
nur zu etwa 20 % als eindeutig ein [BRÜ03]. Zu den wesentlichen Instrumenten der Mar-
76 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

kenführung zählen die Produkt-, die Preis-, die Distributions- und die Kommunikations-
politik [BRA05; DIE06; DIE05].
Wie ein Vergleich zwischen Automobilmarken in Westeuropa nahe legt, trägt die Positio-
nierung einer Marke wesentlich zum Unternehmenserfolg bei. Es stellte sich heraus, dass
zwischen 1994 und 2003 bestimmte Marken stärker wuchsen als andere, wenn sie entwe-
der die Kostenführerschaft oder aber die Qualitätsführerschaft in Verbindung mit einer
Premiumstrategie verfolgten. Bei anderen Marken wurde eine „Stuck in the middle“ Posi-
tion festgestellt, was sich in der Realisierung von unterdurchschnittlichen Wachstumsra-
ten manifestierte [PIS04].
Die Etablierung einer Premiummarke erscheint für Automobilhersteller zudem deshalb
interessant, weil Kunden bereit sind, einen deutlichen Mehrpreis für ein Produkt aus-
zugeben, dass keinen objektiven Zusatznutzen gegenüber einem vergleichbaren Nicht-
Premiumprodukt bietet. McKinsey quantifizierte den erzielten Mehrpreis (das Preis-
Premium) eines VW Golf in der Kompaktklasse im Jahr 2003 gegenüber einem grund-
sätzlich vergleichbaren Hyundai Accent auf fast 6.000 Euro. Zu berücksichtigen ist an
dieser Stelle allerdings, dass der Wiederverkaufswert eines VW Golfs zum Zeitpunkt der
Untersuchung deutlich höher eingeschätzt wurde als der des Hyundais [BRE03]. Auch
wenn Volkswagen nicht zu den originären „Premiummarken“ zählt, so wird das positive
Image dennoch dazu verwendet, Premiumpreise zu erzielen. Ein anschauliches Beispiel
ist die Einführung der Modelle Ford Galaxy und VW Sharan im Jahr 1995, welche von
beiden Herstellern gemeinsam entwickelt und produziert wurden. Die Vorgehensweise
der gemeinsamen Entwicklung bzw. Produktion eines Produktes mit darauf folgendem
Vertrieb unter verschiedenen Marken wird auch als „Badge-Engineering“ bezeichnet
[SEB07]. Obgleich beide Modelle bis auf leichte optische Divergenzen nahezu baugleich
waren und der Sharan sogar einen beträchtlich höheren Grundpreis aufwies, setzte Volk-
wagen während des gesamten Produktlebenszyklus in Deutschland deutlich mehr Fahr-
zeuge ab als Ford. Dieser Absatzvorsprung kann zum großen Teil auf den Imagevorteil
vom Sharan gegenüber dem Galaxy in Deutschland zurückgeführt werden, welcher von
den Mutterkonzernen stark bestimmt wurde. Einer Umfrage zufolge genießt Ford in
Deutschland ein schlechteres Image als VW, während Ford z. B. in Großbritannien ein-
deutig der Vorzug vor VW gewährt wird, was sich auch in den Absatzzahlen von Sharan
und Galaxy niederschlägt [KOE05].
Aus Sicht der Preissetzung kann eine Marke als Residualwert verstanden werden, welcher
eine Preisdifferenz zwischen Produkten, die über messbar vergleichbare Eigenschaften
verfügen, rechtfertigt. Bild 6-1 illustriert den Wert von Marken am Gesamtnutzen von
Automobilen. Im Beispiel stiften beide Fahrzeuge den gleichen wahrgenommenen Kun-
dennutzen, obschon Fahrzeug B in fast allen herangezogenen Kriterien schlechter ab-
schneidet (geringere Motorleistung, weniger Serienausstattungen, höherer Anschaffungs-
preis). Als Grund kann der doppelt so hohe Markenwert von Fahrzeug B herangezogen
werden, welcher die offensichtlichen Schwächen in anderen Bereichen kompensiert
[MEC06].
Premiummarken definieren sich vor allem über den Preis, denn es gelingt ihnen, einen
höheren Kaufpreis durchzusetzen als Marken, die Produkte mit vergleichbaren tangiblen
Funktionen anbieten. Charakteristisch für eine Premiummarke ist also eine positive Preis-
differenz zum Durchschnittspreis im jeweiligen Marktsegment, woraus sich direkt eine
Unterscheidung zu Volumenmarken ergibt [DIE05].
6.1 Grundlagen, Strategien und Trends 77

Fahrzeug A Fahrzeug B

Ausstattungsumfang

Ausstattungsumfang
Gesamtnutzwert

Gesamtnutzwert
Motorleistung
Motorleistung

Marke
Marke

Preis

Preis
Bild 6-1 Anteil von Marken am Gesamtnutzen unterschiedlicher Fahrzeuge [MEC06]

Der durch die Theorie des Konsumentenverhaltens geprägte Erklärungsansatz, dass Kun-
den bereit sind, für bestimmte Produkte überdurchschnittlich viel zu bezahlen, sofern sie
diese gleichwohl für überdurchschnittlich wertvoll halten, erscheint plausibel. Nach Kar-
masin besteht der wahrgenommene Wert eines Produktes aus drei Elementen: dem Prime
Value, dem Labor Value und dem Symbolic Value, Bild 6-2 [KAR98; DIE05].

Symbolic Value –
psychografischer Markenwert

Labor Value –
Prime Value –
Herstellungsprozess und
Technologie und Material
Country-of-Origin

Bild 6-2 Quellen des Produktwertes [KAR98]

Unter dem Prime Value wird der Wert eines Produktes verstanden, welcher durch die ver-
wendeten Materialien und die eingesetzten Technologien bestimmt wird. Kann durch
gezielte Innovationen in diesen Bereichen ein Zusatznutzen aus Kundensicht geschaffen
werden, steigt die Preisbereitschaft der Zielgruppe. Der Labor Value bezeichnet die kun-
denseitige Honorierung des verwendeten Herstellungsverfahrens sowie des Herstellung-
sortes. Allgemein gelten handgefertigte Produkte als wertvoller als maschinell gefertigte.
Vor allem Hersteller von Luxusautomobilen werben explizit mit dem handwerklichen
Charakter der Fertigung.
Ein weiterer Aspekt des Labor Value ist der Standort der Herstellung eines Produktes,
auch als „Country of Origin“ betitelt. Kunden verbinden mit bestimmten Standorten eine
besonders sorgfältige Herstellung, die sie zu einer höheren Preisbereitschaft animieren
kann. Als dritte Quelle für den Wert eines Produktes ist schließlich der Symbolic Value
zu nennen, welcher im Zusammenhang mit den Assoziationen der Kunden zu einer Marke
gesehen werden muss. Einflussfaktoren auf den Symbolic Value sind das empfundene
Vermögen einer Unternehmung durch Innovationskraft Trends zu setzen, durch Emotio-
nalisierung die Attraktivität einer Marke aufrecht zu erhalten und durch Authentizität die
Glaubwürdigkeit einer Marke sicherzustellen. Außerdem sind diesbezüglich eine Konsis-
tenz im Markenauftritt unter Beachtung der Markentraditionen sowie die Unverwechsel-
78 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

barkeit durch einen generischen Markencode entscheidend. Offensichtlich liegen diese


drei Wertkategorien bei Premiummarken in einer ausgeprägteren Form vor, als bei Volu-
menmarken [DIE05; KAR98].
Im Hinblick auf die bearbeiteten Fahrzeugsegmente von Premiumherstellern war in der
Vergangenheit eine weitreichende Ausdehnung des jeweiligen Produktangebotes vieler
Hersteller bis hinunter in untere Segmente zu beobachten. Es erscheint sinnvoll diesbe-
züglich den Terminus „Premiumaffinität“ einzuführen, welcher die Stärke des Premiumi-
mages in den verschiedenen Fahrzeugsegmenten qualitativ angibt. Je niedriger die seg-
mentspezifisch durchschnittlich abgesetzten Stückzahlen sind und je höher das Technolo-
gie- bzw. das Qualitätsniveau im Mittel anzusetzen ist, desto größer ist die Premiumaffini-
tät eines Marktsegmentes. Die größte Premiumaffinität liegt traditionell in der Luxusklas-
se, der Oberklasse, der oberen Mittelklasse sowie in den oberen Sportwagensegmenten
vor. Diese Fahrzeugklassen werden auch als „klassische Premiumsegmente“ bezeichnet.
Um sich im Kreis der Premiumhersteller zu profilieren, ist es daher außerordentlich wich-
tig, diese klassischen Premiumsegmente in gewissem Maße abzudecken. Die Premiumaf-
finität einer Fahrzeugklasse stellt keine unveränderliche Größe dar, denn sie unterliegt
zahlreichen Einflussgrößen, z. B. Trends im Kundenverhalten oder veränderten Marke-
tingbemühungen der Hersteller. In dieser Hinsicht zeichnet sich seit längerem der Trend
einer veränderten Premiumaffinität insbesondere in unteren Marktsegmenten durch den
Eintritt von Premiumherstellern ab.
Durch diese Entwicklung entstehen „moderne Premiumsegmente“, welche nahezu alle
Fahrzeugklassen betreffen, die nicht zu den klassischen Premiumsegmenten zählen. Wei-
tere Erklärungsansätze für das Entstehen der modernen Premiumsegmente sind die bereits
angesprochenen Veränderungen im Kundenverhalten, steigendes Markenbewusstsein bei
Zweitwagen sowie die innovative Anpassung von Automobilen an die Anforderungen im
Stadtverkehr unter Erfüllung von Lifestyleansprüchen, z. B. durch den BMW Mini
[DIE05; ROS05]. Bild 6-3 visualisiert die derzeit am Markt agierenden Premiummarken
in den Dimensionen Globalisierungsgrad und Segmentabdeckung.
Dem Markt für Premiumautomobile werden für die Zukunft ausgesprochen gute Aus-
sichten bescheinigt. Dies lässt sich zum einen durch einen steigenden mittleren Neu-
wagenpreis begründen, welcher bereits erwähnt wurde. Vor allem bei Premiummarken ist
zu beobachten, dass immer höherwertige Fahrzeuge mit entsprechend höherem Kaufpreis
abgesetzt werden. Schreibt man den Trend der Vergangenheit in die Zukunft fort, so ist
zum anderen ein deutliches Absatzwachstum von Premiumautomobilen zu vermuten. Im
Gegensatz zu den meisten Volumenmarken konnten Premiummarken in der jüngeren
Vergangenheit markante Absatzsteigerungen sowie eine gewisse Konjunkturunabhängig-
keit an den Tag legen. Letztere ist zum Teil auf eine höhere Kundenloyalität bezüglich
Premiummarken sowie auf die strukturellen Veränderungen der Kundenstruktur, insbe-
sondere auf das Phänomen „Verlust der Mitte“ zurückzuführen. Diese Faktoren führen
letztlich dazu, dass die erzielbaren Unternehmensgewinne bei Premiummarken höher
eingeschätzt werden als bei Volumenmarken [TRE04; MÜL05; AUT04; ROS05].
6.1 Grundlagen, Strategien und Trends 79

Luxusmarken Sportwagen-
spezialisten
Rolls Royce Porsche Mercedes -Benz
Bentley Ferrari BMW
Maybach Lamborghini Audi
eher global

Bugatti Maserati
Aston Martin Volvo
Jaguar
Grad der Globalität Æ

Premium -
Range Rover/ Saab Generalisten
Land Rover Lancia

Nationale US-Marken
eher national

Premiumanbieter Lexus (Toyota)


Infinity (Nissan)
Accura (Honda)
ZIL (RUS)
Cadillac (GM)
Lincoln (Ford)

enges Produktprogramm breites Produktprogramm


Abdeckung der Marktsegmente Æ

Bild 6-3 Typen von Premiummarken [DIE05]

Die BMW-Group gilt als einziger Automobilkonzern, der eine reine Premiumstrategie
verfolgt. Nach eigenen Angaben zählen ein eindeutig definiertes Leistungsversprechen
und eine klare Markenidentität zu den Grundvorrausetzungen, um die Markenbotschaft
fokussiert an die betreffenden Zielgruppen zu richten. Eine Marke, die alle möglichen
Eigenschaften gleichermaßen zu beherrschen sucht, stehe lediglich für den Durchschnitt
und differenziert sich demnach nur in unzureichendem Maß vom Wettbewerb. Dement-
sprechend verfüge die BMW Group über ein Markenportfolio, in dem BMW, Rolls
Royce und Mini eine klar abgegrenzte und für den Konsumenten jederzeit nachvollzieh-
bare Position einnehmen [TRE04; MÜL05]. Am Beispiel der Marke BMW lässt sich der
gewählte Anspruch einer eindeutigen Positionierung anschaulich darstellen. Bild 6-4 zeigt
diesbezüglich die Konsequenzen einer solchen Ausrichtung für Produkt und Wertschöp-
fung.
Ausgehend vom Markenkern, welcher erkennbar die Fahrdynamik der Modelle in den
Mittelpunkt stellt, lassen sich innerhalb der verschiedenen Fahrzeugattribute einige Pro-
dukteigenschaften ableiten, die den innovativen Charakter der Marke unterstützen. Auf
dieser Basis können nun Aussagen hinsichtlich besonders markenprägender Bauteile
getroffen werden. Bild 6-5 stellt den Grad der Markenrelevanz auf Modulebene für das
Beispiel BMW dar. Ergebnisse einer solchen Betrachtung sind besonders im Hinblick auf
potentiell auszulagernde Wertschöpfungsumfänge von Nutzen. Demnach wäre es für das
Markenimage von BMW überaus abträglich, wenn Kompetenzen aus dem Fahrwerks-
oder Motorenbereich fremdbezogen würden [DAN06b; MER04a].
80 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

Kern der Marke


„Freude am Fahren” – „The Ultimate Driving
Machine “ – „Sheer Driving Pleasure “

Fahrzeug-
Styling Fahren Technologie Sicherheit
attribute

Marken- • Emotional • Sportliches • Technologie - • Erfüllung der


prägung • Athletisch Fahrverhalten orientierte Kunden-
• Performance Umsetzung des anforderungen an
• Eleganz
• Präzises Handling Premium -Marken - ein Premium-
• Kontinuität versprechens Produkt
• Premium

Konsequenzen • Moderate bis • Fokus auf Motor, • Innovationsführer- • Sicherheitsstandards


für Produkt/ aggressive Antriebsstrang schaft in fahr- über Marktniveau
Wertschöpfung Design- und Fahrwerks- dynamikrelevanten • Innovationsführer-
änderungen elektronik (auch: Fahrzeugumfängen schaft in aus-
Sound (Motor, Lenkung gewählten , fahr-
Engineering) etc.) dynamikrelevanten
• Adaption von Sicherheitssystemen
Innovationen mit (z. B. Head -up-
Premium -Anspruch Display)

Bild 6-4 Markenprägung und Konsequenzen für Produkt und Wertschöpfung [DAN06b]

BMW markenprägende Premiummarkenrelevante Modul mit geringer


Module Module BMW-Markenprägung

Fahrwerks - / 1 1 Beleuchtungs - 5 Dachsystem 5 3


Komfortelektronik Abgasanlage
Antriebselektronik anlage (Exterieur )

Kommunikation/ 1 Bord- / 1 Antriebswelle/ 4 6 7 5


Dach (Interior) Fahrgastzelle Fenster/Glas
Entertainment Busnetzsystem Achsgetriebe

Sicherheits - 1 2 Beatmung / Ge - 3 3 Innenraum - 6 Front - / 5


Bremssystem Kühlung
elektronik mischaufbereitung belüftung Heckklappe

4 2 6 6 Frontend / 5 7
Getriebe Lenkung Insassenschutz Sitze Hinterwagen
Rearend

3 Stoßdämpfer / 2 Motorneben - 3 2 Kraftstoff - 3 5


Motor Räder Kotflügel
Federung aggregate versorgung

Motor- 1 7 6 1 5 6
Vorderwagen Cockpit Stromversorgung Schließanlage Pedalanlage
management

2 Türen 6 Verkleidung / 6 Tragende 2


Radaufhängung
(innen) Akustik Elemente
1 Elektrik/Elektronik 5 Exterior
2 Fahrwerk 6 Interior 5 Türen 5
Wischanlage
(Exterior)
3 Motor und Aggregate 7 Karosseriestruktur
4 Antriebsstrang 5
Anbauteile

Bild 6-5 Markenrelevante Module aus Sicht von BMW [MER04a, DAN06b]
6.1 Grundlagen, Strategien und Trends 81

Vor dem Hintergrund des bekanntermaßen wenig erfolgreichen Rover Engagements sei-
tens der BMW Group waren drei Prinzipien für die Strukturierung des Produktportfolios
maßgebend. Erstens mussten alle Marken eine ausgeprägte Premiumfähigkeit aufweisen,
die eine dafür notwendige Mehrpreisbereitschaft der Kunden nach sich zieht. Um Kanni-
balisierungseffekten vorzubeugen, musste zweitens eine konsequente Überschneidungs-
freiheit der angebotenen Marken und Modelle gewährleistet sein. Schließlich sollte drit-
tens mit den vorhandenen Marken eine umfangreiche Abdeckung aller vorhandenen Fahr-
zeugsegmente, vom Kleinwagen bis zur Luxuslimousine erfolgen [TRE04; MÜL05].
Markenausdehnungen („brand extensions“) durch Produktproliferation ermöglichen den
Automobilherstellern oftmals eine einfache Möglichkeit, das Leistungsspektrum etablier-
ter Marken zu erweitern und in neue Marktsegmente vorzustoßen. Um eine Verwässerung
des Markenimages zu vermeiden und einer Markendeprofilierung zu entgehen, gewinnt
die Marktbearbeitung mit mehreren, parallel auf dem Absatzmarkt ausgerichteten Marken
zusehends an Bedeutung. Ein solches Vorgehen wird allgemein als „Mehrmarkenstrate-
gie“ bezeichnet.
Pioniere des Konzepts waren die US-amerikanischen Unternehmen General Motors und
Procter&Gamble, die schon früh erkannten, dass bei einer Ausweitung des Produktan-
gebots mit simultaner Einführung von Marken eine bessere Marktausschöpfung verbun-
den ist. Unter einer Mehrmarkenstrategie soll nach Meffert die parallele Führung mehre-
rer selbstständiger Marken verstanden werden. Diese sind auf denselben Produktbereich
ausgerichtet und deren Produkte und Dienstleistungen unterscheiden sich anhand zentra-
ler Leistungsmerkmale bzw. der Ausgestaltung der Marketinginstrumente. Der voneinan-
der getrennte Marktauftritt muss als solcher wahrnehmbar sein. Des Weiteren müssen die
Marken innerhalb der Gesamtunternehmung organisatorisch abgegrenzte und mit der
Markenführung betraute Einheiten darstellen [DIE06; MEF05b].
In der Automobilindustrie nehmen Mehrmarkenstrategien eine dominante Stellung ein,
denn nahezu alle Automobilhersteller sind mit mehreren Marken am Markt vertreten.
Mehrmarkenstrategien bergen sowohl Chancen als auch Risiken. Insbesondere auf gesät-
tigten Märkten bieten sie die Möglichkeit, sich auf eine segmentierte Nachfrage einzustel-
len. Durch unterschiedlich positionierte Marken können spezielle Bedürfnisse und Wün-
sche einzelner Zielgruppen gezielt angesprochen werden. Zudem ist eine erhöhte Kun-
denbindung und -gewinnung erreichbar, da verschiedene Kundenschichten adressiert
werden können, ohne eine Überdehnung des Markenimages zu riskieren. Aufgrund des in
Kapitel 3 erläuterten „Variety Seeking“ der Kunden gewinnt das Potential der Mehrmar-
kenstrategie, Markenwechsler durch die wahrgenommenen Angebotsoptionen an das
Unternehmen zu binden, einen besonderen Stellenwert. Unternehmensintern kann zudem
eine Wettbewerbssituation unter relativ autark agierenden Marken entstehen, die der Ge-
samtunternehmung zugute kommt. Durch mehrere fokussierte Marken in unterschiedli-
chen Produktsegmenten werden überdies Wettbewerbsbarrieren für Konkurrenten ge-
schaffen, welche unter anderem den Markteintritt neuer Wettbewerber erschweren. Nicht
zuletzt liegen weitere Potentiale in einer breiteren Marktsegmentabdeckung, einer Streu-
ung von Marktrisiken durch Einschränkung negativer Imagetransfers zwischen den Mar-
ken, einer Kombination unterschiedlicher Wettbewerbsstrategien (z. B. Kosten-, bzw.
Leistungsführerschaft) sowie der Nutzung von Synergiepotentialen durch zusammen-
geführte Aktivitäten und Gleichteile [ESC04; PIS04; DIE06; MEF05b].
82 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

Mit Mehrmarkenstrategien ist allerdings auch eine Reihe von Risiken verbunden. So sind
sie prinzipbedingt langfristig nur sinnvoll, wenn jede Marke ihr eigenes Zielgruppen-
segment anspricht. Insbesondere wenn Konzernmarken über zu viele Gemeinsamkeiten
verfügen oder Unterschiede nicht ausreichend kommuniziert werden, können Kannibali-
sierungseffekte auftreten. Unterstützt werden diese durch eine übermäßige Nutzung von
Synergien in Bezug auf wesentliche Markeneigenschaften, welche von Konsumenten
wahrgenommen werden können. Zur Verdeutlichung des Sachverhaltes sei auf Bild 6-6
verwiesen, welche die Wanderungsbewegungen von Neuwagenkäufern in Deutschland in
den Jahren 1997 und 1999 innerhalb des Volkswagen-Konzerns veranschaulicht. Auf-
grund einer unzureichenden Differenzierung zwischen den Konzernmarken und einer
zunehmenden Homogenisierung des Marktauftritts wanderten Kunden vermehrt von VW
zu den preislich niedriger positionierten Marken Seat und Skoda ab. Insbesondere der
Kundenverlust gegenüber Skoda erscheint hier bemerkenswert, hat er sich doch binnen
zwei Jahren fast verfünffacht. Liegt eine Produktkannibalisierung in einer Unternehmung
vor, so wird der Marktanteil trotz Einführung neuer Modelle nicht oder nur leicht anstei-
gen [WIR00; MEF05c; ESC04; DIE06].
Überdies geht eine Mehrmarkenstrategie in der Regel mit deutlich höheren Ver-
marktungskosten einher, welche als Folge der notwendigen parallelen Markenführung auf
allen Ebenen des Vertriebes (OEM, Groß- und Einzelhandel) zu sehen sind. Der Hand-
lungsspielraum einer Marke kann sich ebenfalls negativ beeinflusst zeigen, da speziell im
Fall zentralistisch geführter Konzerne oft Einschränkungen im Hinblick auf Positionie-
rungsfreiräume oder die individuellen Leistungskonfiguration bestehen. Mit Blick auf die
wirtschaftliche Situation internationaler Automobilkonzerne kann zudem argumentiert
werden, dass diejenigen Unternehmen, welche eine relativ geringe Anzahl an Marken
besitzen, messbar erfolgreicher sind als andere Konzerne. Es kann gezeigt werden, dass
die Umsatzrendite im Zeitraum von 1998 bis 2003 bei Konzernen, die ein Markenportfo-
lio mit über drei Marken besaßen, deutlich geringer ausfiel als die Rendite von Unter-
nehmen mit einer bis maximal drei Marken [FAZ04; ESC04].

1997 1999

Seat Skoda Seat Skoda


2.300 2.279 400 11.000
191 1.500
8.000 11.500
Volkswagen Volkswagen

54.000 37.000 46.000 43.000

Audi Audi

Bild 6-6 Kannibalisierung im Volkswagen-Konzern [WIR00]


6.1 Grundlagen, Strategien und Trends 83

Vor diesem Hintergrund muss auch die in der Presse diskutierte Allianz zwischen General
Motors und Renault-Nissan gesehen werden, welche aller Voraussicht nach nicht zustan-
de kommen wird. Als Ergebnis einer solchen Allianz ständen insgesamt 16 Marken zu
Buche, welche sich schon jetzt innerhalb der jeweiligen Portfolios teilweise überschnei-
den. Darüber hinaus fällt auf, dass beide Konzerne ihr Hauptaugenmerk auf die Bildung
von Volumenmarken gesetzt haben, womit eine nachhaltige Differenzierung der einzel-
nen Marken zusätzlich erschwert würde [DUD06c].
In der Automobilindustrie wird Produktproliferation häufig im Rahmen von Mehrmarken-
strategien verwirklicht. Insbesondere wenn es darum geht, neue Modelle innerhalb einer
Marke einzuführen, die weit außerhalb der traditionellen Markengrenzen bzw. Fahrzeug-
segmente positioniert werden sollen, stellt sich die Frage, ob eine Verwässerung des Mar-
kenprofils zu befürchten ist. Anhand der Betrachtung der deutschen Automobilkonzerne
BMW, DaimlerChrysler und Volkswagen sei die Uneinheitlichkeit von Proliferationsstra-
tegien verdeutlicht. Die Konzerne erweiterten ihre Modellportfolios in den vergangenen
Jahren jeweils um Fahrzeuge, welche entweder weit ober- oder unterhalb der traditionel-
len Markengrenzen ihrer Kernmarken angesiedelt sind.
Die BMW-Group entschied sich zur Einführung eines Kleinwagens die englische Traditi-
onsmarke Mini zu revitalisieren, anstatt das Modellangebot der Kernmarke BMW nach
unten zu erweitern. Gleichwohl werden Luxusautomobile, welche preislich deutlich über
dem Modellprogramm von BMW liegen, unter der Marke Rolls Royce vertrieben. Bei
DaimlerChrysler war mit den Positionierungen der Kleinwagenmarke Smart und der Lu-
xusmarke Maybach ähnliches zu beobachten, denn auch hier wurde die Kernmarke des
Konzerns (Mercedes-Benz) nicht in Anspruch genommen. Gegenläufiges ist im Volks-
wagen-Konzern zu beobachten, in dem vor einigen Jahren innerhalb der Marke VW das
Oberklassemodell „Phaeton“ und der SUV „Touareg“ eingeführt wurden. Beide Modelle
sind preislich deutlich über dem üblichen Modellportfolio der Marke positioniert, Bild
6-7.

Modellprogramm VW 2007 außer Phaeton


Fox, Phaeton und Touareg
Touareg
Fox

10 T€ 20 T€ 30 T€ 40 T€ 50 T€ 60 T€ 70 T€ 80 T€ ...

Bild 6-7 Preisspektrum für Basismodelle von Volkswagen 2007 [VOL07]

Es stellt sich die Frage, in wieweit Mehrmarkenstrategien dazu beitragen können, die Pro-
liferationsbemühungen eines Herstellers zu unterstützen. Man könnte im Fall von Volks-
wagen einerseits vermuten, dass Konsumenten den Phaeton nicht eindeutig mit dem tradi-
tionellen Markenimage von Volkswagen in Einklang bringen können und aus diesem
Grund eher ein Konkurrenzprodukt erwerben werden. Nur mit den vergleichsweise
schlechten Verkaufszahlen des Phaeton zu argumentieren, würde der Sachlage allerdings
nicht ausreichend Rechnung tragen, denn bereits der inzwischen im Oberklassesegment
etablierte Audi A8 wies in seiner ersten Modellgeneration relativ schlechte Verkaufszah-
len auf, was für eine gewisse Einführungsphase in dem Segment spricht. Andererseits ist
vorstellbar, dass Volkswagen als Marke von einem qualitativ und technologisch derartig
84 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

hoch positionierten Produkt im Ganzen profitieren kann und somit ein Imagetransfer auf
die niedriger positionierten Modelle der Marke möglich erscheint. Eine abschließende
Bewertung des Oberklasseengagements der Marke Volkswagen kann daher heute noch
nicht erfolgen. Die BMW-Group und DaimlerChrysler zielten durch die Einführung neuer
Marken darauf ab, die Marktsegmente der Kleinwagen und Luxusautomobile gezielt mit
Marken zu bearbeiten, die eine klare und zielgruppenspezifische Markenidentität aufwei-
sen. Zudem wurde vermieden, dass die jeweiligen Kernmarken BMW und Mercedes-
Benz durch besonders hoch oder niedrig positionierte Modelle verwässert wurden. Die
Mehrmarkenstrategie scheint die Proliferation der Automobilkonzerne also positiv unter-
stützt zu haben.
Wie bereits dargelegt, ist in der Automobilindustrie seit längerem eine sinkende Marken-
loyalität der Konsumenten zu beobachten. Ursächlich ist neben der Unzufriedenheit mit
Händlern und Herstellern auch die Markenpolitik der Automobilhersteller. Aus der Empi-
rie ergeht der Befund, dass die Rückgewinnung eines verlorenen Kunden um ein Vielfa-
ches mehr kostet, als einen bestehenden Kunden zu halten. Kundenbindung wird so zum
zentralen Faktor des Markenmanagements. Positionierten sich Marken bislang vor allem
über die gebotenen technischen Merkmale ihrer Produkte, so ist diese Vorgehensweise
vor dem Hintergrund konvergierender Fahrzeugeigenschaften und anspruchsvollerer
Kundensegmente in Zukunft nicht mehr ausreichend. Die künftige Markenprägung muss
daher die Markenwahrnehmung des Kunden als Ganzes erfassen und über technische
Fahrzeugeigenschaften hinaus zusätzlich auch mit Hilfe von Dienstleistungen wirken.
Diesbezüglich spielt das „Downstream“-Geschäft nach dem Autokauf eine wichtige Rol-
le, denn das Verhältnis zwischen Neufahrzeug- und Downstream-Umsatz (inklusive
Kraftstoffkosten, Finanzierung und Versicherung, Service etc.) wird auf etwa 1:3 ge-
schätzt. Es gilt dabei, eine Marke in ein schlüssiges Gesamtkonzept zu integrieren, so dass
eine konsequente Kundenkommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette
erfolgen kann. Auf diese Weise erscheinen eine Steigerung der Kundenkontaktfrequenz
sowie die Vermittlung eines durchgängig positiven Markenerlebnisses möglich, wodurch
schließlich eine erfolgreichere Kundenbindung in Aussicht steht. Eine Automobilmarke
muss in diesem Zuge aus Kundensicht gestaltet und etabliert werden, wozu nahtlose Ko-
operationen von OEMs und Händlern notwendig sind. Zusatzleistungen nach dem Auto-
kauf wie Mobilitätsdienstleistungen, besondere Serviceangebote der Händler und Herstel-
ler oder persönliche Markenerlebnisse sind in dieser Hinsicht als besonders zielführend
anzusehen, Bild 6-8. Automobilherstellern und Händlern wird im Bereich der After-Sales-
Services ein erheblicher Nachholbedarf und eine unzureichende Ausnutzung von Diffe-
renzierungspotentialen auf Markenebene bescheinigt [DAN05; BRA05].
Ein mustergültiges Beispiel für eine gelungene Verkettung von Produkteigenschaften und
Dienstleistungen ist Harley-Davidson. Mit Hilfe von direkt an die Marke gekoppelter
Produktangebote, wie Vermietung, Bekleidung, Accessoires oder Financial Services,
verbunden mit der Einführung eines firmeneigenen „Harley-Owners-Club“ konnte die
emotionale Bindung der Kunden an die Marke deutlich erhöht werden. Auf diese Weise
können „Cross-Selling-Potentiale“ ausgenutzt werden, welche die emotionale Bindung in
eine kommerzielle Kosequenzen überführen [DAN05].
6.2 Beispiel: Markenvielfalt bei General Motors 85

z. B. persönliche z. B. Telematik- z. B. z. B.
z. B. ESP Identifikation dienste Ersatzfahrzeuge Fahrertraining

2010

2000

Umwelt Lei- Sicher - Komfort Zuver- Man - Gesamt - Conve - Service - Mobili - Service - Marken -
stung heit lässig- Machine - wirtschaft - nience niveau täts- angebot ergebnis
keit Interface lichkeit Händler angebot Auto

Bild 6-8 Differenzierungspotentiale auf Markenebene 2000 und 2010 [DAN05]

6.2 Beispiel: Markenvielfalt bei General Motors


Die nordamerikanische Automobilindustrie befindet sich derzeit in einer schwierigen
Situation. Besaßen die drei größten US-Automobilkonzerne (General Motors, Ford und
Chrysler) im Jahr 1998 auf ihrem Heimatmarkt für Pkw noch einen Marktanteil von rund
75 %, so sank dieser im Jahr 2007 erstmals unter die 50 % Marke. Gleichzeitig schreiben
die Konzerne seit Jahren Verluste in Milliardenhöhe und sind gezwungen, Fabriken zu
schließen, während ihre Kreditwürdigkeit zeitweise auf das Niveau von „Junk Bonds“,
also extrem unsichere Anleihen, herabgestuft wurde [BUC07; IAA07; SED07].
Für diese Entwicklung sind mehrere Ursachen verantwortlich. Zu nennen sind an dieser
Stelle etwa die in Relation zu ausländischen Konzernen geringe Kapazitätsausnutzung,
hohe Lohn-, bzw. Krankenversicherungskosten und die ausgiebige Nutzung von ver-
kaufsfördernden Maßnahmen in Form von Barnachlässen.

Bild 6-9 Markenportfolio von General Motors in den USA


86 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

Im Gegensatz zu japanischen Konzernen wie Honda oder Toyota, welche mit ihren Zu-
lieferern einen umfassenden Ansatz zur gemeinsamen Kostenreduktion über die gesamte
Wertschöpfungskette verfolgen, zeigte sich zudem, dass US-Automobilkonzerne stattdes-
sen von ihren Zulieferern festgelegte Preisreduktionen pro Jahr einfordern. Wie Studien
beweisen, ist dieser Ansatz weit weniger effektiv als die japanische Vorgehensweise.
Zum großen Teil tragen allerdings auch Fehler im Markenmanagement zur Situation des
Konzerns bei [CHA03; MOA06]. An dieser Stelle soll diesbezüglich vor allem die Pro-
duktpolitik von General Motors auf dem nordamerikanischen Markt behandelt werden.
General Motors gilt als Automobilhersteller mit dem umfangreichsten Markenportfolio
weltweit. Allein in Nordamerika vertreibt GM acht unterschiedliche Marken, Bild 6-9.
Die angebotenen Marken bearbeiten jedoch zu einem großen Teil identische Fahrzeugseg-
mente, Bild 6-10. So kann einerseits festgestellt werden, dass GM vor allem im SUV-Seg-
ment stark vertreten ist, da alle 8 Marken teilweise sogar mehrere entsprechende Fahrzeu-
ge anbieten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Vans und den Segmenten der Mittelklasse.
Andererseits ist erkennbar, dass untere Fahrzeugsegmente weit weniger im Fokus stehen.
Kleinwagen werden z. B. nur von Chevrolet angeboten. Erklärungen dieser Marktbearbei-
tung können in der bis vor einigen Jahren insgesamt stetig steigenden Nachfrage nach
SUVs sowie in den hohen Margen für das SUV-Segment gesehen werden.

Klein- Kompakt- Mittel- Obere Ober- Sport- MPV/VAN SUV Pick-Up


wagen klasse klasse Mittelklasse klasse wagen
Buick LaCrosse Lucerne Rendez-V. Rainier
- - - - -
Terraza
Cadillac CTS DTS XLR SRX EXT
- - - STS - ESV
Escalade
Chevrolet Aveo Cobalt Malibu Monte-C. Impala Corvette Uplander Equinox SSR
Tahoe Avalanche
Suburban Colorado
Silverado
GMC - - - - - - Savana Yukon Canyon
Envoy Sierra
Hummer - - - - - - - H1, H2, H3 H2
Pontiac G5 G6 Grand-Prix GTO SV6 Torrent
- - -
Vibe Solstice
Saab - 9-2X 9-3 9-5 - - - 9-7X -
Saturn Ion Aura Sky Relay Outlook
- - - -
Vue

Bild 6-10 Bearbeitete Marktsegmente von General Motors [DUD06c]

Unter dem Begriff „SUV“ (Sport Utility Vehicle) sollen an dieser Stelle SUV auf Lkw-
Basis mit Leiterrahmenkonstruktion und SUV mit selbst tragender Karosserie zusammen-
gefasst werden. Während der Anteil letzterer an den Neuzulassungen in den USA in den
vergangenen Jahren stetig wuchs, verzeichneten größere SUV auf Lkw-Basis eindeutige
Absatzrückgänge. Dieser Einbruch kann auf deutlich gestiegene Benzinpreise, Änderun-
gen in der Steuergesetzgebung und ein wachsendes Umweltbewusstsein der Bevölkerung
zurückgeführt werden [AIN05]. Es zeigte sich wieterhin, dass nordamerikanische Auto-
mobilhersteller mit dem Verkauf von SUV höhere Margen erzielen als mit anderen Fahr-
zeugen, da diese oftmals auf einfachen Pick-up-Konstruktionen basieren und somit Syn-
ergien genutzt werden können [MOA06].
6.3 Fazit 87

Um der Gefahr einer Produktkannibalisierung zu entgehen, bedarf es einer klaren Diffe-


renzierungsstrategie für die vorhandenen Marken. Speziell im Fall von GM, dessen Mo-
dellportfolio sich innerhalb der Fahrzeugsegmente teilweise überschneidet und einzelne
Marken vielfach ein möglichst breites Portfolio anstreben, gewinnt eine solche Strategie
an Bedeutung. Von den angebotenen Marken richten sich nur Cadillac, Saab und ansatz-
weise Buick an Premiumkunden, andere bearbeiten mehr oder minder das Volumenseg-
ment. Aus Kundensicht bestehen nach Umfragen gravierende Unterschiede zwischen den
von GM angestrebten Markenpositionierungen und der Realität, denn bis auf die Premi-
ummarke Cadillac und die Volumenmarke Chevrolet mangelt es oft an einer klaren wahr-
nehmbaren Identität.
Beispielhaft zeigt sich dies an der Beliebigkeit der Produktion einiger Modelle, welche
den Aufbau einer starken Markenidentität erschwert. So wird der Cadillac BLS bei Saab
im schwedischen Trollhättan gebaut, während der Saab 9-5 bei Opel in Rüsselsheim ent-
steht. Problematisch ist ebenso die Tatsache, dass viele GM-Modelle im Rahmen des
Badge-Engineering nahezu baugleiche Schwestermodelle besitzen und von Konsumenten
nur als Designvarianten ein und desselben Fahrzeugkonzepts wahrgenommen werden.
Die fehlende Unterscheidbarkeit auf Modellebene führte zu einer wachsenden Homogeni-
sierung der Markenimages und somit zu einem deutlichen Wettbewerbsnachteil, der sich
nicht zuletzt in der regen konzerninternen Kannibalisierung der Marken manifestiert.
Gegenüber profitablen Automobilkonzernen liegt General Motors Schwäche inzwischen
weniger in einer mangelnden Produktqualität oder geringen Produktivität begründet.
Hersteller wie Toyota ziehen vor allem Vorteile aus einer definierteren Markenausrich-
tung und der frühen Antizipation von Kundenwünschen. Über die oben genannten Grün-
de hinaus favorisierte GM große SUVs und Pick-ups weil sie die traditionelle Stärke des
Konzerns bilden, während offensichtliche Marktanforderungen dabei vernachlässigt wur-
den. Nachteilig wirkt sich ebenfalls die Ermangelung einer weltweit etablierten Marke
aus. Obwohl sich Chevrolet derzeit zu einer Weltmarke entwickelt, besteht gegenüber
anderen Volumenmarken noch ein beträchtlicher Imagerückstand [AIN05; AUT05;
AWR06; KEE06; HOF05].

6.3 Fazit
In diesem Kapitel wurde deutlich, dass die Etablierung und Profilierung von Marken in
der Automobilindustrie zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden ist. Ge-
mäß den angeführten Beispielen ließ sich ein erkennbarer Zusammenhang zum wirt-
schaftlichen Erfolg eines Unternehmens ausmachen. Vor allem durch Premiumstrategien
ist es möglich, die Kundenbindung zu steigern und für die angebotenen Fahrzeuge einen
Mehrpreis durchzusetzen, obgleich keine greifbaren Vorteile gegenüber Volumenproduk-
ten bestehen. Wie das Beispiel BMW belegt, trägt eine klare Markenidentität wesentlich
zum Unternehmenserfolg bei und eröffnet dem Unternehmen neue strategische Optionen.
Um eine höchstmögliche Bindung der Konsumenten an eine Marke und eine hohe Kun-
denkontaktfrequenz zu erreichen ist es zudem erforderlich, über den gesamten Produktle-
benszyklus auch im After-Sales-Bereich attraktive Zusatzleistungen anzubieten.
Automobilkonzerne verfolgen in der Regel Mehrmarkenstrategien. Neben viel versprech-
enden Chancen dieser Strategie, wie markenübergreifenden Synergien oder einer seg-
ment-spezifischen Marktbearbeitung, zeigt sich, dass insbesondere aufgrund fehlender
88 6 Markenmanagement in der Automobilindustrie

Differenzierung unter den angebotenen Marken Kannibalisierungseffekte auftreten kön-


nen. Bedingt durch die intensive Nutzung von Gleichteilen und der mehrfachen Bearbei-
tung von identischen Fahrzeugsegmenten, zeichnen sich Konzernmarken vielerorts durch
mangelnde Fokussierung und ein verschwommenes Markenbild aus. Im Hinblick auf die
durchweg beobachtbare Tendenz zur Produktproliferation bergen strategisch angewandte
Mehrmarkenstrategien jedoch die Möglichkeit, durch gezielt positionierte Marken den
Unternehmenserfolg gegenüber einer Einzelmarkenstrategie spürbar zu erhöhen. Es
kommt dabei vor allem darauf an, einen konzernspezifischen Mittelweg bei der Einfüh-
rung neuer Marken zu finden, um einerseits Marktsegmente optimal bearbeiten zu können
und andererseits das Portfolio nicht unnötig zu vergrößern. So sollte stets überprüft wer-
den, welchen Zusatznutzen eine neue Marke im Portfolio bietet, bzw. wie hoch die kon-
zerninterne Kannibalisierung anzusetzen ist.
89

7 Technologieanalysemethoden

Ziel des Kapitels ist die Aufarbeitung verschiedener Methoden zur Analyse und Bewer-
tung von Technologien. Ausgehend von grundlegenden Definitionen, Abgrenzungen und
Klassifizierungen gilt es, eine breit angelegte Analyse und Bewertung der Methoden des
strategischen Technologiemanagements durchzuführen. Dabei sind Methoden der Tech-
nologiefrüherkennung, der technologischen Prognose, der unternehmensspezifischen
Technologiebewertung sowie Methoden zur Ableitung einer Technologiestrategie zu
betrachten.

7.1 Grundlagen der Technologieplanung


Die Globalisierung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich alle Bereiche des
Marktes einem dramatischen Veränderungsprozess ausgesetzt sehen. Um sich im ständig
intensivierenden globalen Wettbewerb behaupten zu können, ist eine nachhaltige Wert-
steigerung, insbesondere bei technologieorientierten Unternehmen wie diejenigen der
Automobilindustrie, unerlässlich. Voraussetzung für das Unternehmenswachstum ist eine
signifikante und nachhaltige Differenzierbarkeit der Produktleistungen gegenüber den
Wettbewerbern. Die dafür notwendigen einzigartigen Produkte entstehen überwiegend
auf der Grundlage innovativer Technologien. Die Entwicklung dieser Technologien er-
fordert in der Regel einen hohen Einsatz von Ressourcen und erstreckt sich meist über
einen Zeitraum von mehreren Jahren. Bild 7-1 macht deutlich, dass finanzielle Mittelauf-
wendungen alleine kein Garant für Erfolg sind.

Aufwände für Forschung und Entwicklung Existenz einer Technologiebewertung


pro F&E-Mitarbeiter in 1.000 Dollar im Sinne eines mehrstufigen Auswahlprozesses

460 83,9
Automobil- vor-
zulieferer handen
163 35,4

Maschinen- 395 16,1


nicht vor-
und
175 handen 64,6
Anlagenbau

0 100 200 300 400 in T$ 0 20 40 60 80 100 %

erfolgreiche Unternehmen weniger erfolgreiche Unternehmen

Bild 7-1 Unternehmenserfolg, F&E-Aufwände und Technologiebewertung [DEG00]

Nur der effektive Einsatz der Mittel bietet die Möglichkeit, Erfolg versprechende Techno-
logien zu entwickeln. Daher ist es zwingend notwendig, für ein Unternehmen zukünftig
relevante Technologien rechtzeitig zu identifizieren und zu analysieren. In diesem Kapitel
90 7 Technologieanalysemethoden

werden die Grundlagen geschaffen, die für das Verständnis der Methoden des strategi-
schen Technologiemanagements notwendig sind. Zunächst werden die Begriffe, die in der
sequentiellen Abfolge der Forschung und Entwicklung vorkommen geklärt. Hinsichtlich
des anwendungsspezifischen Konkretisierungsgrades der F&E-Aktivitäten kann zwischen
Grundlagen- und angewandter Forschung sowie -Entwicklung differenziert werden, Bild
7-2.

Forschung und Kreativ systematische Tätigkeit zur Erhöhung des Wissensstandes,


experimentelle wobei Human-, Kultur- und Sozialwissenschaften eingeschlossen sind,
Entwicklung sowie die Nutzung dieses Wissensstandes für neue Anwendungen

Experimentelle oder theoretische Arbeit, die vorwiegend zur Gewinnung neuen


Wissens über die Grundlagen von Phänomenen und beobachtbaren Tatsachen
Grundlagenforschung
durchgeführt wird, ohne an einer besonderen Anwendung oder Nutzung interessiert
zu sein.

Erstmalige Untersuchung zur Erlangung neuen Wissens. Sie ist


Angewandte Forschung
jedoch vorwiegend auf spezifisch praktische Ziele ausgerichtet.

Systematische Arbeit, die auf bestehende, praktische und forschungsbedingte


Erfahrungen aufbaut und auf die Herstellung oder wesentliche Verbesserung neuer
Experimentelle Entwicklung
Materialien, Produkte, Geräte, Produktionsprozesse, Systeme oder Dienstleistungen
gerichtet ist.

Bild 7-2 Begriffsdefinitionen [OEC92]

Der Zusammenhang zwischen Invention, Innovation und Imitation wird in Bild 7-3 darge-
stellt. Die Invention steht im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang für eine Erfindung,
während die Innovation die Einführung eines neuen Produkts in einen Markt bezeichnet.
Ausgehend von einer Projektidee kommt es durch die Forschung und Entwicklung zu ge-
planten und ungeplanten Inventionen, die bei der erfolgreichen Umsetzung und entspre-
chender Fertigung zur Einführung eines neuen Produktes oder Prozesses führen. Wie zu
erkennen ist, geht der Begriff Innovation im weiteren Sinne über die Forschung und Ent-
wicklung hinaus. Dabei wird unter Innovation im weiteren Sinne der gesamte Innovati-
onsprozess an sich angesprochen, der neben der Forschung und Entwicklung auch die
Funktionsbereiche Planung, Beschaffung, Produktion sowie Marketing und Vertrieb ein-
bindet. Der Begriff Innovation im engeren Sinne wird hier auf das Innovationsergebnis
eingeschränkt. In Bild 7-3 ist zu erkennen, dass eine Imitation überhaupt erst im An-
schluss an eine erfolgreiche Umsetzung der Innovation möglich ist.
7.1 Grundlagen der Technologieplanung 91

Projektidee

Innovation im weiteren Sinne F&E

Invention

geplante ungeplante Innovation


im
Investition, Fertigung, engeren
Marketing Sinne

Einführung des neuen Imitation eines erfolgreichen


Produktes und Prozesses Produktes/Prozesses

Bild 7-3 Zusammenhang zwischen Invention, Innovation und Imitation [BRO99]

Das Ziel der F&E-Anstrengungen, der technische Fortschritt, lässt sich als ständiges
Wechselspiel zwischen Bedürfnissen und Erkenntnissen beschreiben, Bild 7-4.

Technisch- Gerade neues (evtl.


Noch unbekanntes Bekanntes
naturwissen- auch gewecktes)
Marktbedürfnis Marktbedürfnis
schaftliches Wissen Marktbedürfnis
über Mittel und Lösungen

Marktforschung
Noch unbekanntes Wissen
Demand

über technisch- Grundlagen-


Traditionslösung
Pull

naturwissenschaftliche forschung
Mittel und Lösungen

Anwendungs-
Gerade neues Wissen über Neuentwicklung,
forschung Basis-
technisch- Kombination
naturwissenschaftliche Innovation bekannter Zwecke
Mittel und Lösungen Science push
mit neuen Mitteln

Bekanntes Wissen über Wissens- und Neuentwicklung


technisch-
naturwissenschaftliche
Methoden- Anwendungs- Imitation
Mittel und Lösungen datenbank innovation

Bild 7-4 Aufgaben und Lösungen bei Forschung und Entwicklung [SCH00]

Auf der einen Seite entstehen aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse neue Her-
stellungsverfahren und Produkte (Science Push oder Technology Push), auf der anderen
Seite lenken die Bedürfnisse der Anwender bzw. Kunden die F&E und ziehen so einen
92 7 Technologieanalysemethoden

entsprechenden Erkenntniszuwachs nach sich (Demand-pull oder Market-pull). Bei einem


ausgewogenen Verhältnis zwischen Markt- und Technologieorientierung ist zwar der
Markt vorrangig, da er über Erfolg und Misserfolg eines Produktes entscheidet, jedoch
bildet die Erneuerung und Erweiterung der Technologiebasis die Voraussetzung, um als
Unternehmen erfolgreich Produkte am Markt positionieren zu können.

7.1.1 Entwicklungsstatus von Technologien


Ein weit verbreitetes Schema zur Klassifizierung von Technologien ist das Lebenszyklus-
modell, in dem die Technologien unterschiedliche Reifestadien durchlaufen. In jedem
Reifestadium verschaffen sie den an der Entwicklung beteiligten Unternehmen unter-
schiedliche Möglichkeiten der Differenzierung im Wettbewerb. Wie in Bild 7-5 zu sehen,
lassen sich Technologien in fünf Reifestadien unterteilen.

hoch

Embryonische Schrittmacher- Schlüssel-


Technologie technologie technologie

Differenzierungs-
potential im
Verdrängte Basis-
Wettbewerb Technologie technologie

gering
niedrig hoch

Ausmaß der Durchdringung am Markt


Bild 7-5 Klassifizierung von Technologien gemäß Verbreitungsgrad und Lebenszyklus
[SCH05a, SER86]

Basistechnologien haben sich bereits am Markt etabliert und werden in der Regel von
allen Wettbewerbern beherrscht, da sie den Standard einer Branche darstellen. Sie sind
für den Fortbestand eines Unternehmens von Bedeutung und müssen deshalb beherrscht
werden, bieten aber dem jeweiligen Unternehmen keinen Wettbewerbsvorteil.
Schlüsseltechnologien stellen erhebliche Potentiale für Wettbewerbsvorteile dar. Diese
Vorteile entstehen durch die Qualität der Beherrschung der Technologie und können
somit zu einer Differenzierung gegenüber den Konkurrenten führen. Schlüsseltechno-
logien sind nicht allgemein verbreitet, sondern eher auf einen kleineren Anwenderkreis
beschränkt und somit für den Aufbau einer Spitzenposition in dem jeweiligen Markt un-
entbehrlich.
Schrittmachertechnologien sind die potentiellen Schlüsseltechnologien von morgen, die
sich wahrscheinlich künftig im Markt etablieren. Sie befinden sich jedoch noch im Sta-
dium der Entwicklung und sind deshalb für eine breite Anwendung noch nicht ausgereift.
Zudem herrscht meist eine gewisse Unsicherheit bezüglich ihrer Potentiale zum Ausbau
7.1 Grundlagen der Technologieplanung 93

von Wettbewerbsvorteilen, aber auch hinsichtlich der technischen Realisierbarkeit und


Leistungsfähigkeit existieren noch Möglichkeiten.
Embryonische Technologien oder Zukunftstechnologien zeichnen sich zum Teil schon
heute am Horizont ab. Sie sind von einer extremen Unsicherheit gekennzeichnet, da sie
sich in einem sehr frühen Entwicklungs- bzw. Forschungsstadium, teilweise sogar im
Stadium der Grundlagenforschung befinden. Sie haben jedoch das Potential zur Schritt-
machertechnologie von morgen und bieten somit Unternehmen bei einer erfolgreichen
Verfolgung dieser Zukunftstechnologie die Chance auf zukünftig große Wettbewerbsvor-
teile.
Abschließend ist noch der Begriff der verdrängten Technologie anzuführen. Diese werden
von neu aufkommenden Technologien substituiert.
Ähnlich wie bei einem Produktlebenszyklus wird die zeitliche Abfolge in einzelne Phasen
unterteilt, denen charakteristische Merkmale der dort angesiedelten Technologien zuge-
schrieben werden. Das folgende Modell unterscheidet die vier Phasen Entstehung,
Wachstum, Reife und Alter, Bild 7-6. Die Technologien lassen sich abhängig von ihrer
Wettbewerbsbedeutung einer der vier Phasen zuordnen. Berücksichtigt wird bei diesem
Modell, dass Technologien verdrängt und aufgegeben werden können und somit nicht den
gesamten Lebenszyklus durchlaufen. Der Grund hierfür liegt in einer möglicherweise
fehlenden Wettbewerbsbedeutung bzw. in der Substituierung durch leistungsfähigere
Technologien, die beispielsweise einen breiteren Anwendungsbereich besitzen. Techno-
logien unterliegen somit einem zeitabhängigen Wandel, der mit dem des Produktlebens-
zyklus vergleichbar ist. In diesem Zusammenhang ist zu klären, wann ein Technologie-
wechsel sinnvoll ist.

Grad der Ausschöpfung des


Wettbewerbspotenzials

Schrittmacher- Schlüssel- Basis- verdrängte


technologie technologie technologie Technologie

Zeit
Entstehung Wachstum Reife Alter

Indikatoren
Unsicherheit über technische Leistungsfähigkeit
hoch mittel niedrig sehr niedrig
bzw. Risiko

Höhe und Art der Investition in niedrig


maximal Anwendungs- niedrig
Technologieentwicklung Grundlagenforschung, vernachlässigbar
entwicklung Prozessentwicklung
exp. Entwicklung

Breite der potenziellen Einsatzgebiete unbekannt groß etabliert abnehmend


Typ der Entwicklungsanforderung wissenschaftlich anwendungsorientiert kostenorientiert
Auswirkung auf das Kosten- / Leistungsverhältnis
sekundär maximal marginal marginal
der Produkte
zunehmend, maximal, abnehmend,
Zahl der Patentanmeldungen / Typ der Patente –
Konzeptpatente produktbezogen prozessbezogen
wissenschaftliche
Zugangsbarrieren Personal Lizenzen Know-how
Fähigkeiten
Verfügbarkeit sehr beschränkt Restrukturierung marktorientiert hoch

Bild 7-6 Typologisierung von Technologien nach der wettbewerblichen Relevanz [RWT00]
94 7 Technologieanalysemethoden

Das S-Kurven-Konzept beschreibt den Entwicklungsverlauf der Leistungsfähigkeit einer


Technologie bis hin zu seiner technischen Leistungsgrenze in Abhängigkeit vom kumu-
lierten F&E-Aufwand bzw. in Abhängigkeit von der Zeit. Durch die Kurve wird das Ver-
hältnis zwischen dem Aufwand dargestellt, der zur Verbesserung eines Produktes oder
Prozesses notwendig ist, und den Ergebnissen, die durch diese Investition erreicht wer-
den. Es werden somit Aussagen über das Verhältnis zwischen eingesetztem Aufwand und
der erzielten Nutzensteigerung ermöglicht.
Wie in Bild 7-7 ersichtlich ist, lässt sich der Verlauf der Kurve in drei Abschnitte unter-
teilen. In der ersten Phase, der Entstehungsphase, ist der Anstieg der Leistungsfähigkeit
der Technologie relativ gering. Zu diesem Zeitpunkt müssen für die Technologie Ge-
schäftsfelder gewählt und Normstrategien abgeleitet werden.

Grenze der neuen


Technologie
Leistungsfähigkeit
der Technologie Technologie-
(Nutzen/Kosten) leistungspotenzial
Grenze der alten Technische Potenziale
Technologie Substitutions-
ologie technologie T2
Basistechn = Stand zum Zeitpunkt
ie

der Erwägung zum


log

Technologiewechsel
hno

F&E-Aufwand
ltec
sse

aktuelle
Möglicher Technologiesprung
hlü

Technologie T1
zum Zeitpunkt t0
Sc

rtechnologie
Schrittmache
kumulierter F&E-Aufwand
t0 (oder Zeit)

Bild 7-7 Identifikation von Technologiesprüngen im S-Kurven-Modell von McKinsey [MCK00]

Die zweite Phase wird infolge einer Reihe schnell folgender Durchbrüche eingeleitet.
Diese Phase höchsten Wachstums ist durch eine Steigerung der Innovationshäufigkeit und
des F&E-Bedarfs zur Durchdringung der Märkte gekennzeichnet. In der letzten Phase, der
Reife, mündet zusätzlicher F&E-Aufwand nur noch in marginalen Leistungssteigerungen
und führt immer häufiger zu Fehlschlägen. Ein Technologiesprung sollte vollzogen wer-
den, wenn eine Technologie A sich bereits in der Reifephase befindet, keine große Steige-
rung der Leistungsfähigkeit mehr zu erwarten ist und eine Technologie B noch ein hohes
Potential besitzt.

7.1.2 Aspekte der Technologieplanung


Die Wahl der Wettbewerbsstrategie wird anhand der situativen Ausprägung der Wett-
bewerbskräfte eines Unternehmens getroffen. Hierzu stehen folgende drei strategische
Grundverhaltensweisen zur Verfügung, welche die Basis für eine Formulierung adäquater
Strategien sind: Kostenführerschaft, Differenzierung und Fokussierung sowie Spezialisie-
rung oder Konzentration.
7.1 Grundlagen der Technologieplanung 95

Wie in Bild 7-8 ersichtlich, werden diese strategischen Grundverhaltensweisen durch


zwei Parameter charakterisiert:
1. Strategisches Zielobjekt: Zielen auf Teil- oder Gesamtmarkt
2. Strategische Vorteile: Zielen auf Kosten-/Preisvorteil oder qualitative Differenzierung

strategischer Vorteil
Rendite
Einigartigkeit
Kostenvorteil (ROI)
aus Käufersicht
branchenweit

D
strategische Zielobjekte

tio
n Ko iffere
Differen- Kosten- tr a g ste n
zen ierun nfü zieru
n hre n
zierung führerschaft Ko uss rsc g
k haf
Fo t
auf ein Segment
Beschränkung

„stuck in the middle“


Konzentration,
Fokussierung
Marktanteil

Wird
Wird keine
keine der
der Strategien
Strategien konsequent
konsequent verfolgt,
verfolgt, so
so droht
droht die
die Gefahr
Gefahr eines
eines
Hängenbleibens
Hängenbleibens inin Marktanteilsbereichen
Marktanteilsbereichen niedriger
niedriger Rendite.
Rendite.

Bild 7-8 Die drei wettbewerblichen Grundstrategien [POR85]

Die jeweiligen Strategien werden im Folgenden definiert:


1. Strategie der Kostenführerschaft:
Kostenführer ist derjenige, der die niedrigsten (Stück-)Kosten vergleichbarer konkur-
rierender Produkte oder Dienstleistungen hat. Hauptsächliches Ziel der Strategie der
Kostenführerschaft ist es damit, einen Kostenvorsprung gegenüber Konkurrenten zu
erreichen. Erfahrungsgemäß ist dies nur durch die Marktführerschaft, d. h. größte Um-
satzmenge aller Mitbewerber, dauerhaft zu realisieren.
2. Strategie der Differenzierung:
Die Differenzierungsstrategie verfolgt das Ziel, die eigenen Produkte durch qualitative
Produkt- und Leistungsvorteile, das so genannte Alleinstellungsmerkmal, von den
Konkurrenten positiv, d. h. im Sinne eines höheren Kundennutzens, abzuheben. Ge-
lingt dies, so sind aufgrund der Produkt- und Leistungsvorteile auch höhere Preise er-
zielbar.
3. Strategie der Fokussierung/Spezialisierung:
Die Fokussierungsstrategie beschränkt sich im Gegensatz zu den beiden anderen Stra-
tegien auf die Selektion von Marktsegmenten bzw. Marktnischen und eine Spezialisie-
rung auf diese Nischen. Teilmarktbezogen kann die Konzentration entweder zu einer
Kostenführerschaft oder einer Differenzierung in dem bedienten Marktsegment
führen.
96 7 Technologieanalysemethoden

Der Herleitung dieser Strategien liegt das U-Kurven-Konzept zugrunde, das einen u-för-
migen Verlauf zwischen Rendite und Marktanteil feststellt, Bild 7-8. Wird keine der vor-
gestellten Strategien konsequent verfolgt, so droht die Gefahr eines Hängenbleibens in
Marktanteilsbereichen niedriger Rendite, dem sogenannten „stuck in the middle“.
Technische Problemstellungen haben Einfluss auf nahezu jede Unternehmensaktivität, da
der Faktor Technologie in allen Funktionsbereichen zur Steigerung der Wettbewerbs-
fähigkeit strategischer Geschäftsfelder bzw. des Gesamtunternehmens führen kann. Tech-
nologiestrategien wirken sowohl im Produkt- als auch im Prozessbereich eines Unterneh-
mens- bzw. Geschäftsfeldes unterstützend, indem sie aufzeigen, auf welche Art und Wei-
se die angestrebten Zielsetzungen, Kosten- oder Differenzierungsvorteile bzw. Speziali-
sierung von der technischen Seite umgesetzt werden können. In Bild 7-9 sind Produkt-
und Verfahrenstechnologien zur Förderung der Strategievarianten aufgeführt.

Wettbewerbsstrategie
Kostenführerschaft Differenzierung Fokussierung
zur Senkung der zur Erhöhung von zur Befriedigung einer
Produkttechnologie

Produktionskosten durch differenzierten Nachfrage


• Produktqualität durch spezifische
Technologieveränderung

• Materialreduktion • Produktmerkmalen
• Fertigungserleichterung • Produktgestaltung
• Lieferfähigkeit
• Vereinfachung logistischer • Leistungskonfiguration
• Produktvielfalt
Erfordernisse

zur Realisierung von zur Erzielung zur Anpassung der


Prozesstechnologie

Wertschöpfungskette an
• Lernkurveneffekten durch • höherer Toleranzen Marknischenbedürfnisse, um
Reduktion von Input
• Besserer Qualitätskontrolle
• Kosten zu senken
• verlässlicher Zeitplanung
zur Erzielung von • Kaufwert zu erhöhen

zur Erzielung von


Scale“
•„Economies of Scale

• „Economies of Scope“

Bild 7-9 Einfluss von Produkt-/Prozesstechnologien auf die Wettbewerbsstrategie

Kunden kaufen keine Technologien und Forschungsergebnisse, sondern Produkte und


Leistungen, die in der Regel durch die Kombination vieler Technologien realisiert werden
und durch ihr Zusammenwirken Nutzen für den Kunden bieten, Bild 7-10.
Sind in der Unternehmensstrategie nur marktorientierte, aber keine produkt- bzw. leis-
tungsorientierten Aussagen enthalten, so konzentriert sich das F&E-Management nur auf
operative Formalismen sowie Effekte und die F&E-Abteilung hat keine konkreten Ziele
[SOM95]. Dies hat zur Folge, dass die in den F&E-Abteilungen gehaltene Technologie-
kompetenz meist nicht oder nur unbefriedigend in Wettbewerbsvorteile umgesetzt werden
kann.
7.1 Grundlagen der Technologieplanung 97

Technologie Technologie Technologie Technologie


1 2 ... n

Design Funktionsmodell

Produkte/Leistungen

Nutzenkonzept
Leistungsmerkmale

Produktanforderungen
Nutzenpotentiale

Kunden

Bedarf Nutzenmodell

Bild 7-10 Technologien im Rahmen des Gesamtproduktes [SOM95]

Das erfolgsentscheidende Zusammenspiel von Markt- und Technologieorientierung in der


Strategie des F&E-Managements ist in dem folgenden Projekttrichter visualisiert, Bild
7-11.

Technologiebewertung Projektauswahl
und -prognose
Produkt-/Markt- Kapazitäts-
Lernen aus Projekten, Optimierung

strategie abgleich
Technologie

Marktbear -
beitung
Gesamt- Projekt-
Markt-
Projektidee
Zeit projektplan programm
entwicklung

Markt
Technologie- Budget-
strategie
Markteinschätzung abgleich
und -prognose

Zielerreichung
Zielerreichung durch
durch Kanalisierung
Kanalisierung der
der Entwicklung:
Entwicklung: Abgleich
Abgleich von
von Technologie-
Technologie-
und
und Marktsicht
Marktsicht führt
führt zur
zur optimalen
optimalen Ausnutzung
Ausnutzung der
der Ressourcen
Ressourcen

Bild 7-11 Mit dem Projekttrichter vom Groben zum Detail [WHE00]
98 7 Technologieanalysemethoden

Mit Hilfe dieses Projekttrichters, der die Projektideen durch einen permanenten Abgleich
von Technologie- und Marktstrategie kanalisiert, erfolgt eine Fokussierung der Entwick-
lungsbemühungen auf solche Projekte, die insgesamt dazu beitragen, dass klar vorgege-
bene Entwicklungsziele erreicht werden. Dabei sind die Einzelprojekte stets Teil einer
Projektreihe, mit der sich nicht nur strategische Ziele realisieren lassen, sondern durch die
auch systematisch gelernt und verbessert wird.

7.2 Strategisches Technologiemanagement


Das folgende Kapitel beschäftigt sich im Kern mit den notwendigen Komponenten für die
Ableitung und Realisierung wettbewerbsgerechter Technologiestrategien. Um Aussagen
über die zukünftige Entwicklung von Wissenschaft und Technik treffen zu können, ist es
zunächst sinnvoll, Ansätze der Technologiefrüherkennung und -prognose zu analysieren.
Zur Ableitung von unternehmensspezifischen Technologiestrategien erfolgt anschließend
die Skizzierung von Konzepten einer technologieorientierten Unternehmens- und Um-
weltanalyse.

7.2.1 Technologiefrüherkennung
Die Grundlage aussagekräftiger Analysen und auf diesen aufbauender technologischer
Prognosen ist die Bereitstellung relevanter Informationen, mit deren Hilfe sich sowohl po-
tentielle Chancen ausnutzen als auch mögliche Gefahren abwehren lassen. Die Technolo-
giefrüherkennung zielt auf die frühzeitige Identifikation der Potentiale neuer Technolo-
gien sowie der Grenzen der aktuellen Situation ab. Zudem soll durch die Technologie-
früherkennung eine Basis für die Prognosen der weiteren Evolution in relevanten Techno-
logiefeldern geschaffen werden.
Um diesen Ansprüchen genügen zu können, müssen sich insbesondere bei der Unter-
suchung der komplexen und turbulenten Technologiedimension eine problemgebundene
Inside-Out-Überwachung und eine problemungebundene Outside-In-Untersuchung zur
Identifikation schwacher Signale sinnvoll ergänzen.
Die Inside-Out-Überwachung sucht die technische Umwelt systematisch nach Ereignissen
und Entwicklungen ab, die auf diskontinuierliche Veränderungen bei den Anwendungs-
potentialen der zurzeit von dem betreffenden Geschäftsfeld bzw. seinen Wettbewerbern
angewandten Technologie hindeuten.
Die Outside-In-Untersuchung hingegen bezieht sich auf die geschäftfeldübergreifende
Ebene und versucht, Trends und diskontinuierliche Erscheinungen in der globalen techni-
schen Umwelt aufzudecken, die möglicherweise die Wettbewerbs- und Techno-
logieposition des Unternehmens sowie die Branchenverhältnisse beeinflussen können. Ein
derartig kombinierter Ansatz ermöglicht auf der einen Seite die Nutzung der Erfahrungen
im Rahmen der Früherkennung und auf der anderen Seite die Erfassung vollkommen
neuer, unerwartet auftretender technologischer Strukturbrüche.
Wenn verschiedene Stadien innovativer Vorgänge unterschieden werden, können je nach
Innovationsstadium unterschiedliche Indikatoren bestimmt werden, Bild 7-12. Auf der
linken Seite sind die Aufwandsindikatoren und auf der rechten die Outputindikatoren
7.2 Strategisches Technologiemanagement 99

abgebildet. Auch wenn die einzelnen Phasen nicht in einer stringenten Reihenfolge ablau-
fen, enthalten sie eine zeitliche Komponente, so dass eine Unterscheidung bezüglich der
technologischen Entwicklung möglich ist.

Grundlagen- Publikation
forschung
Finanzaufwand
Zitierung
Humankapital

Anwendungs- Patent- Patent-


forschung anmeldung erteilung

Patentlizenz

Entwicklung Techn. Spezifikation

Investition

Konstruktion/
Zeit Diffusion Umsatz

Bild 7-12 Indikatoren zur Beobachtung des Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprozesses
[GRU87]

7.2.2 F&E-Aufwendungen und F&E-Personalstatistiken


Der Einsatz qualifizierten F&E-Personals und die Höhe der F&E-Budgets in einzelnen
Technologiebereichen innerhalb einer Branche dienen als Indikator für das Engagement
der Konkurrenten in den jeweiligen Feldern. Bei auffallenden bzw. überproportionalen
Unterschieden dieser Größen zur Vergangenheit können frühzeitig auf eine zunehmende
Wettbewerbsrelevanz dieser Technologie geschlossen und zukünftige Technologiesprün-
ge vorhergesagt werden. Die Höhe der F&E-Aufwendungen der Konkurrenten bzw. das
Ausmaß der staatlichen Förderung in den entscheidenden Konkurrenzländern können
demnach als brauchbare Indikatoren für zukünftige Marktaktivitäten verwendet werden.
Zur Beschaffung der relevanten Daten kann auf entsprechende Sekundärstatistiken zu-
rückgegriffen werden. Beispielsweise veröffentlicht die OECD regelmäßig Daten über die
durchschnittlichen F&E-Aufwendungen in verschiedenen Industrieländern. Informationen
über die Höhe der staatlichen Förderung in Deutschland können den jährlichen Förderka-
talogen und dem Bundesbericht des Bundesministeriums für Forschung und Technologie
entnommen werden. Als Informationsquellen für unternehmensspezifische Daten können
letztlich noch Geschäftsberichte, Ergebnisse von Fachtagungen oder Recherchen in F&E-
Zeitschriften verwendet werden.
100 7 Technologieanalysemethoden

7.2.3 Literaturrecherche
Die gründliche Sichtung der relevanten wissenschaftlichen Literatur zu den jeweiligen
Technologiebereichen gibt Auskunft über den Stand der Grundlagen- und Anwendungs-
forschung. Zudem können aus einschlägigen Publikationen oft auch Querverweise zu
anderen Wissenschafts- und Technikdisziplinen gewonnen werden, aus denen sich zu-
künftige Substitutions- und Komplementärtechnologien ableiten lassen. Wegen der Viel-
zahl der Publikationen auf dem technisch-naturwissenschaftlichen Gebiet ermöglichen
nur regelmäßige Recherchen in entsprechenden Datenbanken einen einigermaßen aktuel-
len Überblick. Im Vergleich zu Patentrecherchen liegt ein eindeutiger Vorteil in der Er-
fassung auch nicht patentierbarer Forschungsergebnisse.
Der Vorteil der Literaturrecherche gegenüber den Indikatoren der F&E-Aufwandsanalyse
resultiert aus der leichteren Interpretation der Ergebnisse, die zudem einen höheren Prog-
nosegehalt aufweisen. Nachteilig ist jedoch, dass diese Resultate erst zu einem späteren
Zeitpunkt verfügbar sind und somit einen Teil ihrer Frühwarnfunktion einbüßen. Zudem
müssen aber noch zwei weitere Einschränkungen für die Eignung von Recherchen in
Literaturdatenbanken als Früherkennungsinstrument geltend gemacht werden. Das erste
Problem betrifft die Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen, da die
Erfassung von Veröffentlichungen in vielen Datenbanken lückenhaft ist. Daraus resultiert
unmittelbar die zweite Einschränkung. Recherchen müssen von im Umgang mit Daten-
banken erfahrenem, aber auch mit dem notwendigen Fachwissen ausgestattetem Personal
durchgeführt werden, das jedoch meist nur in einem begrenzten Maß zur Verfügung steht.
Aus diesen Gründen kommt der Literaturrecherche als Instrument der Früherkennung nur
eine untergeordnete Bedeutung zu.

7.2.4 Patentrecherche
Als Patent wird eine territorial, sachlich und zeitlich begrenzt geschützte Erfindung be-
zeichnet. Neben dieser Schutzfunktion, die Patentinhabern für einen begrenzten Zeitraum,
beispielsweise in Deutschland für 20 Jahre, das Recht einräumt, ihre Erfindung allein zu
verwerten, muss aber auch deren Informationsfunktion berücksichtigt werden. Diese for-
dert vom Patentinhaber die Veröffentlichung der Erfindung nach einer gewissen Zeit-
spanne. Die Offenlegungsfrist in Deutschland umfasst einen Zeitraum von 18 Monaten.
Dieses eröffnet die Möglichkeit, Patente als Informationsquellen für eigene Innovationen
zu nutzen. Auf diese Weise können Patentrecherchen mehrere, für die Formulierung einer
Technologie- oder F&E-Strategie interessante Fragestellungen beantworten helfen:
x Aktivitäten der Konkurrenz im untersuchten Technikfeld
– Anmelder des Patents zeigt, um welche Wettbewerber es sich handelt und ob sie in
der Automobilindustrie tätig sind.
– Bei deutschen Patenten dokumentiert die Nennung der Erfinder, ob es sich z. B.
um Ingenieure handelt.
x Ermittlung bislang unbekannter oder in Kürze auf dem Markt auftretender Wettbe-
werber
x Auskünfte über Märkte, die durch Patente weitgehend geschützt sind sowie die Lauf-
zeit der Schutzrechte anhand der Patentnummern, z. B. DE1234, JP1234, US1234
7.2 Strategisches Technologiemanagement 101

x Identifikation der auf einem Technologiegebiet führenden Unternehmen, da die An-


zahl der Patente eines Unternehmens in bestimmten Patentklassen auf eine Innovati-
onsführerschaft des entsprechenden Unternehmens hindeutet
x Informationen über neue technologische Problemlösungen
– Analyse der Beschreibung und Zeichnungen der Erfindung
– Prüfung der Patentansprüche
Die besondere Bedeutung von Patentinformationen als Frühindikator resultiert aus dem
Vorteil, dass in den meisten Fällen die Entwicklung von real auf dem Markt existierenden
Produkten oder Verfahren vier bis sieben Jahre vorher aus Patentschriften hätte abgelesen
werden können [PFE89]. Im Folgenden wird die internationale Klassifizierung und eine
mögliche Methode der Patentrecherche vorgestellt.

7.2.4.1 Klassifizierung von Patenten


Die „International Patent Classification“ (IPC) wurde im Jahre 1954 vorgestellt, um die
Sortierung der Patente zu vereinheitlichen und die internationale Zusammenarbeit der
Patentämter zu vereinfachen. Seit den 70er Jahren wird sie von allen wichtigen Patentäm-
tern als alleinige Klassifikationsgrundlage verwendet. Lediglich die USA nutzen eine
nationale Qualifikation, setzen aber auch die IPC als Nebenklassifikation ein.
Eine vollständige IPC-Kennzeichnung umfasst fünf Symbole, die jeweils für eine der
hierarchisch angeordneten Klassifikationsebenen stehen. Die oberste Ebene in der IPC
stellen die Sektionen dar, in denen die Technik grob in acht verschiedene Bereiche geteilt
wird. Unterhalb der Sektionen wird ein Patent einer Klasse zugeordnet. So gibt es in der
Sektion F, die auch den Maschinenbau umfasst, beispielsweise die Klassen F 01 bis 04, in
denen Arbeits- und Kraftmaschinen klassifiziert sind. Jede Klasse hat wiederum zahlrei-
che Unterklassen.

7.2.4.2 Vorgehensweise bei einer Patentrecherche


Die Prämisse besteht darin, dass sich eine neue Erfindung oder ein neues Produkt ein-
deutig klassifizieren lassen. Als logische Schlussfolgerung ergibt sich, dass ein bereits
bestehendes Patent in derselben Untergruppe klassifiziert sein muss. Untersucht man nun
die Untergruppe, so findet man sämtliche Patente, welche die neue Erfindung betreffen.
Somit ist der erste Schritt der Recherche die Identifikation der zu durchsuchenden IPC-
Untergruppe. Neben der Funktion, die das neue Produkt zu erfüllen hat, ist hierbei auch
die Bauweise zu beurteilen.
Das Durchsuchen der identifizierten IPC-Klassen als zweiter Schritt erfolgt am effek-
tivsten über Suchmaschinen im Internet. Folgende Anbieter stellen Datenbanken zur Ver-
fügung:
x Datenbank des Deutschen Patent- und Markenamtes (depatisnet.de)
x Datenbank des Europäischen Patentamtes (espacenet.com)
x Datenbank der Thomson Corp. für amerikanische Patente (delphion.com)
Den dritten und letzten Schritt stellt die Bewertung der Ergebnisse dar. Eine Möglichkeit,
schnell und effektiv entscheiden zu können, bietet die Betrachtung der Zeichnung, die
jedem Patent angefügt ist. Zusammen mit der Beschreibung der Innovation kann die Re-
levanz eines Patentes zügig ermittelt werden.
102 7 Technologieanalysemethoden

7.2.5 Technologische Prognosen


Die Erstellung technologischer Prognosen, mit denen Aussagen über zukünftige Ent-
wicklungen von Wissenschaft und Technik und folglich auch über die eigenen F&E-
Bemühungen getroffen werden, erfolgt auf der Grundlage der Technologiefrüherkennung.
Ziel technologischer Prognosen ist die Identifizierung technologischer Entwicklungen, die
aufgrund geänderter Umweltbedingungen in der Zukunft zu erwarten sind. Inhaltlich be-
sitzen technologische Prognosen eine qualitative, eine quantitative und eine zeitliche
Komponente. Die einzelnen Bestandteile einer Prognose können wie in Bild 7-13 geglie-
dert werden.

Input Prognoseverfahren Output

• qualitative Daten
• Daten
• quantitative Daten
• Annahmen Verarbeitung
• zeitliche Prognosen
• Frühwarninformationen
• Wahrscheinlichkeiten

Bild 7-13 Bestandteile technologischer Prognosen

In Bild 7-14 sind Techniken für technologische Prognosen nach ihren Ansätzen gegliedert
dargestellt. Im Folgenden werden einige Verfahren der technologischen Prognose vor-
gestellt, stellvertretend für potentialorientierte Prognosen die Szenariotechnik, für be-
darfsorientierte die Relevanzbaummethode und für die unterstützenden Techniken die
Delphi-Methode.

Mechanismen der technischen Entwicklung

Autonome Induktion Bedarfsinduktion

Methoden für Methoden für


potentialorientierte bedarfsorientierte
Vorhersagen Vorhersagen Unterstützende
Techniken
Relevanzbaum-
methode Cross-Impact-
Delphi-
Cross-Support-
Methode
(einfache) komplexe Szenario- Kreativitäts- Analysen
Regressionsanalysen Modelle technik techniken

Zeitreihen- andere Regres-


analysen sionsanalysen

Bild 7-14 Techniken für technologische Prognosen


7.2 Strategisches Technologiemanagement 103

7.2.5.1 Szenariotechnik
Die Szenariotechnik ist sicherlich eine der bekanntesten Verfahren, das verschiedene
Variablen in die Abschätzung der zukünftigen Entwicklung mit einbezieht. Dabei wird
unter einem Szenario die Beschreibung der zukünftigen Entwicklung eines Prognose-
gegenstandes bei alternativen Rahmenbedingungen verstanden. Ausgehend von einer
Analyse der Gegenwart werden verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt und
zu einem Gesamtbild für den Prognosehorizont zusammengefügt. Basis für die Ent-
wicklung von Szenarien ist neben einer gründlichen Analyse der Ist-Situation die Be-
schaffung ausreichender Informationen über wesentliche Einflussfaktoren, die eine zu-
künftige Entwicklungsrichtung prägen. Die Veranschaulichung der Szenario-Methode er-
folgt am besten durch die Darstellung eines Trichters, an dessen Ausgangspunkt die Ge-
genwart steht. Je weiter sich der Trichter öffnet, desto weiter liegen die betrachteten Er-
eignisse in der Zukunft auseinander und desto größer wird die Komplexität sowie Unsi-
cherheit der weiteren Entwicklung. Störeinflüsse werden dabei explizit berücksichtigt und
können zu völlig neuen Zukunftsbildern führen, Bild 7-15.
Entscheidend bei der Szenariotechnik ist, aus der Kombination zukünftiger Ent-
wicklungen Chancen und Risiken abzuleiten, um auf deren Basis durch entsprechende
Maßnahmen besser auf zukünftige Veränderungen reagieren zu können.

Extrem
Entscheidungspunkt
z. B. Einsetzen von Maßnahmen positives
Szenario
Störereignis
Szenario bei Setzung
von Maßnahmen

Trendszenario

negatives
Szenario

Extrem

Gegenwart Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2 Zukunft

Bild 7-15 Darstellung eines Szenarios [PÖL02, REI89]

Für die Durchführung einer Szenarioanalyse wurden mehrere verschiedene Verfahren ent-
wickelt, von denen die in Bild 7-16 skizzierte eine der gängigsten Verfahren dargestellt
ist. Dabei erfolgt in einem ersten Schritt die genaue Abgrenzung des Untersuchungsge-
genstandes.
104 7 Technologieanalysemethoden

Startpunkt
Aufgabenanalyse
Einflussanalyse
Szenario – Transfer • Abgrenzung
• Einflussbereiche
• Leitstrategie • Ziele und Strategien
• Einflussfaktoren
• Alternativstrategie • Stärken und Schwächen
• Vernetzungen

Störereignisanalyse Trendprojektionen
• Auswirkungsanalyse • Indikatorenbestimmung
• Präventivmaßnahmen • Eindeutige Projektionen
• Reaktionsmaßnahmen • Alternative Projektionen

Konsequenzen – Analyse Alternativenbündelung


• Chancen/Risiken • Konsistenzbewertung

Szenario – Interpretation
• Vernetzte Szenario-Entwicklung

Bild 7-16 Modellhafter Ablauf einer Szenarioanalyse

Im nächsten Schritt werden die Indikatoren bestimmt, welche die Einflussbereiche re-
präsentieren und ihre Entwicklung in der Zukunft fortschreiben. Alle in die Zukunft proji-
zierten Indikatoren werden zu konsistenten Annahmebündelungen über alternative zu-
künftige Entwicklungen zusammengefasst und auf ihre Konsistenz, d. h. innere Wider-
spruchsfreiheit, untersucht.
Im Anschluss daran erfolgt die Entwicklung der zukünftigen Szenarien, indem zukünftige
Situationen und Gegebenheiten mit mehreren Zwischenstufen, auf denen ein Abgleich
stattfindet, erstellt und visuell anschaulich dargestellt werden.
Meist werden zwei bis drei Szenarien ausgearbeitet, bei denen eines eher von einer posi-
tiven, das zweite von einer negativen und das dritte von einer wahrscheinlichen Entwick-
lung ausgeht. Dabei besteht die Gefahr, dass das wahrscheinliche Szenario wegen subjek-
tiver Hoffungen erstellt und akzeptiert wird, ohne mögliche Chancen und Gefahren zu
berücksichtigen, die sich aus den anderen Szenarien ergeben.
Abschließend werden noch Störereignisse in Betracht gezogen, die außerhalb der erwarte-
ten Entwicklung anzusiedeln sind, wie etwa politische Krisen, Terroranschläge, Hoch-
wasser etc., die Einfluss auf die ökonomische Entwicklung haben. Es wird versucht, für
diese Störereignisse Reaktions- und Präventivstrategien zu erarbeiten. Letztendlich wer-
den aus den Szenarien Ziele und Strategien abgeleitet, welche die wahrscheinlichste der
erarbeiteten zukünftigen Situationen zur Grundlage haben, jedoch die Möglichkeit des
Eintretens anderer Alternativen berücksichtigen.

7.2.5.2 Relevanzbaummethode
Die Relevanzbaumanalyse gehört zu den bedarfsorientierten Prognoseverfahren und leitet
zukünftige Entwicklungen aus dem vorhandenen bzw. erwarteten Bedarf an neuen tech-
nologischen Kenntnissen ab. Auf Grundlage der angestrebten Unternehmens- und Ge-
7.2 Strategisches Technologiemanagement 105

schäftsfeldzielsetzungen werden schrittweise die Technologien identifiziert, die zur Ver-


wirklichung der Ziele beherrscht werden müssen. Darauf aufbauend können Schwer-
punktsetzungen in den unternehmerischen F&E-Strategien definiert werden.
In Bild 7-17 ist die grundlegende Vorgehensweise an einem Beispiel veranschaulicht.
Den Ausgangspunkt bildet der Entwurf eines Ziel-Szenarios durch ein Expertengremium.
Daran schließt sich die Bildung einer mehrstufigen Zielhierarchie mit den notwendigen
Unterzielen mit Hilfe von Fachleuten an. Dieser Prozess endet mit dem Erreichen der
Ebene, auf der spezifische technologische Rückstände ausgemacht werden können.

Ziel Ebenen Förderung der Sicherheit im Auto

eingebundene Fahrzeug- Sicherheits- Kontroll-


Funktions- 1 Ausstattung
innenraum anlagen systeme
bereiche

Insassen- ohne externe interne


2 Sitzplätze
schutz Ausstattung Ausstattung

Insassen
Anforderungen 3 Chassis
absichern

Aktive
4 Passive
(Airbags)
benötigte
Technologien 5 Sensoren Steuerung Antrieb

Bild 7-17 Struktur eines Relevanzbaumes am Beispiel des Oberziels „Förderung der Sicherheit
im Auto“

Die so identifizierten Technologiebereiche haben einen gewissen Nachholbedarf, sodass


folglich erhöhte Entwicklungsanstrengungen unternommen werden müssen, um so die
angestrebten Ziele erreichen zu können. Wird die Analyse auf das Branchenniveau aus-
geweitet, können Technologiebereiche ausgemacht werden, in denen zukünftig technolo-
gische Durchbrüche wahrscheinlich zu erwarten sind.
Ein wesentlicher Vorteil der Methode liegt in der systematischen und strukturierten Be-
schreibung der Problemstellung. Jedoch kann die Relevanzbaummethode keine Aussage
über mögliche Eintrittszeitpunkte des Auftretens technologischer Neuerungen treffen.

7.2.5.3 Delphi-Methode
Die vorhandenen Schwachstellen von Gruppeninterviews führten zur Entwicklung ver-
schiedener Prognosetechniken, die sowohl den Vorteil kollektiver Entscheidungsfindung
nutzen als auch versuchen, die spezifischen Nachteile zu vermeiden, die aus der direkten
räumlichen Konfrontation der beteiligten Experten resultieren können.
Bei dem Delphi-Prognoseverfahren handelt es sich um eine mehrstufige, strukturierte
Expertenbefragung mit Ergebnis-Feedback. Die Experten werden ausgehend von einem
bestehenden Prognoseproblem zur Bearbeitung dieses Problems ausgewählt. Die Auswahl
106 7 Technologieanalysemethoden

der Experten erweist sich meist als der entscheidende Engpass des Delphi-Verfahrens, da
jede Prognose in der Regel nur so gut ist, wie die an ihrem Zustandekommen beteiligten
Personen. Bild 7-18 zeigt die konkrete Vorgehensweise einer Delphi-Studie.

Entscheidungs- bzw.
Steuerungsgruppe Expertengruppe
Planungsträger

Problem Æ Auslösung Vorbereitung: Planung von Inhalt, Zusage/Ablehnung


des Delphiprozesses Form, Dauer der Befragung, Zusam- der Teilnahme
mensetzung der Expertengruppe

1. Fragebogen Beantwortung
Auswertung
2. Fragebogen: Fragen, Feedback, Beantwortung
Mediane, Begründung extremer Urteile Begründung

Auswertung
3. Fragebogen: Fragen, Feedback, Beantwortung
Mediane, Begründung extremer Urteile Begründung

Auswertung
Entscheidungs-
grundlage Delphi-Prognose/-Urteil

Bild 7-18 Ablauf einer Delphi-Studie [GEL03]

Anstelle der direkten Debatte des Problems in der Form einer Gruppe, wird beim Delphi-
Verfahren eine Reihe von anonymen und schriftlichen Befragungsrunden durchgeführt, in
denen den teilnehmenden Fachleuten jeweils die Resultate der vorangegangenen Runden
vorgelegt werden. Durch dieses Feedback können zum einen die Vorteile der räumlichen
Trennung und der bewahrten Anonymität beibehalten werden, zum anderen ist aber trotz-
dem ein gewisser Gedankenaustausch zwischen den Beteiligten möglich.
Die Schätzungen und Prognosen werden aufgrund der wachsenden Informationsbasis von
Runde zu Runde verfeinert, bis schließlich in einem bestimmten Bereich ein sich bewe-
gendes Ergebnis erzielt wird. Experten, deren Meinung stark von den übrigen abweicht,
werden um eine explizite Begründung ihrer Extremposition gebeten. Meist werden maxi-
mal vier dieser Runden durchgeführt.

7.2.6 Portfoliotechniken als integrierte Analysekonzepte


Die Portfoliotechnik ist wohl das bekannteste und in der Praxis am häufigsten eingesetzte
Instrument zur Verknüpfung der Umwelt- mit der Unternehmensanalyse. Sie wurde mit
dem Ziel entwickelt, Auswahlentscheidungen zu unterstützen. Zum Zweck der Analyse
und der darauf aufbauenden Strategieformulierung werden die unternehmensinternen und
-externen Informationen zu Geschäftsfeldern in einer zweidimensionalen Matrix zusam-
mengefasst, Bild 7-19.
7.2 Strategisches Technologiemanagement 107

In der Regel werden im Koordinatensystem die Umweltinformationen und deren Beur-


teilungen auf der Ordinate und die unternehmensbezogenen Informationen auf der Ab-
szisse abgetragen. Jedes einzelne strategische Geschäftsfeld (SGF) hat zum Analyse-
zeitpunkt eine spezifische Positionierung im Portfolio, die maßgeblich die Strategiewahl
bestimmt.

SGF 1

SGF 6 SGF 7
hoch
Umweltvariable

SGF 5

SGF 4
niedrig

SGF 3 SGF 2

niedrig hoch
Unternehmensvariable

Bild 7-19 Grundaufbau der Portfoliotechnik

7.2.6.1 Ansatz von PFEIFFER et al.


Das Technologieportfolio-Konzept von PFEIFFER et al. bildet die für ein Endprodukt
und die dazu notwendigen Fertigungsprozesse relevanten Technologien in einer multi-
faktoriellen Matrix ab. Die Technologieattraktivität wird dabei als weitgehend unbeein-
flussbare unternehmensexterne Größe betrachtet, in der die Gesamtheit der wirt-
schaftlichen und technischen Vorteile erfasst wird, die durch die Realisierung der strate-
gischen Weiterentwicklungsmöglichkeiten des jeweiligen Technologiegebietes erwartet
werden. Die Ressourcenstärke als unternehmensinterne Handlungsvariable beschreibt die
technische und wirtschaftliche Beherrschung des technologischen Gebietes im Vergleich
zum stärksten Konkurrenzunternehmen. Der Ablauf der Technologieportfolioanalyse
nach PFEIFFER vollzieht sich dabei in mehreren Schritten:
1. Zu Beginn der Untersuchung stellt eine eingehende Umfeldanalyse die für die Bewer-
tung der Technologien notwendigen Hintergrundinformationen bereit.
2. Anschließend sind sämtliche hinter den Produkten eines Unternehmens stehenden
Produkt- und Fertigungstechnologien zur Erstellung einer Übersicht zu identifizieren.
3. Im dritten Schritt werden die Ausprägungen der Technologie im Hinblick auf die bei-
den Beurteilungskriterien Technologieattraktivität und Ressourcenstärke ermittelt. Die
beiden Beurteilungskriterien können dabei mit Hilfe der in Bild 7-20 dargestellten In-
dikatoren bewertet werden.
108 7 Technologieanalysemethoden

Akzeptanz

Technologieattraktivität

In
Werden die in diesem Bereich erwarteten technischen

hoch

ve
Entwicklungen intern und von der Umwelt akzeptiert?

stie
re
Weiterentwicklungspotenzial

Se

n
mittel
In welchem Umfang ist auf diesem Gebiet eine technische

l
ek
Weiterentwicklung und eine damit verbundene Kostensenkung/

tie
Leistungssteigerung möglich?

re
es

n
in
Anwendungsbreite

ve
gering

s
Wie ist die Ausbreitung der möglichen technischen

tie
Weiterentwicklungen hinsichtlich der Anzahl der Einsatzbereiche

re
und der Menge je Einsatzbereich zu beurteilen?

n
Kompatibilität gering mittel hoch
Ist durch die möglichen Weiterentwicklungen mit positiven Ressourcenstärke
und/oder negativen Auswirkungen auf andere bisher angewandte
Technologien zu rechnen?

Technisch-qualitativer Potenziale (Re-)Aktions- Patente/


Beherrschungsgrad geschwindigkeit Lizenzen
Wie ist unsere Leistung in Stehen finanzielle, personelle und Wie schnell können wir im Ist ein Vorsprung
technischer und wirtschaftlicher rechtliche Ressourcen zur Vergleich zur Konkurrenz oder Rückstand
Hinsicht im Verhältnis zur Ausschöpfung der in diesem Bereich eventuelle technische rechtlich
wichtigsten Konkurrenzlösung noch bestehenden Weiter- Weiterentwicklungs- abgesichert?
einzuschätzen? entwicklungsreserven zur Verfügung? möglichkeiten ausschöpfen?

Bild 7-20 Technologie-Portfolio von PFEIFFER et al.

4. Die Positionierung der Einzeltechnologien in der zweidimensionalen Matrix ergibt das


Abbild der technologischen Ist-Situation eines strategischen Geschäftsfeldes bzw. des
Unternehmens.
5. Im nächsten und wichtigsten Analyseschritt werden die in der Matrix ausgewiesenen
und im Unternehmen bereits angewandten Technologien möglichen zukünftigen Sub-
stitutions- und auch Komplementärtechnologien gegenübergestellt, wodurch die Be-
trachtungsweise eine Dynamisierung erfährt. Diese vorausschauende Perspektive ist
zwingend notwendig, weil das Auftreten neuer Technologien die bisherigen Technolo-
giepositionen beeinflusst.
6. Im abschließenden Schritt sind im Rahmen einer strategischen Auswertung der Port-
folios Handlungsempfehlungen für die konkrete Ausgestaltung von F&E-Programmen
zu ermitteln. Wie bei den klassischen Marktportfolios werden dabei Normstrategien in
Form von Investitions- und Desinvestitionsvorschlägen bzw. selektivem Vorgehen ab-
geleitet, Bild 7-21.
Es bleibt abschließend festzuhalten, dass das Technologie-Portfolio von PFEIFFER et al.
gute Ansatzpunkte zur Unterstützung der Entscheidungsfindung bieten, wenn es um die
Festlegung der Ressourcenzuweisung für spezifische Projekte geht. Die Integration von
Technologie- und Marktdimension wird jedoch nicht ausreichend bedacht.
7.2 Strategisches Technologiemanagement 109

+
+
Laser-

Technologieattr-
Technologieattr-

strahl

Technologieattr-
Bohren

aktivität
aktivität

Elek-

aktivität
tronen-
strahl

Bohren Bohren
+


– Ressourcenstärke + – Ressourcenstärke+ – Ressourcenstärke +


1. Technologiebetrachtung 2. Einbeziehung künftig kon- 3. Transformation bei Über-
zum Zeitpunkt T0: kurrierender Technologien nahme der zukunfts-
offenbart kritische trächtigen Technologien
Die verwendete Technologie Technologieposition. führt zu neuer zukünftiger
„mechanisches Bohren“ Position.
bestimmt die Position des Kritisch ist die geringe
Technologiefeldes „Bohren Ressourcenstärke dieser
für das Unternehmen“. projizierten Technologie-
position.

Bild 7-21 Zeitliche Transformation des Technologieportfolios – Beispiel: „Bohren kleiner Durch-
messer“

7.2.6.2 Ansatz von McKINSEY


Das auch unter dem Namen Marktattraktivitäts-Wettbewerbsvorteils-Portfolio bekannt
gewordene Portfolio wurde von der General Electric Corporation (GE) in Zusammen-
arbeit mit der Beratungsgesellschaft McKINSEY & Co. entwickelt. Dieses Portfolio kann
als Versuch zur Beseitigung von Mängeln der einfachen Marktportfolios durch eine we-
sentliche Erweiterung der relevanten Einflussfaktoren betrachtet werden. Im Marktattrak-
tivitäts-Wettbewerbsvorteils-Portfolio werden zunächst die Einflussfaktoren nach unter-
nehmensinternen und -externen sowie markt- und technologieabhängigen Faktoren ge-
gliedert und in zwei Portfolios dargestellt. Aus diesen beiden Portfolios werden die Be-
stimmungsgrößen der beiden Achsdimensionen Marktpriorität und Technologiepriorität
abgeleitet. Das Portfolio ist folglich eine Zusammenfassung eines Technologie- und eines
Marktportfolios, Bild 7-22.
Die Abbildung zeigt, wie die ausschließliche Betrachtung der Marktprioritäten zu ver-
fehlten Ressourcenplatzierungen führen können. Das wegen seiner hervorragenden Tech-
nologiepriorität sehr zukunftsträchtige Forschungsgebiet „D“ hätte infolge der noch äu-
ßerst schwachen Marktposition der auf dieser Technologie basierenden strategischen
Geschäftsfelder nur eine geringe Unterstützung erfahren und wäre vielleicht ganz einge-
stellt worden. Auf der anderen Seite würde das Forschungsgebiet „C“ wahrscheinlich auf
lange Zeit zu hohe Ressourcenzuweisungen bekommen.
110 7 Technologieanalysemethoden

+
C

+
+

B B

Marktprioritäten
B
Markattraktivität

Technologieattr-
D

e-i
ät og
aktivität

rit ol
io t-

io n
ät

pr ech
pr a r k
rit
M

T
A A
D A C


D
– Relative + – Relative +
Marktposition – Technologieposition
– Technologieprioritäten +

Aggressiver F&E-Einsatz Selektiver F&E-Einsatz Defensiver F&E-Einsatz

Bild 7-22 Marktattraktivitäts-Wettbewerbsvorteils-Portfolio von McKinsey

7.2.6.3 Ansatz von A.D. LITTLE


Das Portfolio-Modell, das von dem Beratungsunternehmen ARTHUR D. LITTLE ent-
wickelt wurde, hat sich die Herleitung von Technologie-Grundstrategien zum Ziel gesetzt.
Als Entscheidungsgrundlage bei der Wahl zwischen technischen Optionen werden Kennt-
nisse über die Technologie- und die Wettbewerbsposition der strategischen Geschäftsfel-
der und den Lebenszyklusverlauf der Technologien sowie die jeweiligen Branchen für
notwendig erachtet.
Auch bei dieser Portfolio-Variante erfolgt die Analyse in einer chronologischen Schritt-
folge, wobei sich die vorausgehende Analyse in Abschnitte gliedern lässt:
1. Im ersten Schritt wird eine Analyse der Klassifikation der für ein Geschäftsfeld re-
levanten Technologien entsprechend ihrer Stellung im Technologielebenszyklus in
Basis-, Schlüssel- und Schrittmachertechnologien durchgeführt.
2. Der zweite Analyseschritt ermittelt die technologische Position eines Unternehmens
bzw. seiner strategischen Geschäftsfelder im Vergleich zu seinen Wettbewerbern.
3. Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Positionierung der Technologien in einer Port-
folio-Matrix, in dem der relativen technologischen Position die Lebenszyklusphasen
der betreffenden Technologien als Maßstab für deren Attraktivität und Wettbewerbs-
relevanz gegenüber gestellt werden, Bild 7-23.
4. Aus dieser Matrix lassen sich Hinweise über das Risiko von F&E-Projekten und An-
haltspunkte für F&E-Prioritäten ablesen. Während Investitionen in Basistechnologien
auf ein Ausmaß, das zur Erhaltung der Wettbewerbsposition notwendig ist, reduziert
werden sollten, ist es empfehlenswert, die F&E-Anstrengungen bei Schlüsseltechno-
logien zur Stärkung der Position zu erhöhen.
7.2 Strategisches Technologiemanagement 111
Relative Technologieposition
günstig stark

= Soll-Höhe der F&E-Investitionen


für Technologien

o
= F&E-Priorität

ik
is
R
E-
schwach

F&

Entstehung Wachstum Reife


Technologiezyklus
Bild 7-23 Technologie-Portfolio von A.D. LITTLE [SER86]

5. Nach der Erfassung des Investitions- und Risikoprofils eines potentiellen F&E-Pro-
gramms erfolgt im zweiten Abschnitt die Gegenüberstellung von Markt- und Techno-
logieposition der strategischen Geschäftsfelder, für welche die jeweiligen Technolo-
gien von Relevanz sind. Ziel ist es, Chancen und Risiken für die Wettbewerbsposition
eines strategischen Geschäftsfeldes aufzudecken. Diese resultieren aus der Inkon-
gruenz zwischen der Marktposition und der Position, die es bei wettbewerbsrelevanten
Schlüssel- und Schrittmachertechnologien einnimmt. Beispielsweise ist eine schwache
technologische Position bei einer Schlüssel- oder Schrittmachertechnologie ein Indiz
für eine zu erwartende Verschlechterung der Wettbewerbsposition, während eine hohe
technologische Kompetenz hingegen Chancen auf eine Verbesserung der Position im
Wettbewerb eröffnet.
6. Ausgehend von der Position der strategischen Geschäftsfelder in diesem kombinierten
Markt- und Technologieportfolio werden explizite technologische Handlungsemp-
fehlungen gegeben, Bild 7-24. Beispielsweise werden als Handlungsalternativen Ko-
operationen mit Partnern, die Akquisition technologischen Wissens, aber auch der
Rückzug aus einem bestimmten Technologiegebiet genannt. Eine Präzision des Prob-
lems des Technologietimings wird in dem Ansatz von A. D. LITTLE nicht gegeben.
Die Strategieempfehlungen werden in zwei unterschiedlichen Portfolios abgebildet. Dies
liegt darin begründet, dass zum einen in den frühen Phasen der Branchenevolution der
Technologiedimension eine wichtige Rolle im Wettbewerb zukommt und zum anderen
für die Unternehmen zu diesem Zeitpunkt ein größerer Handlungsspielraum zur Verfü-
gung steht. Folglich soll die erste Matrix für die Entstehungs- und frühe Wachstumspha-
se, die zweite für die späte Wachstums- und frühe Reifephase zur Anwendung kommen.
Offen bleibt jedoch die Rolle des Faktors Technologie in der späten Reifephase sowie der
Sättigungs- bzw. Degenerationsphase einer Branche. Daraus resultierend ergeben sich
unterschiedliche Strategievorschläge, die jedoch keinesfalls als starre Normen zu betrach-
ten sind, sondern als konzeptioneller Rahmen dienen.
112 7 Technologieanalysemethoden

Technologielebenszyklus
Entstehung Wachstum Reife

stark
stark

Führer-
Präsenz Akquisition Präsenz
schaft
Führerschaft

Marktposition
Marktposition

günstig
günstig

Rationa- Nischen-
Akquisition
lisierung strategie

schwach
schwach

Rationa- Koopera- Fokus- Rationa- Koopera-


Rückzug
lisierung tion sierung lisierung tion

schwach günstig stark schwach günstig stark


Technologieposition Technologieposition
Bild 7-24 Die Ableitung von Grundstrategien nach A.D. LITTLE [MIC87]

7.2.6.4 Kritik an Portfolios


Neben den individuellen, modellspezifischen Schwachstellen, die bereits erwähnt wurden,
werden an dieser Stelle noch einige generelle Kritikpunkte an den Portfolios angeführt
und beschrieben. Auch wenn die vorgestellten Technologie- und Innovationsportfolios
versuchen, den Vorwurf zu entkräften, Portfolios würden nur bei stabilen Umweltbedin-
gungen und bekannten bzw. abschätzbaren Alternativen brauchbare Ergebnisse liefern,
muss dennoch vor einer Überinterpretation der Handlungsempfehlungen gewarnt werden.
Nicht unproblematisch ist eine unreflektierte Orientierung, an der bei manchen Portfolio-
Varianten für verschiedene Matrixfelder empfohlenen „Normstrategie“, da diese die spe-
zifische Situation eines jeden strategischen Geschäftsfeldes bzw. seiner Branche nicht
berücksichtigt. Zudem gehen Portfolio-Konzepte von der Voraussetzung gleicher Erfolgs-
faktoren in allen Branchen und bei allen Unternehmen aus, wenn die Indikatoren der Port-
folio-Dimension gelistet werden. Letztendlich muss aber jedes Unternehmen bzw. jedes
strategische Geschäftsfeld die spezifischen Erfolgsfaktoren seiner Branche bestimmen
und seine strategischen Entscheidungen daran ausrichten.
Es bleibt festzuhalten, dass auch Technologie-Portfolios nicht alle Einflussfaktoren tech-
nologischer Entscheidungskalküle berücksichtigen können. Jedoch kann durch die Portfo-
lio-Darstellung eine Diskussionsgrundlage und ein Bezugsrahmen für wichtige strategi-
sche und technologische Entscheidungsprobleme geschaffen werden. Technologieorien-
tierte Portfolio-Methoden stellen somit eine Art Kommunikationsinstrument dar, das zum
einen hilft, die Unternehmensführung für technologische Probleme zu sensibilisieren und
zum anderen an den Schnittstellen zwischen einzelnen, von technologischen Veränderun-
gen betroffenen Funktionsbereichen eine Art „Brückenkopffunktion“ übernehmen kann.
7.3 Potentialbasierte Bewertung neuer Technologien 113

Beispielsweise können durch Einfachheit, Transparenz und Anschaulichkeit der Darstel-


lung gegenseitige Akzeptanzprobleme oder semantische Schwierigkeiten, z. B. durch
unterschiedliche Fachsprache von Betriebswirtschaftlern und Ingenieuren, überwunden
werden, bevor in eine detaillierte Diskussion spezifischer Sachverhalte eingestiegen wird.

7.3 Potentialbasierte Bewertung neuer Technologien


Im Folgenden wird ein Ansatz zur Bewertung des Technologiepotentials vorgestellt. Da-
bei wird das Technologiepotential formuliert, um die technologische Leistungsfähigkeit
des Bewertungsobjektes zu beschreiben. Abschließend gilt es, Kosten und Risken einer
Technologieentwicklung zu beschreiben. Zunächst wird das objektive Technologiepoten-
tial beschrieben. Da dieses aufgrund der unternehmensspezifischen Einflüsse nicht voll-
ständig erreicht werden kann, muss anschließend eine Reduktion vorgenommen werden.
Diese führt vom objektiven zum subjektiven Technologiepotential.

7.3.1 Das objektive Technologiepotential


Die Grundlage des objektiven Technologiepotentials ist das bereits vorgestellte S-
Kurven-Modell. Dabei wird die Technologieentwicklung als Funktion der Zeit betrachtet
und nicht in Abhängigkeit der kumulierten F&E-Aufwendungen. Die technologische
Leistungsfähigkeit ist eine Funktion der einzelnen Leistungsparameter der Technologie,
Bild 7-25. Eine Technologie hat mindestens einen, maximal n technologische Leistungs-
parameter (TLP) zur Beschreibung der Leistungsfähigkeit. Die Anzahl der in das Modell
eingehenden Parameter muss auf die wirklich relevanten, die Leistungsfähigkeit signifi-
kant beeinflussenden beschränkt werden und darf aus Komplexitätsgründen nicht die
Zahl 10 überschreiten.

Technologische Leistungsparameter
Technologische
Leistungsfähigkeit TLP1 TLP2 … TLPn

Technologie T1
Beschreibung der
Technologie T2 Leistungsfähigkeit auf
Parameterebene

A
Technologie Ta
Heute Zeit
Legende:
Technologische Leistungsfähigkeit n: Anzahl technologische
= f (technologische Leistungsparameter) Leistungsparameter (TLP)
= f (TLP1; TLP2; … TLPn) mit TLPi = f (t) a: Anzahl Technologien

Bild 7-25 Beschreibung des objektiven Technologiepotentials


114 7 Technologieanalysemethoden

Um die Redundanz der Parameter untereinander zu berücksichtigen, werden diese in


einem ersten Schritt identifiziert und ihre wechselseitigen Wirkungszusammenhänge
aufgezeigt und festgehalten. Bei jedem Wirkungszusammenhang stellt sich die Frage, in
welcher Richtung eine Wirkung bei einer anderen Größe erzeugt wird. Geht die Erhöhung
eines Parameters ebenfalls mit der Erhöhung eines anderen einher, ist die Wirkung ver-
stärkend und wird mit einem „+“ gekennzeichnet. Erfolgt bei der Veränderung des einen
Parameters eine Verringerung des zweiten, wird diese Wirkung mit einem „–“ markiert.
Positive sowie negative Beziehungen werden in einem Wirknetz dargestellt, Bild 7-26
Schritt 1.

1. Aufzeichnen der Wirkzuammenhänge 3. Gliederung und Selektion der


Beispiel Stahleigenschaft Einflussfaktoren
BH-Effekt
Zugfestigkeit

hoch
+ Rückfederung Reaktiv Kritisch

+ + E-Modul
– Zähigkeit Umformungs-
Beeinflussbarkeit
+ vermögen
Dehngrenze – Umformungsvermögen

2. Bestimmen der Einflüsse


f
E-Modul
BH-Effekt
E-Modul
Zähigkeit
vermögen
Umform-

(Einflussnahme)
Summe E

Einfluss auf
0 keine Zähigkeit
Intensität
BH-Effekt
1 geringe von
niedrig

Intensität BH-Effekt – 0 1 0 1
Träge Aktiv
2 starke E-Modul 1 – 0 2 3

Intensität Zähigkeit 0 2 – 2 4
niedrig hoch
Umformvermögen 0 1 3 -– 4
3 sehr starke Einflussnahme
Intensität Summe B 1 3 3 4
(Beeinflussbarkeit) BH = Bake Hardening

Bild 7-26 Ermittlung der relevanten technologischen Leistungsparameter

Im nächsten Schritt der Analyse des Netzwerkes müssen die Intensitäten der zuvor er-
mittelten Wirkbeziehungen erfasst werden, da nicht alle Beziehungen von gleich starker
Bedeutung sind. Zur Bestimmung der Einflusshöhe der einzelnen Parameter wird eine
Einflussmatrix verwendet, Bild 7-26 Schritt 2, in der die Größen des Netzwerkes mit
entsprechenden Intensitätskennziffern versehen werden, wenn sie eine direkte Wirkung
aufeinander haben.
In der Einflussmatrix können durch Bildung der jeweiligen Spalten- und Zeilensumme die
einzelnen Parameter hinsichtlich ihrer Rolle im Netzwerk unterschieden werden. Die
Zeilensumme liefert die Aussage über die Einflussnahme des jeweiligen Parameters auf
andere Parameter, die Spaltensumme bezeichnet die Beeinflussbarkeit des Parameters.
Auf dieser Grundlage sind die Parameter in der Matrix zu positionieren, die im Vorfeld
keine bestimmte Feldabgrenzung aufweisen sollte, Bild 7-26 Schritt 3. Folgende Typen
von Parametern sind dann aus der Matrix zu entnehmen:
7.3 Potentialbasierte Bewertung neuer Technologien 115

x Aktive Parameter, die andere stark beeinflussen, selbst aber von den anderen wenig
beeinflusst werden.
x Reaktive Parameter, die andere nur schwach beeinflussen, selbst aber von anderen
stark beeinflusst werden.
x Kritische Parameter, die andere stark beeinflussen, selbst aber von anderen stark be-
einflusst werden.
x Träge Parameter, die andere nur schwach beeinflussen und von anderen ebenfalls nur
schwach beeinflusst werden.
Als relevant für die Beschreibung des objektiven Technologiepotentials sind diejenigen
technologischen Leitungsparameter einzustufen, die aktiv sind. Bei kritisch eingestuften
Parametern ist ebenfalls eine Aufnahme in das Modell möglich. Die letztendliche Plausi-
bilitätsprüfung der Parameterauswahl muss durch Technologieexperten erfolgen.

7.3.2 Beschreibung des subjektiven Technologiepotentials


Im Anschluss an die Beschreibung des objektiven, unternehmensunabhängigen Potentials
einer zu bewertenden Technologie muss nun eben dieses Potential in den Kontext der
unternehmensspezifischen Ressourcen und Fähigkeiten gestellt werden. Durch gerade
diese unternehmensspezifischen Eigenschaften ist es nicht möglich, das vorher aufgeführ-
te objektive Technologiepotential in seinem vollen Umfang auszuschöpfen. Das betrach-
tete Unternehmen kann nicht alle physikalisch möglichen technologischen Leistungs-
parameter umsetzen. Somit ist das subjektive Potential nur eine Teilmenge des objektiven,
Bild 7-27.

Objektives Subjektives Nachhaltigkeit =


Technologie-
potenzial Technologiepotenzial Aufrechterhaltung des
ǻTP Technologiepotenzials
Liquidität
Einzigartigkeit = f
(Technologiepotenzial)

Profit

Zeit
ǻTP: Differenz des objektiven zum
Subjektiven Technologiepotenzial Umsetzbarkeit =
Wandlung in Profit
f(): ist Funktion von und Liquidität

Bild 7-27 Einzigartigkeit und Umsetzbarkeit des subjektiven Technologiepotentials

7.3.3 Kosten und Risiken der Technologieentwicklung


Im Folgenden wird ein Modell zur Berechnung der Herstellungskosten in der frühen Ent-
wicklungsphase vorgestellt. Anschließend gilt es, auf mögliche Varianzen im Entwick-
lungsprozess einzugehen, bevor zum Abschluss mögliche Umsatzrisiken angeführt wer-
den, die eine Reduktion des Technologiepotentials zur Folge haben können.
116 7 Technologieanalysemethoden

7.3.3.1 Abschätzung der Herstellungskosten


Gerade bei neuen Technologien gestaltet sich die Abschätzung der erzielbaren Her-
stellungskosten schwierig. Dies gilt sowohl für neue Produkttechnologien, die das neue
Produkt definieren als auch für neue Produktionstechnologien, welche die Kosten des
herzustellenden Produktes bzw. einer Produktkomponente maßgeblich beeinflussen.
Methoden zur Kalkulation in der frühen Phase lassen sich in qualitative und quantitative
Verfahren unterteilen. Erstere werden angewendet, um Entscheidungen z. B. des Kon-
strukteurs in der Konzeptionsphase zu erleichtern, wobei in dieser Phase nur ein relativer
Vergleich unterschiedlicher Konzepte möglich ist, jedoch keine absolute Aussage über
die erwarteten Herstellungskosten.
An dieser Stelle soll ein quantitatives Verfahren vorgestellt werden. Als quantitative Ver-
fahren eignen sich zum einen Schätzungen, zum anderen kausale Prognosen. Schätzungen
kommen dann zum Einsatz, wenn die Datenbasis für ein neues Produkt nur stark einge-
schränkt vorliegt bzw. keine ähnlichen Produkte als Vergleichsbasis existieren. Diese
Verfahren finden somit in der frühesten Phase Anwendung, setzen aber umfangreiche
Expertenkenntnisse voraus.
Erfahrungskurven beschreiben die Abhängigkeit der Stückkosten von der bisher produ-
zierten Menge. Dieser Effekt ist auf die zunehmende Erfahrung der produzierenden Un-
ternehmen zurückzuführen, die ihnen die kontinuierliche Möglichkeit zur Kostensenkung
ermöglicht. Die dem zu Grunde liegende empirische Gesetzmäßigkeit lautet:
Mit jeder Verdopplung der kumulierten Produktionsmenge sinken die auf die Wert-
schöpfung bezogenen (Grenz-) Stückkosten um einen bestimmten Prozentsatz. Als Zu-
sammenhang zwischen der kumulierten Produktionsmenge und den Stückkosten ergibt
sich bei einem Lernfaktor Į ein exponentieller Zusammenhang. In Bild 7-28 ist beispiel-
haft der Verlauf einer Erfahrungskurve für Herstellungskosten dargestellt.

Stückkosten
K´(x)
Lernfaktor Į
Anfangswert
z. B. 8,0

Lernkurve 2
Lernkurve 1 (bei Technologiekonzeptänderung)
Wert für
Serieneinstie
g
z. B. 1,0
1 a n Stückzahl x
Technologiekonzept 1 Technologiekonzept 2
(Technologie-)Entwicklungsprozess Produktion

Bild 7-28 Kostenbestimmung auf Basis von Lernkurven


7.3 Potentialbasierte Bewertung neuer Technologien 117

In diesem Fall wurden die Kosten für die Herstellung von Produkten während des Ent-
wicklungsprozesses einer Vorserie visualisiert. In dieser Phase kann der Technologieent-
wicklungsprozess nicht grundsätzlich als starr betrachtet werden, was zur Folge hat, dass
Möglichkeiten eingeräumt werden müssen, die diese Flexibilitäten der Technologieent-
wicklung im Entwicklungsfortschritt berücksichtigen können. Wird ab der Stückzahl „1“
das Technologiekonzept 1 (TK1) als festgelegt angenommen, so fällt die Lernkurve 1
stetig unter der Annahme des Lernfaktors Į. Findet bei der Stückzahl a ein Wechsel auf
ein Technologiekonzept 2 zur Herstellung der gleichen Produkte statt, so kann damit eine
Veränderung der Herstellungskosten einhergehen. Ein verändertes Technologiekonzept 2
wird normalerweise nicht bei dem gleichen Anfangswert des Konzeptes 1 starten, die
Stückzahlen können jedoch wesentlich höher liegen als sie unter Weiterführung des Kon-
zeptes 1 sein würden.
Erfahrungseffekte, die zur Ausbildung des Lernfaktors beitragen, sind durch statische und
dynamische Effekte begründet: Statische Effekte, wie Fixkostendegression und Betriebs-
größeneffekte, resultieren aus dem Ansteigen der Ausbringungsmenge pro Periode. Dyna-
mische Effekte, wie organisationales Lernen, technischer Fortschritt sowie Rationalisie-
rung, sind auf die Sammlung von Produktionserfahrungen zurückzuführen.
Aufgrund dieser Wirkungszusammenhänge wird davon ausgegangen, dass der Lernfaktor
konstant bleibt. Durch Fortführung der Stückzahl x kann auch die anschließende Phase
der Produktion mit in die Berechnung einbezogen werden. Somit liegt für die Kalkulation
der Herstellungskosten in der frühen Phase ein Kostenmodell vor.

7.3.3.2 Varianzen im Technologie-Entwicklungsprozess


Investitionen in neue Technologien sind Grundvoraussetzung für die Wettbewerbs-
fähigkeit eines Unternehmens und somit von großer Bedeutung. Es dauert jedoch einen
erheblichen Zeitraum, bis sich diese Investitionen in den anvisierten Marktfeldern ver-
markten lassen.

Entwicklungsprozessdauer und -anzahl Einflüsse auf Entwicklungsprozesse


Kunden-/Markt-
3,8
Dauer von 19 anforderungen
Entwicklungs- Wettbewerbs-
3,1
prozessen 25 attraktivität

Realisierungsrisiko 3
max. Anzahl Entwicklungs-
32
paralleler aufwand
2,8
Entwicklungs-
50
prozesse Entwicklungsdauer 2,6

0 10 20 30 40 50 60 0 1 2 3 4
Monate/ Anzahl Einfluss
: Wert aller Unternehmen 1: geringer Einfluss
: Wert erfolgreicher Unternehmen 4: hoher Einfluss

Bild 7-29 Charakteristika von Technologie-Entwicklungsprozessen [FRU05]


118 7 Technologieanalysemethoden

Dies führt dazu, dass die Bewertungssituation von Unsicherheiten gekennzeichnet ist, die
aufgrund des begrenzten Planungshorizontes entstehen. Unsicherheiten können in Form
von Einflüssen auf den Entwicklungsprozess, z. B. die Höhe des Kapitaleinsatzes für die
Investition bzw. den Entwicklungsaufwand, die zu erwartenden Cash-flows aufgrund von
Kommerzialisierungseffekten sowie das Verhalten von Wettbewerbern sein, Bild 7-29.
Grundsätzlich ergeben sich daraus fünf Varianzen, welche die Unsicherheit eines Pro-
duktentwicklungsprojektes charakterisieren: Markt-Ertrags-Varianz, Budget-Varianz,
Leistungs-Varianz, Termin-Varianz sowie Markt-Anforderungs-Varianz. Der Zusam-
menhang der einzelnen Varianzen ist in Bild 7-30 dargestellt.
Abschätzungen der technologischen Leistungsfähigkeit sowie des zu erzielenden Techno-
logienutzens für den Technologieanwender sind bereits im Technologie- und Nutzenmo-
dell erfolgt.

Technologie- Technologie-
performance nutzen
erwarteter

Technologie-
Leistungs-

Varianz im
angestrebte Projektertrag
varianz

nutzen
technologische
Leistungs-
fähigkeit
Varianz in Varianz in
Projektlaufzeit Ertrag

Zeit minimal maximal Ertrag


Budget-Varianz

Projekt-
kosten

Bild 7-30 Typen von Varianzen in Technologieentwicklungsprojekten

7.3.3.3 Reduktion des Technologiepotentials durch Umsatzrisiken


Neben dem eigentlichen Technologiewert müssen diejenigen Risiken berücksichtigt wer-
den, welche die Technologie begleiten. Diese lassen sich in Marktrisiken und private,
technologische Risiken unterteilen. Marktrisiken werden im Folgenden aber nicht weiter
betrachtet, da sie in der Regel nicht durch ein Unternehmen beeinflusst werden können.
Von dem Ziel der Kapitalisierung ausgehend, also die Überführung des Potentials einer
Technologie in Finanzpotential, ist es notwendig, neben der eigentlichen Potentialbetrach-
tung die Umsatzfähigkeit einer Technologie zu beurteilen.
Die Einschränkung der Umsatzfähigkeit wird mit Hilfe der so genannten Lock-out-
Faktoren ermittelt, Bild 7-31. Zur Bestimmung dieser Faktoren ist sowohl eine Betrach-
tung der Risiken in der Entwicklung der Technologie und des Produktes als auch der
Risiken in der Produktion einer Technologie bzw. eines darauf basierenden Produktes
notwendig.
7.4 Ableitung einer Technologiestrategie 119

Technologische
Leistungsfähigkeit Risikenkatalog:
Risikenkatalog: Lock-out-Faktoren
Lock-out-Faktoren
•• Ineffiziente
Ineffiziente Entwicklungsprozess-
Entwicklungsprozess-
landschaft
landschaft (Technologie,
(Technologie, Produkt)
Produkt)

Potenzial •• Mangelnde
Mangelnde Ausstattung
Ausstattung mit
mit
Entwicklungsressourcen
Entwicklungsressourcen (Personal,
(Personal,
Anlagen,
Anlagen, Kapital)
Kapital)
•• Geringe
Geringe Fähigkeit,
Fähigkeit, Aufgaben
Aufgaben der
der
Technologieentwicklung
Technologieentwicklung zielgerichtet
zielgerichtet
Umsetzbarkeit/ durchzuführen
durchzuführen
Nachahmungszeit •• Erwartete
Erwartete Produktionskonflikte
Produktionskonflikte
A B
(Kapazitäten,
(Kapazitäten, Kosten,
Kosten, Qualität)
Qualität)
•• Konflikt
Konflikt mit
mit eigenem
eigenem Produktprogramm
Produktprogramm
Heute Zeit

Bild 7-31 Reduktion des Technologiepotentials aufgrund von Umsatzrisiken

7.4 Ableitung einer Technologiestrategie


Ziel der Formulierung und Ausgestaltung der Technologiestrategie sollte die aktive Un-
terstützung der allgemeinen Wettbewerbsstrategie sein. Im Folgenden sollen zunächst mit
Hilfe von „Porter’s Five Forces“ die zu betrachtenden Rahmenbedingungen für die Ablei-
tung einer Technologiestrategie aufgearbeitet werden.

7.4.1 Porter’s Five Forces zur Ableitung einer Technologiestrategie


Die Formulierung einer Wettbewerbsstrategie, die Grundlage der Technologiestrategie ist,
besteht im Wesentlichen darin, ein Unternehmen in Bezug zu seinem Umfeld zu setzen.
Auch wenn das relevante Umfeld sehr weit gefasst ist, da es sowohl soziale als auch öko-
nomische Kräfte einschließt, liegt sein Kern aus Sicht des Unternehmens in der Branche,
in der es konkurriert. Die Branchenstruktur beeinflusst maßgeblich die Spielregeln im
Wettbewerb und auch die Strategien, die dem Unternehmen potentiell zur Verfügung
stehen, Bild 7-32.
Kräfte außerhalb einer Branche spielen nur bedingt eine Rolle, da sie in der Regel alle
Anbieter betreffen und es somit auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Unternehmen
ankommt, mit ihnen fertig zu werden.
Der Wettbewerb in einer Branche hängt von fünf grundlegenden Wettbewerbskräften ab.
Diese unter dem Namen „Porter’s Five Forces“ bekannt gewordenen Wettbewerbskräfte –
Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern, Markteintritt neuer Anbieter, Gefahr
durch Ersatzprodukte, Verhandlungsstärke von Kunden und Verhandlungsstärke von
Lieferanten – werden im Folgenden detailliert vorgestellt.
120 7 Technologieanalysemethoden

Bedrohung durch
neue Anbieter

Verhandlungsstärke Wettbewerber
der Lieferanten der Branche
Lieferanten
Lieferanten Abnehmer
Abnehmer

Intensität der Verhandlungsstärke


Rivalität der Abnehmer

Bedrohung durch
Ersatzprodukte

Ersatzprodukte
Ersatzprodukte

Bild 7-32 Porter’s Five Forces [POR85]

7.4.1.1 Intensität der Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern


Rivalitäten unter den bestehenden Wettbewerbern finden in Form von Positionskämpfen
statt. Diese drücken sich in Taktiken wie Preiswettbewerb, Werbekampagnen, Einführung
neuer Produkte und verbesserten Service- und Garantieleistungen aus. In den meisten
Branchen wirken sich die Maßnahmen eines Unternehmens spürbar auf die Konkurrenten
aus und führen deshalb zu Vergeltungs- oder Gegenmaßnahmen. Die Rivalität in man-
chen Branchen wird mit Ausdrücken wie „kriegerisch“ und „erbittert“ charakterisiert,
während sie in andere Branchen als „höflich“ oder „vornehm“ beschrieben wird. Intensi-
ve Rivalität ist das Ergebnis einer Reihe von zusammenwirkenden strukturellen Faktoren:
x Zahlreiche oder gleich ausgestattete Wettbewerber
x Branchenwachstum
x Hohe Fix- und Lagerkosten
x Produktunterschiede
x Umstellungskosten
x Heterogene Konkurrenten
x Hohe Austrittsbarrieren

7.4.1.2 Gefahr des Markteintritts neuer Anbieter


Neue Marktteilnehmer bringen neue Kapazitäten und oft erhebliche Mittel in eine Bran-
che ein. Dadurch können die Preise heruntergedrückt oder die Kosten der etablierten
Wettbewerber erhöht und somit die Rentabilität gesenkt werden. Die Gefahr des
Markteintritts hängt von existierenden Eintrittsbarrieren sowie von den absehbaren Reak-
tionen der etablierten Wettbewerber ab. Sind die Barrieren hoch und muss der neue An-
bieter scharfe Gegenmaßnahmen der etablierten Anbieter erwarten, so ist die Gefahr des
Eintritts gering.
7.4 Ableitung einer Technologiestrategie 121

Es gibt mehrere wesentliche Ursprünge von Eintrittsbarrieren:


x Betriebsgrößenersparnisse (Economies of Scale)
x Produktdifferenzierung
x Kapitalbedarf
x Umstellungskosten
x Zugang zu Vertriebskanälen
x Absolute Kostenvorteile
x Staatliche Politik
x Erwartete Vergeltungsmaßnahmen

7.4.1.3 Bedrohung durch Substitutionsprodukte


Alle Unternehmer einer Branche konkurrieren irgendwie mit Branchen, die Ersatzproduk-
te, so genannte Substitute herstellen. Ersatzprodukte können das Gewinnpotential einer
Branche begrenzen, indem sie eine Obergrenze für die Preise setzen, welche die Unter-
nehmen verlangen können. Je attraktiver das von dem Ersatzprodukt angebotene Preis-
Leistungs-Verhältnis ist, desto mehr geraten die erzielbaren Gewinne der Branche unter
Druck. Ersatzprodukte zu ermitteln, verlangt die Suche nach Produkten, welche die glei-
che Funktion erfüllen. Dies gestaltet sich sehr schwierig, weil diese Ersatzprodukte mög-
licherweise in Geschäftszweigen zu finden sind, die mit der eigenen Branche scheinbar
wenig zu tun haben.

7.4.1.4 Verhandlungsstärke der Abnehmer


Die Abnehmer können einen Einfluss auf eine Branche haben, indem sie die Preise herun-
terdrücken, höhere Qualität oder bessere Leistung verlangen und Wettbewerber gegenein-
ander ausspielen, was insgesamt zu Lasten der Rentabilität geht. Die Stärke jeder wichti-
gen Abnehmergruppe hängt von bestimmten Merkmalen ihrer Marktsituation und dem
Anteil ihrer Käufe an den gesamten Verkäufen der Branche ab. Folgende Eigenschaften
kennzeichnen eine starke Abnehmergruppe:
x Die Abnehmergruppe hat einen großen Anteil an den Gesamtumsätzen.
x Die Produkte, welche die Abnehmergruppe von der Branche bezieht, bilden einen
signifikanten Anteil an den Gesamtkosten oder -käufen der Gruppe. In diesem Fall
sind die Abnehmer relativ preisempfindlich, was dazu führt, dass sie die Suche nach
günstigeren Angeboten mit großem Aufwand betreiben und bereit sind, selektiv zu
kaufen.
x Die Produkte, die der Abnehmer bezieht, sind standardisiert. Die Abnehmer können
also sicher sein, immer alternative Lieferanten zu finden und somit die Wettbewerber
gegeneinander ausspielen.
x Umstellungskosten, die bereits definiert wurden, binden den Abnehmer an den Liefe-
ranten. Umgekehrt steigt die Marktmacht des Abnehmers, wenn sich der Lieferant ho-
hen Umstellungskosten gegenüber sieht.
x Die Abnehmer können glaubwürdig mit Rückwärtsintegration, also der Übernahme
vorgelagerter Fertigungsstufen drohen und so Zugeständnisse aushandeln.
122 7 Technologieanalysemethoden

7.4.1.5 Verhandlungsstärke der Lieferanten


Lieferanten können ihre Verhandlungsstärke ausspielen, indem sie drohen, die Preise zu
erhöhen oder die Qualität zu senken. Mächtige Lieferanten können sogar die Rentabilität
von ganzen Branchen drücken, die nicht in der Lage sind, die Kostensteigerungen in ihren
eigenen Produkten weiterzugeben. Lieferanten sind unter folgenden Bedingungen stark:
x Die Lieferantengruppe wird von wenigen Unternehmen dominiert und ist stärker kon-
zentriert als die Branche, an die sie verkauft.
x Die gelieferten Produkte an die Branche haben keine Ersatzprodukte, die ihnen ihre
Position streitig machen.
x Wenn das Auftragsvolumen der Branche für den Lieferanten von relativ geringer Be-
deutung ist, neigt er dazu, seine Macht auszuüben.
x Die Einflüsse der Lieferantenteile auf Gesamtproduktionskosten sowie der Differen-
zierung des Endproduktes des Abnehmers sind bedeutend, so steigt auch die Ver-
handlungsstärke des Lieferanten.
x Hat die Lieferantengruppe ihre Produkte differenziert, so wird die Möglichkeit be-
schnitten, die Lieferanten aufgrund entstehender Umstellungskosten gegeneinander
auszuspielen.
x Die Lieferantengruppe kann glaubwürdig mit einer Vorwärtsintegration drohen, wo-
durch die Fähigkeit der Branche eingeschränkt wird, ihre Einkaufsbedingungen zu
verbessern.

7.4.2 Unterschiedliche Technologiestrategien


Zur Schaffung und Verteidigung von Wettbewerbsvorteilen bieten sich verschiedene
Technologiestrategien an. Im Wesentlichen sind vier Technologiestrategien samt Varian-
ten zu nennen:
x die Pionierstrategie,
x die Imitationsstrategie,
x die Nischenstrategie und
x die Kooperationsstrategie.
Während die Strategien des Pionier (so genannte „First“) und des ersten, schnellen Imita-
tor (so genannte „Fast Second“ oder „Follower“) einander ausschließen, können die bei-
den anderen Strategien sowohl miteinander als auch mit den beiden erstgenannten kombi-
niert werden. In den folgenden Abschnitten werden die Pionier- und Imitationsstrategie
veranschaulicht, verglichen und bewertet. Anschließend werden die in der Praxis häufiger
vorkommenden Varianten der Nischen- und Kooperationsstrategie vorgestellt.

7.4.2.1 First- versus Follower-Strategie


Die Pionierstrategie ist die Strategie der Technologieführerschaft, d. h. das Bemühen,
immer als erste technische Innovationen am Markt durchzusetzen. Die Suche nach tech-
nischen Innovationen ist dabei nicht nur auf Produkte beschränkt, sondern auf den gesam-
ten Bereich der Wertschöpfungskette zu erweitern, so dass auch Prozessinnovationen mit
eingeschlossen sind. Diese Technologiestrategie kann daher sowohl die Kostenführer-
schafts- als auch die Differenzierungsstrategie am Markt unterstützen.
7.4 Ableitung einer Technologiestrategie 123

Unternehmen, welche die Imitationsstrategie verfolgen, lernen aus den Erfahrungen des
Pioniers und orientieren sich stärker am Markt. Betrachtet man die Verhältnisse zweier
Wettbewerber mit unterschiedlichen Timingstrategien in einem Markt schematisch über
die Zeit, so wird der Vorteil des Pioniers ersichtlich, Bild 7-33.

Vorteile Nachteile
• Ruf als Pionierunternehmen • Pionierkosten
• Vorerwerb einer attraktiven Produkt- oder – Produktionserlaubnis
Marktposition
– Auflagen
• Umstellkosten beim Anwender
– Kundenschulung
• Lernkurveneffekte (Erstrealisierung)
– Infrastrukturaufbau
• Bevorzugter Zugang zu Anlagen, Inputs
und anderen knappen Ressourcen – Ressourcenerschließung
• Bestimmung von Standards/Normen – Entwicklung von Komplementärprodukten
• Erlangung institutionellen Schutzes • Nachfrageunsicherheit
gegen Imitatoren (Patent) • Änderungen in den Kundenbedürfnissen
• Abschöpfung von Konsumentenrente
• Gefahr durch technologische Diskontinuität
• Gefahr durch Niedrigkostenimitatoren

Bild 7-33 Vor- und Nachteile einer Technologieführerschaft [POR85]

Für lange Zeit kann er am Markt wie ein Monopolist auftreten, d. h. die gesamte Nach-
frage absorbieren und später über den Erfahrungskurveneffekt seine Marktführerschaft
nachhaltig sichern. Diesem Vorteil steht das vergrößerte Risiko eines verfrühten Markt-
eintritts und unausgereifter Produkte gegenüber, worin die Chance des Imitators liegt.
Aber dieser hat nur noch immer kürzer werdende Amortisationszeiten für seine Entwick-
lungsaufwendungen zur Verfügung. Zwar wurden die Entwicklungskosten des Followers
in der Vergangenheit als wesentlich niedriger als beim Pionier eingeschätzt, jedoch ist
davon nicht immer auszugehen. Die Strategiewahl „First versus Follower“ ist also nicht
für alle Fälle generell zu entscheiden.

7.4.2.2 Nischen- und Kooperationsstrategien


Nischenstrategien sind auf das Besetzen möglichst wettbewerbsarmer, aber sehr lukrativer
Marktsegmente ausgerichtet. Bei der Nischenstrategie wird versucht, am Markt unauffäl-
lig Gewinne zu erzielen, um keine Konkurrenz anzulocken. Kooperationsstrategien hin-
gegen haben als Basis eine Lizenzpolitik mit Hilfe verschiedener Formen des Venture
Managements (Venture = Wagnis) oder Allianzen.
Bei der Lizenznahme besteht die Möglichkeit, schnellen Zugang zu technischem Know-
how zu erlangen. Bei einer Lizenzvergabe können Einnahmen ohne eigenes Tätigwerden
erzielt werden. Beide Strategien besitzen unterschiedliche Chancen und Risikoprofile.
Venture Management gibt es in unterschiedlichen Formen. Beim Venture Capital wird
Kapital durch Großunternehmen an junge High-tech-Unternehmen zur Erteilung einer
„Windows On Technology“ vergeben. Ziel ist es, die Kapital- und Marktmacht des Groß-
124 7 Technologieanalysemethoden

unternehmens mit der Innovationskraft, einem speziellen technologischen Know-how und


der Flexibilität eines kleinen Betriebes zu kombinieren. Das Venture Nurturing gewährt
neben der Kapitalhilfe auch noch Managementunterstützung.
Beim Joint Venture schließen sich Unternehmen in einem gemeinsamen Forschungsunter-
nehmen zusammen. Joint Ventures werden dann gegründet, wenn die Kooperationspart-
ner bei spezifischen Innovationsvorhaben über keine oder nur geringe F&E-Kapazitäten
verfügen oder deren Kosten die Finanzkraft des einzelnen Unternehmens übersteigen.
Allianzen (Collaborative Ventures) realisieren Synergien und verteilen das Risiko zwi-
schen Großunternehmen, was jedoch oft einen gewissen Verlust an Managementautono-
mie mit sich bringt. Beispiele sind internationale Großprojekte der Luft- und Raumfahrt
wie Ariane oder Airbus.

7.5 Fazit
Die Globalisierung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass alle Bereiche des Marktes
einem dramatischen Veränderungsprozess ausgesetzt sind. Zunehmende internationale
Konkurrenz zwingt insbesondere technologieorientierte Unternehmen, eine signifikante
und nachhaltige Differenzierung ihrer Produkte aufzubauen. Die Differenzierbarkeit der
Produkte im Kundennutzen hat bei technologieintensiven Branchen wie der Automobilin-
dustrie ihren Ursprung in technologischer Einzigartigkeit. Die Entwicklung dieser dafür
notwendigen Technologien ist sehr ressourcenintensiv. Folglich ist eine genaue Analyse
der Technologien hinsichtlich ihres Potentials und ihrer strategischen Bedeutung uner-
lässlich.
Da jedoch jedes der vorgestellten Verfahren für verschiedene Anwender unterschiedliche
Vor- und Nachteile bietet, gibt es kein allgemein gültiges Konzept zur Analyse von Tech-
nologien. Vielmehr ist es für jedes technologieorientierte Unternehmen zwingend not-
wendig, auf Grundlage seiner Branchenstruktur, der Unternehmensziele sowie der daraus
abzuleitenden Wettbewerbsstrategien eine individuelle Analysekonzeption mit unter-
schiedlichen Methoden im Unternehmen zu etablieren, die allerdings eine die Entschei-
dungssituation berücksichtigende Flexibilität besitzen sollte.
125

8 Technologietrends Karosserie

Um den Stellenwert einer Technologiestrategie zu verdeutlichen, soll zuerst kurz auf die
Zielkonflikte in der Fahrzeugentwicklung eingegangen werden. Eine Übersicht über die
verschiedenen Anforderungen gibt Bild 8-1. Hier erkennt man, dass beispielsweise die
Gebrauchstüchtigkeit des Fahrzeugs durch die hohen Anforderungen an die passive Si-
cherheit eingeschränkt werden kann. In diesem Fall ist einerseits abzuwägen, welches
dieser Merkmale bei der anvisierten Zielgruppe bevorzugt wird, andererseits müssen die
zur Erreichung der gewünschten Eigenschaften notwendigen Technologien in ausreichen-
dem Umfang entwickelt sein und vom Unternehmen beherrscht werden.

Transport- Ressourcen-
leistung schonung

Umwelt-
freundlichkeit
Aktive
Antrieb Fahrwerk Sicherheit

Fahrzeugauslegung
Fahrzeug-
Wirtschaftlichkeit Karosserie übergreifende
Subsysteme
Qualität u.
Zuverlässigkeit

Gebrauchs- Komfort
tüchtigkeit
Passive
Sicherheit

Beispiele für Zielkonflikte

Bild 8-1 Zielsystem der Fahrzeuganforderungen

Die Karosserie stellt einen wesentlichen Teil des Fahrzeugs dar und bestimmt die grund-
legende Form und darüber auch das Einsatzgebiet. Es lassen sich zwei wesentliche
Einsatzgebiete für Fahrzeuge unterscheiden. Auf der einen Seite steht der reine Personen-
transport, auf der anderen der Gütertransport, Bild 8-2. Diese Transportaufgaben können
mittels Personen-, Lastkraftwagen und Bussen realisiert werden. Transporter und Groß-
raumlimousinen können mehrere Aufgabengebiete abdecken.
Bei der Auslegung von Nutzfahrzeugen wird der Erfüllung der Betriebsanforderungen ein
größerer Stellenwert als dem Aufwand bei der Herstellung beigemessen, während bei Per-
sonenkraftwagen Kriterien der Aufbaufertigung dominieren. Dies ist darauf zurück-
zuführen, dass bei Nutzfahrzeugen die Anschaffungskosten einen kleineren Teil der Ge-
samtkosten ausmachen als bei Personenkraftwagen.
126 8 Technologietrends Karosserie

Bild 8-2 Klassifizierung der Transportaufgaben

Der Aufbau eines Kraftfahrzeugs muss verschiedenen Anforderungen in Hinblick auf die
Funktion, den Betrieb, die Herstellung, die Auswirkungen auf die Umwelt und die mit
ihm verbundenen Emotionen genügen, Bild 8-3.

Fahrerplatz Transportleistung

Transportgefäß Funktion Betrieb Unterhaltskosten


Tragwerk Reparaturanfälligkeit,
Aufbau Kundendienst
Produktionsverfahren
Emissionen
Kosten Herstellung Umwelt
Material- und Recycling
Energieeinsatz
Emotion
Prestige Design

Zeitgeschmack

Bild 8-3 Anforderungen an den Kraftwagenaufbau

Die Gewichtung der einzelnen Anforderungen untereinander hängt dabei stark vom späte-
ren Einsatzgebiet ab. So sind die Anforderungsgebiete Funktion und Betrieb besonders
bei Nutzfahrzeugen hervorzuheben, wohingegen Emotion und Herstellung bei der Kon-
zeption und Auslegung von Pkw stärker gewichtet werden. Aufgrund der aktuellen Kli-
madiskussion sind die Anforderungen im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit für
Fahrzeuge in allen Einsatzbereichen als relevant einzustufen.
8.1 Karosseriebauweisen von Pkw 127

8.1 Karosseriebauweisen von Pkw


Bei der Auslegung von PKW-Karosserien stehen vor allem Aspekte der Raumökonomie,
der passiven Sicherheit und des Komforts im Vordergrund, Bild 8-4. Während die Raum-
ökonomie und der Komfort vom Kunden direkt wahrgenommen werden können, handelt
es sich bei den Anforderungen auf dem Gebiet der passiven Sicherheit oft um gesetzliche
Anforderungen. Die Merkmale der passiven Sicherheit sind für den Kunden meist nur
indirekt, beispielsweise über Testberichte von Verbraucherschutzverbänden wie NCAP,
zu erfassen.

Aufbaustruktur

Raumökonomie Passive Sicherheit Komfort

– Innenraum – Deformationscharakteristik – Akustik (höherfrequent)


– Länge
– Verzögerungsverlauf – niederfrequente Schwin-
– Breite
gungen
– Höhe
– Überlebensraum
– Kopffreiheit – Verwindungssteifigkeit
– Schulterfreiheit
– Ein- und Ausstieg
– Kofferraum
– Größe
– Form

Bild 8-4 Anforderungen an die Pkw-Aufbaustruktur

8.1.1 Karosseriebauformen
Es lassen sich insgesamt acht Karosseriebauformen unterscheiden, Bild 8-5. Dabei finden
insbesondere der selbsttragende Aufbau und die Space-Frame-Bauweise Anwendung bei
der Gestaltung von Personenwagen. Die Multi-Material-Bauweise, die mittragende Bau-
weise und der Gitterrohrrahmen eignen sich prinzipiell ebenfalls für Pkw, werden jedoch
weit weniger verwendet als die erstgenannten. Die für Personenwagen geeigneten Auf-
bauformen werden im Folgenden kurz vorgestellt. Rahmenaufbauten werden vorwiegend
für Lastwagen und schwere Geländewagen eingesetzt. Aus diesem Grund findet einen
genauere Betrachtung dieser Aufbauform im Kapitel 8.2.1 statt.
128 8 Technologietrends Karosserie

Aufbauform
Selbstragender
Rahmenaufbau
Aufbau

Hybrid-
Monocoque
Bauweise

Mittragender Multi-Material Space-Frame- Gitterrohr-


Aufbau Bauweise Bauweise rahmen

Bild 8-5 Karosseriebauweisen

Bildet die Struktur, die das Antriebsaggregat und das Fahrwerk aufnimmt eine Einheit mit
der Karosserie, spricht man von einer selbsttragenden Bauweise, Bild 8-6.

Bild 8-6 Selbsttragende Karosserie des Mercedes-Benz W203


8.1 Karosseriebauweisen von Pkw 129

Diese wird üblicherweise aus Stahl gefertigt. Es kann eine hohe Steifigkeit und Festigkeit
durch das verschweißte Bodenblech sowie eingebrachte Strukturelemente erreicht wer-
den. Dies ist besonders für die Sicherheitszelle von Vorteil, die den Fahrer und die ande-
ren Insassen umgibt. Vorderwagen und Fahrzeugheck können so gestaltet werden, dass
im Crashfall große Energiebeträge absorbiert werden können.
Bei der Fertigung selbsttragender Karosserien lassen sich hohe Automatisierungsgrade er-
reichen. Vorraussetzung hierfür sind allerdings große Investitionen in Press- und Um-
formwerkzeuge. Daher wird die selbsttragende Bauweise für Fahrzeugmodelle im oberen
Stückzahlenbereich eingesetzt. Für Änderungen bei der Modellpflege oder für die Ferti-
gung von Varianten werden erneute Investitionen notwendig, so dass die Rentabilität ins-
besondere bei variantenreichen Modellen stark sinkt.
Die mittragende Bauweise bildet eine Sonderbauform der selbsttragenden Karosserie.
Dabei werden Kunststoffaußenhäute auf eine selbsttragende Karosserie aufgesetzt. Die
mittragende Bodengruppe besteht ebenfalls aus Kunststoff und wird mit dem Chassis
verklebt und verschraubt. Durch den Einsatz von Kunststoffen ergibt sich im Vergleich
zur selbsttragenden Karosserie ein Gewichtsvorteil. Auch die Modellpflege wird erleich-
tert, da die Kunststoffaußenhaut einfach ersetzt werden kann. Ein ausgeführtes Beispiel
bildet der BMW Z1, dessen Karosserie in Bild 8-7 dargestellt ist.

Bild 8-7 Mittragende Karosserie des BMW Z1[BMW88]

Die mittragende Bauweise findet nur bei Kleinserienfahrzeugen Anwendung. Dies ist
darauf zurückzuführen, dass die Herstellkosten bei großen Stückzahlen steigen. Ebenso
wie bei der selbsttragenden Bauweise reduziert sich zudem mit steigender Variantenzahl
die Rentabilität. Insgesamt stellt die mittragende Bauweise eine Nischenanwendung mit
geringer Bedeutung für die Automobilindustrie dar.
130 8 Technologietrends Karosserie

Bei der Hybridbauweise wird die Karosserie aus zwei unterschiedlichen Materialien ge-
fertigt. Durch diese Kombination von beispielsweise Aluminium und Stahl kann ein op-
timales Achslastverhältnis, ein geringeres Gesamtgewicht bei hoher Steifigkeit und eine
verbesserte Gewichtsverteilung erreicht werden. Nachteilig zu bewerten ist, dass nur
durch eine aufwändige Konstruktion Kontaktkorrosion vermieden werden kann und inno-
vative Fügetechnologien notwendig sind. Zudem wirken sich die hohen Materialkosten
von Aluminium negativ auf den realisierbaren Fahrzeugpreis aus.
Space Frames hingegen bestehen aus Strangpressprofilen, welche die Fahrgastzelle wie
einen Sicherheitskäfig umgeben, Bild 8-8. Die Profile werden über Knotenpunkte mitein-
ander verbunden. Diese Knotenpunkte können beispielsweise als Gussteil dargestellt
werden.
Der Boden enthält in Längs- und Querrichtung eine stabile Trägerstruktur, die sich in
Vorder- und Hinterwagen mit zwei Längsträgern fortsetzt. Durch die Trägerstruktur lässt
sich auf einfache Art eine Modulbauweise realisieren. Die Sicherheitsfahrgastzelle wird
so ausgelegt, dass sich eine hohe Steifigkeit ergibt. Front- und Heckpartie müssen eine
hohe Energieaufnahme gewährleisten. Die Space Frame Bauweise ermöglicht selbst bei
der Verwendung von Stahl eine Gewichtseinsparung gegenüber der konventionellen
selbsttragenden Bauweise. Verwendung findet die Space Frame Bauweise beispielsweise
beim Audi A8.

Bild 8-8 Trägerstruktur der Space Frame Bauweise

Wie bei der selbsttragenden Bauweise lassen sich für verschiedene Einzelteile hohe Au-
tomatisierungsgrade erzielen, wobei die Investitionen für Umformwerkzeuge im Ver-
gleich relativ gering ausfallen. Auch hier lässt sich mit steigender Variantenzahl eine
8.1 Karosseriebauweisen von Pkw 131

sinkende Rentabilität beobachten. Soll zur Gewichtseinsparung Aluminium statt Stahl


verwendet werden, steigen die Materialkosten an. Außerdem lassen sich die Bleche der
Außenhaut bei der Modellpflege nicht einfach verändern.
Bei der Gitterrohrbauweise bildet ein Rahmen aus zusammengeschweißten Rohren das
Tragwerk, Bild 8-9. An diesem Gitterrohrrahmen werden die Aggregate, das Fahrwerk
und weitere Karosseriebauteile befestigt. Die Außenhaut wird auf die Rahmenstruktur
geplankt. Werden Aluminium- und Kunststoffbauteile verwendet, so lässt sich im Gegen-
satz zur selbsttragenden Bauweise eine deutliche Gewichtseinsparung erzielen.

Bild 8-9 Gitterrohrrahmen Wiesmann Roadster

Problematisch bei dieser Bauweise ist, dass die Tragstruktur im Crashfall undefiniert ver-
sagen kann. Das Energieabsorptionspotential ist bei geringen Profilquerschnitten als nied-
rig einzustufen. Bei steigender Stückzahl und wenigen Varianten steigen zudem die Her-
stellungskosten an, so dass sich die Gitterrohrbauweise nur für kleine Serien anbietet.
Bei der Multi-Material-Bauweise werden verschiedene Materialien kombiniert, um die
positiven Eigenschaften der einzelnen Werkstoffe gezielt einzubringen. Die verwendeten
Materialen werden so optimal an die jeweiligen Anforderungen angepasst. Dadurch kön-
nen Festigkeit und Steifigkeit der Karosseriestruktur sowie das Crashverhalten verbessert
werden und gleichzeitig das Rohbaugewicht gesenkt werden. Neben Stahl und Alumini-
um finden auch faserverstärkte Kunststoffe und Magnesium gezielt Verwendung.
Die Multi-Material-Bauweise ist sehr kostenintensiv, außerdem ergeben sich durch die
Vielzahl der eingesetzten Materialen Probleme beim Fahrzeugrecycling. Ebenso ist die
Verbindung der unterschiedlichen Materialien zum Teil schwierig, es bedarf einem hohen
Entwicklungsaufwand im Bereich der Fügeverfahren, was auch ein Grund für die geringe
Verbreitung dieser Technologie ist. Sie wird vorerst nur bei Nischenfahrzeugen im oberen
Preissegment Anwendung finden. Ein Ausführungsbeispiel ist der Aston Martin Van-
quish, Bild 8-10.
132 8 Technologietrends Karosserie

Bild 8-10 Multi-Material-Bauweise des Aston Martin Vanquish

Abschließend bietet sich die Möglichkeit eine Monocoques, d. h. die tragende Struktur
wird in einschaliger Bauweise gefertigt und nimmt über die weitestgehend geschlossene
Außenhaut die meisten angreifenden Kräfte auf. Das geringe Gewicht, die hohe Verwin-
dungssteifigkeit, der hohe Integrationsgrad und die erhöhte Sicherheit für die Fahrzeugin-
sassen stellen die Vorteile des Konzepts dar. Gegen den Einsatz spricht nur die aufwendi-
ge Fertigung und somit die wirtschaftlichen Risiken für den Großserieneinsatz.
Neben den heute etablierten Bauweisen wurden in den vergangenen Jahren insbesondere
mit Beteiligung von Stahlherstellern verschiedene Konzeptstudien entworfen, Bild 8-11.
Diese Konzeptstudien zielen auf die Verwendung von hochfesten Stählen und innovati-
ven Fertigungsverfahren zur Realisierung von Gewichtseinsparungen ab.
Zu diesen Fertigungsverfahren zählt z. B. das Innenhochdruckumformen (IHU). Beim
IHU werden Hohlprofile in eine Form eingelegt und mit einem inkompressiblen Medium
befüllt. Dieses Medium wird mit einem Druck beaufschlagt, wodurch sich das Hohlprofil
der Form anpasst. Anwendung finden auch Tailored Blanks, die verschweißte Material-
verbünde aus verschiedenen Blechen unterschiedlicher Stärke darstellen. So lässt sich
sowohl die Blechstärke als auch das gewählte Material den Anforderungen entsprechend
anpassen.
Dadurch ist es möglich, sich an weniger stark beanspruchten Stellen Material und damit
auch Gewicht einsparen. Auch werden die Vorteile von Sandwichtstählen, bestehend aus
einer von zwei Stahlblechen umgebenen Kernlage aus Schaumstoff genutzt. Der resultie-
rende Werkstoffverbund verfügt über sehr gute akustische Eigenschaften. Auch die Bie-
gesteifigkeit wird durch den Abstand zwischen den beiden Stahlblechen erhöht.
8.1 Karosseriebauweisen von Pkw 133

Bild 8-11 Konzeptstudien zum Stahlleichtbau

Durch den Einsatz der in den Konzeptstudien erprobten Bauweisen und Fertigungstech-
nologien gehen Studien von einem Gewichtseinsparpotential von 20 % bei der konventio-
nellen Schalenbauweise bei weitgehender Kostenneutralität aus, Bild 8-12. Schöpft man
alle Gewichtseinsparpotentiale aus, ist sogar eine Reduktion der Karosseriemasse von
35 % möglich.

Heutiger Kostenoptimierter Kostengünstiger,


Serienstand Stahlleichtbau gewichtsoptimierter
(Schalenbauweise) Stahl-Ultraleichtbau

Bild 8-12 Leichtbaupotentiale – Relation Gewichts/Kostenziele


134 8 Technologietrends Karosserie

8.1.2 Aufbauformen von Pkw


Einen Überblick über die klassischen Pkw-Aufbauformen gibt Bild 8-13. Neben Limou-
sinen, Kombis und anderen Standardaufbauformen werden heute zahlreiche neue Formen
angeboten.

Bild 8-13 Klassische Pkw-Aufbauformen

Einen besonders bekannten Vertreter dieser neuen Aufbauformen stellt das Sport Utility
Vehicle (SUV) dar. Fahrzeuge mit dieser Aufbauform lassen sich im Produktprogramm
von nahezu allen großen Fahrzeugherstellern finden.

8.2 Karosseriebauweisen von Lkw


Ebenso wie bei den Karosseriebauweisen von Pkw lassen sich für Lastkraftwagen Anfor-
derungen an die Aufbaustruktur formulieren. Einen wesentlichen Faktor stellt dabei die
Raumökonomie dar. Hier lässt sich zwischen der Ökonomie des Fahrerarbeitsplatzes und
der des Transportraums unterscheiden. Bei der passiven Sicherheit steht neben dem
Schutz des Fahrers vor allem der Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer im Vorder-
grund. Das Ziel der Rahmenauslegung ist die optimale Drehsteifigkeit. So verfügen Fahr-
8.2 Karosseriebauweisen von Lkw 135

zeuge, die ausschließlich für den Straßeneinsatz konzipiert sind, meist über einen dreh-
steifen Aufbau. Fahrzeuge, bei denen ein Geländeeinsatz angenommen wird, werden
hingegen drehweich ausgelegt, so dass bei einer diagonalen Achsverschränkung der Auf-
bau nachgeben kann, Bild 8-14.

Aufbaustruktur

Raumökonomie Passive Sicherheit Rahmenauslegung

– Rahmen, Aufbau – Rahmen – drehsteif für


– Laderaum – Unterfahrschutz geschlossene Aufbauten
– Art vorne
– Volumen oder Größe – Unterfahrschutz – drehweich für offene
– Masse hinten u. seitlich Aufbauten

– Fahrerkabine
– Fahrerkabine – Deformationscharak-
– Länge, Breite, Höhe teristik
– Schlafplatz – Verzögerungsverlauf
– Überlebensraum
– Crash-Ladungs-
verschiebung

Bild 8-14 Anforderungen an die Lkw-Aufbaustruktur

8.2.1 Karosseriebauformen
Lastkraftwagen werden üblicherweise auf einem Leiterrahmen aufgebaut. Der Begriff
Leiterrahmen resultiert aus den beiden Längsträgern, die durch Querstreben verbunden
werden, Bild 8-15. Hierbei ist das Transportgefäß vom eigentlich Tragwerk getrennt ver-
baut. Die Karosserie übernimmt somit keine tragende Funktion, sie wird lediglich auf den
Leiterrahmen aufgesetzt. Wie bereits erwähnt, wird für Fahrzeuge, bei denen ein Gelän-
deeinsatz vorgesehen wird, ein torsionsweicher Rahmen aus U-Profilen verwendet. Torsi-
onsharte Rahmen für Straßenfahrzeuge werden aus Hohlprofilen gefertigt.
Leiterrahmen eignen sich vor allem für eine variantenreiche Fertigung, da Änderungen
am Transportgefäß ohne Änderungen am Rahmen erfolgen können. Der eigentliche Rah-
men ist sehr belastbar und eignet sich daher auch für große Lasten. Im Vergleich zur
selbsttragenden Bauweise zeichnet sich der Leiterrahmen allerdings durch ein höheres
Gewicht aus. Sollen große Stückzahlen mit wenigen Varianten gefertigt werden, erweist
sich der Leiterrahmen als relativ teure Lösung.
136 8 Technologietrends Karosserie

Bild 8-15 Leiterrahmen für Lkw

8.2.2 Aufbauformen von Lkw


Bei den Aufbauformen von Lkw muss zwischen der Gestaltung des Fahrerhauses und des
Transportgefäßes unterschieden werden. Für die Fahrerhäuser existieren zahlreiche ver-
schiedenen Varianten. Haubenfahrerhäuser werden bei Baustellenfahrzeugen und zum
Transport von sehr schweren Gütern verwendet, Bild 8-16. Im Fernverkehr finden sich
Fahrerhäuser mit Schlafkabinen. Bei den beiden rechten Fahrerhäusern der Abbildung
handelt es sich um Ausführungen für Anhänger- und Sattelzugmaschinen im Nahverkehr.

Bild 8-16 Lkw-Fahrerhäuser

Auch bei den Transportgefäßen lassen sich je nach Anwendungszweck verschiedene For-
men unterscheiden. Vielzweck-Lastkraftwagen transportieren Güter auf offenen Prit-
schen- oder geschlossenen Kastenaufbauten. Anhängerzugmaschinen verfügen nur über
einen kleine Ladefläche, da sie primär dem Mitführen von Gelenk oder Starr-Deichsel-
anhängern dienen. Sattelzugmaschinen sind auf das Mitführen von Sattelanhängern aus-
gelegt, sie sind daher mit entsprechenden Vorrichtungen ausgerüstet. Speziallastkraftwa-
gen zeichnen sich durch besondere Aufbauten oder Einrichtung aus, die auf die ihre je-
weilige Transportaufgabe zugeschnitten ist, vgl. Bild 8-17 von links nach rechts.
8.2 Karosseriebauweisen von Lkw 137

Bild 8-17 Aufbauformen von schweren Nutzfahrzeugen

8.2.3 Anhänger
Nutzfahrzeuge werden häufig mit Anhängern kombiniert. In DIN 70010 werden ver-
schiedene Fahrzeugkombinationen beschrieben, Bild 8-18.

Personenkraftwagenzug
• Zusammenstellung aus einem Personen-
kraftwagen und einem Anhängefahrzeug

Gliederzug
• Zusammenstellung aus einem Lastkraftwagen
und einem Gelenk- oder Starr-Deichselhänger

Tandemzug
• Zusammenstellung aus einem Lastkraft-
wagen und einem Zentralachsanhänger

Sattelzug
• Zusammenstellung aus einer Sattelzug-
maschine und einem winkelbeweglich
ausgestatteten Sattelanhänger

Brückenzug
• Zusammenstellung aus einem Lastkraft-
wagen und einem Spezialanhänger

Bild 8-18 Fahrzeugkombinationen nach DIN 70010

8.2.4 Neue Konzepte


Auch im Bereich der Lastkraftwagen wird an neuen Konzepten gearbeitet. Beispielswiese
steht beim Iveco Road Concept die Verbrauchsoptimierung im Vordergrund. Am Trailer
wurden dazu die folgenden Optimierungen vorgenommen, Bild 8-19.
Der Trailer wurde verlängert, das zulässige Gesamtgewicht beträgt 40 bzw. 44 t und an
der Fahrerhausrückwand sowie als Heckabschlussverkleidung wurden aufblasbare Spoiler
138 8 Technologietrends Karosserie

montiert. Auch an der Zugmaschinen wurden leichte Optimierungen vorgenommen, diese


sind zum einen Reifen mit niedrigem Rollwiderstand, die Optimierung der Aerodynamik
der Zugmaschine und eine größere Bodenfreiheit.

Bild 8-19 Iveco Road Concept

Eine weitere Neuerung stellen die Road-Train-Konzepte dar. Hierbei handelt es sich um
überlange Lkw, welche die bis heute zulässige maximale Gesamtlänge von 18,75 m und
das zulässige Gesamtgewicht von 40 t überschreiten. In diesem Zusammenhang ist der so
genannte EuroCombi im Gespräch, der eine überlange LKW-Kombination mit bis zu
25,25 m Fahrzeuglänge und bis zu 60 t Gesamtgewicht darstellt. Die beiden Kombi-
nationen Sattelzugmaschine-Auflieger-Tandemanhänger sowie Motorwagen-Dolly-Auf-
lieger sind in Bild 8-20 dargestellt.

Bild 8-20 Varianten von EuroCombis

8.3 Karosseriebauweisen von Bussen


Wie schon bei den Pkw und Lkw sollen zuerst kurz die wesentlichen Anforderungen an
Busaufbaustrukturen erläutert werden, Bild 8-21. Diese ähneln stark den Anforderungen
an Pkw, da auch hier die Personenbeförderung im Vordergrund steht.
Unter die Raumökonomie fallen dabei neben den Abmessungen auch die Anzahl der
Sitze, sowie deren Anordnung und Abstand. Auf dem Gebiet der passiven Sicherheit wer-
den die Anforderungen, die schon beim Pkw als relevant erachtet wurden, um den Aspekt
der Fluchtwege erweitert. Wie auch bei den Pkw, bestehen hohe Anforderungen an den
Komfort für die Insassen.
8.3 Karosseriebauweisen von Bussen 139

Aufbaustruktur

Raumökonomie Passive Sicherheit Komfort

– Innenraum – Deformationscharak- – Akustik


– Breite teristik
– Höhe – Schwingungen
– Länge – Verzögerungsverlauf
– Platzangebot
– Bestuhlung – Überlebensraum
– Sitzanzahl nach Rollover-Test – Ein- und Ausstieg
– Sitzanordnung
– Sitzabstand – Fluchtwege

– Kofferraum
– Größe

Bild 8-21 Anforderungen an die Busaufbaustruktur

8.3.1 Karosseriebauformen
Die Anforderungen an die tragende Struktur sind geringer als bei Lastwagen, da die Zula-
dung geringer und kein Geländeeinsatz vorgesehen ist. Es wird ein geschlossener Aufbau
in Form eines biege- und torsionssteifen Gitterrohrrahmen aus Stahl und Edelstahl ge-
wählt. Mittragende, verklebte Scheiben erhöhen die Verwindungssteifheit, wodurch dün-
nere Dachpfosten möglich sind. Die Beplankung wird ebenfalls mit dem Rahmen ver-
klebt. Um ein einwandfreies Öffnen und Schließen der Türen auch bei maximaler Ver-
windung des Busaufbaus zu ermöglichen, werden zudem sehr steife Türrahmen verwen-
det. Bei Reisebussen kann der Platz unterhalb des Rahmenaufbaus als Kofferraum genutzt
werden.

8.3.2 Aufbauformen von Bussen


Bei Bussen lassen sich verschiedene Aufbauformen unterscheiden. Diese sollen im Fol-
genden kurz beschrieben werden:
x Kleinbussen sind Kraftomnibusse mit nur einem Deck, die maximal 17 Personen be-
fördern können
x Linienbusse sind Kraftomnibusse, die zur Beförderung in der Stadt und in Vororten
eingesetzt werden
x Überlandlinienbusse sind mit Kraftomnibussen vergleichbar, allerdings verfügen sie
nicht über Stehplätze
140 8 Technologietrends Karosserie

x Reisebusse sind Kraftomnibusse für längere Wegstrecken. Sie befördern aus-


schließlich sitzende Passagiere, ihr Komfort ist höher als bei andere Bussen
x Gelenkbusse bestehen aus 2 starren Teilen, die über einen Gelenkabschnitt win-
kelbeweglich miteinander verbunden sind
x Spezialbusse dienen der Beförderung von Personen, für die spezielle Vorrichtungen
erforderlich sind

• Kraftomnibus mit einem Deck


• Beförderung von max. 17 Personen möglich

Linienbus
• Kraftomnibus zur Beförderung im Stadt- und
Vorortlinienverkehr

Überlandlinienbus
• Kraftomnibus für den Einsatz im Überlandlinienverkehr
(ohne spez. Stehplätze)

Reisebus

Gelenkbus

Oberleitungsbus
• Kraftomnibus wird elektrisch angetrieben
• Fahrstrom wird aus Fahrleitung entnommen

Spezialbus
• Kraftomnibus zur Beförderung von Personen, für die
besondere Vorkehrungen erforderlich sind

Bild 8-22 Busaufbauformen

8.4 Plattformen und Module


Wie schon in Kapitel 1.2.5 erläutert, erweitern die Fahrzeughersteller ihr Produktpro-
gramm, um mehr Segmente und Nischen abdecken zu können. Bild 8-23 gibt eine Über-
sicht über die Entwicklung der Fahrzeugsegmente seit 1960. Es ist zu erkennen, dass die
Anzahl der Segmente kontinuierlich gestiegen ist.
Für die Hersteller bedeutet dieser Anstieg an Modellen und Varianten, dass pro Variante
weniger Fahrzeuge abgesetzt werden können. Man geht davon aus, dass die Kosten bei
einer Verdopplung der Varianten durch die Erhöhung der Komplexität um etwa 20 bis
30 % steigen [ADM98].
8.4 Plattformen und Module 141

Bild 8-23 Fahrzeugsegmente 1960–2000

Auch die Komplexität der einzelnen Modelle steigt stetig an. Die Erhöhung der Komplex-
ität zieht Kostensteigerungen an nahezu allen bei der Fahrzeugerstellung beteiligten Be-
reichen nach sich, Bild 8-24.
Verschärfend kommt hinzu, dass der Lebenszyklus der Modelle zunehmend kürzer wird.
Als Ergebnis dieser Tendenzen sehen sich die OEM mit steigenden Kosten pro Modell
konfrontiert.
Aufgrund der Marktsituation ist es den OEM nicht möglich, die tendenziell steigenden
Kosten an den Kunden weiterzugeben, vgl. Kapitel 1.2.3. Daher müssen andere Maß-
nahmen ergriffen werden, um den steigenden Kosten entgegenzuwirken. Hier kommen
Zusammenschlüsse und Kooperationen mit anderen OEM in Frage, um beispielsweise
Entwicklungskosten zu teilen. Auch die Produktstruktur muss einer Überprüfung unter-
zogen werden, um unrentable Produktlinien zu identifizieren und ähnliche Produkte zu-
sammenzufassen.
Auf der technischen Ebene soll die Verwendung von Gleichteilen sowie eine Teile- und
Materialstandardisierung zu einer Kostenersparnis führen. Die Zusammenarbeit mit den
Lieferanten soll in Richtung einer System-/Modulpartnerschaft vertieft werden, so dass
eine Konzentration auf die jeweiligen Kernkompetenzen möglich wird. Um diese Ziele zu
erreichen, werden Plattformstrategien und Modulbauweisen eingesetzt. Diese sollen in
den folgenden Unterkapiteln genauer erläutert werden.
142 8 Technologietrends Karosserie

F&E: 30 %

Einkauf: 10 %

Sonstige Kosten: Komplexitäts-


80 % kosten: 20 % Fertigung: 35 %

Logistik: 15 %

Vertrieb: 10 %

Bild 8-24 Komplexitätskosten

8.4.1 Plattformstrategie
Bereits in den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Plattformtechnik in der Au-
tomobilentwicklung und -produktion angewendet. Sie war bei Henry Ford das zentrale
Element, mit dem eine Vielzahl von Fahrzeugen produziert wurde. Ein Rahmen, an dem
das Fahrwerk montiert wurde, trug den Antriebsstrang. Auf dieser tragenden und bereits
fahrfähigen Plattform konnten die verschiedensten Aufbauten montiert werden. Hier ent-
standen sowohl Cabrios als auch Limousinen und Kleinlastwagen.
Auch heute wird unter einer Plattform eine Ansammlung von Komponenten verstanden,
die einen großen Funktionsbereich des Fahrzeugs abdecken, Bild 8-25.
Im Zusammenhang mit der Plattformstrategie treten immer wieder Begriffe auf, mit denen
die Zusammenhänge dieser Technik erklärt und dargelegt werden. Um diese Zusammen-
hänge besser nachvollziehen zu können, werden diese Grundbegriffe kurz erläutert und
ihre inhaltlichen Unterschiede bzw. Ähnlichkeiten dargestellt. Unter anderem werden
Fachwörter wie Baukastentechnik, Plattform, Gleichteil, Systemteil und Hut regelmäßig
verwendet, so dass auf eine Klärung dieser Begriffe nicht verzichtet werden sollte.
Bauteile, die für den Kunden optisch nicht zugänglich sind oder die für ihn keinen emo-
tionalen Wert darstellen wie z. B. Batterie oder Getriebe, können als sogenanntes Gleich-
teil realisiert werden. Man muss davon ausgehen, dass einige Bauteile wie z. B. ein Achs-
körper, der in zwei unterschiedlich großen Fahrzeugen gleichzeitig eingesetzt werden soll,
als Systembauteil (teilweise auch als Abstimmungsteil bezeichnet) ausgeführt werden
muss. Dies sind Bauteile deren Geometrie gleich ist, deren Abmaße jedoch variieren.
Der Begriff Hut wird im Rahmen der Plattformthematik regelmäßig verwendet und be-
zeichnet dabei den Aufbau eines Fahrzeugs. Man spricht beispielsweise bei den Fahrzeug-
modellen eines Konzerns, die auf einer Plattform entstehen, von Plattformfahrzeugen.
Jedoch werden die unterschiedlichen Karosserien der Automobile als „Fahrzeughut“
bezeichnet.
8.4 Plattformen und Module 143

Gleichteil
Abstimmungsteil
Breiten/
Längenanpassung
Bild 8-25 Komponenten einer Plattform

Nicht nur in dem Bereich der Automobilproduktion wird auf die so genannte Baukasten-
technik zurückgegriffen. Auch Werkzeuge, Vorrichtungen, Getriebe oder EDV-Anlagen
können auf diesem Konzept basieren. Grundelemente der Baukastenbauweise sind die
„Bausteine“, die auch als Module bezeichnet werden können. Zu diesen werden unter
anderem Geräte, Maschinen, Baugruppen oder einzelne Bauteile gezählt, die untereinan-
der verbunden werden können. Hierzu ist eine Normierung der Anschluss- oder Schnitt-
stellen nötig, damit ein harmonierendes Gesamtsystem entstehen kann. Als Abgrenzung
zu modularen Systemen ist die Fähigkeit der Baukastensysteme zu sehen, die es ermög-
licht, Bausteine unterschiedlicher Funktion zu integrieren, die wiederum an einen neuen
Baustein angebaut werden können.
Aufgrund der Ausführung eines Systems mit einem Baukastenkonzept ergeben sich hohe
Stückzahlen an Gleichteilen, die reduzierte Herstellkosten und verbesserte Prüfmöglich-
keiten bei erhöhter Qualität ermöglichen. Zudem erreicht man verkürzte Lieferzeiten,
geringere Lagerflächen und eine schnellere Beschaffung von Ersatzteilen. Deshalb hat das
Konzept der Baukastentechnik unter anderem beim Bau von Werkzeugmaschinen, Werk-
zeugen, Vorrichtungen und im Automobilbau Einzug gefunden.
Der Begriff Plattformstrategie beschreibt nun, wie weiter oben bereits angedeutet, die
Verwendung von Gleichteilen, die in mehreren Fahrzeugmodellen eines Herstellers
gleichzeitig eingebaut werden können. Dadurch erreicht man ein ausgeprägtes Redu-
zierungspotential im Hinblick auf Kosten, Logistik, Fertigungsprozesse sowie eine Erhö-
hung der Qualität.
144 8 Technologietrends Karosserie

Zusammengefasst bedeutet die Verwendung einer Plattformstrategie also:


x Vereinheitlichen von Komponenten oder Systemen im nicht sichtbaren Bereich
x Differenzieren in Bereichen, die der Kunde optisch oder physisch wahrnehmen kann
Durch die hohen Stückzahlen, die nun auf Gleichteilen beruhen, werden die Kosten bei
gleichzeitiger Steigerung der Qualität, die dem Kunden zu gute kommt, gesenkt. Hierbei
dürfen auch die Zulieferer nicht außer Acht gelassen werden. Nur mit ihnen zusammen
wird es möglich durch die Plattformstrategie Kosten, Qualität und Lieferströme zu opti-
mieren. Durch die frühzeitige Einbindung der Zulieferer in den Produkt-
entstehungsprozess ist für sie sogar eine Mitgestaltung der Produktdefinition möglich.
Nutzenaspekte, die sich aus der Umsetzung der Plattformstrategie ergeben, sind in Bild
8-26 dargestellt.
Als ein wesentlicher Aspekt einer konsequent umgesetzten Plattformstrategie ist die Fle-
xibilität anzusehen. Die Plattformen, die aus Gleichteilen, Systemteilen oder Modulen be-
stehen, müssen technisch auf einem aktuellen Stand gehalten werden, um so Neuerungen
mit sehr geringem Aufwand integrieren zu können. Zudem muss diese Integration in mög-
lichst kurzer Zeit erreichbar sein, damit sehr schnell auf neue Anforderungen des Marktes
reagiert werden kann. Hierdurch versucht man den Kundenwünschen, die einem ständi-
gen Wandel unterliegenden, weltweit flexibel entgegenzutreten. Dem Kunden stehen so
eine Vielzahl von Modellen zu günstigen Preisen und marktgerechten Modellwechselzyk-
len zur Auswahl.

Anpassung an differenzierte Kosten- und Aufwandsreduzierung Teileaustausch innerhalb


Anpassung an differenzierte Teileaustausch innerhalb
Kundenwünsche durch Nutzung weltweite Ressourcen des Konzerns
Kundenwünsche des Konzerns

Niedrige Kaufteilpreise Bessere


durch höhere Stückzahl Anlagenausnutzung

Nutzen der
Plattformstrategie

Geringerer Ent- Reduzierung der


wicklungsaufwand Teilevielfalt

Höhere Anlaufsicherheit durch Erhöhung der Flexibilität


Verringerung Nutzung von
Verringerung Erfahrungsnutzung zwischen den Werken Nutzung von
der Komplexität Skaleneffekten
der Komplexität Skaleneffekten

Bild 8-26 Nutzen der Plattformstrategie

Die allerdings notwendige Begrenzung der Produkt- und Variantenvielfalt, die einen we-
sentlichen Standpunkt der konsequent verfolgten Plattformstrategie einnimmt, wird durch
drei verschiedene Ansätze erreicht. Zum Einen wird versucht die Anzahl der einzelnen
Teilevarianten zu begrenzen, indem konzernweit konsequent Plattformteile Verwendung
finden und die Entwicklung dieser Teile nach bestimmten Regeln erfolgt. Zum Anderen
strebt man eine maximierte Gleichteileverwendung an. Dabei werden nicht notwendige
8.4 Plattformen und Module 145

Bauteilvarianten vermieden und durch so genannte Bestsellerteile ersetzt. Als dritter As-
pekt wird die wettbewerbsfähige Optimierung des Produktangebots angesehen. Dies wird
durch eine genaue Betrachtung des Marktes erreicht, die dazu führen soll, dass man er-
kennt welche Produkte auf dem Markt erfolgreich sind oder zukünftig sein können. Das
Produkt wird so besser auf die Wünsche des Kunden abgestimmt.
Im Rahmen einer verfolgten Plattformstrategie, d. h. durch die Verwendung von Gleich-
und Systemteilen, darf die Eigenständigkeit von Konzernmarken nicht verloren gehen.
Dies wird durch die Umsetzung einer Produkt-, Preis- und Regionaldifferenzierung er-
reicht. Zudem wird über die Organisation des Absatzes versucht, dem Kunden ein seinen
individuellen Ansprüchen entsprechendes Fahrzeug zu bieten. Eine Plattform, die für
mehrere Fahrzeuge gleichzeitig genutzt wird, muss die Möglichkeit bieten, eine Unter-
scheidung der einzelnen Konzernmarken zuzulassen. Dabei liegen Potentiale in den Be-
reichen des Design und der Optik eines Fahrzeugs. Hier kann durch die Variierung der
Fahrzeugabmessungen, des Innenraums, durch Karosserieveränderungen und durch ande-
re Materialauswahl eine Differenzierung des Produktes erreicht werden. Möglichkeiten
der Markenabgrenzung bestehen in den Bereichen der Motorenauswahl sowie der Getrie-
be- und Fahrwerksauslegung. Zudem kann durch den Einsatz von High-tech-
Komponenten und Zuordnung spezifischer Ausstattungsmerkmale zu bestimmten Fahr-
zeugen eine Differenzierung stattfinden.

8.4.2 Modulbauweisen
Unter einem (Montage-) Modul wird eine physische Einheit aus Einzelteilen, Kompo-
nenten, Teilsystemen beziehungsweise Subsystemen verstanden, die eine lokale Ab-
geschlossenheit bilden und als vorgefertigtes Gesamtteil über eine definierte Schnittstelle
in das Automobil verbaut werden können. Das Modul wird bereits funktionsgeprüft vom
Zulieferer angeliefert und muss somit keiner weiteren Fehlerprüfung unterzogen werden.
Beispiele für Fahrzeugmodule finden sich in Bild 8-27.

Bild 8-27 Modulare Fahrzeuggestaltung


146 8 Technologietrends Karosserie

Zu Beginn sollen die Differenzen zwischen Komponenten, Modulen und System genauer
aufgeführt werden, um hier eine Abgrenzung dieser „verwandten“ Begriffe zu bilden.
Unter einem Modul versteht man, wie im Vorfeld beschrieben, eine vormontierte Einheit
aus Teilen/Komponenten, die komplett ins Fahrzeug eingebaut werden kann. Dabei muss
diese Einheit keine übergreifende einheitliche Gesamtfunktion aufweisen. Komponenten
bezeichnen Bauteile, die in Systeme oder Module integriert werden können, ohne aufge-
teilt zu werden. Bei einem System werden verschiedene Teilfunktionen zu einer überge-
ordneten Gesamtfunktion zusammengefasst. Die Komponenten müssen dabei nicht zwin-
gend physisch zusammen montiert werden und können sich daher über mehrere Module
erstrecken. Teilweise gibt es Kongruenzen zwischen Modulen und Systemen, so lassen
sich beispielsweise Komplettsitze oder Abgasanlagen sowohl als System also auch Modu-
le auffassen, da sie sowohl räumlich zusammengehören als auch eine Gesamtfunktion
erfüllen. Um die Unterschiede zwischen Systemen und Modulen zu veranschaulichen,
sind in Bild 8-28 verschiedene Module und die daran enthaltenen Teilsysteme dargestellt.
Die Ziele der Modularisierung sind insbesondere in der Reduzierung der Produktkom-
plexität zu sehen. Variantenbestimmende Module können so ausgelegt werden, dass ver-
schiedene Fahrzeugvarianten aus einer geringen Anzahl dieser Bausteine zu-
sammengesetzt werden können. Dies setzt standardisierte Schnittstellen voraus. Des Wei-
teren soll die Anzahl der zu vereinheitlichten Komponenten erhöht werden. Durch modu-
lar strukturierte Produkte wird eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten in der Wert-
schöpfungskette ermöglicht. Marktrisiken können zwischen OEM und Modulzulieferer
aufgeteilt werden.

Modul Frontend Tür Aufhängung Cockpit Dach Sitz Heck Chassis Antrieb

System
Elektrik x x x x x x x x

Glassystem x x x

Sicherheitssystem x x x x

Motor/Getriebe x x

Federung x x x

Bremssystem x x x

Abgassystem x x

Einspritzsystem x

Kommunikation x x x x

Heizung/Klima x x x x

Bild 8-28 Systeme in Modulen

Zu den derzeit etablierten Modulen gehören vor allem Sitze und Schiebedächer. Modular
gefertigte Frontend-, Tür-, Achs- und Cockpitmodule kommen derzeit auf. In Bild 8-29
ist ein solches Cockpitmodul dargestellt. Zukünftig sollen auch Antriebsstrang-, Teilfahr-
zeug- und Gesamtkarosseriemodule realisiert werden.
8.4 Plattformen und Module 147

Instrumentenblock und -tafel


Lenkschalter Radioabdeckung

Querträger

Lenksäule Lärmschutz

Verkabelung
Pedalerie
Airbags

Bild 8-29 Cockpitmodul von SAS für BMW in Leipzig

Vergleicht man die Bauweise der verwendeten Anbauteile bei Frontendmodulen mit der,
wie sie herkömmlich angewandt wird, so ist festzustellen, dass hierbei die einzelnen
Komponenten bei der „konventionellen“ Bauweise auf der Hauptmontagelinie an den
Fahrzeugrohbau angebracht werden, Bild 8-30.

Motorhaubenschloss
Ventilator
Querträger

Kühler

Stoßfängerhülle
Frontendträger

Frontleuchte

Rammschutz

Bild 8-30 Aufbau und Komponenten eines Frontendmoduls [ATZ97]


148 8 Technologietrends Karosserie

Der Rohbau ist bei dieser Art der Fahrzeugfrontausführung vorne geschlossen, so dass die
Motorenmontage lediglich von oben oder unten am Fahrzeug möglich ist. Die Bereitstel-
lung der einzelnen Komponenten, die benötigt werden, erfolgte in der Vergangenheit
hierbei durch eine Vielzahl von Lieferanten.
Bei der heute verfolgten Modulbauweise werden möglichst viele Komponenten an ein
Trägerelement angebracht. So erreicht man für den Fahrzeugvorbau eine offene Front, die
einer leichteren Motorenmontage entgegenkommt. Aufgrund der Ausführung der gesam-
ten Einzelelemente als Modul ist eine Vormontage beim Zulieferer möglich. Dadurch kann
die Zahl der Lieferanten und damit die Komplexität in der Montage reduziert werden.
In Bild 8-31 sind die Anforderungen an Frontendmodule dargestellt, die den drei Ober-
begriffen passive Sicherheit, Montagefreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit, in der auch
die Recyclingfähigkeit wiederzufinden ist, zugeordnet werden können. Die An-
forderungen durch die Montage sind in Bild 8-32 aufgeführt. Abzuleitende Konse-
quenzen, die sich bei der Ausführung eines Frontendmoduls ergeben, sind dabei bei-
spielhaft dargestellt.
Neben der Recyclingfähigkeit umfassen die Anforderung an die Wirtschaftlichkeit weite-
re Aspekte. Bei der Herstellung sollten vorwiegend kostengünstige Ausgangsstoffe ver-
wendet werden, die einfach zu handhaben sind. Das Modul muss in Fließfertigung mit
kurzen Zykluszeit hergestellt werden können. Die Qualität der fertigen Module muss
reproduzierbar sein und auf hohem Niveau liegen. Hohe Ausschussraten sind zu vermei-
den. Einfach handhabbare Fertigteile mit guten Lager- und Transporteigenschaften er-
leichtern die Zusammenarbeit zwischen OEM und Zulieferer.

Recycling

Beherrschen der Kräfte


+ Einleitung in Großserientauglichkeit
Karosseriestruktur

Maximale Integration Minimale Herstellkosten

Resultierende Anforderungsbereiche

Passive Sicherheit Montagefreundlichkeit/ Wirtschaftlichkeit


Reparaturverhalten

Bild 8-31 Übersicht über Anforderungen an Frontendmodule

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Fahrzeughersteller den Einsatz von Sys-
temen und Modulen forcieren. Diese Systeme und Module werden in zunehmendem Maß
selbständig von Tier-1-Suppliern bereitgestellt, wodurch aus Sicht der OEM die Anzahl
8.4 Plattformen und Module 149

der direkten Lieferanten reduziert wird. Ziel dabei ist es, die Individualität einer Fahr-
zeugkleinserie bei gleichzeitiger Produktivität einer Großserienproduktion zu erreichen,
so dass trotz hoher Flexibilität von skalenökonomischen Vorteilen profitiert werden kann.
Durch die Isolation einzelner Funktionseinheiten kann zudem die Komplexität des Ge-
samtfahrzeugs reduziert werden, außerdem kann durch die Modularisierung zudem die
Endmontage optimiert werden. Dies ist z. B. auf die Reduzierung von Montagefehlern,
einer schnelleren Umsetzung von Lernkurveneffekten sowie einer Verkürzung der Durch-
laufzeiten zurückzuführen.

Anforderung Konsequenz

• Minimale Teilezahl in Endmontage • Minimale Teilezahl in Endmontage


• hohe Vormontagetiefe
• einfache Anbindung an Karosserie
• Minimale Anzahl von Befestigungs- • Integralbauweise
punkten • Teilekombination ohne zusätzliche
Befestigungselemente
• Vereinheitlichung von Befestigungs- • Verwendung von standardisierten
elementen Befesti gungselementen

• einheitliche Fügebewegung und • Verschraubung in Fügerichtung


Fügerichtung • möglichst translatorische Bewegung von
vorne anstreben

• Handhabungs- und montagegerechte • Fügehilfen ausbilden (Vaus , Schräge)


Ausbildung von Befestigungspunkten • Selbstzentrierung ermöglichen
• Zugänglichkeit für Greifer und Schrauber

Bild 8-32 Montageanforderungen an Frontendmodule

8.4.3 Modular Sourcing


Unter Modular Sourcing wird der Bezug von fertig produzierten Modulen durch die Her-
steller des Endprodukts verstanden. Es existieren verschiedene Strategien, um die Zuliefe-
rer bei der Modulproduktion zu integrieren:
x Eigenständige Entwicklung der OEM und anfänglich Produktion in House, danach
Vergabe an einen Zulieferer
x Die Vergabe von nichtmodularen Teilen an einen Zulieferer vor dem Übergang zu
modularem Design
x Simultane Einführung von modularen Design und Outsourcing
Durch das Modular Sourcing, dessen Vor- und Nachteile Bild 8-33 wiedergibt, steht der
OEM vor neuen Herausforderungen. Es müssen Lieferanten identifiziert und ausgewählt
werden, die in der Lage sind, die gewünschten Funktionsumfänge zu Entwickeln und zu
Fertigen. Die Beziehungen zu den Lieferanten müssen sinnvoll gestaltet werden und ihre
Leistung muss stetig beurteilt werden, um die gewünschte Qualität zu erreichen und zu
halten.
150 8 Technologietrends Karosserie

OEMs Zulieferer

Vorteile • geringeres Investitionsvolumen • zusätzliche Wertschöpfung


• weniger Qualitätskontrollen am • langfristige Lieferbeziehungen mit
Wareneingang und Ausgang hoher Planungssicherheit
• durch mehr Know-how beim • Aufbau von eigenem Know-how durch
Zulieferer sind mehr selbstständige Entwicklung von
Modulvariationen möglich Modulen
• Montagekomplexität nimmt ab
• geringere „Transaktionskosten“
(Kosten für Koordination werden
durch Lerneffekte gesenkt)
• Verkürzung der Montage- und
Lieferzeiten
• weniger Lagerhaltung

Nachteile • Abgabe von Know-how • Auslastungsrisiko kann steigen


• enge Bindung kann zu
Abhängigkeiten führen

Bild 8-33 Vor- und Nachteile des Modular Sourcing

Zudem ist der Integrationsprozess der Lieferanten zeitaufwändig und kostspielig, und der
Wissenstransfer zum Lieferanten birgt Risiken. Es kann nicht sichergestellt werden, dass
dieser das Wissen ausschließlich für die vorgesehen Zwecke nutzt. So ist es z. B. vorstell-
bar, dass das erlangte Know-how auch für die Produktion von Modulen für andere OEM
genutzt wird. Einen Überblick über die Vor- und Nachteile des Modular Sourcing für
OEM und Zulieferer gibt.
Betrachtet man die nach Modulen, Komponenten, Standardteilen und Rohstoffen geglie-
derten Zulieferungen an OEM, so lässt sich ein starker Trend weg von Komponenten und
Standardteilen hin zu Modulen beobachten, Bild 8-34. Analog zu diesem Trend steigt
auch der Wertschöpfungsanteil der Zulieferer. Während dieser 1990 noch 58 % betrug,
soll er bis zum Jahr 2015 auf bis zu 85 % ansteigen.
In Zukunft wird mit einer weiteren Zusammenfassung einzelner Strukturelemente der
Karosserie zu Modulen gerechnet. Die Gesamtfahrzeugmodularisierung muss dabei auf
die Karosseriestruktur abgestimmt sein. Die Schnittstellen zur Abgrenzung der einzelnen
Module sind entscheidend für die Fertigungsflexibilität neuer Fahrzeuge. Der Vormonta-
gegrad wird dabei wesentlich von der Definition der einzelnen Module bestimmt.
8.4 Plattformen und Module 151

100%
8,3 7
90% 8
13
80%

70%
42
60%

50% 57
40%

30%

20% 43

10% 22,2

0%
1993 2000

Module Komponenten Standartteile Rohstoffe

Bild 8-34 Automobilzulieferungen für europäische OEM

Die grundlegenden Anforderungen an Module sind dabei:


x Hohe Wirtschaftlichkeit der Produkte
(z. B. verwendete Materialien, Herstellverfahren, Verbindungstechniken, etc.)
x Maximale Funktionalität der Module
(z. B. Leichtbaupotential, Montagefreundlichkeit, Recyclingfähigkeit)
x Erfüllung der aktiven und passiven Sicherheitsvorgaben
(z. B. Deformationsverhalten, Energieabsorption etc.)
Dies setzt eine Erweiterung der Materialkenntnisse des Zulieferers um Gesamtfahrzeugs-
Know-how voraus. Auch die Entwicklungs-, Fertigungs-, und Montagefähigkeiten müs-
sen bei den Zulieferern nach Bedarf ausgebaut werden, um den Anforderungen der OEM
zu genügen.
152

9 Technologietrends Antrieb

Der Antrieb eines Fahrzeugs dient zur Umwandlung der mitgeführten, meist chemisch
gespeicherten, Energie in mechanische, die zum Vortrieb des Fahrzeugs genutzt werden
kann. Unter dem Begriff Antriebsstrang werden alle Komponenten zusammengefasst, die
zur Wandlung und Bereitstellung der Energie benötigt werden. Neben dem eigentlichen
Energiewandler, meist in Form eines Verbrennungsmotors, zählen auch die Getriebe,
Wellen und Kupplungen zum Antriebsstrang.
Die vom Antrieb bereitgestellte Energie wird dazu benötigt, die Fahrwiderstände zu über-
winden. Zu den Fahrwiderständen zählen:
x Beschleunigungswiderstand
x Steigungswiderstand
x Rollwiderstand
x Luftwiderstand
Diese Widerstände sind je nach Fahrzustand unterschiedlich groß. Bild 9-1 gibt einen
Überblick über die Größenordnung der einzelnen Widerstände bzw. der Relationen unter-
einander.

ei ˜ mF  m Zu ˜ a x  FZ ˜ p  fR  c w ˜ A ˜ UL ˜ v 2
Fa :Beschleunigungswiderstand
FBed
2 Fst :Steigungswiderstand
FL :Luftwiderstand
fR:Rollwiderstand
Fa
ei : Massenfaktor für i-ten Gang
Widerstandskraft F

Fst mF :Fahrzeugleergewicht
mZu :Zuladung
ax :Fahrzeuglängsbeschleunigung
FZ :Gewichtskraft Fahrzeug

FL p:Steigung
fR:Rollwiderstandsbeiwert
cW :Luftwiderstandsbeiwert
A:Stirnfläche des Fahrzeugs
UL :Dichte der Umgebungsluft
FR
v:Fahrzeuggeschwindigkeit
C ika V1/2-54.ds4
Geschwindigkeit v

Bild 9-1 Fahrwiderstände

Die Wandlung der chemisch gespeicherten Energie in nutzbare Antriebsenergie ist stark
verlustbehaftet. So betragen allein die thermischen Verluste durch Kühlung und Abgas
jeweils fast ein Drittel der eingebrachten Energie, Bild 9-2. Aber auch an anderen Stellen
lassen sich nennenswerte Verluste feststellen. Insgesamt können so nur 10 bis 15 % der
eingesetzten Energie in nutzbare Antriebsenergie umgewandelt werden.
8.4 Plattformen und Module 153

Bild 9-2 Verluste im Antriebsstrang eines Fahrzeugs

Sowohl bei Pkw als auch bei Nutzfahrzeugen werden verschiedene Motoranordnungen
realisiert. Bei Fahrzeugen mit Heckantrieb kann der Motor in der Fahrzeugfront, in der
Mitte, wie auch im Heck platziert werden. Bei Fahrzeugen mit Frontantrieb befindet sich
der Motor üblicherweise an der Fahrzeugfront. Weiter wird zudem zwischen längs bzw.
quer eingebauten Motoren unterschieden, Bild 9-3.

Bild 9-3 Motoranordnung bei PKW und leichten Transportern mit Frontantrieb
154 9 Technologietrends Antrieb

Fahrzeuge mit Allradantrieb spielen bei den meisten deutschen OEM keine herausragende
Rolle. Lediglich Porsche und Audi haben einen verhältnismäßig hohen Anteil an Allrad-
fahrzeugen bei ihren abgesetzten Fahrzeugen, Bild 9-4.

60 %

50 %
2004
40 %
2005
30 %

20 %

10 %

0%
e

se

ch e

at
1
BM er

C er

f
ss
A3

A4

A6

VW ol
91

ss
as

as
M W5
3

G
la

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di

di

e
Kl

Kl
-K

VW
Au

Au

Au

E-

S-
BM

rs
B

Po
M

Bild 9-4 Einbaurate Allradantrieb der deutschen OEM

100 %

90 %

80 %
Audi 33 % Audi 38 %

70 %

60 %

BMW 25 %
50 %
BMW 27 %
40 %

30 % VW 20 %
VW 20 %
20 %

MB 15 %
10 % MB 10 %
Porsche 7 % Porsche 5 %
0%
2004 2005

Bild 9-5 Marktanteile Deutscher OEM am deutschen Allradmarkt


9.1 Getriebe 155

Betrachtet man die Marktanteile der Allradfahrzeuge der deutschen OEM in Deutschland,
stellt man fest, dass Porsche trotz der hohen Einbaurate an Allradantrieben insgesamt nur
über einen sehr kleinen Anteil am Allradmarkt verfügt. Dies ist auf die geringen abgesetz-
ten Stückzahlen zurückzuführen. Der hohe Anteil von BMW ist auf die Erfolge der Mo-
delle X3 und X5 zurückzuführen. Die Position von Audi als der „quattro“-Marke ist abso-
lut marktdominierend, Bild 9-5.

9.1 Getriebe
Getriebe in Fahrzeugen wandeln das vom Antrieb erzeugte Drehmoment. Neben dem
Schaltgetriebe verfügen Fahrzeuge in den meisten Fällen noch über ein Achsgetriebe am
Differential, um das Antriebsmoment auf beide Räder einer Achse zu verteilen. In diesem
Kapitel werden jedoch die Schaltgetriebe betrachtet, die es ermöglichen, das vom Antrieb
erzeugte Moment dem aus der Fahrsituation resultierenden Momentenbedarf anzupassen.
Dabei wird zwischen Stufen- und Stufenlosgetrieben unterschieden, Bild 9-6. Stufenge-
triebe können nur eine begrenzte Anzahl an fest vorgegebenen Übersetzungen darstellen,
während bei stufenlosen Getrieben die Übersetzung kontinuierlich geändert werden kann.

Stufen-Getriebe Stufenlos-Getriebe
Doppelkupplungs -
Automatikgetriebe

Kettenwandler-
Klauengetriebe

Hydrostatische
Konventionelle

Wälzkörper-
Synchron-

Getriebe
getriebe
getriebe

getriebe
getriebe

Gangwechsel
manuell Drehmoment- und
Gangwechsel
Drehzahlwandlung
Gangwechsel automatisch
automatisch
automatisch

Mit Zugkraft-
Ohne Zugkraftunterbrechung
unterbrechung

Bild 9-6 Systematische Einteilung der Fahrzeugschaltgetriebe

Das mit Abstand am weitesten verbreitete Pkw-Getriebe ist das konventionelle Synchron-
getriebe, Bild 9-7. Hier wird das Moment von der Eingangswelle auf eine Vorgelegewelle
und von dort aus über die momentan geschaltete Zahnradpaarung auf die Ausgangswelle
übertragen. Beim Gangwechsel müssen die Drehgeschwindigkeiten von Vorgelege- und
Ausgangswelle auf das neue Übersetzungsverhältnis angepasst werden. Dies geschieht
über Synchronringe, die mittels Reibung die Drehzahl der Schaltmuffe der des Zahnrads an-
passen. Es existieren koaxiale Ausführungen, bei denen Ein- und Ausgangswelle auf einer
Achse liegen sowie deaxiale Getriebe mit Achsversatz. Ein automatischer Gangwechsel
ist theoretisch möglich, wird in der Praxis aber selten umgesetzt. Synchrongetriebe wer-
den meist mit Scheibenkupplungen kombiniert, die vom Fahrer betätigt werden müssen.
156 9 Technologietrends Antrieb

Deaxiale Bauweise, Bsp. Pkw Koaxiale Bauweise, Bsp. Pkw

Bild 9-7 Synchrongetriebe für Pkw

Konventionelle Automatikgetriebe basieren auf Planetengetrieben, die mittels Bremsen


und Kupplungen geschaltet werden. In der Regel werden mehrere Planetenradsätze ver-
wendet, um die gewünschte Anzahl an Gängen darstellen zu können, Bild 9-8. Als An-
fahrkupplung werden üblicherweise im Getriebe integrierte Drehmomentwandler einge-
setzt. Der Gangwechsel wird von der Getriebesteuerung durchgeführt, der Fahrer wird
von der Schaltaufgabe entlastet.

Bild 9-8 Konventionelle Automatikgetriebe


9.1 Getriebe 157

Beim Doppelkupplungsgetriebe handelt es sich um ein automatisiertes Schaltgetriebe. Es


besteht aus zwei Teilgetrieben. Das erste Getriebe enthält die Übersetzungen für die Gän-
ge 1, 3 und 5, dass zweite die Übersetzungen der Gänge 2, 4 und 6, Bild 9-9. Beide Teil-
getriebe können über eine Kupplung mit dem Antrieb verbunden werden. Beim Schalt-
vorgang wird der nächste Gang im jeweils anderen Teilgetriebe eingelegt. Der Momen-
tenfluss wird dabei über das Öffnen der Kupplung des momentan aktiven Teilgetriebes
und dem Schließen der Kupplung des anderen Teilgetriebes geändert. Daraus ergibt sich,
dass Schaltvorgänge nur sequentiell erfolgen können. Auf der Ausgangsseite werden die
beiden Teilgetriebe wieder zusammengeführt, so dass das Getriebe insgesamt nur über
einen Ausgang verfügt. VW vertreibt Doppelkupplungsgetriebe unter der Bezeichnung
Direktschaltgetriebe (DSG) in Großserie.

Bild 9-9 Doppelkupplungsgetriebe

Als stufenlose Getriebe werden im Fahrzeugbau Kettenwandler und Wälzkörpergetriebe


eingesetzt. Beide beruhen auf einer kontinuierlichen Veränderung des Abrollradius. In
Bild 9-10 sind beispielhaft ein Kettenwandler und ein Kegelringgetriebe dargestellt. Auf
hydrostatische Getriebe wird an dieser Stelle aufgrund ihrer geringen Bedeutung im Fahr-
zeugbau nicht weiter eingegangen.

Bild 9-10 links: Kettenwandlergetriebe, rechts: Kegelringgetriebe


158 9 Technologietrends Antrieb

Stufenlose Getriebe ermöglichen eine Einstellung des Übersetzungsverhältnisses ohne


Zugkraftunterbrechung. Die Übersetzung kann so frei auf die aktuellen Bedürfnisse ein-
gestellt werden. Dies ermöglicht es, den Motor in einem optimalen Betriebspunkt zu
betreiben. So können je nach Bedarf Leistung oder Verbrauch optimiert werden. Die
Komponenten der Getriebe sind wartungsfrei bzw. -arm, was der Wirtschaftlichkeit dieser
Getriebe zugute kommt. Im Vergleich zum konventionellen Automatikgetriebe lässt sich
durch den Entfall des hydrodynamischen Wandlers Gewicht einsparen. Stufenlose Getrie-
be werden z. B. von Audi unter dem Label Multitronic vertrieben.
Betrachtet man die Prognosen für die zukünftige Verteilung von Getriebe in Kraftfahr-
zeugen in Bild 9-11, wird deutlich, dass auch in Zukunft das manuelle, synchronisierte
Schaltgetriebe in Europa den größten Anteil der Getriebe ausmachen wird. Zusammen
kommen die automatisch schaltenden Getriebe nur auf einen Anteil von 28 %, wovon die
Hälfte auf konventionelle Automatikgetriebe entfallen soll. Der geringe Anteil der auto-
matischen Getriebe lässt sich auch darauf zurückführen, dass diese meist aufwändiger und
damit teurer sind als manuelle Getriebe. Dies schlägt sich natürlich auch in höheren Ver-
kaufspreisen der Fahrzeuge nieder, welche von der Kundschaft nicht immer akzeptiert
werden.

DSG Stufenlos
ASG 4% 3%
7%
Automatik
14 %

Manuell
72 %
Bild 9-11 Prognose für die Aufteilung der Getriebe in 2015 für Europa

9.2 Alternative Antriebe


Aufgrund der aktuellen Klimadiskussion, einer stetigen Verschärfung der Emissionsvor-
schriften und den beständig steigenden Kosten für Rohöl und somit Benzin und Diesel
besteht Interesse an Alternativen zu diesen Kraftstoffen sowie an alternativen Antriebs-
konzepten, die mit einem verringerten Kraftstoffbedarf oder sogar ganz ohne fossile
Kraftstoffe auskommen. Dieses Kapitel beschäftigt sich daher sowohl mit den alternativen
Kraftstoffen als auch mit neuen Antriebskonzepten wie dem Hybridantrieb oder der
Brennstoffzelle.
9.2 Alternative Antriebe 159

9.2.1 Alternative Kraftstoffe


Unter alternativen Kraftstoffen werde solche verstanden, die nicht auf Mineralöl basieren
und heutige Kraftstoffe ersetzen können. Bild 9-12 gibt einen Überblick über die heute
diskutierten alternativen Kraftstoffe. Von diesen werden Biodiesel, Bioethanol, Erdgas
und Wasserstoff genauer betrachtet.
Biodiesel stellt eine attraktive Alternative zu herkömmlichem Diesel dar. Aus ökologi-
scher Sicht ist die Verwendung von Biodiesel interessant, da die Verbrennung dieses
Kraftstoffs den Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre nicht erhöht. Grund hierfür ist,
dass die Pflanze, aus der der Kraftstoff gewonnen wird, während ihrem Wachstum im
Idealfall in etwa die gleiche Menge CO2 aufnimmt wie bei der Verbrennung freigesetzt
wird. Durch die Verwendung von Biodiesel können der Kohlenmonoxidausstoß, die Par-
tikelemission und die Emission von polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen
gesenkt werden. Der Kraftstoff ist ungiftig und biologisch abbaubar, was bei Unfällen
oder Leckage des Kraftstoffsystems von Vorteil ist. Die Zündwilligkeit und die Schmier-
fähigkeit sind als zufriedenstellend einzustufen, auch der Verbrennungsablauf kann durch
den hohen Sauerstoffanteil verbessert werden.

BIODIESEL Verbindung aus Fettsäure, Alkohol und Methanol. Gehört zur Gruppe der fatty
(Pflanzenmethylester) acid methyl ester, Einsatz in Dieselmotoren

BIOETHANOL Leicht entzündliches Produkt der alkoholischen Gärung, eignet sich sehr gut als
(aus Zucker und Stärkepflanzen) Ottokraftstoff

BIOETHANOL Die biomechanische Umwandlung von Zellulose aus Stroh und Bioresten zu
(aus Lignozellulose) vergärbarem Zucker ist noch im Laborstadium

BIOMASS TO LIQUID Diesel-Ersatzkraftstoff aus Biomasse, Pflanzenmaterial wird bei Herstellung


(BTL, Sun-Fuel) komplett verwertet

ERDGAS Überwiegend aus Methanol bestehend, wird wegen seiner geringen Dichte in
(compressed natural gas, CNG) Drucktanks gespeichert (ca. 200 bar)

FLÜSSIGGAS (liquified petroleum Als Haushalts- oder Campinggas bekannt, lässt sich Autogas, unter 8 bar Druck
Gas, LPG, „Autogas“) verflüssigt, leicht handhaben

GAS TO LIQUID Aus Erdgas synthetisch erzeugt, Nutzung schon vorhandene Tankstellen /
(GTL, Syn-Fuel) Infrastruktur

COAL TO LIQUID Das seit 75 Jahren bekannte Verfahren zur Kohlenhydrierung wird mit
(CTL) steigenden Rohölpreisen wirtschaftlich interessant

WASSERSTOFF Als kohlenstofffreier Energieträger ist Wasserstoff klimaneutral. Allerdings muss


es erst erzeugt werden

Bild 9-12 Übersicht Alternative Kraftstoffe

Hergestellt wird Biodiesel in Deutschland vorwiegend aus Rapsöl, aber auch aus sekun-
dären Rohstoffen wie recycelten Ölen oder Fetten. Im Jahr 2005 wurde Raps in Deutsch-
land bundesweit auf einer Fläche von 650.000 Hektar angebaut. Je Hektar können etwa
1.500 Liter Pflanzenöl erzeugt werden. Damit lassen sich mit einem Dieselfahrzeug bei
einem Verbrauch von 7 l/100km bis zu 20.000 km im Jahr zurücklegen. Gleichzeitig
liefert ein Hektar Raps ca. 10,6 Liter Sauerstoff, was dem Jahresbedarf von 40 Menschen
entspricht.
160 9 Technologietrends Antrieb

Die Vermarktung von Biodiesel begann in den frühen 90er Jahren. Sowohl der Absatz als
auch die Produktionskapazitäten entwickelt sich zunächst zögerlich, erst seit 1997 lässt
sich ein überdurchschnittlicher Zuwachs verzeichnen, Bild 9-13. Die Entwicklung hängt
dabei auch mit der Kooperationsbereitschaft der Automobilindustrie zusammen, die eine
Herstellerfreigabe für die Verwendung von Biodiesel geben muss. Zur Zeit gibt es etwa
2,5 bis 3 Millionen Fahrzeuge, die über eine solche Freigabe verfügen. Bis 2003 wurde
Biodiesel hauptsächlich in Reinform vermarktet, mittlerweile gehen 40% des Absatzes an
die Mineralölkonzerne für die Beimischung zu mineralischem Diesel.

3.200
3.200

1180 3.000
1.200
2.800
1.100
2.600
1.000 2.400
2.000
900 2.200
810
800 2.000
1.800
700
1.600
600 550 1.400
500 1.200
450 1.200 1.109
400 1.000 953
340
800
300
600 558
200
100 100 130 400
249
100 45 60 175
10 25 200 100
0
´93 ´94 ´95 ´96 ´97 ´98 ´99 ´00 ´01 ´02 ´03 ´04 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bild 9-13 links: Biodieselabsatz, rechts: Biodiesel Produktionskapazität für Deutschland

Auch Bioethanol ist ein alternativer Kraftstoff für Ottomotoren. Er wird aus pflanzlichen
Rohstoffen wie Getreide, Zuckerrüben, Holz und sonstiger Biomasse gewonnen. Wie
beim Biodiesel ist der Verbrennung von Bioethanol weitgehend CO2-neutral, da das Koh-
lendioxid bereits beim Wachstum der Pflanzen der Atmosphäre entzogen wurde. Neben
der Reduzierung des CO2-Ausstoßes werden auch die Mineralölreserven geschont. Bio-
ethanol ist bis 2009 von der Mineralölsteuer befreit.
Der erste Anbieter von Bioethanolfahrzeugen in Deutschland war Ford. Der Aufpreis für
ein Flexi-Fuel-Vehicle (FFV) betrug nur 300 Euro. Das Fahrzeug kann mit jeder Misch-
ung aus Superbenzin und Bioethanol betrieben werden. Die technologischen Änderungen
zum reinen Benzinmodell fielen dabei gering aus. So wurden Ventile und Ventilsitze aus
härterem Stahl und alle kraftstoffführenden Teile aus besonders korrosionsbeständigem
Material gefertigt. Das Motormanagement erkennt das Benzin-Ethanol Verhältnis und
passt die Zündzeitpunkte dementsprechend an. Ein eigener Ethanoltank ist im Gegensatz
zu bivalenten Fahrzeugen nicht notwendig. Aufgrund der schlechteren Kaltstarteigen-
schaften von Ethanol stellt eine Zylinderblockvorwärmung das problemlose Starten bei
niedrigen Temperaturen sicher.
9.2 Alternative Antriebe 161

Jeder konventionelle Ottomotor lässt sich zudem prinzipiell mit Erdgas betreiben. Das
Erdgas wird in Tanks aus Stahl, Kohle- oder Glasfaser mitgeführt. In den Tanks herrscht
ein Druck von ca. 200 bar, der jedoch auf einen Einblasdruck von 10 bar reduziert werden
muss. Dabei sorgen mikroprozessorgesteuerte Gasverteiler dafür, dass die Einblasdüsen
jedem Zylinder die erforderliche Menge Erdgas zukommen lassen, Bild 9-14.

Füllanschluss
für Erdgas
Gasbehälter mit insgesamt
18 Kilogramm Fassungs-
vermögen

Einblasdüsen
für Erdgas

Druckregler mit
Drucksensor und
Motorsteuergerät für Abschaltventil
Benzinbetrieb

Bild 9-14 Systemanordnung Erdgasantrieb

Bei Erdgasfahrzeugen unterscheidet man zwischen mono- und bivalenten Fahrzeugen.


Monovalente Fahrzeuge werden nur mit Erdgas betrieben. Daher kann hier der Motor
optimal auf diese Betriebsart ausgelegt werden, was die Motorleistung sowie die Schad-
stoffemissionen verbessert. Bivalente Fahrzeuge können sowohl mit Erdgas als auch mit
Benzin betrieben werden. Die Antriebsart kann vom Fahrer gewählt werden, manche
Fahrzeuge schalten bei Bedarf selbständig um. Die Gastanks befinden sich bei bivalent
ausgelegten Fahrzeugen meist im Bodenbereich. Da noch nicht genügend Erdgastankstel-
len zur Verfügung stehen, erhöht die Möglichkeit des Benzinbetriebs die Flexibilität. Dies
ist zum Teil auch auf die geringe Verbreitung von Erdgasfahrzeugen in Deutschland zu-
rückzuführen. Der Anteil Deutschlands am Weltmarkt für Erdgasfahrzeuge beträgt nur
0,6 %, Bild 9-15.
162 9 Technologietrends Antrieb

Ende 2004 über 4 Millionen Erdgasfahrzeuge


Marktanteile:
Rest
Deutschland 0,6 % 13,1 %
3,3 % Brasilien
USA
21,3 %
Indien 5,1 %
Italien
10,5 %

15 % 31,1 % Argentinien
Pakistan 600.000

Bild 9-15 Weltmarkanteile Erdgasfahrzeuge

Legt man für das Jahr 2020 einen Benzinpreis von 2 Euro/l und für Compressed Natural
Gas (CNG) einen Preis von 1,3 Euro zugrunde, ergibt sich, dass sich der Mehrpreis für
ein Erdgasfahrzeug bereits bei einer jährlichen Fahrleistung von 4.000 km rentiert. Im
Jahr 2004/05 wurde der deutsche Markt für Erdgasfahrzeuge klar von Opel und Fiat do-
miniert. Andere Hersteller bieten zwar ebenfalls entsprechende Fahrzeuge an, spielen aber
nur Nebenrollen, Bild 9-16.

Marktanteile Erdgasfahrzeug-Neuzulassungen
in Deutschland 2004/2005

100
90
Marktanteil in [%]

80
70
60
50 2004
40 2005
30
20
10
0
Opel Fiat MB Volvo Rest
Bild 9-16 Neuzulassungen Erdgasfahrzeuge nach Herstellern
9.2 Alternative Antriebe 163

Neben den bisher dargestellten Kraftstoffen bietet sich auch Wasserstoff zum Betrieb von
konventionellen Verbrennungsmotoren an. Durch den Wasserstoffbetrieb lassen sich
nahezu alle Schadstoffemissionen vermeiden, so dass kein Katalysator mehr notwenig ist.
Nachteilig am Wasserstoffbetrieb ist die im Vergleich zum Normalbetrieb deutlich ver-
ringerte Motorleistung. Auch die Speicherung und Betankung mit Wasserstoff stellen sich
als problematisch heraus. Eine Infrastruktur für Wasserstoff fehlt ebenfalls. Wasserstoff-
fahrzeuge können bei BMW auf eine relativ lange Tradition zurückblicken. So wurden
die ersten Fahrzeuge bereits 1979 vorgestellt. Das aktuellste Modell, das auf den Betrieb
mit Wasserstoff ausgelegt ist, ist der BMW 745h, Bild 9-17 rechts.

Bild 9-17 Wasserstofffahrzeuge von BMW

Die Vor- und Nachteile einiger Kraftstoffe sind in Bild 9-18 zusammengefasst. Es wird
deutlich, dass mit allen neuen Kraftstoffsorten neben einigen Vorteilen auch eine nen-
nenswerte Zahl an Nachteilen einhergeht. Aufgrund dieser Tatsache lässt sich auch kein
eindeutiger Favorit unter den alternativen Kraftstoffen identifizieren.

LPG CNG/LNG Biodiesel


(liquefied petroleum gas) (compressed/ liquefied natural gas)

+ reduzierte Emissionen + reduzierte Emissionen + erneuerbare Energie


+ relativ günstig + Schutz der Erdölressourcen + biodegradierbar
+ gute Verwendbarkeit + gute globale Verteilung + Kohlenstoffdioxydreduktion um
ca. 40%
- mäßige Speicherdichte - schlechte Speicherdichte
- Sicherheit (unterirdische - zusätzlicher Verbrauch im Vergleich - niedriges Ersatzpotential
Lagerung) zu Diesel - Herstellungskosten ca. 0,90€/l
- erhöhte Trägerkosten - Erhöhte Kosten - 60% Energie für Herstellung
SynFuel Brennstoffzelle Verschiedene

+ reduzierte Emissionen + niedrige Emissionen ƒ Wasserstoff


+ erneuerbare Energie + hohe Effektivität ƒ Methanol
+ leise ƒ Äthylalkohol
+ flexibel anwendbar (Fahrzeug und
Logistik) ƒ Diesel/Wasser Emulsion
- weitere Entwicklung notwendig
ƒ Elektrizität
- Energieintensive Herstellung - noch nicht profitabel
ƒ Hybrid-elektrische
- erhöhte Kosten - fehlende Kraftübertragung
- Verwendbarkeit Wasserstoffanpassungsstruktur

Bild 9-18 Vor- und Nachteile einer Auswahl alternativer Kraftstoffe


164 9 Technologietrends Antrieb

Langfristig ist allerdings mit einer Abkehr von fossilen Brennstoffen zu rechnen. An
deren Stelle treten dann verschiedene Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Energien. Es
wird davon ausgegangen, dass zuerst synthetische Kraftstoffe, später auch Wasserstoff
die aktuellen Kraftstoffe ersetzen werden, Bild 9-19.

Erneuerbare

Erneuerbare
Wasserstoff
Energie/Biomasse

Energie
Synthetische Kraftstoffe
(schwefelfrei, aromatenfrei) Biomasse

Synthetische Kraftstoffe

Primärenergie
(schwefelfrei, aromatenfrei) Erdgas

Fossile
Konventionelle Erdgas
Kraftstoffe
(schwefelhaltig, Verbesserte Konventionelle Kraftstoffe
aromatenreich) (schwefelfrei, aromatenarm) Rohöl

Heute morgen

Bild 9-19 Entwicklung im Bereich der Kraftstoffe

9.2.2 Hybridantrieb
Der Hybridantrieb kombiniert einen konventionellen Verbrennungsmotor mit einem Elek-
tromotor. Dies setzt neben den eigentlichen Motoren auch Energiespeicher für beide An-
triebsarten voraus. Neben dem ohnehin installierten Kraftstofftank muss ein Fahrzeug mit
Hybridantrieb also noch mit einer Batterie ausgestattet sein. Unter den alternativen An-
trieben nimmt der Hybrid nach den mit Gas betriebenen Fahrzeugen den zweiten Platz
ein, Bild 9-20. Verschiedene Studien gehen von einem weiteren Wachstum der Hybridan-
teile aus. So soll der Marktanteil der Hybridfahrzeuge im Jahr 2015 bereits 10 % errei-
chen.
Die Anfänge der Hybridtechnologie reichen bis ins Jahr 1900 zurück. Auf der Weltaus-
stellung wurde damals der Lohner-Porsche präsentiert. Dieser verfügte über einen Ben-
zinmotor, der mit Hilfe eines Generators Strom für eine Batterie erzeugte, die wiederum
die Elektromotoren versorgte. Der Grundgedanke hinter diesem Fahrzeug war eine Erhö-
hung der Reichweite. Ortschaften konnten zudem ohne Geräusch- und Geruchs-
belästigung durchquert werden. Sowohl die Akkumulator- wie auch die Hybridfahrzeuge
mit Porsche-Radnabenmotor erreichten bis zum Ausklingen ihrer Ära um 1915 beachtli-
che Verkaufserfolge. Zur gleichen Zeit wurden weitere Elektrofahrzeuge entwickelt. So
z. B. der mit Benzin und elektrischer Energie betriebene Daimler-Porsche oder das Elekt-
romobil von Thomas A. Edison. Eine Prognose für die zukünftigen Marktanteile ver-
schiedener Antriebskonzepte bietet Bild 9-20.
9.2 Alternative Antriebe 165

Gasoline Engines Alternative


Drivetrains Gas & Hydrogen
67 %
12 % 5 % total

Hybrid
5 % total

Electric & Fuel Cell


2 % total

Diesel Engines
21 % (Source: Mercer for the year 2011)

Bild 9-20 Weltweite Marktanteile verschiedener Antriebskonzepte bei PKW in 2011

Heutige Hybridfahrzeuge stehen im Spannungsfeld zwischen Verbrauch, Aufwand und


Fahrspaß, Bild 9-21. Jedes Hybridfahrzeug muss sich in diesem Dreieck positionieren.
Dabei ist zu beachten, dass der Verbrauch durch den Einsatz der Hybridtechnologie ge-
senkt werden sollte. Der dazu benötige Aufwand darf aber nicht zu hoch sein, da die
Bereitschaft des Kunden, Mehrkosten in Kauf zu nehmen durch die zu erzielende Erspar-
nis durch den Minderverbrauch begrenzt wird. Leidet der mit dem Fahrzeug zu erzielende
Fahrspaß zu stark unter dem Einsatz der Hybridtechnologie, schreckt dies weitere Kunden
ab. Zweckmäßig ist also nur ein zielgerichteter Einsatz der Hybridtechnologie, bei dem
allen Anforderungen Berücksichtigung geschenkt wird.

Verbrauch

Fahrspaß Aufwand

Bild 9-21 Spannungsdreieck Hybridtechnik


166 9 Technologietrends Antrieb

Hybridantriebe lassen sich anhand ihrer Funktion und der Leistung der verwendeten
Elektromotoren klassifizieren, Bild 9-22. Beim Micro-Hybrid ersetzt eine riemenge-
triebene E-Maschine den konventionellen Generator. Dieser lädt die Batterie, aus der die
weiteren Nebenaggregate versorgt werden können. Daneben bietet er die Möglichkeit der
sogenannten Start-Stopp-Funktionalität. Betrieben werden kann diese Variante dann so-
wohl in 14 als auch in 42 V Bordnetzen, das Verbrauchssenkungspotential wird mit 8 %
angegeben. Diese Form des Hybrid findet sich z. B. im Citroen C3 Start-Stopp.

Bild 9-22 Hybridantriebe – Begriffsdefinition nach Funktion und Elektromotorleistung

Beim Mild-Hybrid sitzt die E-Maschine im Antriebstrang, üblicherweise auf der Kurbel-
welle, Bild 9-23.

E-Maschine

Bild 9-23 Anordnung der Komponenten beim Mild-Hybrid


9.2 Alternative Antriebe 167

Hierüber lassen sich neben der Start-Stopp- und Generatorfunktionalität auch die Re-
kuperation als Rückgewinnung der Bremsenergie als auch eine Boosterfunktion realisie-
ren. Bei der Boosterfunktion liefert die E-Maschinen für kurze Zeit eine Drehmoment-
unterstützung für den Verbrennungsmotor, so dass die Gesamtleistung des Systems über
der des Verbrennungsmotors liegt. Das Verbrauchssenkungspotential wird mit bis zu
20 % angegeben. Diese Technologie findet sich beispielsweise im Honda Civic IMA.
Wie auch beim Mild-Hybrid sitzt die E-Maschine beim Full-Hybrid im Antriebsstrang.
Hier wird jedoch eine weitere Kupplung zwischen Verbrennungsmotor und E-Maschine
ergänzt, so dass der Verbrennungsmotor abgekoppelt und das Fahrzeug alleine mit der E-
Maschine betrieben werden kann. Ingesamt lässt sich so ein Verbrauchssenkungspotential
von bis zu 45 % darstellen. Sowohl der Toyota Prius als auch der Lexus RX 400h arbeiten
nach diesem Prinzip.
Neben der Unterteilung nach Funktion und Elektromotorleistung werden Hybridantriebe
auch nach ihrem Aufbau klassifiziert, Bild 9-24. Grundsätzlich lässt sich hier zwischen
Parallel-Hybriden, bei denen sowohl Verbrennungsmotor als auch E-Maschine mit dem
Antrieb verbunden sind, und Seriell-Hybriden, bei denen die Leistung des Verbren-
nungsmotors durch einen Generator komplett in elektrische Energie umgewandelt wird,
unterschieden. Neben diesen beiden Formen gibt es auch Misch-Hybride, bei denen die
Leistung sowohl an die Antriebsachse als auch an den Generator geleitet werden kann.

Bild 9-24 Klassifikation Hybridantriebe nach Aufbau

Fahrzeuge mit einem Parallelhybrid können sowohl konventionell als auch elektrisch an-
getrieben werden. Die von den beiden Aggregaten abgegebene Leistung wird mechanisch
überlagert. Hierzu existieren verschiedene Vorgehensweisen. Bei der Drehzahladdition
wird die Leistung der beiden Energiewandler über ein Planetengetriebe zusammengeführt.
Das Momentenverhältnis wird dabei durch die Geometrie des Getriebes bestimmt und
bleibt daher konstant, die Drehzahlen der beiden Maschinen können frei variiert werden.
Eine Momentenaddition lässt sich beim Einwellenhybrid durch die koaxiale Anordnung
beider Energiewandler auf einer Welle realisieren, beim Zweiwellenhybrid erfolgt die
168 9 Technologietrends Antrieb

Addition mit Hilfe von Stirnradgetrieben, Ketten oder Zahnriemen, Bild 9-25. Durch
diese Anordnung stehen die Drehzahlen in einem starren Verhältnis zueinander, die
Drehmomentabgabe der Wandler kann variiert werden. Der Fahrzeugantrieb kann dabei
rein elektrisch, rein verbrennungsmotorisch oder mit den addierten Momenten der beiden
Maschinen erfolgen. Die E-Maschine kann bei dieser Variante auch zur Rekuperation der
Bremsenergie oder zum Laden der Batterie während der Fahrt verwendet werden. Die mit
der Momentenaddition möglichen Betriebsarten lassen sich auch mittels der Zug-
kraftaddition darstellen. Bei der Zugkraftaddition werden die beiden Energiewandler auf
die beiden Fahrzeugachsen aufgeteilt. So wird beispielsweise die Vorderachse rein otto-
motorisch und die Hinterachse rein elektrisch angetrieben.

Bild 9-25 Parallelhybrid

Eine grundlegend andere Anordnung sieht der serielle Hybridantrieb vor. Die vom Ver-
brennungsmotor abgegebene Energie wird in elektrische Energie gewandelt und so an die
Räder übertragen. Hier werden die Fahrzeugräder also rein elektrisch angetrieben, der
Verbrennungsmotor ist mechanisch vollständig vom Rad entkoppelt, Bild 9-26.

Bild 9-26 Seriell-Hybrid


9.2 Alternative Antriebe 169

Im rein elektrischen Zwischenkreis befindet sich neben Generator und Antrieben auch
noch ein Energiespeicher, um Leistungsbedarfspitzen abdecken zu können. Die mechani-
sche Entkopplung von Rad und Verbrennungsmotor bringt den Vorteil mit sich, dass der
Motor in einem beliebigen Betriebspunkt gehalten werden kann. Hier kann z. B. ein
verbrauchsoptimaler Betriebspunkt gewählt werden. Demgegenüber stehen Wirkungs-
gradnachteile durch die mehrfache Energieumwandlung.
Aus der Kombination des seriellen und parallelen Hybrids ergibt sich der Mischhybrid.
Bei einem Misch-Hybrid ohne Leistungsverzweigung erfolgt die Leistungsübertragung
vom Verbrennungsmotor zum Rad je nach Kupplungsstellung rein elektrisch oder rein
mechanisch. Die Überbrückung des elektrischen Antriebsstrangs kann bei bestimmten
Betriebszuständen wie der Autobahnfahrt den Gesamtwirkungsgrad verbessern. Wird eine
Leistungsverzweigung verwendet, wird die Leistung des Verbrennungsmotors mittels
eines Planetengetriebes auf beide Stränge aufgeteilt. Vor dem Rad werden die beiden
Leistungsflüsse wieder addiert, Bild 9-27.

Bild 9-27 Mischhybrid

Ein Ausführungsbeispiel für einen leistungsverzweigten Mischhybrid stellt der Toyota


Prius 2 dar. Hier wird ein 4 Zylinder Benzinmotor mit 1,5 Litern Hubraum und 57 kW
Leistung mit einem Elektromotor mit 50 kW kombiniert. Bild 9-28 zeigt die erzielbare
Verbrauchsersparnis.

CO 2 CO2
120 g/km 140 g/km

Corolla (1.6 L)

1997 Prius
2000 Prius

0 2 4 6 8
Bild 9-28 Verbrauchs-
Fuel consumption (L/100 km, EC mode) ersparnis Mischhybrid
170 9 Technologietrends Antrieb

Aufgrund des hohen technischen Neuheitsgrads von Hybridsystemen streben viele Her-
steller Kooperationen an, um den individuellen Entwicklungsbedarf und die damit ver-
bundenen Kosten zu reduzieren. Eine Möglichkeit besteht in der Kooperation mit dem
momentanen Technologieführer. Auf dem Gebiet der Hybridfahrzeuge lässt sich momen-
tan Toyota als ein solcher auffassen. Daher ergeben sich einige Kooperationen zwischen
Toyota und anderen OEM wie beispielsweise Porsche, GM, Nissan oder Ford, Bild 9-29.
Neben dem angestrebten Technologietransfer zwischen Toyota und den anderen OEM
beinhalten diese Kooperationen oft noch weitere Komponenten. So wird bei der Koopera-
tion zwischen Toyota und Ford als Gegenleistung zum Hybridtechnologietransfer der
Transfer der Benzindirekteinspritzungstechnologie von Ford zu Toyota vereinbart.

• Technologietransfer zur • Kooperation in den • Kooperation seit • Kooperation über Patent-


Entwicklung des Porsche Bereichen September 2002 austausch
Cayenne Hybrid (Otto- Brennstoffzellen und • Kooperationsziel: 2003 • Ford erhält Erlaubnis zur
Hybrid) Hybridantriebe bis 2007 insgesamt Nutzung mehrere Paten-
• Nutzung des Hybrid- • Kooperation endet 100.000 Nissan-Hybrid- te zur Hybridtechnik,
systems aus dem Lexus 31.03.2008 Fahrzeuge Anwendung zu Beginn
RX 400h • Toyota liefert Kompo- im Ford Escape
• Hybridantrieb als Option nenten Hybrid-System, • Toyota erhält im
zur Einhaltung strenger Nissan übernimmt Gegenzug Lizenz für die
Abgasvorschriften, Motorentwicklung und Nutzung der „Disi“-Ben-
speziell im Kernmarkt Abstimmung zin-Direkteinspritzung
USA von Ford
• Erstes Produkt:
• Späterer Einsatz der Nissan Altima Hybrid
Hybridtechnik auch in
weiteren Modellen
vorstellbar

Bild 9-29 Kooperationen im Technologiefeld Hybrid mit dem Technologieführer

Neben der Zusammenarbeit mit dem Technologieführer Toyota gibt es auch Koopera-
tionen zwischen technologisch „gleichberechtigten“ OEMs. So wird z. B. in der Hybrid-
Allianz aus VW, Audi und Porsche ein Gesamtfahrzeug „Power Hybrid“ entwickelt, bei
dem besonderes Augenmerk auf das hohe Leistungspotential gelegt wird. Audi über-
nimmt in dieser Allianz eine federführende Rolle. Größere Anteile, wie die Entwicklung
des Elektromotors, werden dabei an Zulieferer ausgelagert.
Daimler, GM und BMW kooperieren ebenfalls auf dem Gebiet der Hybridtechnologie.
Ziel ist es, einen Two-Mode-Hybrid zu entwickeln. Dieser soll über zwei unterschiedliche
Betriebsmodi verfügen, die unterschiedliche Betriebsstrategien verfolgen, um den
Verbrauch sowohl im Stadtverkehr als auch bei höheren Geschwindigkeiten zu opti-
mieren. Um die Anpassung an markentypische Spezifikationen zu ermöglichen, wird ein
modulares System entwickelt. Zu diesem Zweck wurde ein Entwicklungszentrum in Troy,
Michigan etabliert, in dem 500 Ingenieure an der Erreichung der gesteckten Ziele arbeiten.
9.2 Alternative Antriebe 171

Auch auf Zuliefererebene findet eine Zusammenarbeit im Technologiefeld Hybrid statt.


So arbeiten ZF und ContiTeves an der Entwicklung aller relevanten Antriebssystemkom-
ponenten für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

9.2.3 Brennstoffzelle
Die Brennstoffzelle ist das einzige hier vorgestellte System, das völlig ohne Verbren-
nungsmotor auskommt. Brennstoffzellen erzeugen im Fahrzeug elektrische Energie durch
die Umsetzung von Wasserstoff zu Wasser. Diese elektrische Energie kann dann zum
Antrieb des Fahrzeugs verwendet werden. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der
Brennstoffzelle besteht in der Verwendung als „Auxiliary Power Unit“, welche die Ne-
benaggregate mit Strom versorgt. An dieser Stelle soll zuerst kurz das Funktionsprinzip
der Brennstoffzelle erläutert werden, Bild 9-30.

Protonen durchlässige
Membran (PEM)

Platinelektroden

Wasserstoffmolekül

Sauerstoffmolekül

Wassermolekül

Proton

Elektron

Bild 9-30 Funktionsprinzip einer PEM-Brennstoffzelle

Grundsätzlich wird die elektrische Energie in der Brennstoffzelle durch die Umsetzung
von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser erzeugt. Der zugehörige elektrochemische
Vorgang läuft kontrolliert innerhalb der Brennstoffzelle ab. PEM-Brennstoffzellen beste-
hen aus einer für Protonen durchlässigen Membran (Proton Exchange Membran, PEM).
Diese Membran trennt in der Zelle die Reaktionspartner Wasserstoff und Sauerstoff. Auf
der Anodenseite spaltet sich der molekulare Wasserstoff in seine Bestandteile, also Proto-
nen und Elektronen auf. Die Elektronen werden über einen Stromkreislauf geführt, die
Membran lässt allein die Protonen durch. Auf der Kathodenseite reagieren die Protonen
mit dem negativ geladenen Sauerstoff. Hier findet die Verbindung zu Wasser statt. Um
eine verwertbare Stromquelle zu erhalten, werden mehrere Einzelzellen in Reihe zu so ge-
nanten Stacks verschaltet.
172 9 Technologietrends Antrieb

Neben der Brennstoffzelle zur Bereitstellung elektrischer Energie verfügt der Brennstoff-
zellenantrieb noch über weitere Komponenten, Bild 9-31. Der Wasserstoff wird in ent-
sprechenden Tanks gespeichert und mitgeführt. Dieser wird vom Brennstoffzellenmodul
umgesetzt. Die erzeugte Energie wird durch die Power Distribution Unit nach Bedarf
verteilt. Das Systemmodul enthält einen Kompressor für die Luftzufuhr sowie Kompo-
nenten, die den Wasserhaushalt des Systems regeln. Verlustwärme wird über das Kühl-
system abgeführt. Abhängig von der Architektur des Systems wird in der Batterie mo-
mentan nicht benötige Energie gespeichert, so dass diese bei Bedarf wieder abgerufen
werden kann. Die Elektromotoren setzen die erzeugte und gespeicherte Energie in me-
chanische Energie zum Vortrieb des Fahrzeugs um.

Die Komponenten:

1. Kühlsystem
2. Elektromotor
3. Systemmodul
4. Brennstoffzellenmodul
7 5. Power Distribution Unit
6 6. Wasserstofftanks
4 5
3 7. Batterie
1
2

Bild 9-31 Komponenten eines Brennstoffzellenantriebs

Für die Brennstoffzelle haben sich drei unterschiedliche Basis-Architekturen herausge-


bildet. Bei der ersten Variante handelt es sich um ein reines Brennstoffzellenfahrzeug. Die
für den Antrieb benötigte Energie durch das Brennstoffzellensystem geliefert, es findet
keine Zwischenspeicherung in einer Batterie statt, Bild 9-32.

Variante A „BZ-Fahrzeug“:

Bild 9-32 Basisarchitektur Brennstoffzellenfahrzeug


9.2 Alternative Antriebe 173

Die zweite Variante wird als „Booster“ bezeichnet. Hierbei wird die erste Variante um
eine Batterie erweitert, in der die überschüssige Leistung der Brennstoffzelle zwischenge-
speichert werden kann, Bild 9-33. Dabei ist die Leistung der Batterie deutlich kleiner als
die installierte Brennstoffzellenleistung. Die gespeicherte Energie dient als „Booster“, um
Leistungsbedarfsspitzen abzudecken.

Variante B „Booster“:

Bild 9-33 Basisarchitektur Booster

Die dritte Variante, der Batterie-Lader, verfügt ebenfalls über eine Batterie. Im Gegensatz
zur Booster-Architektur ist die Leistung der Batterie hier deutlich größer als die des
Brennstoffzellensystems. Die Brennstoffzelle deckt hier nur die Grundlast für den An-
triebsbedarf ab und sorgt für die Ladungserhaltung der Batterie.

Variante C „Batterie-Lader“:

Bild 9-34 Basisarchitektur Batterie-Lader

Insgesamt bietet der Brennstoffzellenantrieb eine Reihe von Vorteilen. Abgesehen von
Wasser entstehen beim Betrieb keine weiteren Endprodukte der Energieumwandlung, so
dass der Brennstoffzellenantrieb als emissionsfrei angesehen werden kann. Auch der
Wirkungsgrad kann im Vergleich zu Verbrennungsmotoren erhöht werden. Der Elektro-
antrieb ermöglicht eine hohe Dynamik bei geräuscharmem Fahrbetrieb. Die Strom-
versorgung an Bord reicht aufgrund der Brennstoffzelle für weitere interne und externe
elektrische Verbraucher, wie z. B. eine Standklimatisierung. Über die verschiedenen Ver-
fahren zur Erzeugung von Wasserstoff bietet sich die Möglichkeit, unterschiedliche, vom
Mineralöl unabhängige, Energiequellen in den Verkehrssektor einzuführen.
Die Kraftstoffversorgung der Brennstoffzelle kann auf mehreren Wegen sichergestellt
werden. Die offensichtlichste Möglichkeit besteht darin, das Fahrzeug mit Wasserstoff zu
174 9 Technologietrends Antrieb

betanken, auf konventionelle Kraftstoffe zurückzugreifen und den Wasserstoff durch


einen Reformer im Fahrzeug zu erzeugen. Bild 9-35 vergleicht die einsetzbaren Kraftstof-
fe zum Betrieb einer Brennstoffzelle.
hoch

Benzin
700...1.100 °C
Methanol
technische Erfahrung

kompaktes Package
250...280 °C
Infrastruktur existiert
Wasserstoff weniger kompaktes
75...85 °C Package, höhere
Effizienz
einfaches System,
Speichersysteme Modifikation der
nicht ausgereift Infrastruktur nötig
neue Infrastruktur
benötigt

infrastrukturelle Erfahrung hoch

Bild 9-35 Vergleich der Kraftstoffe für den Brennstoffzellenbetrieb

Obwohl bereits fahrfähige Prototypen existieren, wird nicht mit einer direkten Marktein-
führung der Brennstoffzelle gerechnet. Eine indirekte Entwicklung zur Brennstoffzelle
wird als wahrscheinlicher angesehen. Denkbar sind hier Wege über den Hybridantrieb,
alternative Kraftstoffe oder den Einsatz der Brennstoffzelle als Auxiliary Power Unit,
Bild 9-36.

heutiger
+: Erfahrung mit der Technologie elektrischer Antrieb
Hybridantrieb
Verbrennungsmotor
–: Wasserstoff-Infrastruktur muss geschaffen werden
+: k
e
– : k ine k
ein ritis
An e dire chen
trie
bst kte V Leistu
ech er n
nol bindu gspro
ogi
en ng zu blem
e
Auxiliary
Power Unit

+: Infrastruktur für Erdgas kann auf Wasserstoff umgestellt werden


alternative – : keine Erfahrung mit elektrischen Antrieben
Fuel cell
Kraftstoffe

Bild 9-36 Entwicklung der Brennstoffzelle


9.3 Entwicklung der Antriebssysteme 175

9.3 Entwicklung der Antriebssysteme


Die weitere Entwicklung im Bereich des Antriebsstrangs unterliegt verschiedenen Ein-
flüssen. Auf der einen Seite spielen die technische Entwicklung und damit die tech-
nischen Möglichkeiten, die den Fahrzeugherstellern zur Verfügung stehen, eine ent-
scheidende Rolle. Auf der anderen Seite stehen gesetzliche Anforderungen in Form von
Emissionsvorschriften, die indirekt auch den Einsatz bestimmter Technologien forcieren,
sowie die Ansprüche, Vorstellungen und die Zahlungsbereitschaft des Kunden. Maßnah-
men, mit denen diese verschiedenen Anforderungen kurz- bis mittelfristig in Einklang
gebracht werden können sowie die damit verbundenen Kosten sind in Bild 9-37 aufge-
führt.

Technologie-Optionen CO2 -Einspar. Geschätzte Kosten


yQ Motor
Motor
yQ Einspritzsystem
Einspritzsystem –15 %bis
-15% bis–20%
–20 % 700 € bis
+ 700€ bis+1000€
+1.000 €
yQ Ventilsteuerung
Ventilsteuerung –10% bis
-10% bis–15%
–15 % + 250 €
250€
yQ Abgaskontrollsysteme
Abgaskontrollsysteme +2
+2%% + 100 €bis
+100€ bis3.500€
3.500 €
yQ Turboaufladung (down-sizing)
(down -sizing) –25 %
-25 % (Klasse
(Klasse 1)
1) + 20%
+ 20 %Motorkosten
Motorkosten
yQ Hybrid
Hybrid –11 %bis
-11% bis–20%
– 20 % +2.500 €bis
+2500€ bis+7000€
+7.000 €
yQ Brennstoffzelle
Brennstoffzelle 00%
% bis
bis-–66%% ?
yQ Alternative
Alternative Kraftstoffe
Kraftstoffe –10 %bis
-10% bis –19 %
–19% + 1.500
1500€ €
y Energiemanagement
Q Energiemanagement
yQ Zusatzsysteme –1 %bis
-1% bis–2%
–2 % +50 €
+50€
yQ Starter/Generator
Starter/Generator -–6
6%%bis–30%
bis –30 % +1.000 €
+1000€
y Antriebsstrang
Q Antriebsstrang
yQ Getriebekonzept
Getriebekonzept –3 %bis
-3% bis–18%
–18 % 260 € bis
+ 260€ bis+900€
+900 €
yQ Antriebsstrang-Automation
Antriebsstrang -Automation –3 %bis
-3% bis–15%
–15 % +100 €
+100€
Q Karosserie/Fahrwerk
y Karosserie / Fahrwerk
yQ Optimierung
Optimierung der
der Aerodynamik
Aerodynamik –4 %
-4% +1.500
+1500€ €
yQ Optimierung
Optimierung des
des Rollwiderstandes
Rollwiderstandes –2 %
-2% +100 €
+100€
yQ kompaktes
kompaktes Design
Design –4 %bis
-4% bis –7 %
-7% +1.600
+1600€ €

Bild 9-37 Technologie und CO2-Einsparung im Jahr 2010

In Bild 9-38 ist die prognostizierte Entwicklung der Marktanteile verschiedener alterna-
tiver Antriebssysteme dargestellt. Man geht davon aus, dass diese ihre Marktanteile auf
Kosten der konventionellen Verbrennungsmotoren erhöhen. Auch die Antriebssysteme
für alternative Kraftstoffe verfügen über wachsende Marktanteile. Einzig die Brennstoff-
zelle wird bis ins Jahr 2020 über keine nennenswerte Verbreitung erfahren. Diese Ent-
wicklung wird auch von der vorhergesagten Kostenstruktur der Antriebe im Jahr 2020
gestützt, Bild 9-39. Ottomotoren bilden demnach die kostengünstigste Basisausstattung,
die Aufpreise für Hybridantriebe gehen jedoch zurück. In Kombination mit der erzielba-
ren Betriebskostenersparnis werden die Hybridantriebe so zunehmend interessant. Dies
gilt auch für mit Gas betriebene Verbrennungsmotoren. Der Aufpreis für Brennstoffzel-
lenfahrzeuge bleibt überproportional hoch, auch die Betriebskosten befinden sich auf
hohem Niveau. Daher kommt der Brennstoffzelle nur eine geringe Bedeutung zu.
176 9 Technologietrends Antrieb

Marktanteile [%] Brennstoffzelle


100
ICE H2 / ICE CNG
90
80 Hybrid Diesel

70
ICE Diesel
60
50
Hybrid Benzin
40
30
20
ICE Benzin
10
0
2005 2010 2015
Bild 9-38 Entwicklung der Marktanteile alternativer Antriebssysteme

Für die OEM bedeutet die größer werdende Zahl an zur Verfügung stehenden Techno-
logien, dass diese eine Portfolio-Strategie entwickeln sollten, die besonders ihren Markt-
zielen und Wertvorstellungen entspricht. Mögliche Marktziele können dabei bestimmte
Regionalmärkte oder spezielle Kundensegmente sein. Bei den Wertvorstellungen wäre
z. B. eine Ausrichtung auf besonders günstige oder sparsame Fahrzeuge, aber auch auf
solche, die besonderen Fahrspaß versprechen, möglich.

Kosten Antriebsstrang 2005 [€] Kosten Antriebsstrang 2020 [€]


22.830 10.800

12.020 7.500
20.060
20060 7150
7.150
6.080 5.710 5.140 4.570
5.360 9.250
9250 4.320 4.450 3850
3.850
3650 800 1490
1.490 920
3.630 3310
3.310 2940
2.940 670
2.770 2590
2.590
860

Kraftstoff-Kosten 2005 [€/100km] Kraftstoff-Kosten 2020 [€/100km]


11,3
9,3 2,4* 11,7
10,4 10,8**
7,5 8,9 8,8**
6,8
6,0 7,9
5,1 5,1 1,5*
5,7
8,9
5,3

ICE ICE Hybrid Hybrid ICE ICE Brenn- ICE ICE Hybrid Hybrid ICE ICE Brenn-
Benzin Diesel Benzin Diesel CNG H2 stoffzelle Benzin Diesel Benzin Diesel CNG H2 stoffzelle

Bild 9-39 Kosten für die verschiedene Antriebsstrangvarianten (ICE: Internal Combustion Engine)
177

10 Technologietrends Fahrwerk

Zum Fahrwerk zählen vor allem die Teile des Fahrzeugs, die den Kontakt zur Straße her-
stellen. Neben den Rädern und der Radaufhängung gehören auch die Bremse und die
Lenkung zum Fahrwerk. Nach einer Betrachtung der Komponenten werden im Anschluss
integrierte Chassissysteme behandelt, die eine weitere Erhöhung von Sicherheit und Kom-
fort ermöglichen.

10.1 Radaufhängung
Bei der Radaufhängung wird ein längenveränderliches Element benötigt, um Un-
ebenheiten der Fahrbahn ausgleichen zu können. Hierzu werden Federn verwendet. Um
die von der Feder ausgehenden Schwingungen gering zu halten, werden Stoßdämpfer
genutzt. Stabilisatoren verhindern dabei eine Wankbewegung des Aufbaus.

10.1.1 Federung
Eine Übersicht über verschiedene im Fahrzeugbau verwendete Federelemente gibt Bild
10-1. Für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge werden überwiegend Schraubenfedern einge-
setzt. Schraubenfedern erlauben unterschiedlichen Kennlinien, so genannte Miniblock-
feder beanspruchen zudem nur geringen Bauraum.

Blattfeder
Blattfeder Drehstabfeder
Drehstabfeder Schraubenfeder
Schraubenfeder

C ika V 2/1.3-16

veränderlicher veränderliche veränderlicher


Windungs- Drahtstärke Windungs-
Durchmesser Abstand

-– hohe ertragbare
hohe ertragbareLast
Last -– geringer
geringer Bauraum
Bauraum - unterschiedliche
– unterschiedliche Federkennungen
Federkennungen
-– einfache Konstruktion -– gut
gut zu möglich
möglich
Vorteile einfache Konstruktion zukombinieren
kombinierenmit mit
-– Robustheit Längslenker-HA
Längslenker-HA - teilw.
– teilw. geringer
geringer Bauraum
Bauraum
Robustheit (z.B.
(z. B. Miniblock-Feder)
Miniblock-Feder)
Anwendungsbereich NFZ, Geländewagen
NFZ, Geländewagen leichte NFZ,
leichte NFZ, Kleinwagen
Kleinwagen alle Pkwund
alle PKW undleichte
leichte NFZ
NFZ

Rollbalgfeder/Luftfeder
Rollbalgfeder / Luftfeder Hydropneumatische Feder
Hydropneumatische Feder

-– hohe ertragbare
hohe ertragbareLast
Last - Niveauregulierung
– Niveauregulierung
Vorteile -– Niveauregulierung
Niveauregulierung
-– hoher Komfort
hoher Komfort
Anwendungsbereich NFZ, Oberklasse
NFZ, Oberklasse Mittelklasse, heute
Mittelklasse, heute ehereher
seltenselten

Bild 10-1 Übersicht Feder

Auch Drehstabfedern beanspruchen nur wenig Bauraum, was sie für den Einsatz in leich-
ten Nfz sowie in Kleinwagen interessant macht. Luftfedern werden wegen ihrem hohen
178 10 Technologietrends Fahrwerk

Komfort in Oberklasse-Pkw verwendet. In Nutzfahrzeugen werden sie aufgrund der ho-


hen ertragbaren Last sowie der Möglichkeit zur Niveauregulierung eingesetzt.
Die robuste und einfach konstruierte Blattfeder erträgt ebenfalls hohe Lasten und bietet
sich daher bei Gelände- und Nutzfahrzeugen an. Hydropneumatische Federn finden sich
in Mittelklasse-Pkw, sind aber heute nur noch sehr selten anzutreffen.
Federungselemente können anhand der Möglichkeit zur Beeinflussung von Federkräften
und Wegen klassifiziert werden, Bild 10-2. Passive Systeme, wie die Schrauben-, Dreh-
stab- und Blattfedern, lassen keine Beeinflussung des Federverhaltens zu. Bei geregelten
Systemen kann die Federkennlinie, bei aktiven Systemen auch der Federweg beeinflusst
werden. Bei aktiven Systemen ist allerdings der hohe Leistungsbedarf zu beachten. Je
mehr Freiheitsgrade zur Beeinflussung des Federverhaltens ein System bietet, umso kom-
plexer wird es. Dieser Anstieg der Komplexität ist mit einem Anstieg der entstehenden
Kosten verbunden.

Federungselemente Bild 10-2


Kategorisierung
Federungs-
elemente
passive geregelte aktive
Federungssysteme Federungssysteme Federungssysteme

Blattfedern Luftfedern Ausführungen mit


Hydraulikzylindern hoher
Torsionsfedern hydropneumatische
Federn Ausführungen mit Leistungsbedarf
Schraubenfedern Luftfedern

Komplexität/
Kosten

10.1.2 Stabilisatoren
Stabilisatoren sollen eine Wankbewegung des Aufbaus verhindern. Unter Wanken wird
ein Rollen des Fahrzeugaufbaus um die Fahrzeuglängsachse verstanden. Im einfachsten
Fall verbindet eine starre Stabilisatorfeder die beiden Radaufhängungen einer Achse mit-
einander Bild 10-3. Federt beispielsweise bei Kurvenfahrt das kurveninnere Rad aus und
das kurvenäußere ein, so erzeugt der Stabilisator ein Gegenmoment. Federn beide Seiten
ein, vollzieht der Stabilisator die Bewegung nach, ohne das Federverhalten zu beeinflus-
sen. Bei Geradeausfahrt tritt beim einseitigen Federn der unerwünschte Kopiereffekt auf.
Durch den Stabilisator wird die Einfederbewegung auch auf das ansonsten nicht beein-
flusste Rad übertragen.
Wie auch bei den Federn werden für Stabilisatoren aktive Systeme angeboten. Hier kann
die Aufbaubewegung durch die aktive Erzeugung eines Gegen-Wankmomentes reduziert
werden. Dazu wird das Torsionsrohr des passiven Stabilisators aufgetrennt und mit hy-
draulischen Aktuatoren verbunden. Als hydraulische Aktuatoren werden Schwenk- oder
Linearzylinder verwendet. Diese werden über eine elektrisch oder über den Riementrieb
10.1 Radaufhängung 179

angetriebene Hydraulikpumpe versorgt. Als Eingangsgröße für die Regelung wird der
Fahrzustand über die Querbeschleunigung und/oder den Lenkwinkel bestimmt. Die dafür
benötigten Sensorsignale werden häufig in Kombination mit anderen aktiven Systemen
wie ESP genutzt. Der aktive Stabilisator verfügt über ein eigenes Steuergerät mit einem
speziellen Regelalgorithmus. Hydraulikdrucksensoren werden zur internen Regelung ver-
wendet. Verfügt ein Fahrzeug über ein vollaktives Fahrwerk, ist ein aktiver Stabilisator
nicht mehr notwendig und kann entfallen.

Pendelstütze

Gummilager

Stabilisatorfeder
[Opel Senator]
C V2 / 1.6-4

Bild 10-3 Stabilisator

Das Dynamic Drive System von BMW verwendet einen aktiven, hydraulischen Stabili-
sator. Ein Schwenkmotor, der von ZF Sachs geliefert wird, verbindet die beiden Stabilisa-
torhälften und erzeugt so an Vorder- und Hinterachse ein dem Wankmoment entgegenge-
richtetes Moment. Hieraus ergeben sich fahrdynamische Vorteile. Neben der Reduzierung
des Wankmoments wird die Zielgenauigkeit der Lenkung sowie das Eigenlenk- und Last-
wechselverhalten verbessert. Durch das aktive System lässt sich der Stabilisator bei Gera-
deausfahrt entkoppeln, so dass der unerwünschte Kopiereffekt umgangen werden kann.
Außerdem können Federn und Dämpfer komfortabler ausgelegt werden. Um dem Fahrer
eine Rückmeldung über den Fahrzustand zu vermitteln, wird mit steigender Querbe-
schleunigung eine höhere Seitenneigung zugelassen, um den Grenzbereich anzukündigen.
Die dazu erforderliche Steuerelektronik stammt von ContiTemic.
Bei Fahrzeugen wie dem Porsche Cayenne oder dem VW Touareg werden aufgrund des
relativ hohen Fahrzeuggewichts sehr verwindungssteife Stabilisatoren benötigt, um die
Wankneigung zu reduzieren. Diese verwindungssteifen Stabilisatoren verhindern aller-
dings durch den Kopiereffekt die im Gelände gewünschte, erhöhte Achsverschränkung.
Dieser Auslegungskonflikt kann durch Stabilisatoren umgangen werden, deren Stabilisa-
torhälften durch eine unter Last schaltbare Hydraulikkupplung verbunden sind. Wird die
Kupplung geöffnet, ist ein Schwenkbereich der Stabilisatorarme um +/– 30 % möglich.
180 10 Technologietrends Fahrwerk

Das Active Body Control (ABC) System von Mercedes Benz zur Reduzierung der Wank-
bewegungen des Aufbaus kommt ganz ohne Stabilisator aus, was wiederum dem Abroll-
komfort zugute kommt. Realisiert wird das System mittels einem passiven Feder-
Dämpfer-System, dessen Anlenkungspunkt hydraulisch verstellt werden kann, Bild 10-4.

Bild 10-4 Active Body Control von Mercedes Benz

Neben der Wankbewegung kann das System auch weitere Aufbaubewegungen wie Ni-
cken und Hub kompensieren und niederfrequente Aufbauschwingungen dämpfen. Das
Fahrzeugniveau kann beladungsabhängig oder manuell verstellt werden, eine ge-
schwindigkeitsabhängige Niveauverstellung ist ebenfalls möglich. Die Fahrsicherheit
wird durch die aktive Stabilisierung des Fahrzeugs in Kurven und bei Notmanövern ver-
bessert. Das Fahrverhalten bleibt gutmütig und berechenbar, das Eigenlenkverhalten ist
neutral bis untersteuernd. Durch die aktive Steuerung des Systems lassen sich verschiede-
ne Kennfelder realisieren, die eine Ausrichtung auf Sport oder Komfort ermöglichen.

10.1.3 Stoßdämpfer
Wie zu Beginn des Kapitels bereits erwähnt, dienen Stoßdämpfer dazu, die durch die Fe-
derung hervorgerufenen Schwingungen zu reduzieren. Dabei wird zwischen der Schwin-
gung der ungefederten und gefederten Massen unterschieden. Zu den ungefederten Mas-
sen zählt das Rad mit seiner Aufhängung, zur gefederten Masse die Aufbauten des Fahr-
zeugs. Bei der Auslegung des Stoßdämpfers muss ein Kompromiss zwischen diesen bei-
den Anforderungen gefunden werden, Bild 10-5.
10.1 Radaufhängung 181

Die Aufgaben des


Stoßdämpfers

2. Die Schwingungen der


1. Die Schwingungen der
gefederten Massen auf
ungefederten Massen
ein erträgliches Maß
möglichst gering halten
reduzieren

Sicherheit Komfort

Optimaler Kompromiss der


Schwingungsdämpfung

Bild 10-5 Aufgaben des Stoßdämpfers

Die Reduzierung der Schwingungen der ungefederten Massen setzt eine harte Dämpfung
voraus und kommt besonders der Fahrsicherheit zu Gute, da die Schwankungen der Kon-
taktkraft zur Straße minimiert werden. Die Aufbauschwingungen können durch weiche
Dämpfer auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Schwingungen des Aufbaus werden
auf die Insassen oder das Ladegut übertragen, so dass eine Reduzierung dieser Schwin-
gungen den Komfort für die Insassen verbessert und das Ladegut schont.
Die in Kraftfahrzeugen verbauten Dämpfer basieren nahezu ausschließlich auf dem Prin-
zip der Flüssigkeitsreibung. Das Dämpferöl wird bei einer Federbewegung durch einen
mit Ventilen versehenen Kolben gepumpt, was eine geschwindigkeitsabhängige Gegen-
kraft hervorruft. Es wird zwischen Ein- und Zweirohrausfürungen unterschieden, Bild
10-6.

A rb e its z y lin d e r
Arbeitszylinder Kolbenstange
Kolbenstange
Arbeitsraum
A rb e its ra u m Stangendichtung
Stangendichtung
(Z u g s tu fe )
(Zugstufe)
Stangenführung
Stangenführung
D ru c k v e n til
Druckventil
Außenrohr
Außenrohr
K o lb e n
Kolben Arbeitsraum
Arbeitsraum
Z u g v e n til
Zugventil (Zugstufe)
(Zugstufe)
A rb e its ra u m
Arbeitsraum Kolben
Kolben
(D ru c k s tu fe ) Zugventil
(Druckstufe) Zugventil
T re n n k o lb e n
Trennkolben Arbeitszylinder
Arbeitszylinder
T re n n k o lb e n -
Trennkolben- Arbeitsraum
Arbeitsraum
a b d ic h tu n g
abdichtung (Druckstufe)
(Druckstufe)
G a s ra u m Ausgleichsraum
V2/1.3-31
V2/1.3-30

Gasraum
(A u s g le ic h s ra u m )
Ausgleichsraum
(Ausgleichsraum) Ventilboden
Ventilboden
Druckventil
Druckventil
C ika

C ika

Bild 10-6 Einrohrdämpfer (links) und Zweirohrdämpfer (rechts)


182 10 Technologietrends Fahrwerk

Der Einrohrdämpfer ist abgeschlossen, so dass er in jeder Lage eingebaut werden kann,
ohne dass Öl austritt. Das beim Einfedern des Dämpfers durch die Kolbenstange ver-
drängte Ölvolumen wird durch eine Gasfeder am Boden des Dämpfers ausgeglichen. Der
Zweirohrdämpfer verfügt an Stelle der Gasfeder über einen Ausgleichsraum im Mantel
des Dämpfers. Zweirohrdämpfer schließen nicht dicht, so dass diese nur einen gewissen
Einbauwinkel erlauben.

Semiaktives Fahrwerk mit


magnetorheologisch geregelten
Dämpfern.

Statt des herkömmlichen Dämpferöls


wird hier ein magnetorheologisches
Fluid verwendet, deren Viskosität
über ein elektromagnetisches Feld
beeinflussbar ist.

Elektromagnet

Bild 10-7 Magnetorheologische Dämpfer im Audi TT

Um den Auslegungskonflikt zwischen Fahrsicherheit und Komfort bei Stoßdämpfern zu


entschärfen, wurden aktive Stoßdämpfer entwickelt, bei denen sich die Dämpferkraft
individuell einstellen lässt. Ein solches System findet sich z. B. beim IDS-Fahrwerk der
Firma Opel. Hier wird ein elektronisch angesteuertes Proportionalventil als Bypass ver-
wendet. Wird das Ventil geschlossen, muss bei gleichem Einfederweg mehr Ölvolumen
10.2 Bremse 183

durch den Kolben strömen, wodurch der Dämpfer „härter“ wird. Dieses System wird
unter dem Namen Continous Damping Control (CDC) vertrieben. Einen anderen Ansatz
verfolgen rheologische Dämpfer. Hier werden die Dämpfereigenschaften über eine Ver-
änderung der Viskosität des Fluids eingestellt. Dazu werden Fluide verwendet, die ihre
Eigenschaften in Abhängigkeit des sie umgebenden elektrischen oder magnetischen Fel-
des ändern. Ein solches System, das beispielsweise im Audi TT eingesetzt wird, ist in
Bild 10-7 dargestellt.

10.1.4 Fazit Radaufhängungen


Aktive Feder- und Dämpfersysteme sind Stand der Technik und befinden sich im Serien-
einsatz. Ziel aktiver Fahrwerke ist die Umgehung des klassischen Auslegungskonflikts
zwischen Komfort („weich“) und Fahrdynamik und -sicherheit („hart“). Aktive Dämpfer-
systeme sind mittlerweile bis in die Kompaktklasse vorgedrungen, so ist der Opel Astra
beispielsweise mit einem CDC-System ausgestattet. Aktive Fahrwerke erfordern eine
Vielzahl von Sensoren, um die entsprechenden Systeme steuern bzw. regeln zu können.
Hydraulik spielt bei aktiven Fahrwerken als Medium zum Energietransport die wichtigste
Rolle. Aktive Fahrwerke kommen derzeit mit einem elektrischen 12/14 V Bordnetz aus,
aktive Luftfedersysteme können 42 V erfordern. Es existieren Konzepte für aktive Fahr-
werke, die auf elektronischen Aktuatoren beruhen. Aktive Luftfederfahrwerke, die ohne
Hydraulik auskommen, befinden sich zurzeit im Versuchsstadium.

10.2 Bremse
Die Betriebsbremse dient zur Verzögerung des Fahrzeugs. Das gängigste Verfahren hier-
zu ist die Umwandlung der kinetischen Energie in Wärme mittels Reibung. Bei Hybrid-
fahrzeugen kann die Bremsenergie zudem rekuperiert und zum Laden der Batterie ver-
wendet werden. Auch in Bremssysteme integrierte Funktionen wie ABS, ASR und ESP
und weitere Zusatzfunktionen werden behandelt. Bei Nutzfahrzeugen sind teilweise Dau-
erbremsanlagen vorgeschrieben, die auf anderen Wirkprinzipien beruhen. Auf diese wird
hier nicht weiter eingegangen.

10.2.1 Bremssysteme
Bremssysteme lassen sich grundsätzlich durch die Art der Erzeugung der Bremskraft
klassifizieren. Bei einem rein hydraulischen Bremssystem wird die am Bremspedal aufge-
brachte Bremskraft im Bremskraftverstärker verstärkt und vom Hauptbremszylinder über
die Bremsleitungen an die Radbremszylinder übertragen, Bild 10-8.
Diese übertragen die Bremskraft auf die Bremsbeläge, welche über die Bremsscheibe das
Rad verzögern. Für die Hinterachse werden Bremskraftbegrenzer eingesetzt, da aus fahr-
dynamischen Gründen ein Blockieren der Räder an der Hinterachse unter allen Umstän-
den zu vermeiden ist. Die Feststellbremse wirkt üblicherwiese nur auf die Räder der Hin-
terachse.
184 10 Technologietrends Fahrwerk

Hauptbremszylinder

Bremspedal

Handbremse

Bremskraftverstärker

Radbremszylinder Bremskraft-
Begrenzer

Bremsleitungen C ika V1/3-99.ds4

Bild 10-8 4-Rad-Scheibenbremsanlage eines Pkw

Bei der elektrohydraulischen Bremse erfolgt die Übertragung der Bremskraft zum Rad
weiterhin hydraulisch. Im Unterschied zur konventionellen Hydraulikbremsanlage wird
jedoch die Bremspedalstellung und damit der Fahrerwunsch elektronisch an eine Steuer-
einheit übertragen, Bild 10-9.

Elektrohydraulische Bremse (EHB) Elektromechanische Bremse (EMB)

Hydraulikleitung mit Rückfallebene Betätigungseinheit


Pedalweg-
simulator

VA HA

VA HA
Hydrauliklei-
tung ohne
Rückfallebene
Radmodule Radmodule

Bordnetz
Hydraulikaggregat Management
mit Steuereinheit
VA : Vorderachse Hydraulikver- Signalpfad VA : Vorderachse Versorgung
HA : Hinterachse HA : Hinterachse Versorgung
sorgung Signalpfad

Bild 10-9 Elektrohydraulisches (links) und elektromechanisches (rechts) Bremssystem


10.2 Bremse 185

Der erforderliche Bremsdruck wird von einer Hydraulikpumpe bereitgestellt. Dadurch


lässt sich die Ansprechzeit und die Abstimmung mit dem ESP-System verbessern. Auch
kann hier auf den Einsatz eines Bremskraftverstärkers verzichtet werden, was Package-
und Gewichtsvorteile mit sich bringt. Als Rückfallebene können die Bremsen an der Vor-
derachse noch rein hydraulisch betätigt werden. Die im Gegensatz zum konventionellen
Bremssystem verbesserten Eigenschaften werden durch ein aufwändigeres und damit auch
teureres System erkauft. Zudem beinhaltet das System elektronische Komponenten, für
die bei den zuständigen Entwicklern entsprechendes Know-how aufgebaut werden muss.
Bei der elektromechanischen Bremse entfallen schließlich alle hydraulischen Komponen-
ten. Der Pedalweg wird elektrisch sensiert und über Aktoren eine Rückwirkung der Brem-
se auf das Pedal simuliert. Die über das Bordnetz versorgten, elektrischen Radbrems-
module werden über Steuergeräte angesprochen. Es lassen sich ebenso wie bei der
elektro-hydraulischen Bremse zahlreiche Zusatzfunktionen wie beispielsweise ein An-
fahrassistent implementieren. Die elektromechanische Bremse verfügt insgesamt über ein
sehr gutes Kosten-Funktions-Verhältnis. Die elektromechanische Bremse wurde noch
nicht in den Markt eingeführt. Die Keilbremse, auch Electronic Wedge Brake (EWB)
genannt, stellt ebenfalls ein rein elektrisches Bremssystem dar. Der Unterschied zur elekt-
romechanischen Bremse besteht vor allem in der Erzeugung der Bremskraft. Bei her-
kömmlichen Bremsen wird die Bremskraft durch eine Kraft erzeugt, welche die Bremsbe-
läge im rechten Winkel an die Bremsschreibe presst. Die Keilbremse nutzt ein selbstver-
stärkendes Prinzip, um die notwendigen Betätigungskräfte zu reduzieren. Dabei wird die
Bremsscheibe von einem Keil abgebremst, der mittels Elektromotoren an einer keil-
förmigen, schrägen Fläche entlang zwischen Bremsbacken und Bremsscheibe gedrückt
wird, Bild 10-10. Wird der Keil ab einem gewissen Punkt von der Bremsscheibe weiter in
den Spalt gezogen, muss der Elektromotor eine weitere Bewegung des Keils verhindern,
um ein Blockieren des Rades zu vermeiden.
Herkömmliche Bremse Keilbremse
Elektromotor
Bremsscheibe
Brems-
beläge

Brems-
kraft

Hydraulik Bremssattel
geöffnet zugespannt geöffnet zugespannt

Bild 10-10 Funktionsprinzip der Keilbremse

Ein solches System, bei dem der Keil über Rollen entlang einer Schräge bewegt wird,
wurde von Siemens VDO entwickelt, jedoch ist die weitere Entwicklung auf diesem Ge-
biet nach der Übernahme von Siemens VDO durch Continental ungewiss.
186 10 Technologietrends Fahrwerk

Bild 10-11 Keilbremse von SiemensVDO

Mit dem Aufkommen der elektrohydraulischen und -mechanischen Bremsen verändern


sich auch die Kompetenzen, die von den Bremsenherstellern beherrscht werden müssen,
Bild 10-12.

Urformen (z.B.
(z. B.Gussverfahren)
Gussverfahren) Umformen:
Umformen

Pedalbock Pedalbock
Bremspedal mit Hebelwerk Bremspedal mit Hebelwerk
Handbremshebel Handbremshebel
Bremshauptzylinder Bremskraftverstärker
Ölvorratsbehälter zukünftige Bremsleitungen (Rohre)
Aluprofile für Ventilblöcke
Betätigungsfelder im
Bremsscheibe Spanende Verfahren
Bremssattel
Bereich der
Beläge Fahrzeugbremse Bremskraftverstärker
Bremskraftverstärker
Bremshauptzylinder
Bremshauptzylinder
Extrudieren Ventilblock,
Ventilblock, Ventile
Ventile
E-Motoren
E-Motoren
Bremsseilzug (Ummantelung) Assistenzsysteme
Assistenzsysteme (Gehäuse)
(Gehäuse)
Bremsleitung (Schlauch) Bremsscheibe
Bremsscheibe
Mechatronik:
Mechatronik Legende
bleibt erhalten, ggf. Modifizierung
Assistenzsysteme mittelfristige Substitution
elektrische Signalleitungen langfristige Substitution
Aktuator mit Leitungselektronik
Neueintritt in Bremsenmarkt

Bild 10-12 Betätigungsfelder im Bereich der Bremssystemherstellung

Während für die elektrohydraulische Bremse noch Kompetenzen auf dem Gebiet der
Hydraulik erforderlich sind, entfallen diese bei den elektromechanischen Bremsen kom-
plett. An Stelle der Hydraulik treten dann vermehrt Elektrik und Elektronik sowie die
Software, welche zur Regelung der Systeme eingesetzt wird. So werden Bremszylinder,
Bremskraftverstärker, Ventile und Hydraulikleitungen nicht mehr benötigt und durch
elektrische Leitungen und Motoren ersetzt.
10.2 Bremse 187

10.2.2 Antiblockiersystem
Antiblockiersysteme (ABS) ermöglichen Vollbremsungen ohne blockierende Räder. Dazu
überwachen Raddrehzahlsensoren permanent die Umdrehungsgeschwindigkeit der Räder
und leiten die elektrischen Signale an das Steuergerät weiter. Mittels dieser Drehzahlsig-
nale kann der Schlupf zwischen Rad und Fahrbahn berechnet und so die Blockierneigung
einzelner Räder erkannt werden. Das Anbausteuergerät verarbeitet die Signale der Senso-
ren nach festgelegten Steuer- und Regelalgorithmen und gibt die Ergebnisse als Ansteuer-
signale an das Hydroaggregat weiter. Im Hydroaggregat sind Magnetventile integriert,
welche die hydraulischen Leitungen zwischen dem Hauptbremszylinder und den Rad-
zylinder durchschalten oder unterbrechen können. Bei Blockiertendenz eines Rades gibt
das Steuergerät entsprechende Stellbefehle an die Magnetventile weiter. Dabei wird zu-
nächst der Bremsdruck auf dem bis dahin erreichten Niveau gehalten. Ist die Verzögerung
immer noch zu groß, wird der Bremsdruck abgesenkt, wodurch die Bremswirkung redu-
ziert und das Rad wieder beschleunigt wird. Das Antiblockiersystem dient als Basis für
weitere Fahrerassistenzsysteme.
ABS Plus, eine Weiterentwicklung, die auch Conering Brake Control (CBC) bezeichnet
wird, erweitert das herkömmliche Antiblockiersystem um Funktionen, die das Fahrzeug
beim Bremsen in der Kurve stabilisieren. Das System erkennt die Fahrsituation nur aus
den Verläufen der Raddrehzahlen, so dass keine weiteren Sensoren notwendig sind. Wird
ein entsprechender Fahrzustand erkannt, können Bremskraftverteilung und damit der
Bremsschlupf optimal der Situation angepasst werden. Durch gezieltes Einstellen unter-
schiedlicher Bremskräfte an beiden Fahrzeugseiten lässt sich beispielsweise eine Gierra-
tenkompensation erreichen, Bild 10-13. Hierdurch kann das Fahrzeug stabilisiert und die
Lenkbarkeit verbessert werden.

Bild 10-13 Arbeitsweise ABS Plus

10.2.3 Antriebsschlupfregelung
Die Antriebsschlupfregelung (ASR) verhindert ein Durchdrehen der Antriebsräder durch
einen gezielten Bremseingriff (BASR) und/oder einen Eingriff in das Motormanagement
(MASR). Die Antriebsschlupfregelung stellt eine Erweiterung des ABS dar. Wie beim
ABS werden über Sensoren die Raddrehzahlen erfasst und an ein Steuergerät weitergelei-
tet. Wird eine bedeutsame Abweichung von der Sollradgeschwindigkeit erkannt, regelt
das System die Antriebsmomente der angetriebenen Räder (MASR) oder bremst sie ab
(BASR).
188 10 Technologietrends Fahrwerk

Wird mit Hilfe der Raddrehzahlsensoren ein Überschreiten der Kraftschlussgrenze an


einem Rad mit geringem Kraftschlusspotential erkannt, wird so das Durchdrehen des
Rades über einen Bremseingriff verhindert. Die Dauer des Bremseingriffs wird wegen
Überhitzungsgefahr der Radbremse durch elektronische Regler begrenzt. Die Brems-
antriebsschlupfreglung (BASR) regelt im Wesentlichen den Anfahrbereich. Zusätzlich
kann das Motordrehmoment so weit gedrosselt werden, bis ohne beidseitigen Bremsein-
griff die bestmögliche Haftwertausnutzung für den Vortrieb erreicht wird. Im oberen
Geschwindigkeitsbereich ab ca. 40 km/h stabilisiert die Motorregelung das Fahrzeug
durch frühzeitige Reduzierung des Antriebsmoments, Bild 10-14.

Bremsenantriebs- Motorantriebs-
schlupfregelung (BASR) Schlupfregelung (MASR)
Bremseneingriff Motoreingriff
Unterer Oberer
Geschwindigkeitsbereich Geschwindigkeitsbereich

Traktion Lenkbarkeit Stabilität

Antriebsschlupf-
Unterer Oberer
Geschwindigkeitsbereich
Regelung (ASR) Geschwindigkeitsbereich
Motor- und Bremseneingriff

Bild 10-14 Konzepte der Antriebsschlupfregelung

10.2.4 Elektronisches Stabilitätsprogramm


Beim Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) handelt es sich um ein Regelsystem zur
Verbesserung des Fahrverhaltens, das in das Bremssystem und den Antriebsstrang ein-
greift. Dabei baut ESP auf den Funktionen des Antiblockiersystems, der elektronischen
Bremskraftverteilung, der Antriebsschlupfregelung und der Giermomentregelung auf.
Um die Vorgaben des Fahrers mit dem tatsächlichen Fahrzeugverhalten abzugleichen,
werden permanent die Messdaten der folgenden Sensoren überwacht:
x Raddrehzahlsensoren
x Lenkwinkelsensor
x Gierratensensor
x Querbeschleunigungssensor
Wird ein instabiler Fahrzustand erkannt, wie er z. B. bei einer Ausweichbewegung auftre-
ten kann, reagiert das System durch radindividuelle Bremseingriffe sowie durch Anpas-
sung des Motormoments. Erkennt das System ein Untersteuern des Fahrzeugs, wird durch
Abbremsen des kurveninneren Hinterrads ein ausgleichendes Giermoment aufgebaut, das
10.2 Bremse 189

den Wagen wieder auf Wunschkurs bringt. Übersteuert das Fahrzeug, wird durch Ab-
bremsen des kurvenäußeren Vorderrads ein Ausgleichsmoment erzeugt, welches das
Fahrzeug wieder in die gewünschte Richtung dreht, Bild 10-15. Dadurch kann ein Ab-
kommen von der Fahrbahn im Rahmen der physikalischen Grenzen vermieden werden.
Da beim ESP auch Bremseingriffe erfolgen, wenn der Fahrer die Bremseinrichtung nicht
betätigt, ist bei rein hydraulischen Bremssystemen eine Vorladepumpe zur fahrerunab-
hängigen Erzeugung des Bremsdrucks notwendig.

Bild 10-15 Wirkungsweise ESP

ESP Plus basiert auf der aktuellen 8. ESP-Generation von Bosch. Einige der Systemkom-
ponenten wurden hierbei verbessert. Es wird eine leistungsfähigere Pumpe eingesetzt,
außerdem werden nun zwei analog steuerbare Magnetventile verwendet, die eine exaktere
Regelung des hydraulischen Druckes erlauben und damit sehr feinfühlige aktive Brems-
eingriffe ermöglichen. Daneben wurden einige Zusatzfunktionen implementiert. Die
elektronische Bremsenvorbefüllung baut sofort Druck im Bremssystem auf, sobald der
Fahrer abrupt vom Gaspedal geht. Hierdurch werden die Beläge unmerklich an die Schei-
ben angelegt, was die Reaktionszeit des Systems verkleinert. Die Funktion Bremsschei-
benwischen legt bei Regen in definierten Abständen die Bremsbeläge sanft an die Schei-
190 10 Technologietrends Fahrwerk

ben an und entfernt so den Wasserfilm, damit die Bremsen im Ernstfall sofort greifen. In
fahrdynamisch kritischen Situationen gibt ein Lenkimpuls eine Lenkempfehlung an den
Fahrer.
Auch ESP II von Continental Teves erweitert die Funktionen des elektronischen Sta-
bilitätsprogramms. Wie beim ESP Plus kommen hier eine stärkere Pumpe sowie Analog-
ventile zum Einsatz. Neben den schon bei ESP Plus realisierten Zusatzfunktionen kom-
men weitere hinzu. So ermöglich der Bergabfahrassistent das halten von konstant niedri-
gen Geschwindigkeiten, ein Anfahrassistent erleichtert das Anfahren am Berg. Die Active
Rollover Protection erkennt überschlagskritische Situationen und bremst das Fahrzeug ab.
Das Trailer Stability Program erkennt schlingernde Anhänger und bremst das Gespann ab.
Verfügt das Fahrzeug über eine Möglichkeit zum aktiven Lenkeingriff, kann durch eine
Kombination von Brems-, Lenk- und Motoreingriff der Grenzbereich noch mal erweitert
werden. Der Bremsweg auf μ-split-Untergrund kann so ebenfalls verkürzt werden.

10.2.5 Zusatzbremsfunktionen
Neben Antriebsschlupfregelung, dem Antiblockiersystem und dem elektronischen Stabili-
tätsprogramm können noch weitere Zusatzfunktionen in das Bremssystem integriert wer-
den. Hierzu zählen vor allem der Brems- und der Anfahrassistent, die bereits erwähnt
wurden.
Der Bremsassistent (BA) wurde entwickelt, da normale Autofahrer in Gefahrensituatio-
nen häufig nicht sofort die maximal sinnvolle Bremskraft aufbringen und so der Brems-
weg unnötig verlängert wird, Bild 10-16. Über einen Wegsensor im Bremspedal wird die
Betätigungscharakteristik erkannt und im Fall einer Notbremssituation der Bremsdruck
schnellstmöglich erhöht.

Bild 10-16
Bremsweg mit und ohne
Bremsassistent

Für den Bremsassistenten (BA) existieren verschiedene Ausführungen, die auf unter-
schiedlichen Prinzipen beruhen, Bild 10-17:
x Mechanischer BA:
Erkennung der Pedalgeschwindigkeit durch die Trägheitswirkung einer Mechanik rea-
lisiert, die bei hoher Pedalgeschwindigkeit den BA-Effekt auslöst.
10.2 Bremse 191

x Elektronischer BA:
Vakuum-Bremskraftverstärker mit elektronischer Bremsassistenzfunktion
x Hydraulischer BA
Basiert auf vorhandenen ESP-Komponenten, die BA-Funktion wird durch eine Erwei-
terung in der ESP-Software ausgelöst

Mechanisch Elektronisch Hydraulisch

Bild 10-17 Funktionsprinzipien des Bremsassistenten

Der Bremsassistent wurde zum Bremsassistent Plus erweitert. Dieses System nutzt Daten
der Radarsysteme zur Erkennung einer Notfallsituation. Das System berechnet anhand der
Sensordaten den zur Vermeidung eines Auffahrunfalls notwendigen Bremsdruck und
unterstützt den Fahrer bei der Bremsung. Die Bremsung erfolgt dabei nicht selbsttätig, der
Fahrer wird aber optisch und akustisch vor der Notbremssituation gewarnt. Der Brems-
assistent Plus kommt beispielsweise in der S-Klasse von Mercedes Benz zum Einsatz.

Bild 10-18 Funktionsphasen des Anfahrassistenten


192 10 Technologietrends Fahrwerk

Der Anfahrassistent, auch Hill Start Assist genannt, verhindert ein Zurückrollen beim An-
fahren am Berg. Die Steigung wird dabei durch einen Neigungssensor ermittelt. Der Wir-
kungsablauf des Assistenten lässt sich in vier Funktionsphasen unterteilen, Bild 10-18:
x Phase 1: Der Fahrer stoppt bzw. hält das Fahrzeug durch Betätigung der Bremse. Das
Bremsmoment reicht aus, um das Fahrzeug am Hang zu halten.
x Phase 2: Das Fahrzeug steht still. Der Fahrer nimmt den Fuß von der Bremse, um das
Gaspedal zu betätigen. Der Anfahrassistent hält den Bremsdruck, um ein Zurückrollen
zu verhindern
x Phase 3: Während der Fahrer das Antriebsmoment erhöht, verringert der Assistent den
Bremsdruck gerade so weit, dass das Fahrzeug weder zurückrollt, noch beim späteren
Losfahren festgehalten wird.
x Phase 4: Das Antriebsmoment ist groß genug, um das Fahrzeug zu beschleunigen. Der
Bremsdruck wird auf Null reduziert, das Fahrzeug fährt an.

10.3 Lenkung
Die Lenkung ermöglicht die Beeinflussung der Fahrtrichtung des Fahrzeugs. In Kraftfahr-
zeugen kommen dafür überwiegend Achsschenkellenkungen zum Einsatz. Wie auch die
übrigen Fahrwerkssysteme haben sich Lenkungen von rein mechanischen Systemen zu
komplexen, beeinflussbaren elektronischen Systemen entwickelt, Bild 10-19.

aktiv
Beeinflussung von: Steer-by-Wire (SbW)
• Lenkmoment
• Lenkwinkel
Funktionalität / Komplexität

Überlagerungslenkung (ÜLL)

EPS
Beeinflussung von:
• Lenkmoment
EHPS

Hydraulische Servolenkung/Servotronic
passiv

Mechanische Lenkung

Zeit
EPS: Electric-Power Steering; EHPS: Electric-Hydraulic-Power Steering

Bild 10-19 Evolution der Lenkung

Von den dargestellten Lenksystemen werden heute alle bis auf die Steer-by-Wire in Se-
rienfahrzeugen eingesetzt. Abgesehen von der rein mechanischen Lenkung ermöglichen
die Lenksysteme auch die Implementierung von Zusatzfunktionen. Bei der rein mechani-
schen Lenkung wird zwischen der Zahnstangen- und der Kugelumlauflenkung unter-
schieden, Bild 10-20.
10.3 Lenkung 193

Zahnstangen- Schnecken-
lenkung lenkung

Spurstange

Lenkhebel
Ritzel Achs-
schenkel

Schneckenrad Schnecke
Zahnstange

Bild 10-20 Mechanische Zahnstagen- und Schneckenlenkung

Die Zahnstangenlenkung ist konstruktiv einfach gestaltet, während die Schneckenlenkung


höhere Spurstangenkräfte ertragen kann. Bis zur Einführung der Servounterstützung ar-
beiteten diese Systeme ohne Unterstützung der Lenkkraft.
Die hydraulische Servolenkung in Bild 10-21 (Hydraulic Power Steering, HPS) stellt dem
Fahrer in Abhängigkeit vom Lenkmoment eine hydraulische Lenkkraftunterstützung zur
Verfügung. Dazu wird von einer Flügelpumpe ein hydraulischer Druck erzeugt, der über
den Drehwinkel der Lenksäule gesteuert auf die Lenkung übertragen wird. Die Lenkhil-
fepumpe läuft dabei konstant mit Motordrehzahl und nimmt damit permanent Leistung
auf, auch wenn diese eigentlich nicht benötigt wird. Die Servolenkung kann geschwin-
digkeitsabhängig gestaltet werden. Das resultierende System wird als Servotronic be-
zeichnet. Die Lenkkraftunterstützung wird hier mit steigender Geschwindigkeit reduziert.
So werden beim Parkieren und bei niedrigen Geschwindigkeiten niedrige Betätigungs-
momente erreicht. Im Hochgeschwindigkeitsbereich verhindern die erhöhten Betäti-
gungsmomente ein nervöses Fahrverhalten. Da dieses System eine Erweiterung der HPS
darstellt, gilt auch hier, dass die Pumpe permanent mit Motordrehzahl läuft und damit
Leistung aufnimmt, selbst wenn diese nicht benötigt wird.
Das Problem der permanenten Leistungsaufnahme wird bei der elektrohydraulischen
Servolenkung (EHPS) über eine mittels Elektromotor angetriebene Pumpe gelöst. Diese
Pumpe arbeitet nur bei Bedarf, eine Verbindung zum Riementrieb ist nicht mehr gegeben.
Hierdurch können die Leistungsverluste reduziert werden.
Bei der elektromechanischen Servolenkung (Electric-Power Steering, EPS) erzeugt ein
elektrischer Aktuator ein beliebig auslegbares Betätigungsmoment. Dieser Aktuator ist
direkt in den Lenkstrang integriert. Hierbei entfallen alle hydraulischen Komponenten, es
handelt sich also um ein trockenes System. Ebenso wie bei der EHPS kann die Ansteue-
rung bedarfsgerecht erfolgen, so dass keine Leistungsverluste entstehen. Die Lenkkraftun-
terstützung kann fahrsituationsabhängig erfolgen. Anpassungen sind per Software mög-
194 10 Technologietrends Fahrwerk

lich. Tendenziell kann die EPS nur in kleinen Fahrzeugen mit niedrigen Lenkstangenkräf-
ten eingesetzt werden. Bisher wurde die EPS z. B. im VW Golf V und Touran, im Audi
A3 sowie im BMW Z4 verbaut. Die EPS lässt sich z. B. im Zusammenhang mit Spurhal-
tesystemen verwenden, wobei dem Fahrer durch haptische Rückmeldungen eine Lenk-
empfehlung gegeben wird.

Bild 10-21 Hydraulische Servolenkung

Einen anderen Ansatz verfolgt die Überlagerungslenkung (ÜLL). Ein herkömmliches


Lenkgetriebe, das elektrisch oder hydraulisch unterstützt werden kann, wird durch ein
Planetengetriebe ergänzt, Bild 10-22. Über das Planetengetriebe wird ein Motorwinkel
zum Lenkwinkel addiert. Der Motorwinkel wird über ein selbsthemmendes Schraub-
radgetriebe übertragen. Dabei bleibt die mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und
Vorderrädern über das Planetengetriebe erhalten. Bei einem Ausfall des Elektromotors
sperrt ein Sicherungsstift die Schnecke, so dass ein starrer Durchtrieb vom Lenkrad zu
den Rädern besteht. Neben dem Planetengetriebe werden für das System zwei Lenkwin-
kelsensoren für den Fahrerwinkel und den Radwinkel sowie ein Stellmotor und ein Steu-
ergerät benötigt. Mittels der Überlagerungslenkung lassen sich zahlreiche Zusatzfunktio-
nen implementieren. So ist eine variable Lenkübersetzung realisierbar, die bei zunehmen-
der Fahrgeschwindigkeit die Lenkung indirekter und schwergängiger gestaltet. Zur Fahr-
zeugstabilisierung können statt Motor- und Bremseingriffen auch Eingriffe in die Len-
kung genutzt werden, wodurch eine Verringerung der Fahrzeuggeschwindigkeit vermie-
den wird. Ebenso lassen sich Giermomente bei Bremsungen auf μ-split-Untergrund kom-
pensieren. Auch eine Vorhaltelenkung zur Reduzierung des Phasenverzugs zwischen
Lenkung und Fahrzeugreaktion lässt sich realisieren.
10.3 Lenkung 195

Lenkventil (Servotronic)

Elektromagnetische
Sperre
Schnecke
Stellermotor
Aktuator mit Über
Über-
lagerungsgetriebe

herkömmliches
Lenkgetriebe

Ritzel
überlagerter Lenk-
Zahnstange
winkel am Rad

Bild 10-22 Funktionsprinzip Überlagerungslenkung

Beim Steer-by-Wire Konzept ist die Lenkung hingegen mechanisch komplett vom Rad
getrennt, Bild 10-23. Der vom Fahrer aufgegebene Lenkradwinkel wird von einem Sensor
erfasst, der entsprechende Radlenkwinkel wird über einen Winkelaktuator am Rad ein-
gestellt. Die Rückmeldung an den Fahrer erfolgt mittels eines Lenkmomentenaktuators,
durch den abhängig von den Spurstangenkräften ein Lenkmoment am Lenkrad gestellt
wird. Konzepte für Steer-by-Wire sind vorhanden, zugehörige Systeme befinden sich in
der Prototypenphase. Durch den Einsatz von Steer-by-Wire wird das komplette, her-
kömmliche Lenksystem substituiert. Daher entfallen alle hydraulischen Bauteile sowie
Lenk- und Mantelrohr. Durch die vollständige Entkopplung lassen sich Zusatzfunktionen
wie automatisches Einparken, Spurhalten sowie der elektronische Lenkeingriff zur Fahr-
zeugstabilisierung einfach realisieren.

Lenkmomentaktuator Steer-by-wire:

Sensoren
Lenkrad- nominaler
Feedback an Aktuator Lenkrad-
Fahrer winkel

ECU
Winkelaktuator nominaler
Lenkwinkel Feedback
an Fahrer
Lenkaktuator
Sensoren
ECU: electronical
control unit

Bild 10-23 Funktionsprinzip Steer-by-Wire


196 10 Technologietrends Fahrwerk

Einen Überblick über mögliche Zusatzfunktionen gibt Bild 10-24. Durch den Entfall der
Lenksäule wird die passive Sicherheit für den Fahrer erhöht, da diese im Crashfall nicht
mehr in die Fahrgastzelle eindringen kann.

Lane Keeping Lane Depature Warning

Stabilization Park-Assist

Autonomous Autonomous
Stop & Go Parking

Bild 10-24 Mögliche Zusatzfunktionen von Lenksystemen

10.4 Integrierte Chassissysteme


Die Forderung nach erhöhter aktiver Sicherheit und Fahrstabilität des Fahrzeugs führt in
Zukunft zu einer intensivieren Integration von Chassis (= Fahrwerks)systemen. Neben der
gesteigerten Sicherheit lässt sich hierdurch auch der vom Kunden wahrgenommen Kom-
fort bzgl. des Lenk-, Nick- und Wank- sowie des Verzögerungsverhaltens erhöhen. Hier-
zu werden Brems-, Lenk- und Federungssysteme integriert.
Die Entwicklung der integrierten Chassissysteme lässt sich in vier Phasen unterteilen.
Phase 0 stellt dabei den Ausgangszustand dar, in dem alle Subsysteme noch getrennt
arbeiten. In Phase 1 werden zuerst Brems- und Federungssysteme integriert. Denkbar ist
hier beispielsweise eine Kombination des Elektronischen Stabilitätsprogramms mit Fahr-
zeug-Dämpfer-Kontrollsystemen wie im IDS Plus Fahrwerk von Opel. Phase 2 sieht eine
Integration von Brems- und Lenkungssystemen vor. Bei Mittelklassefahrzeugen können
hier als kostengünstige Lösung EPS und ESP miteinander verbunden werden, während im
Premiumsegment ESP mit der Überlagerungslenkung kombiniert werden kann. In Phase 3
werden schließlich alle Fahrwerksysteme wie Lenkung, Bremse und Federung integriert,
Bild 10-25.
10.4 Integrierte Chassissysteme 197

Bild 10-25 Roadmap der integrierten Chassissysteme

Durch die Integration der Chassissysteme ergeben sich Synergiepotentiale bei allen betei-
ligten Akteuren. Diese Synergiepotentiale sowie die zur Realisierung der Synergien not-
wendigen Kompetenzen sind in Bild 10-26 dargestellt.

Bild 10-26 Neue Synergiepotentiale im Chassissegment


198 10 Technologietrends Fahrwerk

Hier wird das gesamte Synergiepotential aufgeteilt auf Systemintegratoren, Mechanik-


spezialisten und OEM aufgezeigt. Insgesamt wird eine stetige Steigerung des Anteils der
integrierten Chassissysteme am Gesamtmarkt für Lenkungs-, Brems- und Federungs-
systeme erwartet, Bild 10-27. Der Beginn der vollständigen Integration aller Subsysteme
wird frühestens Ende 2009 erwartet. Die Integration des Lenkungssystems mit dem
Bremssystem dominiert hierbei jedoch bis 2012 und wird nur langsam von der Integration
aller Subsysteme abgelöst.

in % 4

0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

Abgeschätzte Durchdringungsrate (%) von Lenkungssystemen integriert mit Brems- und Federungssystemen
Abgeschätzte Durchdringungsrate (%) von Lenkungssystemen integriert mit Bremssystemen

Bild 10-27 Entwicklung des Marktes für integrierte Chassissysteme

10.5 Zusammenfassung
In den vorangegangenen Unterkapiteln wurde der Stand der Entwicklung sowie zukünf-
tige Entwicklungstendenzen der Fahrwerkssubsysteme aufgezeigt. Bei den Federungen
wurden aktive Stahlfedersysteme (z. B. ABC) aufgezeigt, die derzeit für Fahrzeuge der
Luxus- und Oberklasse als Zusatzsystem eingesetzt werden. In Zukunft wird eine Ver-
wendung solcher Systeme als unwahrscheinlich angesehen. Hydropneumatische Federun-
gen befinden sich im Serieneinsatz in Fahrzeugen der oberen Mittelklasse. Hier ist keine
Veränderung abzusehen. Passive Luftfedersysteme werden heute als Serien- oder Zusatz-
systeme für Fahrzeuge oberhalb der Mittelklasse eingesetzt. In der Ober- und Luxusklasse
wird für die Zukunft auch Einsatzpotential für aktive Luftfedersysteme gesehen. Dämp-
fersysteme, die eine kontinuierliche Anpassung der Dämpferkraft erlauben, wurden zu-
nächst nur in den oberen Fahrzeugklassen eingesetzt, mittlerweile sind sie auch in der
Kompaktklasse als Zusatzsystem erhältlich. Rheologische Dämpfer werden zunächst nur
10.5 Zusammenfassung 199

als Zusatzsysteme in der Oberklasse angeboten, diese könnte in Zukunft auch in die obere
Mittelklasse vordringen. Für die passive Luftdämpfung lassen sich noch keine Einsatz-
gebiete erkennen. Bei den Stabilisatoren werden aktive Systeme als Zusatzsysteme auch
nur in den oberen Fahrzeugklassen angeboten.
Im Bereich der Lenkung lässt sich feststellen, dass sowohl EPS als auch EHPS mittler-
weile bis in die Subkompakt- und Kompaktklasse vorgedrungen sind. Die EPS wird in
Zukunft auch in der (oberen) Mittelklasse in Serie eingesetzt. Die EHPS wird den Seg-
menten beginnend von den Kleinwagen bis hinauf zur Mittelklasse durch EPS-Systeme
ohne Hydraulik ersetzt werden. Die Überlagerungslenkung wird zurzeit in der Mittelklas-
se bis zur Luxusklasseals Zusatzsystem angeboten. Für Steer-by-Wire-Systeme sind zur-
zeit noch keine Marktpotentiale erkennbar, von einem Einsatz wird erst in ferner Zukunft
ausgegangen.
Insgesamt lässt sich eine zunehmende Tendenz zur Integration aller Fahrwerkssysteme
beobachten. Dies ist auf die höheren Anforderungen, die an Fahrwerksysteme gestellt
werden, zurückzuführen. Integrierte Systeme bieten die Möglichkeit, sowohl die aktive
Sicherheit sowie den Fahrkomfort zu erhöhen.
200

11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits zu sehen war, nimmt der Anteil der in
Kraftfahrzeugen verbauten elektronischen Komponenten zu. Neben den bereits vorge-
stellten Systemen, bei denen meist ehemals mechanische oder hydraulische Komponenten
substituiert wurden, finden sich im Fahrzeug eine Reihe von weiteren elektrischen Syste-
men. Davon werden hier die Beleuchtungssysteme sowie Systeme vorgestellt, die den
Fahrer bei seinen Aufgaben unterstützen. Bei den fahrerbezogenen Systemen lassen sich
Informations-, Assistenz-, sowie Komfortsysteme unterscheiden. Die Kommunikation der
einzelnen Teilsysteme findet über so genannte Busse statt, die am Ende des Kapitels dis-
kutiert werden. Bevor jedoch auf einzelne Systeme eingegangen wird, erfolgt an dieser
Stelle die Klärung einiger grundlegender Begriffe.
Die Versorgung der elektrisch betriebenen Komponenten eines Fahrzeugs wird über das
Bordnetz sichergestellt. Das Bordnetz ist die Gesamtheit der Einrichtungen zur Erzeu-
gung, Speicherung und Verteilung der elektrischen Energie. Vom Bordnetz wird gefor-
dert, dass es elektrische Leistung mit folgenden Qualitäten bereitstellt:
x Spannungsstabilität
x Effizienz
x Verfügbarkeit
x Sicherheit
Gleichzeitig sollen Kosten, Volumen und Gewicht möglichst minimal gehalten werden.
Bei der Auslegung eines Bordnetzes ist die Dimensionierung des Starters, der die
Verbrennungskraftmaschine anlaufen lässt, des Generators, der das Netz mit Strom ver-
sorgt, sowie eines Energiespeichers, meist einer Batterie, notwendig. Die meisten Bord-
netze werden mit einer Spannung von 14 V betrieben. Es gibt allerdings Bestrebungen,
die Betriebsspannung auf 42 V anzuheben. Hierdurch wäre es möglich, weitere Kompo-
nenten, die ihre Leistung ehemals über den Riementrieb abgegriffen haben, elektrisch zu
versorgen. Wie schon am Beispiel der elektrohydraulischen Servolenkung erläutert, wür-
de so eine bedarfsgerechte Versorgung der Komponenten möglich, insgesamt kann also
der Energieverbrauch und damit indirekt auch der Kraftstoffverbrauch gesenkt werden.

Hochlast- Bild 11-1 zeigt den


Starter Hochlast
-
Verbraucher
Verbraucher Aufbau eines 42 V
Bordnetzes, in dem
auch 14 V Verbrau-
DC
DC cher integriert wer-
Gen. 14V- den können.
Verbraucher
DC
DC
Bild 11-1
Zweispannungs-
36V-Batterie 12V-Batterie Bordnetz 42V/14V
10.5 Zusammenfassung 201

Bei vielen der bereits weiter oben vorgestellten Systeme handelt es sich um so genannte
mechatronische Systeme. Das Wort Mechatronik ist ein Kunstwort, dass sich aus den
Wörtern MECHAnik, ElekTRONik und InformatIK zusammensetzt. Damit wird ange-
deutet, dass in solche Systeme Kenntnisse aus allen drei Disziplinen einfließen. Durch die
Kombination dieser Elemente lassen sich im Vergleich zu einer strikten Trennung häufig
Kosten und Gewicht reduzieren und dabei gleichzeitig die Qualität verbessern. In Bild
11-2 sind einige Beispiele für mechatronische Systeme dargestellt.

ABS-Aggregat Drosselklappe Radbremse (EMB) Raddrehzahlsensor

Bild 11-2 Beispiele für mechatronische Systeme im Kraftfahrzeug

Aus der Verbindung einzelner elektronischer Komponenten ergeben sich Systeme, die
eine übergeordnete Gesamtfunktion ermöglichen. Die Anordnung der Komponenten in-
nerhalb eines Systems wird als Architektur bezeichnet. Sensoren erfassen hier relevante
System- oder Umweltzustände und leiten die Werte über die Signalverteilung an die Sig-
nalverarbeitung weiter, Bild 11-3. Hier werden aus diesen Signalen Stellwerte für die
Aktuatorik errechnet, die über die Signalverteilung übertragen und im Aktuator umgesetzt
werden. Alle Komponenten des Systems werden über die Energieversorgung, im Kraft-
fahrzeug also das Bordnetz, gespeist.

Signalverteilung
• Protokoll
• Übertragungsmedium
• Topologie

Signalverarbeitung
SW
Aktuatorik
Sensorik

Funktion 1
Funktion 2
Funktion ...
Funktion n

HW

Energieversorgung Bild 11-3


• Energieerzeugung Aufbau einer System-
• Energiespeicherung architektur
• Energieverteilung
202 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

11.1 Fahrerinformationssystem
Fahrerinformationssysteme (FIS) versorgen den Fahrer mit notwendigen und zweck-
mäßigen Informationen. Da im Kraftfahrzeug zunehmend komplexe Systeme mit einer
steigenden Anzahl an Funktionen vertreten sind, steigen damit auch die Anforderungen
an die Systeme, die den Fahrer mit den benötigten Informationen versorgen und eine
Steuerung der verschiedenen Funktionen ermöglichen. Neue Technologien wie LED-
Displays und Variable Tasten reduzieren die Anzahl der Bedienelemente und Anzeigen
und vereinfachen damit die Bedienung und entlasten darüber den Fahrer.
Bei der Konzeption von Bedienoberflächen wird zwischen Primär-, Sekundär- und Kom-
fortfunktionen unterschieden. Bei Primärfunktionen handelt es sich meist um Funktionen,
die zur Führung des Fahrzeugs benötigt werden. Diese werden im primären Griffbereich
des Fahrers um das Lenkrad herum angeordnet. Sekundäre Funktionen, die während der
Fahrt bedient werden sollen, können in die Bedienoberfläche eines Fahrerinformations-
systems integriert werden. Komfortfunktionen, wie beispielsweise Telematik oder Kom-
munikation müssen nicht direkt erreichbar sein und können daher in den Untermenüs des
Bediensystems platziert werden. Da sich der Griff- und Sichtbereich des Fahrers nicht
überschneiden, ist eine Trennung von Bedien- und Informationsbereich erforderlich. So
kann die Erreichbarkeit des Bedienbereichs und die Ablesbarkeit des Informationsbe-
reichs sichergestellt werden. Der Informationsbereich wird dabei im oberen Teil des In-
strumententafelträgers angeordnet, der primäre Bedienbereich liegt im Bereich der Mittel-
konsole, Bild 11-4.

Bild 11-4 Anordnung Bedien- und Anzeigeelemente

Bei den deutschen Premiumherstellern haben sich Systeme etabliert, die eine Steuerung
der meisten Fahrzeugfunktionen über ein Anzeige- und Bedienelement ermöglichen. Audi
verwendet hier ein MMI genanntes System, Mercedes das COMAND-System. Bei BMW
11.1 Fahrerinformationssystem 203

wird das Fahrerinformationssystem mit iDrive bezeichnet. Aus diesen Systemen ergeben
sich fest definierte Schnittstellen zwischen Fahrer und Fahrzeug. Werden diese Systeme
in allen Fahrzeugen eines Herstellers integriert, können darüber die Anzahl der Varianten
und damit auch der Kosten reduziert werden. Über die Gewöhnung des Kunden an das
ihm bekannte System kann zudem eine Kundenbindung entstehen. Diesen Vorteilen steht
der anfänglich hohe Entwicklungsaufwand für solche Systeme gegenüber.
Während der Produktlebenszyklus eines Fahrzeugs etwa 6 Jahre beträgt, liegt dieser bei
Software nur zwischen 6 Monaten und einem Jahr. Diese Diskrepanz führt dazu, dass
Fahrzeuge noch während ihres Produktlebenszyklus mit veralteter Software ausgestattet
sind. Aus diesem Grund wurde die Top Level Architecture (TLA) von SiemensVDO
entwickelt. Hier werden Bedienoberfläche, Software, Treiber und Hardware voneinander
getrennt. Als Programmiersprache mit offener, aber fest definierter Schnittstelle kommt
Java zum Einsatz. Als physikalische Schnittstellen stehen CAN, MOST, Flexray sowie
Bluetooth und USB zur Verfügung. Die TLA ermöglicht die modulare Einbindung von
Funktionen wie beispielsweise eine Telefon-, oder Navigationsfunktion. Aufbauend auf
den Schnittstellen können Zulieferer eigene Produkte anbieten, wodurch die Konkurrenz
untereinander erhöht wird. Beim Werkstattbesuch können einfach Softwareupdates
durchgeführt werden. Nach den Updates bleibt die Bedienung für den Nutzer identisch,
soweit keine neuen Funktionen implementiert werden. Solche Systeme finden sich bei
BMW in den Reihen 5er, 6er und 7er. Waren Head-Up-Displays bei Flugzeugen schon
lange Stand der Technik, halten diese jetzt auch bei Kraftfahrzeugen Einzug. Mittels eines
Lasers und Spiegels werden für den Fahrer informative Daten auf die Frontscheibe proji-
ziert, so dass er seinen Blick nicht von der Straße nehmen muss. Die entstehende Anzeige
erscheint dem Fahrer in 2 bis 2,5 m Entfernung, Bild 11-5.

Bild 11-5 Head-Up-Display


204 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

Zudem Ermüden die Augen weniger schnell, da der Fahrer nicht ständig abwechselnd
Fahrbahn und Tachoanzeige fokussieren muss. Neben Warnhinweisen und der aktuellen
Fahrzeuggeschwindigkeit kann bei weiter entwickelten Systemen auch der Straßenverlauf
und zusätzliche Navigationsanweisungen angezeigt werden. Ein solches Zusatzsystem
kann z. B. im BMW 5er bestellt werden. Die Kosten belaufen sich auf ca. 1300 Euro.

11.2 Beleuchtungssysteme
Die in Kraftfahrzeugen eingesetzten Beleuchtungssysteme erfüllen je nach Typ unter-
schiedliche Aufgaben. Scheinwerfer leuchten die Straße aus und sorgen so dafür, dass der
Fahrer seine Umgebung wahrnehmen kann. An sie werden hohe Anforderungen im Be-
zug auf die Gradienten und Intensitäten der Lichtverteilung gestellt. Leuchten dienen
dazu, dass andere Verkehrsteilnehmer das eigene Fahrzeug wahrnehmen. Zu diesem Typ
Beleuchtungssystem gehören beispielsweise die Heckleuchten, Positionsleuchten und
Fahrtrichtungsanzeiger. Bei Leuchten ist im Gegensatz zu Scheinwerfern keine saubere
Lichtkante notwendig. Scheinwerfersysteme werden üblicherweise als Reflexions- oder
Projektionssystem ausgeführt. Als Leuchtmittel werden neben Halogen auch Gasentla-
dungslampen (Xenon) verwendet. LED werden mittlerweile als Leuchten eingesetzt, der
Einsatz als Scheinwerfer gestaltet sich aufgrund der höheren Anforderungen an die Licht-
verteilung schwieriger. An entsprechenden Systemen wird gearbeitet. In Bild 11-6 sind
die Vor- und Nachteile der LED-Beleuchtungssysteme aufgelistet.

LED-Beleuchtungssysteme
Vorteile Nachteile
Lebensdauer z. Zt. noch teurer als herkömmliche Systeme
(i. e. Halogen, Xenon)

Schnelles Ansprechen Leuchtweitenregulierung


Geringer Stromverbrauch Ungeklärte Rechtslage (ECE-Prüfzeichen
notwendig)

Geringe Einbautiefe Ungeklärte Probleme (Salznebel,


Chemikalien, Thermomanagement,
Standardisierung)

Gute Steuerungsmöglichkeiten Auch Xenonscheinwerfer bieten noch


Verbesserungspotential

Gute Designmöglichkeiten
Stoßunempfindlichkeit
Optische Differenzierung zu derzeitigen
Systemen

Kostengünstigere Kunststoffoptik

Bild 11-6 Vor- und Nachteile von LED Beleuchtungssystemen


11.2 Beleuchtungssysteme 205

11.2.1 Intelligente Lichtsysteme


Beleuchtungssysteme entwickeln sich von einfachen Lampen, die nur die Betriebszu-
stände an und aus kennen, hin zu komplexeren Systemen, Bild 11-7. So ermöglichen
Abbiege- bzw. Kurvenlicht eine Anpassung des Lichtkegels an die Bahntrajektorie des
Fahrzeugs. Adaptive Lichtsysteme können Lichtkegel an den Fahrzustand anpassen oder
über die Rückleuchten Informationen an nachfolgende Fahrzeuge übermitteln.
Beim Kurven bzw. Abbiegelicht kann zwischen statischen und dynamischen Ausführun-
gen unterschieden werden. Beim statischen Kurvenlicht handelt es sich um ein Zusatz-
licht, das in Abhängigkeit von Lenkwinkel, Geschwindigkeit und Blinkerbetätigung zuge-
schaltet wird. Das Zusatzlicht besitzt einen eigenen Reflektor bzw. Projektor. Die Straße
wird bei eingeschaltetem Kurvenlicht in einem Winkel von bis zu 65° und 30 m nach
vorne ausgeleuchtet, Bild 11-7 oben.

Bild 11-7 Statisches (oben) und dynamisches (unten) Kurvenlicht

Um die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht unnötig auf das Licht zu lenken, wird es ge-
dimmt zu- und abgeschaltet. Das dynamische Kurvenlicht wird über eine Schwenkung
des Hauptscheinwerfers um bis zu 20° realisiert. Der Schwenkwinkel ergibt sich aus der
Fahrzeuggeschwindigkeit, der Gierrate und dem Lenkwinkel. Die Schwenkung erfolgt bei
206 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

hohen Geschwindigkeiten schneller. Der Effekt des geschwenkten Lichts ist deutlich
spürbar, so steigt bei einem Kurvenradius von 190 m die Reichweite des Lichts von 30
auf 55 m, Bild 11-7 unten. Beide Systeme können kombiniert werden. So kann bei
schneller Autobahnfahrt der Lichtkegel für eine bessere Ausleuchtung der Fahrbahn an-
gehoben werden, das statische Abbiegelicht kann beispielsweise für Einparkvorgänge
verwendet werden.
Adaptive Lichtsysteme ermöglichen eine situative Anpassung des Lichtkegels oder des
Signalbilds. Bei Front- und Rücklichtern werden hier unterschiedliche Funktionen re-
alisiert. Bei den Rücklichtern kann das Signalbild auf verschiedene Arten angepasst wer-
den:
x Helligkeit und Lichtstärke
x wirksame leuchtende Fläche
x Frequenz der Signalfunktion
Mittels dieser Parameter lässt sich das Licht an verschiedene Umweltzustände wie Um-
gebungshelligkeit, Witterung oder Verschmutzung anpassen. Gefahrensituationen, die
sich z. B. durch ABS- und ESP Aktivität auszeichnen, können dem Folgefahrzeug signa-
lisiert werden. Verfügt das Fahrzeug über Abstandssensoren, ist auch eine Anzeige bei
einer zu schnellen Annäherung des Hintermanns an das eigene Fahrzeug denkbar.
Adaptive Frontlichtsysteme erlauben eine automatische Anpassung an das Streckenprofil
und die aktuellen Lichtverhältnisse. Als Eingangsgrößen für die Regelung des Systems
werden verwendet:
x Geschwindigkeit
x Einschlagwinkel der Vorderräder
x Karosserieneigung
x Beladungszustand
x Umgebungslicht
Es kommen horizontal und vertikal schwenkbare Bi-Xenon Scheinwerfer zum Einsatz.
Bewegliche Reflektoren und variable Blenden erlauben ein exaktes Einstellen des Licht-
bilds, Bild 11-8.

1. Abblendlicht/Landstraßenlicht – Fülliger Lichtkegel


2. Kurvenlicht – Dynamisches Schwenken der Scheinwerfer auf Landstraßen und Autobahnen
3. Abbiegelicht – Schwenken der Scheinwerfer und Hinzuschalten von Zusatzscheinwerfern für Stadt oder enge
Landstraßen
4. Schlechtwetterlicht – Abmagerung des zentralen Lichtkegels, um spiegelnde Reflexionen auf der Fahrbahn zu
vermeiden, stattdessen zwei auf mittlere Distanz wirkende Lichtkegel in Richtung Fahrbahn
5. Autobahnlicht – weit nach vorne reichender schmaler Lichtkegel für Autobahnverkehr
6. Stadtlicht – breiter fülliger Lichtkegel für den Stadtverkehr

Bild 11-8 Adaptive Frontlichtsysteme


11.2 Beleuchtungssysteme 207

11.2.2 Nachtsichtsysteme
Bei Dunkelheit ist das Unfallrisiko deutlich höher als am Tag. Fast 50 % der schweren
Unfälle ereignen sich nachts oder bei Dämmerung, obwohl nur rund ein Fünftel der ge-
fahrenen Kilometer auf die Nachtstunden entfallen. Mit herkömmlichem Abblendlicht
beträgt die Sichtweite nachts nur etwa 40 m. Das Fernlicht leuchtet die Straße zwar weiter
aus, blendet aber auch den Gegenverkehr. Daher kann es auf lediglich 15 % aller Strecken
genutzt werden. Zur Unterstützung der Fahrer bei Nachtfahrten gibt es zwei Systemvari-
anten auf dem Markt:
x Aktive Nachtsichtsysteme
x Passive Nachtsichtsysteme
Die Informationen der Systeme können auf einem Bildschirm oder einem Head-Up-
Display dargestellt werden. Bild 11-9 gibt Aufschluss über die potentielle Verbesserung
der Sichtverhältnisse durch Nachtsichtsysteme.

Bild 11-9 Verbesserung der Sichtverhältnisse durch Nachtsichtsysteme

Aktive Nachtsichtsysteme strahlen den Verkehrsraum fernlichtartig mit für das mensch-
liche Auge nicht sichtbarer, infraroter Strahlung an. Das reflektiere Bild wird von einer
Kamera aufgenommen und die nicht sichtbare Strahlung wird in den sichtbaren Bereich
verlegt. Die Reichweite des Systems wird durch die entfernungsabhängige Beleuchtung
begrenzt. Nahe Objekte werden leicht überbelichtet, wofür eine geeignete Kompensation
vorgesehen werden muss. Aktive Systeme sind leicht zu integrieren und relativ preiswert.
Passive Systeme registrieren die von Objekten emittierte thermische Strahlung, somit ist
keine aktive Beleuchtung erforderlich. Die Reichweite beträgt 300 bis 400 m. Die Bild-
ausgabe der passiven Systeme weicht erheblich von denen der aktiven Systeme ab. Die
Darstellung ähnelt einem Foto-Negativ, wärmere Teile werden heller abgebildet. Der
Sicherheitsgewinn liegt bei passiven Systemen vor allem in der frühzeitigen Erkennung
von lebenden Objekten auf oder neben der Fahrbahn. Das System ist weitestgehend resis-
tent gegen Verschmutzung. Bei starkem Regen oder Nebel treten aber Probleme auf, weil
sich die Temperaturunterschiede verringern. Prinzipbedingt werden kalte Objekte von dem
208 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

System nicht erkannt. Verglichen mit den aktiven Systemen zeichnen sich passive Syste-
me durch einen höheren Preis aus. Dieser ist etwa doppelt so hoch wie bei aktiven Systemen.

11.3 Fahrerassistenzsysteme
Fahrerassistenzsysteme (engl.: Advanced Driver Assistance Systems, kurz ADAS) dienen
dazu, den Fahrer bei seinen Aufgaben in verschiedenen Bereichen zu unterstützen. In Bild
11-10 sind verschiedene Assistenzsysteme und ihr jeweiliger Einsatzbereich dargestellt.
In diesem Kapitel werden einige Fahrerassistenzsysteme genauer betrachtet.
Für den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen gibt es eine Reihe von Randbedingungen.
So muss die volle Verantwortung für die Fahrzeugführung beim Fahrer verbleiben. Die
Systeme müssen vom Fahrer überwacht und bei Bedarf abgeschaltet werden können.
Eingriffe der Systeme in die Fahrzeugführung müssen für den Fahrer vorhersehbar, nach-
vollziehbar und beherrschbar sein. Alle Entwicklungen im Bereich der Fahrerassistenz-
systeme müssen den Fahrer in den Mittelpunkt stellen, denn nur so kann die Akzeptanz
und damit der Erfolg sichergestellt werden. Das autonome oder teilweise automatisierte
Fahren ist derzeit noch nicht das Ziel der Fahrerassistenzsysteme.

Verkehrssystem
Verkehrssystem

Spurwechsel- Fahrmanöver
Fahrmanöver collision
assistent mitigation
LDW Fußgänger-
Park- Fahrzeug
Fahrzeug
sicherer assistenz schutz
Verkehrs-
Verkehrs- Risiko-
Risiko-
Kollisions-
Kollisions- Schutz von Rettungs-
Rettungs-
ablauf vermeidung
vermeidung Insassen und management
night Partnern
vision ACC Blind Spot collision
Pre- e-call
Detection warning
Crash
Brems-
assistent

Bild 11-10 Einsatzbereich von Fahrerassistenzsystemen

Auf dem Gebiet der Kollisionsvermeidung existieren Systeme, die den Fahrer vor einer
bevorstehenden Kollision warnen, so dass dieser schnell und angemessen reagieren kann.
Ein solches System wurde von der Firma Bosch unter dem Namen „Predictive Collision
Warning“ (PCW) entwickelt. PCW erkennt einen drohenden Auffahrunfall und löst dar-
aufhin einen kurzen, spürbaren Bremsruck aus. Alternativ oder zusätzlich kann der Fahrer
durch optische und akustische Signale sowie durch ein kurzes Anziehen des Sicherheits-
gurts alarmiert werden. Andere Systeme zur Kollisionsvermeidung gehen einen Schritt
weiter. Wird ein kritischer Zustand erkannt, wird zur Vermeidung einer Kollision ein
11.3 Fahrerassistenzsysteme 209

automatisches Brems- bzw. Ausweichmanöver eingeleitet. Dabei werden erhebliche An-


sprüche an die Datenqualität der verwendeten Abstandssensoren gestellt, da eine Daten-
fehlinterpretation verheerende Auswirkungen nach sich ziehen kann. Systeme, die eine
selbsttätige Bremsung ermöglichen, benötigen neben einer entsprechenden Umfeldsenso-
rik eine automatische Bremsenansteuerung, um Bremsdruck unabhängig vom Fahrer auf-
bauen zu können. Das Honda Collision Mitigation Brake System (CMS) ist ein solches
System. Der Fahrer wird zuerst von der bevorstehenden Kollision gewarnt. Erfolgt darauf
keine Reaktion, wird eine automatische Vollbremsung eingeleitet. Selbstständiges Aus-
weichen wurde nicht realisiert.
Da viele – häufig schwere – Unfälle auf den Sekundenschlaf eines Fahrers zurückzu-
führen sind, wurden Systeme konzipiert, die die Aufmerksamkeit des Fahrers überwachen
und ihn so gegebenenfalls „wachrütteln“. Diese Systeme verfolgen zwei unterschiedliche
Ansätze. Bei der Überwachung des Lidschlussverhaltens wird mittels einer Kamera die
Häufigkeit des Augenlidschlags erfasst. Die Häufigkeit der Bewegung wird ausgewertet
und in verschiedene Stufen der Wachsamkeit unterteilt, Bild 11-11 links. Eine weitere
Möglichkeit zur Feststellung des Aufmerksamkeitszustands des Fahrers bietet die Über-
wachung der Kopfbewegung, Bild 11-11 rechts.

Bild 11-11 Aufmerksamkeitskontrolle – Lidschlag links, Kopfbewegung rechts

Um den Fahrer zudem jederzeit mit Informationen über die erlaubte Höchstgeschwin-
digkeit zu versorgen zu können, wurden Systeme entwickelt, die Geschwindigkeitsinfor-
mationen erkennen können. Diese Information kann aus verschiedenen Quellen gewon-
nen werden:
x Bildinterpretation
x Informationen aus Funksendern in Verkehrsschildern
x Informationen aus der Navigationskarte
Diese Systeme können den Fahrer in der ersten Stufe warnen, wenn die zulässige Höchst-
geschwindigkeit überschritten wird. In weiteren Ausbaustufen ist ein Eingriff in die Mo-
210 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

torsteuerung vorgesehen und ermöglicht eine aktive Geschwindigkeitsbegrenzung mög-


lich. Ein System mit diesem Funktionsumfang wurde von Bosch entwickelt, ob und wann
das System in den Markt eingeführt wird ist aber unklar.
In eine ähnliche Richtung arbeiten Systeme, die eine Verkehrszeichenerkennung ermög-
lichen. Hier wird die Umgebung mittels einer Farbkamera erfasst. Konturen und Po-
sitionen von Lichtern werden dabei zu Verkehrszeichen umgedeutet. Durch eine Inte-
gration in einen „Kreuzungsassitenten“ lassen sich darüber einige Sicherheitsfunktionen
realisieren. So ist es in Kombination mit Bremse und Tempomat möglich, Fahrzeuge
automatisch an Stopschilder oder rote Ampeln heranzubremsen. Dies kommt der Ver-
kehrssicherheit zu Gute, da durch eine situative Warnung eine Vielzahl an Unfällen ver-
mieden werden kann. Nachtfahrten und innerstädtische, bunte Umgebungen bereiten dem
System zur Zeit aufgrund des erhöhten Rechenaufwands noch Probleme. In Zukunft sol-
len solche Systeme eingesetzt werden, um den Fahrer permanent über die zulässigen Ge-
schwindigkeiten sowie die Verkehrssituation zu informieren. Bei Umleitungen ist so auch
eine Navigationsfunktion denkbar.

Bild 11-12 Fahrzeug-Fahrzeug-


Kommunikation

Bei vorrausschauenden Fahrerassistenzsystemen lassen sich statische und dynamische


Varianten unterscheiden. Die statischen Systeme beziehen die Informationen über sicher-
heitsrelevante Attribute sowie über den Straßenverlauf aus digitalen Karten. Lassen sich
z. B. gefährliche, enge Kurven erkennen, kann eine Warnung an den Fahrer ausgegeben
werden. Dynamische Systeme nutzen die Fahrzeug-Fahrzeug- sowie die Fahrzeug-Infra-
11.3 Fahrerassistenzsysteme 211

struktur-Kommunikation, um sich mit ihrer Umgebung über akute Gefahren sowie Ver-
kehrslagen auszutauschen, Bild 11-12. Die Wahrnehmung von Fahrer und Fahrzeug kann
so um den „telematischen Horizont“ erweitert werden. Darüber wird eine frühere Reakti-
on von Fahrer und Assistenzsystemen ermöglicht.
Die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation basiert auf der WLAN ad-hoc Technologie. Das
heißt, dass keine Server nötig sind, sondern die Teilnehmer sich untereinander ver-
ständigen und sogar Nachrichten weiterleiten können. Gerät ein Fahrzeug z. B. auf Grund
von Glatteis ins Schleudern, so kann es nachfolgende Autos warnen, Bild 11-12.
Die ad-hoc Netze vervollständigen auch die dynamischen Navigationssysteme. Ein ste-
hendes Auto auf der linken Spur ist beispielsweise ein eindeutiger Hinweis auf eine Ver-
kehrsbehinderung, die dem nachfolgenden Verkehr kenntlich gemacht werden sollte.
Ebenso können frei werdende Parkplätze an parkplatzsuchende Verkehrsteilnehmer ver-
mittelt werden. Kolonnenfahrten könnten somit ebenfalls geordneter ablaufen, da über
den Navigationsbildschirm die Position aller Fahrzeuge angezeigt werden kann. Andere
Anwendungen sind Länder- und anwendungsspezifisch möglich. Hauptvorteil der Fahr-
zeug-Fahrzeug-Kommunikation ist eine flächendeckende und lückenlose Erfassung von
Verkehrsinformationen.
Das unbeabsichtigte Verlassen der Fahrspur stellt eine weitere mögliche Unfallursache
dar. Das Fehlverhalten resultiert oft aus der Unaufmerksamkeit oder Müdigkeit des Fah-
rers. Aus diesem Grund wurden verschiedene Systeme entwickelt, die den Fahrer bei der
Spurhaltung unterstützen. Lane Departure Warning Systeme detektieren die Position des
Fahrzeugs relativ zu den Fahrspurmarkierungen mit Hilfe von Bildsensoren und/oder
seitlicher Lasersensoren, Bild 11-13.

Bild 11-13 Spurerkennung für Lane Departure Warning


212 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

Die aktuelle Position wird dann mit der Fahrabsicht des Fahrers verglichen. Die Absicht
des Fahrers kann aus der Lenkwinkelveränderung, der Blinkerbetätigung sowie der
Bremspedalbetätigung bestimmt werden. Wird ein ungewolltes Verlassen der Fahrspur
festgestellt, kann der Fahrer über akustische Warnelemente wie Rattern aus den Lautspre-
chern der entsprechenden Seite oder haptische Elemente wie einer Vibration in Lenkrad
oder Sitz informiert werden. Solche Systeme sind im Nutzfahrzeugbereich bereits vertre-
ten, zukünftig wird mit einer Verbreitung im Pkw-Bereich gerechnet.
Lane Keeping Systeme erweitern die Funktionalität des Lane Departure Warning. Das
Zurücksteuern des Fahrzeugs kann direkt oder indirekt über haptische Signale am Lenrad
erfolgen, was eine korrigierende Lenkreaktion des Fahrers induziert. Alternativ kann
durch ein elektrisches Lenksystem ein „Gewicht“ erzeugt werden, um dem Fahrer das
Gefühl einer virtuellen Fahrrinne zu vermitteln, sobald das Fahrzeug auf den Fahrbahn-
rand zusteuert, Bild 11-14. Der Fahrer trifft hierbei aber immer die endgültige Richtungs-
entscheidung. Dies ist aufgrund der europäischen Rechtssituation notwendig, die vor-
schreibt, dass der Fahrer immer die Kontrolle über das Fahrzeug und damit die Verant-
wortung im Straßenverkehr behalten muss.

Bild 11-14 Lane Keeping – Virtuelle Rinne

In Bild 11-15 sind die Systeme zur Spurhalteunterstützung gegenübergestellt. Neben den
heute schon realisierten Lane Departure Warning und Lane Keeping Systemen wird für
die Zukunft mit Automated Lane Keeping Systemen gerechnet, die eine Übernahme der
Fahraufgaben ermöglichen.
Ein weiteres Assistenzsystem sind Spurwechselassistenten, die den Fahrer beim beab-
sichtigten Fahrspurwechsel unterstützen. Wird in einer solchen Situation ein Fahrzeug im
toten Winkel oder ein sich schnell näherndes Folgefahrzeug erkannt, gibt das System eine
Warnung aus. Wie schon bei Lane Departure Warning können diese Signale akustisch
oder haptisch ausgegeben werden. Zusätzlich bietet sich eine optische Warnung mittels
einem Blinklicht im entsprechenden Außenspiegel an. Zur Erkennung einer Gefahrensitu-
ation werden Radarsysteme eingesetzt, die über zwei im Stoßfänger integrierte Sensoren
den Bereich bis 50 m hinter dem Fahrzeug erfassen. Systeme, die aktiv in die Fahrdyna-
mik eingreifen, befinden sich in Entwicklung.
11.3 Fahrerassistenzsysteme 213

Lane Departure Lane Keeping Automated Lane


Warning System Keeping

Wiederherstellung der Wiederherstellung der Übernahme der


Aufmerksamkeit Aufmerksamkeit Fahraufgabe
+ Fehlerkorrektur
+ Prävention des
Aufmerksamkeits-
verlustes

Bild 11-15 Gegenüberstellung der Systeme zur Spurhalteunterstützung

Ähnlich wie der Spurwechselassistent überwacht die Blind Spot Detection den für den
Fahrer nicht einsehbaren Bereich und warnt vor Fahrzeugen, die sich darin verbergen.
Dabei überwachen Breitbandsensoren an jeder Fahrzeugseite den toten Winkel, der sich
bis ca. 12 m hinter das Fahrzeug erstreckt. Das Blind Spot Information System (BLIS)
von Volvo überwacht den Verkehr mit nach hinten gerichteten Digitalkameras in den
Außenspiegeln. Die Bilder der Kamera werden ausgewertet. Tritt dabei ein Objekt in den
Überwachungsraum von 3 m Breite und 9,5 m Länge neben dem Fahrzeug ein, wird der
Fahrer über eine orangefarbene Leuchtdiode im unteren Bereich der A-Säule gewarnt.
In den oberen Fahrzeugklassen werden Abstandsregeltempomanten eingesetzt, die nicht
nur eine vorgegebene Fahrzeuggeschwindigkeit, sondern auch einen vorgegebenen Ab-
stand zum vorausfahrenden Fahrzeug einhalten können. Als internationale Bezeichnung
für diese Systeme hat sich der Begriff Adaptive Cruise Control (ACC) etabliert. Um ein
solches System zu realisieren, sind aktive Eingriffe in die Längsdynamik notwendig.
Fahrzeuge, die sich in Fahrtrichtung in der gleichen Spur befinden, werden von Abstands-
sensoren erfasst. Hier kommen Radar-, Lidar- oder Bildverarbeitungstechnologie zum
Einsatz. Der Abstand und die Relativgeschwindigkeit zum vorausfahrenden Fahrzeug
werden ermittelt, woraufhin das ACC-System den zuvor eingestellten Abstand durch
Eingriffe in das Motormanagement oder einen Bremseingriff einstellt, Bild 11-16.
Der Anwendungsbereich eines normalen ACC-Systems beschränkt sich auf Autobahnen
und Landstraßen und Geschwindigkeiten über 30 km/h. Stehende Objekte werden dabei
nicht erkannt. Aus Komfortgründen werden die Beschleunigungen im Bereich von –
2,5 m/s² und +1,5 m/s² gehalten.
ACC Plus erweitert den Geschwindigkeitsregelbereich bis zum Stillstand. Es werden leis-
tungsfähigere Sensoren eingesetzt, die auch auf stehende Objekte reagieren. Diese sind
aufwändiger und damit teurer. Durch die komplexere Aufgabe steigt auch die Fehleranfäl-
ligkeit. Neben den schon bei ACC-Systemen verbauten Sensoren werden zusätzliche
Nahbereichsensoren ergänzt. Die erfassen einen Bereich bis maximal 20 Metern vor dem
Fahrzeug. Ihre Aufgabe liegt in der Bestimmung des Abstands, der Querposition sowie
der Relativgeschwindigkeit vorausfahrender Fahrzeuge. Das System enthält noch keine
automatische Anfahrfunktion.
214 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

Bild 11-16 Funktionsprinzip ACC

Durch die Nutzung von Navigationsdatenbanken ergibt sich ein Optimierungspotential für
die ACC Funktion. So können die Informationen aus einem Navigationssystem, das mit
einer entsprechenden Datenbank ausgestattet ist, als vorrausschauende Umfeldsensorik
eingesetzt werden. So lassen sich beispielsweise Autobahnausfahrten frühzeitig erfassen
und es kann entsprechend reagiert werden. ACC Stop&Go erweitert ACC Plus um eine
automatische Anfahrfunktion. Damit erweitert sich der Einsatzbereich des ACC-Systems
auf den Innenstadtbereich. Ebenso ist es so möglich, einem Fahrzeug ohne Längsdyna-
mikeingriffe des Fahrers zu folgen. Hierdurch werden die Anforderungen an die entspre-
chenden Sensoren noch einmal erhöht. Kombiniert man die Möglichkeiten des ACC-
Systems mit den Informationen, die sich aus einer Verkehrszeichenerkennung gewinnen
lassen, ist eine dynamische Anpassung der Fahrgeschwindigkeit an die Verkehrsvor-
schriften möglich. Dabei sind verschiedene Ausbaustufen von rein informierenden bis hin
zu Systemen, die aktiv in die Längsdynamikregelung eingreifen, vorstellbar.
Insgesamt erhöhen ACC-Systeme durch eine gleichmäßigere Fahrweise den Fahrkomfort,
zudem lassen sich durch eine solche Fahrweise auch Verbrauchsreduzierungen realisie-
ren. Da der Abstand auf einem konstanten, relativ hohen Niveau gehalten wird, haben
ACC-Systeme auch einen positiven Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Schwierigkeiten
bereiten Situationen, in denen Fahrzeuge mit einer hohen Relativgeschwindigkeit in den
Sicherheitsabstand zum Vordermann einscheren. Abhilfe könnte hier der Einsatz der
Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation schaffen. Teilt das einscherende Fahrzeug seine
Überholabsicht rechtzeitig mit, kann das ACC-System entsprechend reagieren.
Für die oben beschriebenen ACC-Systeme wäre eine Kenntnis des aktuellen Reibwerts
zwischen Straße und Reifen von Vorteil. So kann der Sicherheitsabstand, den das System
einregelt, besser an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Ist die Fahrbahn ver-
schneit oder nass, muss mit erheblich längeren Bremswegen gerechnet werden, aus denen
sich wiederum ein größerer, notwendiger Sicherheitsabstand ergibt. Aus diesem Grund
wurden Systeme entwickelt, die mittels eines optischen Verfahrens den Zustand der Stra-
11.3 Fahrerassistenzsysteme 215

ße bestimmen können. Dazu wird die Straße mit Infrarotlicht bestrahlt. Je nach Aggregat-
zustand, Konsistenz und Menge des auf der Fahrbahn vorhandenen Niederschlags wird
unterschiedlich viel Infrarotstrahlung absorbiert, so dass ein Rückschluss auf den Fahr-
bahnzustand möglich ist. Als problematisch erweisen sich hier μ-Split-Bedingungen,
welche eine Überwachung an beiden Fahrzeugseiten erfordern. Auch Spurrillen lassen
sich nur schwer erkennen. Eine Überwachung mittels Optik ist nur neben, aber nicht unter
dem Rad möglich, da die Sensoren sonst Verschmutzen würden. In Kombination mit der
Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation ist eine frühzeitige Warnung der nachfolgenden Ver-
kehrsteilnehmer möglich, so dass diese sich besser auf die Gefahrensituation einstellen
können. Die Kenntnis des Reibwerts ermöglicht auch einen Kurvengeschwindigkeits-
assistent. Neben dem Reibwert ist der Kurvenverlauf über Navigationskarten zu ermitteln,
die Fahrzeugträgheit und das Gierverhalten sind ebenfalls bekannt. Über die Kommunika-
tion mit anderen Fahrzeugen ist auch eine Warnung vor Gefahren hinter der Kurve mög-
lich. Stuft der Kurvengeschwindigkeitsassistent die Fahrweise als unangepasst ein, kön-
nen dem Fahrer Vorschläge über die mögliche Geschwindigkeit, die Gangwahl sowie
über den Verlauf der Kurven angezeigt werden.
Da das seitliche Einparken besonders mit unübersichtlichen Fahrzeugen einige Übung
erfordert, wurden Systeme entwickelt, die den Fahrer beim Einparkvorgang unterstützten
oder diesen sogar komplett übernehmen. So wird bei Mercedes Benz ein System mit dem
Namen Parktronic angeboten. Wird der Rückwärtsgang eingelegt, wird automatisch eine
im Kofferraumdeckel versteckte Kamera aktiviert. Für die Wiedergabe wird das Display
des Fahrerinformationssystems COMAND verwendet. In das Bild wird der optimale
Lenkwinkel eingeblendet. Dieser wird aus den Abmessungen des Fahrzeugs und der Grö-
ße der Parklücke bestimmt. Zusätzlich werden die tatsächliche Fahrzeugspur sowie Breite
angezeigt. Dieses System wird vor allem auf dem japanischen Markt gefordert, da dort die
Einsehbarkeit bestimmter Bereiche hinter dem Fahrzeug Vorraussetzung für die Zulas-
sung neuer Fahrzeuge ist.
Volkswagen bietet ein so genanntes „Park Assist“ System an. Wird das System aktiviert,
messen Ultraschallsensoren im Vorbeifahren verfügbare Parklücken aus. Dabei darf die
Fahrzeuggeschwindigkeit maximal 30 km/h betragen. Findet das System eine passende
Parklücke, wird dies dem Fahrer angezeigt. Hält dieser daraufhin an und legt den Rück-
wärtsgang ein, übernimmt das System die Lenkung. Damit die Verantwortung für die
Fahraufgabe nach wie vor beim Fahrer verbleibt, muss dieser noch Gasgeben und Brem-
sen. Vorteilhaft ist aber, dass der Fahrer beim Einparkvorgang die Hände vom Lenkrad
nehmen kann und sich damit besser umsehen und auf seine Umgebung konzentrieren
kann. Der eigentliche Einparkvorgang dauert nach Herstellerangaben nur 15 Sekunden.
Das Park Assist System ist beispielsweise als Option im VW Touran verfügbar.
Betrachtet man die vorgestellten Fahrerassistenzsysteme, so erkennt man, dass diese ihre
Informationen aus einer Vielzahl von Sensoren beziehen. Bisher setzt dabei jede Einzel-
anwendung auf eigenen Sensoren auf. Dadurch bleiben Synergiepotentiale ungenutzt, was
in hohen Kosten und damit Aufpreisen für die angebotenen Systeme resultiert. Die hohen
Aufpreise sorgen wiederum für niedrige Ausstattungsraten. Die Lösung für dieses Prob-
lem besteht darin, die von einem Sensor detektierten Informationen mehreren Systemen
zur Verfügung zu stellen. So wird einerseits die Auslastung der Sensoren verbessert,
andererseits können überflüssige Sensoren entfallen und damit die Kosten und Aufpreise
für die Gesamtsysteme gesenkt werden. Über die geringeren Aufpreise kann auch die
Ausstattungsrate erhöht werden. Als Beispiel hierfür dient die Kamera. Diese wird so-
216 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

wohl vom Spurhalteassistent, von der Verkehrszeichenerkennung und von Pre-Crash


Systemen verwendet. Teilen sich alle Systeme eine Kamera, verbessert sich das Verhält-
nis von Preis zu Kosten für alle Systeme, Bild 11-17. In Zukunft ist daher mit einer weite-
ren Funktionsbündelung im Bereich der Sensoren zu rechnen.

Kamera-
Kamera-
Preis zu Kosten Verhältnis

aufgaben
aufgaben

LDW
LDW
Bild 11-17
Funktionsbündelung
Verkehrs-
Verkehrs- für Sensoren in Fahrer-
Zeichen-
Zeichen- assistenzsystemen
erkennung
erkennung

Pre
Pre Crash
Crash

Kundenakzeptanz

In Bild 11-18 ist die Entwicklung der Komplexität der Fahrerassistenzsysteme über die
Zeit dargestellt. Die Systeme, die auf Stabilisierungs- und Navigationsebene arbeiten, sind
bereits weit entwickelt. An Systemen, die sich mit den Aufgaben der Bahnführung be-
schäftigen, und damit auch ein teilautomatisches Fahren erlauben, wird gearbeitet. Voll-
automatisches Fahren ermöglichen diese jedoch bis dato noch nicht.
Komplexität

Fahrer entbehrlich - vollautomatisches Fahren

Fahrer notwendig - teilautomatisches Fahren

Kollisionswarnung
und -vermeidung

Spurwechselassistent

Reibwerterkennung

Sichtweitenüberwachung

Spurhalteassistent
Lane Departure Warning Asistant (LDWA)

Stop & Go Assistent


Adaptive Cruise Control Bahnführungsebene
Navigationssystem Navigationsebene
Elektronisches Stabilitätsprogramm Stabilisierungsebene
Antiblockiersystem

Zeit
Bild 11-18 Entwicklungslinie der Fahrerassistenzsysteme
11.4 Fahrerkomfortsysteme 217

11.4 Fahrerkomfortsysteme
Unter Fahrerkomfortsystemen werden Anwendungen verstanden, die für die eigentliche
Fahraufgabe von untergeordneter Bedeutung sind, die Fahrzeugbedienung aber insgesamt
komfortabler gestalten. Die schon in Kapitel 11.1 behandelten Fahrerinformationssysteme
lassen sich ebenfalls den Komfortsystemen zuordnen, da diese die komplexe Bedienung
großer Funktionsumfänge erheblich erleichtern können. Erweiterte Funktionen, wie etwa
Kommunikations- und Unterhaltungsapplikationen, lassen sich ebenfalls den Komfort-
systemen zuordnen.
Neben den Informations- und Bediensystemen bieten beispielsweise Schlüsselsysteme
Potential zur Komfortsteigerung. Die Funktionsweise solcher Systeme basiert auf Senso-
ren, die die Anwesenheit des Schlüssels detektieren. Dabei wird das Fahrzeug in ver-
schiedene Bereiche eingeteilt. Wird der Schlüssel in einem der Bereiche detektiert, wer-
den unterschiedliche Funktionen freigegeben, Bild 11-19. So werden im Heckbereich nur
der Kofferraum, im Frontbereich nur die Seitentüren freigegeben. Befindet sich der
Schlüssel im Innenraum, kann das Fahrzeug per Knopfdruck gestartet werden.

Bild 11-19 Funktionsbereiche eines Advanced Key System


218 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

11.5 Bussysteme
Bussysteme dienen der Vernetzung der einzelnen Systeme und Komponenten im Fahr-
zeug. Aus dieser Vernetzung resultiert eine höhere Flexibilität im Hinblick auf die Zuord-
nung von Funktionen zu Steuergeräten. Die Fehlerdiagnose wird ebenfalls vereinfacht.
Auch die Funktionsintegration, beispielsweise in Form von multifunktionalen Steuergerä-
ten, wird durch die Bussysteme erleichtert. Integration und Vernetzung mittels Bussyste-
men reduzieren die Anzahl der Kabel und Verbindungen, was auf der einen Seite die
Sicherheit erhöht und auf der anderen Seite die Kosten und Gewicht reduziert. Eine Ge-
genüberstellung von klassischer Einzelverkabelung und der Vernetzung mittels Bussys-
temen ist in Bild 11-20 dargestellt.

klassische Einzelverkabelung
klassische Einzelverkabelung Bussystem
Bussystem
• je Komponente ein Kabel • Zusammenfassung vieler
Steuerleitungen zu einem Bus
• hohes Gewicht
• hohe Ausfallgefahr (Kabelbruch) • Steuerung vieler Elemente über eine
Zentrale Kontrolleinheit
• hohe Störungsgefahr
• hohe Kosten
• Daten müssen in Pakete ausgeführt
werden
• Der Bus muss überwacht werden
• Die Datenpakete müssen fehlerfrei sein
• Kostenreduzierung
• erhöhte Zuverlässigkeit
• bessere Zuordnung der Komponenten
zu Steuereinheiten
• bessere Diagnosemöglichkeiten

Bild 11-20 Gegenüberstellung Einzelverkabelung und Bussystem

Bei der Wahl des geeigneten Bussystems spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Ne-
ben der eigentlichen Datenübertragung, auf die bei der Vorstellung der einzelnen Systeme
später detaillierter eingegangen wird, müssen die Bussysteme für die im Automobil herr-
schenden Randbedingungen geeignet sein. Zu diesen Randbedingungen zählen z. B. auch
die Betriebstemperatur sowie die Feuchtigkeit. Diese Randbedingungen sind stark vom
Einsatzort des Bussystems abhängig, so finden sich im Motorraum grundlegend andere
Bedingungen als im Fahrzeuginnenraum.
Ein besonders einfaches und günstiges Bussystem ist das Local Interconnect Network
(LIN). Es basiert auf einem Single Master/Multiple Slave Prinzip und unterstützt maximal
16 Busknoten bei einer Datenrate von 20 kbit/s. Die maximale Buslänge beträgt 40 m.
Zur Übertragung werden drei Kupferadern verwendet, eine für die Anforderungen und je
eine für eine positive bzw. negative Antwort.
11.5 Bussysteme 219

Das Mitte der 80er Jahre von Bosch entwickelte Controlled Area Network (CAN) ver-
bindet mehrere, gleichberechtigte Stationen über einen seriellen, linearen Bus. Die maxi-
male Datenübertragungsrate beträgt bei CAN 1 Mbit/s. CAN-Nachrichten werden auf den
Bus gelegt, ein Identifier regelt die Adressierung und gleichzeitig die Prioritäten, nach
denen die Nachrichten bei Kollisionen von Sendeanfragen übertragen werden dürfen.
Dabei bedeuten kleinere Identifier höhere Priorität. Der eigentliche Bus besteht aus einer
verdrillten, zweidrahtigen Leitung. CAN gewährleistet eine sichere Übertragung der Da-
ten, durch die Verwendung von standardisierten Baugruppen ist die Handhabung beson-
ders einfach.
Als reines Multimediabussystem wurde das Media Oriented Systems Transport (MOST)
entwickelt. Hier werden Daten mittels Lichtwellenleitern mit einer Geschwindigkeit von
10 Mbit/s übertragen. Es werden sowohl synchrone, asynchrone als auch isochrone Da-
tenübertragung unterstützt, wodurch Zwischenspeicher entfallen können. Die Topologie
kann als Ring, Kette oder Stern ausgeführt sein. In jedem Knoten wird das Signal ver-
stärkt, um die Dämpfung der Leiter zu kompensieren. MOST ist „Bypass“-fähig, bei Aus-
fall eines Knotens wird der Datenverkehr, der im Ring über den Knoten hinaus gesendet
wird, nicht beeinträchtigt. Bild 11-21 gibt eine Übersicht über die in Multimediasystemen
benötigten Übertragungsraten.

verfügbare Bussysteme

Bluetooth
FlrexRay

Firewire
MOST
CAN
LIN

Anwendung (Standart) Datenrate (Mbit/s) 0,2 1 10 20 400 1


Low-Speed < 0,125 X X X X X X
Steuerung
High-Speed <1 – X X X X X
Audio CD-Stereosignal 1,4 – – X X X X*
Video CD MPEG 1 1,5 – – X X X X*
DAB MPEG 3 1,7 – – X X X –
CD-ROM (4-fach) 5 – – X X X –
DVB MPEG 2 8 – – X X X –
DVD MPEG 2 10 – – X X X –
TV PAL, unkomprimiert 120 – – – – X –
Legende: – Nicht Möglich; X Möglich; X* Nur mit stärkerer Komprimierung möglich
Bild 11-21 Multimediadatenübertragungsraten

Byteflight von BMW setzt ebenso wie MOST auf optische Übertragungsmedien. Das
System wird in Sterntopologie ausgeführt, die Datenrate beträgt 10 Mbit/s. Byteflight
eignet sich für sicherheitskritische Anwendungen wie Airbags. Reaktionszeiten unter
5 ms können garantiert werden. Dies ist besonders für Sicherheitssysteme für den Seiten-
crashbereich von großer Bedeutung.
220 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

Die Verwendung von Lichtwellenleitern wie bei MOST oder Byteflight birgt einige Vor-
teile. Lichtwellenleiter sind leichter als Kupferkabel und ermöglichen hohe Datenraten.
Das kupferleitungsbedingte Rauschen entfällt prinzipbedingt, ebenso wie die Anfälligkeit
für elektromagnetische Störeinflüsse. Im Gegensatz zur Kupferleitung senden Lichtwel-
lenleiter auch keine elektromagnetischen Störungen aus und beeinflussen somit auch
keine anderen Systeme.
Bei X-by-Wire Systemen entfällt die mechanische Verbindung zwischen mechanischem
Eingang und Ausgang. Die Stellsignale werden nur noch elektrisch ohne hydraulische
oder mechanische Rückfallebene übertragen, Bild 11-22. Der Entfall dieser Rück-
fallebene stellt hohe Anforderungen bezüglich der Übertragungssicherheit an das verwen-
dete Bussystem. Dieses muss den regelmäßigen Datenverkehr mit konstanten Latenzzei-
ten abwickeln können und sollte dabei Möglichkeiten zur Fehlererkennung und -korrektur
bieten. Diese Anforderungen werden sowohl von Time-triggered CAN (TTCAN) als auch
von FlexRay erfüllt.

Sensorik Aktuatorik
Brems/Steuerung Kontrollsystem

Systen-
verwaltung Computer
Mechanisch/elektronisches Pedal
Brems-/
Haptik Steuerungs- Sensoren
Haptik Aktor kontrolle
Feedback

Brems-/
Mechanisches Pedal/Lenkrad Aktuator- Strom- Elektr.
Fahrer
Fahrer Sensoren Bussystem Steuerungs- Fahrzeug
Fahrzeug
Pedal/Lenkrad Sensoren kontrolle versorgung Aktuator
mechanik

Energie-
versorgung 1
14V-System
Energie-
versorgung 2
42V System

Mechanischer Elektrischer Elektrischer Mechanischer


Eingang Ausgang Eingang Ausgang

Zentrale Verbindung durch Bussysteme

Bild 11-22 Signalfluss eines X-by-Wire Systems

Lassen sich über X-by-Wire die mechanischen Backup-Systeme einsparen, können damit
Gewicht und Kosten gesenkt werden. Der Entfall von Lenksäule und Pedalerie hat dar-
über hinaus einen positiven Einfluss auf die passive Sicherheit, da diese beiden Elemente
im Crashfall in den Fahrgastraum eindringen und damit die Insassen gefährden können.
Beispiele für X-by-Wire Systeme wurden mit der elektromechanischen Bremse und der
Keilbremse bereits vorgestellt. Hier werden die Steuersignale in Form einer Pedal-
betätigung des Fahrers in elektrische Signale umgesetzt. Diese Signale werden an Steuer-
geräte übertragen und von dort aus die Stellsignale für die entsprechenden Aktuatoren
erzeugt.
11.6 Zusammenfassung Technologietrends 221

11.6 Zusammenfassung Technologietrends


Im vorangegangen Kapitel wurden ausgewählte Technologietrends in den Bereichen Ka-
rosserie, Antrieb, Fahrwerk und Fahrzeugelektronik vorgestellt. Die Karosserie und der
Aufbau müssen verschiedene Anforderungen unter anderem hinsichtlich der Funktionali-
tät und Herstellung, dem Betrieb des Fahrzeugs sowie umweltspezifische Vorgaben er-
füllen. Die Aufbauarten lassen sich dabei im Wesentlichen in sechs Kategorien aufteilen:
x Selbsttragender Aufbau
x Mittragender Aufbau
x Rahmenbauweise
x Multi-Material-Bauweise
x Space-Frame Strukturen
x Gitterrohrbauweise
Je nach Einsatzspektrum und Anforderungen des Kunden erfolgt der Einsatz von sehr
unterschiedlichen Aufbauformen.
Im Bereich des Antriebs wurden verschiedene Getriebevarianten dargestellt. In Europa
wird damit gerechnet, dass die meisten Fahrzeuge auch in Zukunft mit konventionellen
Schaltgetrieben ausgestattet sein werden. Die automatischen Getriebe machen etwas mehr
als ein Viertel der verbauten Getriebe aus, bei diesen dominiert das konventionelle Auto-
matikgetriebe. Alternative Kraftstoffe und Antriebe werden mit zunehmend steigenden
Rohölkosten interessant. Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen bieten hier eine
Möglichkeit, den Fahrzeugbetrieb nahezu CO2-neutral zu gestalten. Gasbetriebene Fahr-
zeuge erfordern nur geringe Modifikationen am Verbrennungsmotor, wodurch auch die-
sen Systemen Potential für die künftige Entwicklung bescheinigt wird. Bei den alternati-
ven Antrieben wird mit einer stärkeren Verbreitung des Hybridantriebs gerechnet. Brenn-
stoffzellen und Fahrzeuge, die Wasserstoff zum Betrieb von konventionellen Verbren-
nungsmotoren einsetzten, sollen in absehbarer Zukunft keine große Verbreitung finden.
In der Fahrwerkstechnik halten vermehrt aktive Systeme Einzug, die eine gezielte Funkti-
onsbeeinflussung erlauben. Aktive Stoßdämpfer und Stabilisatoren erlauben eine Anpas-
sung der Dämpferkennlinie bzw. des Wankgegenmoments. Bremsen werden mit zahlrei-
chen Zusatzfunktionen und Sicherheitssystemen wie ESP und ABS ausgestattet. Diese
Systeme werden nahezu ausschließlich durch den Einsatz von Elektronik realisiert. Zur-
zeit kommen Systeme auf, welche die Bremskraft am Rad elektrisch erzeugen. Solche
Systeme arbeiten dann komplett ohne Hydraulik. Auch im Bereich der Lenkung werden
Systeme eingesetzt, die eine Beeinflussung des Lenkmoments und Lenkwinkels erlauben.
In den oberen Fahrzeugklassen kann hierzu die Überlagerungslenkung, bei kleineren
Fahrzeugen mit geringeren Spurstangenkräften auch die EPS eingesetzt werden. In Zu-
kunft wird mit einer fortschreitenden Integration der Chassissysteme gerechnet, da sich
hierüber Sicherheit und Komfort weiter erhöhen lassen.
Bei der Fahrzeugelektrik wird die Einführung eines 42 V Bordnetzes diskutiert. Hierüber
ließen sich Systeme, die ehemals über den Riementrieb versorgt wurden, bedarfsgerecht
elektrisch betreiben. Fahrerassistenzsysteme unterstützen den Fahrer bei Aufgaben der
Fahrzeuglängs- und Querführung. Sie ermöglichen schon ein teilautonomes Fahren in
bestimmten Situationen, vollautomatisches Fahren wird dabei aber in absehbarer Zukunft
nicht realisiert werden. Fahrerinformations- und komfortsysteme unterstützen den Fahrer
222 11 Technologietrends Fahrzeugelektronik

bei der Fahrzeugbedienung. Über Bussysteme lassen sich die Einzelsysteme vernetzen
und darüber auch Funktionen integrieren. So ist z. B. die gemeinsame Nutzung von Sen-
sordaten möglich. Darüber können Bauteile und damit Gewicht und Kosten reduziert
werden.
Plattformstrategien werden von den Herstellern angewendet, um die Verwendung von
Gleichteilen zu erhöhen. Modulbauweisen erleichtern die Endmontage, außerdem können
so größere Entwicklungsumfänge an Zulieferer ausgelagert werden. So können sich wohl
OEM als auch Zulieferer auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren.
223

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Sachwortverzeichnis 231

Sachwortverzeichnis

A Brennstoffzelle 158, 171


Abgasemissionsvorschriften 21 Bussystem 218
Active Body Control (ABC) 180 – Controlled Area Network (CAN) 219
Antrieb 152 – Local Interconnect Network (LIN) 218
– Allrad- 154 – Media Oriented Systems Transport
– alternativer 176 (MOST) 219
– konventioneller 167
C
Antriebsstrang 43, 57, 142, 152
Chassissysteme 196 ff.
Arbeitskosten 61
CO2-Emissionen 11
Armutsmigration 66
Continous Damping Control (CDC) 183
Aufbau 8, 47
Convenience-Orientierung 15
Aufbauformen
Cross-Selling-Potential 84
– Busse 139
– LKW 136 D
Aufwandsindikatoren 98 Datenbank 100
Automobilabsatz 23 Demand-pull 92
Automobilindustrie 1 f., 14, 44, 59, 74 Differenzierung 35, 48, 75, 94
Automobilproduktion 72 f., 143 Downstream-Geschäft 84
Auxiliary Power Unit (APU) 171, 174 Dynamic Drive System 179
B
Badge-Engineering 76 E
Baukastentechnik 142 Economies of Scale 30, 54, 121
Baustein 143 Economies of Scope 54
Beleuchtungssystem 200, 204 eCorner 19
– Abbiegelicht 205 Eigenleistungstiefe 35
– Kurvenlicht 205 Eintrittsbarrieren 28, 120
– Lichtsystem, adaptives 205 Elektromotor 47, 164, 169, 193
– Nachtsichtsystem 207 Emerging Markets 26
Biodiesel 159 Emissionsvorschrift 57, 158
Bioethanol 159 Entwicklungsdienstleister 1, 33
Booster 173 Entwicklungsstatus 92
Bordnetz 183, 200 Erdgas 159, 161
brand extensions 81 Erfahrungseffekte 117
Break-Even-Point 70 – dynamische Effekte 117
Bremsassistent (BA) 190 – statische Effekte 117
– elektronischer 191 EuroCombis 138
– hydraulischer 191
F
– mechanischer 190
F&E
Bremse
– -Aktivitäten 90
– elektrohydraulische (EHB) 184
– -Aufwand 94
– elektromechnische (EMB) 185
– -Aufwendungen 99, 113
– Electronic Wedge Brake (EWB) 185
– -Personalstatistiken 99
Bremssystem 9, 183
Fahrerassistenzsysteme (ADAS) 208 ff., 215
– Antiblockiersystem (ABS) 187
– Adaptive Cruise Control (ACC) 213
– Antischlupfregelung (ASR) 187
– Blind Spot Information System (BLIS)
– Conering Brake Control (CBC) 187
213
– Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP)
– Collision Mitigation Brake System (CMS)
188
209
232 Sachwortverzeichnis

– Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation Ingredient Branding 37, 43


211, 214 Innovation
– Lane Departure Warning 211 f. – im engeren Sinne 90
– Lane Keeping System 212 – im weiteren Sinne 90
– Park Assist System 215 Inside-Out-Überwachung 98
– Predictive Collision Warning (PCW) 208 Invention 90
Fahrerinformationssystem (FIS) 202 Iveco Road Concept 137 f.
– Head-Up-Display 203, 207 K
– Top Level Architecture (TLA) 203 Kannibalisierungseffekt 30, 75
Fahrerkomfortsystem 217 Kapazitätsauslastung 65
– Advanced Key System 217 Kapazitätsplanung 65
Fahrwerk 33, 128, 177, 196 Kapitalmarktorientierung 21
Fahrwiderstand 152 – Shareholder-Value 8
Fahrzeuganforderungen 125 – Stakeholder-Value 8
Fahrzeugentwicklung 19, 125 Karosseriebauformen 127, 135
Fahrzeugqualität 8 – Gitterrohrrahmen 127, 131, 139
Federung 177, 180, 196 – Hybridbauweise 130
Fertigungstechnologien 107, 133 – mittragende 127
FFV (Flexi-Fuel-Vehicle) 160 – Monocoque 132
Finanzinvestoren 53 – Multi-Material 127, 221
First-Strategie 122 – Rahmenaufbau 127
Fokussierung 21, 45, 95 – selbsttragende 127 f.
Follower-Strategie 122 – Space-Frame 127, 221
Fremdleistungen 36 Karosseriebauweisen
G – Busse 138
Gesamtkostensituation 22 – Lkw 134
Geschäftsmodelle 41 – Pkw 127
– Komponentenspezialisten 42 Kernkompetenzen 31, 141, 222
– Modul-/Systemspezialisten 42 Klimadiskussion 126, 158
– Nischenanbieter 41 Klimaschutz 11
– Systemintegrator 42, 198 Komfort 44, 68, 138, 180
– Volumenanbieter 41 Komponenten 18, 98, 142, 147
Getriebe 48, 143, 152, 155 Konsolidierung 25
Gewichtseinsparung 130 Konzeptstudien 132 f., 180, 198
Gleichteil 51, 141 f., 222 Kooperation 44
Globalisierung 28, 72, 124 Kooperationsformen 44, 52
Globalisierungsgrad 78 – Fusion 53
Grundstrategien 95 – Joint Venture 44, 51, 124
Gütertransport 125 – Strategische Allianz 44, 47
– Übernahme 53
H Kopiereffekt 178
Herstellkosten 129, 143
Kostenführerschaft 76
Hybridantrieb 158, 164, 221
Kraftstoffe, alternative 159
– Full- 167
Kriterien der Partnerwahl 45
– Micro- 166
Kundenverhalten 14, 78
– Mild- 166
Kundenzufriedenheit 9, 69
– Misch- 167
Kupplung 152, 157, 179
– Parallel- 167
– Seriell- 167 L
Leichtbaupotentiale 133
I Leiterrahmen 135
Imitation 90 Lenkung 192
Incentives 10 – Electric-Power Steering (EPS) 193
Sachwortverzeichnis 233

– Electric Hydraulic Power Steering Outputindikatoren 98


(EHPS) 193 Outside-In-Untersuchung 98
– Servolenkung Hydraulic Power Steering
(HPS) 193 P
– Steer-by-Wire (SbW) 192 Patentrecherche 100
– Überlagerungslenkung (ÜLL) 194 Personenkilometer 2
Lernfaktor Į 116 Personentransport 125
Lernkurve 116 Plattform 140
Literaturrecherche 100 Plattformstrategie 142
Lock-out-Faktoren 118 Porter’s Five Forces 119
Logistikdienstleister 33 Portfoliostrategie 176
Lokalisierung statt Globalisierung 72 Portfoliotechnik 106
– Ansatz von A. D. Little 111
M – Ansatz von McKinsey 109
Make-or-Buy 34 – Ansatz von Pfeiffer et al. 107
Marke 43 Power Distribution Unit (PDU) 172
Markenbereitschaft 75 Preisnachlass 39
Markenführung 75 Premiumaffinität 78
Markenimage 38, 74 Produktlebenszyklus 76, 87, 203
Markenmanagement 74 Produktproliferation 28, 43, 81
Markenprägung 80, 84 Produktwert 77
Markentreue 74 – Labor Value 77
Market-pull 92 – Prime Value 77
Markt- und Wettbewerbssynergien 55 – Symbolic Value 77
Markteintritt 67, 119 f. Profilierung 51, 75, 87
Masse 15 Projekttrichter 97
– gefederte 180 Proton Exchange Membran (PEM) 171
– ungefederte 180
Mechatronik 18, 201 Q
Mega-Zulieferer 40 Qualitätsführerschaft 76
Mehrmarkenstrategie 81
Merge-in-Transit 34 R
Micro 166 Radaufhängung 177
Modelllebenszyklus 30 Rahmenauslegung 134
Modellprogramm 13, 57, 83 Raumökonomie 138
Modul 140 Rekuperation 167
– Cockpit- 146 Rentabilität 120
– Frontend- 52, 147 Risiken der Verlagerung 62
Modular Sourcing 149 Rivalität 119 f.
Motive für Direktinvestition 62 Rückrufaktion 8
– Market-Seeking 62 Rückverlagerung 69
– Resource-Seeking 62
– Strategic Asset-Seeking 62 S
Motoranordnung 153 Sättigungsgrad 25
Motorisierungsdichte 24 Schwingung 177
Science Push 91
N Scoring Modell 63
NCAP 127 Segment 51, 140
neue Märkte 28, 43, 59 Segmentabdeckung 78
Nutzfahrzeuge 47, 125, 137, 178 Sicherheit
O – aktive 57
Oligopol 26 – passive 57
Original Equipment Manufacturer (OEM) 1 Sicherheitsvorschriften 20
234 Sachwortverzeichnis

S-Kurven-Modell 94, 113 Theorieansätze 44


Spannungsdreieck 165 Trading-down 28
Spezialisierung 35, 94 Trading-up 28
Sport Utility Vehicle (SUV) 31, 134 Transportaufgaben 125
Spurwechselassistent 212 Transportgefäß 135
Stabilisator 178 Trends 8, 74
Standort 69 Triadenmarkt 23
Standortfaktoren 72 Two-Mode-Hybrid 170
Stoßdämpfer 180, 221
U
Strategie 28
Überalterung 17
– Imitations- 123
U-Kurven-Konzept 96
– Kooperations- 123
Umfeld 14, 23
– Nischen- 123
– brancheninternes 23
– Pionier- 122
– globales 14
Strategische Planung 64
Umsatzrisiken 118
Stuck in the middle 76, 96
Substitutionsprodukte 121 V
Synergieprinzipien 54 Varianz 117
System 146, 170 – Budget- 118
Systemarchitektur 201, 210 – Leistungs- 118
Systemintegrator 198 – Markt-Anforderungs- 118
Systemteil 142 – Markt-Ertrags- 118
– Termin- 118
T
Venture Management 123
Technologie
– Collaborative Venture 124
– Basis- 92, 110
– Joint Venture 51 ff.
– embryonische 93
– Venture Nurturing 124
– Schlüssel- 110
Veränderungstreiber 18, 20
– Schrittmacher- 92, 111
Verbrauchsersparnis 169
– verdrängte 93
Verbrennungsmotor 19, 164, 221
Technologiebewertung 89
Verhandlungsstärke
Technologieentwicklung 113, 115
– Abnehmer 121
Technologieentwicklungsprojekte 118
– Lieferanten 122
Technologie-Entwicklungsprozess 117
Verluste 56, 85
Technologiefrüherkennung 89, 98
– der Mitte 78
Technologieführerschaft 122
Volumenanbieter 41
Technologiemanagement 98
Technologieplanung 89, 94 W
Technologie-Portfolio 108 Wasserstoff 159, 171
Technologiepotential 115 Wertschöpfung 79
Technologiestrategie 119, 122 Wertschöpfungsanteil 43, 150
Technologische Prognosen 102 Wertschöpfungskette 72, 146
– Delphi-Methode 105 Wertschöpfungsstufen 33
– Relevanzbaummethode 104 Wertschöpfungstiefe 31
– Szenariotechnik 102 f. Wettbewerbsintensität 25, 74
Technologischer Leistungsparameter (TLP)
X
114 f.
X-by-Wire 220
– aktive Parameter 115
– kritische Parameter 115 Z
– reaktive Parameter 115 Zielkonflikte 125
– träge Parameter 115 Zulieferer 14, 28
Technology Push 91 Zuliefererpyramide 1

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