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Gesund bleiben
in kranken
Unternehmen
Stressfaktoren erkennen
und Resilienzkompetenz
aufbauen
Gesund bleiben in kranken Unternehmen
Michaela Moser · Karin Häring
(Hrsg.)
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V
VI Inhaltsverzeichnis
M. Moser (*)
IU Internationale Hochschule, Köln, Deutschland
E-Mail: michaela.moser@iu.org
K. Häring
CBS, Köln, Deutschland
E-Mail: k.haering@cbs.de
und Ihre Mitarbeiter den richtigen Umgang mit herausfordernden Erlebnissen finden und
Ihre negativen Folgen abschwächen können. Konkret ergeben sich daraus folgende Teil-
ziele:
• Sensibilisierung für das Thema Gesundheit in Bezug auf die eigene Person und
gegenüber Mitarbeitern,
• Erkennen, wann eine psychische Gefährdung von Ihrer Organisation, einem Team
oder der Führung ausgeht (Gefahr wahrnehmen),
• Ableitung geeigneter Schutzmechanismen (entweder Erkennen und Nutzen vor-
handener oder Aufbau bzw. Entwicklung neuer Schutzmechanismen).
Es versteht sich von selbst, dass psychische Belastungen ihre Ursache häufig nicht nur
im Berufsalltag haben, sondern auch durch andere, außerberufliche Probleme oder etwa
die Persönlichkeit hervorgerufen oder verstärkt werden. Gegebenenfalls sind psychische
Belastungen sogar das Resultat des wechselseitigen Zusammenspiels beruflicher und
privater Stressfaktoren. Die Literatur skizziert zwei Ansätze zur Erklärung der Ent-
stehung solcher Belastungen: a) den personenzentrierten Ansatz und b) den arbeits- bzw.
organisationspsychologischen Ansatz. Während ersterer Persönlichkeitsmerkmale in den
Fokus der Betrachtung rückt, werden bei letzterem die Organisation und ihre Arbeits-
bedingungen als Erklärungsansatz untersucht. In diesem Buch werden beide Ansätze
integriert, in dem die Persönlichkeit berücksichtigt und gleichzeitig auf berufsbedingte
Belastungen eingegangen wird.
Böse, 2019). Im Vordergrund dieser drei Studien stand die Untersuchung von Kindern
über verschiedene Entwicklungsstadien.
Wenngleich das Konzept der Resilienz häufig im Kontext einer schwierigen Kind-
heit verwendet und erforscht wurde, wird die Resilienz zwischenzeitlich auch im
Erwachsenenalter im Zusammenhang mit belastenden Ereignissen diskutiert und ver-
stärkt in den Forschungsmittelpunkt gerückt (Reich et al., 2011). So wurde etwa
die Resilienz von Erwachsenen in Bezug auf die Bewältigung lebensbedrohlicher
Erkrankungen (Filipp, 1992) oder der terroristischen Angriffe des 11. Septembers
erforscht (Bonanno et al., 2005). Ihren Ursprung hatten diese Überlegungen in den
Studien zur Salutogenese von Aaron Antonovsky. Er untersuchte in den 1979er Jahren
Frauen in Israel, die während des zweiten Weltkrieges in deutschen Konzentrations-
lagern inhaftiert waren. Bei seiner Untersuchung stellt er fest, dass einige Frauen trotz
traumatischer Erfahrungen eine stabile psychische Verfassung aufwiesen, während
andere von den Gewalterlebnissen traumatisiert waren (Renneberg & Hammelstein,
2006).
In diesem Kontext ergeben sich folgende Fragen, auf die es sich lohnt, eine Antwort
zu finden:
Mit Blick auf die Beantwortung dieser Fragen erhält der Begriff der Resilienz seine
Bedeutung.
Auch im Unternehmenskontext steht der Resilienzbegriff seit einiger Zeit im Fokus.
Das maßgebliche Ziel der Unternehmen ist eine stressresistente und leistungsfähige
Belegschaft. Inwieweit Resilienz trainierbar ist, wird an späterer Stelle diskutiert. Um
die Resilienzfähigkeit zu unterstützen, braucht es seitens der Unternehmen positive
Rahmenbedingungen für den Umgang mit Stresssituationen. Was aber passiert, wenn
Unternehmen diese nicht zur Verfügung stellen? Wie schaffen es Unternehmensan-
gehörige, sich trotzdem zurecht zu finden? Unsere These besteht darin, dass Arbeit-
nehmer ihre psychische Gesundheit durch den Aufbau und die Stärkung ihrer
individuellen Resilienz auch dann wirksam schützen können, wenn sie negativen und
teils toxischen Einflüssen der Führung, Teamarbeit oder Gesamtorganisation ausgesetzt
sind. Der zentrale Aspekt von Resilienz ist demnach weniger zu reagieren und mehr zu
agieren.
Es steht außer Frage, dass die individuelle Resilienz eng mit der Teamresilienz sowie
der organisationalen Resilienz verwoben ist und sich die drei Resilienzebenen wechsel-
seitig beeinflussen (Home & Orr, 1997). Gleichwohl wird in diesem Buch überwiegend
Einleitung: Resilienz – eine notwendige Zukunftskompetenz 5
auf die individuelle Resilienz eingegangen. Dies ist auf zwei Argumente zurückzuführen.
Zunächst zielt bereits der Titel des Buches auf die individuelle Resilienz als Unter-
suchungsgegenstand ab, die auch unter widrigen Bedingungen – wie einem negativen
Führungs-, Team- oder Organisationskontext – schützend sein kann. Weiterhin hat sich
die bisherige Forschung im Unternehmenskontext hauptsächlich auf die individuelle
Resilienz am Arbeitsplatz fokussiert (Schulte et al., 2016), sodass die beiden anderen
Ebenen in den einzelnen Beiträgen zwar als Einflussfaktoren berücksichtigt werden,
aber nicht im Fokus stehen. Die Ebene der gesellschaftlichen Resilienz findet hingegen
keinen Eingang in dieses Buch. Der Begriff der „resilienten Gesellschaft“ wurde ins-
besondere im Rahmen der Berichterstattung zu Terroranschlägen genannt und erfährt in
der Corona-Krise (Fraunhofer, o. J.) und den Gedanken zum Klimaschutz eine Wieder-
belebung. Sie baut auf dem Gedanken auf, dass Resilienz umfassend als „Kulturaufgabe“
einer gesamten Gesellschaft zu verstehen ist (Ostheimer, 2018).
Beschäftigt man sich eingehender mit dem Begriff der Resilienz, wird sehr schnell
deutlich, dass es bislang an einer einheitlichen Terminologie sowie eines gemeinsamen
methodischen Zuganges zur Erfassung und Definition von Resilienz fehlt. Folgerichtig
hat Blum (1998) beklagt, dass es zu diesem Begriff so viele verschiedene Definitionen
gibt wie Studien. Diese Definitionsvielfalt ist vor allem darauf zurückzuführen, dass
der Resilienz-Begriff von unterschiedlichen Disziplinen aufgegriffen wird und von
interdisziplinärer Bedeutung ist. So wird er neben der Psychologie auch in der Ökologie
oder Soziologie (Leipold, 2015) sowie den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften
betrachtet und inhaltlich ausgefüllt. In den letzten Jahren haben sich auch die Sozial-
wissenschaftler und Neurowissenschaftler sowie die Kognitionspsychologen verstärkt für
die Erforschung des Begriffs geöffnet (Kalisch, 2020). In diesem Buch beschränken wir
uns auf die Erforschung der psychischen Resilienz, sodass auf Erkenntnisse benachbarter
Disziplinen nur eingegangen wird, soweit sie einen Einfluss auf diesen Untersuchungs-
gegenstand haben.
Der Begriff „Resilienz“ leitet sich von dem englischen Wort „resilience“ ab und heißt
übersetzt so viel wie „Spannkraft, Widerstandsfähigkeit oder Elastitizität“ (Wustmann,
2021). In der ursprünglichen Bedeutung umschreibt Resilienz die physikalische Fähig-
keit oder Kraft einer Materie, nach physischer Veränderung etwa durch Krümmung oder
Zusammendrücken, in ihre Ursprungsform oder -position zurückzukehren. Man spricht
dann auch von physischer Resilienz (Filipp & Aymanns, 2018). In Analogie wurde diese
symbolische Bedeutung auf die psychologische Widerstandsfähigkeit von Personen
übertragen. „Kurz gesagt: Es geht (…) um die Fähigkeit, sich nicht „unterkriegen zu
lassen“ bzw. „nicht daran zu zerbrechen“ (Wustmann, 2021, S. 18).
6 M. Moser und K. Häring
Zusammenfassend wird vor dem Hintergrund der Definition von Resilienz als Prozess
folgende, allgemeingültige Definition gewählt:
Die diesem Buch zugrunde gelegte Resilienz-Definition macht deutlich, dass einerseits
eine signifikante Bedrohung vorliegen muss und andererseits diese belastenden Lebens-
8 M. Moser und K. Häring
hat. An diese Lücke möchten wir mit unserem Buch anknüpfen. Wir haben uns die Frage
gestellt, wie es Fach- und Führungskräften gelingen kann, die individuelle Resilienz-
kompetenz für sich und ihre Mitarbeiter zu fördern, um in negativ geprägten Führungs-,
Team- und Organisationskontexten den richtigen Umgang mit Risikofaktoren zu finden
und psychisch gesund zu bleiben. Die zugrunde liegende Fragestellung für alle Buchbei-
träge ist folgerichtig:
Wie können Fach- und Führungskräfte auch unter widrigen Umständen ihre
psychische Gesundheit und die ihrer Mitarbeiter erhalten und woran erkennen sie
Gefahren auf der arbeitsbedingten Führungs-, Team- oder Organisationsebene?
Unser Anliegen ist es, Ihnen Denkanstöße zu geben, mit deren Hilfe Sie Ihre Arbeits-
welt reflektieren, individuelle Risikofaktoren erkennen und notwendige Schutzfaktoren
auf- und ausbauen können. Jeder einzelne Buchbeitrag endet deshalb mit einer Quint-
essenz und dazu gehörigen Reflexionsfragen, deren Ziel darin besteht, die Sicht auf sich
selbst zu fördern und neue Erkenntnisse im resilienten Umgang mit den negativen Aus-
wirkungen toxischer Organisationsgegebenheiten zu generieren.
Als Einstieg in das Thema beschäftigt sich der erste Teil des Buches zunächst mit
dem Thema „Gesunde Fach- und Führungskräfte in kranken Organisationen“. Dabei geht
das Anfangskapitel Krankheit und Gesundheit – zwei Gegensätze? grundlegend auf
die Begrifflichkeiten von psychischer Gesundheit und Krankheit ein. Der Beitrag gibt
Anhaltspunkte dafür, was gesunde Fach- bzw. Führungskräfte bzw. Mitarbeiter ausmacht
mit dem Ziel, die eigene psychische Gesundheit regelmäßig einzuschätzen. Der Para-
digmenwechsel in den Human- und Sozialwissenschaften von einer pathogenetischen
zu einer salutogenetischen Perspektive findet im Konzept der Resilienz Anwendung. Die
salutogenetische Perspektive konzentriert sich auf die Entstehung und Aufrechterhaltung
von Gesundheit und betrachtet Gesundheit und Krankheit nicht als statische Zustände,
sondern als dynamische Prozesse. Aufgrund dieser Dynamik gilt ein Mensch nie voll-
ständig als gesund oder krank, sondern unterliegt ständigen Schwankungen zwischen
den beiden Polen. Wir erleben in Abhängigkeit von der Situation und des Zeitpunktes
immer wieder gesunde und kranke Anteile, die gleichzeitig vorhanden sind und deren
Verhältnis ständig neu zu bestimmen und in Bezug auf das Ergreifen von Maßnahmen
zur Gesunderhaltung zu reflektieren ist.
Die fließende Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit erfolgt in der Inter-
aktion zwischen Individuum und der bewertenden Umwelt. Dabei handelt es sich um
die subjektiven Unterscheidungen von Beobachtern. In dem zweiten Kapitel gehen
wir deshalb auf die psychische Krankheit als soziale Konstruktion ein, die Gesund-
heit und Krankheit von der subjektiven Wahrnehmung durch die eigene Person und
Anderer abhängig macht. Grundlage dieser Forschungsrichtung ist die Frage, ab wann
eine Führungs- oder Fachkraft das Etikett „psychisch krank“ zugeschrieben bekommt
und wie die Grenzziehung zwischen Krankheit und Gesundheit erfolgt. Dabei kann
die gesellschaftliche Vorstellung von der unternehmerischen und individuellen Sicht-
weise durchaus abweichen und zu einem Kuriosum führen. So kann sich eine Fach- oder
Führungskraft selbst als gesund betrachten, während sie aus Unternehmens-, Mitarbeiter-
Einleitung: Resilienz – eine notwendige Zukunftskompetenz 11
und Gesellschaftssicht als krank eingestuft wird. Eine stark ausgeprägte narzisstische
Persönlichkeitsstörung eines Vorgesetzten kann etwa von Kollegen und Mitarbeitern als
krankhaft angenommen werden, ohne dass das betroffene Individuum dieses Krankheits-
bild bestätigen würde. Mit dieser Konstruktion als gesunde oder kranke Person erhält das
Individuum zugleich eine andere Rolle, die mit unterschiedlichen Erwartungen einher-
gehen. Auf dieses Phänomen im Arbeitskontext wird näher eingegangen.
Unter der Annahme, dass sich ein Individuum psychisch gesund fühlt und auch von
der Gemeinschaft als gesund eingestuft wird, beschäftigen sich die weiteren Beiträge
des Buches mit der Frage, wie die psychische Gesundheit langfristig selbst dann erhalten
werden kann, wenn toxische Einflüsse aus dem Arbeitskontext wirken. Diese Frage
wird auf der Basis der Erkenntnisse aufgeworfen, dass eine Wechselwirkung zwischen
Organisation und Individuum besteht. Das erklärte Ziel dieses Beitrags besteht darin,
das Spannungsfeld zwischen dem Bewusstsein, gesundheitsförderlich handeln zu wollen,
und entgegenstehenden Rahmenbedingungen der Organisation, herauszuarbeiten.
Weiterhin werden Möglichkeiten aufgezeigt, sich ohne gesundheitsbeeinträchtigende
Wirkung darin zu bewegen.
Vor dem Hintergrund dieser Wechselwirkung befasst sich das Kapitel „Was bringt
psychische Gesundheit im Arbeitskontext aus der Balance?“ mit der Entstehung von
Stress am Arbeitsplatz, der durch verschiedenste Stressoren im Arbeitsalltag hervor-
gerufen werden kann. In diesem Zusammenhang geht der Beitrag auf arbeitsbedingte
Stressoren aus der Organisation ein, die für eine Belastung im Arbeitskontext sorgen
können. Zudem wird die zentrale Rolle von Fach- und Führungspersonen im Umgang
mit Stressoren thematisiert und wichtige Stressoren in den verschiedenen Hierarchie-
stufen (oberes, mittleres und unteres Management) aufgezeigt.
Der Logik einer Wechselwirkung zwischen System und Individuum folgend
beschäftigen sich die Beiträge „Symptome und Risikofaktoren kranker
Organisationen“, „Symptome und Risikofaktoren kranker Teams“ und „Symptome
und Risikofaktoren kranker Mitarbeiterführung – „Zu Risiken und Neben-
wirkungen…“ mit den Merkmalen kranker Organisationen, Teams und Vorgesetzter. Im
Vordergrund steht die Frage, woran Fach- und Führungskräfte kranke Organisationen,
Teams und Vorgesetzte erkennen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019). Ziel dabei
ist es, mögliche Risikofaktoren zu reduzieren und sich selbst und andere von Beginn an
wirksam gegen mögliche negative Einflüsse von außen zu schützen. An dieser Stelle ist
noch der Hinweis angezeigt, dass der Begriff kranke Organisation im übertragenen Sinne
verwendet wird. Es ist klar, dass Organisationen etwa kein Fieber haben können. Der
Begriff ist vielmehr synonym zu verwenden mit der dysfunktionalen Organisation, die
negative Effekte auf die Gesundheit der Mitarbeiter haben können.
Der zweite Teil dieses Buches setzt bei den Schutzfaktoren und -mechanismen der
Resilienz an, die unsere psychische Gesundheit vor negativen Einflüssen toxischer
Organisationen, Teams und Vorgesetzte schützen – soweit diese nicht verändert oder
reduziert werden können. Dabei werden zunächst die allgemein anerkannten Schutz-
faktoren gegen Stress thematisiert. Die protektiven Wirkungen dieser Faktoren
12 M. Moser und K. Häring
und in Regelmäßigkeiten des Verhaltens und Erlebens“ (Assendorpf & Neyer, 2012,
S. 2). Daraus wird deutlich, dass „(…) Persönlichkeit als ein zeitlich stabiles Muster
kognitiver, verhaltensmäßiger und emotionaler Merkmale bestimmt wird“ (Krohne &
Tausch, 2014, S. 7). Aufgrund der relativen Stabilität der Persönlichkeit wird diskutiert,
inwieweit sie das Verhalten bestimmt und welchen Einfluss sie auf die individuelle
Resilienz hat.
Ausgehend von der These, dass auch bei stabiler Persönlichkeit, Resilienz zumindest
teilweise veränderbar ist, werden die Lernprozesse zum Aufbau von Resilienz-
kompetenz in einem eigenen Beitrag beleuchtet. Darin wird der Frage nachgegangen,
wie Lernprozesse durch Führungskräfte angeregt werden können, um bei Mitarbeitern
die Entwicklung von Resilienzkompetenz nachhaltig zu ermöglichen.
Der Beitrag „Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Führungskräften“
betrachtet, was Führungskräfte brauchen, um konstruktives und resilienzförderliches
Führungsverhalten zeigen und ihrer Vorbildrolle gegenüber den Mitarbeitern nach-
kommen zu können.
Das „Flow Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz“ ist Grund-
lage eines eigenen Beitrags. Er beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Flow-
Erleben und Resilienz, sowie den Faktoren, die Einfluss auf diesen Zusammenhang
nehmen. Flow bezeichnet einen Zustand, in dem Individuen völlig in einer Aufgabe auf-
gehen, die sie optimal beansprucht. Die theoretischen Annahmen zum Flow-Erleben als
Strategie zum Umgang mit Stress und als resilienzförderlicher Faktor werden in einem
Modell zusammengetragen und durch empirische Studien untermauert.
In einem separaten Kapitel wird die „Bewältigung von Krisen und anderen Aus-
nahmesituationen im Team“ anhand eines Modells aufgegriffen. Die Resilienz-
forschung ist ressourcenorientiert und nicht defizitorientiert ausgerichtet. Sie unterstellt,
dass Menschen in der Lage sind, schwierige Lebenssituationen aktiv zu bewältigen
und ihr Leben mitzugestalten (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019). Sie sind
schwierigen Situationen also nicht hilflos ausgeliefert. Äußere Umstände können wir
nämlich nicht ändern, wohl aber unsere Gedanken und Reaktionen (Böhme, 2019).
Die Einführung in die Methode der Introvision als wichtige Interventionshilfe zur
Förderung von Gelassenheit und Resilienz im Arbeitskontext bildet den Abschluss des
Buches. Der Beitrag „Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus
der Introvision zur Förderung von Resilienz“ führt aus, wie sich die Technik der
Introvision als bedeutender Baustein zur Förderung von Resilienz für Individuen und
Teams bewähren kann.
Alle Beiträge in diesem Buch verzichten aus Gründen besseren Lesbarkeit auf die
gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d). Es
sind jedoch immer alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg beim Aufbau und Erhalt Ihrer Gesundheit!
14 M. Moser und K. Häring
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16 M. Moser und K. Häring
1 Einleitung
Diverse Megatrends wie die digitale Vernetzung oder Globalisierung führen zu einer
Veränderung der Arbeitswelt, die durch Agilisierung und Flexibilisierung der Arbeits-
prozesse und -strukturen gekennzeichnet ist. Diese neue Arbeitswelt – häufig auch
unter dem Stichwort New Work beschrieben – stellt hohe Anforderungen an die Selbst-
organisation, Selbstregulation und Eigenverantwortung von Fach- und Führungskräften
(Rychen & Salganik, 2003). In besonderem Maße sind diese Fähigkeiten verbunden
mit der Regulierung innerer Zustände (Kuhl, 2018) und der gezielten Steuerung des
eigenen Stresserlebens. Nur gesunde Fach- und Führungskräfte sind in der Lage, ihre
Arbeits- und Leistungsfähigkeit zu erhalten und gleichermaßen darauf zu achten, Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter gesundheitsförderlich zu führen. Fach- und Führungs-
kräften wird daher eine immer größere Eigenverantwortung für den Erhalt ihrer
Gesundheit zugeschrieben.
U. Morgenstern
Akkon Hochschule für Humanwissenschaften, Berlin, Deutschland
E-Mail: ulrike.morgenstern@akkon-hochschule.de
M. Moser (*)
IU Internationale Hochschule, Köln, Deutschland
E-Mail: michaela.moser@iu.org
Gesundheit wird bis heute definiert als „ein Zustand des vollständigen körperlichen,
geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit
und Gebrechen“ (WHO, 12.05.2020). Damit berücksichtigt diese Gesundheitsdefinition
die Ganzheitlichkeit des Menschen, in dem sie neben körperlichem auch das geistige
und soziale Wohlbefinden mit einbezieht. Dieser ganzheitliche Ansatz fokussiert die
Wechselwirkung von Körper, Seele und Geist, die in einem Verbund stehen und sich
reziprok beeinflussen. So können etwa durch Stressbelastungen verursachte psychische
Erkrankungen zu körperlichen Erkrankungen führen und umgekehrt körperliche
Erkrankungen wie – z. B. ein Herzinfarkt hervorgerufen, durch eine erhöhte Arbeits-
belastung – psychische Belastungen auslösen.
Die WHO-Definition umfasst das subjektive Wohlbefinden und damit individuelle
Aspekte des sich Gesund- oder Krankfühlens einer Person durch Selbsteinschätzung
und gleichermaßen eine medizinische Einschätzung berücksichtigt (Lippke & Renne-
berg, 2006). Die subjektive Dimension von Gesundheit ist demnach von der objektiven
Dimension deutlich zu trennen. Menschen können sich krank fühlen, obwohl sie
mangels Befund medizinisch als gesund gelten. Auch das Gegenteil kann der Fall
sein, wenn sich ein Mensch bei diagnostizierter Erkrankung als gesund empfindet.
Idealerweise fallen subjektive und objektive Einschätzungen positiv zusammen.
Nach Hurrelmann et al. (2010) ist eine Person in einem Zustand des objektiven und
subjektiven Wohlbefindens, wenn sie sich in ihrem beruflichen Werdegang in Überein-
stimmung mit ihren eigenen Fähigkeiten, persönlichen Zielen und den gegebenen
Rahmenbedingungen befindet. Insbesondere stark beanspruchte Fach- und Führungs-
kräfte sollten sich vor diesem Hintergrund bewusst machen, wann und wie dieser Ideal-
zustand erreichbar ist.
Die Kritik an der Gesundheitsdefinition der WHO entzündete sich an der zugrunde
liegenden Dichotomie, ausgedrückt durch die beiden Extrempole – Krankheit und
Gesundheit. Da ein Zustand vollständiger Gesundheit im Sinne eines ausgeprägten
körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens dauerhaft nicht erreichbar ist,
sondern täglich kleinere Einschränkungen in allen Dimensionen auftreten können, gelten
alle biomedizinischen Definitionsversuche von Gesundheit im Sinne der Abwesenheit
von Krankheit als unzureichend. Nach heute übereinstimmender Meinung wird deshalb
von der polarisierenden Dichotomie Abstand genommen zugunsten eines Kontinuums,
welches das gesamte Spektrum von gesunden und kranken Anteilen jedes Menschen in
unterschiedlichen Ausprägungen in Erwägung zieht.
Krankheit und Gesundheit – ein ständiger Balance Akt 21
Der Ansatz von Aaron Antonovsky (1997), ist bis heute ein vielversprechender Ansatz,
um sich mit dem komplexen Thema Gesundheit theoretisch gehaltvoll auseinander zu
setzen, und stellt ein wichtiges Grundlagenkonzept für weitere, darauf aufbauende
Gesundheitsansätze dar. Dieses sogenannte Salutogenese-Konzept beschäftigte sich mit
der Frage, wie insbesondere psychische Gesundheit entsteht und Menschen trotz Risiken
und Stressoren gesund bleiben und ihre Gesundheit fördern können. Die Salutogenese
stellt die zentrale Frage, warum einige Menschen in bestimmten Umständen gesund
bleiben, während andere krank werden. Vor diesem Hintergrund beschreibt es
Gesundheit nicht als Homöostase oder Abwesenheit von Krankheit, sondern als ein
beinflussbares, aktives und dynamisches Geschehen auf dem Kontinuum zwischen den
beiden Extrempolen Krankheit und Gesundheit. Es geht von der Annahme aus, dass kein
Mensch ständig gesund oder krank sein kann, sondern gleichzeitig gesunde und kranke
Anteile vereint. Menschen bewegen sich vielmehr unablässig zwischen den beiden Polen
maximaler Gesundheit und maximaler Krankheit in eine positive oder negative Richtung.
Sie können zu unterschiedlichen Zeitpunkten, abhängig beispielsweise von der aktuellen
Arbeitsbelastung oder der Tagesform, verstärkt in Richtung Gesundheit oder Krankheit
tendieren. Es ist zunächst festzuhalten, dass Fach- und Führungskräfte ihren Gesund-
heitszustand mit den positiven und negativen Anteilen ständig reflektieren und in dem
Kontinuum einordnen sollten, um über Maßnahmen zur Herstellung eines neuen Gleich-
gewichts allgemeinen Wohlbefindens nachzudenken (siehe Abb. 1).
Stress ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf Belastungen und gilt als einer der
wichtigsten und am häufigsten belegten Einflussfaktoren auf Gesundheit und Krank-
heit. Grundlage von Stress ist die Bewertung von Stressoren, die positiv als Heraus-
forderung oder negativ als Belastung interpretiert werden können. Antonovsky definiert
Stressoren als „eine von innen oder außen kommende Anforderung an den Organismus,
die sein Gleichgewicht stört und (…) zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes eine
des Gesundheitszustandes eines Menschen resultiert also aus einem mindestens aus-
geglichenen Wechselverhältnis von Risiko- und Schutzfaktoren (siehe Abb. 2). Ist
das Gleichgewicht erreicht, kann die Arbeit Freude machen und Identität stiften. Ziel
muss es sein, Gesundheit zu fördern, indem Schutzfaktoren gestärkt und Risiko-
faktoren minimiert werden, um gleichzeitig Krankheiten vorzubeugen und die Krank-
heitsprävention in den Mittelpunkt zu stellen. Gesundheit ist demnach als ein hart zu
erarbeitendes Gleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren zu betrachten, das zu
jedem Zeitpunkt ins Wanken geraten kann (Hurrelmann, 2010). Für Fach- und Führungs-
kräfte bedeutet ein solches Gleichgewicht, dass eine freudvolle und sinnstiftende Arbeit
positive Gefühle von Eingebundenheit erzeugt und zur Gesunderhaltung beitragen kann
(Hurrelmann et al., 2010).
Abb. 3 Das Modell der Salutogenese. (Eigene Darstellung nach (Lorenz, 2016, S. 24–34))
einer bestimmten Art und Weise konstruieren. Auf diesen konstruktivistischen Ansatz
und seine Bedeutung in der Stressforschung geht Abschn. 2.6 dieses Beitrags ein. Das
Gesamtmodell der Salutogenese nach Antonovsky wird in Abb. 3 dargestellt.
besonderem Maße von Bedeutung. Unterstrichen wird diese Aussage durch Studien, die
feststellten, dass größere berufliche Tätigkeitsspielräume und eine höhere Position in
der Hierarchie positiv mit dem Kohärenzgefühl korreliert (Lundberg, 1997; Rimann &
Udris, 1998).
Wichtig für ein Kohärenzgefühl ist auch das Gefühl der Handhabbarkeit von Auf-
gaben – also der Glaube daran, dass sie sich aus eigener Kraft bewältigen lassen. Hand-
habbarkeit beschreibt, inwieweit eine Person ausreichende Ressourcen zur Bewältigung
der Arbeitsanforderungen aufbringen kann (Jenny & Bauer, 2019). Im Vordergrund steht,
dass eine Person im Rahmen ihrer Arbeitsprozesse eine gute Eigensteuerbarkeit wahr-
nimmt und empfindet und nicht willkürlichen Entscheidungen Anderer ausgesetzt ist
(Sackmann, 2019).
Das Gefühl der Handhabbarkeit entwickelt sich durch eine Balance zwischen Heraus-
forderungen und den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln, diese zu bewältigen.
Über- oder Unterforderung dagegen sind dem Kohärenzsinn wenig zuträglich
(Antonovsky, 1987; Sagy & Antonovsky, 2000). Wichtig ist eine gute Balance zwischen
Anforderungen und Ressourcen, die zu einem Flow-Zustand führen kann. Der Flow-
Zustand bezeichnet „(…)ein „selbstvergessenes, lustvolles Aufgehen in einer glatt-
laufenden Tätigkeit (…)“ (Weibler 2016, S. 172). Dieses Gefühl kann sich einstellen,
wenn die wahrgenommenen Anforderungen der Tätigkeit den eigenen Fähigkeiten und
Möglichkeiten entsprechen, wobei Stress dann positiv als Herausforderung angenommen
wird. Auf den Flow-Effekt im Kontext der Resilienz geht der Beitrag von Kloep, Aust
und Peifer in diesem Buch ein. Das eklatante Abweichen von Anforderungen und Fähig-
keiten kann negative psychische Konsequenzen nach sich ziehen: Zu niedrigschwellige
Anforderungen mit einem zu geringen Leistungsniveau können in einen Boreout
münden, während zu hohe Anforderungen zum Burnout führen können (Esch, 2012).
Das Boreout-Syndrom ist demnach ein Zustand ausgesprochener Unterforderung im
Arbeitsleben.
Im Gegensatz zu den Komponenten Verstehbarkeit und Handhabbarkeit bringt die
Komponente der Sinnhaftigkeit (oft auch Bedeutsamkeit) ein motivational-emotionales
Element mit ein (Körper & Körper, 2018) und wird als die wichtigste Dimension des
arbeitsbezogenen Kohärenzgefühls beschrieben (Antonovsky, 1987; Sagy & Antonovsky,
2000). Diese Komponente ist gekennzeichnet durch eine bewusste Wahrnehmung
von Sinnhaftigkeit der eigenen Aufgabe und beschreibt, ob sich der Einsatz und das
Engagement bei der Arbeit lohnen (Jenny & Bauer, 2019; Beck et al., 2005). Soweit
das Verhältnis von Engagement und Belohnung am Arbeitsplatz negativ voneinander
abweicht, wird eine Gratifikationskrise durchlaufen. Mit Belohnung ist zum Beispiel
die berufliche Aufstiegsmöglichkeit, die Wertschätzung am Arbeitsplatz, die Einfluss-
möglichkeiten auf wichtige Entscheidungen im Arbeitsverhältnis, Arbeitsplatzsicherheit
aber auch das Gehalt gemeint. Insbesondere Führungskräfte neigen nicht selten dazu,
sich zu verausgaben und eine Gratifikationskrise zu erleiden. Der Beitrag von Peter in
diesem Buch führt diesen Gedanken weiter aus.
26 U. Morgenstern und M. Moser
Abb. 4 Zusammenhang Konstruktivismus und Kohärenzgefühl. (In Anlehnung an Zeyer & Oder-
matt, 2012)
Krankheit und Gesundheit – ein ständiger Balance Akt 27
Der Kohärenzsinn ist eng gekoppelt mit dem Begriff der Resilienz – der psychischen
Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Ausgangspunkt für die Entwicklung des
Resilienzkonzeptes ist die Beobachtung, dass Menschen in einer stressbelasteten Umwelt
unterschiedlich gefährdet sind, dauerhaft psychisch zu erkranken. So bleiben Menschen
mit einer ausgeprägten Resilienz auch bei sehr belastenden Ereignissen gesund, während
Menschen mit geringer Resilienz psychischen Belastungen weniger Stand halten.
Das Konzept der Resilienz korreliert eng mit einem ausgeprägten Kohärenzsinn im
Sinne des Salutogenese-Konzeptes. Eine starke Kohärenzempfindung ist eng mit dem
Resilienzfaktor der Selbstwirksamkeit verbunden und stellt eine wesentliche Bedingung
für eine erhöhte Resilienz dar. Daraus folgt, dass Menschen mit einem ausgesprochen aus-
geprägten Kohärenzsinn auch als resilient gelten. Dies bedeutet, dass Fach- und Führungs-
kräfte, die Sinnhaftigkeit in der Arbeitswelt erleben und Einfluss nehmen können, auch
resilienter und damit widerstandsfähiger gegen psychische Stresserkrankungen sind
(Hänsel & Kaz, 2016). Ein starker Kohärenzsinn ist demnach eine wichtige Ziel- und
Erfolgsgröße der Gesundheitsförderung (Bock et al., 2005), weil er mit einem stabilen
Gesundheitszustand, insbesondere psychischer Gesundheit, eng verbunden ist: Er schützt
gegen Angststörungen, Depression, Burnout und Hoffnungslosigkeit und ist stark positiv
mit Gesundheitsressourcen wie Optimismus, Widerstandsfähigkeit, Kontrollüberzeugung
und Bewältigungsfähigkeiten verknüpft (Eriksson & Lindström, 2006). Empirische Unter-
suchungen haben gezeigt, dass Personen mit einem hohen Kohärenzempfinden ein um
den Faktor 3,5 verringertes Risiko für psychische Beschwerden haben im Vergleich zu
Personen mit einem niedrigen Kohärenzgefühl (Lundberg, 1997). Es ist angezeigt, sich vor
dem Hintergrund der Resilienzüberlegungen im Rahmen der Gesundheitsförderung aus-
giebig mit den Möglichkeiten zur Stärkung des Kohärenzgefühls auseinander zu setzen.
Maßnahmen zum Aufbau des Kohärenzgefühls können zunächst von jeder einzelnen
Fach- und Führungskraft individuell ergriffen werden. Die alleinige Fokussierung dieser
persönlichen Ebene dürfte allerdings im Unternehmenskontext zu kurz greifen und
unberücksichtigt lassen, dass Fach- und Führungskräfte als Teil eines organisationalen
Settings in Wechselwirkung mit der Gesamtorganisation stehen. So bewirken Ver-
änderungen der Organisation regelmäßig veränderte Arbeitsbedingungen, die wiederum
auf das individuelle Kohärenzgefühl positiven oder negativen Einfluss haben. Dem liegt
die Annahme zugrunde, dass Menschen als soziale Wesen stark von ihrer Umwelt und
Sozialisation beeinflusst werden (Badura et al., 2010). Zudem sind sie zunehmend in
Teamstrukturen eingebunden, die mittlerweile fest zur organisationalen Realität gehören
und sich ebenfalls auf ihr Kohärenzgefühl auswirken können.
Daher ist Gesundheit (…) „immer zugleich Voraussetzung und (…) Ergebnis der
Wechselwirkung zwischen Person, Verhalten und Umwelt“ (Badura et al., 2010, S. 18).
Der Aspekt reziproker Wechselwirkung zwischen Organisation, Team und Individuum
wird in den Beiträgen von Pundt, Rödel, Kemter-Hofmann und Schilling in diesem Buch
näher beleuchtet.
Auf allen drei Ebenen können die drei Komponenten des Kohärenzgefühls zur
Strukturierung und Reflexion möglicher Ursachen für Stressbelastungen herangezogen
werden. Sie dienen zur Analyse, auf welcher Ebene und durch welche Faktoren die
eigene Stressbewältigungsfähigkeit gehemmt wird, um darauf aufbauend gezielte Inter-
ventionen zu initiieren. Ist die Fach- oder Führungskraft etwa mit Aufgaben konfrontiert,
zu der ihr Hintergründe zur Bearbeitung nicht zugänglich sind, oder mit einem wider-
sprüchlich agierenden Organisations-, Team- oder Führungsumfeld, fehlt die Verstehbar-
keit und damit eine wichtige Komponente des Kohärenzgefühls. An dieser Stelle helfen
Reflexionsprozesse und Coping-Strategien, die zur Neuordnung einer Arbeitssituation
führen. Soweit die Handhabbarkeit als nicht existent unterstellt wird, geht die Fach- und
Führungskraft davon aus, dass sie eine Aufgabe nicht bewältigen kann. Gegebenen-
falls steht im Vordergrund, Unterstützungsleistungen von anderen einzufordern und
Ressourcen aufzubauen. Bei eingeschränkter Bedeutsamkeit – etwa wenn ein wichtiges
Projekt keine weitere Managementbeachtung mehr findet und als gescheitert erklärt wird
– ist die Frage, wie sich Sinn wiederherstellen lässt. Gesundheit kann daher als Prozess
der aktiven, individuellen Bewältigung des Berufslebens und der Gefühlsregulierung im
Arbeitsleben interpretiert werden.
Krankheit und Gesundheit – ein ständiger Balance Akt 29
dazu eingeschätzt? Wie werden die Selbstwirksamkeit und die eigene Kompetenz
beurteilt? Dabei geht es um die Überzeugung, selbst schwierige Aufgaben, Heraus-
forderungen oder Probleme durch selbstbestimmtes Handeln erfolgreich bewältigen zu
können (Rasch et al., 2017).
Auch die Organisationskultur hat einen entscheidenden Einfluss auf die Ausprägung
des Kohärenzgefühls einzelner Personen, weil sie als „sozialer Klebstoff“ Orientierung
zur Ausrichtung des eigenen Verhaltens gibt und damit auch die Gesundheit jedes einzel-
nen Organisationsmitglieds beeinflusst (Goldgruber, 2008). Gesundheitsfördernd ist
eine Unternehmenskultur, die durch wechselseitige Unterstützung, gemeinsame Über-
zeugungen, Werte und Verhaltensregeln, Partizipation sowie gegenseitigen Respekt und
Vertrauen geprägt ist (Badura et al., 2010), weil sie alle drei Aspekte des Kohärenz-
gefühls gleichermaßen anspricht. So bietet ein gleichberechtigter Dialog zwischen
Organisationsangehörigen Möglichkeiten zur Mitgestaltung der Organisation, die dann
wiederum zur Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit beitragen (Jenny & Bauer, 2019).
Um wirklich begreifen zu können, wie eine Ressource funktioniert, sind allerdings
eigene Erfahrungen notwendig (Maass, 2018). Man gibt Feedback in das System und
beobachtet, wie es reagiert (Antonovksy, 1979). Diese Erfahrungen führen dazu,
Erwartungen zu justieren. Ein effektives Erwartungsmanagement kann in diesem
Kontext zielführend sein.
Die Arbeit in Teams kann prinzipiell als Ressource oder Risikofaktor interpretiert
werden, je nachdem wie sich die Zusammenarbeit innerhalb des Teams und zwischen
den Teammitgliedern und der Führungskraft gestaltet. Führungskräfte können die
Gesundheit ihrer Teammitglieder beeinflussen (Franke et al., 2015) und gleichzeitig
haben die Teammitglieder die Möglichkeit, das Verhalten und die Gesundheit der
Führungskräfte zu beeinflussen (Eberz & Antoni, 2016). Dieser wechselseitige Wirk-
mechanismus ist ein zentraler Aspekt in der Gesunderhaltung von Teams und Führungs-
kräften. Die Interaktionen mit anderen werden nach allgemein herrschender Meinung als
bedeutsam empfunden (hier und im Folgenden: Bailey & Madden, 2016), wenn Andere
von der eigenen Arbeit profitieren und eine Umgebung unterstützender interpersonaler
Beziehungen vorliegt. Negative Teamerfahrungen verursachen hingegen ein Gefühl der
Bedeutungslosigkeit und schwächen das Kohärenzgefühl. Umgekehrt können Team-
mitglieder von positiven Erfahrungen im Team profitieren, wenn sie sich die Lösung
schwieriger Teamsituationen auch selbst zuschreiben (Schulte et al., 2016). Für die
Gesunderhaltung der Teammitglieder besteht die Notwendigkeit, in Teams ebenso wie in
der Führungsbeziehung ein auf Unterstützung, Respekt und Integration angelegtes Team-
bzw. Arbeitsklima zu entwickeln. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Teamkontext
als Stressor bewertet wird und die Teammitglieder erkranken.
Krankheit und Gesundheit – ein ständiger Balance Akt 31
Auf die Symptome und Diagnostik kranker Teams geht der Beitrag von Kemter-
Hofmann in diesem Buch ein. In dem Beitrag von Schilling wird auf die dunkle Triade
der Führung eingegangen.
Nicht immer ist es Fach- und Führungskräften möglich, die organisationalen Rahmen-
bedingungen, zum Beispiel die Führungskultur in einem Unternehmen zu verändern.
An dieser Stelle ist es für sie bedeutsam, die eigene interne Bewertung der Arbeits-
situation zu überdenken. Wie sehr fühle ich mich unter Druck gesetzt und bemühe mich,
den Leistungsanforderungen gerecht zu werden? Wie sehr kann ich es ertragen, wenn
Kolleginnen oder Kollegen mit mir unfreundlich kommunizieren oder Vorgesetzte mich
nicht in Entscheidungen einbeziehen? An dieser Stelle kann ein Perspektivenwechsel
hilfreich sein, die Sichtweise der anderen nachzuvollziehen. Dafür braucht es einen
geschützten Raum und eine Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Vorgesetzten, Mit-
arbeiter und Mitarbeiterinnen (Rasch et al., 2017).
Soweit die Stärkung des Kohärenzgefühls durch institutionelle Maßnahmen der
Organisation im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements unterbleibt,
kann die Fach- und Führungskraft ihr Kohärenzgefühl durch selbstinitiierte Maßnahmen
stärken, etwa durch Veränderung der eigenen Einstellung zu der Arbeit mittels Rück-
griff auf Konzepte der positiven Psychologie (Esch, 2012). „In diesem Ansatz werden
Faktoren untersucht, die zu einem gelingenden und erfüllten Leben beitragen, die die
Persönlichkeitsentwicklung und das subjektive Wohlbefinden positiv beeinflussen“
(Lermer, 2019, S. 23).
Um gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen zu können, müssen deshalb die
eigenen Mechanismen, die Stress verursachen, aber auch abschwächen können, bewusst
reflektiert werden. So lassen sich situative Einflüsse der eigenen Arbeitswelt beheben, in
dem etwa Kompetenzen durch Zusatzqualifikationen aufgebaut werden oder ressourcen-
orientierte Beratungsformate in Form von Coaching oder Psychotherapie in Anspruch
genommen werden.
Auch sollten Möglichkeiten der Bewältigung avisiert und das synergistische
Zusammenspiel von Motivation, Belohnung und das Empfinden von Glück und Gesund-
heit betrachtet werden. Im Vordergrund steht, die positiven Aspekte wahrzunehmen,
Emotionen gut zu regulieren, Spannung zu reduzieren und eine möglichst spielerische
Haltung gegenüber Anforderungen einzunehmen. Hilfreich ist es auch, eine positive
Fehlerkultur zu pflegen, andere Menschen wahrzunehmen, wertschätzend sowie selbst-
reflektiert zu sein (Esch, 2012). Positive Emotionen und Erfahrungen können zur Stress-
reduktion beitragen. Verhalten, Wahrnehmung und Motivation bedingen sich dabei
gegenseitig und sind in Belohnungsreaktionen über Neurotransmitter des Gehirns wie
z. B. Oxytocin (Bindung), Dopamin (Abenteuer) und Serotonin (Entspannung) eng
miteinander verbunden. In Beziehung mit anderen Menschen treten, Liebe und Glück
32 U. Morgenstern und M. Moser
erleben, Achtsamkeit und Entspannung erfahren, körperlich aktiv und in Bewegung sein,
Herausforderung annehmen und deren erfolgreiche Bewältigung erfahren, also ein Flow-
Erleben, sind wirksame Schutzfaktoren (Esch, 2012). Hierbei ist klar, dass das Gefühl
der Sinnhaftigkeit eher episodischer Art und weniger ständig vorhanden ist (Bailey &
Madden, 2016). Vielmehr geht es um die Momente, die positive Emotionen erzeugen
und persönliche Relevanz widerspiegeln.
Wichtig ist, den positiven Aspekt der eigenen Arbeit und ihren Beitrag zu einem
übergeordneten Ganzen zu erkennen (hier und nachfolgend: Bailey & Madden, 2016).
Dabei steht im Vordergrund, die Auswirkungen des eigenen Tuns oder die Relevanz der
Arbeit für andere Individuen, das Unternehmen oder die Gesellschaft herauszuarbeiten.
So sieht ein Mitarbeiter der Müllabfuhr die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit in dem Beitrag
zu einer sauberen Umgebung, die er seinen Enkelkindern und zukünftigen Generationen
hinterlässt. Eine befragte Akademikerin betrachtet ihre Arbeit als sinnvoll, weil sie ihren
Studenten helfen kann, im Berufsleben erfolgreich zu sein. Eine Krankenschwester im
Hospiz schätzt die Wirksamkeit ihrer Arbeit als hoch ein, weil sie ihren Patienten das
Sterben erleichtert. Fach- und Führungskräfte sollten sich daher regelmäßig die Frage
stellen, welchen Sinn ihre Arbeit zu einem übergeordneten Ganzen beiträgt.
4.5.1 Positive Emotionen
Das Kohärenzgefühl hängt im Wesentlichen ab von der eigenen Wahrnehmung der
Arbeitswelt und ihrer Einordnung als verständlich, handhabbar und sinnvoll (Super et al.,
2015). Inwieweit eine herausfordernde Arbeitsumwelt für Fach- und Führungskräfte eine
krankheitsauslösende Wirkung erzeugt, wird demnach wesentlich von der individuellen
Wahrnehmung und Bewertung der Arbeitsbedingungen und -situationen als Bedrohung,
Kränkung oder Verlust geprägt (ähnlich Badura et al., 2010). Die eigene Wahrnehmung
ist wiederum stark beeinflusst von Emotionen. So haben Frederiksen und Branigan
(2005) gezeigt, dass positive Emotionen die Wahrnehmung sowie das Gedanken- und
Handlungsrepertoire eines Menschen weiten (broaden) und zu flexiblerem und kreativem
Denken führen (ausführlich Lermer, 2019 mit weiteren Nachweisen). Die veränderte
Wahrnehmung lässt uns das große Ganze und mehr Möglichkeiten zur Problemlösung
erkennen, sodass wiederum die Verstehbarkeit, Handbarkeit aber auch die Sinnhaftigkeit
und damit das Kohärenzgefühl beeinflusst wird. In einer Reihe von Laborstudien kamen
Kopelman et al. (2006) zu dem Ergebnis, dass Personen mit positiven Emotionen erfolg-
reicher in Verhandlungssituationen sind, weil sie über ihre positiven Erfahrungen das
Kohärenzgefühl stärken. Emotionen tragen somit zum Aufbau langfristiger Ressourcen
bei (build). Es wird dann mehr Selbstwirksamkeit empfunden, die wiederum eng mit
dem Kohärenzgefühl verbunden ist und es stärkt. Infolge eines stärkeren Kohärenzgefühl
können wiederum verstärkt positive Emotionen empfunden werden. Es entsteht eine
positive Aufwärtsspirale, die sich von selbst fortsetzen kann. Dieser Kreislauf wird auch
als die Broaden-Build-Resources-Theorie positiver Emotionen bezeichnet. Wie aber
schaffen es, Fach- und Führungskräfte in schwierigen Arbeitssituationen das Positive zu
sehen?
Krankheit und Gesundheit – ein ständiger Balance Akt 33
Eine wichtige Voraussetzung für das Auslösen positiver Emotionen ist das positive
Reframing. Darunter versteht man einen Prozess, durch den negative Ereignisse oder
Umstände umgedeutet werden können, sodass sie in einem positiven Licht erscheinen
(Lambert et al., 2009). Auch wenn der Einfluss von positivem Reframing auf das
Kohärenzgefühl bisher noch nicht vollständig empirisch untermauert wurde, ist es
gleichwohl plausibel anzunehmen, dass positives Reframing das Kohärenzgefühl vorher-
sagen kann (Lambert et al., 2009). Es erscheint zutreffend, dass das Erkennen positiver
Aspekte einer negativen Arbeitsumgebung die Situation erträglicher macht. Insofern
kann eine positive Umdeutung der Situation das subjektive Erleben der Wirklichkeit ver-
ändern.
4.5.3 Achtsamkeit
Achtsamkeit im organisationalen Kontext ist ein möglicher Ansatzpunkt, die hohen und
sich wandelnden Anforderungen der heutigen Arbeitswelt bewältigen zu können. Aus
individueller Sicht beschreibt Achtsamkeit eine Haltung, neue Erfahrungen offen und
ohne Vorurteile aufzunehmen sowie den gegenwärtigen Moment wahr- und anzunehmen
(Bishop et al., 2004). Achtsame Fach- und Führungskräfte lenken ihre Aufmerksam-
keit auf die Situation, in der sie sich befinden, ohne sie zu bewerten und ihre Gedanken
abschweifen zu lassen (Glomb et al., 2011).
Die gesundheitsfördernde Wirkung von Achtsamkeit ist umfassend untersucht und
empirisch nachgewiesen (Mesmer-Magnus et al., 2017). Weissbecker et al. (2002) haben
den positiven Effekt von Achtsamkeit auf den Ausbau des Kohärenzgefühls heraus-
gearbeitet. Sie argumentieren, dass Achtsamkeit das Kohärenzgefühl steigern kann, weil
sie das Gefühl von Handhabbarkeit fördert, das nicht wertende Bewusstsein die Offen-
heit und Sinnhaftigkeit von Erfahrungen erleichtert und Raum für das Erforschen von
Bedeutung schafft. Gezielte Achtsamkeitstrainings helfen gegen Stress und auch ent-
sprechende Apps können als Hilfsmittel eingesetzt werden (Glöser, 2021). Zudem hilft
Achtsamkeit, den Fokus stärker auf die aktuelle Aufgabe zu legen und die Performance
zu steigern (Mesmer-Magnus et al., 2017). Daraus schließen Glomb et al. (2011), dass
Achtsamkeit bei Fach- und Führungskräften nicht nur einen positiven Effekt auf das
eigene subjektive Wohlbefinden haben, weil sie weniger Zeit mit energiezehrendem
Grübeln über vergangene, negative Ereignisse oder zukünftiges Scheitern verbringen
(Amrani, 2010) und dadurch ihre Konzentration und das Selbstvertrauen fördern (Glomb
et al., 2011). Zudem sind sie auch bei repetitiven Aufgaben weniger schnell gelangweilt
(Langer, 2014). Darüber hinaus nehmen achtsame Fach- und Führungskräfte gleichzeitig
positiven Einfluss auf die Arbeitsumwelt – etwa auf die Job Performance und Zufrieden-
heit der Mitarbeiter oder die Interaktion mit ihnen (Dane, 2011). Dies dürfte auch der
Grund dafür sein, dass achtsame Fach- und Führungskräfte eher als charismatisch und
effektiver wahrgenommen werden (Glomb, 2011).
Krankheit und Gesundheit – ein ständiger Balance Akt 35
Insbesondere für hoch engagierte Fach- und Führungskräfte wird Gesundheit erst durch
ihren Verlust zu einem Thema. Gesundheit sollte aber vielmehr als Konsequenz einer
erfolgreichen Bewältigung des Berufsalltages und als Konglomerat aus reziproken Ein-
flüssen der Umwelt in Form von Organisations-, Team- und Führungseinflüssen auf-
gefasst werden (ähnlich auch Badura et al., 2010). Sie kann begünstigt oder gefährdet
werden durch die vielfältigen Einflüsse, denen Fach- und Führungskräfte in ihrem
Berufsalltag ausgesetzt sind. Deswegen ist es notwendig, sich regelmäßig mit diesen
Einflussfaktoren auseinander zu setzen.
Um zu verstehen, wie die Gesundheitserhaltung in den Mittelpunkt gestellt werden
kann, und wirkungsvoll mit Gesundheitsförderung bei Fach- und Führungskräften
anzusetzen, sollte ein Blick auf das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky
geworfen werden. Mithilfe dieses Konzeptes ist es möglich, dass Fach- und Führungs-
kräfte auf ihre Schutzfaktoren bzw. Ressourcen und ihre Risikofaktoren bzw. Stressoren,
auch auf ihre internen und externen Stärken und Schwächen schauen, um ihren aktuellen
Zustand gesundheitskompetent reflektieren zu können.
Wenngleich Antonovsky den Fokus auf die Gesunderhaltung legt, ist Krankheit als
die Kehrseite von Gesundheit aufzufassen und eine Erkrankung lässt sich auch nicht
immer vermeiden. Dieser Aspekt sollte ebenfalls nicht aus den Überlegungen aus-
geschlossen werden. In seinem Modell sind Gesundheitsförderung und Krankheitsprä-
vention deshalb eng miteinander verbunden und beide Ansätze der Interventionen gehen
ineinander über. Es ist daher wichtig, eine noch symptomlose Erkrankung frühzeitig zu
diagnostizieren bzw. zu erkennen und gute Therapieansätze zu finden, um ihr präventiv
zu begegnen.
Gesundheit und Krankheit sind nur scheinbare Gegensätze. Entsprechend dem
Konzept der Salutogenese bewegen sich auch Fach- und Führungskräfte täglich in
einem Kontinuum von Gesundheit und Krankheit. Es kommt einerseits darauf an, die
Krankheitsentwicklung zu verhindern, indem Risikofaktoren identifiziert und minimiert
werden. Andererseits müssen Ressourcen und Schutzfaktoren – insbesondere Gesund-
heitskompetenz, Resilienz und Kohärenzsinn der Fach- und Führungskräfte – gestärkt
werden, damit sie in den Unternehmen lange gesund bleiben können. Dieser Fokus ist
für Unternehmen besonders wichtig, weil Gesundheitsförderung ein bedeutender Teil des
betrieblichen Gesundheitsmanagements sein sollte.
Fach- und Führungskräfte können durch Eigeninitiative und vielfältige Maßnahmen
dazu beitragen, sich selbst gesund zu erhalten und damit als Vorbild für ihre Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter zu fungieren. Wenn sie Gesundheitskompetenz auf-
bauen, gelingt es ihnen besser, Leistungsanforderungen am Arbeitsplatz eher im Sinne
der positiven Psychologie als Herausforderung und als Flow-Erleben und nicht als
Bedrohung oder Belastungen zu sehen (Blättner, 2007). Dadurch können Fach- und
Führungskräfte davor geschützt werden, stressbedingt zu erkranken.
36 U. Morgenstern und M. Moser
Quintessenz
• Fach- und Führungskräfte bewegen sich ständig in einem Kontinuum von
Gesundheit und Krankheit, sind demnach nie vollständig gesund oder krank.
Sie können durch Stärkung des arbeitsbezogenen Kohärenzgefühls in Eigen-
initiative dazu beitragen, ihre eigene Gesundheit zu stärken und damit ein
positives Vorbild für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind.
• Das arbeitsbezogene Kohärenzgefühl ist auf drei Ebenen zu stärken: Verstehbar-
keit, Durchführbarkeit, Bedeutsamkeit. Dazu ist es erforderlich, auf die eigene
Wahrnehmung der Umwelt zu achten.
• Die Wahrnehmung kann positiv beeinflusst werden durch Selbstreflexion, Acht-
samkeit und positive Emotionen.
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Jürgen Beushausen
1 Einleitung
Im Alltag und in der Wissenschaft lassen sich Gesundheit und Krankheit nicht eindeutig
definieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass alle Definitionsversuche Konstruktionen
eines Beobachters, bzw. „Selbstbeobachters“ sind, die sich jeweils auf ein unterschied-
liches Menschenbild und eine spezifische Sichtweise gründen. Aus einer systemischen
Perspektive wird der Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse im Sinne der Nach-
zeichnung der subjektiven Motive und interaktiven Mechanismen, mit denen Menschen
ihre Wirklichkeit gestalten „konstruiert“.
Neuere medizinische, psychologische und soziologische Ansätze verstehen die Ent-
wicklung von psychischen Erkrankungen als ein multifaktorielles Phänomen, bei der
die Vorstellung eines linear-kausalen Ursache-Wirkungsgefüges durch ein zirkuläres
Modell ergänzt werden muss. Um diese Zusammenhänge zu erörtern, werden zunächst
grundsätzlich konstruktivistische Modelle erörtert und im Anschluss diskutiert, welche
Bedeutung die Form der Beobachtung aus systemischen Perspektiven hat. Diesen
Anmerkungen schließen sich Hinweise auf die Prozesse zur Konstruktion von Gesund-
heit und Krankheit an. Um solche Konstruktionsprozesse bei all ihrer Unschärfe zu
betrachten, ist eine möglichst umfassende multiperspektivische Betrachtung von
Gesundheit und psychischen Krankheiten hilfreich. Daher sollen im Weiteren solche
Perspektiven benannt werden.
J. Beushausen (*)
Diploma Hochschule, Edewecht, Deutschland
E-Mail: juergen.beushausen@ewetel.net
Die Bezeichnung Konstruktivismus ist ein Etikett für einen theoretischen Standpunkt
und für eine Methode, mit der über Realität geredet, gedacht und diese betrachtet
wird, d. h. darüber, wie Erkenntnisse gewonnen werden. Der Konstruktivismus gründet
sich auf verschiedene Ansätze, die in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahr-
hunderts in die Diskussion unter anderem von Watzlawick, von Glasersfeld, des
Physikers und Kybernetikers von Foerster und den chilenischen Biologen und Erkennt-
nistheoretikern Maturana und Varela eingebracht wurden. Gemeinsam ist diesen Autoren
die Annahme, dass immer Konstruktionen eines Beobachters die Grundlage einer
Erkenntnis sind. Konstruktivisten verstehen sich als „erkennende Subjekte“, als mit-
wirkende Beobachter und somit als Bestandteil und Gestalter der Selbstorganisation der
Wirklichkeit (Beushausen, 2013). Hingegen wird der traditionelle naturwissenschaftliche
Ansatz, der vom Beobachter in der Position eines objektiven, neutralen, außenstehenden
Beobachters ausgeht und Fakten beschreibt, als eine Illusion betrachtet.
Wirklichkeit wird im Konstruktivismus als Resultat der jeweiligen Erfahrungen inner-
halb eines Situationskontextes verstanden. Wie diese Realität beschaffen ist, entzieht sich
den Erkenntnismöglichkeiten, die weiteren Aussagen sind abhängig von unseren eigenen
Konstruktionsleistungen. Was wir von unserer Umwelt wahrnehmen, darf nicht mit „der
Realität“ verwechselt werden, denn dies käme einer Verwechslung von Landkarte und
Landschaft gleich (Simon, 2012). Wird dieser Erkenntnis gefolgt, können wir von der
Wirklichkeit nicht wissen, wie „sie ist“ und die Frage, ob eine Wahrnehmung „falsch
oder richtig ist oder ob sie stimmt“, verliert an Interesse. Es wird stattdessen gefragt,
ob das, was wahrgenommen wird, „passt“, d. h. gangbar, nützlich, brauchbar oder nach
von Glasersfeld (1992) viabel ist. Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen sind so subjekt-
abhängige Prozesse.
In Bezug auf den Arbeitskontext von Führungskräften bedeutet dies, dass dauernd
Situationen nach den eigenen subjektiven Kriterien „gedeutet“ werden, also immer
auch „anders“ angenommen werden könnten. Diese Subjektabhängigkeit bedeutet aber
keine Beliebigkeit oder reinen Subjektivismus. Gerade weil wir nur einen subjektiven
Zugang zur „Realität“ haben, sind wir auf die soziale Eingebundenheit, den Kontakt zu
anderen Menschen, angewiesen. Was „wirklich“ gilt, wird mit anderen ausgehandelt. Wir
leben so in einer Welt relativer Wahrheiten, in der nur unsere eigenen Modelle real sind.
„Wahrheit“ ist ein Geltungsanspruch, der sich (Habermas, 1981) nur auf Sachverhalte
bezieht und insofern nur diskursiv eingelöst werden kann.
Alltagswirklichkeit erleben wir als eine stabile, reale Wirklichkeit. Dieser Eindruck
entsteht, da diese durch andere Menschen in unserem sozialen Kontext fortlaufend
bestätigt wird. Individuen müssen ihre Verhaltensweisen und Wirklichkeitsmodelle so
konstruieren, dass ein „operationaler Konsens“ (Gröne, 2007) entsteht. Wirklichkeit ist
demnach nur das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses, eines Übereinkommens
darüber, was für wirklich gehalten wird.
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 43
Realität und Wirklichkeit sind somit „unscharfe Begriffe“ (Mehrgardt, 1996), sie
beinhalten keine topologisch feststehenden bzw. feststellbaren Grenzen. Begriffe sind
nicht Realitäten der Dinge, sondern Zeichen im Verstande. Wie Simon (2011) ausführt,
sind die entscheidenden Kategorien zur Beurteilung der Wirklichkeit nicht Wahrheit und
Objektivität, sondern Konsens, Brauchbarkeit und Nützlichkeit. Eine heute nützliche
Beschreibung der Wirklichkeit kann morgen nicht mehr sinnvoll sein; hier benötigen wir
eine „Wirklichkeitsflexibilität“ (Gröne, 2007).
Um dem Vorwurf der Vernachlässigung ethischer Fragen entgegenzutreten,
formulieren von Schlippe und Schweitzer (2016) die vier folgenden ethischen Grund-
positionen systemischen Handelns.
1. Denke und handle ökologisch valide (Oder: „Es gibt immer einen größeren Kontext.“)
2. Achte auf die Definitionen und Bewertungen, die du vornimmst (Oder: „Es könnte
auch ganz anders sein.“)
3. Besinne dich auf deine persönliche Verantwortung (Oder: „Es gibt kein Richtig oder
Falsch, aber du bist Teil des Kontextes und alles was du sagst, hat Konsequenzen!“)
4. Achte darauf, in respektvoller Weise Unterschiede zu schaffen (Oder: „Füge dem Bild
des/der Klienten etwas Neues hinzu.“) (S. 273).
Damit fordern die Autoren dazu auf, den größeren Kontext und die vorgenommenen
Definitionen und Bewertungen zu beachten, sich auf die eigene Verantwortung zu
besinnen und in respektvoller Weise auf Unterschiede hinzuweisen.
Für die Position eines Integrativen Konstruktivismus heißt dies: Wenn ethische
Grundpositionen zu berücksichtigen sind, ist das eigene Handeln an immer wieder
zu hinterfragenden Maßstäben zu messen, die mit der Ethik der Wertegemeinschaft
abzugleichen sind. In einem solchen Diskurs muss auch erörtert werden, welche
Konstruktionen in einer Wertegemeinschaft ethisch toleriert und als „nützlich“ erachtet
werden, denn nicht alle Konstruktionen können „akzeptiert“ werden, bloß weil es
Konstruktionen sind. Daraus folgt, nicht nur unsere Konstruktionen müssen von uns ver-
antwortet werden, sondern auch die sich aus diesen ergebenden Realitäten. Offen bleibt
jedoch die Frage, wer nach welchen Interessen entscheidet, was „nützlich und brauch-
bar“ ist. Individuelle Wahrnehmung im Sinne der oben angesprochenen Konstruktion
von Wirklichkeit ist, wie bereits erwähnt, ohne den Bezug auf einen anderen nicht denk-
bar. Nur durch die soziale Eingebundenheit, den Kontakt zu anderen, ist Erkennen mög-
lich. Da wir keinen eigenen Zugang zur Realität besitzen, sind wir darauf angewiesen,
Realität bzw. Wirklichkeit mit anderen auszuhandeln. Solch eine Position beinhaltet
auch: Ohne Sozialisation und Kommunikation wäre ein Individuum nicht in der Lage,
Vorstellungen von Objekten und über das eigene Ich zu entwickeln. In diesem Prozess
konstruieren wir auch unsere eigene Biografie durch Kommunikation „neu“, wir ver-
binden Fakten der Geschichte, d. h. Realitäten, mit Wirklichkeitskonstruktionen.
Erkennen vollzieht sich so immer vor dem Hintergrund historisch gewonnener Kon-
ventionen (Beushausen, 2013). So könnten in Erzählungen über eine frühere Tätigkeit
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 45
einzelne Aspekte betont und andere wegelassen werden. Konstruiert wird eine „andere“,
eine neu „konstruierte Geschichte“, z. B. über die Hintergründe einer Krankheit.
Simon (2012) unterscheidet zudem die „weiche Wirklichkeit“, die er von der „harten“
abgrenzt. „Harte“ Wirklichkeit bezieht sich zunächst auf den Bereich der Physik, wobei
bereits Heisenberg in seiner Quantentheorie die Vorstellung einer „objektiven Erkennt-
nis“ (aufgrund der Selbstbezüglichkeit) infrage stellte. In Bezug auf Unternehmen sind
z. B. gesetzliche Vorgaben eine „harte Wirklichkeit“. Ein Beispiel für eine „weiche
Wirklichkeit“ wären Versuche Spannungen in einem Team zu beschreiben. Beschrieben
werden von den einzelnen Personen jeweils „eigene Wahrheiten“. Diese Konstruktionen
sind immer auch von der eigenen Persönlichkeit, eigenen Wertvorstellungen, möglichen
Interessen der Beteiligten und durch Emotionen geprägt.
Ein weiteres Beobachtungsproblem zeigt sich durch die Schwierigkeit, nur etwas
beschreiben zu können (wie z. B. eine Unternehmenskultur), was „äußerlich“ sichtbar ist
(z. B. die Interaktionsmuster). Gedanken und Gefühle von Menschen können nur erfragt
werden.
Mit dem Bild der Landkarte kann zudem verdeutlicht werden, dass nie im Maßstab
1:1 beobachtet werden kann und dass es wichtig ist, die „Landkarte“ nicht mit dem zu
beobachtenden Phänomen, hier die „Landschaft“, zu verwechseln. Erkenntnisse des
Beobachtungsprozesses können nur aus den Interaktionsmustern und den subjektiven
Beschreibungen hergeleitet werden und es findet, da nicht „alles“ beschrieben werden
kann, immer eine Auswahl, eine Reduzierung der Komplexität statt. Dies bedeutet,
Beobachter treffen bei der Betrachtung von Prozessen immer eine reduzierte, subjektiv
bestimmte Auswahl.
Der Beobachtungsprozess kann erleichtert werden, wenn sich der Beobachter in eine
exzentrische Position begibt und so tut, als ob er außerhalb seines Selbst stünde, um auf
diese Weise auf sich und seine Kommunikationspartner zu schauen. Wenn er und seine
Diskurspartner die Interaktionen und die Beziehungsgestaltung analysieren, können
diese ihre subjektiven Innenperspektiven in gegenseitigen Identifikationen verstehen und
sich durch die Einnahme der Außenperspektive auf eine konsensuelle Realität „einigen“.
Dabei drücken Wirklichkeitskonstrukte, dies soll betont werden, auch die Interessen
von den beteiligten Akteuren aus. In einem Unternehmen könnte beispielsweise je nach
Personalstand unterschiedlich bewertet werden, ob oder ab wann jemand mit einer
Erkältung als krank definiert wird.
Somit sind Aussagen über Ursachen und Hintergründe eines Phänomens, z. B. einer
psychischen Erkrankung, Konstruktionen, die jeweils im Kontext bestimmter Annahmen,
Interessen, Konzepte oder Ideologien getätigt werden.
Diese Ausführungen über die Beobachtung haben grundlegende Bedeutung für die
Beschreibung von Gesundheit, Verhaltensstörungen und (psychische) Krankheiten. Es
stellt sich die Frage, welche Prozesse bzw. Zustände, als krank/nicht krank bzw. gesund
bezeichnet werden. Diese Grenze wird, wie ausgeführt, von den Beobachtern gezogen.
Macht ein Beobachter (z. B. der Mitarbeiter oder ein Chef), Aussagen über eine Person
oder ein anderes System, macht er gleichzeitig Aussagen über sich und seine Unter-
scheidungen. Dabei beinhalten Unterscheidungen immer zwei Aspekte: es wird eine
Unterscheidung vorgenommen, z. B. eine Person hat eine Körpertemperatur von 37,7
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 47
und es folgt eine Bezeichnung, z. B. als Fieber, erhöhte Temperatur, noch arbeitsfähig
oder krank. So ist z. B. die Aussage jemand sei psychisch nicht belastbar oder krank
immer von den eigenen Kriterien geprägt, sie ist immer eine subjektive Konstruktion,
auch wenn sie sich an offiziellen Kriterien, z. B. dem ICD ausrichtet. Eine solche
diagnostische Klassifizierung, z. B. im ICD, kann jedoch eine nützliche Unterscheidung
sein.
Die Vorläufigkeit solcher Konstruktionsprozesse kann z. B. an der zeitgeschichtlichen
Bewertung von Homosexualität aufgezeigt werden. Homosexuelle Menschen werden
heute noch in sieben Ländern mit dem Tod bestraft und in vielen Kulturen verfolgt, dis-
kriminiert und als krank betrachtet. Erst das öffentliche Auftreten der Schwulen- und
Lesbenbewegung gegen die Diskriminierung ihrer sexuellen Orientierung führte dazu,
dass auch die Wissenschaft ihre pathologisierende Einstellung änderte. 1973 wurde
Homosexualität aus dem US-amerikanischen Handbuch der psychischen Störungen
(DSM) gestrichen. Danach dauerte es bis 1991, bis im ICD 10, der internationalen
WHO-Klassifikation Homosexualität nicht mehr als psychische Störung aufgeführt
wurde. Diese Prozesse der Ausgrenzung lassen sich auch bei anderen Phänomenen auf-
zeigen. Beispielhaft wurde Transsexualität erst 2019 in der neu verabschiedeten ICD-11
von der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen. Aktuell wird ein Gesetzent-
wurf diskutiert, nach dem grundsätzlich bei unter 18-jährigen sogenannte Konversions-
behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der
selbst empfundenen geschlechtlichen Identität verboten werden sollen.
Auch an anderen Phänomenen, wie zum Beispiel dem sogenannten Burnout, lässt
sich die Konstruktion von Krankheiten beschreiben. Burnout definiert Petzold (2010,
S. 26) wie folgt: „Burnout ist ein komplexes Syndrom, das durch multifaktorielle, z. B.
makro-, meso- und mikro-soziale, zeitextendierte Belastungen bzw. Überlastungen
eines personalen Systems bis zur völligen Erschöpfung seiner Ressourcen verursacht
wird, besonders wenn ein Fehlen protektiver Faktoren und eine schon gegebene vor-
handene Vulnerabilität gegeben sind. Sofern nicht durch Beseitigung von Stressoren
und Entlastung, z. B. durch Zuführung von Ressourcen, eine Wiederherstellung der
Funktionsfähigkeit gewährleistet wird, hat Burnout Funktionsstörungen, Fehlleistungen
und Identitätsverlust des Systems zur Folge. Bei personalen Systemen führt dies zu
Motivationsverlust, emotionaler Erschöpfung, Leistungsabfall, Selbstwertkrisen und
psychischen bzw. psychosomatischen, aber auch psychosozialen Symptomen, wie z. B.
aggressiver Umgang mit Patienten und Klienten bis hin zu Vernachlässigung und Miss-
handlung.“
Eine der wichtigsten Ursachen ist häufig der Stress und eine Unzufriedenheit mit der
Arbeitssituation im Kontext persönlicher Dispositionen wie der Perfektionismus oder die
Unfähigkeit zur Abgrenzung. So kann Burnout je nach Konstruktion eines Beobachters
der Endzustand eines Prozesses von idealistischer Begeisterung über Desillusionierung,
Frustration und Apathie sein.
Allerdings überlappt sich dieses Syndrom mit diversen anderen Störungsbildern, wie
insbesondere der Depression. Inwieweit es sich hierbei um eine Modediagnose handelt,
48 J. Beushausen
soll hier nicht näher diskutiert werden. Im ICD-10 wird Burnout als einer der Faktoren
benannt, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des
Gesundheitswesens führen.
Allgemein weist beispielsweise die Bundespsychotherapeutenkammer (2019) auf
die besondere Bedeutung psychischer Erkrankungen für die Betriebe hin. So seien 2018
zehn Prozent der betrieblichen Fehltage bedingt durch psychische Erkrankungen ent-
standen. Insgesamt wird eine dramatische Zuwachsrate bei der Diagnose psychischer
Störungen konstatiert, die zu einer erhöhten Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen bei-
trägt.
Die größten Steigerungsraten gibt es bei den Diagnosen einer Depression. Hier
werden ursächlich Zusammenhänge eines immer schnelleren Wandels von Lebens-,
Arbeits- und Umweltbedingungen diskutiert. Angenommen wird, dass das Gleich-
gewicht zwischen Belastungs- und Bewältigungspotenzial nicht mehr aufrechterhalten
werden kann und zu Krankheiten führt.
Bei der Konstruktion von Gesundheit und Krankheit erfolgt die Zuordnung und
Bewertung eines Phänomens im Rahmen sozialer Übereinkünfte, mit denen bestimmt
wird, welches Symptom als Krankheit bezeichnet wird und wo eine Ursache (im
Organismus, im psychischen oder sozialen System oder mehreren) verortet wird. Durch
die Bezeichnung eines Phänomens, bzw. eines Symptoms als eine Krankheit wird
eine Realität geschaffen, die „wirkt“, d. h. neue Realitäten schafft (so wird z. B. von
„Kranken“ erwartet, dass sie in sich einer bestimmten Weise verhalten). So könnte bei-
spielsweise die Bezeichnung „depressiv“ darauf verweisen, dass Belastungen schädlich
sein könnten oder es wird von jemanden mit dauernden Rückenschmerzen erwartet, dass
er sich in eine Behandlung begibt.
Bereits in diesen ersten Anmerkungen wird deutlich, dass das hier vertretene
systemische Verständnis einer Konstruktion von Krankheiten sich auf ein allgemeines
biopsychosoziales Verständnis von Krankheiten bezieht. Neben den Systemtheorien
hat für solch eine Konzeptionierung auch der Einfluss von Stresstheorien Selyes’ und
Lazarus’, sowie die Theorie der Salutogenese, die von Antonovsky begründet wurde und
die New Public Health und deren gesellschaftliche Verankerung seit den 1980er Jahren
in den westlichen Ländern an Bedeutung gewonnen (vgl. dazu auch den Beitrag von
Morgenstern und Moser in diesem Buch). Diese Modelle beinhalten eine Abkehr von der
biomedizinischen dichotomen Konstruktion von Gesundheit und Krankheit; stattdessen
wird von einem Kontinuum ausgegangen.
Für die Konstruktion von Krankheiten ist zunächst festzuhalten: Um als Symptom
oder Krankheit konstruiert zu werden, muss ein Phänomen zunächst einmal im Rahmen
einer sozialen Konvention wahrgenommen werden und im zweiten Schritt kommuniziert
werden. Im Weiteren bedarf es einer Vereinbarung, wann z. B. der Alkoholkonsum
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 49
eines Angestellten als problematisch, süchtig oder krankhaft bezeichnet wird. Benötigt
wird also eine kommunikative Validierung, damit ein Phänomen zum Symptom wird
und um als Merkmal der Unterscheidung für beispielsweise einer Krankheit zu dienen.
Solch eine Unterscheidung könnte z. B. durch den eigenen Alkoholkonsum und deren
Beurteilung beeinflusst sein.
Aus systemtheoretischer Perspektive sind Symptome beobachtbare Ereignisse,
Prozesse oder Zustände, die als Zeichen für andere, nicht beobachtbare Ereignisse,
Prozesse oder Zustände in einem anderen, nicht-transparenten Phänomenbereich einer
tatsächlichen oder vermuteten „Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit“ gedeutet werden
(Simon, 2011). Phänomene werden erst wahrgenommen, wenn sie als abweichend zum
erwarteten „normalen“ Zustand unterschieden werden. Eine solche Interpretation bzw.
Unterscheidung muss jedoch nicht getroffen werden. Sie erfolgt nur bei Phänomenen,
bei denen der Beobachter das Bedürfnis hat, nach einer Erklärung zu fragen. So wird
es zum Beispiel sehr unterschiedlich sein, wie eine erhebliche Mehrarbeit eines Mit-
arbeiters bewertet wird. Erst wenn sie wahrgenommen wird, kann sie eventuell als
ungesund betrachtet werden. So könnten auch zum Beispiel Unsicherheiten eines Mit-
arbeiters beim Kundenkontakt unterschiedlich gedeutet werden, sie könnten z. B.
begründet werden mit der Persönlichkeit des Mitarbeiters, seiner Lebensgeschichte,
seiner „stressigen“ aktuellen Situation, einer „psychischen Übertragung“ auf den Kunden
oder mit seinen Persönlichkeitseigenschaften. Genauso wäre es jedoch möglich, die
Ursache für diese Ängstlichkeit in einer Reaktion auf den Kunden zu verorten oder diese
als Folge einer allgemeinen Stresssituation im Betrieb zu interpretieren.
Symptome sind allgemein das Produkt von Unterscheidungen bzw. Interpretationen,
die durch die Zuweisung zu einem System (dem Organismus, dem psychischen oder
sozialen System) durch Kommunikation sozial festgelegt werden. Dabei werden
Abweichungen vom „Normalen“ zu einer übereinstimmenden „Wirklichkeit“ unter-
schieden und in einem zweiten Schritt als z. B. krank, „noch tolerierbar“, kriminell
oder problematisch, über dessen Schwellenwert in einer gegebenen Gesellschaft zu
einem bestimmten Zeitpunkt „Konsens“ herrscht, verortet. Mit dieser Konstruktion, in
der eine Person beispielsweise als „krank“ bezeichnet wird oder sich selbst als „krank“
definiert, erhält das Individuum zugleich eine neue Rolle, nämlich die des „Kranken“.
Verbunden mit der Rollenattribution eines „Kranken“ sind verschiedenste Erwartungen.
Zum Beispiel muss der Kranke für die Umwelt erkennbar leiden und den Willen zur
Besserung haben, damit er Unterstützung erhält. So ist es von erheblicher Bedeutung, ob
ein Phänomen, das von anderen als problematisch bezeichnet wird, als ein organisches,
psychisches oder soziales Problem interpretiert wird. So kann beispielsweise eine
„häufige Vergesslichkeit“ als organisches Problem (als mögliche Demenz, mit der
Zuständigkeit des medizinischen Funktionssystems), als ein psychisches Problem (z. B.
als Folge eines Traumas, mit der Zuständigkeit von Psychologen) oder als ein soziales
Problem (als mangelnde Motivation des Mitarbeiters im Betrieb, mit der Zuständigkeit
des disziplinarischen Vorgesetzten) betrachtet werden.
50 J. Beushausen
Ein Symptom kann für ein System „Sinn ergeben“. Mit dieser Aussage soll jedoch
nicht suggeriert werden, dass Symptome einzig durch (Er)finden entsprechender
Szenen oder Atmosphären in der Biografie zu „erklären“ seien bzw. dass dies ihr ein-
zig möglicher „Sinn“ wäre. „Sinn“ entsteht vor allen Dingen dadurch, dass der Mensch
Orientierungen und Einordnungsmöglichkeiten seiner Symptome erhält und sich selbst
„Sinn“ konstruiert. Dies kann hilfreich sein, wenn zum Beispiel Kopfschmerzen in Ver-
bindung mit Stress gesetzt werden, es kann jedoch sehr problematisch sein, wenn der
Hintergrund der Kopfschmerzen zum Beispiel eine biologische Ursache hat und die früh-
zeitige Diagnose eines Tumors unterbleibt.
Gesundheit und Krankheit sind somit sozial vermittelte Phänomene, mit denen
ein Individuum und die Gesellschaft etwas als normal oder nicht normal bezeichnet.
Zustände werden als krank bezeichnet, über deren Krankheitswert zu einem bestimmten
Zeitpunkt Konsens herrscht. Psychische Krankheit ist vorwiegend ein gesellschaftlicher
Begriff. Durch die Bezeichnung eines Symptoms als eine Krankheit schaffen wir eine
Realität, die „wirkt“, da hieraus weitere Schlüsse gezogen werden (z. B. darüber, wie
sich ein Kranker zu verhalten hat). Der einzelne Mensch hat in diesem Kommunikations-
prozess mit Einschränkungen einen Spielraum, eine Wahlfreiheit, wie er mit der sozial
vermittelten Definition von Gesundheit und Krankheit umgehen will. So kann sich z. B.
der „dicke Mensch“, der als krank bezeichnet und eventuell sozial geächtet wird, nicht
als krank empfinden und als integriert in seinem gesellschaftlichen Umfeld.
Die Benennung, also die Konstruktion von gesund oder krank, ist zugleich ein
moralisches Werturteil, indem das Gesunde oftmals als gut, normal und positiv und das
Kranke als negativ, unnormal, böse gilt. Oft wird mit der Bezeichnung „Krank“ eine
Abwertung verbunden. Krankheit ist gesellschaftlich immer eine Abweichung von der
Norm. Allerdings bleibt immer im Einzelfall eine Bewertung vorzunehmen. Beispiel:
Wann gelten Narzissten in einem Unternehmen mit hoher Konkurrenzkultur als gesund
und wann als krank?
Für den Konstruktionsprozess von Gesundheit und Krankheit ist ein weiterer Aspekt
maßgebend. Für die interagierenden Systeme ist es bedeutsam, ob es gelingt, eine von
den Klienten, deren Angehörigen und den Expertensystemen akzeptierte gemeinsame
oder eine divergierende Sicht von Wirklichkeit zu erzeugen. Diese jeweils subjektiven
Sichtweisen der handelnden Systeme, die weder wertfrei noch rational sind, sind
abhängig von Prozessen des Ineinandergreifens privater und theoretischer Konstrukte der
Betroffenen und der Experten.
Sozial wird in einem rekursiven Prozess in einem hohen Maße nicht nur bestimmt, ob
jemand krank ist, wie er sich subjektiv als krank empfindet, sondern auch der Umgang
mit der Krankheit und welchen Verlauf sie nimmt. Gesundheit ist als Abwesenheit
von Krankheit nur unzureichend beschrieben. Das Funktionieren von Organen oder
Beziehungen reicht nicht aus, um von Gesund sein zu sprechen. Selten wird bei der
Behandlung einer Krankheit von der Medizin und der Psychologie der gesamte Kontext
einer Krankheit berücksichtigt. Im Krankheitsfalle werden in der Regel eine oder
mehrere Faktoren herausgegriffen und in den Mittelpunkt des diagnostischen Interesses
52 J. Beushausen
gestellt und dementsprechend wird interveniert bzw. therapiert. Dabei gründet sich die
Auswahl des Fokus auf den jeweiligen Ansatz, bzw. die jeweilige berufliche Quali-
fikation und Ausrichtung des behandelnden Arztes.
Empfohlen wird eine (psychische) Erkrankung möglichst komplex aus den ver-
schiedensten Perspektiven zu betrachten. Um dies zu verdeutlichen, sollen im Weiteren
einige zu berücksichtigende Variablen benannt werden. Begonnen wird mit einer Dar-
stellung von drei Perspektiven, um aufzuzeigen, welche Konstellationen sich bereits
hieraus ergeben.
Schnabel und Bödeker (2012, S. 115) stellen drei Unterscheidungen vor: des krank
„sein“, die des sich krank „fühlen“ und die des „krank gelten“. Bereits hieraus lassen
sich die folgenden Dimensionen kombinieren. Eine Person könnte:
1. krank sein, sich krank fühlen und als krank gelten (z. B. nach einem Schlaganfall),
2. sich krank fühlen, ohne krank zu sein oder als krank zu gelten (z. B. sich
„schwindelig fühlen“),
3. sich krank fühlen, als krank gelten, ohne krank zu sein (z. B. das „Münchhausen-
Syndrom, hier werden körperlichen Erkrankungen vorgetäuscht oder absichtlich
hervorgerufen“),
4. als krank gelten, ohne sich krank zu fühlen oder krank zu sein (z. B. als manisch oder
psychotisch betrachtet werden),
5. krank sein, als krank gelten, ohne sich krank zu fühlen (z. B. zu Beginn einer Krebs-
erkrankung),
6. krank sein, ohne sich krank zu fühlen oder als krank zu gelten (z. B. eine noch nicht
diagnostizierte Krebserkrankung),
7. krank sein, sich krank fühlen, ohne als krank zu gelten (z. B. an einer in einem
bestimmten Kulturkreis noch nicht bekannten Erkrankung leiden).
Noch komplizierter wird eine Darstellung dieser Dimensionen, wenn man mit aufnimmt,
dass Menschen simulieren können. Hinzu kommt, dass Menschen ambivalent sind, sie
tragen verschiedene Anteile in sich, d. h. dass sie sich in manchen Situationen ängstlich
oder schüchtern verhalten und in anderen Situationen zum Beispiel vor einem großen
Publikum überzeugend einen Vortrag halten können. Jeder kann so gleichzeitig mehr
oder weniger jeweils gesunde und kranke Anteile haben. Deutlich wird, wie schwer
es ist, Phänomene eindeutig zuzuordnen, bereits eine Erkältung kann in jeweils ver-
schiedenen Kontexten anders bewertet werden.
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 53
Komplexer wird die Betrachtung einer Krankheit auch, wenn noch weitere
Dimensionen hinzukommen, die in einer multiperspektivischen Analyse von Gesundheit
und Krankheit einzubeziehen ist. Solche Faktoren sollen im Folgenden benannt werden:
• Einflüsse der sozialen und ökologischen Lebenslage, z. B. von Armut und beengten
Wohnverhältnissen,
• die Berücksichtigung der Vielzahl von einwirkenden Faktoren benötigt die Ein-
beziehung von Kontext und Kontinuum des gesamten Lebens über mehrere
Generationen. In einer mehrgenerationalen Betrachtung kommt den familiären
Faktoren und damit der Funktionstüchtigkeit der Familie eine besondere Bedeutung
zu. Die Familie ist der wichtigste soziale Ort zur Förderung der Gesundheit, da fast
jedes wichtige Gesundheitsverhalten durch die familiären Muster und Strukturen
geprägt wird.
• Soziopsychophysischer Stress, z. B. durch ein erlebtes Trauma. (Schwere Traumata
führen einerseits zu einem erhöhten ständigen Erregungsniveau und andererseits zu
einer geringeren Belastungsgrenze.)
• kumulative Misserfolge, die zu einer Negativkarriere führen,
• das jeweilige Bewältigungsverhalten (Copingverhalten) des Individuums und der
beteiligten sozialen Systeme,
• das Vorhandensein von substitutiver Entlastung,
• der Bezug zum eigenen Leib, dem Selbstwert und der eigenen Identität,
• die internalisierten Werte und Normen,
• die jeweilige Kohärenz und Sinngebung,
• negative Ereignisketten,
• permanente negative Milieus, Atmosphären und Beziehungen,
• genetische Faktoren,
• internale Negativkonzepte,
• kritische Lebensereignisse,
• sogenannte „Widerfahrnisse“. Hierunter versteht Petzold (1993) Ereignisse, auf die
ein Mensch keinen bzw. wenig Einfluss hat, wie ein sadistischer Vorgesetzter, ein
Geisterfahrer auf der Autobahn, chronische Armut oder eine überforderte Mutter,
• eine kulturhistorische Komponente, die einbezieht, dass sich im Lauf der Jahre das
Krankheitsverständnis verändert. Jede Kultur bewertet Krankheiten und Gesund-
heit unterschiedlich. Selbstverständlich ist dies trotz diagnostischer Manuale (ICD,
DSM) auch in der Gegenwart ein Phänomen, das zumindest zur Kenntnis genommen
werden sollte und in der Behandlung multikultureller Gesellschaften immer noch
zu wenig Berücksichtigung findet. In manchen Kulturen werden z. B. Menschen
als schizophren diagnostiziert, während diese in anderen Kulturen als von Geistern
besessen betrachtet und daher in der Unterstützung eng in die Familie eingebunden
werden. (Auf die unterschiedliche Bewertung einer Homosexualität wurde beispiel-
haft bereits verwiesen.)
54 J. Beushausen
Ein kritisches Lebensereignis allein, etwa ein traumatisierendes Erlebnis in der Kind-
heit, führt in der Regel nicht zu einer Erkrankung. Häufig führen negative Ereignis-
ketten zusammen mit einem negativen Milieu in sozialen Systemen zu einem Phänomen,
das psychische Krankheit genannt wird. Schädigungen in der Genese können in jedem
Lebensalter (vorgeburtliche Schädigungen bis zu späten Schädigungen im Alter) wirk-
sam werden. Fortdauernde Schädigungen in der Kindheit und Jugend wirken sich in
der Regel nachhaltiger aus, da in diesem Alter weniger Abwehr- und Bewältigungs-
möglichkeiten zur Verfügung stehen. Jedoch können belastende und beeinträchtigende
Sozialisationserfahrungen durch förderliche und kompensierende korrigiert werden.
Die meisten ernsthaften chronischen Erkrankungen sind das Resultat einer allmäh-
lichen Entwicklung und von fortgesetzten psychischen und sozialen Belastungen, die mit
bestimmten Lebensweisen verbunden sind, die als besonders risikoträchtig gelten, wie
z. B. ungesunde Ernährung, belastende Arbeits- und Familienverhältnisse und beengende
Wohnverhältnisse.
Aber auch bei solch einer umfassenden multiperspektivischen Betrachtung bleiben
Ungewissheiten: Wie ist zum Beispiel der private Alkoholkonsum eines Mitarbeiters zu
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 55
betrachten, wann hat dieser Auswirkungen auf sein berufliches Handeln? Wer definiert
solche Auswirkungen – nach welchen Kriterien?
Auch aus diesem Grund ist es nützlich mehr auf die Gesundheit zu fokussieren.
Eine Beeinträchtigung der Gesundheit ist gegeben, wenn sich in einem oder mehreren
dieser Bereiche Anforderungen ergeben, die vom Individuum, in Korrespondenz mit
seinen Umwelten, in der jeweiligen Phase des Lebenslaufes, nicht bewältigt werden
können. Beeinträchtigungen können sich in Form von Symptomen in sozialen, geistigen,
affektiven, physischen oder physiologischen Auffälligkeiten manifestieren. Das Ziel von
Heilungsprozessen ist nicht Gesundheit im absoluten Sinne, sondern das Anstreben von
Gesundheit. Ziel ist auch, gegen Widerstände die eigenen Bedürfnisse und Interessen
durchzusetzen, um die Gesundheit aufrechtzuerhalten, bzw. zu fördern.
Andere Modelle der Betrachtung von Gesundheit und Krankheiten setzen andere
Schwerpunkte: Klassische medizinische Erklärungsmodelle unterscheiden nur zwischen
„gesund“ und „krank“, sie kennen keine „Zwischenkategorien“ (vgl. Hurrelmann,
2010). „Objektivistische“ Erklärungsmodelle der Medizin gehen davon aus, dass
jede Gesundheitsbeeinträchtigung eine spezifische Ursache hat, die sich durch eine
bestimmte Schädigung im Organismus identifizieren lässt. Aus klassischer medizinischer
Perspektive sind die Gesunden nur als nicht-krank (oder nicht-mehr-krank) relevant
oder als Personen, die unter noch nicht diagnostizierten Krankheiten leiden. Neuere
medizinische Ansätze beziehen in einem unterschiedlichen Ausmaß psychologische und
soziologische Erklärungsmodelle ein. Solche Ansätze nehmen für eine Schädigung des
Körpers in erster Linie nicht eine chronische Noxe (Schädigung), einen Erreger oder
Stress an, sondern sehen Krankheiten als Folge von nicht gelungenen Adaptionen des
Organismus auf multifaktorielle Belastungen an. Kritisch ist anzumerken, dass auch
diese medizinischen Modelle nur wenig subjektive Eigendefinitionen von Gesundheit
berücksichtigen.
Therapeuten, Ärzte und andere Experten psychischer Störungen sind (immer mehr)
gefordert eindeutige festgeschriebene Diagnosen zu vergeben, um Behandlungen bezahlt
zu bekommen. Diese Standardisierung in biomedizinischen Konzepten trägt dazu
bei, psychosoziale Probleme z. B. als eine Angststörung oder Depression zu kodieren.
Soziale und Beziehungsprobleme werden so zunehmend (wieder) medizinalisiert.
Sozialwissenschaftliche Fragestellungen suchen nach den Zusammenhängen
zwischen Gesellschaft, Gesundheit und Krankheit. Epidemiologische Untersuchungs-
ergebnisse belegen die Einflüsse der ökonomischen und sozialen Lebenslage auf die Ent-
stehung von Krankheiten und weisen auf die Abhängigkeit der Erkrankungshäufigkeit
im Arbeitsbereich von der Stellung im gesellschaftlichen Produktionsprozess (z. B. der
Beziehung zwischen Leistung und Belohnung, den ergonomischen Arbeitsbedingungen,
der Art der Tätigkeit, dem vorhandenen Stress u. a. Faktoren) hin (vgl. dazu auch den
Beitrag von Böhme in diesem Buch). Zumindest ebenso belastend ist Arbeitslosigkeit.
Sie ist als ein kritisches Lebensereignis zu bewerten, das durch die Beeinträchtigung des
Selbstwertgefühls, des sozialen Status und des geringen Einkommens zu erheblichen
56 J. Beushausen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Als ein weiterer Aspekt ist der
Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit relevant.
Mit der Diskussion einer Risikogesellschaft werden konflikttheoretische Ansätze
aktualisiert. Diese Prozesse und Begleiterscheinungen der alles durchdringenden
Modernisierung und Globalisierung würden, so bereits Franzkowiak im Jahr 2006, zu
neuen Gefährdungen führen. Das moderne Alltagsleben sei beeinträchtigt durch die
Auflösung traditioneller Bindungen, die Erosion sozialer Milieus, die Verschärfung
ökonomischer und sozialer Konkurrenz und den Abbau sozialintegrativer Milieus
und Netzwerke. Als Folge dessen würden die Existenzbedingungen vieler Menschen
labilisiert, das Leben sei weniger planbar und Übergänge im Lebenslauf seien konflikt-
haft und riskant. Dies führe zudem zu einer erhöhten Störungs- und Krankheitsanfällig-
keit.
In neuerer Zeit ist insbesondere die Ressourcenorientierung für die Theorie zu einer
Leitorientierung in der Gesundheitswissenschaft geworden, auch wenn die stringente
praktische Umsetzung noch einige Zeit benötigen wird.
Als eine Schlussfolgerung lässt sich festhalten, dass die Fokussierung nicht nur auf
Krankheiten, sondern auch auf Gesundheit bedeutsam ist, denn der Gesundheitszustand
eines Menschen ist für die Gesamtheit seiner Lebensbezüge von zentraler Bedeutung.
Ein Prozessmodell von Gesundheit beinhaltet die Beteiligung aller Ebenen des Systems
Mensch in seinen Umwelten. Diese Prozesse finden auf zahlreichen unterschiedlichen
logischen Ebenen statt, die wiederum in unzähligen sich verzweigenden Hierarchien
angeordnet sind. Insoweit gibt es auch keine somatische oder psychosomatische Krank-
heit, sondern Krankheiten sind immer ein biologisches, psychologisches, geistiges und
soziales Phänomen in verschiedenen Kontexten (Beushausen, 2013). Diese Zusammen-
hänge können mit dem Begriff „Soziopsychosomatik“ erfasst werden. Dies bedeutet
auch, dass Fremd- und Selbsteinschätzungen von Gesundheits- und Krankheitsstadien
auf allen drei Dimensionen, der körperlichen, der psychischen und der sozialen von-
einander unterschieden werden können (Haas & Reblin, 2021) und jeweils ursächliche
Faktoren und mögliche Auswirkungen immer für alle Ebenen zu fokussieren sind.
Im Alltag fehlt ein aktiver Gesundheitsbegriff, der mehr beinhaltet als die Negation
von Krankheit und die Abwesenheit von krankmachenden Faktoren. Beeinträchtigungen
können sich in Form von Symptomen in sozialen, geistigen, affektiven, psychischen oder
physiologischen Auffälligkeiten manifestieren. Das Ziel von Heilungsprozessen ist somit
nicht Gesundheit im absoluten Sinne, sondern das Anstreben von Gesundheit. Ziel ist
auch, gegen Widerstände die eigenen Bedürfnisse und Interessen durchzusetzen, um die
Gesundheit aufrechtzuerhalten, bzw. zu fördern (siehe z. B. Hurrelmann, 2010).
Ein Maßstab für die Gestaltung von Gesundheit in einem sozialwissenschaftlichen
Konzept kann die Möglichkeit des Einzelnen sein, Wünsche und Vorstellungen von
Psychische Krankheit als soziale Konstruktion 57
Gesundheit zu entwickeln und selbst gestaltend auf die Umwelt Einfluss zu nehmen,
wenn sein Wohlbefinden beeinträchtigt wird oder zu erwarten ist, dass eine Beein-
trächtigung stattfinden könnte (Vorsorge).
Eine Beeinträchtigung der Gesundheit ist gegeben, wenn sich in einem oder mehreren
Lebensbereichen Anforderungen ergeben, die von der Person in Korrespondenz mit
seinen Umwelten in der jeweiligen Phase des Lebenslaufes nicht bewältigt werden
können, bzw. seine subjektiven Konstruktionen vom Lebenslauf und seiner Lebens-
erwartung entwerten, bzw. antagonistisch gegenüberzustehen scheinen. Solche
Entwertungen und Antagonismen zeigen auch, dass Gesundheit durch die subjektive Ver-
arbeitung widriger sozialer Verhältnisse, Anforderungen und Krisen charakterisiert ist.
Konflikte am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft, in der Familie oder auch im Freundes-
kreis spiegeln oftmals die komplexen und widersprüchlichen Lebensbedingungen
der heutigen Gesellschaft wider, die bei den meisten Menschen durch psychosoziale
Belastungen gekennzeichnet sind.
Offen bleibt, welches Verhalten, dass in einer bestimmten Umwelt nicht zu passen
scheint, eindeutig als krank gelten könnte oder sollte. Gleichwohl brauchen Organisationen
bestimmte Vorgaben und damit einhergehende Rituale, die jedoch immer auf ihre
Plausibilität und Nützlichkeit zu überprüfen sind. Zu bedenken ist jeweils, welche Aus-
wirkungen solche Beschreibungen und Bewertungen für die Betroffenen haben. Bei einer
solchen Bewertung bleiben Zweifel, Ungewissheiten und Unsicherheiten, eine nicht zu
berechnende Komplexität und Mehrdeutigkeit. Trotzdem besteht die Notwendigkeit der
Verantwortlichen jeweils in einzelnen Situationen in Abhängigkeit von Werten, Normen
und Kultur der Organisation ethisch verantwortlich zu handeln.
Fach- und Führungskräfte stehen vor der Aufgabe ihre eigenen Bewertungskriterien
bei der Konstruktion von Gesundheit und Krankheit ständig zu reflektieren und diese in
die Kommunikation einzubringen.
Quintessenz
Selbstreflexionsfragen
• Hinterfragen Sie regelmäßig, welche Einflüsse Ihre Realität „konstruieren“ und damit
Ihre Entscheidungen im Arbeitsalltag bestimmen?
• Gleichen Sie regelmäßig Ihre Wahrnehmungen mit den Wahrnehmungen Ihrer Mit-
arbeiter ab?
• Hinterfragen Sie, ob ein Ihnen auffallendes krankhaftes Verhalten auch von anderen
als krankhaft wahrgenommen wird?
• Welche Bewertungskriterien bestimmen Ihre Beurteilung, ob jemand krank oder
gesund ist?
• Führen Sie regelmäßige Gespräche mit Ihren Mitarbeitern?
Literatur
Franziska Pundt
1 Einleitung
F. Pundt (*)
MSB Medical School Berlin, Berlin, Deutschland
E-Mail: franziska.pundt@medicalschool-berlin.de
einwirken können, sodass sie oft nur einen begrenzten Handlungsspielraum haben.
Gleichzeitig sind sie selbst häufig hohem Stress und Erwartungsdruck ausgesetzt (Bar-
ling & Cloutier, 2017).
Für Führungskräfte ergibt sich somit ein Spannungsfeld zwischen der Verantwortung
für die eigene Gesundheit und die ihrer Mitarbeiter sowie den häufig nicht optimalen
Rahmenbedingungen seitens der Organisation. Barrieren wie z. B. fehlendes Budget und
fehlende Zeit für Gesundheitsmaßnahmen erschweren es ihnen, sich intensiv und all-
umfänglich dem Thema Gesundheit widmen zu können (Efimov et al., 2020) und ent-
sprechende Maßnahmen zu ergreifen. Um diese Herausforderungen in ihrer Komplexität
begreifen und Möglichkeiten zum konstruktiven Umgang aufzuzeigen, werden im Nach-
folgenden zunächst die Besonderheiten einer gesundheitsförderlichen Führung dargelegt
und darauf aufbauend anhand der systemischen Organisationstheorie nach Luhmann
(2000) verdeutlicht, welche Wechselwirkungen zwischen Organisation und Beleg-
schaft in Bezug auf das gesundheitsförderliche Agieren der Führungskraft existieren.
Abschließend werden daraus resultierende Handlungsoptionen diskutiert.
2 Gesundheitsförderliche (Selbst-)Führung
Die Bedeutung der Mitarbeiterführung für die Gesundheit von Beschäftigten hat seit
einigen Jahren Einzug in die Führungsforschung gehalten (Wegge et al., 2014). Unter
dem Begriff der gesundheitsorientierten Führung (engl. Health-oriented Leadership,
abgekürzt HoL) wird gleichermaßen der Umgang der Führungskräfte mit der Mit-
arbeitergesundheit (StaffCare) und ihr Umgang mit der eigenen Gesundheit (SelfCare) in
den Blick genommen (Pundt & Felfe, 2017).
Bei StaffCare stehen alle gesundheitsförderlichen Maßnahmen der Mitarbeiterführung
im Vordergrund, wie etwa ein wertschätzender Umgang mit Beschäftigten, die offene
und transparente Kommunikation von Gesundheitsthemen und -informationen, das
Lenken der Aufmerksamkeit auf Stresssignale der Beschäftigten oder die Optimierung
von Arbeitsbedingungen, um die damit verbundenen psychischen Belastungen zu
reduzieren. Aus Forschungssicht zeigen mehrere Übersichtsarbeiten (Metaanalysen)
sehr deutlich, dass positives Führungsverhalten, vor allem transformationale Führung,
Mitarbeiterorientierung, soziale Unterstützung durch Führungskräfte und eine hohe
Beziehungsqualität zwischen Führungskraft und Beschäftigten (etwa vertreten durch
die Theorie der Leader-Member-Exchange LMX), positiv korreliert mit Gesundheit
und Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit sowie Leistungsfähigkeit und weniger Stress,
gesundheitliche Beschwerden, Burnout sowie Kündigungsneigung der Beschäftigten
verursacht. Negatives Führungsverhalten (destruktive Führung, Abusive Supervision)
zeigt entsprechend gegenläufige Effekte (Harms et al., 2017; Montano et al., 2017,
Schyns & Schilling, 2013). An dieser Stelle sei auch auf den Beitrag von Schilling
in diesem Buch verwiesen, der sich ausführlich mit den negativen Effekten einer
destruktiven Führung auf die Gesundheit beschäftigt.
Wechselwirkung zwischen Organisation und Individuum 63
SelfCare legt den Fokus darauf, wie Führungskräfte (und Mitarbeiter) in Bezug auf
die eigene Gesundheit denken, fühlen und handeln. Die gesunde Selbstführung der
Führungskräfte gilt als Fundament gesundheitsförderlicher Führung in der Annahme,
dass nur Führungskräfte, die für ihre eigene Gesundheit sorgen, sich auch um die
Anliegen und die Gesundheit ihrer Beschäftigten kümmern können (Franke et al., 2015).
Verschiedene Studien bestätigen, dass Führungskräfte mit einer hoch ausgeprägten
SelfCare gesünder sind und auch ihre Beschäftigten in höherem Maße gesundheits-
förderlich führen (Pundt & Felfe, 2017). Erleben Beschäftigte wiederum, dass ihre
Führungskraft sie gesundheitsförderlich führt, sind die Beschäftigten nicht nur weniger
gestresst, gesünder und leistungsfähiger (z. B. Arnold & Rigotti, 2021; Franke et al.,
2014; Klebe et al., 2021; Klug et al., 2019; Köppe et al., 2018; Santa Maria et al., 2019),
sondern beschäftigen sich auch ausgiebiger mit ihrer eigenen Gesundheit (z. B. Franke
et al., 2014; Pundt & Felfe, 2017). Darüber hinaus haben Führungskräfte eine wichtige,
häufig unbewusst ausgeübte Vorbildfunktion. Sie hat zur Folge, dass Mitarbeitende, die
SelfCare bei ihrer Führungskraft beobachten, auch mehr auf ihre eigene Gesundheit
achten (Franke et al., 2014; Klug et al., 2019; Pundt & Felfe, 2017).
Auch wenn diese Studien die hohe Relevanz von Führungskräften für Gesundheit und
Wohlbefinden der Belegschaft aufzeigen, greift die Forderung zu kurz, ausschließlich
Führungskräfte für das Thema Gesundheit im Unternehmen verantwortlich zu machen.
Führungskräfte agieren schließlich nicht im luftleeren Raum, sondern sind wie ihre
Beschäftigten in Organisationen eingebettet. Diese organisationalen Rahmenbedingungen
sind ausschlaggebend dafür, wie gut sich Führungskräfte um ihre Mitarbeitenden und auch
um ihre eigene Gesundheit kümmern können. So gibt es erste Hinweise aus Interviews,
dass Führungskräften die Umsetzung von SelfCare und StaffCare durch organisations-
bedingt hohen Erwartungs-, Erreichbarkeits- und Zeitdruck, hohe Arbeitsmengen oder
Personalmangel enorm erschwert ist (Efimov et al., 2020). Darüber hinaus weisen
Ergebnisse darauf hin, dass gesundheitsorientierte Führung in mitarbeiterorientierten
Organisationskulturen (Gesundheitsklima, Fairness und Wohlergehen der Beschäftigten)
wahrscheinlicher ist als in ergebnisorientierten Kulturen mit rauem Umgangston und
Ergebnisdruck (Pundt & Felfe, 2017). Ein ganzheitlicher Blick auf Gesundheitsförderung
in Wechselwirkung mit den organisationalen Rahmenbedingungen, insbesondere
Organisationsstrukturen und -kulturen, scheint unumgänglich. Dazu wird im Folgenden
die systemtheoretische Perspektive nach Luhmann (2000) herangezogen, um die Wechsel-
wirkung zwischen Mensch und Organisation stärker zu beleuchten.
2018). Im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit ist es wichtig, Psyche und Körper
als sich beeinflussende Subsysteme zu begreifen (Pfeifer, 2021), deren Wechselwirkung
sich etwa in psychosomatischen Erkrankungen niederschlagen kann.
Die psychischen Systeme von Führungskräften und Mitarbeitenden basieren auf
individuellen Erlebenszuständen, bei denen Informationen von innen (z. B. Gedanken
und Gefühle) und außen (z. B. Sinneswahrnehmungen) wahrgenommen, bewertet
und verarbeitet werden (Merl, 1998). Diese Erlebenszustände beeinflussen, wie sich
Menschen verhalten (Merl, 1998), z. B. ob man sich anderen zuwendet oder sich
abwendet und ob und wie man kommuniziert.
Um die psychische Gesundheit erhalten bzw. fördern zu können, müssen die Aktivi-
täten der Führungskräfte im Rahmen des SelfCare darauf abzielen, die eigenen Bedürf-
nisse aus eigener Kraft oder mit der Unterstützung anderer zu befriedigen. Gelingt
diese Bedürfnisbefriedigung, ist dies positiv für die psychische Gesundheit (Becker,
1995; Pfeifer, 2021). Im organisationalen Kontext können relevante Bedürfnisse z. B.
finanzielle Absicherung, Anschluss und Kooperation, Gestalten und Partizipieren,
Sinnerleben, Identifikation und Selbstverwirklichung sein. Diese Bedürfnisse sind
individuell unterschiedlich ausgeprägt und verändern sich gegebenenfalls über die Zeit.
Die psychische Gesundheit ist demnach dynamisch zu betrachten, da das psychische
System stetig auf Veränderungen der äußeren Umwelt (z. B. der Organisation) wie auch
auf Entwicklungen im Inneren reagiert (Pfeifer, 2021). Solange das psychische System
diese äußeren und inneren Störungen (auch Irritationen genannt) mit eigenen Ressourcen
(z. B. Motivation, Fähigkeiten, Copingstrategien) kompensieren kann, bewähren sich
bisherige Funktionsmuster (Simon, 2018). Wenn eine Kompensation mit Hilfe der
systemeigenen Ressourcen hingegen nicht mehr möglich ist, muss das Funktionsmuster
verändert werden, um die psychische Gesundheit zu erhalten (Pfeifer, 2021). Es ist also
zusammenfassend festzustellen, dass sich die psychische Gesundheit von Führungs-
kräften über die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und den Erhalt bzw. die Förderung
ihrer Ressourcen positiv beeinflussen lässt. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Mit-
arbeitenden, die im Rahmen von SelfCare gleichermaßen auf ihre Bedürfnisse und
Gesundheit achten können.
Im Rahmen des StaffCare Ansatzes ist es die Aufgabe der Führungskraft, die
Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Blick zu haben und gesundheitsförderliche Arbeits-
bedingungen zu schaffen. Das Erleben der Arbeit durch die Mitarbeitenden ist allerdings
von der Führungskraft nicht direkt beobachtbar, sondern kann nur auf Basis ihrer Ver-
haltensreaktionen erschlossen werden. Gemäß der systemischen Organisationstheorie
ist es daher notwendig, das psychische System der Führungskraft mit dem psychischen
System der Mitarbeitenden durch Kommunikation zu koppeln. Kommunikation ver-
bindet quasi die beiden psychischen Systeme Führungskraft und Mitarbeiter miteinander.
Im Rahmen des konstruktivistischen Ansatzes ist Kommunikation erst dann gelungen,
wenn sie durch Verstehen vollendet wird (Simon, 2018). Aufgrund unterschiedlicher
Beobachtungen, Interpretationen und Reaktionen können abweichende Wirklichkeits-
Wechselwirkung zwischen Organisation und Individuum 65
Organisationen können als soziale Systeme definiert werden, die festgelegten Ziele ver-
folgen und formale Regelungen aufweisen, mittels derer die unter die Mitgliedschafts-
bedingungen fallenden Aktivitäten der Mitglieder auf diese Ziele ausgerichtet werden
(Kieser & Kubicek, 2020). Grundlage von Organisationen ist die Kommunikation
(Simon, 2018). Die Verbindung zwischen zwei oder mehreren Akteuren (Führungskraft
und Mitarbeiter) wird Kommunikationsereignis genannt und bildet die kleinste Einheit
sozialer Systeme ab (Ameln, 2015). Das Kommunikationsereignis wird – anders als im
alltagssprachlichen Gebrauch – nicht als Handlung eines Akteurs definiert, sondern als
eine Verbindung aus Information (was wird gesagt?), Mitteilung (Tatsache, dass etwas
gesagt wird) und Verstehen (Reaktion schließt an die vorherige Kommunikation an)
(Simon, 2018).
Nach Luhmann verfolgen Organisationen allerdings primär das Ziel des Fortbestehens
und reproduzieren zu diesem Zweck den Kommunikationsprozess stetig (Luhmann,
2000). Besonders relevante Kommunikationsereignisse in Organisationen sind daher
Entscheidungskommunikationen. Im Rahmen der Entscheidungskommunikationen
werden für das Fortbestehen der Organisation relevante Entscheidungen kommuniziert,
etwa strategische Zukunftsentscheidungen, Beförderungsentscheidungen oder auch Ent-
scheidungen über Budgetverteilungen. Diese Kommunikation von Entscheidungen dient
der Absorption von Unsicherheit. Zudem ist es für das Fortbestehen der Organisation
wichtig, beständig auf Ereignisse innerhalb und außerhalb der Organisation zu reagieren.
Diese Ereignisse werden auch hier Irritationen genannt und Organisationen versuchen,
diese Irritationen mit vorhandenen Ressourcen abzufedern (Kühl, 2015). Beispielsweise
sorgt die Personalabteilung für ausreichend qualifiziertes Personal und puffert damit
Fehlzeiten und Personalschwankungen ab. Gelingt diese Kompensation nicht, muss die
Organisation ihr Funktionsmuster ändern, um das Fortbestehen zu sichern.
In Tab. 1 sind noch einmal die wesentlichen Merkmale und Unterschiede sozialer und
psychischer Systeme zusammengefasst.
Tab. 1 Gegenüberstellung von Organisation als soziale und Menschen als psychische Systeme
Organisation als soziales System Mensch als psychisches System
Basiseinheit Kommunikationsereignis Erlebenszustand
Beeinflussung des Systems von außen: Umweltereignisse Von außen: Sinnes-
Von innen: systemeigene wahrnehmungen
Kommunikationsereignisse Von innen: Gefühle und
Gedanken
Primäres Ziel des Systems Systemerhalt durch einen Systemerhalt durch
sich selbst organisierenden Befriedigung der aktuellen
Kommunikationsprozess mittels individuellen Bedürfnisse
Entscheidungskommunikation mittels Wahrnehmungsinter-
pretation
angewiesen sind (mindestens, um sich andere Arten der Befriedigung finanziell leisten
zu können). Diese sogenannte strukturelle Kopplung zwischen der Organisation und
ihren Mitgliedern bedeutet, „(…) dass die Mitglieder in der Lage sind, die Strukturen
der Organisation zu beeinflussen (…) und Organisationen verändernde Wirkungen
auf die Psyche ihrer Mitglieder haben (…)“ (Simon, 2018, S. 40). Konkret kann die
Organisation Einfluss auf die Psyche von Fach- und Führungskräften und ihren Mit-
arbeitern haben, etwa, weil sie mit ihren Strukturen und Prozessen zu einem Über-
lastungserleben beiträgt. Gleichzeitig können – etwa überforderte, unterforderte oder
unzufriedene – Mitarbeiter mit ihrem Verhalten Veränderungen in der Organisation
bewirken und somit auf die Organisation zurückwirken (Simon, 2018), wenn ihre
Kommunikation Eingang in die Entscheidungskommunikation findet. Gesund-
heitsförderliche Veränderungen der Organisation entstehen demnach nur, wenn sie
angesprochen werden. Alles, was nicht angesprochen wird, führt nicht zur Veränderung
der Organisation.
Als Teil einer sozialen Umwelt befinden sich Fach- und Führungskräfte in ständigen
kommunikativen Interaktionsprozessen innerhalb des Unternehmens sowie mit der Unter-
nehmensumwelt, etwa Lieferanten oder Kunden. Inwieweit die kommunikative Inter-
aktion von Fach- und Führungskräften mit ihrer Umwelt von ihnen individuell als gut
oder schlecht eingeschätzt wird, ist nicht zuletzt von ihrer konstruktivistischen Sichtweise
abhängig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass soziale und psychische Systeme nicht
in der Lage sind, direkt miteinander zu kommunizieren, da sie als operativ geschlossen
verstanden werden (Simon, 2018). Die Organisationsmitglieder als psychische Systeme
„sind zwar Voraussetzung für das Entstehen von Kommunikation, sie … sind [jedoch] für
Organisationen so lange „unsichtbar“ bis sie in die Kommunikation eingetragen werden
– dann handelt es sich aber nicht mehr um … [individuelle Erlebenszustände], sondern
um Kommunikationsereignisse“ (Ameln, 2015, S. 12). Um also gesundheitsorientierte
Veränderungen in Organisationen zu bewirken, müssen Ereignisse die Entscheidungs-
kommunikation verändern. Ereignisse aus der Umwelt müssen dafür zunächst beobachtet
68 F. Pundt
wirkungen der Kultur auf die Gesundheit entscheidend (hier und folgend Jablonowski
& Vera, 2014). So kann sich etwa eine leistungsorientierte Organisationskultur aufgrund
der hohen Leistungsanforderungen negativ auf die Gesundheit auswirken. Gleichzeitig
bietet sie aber Entwicklungspotenziale mit positiven Effekten auf Leistungsfähigkeit und
Gesundheit Einzelner. Jede Organisationskultur kann demnach gleichermaßen positive
und negative Aspekte aufweisen.
Zentral ist daher, welche Informationen Organisationsmitglieder aus der Kultur
ziehen, um für sich Sinn zu erzeugen und neue, mehrdeutige und/oder verwirrende
Ereignisse in der Organisation für sich einordnen und damit vorhersagbar machen zu
können; dies wird als Sensemaking bezeichnet (Maitlis & Christianson, 2014).
Zusammenfassend ergibt sich für Fach- und Führungskräfte mit Gesundheitsambitionen
demnach ein Spannungsfeld aus formal vorgegebenen Organisationsregelungen und
informell gelebtem Alltag, die für eine nachhaltige und längerfristige Gesundheits-
förderung in Einklang gebracht werden müssen.
Auf Basis der systemischen Sicht eröffnen sich verschiedene Handlungsoptionen für
Fach- und Führungskräfte, die sich mit Gesundheit auseinandersetzen möchten. Im
Weiteren werden wichtige Aspekte des Systemgedankens vor dem Hintergrund des
Themas Gesundheit aufgegriffen.
Es gilt zunächst, die Eigenlogik von Organisationen als soziale Systeme anzunehmen
und zu akzeptieren, dass die Beschäftigten mit ihren individuellen Bedürfnissen nicht im
Fokus der Organisation stehen. Die Erkenntnis, dass Organisationen nicht per se an das
Wohl ihrer Beschäftigten denken (können), ist ein erster Schritt, um Lösungsansätze und
Herausforderungen besser einschätzen zu können. Organisationen aus systemischer Sicht
zu betrachten, sorgt für ein besseres Verständnis für das fehlende gesundheitsbezogene
Problembewusstsein und Engagement der Organisation, ohne in eine zynische und
distanzierte Haltung gegenüber der Organisation zu verfallen.
Veränderungswünsche hin zu einer stärkeren Gesundheitsorientierung müssen
zunächst erst einmal im „System Organisation“ bewusst wahrgenommen, verstanden und
in Entscheidungskommunikation übersetzt werden, bevor Gesundheitsförderung erfolgen
kann. Das Herstellen des Bewusstseins für die Notwendigkeit von Veränderungen
benötigt Zeit und in der Regel mehrere Kommunikationsereignisse oder aber ein-
schneidende Irritationen, die die Organisation dringlich zum Umdenken zwingen, worauf
im nächsten Abschnitt noch eingegangen wird.
70 F. Pundt
Auf der anderen Seite ist es bedeutend, im Rahmen des SelfCare-Ansatzes eigenen
Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden Aufmerksamkeit zu schenken
und sie gegebenenfalls aktiv einzufordern. In einem ersten Schritt ist es wichtig, sich
Bedürfnisse zunächst bewusst zu machen. Die dazu erforderliche Selbstreflexion sollte
folgende Fragen beantworten:
Diese Fragen lassen sich auch mit Blick auf Mitarbeitende einschätzen (z. B. Wie
wichtig ist mir die Gesundheit meines Teams? Woran merke ich, wenn es jemandem
nicht gut geht? Was kann ich für das Wohlbefinden meines Teams tun?). Eine
systematische Reflexion kann vor allem in Teams noch dadurch unterstützt werden,
dass auch die Teammitglieder diese Reflexion individuell vornehmen und anschließend
die unterschiedlichen Sichtweisen gemeinsam diskutieren (Elprana et al., 2016, Pundt
& Felfe, 2017). Insbesondere unterschiedliche Wahrnehmungen der Teammitglieder
im eigenen Zuständigkeitsbereich weisen auf Gestaltungspotenziale hin (Krick et al.,
2021) und können als Grundlage herangezogen werden, um ein gemeinsames Verständ-
nis und Sensemaking zu etablieren. Dabei gehört es auch zum bewussten Wahrnehmen
und Verstehen, sensibel und offen für Wahrnehmungs- und Interpretationsfehler einzel-
ner Teammitglieder zu sein. Aktives Zuhören, Unsicherheiten ansprechen und klären
sowie das Hinterfragen von Abweichungen von formellen Vorgaben, sind wesentliche
Kommunikationsstrategien, um Missverständnisse zu vermeiden und zum gemeinsamen
Verständnis beizutragen.
Aus der Akzeptanz der Eigenlogik von Organisationen lässt sich ableiten, dass
Gesundheitsbemühungen nur dann weitreichend umzusetzen sind, wenn sie in die
Organisationsstrukturen und -prozesse eingebunden sind und von der Organisations-
kultur mitgetragen werden. Grundvoraussetzung dafür ist, dass Gesundheitsbemühungen
nicht mit Organisationszielen in Konflikt stehen. Ein häufig vorgebrachtes Argu-
ment gegen das Einführen von Gesundheitskonzepten besteht in der Behauptung, dass
Gesundheitsmaßnahmen den Produktivitäts- und Leistungszielen entgegenstehen würden
(Franke et al., 2011). Die Forschung ist diesbezüglich jedoch eindeutig: Gesunde und
Wechselwirkung zwischen Organisation und Individuum 71
sichere Arbeit schafft Leistungsfähigkeit und verhindert sie nicht (z. B. Ammendolia
et al., 2016, Barling & Cloutier, 2017, Nielsen et al., 2017, Rothe et al., 2017). Daher
sollte es ein Anliegen jeder Organisation sein, Gesundheit in die Entscheidungs-
kommunikation einzupflegen. So kann die Gesundheitsorientierung zum Beispiel in
den Leitlinien der Organisation Erwähnung finden, ein Kriterium bei strategischen Ent-
scheidungen sein, als Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM),
als fester Bestandteil in den Leitfaden für das Mitarbeitergespräch aufgenommen oder
als ein Kriterium in der leistungsbezogenen Vergütung von Führungskräften symbolisiert
werden.
Die Entscheidungskommunikation kann verändert werden durch Irritationen im
Sinne einer Störung, Verwirrung oder Beunruhigung des Systems durch innere oder
äußere Reize. Besonders drastisch sind Irritationen, wenn Organisationsmitglieder
als relevante Umwelt der Organisation plötzlich fehlen, weil geeignetes Personal auf
dem Arbeitsmarkt schwer zu finden ist (Stichwort Fachkräftemangel) oder der Anteil
krankgeschriebener Beschäftigter eine „kritische“ Masse erreicht, die nicht mehr mit
den üblichen Strategien (z. B. Überstunden, Schichtverlängerung, Leiharbeit) auszu-
gleichen ist. In solchen Fällen ist die Organisation gezwungen, ihr Funktionsmuster zu
verändern. So zeigte sich beispielsweise im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie,
dass sehr hohe Krankenstände in Kliniken bzw. Pflegeeinrichtungen u. a. dazu führten,
dass komplette Stationen, teilweise sogar Notaufnahmen, geschlossen und OPs ver-
schoben werden mussten (z. B. ARD, 2022; NDR, 2022). Und auch bei verschiedenen
deutschen Verkehrsbetrieben führten hohe coronabedingte Krankenstände zu einer Ein-
schränkung des Serviceangebots, indem beispielsweise, Fahrzeitenintervalle vergrößert,
das Fahrzeitenangebot verkürzt oder Linien zusammengelegt wurden (z. B. Latz, 2021;
Veltzke, 2021). Solche Krisensituationen bergen ein großes Potenzial, nach über-
wundener Krise zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Personalorientierung anzu-
regen.
Auch ohne Krisen können Individuen organisationale Systeme verändern, wenn sie
entscheidungsrelevante Positionen innehaben (z. B. obere Führungsebene) und (damit)
die Entscheidungskommunikation direkt beeinflussen. Ein eindrückliches Beispiel ist
der „Upstalsboom-Weg“, mit dem Unternehmensleiter Bodo Janssen und HR-Manager
Bernd Gaukler es u. a. geschafft haben, die durchschnittliche Krankenquote des Ferien-
anbieters auf 3 % zu senken (Gaukler, 2016). Dieses Beispiel zeigt, dass der Bereit-
schaft des Top-Managements zur Initiierung von Gesundheitskonzepten eine besondere
Bedeutung zukommt (Pundt & Felfe, 2017), die jedoch nicht in allen Unternehmen
gegeben ist.
Aber auch mit begrenzten Spielräumen lassen sich kleine Bemühungen umsetzen
und das Thema Gesundheitsförderung immer wieder in die Kommunikation einbringen.
Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ können auch sogenannte konsistente
Minderheiten die Organisation zu einem Kurswechsel bewegen, indem sie konsistent
und ausnahmslos ihren Standpunkt gegenüber der Mehrheit vertreten und damit die
72 F. Pundt
Nicht immer ist in der Organisation die Bereitschaft und Offenheit gegeben,
konzeptionell angelegte Gesundheitsbemühungen mit den Organisationszielen in Ein-
klang zu bringen. Wenn eigene Bemühungen, als Fach- und Führungskraft etwas zu ver-
ändern, keine Aussicht auf Erfolg versprechen, ist es wichtig, auf die eigene SelfCare zu
achten und adäquate gesundheitsförderliche Maßnahmen zu ergreifen. Sich selbst aufzu-
reiben und fortwährend eigene Werte zu vernachlässigen, erhöht das Risiko von Stress,
Burnout, Depression und Verbitterung (Burisch, 2014; Klug et al., 2019; Linden et al.,
2004). Wichtig ist es, achtsam zu beobachten, wann das eigene psychische System zu
viel Energie in den Systemerhalt investieren muss oder Irritationen die eigene Funktions-
fähigkeit bedrohen. In solchen Fällen sollte eine klare Grenze gezogen und akut für
Entlastung gesorgt werden. Gegebenenfalls kann eine Überlastungsanzeige gegen-
über dem Arbeitgeber sinnvoll sein, um sich bei etwaigen Haftungsansprüchen (durch
eigene Überlastung verursachte Sach- und Personenschäden) entlasten zu können. Auch
die Unterstützung durch Coaching kann wertvoll sein. Die Kündigung bzw. der Stellen-
wechsel sind als letzte Option denkbar. Hier deutet die Studie von Sischka und Steffgen
(2019) an, dass sich nicht selten nach einem selbst-initiierten Arbeitgeberwechsel das
Wohlbefinden verbessert.
Quintessenz
• Kommunikation verbindet die psychischen Systeme von Führungskräften
und Mitarbeitenden und ist die Grundlage dafür, dass unterschiedliche Wahr-
nehmungen und Wirklichkeitskonstruktionen miteinander abgeglichen werden.
• Gesundheitsförderliche Organisationsstrukturen und -prozesse können nur
etabliert werden, wenn gesundheitsrelevante Inhalte in die Entscheidungs-
kommunikation einfließen.
• Die Organisation kann Einfluss auf die Gesundheit von Fach- und Führungs-
kräften und ihren Mitarbeitern haben. Gleichzeitig können diese mit ihrem
Verhalten gesundheitsorientierte Veränderungen in der Organisation bewirken,
wenn ihre Kommunikationsereignisse in der Organisation wahrgenommen
werden und zu Irritationen führen.
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Wechselwirkung zwischen Organisation und Individuum 75
1 Einleitung
Die SARS-CoV-2 Pandemie bewirkte eine Veränderung unserer Arbeitswelt, indem etwa
digitale Transformationen beschleunigt und eine stärkere Homeoffice- statt Präsenz-
kultur sowie flexiblere Arbeitszeiten unternehmensweit realisierbar wurden. Mögliche
Konsequenzen waren auch eine Arbeitsverdichtung und steigende Arbeitszeiten durch
eine höhere Nachfrage nach Arbeit angesichts der Pandemie sowie durch krankheits-
bedingte Ausfälle (Dragano et al., 2020). Während also gewisse Stressoren reduziert
werden konnten, traten andere stärker in den Vordergrund (z. B. Technostress oder eine
höhere Arbeitsbelastung).
Wie aktuelle Daten aus dem European Working Conditions Survey (Eurofound,
2019) verdeutlichen, ist jeder sechste europäische Arbeitnehmer von chronischen
Gesundheitsproblemen betroffen. Durchschnittliche gesundheitsbezogene Produktivi-
tätsverluste am Arbeitsplatz belaufen sich auf über 14 % der Arbeitszeit, was bei einer
Vollzeitbeschäftigung sechs Stunden pro Woche entspricht (Brunner et al., 2019).
Stress am Arbeitsplatz spielt dabei eine zentrale Rolle, wenn es um gesundheits-
bezogene Produktivitätsverluste aufgrund von Fehlzeiten und Präsentismus am Arbeits-
platz geht (Brunner et al., 2019). Der Druck auf die Arbeitnehmenden nimmt aufgrund
des ständigen Wandels in Arbeitsorganisation und -prozessen zu, was sich wiederum
auf die Art und Häufigkeit von Stressoren am Arbeitsplatz (Eurofound, 2019) und das
Empfinden von Stress auswirkt.
K. A. Peter (*)
Berner Fachhochschule Gesundheit, Bern, Schweiz
E-Mail: karin.peter@gmx.ch
Eine der häufigsten international verwendeten Definition für Stress am Arbeitsplatz ist
diejenige der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie Eurofound – der Europäischen
Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Dabei wird arbeits-
bedingter Stress definiert als ein Reaktionsmuster, das auftritt, wenn Personen bei der
Arbeit mit Anforderungen oder Belastungen (Stressoren) konfrontiert werden, die nicht
auf ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten abgestimmt sind und ihre Fähigkeit
zur Bewältigung herausfordern (Eurofound, 2005; Leka & Jain, 2010).
Die Frage, wie Stress bei der Arbeit konkret entsteht, wird in einigen theoretischen
Modellen versucht zu beantworten. Zwei der bekanntesten Modelle sind:
Während das Modell der beruflichen Gratifikationskrise den Fokus eher auf das
Beschäftigungsverhältnis und die entstandene Balance zwischen Verausgabung und
Belohnung der Mitarbeitenden legt, ist im Anforderungs-Kontroll-Modell der Fokus
stärker auf die Arbeitsaufgabe und Kontrolle gerichtet.
Das Modell der beruflichen Gratifikationskrise oder auch Effort-Reward-Imbalance
(ERI) Modell von Johannes Siegrist (1996) erklärt das Entstehen von Stress am
Arbeitsplatz durch eine Imbalance von Verausgabung und Belohnung (siehe Abb. 1).
Das Modell basiert auf der Annahme, dass eine hohe Verausgabung bspw. durch
Anforderungen oder Verpflichtungen in Kombination mit einer geringen Belohnung
(z. B. durch Lohn, Gehalt, Wertschätzung, Entwicklungsmöglichkeiten, Beförderung
sowie Arbeitsplatzsicherheit) bei der Arbeit negative Emotionen, Stressreaktionen
sowie stressbedingte Langzeiteffekte für die Gesundheit verursachen (Siegrist, 1996,
2017; Siegrist et al., 2009). Als intrinsische Komponente wird dabei die Motivation
bzw. eine übersteigerte oder auch exzessive Verausgabungs- und Leistungsbereit-
schaft (overcommitment) einer Person betrachtet. Demnach sind gesundheitliche
Folgen einer beruflichen Gratifikationskrise bei Personen mit einer übersteigerten
Was bringt psychische Gesundheit im Arbeitskontext aus der … 79
Lohn,
Anforderungen, Wertschätzung,
Verpflichtungen Beförderung,
Sicherheit
Verausgabung
Belohnung
Motivation
(overcommitment) Motivation
(overcommitment)
Abb. 1 Modell der beruflichen Gratifikationskrise nach Siegrist (1996). (Eigene Darstellung)
Anforderungen
Tief Hoch
Tief
Passiver Job Hoher Stress
Kontrolle,
Entscheidungs-
freiheit
Niedriger Stress Aktiver Job
Hoch
Ebenfalls zentral sind diese Punkte, wenn Fach- und Führungskräfte eine neue Stelle
ausarbeiten oder besetzen möchten. Die beiden vorgestellten Modelle können hilfreich
sein, sich die richtigen Fragen zu stellen, wie etwa:
Kompier und Marcelissen (1990) betrachten Stress am Arbeitsplatz aus einem anderen
Blickwinkel und fokussieren dabei auf das direkte Zusammenspiel zwischen Stressoren
(Risiken für arbeitsbedingten Stress), Stressreaktionen (kurzfristige Auswirkungen) und
möglichen Langzeitkonsequenzen (langfristige Auswirkungen). Individuelle Merkmale
der Arbeitnehmenden sowie generelle Wechselwirkungen (siehe Pfeile in Abb. 3)
werden in ihrem Modell ‚causes and consequences of work-related stress’ ebenfalls
berücksichtigt. In diesem Modell lassen sich auch die Themen wie Anforderungen, Ent-
scheidungsspielraum, Overcommitment wiederfinden.
Auslöser oder auch Risiken für arbeitsbedingten Stress können aus dem Arbeits-
inhalt (wie durch mangelnde Abwechslung), der Arbeitsplanung (z. B. durch Schicht-
arbeit), den Anforderungen bei der Arbeit (bspw. eine hohe Arbeitslast und Zeitdruck)
sowie anderen Stressoren resultieren (siehe Abb. 3). Wenn Arbeitnehmende bei der
Arbeit Stressoren ausgesetzt sind, die nicht auf ihre Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertig-
keiten und Bewältigungsmöglichkeiten abgestimmt sind, kann dies zu Stressreaktionen
führen (Eurofound, 2005; Leka & Jain, 2010). Stressreaktionen können physiologischer,
verhaltensbezogener, emotionaler sowie kognitiver Art sein und bergen das Potential, zu
Abb. 3 Modell ‚causes and consequences of work-related stress‘ von Kompier und Marcelissen
(1990), adaptiert von Leka und Jain (2010). (Eigene Darstellung)
82 K. A. Peter
4 Stressoren im Arbeitsalltag
Tab. 1 Auslöser von Stress (Kristensen et al., 2005; Leka & Jain, 2010; Nübling et al., 2005)
Job-Inhalt und Rolle Wenig Variabilität bei der Arbeit, Über- oder Unterforderung, unklare
Rollen und Verantwortlichkeiten, Rollenkonflikte (bspw. durch
widersprüchliche Anforderungen, ethische Dilemmata)
Arbeitsplanung Schichtarbeit, Nachtarbeit, Bereitschaftsdienst, unvorhersehbare und/
oder kurzfristige Änderungen in der Arbeitsplanung
Anforderungen bei der Hohe Arbeitslast, Zeitdruck, Leisten von Überstunden, hohe
Arbeit emotionale Anforderungen (bspw. durch Aggression, Sterbe-
begleitung), Gefühle bei der Arbeit verbergen müssen
Einfluss, Kontrolle und Wenig Einfluss bei Entscheidungen, eingeschränkter Handlungsspiel-
Handlungsspielraum raum, wenig Kontrolle über eigene Arbeit (Inhalt, Arbeitslast, usw.),
Entwicklungsmöglich- Fehlende berufliche Entwicklungs- / Karrieremöglichkeiten, fehlende
keiten Beförderung, unklare Anstellungsverhältnisse, Arbeitsplatzunsicher-
heit, unzureichende Entlohnung
Arbeitsumgebung und Inadäquates Equipment, fehlende Hilfsmittel, Lärm, enge Raum-
Equipment verhältnisse, starke Hitze/Kälte, erhöhte Strahlenbelastung,
Überforderung durch neue Systeme, Geräte oder Technologien
(Technostress)
Vereinbarkeit von Ständige Erreichbarkeit in Freizeit, fehlende Vereinbarkeit zwischen
Arbeits- und Privatleben Arbeits- und Privatleben, lange Arbeitstage
Soziale Beziehungen und Schlechte Arbeitsatmosphäre, isoliertes Arbeiten, fehlende Unter-
Führung stützung durch Teamkollegen und/oder Vorgesetzte, schlechte
Führungsqualitäten des direkten Vorgesetzten, fehlende Wert-
schätzung und Feedback, Mobbing, Gefühl ungerecht behandelt zu
werden
Organisationskultur Negative Fehlerkultur, schlechte Kommunikationskultur
Die in Tab. 2 dargestellten Resultate beziehen sich auf Führungspersonen aus dem
Gesundheitswesen, decken sich jedoch mit Studienresultaten aus weiteren Branchen.
Andere Studien weisen ebenfalls darauf hin, dass Führungspersonen in höheren
Managementpositionen stärker von einer hohen Arbeitslast sowie einer fehlenden Ver-
einbarkeit zwischen Arbeits- und Privatleben betroffen sind, dafür im Vergleich zu
ihren Mitarbeitenden jedoch ein höheres Mass an Entscheidungsfreiheit, Kontrolle und
Was bringt psychische Gesundheit im Arbeitskontext aus der … 85
Flexibilität bei der Arbeit haben (Bernin & Theorell, 2001; Kossek & Lautsch, 2017;
Lundqvist et al., 2013; Skakon et al., 2011).
Fach- und Führungspersonen haben keine einfache Rolle. Einerseits sind sie selbst
Stressoren am Arbeitsplatz ausgesetzt, welche sie im Arbeitsalltag bewältigen müssen.
Andererseits sind sie für die Arbeitsbedingungen und Gesundheit der ihnen unter-
stellten Mitarbeiter am Arbeitsplatz verantwortlich und nehmen eine Vorbildfunktion
ein. Zentrale Themen für ein gutes Stressmanagement von Fach- und Führungspersonen
können das Priorisieren von Aufgaben und die Reduktion zeitraubender Tätigkeiten
sein, gezielte Entspannungs- und Ruhepausen in den Alltag einzuplanen, soziale Unter-
stützung von Kollegen zu nutzen oder die Fähigkeiten und den Handlungsspielraum von
unterstellten Mitarbeitenden zu erhöhen (Richardsen & Matthiesen, 2013).
Für eine effektive Reduktion von Stressoren am Arbeitsplatz gibt es aktuell keine all-
gemeingültige Lösung. Zentral ist jedoch, eine regelmässige Erhebung potentieller
Stressoren bei Mitarbeitenden in allen Qualifikations-, Fach- und Führungsstufen durch-
zuführen. Dies bietet die Möglichkeit, konkrete Massnahmen passend auf das Arbeits-
feld zeitnah, ressourcenschonend und effektiv abzuleiten. Eine evidenzbasierte Auswahl
möglicher Massnahmen ist in diversen Guidelines zu finden wie in Peter et al. (2021),
Leka et al. (2003), NICE (2015), Leka und Cox (2008) oder in Reviews/Meta Ana-
lysen wie Lamontagne et al. (2007), Ruotsalainen et al. (2014) sowie West et al. (2016).
Wichtig dabei ist es, Massnahmen zu wählen, welche auf die aktuelle Situation in der
Organisation passen.
Führungspersonen in allen Hierarchiestufen haben dabei eine zentrale Rolle bei der
Erfassung von arbeitsbedingtem Stress sowie der Planung, Umsetzung und Evaluation
effektiver Präventions- und Interventionsstrategien im eigenen Arbeitsbereich sowie
der gesamten Organisation. Entscheidend für den Erfolg geeigneter Massnahmen sind
dabei einerseits die Verankerung und Umsetzung in allen Führungsebenen sowie eine
Organisationskultur, in welcher Interventionen zur Reduktion von Stressoren unterstützt
werden. Andererseits erfolgsversprechend ist der Einbezug der Mitarbeitenden bei der
Auswahl und Umsetzung geeigneter Massnahmen sowie eine regelmässige Evaluierung
des Umsetzungsprozesses, der Implementierung und Wirkung von Massnahmen (NICE,
2015; Peter et al., 2021).
Quintessenz
• Verschiedenste Stressoren im Arbeitsalltag wie bspw. eine hohe Arbeitslast,
fehlende Entwicklungsmöglichkeiten oder ein stark eingeschränkter Ent-
scheidungsspielraum können bei Arbeitnehmenden zu Stressreaktionen (kurz-
fristig) sowie möglichen Langzeitfolgen (bspw. schlechter Gesundheitszustand,
Burnout-Symptome) führen.
• Führungskräfte können je nach Hierarchiestufe unterschiedlichen Stressoren
ausgesetzt sein, bspw. eine höhere Arbeitslast in der oberen Führungsebene und
eine erhöhte Unsicherheit der Arbeitsbedingungen in tieferen Führungsebenen.
• Führungskräfte befinden sich in einem Spannungsfeld, da sie einerseits selbst
von diversen Stressoren am Arbeitsplatz betroffen sind und als Rollenvorbild für
ihre unterstellten Mitarbeitenden gelten und sie andererseits mit ihrem Verhalten
das Stressempfinden der Mitarbeitenden direkt beeinflussen können.
88 K. A. Peter
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Was bringt psychische Gesundheit im Arbeitskontext aus der … 89
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Stefanie Rödel
Das erklärte Ziel dieses Beitrages besteht darin, Fach- und Führungskräfte für Symptome
und Risikofaktoren einer kranken Organisation zu sensibilisieren, weil sie Einfluss auf
das Kohärenzgefühl haben können und daher im reziproken Zusammenhang mit ihrer
psychischen Gesundheit stehen.
Vor diesem Hintergrund werden zwei Workshop-Konzepte angeboten zur Früh-
erkennung der dargestellten organisationalen Krankheitsbilder mittels ausgewählter
Methoden der Organisationsdiagnose. Dieses Konzept kann – je nach Einstellung und
Rahmenbedingungen der Organisation und ihres Managements – für die gesamte
Organisation oder für den eigenen Bereich angewendet werden.
In dem Beitrag von Morgenstern und Moser in diesem Buch wurde in den Ausführungen
zum Gesundheitskontinuum nach Antonovsky bereits gezeigt, dass sich Fach- und
Führungskräfte täglich zwischen den beiden Polen Gesundheit und Krankheit bewegen
und ihre psychische Verfassung ständig neu in Richtung Gesundheit stärken müssen.
In Analogie kann man diesen Gedanken auch auf soziale Kollektive – also ganze
Organisationen – übertragen (ähnlich Jenny & Bauer, 2019; Badura et al., 2013), die ver-
schiedene systemische Leiden aufweisen können. Soweit das psychische Wohlbefinden
der Individuen in einer Organisation vermehrt in Richtung Krankheit des Kontinuums
S. Rödel (*)
IU Internationale Hochschule, Erfurt, Deutschland
E-Mail: stefanie.roedel@iu.org
• Woran erkennen Fach- und Führungskräfte krankhafte Prozesse und Strukturen einer
Organisation?
• Welche Auswirkungen haben kranke Organisationen möglicherweise auf die
individuelle, psychische Gesundheit von Fach- und Führungskräften?
Der vorliegende Beitrag nähert sich diesen Fragen mit objektiv-diagnostischem Blick,
deterministisch und bewusst defizitorientiert, um die pathogene Symptomatik kranker
Organisationen aufzudecken. Mithilfe einer systematischen Typologie neurotischer
Organisationen mit entsprechenden Symptomen können schädliche Muster der
organisationalen Zusammenarbeit erfasst werden. Die Taxonomie ermöglicht es Fach-
und Führungskräften, den Gesundheitszustand der Organisation festzustellen und mög-
licherweise notwendige Heilungsmaßnahmen einzuleiten, um negative Wirkungen auf
die eigene Gesundheit und die ihrer Mitarbeitenden zu verhindern. Weiterhin werden
negative Auswirkungen von kranken Unternehmen, die sich in Change-Prozessen
befinden, herausgearbeitet. In Kapitel vier werden exemplarisch zwei Workshop-
Konzepte skizziert, in denen Methoden der Organisationsdiagnose zum Einsatz kommen,
mithilfe derer Fach- und Führungskräfte potentiellen dysfunktionalen Mustern und
Strukturen in der Organisation auf die Spur kommen können.
Im Kontext kranker Organisationen werden häufig die Studien von Kets de Vries und
Miller zitiert, die sich mit dem Zusammenhang zwischen psychischer Verfassung von
US-amerikanischen Topmanagern und den daraus entstehenden Konsequenzen für
ihre Organisationen befassen (Kets de Vries & Miller, 1984a, b; Kets de Vries, 2004).
Die Studien arbeiteten heraus, dass sich die Neurosen der obersten Führungskräfte zu
„kollektiven Fantasien“ entwickeln können und die Gefahr besteht, dass sie sich auf allen
Hierarchieebenen durchsetzen (u. a. Miller et al., 1982; Payne & Pugh, 1976; Kets de
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 95
Vries, 1980, 1984a; Miller & Friesen, 1977, 1978; Miller, 1976). Je stärker demnach
die Neurosen des Top-Managements ausgeprägt sind, umso stärker wirken sich deren
neurotische Wahrnehmung, Affekte und Verhalten auf die Strategie- und Entscheidungs-
findung, die Führung, die Prozesse und Strukturen sowie das organisationale Klima und
damit auf die Organisationskultur aus.
In Anlehnung an den „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM)
beschreiben die Autoren daher fünf pathologische Organisationstypen:
• paranoide Organisation,
• zwanghafte Organisation,
• histrionische Organisation,
• depressive Organisation,
• schizoide Organisation.
2.2.1 Paranoide Organisation
Die zugrunde liegenden psychologischen Muster paranoider Führungskräfte sind
geprägt von Hypersensibilität, Hyperalarmbereitschaft und einer Sorge um nicht offen
gelegte Motive, die das Handeln anderer bestimmen. Diese Muster resultieren aus der
Suche nach äußeren Feinden und führen zur Verzerrung der Realität. Aufgrund der
Verteidigungshaltung des Managements geht die Fähigkeit zu spontanen Reaktionen
96 S. Rödel
2.2.2 Zwanghafte Organisation
Als signifikante psychologische Muster zwanghafter Führungskräfte fallen der
Hang zum Perfektionismus und die Detailorientierung auf. Diese Manager zeigen
ein hohes Maß an Ritualisierung im Sinne einer akribischen, einem festen Verlauf
folgenden Planung des operativen Geschäfts. Es wird Wert gelegt auf die Einhaltung
von definierten Standards zur Beherrschung der Situation. Das exzessive Einhalten von
Vorschriften und Regularien wird mit Dogmatismus und Starrsinn eingefordert und
erinnert an den autoritären Führungsstil. Mit überhöhter Kontrolle versuchen zwang-
hafte Führungskräfte, Abweichungen von aufgestellten Geschäftsplänen zu vermeiden.
Beziehungen werden vor allem unter dem Motiv von Dominanz und Unterwerfung
gelebt. Durch die starre, angstgesteuerte Haltung innerhalb der Organisation entsteht ein
Mangel an Spontaneität und Lebendigkeit.
Aus dem zwanghaften Führungsstil ergeben sich typische Kennzeichen und
Symptome der zwanghaften Organisation, die vor allem durch Perfektionismus und die
Angst vor Kontrollverlust geprägt sind. Die innere Organisation im zwanghaften Umfeld
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 97
verfügt ebenso wie paranoide Organisationen über ein hohes Maß an formalen Kontroll-
mechanismen, die sich beim zwanghaften Stil allerdings ins Innere der Organisation
richten und weniger auf externe Bedrohungen ausgerichtet sind. Den Fähigkeiten der
Mitarbeitenden wird wenig Vertrauen entgegengebracht und ihr Handeln wird stark
kontrolliert. Die Einhaltung der umfassenden formalen Richtlinien, Vorschriften und
Prozessbeschreibungen wird von der Organisation streng überwacht aus der Angst
heraus, dass anderenfalls potenzielle Gefahren durch Fehlverhalten der Belegschaft aus
dem Organisationsinneren erwachsen. Die systematisch schriftlich erfassten Regelungen
können sich von engen Vorgaben in Produktion oder Verwaltung, Marketing, Sales-
Aktivitäten, Meetingvorschriften bis hin zur Festlegung eines Dresscodes und einer ver-
schriftlichten „Haltung“ der Mitarbeitenden erstrecken. Die zwanghafte Organisation ist
häufig durch eine Hierarchie strukturiert, in welcher sich der Status der Führungskräfte
anhand ihrer Position im Organigramm ableitet.
Derartige zwanghafte Strukturen sind häufig in Unternehmen zu finden, die sich
mit sicherheitsrelevanten Fragestellungen beschäftigen (z. B. Verteidigungsindustrie,
Versicherungsbranche). Die perfektionistische Fokussierung auf Details erschwert
es den Beteiligten, das Big Picture zu sehen und führt zu Unentschlossenheit und
Prokrastination. Nicht selten sind zwanghafte Organisationen daher behäbig und wenig
anpassungsfähig, weil an den alten, überholten Regeln und Prinzipien festgehalten
wird. Zwanghafte Organisationen bewegen sich daher sicherheitshalber eher in stabilen
Umwelten mit einer eng fokussierten Strategie (z. B. Kostenreduktion, Qualität) und ver-
lieren sich in kleinteiligen Projekt- und Budgetplanungen (Kets de Vries & Miller 1984a,
S. 24 f.; Kets de Vries & Miller 1984b, S. 43; Kets de Vries, 2004, S. 194).
2.2.3 Histrionische Organisation
Das starke psychologische Muster von histrionischen Führungskräften besteht darin,
ihre Gefühle übermäßig nach außen darzustellen und damit ihr unablässige Streben
nach positiver Aufmerksamkeit durch Außenstehende zu stillen. Die Außenwelt soll
in einem ständigen Prozess von Selbstdramatisierung mit außergewöhnlichen Ent-
wicklungen beeindruckt werden. Das Top Management ist von exzessiven Gefühls-
schwankungen betroffen, in einem ständigen Hunger nach Aktivität und Aufregung. Aus
der dramatischen Haltung heraus, besteht eine Tendenz, unwichtige Ereignisse überzu-
bewerten, während gleichzeitig Entscheidungen auf Basis des „Bauchgefühls“ getroffen
werden. Die Organisation agiert impulsiv, hyperaktiv, abenteuerlustig und gefährlich
ungehemmt.
In Organisationen mit einem histrionischen Stil lassen sich die Kennzeichen und
Symptome eindeutig anhand der Strategie ablesen. Diese ist von Risikofreude, Ver-
schwendung und Diversifikation geprägt und ein Ausdruck hoher, nach außen gerichteter
Wachstumsaktivität. Diese ist jedoch weniger betriebswirtschaftlich begründet, sondern
verfolgt das Ziel, narzisstisch motivierte Grandiosität und Ansehen zu erlangen. Die
Strategie ist nicht konsistent und integriert sowie wenig fokussiert. Zielkonflikte und
Widersprüche werden für eine hohe Sichtbarkeit in Kauf genommen, Märkte erobert,
98 S. Rödel
Nischen besetzt und schon bald darauf wieder verlassen. Im Zuge dessen wird mensch-
liches und finanzielles, häufig von Kapitalgebern zur Verfügung gestelltes Kapital
wenig nachhaltig eingesetzt. Zumeist fehlt dem Entscheider bzw. den Entscheidern die
Zeit, sich in die Fülle der relevanten Fragestellungen einzuarbeiten. Anstatt auf Ana-
lyseergebnisse und Fakten gestützt, werden wichtige Entscheidungen auf Basis von
Vermutungen und subjektiven Eindrücken zum Teil schnell, inkohärent und impulsiv
getroffen. Die organisationalen Strukturen sind im Vergleich zu der breit aufgestellten
Markt- und Produktpräsenz wenig funktional, weil die Struktur nicht an veränderte
Rahmenbedingungen angepasst wurde. Demnach erinnern histrionische Organisationen
ungeachtet ihrer Größe an Start-Ups, wie einige Beispiele aus der FinTech-Branche,
dem Mediensektor und dem Internethandel zeigen. Die allgemeine Unfähigkeit zum
fokussierten Arbeiten kann sich auch auf Teamebene als Verwirrung und Orientierungs-
losigkeit manifestieren, sodass die Teams ineffektiv und ineffizient arbeiten und sich
in den zahlreichen, lose gekoppelten Projekten verzetteln. Da die Macht der unteren
Führungsebenen stark begrenzt ist, partizipieren diese sehr begrenzt an übergeordneten
Unternehmensentscheidungen. So ist zu erklären, dass aus den impulsiven Wachstums-
initiativen immer mehr operative Probleme entstehen, die jedoch zu spät entdeckt und
verstanden bzw. einfach ignoriert werden (Kets de Vries & Miller, 1984a, S. 24 f.; Kets
de Vries & Miller, 1984b S. 45; Kets de Vries, 2004, S. 194).
2.2.4 Depressive Organisation
Die vordringlichen psychologischen Muster depressiver Führungskräfte sind Schuld-
gefühle, fehlendes Selbstvertrauen, Wertlosigkeit sowie Selbstvorwürfe. Die Hilflosig-
keit, Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, den Ereignissen ausgeliefert zu sein, erzeugt
Ohnmachtsgefühle, die zu einem Mangel an zielgerichtetem Denken führen und
Konzentrations- und Leistungsprobleme nach sich ziehen. Die übermäßig pessimistische
Sicht mündet in einen Interessen- und Motivationsverlust sowie der Unfähigkeit, Freude
zu erleben, was letztlich Engstirnigkeit, Konservatismus, gehemmtes Verhalten, Unent-
schlossenheit bis hin zu Inaktivität der Organisation zur Folge hat.
Depressive Organisationen sind zumeist gut etabliert in stabilen, sicheren, regulierten
und reifen Marktumfeldern zu finden, in denen wenig technologische Neuerungen
und geringe Veränderungen der Nachfrage vorkommen. Beispiele für solche Unter-
nehmen sind Stahlwerke oder Chemiewerke aber auch staatliche und halbstaatliche
Organisationen mit ausgeprägter Bürokratie und Hierarchie. Die organisationalen Kenn-
zeichen und Symptome der depressiven Organisation lassen sich vor allem anhand der
vorherrschenden Atmosphäre von Passivität und Sinnlosigkeit beschreiben, die sich auf
allen Ebenen der Organisation zeigt und zu starken Lähmungszuständen führen kann.
Durch die automatisierten, seit Jahrzehnten unveränderten Abläufe ist die Verwaltung
einfach und hält die Organisation zumindest in Bewegung. Ungeachtet der starken
Hierarchisierung der Organisation, in der formale Machtbefugnisse zentralisiert und
positionsabhängig gestaltet sind, ist das Leadership wenig ausgeprägt und hinterlässt
aufseiten der Mitarbeiter ein Führungsvakuum, das für Orientierungs- und Ziellosigkeit
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 99
sorgt. Kontrolle und Koordination werden vor allem ausgeführt mittels formalisierter
Programme und Vorschriften zur Erhaltung und Verwaltung des Status Quo. Betrieb-
liche Informations- und Kommunikationsprozesse sind wenig ausgeprägt, und auch die
Führungskräfte werden kaum mit entscheidungsrelevanten Informationen versorgt. Das
Management ist nach innen gerichtet, verarbeitet wenig Information über das äußere
Umfeld und befasst sich mit unwichtigen Details. Veränderungsideen und strategische
Initiativen werden verhindert, da aufgrund von Ängsten und Unentschlossenheit Hand-
lungsblockaden existieren. Diese Verhinderungshaltung führt zu Prokrastination und
wirkt von außen betrachtet katatonisch. Ähnliche Symptome sind zu beobachten in
Merger & Akquisitions-Prozessen, die einer Organisation vom Mutterkonzern auf-
gezwungen werden und aufgrund des Gefühls des Ausgeliefertseins zu organisationaler
Stagnation führen (Kets de Vries & Miller, 1984a, S. 24 f.; Kets de Vries & Miller,
1984b, S. 47; Kets de Vries, 2004, S. 194).
2.2.5 Schizoide Organisation
Die psychologischen Muster der Führungskräfte im schizoiden Stil sind geprägt durch
kaum vorhandenes persönliches Interesse an anderen Menschen und einer tief ver-
wurzelten Angst vor Hingabe. Dies führt zu Einzelgängertum und der Versachlichung
von Beziehungen – die Betroffenen wirken unbeteiligt, zurückgezogen und entfremdet.
Durch den Mangel an Begeisterung oder Enthusiasmus sind die Personen rational,
distanziert und indifferent gegenüber Lob und Kritik (Kets de Vries & Miller, 1984a;
Kets de Vries & Miller, 1984b; Kets de Vries, 2004).
Die markantesten Kennzeichen und Symptome in der schizoiden Organisation
ergeben sich aus dem unpersönlichen, kalten und distanzierten Führungsstil. Infolge
des Rückzugs aus affektiven und sozialen Kontakten entsteht ein Leadership-
Vakuum, in dem die Grundannahme vorherrscht, dass Isolation sicherer erscheint als
Zusammenarbeit. Führungskräfte auf allen Ebenen reagieren überempfindlich auf
Abhängigkeits- und Geltungsbedürfnisse von anderen, die sie mit Verwirrung und
Aggression beantworten. Eine konstruktive Feedbackkultur, in der sowohl Kritik als
auch Anerkennung ausgesprochen werden, fehlt demnach. Das Vakuum begünstigt
destruktive, machiavellistische und politische Machtspiele im mittleren und unteren
Management sowie den Aufbau von konkurrierenden Machteinheiten („Silos“). Das
Maß an Kontrolle ist aufgrund politischer Unternehmensverstrickungen niedrig –
Informationssysteme existieren zwar, sind aber wenig wirkungsvoll oder werden
aus individuellen Eigeninteressen bewusst gestört. Durch die interessengeleitete,
egoistische Innenorientierung und das Buhlen der Führungskräfte um die Gunst des
distanzierten Top Managements werden objektive Bewertungskriterien und Analysen der
äußeren Umwelt ignoriert – insofern spiegelt sich die psychologische Abspaltung des
Managements auch in der strategischen Losgelöstheit wider. Aufgrund der emotionalen
Zurückgezogenheit, der apathischen Inaktivität des Top Managements und wegen der
internen Ränkespiele kann keine gemeinsam abgestimmte und integrierte Produkt-
Markt-Strategie entwickelt werden. Stattdessen oszilliert die enge, inkonsistente
100 S. Rödel
Strategie zwischen den disparaten Perspektiven starker Meinungsbildner aus den Reihen
der nachrangigen Führungskräfte. In der Folge mäandert die Organisation passiv von
einem Projekt zum anderen, bringt diverse konkurrierende und profilierungsmotivierte
Veränderungsprozesse in Gang, die sich jedoch gegenseitig neutralisieren, schnell
wieder eingestellt werden und in einen Zustand des Festgefahren-Seins führen. Ent-
scheidungen werden nicht auf Basis von Analysen und objektiven Bewertungskriterien
getroffen, sondern impulsiv in der Verfolgung persönlicher Ziele Einzelner. Als Resultat
ist die schizoide Organisation ein abgeschottetes, interessenpolitisch motiviertes und
fragmentiertes Gebilde (Kets de Vries & Miller, 1984b, S. 49 f.; Kets de Vries, 2004,
S. 194).
Abb. 1 Organisationaler Quickcheck zur Erkennung von neurotischen Mustern. (Quelle: Eigene
Darstellung auf Basis der Ausführungen bei Kets de Vries und Miller 1984a)
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 101
Wie eingehend dargestellt, ist die inhaltliche Ausgestaltung des Begriffs Patho-
logie in diesem organisationalen Kontext bereits erahnbar. Pathologisch bedeutet in
diesem Kontext, dass die Steuerungsinstrumente von Organisationen quasi „über das
Ziel hinausschießen“ (Türk, 1976) und gestörtes Verhalten des Managements zur unter-
nehmenskulturellen Norm wird. Aus dem überzogenen bzw. defizitären Einsatz von
Steuerungsinstrumenten entstehen organisationstypische Fehlentwicklungen, die sich
einerseits auf der individuellen Ebene in dem beschriebenen sozialen Verhalten sowie in
der Persönlichkeit der Führungskräfte und letztlich aller übrigen Organisationsmitglieder
widerspiegeln und andererseits auf der organisationalen Ebene in der Unternehmens-
führung (etwa im Bereich der Strukturen, Prozesse oder der Strategie) zum Ausdruck
kommen (Klein, 2008). Pathologische Muster können sich dann in der Unternehmens-
kultur manifestieren. Sicherlich liegt die Diagnose der pathologischen Muster einer
Organisation auch im Auge des einzelnen Betrachters, sodass die Abweichung von der
Norm von jedem Einzelnen individuell konstruiert wird.
Das Framework pathologischer Organisationen eignet sich insbesondere als
Diagnosetool für Führungskräfte, etwa in ihrer Funktion als Change Manager. Sie
können es verwenden, um den pathologischen Zustand der Organisation festzustellen
und darauf aufbauend einen erfolgreichen Organisationswandel zu initiieren und herbei-
zuführen. Dazu ist es wichtig, dass sie tief in die Wurzeln der Dysfunktion eingreifen.
Die Kenntnis um die Dysfunktionen ist daher eine wichtige Grundlage für eine daran
anschließende Diskussion mit dem Ziel der Veränderung gemeinsam geteilter patho-
logischer Muster.
Badura et al. (2013) haben in ihren Studien einen negativen Zusammenhang zwischen dem
Konstrukt „Organisationspathologien“ und dem Konstrukt „Psychische Gesundheit“ fest-
gestellt. Je häufiger also pathologische Muster in der Organisation auftreten, umso stärker
verschlechtert sich die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden. Es wird deutlich, dass
pathologische Organisationen einen enormen Einfluss auf die drei Komponenten des
Kohärenzgefühls haben dürften, wenngleich dieser Zusammenhang sicherlich einer ein-
gehenden empirischen Bestätigung bedarf. Aber auch ohne diese Untersuchung erscheint
es aufgrund des hier angenommenen Pathologieprinzips der Organisation geboten,
dass sich insbesondere Fach- und Führungskräfte intensiv mit dem Irrationalen und
Unbewussten in Organisationen auseinandersetzen (Scholz & Hofbauer, 1999). Es stellt
sich als wichtig heraus, Fehlentwicklungen der Organisation frühzeitig zu erkennen, um
darauf aufbauend organisatorische sowie individuelle Handlungsalternativen zu entwickeln
und pathologische Organisationen generell zu vermeiden bzw. für sich und seine Mit-
arbeitenden individuelle Strategien im Umgang mit solchen Organisationen zu erarbeiten.
Symptome kranker Organisationen in Veränderungsprozessen.
102 S. Rödel
Korrosions- Beschleu-
falle nigungsfalle
hoch
Korrosive Energie Produktive Energie
Intensität
Resignative Energie
Angenehme Energie
niedrig
Trägheitsfalle Trägheitsfalle
Abb. 2 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bruch und Vogel (2009, S. 71)
• produktive Energie,
• angenehme Trägheit,
• resignative Trägheit,
• korrosive Energie
2.6.2 Resignative Trägheit
Insbesondere die resignative Energie deutet auf Schwierigkeiten in der Organisation
hin. Herrscht „resignative Trägheit“ im Unternehmen vor, so lässt sich diese an einem
geringen Aktivitätsniveau sowie einer verminderten Interaktions- und Kommunikations-
intensität zwischen den Organisationsmitgliedern ablesen. Symptomatisch für diesen
Zustand sind negative Emotionen wie Enttäuschung, Frustration oder Indifferenz.
Kennzeichnend für diese Phase sind die geringe Arbeitszufriedenheit und verstärkte
Kündigungsabsichten, lethargisches Verhalten in weiten Teilen des Unternehmens sowie
ein Desinteresse an den Unternehmenszielen (Bruch & Vogel, 2009; 2018). Ursächlich
für diesen Zustand negativer organisationaler Energie sind lange anhaltende Change-
Prozesse, die wenig erfolgreich sind, sowie längere Phasen einer unbefriedigenden
Unternehmensentwicklung etwa in Form von Umsatzrückgängen und Marktverlusten.
Unternehmen, denen über einen langen Zeitraum positive Erfahrungen und
Innovationen fehlen, können nach Drath (2016) Opfer der Energiefalle der resignativen
Lähmung (Bruch & Vogel, 2009) werden. Diese können eine innere Starre mit
einer Tendenz zur Mittelmäßigkeit entwickeln, weil der beflügelnde Konkurrenz-
104 S. Rödel
2.6.3 Korrosive Energie
Der Zustand „Korrosiver Energie“ ist mit einem hohen Maß an Aktivität, Wachheit und
emotionaler Involviertheit assoziiert. Allerdings ist die mobilisierte Energie negativ
und richtet sich nach innen in Form destruktiver Aktionen, mikropolitischer interner
Kämpfe und Spekulationen, die dem Unternehmenserfolg massiv schaden (Bruch &
Vogel, 2018). Die Analogien zu den pathologischen Zuständen wie von Kets de Vries
und Miller (1984a) beschrieben sind evident. Drath (2016) erläutert, dass die Unter-
nehmenskorrosion (Bruch & Vogel, 2009) Organisationen drohen kann, die ein hohes
Maß an intern vorhandener Destruktivität verbunden mit einem negativen Arbeits-
klima aufweisen. Diese energetische Konstellation kann auf Dauer eine negative Spirale
destruktiver Kräfte in Gang setzen, die zersetzend auf die Konstitution der Organisation
wirken. Ursächlich für diese negativen Spiralen sind dysfunktionale Verhaltensweisen
des Top Managements, die zu einem Vertrauens- und Loyalitätsverlust führen und zur
Nachahmung einladen. Schwelende Konflikte und Machtkämpfe unter den Executives
verstärken diese dysfunktionalen Zustände. Mittelfristig sinkt die Identifikation mit
dem Top Management und die emotionale Bindung nimmt drastisch ab. Die Symptome
der Unternehmenskorrosion sind sehr ähnlich wie bei der Beschleunigungsfalle – sie
sind jedoch durch eine geringe Identifikation der Mitarbeitenden und eine negativere
Stimmung geprägt, in der Enttäuschung Resignation und innere Kündigungen zu
beobachten sind (Drath, 2016).
2.6.4 Angenehme Trägheit
Unternehmen, die sich in dem organisationalen Energiezustand angenehmer Träg-
heit befinden, weisen eine niedrige, positive Energie auf (Sull, 1999). Zwar ist die
gemeinsame Ausrichtung auf die Veränderung vorhanden, die Handlungsfähigkeit
jedoch noch eingeschränkt, weil man an Vergangenem, Altbewährtem festhält und sich
infolgedessen starre Strukturen und Prozesse bilden. Wichtige Merkmale dieser Phase
(Bruch & Vogel, 2009) sind die vorhandene Zufriedenheit mit dem Status Quo, die
fehlende Fokussierung auf schwache Signale der Umwelt (etwa von Wettbewerbern oder
Kunden), wenig agil denkende Mitarbeitende und kaum Neuerungen, die sich allenfalls
auf kleine Ausschnitte des Unternehmens richten. Häufig entsteht dieser Zustand bei
Unternehmen, die über einen langen Zeitraum erfolgsverwöhnt sind.
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 105
2.6.5 Positive Energie
Positive Energie ist in jedem Fall dann vorhanden, wenn die beiden Dimensionen
Intensität und Qualität hoch ausgeprägt sind und es gelingt, alle Anstrengungen auf ein
gemeinsames Ziel auszurichten. Typische Merkmale für diesen Energiezustand sind:
hohes Aktivitätsniveau mit hoher Anstrengung bei gleichzeitig hoher Begeisterung,
Flow-Erleben, erhöhte Anspannung, ausgeprägte Interaktion und Kommunikation, Suche
nach gemeinsamen Problemlösungen. Der Beitrag von Kloep, Aust und Peifer in diesem
Buch beschäftigt sich mit dem Flow-Konzept zur Förderung der Resilienz.
Gleichwohl ist in diesem Energiezustand Vorsicht geboten, damit die Organisation
nicht in die sogenannte Beschleunigungsfalle gerät (Drath, 2016; Bruch & Vogel, 2009),
wenn sie durch Begeisterung, Initiative und dem starken emotionalen Involvement auf
einem permanent hohen Aktivitätsgrad agiert. In diesem Fall kann die Organisation
schnell an die Belastungsgrenze gelangen. Es entstehen Ermüdungserscheinungen, weil
das Management die Belegschaft zu permanenten Höchstleistungen antreibt und die
Organisation innerlich „heiß läuft“. Die Symptome hierfür sind Aktionismus, sinkende
Qualität der Arbeitsergebnisse, Verlust an Innovationsfähigkeit und Flexibilität im
Umgang mit Herausforderungen sowie vermehrte Überforderungserscheinungen bei
allen Beteiligten. Der problemverstärkende Kreislauf der Beschleunigungsfalle besteht
darin, dass aufgrund der steigenden Erschöpfung mehr Ressourcen zur Zielerreichung
gebraucht werden, was die Ermüdung verstärkt und Zynismus, Resignation und den
Burnout des gesamten Unternehmens provoziert (Drath, 2016).
geschwächt ist, kann dies gleichermaßen zur Schwächung der Leistungsfähigkeit des
Top-Managements führen und bei diesem durch Überlastung gleichermaßen gesundheit-
liche Probleme hervorrufen.
Es kann hilfreich und eventuell gesundheitserhaltend sein, schon frühzeitig und nicht
erst in der Krise dysfunktionale Muster in Organisationen aber auch im eigenen Handeln
zu erkennen. Im Folgenden werden daher, aufbauend auf den weiter oben dargestellten
Symptomatiken für kranke Organisationen vor und während des Wandels exemplarisch
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 107
grenzt sein und für das Feld „resignative Energie“ z. B. lahm, marode, bremsend. Daran
anschließend können in einem gemeinsamen Reflexionsprozess einzelne Organisations-
einheiten aber auch grundlegende organisationale Rahmenbedingungen und Zusammen-
hänge beschrieben und in ihrem Zustand in der Matrix verortet werden, etwa
„Führungskultur“ oder „Gesundes Führungsverhalten“.
Die Diskrepanzen, Widersprüche und Handlungsfelder, die sich aus den
resultierenden Stimmungsbildern ablesen lassen, sind eine wertvolle Grundlage für
die Ableitung von Maßnahmen und Interventionen mit dem Ziel, das Energieniveau in
positivere Zustände zu lenken oder konkrete Präventions- und Heilungsmaßnahmen für
das organisationale und persönliche Handeln abzuleiten.
Der diagnostische, aufdeckende Blick auf die in diesem Beitrag vorgestellte über-
geordnete Klassifikation von paranoiden, zwanghaften, histrionischen, depressiven sowie
schizoiden Unternehmen und das Herausstellen der spezifischen Symptomatik von Aus-
zehrungstendenzen sowie anderen angstbesetzten Phänomenen soll Fach- und Führungs-
kräften helfen, dysfunktionale und damit gesundheitsschädigende Muster zu erkennen.
Problem erkannt, Problem gebannt? Nicht immer ist es so einfach, denn wie gezeigt
worden ist, sind manche toxische Strukturen über alle Hierarchieebenen hinweg bis in
die Tiefenstruktur der Organisation verwoben, bedingen einander, tragen eventuell para-
doxerweise zumindest kurzfristig zum Erfolg bei. Es wurde deutlich, dass insbesondere
pathologische Verhaltensweisen des Managements (siehe dazu auch den Beitrag von
Schilling in diesem Buch zum Thema destruktive Führung) sowie die dunkle Triade der
Macht (Furtner, 2017) verantwortlich sind für das Entstehen kranker Organisationen.
Pathologische Organisationen können daher nur dann in gesunde Organisationen ver-
ändert werden, wenn das Management diesen Veränderungsbedarf erkennt. Da es gleich-
zeitig Verursacher dieser Strukturen ist, dürfte dies schwierig werden.
Zudem sind Menschen soziale Wesen und die Belegschaft lässt sich aufgrund des
(lebenswichtigen) Bedürfnisses nach Zugehörigkeit oftmals schnell von Organisationen
sozialisieren, ohne diesen Sozialisierungsprozess bewusst wahrzunehmen. Das kann
zu Betriebsblindheit führen und zur Akzeptanz von Bedingungen, die möglicherweise
als unauflösbar empfunden werden und zunehmend in Resignation münden. In diesem
Kontext ist es wichtig, über den eigenen Handlungsbedarf nachzudenken, sich über die
eigenen Potenziale, Möglichkeiten und Ziele sowie über die aktuelle Arbeitssituation, die
Entwicklung der eigenen Person bis hin zur Suche nach einer neuen Aufgabe, Arbeits-
umgebung oder auch einem neuen Arbeitgeber klar zu werden (Klein, 2008). Die in
der Reflexion gewonnenen Potenziale für gemeinsame organisationale Lern- und Ent-
wicklungsprozesse und Grundlagen zur Situationsverbesserung sind wertvoll – und
gleichzeitig gesundheitsförderlich.
Symptome und Risikofaktoren kranker Organisationen 109
Quintessenz
• Organisationen, die dysfunktionale Strukturen und Muster aufweisen, lassen
sich mithilfe einer systematischen Typologie klassifizieren.
• Auf diese Weise lässt sich eine Taxonomie pathologischer Verhaltensweisen
aufstellen, die wiederum Rückschlüsse auf das Management, die Führung, die
Strategieentwicklung und die Kommunikationsstrukturen in der Organisation
zulässt.
• Insbesondere in (andauernden) Change-Prozessen treten dysfunktionale,
psychisch belastende und damit auch gesundheitsschädliche Bedingungen auf.
• Diese sollten von Fach- und Führungskräften erkannt und aufgedeckt werden,
um Gegenmaßnahmen einzuleiten.
• Dafür werden exemplarisch zwei Methoden der Organisationsdiagnose vor-
gestellt.
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Türk, K. (1976). Grundlagen einer Pathologie der Organisation. Enke.
Prof. Dr. Stefanie Rödel ist Professorin für Coaching und Super-
vision an der IU Internationale Hochschule und leitet dort das
Fachgebiet Human Ressources. In Forschung und Lehre engagiert
sie sich insbesondere für die Professionalisierung von Beratung.
Als einen Forschungsschwerpunkt verfolgt sie digitale Beratungs-
formate unter Einsatz von Coaching-Plattformen, digitalen Tools
und Avatar-Kommunikation. Sie ist zudem Inhaberin der Dr. Rödel
Consulting mit den Schwerpunkten Organisationsberatung und
Business Coaching. Hier hat sie sich spezialisiert auf Leadership
Excellence und Zusammenarbeit in der Digital Economy.
Symptome und Risikofaktoren kranker
Teams
Petra Kemter-Hofmann
1 Einleitung
P. Kemter-Hofmann (*)
Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland
E-Mail: petra.kemter@tu-dresden.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 113
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_7
114 P. Kemter-Hofmann
Gruppenarbeit zeichnet sich durch Arbeitsteilung aus. Soweit die zugeteilte Aufgabe
nicht zur Person passt, sind negative Beanspruchungsfolgen für die Gesundheit und
mangelnde Leistungserbringung eine häufige Folgeerscheinung. Vor diesem Hintergrund
sind gemäß Hacker (2005) zwei Formen der Arbeitsteilung in Teams zu unterscheiden
mit Auswirkungen auf das eigene Kompetenzerleben: Im Rahmen der Mengen-Teilung
werden gleichartige Teilaufgaben von verschiedenen Teammitgliedern bearbeitet.
Andererseits untergliedert die Art-Teilung, das geforderte Arbeitspensum in verschieden-
artige Teilaufgaben, die von unterschiedlichen Personen ausgeführt werden. Die Ent-
scheidung für eine der beiden Formen der Arbeitsteilung sollte in Abhängigkeit von den
Ausprägungen von Fähigkeiten, Wissen und Bedürfnissen der einzelnen Teammitglieder
getroffen werden unter gleichzeitiger Förderung individueller Lernförderung. So ist die
Mengen-Teilung dann vorteilhaft, wenn Fähigkeiten, Wissen und Bedürfnisse der Team-
mitglieder sehr ähnlich sind. Anderenfalls dürfte die Arten-Teilung sinnvoller sein, um
die Tätigkeit entsprechend der individuellen Voraussetzungen bestmöglich bearbeiten
zu können. Soweit die Aufgabenzuteilung nicht den Fähigkeiten, dem Wissen oder den
Bedürfnissen der Teammitglieder entspricht, kann es zu Dysfunktionalitäten im Team
kommen.
In diesem Kontext ist zu beachten, dass sich nicht alle Aufgaben gleichermaßen für
eine effektive Gruppenarbeit eignen, sondern das Verhältnis der Einzelleistungen zur
Gruppenleistung eine wichtige Rolle bei der Entscheidung zwischen Gruppen- und
Einzelarbeit spielt (Steiner, 1972). So sind als geeignete Gruppenaufgaben zunächst
additive Aufgaben anzuführen. Dabei handelt es sich um Aufgaben mit Gruppenvor-
teil, wenn körperliche Kräfte summiert und psychomotorische Dominanz, Koordination
von Funktionen und Kräften erforderlich sind. Auch disjunktiven Aufgaben sind für
die Gruppenarbeit prädestiniert, wenn ein Gruppenmitglied die Lösung kennt und die
Gruppe davon profitiert.
Die Art der Aufgabe hat auch Auswirkungen auf die Kommunikations- und Arbeits-
strukturen im Team. So erscheint eine Befehlskette z. B. sinnvoll bei der Feuerwehr mit
Symptome und Risikofaktoren kranker Teams 115
Auch die Größe der Gruppe hat einen Einfluss auf deren mögliche Effektivität. Prozess-
verluste und Dysfunktionalitäten im Team nehmen mit der Gruppengröße zu. Zwar
bringen zusätzliche Mitglieder Kapazitäten und Kompetenzen ein, gleichzeitig steigt der
notwendige Koordinationsaufwand und kann zur Stressbelastung für die Teammitglieder
werden. Kooperation wird schwieriger und die Zufriedenheit sowie der Zusammen-
halt im Team nehmen ab (Gully et al., 1995; Magjuka & Baldwin, 1991). Größere
Teams sind unproduktiver, da Entscheidungen zeitverzögert getroffen werden. Die
Interaktion im Team erweist sich als schwieriger und die Rollen und deren Verteilung
sowie das Verständnis an die Rollenerwartung und Rollenerfüllung sind uneindeutiger,
sodass die Konfliktwahrscheinlichkeit höher und die Gruppenkohäsion geringer wird.
Mit zunehmender Gruppengröße kann sich dadurch die Leistung des Einzelnen inner-
halb der Gruppe reduzieren (z. B. Suzuki et al., 2017). Die effektive Produktivität der
Gruppe ist bei zunehmender Gruppengröße somit ein Resultat aus der linear steigenden
Produktivität bei gleichzeitig exponentiell steigenden Prozessverlusten (z. B. durch
Abstimmungsverluste). Für die Praxis bedeutet dies: Mit zunehmender Teamgröße steigt
die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Risikofaktoren kranker Teams. Damit wird
auch ersichtlich, dass strukturelle Komponenten die personellen Komponenten beein-
flussen. Große Teams sind bei Aufgaben überlegen, die z. B. nicht klar arbeitsteilig
sind. Ein Beispiel hierfür ist die Ideenproduktion von Teams. Empirisch haben sich als
Gruppengröße unterschiedliche Optima ergeben. Im Montagebereich sollte ein Team
etwa 10-12 Personen umfassen, im Forschungs- und Entwicklungsbereich sind dies hin-
gegen nur 5-7 Personen.
arbeit werden bislang konträr diskutiert. Diese Diskussionen zeigen, dass diverse Teams
nicht per se vorteilhaft sind, sondern sich die diversitätsorientierte Teamzusammen-
setzung an der zu bewältigenden Aufgabe orientieren sollte (siehe Abschn. 2.1). Horwitz
und Horwitz (2007) legen dazu einen Überblick vor.
Bei der Teamzusammensetzung bezogen auf das Geschlecht zeigen einige Studien,
dass homogene Teams besser abschneiden. Leonard und Levine (2006) beschreiben
höhere Kündigungsabsichten, wenn der Frauenanteil im Team den Männeranteil über-
schreitet. Wegge et.al (2008) konnten zeigen, dass bei einem Frauenanteil über fünf-
zig Prozent in gemischten Teams höhere Erkrankungsraten und gleichzeitig schlechtere
Leistungen auftreten. Einen möglichen Erklärungsansatz können die von Pelled (1996)
gefundenen stärkeren Konflikte in diesen Teams sein, die wiederum zu Stress führen.
Auch die Vorteile der kulturellen Diversität hängen eng mit der zu bewältigenden
Aufgabe zusammen. Aufgrund kultureller Herkunft entstehende differenzierte Sicht-
weisen sind vorteilhaft, wenn ein Problem kreativ gelöst werden muss und ausreichend
Zeit vorhanden ist, um unterschiedliche Perspektiven zu diskutieren. Kulturell bedingte
Unterschiede in den Normen und Werten, Kommunikationsgewohnheiten und Heran-
gehensweisen an Aufgaben können Teambildung und Gruppenkohäsion allerdings deut-
lich erschweren. (Stahl et al., 2010) fasst eine Vielzahl der Befunde in einer Metaanalyse
zusammen.
Als weiteres Diversitätsmerkmal wird häufig das Alter der Teammitglieder heran-
gezogen. Das Team kann dabei sehr unterschiedlich aufgebaut sein z. B. die Hälfte
des Teams kann sehr jung, die andere Hälfte sehr alt sein oder es gibt eine Gleichver-
teilung über alle Altersgruppen hinweg oder eine große Ungleichheit, wobei eine Person
vom Alter her die Ausnahme im Team ist. Sobald das Alter im Team salient wird, also
regelmäßig in den Fokus der Wahrnehmungs- und Bewertungsprozess der Team-
mitglieder rückt, wirkt sich dies negativ auf die Teamleistung und Gesundheit aus.
Befunde (u. a. Jungmann et al., 2015) belegen: Altersdiverse Teams funktionieren am
besten, wenn das Alter keine Bedeutung für die Zusammenarbeit hat. Bei einer hohen
Wertschätzung der Altersheterogenität erkennen und nutzen Teammitglieder alters-
bezogene Ressourcen. Der Erfahrungs- und Wissensaustauschs zwischen Gruppen-
mitgliedern jeder Altersstufe funktioniert und wird als Bereicherung erlebt. Wird
Altersheterogenität jedoch eher als negativ erlebt (z. B. Alt gegen Jung), steigt das
Risiko von Konflikten mit den jeweiligen negativen Folgen. Gleichzeitig vermindert
sich die Möglichkeit, gemeinsame Teamlösungen zu finden. Von Bedeutung erscheint
anhand dieser Befunde auch, dass eine alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung erfolgt (z. B.
Fritzsche et al., 2014) und das Team bei komplexen Aufgaben ohne Zeitdruck und mit
Handlungsspielräumen agieren kann. Wesentlich ist ebenfalls eine alter(n)sgerechte
Führung, um den Potentialen und Kompetenzen der einzelnen Teammitglieder Rechnung
zu tragen. Berücksichtigt man diese Potentiale nicht adäquat (untereinander und/oder
durch die Führungskraft), entstehen individuelle negative Beanspruchungsfolgen, die
kurzfristig sein können, wie die Ermüdung aber auch mittel- und langfristig wie Stress-
erleben, Burnout oder psychophysische Krankheitsbilder. Diese Aussagen gehen auf das
Symptome und Risikofaktoren kranker Teams 117
Woran erkennen Fach- und Führungskräfte einen mangelnden Umgang mit Diversity?
(Ries et al., 2010; Jungmann et al., 2015, Wegge & Jungmann, 2016)
• Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit von Gruppenmitgliedern,
• (Alters-)Vorurteile im Team,
• kaum Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen Gruppenmitgliedern unterschied-
licher Altersstufen,
• mangelnde(r) Kommunikation/Austausch,
• fehlende Offenheit für Veränderungen,
• Wahrnehmung der Arbeitsaufgabe mit starkem Fokus auf die individuelle Leistung
(Ich-Fokus),
• Subgruppenbildung,
• Existenz von Konflikten und Gefahr der Eskalation, da der Lösungswunsch geringer
ist,
• geringere Arbeitszufriedenheit.
Diversität im Team kann und sollte derart gestaltet werden, dass sie Teamgesundheit
fördert. Dabei kommt der Führungskraft, die auf verschiedene Rahmenbedingungen
achten muss (z. B. Arbeitsaufgabe, Vorurteile, Wertschätzung), eine große Bedeutung zu.
Die Arbeit in Gruppen kann sowohl eine soziale Ressource als auch einen sozialen
Stressor darstellen. Schwarzer u. Leppin (1989) führen drei Faktoren auf, die für diese
Unterscheidung verantwortlich sind:
Die Struktur des Netzwerkes wird durch eine Reihe an Kriterien determiniert wie Anzahl
der Personen oder das Ausmaß, in dem Mitglieder zueinander in Verbindung stehen.
Die Qualität der sozialen Beziehungen spielt eine wichtige Rolle für die Einordnung als
Ressource oder Stressor. Die Anzahl an sozialen Beziehungen als Merkmal der Netz-
werkstruktur erscheint weniger grundlegend. Als Unterscheidungskriterium für die
Einordnung als soziale Unterstützung und damit als gesundheitserhaltende Ressource
kommt es vielmehr auf die Ausgestaltung der Interaktionen zur Zielerreichung oder
Problemlösung an (Knoll et al., 2017, Lüscher & Scholz, 2018).
Im Rahmen des Kontruktes sozialer Unterstützung wird die wahrgenommene von
der erhaltenen sozialen Unterstützung abgegrenzt (Knoll et al., 2017). Die erhaltene
Unterstützung ist die retrospektiv, reale Unterstützung. Wahrgenommene Unterstützung
entspricht der sozialen Unterstützung, die grundsätzlich denkbar und prospektiv
ausgerichtet ist. Diese Unterscheidung ist im Gesundheitskontext von besonderer
Bedeutung, weil die wahrgenommene Unterstützung wesentlich stärker mit höherem
Wohlbefinden korreliert als retrospektiv erhaltene Unterstützung (Finch et al., 1999).
Soweit demnach die wahrgenommene soziale Unterstützung als gering bewertet wird,
hat dies Einfluss auf die Gesundheit.
Nach Spiess und Stadler (2002) lassen sich folgende negative Wirkungen fehlender
sozialer Unterstützung feststellen: Geringe soziale Unterstützung geht oft mit Schulter-
und Nacken- sowie Rücken-Beschwerden einher (je geringer die Unterstützung, umso
intensiver sind die Beschwerden). Personen ohne Unterstützung von Teamkollegen, Mit-
arbeiter ohne Unterstützung durch die Führungskraft leiden häufiger an Herz-Kreislauf-
Krankheiten als Kollegen mit der Unterstützung der nächsthöheren Führungsebene.
Eine ausreichende soziale Unterstützung trägt hingegen eher zu Stressresistenz und
positiver Befindlichkeit bei. Sie erhöht die Arbeitszufriedenheit und senkt Fluktuation
und Fehlzeiten. Mitarbeitende mit hoher sozialer Unterstützung verfügen zudem über ein
höheres Selbstwertgefühl und auch über höhere Lebenszufriedenheit, arbeitsbezogene
Ängste und psychosomatische Beschwerden treten seltener auf. Auch eine indirekte
Wirkung über Puffereffekte erscheint möglich (vgl. Job Demand Ressources Model,
Bakker & Demerouti, 2017). Einschränkend ist zu beachten, dass die angebotene Hilfe
gelegentlich auch eigene Schwächen und Defizite bewusstmachen und eine Selbstwert-
absenkung nach sich ziehen kann (Semmer et.al 2007, SOS-Modell).
Stadler & Spieß (2002) definieren soziale Unterstützung durch eine Reihe von Ver-
haltensweisen, die sowohl vom Unternehmen, der Führungskraft aber auch den Team-
mitgliedern kommen können:
120 P. Kemter-Hofmann
• Materielle Unterstützung,
• Unterstützung durch helfendes Verhalten,
• Emotionale Unterstützung (z. B. durch Zuneigung, Vertrauen, Anteilnahme),
• Feedback (z. B. soziale Bestätigung),
• Informative Unterstützung, Orientierungshilfe (z. B. durch Rat),
• Positive gesellige Aktivitäten (die dem Spaß und der Erholung dienen) und
• Zugehörigkeit zu einem Netzwerk.
(explizit oder implizit) von Vertrauen. Vertrauen lässt sich demnach charakterisieren als
eine „Wette“ auf das Verhalten des anderen in der Zukunft. Vertrauen kann sich auf ein
auftretendes oder erlebtes Risiko bzw. eine erlebte Unsicherheit, die Verletzbarkeit des
Vertrauenden, die positive Intention der Zielperson und die Freiwilligkeit der Beteiligten
beziehen.
Der Vertrauensaufbau ist durch grundlegende Merkmale geprägt (Neubauer, 1999;
Weibler, 1997): Einerseits sind es die Merkmale der Vertrauenden oder anders formuliert
die Vertrauensbereitschaft der Person, die den anderen Teammitgliedern vertrauen soll,
jedoch auch vom Systemvertrauen insgesamt mit beeinflusst wird. Andererseits spielt die
Vertrauenswürdigkeit der Zielpersonen eine große Rolle, vor allem durch eine erlebte
bzw. zugeschriebene Kompetenz sowie die erlebte Integrität der Person. Führungs-
kräfte müssen in diesem Zusammenhang integer führen, Teamkollegen gemachte
Versprechungen einhalten. Relevant ist auch die Frage, wie offen die Teampartner unter-
einander kommunizieren. Je besser diese Kommunikation gelingt, desto schneller wächst
das Vertrauen. Ein positives Vertrauen fördert wiederum die Kommunikation. Krysteyk
et al. (1997) nehmen in ihren Arbeiten Bezug auf die länger zurückliegende Forschung
von Zand (1972) und fixieren folgende Punkte, die durch Vertrauen entstehen:
Neben diesen eher personellen Komponenten sind auch strukturelle und situative Ein-
flussfaktoren aus der Forschung zur Vertrauensbildung bekannt.
Vertrauen als Basis für psychologische Sicherheit muss also wachsen. Ähnlich wie
bei der Entstehung von Gruppen und Teams gibt es auch in der Vertrauensbildung
mehrere Phasen, die sich am Verhalten und danach an Merkmalen und Motiven der
Person orientieren, bevor in der letzten Phase eine emotionale Sicherheit entsteht, die
es auch zulässt, risikoreiche Situationen zu bewältigen. Mangelndes Vertrauen beein-
flusst demnach die psychologische Sicherheit mit entsprechender Auswirkung auf Wohl-
befinden und Gesundheit.
Ein weiterer wichtiger Risikofaktor mit negativer Auswirkung auf die Gesundheit
der Teammitglieder ist eine fehlende Rollenklärung. Sie gilt als wichtiger Punkt, um
emotionale Sicherheit und Vertrauen in Teams herauszubilden (Belbin, 2010; Czichos,
2014). Damit ist die Sicherstellung der Teamleistung aber auch die Gestaltung von Ent-
scheidungsprozessen im Team verbunden.
Es gibt unterschiedliche Modelle und Theorien zur Anzahl und Art der Rollen im
Teamkontext, die mit typischen Erwartungen, Aufgaben aber auch mit verschiedenen
Stärken und Schwächen belegt sind. Während Belbin (2010) von neun verschiedenen
Teamrollen ausgeht und bei Fehlen einer Rolle negative Auswirkungen auf Leistung
und Wohlbefinden des Teams unterstellt, beschränkt sich Czichos auf vier Rollen. Alle
Modelle gehen jedoch von einer eindeutigen Rollenklärung aus.
Die Klärung der Teamrollen ist u. a. ein wesentlicher Punkt in der konflikt-
trächtigen Stormingphase (siehe Tuckmann 1965) und muss bei Teamveränderungen
stets thematisiert werden. Damit verbunden ist auch eine klare Aufgabenverteilung, die
die Stärken und Schwächen der einzelnen Teammitglieder berücksichtigen sollte und
im Team klar zu kommunizieren und zu diskutieren ist. Eine unklare Rollenverteilung
evoziert das Eindringen in den erlebten Kompetenzbereich anderer Teammitglieder, die
Doppelerledigung von Aufgaben oder deren Nichterledigung. Daraus entstehen sowohl
sachbezogene wie auch beziehungsbezogene Konflikte, die wiederum das Arbeitsklima
und das Wohlbefinden beinträchtigen sowie Stress und Gesundheitsbeeinträchtigungen
verursachen.
Konflikte sind fester Bestandteil der Arbeit in Teams und lassen sich in kognitive und
emotionale Konflikte unterscheiden. Während kognitive Konflikte Stagnation verhindern
und neue Wege ermöglichen, bergen emotionale Konflikte Risiken für den Team-
zusammenhalt. Konflikte im Arbeitsalltag können damit eine wesentliche Quelle für
Stresserleben sein. Wer sich z. B. von seinen Kollegen ausgegrenzt, schlecht behandelt,
nicht wertgeschätzt fühlt, zeigt eher krankheitsbedingte Arbeitsausfallzeiten und ein
geringeres Wohlbefinden (Dehue et al., 2012).
Die Forschung zu Auswirkungen arbeitsbedingter Konflikte und deren Auswirkungen
auf die Gesundheit der Arbeitenden ist seit vielen Jahrzehnten weit verbreitet und führt
über alle Forschungsansätze hinweg immer wieder zu ähnlichen Aussagen: Als Ergebnis
arbeitsbedingter Konflikte sinken Arbeitszufriedenheit und Leistung, das Stresserleben
als negative Beanspruchungsfolge steigt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Manifestation
in psychischen und physischen Krankheitsbildern bei Fortbestand der Konfliktsituation
(vgl. u. a. Appelberg et al., 1996; Oxenstierna et al., 2005).
Die Entwicklung von Konflikten und den Stand der Konflikteskalation einschätzen zu
können, stellt einen wichtigen ersten Schritt zum effizienten und gesundheitserhaltenden
Umgang mit Konflikten dar. Dazu hat Glasl (2013) in seinem Modell zur Konflikt-
eskalation einen Stufenprozess dargestellt (siehe Abb. 1).
Je tiefer die Stufe in den Konflikt führt (Abb. 1), desto härter und unethischer die
Methoden, mit denen Kontrahenten einen Sieg bei der Konfliktlösung zu erringen ver-
suchen.
Konflikte, die eine untere Stufe auf der neunstufigen Skala der Konflikteskalation
erreicht haben, können nicht ohne Hilfe von außen gelöst werden. Dabei wird deut-
lich, dass Konflikte in den ersten Eskalationsstufen (1–3) zu einer Win-Win-Lösung
führen können, die sich produktiv auf das weitere Arbeiten im Team auswirken. Wird
eine Konfliktklärung in diesen Phasen unterlassen oder werden Konflikte aus Harmonie-
gründen nicht thematisiert, wird eine kooperative und gewinnbringende Lösung immer
schwieriger.
Glasl (2013) betont, dass das aktive und frühzeitige Gegensteuern in einem Konflikt
enorm wichtig zur Konfliktbereinigung ist. Ebenso relevant ist die Auswahl geeigneter
Methoden der Konfliktlösung in Abhängigkeit von der Eskalationsstufe. Während in
den ersten Phasen (1-3) noch eine Hilfe zur Selbsthilfe auch innerhalb des Teams mög-
lich ist, sind Formen der Mediation oder in den letzten Stufen Machteingriffe bzw. die
Klärung durch Schiedsinstanzen notwendig.
1 Spannung &
Verhärtung
2
Debae &
Polemik
3
Taten sta
Worten
4
Images &
Koalionen
5
Gesichts-
verlust
6
Drohstrategie
7
Begrenzte
Vernichtung
8
Zersplierung
9
Gemeinsam in
den Abgrund
2.9 Mobbing
Nicht immer gelingt eine Konfliktlösung und gruppendynamische Prozesse lösen u. a.
Mobbing aus. Auf der Teamebene ist dies nicht selten verbunden mit der Sündenbock-
suche, dem Lösen von Konflikten im Sieger-Verlierer-Prinzip, in der Priorisierung von
Einstellungen und Werten mit bewusster sozialer Isolation von Teammitgliedern.
Ursächlich für Mobbing können folgende Aspekte sein: Werte- und Normveränderung
bei Mitarbeitern, unsoziales Verhalten unter Kollegen, unterschiedliche Arbeitsein-
stellungen, Überlastung und schlechte Selbstorganisation, unangemessenes Führungs-
verhalten, großer Konkurrenzdruck, Konfliktvermeidung (Zapf, 1999; Zuschlag, 2001,
Semmer & Zapf, 2016). Bereits an diesen Beispielen wird deutlich, dass eine gute
Beobachtung und Reflexion der Prozesse im Team hilfreich zur Mobbingprävention sind.
Nach Zapf (1999) kann Mobbing über verschiedene Wege erfolgen:
• organisationale Maßnahmen,
• soziale Isolierung,
• Angriffe auf die Person und ihre Privatsphäre,
• über verbale Aggression, Androhung oder Ausübung körperlicher Gewalt,
• den Einsatz von Gerüchten.
Mobbing führt immer zu Konsequenzen für das Individuum, die Organisation und die
Gesellschaft. Auf individueller Ebene zeigt sich der Stressor Mobbing in verschiedenen
Symptomen bzw. Krankheitsbildern, die in Abhängigkeit von der Mobbingphase
unterschiedlich stark ausgeprägt auftreten. Neben Selbstwertverlusten, Gereiztheit,
Angespanntheit, der Entwicklung von Ängsten treten als körperliche Symptome Kopf-
schmerzen, Schlafstörungen und im späteren Verlauf psychosomatische Erkrankungen
in Form von Depressionen auf (vgl. Einarsen et al., 2011; Mestel & Jelitte, 2017;
Schwickerath et al., 2007; Schwickerath, 2014). Nielsen und Einarsen (2012) belegen
in Längsschnittstudien, dass sich psychische Probleme und Mobbing gegenseitig beein-
flussen und in eine Abwärtsspirale führen können: Hat eine Person psychische Probleme,
126 P. Kemter-Hofmann
erhöht sich das Mobbingrisiko und bei Mobbingerfahrungen steigt das Risiko von
psychischen Erkrankungen. Allerdings droht neben gesundheitlichen Problemen auch oft
das Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess als wesentliche Konsequenz.
Organisational kommt es u. a. zu Qualitätseinbußen, verringerter Arbeitsleistung,
hohen Fluktuationsraten, Effektivitätseinbußen, Effizienzminderung, Ausfallzeiten,
Unzufriedenheit Rechtsstreitigkeiten (vgl. Nielsen et al., 2012).
Volkswirtschaftlich entstehen Kosten für z. B. Krankenhausaufenthalte und
Rehabilitationsmaßnahmen, Umschulungen werden eventuell notwendig. Diese
dramatischen Konsequenzen entstehen in einem länger währenden Prozess und Mobbing
sollte bereits präventiv entgegengetreten werden.
Viele Faktoren haben Einfluss auf die Motivation im Team. Dabei können positive
Effekte auftreten (bei gleicher Aufgabe erfolgt eine Steigerung der individuellen Arbeits-
motivation) oder negative Effekte (Reduktion der individuellen Arbeitsmotivation durch
die Gruppensituation) entstehen (u. a. Hertel, 2000).
1. Sozialer Müßiggang („social loafing“): Man glaubt, dass in dieser Situation, die
eigenen Beiträge zum Gruppenergebnis nicht oder zumindest kaum identifizier-
bar sind. Man nimmt sich zurück. Es handelt sich meist um eine nicht-intentionale
Reduktion der Arbeitsleistung.
2. Soziale Angst: Hierbei sinkt die Arbeitsmotivation durch Hemmungen und Störungen,
die durch die Anwesenheit anderer (wichtiger) Personen entstehen.
3. Trittbrettfahren („free riding“): Man beobachtet, dass andere Mitglieder der eigenen
Gruppe (über einen längeren Zeitraum) das Verhalten von Trittbrettfahrern zeigen und
somit keinen Input im Team leisten.
4. „Nicht der Dumme sein wollen“ („sucker effect“): Man meint sich im Klaren zu
sein, dass die eigenen Leistungsresultate für das Gruppenergebnis überflüssig bzw.
unwichtig sind.
5. Soldatentum („soldiering“): Reduktion als Protestausdruck gegenüber einer Person
oder Gruppe, die ungerechtfertigte Ansprüche an die eigene Gruppe stellt.
128 P. Kemter-Hofmann
In Teams kann auch die Verarbeitung von Informationen im Vordergrund stehen, etwa
bei der gemeinsamen Ideenverarbeitung. Informationsfehler oder -verluste entstehen bei
folgenden Phänomenen:
• Hohes Gruppendenken im Sinne einer hohen Forderung der Gruppe nach Harmonie,
das dazu führt, dass man keine zur Gruppenmeinung entgegenstehende Meinung ein-
bringt zum Erhalt der Gruppenkonformität
• Cognitive loafing. Dabei handelt es sich um den Müßiggang bei kognitiven Aufgaben
Insbesondere bei großen Gruppen spielen die Bildung von Subgruppen, Missverständ-
nisse und die Notwendigkeit vieler Interaktionen eine Rolle. Dadurch können auch
Symptome und Risikofaktoren kranker Teams 129
Der Selbstwert einer Person spielt für ihre psychische Gesundheit eine wichtige Rolle
und hilft als Schutzfaktor gegen Stress. Die wechselseitigen Auswirkungen dys-
funktionaler Teamarbeit auf den Selbstwert einzelner Personen sowie deren Stress- und
Gesundheitserleben sowie der Einfluss des Selbstwertgefühls einzelner auf die Team-
arbeit, können über das SOS- Modell (stress as offense to self) von Semmer et al. (2007)
beschrieben werden.
Das Modell unterscheidet zwei Faktoren mit Einfluss auf den Selbstwert eines
Menschen. Die persönlichen Faktoren liegen in der eigenen Person und erzeugen bei
Misserfolg eine Bedrohung des Selbstwertes und lösen Stress aus. Dieser Aspekt der
Selbstwertbedrohung wird auch als Stress through Insufficiency (SIN) bezeichnet.
Bei dysfunktionalen Teams ist aber die soziale Komponente des Modells deutlich
interessanter. Sie betonen die Faktoren mit Potenzial zur Selbstwertbedrohung infolge
eines respektlosen und herabwürdigenden Umgangs durch andere. Dieser Aspekt wird
auch als Stress as Disrespect (SAD) bezeichnet. Eine Kurzskizze des SOS-Modells ist
zur Vereinfachung in Abb. 2 dargestellt.
130 P. Kemter-Hofmann
Abb. 2 Vereinfachte
Darstellung des SOS-Modells Personal Social
nach Semmer et al. (2007) self esteem esteem
SIN SAD
(Stress to (Stress as
Insufficiency) Disrespect)
Stolz durch
Steigerung durch
interne
Fairness und
Zuschreibung
Wertschätzung
von Erfolg
Semmer et al. (2007) beschreiben drei Aspekte eines respektlosen Umgangs, die
negativen Einfluss auf den Selbstwert haben und Stressreaktionen nach sich ziehen:
Für die positive Stärkung der SIN Komponente ist das Erleben von Erfolgen sowie das
Erreichen gesetzter Ziele von großer Bedeutung. Diese Aussage ähnelt den Erkennt-
nissen der Zielsetzungstheorie von Locke und Lathem (2009), dass schwierige und
herausfordernde Ziele zu besseren Leistungen und das Feedback zur Zielerreichung
dann zu einem höheren Selbstwert führen. Ziele nach der SMART-Formel zu definieren
ist innerhalb des Teams aber auch für die Führungskraft wichtig. Der Zielerreichungs-
prozess wird sowohl durch Mediatoren und Moderatoren beeinflusst. Diese zu kennen
und aktiv zu gestalten im Hinblick auf eine hohe Zielerreichung ist Aufgabe des einzel-
nen Mitarbeitenden aber auch der Führungskraft. Mediierenden Einfluss haben u. a.
Aufmerksamkeit, Anstrengungsbereitschaft und das Vorhandensein von Strategien
zu Problemlösungen, moderiert wird der Prozess durch Zielbindung, Selbstwirksam-
keit, Feedback und Aufgabenkomplexität. Wichtig ist darauf zu achten, geeignete,
weite Perspektiven in Zielen zu betrachten, den Fokus auf die Zielerreichung und die
Lernprozesse zu legen, Risiken bei der Zielerreichung abzuwägen und transparent zu
machen.
Symptome und Risikofaktoren kranker Teams 131
Das SOS-Modell belegt die zentrale Rolle des Selbstwertes und mögliche negative
Auswirkungen durch dessen Bedrohung. Gleichzeitig verdeutlicht es aber auch Möglich-
keiten und Wege zum Ressourcenaufbau und der Steigerung des Selbstwertgefühls durch
Wertschätzung und Fairness. Sowohl Wertschätzung innerhalb des Teams und durch die
Führungskraft sowie die gelebte prozedurale Gerechtigkeit sind wichtige Kenngrößen.
Generell ist ein hoher Selbstwert der Teammitglieder sehr häufig mit psychischem Wohl-
befinden und Gesundheit verknüpft. Deshalb sollte auch die Stärkung des individuellen
Selbstwertes bei jedem einzelnen Teammitglied berücksichtigt werden (Semmer et al.,
2007).
Dieser Beitrag hat gezeigt, dass Dysfunktionalitäten in Teams eine besondere Bedeutung
für das Wohlbefinden und die Gesundheit der einzelnen Teammitglieder haben können.
Es ist daher einerseits die besondere Verantwortung von Fach- und Führungskräften
auf die Gesundheit im Team und erste Krankheitssymptome zu achten. Aufgrund der
reziproken Einflussnahme dysfunktionaler Teams auf die Gesundheit einzelner Team-
mitglieder ist es andererseits aber auch von Bedeutung, die Auswirkungen kranker
Teams auf die eigene Gesundheit zu beleuchten. Insoweit ist es angezeigt regelmäßige
Dysfunktionen-Checks gemeinsam mit dem Team oder im Rahmen von Selbstreflexions-
prozessen durchzuführen. Ein gutes und gesundes Miteinander im Team ist keine Selbst-
verständlichkeit und entsteht nicht im Selbstlauf. Es ist daher neben der Verantwortung
jedes einzelnen Teammitgliedes auch oder insbesondere eine Führungsaufgabe, die es
wahrzunehmen gilt, um aus Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Zielen und
Werten ein effizientes und gesundes Team zu formen.
132 P. Kemter-Hofmann
Quintessenz
• In Teams können Dysfunktionalitäten entstehen, die struktureller oder personeller
Art sein können.
• Diese Dysfunktionen im Team können einen starken Einfluss auf den Selbstwert
ihrer Teammitglieder haben und damit gleichzeitig auf ihre Gesundheit.
• Im Rahmen eines Dysfunktionalitäten-Checks ist es wichtig, die Symptome
kranker Teams regelmäßig zu überprüfen und zu erkennen, um darauf auf-
bauend Gegenmaßnahmen einzuleiten.
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Jan Schilling
1 Einleitung
Die anglo-amerikanisch geprägte Forschung hat sich über viele Jahrzehnte fast
ausschließlich mit den positiven Seiten von Führung beschäftigt und nach den Eigen-
schaften, Verhaltensweisen, Stilen und Situationen gesucht, die zur Zielerreichung von
Organisationen und Mitarbeitenden einen konstruktiven Beitrag leisten (Schilling, 2009;
Yukl & Van Fleet, 1992). Das Zitat von Peter Drucker verweist auf eine dunkle Seite
von Führung, die in der Führungsforschung erst in den vergangenen beiden Jahrzehnten
vermehrte Aufmerksamkeit gefunden hat. Die bisher vorherrschende, eher einseitige
wissenschaftliche Behandlung von Führung als positiver Einfluss auf Mitarbeitende ist
seitdem einer ausgewogeneren Betrachtung gewichen. Die Forschung zur sogenannten
„dark side of leadership“ hat wichtige Erkenntnisse zu den Formen, Ursachen und
Folgen schlechter Führung erbracht (May et al., 2016; Schilling & Schyns, 2021; Schyns
& Schilling, 2013; Tepper, 2007). Deutlich wird dabei, dass die Folgen einer schlechten
Führung vielfältig sind und nicht auf das Arbeitsleben beschränkt bleiben, sondern
J. Schilling (*)
Fachhochschule Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
E-Mail: jan.schilling@fh-bielefeld.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 137
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_8
138 J. Schilling
auch das Privatleben betreffen, indem etwa die Lebenszufriedenheit (Tepper, 2000)
beeinträchtigt wird und vermehrt häusliche Konflikte vorkommen (Hoobler & Brass,
2006; Wu et al., 2012). Insoweit ist das Thema von fundamentaler Bedeutung für alle
Personen, die am Arbeitsleben teilnehmen.
Da allgemeinere Behandlungen des Themas bereits vorliegen (z. B. Schilling, 2020),
soll im Folgenden ein besonderer Fokus auf die gesundheitsbezogenen Wirkungen
und Nebenwirkungen von negativer Führung gelegt werden. Ziel ist es, die bisherige
Forschung zu unterschiedlichen Formen schlechter Führung zusammenzufassen, deren
Bedeutung für die Gesundheitsbeeinträchtigungen von Beschäftigten zu analysieren
und Möglichkeiten für Prävention und Intervention aufzuzeigen. Denn oft genug wird
– anders als im Drucker-Zitat – den Mitarbeitenden die Arbeit nicht nur schwer, sondern
die Beschäftigten selbst dabei krank gemacht.
Um zu verstehen, wie negative Formen von Führung sich auf die Gesundheit von
Geführten auswirken, lohnt es sich, zunächst allgemein die Möglichkeiten und Grenzen
von Führungskräften zu analysieren, die Gesundheit der ihnen unterstellten Personen
zu beeinflussen. Gesundheit kann dabei im Sinne der WHO (1986) als mehr als die
Abwesenheit von Krankheit verstanden werden (Franke et al., 2015), sondern beschreibt
„a state of complete physical, mental and social well-being […].Health is a positive
concept emphasizing social and personal resources, as well as physical capacities“.
Diese persönlichen und sozialen Ressourcen und physische Leistungsfähigkeit können
auf direkte und indirekte Weise durch Führungskräfte beeinflusst werden (Franke et
al., 2015). Einerseits wirkt die Art des Führungsverhaltens direkt auf das psychische
und physische Befinden, andererseits gestalten Führungskräfte Arbeitsumgebungen
und fungieren als Vorbilder in Bezug auf Gesundheitsverhalten und nehmen damit
indirekten Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden. Beide Einflusslinien werden
in den kommenden Ausführungen zu einer gesundheitsignorierenden einerseits und einer
gesundheitsschädigenden Führung andererseits betrachtet werden.
2 Gesundheitsignorierende Führung
Laissez-faire Führung als passiv-ineffektive Variante von Führung ist ein Phänomen,
das seit mehreren Jahrzehnten in der Führungsforschung bekannt ist, aber selten im
Fokus des Interesses stand. Eine der ersten Betrachtungen von Laissez-faire findet sich
bereits in der Studie von Kurt Lewin und seinen Kollegen (Lewin et al., 1939), in der
die Wirkungen unterschiedlicher Führungsstile (autoritär, demokratisch, Laissez-faire)
in Jugendgruppen untersucht wurden. Diese sogenannte Nicht-Führung zeichnet sich
dadurch aus, dass die Führungsperson die Verantwortung und Aufgaben ihrer Position
kaum oder gar nicht wahrnimmt. Die Geführten finden sich in einer Situation, in der die
Führungsperson in Aufgabenverteilung, Vereinbarung und Kontrolle von Zielen nur in
Notfällen eingreift, kaum Informationen oder Feedback gibt oder bei Problemen unter-
stützt, sondern die Geführten im Wesentlichen sich selbst überlässt (vgl. Schilling, 2020).
Krankmachende Mitarbeiterführung - „Zu Risiken und Nebenwirkungen … 139
Da Teambesprechungen fehlen und die Führungskraft oft nicht erreichbar ist, müssen
Mitarbeitende sich selbst organisieren und auch Entscheidungen treffen, die ihren
Kompetenzrahmen meistens überschreiten. Es entsteht nicht selten eine informelle
Führung im Team (vgl. Yukl, 2012), bei der einzelne oder mehrere Personen das ent-
standene Führungsvakuum füllen (müssen). Laissez-faire Führung sollte nicht mit dem
kooperativen Führungsstil verwechselt werden (auch wenn dies oft ein schmaler Grat
ist; vgl. Wong & Giessner, 2018). „Während letztere Freiräume für eine eigene Ent-
scheidungsfindung bei Mitarbeitern ermöglichen möchte, ist erstere durch Freiheiten im
Sinne einer fehlenden Zielrichtung für die Aktivitäten der Mitarbeiter gekennzeichnet“
(Schilling, 2020, S. 129). Insoweit ist kooperative Führung durch die Einbeziehung von
Mitarbeitenden gekennzeichnet, damit diese den Weg zur Zielerreichung maßgeblich
selbst bestimmen können, während Laissez-faire Führung sich mehr im Alleinlassen
der Geführten zeigt, in einem blinden Vertrauen darauf, dass alle wissen, was wie zu tun
ist. Trotz der langen Zeit seit ihrer ersten Beschreibung durch Lewin hat die Forschung
das Konzept der Laissez-faire Forschung eher stiefmütterlich behandelt und selten in
den Fokus des Interesses genommen (Hinkin & Schriesheim, 2008). Insbesondere die
Ursachen von Laissez-faire Führung sind leider wenig erforscht, sodass eher über mögliche
Zusammenhänge spekuliert werden muss. Es lassen sich dabei personale und situative
Faktoren unterscheiden, die zum Entstehen von Laissez-faire Führung beitragen können.
In Bezug auf die Person des/r Führenden erscheint es plausibel, drei Aspekte für die
Entstehung von Laissez-faire Führung genauer zu betrachten. Zunächst ist dabei auf die
Motivlage von Führungskräften einzugehen: Die vermeidende Tendenz des Anschluss-
motivs (d. h. Furcht vor Zurückweisung) zeigt positive Beziehungen zu Laissez-faire
Führung (Furtner, 2012; Elprana et al., 2016). Umgekehrt gibt es einen negativen
Zusammenhang zwischen dem affektiven Führungsmotiv (d. h. Spaß und Freude daran,
Führung und Verantwortung für Mitarbeitende zu übernehmen; vgl. Chan & Drasgow,
2001) und Laissez-faire Verhalten (Elprana & Felfe, 2019). Als zweiten Faktor lässt sich
die Persönlichkeit des/r Führenden in Betracht ziehen. Mit Blick auf das bekannte Big-
Five Modell der Persönlichkeit (Costa & McCrae, 1992) ist insbesondere der Aspekt
der Extraversion (d. h. die Tendenz, sozial, selbstbewusst, kommunikativ und aktiv in
Interaktionen mit anderen Personen einzutreten) als bedeutsam für Laissez-faire zu ver-
muten. Es zeigte sich im Rahmen einer Meta-Analyse, dass Extraversion insbesondere
das Ergreifen einer Führungsrolle in einer sozialen Situation (leadership emergence)
begünstigt (Judge et al., 2002). Insoweit ließe sich umgekehrt vermuten, dass introver-
tierte Personen in einer Führungsrolle dazu tendieren könnten, eher zurückhaltend, wenig
aktiv und kommunikativ (und damit in Richtung einer Laissez-faire Führung) zu agieren.
Schließlich könnte ein bestimmtes Rollenverständnis Laissez-faire Führung begünstigen
(vgl. Schilling, 2020). Falls Führungskräfte gerade auf unteren Führungsebenen den
hauptsächlichen Fokus ihrer Arbeit auf Fachaufgaben richten, dann kann die eigentliche
Führungsarbeit mit den Mitarbeitenden schnell in den Hintergrund rücken und wird ggf.
als Zusatzaufwand angesehen, der einen von den „eigentlichen“ Aufgaben ablenkt.
140 J. Schilling
Auch die Analyse situativer Faktoren bleibt zu einem gewissen Teil mangels
empirischer Forschung spekulativ. Nichtsdestotrotz scheint es plausibel, dass die Menge
von fachlichen Aufgaben, die mit einer bestimmten Führungsposition verbunden sind,
einen Einfluss auf das Entstehen von Laissez-Faire Verhalten haben sollte. Je mehr
fachliche Resttätigkeiten als zusätzliche Arbeitsbelastung eine Führungskraft in ihrer
Position zu erledigen hat, desto weniger Zeit bleibt für die Interaktion mit den Geführten
(vgl. Schilling, 2020). Neben solchen strukturellen Merkmalen ist schließlich noch die
Organisationskultur als Einflussfaktor zu betrachten. In Anlehnung an Vince und Saleem
(2004) lassen sich sog. Sündenbockkulturen (blame culture) als ein organisationales
Umfeld bezeichnen, in dem Personen, die von üblichen Verhaltensweisen, sozialen oder
organisationalen Normen abweichen oder Fehler in Entscheidungen und/oder Hand-
lungen begehen, mit repressiven Maßnahmen rechnen müssen (Pearn & Mulrooney,
2017). Wenn Führungskräfte Angst haben, Fehler zu machen, weil sie dann mit massiver
Bestrafung zu rechnen haben, so kann dies lähmend auf die Führungsarbeit wirken.
Gerade in einem organisationalen Umfeld, das durch Intransparenz und Ambiguität von
Regeln und Vorgaben gekennzeichnet ist (vgl. Balkin, 1999), könnte dies der Fall sein.
Schilling (2017) weist darauf hin, dass selbst gut gemeinte Forderungen wie eine Null-
Toleranz-Politik gegenüber destruktiver Führung ungeahnte Nebenwirkungen haben
könnten, da so über das Abstrafen von vermeintlichen Übeltätern in Führungspositionen
eine Laissez-faire Führungskultur vorangetrieben werden könnte.
Wenn es um die Fragen nach den Wirkungen von Laissez-faire Führung geht, so
sieht die Befundlage deutlich besser aus (vgl. Schilling, 2020). Mit Blick auf den Fokus
der vorliegenden Darstellung soll im Folgenden vor allem auf gesundheitsrelevante
Aspekte eingegangen werden. Laissez-faire Führung geht einher mit einem erhöhten
Niveau von Rollenstress, -überforderung und -ambiguität (Barling & Frone, 2016;
Hinkin & Schriesheim, 2008; Skogstad et al., 2014). Lundmark et al. (2021) zeigen in
einer Längsschnittstudie, dass eine fehlende Rollenklarheit negative Auswirkungen
auf das Wohlbefinden von Beschäftigten haben kann. Mitarbeitende müssen auf-
grund der fehlenden Anleitung und Vorgaben extrem eigenständig agieren, ohne sicher
sein zu können, im Sinne der Führungskraft zu handeln (Schilling, 2020). Eine solche
bewusste Überschreitung der eigenen Kompetenzen, um weiterarbeiten zu können, ver-
ursacht Stress und Unsicherheit bei den betroffenen Personen. Das könnte auch eine
Erklärung sein für den positiven Zusammenhang zwischen Laissez-faire Führung und
der (psychischen) Belastung der Mitarbeitenden einerseits (Skogstad et al., 2007) und
den negativen Zusammenhang mit mentaler Gesundheit andererseits (Sabbah et al.,
2020). In ähnlicher Weise finden Trépanier et al. (2019), dass Laissez-faire Führung die
mentale Gesundheit beeinträchtigt und dabei über Burnout-Erleben und ein verringertes
affektives Commitment die Leistung schädigt (ähnliche Ergebnisse berichten Buch
et al., 2015). Diebig und Bormann (2020) zeigen in einer aufwendigen Tagebuchstudie,
dass nicht nur Laissez-faire Führungsverhalten und Stresserleben zusammenhängen,
sondern auch eine starke Variabilität von Laissez-faire stressinduzierend wirken kann.
Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine inkonsistente Form von Führung (mal
Krankmachende Mitarbeiterführung - „Zu Risiken und Nebenwirkungen … 141
nicht führend, mal sich stärker einmischend) eine spezielle Belastung für Mitarbeitende
bedeutet. Schließlich wurde die Bedeutung von Laissez-faire Führung mit Blick auf
Konflikte im Team und Mobbing untersucht (Skogstad et al., 2007). Da eine Führungs-
kraft, die ihre Rolle im Sinne der Laissez-faire Führung umsetzt, wenig bis gar nicht
in das Organisationsgeschehen eingreift, vermutet Schilling (2020), dass ggf. andere
Personen eine informelle Führungsrolle annehmen. Dies führt aber unter Umständen zu
Schwierigkeiten zwischen den Teammitgliedern, da nicht unbedingt alle Personen bereit
sind, Anweisungen oder Entscheidungen von ihnen eigentlich formal gleichgestellten
Kollegen zu akzeptieren. Glambek et al. (2018) können zeigen, dass Laissez-faire
Führung bei einem einmal entstandenen Mobbing-Prozess auch zu dessen Aufrecht-
erhaltung beiträgt. Das ist nachvollziehbar, da die Laissez-faire Führungskraft eben nicht
eingreift und somit arbeitsplatzbezogene Feindseligkeiten nicht unterbindet. Ågotnes
et al. (2021, S. 423) kommen zu ähnlichen Resultaten und konstatieren, dass Laissez-
faire Führung „is an important component in the development of conflict escalation
and workplace bullying“. Insgesamt wird deutlich, dass Laissez-faire Führung als eine
gesundheitsignorierende Form des Vorgesetztenverhaltens eine Reihe von negativen
Effekten mit Blick auf Wohlbefinden und Gesundheit der Beschäftigten auslöst oder
zumindest begünstigt.
3 Gesundheitsschädigende Führung
wie Antreiben oder Drohen für den Fall einer nicht-rechtzeitigen Erledigung von Tätig-
keiten. Es wird geschätzt, dass zwischen 10 und 16 % aller Mitarbeitenden in den USA
von einer solchen Führung direkt und aktuell betroffen sind (Tepper et al., 2006).
Während im Alltag oft angenommen wird, dass diese Art destruktiven Führungs-
verhaltens vor allem mit Charaktermerkmalen der Führungskraft zusammenhängt,
legt die bisherige Forschung eher nahe, dass bestimmte Situationsmerkmale in der
Organisation maßgeblich die Entstehung despotischer Führung begünstigen (siehe dazu
auch die beiden Beiträge von Pundt und Rödel in diesem Buch). Der sog. fundamentale
Attributionsfehler bezeichnet die Neigung, eher Personenmerkmale (z. B. Motive,
Charakter- oder Persönlichkeitsmerkmale) als Ursache für bestimmtes Verhalten bei
anderen Menschen anzunehmen (Ross, 1977). Im Kern würde man davon ausgehen,
dass Vorgesetzte despotisch führen, weil sie eine „negative Persönlichkeitsstruktur“
(im Alltag: „Fiesling“, „Psychopath“ oder ähnliches) aufweisen. Bisherige Studien ver-
weisen demgegenüber auf zwei Entstehungswege (Schilling, 2020), bei denen Persön-
lichkeitsmerkmale eine unterstützende Rolle spielen können. Die sog. „Kaskade
despotischer Führung“ beginnt damit, dass Führungskräfte sich selbst ungerecht (z. B.
durch mangelnden Einbezug in Entscheidungen, Nicht-Gewähren einer Beförderung,
negativer, nicht-wertschätzender Umgang) durch (eine) ihnen übergeordnete Person(en)
behandelt fühlen. Gerade in stark hierarchischen Organisationen wird die dabei erlebte
Frustration dann in Form einer verschobenen Aggression an unterstellte Mitarbeitende
weitergegeben (Aryee et al., 2007; Mawritz et al., 2012). Die Aggression ist inso-
weit verschoben, als nicht die eigentlich den Ärger auslösende Person als Ziel der
eigenen Aggression ausgewählt wird (da es sich um einen Vorgesetzten handelt, besteht
gegebenenfalls Angst vor den Folgen einer solchen Handlung). Stattdessen werden ins-
besondere solche Mitarbeitende zum Ziel des Frusts, die als provozierend oder schwach
wahrgenommen werden (Aquino et al., 1999). Neben diesem top-down Prozess lässt
sich eine andere Art der Entstehung despotischer Führung beschreiben, die natürlich
auch mit der erläuterten Kaskade in Zusammenhang stehen kann. Hierbei reagiert eine
Führungskraft auf ein aus ihrer Sicht unpassendes Verhalten oder Minderleistungen von
Mitarbeitenden in einer aus Sicht der Geführten feindseligen Weise (Liang et al., 2016;
Mawritz et al., 2016; Pan & Lin, 2016). Das Verhalten der Führungskraft entsteht dabei
im Regelfall aus dem Moment heraus als impulsive Reaktion. Da häufig wiederum die
Mitarbeitenden auf dieses für sie feindselige Verhalten der Führungskraft reagieren
werden, entsteht eine sog. Abwärtsspirale in der Qualität der Führungsbeziehung, bei
der sich abwechselnd Führungskraft und betroffene Mitarbeitende für frühere Erlebnisse
oder Verhaltensweisen der anderen Partei „rächen“ (Schilling, 2020).
Beide Entstehungsmechanismen verdeutlichen, dass despotische Führung maßgeblich
von situativen Faktoren abhängig und nicht nur ein Problem „schlechter Menschen“
ist. Nichtsdestotrotz gibt es Persönlichkeitsmerkmale, Motive und Einstellungen, die
die Wahrscheinlichkeit von Kaskaden und/oder Abwärtsspiralen despotischer Führung
erhöhen können. Hier sind vor allem eine mangelnde Verträglichkeit und Empathie der
Führungskraft, Narzissmus, Autoritarismus (d. h. der Wunsch nach Kontrolle über Mit-
Krankmachende Mitarbeiterführung - „Zu Risiken und Nebenwirkungen … 143
arbeitende, Erwartung von Gehorsam und eine ausgeprägte Machtdistanz), ein feind-
seliger Attributionsstil der Führungskraft (also die Tendenz, Verhaltensweisen anderer
Personen negative Absichten zuzuschreiben), eine fehlende Achtsamkeit (Fähigkeit zur
Selbstkontrolle bei emotionalen Erfahrungen) und eine ausgeprägte bottom-line Mentali-
tät (d. h. die Tendenz zu einem eher eindimensionalen Denken, wie das wirtschaftliche
Ergebnis gesichert werden kann, ohne andere Prioritäten oder Nebenwirkungen zu
beachten) zu nennen (Aryee et al., 2007; Liang et al., 2016; Mawritz et al., 2016; Tepper,
2007). In Bezug auf Mitarbeitende betont Tepper (2007), dass bestimmte Merkmale
die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Opfer despotischer Führung zu werden (insbesondere,
wenn diese als schwach, aggressiv und/oder schwierig im Umgang wahrgenommen
werden; Aquino & Bradfield, 2000; Aquino & Byron, 2002).
Während die Forschung zu den Ursachen despotischer Führung noch deutlich ausbau-
fähig ist, gibt es inzwischen eine Vielzahl von Befunden zu deren Folgen, die an ver-
schiedenen Stellen bereits zusammengefasst wurden (Martinko et al., 2013; Schilling,
2017, 2020; Schyns & Schilling, 2013). Hier soll deshalb wiederum der Fokus auf
den gesundheitsrelevanten Aspekten despotischer Führung liegen. So geht das Erleben
eines feindseligen Führungsverhaltens mit einem erhöhten Niveau von Stresserleben,
depressiven Verstimmungen und einem geringeren Selbstvertrauen einher (z. B. Chen
& Kao, 2009; Tepper, 2000). Auch das Gerechtigkeitserleben (z. B. Tepper, 2000),
das allgemeine Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit (z. B. Hobman et al., 2009;
Burris et al., 2008) sinken, während das Entstehen psychischer und physischer Gesund-
heitsbeschwerden (z. B. Lin et al., 2013; Mullen et al., 2018), häusliche Konflikte (z. B.
Hoobler & Brass, 2006) und die Gefahr eines problematischen Alkoholkonsums (z. B.
Bamberger & Bacharach, 2006) steigen. Es wird deutlich, dass despotische Führung
erheblich gravierendere Konsequenzen für die Betroffenen hat als eine gesundheits-
ignorierende Führung im Sinn eines Laissez-faire Führungsstils. Nicht zu unterschätzen
ist dabei die Gefahr psychischer und physischer Erkrankungen, da das Erfahren von
despotischer Führung über einen längeren Zeitraum als massiver sozialer Stressor anzu-
sehen ist.
Abschließend sollte festgehalten werden, dass despotische Führung (abusive super-
vision) sicherlich ein Kernkonzept der Führungsforschung ist, aber es noch andere
Formen gesundheitsgefährdender Führung gibt. Schilling und Schyns (2021) geben
einen Überblick über die unterschiedlichen Facetten destruktiver (und ineffektiver)
Führung und machen deutlich, wie groß der Forschungsbedarf in Bezug auf solche
Facetten jenseits despotischer Führung noch ist. Beispielhaft lassen sich die Konzepte
der ausbeutenden Führung (exploitative leadership; Schmid et al. 2019) oder der
tyrannischen Führung (tyrannical leadership; Einarsen et al. 2007) nennen. Während
despotische Führung keine wie auch immer geartete Intentionalität impliziert, würde
ausbeutende Führung vor dem Hintergrund des egoistischen Eigeninteresses der
Führungskraft zu verstehen sein, die Mitarbeitende ausnutzt und antreibt, um selbst in
der Karriere voranzukommen. Tyrannische Führung wiederum wird so verstanden,
dass die Interessen der Organisation durch den Vorgesetzten rücksichtslos durchgesetzt
144 J. Schilling
werden (quasi ein Antreiben zu Höchstleistungen), ohne die Bedürfnisse der Geführten
zu beachten. Beide Führungsformen sind bisher wenig untersucht, sie sind von ihrer
Konzeption her tendenziell (in einer negativen Weise) aufgabenorientierter als die
despotische Führung, die eher auf der persönlichen Ebene wirkt (also eine destruktive
Form der „Mitarbeiterorientierung“). Für beide Arten destruktiver Führung scheint es
aber plausibel, dass sie mittel- bis langfristig auch und gerade unter Gesundheitsgesichts-
punkten problematische Wirkungen haben werden (erste Hinweise dazu für ausbeutende
Führung: Mahjeed & Fatima, 2021).
Impuls einer (verschobenen) Aggression heraus (despotische Führung) oder gezielt zur
Leistungssteigerung (ausbeutende oder tyrannische Führung) Feindseligkeiten aussetzt.
Die negativen Folgen für die Gesundheit der Mitarbeitenden werden nicht gesehen,
bewusst ignoriert oder schlimmstenfalls als Provokation aufgefasst (im Sinne der
Abwärtsspirale despotischer Führung). So zeigen sich als Ergebnisse der krank-
machenden Führung systematische Probleme mit Stresserleben und Burnout,
psychischen und physischen Beschwerden und Erkrankungen. Wenn die Mitarbeitenden
und Führungskräfte einer Organisation sich über einen längeren Zeitraum in einer
solchen Lage wiederfinden, so ist mit einer negativ-destruktiven Einstellung gegen-
über der Gesamtorganisation zu rechnen, die diese Zustände nicht nur nicht abstellt,
sondern im schlimmsten Fall befördert. Diese Einstellung ist von Dean et al. (1998)
als organisationaler Zynismus beschrieben worden, der eine Haltung gegenüber dem
eigenen Arbeitgeber beschreibt, die durch Misstrauen gegenüber dessen Motiven und
Hintergedanken gekennzeichnet ist. Diskrepanzen in Handeln und Entscheidungen
werden als Böswilligkeit interpretiert und der Unternehmensleitung Eigennutz, Doppel-
züngigkeit und sowie Skrupellosigkeit unterstellt (vgl. Dean et al., 1998; Schilling
& May, 2016). Diese Wahrnehmung ist gepaart mit starken negativen Emotionen (wie
Enttäuschung, Scham oder Verärgerung bis hin zu Verachtung und Abscheu) sowie
146 J. Schilling
zynischen Verhaltensweisen wie verbaler und nonverbaler Kritik, die in der Regel
abwertend oder spöttisch vorgebracht wird (vgl. Kim et al., 2009; Litzcke et al., 2012;
Schilling & May, 2016). Auch wenn es sich dabei um eine individuelle Einstellung
von Organisationsmitgliedern handelt, kann – wenn das Phänomen um sich greift –
auch ein zynisches Klima entstehen, das die Kommunikation und Interaktion in einer
Organisation maßgeblich prägt.
Angelehnt an dieses „Haus krankmachender Führung“ (vgl. Abb. 1) lassen sich konkrete
Maßnahmen benennen, mit denen eine solche Führungsarbeit vermieden oder zumindest
eingeschränkt werden kann. Gerade die genannten organisationskulturellen Elemente
(Sündenbocksuche, Hierarchie und bottom-line Mentalität, Ambiguität) müssen durch
geeignete Gegenmaßnahmen gekontert werden, um krankmachender Führung die Basis
zu entziehen.
Dabei ist eine Kultur des Lernens (Schilling, 2017) bedeutsam, d. h. eine soziale
Umgebung, die arbeitsbezogene Weiterentwicklung fördert (vgl. Schilling & Kluge,
2004). Es geht um das Schaffen von konkreten Lerngelegenheiten wie Lern- und Quali-
tätszirkel, Maßnahmen der Personalentwicklung (z. B. Weiterbildung, Coaching,
Mentoring, etc.), die auch einen tatsächlichen Lerntransfer in die Praxis sicherstellen,
aber vor allem Maßnahmen der Organisationsentwicklung, in denen es darum gehen
muss, gemeinsam zu diskutieren, wie in der Organisation mit Fehlern umgegangen
werden kann und soll. Gegebenenfalls können die dabei definierten Umgangsformen
auch in Leitsätzen festgehalten werden. Wichtiger aber ist eine offene Diskussion im
Zuge der Erstellung solcher Leitsätze über die Problematik der Sündenbocksuche, um
Alternativen zu simplen Bestrafungsmechanismen zu finden und konstruktive Wege
eines organisationalen Lernens aus Fehlern zu finden (vgl. Putz et al., 2012). Mit Blick
auf die Problematik von übermäßig ausgeprägter Hierarchie und bottom-line Mentali-
tät lässt sich mit Aryee et al. (2007) darauf hinweisen, eine Kultur der Fairness aufzu-
bauen. Angelehnt an die Forschung zur organisationalen Gerechtigkeit (Colquitt et al.,
2001) geht es darum, Entscheidungsprozesse fair und transparent zu gestalten und Mit-
arbeiter insbesondere bei Entscheidungen, die sie persönlich betreffen, einzubeziehen
(prozedurale Gerechtigkeit). Aber auch die Be- und Entlohnungssysteme sollten so ein-
gerichtet werden, dass sie eine Leistungsgerechtigkeit ermöglichen, d. h. nach nach-
vollziehbaren Kriterien die Beiträge der Mitarbeiter mit entsprechenden Belohnungen
in Zusammenhang bringen. Beides schafft eine Transparenz, die gleichzeitig geeignet
ist, der Problematik von Ambiguität entgegenzuwirken. Schließlich sollten Mit-
arbeitende und Führungskräfte von ihren jeweiligen Vorgesetzten in einer konstruktiven
Weise behandelt werden (interaktionale Gerechtigkeit), was insbesondere in Bezug
auf das Top-Management (angesichts des Kaskadeneffekts despotischer Führung) von
Krankmachende Mitarbeiterführung - „Zu Risiken und Nebenwirkungen … 147
besonderer Bedeutung ist. Schilling (2017) verweist auf ein drittes Kulturmerkmal,
das die Entstehung krankmachender Führung verhindern oder zumindest einschränken
kann. Eine Kultur des Empowerments (Padilla et al., 2007), also die Stärkung der Auto-
nomie und Selbstbestimmung der Mitarbeitenden, unterstützt die Eigeninitiative der
Mitarbeitenden und schränkt den Gebrauch (und vor allem Missbrauch) hierarchischer
Macht ein. Empowerment bedeutet, dass Mitarbeiter ermutigt werden sollen, gegen
Ungerechtigkeiten und unpassende Führung aufzubegehren: entweder direkt gegen-
über der Führungskraft deutlich machen, wie ihr Führungsverhalten wirkt, oder notfalls
indirekt gegenüber anderen Stellen wie beispielsweise der Personalabteilung, Vertrauens-
personen (Ombudsstellen) oder dem Betriebsrat (vgl. Schilling, 2017).
Verschiedene Autoren verweisen darauf, dass kulturelle Grundsätze nur dann eine
tiefere Wirkung entfalten können, wenn sie an konkrete Handlungsanweisungen (Ein-
arsen et al., 2010; Padilla et al., 2007) gebunden sind, beispielsweise in Form von
Betriebsvereinbarungen, Personalbeurteilungen oder regelmäßige Mitarbeiterbe-
fragungen. Solche Maßnahmen werden natürlich nur längerfristig wirksam sein, wenn
sie konkrete Folgen haben (z. B. Gespräche mit den Vorgesetzten, Entscheidungen über
Beförderungen und Personalentwicklungsmaßnahmen, im Negativfall: Abmahnungen
oder andere Sanktionen). All diese Maßnahmen haben damit auch eine indirekte
Wirkung auf das Klima der psychologischen (Un)Sicherheit. Die zentrale Rolle spielen
hier die handelnden Führungspersonen und inwieweit sie in der Lage sind, eindeutige
Werte, Zielrichtungen und Prozesse vorzugeben und vorzuleben. Mit Blick auf eine
gesundheitsorientierte Führung wird es maßgeblich darum gehen, die von Sutton (2007)
geschilderte Trennung zwischen der Leistung einer Führungskraft und ihrem Führungs-
verhalten aufzuheben. In der Praxis wird negatives oder destruktives Führungsverhalten
eines Vorgesetzten oft geduldet, wenn „die Ergebnisse stimmen“. Ob die (kurzfristigen)
wirtschaftlichen Erfolge beispielsweise durch tyrannisches Führungsverhalten oder
die fachliche Qualität der Mitarbeitenden (die das Laissez-faire Verhalten auffangen)
erzielt werden, wird dann leider oft nicht hinterfragt. Dies kommt einer impliziten
Förderung einer (mittel- und langfristig) gesundheitsignorierenden oder gar gesundheits-
schädigenden Führung gleich.
Neben Maßnahmen der Organisationsentwicklung sind auch verschiedene Aspekte
der Personal- und Teamentwicklung geeignet, einer gesundheitsignorierenden oder
-schädigenden (Selbst-)Führung entgegenzuwirken. Hier sind Trainings zu nennen,
die aktuellen und/oder potentiellen Führungskräften die Bedeutung von Gesundheit im
Arbeitsleben und Vorbildrolle der Führungskraft (Franke et al., 2015), aber auch die
Gefahren gesundheitsignorierenden oder -schädigenden Führungsverhaltens deutlich
machen (Duffy et al., 2002; Einarsen et al., 2010), ethische Standards der Führungsarbeit
mit ihnen diskutieren (Padilla et al., 2007) und sie in Bezug auf interpersonale Fertig-
keiten zum Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen mit den eigenen Mitarbeitern hin
entwickeln (Aryee et al., 2007). Auch Coaching, Mentoring oder Supervision können
wichtige Instrumente sein, damit Führungskräfte das eigene Verhalten reflektieren und
diskutieren können (vgl. Tepper et al., 2006). Gerade die Problematik des mangelnden
148 J. Schilling
6 Fazit
Quintessenz
• Gesundheitsgefährdende und gesundheitsignorierende Führung sind ein
Problem in vielen Unternehmen und werden meistens mehr durch den
organisationalen Kontext als durch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale der
Führungskräfte hervorgerufen.
• Sündenbockkultur, ausgeprägte Hierarchien, Ambiguität, bottom-line Mentali-
tät und das daraus resultierende Klima der psychologischen Unsicherheit
Krankmachende Mitarbeiterführung - „Zu Risiken und Nebenwirkungen … 149
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Prof. Dr. Jan Schilling ist seit dem 1. Oktober 2022 Professor für
Personal- und Organisationspsychologie mit dem Schwerpunkt
Leadership und Organisationsentwicklung an der Fachhochschule
Bielefeld im Bereich Wirtschaftspsychologie. Zuvor war er
Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der
Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen
(HSVN). Er forscht zu den Themen Führung (insbesondere
destruktive und inkonsistente Führung), organisationaler Zynismus
(negative Einstellungen von Mitarbeitern gegenüber ihrem Unter-
nehmen) und organisationales Lernen (insbesondere Lernen aus
Fehlern). Seit 2010 leitet er gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Johanna
Groß das Zentrum für Organisationsdiagnostik an der HSVN,
welches in Kooperation mit Kommunen und Unternehmen
Befragungsprojekte zu verschiedensten Themen (Kunden- und
Bürger, Mitarbeiter- und Führungskräftebefragungen) durchführt.
Schutzfaktoren gegen Stress – Hornhaut für die
Seele
Evidenzbasierte Resilienzfaktoren als
Ansatz zur Verhaltensprävention bei
Erwachsenen
Isabella Helmreich
1 Einleitung
I. Helmreich (*)
Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) gGmbH, Mainz, Deutschland
E-Mail: Isabella.Helmreich@lir-mainz.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 157
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_9
158 I. Helmreich
2 Psychologische Resilienzforschung
Die psychologische Resilienzforschung beschäftigt sich seit nahezu einem halben Jahr-
hundert mit der Frage, wie Menschen ein gutes Leben führen und über die Lebens-
spanne hinweg seelisch gesund bleiben können. Der Begriff Resilienz leitet sich vom
lateinischen resilire (deutsch: abprallen, zurückspringen) ab und beschreibt die Eigen-
schaft elastischer Werkstoffe, nach einer Verformung wieder in ihre Ausgangsform
zurückkehren. Der Begriff wurde von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen
aufgegriffen (z. B. Psychologie, Neurobiologie, Soziologie, Politikwissenschaften,
Urbanistik) und wird als sogenanntes „traveling concept“ in diversen Kontexten ein-
gesetzt (z. B. bei Individuen, Unternehmen, Gesellschaften, Ökosystemen).
In der psychologischen Resilienzforschung wird unter Resilienz die Aufrecht-
erhaltung bzw. rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach
stressvoller Lebensereignisse verstanden (Kalisch et al., 2017).
Resilienz erfordert somit das initiale Vorliegen eines bedeutsamen Stressors (= Auslöser
einer Stressreaktion) und drückt sich in der erfolgreichen Bewältigung dieses Stressors
aus. Drei unterschiedliche Bewältigungsverläufe werden hier unterschieden:
1. Resistenz gegenüber dem Stressor, d. h. es entwickeln sich keine psychischen Dys-
funktionen,
2. Regeneration, d. h. temporäre Dysfunktionen mit anschließender Wiedererlangung
der psychischen Stabilität/Homöostase treten auf und
3. Rekonfiguration, d. h. ein besserer Zustand als vorher wird erreicht (Lepore &
Revenson, 2006). Hierunter fällt auch das Konzept der Posttraumatischen Reifung
(Tedeschi & Calhoun, 2004), die als eine positive persönliche Entwicklung infolge
der traumatischen Belastung definiert wird.
Evidenzbasierte Resilienzfaktoren als Ansatz … 159
Ein resilienter Verlauf ist nicht die Ausnahme, sondern eher die Norm. Untersuchungen
an Personen, die einem potenziell traumatischen Lebensereignis ausgesetzt waren (z. B.
Verkehrsunfall, lebensbedrohliche Erkrankung), konnten zeigen, dass etwa 35 % bis
65 % der untersuchten Personen psychisch gesund, also resilient, blieben (Bonanno
et al., 2011).
Resilienzdefinitionen in der Literatur sowie die Operationalisierung von Resilienz
sind sehr heterogen und es existiert kein aktueller Forschungskonsens (Chmitorz et al.,
2018; Sisto et al., 2019). Relative Übereinstimmung in der aktuellen Forschungsliteratur
herrscht jedoch darüber, dass Resilienz im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Modells in
folgende Komponenten untergliedert werden kann (Feder et al., 2019):
Als Konzept der Gesundheitsförderung (World Health Organization, 2005) stellt die
Resilienzforschung einen übergeordneten Ansatz dar, da sie zeitlich vor der Entstehung
psychischer Erkrankungen ansetzt, indem sie nicht nur Ursachen und Behandlungs-
möglichkeiten spezifischer Erkrankungen wie zum Beispiel Angststörungen oder
Depressionen untersucht, sondern diagnoseübergreifend übergeordnete Krankheits- und
Resilienzmechanismen identifiziert. Moderne Stress- bzw. Resilienzmodelle (vgl. Feder
et al., 2019) verdeutlichen, dass es neben internen und externen Vulnerabilitäts- bzw.
Risikofaktoren auch interne und externe protektive Faktoren gibt, die uns schützen. Ist
ein Individuum biologisch oder lebensgeschichtlich einem oder mehreren Risikofaktoren
ausgesetzt, erhöht sich zwar seine Wahrscheinlichkeit, psychische Beeinträchtigungen zu
entwickeln, dennoch können durch die Stärkung und das Training protektiver Faktoren
und guter Stressbewältigungsstrategien Dysfunktionen und Erkrankungen vorgebeugt
werden. Im Rahmen der Gen-Umwelt-Interaktion kann die Funktion von neuronalen
Netzwerken und Regelkreisen im Rahmen des Stresssystems geformt bzw. auch im
Rahmen des Entwicklungsprozesses und in Interaktion mit Resilienzfaktoren lebenslang
verändert werden (Feder et al., 2019).
Dieser ressourcenorientierte Ansatz, der sich an der Stärkung interner und externer
Resilienzfaktoren und Bewältigungskompetenzen orientiert, zielt somit einerseits darauf
ab, im Rahmen der primären Verhaltensprävention Risikofaktoren für Krankheiten zu
vermindern bzw. zu verhindern und zugleich im Rahmen der Gesundheitsförderung
Ressourcen und Kompetenzen sowie ein selbstbestimmtes gesundheitsorientiertes
Handeln zu stärken. Die Erforschung der Mechanismen der Resilienz und Stress-
bewältigung und der daraus abgeleiteten Entwicklung von resilienz- und gesund-
heitsfördernden Interventionen hat das Potential, zur Vermeidung stressbedingter
Folgeerkrankungen und zur Gesundheitsförderung wirkungsvoll beizutragen.
Durch die Erforschung gesundheitsförderlicher externer Ressourcen (z. B. resiliente
Organisationen, resilienter Städtebau) werden auch die Rahmenbedingungen (Verhält-
nisprävention) fokussiert. Basierend auf der Ermittlung von Gesundheitspotenzialen
und -risiken in den Lebenswelten können dadurch ganzheitliche Ansätze zum Auf-
bau und der Stärkung gesundheitsfördernder Lebensbedingungen und Strukturen
(z. B. Stadtteilgestaltung) unter möglichst direkter und kontinuierlicher Beteiligung
der Betroffenen (Partizipation) geschaffen werden (vgl. GKV-Spitzenverband, 2021).
Dies liefert wirkungsvolle Interventionsansätze im Rahmen der Verhältnisprävention,
Evidenzbasierte Resilienzfaktoren als Ansatz … 161
die in Kombination mit Maßnahmen der Verhaltensprävention ihre volle Wirkung ent-
falten können (vgl. Zhang et al., 2020). Basierend auf einem Umbrella-Review (k = 22)
zu Burnout-Prophylaxe bei Ärzte und Krankenpflegepersonal konnten beispielsweise
Zhang et al. (2020) aufzeigen, dass verhaltenspräventive Maßnahmen wie z. B. Stress-
bewältigungstrainings oder Workshops zur Selbstfürsorge oder Kommunikation kleine
Effekte bei der Reduktion von Burnout-Symptomen und assoziierten psychischen
Symptomen (z. B. Angst, Depression) zeigten. Reine verhältnispräventive Ansätze
(z. B. Arbeitsplatzgestaltung, Job Rotation), die jedoch die individuellen Bedürfnisse
der Arbeitnehmenden außer Acht ließen, zeigten keine signifikante Wirksamkeit in
der Reduktion der psychischen Symptome. Sie kamen zu dem Schluss, dass einzelne,
unabgestimmte Interventionen nicht ausreichen, um effektiv präventiv zu wirken,
sondern dazu ein Bündel von Strategien auf unterschiedlichen Ansatzebenen notwendig
ist, also auf individueller als auch struktureller Ebene, um Resilienz und psychische
Gesundheit wirkungsvoll zu steigern.
4 Psychologische Resilienzfaktoren
In Tab. 1 sind die aktuell in der Literatur gut belegten psychologischen Resilienz-
faktoren bei Erwachsenen aufgeführt, an denen verhaltenspräventive Interventionen zur
Resilienzstärkung ansetzen. Die Hinwendung zur Stärkung von Resilienzfaktoren und
Ressourcen hilft dabei, den Blick von der Defizit- zur Ressourcenorientierung zu wenden
und im Rahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention einzusetzen. Es kann in unter-
schiedlichen Kontexten (z. B. Arbeitskontext, Gemeindearbeit) und Zielgruppen (von der
Allgemeinbevölkerung bis hin zu klinischen Populationen) angewandt werden und ins-
besondere dazu genutzt werden, vulnerable Individuen – sowohl auf (neuro-)biologischer
als auch psychologischer Ebene – zu identifizieren und entsprechend zu fördern. Wichtig
ist jedoch zu beachten, dass Resilienz kontextspezifisch ist, sich also auch je nach
Kontext (z. B. privater versus Arbeitskontext) und zur Verfügung stehenden Ressourcen
(internen sowie externen) sowie Lebensbedingungen unterschiedlich entwickeln kann
und gegebenenfalls auch spezifisch gefördert werden muss. Arbeitnehmer sind beispiels-
weise unterschiedlichen Stressoren ausgesetzt, die sich – abhängig vom Arbeitskontext –
auf externe Faktoren (z. B. Lärm, Arbeitsplatzgestaltung) oder soziale Stressoren (z. B.
Rollenkonflikte, destruktive Führung) beziehen können oder auch interne Faktoren
(z. B. Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus) betreffen können (Bakker &
Demerouti, 2017; Britt et al., 2016). Deshalb ist eine detaillierte Analyse der Situation
notwendig, um herauszufinden, welche Ressourcen gestärkt werden müssen, um mit den
aktuellen Stressoren gut umzugehen. In bestimmten Kontexten macht es beispielsweise
mehr Sinn, die Selbstfürsorge der Mitarbeitenden und der Führungskräfte zu stärken,
Evidenzbasierte Resilienzfaktoren als Ansatz … 163
gesehen werden kann. Dadurch werden Ressourcen zur aktiven Bewältigung freigesetzt
(Jamieson et al., 2018; McRae et al., 2012).
Solche übergeordneten Mechanismen im Gehirn lassen sich durch spezifische Inter-
ventionen und innovative Methoden, z. B. Smartphone-basierte Ecological Momentary
Interventions (EMI) (vgl. Marciniak et al., 2020) oder Elektroenzephalografie (EEG)
basiertes Neurofeedbacktraining der Amygdala (z. B. Keynan et al., 2019), trainieren
(s. u.).
6 Verhaltenspräventive Interventionsansätze
Wie das bio-psycho-soziale Resilienzmodell (Feder et al., 2019) aufzeigt, kann
Resilienzförderung auf ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Einerseits kann direkt
beim Verhalten und den Gedanken mit psychologischen Interventionen angesetzt werden
oder andererseits an den entsprechenden Bedingungen (Settingansatz bzw. Verhält-
nisprävention). Neuere Ansätze versuchen zudem, mit innovativen Methoden (neuro-)
biologische Systeme (z. B. das Mikrobiom oder tieferliegende Gehirnstrukturen)
positiv zu beeinflussen. Insbesondere nichtinvasive Methoden wie die Pharmako-
therapie oder bildgebende Verfahren wie Neurofeedback bzw. neuere Methoden wie die
Transkranielle Magnetstimulation (TMS) oder die Transkranielle Ultrasound-Stimulation
(TUS) bringen neue Fortschritte und unterstützen den Trend zur personalisierten und
individualisierten Medizin und Psychotherapie. Aktuelle Studien konnten zeigen, dass
vulnerable Berufsgruppen wie Soldaten, Feuerwehrleute oder Polizisten von präventiven
Trainings profitieren können, die bildgebende Verfahren einsetzen. Keynan et al. (2019)
konnten beispielsweise klar darstellen, dass ein Elektroenzephalografie (EEG) basiertes
Neurofeedbacktraining der Amygdala bei gesunden Soldaten (n = 180) signifikant deren
Emotionsregulationsfähigkeit verbesserte und präventiv auf die Entwicklung psychischer
Symptome und Erkrankungen (z. B. einer Posttraumatischen Belastungsstörung) als
Resultat der belastenden und möglicherweise traumatisierenden Einsätze im Berufsalltag
wirkte.
Resilienz entwickelt und verändert sich über die Lebensspanne und je nach Ent-
wicklungsstadium (Kindheit, frühes und spätes Erwachsenenalter) setzen die Inter-
ventionen an unterschiedlichen Risiko- und Resilienzfaktoren an. In bestimmten
Entwicklungsphasen gibt es ein sogenanntes „window of plasticity“ des Gehirns
(McEwen & Morrison, 2013), das durch bestimmte Konstellationen und Gen-Umwelt-
Interaktionen gefördert werden kann (Kontext- und Zielgruppenspezifität). In der
frühen Kindheit ist es beispielsweise besonders zielführend, an den Umwelt- und inter-
personellen Faktoren anzusetzen (z. B. Erziehungskompetenz der Eltern, Stabilität der
Familie, Verfügbarmachung finanzieller oder soziale Unterstützung). Im Jugendalter
rücken dann Interventionen auf der Ebene der Schule und Gemeinde in den Vordergrund
sowie speziell abgestimmte verhaltenspräventive Maßnahmen (z. B. Interventionen zur
Depressionsprävention oder Emotionsregulation). Bei Erwachsenen liegt der Fokus
Evidenzbasierte Resilienzfaktoren als Ansatz … 167
dann vor allem auf der Stärkung spezifischer Resilienzfaktoren (siehe Tab. 1) und dem
Angebot von Präventionsprogrammen und Stressimpfungstrainings für besonders
gefährdete Zielgruppen (z. B. Führungskräfte, Ersthelfer, Gesundheitsfachpersonal).
Hierzu gibt es auch speziell für den Arbeitskontext entwickelte und evaluierte Inter-
ventionen, auf die im nächsten Abschnitt näher eingegangen wird. Bei Älteren sind
v. a. Interventionen indiziert, die dazu beitragen, gesund und resilient zu altern, indem
z. B. kognitive Fähigkeiten trainiert werden oder die körperliche Aktivität und die
aktive Integration in die Gemeinschaft gestärkt wird (Feder et al., 2019; Rönnau-Böse
& Fröhlich-Gildhoff, 2020). Insbesondere frühzeitige Präventionsansätze können in
jedem Lebensalter dazu beitragen, angemessene Strategien und Ressourcen im Umgang
mit Stressoren und kritischen Lebensereignissen zu entwickeln und stressassoziierten
Erkrankungen vorzubeugen.
Die größte Evidenz liegt für verhaltenspräventive Ansätze vor, die darauf abzielen, die
Resilienz und Fähigkeit zur Stressbewältigung bei Individuen oder Gruppen zu fördern,
sowohl im klinischen als auch nicht-klinischen Kontext (vgl. Liu et al., 2020). Unter dem
Begriff Resilienztraining werden Interventionen verschiedenster Art und methodischer
Fundierung für extrem heterogene Populationen (von gesund bis hin zu psychisch/
körperlich erkrankt oder traumatisiert) zusammengefasst, da es bisher keinen Gold-
Standard bzgl. Inhalt und Operationalisierung gibt (Chmitorz et al., 2018; Helmreich
et al., 2017). Viele Trainings setzten an der Stärkung evidenzbasierter Resilienzfaktoren
(siehe Tab. 1) oder an der Abschwächung der negativen Effekte durch die Stressor-
exposition an (z. B. am Hyperarousal bzw. der Überstimulation des Stresssystems,
seltener am Hypoarousal, obwohl auch das mit zum Teil negativen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen einhergeht). Dazu werden entsprechende Techniken eingesetzt,
die darauf abzielen, das neurobiologische Stresssystem positiv zu beeinflussen, wie
z. B. durch achtsamkeitsbasierte Verfahren, um Hyperarousal entgegenzuwirken. Dabei
kommen unterschiedliche Darbietungsformate (z. B. internetbasiert, telefonisch, face-
to-face, multimodal), Settings (z. B. Gruppen- oder Einzelsitzung), Interventions-
arten (z. B. im Eigenstudium, therapeutengestützt oder Kombination aus beidem) und
Trainingsintensitäten (z. B. < 12 h = niedrig bis ≥ 24h = hoch) zum Einsatz. Hetero-
genität besteht auch bei der theoretischen Fundierung und reicht von ausschließlich auf
der kognitiven-Verhaltenstherapie (KVT) basierten Interventionen über achtsamkeits-
basierte Verfahren, positive Psychologie, Akzeptanz- und Commitment-Therapie, Stress-
impfungstraining, supportive-expressive Gruppentherapie und Kombinationen aus diesen
bis hin zu nicht näher spezifizierten Inhalten. Leider bleibt zum aktuellen Zeitpunkt zu
konstatieren, dass sich viele Resilienztrainings nicht an den gegenwärtigen Konzeptionen
der Resilienzforschung hinsichtlich inhaltlicher Konzeption und Operationalisierung
(z. B. Resilienzdefinition, Einsatz adäquater Messinstrumente) orientieren. Resilienz
wird beispielsweise häufig mit den eingesetzten Fragebögen als Trait gemessen, was die
Veränderungssensitivität einschränkt. Objektivere Maße wie physiologische (z. B. Herz-
ratenvariabilität, Cortisol) oder leistungsbezogene (z. B. Produktivität, Absentismus)
werden selten eingesetzt, die Stressorexposition wird kaum gemessen. Insofern muss
168 I. Helmreich
sagen in diesem Kontext. Zukünftige Studien sollten auf klare Definitionen und eine
genaue Beschreibung der Wirkmodelle bei der avisierten Zielgruppe mit entsprechender
valider Operationalisierung und ausreichend großen Stichproben achten, um einen
besseren Näherungswert der Effektivität zu erhalten (vgl. Chmitorz et al., 2018). Ein
weiterer Schwachpunkt liegt darin, dass selten die Stressorexposition gemessen wird
und dadurch nicht klar bestimmt werden kann, ob die Resilienzintervention zu einem
besseren Bewältigungsverhalten beigetragen hat (Kalisch et al., 2021). Hier sind
Forschungsdesigns mit längeren Follow-up-Zeiträumen notwendig, die solche Variablen
miteinbeziehen. Auch Individual Participant Data Metaanalysen (IPD-MA), Netzwerk-
Metaanalysen und psychologische Netzwerkanalysen einzelner Konstrukte können hier
in Zukunft bessere Einsichten in den Resilienzprozess geben. Zudem können sich viel-
versprechende Ansätze ergeben, indem durch ein vorgeschaltetes Screening, sei es durch
(neuro-) biologische oder psychologische Marker, vulnerable Gruppen identifiziert und
mit speziell auf sie zugeschnittenen Interventionsprogrammen gestärkt werden.
Empfehlungen für einzelne Trainings oder Trainingskomponenten können auf-
grund der Heterogenität der eingeschlossenen Studien und Populationen, der trainierten
Konzepte und Trainingsinhalte sowie methodischer Schwachstellen (Studiendesigns,
Operationalisierung und Messung von Resilienz) aktuell noch nicht allgemeingültig
abgeleitet werden. Generell zeigen Interventionen, die kognitiv-verhaltensorientiert oder
achtsamkeitsbasiert sind, etwas höhere Effektstärken im Prä-Post-Vergleich und trainer-
gestützte Formate scheinen Formaten im Selbststudium überlegen zu sein (Kunzler
et al., 2020; Linz et al., 2020; Liu et al., 2020; Robertson et al., 2015). Hier fehlen
Dismantling-Studien. Auch bleiben aktuell Fragen der Implementierung hinsichtlich
der optimalen zeitlichen Implementierung, des Darbietungsformats oder der Trainings-
intensität offen oder liefern heterogene Ergebnisse, abhängig von der Zielgruppe. Trotz
dieser Einschränkungen belegen die durchgeführten Studien und Metaanalysen, das
Resilienztrainings effektiv die psychische Gesundheit und Stressbewältigungsfähig-
keiten steigern können und auch im Arbeitskontext eine wirksame Methode sind, die
Resilienz der Mitarbeitenden auf unterschiedlichen Ebenen zu steigern. Wenn möglich
sollten bereits evaluierte und im entsprechenden Kontext entwickelte Trainings ein-
gesetzt werden (Kunzler et al., 2020; Liu et al., 2020; Robertson et al., 2015; Vanhove
et al., 2015b).
Des Weiteren stellen internetbasierte Interventionen eine wertvolle Alternative
zu Präsenztrainings aufgrund ihrer flexiblen zeitlichen und örtlichen Passung an den
digitalen Lebensstil und ihrer ökonomischen Skalierbarkeit dar. Zudem hat das Ende
2019 verabschiedete „Digitale-Versorgung“-Gesetz den Weg frei gemacht, um wirk-
same digitale Anwendungen zur Resilienzförderung in die Regelversorgung zu bringen.
Generell zeigen sich bei digitalen Resilienz-Trainings kleine bis moderate positive
Effekte hinsichtlich der Stärkung von Resilienz und psychischer Gesundheit (Lehr
et al., 2018), die Datenlage ist jedoch auch hier noch nicht ausreichend belastbar (Díaz-
García et al., 2021). Hier ist weiterhin ein großer Forschungsbedarf angesiedelt, um
170 I. Helmreich
dieses effektive und skalierbare Instrument zur Stärkung der Gesundheitskompetenz und
Resilienz noch besser einzusetzen.
Zuletzt sei angemerkt, dass bei der Entwicklung von Resilienzinterventionen ein
klassisch westlich geprägtes Bild hinsichtlich Gesundheit und Krankheit vorherrscht
und auch die meisten Effektivitätsstudien in westlich geprägten Ländern (v. a. Europa,
Australien, Kanada und USA) durchgeführt wurden. Da Resilienz kontextspezifisch
ist, sollten Interventionen somit neben dem sozialen und arbeitsbezogenen auch den
kulturellen Kontext miteinbeziehen, um die beste Wirksamkeit in der entsprechenden
Zielgruppe zu erzielen.
7 Verhältnisprävention
Neben rein verhaltenspräventiven Programmen sollten natürlich auch nicht die Ansätze
der Verhältnisprävention vernachlässigt werden. Basierend auf einem Umbrella-Review
(k = 22) zu Burnout-Prophylaxe bei Ärzten und Krankenpflegepersonal konnten bei-
spielsweise Zhang et al. (2020) belegen, dass verhaltenspräventive Maßnahmen im
Allgemeinen kleine Effekte bei der Reduktion von Burnout-Symptomen (Maslach-
Bournout-Inventory) und assoziierten psychischen Symptomen wie Stress, Angst oder
Depression zeigten. Reine verhältnispräventive Ansätze dagegen, die die individuellen
Bedürfnisse der Arbeitnehmenden außer Acht ließen, zeigten keine signifikante Wirk-
samkeit in der Reduktion von Burnout-Symptomen. Die Autoren betonten deshalb, dass
bei einem komplexen Problem wie Burnout nicht eine einzelne Intervention ausreicht,
um effektiv präventiv zu wirken, sondern ein Bündel von Strategien auf unterschied-
lichen Ansatzebenen notwendig ist, also auf individueller als auch struktureller Ebene,
um Resilienz in diesem Bereich wirkungsvoll zu steigern.
Neben den individuellen Faktoren sollten somit im Rahmen der Prävention möglichst
auch die Rahmenbedingungen und Kontextfaktoren bei der Stärkung von Resilienz mit-
gedacht werden. Studien zu Resilienz vernachlässigen oft diese externen Faktoren und
Ressourcen, die zu Resilienz als Outcome beitragen, insbesondere auch die Lebens-
bedingungen. Resilienzforschung findet daher auch immer mehr Eingang als Prä-
ventionsansatz in Organisationen im Allgemeinen, da resiliente Organisationen in
wirtschaftlich schwierigen und volatilen Zeiten überleben und sogar gedeihen. Im März
2017 wurde die Relevanz des Themas mit einer eigenen Norm zur organisationalen
Resilienz (ISO 22316: Security and resilience – Organizational resilience – Principles
and attribute) durch die Internationale Organisation für Normung (ISO) hervorgehoben.
Durch die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (z. B. Corona-Pandemie,
Klimaveränderungen, erzwungene Migration) verschiebt sich der Fokus von der
individuellen Resilienz und rein verhaltenspräventiven Ansätzen immer mehr auf ver-
hältnispräventive Ansätze sowie auf gesellschaftliche Prozesse und sozioökologische
Faktoren, die dazu beitragen, Organisationen und ganze Gesellschaften resilient zu
halten. Hier wird auch immer deutlicher, wie wichtig der Einbezug kontextspezi-
Evidenzbasierte Resilienzfaktoren als Ansatz … 171
8 Ausblick
Quintessenz
• Resilienz ist ein multikausaler, multisystemischer lebenslanger dynamischer
Lern- und Entwicklungsprozess, der trainier- und veränderbar ist.
• Resilienz ist kontext- und zielgruppenspezifisch.
• Resilienzförderung sollte möglichst verhaltens- mit verhältnispräventiven
Maßnahmen verknüpfen, indem resiliente Konstellationen geschaffen werden
und resilientes Verhalten ermöglicht wird.
• Gold-Standards bzgl. Definition und Operationalsierung von Resilienz bzw. zu
Inhalten von Resilienzinterventionen fehlen bisher.
172 I. Helmreich
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Rebecca Böhme
1 Einleitung
R. Böhme (*)
Linköping University, Linköping, Schweden
E-Mail: rebecca.bohme@liu.se
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 177
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_10
178 R. Böhme
2 Demographische Faktoren
2.1 Lebensalter
der heutigen, sich in rasendem Tempo verändernden Zeit, – und mit ihnen vermutlich
die passenden Coping-Strategien. Dies legt bereits nahe, dass ein besonders wichtiger
Resilienzfaktor in der Fähigkeit zur Flexibilität und Adaptation zu finden ist. Selbst
bei sich verändernden Herausforderungen im Laufe des Lebens kann eine gewisse
Generalisierbarkeit von Coping-Strategien auf unterschiedliche Stressoren und auf eine
veränderte Lebenssituation angenommen werden (Smith, 1999).
Nimmt das Resilienzvermögen im Laufe des Lebens zu? Bei der Frage nach einem
Zusammenhang zwischen Resilienzfähigkeit und Alter ist zu beachten, dass sich
individuelle Faktoren und Erfahrungen unterschiedlich stark auswirken und dass von
allgemeinen Trends der durchschnittlichen Entwicklung von Resilienz im Lebensver-
lauf nicht direkt auf die zu erwartende Resilienzfähigkeit eines Individuums geschlossen
werden kann. Eine Veränderung der Resilienzfähigkeit über das Leben hinweg wäre
vor allem dann zu erwarten, wenn wir Resilienz nicht als eine Charaktereigenschaft
verstehen, sondern als eine Fähigkeit, die möglicherweise erlernt und trainiert werden
kann (Rutter, 2007). Allerdings gibt es einen engen Zusammenhang mit der Persönlich-
keit, insofern, als dass gewisse Persönlichkeitsfaktoren das Erwerben von Resilienz-
fördernden Coping-Strategien erleichtern, unter anderem Offenheit für Erfahrungen und
Extraversion (Wagnild & Young, 1990, vgl. dazu auch den Beitrag von Cirkel/Seibold in
diesem Buch). Das bedeutet, dass sich Resilienz zwar im Laufe des Lebens verändern
kann, doch vermutlich nur innerhalb eines gegebenen Rahmens. Wo sich die Grenzen
befinden, wird sich im Einzelfall jedoch kaum feststellen lassen, weshalb dieser Punkt
zumindest für die Individualpsychologie hinfällig wird. Unabhängig von dem Wissen
um ein mögliches oberes Limit der eigenen Resilienzfähigkeit, kann jeder Mensch seine
psychischen Widerstandskräfte stärken (Böhme, 2019, 2022).
Die Studienlage bezüglich der Resilienzveränderung über verschiedene Lebens-
alter hinweg ist uneindeutig und lückenhaft. Die Resilienzforschung hat ihren Schwer-
punkt in der frühkindlichen Entwicklung, während weniger Studien sich dem mittleren
Erwachsenenalter widmen – und wenn, dann sind sie meist auf bestimmte Berufs-
gruppen beschränkt. Querschnitt-Studien legen nahe, dass die psychische Widerstand-
kraft im Durchschnitt mit zunehmendem Lebensalter wächst, dass Menschen, die mit
hoher Funktionserhaltung das hohe Lebensalter erreichen, besonders resilient sind
(Hayman et al., 2017). Doch auch die umgekehrte Entwicklung kann beobachtet werden:
dass sich Stress, negative Auswirkungen auf die Gesundheit und auf die Psyche gegen-
seitig potenzieren, sodass die Resilienz je nach Lebensverlauf, Umweltbedingungen
und persönlichen Voraussetzungen im Laufe des Lebens abnehmen kann (Luthar et al.,
2000). Welche Faktoren letztendlich ausschlaggebend sind in der Frage, ob sich die
psychische Widerstandkraft mit zunehmendem Lebensalter verstärkt oder ob ein Mensch
Stressoren gegenüber sensibler wird, ist unklar.
In Querschnittstudien werden die Stressoren meist retrospektiv erhoben, was zu einer
Verzerrung der Daten führen kann. Hinzu kommt die Varianz der Stressoren: häufig
untersuchen Studien Resilienz in Zusammenhang mit Umweltkatastrophen wie Erdbeben
oder nach traumatisierenden Ereignissen, die größere Bevölkerungsgruppen betreffen.
180 R. Böhme
So zeigte beispielsweise eine Untersuchung eine hohe Resilienzquote (je nach Definition
50–70 %) bei erwachsenen Bewohnern von New York nach den Anschlägen auf das
World Trade Center (Bonanno et al., 2006). Ob die Adaptionsfähigkeit nach großen
Katastrophen, die die gesamte Bevölkerung betreffen, mit der nach traumatisierenden
Ereignissen im Privatleben, wie dem Verlust des Partners, oder mit chronischem Stress
im Beruf vergleichbar ist, ist unklar und zumindest fraglich.
Die Interpretation von Querschnittstudien zum Zusammenhang von Resilienz mit
Lebensalter ist schwierig: Einerseits könnte tatsächlich eine Veränderung der Resilienz-
fähigkeit im Laufe des Lebens stattfinden. Ebenso gut können wir dieses Ergebnis
jedoch auch mit den unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, Erfahrungen und Werten
erklären, denen die verschiedenen Generationen ausgesetzt sind und waren. So wird bei-
spielsweise berichtet, dass junge Arbeitnehmer heutzutage mehr Wert auf eine Work-
Life-Balance legen. Die langfristigen Konsequenzen eines solchen Wertewandels sind
jedoch unsicher: Zum einen könnte dies die Wahrscheinlichkeit verbessern, dass jüngere
Menschen sich Zeit zur Erholung nehmen und so seltener von Erschöpfungssyndromen
betroffen sind. Andererseits könnten sie arbeitsbezogenen Stress auch als schwer-
wiegender erfahren, eben da sie sich mehr Freizeit wünschen. Langzeitstudien können
einen besseren Einblick bieten. Doch auch in diesem Fall lässt sich ein allgemeiner
Zusammenhang von Resilienz mit Lebensalter schwer postulieren, da hier ebenfalls die
speziellen Erfahrungen einer Generation, die Verwobenheit des privaten Lebens mit der
Weltgeschichte, nicht von dem reinen Effekt des Alterns zu trennen sind. Um die Frage
nach einem Zusammenhang von Alter und Resilienzvermögen befriedigend beantworten
zu können, bedarf es daher neuer Metaanalysen, die Langzeitstudien vergleichen, die in
unterschiedlichen Jahrzehnten (und in unterschiedlichen Ländern) erhoben wurden.
2.2 Geschlecht
Auch das Geschlecht wird häufig als möglicher Faktor in Bezug auf individuelle Unter-
schiede in der Resilienzfähigkeit genannt. Epidemiologische Studien legen nahe, dass
Personen weiblichen Geschlechts häufiger unter durch Stress ausgelösten Krank-
heiten wie Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung leiden (Bangasser &
Valentino, 2014). Es ist jedoch unklar, ob Frauen tatsächlich mehr Stress empfinden oder
gegebenenfalls Unterschiede in Coping-Strategien das Bild verzerren: Zum Beispiel ist
bekannt, dass Frauen eher ärztliche Hilfe aufsuchen, während Männer im Vergleich zu
Frauen im Durchschnitt öfter vermeidende Coping-Strategien wählen, insbesondere die
Nutzung von Alkohol und anderen Substanzen (Ptacek et al., 1994). Andererseits legen
Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden in Coping-Strategien nahe, dass Personen
weiblichen Geschlechts eher emotionsbasierte Strategien nutzen, während Personen
männlichen Geschlechts häufiger aktive, problemorientierte Strategien wählen. Dies
führt dazu, dass Frauen in Messungen von Resilienzfähigkeit schlechter abschneiden als
Männer (Stratta et al., 2013). Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist allerdings zu
Demographische und sozioökonomische Schutzfaktoren 181
beachten, dass viele der Skalen zur Messung von Resilienz entwickelt wurden, basierend
auf Datensätzen, die nur oder vor allem Männer enthielten. So wurden die sogenannten
„Hardiness“ Maße entwickelt, indem Persönlichkeitsmerkmale und Coping Strategien
von männlichen Managern eines amerikanischen Unternehmens in den siebziger und
achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts evaluiert wurden (Maddi, 2002). Ob sich
Studien, die Resilienz anhand dieser Skala quantifizieren, tatsächlich auf die Gesamt-
bevölkerung verallgemeinern lassen, ist fraglich. Die Teilnehmer dieser Studien, auf
deren Daten die Skala beruht, waren höchst einheitlich, nicht nur bezüglich Alter und
Geschlecht, sondern auch bezüglich Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungs-
gruppe und sozioökonomischen Schicht, sowie natürlich bezüglich ihres kulturellen
Hintergrunds. Dies bedeutet, dass dringend neue, repräsentativere Maße zur Erhebung
von Resilienz und Copingstrategien benötigt werden. Auch die Art der als Stress
empfundenen Faktoren unterscheidet sich zwischen Männern und Frauen (Matud, 2004).
Unterschiede, die sich in solchen Untersuchungen finden, lassen sich jedoch am ehesten
auf unterschiedliche Sozialisationen von Männern und Frauen zurückführen, sodass
das Geschlecht hier eigentlich nicht die biologische Ursache, sondern höchstens einen
Mediator darstellt. Es ist zudem zu beachten, dass sich die Konzepte von Gender und
Genderzugehörigkeit stark verändert haben und weiterhin im Wandel befinden, was die
Anwendbarkeit dieser älteren Datensätze in der modernen Lebenswirklichkeit erschwert.
Während frühe Studien also einen deskriptiven Zusammenhang zwischen Alter und
Geschlecht mit der Resilienzfähigkeit zeigen konnten – männlich und älter zu sein war
mit stärkerer Resilienz assoziiert (Bonanno et al., 2007), legen neue Untersuchungen und
Entwicklungen nahe, dass die Ursachen für diesen statistisch nachweisbaren Zusammen-
hang anderweitig zu suchen sind (Hirani et al., 2016). Korrigiert man die Studien um
die Auswirkungen des sozioökonomischen Status, so lassen sich diese Zusammenhänge
meist nicht mehr nachweisen.
Der sozioökonomische Status wird durch eine Kombination von Einkommen, Bildung
und Beruf bestimmt. Sozioökonomische Faktoren beeinflussen sowohl die psychische
als auch die körperliche Gesundheit (Adler & Ostrove, 1999). Dieser Zusammenhang
findet sich nicht nur für den aktuellen sozioökonomischen Status, sondern setzt sich
generationenübergreifend fort (Najman et al., 2004). Im Folgenden wird darauf ein-
gegangen, welche Faktoren diesen Zusammenhang vermitteln.
Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Resilienzvermögen
ist vielschichtig und multifaktoriell. Bekannt ist, dass das Bildungslevel, emotionale
und zwischenmenschliche Fähigkeiten sowie die soziale Eingebundenheit (s. u.) die
Resilienzfähigkeit entscheidend mitbestimmen. Alle diese Faktoren sind wiederum eng
mit dem sozioökonomischen Status assoziiert. Dieser Zusammenhang besteht schon
zu Beginn des Lebens: so beeinflusst der sozioökonomische Status der Eltern den
182 R. Böhme
schulischen Erfolg eines Kindes (Strenze, 2007) und dessen Fähigkeit, Emotionen zu
regulieren (Côté et al., 2010). Auch scheint es eine intergenerationale Weitergabe des
Resilienzvermögen zu geben, welche teils epigenetisch bedingt ist und teils durch die
Eltern-Kind-Beziehung vermittelt wird. Untersuchungen bei nicht-menschlichen Säuge-
tieren legen nahe, dass die Stressmenge der Mutter während der Schwangerschaft einen
direkten Einfluss auf die Stresssensibilität des Kindes hat, und zwar, indem die kind-
liche Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse – das wichtigste System in
unserer physiologischen Stressreaktion – schneller und stärker auf Stressoren reagiert
sowie ihre Reaktion langsamer wieder herunterreguliert (Uno et al., 1994; Ward et al.,
2000). Auch die zwischenmenschliche Interaktion von Eltern und Kindern kann zur
intergenerationalen Weitergabe der Stressreaktion beitragen, zum Beispiel da Eltern, die
aufgrund von prekären Arbeitsverhältnissen und geringem Einkommen Stress erleben,
im Durchschnitt eher Erziehungsmethoden mit Kontrollfokus nutzen und selbst weniger
emotionale Kapazitäten für empathische Interaktion zur Verfügung haben (McLoyd,
1990). Auch hier handelt es sich also wieder um ein komplexes Zusammenspiel von
Umwelteinflüssen und zugrunde liegender Biologie.
Auch im jugendlichen Alter und bei Erwachsenen kann der Zusammenhang zwischen
höherem sozioökonomischem Status und adaptivem Stress-Coping nachgewiesen
werden. Vermutlich verstärken sich die Faktoren im Laufe des Lebens: Menschen
mit höherem sozioökonomischem Status haben besseren Zugang zu Ressourcen, die
ihre körperliche und seelische Gesundheit stärken, während Menschen in sozioöko-
nomisch schwächeren Bevölkerungsgruppen statistisch gesehen mehr gesundheitliche
Probleme entwickeln, deren Heilung durch erhöhtes Stresserleben verlangsamt wird,
was wiederum zu mehr Stress führt – ein Teufelskreis (Allen et al., 2011). Der Ver-
lust des Arbeitsplatzes und ein damit drohender sozioökonomischer Abstieg ist daher
nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern insbesondere auch in Bezug auf Resilienz und
Stresssensibilität zu betrachten. Der Umgang mit Arbeitslosigkeit und die individuellen
Copingstrategien interagieren: Wer bereits über adaptive Copingstrategien verfügt, kann
eine vorrübergehende Arbeitslosigkeit besser verarbeiten und hat ein geringeres Risiko,
eine Depression zu erleiden (Moorhouse & Caltabiano, 2007; Sojo & Guarino, 2011).
Als wichtigste Faktoren, die Resilienz im Falle einer Arbeitslosigkeit stärken, gelten die
soziale Eingebundenheit (s. u.), die Fähigkeit zur Selbstmotivation und Zielstrebigkeit
(Beck et al., 2005). Diese Fähigkeiten bzw. Gegebenheiten können auch die negativen
Auswirkungen eines niedrigen sozioökonomischen Status ausgleichen.
Ein biologisches Maß für Stress ist die Menge des Stresshormons Cortisol in
Blut oder Speichel – und wie sich diese über den Tag hinweg oder in Reaktion auf
einen Stressor verändert. Cortisol ist von besonderem Interesse, da es eine Schlüssel-
rolle in zahlreichen Stress-induzierten Krankheiten spielt, unter anderem Bluthoch-
druck, Diabetes und Depression. Die Menge an Cortisol, die sich morgens im Speichel
messen lässt, kann als ein Maß für chronischen Stress verstanden werden (Wüst et al.,
2000), und ist bei starkem Stress im Job erhöht – allerdings ist dieser Zusammenhang
schwächer bei Menschen mit höherem sozioökonomischem Status (Kunz-Ebrecht et al.,
Demographische und sozioökonomische Schutzfaktoren 183
2004). Dies legt nahe, dass sich die physiologischen Konsequenzen von Stressfaktoren
des privaten Lebens, häufig bedingt durch sozioökonomischen Status, und Stress bei der
Arbeit summieren.
Ein weiteres, objektives Maß der Stressreaktion ist die Variabilität der Herzrate. Wer
entspannt ist, zeigt eine größere Variabilität im Rhythmus des Herzschlags als jemand,
der sich in einer aktuellen Stressreaktion befindet. Auch chronischer Stress kann sich
in verringerter Variabilität der Herzfrequenz zeigen. Es gibt Hinweise darauf, dass
die Variabilität des Herzschlags auch als Maß für die Resilienzfähigkeit gegenüber
emotional traumatischen Ereignissen genutzt werden kann: Wer eine größere Herzraten-
variabilität zeigt, scheint resilienter mit potentiell traumatischen Erlebnissen umzugehen
(An et al., 2020; Dong et al., 2018). Die höhere Variabilität der Herzfrequenz hängt mit
einer größeren emotionalen und vermutlich kognitiven Flexibilität zusammen und ist
somit ein indirektes Maß für adaptive Copingfähigkeiten (Perna et al., 2020). Allerdings
muss kritisch angemerkt werden, dass der Zusammenhang von Herzratenvariabilität
und Stressresilienz bisher nur im Laborsetting untersucht wurde, sodass die Übertrag-
barkeit auf den Umgang mit alltäglichen Stressoren noch nachgewiesen werden muss.
Eine Studie konnte zumindest in einem Kontext mit hohem Potential für Traumata einen
Zusammenhang aufzeigen, und zwar im militärischen Bereich: Soldaten, die vor ihrem
Einsatz eine größere Variabilität in der Herzfrequenz aufwiesen, hatten ein geringes
Risiko traumatisiert zu werden (Pyne et al., 2016). Auch für dieses Maß findet sich ein
Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status: Nachdem Versuchspersonen einem
Stressor im Labor ausgesetzt waren, normalisierte sich die Variabilität und der Blut-
druck im Vergleich zum Ausgangszustand bei Menschen mit einem höheren sozioöko-
nomischen Status schneller (Steptoe et al., 2002).
Dass es also einen Zusammenhang zwischen Resilienzfähigkeit und sozioöko-
nomischem Status gibt, belegt die aktuelle Studienlage. Ähnlich wie bei den demo-
graphischen Maßen Alter und Geschlecht bleibt jedoch offen, welche biologischen
Mechanismen diesem Zusammenhang zugrunde liegen. Einige Wirkmechanismen
sind bekannt, die meisten beziehen sich auf die Sensibilität des Cortisolsystems. Auch
eine intergenerationale Weitergabe von Stresssensibilität ist bekannt, hier spielen
neben kulturellen Einflüssen und frühkindlichen Erfahrungen vor allem epigenetische
Mechanismen eine Rolle. In der Frage nach der Bedeutung des sozioökonomischen
Status als Resilienzfaktor muss bedacht werden, dass es sich hier um äußerst komplexe
Zusammenhänge handelt: Viele Eigenschaften und Fähigkeiten, die zur Resilienz bei-
tragen, werden ihrerseits durch den sozioökonomischen Status beeinflusst – und
umgekehrt vermittelt die individuelle Resilienz, wie stark der sozioökonomische Status
die psychische und physiologische Gesundheit beeinflusst (Wippold et al., 2021).
Der sozioökonomische Status selbst ist keine persönliche Eigenschaft, sondern eine
Gegebenheit, eine Situation, in der sich eine Person wiederfindet. Viele Untersuchungen
zum sozioökonomischen Status beschränken sich auf individuelle Faktoren wie Ein-
kommen oder Bildung. Wie häufig in der Resilienzforschung – und insbesondere in
der Umsetzung ihrer Ergebnisse – laufen wir hier Gefahr, die Verantwortung für das
184 R. Böhme
Es ist bereits mehrfach angeklungen: besonders wichtige Schutzfaktoren, die sich in der
Resilienzforschung immer mehr herauskristallisieren, liegen im Zwischenmenschlichen:
Die soziale Eingebundenheit und die erfahrene Unterstützung durch andere. Tatsächlich
scheint das Zwischenmenschliche einen Hauptfaktor darzustellen, mit dessen Hilfe wir
negative Erfahrungen und traumatische Ereignisse besser durchstehen können. Während
ein Großteil der Schutzfaktoren im Umgang mit Stress Aspekte der individuellen Persön-
lichkeit sind (zum Beispiel Flexibilität, Selbstbewusstsein, emotionale Intelligenz
und Offenheit), sind viele weitere der bekannten Faktoren im Zwischenmenschlichen
angesiedelt: familiärer Zusammenhalt, Zugehörigkeitsgefühl, erlebte Wertschätzung
durch andere, außerfamiliäre Ressourcen. Vielfältige Mechanismen vermitteln diesen
Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Resilienz: Die basale biologische
Ebene interagiert mit der kognitiv-emotionalen Ebene. Zahlreiche Studien belegen, dass
soziale Isolation ein starker Stressfaktor für Herdentiere ist – und auch Menschen sind
biologisch gesehen dafür ausgelegt, in Gruppen zu leben. Wie biologisch essenziell enge
soziale Beziehungen für den Menschen sind, sieht man indirekt daran, dass Personen mit
stärkerer sozialer Eingebundenheit statistisch gesehen ein niedrigeres Risiko haben, an
einer kardiovaskulären Erkrankung, an einem Schlaganfall oder an Krebs zu sterben.
Der Begriff des „sozialen Kapitals“ beschreibt die zwischenmenschlichen
Ressourcen, die einem Menschen im Fall eines Traumas zur Verfügung stehen. Dieses
soziale Kapital besteht aus den Menschen, denen man vertraut und die Unterstützung,
aber auch Trost anbieten, also aus den Personen, die einem sehr nahestehen – Familie
und Freunde –, und aus dem weiteren sozialen Netzwerk, in dem um Hilfe gebeten
werden kann, zum Beispiel Nachbarn oder Arbeitskollegen. Auch die Integration in eine
Gemeinschaft spielt eine wichtige Rolle in der Resilienz – hierbei kann es sich um die
Nachbarschaft oder die Dorfgemeinschaft handeln, um eine religiöse Gemeinschaft, um
die Arbeitsgruppe, oder auch um freizeitliche Gemeinschaften wie Sportvereine (Böhme
& Böhme, 2021). Soziale Unterstützung verringert das Risiko, nach einem traumatischen
Ereignis an posttraumatischer Belastungsstörung zu erkranken und verbessert im Falle
einer Erkrankung die Heilungschancen.
Copingstrategien können in adaptiv und maladaptiv eingeteilt werden. Während
maladaptive Strategien sich vor allem durch Passivität und Vermeidung auszeichnen,
sind adaptive Copingstrategien meist aktiv und lösungsorientiert. Soziale Ein-
gebundenheit fördert adaptives Coping, da den Betroffenen Ressourcen für Gespräche
Demographische und sozioökonomische Schutzfaktoren 185
und gemeinsame Reflektion zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass emotionale
Regulation mithilfe eines Gegenüber meist erfolgreicher ist. Auch das soziale
Engagement und die in Gruppen gemeinsam erlebten Rituale stärken die psychische
Widerstandskraft des Individuums (Böhme, 2019, 2022). Die resilienzfördernde
Wirkung von sozialer Eingebundenheit ist so stark, dass sie den negativen Effekten eines
niedrigeren sozioökonomischen Status entgegenwirken können, wie Forscher am Bei-
spiel der Bevölkerung von Okinawa, Japan, belegen konnten (Goto et al., 2003).
Entscheidend für die resilienzfördernde Wirkung von sozialen Beziehungen ist
nicht ausschließlich die Quantität der vorhandenen Beziehungen, sondern vielmehr
die Qualität. Nur, wer sich auf seine Mitmenschen wirklich verlassen kann und ihnen
nahesteht, fühlt sich tatsächlich in einem Maße eingebunden, das das psychische Wohl-
ergehen steigert. Dies ist ein entscheidender Punkt, da Untersuchungen zeigen, dass ein
Viertel der Bevölkerung von Industrienationen (in denen im internationalen Vergleich
die subjektiv erlebte Einsamkeit am größten ist) zwar an regelmäßigen sozialen Inter-
aktionen teilnimmt, sich aber trotzdem emotional isoliert fühlt (Hyland et al., 2019). Im
privaten Bereich ist insbesondere die Möglichkeit zu einer offenen Kommunikation, die
durch Respekt und Harmonie geprägt ist, ausschlaggebend (Beck, 2016).
Bei der arbeitsbezogenen Resilienz kommen dieselben Faktoren zum Tragen wie im
Privatleben: das Gefühl der Zugehörigkeit, das Wissen um die Möglichkeit von Unter-
stützung, das Erfahren von Verlässlichkeit und Vertrauen in Kollegen und Vorgesetzte
fördern die arbeitsbezogene Resilienz. Wenn eine Kultur der Offenheit am Arbeits-
platz gepflegt wird, in der das Ansprechen von Problemen und das Bitten um Hilfe
nicht geahndet werden, können Arbeitnehmer diese zwischenmenschlichen Ressourcen
auch im Arbeitszusammenhang nutzen. Ist dies nicht der Fall, sind die meisten
Menschen ausschließlich auf ihre privaten Ressourcen angewiesen – welche allerdings
in manchen Fällen schlichtweg nicht gegeben sind, oder in anderen Fällen zwar vor-
handen sind, aber in Bezug auf Stressoren, die im Arbeitsalltag auftreten, nicht dieselbe
Effizienz zeigen können. Im Arbeitskontext gilt insbesondere die Frage, inwieweit ein
Team den Druck der Stressoren gemeinsam tragen und gleichmäßig beziehungsweise
den individuellen Fähigkeiten entsprechend verteilen kann. Auch auf der Gruppen-
ebene bilden adaptive Copingstrategien, das heißt insbesondere Flexibilität und aktive
Problemlösung, die Basis für Resilienz. Viele resiliente Mitarbeiter werden also ver-
mutlich auch ein resilientes Team bilden. Weniger resiliente Kollegen können von der
Zugehörigkeit zu einem solchen Team profitieren – es gilt also, bei der Teamzusammen-
stellung individuelle Copingfähigkeiten mitzudenken. So profitiert die Teamresilienz von
den sozialen und emotionalen Fähigkeiten seiner Mitglieder, ebenso wie die Resilienz
der einzelnen Arbeitnehmer durch die Kooperationsfähigkeit des Teams beeinflusst wird.
Hinzu kommen weitere Faktoren, die für die Team-Ebene wichtig sind: Die Motivation
in der Gruppe zusammenzuarbeiten, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit,
ein Interesse an Gemeinschaft, die Kohäsion innerhalb der Gruppe – um nur einige zu
nennen (Hartwig et al., 2020). Teamresilienz am Arbeitsplatz und individuelle Resilienz-
faktoren interagieren und können sich gegenseitig verstärken, aber auch abschwächen
186 R. Böhme
(zu den Risikofaktoren von Teamarbeit vergleiche den Beitrag von Kemter-Hofmann in
diesem Buch).
Anders als im Privaten handelt es sich am Arbeitsplatz jedoch nicht um selbst gewählte
soziale Beziehungen wie in Freundschaften oder Freizeitgemeinschaften. Vielmehr ent-
steht die Zusammenstellung der Persönlichkeiten am Arbeitsplatz meist aufgrund der
individuellen Kompetenzen und Rollen. Ob sich die individuellen Resilienzfähigkeiten
und Coping-Strategien innerhalb eines Teams ergänzen, wird in den meisten Personal-
entscheidungen keine Priorisierung einnehmen – wenn es allerdings möglich ist, die
individuellen Fähigkeiten und auch Schwächen in die Zusammenstellung eines Teams
einfließen zu lassen, kann dies die Fähigkeit eines Teams, mit adversen Ereignissen
und Herausforderungen umzugehen, deutlich stärken (Hartwig et al., 2020). Es bieten
sich allerdings zahlreiche Möglichkeiten, die Resilienz von einzelnen Mitarbeitern
und Teams zu stärken. Klassische Trainings nutzen gruppenbildende Aktivitäten und
Kommunikationsübungen. Tatsächlich können gezielte Resilienztrainings die individuelle
Widerstandskraft, das Wohlergehen und die Performance von Arbeitnehmern messbar
erhöhen (Robertson et al., 2015; siehe dazu auch die Beiträge von Helmreich sowie Cirkel
und Seibold in diesem Buch). Inwiefern die vor allem durch die Covid-19 Pandemie stark
zugenommene Arbeitsweise des Home-Office die sozialen Aspekte, die zur arbeitsplatz-
bezogenen Resilienz beitragen, verändert, ist bisher noch unklar. Es liegt nahe, dass die
Auswirkungen je nach Arbeitskontext, Unternehmen, Arbeitsstruktur und den vorherigen
Bedingungen unterschiedlich sein werden. Die größere Flexibilität im Home-Office
Arbeitsalltag kann zur Entschärfung zwischenmenschlicher Konflikte beitragen und so
in manchen Fällen die Resilienz eines Teams stärken. In vielen anderen Fällen werden
die persönlichen Beziehungen der Kollegen unter der Reduktion der Kommunikation
auf digitale Medien leiden, denn in diesem Kontext gehen die kurzen Momente der ver-
traulichen Zwiegespräche verloren. Dass die während der Pandemie erlebte soziale Iso-
lation im Allgemeinen zu einer Zunahme von Depression und Einsamkeit geführt hat, ist
bekannt (von Mohr et al., 2021). Doch es könnte durchaus sein, dass die Möglichkeit im
Home-Office zu arbeiten, wenn keine weiteren Beschränkungen des sozialen Kontaktes
herrschen, sich positiv auf die individuelle Resilienz auswirkt. Denn in diesem Fall kann
der Einzelne sich seine Kontaktpersonen gezielt auswählen und hat vermutlich mehr
Möglichkeiten zur Interaktion mit Freunden, Partner und der Familie.
Einen noch deutlich tiefergehenden Effekt hat die Pflege einer offenen und ver-
trauensschaffenden Unternehmenskultur, die kollegiale Beziehungen fördert und ehrliche
Ansprache von Schwierigkeiten, den individuellen Schwächen, Sorgen und zu gewissen
Maße auch der privaten Probleme ermöglicht, ohne diese mit Benachteiligungen oder gar
Kündigungen zu ahnden (West et al., 2009). Hier kann es nötig sein, dass die Führungs-
kräfte mit gutem Beispiel vorangehen – da leider eine solche Unternehmenskultur durch-
aus nicht den gängigen Gegebenheiten entspricht. Nur in einer Atmosphäre der Offenheit
und Unterstützung können Arbeitnehmer im entscheidenden Augenblick um Hilfe bitten,
sodass ihre Kapazitäten und Fähigkeiten dem Unternehmen im Fall einer persönlichen
Krise nicht verloren gehen.
Demographische und sozioökonomische Schutzfaktoren 187
Quintessenz
• Individuelle Resilienz wird durch viele Faktoren gesteuert, die zu einem großen
Teil außerhalb der Einflusssphäre des Einzelnen liegen.
• Alter, Geschlecht und sozioökonomischer Status zeigen einen statistischen
Zusammenhang mit Resilienz, ohne jedoch einen biopsychologischen
Mechanismus zu erklären.
• Soziale Eingebundenheit ist einer der wichtigsten individuellen Resilienz-
faktoren.
• Das Stärken sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz durch gemeinsame positive
Erfahrungen, wie geteilten Erfolgen oder dem geteilten Management einer
Herausforderung, und durch eine offene, solidarische Unternehmenskultur
fördert Resilienz im Arbeitskontext.
188 R. Böhme
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190 R. Böhme
Johannes Staender
1 Einleitung
J. Staender (*)
Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
E-Mail: johannes.staender@uni-bielefeld.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 191
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_11
192 J. Staender
eine Diskussion getreten, die sich um die Vorstellung eines komplexen Zusammenspiels
biologischer, psychischer und sozialer Faktoren gruppiert, bei dessen Analyse heute
die Epigenetik neue Impulse setzt, ein noch junger biologischer Forschungszweig,
der Umwelteinflüsse auf die Gene von Lebewesen untersucht (Spork, 2017). Umwelt-
faktoren – Stressreize etwa – wirken sich zwar nicht auf die Erbinformation (DNA)
aus, wohl aber auf die Genaktivität, also darauf, welche Gene an- oder abgeschaltet
sind (Genregulation). Konkret geht die Epigenetik z. B. der Frage nach, wie es möglich
ist, dass von eineiigen Zwillingen mit übereinstimmender genetischer Erkrankungsdis-
position nur einer tatsächlich erkrankt; oder warum sich Zwillinge mit dem Alter umso
unterschiedlicher entwickeln, je stärker ihre Lebensumstände differieren. Im Vergleich
zur Diskussion um die Stabilität oder Plastizität von Fähigkeiten und Persönlichkeits-
merkmalen hat der wissenschaftliche Diskurs zu den Konsequenzen, die es hat, wenn
Menschen von der Unveränderlichkeit oder Wandelbarkeit ihrer Eigenschaften über-
zeugt sind, noch keine lange Tradition. Ein wichtiger Impuls, sich näher mit Alltags-
theorien über die (Un-)Wandelbarkeit menschlicher Eigenschaften zu befassen, erwuchs
aus Dwecks Forschungsinteresse an der Art, wie Menschen mit Misserfolgen umgehen.
Sie traf bei ihrer Arbeit auf Kinder, deren Fähigkeit sie erstaunte, Misserfolgen etwas
Positives abzugewinnen, indem sie darin Lernchancen sahen. Wie ist diese produktive
Verarbeitung eines negativen Erlebnisses zu erklären? Und wovon hängen die großen
Unterschiede im Umgang mit Misserfolgen ab, die sich bei Kindern zeigen?
In ihrem 2006 erstmalig veröffentlichten Buch „Mindset“ legt Dweck dar, wie die
Potenzialentfaltung von Menschen in Schule, Beruf, Sport und anderen Feldern gesellschaft-
lichen Lebens davon beeinflusst wird, ob sie menschliche Eigenschaften für unveränderlich
oder wandelbar halten. Das Buch schöpft aus den Resultaten einer langjährigen Forschungs-
tätigkeit. Es zielt auf ein breiteres Publikum ab, ohne Abstriche am wissenschaftlichen
Anspruch zu machen. Dweck will Selbstbilder erkennen und näher ausleuchten, ihre
Wirkungsweise erklären und zeigen, wie dieses Wissen im Alltag zu nutzen ist.
Der vorliegende Beitrag untersucht, welche Bedeutung Selbstbilder oder „mindsets“
im Sinne Dwecks in Unternehmen haben und wie ein dynamisches Selbstbild in diesen
Organisationen gestärkt werden kann. Dabei liegt speziell auch die Resilienz von
Personen, Gruppen und Organisationen im Fokus. Unternehmen sehen sich mit einem
hohem Anpassungs- und Entwicklungsdruck konfrontiert, und der oft stressträchtige
Belastungswandel in der Arbeitswelt kann gesundheitliche Folgen haben, die sich etwa
am Gewicht psychischer Erkrankungen in der Fehlzeiten- und Frühberentungsstatistik
ablesen lassen.
Den Kern von Dwecks Mindset-Forschung bildet die Unterscheidung zwischen einem
statischen Selbstbild („fixed mindset“) und einem dynamischen Selbstbild („growth
mindset“). Ein statisches oder stabiles Selbstbild ist durch den Glauben gekennzeichnet,
Dynamisches Selbstbild als Resilienzfaktor 193
Leute.‘ Oder: ‚Das bedeutet, dass ich ein schlechter Ehemann bin.‘ Oder: ‚Das bedeutet,
dass meine Partnerin eine Egoistin ist‘“ (Dweck, 2017, S. 257).
Die Sorge um die Selbst- und Fremdwahrnehmung ihrer Eigenschaften macht
Menschen mit statischer Denkweise „kompliziert“ (ebd.: S. 236). Beispielhaft führt
Dweck einen Basketballtrainer an, der nicht mit Misserfolgen umgehen konnte und
jede Niederlage als persönliche Kränkung auffasste, die seine Identität infrage stellte.
Dementsprechend hart beurteilte er die Spieler, deren Leistungen auch den primären
Bezugspunkt seiner (Selbst-)Wertschätzung bildeten. Ein weiteres Beispiel wäre ein
Abteilungsleiter, der Fehlschläge bei der Produktentwicklung in ähnlicher Manier inter-
pretiert und sich seinem Team gegenüber entsprechend verhält.
Ein Trainer mit dynamischem Mindset hingegen hat vor allem das Ziel, dass Spieler
ihr Potenzial ausschöpfen. Er fordert kein fehlerfreies, stets siegreiches Spiel, sondern
betont den Leistungs- und Verbesserungswillen, der sich in gewissenhafter Vorbereitung
und vollem Einsatz zeigt. Er weiß, dass Niederlagen eine positive Seite haben, wenn sie
als Lernchancen gesehen werden. Und er kennt das pathogene Potenzial des Erfolges,
der zur „Erfolgs- oder Ich-Krankheit“ führen kann, wenn er zur statischen Denkweise
verführt (Dweck, 2017, S. 239 ff.).
Ein dynamisches Selbstbild (Growth Mindset) beruht auf dem Glauben an die Ent-
wicklungsfähigkeit von Menschen, also auf der Annahme, dass Menschen in der Lage
sind, Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale durch Lernen und gezielte Anstrengungen
weiterzuentwickeln. Die Lern- und Entwicklungsmotivation wird durch diesen Glauben
stimuliert, auch und gerade im Angesicht von Hindernissen und Barrieren. Wenn
Menschen ein dynamisches Selbstbild annehmen, sehen sie Herausforderungen und
Anstrengungen in einem anderen, positiven Licht, das nicht nur Risiken und Mühen,
sondern vor allem auch Chancen beleuchtet. In den Vordergrund tritt dann, wie wichtig es
im Interesse nachhaltiger Lernerfolge ist, ausdauernd zu sein und Risiken zu akzeptieren.
Bei Menschen mit einem dynamischen Mindset ist der „innere Monolog“ weniger
darauf ausgerichtet, Urteile über sich und andere zu fällen. Auch sie bewerten
Erfahrungen, richten ihr Augenmerk aber insbesondere auf produktive Verarbeitungs-
und Lernmöglichkeiten. Das Scheitern einer Werbekampagne etwa bleibt unerfreulich,
liefert aber zugleich wertvolle Informationen für künftige Initiativen.
Ob das statische und das dynamische Mindset als Endpunkte eines gemeinsamen
Kontinuums oder separate Einflussgrößen anzusehen sind, ist noch nicht abschließend
geklärt. In jedem Fall beziehen sich Mindsets jeweils nur auf bestimmte Merkmale,
zu denen neben der kognitiven Intelligenz etwa auch die Sozialkompetenz oder hand-
werkliche Fähigkeiten zählen können. Das Selbstbild eines Menschen kann mithin
in Abhängigkeit vom Bezugsmerkmal variieren. Wer sich für unmusikalisch hält, mag
zugleich davon überzeugt sein, seine mathematischen Fähigkeiten steigern zu können.
Ob die eigenen Fähigkeiten als fixe oder entwickelbare Merkmale betrachtet werden,
beeinflusst nicht zuletzt auch die Selbstwirksamkeitserwartung eines Menschen, d. h.
die Ausprägung seiner Überzeugung, herausfordernde Situationen meistern zu können
(s. Abschn. 5).
Dynamisches Selbstbild als Resilienzfaktor 195
3 Selbstbilder im Unternehmen
Dweck hat die Auswirkungen des statischen und des dynamischen Selbstbildes auch mit
Blick auf Wirtschaftsunternehmen untersucht und sich namentlich dem Thema Führungs-
qualität unter dem Blickwinkel ihres Mindset-Konzepts gewidmet (Dweck, 2017).
Soweit eine Fach- oder Führungskraft zu einer statischen Denkweise neigt, ist sie von
der Vorstellung bestimmt, dass Fähigkeiten und Charaktermerkmale weitgehend unver-
änderbar und ungleich verteilt sind. Für Fach- und Führungskräfte mit dieser Denkweise
kommt es im Unternehmen wesentlich darauf an, die eigene Überlegenheit zu beweisen
und Unzulänglichkeiten zu verbergen. Fehler-Eingeständnisse und Korrekturen passen
nicht zu dieser Orientierung. Vielmehr muss die Überlegenheit repetitiv bestätigt werden,
um dem Bedürfnis nach Selbstbestätigung zu genügen. Das Verhältnis zu den Mit-
arbeitern ist nicht durch den Teamgedanken, sondern durch die Vorstellung eines klaren
Rangunterschieds geprägt. Das Bedürfnis nach Selbstbestätigung kann so stark sein,
dass es die Verantwortung für das Unternehmen überlagert, so etwa, wenn das Handeln
primär darauf gerichtet ist, potenzielle Erfolge anderer zu verhindern. Im Extremfall
nimmt eine Fach- und Führungskraft eher das Risiko des Unternehmenszusammen-
bruchs in Kauf als Kritikern oder Widersachern Sanierungserfolge zu gönnen. Neben der
Neutralisierung von Kritikern und Gegnern zählen Schuldzuweisungen und Ausreden
zum Arsenal der statischen Denkweise. Ein statisches Selbstbild liegt auch zugrunde,
wenn Fach- und Führungskräfte dazu neigen, Mitarbeitern so zu begegnen, dass ihr
eigenes Selbstwert-, Kompetenz- und Machtgefühl gestärkt wird. Auch den Mitarbeitern
wird ein statisches Selbstbild aufgenötigt, wenn Fach- und Führungskräfte sie autoritär
und respektlos behandeln.
Die dem Unternehmen aus einer entsprechend disponierten Führungspersönlich-
keit erwachsenden Risiken steigen mit der Leitungsebene und den Möglichkeiten der
Führungskraft, sich ein Umfeld zu schaffen, das ihr die Selbstbestätigung bietet, die sie
sucht.
Was zeichnet demgegenüber Führungspersönlichkeiten mit einem dynamischen
Selbstbild aus?
Dweck hat die Mindset-Perspektive nicht nur auf Führungspersonen und ihr Verhalten
angewandt, sondern auch die Gruppen- und die Unternehmensebene aus dieser Sicht
betrachtet. Welche Qualitätskriterien stechen dabei hervor? Dweck bezieht sich auf ein
von Wood und Bandura durchgeführtes Experiment mit Gruppen angehender Manager.
Den Gruppen wurde die Aufgabe gestellt, ein fiktives Möbelunternehmen zu führen.
Konkret ging es darum, welche Position mit welchem Mitarbeiter besetzt werden sollte
und wie die Mitarbeiter zur Höchstleistung motiviert werden konnten. Entscheidungen
sollten gemeinsam getroffen werden. Die Gruppen unterschieden sich danach, ob die
Mitglieder ein dynamisches oder ein statisches Selbstbild besaßen. Eine statische Denk-
weise bedeutete in diesem Fall, Führungsfähigkeiten als gegebene, nicht nennenswert
steigerbare Eigenschaften zu betrachten. Die dynamische Denkweise ging davon aus,
dass Führungskompetenz beträchtlich verbessert werden kann.
Mit zunehmender Dauer des Experiments setzten sich die dynamischen Gruppen
von den statischen in der Qualität ihrer Entscheidungen vermehrt ab. Die Gruppen mit
dynamischem Selbstbild arbeiteten Fehler produktiver auf und verwerteten Feedback
besser. Die Kommunikation unterschied sich deutlich von der in statischen Gruppen.
Einem sachlichen und lernorientierten Austausch wirkten in diesen Gruppen zwei Faktoren
entgegen: a) die Bedeutung, die es hatte, ob Äußerungen klug oder dumm wirkten; b) die
Furcht, Einschätzungen und Vorschläge könnten auf Ablehnung stoßen. Die dynamischen
Gruppen boten hingegen Raum für den ehrlichen Meinungsaustausch und die offene Dis-
kussion von Differenzen. Es fanden Lernprozesse statt, denen im Unterschied zu den
statischen Gruppen auch kein „Gruppendenken“ entgegenstand (Wood & Bandura, 1989a).
3.2 Gruppendenken
(vgl. dazu auch den Beitrag von Kemter-Hofmann in diesem Buch). Die statische Denk-
weise kann auf mehrere Weise Gruppendenken hervorrufen: Die Gruppe orientiert sich
an einer charismatischen, als unfehlbar angesehenen Führerfigur. Oder sie schreibt sich
kollektiv besondere Fähigkeiten und Einflussmöglichkeiten zu. Möglich ist auch, dass
Führerfiguren abweichende Meinungen und Kritik unterdrücken, um ihr Ego zu stärken.
Gruppendenken kann zudem daraus erwachsen, dass Mitarbeiter nach Anerkennung
durch ihre Vorgesetzten streben und deshalb keine Ideen oder Meinungen äußern, die von
denen der Vorgesetzten abweichen.
Dweck hat sich auch damit befasst, ob Unternehmen ein Selbstbild haben und was
sich daraus ergeben kann. Das Erkenntnisinteresse richtet sich nicht darauf, welche
organisationsbezogenen Überzeugungen und Werte etwa in Gestalt eines Leitbildes
offiziell verankert sind. Vielmehr geht es um die Frage, ob in einem Unternehmen die
Mitarbeiter eher unter dem Blickwinkel des statischen Mindsets oder des dynamischen
Mindsets betrachtet werden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Es geht also
nicht um Selbstbilder „von“ Unternehmen, sondern um Mindsets „in“ Unternehmen.
Dweck hat diese Fragestellung anhand einer Mitarbeiterbefragung untersucht,
die in einer Auswahl von Großkonzernen durchgeführt wurde. Es zeigte sich, dass
die Befragten eines Unternehmens großenteils darin übereinstimmten, ob in ihrer
Organisation eine „Geniekultur“ oder eine „Wachstumskultur“ dominiert. In der „Genie-
kultur“ ist die Vorstellung verankert, dass Mitarbeiter über bestimmte Talente verfügen;
sie sind entweder befähigt oder nicht. In der „Wachstumskultur“ herrscht hingegen
die Überzeugung vor, dass Mitarbeiter lernfähig und -bereit sind und ihre Leistung im
Unternehmen mit geeigneten Mitteln gesteigert werden kann.
Welche Auswirkungen hat es, wenn das eine oder das andere Mindset dominiert? In
den dynamischen Unternehmen hatten die Befragten mehr Vertrauen in die Organisation.
Auch Kollegen und Vorgesetzte erschienen ihnen vertrauenswürdiger. Die Bereitschaft,
Arbeitsverantwortung zu übernehmen, war größer. Unternehmensloyalität und Einsatz-
bereitschaft waren ebenfalls stärker ausgeprägt. Die Befragten identifizierten sich stärker
mit ihrem Unternehmen und zeigten mehr Interesse an Zukunftsfragen der Organisation.
Den Unternehmen wurde zudem größere Risikofreude, mehr Innovationsgeist und
höhere Kreativität attestiert als statischen Unternehmen. Auch die Sicht der Vorgesetzten
auf ihre Mitarbeiter war in dynamischen Unternehmen positiver, was Kooperationsfähig-
keit, Lernbereitschaft und die Offenheit für Innovationen angeht.
In Unternehmen mit statischem Mindset war die Arbeitszufriedenheit geringer. Die
Befragten zeigten ein größeres Interesse am Wechsel ihres Arbeitgebers, der als risiko-
scheuer und weniger innovativ wahrgenommen wurde. Sie registrierten häufiger
Machenschaften und unethisches Verhalten, und sie gaben häufiger an, dass Vorgesetzte
Informationen vorenthalten und nicht offen mit den Mitarbeitern sprechen.
198 J. Staender
4 Resilienz
• Etwa auf technische Systeme, die nach einer Störung ihre Funktionsfähigkeit wieder-
gewinnen;
• Materialien, die nach einer Deformation in die ursprüngliche Gestalt zurückkehren;
• Menschen, denen es gelingt, traumatische Erlebnisse zu bewältigen;
• Unternehmen, die eine Krise durch Anpassung und Selbstregelung überwinden
können.
Als gemeinsamer Nenner schält sich die Vorstellung heraus, dass ein resilientes System
die Fähigkeit besitzt, Störungen, Umbrüche und Krisen so zu bewältigen, dass es zum
Ausgangszustand zurückkehrt oder unter Wahrung konstitutiver Strukturmerkmale
einen neuen Gleichgewichtszustand erreicht. In allen Fassungen betont der Begriff, dass
Widerstandskraft in schwieriger Lage sowohl Stabilität als auch Flexibilität und Ent-
wicklungsfähigkeit voraussetzt (vgl. Karidi et al., 2018).
Für dieses Kapitel ist die Resilienzthematik mit Blick auf Individuen, Gruppen und
Organisationen (Unternehmen) relevant. Es geht also um die Resilienz von Personen
und sozialen Systemen. Im Folgenden soll kurz auf die Konzepte der personalen und
organisationalen Resilienz eingegangen werden. Dabei kann es nicht um eine Dar-
stellung der differenzierten Ursachendiskussion gehen. Dieser Beitrag beschränkt
sich im Wesentlichen auf thematisch wichtige definitorische Aspekte, bevor die
Bedeutung des Mindsets auf beiden Ebenen näher beleuchtet wird. Hoffmann spricht
von personaler Resilienz, „wenn es dem Individuum gelingt, seine Identität soweit
gegenüber Belastungen zu stabilisieren, dass habituelle Bewältigungsleistungen oder
kreative Gestaltungspotenziale genutzt werden können, um die Belastungen abzu-
wehren oder sich gegebenenfalls adäquat anzupassen“ (Hoffmann, 2017, S. 58). Mit
Blick auf das Verhalten von Schülern nennen Yeager und Dweck „resilient“ jede
positive, entwicklungsförderliche Reaktion auf eine intellektuelle oder soziale Heraus-
forderung (z. B. Suche nach neuen Lernstrategien, Verstärkung der Anstrengungen, fried-
liche Konfliktlösung). Nicht resilient sind hingegen negative, entwicklungshemmende
attributive Reaktionen, Gefühls- und Verhaltensantworten (z. B. Hilflosigkeit, Auf-
gabe, Schummeln, aggressive Vergeltung) (Yeager & Dweck, 2012). Die Resilienz-
forschung hat gezeigt, dass es nicht genügt, Resilienz nur als persönliche Eigenschaft
oder Disposition zu betrachten. In zweifacher Hinsicht muss dieses Verständnis erweitert
werden: Erstens mit Blick auf die Zeitdimension. Resilienz ist keine fixe Größe, sie hat
prozessualen Charakter und variiert im Lauf der Zeit, wenn sich biologische, psychische
und soziale Faktoren verändern. Das bedeutet zugleich – ein sehr wichtiger Punkt – dass
Dynamisches Selbstbild als Resilienzfaktor 199
sich Resilienz mit Lernprozessen entwickeln kann (vgl. dazu den Beitrag von Herings-
hausen in diesem Buch). Die zweite Erweiterung gilt der Sozialdimension. Wie resilient
ein Mensch ist, hängt wesentlich von den Risiken und Ressourcen in seinem sozialen
Umfeld ab (vgl. dazu die Beiträge von Helmreich und Böhme in diesem Buch). Die
psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen ist also multifaktoriell bedingt und im
Zeitablauf variabel. Genetische Faktoren mögen eine biologische Grundlage bilden. Wie
sich das damit gegebene Potenzial entfaltet, hängt dann aber von sozialen Erfahrungen
und einer Persönlichkeitsentwicklung ab, die soziokulturell konditioniert ist (vgl. dazu
den Beitrag von Cirkel/Seibold in diesem Buch).
Eine zentrale Erkenntnis der Resilienzforschung liegt darin, dass personale Resilienz
– nicht allein, aber wesentlich – daraus erwächst, wie belastende Ereignisse oder
Situationsbedingungen interpretiert werden. In der Stressforschung hat Richard Lazarus
diesen Aspekt mit seinem Transaktionalen Stressmodell ausgearbeitet (Lazarus, 1991):
Wie Menschen auf situative Stressoren reagieren, ist abhängig von der subjektiven Wahr-
nehmung und Bewertung von Situation und Handlungsmöglichkeiten (vgl. dazu den Bei-
trag von Morgenstern/Moser in diesem Buch). Dass die betreffenden kognitiven Prozesse
bei gleichen Ausgangsbedingungen individuell mehr oder weniger stark variieren
können, ist alltägliche Erfahrung: Ein Termindruck, der A paralysiert, erscheint B als
Herausforderung, die den Ehrgeiz weckt. Es ist speziell dieser Aspekt – das Gewicht
subjektiver Deutungsprozesse für den Umgang mit Herausforderungen – der den
Zusammenhang zwischen Mindset- und Resilienzforschung stiftet.
Organisationen sind soziale Systeme besonderen Typs, die eine formale und eine
informelle (personengebundene) Struktur aufweisen. Soziologisch werden sie über die
Merkmale Zielorientierung und Handlungsfähigkeit, die Mitgliedsrolle oder den Ent-
scheidungscharakter ihrer Elemente definiert. Unabhängig davon, wie hier die Akzente
gesetzt werden, ist organisationale Resilienz als spezifisches soziales Phänomen zu
begreifen. Wie sich die Fähigkeit einer Organisation ausprägt, krisenträchtige Ereignisse
oder dauerhaft widrige Umweltverhältnisse zu bewältigen, hängt u. a. von Merkmalen
der Organisationskultur (geteilte Überzeugungen und Werte), dem Commitment und
Zusammenhalt der Mitglieder und der Führungsqualität ab, von Faktoren also, die
jeweils wieder auf ein komplexes Bedingungsgefüge verweisen. Bedeutsam ist zudem,
inwieweit im kollektiven Gedächtnis einer Organisation einschlägige Lernerfahrungen
gespeichert sind. Auch die organisationale Resilienz ist im Zeitablauf veränderbar und
hat dementsprechend prozessualen Charakter (Hoffmann, 2017).
Resilienz ist, so lässt sich resümieren, stets als entwicklungsfähiges Systemmerkmal
zu begreifen, das aus multifaktoriellen Wirkungszusammenhängen resultiert, handle
es sich nun um die Resilienz von Personen, Gruppen oder ganzen Organisationen. Im
folgenden Abschnitt soll näher darauf eingegangen werden, wie die dargestellten Ergeb-
nisse der Mindset-Forschung im Bedingungszusammenhang der Resilienz zu verorten
sind.
200 J. Staender
Eine dynamische Einstellung stärkt danach die mit dem Selbstwertgefühl eng ver-
bundene Selbstwirksamkeit, die von Misserfolgen weniger beeinträchtigt wird. Auch
erhebliche Rückschläge führten bei Studierenden mit dynamischem Selbstbild in
besagtem Experiment nicht dazu, dass sie seltener anspruchsvolle Ziele und wirksame
Handlungsstrategien wählten. In der Folge erzielten dynamisch eingestellte Studierende
erkennbar bessere Ergebnisse als statisch denkende (Wood & Bandura, 1989a). Dass
eine hohe Selbstwirksamkeit einen konstruktiven Umgang mit Misserfolgen begünstigt,
ist etwa anhand gescheiterter Rauchstopp-Versuche belegt worden, für die Raucher mit
ausgeprägter Selbstwirksamkeitsüberzeugung in erster Linie mangelnden Einsatz und
widrige Ausgangsbedingungen verantwortlich machen, während Raucher mit niedriger
Selbstwirksamkeit primär persönliche Unfähigkeit als Ursache betrachten (Grove, 1993).
Hier zeigt sich ein Zusammenhang des Mindset-Konzepts mit einem der wichtigsten
Konstrukte der neueren Psychologie.
Der von Bandura geprägte Begriff der Selbstwirksamkeit (self-efficiency) bezieht
sich auf die subjektive Einschätzung der Chance, eine neue Herausforderung erfolgreich
meistern zu können (Bandura, 1997). Selbstwirksamkeitserwartungen sind also nicht
deckungsgleich mit generalisierten Ergebniserwartungen, sondern gelten der persönlichen
Fähigkeit, in einer bestimmten Anforderungssituation kompetent handeln zu können.
In der deutschsprachigen Literatur sind auch die Termini Selbstwirksamkeitsglaube,
-erwartung, -einschätzung, -überzeugung gebräuchlich. Wie die Mindset-Forschung
nehmen Untersuchungen zur Selbstwirksamkeit kognitive Prozesse in den Blick, deren
Analyse wesentlich zu einer differenzierten Erklärung menschlichen Verhaltens beiträgt.
Die Erwartung, mit Herausforderungen adäquat und erfolgreich umgehen zu können,
gilt als primärer Resilienzfaktor (Rolfe, 2019). Je stärker die Selbstwirksamkeitsüber-
zeugung eines Menschen ausgeprägt ist, je mehr Handlungsspielräume er sieht, umso
weniger wird er sich als Opfer sehen und anderen die Schuld geben, wenn sich Miss-
erfolge einstellen.
Einflüsse der Selbstwirksamkeit lassen sich hinsichtlich der Gefühle, Motivation und
Leistung von Menschen belegen (Breker, 2015). Menschen mit ausgeprägter Selbstwirk-
samkeitsüberzeugung haben dementsprechend in mehrfacher Hinsicht größere Chancen,
herausfordernde Situationen zu meistern, als Menschen mit geringer Selbstwirksam-
keit. Beispielsweise tendieren Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit dazu, positive
Szenarien zu entwerfen, die etwa die Verfügbarkeit sozialer Unterstützung beinhalten.
Dies schützt sie vor Ängsten, die sich bei Menschen mit geringer Selbstwirksamkeit in
gleicher Lage infolge von Gedanken an potenzielle Gefahren und Rückschläge einstellen
(Bandura, 1995).
Den Einfluss der Selbstwirksamkeitserwartung auf die Leistung haben Wood und
Bandura bei ihren Experimenten mit Managern untersucht. Manager mit hoher Selbst-
wirksamkeitserwartung erzielten dabei deutlich bessere Leistungsergebnisse als Manager
mit niedriger Selbstwirksamkeit. Auch im Zuge der Leistungserbringung förderte eine
ausgeprägte Selbstwirksamkeitsüberzeugung die Motivation und steigerte zudem die
kognitive Leistungskomponente (Wood & Bandura, 1989b).
Dynamisches Selbstbild als Resilienzfaktor 203
6 Selbstbildentwicklung
Breiter untersucht worden ist auch die Frage, wie sich die Art, in der Eltern und
Lehr- oder Betreuungspersonen Feedback geben, auf die Mindset-Entwicklung von
Kindern auswirkt. Dweck und Mueller haben dazu ein klassisches Experiment durch-
geführt: Kinder, die eine relativ leicht zu bewältigende Aufgabe gelöst hatten, wurden
auf unterschiedliche Weise gelobt: Eine Gruppe für ihre Intelligenz, die zweite für
ihre Anstrengung, eine dritte (Kontroll-)Gruppe nur für die erzielte Punktzahl. Danach
wurden wesentlich schwierigere Aufgaben gestellt, die die Kinder überforderten.
In einem dritten Durchgang standen schließlich wieder einfache Aufgaben auf dem
Programm. Das Verhalten in den Gruppen war unterschiedlich. Die für ihre Intelligenz
gelobten Kinder zweifelten häufiger an ihren Fähigkeiten, waren stärker auf Leistungs-
ziele als auf Entwicklungsziele fokussiert und zogen einfache Aufgaben vor. Die für
ihre Anstrengung gelobten Kinder waren ausdauernder und erfolgreicher. Sie hatten
zudem mehr Freude, und die erzielte Punktzahl fassten sie nicht als Intelligenzurteil,
sondern als Lernstands-Indikator auf (Mueller & Dweck, 1998). Die Entwicklung
eines dynamischen Selbstbildes wird mithin durch ein Feedback begünstigt, das den
Leistungsprozess fokussiert, der zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat – also etwa
eine Prüfungsvorbereitung. Im Vordergrund stehen bei gutem Ergebnis der lohnende
Einsatz und die erfolgreiche Strategie; bei schlechtem Ergebnis die Lehren, die sich für
künftige Prüfungen ziehen lassen. Im Gegensatz zu einem solchen prozessorientierten
Feedback fördert ein Feedback, das auf Leistungsergebnisse abstellt und sie zu
Personenmerkmalen in Beziehung setzt, die statische Denkweise.
Auch Feedback im Unternehmen sollte sich mithin auf einen konkreten Prozess
wie etwa die Erstellung eines Marketingkonzepts beziehen, bei gelungenem Resultat
Engagement und Vorgehensweise würdigen und bei der Aufarbeitung von Fehlern und
Misserfolgen das Ziel der Weiterentwicklung betonen. Auch Vorgesetzten Feedback
geben zu dürfen, gehört zu einer entsprechenden Feedbackkultur.
Die Akzentuierung des Prozesses ist auch geboten, wenn Menschen ihr Selbstbild in
eigener Regie ändern wollen. Als grundlegende Ausgangsbedingung reicht dafür schon
die Kenntnis der beiden Denkweisen (Dweck, 2017). Dweck betont aber zugleich,
Dynamisches Selbstbild als Resilienzfaktor 205
dass es Zeit und Energie verlangt, ein dynamisches Mindset anzunehmen. „Ganz ent-
scheidend für den differenzierten Umgang mit dem Thema Mindset ist es, dass man
nicht beginnt, mit einem statischen Mindset über sein dynamisches Mindset nachzu-
denken“ (Blickhan, 2021, S. 174). Man sollte also Fehler und Misserfolge beim Ver-
such, sein dynamisches Mindset zu stärken, nicht als Versagen und Unfähigkeit deuten,
sondern fragen, was sich daraus lernen lässt. Diese Empfehlung gilt auch generell:
Kein Perfektionismus! Sich Fehler zugestehen. Im Scheitern und in Misserfolgen auch
Lernchancen und Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Wo immer möglich und sinn-
voll, Leistungs- und Lernprozesse bewerten, nicht nur Ergebnisse. Akzeptieren, dass
man selbst wie jeder Mensch unzulänglich ist. Hilfreich bei der Entwicklung eines
dynamischen Selbstbildes ist es auch, Herausforderungen in Beruf oder Privatleben
bewusst zu suchen und etwa seine Sprachkenntnisse zu erweitern. Zum Kriterium der
Erfolgsmessung sollte dabei nicht ein ideales Leistungsniveau gemacht werden, sondern
die Frage, ob Lernfortschritte erzielt wurden (Dweck, 2017).
Dweck beschäftigt sich im letzten Kapitel ihres Buches ausführlich mit der Selbst-
bildänderung, und am Ende der vorhergehenden Kapitel finden sich Empfehlungen zur
Mindset-Entwicklung in verschiedenen Lebenswelten, darunter auch Unternehmen. Was
kann getan werden, um hier dynamische Überzeugungen zu stärken?
Auf individueller Ebene können Mitarbeiter wie Fach- und Führungskräfte daran
arbeiten, eine dynamische Denkweise zu entwickeln, indem sie anhand konkreter Fragen
ihr Verhalten reflektieren und Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren. Dweck listet eine
Reihe von Fragen auf. Sie zielen zum einen auf einen produktiven Umgang mit eigenen
Fehlern, mit Feedback und Lernchancen. Fragen Sie sich also, wie Sie weniger defensiv
auf eigene Fehler reagieren, aus Feedback größeren Nutzen ziehen und zusätzliche Lern-
erfahrungen gewinnen können. Einen zweiten Gegenstandsbereich bildet das Verhalten
gegenüber Mitarbeitern und Kollegen: Inwieweit ist es durch Interesse an deren Wohl-
ergehen und beruflicher Entwicklung bestimmt, und inwieweit spielen Gesichtspunkte
der Macht- und Einflusssicherung eine Rolle? Nehmen Sie kompetente Mitarbeiter als
Gefahr für das eigene Ego oder wertvolle Mitglieder des Teams wahr? Wie können Sie die
berufliche Entwicklung Ihrer Mitarbeiter unterstützen? Schließlich sollten Personen, die
Führungsverantwortung tragen, eine „Kultur der Selbstkritik, der offenen Kommunikation
und der Teamarbeit“ fördern und Gruppendenken entgegenwirken (Dweck, 2017, S. 169 f.).
7 Ausblick
Quintessenz
• Mindsets oder Selbstbilder im Sinne Dwecks sind alltagstheoretische Denk-
weisen über menschliche Eigenschaften, die als unveränderlich (statisches
Selbstbild) oder entwicklungsfähig (dynamisches Selbstbild) gelten.
• Mindsets beeinflussen Denken, Fühlen und Handeln von Menschen und fördern
oder hemmen ihre Potenzialentfaltung.
• Mindsets sind veränderbar.
• Ein dynamisches Mindset begünstigt die Entwicklung einer lernorientierten
Einstellung, die den positiven Umgang mit Herausforderungen und Miss-
erfolgen fördert. Es ist damit ein Resilienzfaktor.
Literatur
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American college students by shaping theories of intelligence. Journal of Experimental Social
Psychology, 38, 113–125.
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Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. Freeman.
Blackwell, L. S., Trzesniewski, K. H. & Dweck, C. S. (2007). Implicit theories of intelligence
predict achievement across an adolescent transition: A longitudinal study and an intervention.
Child Development, 78, 246–263.
Blickhan, D. (2018). Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Junfermann.
Blickhan, D. (2021). Positive Psychologie im Coaching. Von der lösungs- zur Wachstums-
orientierung. Junfermann.
Breker, A. (2015). Fähigkeitsselbstkonzept, Selbstwirksamkeit und Mindset – Wie können Lehr-
kräfte Erkenntnisse aus der Sozial-Kognitiven-Psychologie nutzen, um die Potenzialentfaltung
von Schülerinnen und Schülern zu fördern? Europa-Universität Viadrina.
Dweck, C. (2017). Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt. Piper.
Dynamisches Selbstbild als Resilienzfaktor 207
Johannes Wendsche
1 Einleitung
Jeder kennt sicherlich Tage, an denen er sich mehr oder auch weniger gut erholen kann.
Manchmal trifft sich die Arbeitsgruppe zu einer ausgedehnten Mittagspause in der
Kantine, mal richtet man während der Arbeit den Blick vom Bildschirm nach draußen
oder man geht kurz in die Kaffeeküche und plauscht mit Kolleginnen und Kollegen über
das vergangene Wochenende. An solchen Tagen geht man rechtzeitig nach Hause, hat
genügend Zeit für Hobbies und Familie, schläft am Abend gut ein und kommt frisch und
motiviert am nächsten Morgen wieder zur Arbeit. An anderen Tagen nimmt die Arbeit
kein Ende, Pausen fallen aus und man bleibt noch etwas länger im Büro. Am Nachmittag
ist man unkonzentriert, die Arbeit geht einem nicht aus dem Kopf. Der Morgen beginnt
mit einem Gefühl der Erschöpfung und es fällt schwer motiviert und energiegeladen die
ersten Mails abzuarbeiten.
Arbeit und Erholung stellen zyklisch auftretende und sich gegenseitig beein-
flussende Aktivitätsphasen des Tages dar (Blasche, 2020). In der (psychologischen)
Erholungsforschung sind mit Erholung solche Prozesse gemeint, durch die beein-
trächtigende körperliche und psychische Beanspruchungsfolgen (z. B. Ermüdung),
welche infolge der Arbeit oder aufgrund biologischer Prozesse (z. B. Schlaf-Wach-
Rhythmen) hervorgerufen wurden, auf ein beeinträchtigungsfreies Maß zurückgestellt
werden und die volle Funktions- und Leistungsfähigkeit wiedererlangt wird (Sonnen-
tag et al., 2017). Erholung findet statt, wenn Tätigkeiten unterbrochen werden und dies
J. Wendsche (*)
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dresden, Deutschland
E-Mail: wendsche.johannes@baua.bund.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 209
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_12
210 J. Wendsche
einen Anforderungswechsel impliziert. Vereinfacht: Man macht etwas Anderes als vor-
her. Hat man die ganze Zeit am Schreibtisch telefonische Kundengespräche geführt
und steht nun auf, um das Büro zu verlassen (körperlicher Anforderungswechsel), dann
dürfte das Holen eines Kaffees in der Küche (kognitiver und emotionaler Anforderungs-
wechsel) erholsamer sein als der Besuch eines Kollegen für ein Mitarbeitergespräch
(ähnliche Anforderungen wie vorherige Tätigkeit). Da laut der angeführten Definition die
Erholung den Beschäftigten körperlich, psychisch und leistungsmäßig beeinflusst, hat sie
für die Gestaltung gesunder und produktiver Arbeit eine hohe Relevanz.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Erholungsfacetten
2.2 Erholungswirkungen
(Wendsche et al., 2014, 2021a) in Verbindung stehen. In ähnlicher Weise wurde gezeigt,
dass eine ausreichend lange Ruhezeit zwischen aufeinanderfolgenden Arbeitstagen mit
weniger gesundheitlichen Beschwerden und geringeren Arbeitsunfallrisiken assoziiert ist
(Amlinger-Chatterjee, 2016). De Bloom et al. (2009) zeigten zudem, dass Urlaub positive
Wirkungen auf das körperliche sowie psychische Wohlbefinden und die Zufriedenheit
von Beschäftigten hat. Fach- und Führungskräfte profitieren deshalb in vielerlei Hinsicht
davon, wenn sie sich regelmäßig Zeit für kurze und lange Arbeitspausen sowie für längere
Erholungsphasen wie den Urlaub nehmen.
Auch zur Wirkung verschiedener Erholungstätigkeiten liegen inzwischen meta-
analytische Befunde vor. Die Arbeiten von Steed et al. (2021) sowie Headrick et al.
(2019) zeigen, dass Tätigkeiten mit geringen Anforderungen (z. B. Buch lesen, Musik
hören, soziale Aktivitäten) im Vergleich zu solchen mit hohen Anforderungen (z. B.
Kinderbetreuung, Haushalts- und Arbeitstätigkeiten) mit einer geringeren Ermüdung,
einem höheren Wohlbefinden, einem besseren Schlaf und einer höheren Arbeitsleistung
assoziiert sind. Dies belegt die Annahme des Effort-Recovery-Modells (Meijman &
Mulder, 1998), dass vor allem eine arbeitsbezogene Anforderungsreduktion bzw. ein
Anforderungswechsel erholungswirksam sind. Auch für die längste Erholungsphase
des Tages, den Schlaf, konnten Litwiller et al. (2017) positive Effekte nachweisen (z. B.
weniger Ermüdung, höheres Arbeitsengagement, höhere Arbeitsleistung).
Für die psychologischen Erholungserfahrungen zeigte sich in verschiedenen Meta-
analysen (Headrick et al., 2019; Steed et al., 2021; Wendsche et al., 2021b), dass
1. das Autonomieerleben sowohl für das Wohlbefinden und die Gesundheit als auch
motivationale Indikatoren (Arbeitsengagement, Arbeitsleistung) wichtig ist,
2. Erholungserfahrungen, die mit einer Anforderungsreduktion assoziiert sind (Detach-
ment, Relaxation) positiv mit dem Wohlbefinden und der Gesundheit zusammen-
hängen,
3. Erholungserfahrungen, die mit einem Anforderungswechsel assoziiert sind (Mastery)
vor allem mit einer höheren Arbeitsmotivation einhergehen und
4. Bedeutsamkeit und Verbundenheit mit einem höheren Wohlbefinden und höherer
Lebenszufriedenheit korrelieren (Kujanpää et al., 2021; Virtanen et al., 2020).
subjektiv erlebte Facetten von Erholung förderlichen Wirkungen haben, sondern dies
auch für betrieblich gestaltbare Erholungsmerkmale (Dauer und Lage von Erholung,
Erholungstätigkeiten) sehr konsistent nachgewiesen wurde. Dies unterstützt die
potenzielle Wirksamkeit und den Sinn gesetzlicher Mindestanforderungen an die
Gestaltung von Erholung im Betrieb.
In Deutschland existieren eine ganze Reihe von Gesetzen, die bei der Gestaltung von
Erholung zu berücksichtigen sind.
Laut Arbeitsschutzgesetz hat der Arbeitgeber (§ 5) eine dokumentierte Gefährdungs-
beurteilung der Arbeitsbedingungen durchzuführen, die auch das Thema Arbeits-
zeit und Erholung berücksichtigt. Sollten dabei Verletzungen von Mindeststandards
mit Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten aufgedeckt
werden, muss der Arbeitgeber optimierende Gestaltungsmaßnahmen initiieren und
deren Wirksamkeit überprüfen (§ 3). Verhältnispräventive Maßnahmen (d. h. Ver-
änderung der Arbeitssituation) haben dabei Vorrang vor verhaltenspräventiven
Maßnahmen (d. h. Unterweisung und Schulung). Beschäftigte sind verpflichtet, an der
Maßnahmenumsetzung mitzuwirken (§ 15).
Im Arbeitszeitgesetz wird die Mindestdauer von Erholungsphasen genauer definiert.
Dies sieht die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf maximal acht Stunden (bzw.
maximal 10 h bei Arbeitszeitausgleich innerhalb von sechs Monaten bzw. 24 Wochen,
§ 3) und die Gewährung einer ununterbrochenen Mindestruhezeit von 11 h zwischen
zwei Werktagen vor (§ 5). Weiterhin wird in diesem Gesetz definiert (§ 4), dass Ruhe-
pausen vor Arbeitsbeginn feststehen müssen (Länge und Lage) und mindestens 30 min
bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis 9 h und 45 min bei einer Arbeitszeit von mehr
als 9 h lang sein müssen (im Jugendarbeitsschutzgesetz und Mutterschutzgesetz finden
sich weitere Sonderregeln). Während der Ruhepausen und der Ruhezeit muss sich
der Arbeitnehmer für Arbeitsbelange nicht zur Verfügung halten. Wird die geplante
Erholungsphase aufgrund von Arbeitsbelangen unterbrochen (z. B. Führungskraft ruft
den Mitarbeiter während seiner Pause an), so gilt die bisherig genutzte Zeit als bezahlte
Arbeitszeit und die Erholungsphase muss vollständig nachgeholt werden. Das Arbeits-
zeitgesetz enthält auch gesonderte Regeln für die Gestaltung von Schicht- und Nacht-
arbeit sowie die Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Obwohl aktuell im Arbeitszeitgesetz
noch nicht umgesetzt, hat der Europäische Gerichtshof 2019 entschieden, dass Arbeit-
geber ein objektives und verlässliches Dokumentationssystem einführen müssen, mit
dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit (und damit auch Zeiten
zur Erholung) erfasst werden kann. Unternehmen sei also schon jetzt empfohlen,
Arbeits- und Erholungszeiten eines jeden Mitarbeiters genau zu erfassen.
Für die Pausengestaltung spielt auch die Arbeitsstättenverordnung eine wichtige
Rolle. In dieser wird u. a. geregelt, unter welchen betrieblichen Bedingungen, Pausen-
214 J. Wendsche
räume einzurichten sind und wie diese gestaltet werden müssen. Für Bürotätigkeiten
ist die Umsetzung der Pausen am Arbeitsplatz zulässig. Allerdings nur dann, wenn
arbeitsbedingte Störungen während der Pause ausgeschlossen werden können und ähn-
liche Erholungsbedingungen, wie in einem Pausenraum sichergestellt werden. Da der
Erholungswert verschiedener Pausenorte bisher wenig in der Forschung berücksichtigt
wurde, befragten wir in einem Projekt der BAuA („Erholung innerhalb und außerhalb
des Arbeitskontextes“) insgesamt 652 Beschäftigte an Bildschirmarbeitsplätzen zur
Nutzungshäufigkeit verschiedener Pausenorte, zu deren Erholungswert (von Arbeit
abschalten können, sich entspannen können) und zum Auftreten von Pausenproblemen.
Die meisten Beschäftigten berichteten, dass sie ihre Pausen am eigenen Arbeitsplatz
verbringen (40 %) gefolgt von Pausen im Pausenraum (24 %) und Pausen außerhalb
des Betriebsgeländes (23 %). Häufige Pausen in der Betriebskantine und am Arbeits-
platz von Kolleginnen und Kollegen berichten 14 % bzw. 7 % der Beschäftigten. Aus
Abb. 1 ist ersichtlich, dass mit zunehmender räumlicher Distanz zum eigenen Arbeits-
platz das Abschalten von der Arbeit in der Pause leichter fällt. Eine Zunahme des Ent-
spannungserlebens ist nur beim Verlassen des Betriebsgeländes sichtbar. Es fällt auf,
dass insbesondere bei häufigen Pausen am eigenen Arbeitsplatz Pausenprobleme wie
Unterbrechungen oder eine Verkürzung bzw. ein gänzlicher Ausfall der Pause häufiger
auftreten. Insgesamt sprechen diese Ergebnisse dafür, dass das häufige Pausieren von
Bürobeschäftigten an ihrem eigenen Arbeitsplatz eine eher ungünstige Erholungsstrategie
darstellt und Organisationen daher die Einnahme der Pausen an alternativen Orten unter-
stützen sollten.
Abb. 1 Häufigkeit gelungener Erholung und Häufigkeit von Pausenproblemen bei Büro-
beschäftigten aus Verwaltung und Industrie (N = 652; Daten aus einer Mitarbeiterbefragung im
Projekt „Erholung innerhalb und außerhalb des Arbeitskontextes“ der BAuA)
Erholungsförderliche Einflussfaktoren … 215
• sich 44 % der Befragten vor Arbeitsbeginn nicht vollständig erholt fühlen,
• von den Vollzeitbeschäftigten bei 20 % mindestens einmal im Monat Ruhezeiten ver-
kürzt sind,
• bei 30 % Pausen häufig ausfallen und
• bei 17 % Pausen häufig unterbrochen oder verkürzt werden.
Dies sind Faktoren, die den Anteil vollständig Erholter reduzieren (Vieten & Brauner,
2020). In einer weiteren Repräsentativbefragung deutscher Angestellter (BAuA, 2020)
berichten zudem 22 %, dass sie es schwierig finden während ihrer Freizeit von der Arbeit
abzuschalten. Der Anteil von Beschäftigten mit massiven Erholungsbeeinträchtigungen
wurde in einer weiteren Studie auf ca. 13 % geschätzt (Schulz et al., 2020).
3 Mitarbeiterbezogene Einflussgrößen
der Grenzziehung zwischen Arbeit und Erholung erleben. In Folge berichten Führungs-
kräfte auch von mentalen Erholungsbeeinträchtigungen, die sich in Schlafstörungen
sowie Schwierigkeiten äußern, von der Arbeit am Abend abschalten zu können (Schulz
et al., 2020; Wendsche et al., 2018). Es wird vermutet, dass diese Effekte vor allem auf
die Arbeitssituation der Führungskräfte zurückzuführen sind, da sie häufiger Termin- und
Zeitdruck bei der Arbeit erleben, mehr Rollenkonflikten ausgesetzt sind, häufiger bei
der Arbeit unterbrochen werden und eher intrinsisch motivierenden Arbeitsbedingungen
(dem sog. Flow; siehe dazu auch den Beitrag von Kloep/Aust/Peifer in diesem Buch)
ausgesetzt sind (Thomson et al., 2020; Zimber et al., 2015). Die rechtzeitige Auslösung
von Erholungsphasen fällt Führungskräften daher schwerer, da das zeitgenaue Beenden
von Aufgaben weniger planbar ist oder Ermüdungssignale während der Arbeit eventuell
weniger schnell auftreten. Für Führungskräfte besteht zudem die Gefahr, dass sie auf-
grund ihrer besonderen Rolle in der Arbeitsgruppe bei der Pausenplanung ihrer Mit-
arbeiter nicht berücksichtigt werden, da sich diese eher Pausen mit emotional nahen
Personen wünschen (Hommelhoff et al., 2018). Aufgrund dieser Befunde sollten
Führungskräfte ihr Erholungsverhalten genau im Blick behalten, auf ausreichende
Pausen- und Ruhezeiten achten und sich aktiv an der Gestaltung von Teampausen
beteiligen.
Anknüpfend an diese Unterschiede beschäftigt sich eine zweite Forschungs-
perspektive damit, ob Führungskräfte ihre Mitarbeiter mit ihrem Erholungsverhalten
und -erleben beeinflussen können. Belege für solche dyadischen Übertragungseffekte
waren bereits zwischen Lebenspartnern (Wendsche et al., 2021b) und Mitarbeitern (Ng
& Wang, 2019) gefunden worden. Eine Studie von Sonnentag und Schiffner (2019)
konnte dies auch für die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung zeigen. Mitarbeiter
berichteten, dass sie eher von der Arbeit am Abend abschalten können, wenn auch ihre
Führungskraft dies berichtete. Weitere Analysen zeigten, dass dieser Transfereffekt auch
mit geringeren Müdigkeits- und Erschöpfungssymptomen bei den Mitarbeitern einher-
ging. Diese Befunde unterstützen die Schlussfolgerung, dass Führungskräfte, die an
ihrer eigenen Erholung sparen, nicht nur ihrer eigenen Gesundheit, sondern auch der
ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaden und damit eventuell sogar den Erfolg der
Arbeitsgruppe gefährden.
In der Studie von Sonntag und Schiffner (2019) hatte allerdings die Beziehungsquali-
tät zwischen Führungskraft und Mitarbeiter (hier Leader-Member-Exchange LMX) keine
zusätzlichen Auswirkungen auf die Erholung. Mit diesem Thema beschäftigt sich der
dritte Forschungsstrang in diesem Kontext – den Zusammenhängen zwischen Führungs-
verhalten/-stilen und der Mitarbeitererholung. Bereits die Metaanalyse von Montano
et al. (2017) hatte gezeigt, dass transformationales, beziehungsorientiertes und aufgaben-
orientiertes Führungsverhalten sowie positive Interaktionen zwischen der Führungskraft
und dem Mitarbeiter mit einem besseren Wohlbefinden der Mitarbeiter in Beziehung
stehen, während destruktives Führungsverhalten eher mit Gesundheitsbeeinträchtigungen
220 J. Wendsche
bei den Mitarbeitern assoziiert ist (siehe dazu auch den Beitrag von Schilling in diesem
Buch).
Als erholungsförderliche Führungsverhaltensweisen wurden eine hohe soziale Unter-
stützung durch die Führungskraft (Bennett et al., 2016) sowie ein gesundheitsorientierter
Führungsstil (Jiménez et al., 2017) identifiziert. Studien zeigten weiterhin, dass ein
„dienendes“ Führungsverhalten (servant leadership), welches als empathisch und voll-
ständig am Wohle der Organisation und des Beschäftigten orientiert beschrieben werden
kann, bei den Mitarbeitern mit einem geringeren Erholungsbedürfnis nach der Arbeit
assoziiert ist (Rivkin et al., 2014) und das Abschalten nach der Arbeit erleichtert (Steffen
& Externbrink, 2017). Die Studienlage zur Wirkung transformationaler Führung – ein
Führungsstil, welcher durch Vorbildwirkung, visionäres Handeln, geistige Anregung
und individuelle Unterstützung charakterisiert ist – ist bisher inkonsistent. Hawkes et al.
(2017) berichteten positive Beziehungen zur Erholung, andere Studien fanden solche
Beziehungen eher nicht (Perko et al., 2017; Stein et al., 2021). Die Studie von Stein et al.
(2021) zeigte jedoch, dass Beschäftigte sich bei einem transformational führenden Vor-
gesetzen mehr anstrengen, was Erschöpfungssymptome verstärkt. Diese psychischen
Kosten fielen aber dann geringer aus, wenn die Mitarbeiter über eine hohe Erholungs-
fähigkeit verfügten – eine individuelle Ressource, die Führungskräfte daher bei ihren
Mitarbeitern gezielt fördern sollten, um mögliche Gesundheitsbeeinträchtigungen vorzu-
beugen.
Als erholungsbeeinträchtigende Führungsverhaltensweisen wurden in Studien fest-
gestellt:
5 Organisationale Einflussgrößen
Das Verhalten und Erleben von Mitarbeitern ist stets abhängig vom Organisations-
kontext. Dieser bestimmt beispielsweise, welche Arbeitstätigkeiten wie ausgeführt
werden, wie Arbeitsgruppen zusammengestellt werden und wie Organisationseinheiten
untereinander in Beziehung stehen. Inwiefern Organisationmerkmale mit der Mit-
arbeitererholung in Beziehung stehen, war bisher nur selten Gegenstand der Forschung.
In einer Studie mit Altenpflegekräften zeigte sich beispielsweise, dass Pflegekräfte in
der ambulanten (d. h. bei mobiler Arbeit) im Vergleich zur stationären Pflege seltener
pausieren und seltener Teampausen einlegen (Wendsche et al., 2014). Die Teamgröße als
auch die Gewinnorientierung der Organisation hingen dagegen nicht mit dem Pausenver-
halten zusammen.
Aus Sicht der Organisationspsychologie sind neben strukturellen Organisations-
merkmalen auch psychologische Faktoren ganz entscheidend für die Vorhersage des
Mitarbeiterverhaltens und -erlebens. Einer dieser Faktoren ist das Organisationsklima.
Nerdinger (2019, S. 164) definiert dies als „die relativ überdauernde Qualität der inneren
Umwelt der Organisation, die durch die Mitarbeiter erlebt wird, ihr Verhalten beein-
flusst und durch die Werte einer bestimmten Menge von Merkmalen in Organisationen
beschrieben werden kann.“. In der Literatur existieren eine ganze Reihe allgemeiner und
facettenspezifischer (d. h. sich auf spezielle Konstrukte wie die Arbeitssicherheit oder die
Leistungserwartungen beziehende) Organisationsklimamaße (Schneider et al., 2013).
Allerdings lag bisher kein Instrument vor, das den Umgang der Organisation mit der
Mitarbeitererholung thematisierte. In Anlehnung an Sonnentag und Pundt (2016), ent-
wickelten wir deshalb eine Skala mit 10 Items (Antwortformat: 1 = ‚stimme gar nicht
zu‘ bis 5 = ‚stimme voll und ganz zu‘), die diese Lücke schließen sollte (Wendsche et al.,
2019). Das organisationale Erholungsklima wurde definiert, als die von den Beschäftigten
geteilte Wahrnehmung der erholungsbezogenen organisationalen Strategien, Regeln sowie
Praktiken, deren Einhaltung durch die Organisation belohnt, unterstützt und erwartet
wird. Die Fragen des Instrumentes beziehen sich auf die organisationalen Werte („Meine
Organisation hält das Thema Erholung von der Arbeit für wichtig“), Erwartungen („Mein
Arbeitgeber erwartet, dass wir Kollegen während ihrer Erholungsphasen nicht stören“),
Regeln und Praktiken („In meiner Organisation existieren verbindliche Regeln zum
Thema Erholung“) sowie die innerbetriebliche Kommunikation („In meiner Organisation
wird offen über das Thema Erholung gesprochen“).
Die Skala wurde in fünf Stichproben an insgesamt 1486 Beschäftigten validiert (zusammen
mit Tina Karabinski und Jürgen Wegge [TU Dresden], Hiltraut Paridon [SRH Gera] und
Susanne Liebermann [FH Westküste Heide]). Sie zeigte sich in diesen Erhebungen als
reliabel (mittleres α = ,87 [,85–,91]). Von Interesse war, ob – wie von Schneider et al. (2013)
für andere Klimamaße berichtet – auch das organisationale Erholungsklima mit wichtigen
führungs- und arbeitsbezogenen Einflussgrößen der Erholung, dem Erholungsverhalten
und -erleben sowie dem Wohlbefinden, der Gesundheit, der Arbeitsmotivation und der
222 J. Wendsche
Arbeitsleistung als möglichen Wirkungen zusammenhängt. In Tab. 2 sind aus diesen Studien-
daten metaanalytisch gemittelte Korrelationskoeffizienten dargestellt.
Mitarbeiter, die ein höheres organisationales Erholungsklima wahrnehmen, arbeiten
eher unter erholungsförderlichen Rahmenbedingungen. Sie beschreiben ihre Führungs-
kräfte als eher gesundheitsförderlich führend und nehmen Arbeitsanforderungen (z. B.
Zeitdruck) als weniger stark wahr. Dies deutet darauf hin, dass Organisationen mit
einem starken Erholungsklima, die Umsetzung der implementierten erholungsbezogenen
Regeln und Maßnahmen auch über das Verhalten ihrer Führungskräfte sowie eine
günstige Arbeitsgestaltung fördern. Dies zeigt sich auch in nachweisbaren Beziehungen
des Erholungsklimas zur Erholungsplanung, dem Pausenverhalten und einer besseren
mentalen Erholung am Abend (Abschalten von der Arbeit). Die Studien zeigen weiter-
hin, dass das organisationale Erholungsklima mit zahlreichen erwünschten Wirkungen
auf die Beschäftigten in Beziehung steht, beispielsweise einem besseren Wohlbefinden,
einer besseren Gesundheit sowie einer höheren Arbeitsmotivation und Arbeitsleistung.
Aufgrund der starken Beziehungen zu teambezogenen Variablen, wie dem Führungs-
verhalten, wurde die Skala in Folgestudien auf Teamebene angepasst. Bruns (2021)
Erholungsförderliche Einflussfaktoren … 223
6 Ausblick
prüfen lassen. Die Ergebnisse solcher Analysen sollten immer gleichzeitig der Ausprägung
anderer Arbeitsbelastungsfaktoren berücksichtigen, da aus der Forschung offensichtlich
ist, dass diese einen Einfluss auf die Planung und die Wirkung von Erholung haben. Ein
zu enger betrieblicher Fokus auf die Unterweisung von Arbeitszeit- und Arbeitsschutz-
regeln oder die Implementierung verhaltensorientierter Erholungsfördermaßnahmen
(z. B. Entspannungs- und Stressmanagementtrainings) reicht deshalb nicht aus. Es gilt die
ursächlichen Arbeitssystemfaktoren in den Blick zu nehmen und zu optimieren (Verhältnis-
prävention). Leider wurde der Erfolg solcher Ansätze bisher selten in Studien geprüft. Die
Kommunikation betrieblicher Best-Practice-Beispiele wäre daher wünschenswert.
Wenig Wissen liegt bisher auch zu den Auswirkungen besonderer Beschäftigungs-
formen (z. B. Crowdworker, Soloselbstständige und Unternehmer), besonderer
Arbeitszeitbedingungen (z. B. geteilte Dienste) und den Auswirkungen betrieblicher
Digitalisierungsprozesse auf die Erholung vor. So ist beispielsweise nur selten unter-
sucht worden (Wendsche et al., 2022), inwiefern Beschäftigte gesetzliche Mindest-
anforderungen an die Erholung bei der Arbeit von Zuhause umsetzen. Es ist zu erwarten,
dass Betriebe den zeitlichen und örtlichen Flexibilitätswünschen ihrer Beschäftigten
zukünftig vermehrt nachkommen. Bei solchen Arbeitsformen werden deren individuelle
Selbstkontroll- und Erholungsfähigkeit zu bestimmende Faktoren für den Arbeits-
erfolg sowie die Gesundheit. Passende Unterstützungsangebote durch das betriebliche
Gesundheits- und Personalmanagement sollten deshalb die Umsetzung schutzbezogener
Regeln und Praktiken ergänzen.
Quintessenz
• Aufgrund der in den letzten Jahren aufgetretenen ökonomischen, technischen
und sozialen Veränderungen (Junghanns & Morschhäuser, 2013) erleben vielen
Menschen ihre Arbeit als zunehmend beschleunigt, fast so, als würde man in
einem sich immer schneller drehenden Hamsterrad festsitzen. Anforderungen
im Arbeits- und Privatleben werden als steigend und zunehmend schwerer ver-
einbar wahrgenommen. Die Erholung von solchen Belastungen bleibt dabei oft
auf der Strecke oder wird als problematisch erlebt. Aus mitarbeiterbezogener
sowie betrieblicher Sicht lohnt es sich jedoch, der regelmäßigen Erholung ein
angemessenes Zeitfenster im Alltag einzuräumen (und quasi das Hamster-
rad regelmäßig zu verlassen). Denn Erholung trägt nachweislich zur Gesund-
erhaltung, zur Arbeitssicherheit sowie zum eigenen Arbeitserfolg bei.
• Die Forschung hat zahlreiche verhältnis- und verhaltenspräventive Ansatzstellen
auf organisationaler, teambezogener und individueller Ebene identifiziert, um
Arbeit und Erholung ins Gleichgewicht zu bringen und damit „kranken Unter-
nehmen“ zu helfen, wieder gesund zu werden.
Erholungsförderliche Einflussfaktoren … 225
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Magdalena Bathen-Gabriel
1 Resilienzdiagnostik
M. Bathen-Gabriel (*)
Krefeld, Deutschland
E-Mail: magdalena.bathen-gabriel@iu.org
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 233
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_13
234 M. Bathen-Gabriel
einer Situation im Sinne des konstruktivistischen Ansatzes zentral ist, weil jeder seine
Umwelt individuell wahrnimmt. Auf diesen Aspekt geht auch der Beitrag von Morgen-
stern und Moser in diesem Buch ein.
Die Forschung hat bereits einige wichtige Zusammenhänge von Resilienz und arbeits-
bezogenen Ergebnissen nachgewiesen. Unter anderem wurden positive Zusammenhänge
mit Arbeitsleistung (Denkova et al., 2020; Luthans et al., 2010), Arbeitszufriedenheit
(Schlett et al., 2018), sowie Flexibilität und positivem Arbeitsverhalten (Avey et al.,
2008) gezeigt.
Allgemeine deskriptive Übersichten, über die in der allgemeinen Resilienzforschung
am häufigsten eingesetzten Instrumente, werden u. a. in Ahern et al. (2006) sowie
Windle et al. (2011) berichtet. Inzwischen herrscht weitestgehend Einigkeit darüber,
dass Resilienz zwar eine Sammlung von mehreren positiven Faktoren ist, diese aber
zusammenspielen und gemeinsam einen Resilienzfaktor bilden. Dieser Resilienzfaktor
kann als stabiler Trait bezeichnet werden, der jedoch einer gewissen Variabilität unter-
liegt. Wie schon von Werner und Smith (1992) gezeigt, bildet Resilienz sich über die
Jahre hinweg aus, indem Menschen negative Ereignisse erfolgreich meistern und die
gesammelten Erfahrungen für zukünftige negative Ereignisse zu Nutze machen können.
Diese Veränderbarkeit ist die Basis, auf der die Resilienzdiagnostik am Arbeitsplatz
ansetzen sollte. Letztendlich geht es darum, jene Faktoren bei Einzelpersonen oder in
Teams zu identifizieren, die einen Beitrag zu einer stärkeren Resilienz liefern können.
In Hinblick auf Digitalisierung sind die Möglichkeiten der Resilienzdiagnostik sicher-
lich noch nicht ausgeschöpft. Zwar werden vorhandene Tests als Online-Test angeboten
und bieten direktes Feedback zur vorhandenen Resilienzausprägung. Weitere digitale
Instrumente – wie die Anwendung computergestützter Sprachanalyse, der Einsatz künst-
licher Intelligenz und App-gestützte Tagebuchmessverfahren – bedürfen jedoch noch
umfassender Forschung.
1.3 Resilienzskalen
1.3.1 Selbstwirksamkeit
Unter Selbstwirksamkeit versteht man die Erwartung einer Person an sich selbst, auf-
grund von eigenen Kompetenzen erfolgreich zu sein (Bandura, 1977). Menschen mit
einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung sind auch in schwierigen Situationen in der
Lage, selbstständig zu handeln und Leistung zu erbringen. Die bisherige Forschung hat
gezeigt, dass resiliente Menschen eine starke Selbstwirksamkeitserwartung aufweisen
(Djourova et al., 2020). Auch im arbeitsbezogenen Kontext wird ein hoher Zusammen-
hang zwischen Resilienz und Selbstwirksamkeit erwartet. Aufgrund dieses Zusammen-
hanges ist es Fach- und Führungskräften zu empfehlen, die eigene Selbstwirksamkeit
aufzubauen. Dies erreicht man durch Lenkung der Aufmerksamkeit auf erzielte Erfolge
und vorhandene Kompetenzen.
1.3.2 Selbstwertgefühl
Sowohl Resilienz als auch das Selbstwertgefühl äußern sich durch eine andauernde
positive Einstellung, vor allem auch in schwierigen Situationen. Die beiden Konzepte
haben gemeinsam, dass kritische Situationen als herausfordernd und nicht als belastend
bewertet werden. Daher wird ein stark positiver Zusammenhang zwischen den beiden
Konstrukten erwartet. Das Selbstwertgefühl ist eine positive oder negative Bewertung
des Selbst, sowie die emotionale Reaktion auf diese Bewertung (Smith et al., 2014).
Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl können in schwierigen Situationen ihren
Optimismus beibehalten, und haben somit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, zukünftig
Erfolg und Zufriedenheit zu erleben (Dodgson & Wood, 1998). Im Arbeitskontext
erleben Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl eine herausfordernde Arbeits-
stelle als Chance, aus der man lernen und profitieren kann. Auf der anderen Seite erleben
Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl einen herausfordernden Job als unverdiente
Möglichkeit oder die Chance zu scheitern (Locke et al., 1996). Insbesondere die Ver-
änderung der Bewertungsschemata durch Perspektivwechsel kann dem Aufbau von
Selbstwertgefühl zuträglich sein.
1.3.3 Kontrollüberzeugung
Unter Kontrollüberzeugung versteht man die „subjektive Vorstellung darüber, ob man sein
Verhalten in bestimmten Situationen selbst kontrollieren kann (sog. internale Kontroll-
überzeugung) oder ob es durch äußere Einwirkungen bestimmt wird (sog. externale
Kontrollüberzeugung)“ (Tewes & Wildgrube, 1992, S. 189). Im Zusammenhang mit
Resilienz wurde gezeigt, dass insbesondere die Entwicklung einer internalen Kontroll-
überzeugung ein wichtiger Punkt ist, um Resilienz zu fördern (Brooks, 1994; Luthar,
1991). So wurde beispielsweise festgestellt, dass eine internale Kontrollüberzeugung
bei stressigen Lebensereignissen die Wahrscheinlichkeit reduziert, mentale Gesundheits-
probleme zu entwickeln. Dies wird dadurch erklärt, dass eine internale Kontrollüber-
zeugung einen geringen Zusammenhang mit der negativen Interpretation von Ereignissen
gezeigt hat (Sandler et al., 2000). Daher wird ein positiver Zusammenhang von Resilienz
und internaler Kontrollüberzeugung erwartet. Fach- und Führungskräfte sollten daher
Resilienzdiagnostik und -tools 237
1.3.4 Positive Affektivität
Positive Affektivität beschreibt die Tendenz, verstärkt angenehme Gefühle zu erleben.
Das Konstrukt der positiven Affektivität ist in der stärksten Ausprägung durch Enthusias-
mus und Begeisterung gekennzeichnet (George, 1991). Menschen mit einer hohen
positiven Affektivität sind generell zufriedener und berichten häufiger von positiven und
angenehmen Erlebnissen (Watson et al., 1988).
Die Forschung hat gezeigt, dass resiliente Menschen grundsätzlich und insbesondere
in stressigen, anspruchsvollen Situationen häufiger positive Emotionen empfinden
(Block & Kremen, 1996; Klohnen, 1996), sodass ein positiver Zusammenhang von
Resilienz und positiver Affektivität erwartet wird. Inwiefern die positive Affektivität ver-
änderbar ist, ist aktuell noch nicht abschließend erforscht. Es bietet sich in der Praxis
jedoch an, auch in schwierigen Situationen den Fokus auf Positives zu legen und Teil-
erfolge hervorzuheben.
1.3.5 Negative Affektivität
Negative Affektivität beschreibt die Tendenz, negative Emotionen wie Ängstlichkeit,
Ärger oder Depressivität zu erleben. Menschen mit einer hohen negativen Affektivi-
tät sind zudem von einer pessimistischen Lebenseinstellung geprägt, und haben ein
negatives Selbstbild (Watson & Pennebaker, 1989). Es kann davon ausgegangen werden,
dass Menschen mit einer höheren negativen Affektivität über weniger Ressourcen zur
Bewältigung schwieriger Situationen verfügen und sich daher von resilienten Menschen
unterscheiden. Daher wird ein negativer Zusammenhang von negativer Affektivität und
Resilienz erwartet.
2 Diagnostiktools
Methoden zur Feststellung der Resilienz werden von Laien grundsätzlich gut bewertet,
wenn sie Ergebnisse liefern, die mit dem eigenen Selbstbild übereinstimmen. Man
spricht von dem sogenannten Barnum-Effekt. Nicht jede Methode ist zielführend. Viel-
mehr sollten wissenschaftlich fundierte Diagnoseinstrumente verwendet werden. Diese
entsprechen den allgemeinen Gütekriterien, also Validität, Objektivität und Reliabili-
tät. Fach- und Führungskräfte sollten die wichtigsten Tests daher kennen und bei der
Anwendung von Resilienztests Wert auf wissenschaftliche Validierung legen.
Die Entwicklung valider Diagnosemöglichkeiten schreitet mit zunehmender Forschung
stetig voran. Inzwischen stehen zur Resilienzdiagnose im unternehmerischen Kontext
eine Vielzahl von Fragebögen zur Verfügung, deren Einsatz und Ergebnisinterpretation
nur mithilfe erfahrener Psychologen erfolgen sollte. Die meisten Fragebögen zielen auf
die Diagnose der individuellen Resilienz im Arbeitskontext ab. Die Teamresilienz und
238 M. Bathen-Gabriel
nternehmensresilienz ist seltener Gegenstand der Betrachtung und wird auch in diesem
U
Kapitel nur im Rahmen eines Tools näher erläutert.
Im Weiteren werden 10 Fragebögen (sog. Skalen) vorgestellt, die nach wissenschaft-
lichen Grundzügen entwickelt wurden und sich für den Unternehmenskontext bewährt
haben. Dadurch konnten alle Fragebögen, die sich auf einen Einsatz im klinischen
Kontext oder auf die Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen beziehen, aus-
geschlossen werden. Eine Übersicht die jeweiligen Fragebögen ist in Tab. 1 zu finden.
den Skalenankern „Ich stimme nicht zu“ (1) und „Ich stimme völlig zu“ (7) erfasst. Zur
Darstellung der Resilienz werden Gesamtskalenwerte berechnet, die den summarischen
Wert der jeweiligen Items der Skala erfassen. Die interne Konsistenz (Cronbach’s
Alpha) der Skalen beträgt 0,95 für die Langversion und 0,91 für die Kurzversion.
Kritisch anzumerken ist, dass die faktorielle Struktur der ursprünglichen englisch-
sprachigen Resilience Scale nicht repliziert werden konnte. Anders als in der Original-
version, die eine zweifaktorielle Struktur postuliert, konnte in der deutschen Version
nur ein einfaktorielles Instrument dargestellt werden. Dennoch hat es sich als reliables
Diagnostiktool zur Analyse der vorhandenen Resilienz erwiesen.
Die Brief Resilient Coping Scale (BRCS) von Sinclair und Wallston (2004) basiert auf
der Annahme, dass Resilienz ein Prozess ist, der sich durch Copingmechanismen wie
einen effektiven Gebrauch von kognitiven Bewertungsstrategien und adaptiven Ver-
haltensmustern zeigt. Der Gebrauch von diesen resilienten Copingmechanismen unter-
stützt eine positive Anpassung bei Schwierigkeiten und negativen Erlebnissen (Sinclair
& Wallston, 2004). Entsprechend dieser Annahmen wurden 4 Items formuliert, die auf
einer Skala von 1 bis 5 beantwortet werden. Cronbach’s α liegt bei 0,68 und die Faktor-
ladungen der Items liegen zwischen 0,62 und 0,68. Die Test-Retest Reliabilität kann mit
0,71 als zufriedenstellend bezeichnet werden. Zur Bestimmung der Validität wurden
unter anderem Korrelationen mit Optimismus (r = 0,50), Selbstwirksamkeit (r = 0,48),
positiver Affektivität (r = 0,50) und negativer Affektivität (r = -0,28) herangezogen. Alle
Korrelationen sind signifikant auf dem 1 % Niveau. Beispielitems für die BRCS sind:
„Ich suche kreative Wege, um schwierige Situationen zu ändern“ und „Unabhängig
davon, was mir passiert, kann ich meine Reaktion darauf kontrollieren“.
Die Brief Resilience Scale (BRS) von Smith et al. (2008) legt die Resilienzdefinition
zugrunde, dass resiliente Menschen die Fähigkeit zu adäquaten Stressbewältigungs-
strategien aufweisen. Die Skala besteht aus 6 Items, von denen 3 positiv und 3 negativ
formuliert sind. Alle Items laden auf einen Faktor mit Faktorladungen zwischen
0,68 und 0,91. Cronbach’s α liegt bei 0,84 und die Test-Retest Reliabilität bei 0,62.
Zur Bestimmung der konvergenten Validität wurden Korrelationen mit Optimis-
mus, Bedeutung im Leben, Positive Affektivität, Pessimismus und Gefühlsblind-
heit (Alexithymie) berechnet. Erwartungsgemäß zeigten sich signifikant positive
Korrelationen für Optimismus (r = 0,45) und Bedeutung im Leben (r = 0,46) und
positiver Affektivität (r = 0,46), sowie signifikant negative Korrelationen für Pessimis-
mus (r = -0,40) und Gefühlsblindheit (r = -0,46). Beispielitems für die BRS sind „Ich
240 M. Bathen-Gabriel
neige dazu, nach harten Zeiten schnell wieder auf die Beine zu kommen“ und „Mir fällt
es schwer mit stressigen Ereignissen umzugehen“.
Die Resilienzskala aus dem PsyCap-Fragebogen von Luthans et al. (2007) ist die
erste Skala, deren Items explizit arbeitsbezogen formuliert wurden. Die Items wurden
basierend auf der Resilienzdefinition ausgewählt, dass resiliente Menschen bei negativen
Ereignissen, Unsicherheit, Konflikten oder Misserfolg die Fähigkeit besitzen, sich zu
erholen oder sogar positiv zu verändern und zu wachsen. Die Skala besteht aus sechs
Items, die auf Basis der Resilienzskala von Wagnild und Young (1993) von Experten aus-
gewählt und arbeitsbezogen umformuliert wurden. Cronbach’s α liegt bei 0,68 und damit
eher nicht zufriedenstellend. Die Faktorenstruktur und Faktorladungen werden in der
Validierungsstudie nicht im Einzelnen berichtet, deuten aber zusammengefasst auf ein
einfaktorielles Modell hin (Luthans et al., 2007). Zur Validierung wurden Korrelationen
mit Core Self-Evaluations (r = 0,44), Gewissenhaftigkeit (r = 0,35) und Extraversion
(r = 0,20) betrachtet. Beispielitems für die Resilienzskala lauten: „Normalerweise
bewältige ich stressvolle Dinge im Job spielend“ und „Ich kann im Job schwierige Zeiten
durchstehen, da ich solche auch schon vorher gemeistert habe“.
Speziell für die Arbeitswelt wurde der Resilienzfragebogen von Soucek et al. ent-
wickelt. Dabei wurde zunächst ein theoretisches Modell entwickelt, dass eine ver-
haltensorientierte Definition von Resilienz zugrunde legt. Der Fragebogen basiert
auf vier Facetten: der emotionalen Bewältigung, umfassenden Planung, positiven
Umdeutung und fokussierten Umsetzung. Die Skala kann als Erweiterung bereits
bestehender Instrumente betrachtet werden, da sie Resilienz nicht nur als personale
Ressource betrachtet, sondern hinzukommend das resiliente Verhalten – die veränder-
bare Komponente der Resilienz – mit ins Auge fasst. Der Fragebogen umfasst 23 Items
und wird auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 7 (trifft voll und ganz
zu) beantwortet. Bei der Validierung der Skala konnte die faktorielle Struktur mit 4
Faktoren aufgrund von inhaltlichen Überlegungen bestätigt werden (Soucek et al., 2015).
Die einzelnen Faktoren weisen eine interne Konsistenz zwischen 0,70 und 0,81 auf.
Beispielitems für die Skala zum resilienten Verhalten bei der Arbeit lauten: „Selbst in
kritischen Situationen am Arbeitsplatz kann ich gut mit meinem Ärger umgehen“ und
„Wenn mich in der Arbeit etwas wütend macht, bekomme ich meinen Ärger schnell in
den Griff“. Bei der Auswertung wird der Mittelwert der jeweiligen Subskala berechnet.
Resilienzdiagnostik und -tools 241
Auch der REVERA zielt auf die Erfassung von resilientem Verhalten am Arbeitsplatz
ab. In diesem Instrument wird nicht Resilienz als Gesamtkonzept, sondern die einzelnen
Facetten und Schlüsselfaktoren der Resilienz in einzelnen Skalen erfasst. Es handelt sich
dabei um folgende Skalen: Sinnhaftigkeit, Soziale Unterstützung, Optimismus, Vitali-
tät/Regeneration, Handlungskompetenz, Verantwortung, Soziale Kompetenz, Zukunfts-
orientierung, Akzeptanz, und Stressverarbeitung. Jede Skala besteht aus 6 Items, die
auf einer 5-stufigen Skala beantwortet werden („Nie“, „Selten“, „Manchmal“, „oft“,
„immer“). Sämtliche Skalen bieten eine Interne Konsistenz zwischen 0,71 und 0,89.
Beispielitems lauten: „…konnte ich gut mit meinen Kollegen zusammenarbeiten“ und
„…habe ich Pläne für meine berufliche Zukunft geschmiedet“. Durch die verhaltensnahe
Erfassung einzelner Resilienzfaktoren bietet sich eine leichtere Möglichkeit zur Inter-
vention und zur Ableitung von Handlungsmaßnahmen am Arbeitsplatz.
Die Items der Resilience at Work Skala wurden mithilfe einer ausgeweiteten Literatur-
analyse und über 25-jähriger Erfahrung der Autoren mit Mitarbeitenden der unterschied-
lichsten Branchen entwickelt. Das Ergebnis sind 20 Aussagen, die sich auf die Einstellung
zur Arbeit fokussieren. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen arbeitsbezogenen
Skalen, die den Fokus eher auf Verhaltensweisen legen. Die erfassten Einstellungen
werden von den Versuchspersonen bewusst wahrgenommen und können nach Aussage der
Autoren durch Trainings verändert werden. Damit wollen Winwood et al. (2013) zeigen,
dass Resilienz nicht nur abhängig von der Persönlichkeit oder genetischen Faktoren ist,
sondern eine veränderbare Komponente mit sich bringt. Beispielitems lauten: „Ich kann
meine Stimmung bei der Arbeit verändern, wenn ich muss“ und „Ich habe verlässliche
Strategien entwickelt, um mich bei Druck bei der Arbeit zu entspannen“. Cronbach’s
Alpha für die gesamte Skala beträgt 0,84. Faktoranalytisch lässt sich die Skala in 7 unter-
schiedliche Faktoren aufteilen. Die Subskalen beziehen sich unter anderem auf das Bilden
von Netzwerken und ein authentisches Leben.
Das Workplace Resilience Inventory ist einer der längsten, der hier vorgestellten Frage-
bögen. Es besteht aus 60 Items, die sich auf 8 Subskalen mit jeweils 5 bis 9 Items
aufteilen. Die Subskalen legen ihren Fokus auf Persönlichkeitscharakteristiken, Eigen-
initiative und Selbstregulatorische Prozesse. Cronbach’s Alpha liegt für alle Subskalen
242 M. Bathen-Gabriel
zwischen 0,76 und 0,96. Die Items des Workplace Resilience Inventory sind sowohl
positiv als auch negativ formuliert. Die Antwortskala reicht von „Stimme überhaupt nicht
zu“ (1) bis „Stimme voll und ganz zu“ (5). Die meisten Fragen sind so formuliert, dass
die Befragten sich zunächst an ein signifikant negatives Arbeitsereignis zurückerinnern
und dieses bei der Beantwortung im Hinterkopf behalten sollen. Beispielitems für das
Workplace Resilience Inventory lauten: „Ich kann meine Emotionen kontrollieren“ und
„Seit dem entscheidenden Ereignis brauche ich mehr Zeit, um mich zu motivieren“. In
diesem Fragebogen zielen die Fragen eher auf die Einstellung zur Arbeit nach einem
negativen Ereignis ab, als dass Arbeitsverhalten erfasst wird.
Das Workplace Resilience Instrument (WRI) besteht aus 20 Items, die sich auf vier
Subskalen aufteilen. Diese vier Subskalen decken die Themen aktive Problemlösung,
Teameffektivität, zuversichtliche Sinnhaftigkeit und „Bricolage“ (Levi-Strauss, 1962).
Bricolage ist ein philosophisch-antroposophischer Begriff, der sich auf die Interaktion
des Menschen mit der Welt bezieht. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Bastelei“. Es geht
dabei um die Fähigkeit, Vorhandenes zu nutzen und Neues entstehen zu lassen. Die
Bricolage hat unter sozial-theoretischen Gesichtspunkten Einzug in die Ingenieur-
wissenschaften und die Organisationstheorie gefunden. Cronbach’s Alpha für die
vier Subskalen liegt zwischen 0,77 und 0,83. Beispielitems lauten „Ich habe Freude
daran, schwierige Probleme zu lösen“ (Aktive Problemlösung), „Ich verstehe die über-
geordneten Ziele meines Teams“ (Teameffektivität), „Wenn es chaotisch wird, ver-
suche ich die Situation zu verstehen“ (Zuversichtliche Sinnhaftigkeit) und „Selbst unter
großem Druck nehme ich mir die Zeit, um neue Methoden zu probieren“ (Bricolage).
Sämtliche Items fokussieren sich dabei auf die Schutzfaktoren von Resilienz, beziehen
sich also auf Stressresistenz und psychische Gesundheit. Somit lassen sich aus dem WRI
vor allem Maßnahmen zur Stärkung der Schutzfaktoren ableiten.
Der FITOR ist das einzige hier vorgestellte Instrument, das neben der individuellen
Resilienz auch die Team- und Organisationsresilienz misst. Teamresilienz kann dabei
folgendermaßen definiert werden: „Conceptualized at the team level, team resilience
serves to provide teams with the capacity to bounce back from failure, setbacks, conflicts,
or any other threat to well-being that a team may experience“ (West et al., 2009, S. 253).
Organisationale Resilienz definiert sich so: „„[…] resilient organizations are able to
maintain positive adjustments under challenging conditions. Resilient firms actually
thrive and become better in part because they faced and overcame serious challenges“
Resilienzdiagnostik und -tools 243
(Lengnick-Hall et al., 2011, S. 243). Weder für Teamresilienz noch für Organisationale
Resilienz gibt es viele Messinstrumente, sodass der FITOR eine wichtige Erweiterung
für die Resilienzforschung darstellt. Das Instrument wurde mithilfe von Interviews ent-
wickelt und besteht im Ergebnis aus 30 Items, die sich gleichmäßig auf die drei Ebenen
verteilen (jeweils 10 Items für Individuelle, Team und Organisationale Resilienz). Die
sechsstufige Antwortskala reicht von „Trifft überhaupt nicht zu“ (1) bis „Trifft völlig zu“
(6). Cronbach’s Alpha liegt bei 0,84 für die individuelle Resilienz, 0,93 für die Team-
resilienz und 0,92 für die organisationale Resilienz. Die Beispielitems für die jeweiligen
Skalen lauten „Ich gehe offen mit meinen Fehlern um und lerne daraus“ für individuelle
Resilienz, „Mein Team geht offen mit Fehlern um und lernt daraus“ für Teamresilienz
und „Meine Organisation geht konstruktiv mit Fehlern um und lernt aus Fehlern“ für
organisationale Resilienz.
So vielfältig, wie die Definitionen und Handlungsansätze zur Entwicklung von Resilienz
sind, so vielfältig sind auch die Messinstrumente. Alle der hier vorgestellten Instrumente
eignen sich nach aktuellem Stand der Wissenschaft zur Erfassung und Diagnostik von
Resilienz im Arbeitskontext. Je höher der Detaillierungsgrad des Fragebogens, desto
präziser lassen sich Handlungsempfehlungen und Maßnahmen zur Resilienzförderung
am Arbeitsplatz ableiten. Hierzu eigenen sich vor allem die Langfassungen, die auch
zur Messung der individuellen Resilienz zum Tragen kommen. Auch wenn der Einsatz
eines Diagnoseinstruments mit 60 Items zunächst einen größeren zeitlichen Aufwand
bedeutet, so sollten dennoch die Vorteile einer präzisen Analyse berücksichtigt werden.
Darüber hinaus können die längeren Instrumente eine deutlich bessere Reliabilität, also
Messverlässlichkeit, aufweisen als die kurzen Fragebögen mit 4 oder 6 Items. Somit
ist davon auszugehen, dass sie zuverlässigere Ergebnisse generieren als die kurzen und
zeitsparenden Instrumente. Diese Kriterien sollten bei der Auswahl eines Diagnose-
instruments zur Feststellung der Resilienz am Arbeitsplatz berücksichtigt werden. Als
bester Test, der möglichst viele Kriterien und Anforderungen im Arbeitskontext erfüllt,
hat sich die Skala zur Erfassung von resilientem Arbeitsverhalten von Soucek et al.
(2015) erwiesen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass dieser wissenschaftliche Test
sehr ausführlich ist und alle wesentlichen Aspekte der Resilienz berücksichtigt. Auch
wenn die Skala zur Erfassung von resilientem Arbeitsverhalten nach Soucek et al. sich
in Deutschland als wichtiges Messinstrument erwiesen hat, sind auch die anderen Tests
durchaus für eine Messung geeignet und können den Barnum-Effekt vermeiden.
Im nächsten Schritt, der Ableitung von Maßnahmen aus den Testergebnissen, ist das
Kohärenzgefühl der betroffenen Personen anzusprechen. Die Maßnahmen sollten daher
passend zu den in den Ergebnissen formulierten Bereichen der Ressourcenstärkung aus-
gewählt werden.
244 M. Bathen-Gabriel
Abschließend sollte noch kritisch angemerkt werden, dass die Tests aufgrund ihres
Ursprungs oftmals aus der therapeutischen Psychologie, nicht ohne professionelle
Begleitung angewandt werden sollten. Sowohl die Anwendung als auch die Inter-
pretation der Ergebnisse bedarf Erfahrung im Umgang mit psychologischen Tests.
Quintessenz
• Eine Vielzahl von Resilienzfragebögen eignet sich zur Diagnostik von Resilienz
im Unternehmenskontext.
• Kürzere Fragebögen eignen sich zur Feststellung der allgemeinen individuellen
Resilienz, längere Fragebögen erlauben eine höhere Detailtiefe in der
Diagnostik.
• Zur Ableitung von Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz eignen sich
besonders längere Fragebögen.
• Die Durchführung der Resilienzdiagnostik sollte mit Unterstützung von
erfahrenen und professionellen Beratungsfachkräften erfolgen.
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248 M. Bathen-Gabriel
Das Paar Dirk und Daniela möchte mit der Deutschen Bahn in den Urlaub fahren.
Der Zug, der sie an ihr Reiseziel bringen soll, verlässt den wenige Kilometer von der
Wohnung entfernten Bahnhof am Sonntag um 08:00 Uhr. Dirk hatte seinen Koffer
bereits am Samstagvormittag gepackt. Reisen macht ihn nervös, deshalb bereitet er sich
akribisch vor. Jetzt, Sonntag um 05:30 Uhr, steht Dirk im Hausflur, tritt von einem Fuß
auf den anderen und wartet auf Daniela, die noch verschlafen an ihrem Kaffee nippt.
Dirk musste sie aus dem Bett holen. Er selbst war schon seit 04:00 Uhr auf den Beinen –
vor einer Reise schläft er schlecht. Dirk will auf jeden Fall die U-Bahn um 05:56 Uhr
erwischen, die um 06:02 Uhr am Hauptbahnhof eintreffen wird. Dirk möchte den Zug
um 08:00 Uhr auf gar keinen Fall verpassen und ist lieber etwas früher am Hauptbahn-
hof. Daniela ist genervt von Dirk. Klar, er tut sich mit dem Reisen etwas schwer und nur
seinetwillen hat sie sich um 05:00 Uhr aus dem Bett gequält, obwohl man notfalls in
15 Minuten zum Hauptbahnhof laufen könnte. Aber okay, wenn Dirk das unbedingt will,
stehen sie halt um kurz nach sechs am Hauptbahnhof und warten zwei Stunden auf ihren
Zug. Irgendwie haben Bahnhöfe ja auch etwas Romantisches. ◄
M. Cirkel (*) · S. Seibold
Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
E-Mail: miriam.cirkel@hs-hannover.de
S. Seibold
E-Mail: sven.seibold@hs-hannover.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 249
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_14
250 M. Cirkel und S. Seibold
Menschen sind verschieden und sie verhalten sich unterschiedlich, so wie Dirk und
Daniela auf dem Weg in ihren Urlaub. Wieso ist das so? Und welche Verhaltensanteile
gehen auf die Person zurück und welche auf die Situation? Warum ist Dirk so nervös,
obwohl eigentlich gar nichts passiert, und warum bleibt Daniela gelassen? Und kommt
es vor, dass Daniela in anderen Situationen nervöser ist als Dirk? Menschen unter-
scheiden sich in ihren Persönlichkeitseigenschaften, in ihren Werten, Motiven und Ein-
stellungen. Erst wenn man einen Menschen zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen
Situationen erlebt hat, kann man Rückschlüsse auf die Person ziehen. Und obwohl
Personenmerkmale konstant sind, verhält sich ein Mensch nicht in allen Situationen
gleich. In diesem Text wird erläutert, worauf resilientes Verhalten zurückzuführen ist.
Resilienz bezeichnet die erfolgreiche Bewältigung von alltäglichem Stress und Strapazen
bis hin zu traumatischen Lebensereignissen (Fletcher & Sarkar, 2013, S. 14). Gibt es
Menschen, die so resilient sind, dass sie durch fast nichts unterzukriegen sind? Und kann
man lernen, auch so robust zu werden? In den Abschn. 1.1 Person, 1.2 Situation und 1.3
Interaktion wird die theoretische Fundierung gelegt und die für diesen Beitrag wichtigen
Inhalte werden dargestellt. Der Forschungsstand zu Resilienz ist dagegen jünger und
heterogener (vgl. dazu den Beitrag von Helmreich in diesem Buch). Ab Abschn. 1.4
Resilienz wird deshalb vermehrt die Theorie in den Vordergrund gestellt. Zum besseren
Verständnis der Inhalte werden uns Daniela und Dirk in diesem Text begleiten. Beide
Figuren sind frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.
Als Daniela die Haustür beim Hinausgehen mit extra Schwung ins Schloss wirft,
weiß Dirk, dass Daniela genervt ist. Aber er kann es nicht ändern, diese Reise macht ihn
nervös. So sehr, dass er seit gestern Nachmittag einen seltsamen Ausschlag am Hals hat.
Wenn Daniela nicht so enttäuscht sein würde, hätte er den Urlaub schon längst storniert.
Dieser Ausschlag kommt sicher von dem Urlaubsstress. Wann kehrt endlich wieder Ruhe
ein?
Um Dirks Resilienz scheint es nicht besonders gut bestellt zu sein. Woran liegt das?
Und kann Dirk an sich arbeiten, um in Zukunft gelassener auf Reisen zu gehen? Schauen
wir uns menschliches Verhalten und Resilienz einmal genauer an. Diesen Text schreiben
wir aus persönlichkeitspsychologischer Perspektive. „Persönlichkeitspsychologie ist die
empirische Wissenschaft von den individuellen Besonderheiten von Menschen in körper-
licher Erscheinung, Verhalten und Erleben“ (Neyer & Asendorpf, 2018, S. 19). Dabei
interessieren stabile Unterschiede zwischen Menschen. Warum ist ein Kind aggressiv
und ein anderes nicht? Warum arbeitet ein Angestellter fleißiger als ein anderer? Wieso
können manche Menschen Belastungen besser bewältigen als andere? Resilienz wird in
diesem Kapitel als individualpsychologisches Phänomen, also als individuelle Besonder-
heit eines Menschen im Verhalten und Erleben, verstanden. Zu anderen Ansätzen zur
Definition und Konzipierung von Resilienz siehe beispielsweise Padan und Gal (2020).
Verhalten ist äußerlich sichtbar. Beispielsweise sieht man Dirk am Morgen der Bahn-
reise im Zimmer auf- und abgehen. Erleben ist der innere Zustand, den man nicht direkt
beobachten kann. Wie sich Dirk innerlich fühlt, kann man von außen nicht mit Sicherheit
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 251
sagen. Einfacher wird es, wenn Dirk Einblick in sein Erleben gibt. Beispielsweise könnte
Dirk sagen, dass er nervös sei und er sich Sorgen mache, den Zug nicht zu erreichen.
Man glaubt Dirk, weil man ihn auf- und abgehen sieht (Verhalten) und das als Nervosität
(Erleben) interpretiert.
Unterschiede im Verhalten und Erleben lassen sich auf die Person, die Situation und
deren Interaktion zurückführen. Personenbezogene Einflussfaktoren sind zum Beispiel die
Persönlichkeit, Werte, Motive und Einstellungen. Dass Dirk sich vor der Zugreise ängst-
lich verhält und Daniela gelassen, kann auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten der
beiden zurückzuführen sein, muss es aber nicht. In Situationen, in denen viele Menschen
ängstlich reagieren würden, wie bei einer betriebsbedingten Kündigung, ist ängstliches
Verhalten eher auf die Situation als auf die Person zurückzuführen. Zur Situation zählen
alle aktuellen oder überdauernden Umweltbedingungen, denen eine Person ausgesetzt
ist. Auch die Interaktion, also die Wechselwirkung von Person und Situation, beeinflusst
Verhalten (siehe zu den Wechselwirkungen auch den Beitrag von Pundt in diesem Buch).
Hierbei wirken auch alte Erfahrungen in die jeweils aktuelle Situation hinein. Hat Dirk in
der Vergangenheit häufig einen Zug verpasst und ist deshalb so angespannt? Wie bei allem
menschlichen Verhalten ist auch resilientes Verhalten, ebenso wie wenig resilientes Ver-
halten, auf Ursachen in der Person, der Situation und deren Interaktion zurückzuführen.
1.1 Person
Wenn sich ein bestimmtes Verhalten über viele verschiedene Situationen und zu ver-
schiedenen Zeiten zeigt, lohnt die Suche nach Ursachen in der Person. Einer Person
werden verschiedene Konstrukte zugeordnet, darunter Persönlichkeit, Werte, Motive,
Bedürfnisse und Einstellungen. Dabei unterscheiden sich die Konstrukte stark in ihrem
Erklärungswert für Verhalten, in ihrer langfristigen Stabilität (Zeit) und in ihrer trans-
situativen Konsistenz (verschiedene Situationen). Manche Konstrukte beeinflussen Ver-
halten stärker als andere (Erklärungswert). Langfristige Stabilität bedeutet, dass ein
Merkmal über eine lange Zeit hinweg bestehen bleibt. Transsituative Konsistenz heißt,
Unterschiede eines Merkmals zwischen Menschen bleiben in verschiedenen Situationen
stabil. Will man die Frage klären, ob ein spezifisches Verhalten individuell veränder-
bar oder trainierbar ist, dann interessiert in erster Linie die langfristige Stabilität von
Personenmerkmalen (Konstrukten). Man muss also beispielsweise klären, ob ein sehr
gewissenhaftes Verhalten eines Menschen auf die Persönlichkeitsdimension Gewissen-
haftigkeit zurückgeht (kaum änderbar) oder ob sich dieser Mensch das sehr gewissen-
hafte Verhalten von Kollegen abgeschaut hat (änderbar).
Im Folgenden werden zwei Personenmerkmale exemplarisch vorgestellt, die sich hin-
sichtlich ihres Erklärungswertes beziehungsweise ihrer Vorhersagekraft für Verhalten
und hinsichtlich ihrer langfristigen Stabilität deutlich unterscheiden: Persönlichkeit und
Einstellungen.
252 M. Cirkel und S. Seibold
1.1.1 Persönlichkeit
Die Persönlichkeit eines Menschen zeigt sich in Regelmäßigkeiten im Erleben und Ver-
halten (Rauthmann, 2016, S. 18). Die Persönlichkeit eines Menschen beeinflusst dessen
Verhalten also in vielen verschiedenen Situationen. Jemand, der gut auf fremde Menschen
zugehen kann, kann im Urlaub nach dem Weg fragen und sich auf der Firmenfeier mit
neuen Kollegen zwanglos unterhalten. Persönlichkeitseigenschaften sind langfristig stabil
und die Vorhersagekraft für Verhalten im Erwachsenenalter ist gut (Neyer & Asendorpf,
2018, S. 27). Persönlichkeitsänderungen sind selten und Verhaltensweisen zu zeigen,
die nicht der Persönlichkeit entsprechen, ist zwar möglich, aber sehr anstrengend. Ein
Personenmerkmal, das langfristig sehr stabil ist, kann sich bei einem Individuum zwar
leicht verändern, der Unterschied im Vergleich zur Referenzpopulation bleibt aber gleich.
So verlieren die meisten Menschen mit dem Alter etwas Offenheit für Erfahrungen. Wer
aber im Alter von 20 Jahren offener ist als andere, wird das auch im Alter von 80 Jahren
sein, nur auf einem geringeren Niveau als im Alter von 20 Jahren. Durch einen Vergleich
von Menschen kann man erste Hypothesen zu Unterschieden in der Persönlichkeit bilden.
Zum Beispiel kann man vermuten, dass Dirk eine hohe Ausprägung und Daniela eine
niedrige Ausprägung in Ängstlichkeit hat. Um das herauszufinden, setzt man in der Regel
Persönlichkeitstests ein. Allein aufgrund einer einmaligen Beobachtung von Daniela und
Dirk vor ihrer Urlaubsreise sollte man keine Schlüsse ziehen. Man kann Hypothesen
bilden, die man in anderen Situationen, in denen man Daniela und Dirk erlebt, überprüft.
Aber Vorsicht: Viele Menschen lassen sich zu stark von ihren ersten Eindrücken leiten.
Dirk weiß, dass er sich manchmal anders verhält als andere. Andere Menschen sind
vor Zugreisen nicht so nervös wie er. Dirk sorgt sich nicht nur darum, seinen Zug
zu verpassen, sondern wird auch schnell in anderen Situationen nervös. Als Kind war
Dirk nicht so ängstlich wie heute. Er und seine Freunde haben sich einfach weniger
Sorgen um alles gemacht. Im Vergleich zu seinen Schulfreunden war Dirk aber schon
immer der Ängstlichste von allen. Daniela ist nicht sehr ängstlich. Wenn es nach ihr
ginge, könnten sie notfalls sogar zu Fuß zum Hauptbahnhof laufen und wenn man
einen Zug verpasst, nimmt man halt den nächsten. Dirk kann zwar anstrengend sein,
ist aber ein lieber Kerl und er macht es ja nicht mit Absicht. Für Daniela ist es ein-
fach, sich auf ihn einzustellen. Dirks Nervosität hält sie zwar ganz schön auf Trab,
aber sie lässt sich nicht anstecken. ◄
Für eine umfassende Beschreibung der Persönlichkeit eines Menschen ist das
5-Faktoren-Modell der Persönlichkeit sehr hilfreich. Danach lässt sich die Persönlichkeit
von Menschen auf fünf Faktoren, auch Dimensionen genannt, beschreiben (Borkenau &
Ostendorf, 2008, S. 10, S. 40-41):
Jede Dimension besteht aus sechs Facetten. Ängstlichkeit ist beispielsweise eine Facette
der Dimension Emotionale Stabilität des 5-Faktoren-Modells. Das 5-Faktoren-Modell ist
erklärungsstark, man kann viele verschiedene Verhaltensweisen von Menschen mit dem
Modell erklären. Aufgrund der Kombinationsmöglichkeiten der fünf Dimensionen mit
den jeweils sechs Facetten lassen sich viele verschiedene Verhaltensweisen erklären. In
Tab. 1 werden die fünf Dimensionen mit ihren je sechs Facetten dargestellt. Für weitere
Details siehe Litzcke und Heber (2017).
Wenn ein Mensch eine starke Ausprägung auf einer Dimension hat, können daran die
Facetten der Dimension unterschiedlich stark beteiligt sein (Lord, 2007). Mit voreiligen
Interpretationen von Dimensionsmittelwerten sollte man sich daher zurückhalten. Erst
die Gesamtheit der Dimensionen und Facetten sowie deren Wechselwirkungen ergeben
das Gesamtbild einer Persönlichkeit. Um ein differenzierteres Bild von Dirk zu erhalten,
muss man dessen übrigen Persönlichkeitsmerkmale kennen, nicht nur dessen Ängstlich-
keit, und natürlich auch dessen Werte, Motive und Einstellungen erfassen. Persönlichkeit
ist zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Konstrukt zur Beschreibung von Menschen.
1.1.2 Einstellung
Einstellungen sind mentale Repräsentationen, „die aus einer zusammenfassenden
Bewertung eines Einstellungsobjekts bestehen“ (Werth et al., 2020, S. 243). Eine Ein-
stellung kann sich auf Menschen, Objekte oder Ereignisse beziehen und umfasst
drei Bereiche (Eagly & Chaiken, 1993): Kognitionen, Affekte und Verhalten. Zu den
Kognitionen zählen beispielsweise Überzeugungen und Stereotype gegenüber dem Ein-
stellungsobjekt. Welche Emotionen oder Stimmungen eine Person, ein Objekt oder ein
Ereignis auslösen, gehört zur affektiven Komponente. Unter der Kategorie Verhalten
wird konkretes Verhalten, beispielsweise gegenüber einer Person, verstanden. Auch Ver-
254 M. Cirkel und S. Seibold
haltensintentionen, also die Absicht sich in bestimmter Weise zu verhalten, gehören zur
Komponente Verhalten. Alle drei Bereiche sind wichtig. So kann man beispielsweise
Espresso für ungesund halten (Kognition), aber lieber mögen als Filterkaffee (Affekt)
und immer, wenn man die Wahl hat, trinkt man einen Espresso (Verhalten). Im Notfall
mag es auch ein Filterkaffee tun. Wenn man einen Menschen einmalig beobachtet, wie er
einen Filterkaffee trinkt, sollte man nicht vorschnell auf eine entsprechende Einstellung
schließen. Vielleicht gab es keinen Espresso. Oder die Person wollte den Gastgebern
keine Umstände bereiten, da der Filterkaffee schon fertig ist und der Espresso erst hätte
zubereitet werden müssen. Auch Einstellungen von Menschen kann man präziser ein-
schätzen, wenn man einen Menschen in verschiedenen Situationen erlebt hat.
Da sich Einstellungen auf bestimmte Einstellungsobjekte beziehen, wirken sie spezi-
fischer als Persönlichkeitsdimensionen. Das heißt, sie wirken sich nicht in so vielen ver-
schiedenen Situationen auf Verhalten aus, sondern nur in solchen Situationen, die das
Einstellungsobjekt betreffen. Die Einstellung gegenüber Filterkaffee hat beispielsweise
keinen Einfluss auf die Präferenz für Fleisch.
Verglichen mit den Dimensionen und Facetten der Persönlichkeit sind Einstellungen
weniger stabil. Zwar kann man Einstellungen leichter verändern als Persönlichkeits-
dimensionen, aber ohne Anlass wird das nicht passieren. Es braucht bestimmte Wechsel-
wirkungsprozesse zwischen Person und Situation, damit Änderungen eintreten (siehe
Abschn. 1.3 Interaktion). Einstellungen können sich also nicht nur auf Personen oder
Objekte beziehen, sondern auch auf Ereignisse, beispielsweise auf eine bevorstehende
Bahnfahrt. Wie ist Dirk wohl gegenüber Bahnfahrten eingestellt?
Die Bahn findet Dirk unpünktlich (Stereotyp) und fühlt sich während der Fahrt nicht
wohl, oft ist es voll und man weiß nie, wem man begegnet. Wenn möglich, fährt er
lieber mit dem eigenen Auto. Nur geht das mit Daniela nicht so gut. Daniela findet
Autos unnötig, fährt nicht gern Auto und besteht darauf, auf jeden Fall mit der
Bahn zu fahren, wenn das irgendwie möglich ist. Naja, davon abgesehen ist Daniela
eine großartige Frau und wenn sie halt unbedingt Bahnfahren möchte, wird er sich
zusammenreißen müssen, so gut er eben kann. ◄
1.2 Situation
Das Verhalten von Menschen wird nicht nur von den Personenmerkmalen, sondern auch
von Situationen, denen ein Mensch ausgesetzt ist, beeinflusst. Zur Erklärung von Ver-
halten sind insbesondere solche Situationen von Interesse, denen ein Mensch regelmäßig
ausgesetzt ist (stabile Faktoren) und die einen direkten Einfluss haben (proximale
Faktoren). Interessant sind Faktoren der persönlichen Umwelt. Die persönliche Umwelt
ist dem Menschen am nächsten. Sie umfasst alle Situationen, denen ein Mensch direkt
und überdauernd ausgesetzt ist (Neyer & Asendorpf, 2018, S. 242). Dazu gehören zum
Beispiel das soziale Milieu, Beziehungen zu anderen Menschen oder der Arbeitsplatz. In
Abgrenzung dazu können Situationen, die nur vorübergehend oder indirekt wirken, zum
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 255
Beispiel ein Urlaub auf den Malediven (vorübergehende Situation) oder der Arbeitsplatz
des Partners (indirekte Wirkung), Verhalten weniger gut erklären. Situationen können
hinsichtlich ihrer Vorhersagekraft in stark und schwach unterschieden werden. Starke
Situationen haben einen größeren Einfluss auf Verhalten als schwache Situationen.
Zum Beispiel ist eine rote Ampel in Deutschland eine starke Situation. Menschen über-
queren eine vielbefahrene Straße, an der eine Fußgängerampel auf Rot zeigt, mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht, egal wie stark oder schwach gewissenhaft eine Person ist. In
der Nacht sinkt die Vorhersagekraft. Menschen gehen nachts häufiger als am Tag über
eine rote Ampel. Bisher haben wir Dirks Nervosität auf seine Person zurückgeführt:
Womöglich ist er besonders ängstlich (Persönlichkeit). Vielleicht hat er auch eine
Abneigung gegen Zugfahren (Einstellung). Verändern wir die Situation und schon ergibt
sich ein anderes Bild.
Dirk und Daniela fahren nicht in den Urlaub, sondern Dirk reist für ein wichtiges
Vorstellungsgespräch mit der Bahn nach München. Die Arbeitsstelle in München zu
bekommen, ist für Dirk außerordentlich wichtig, weil er dann mit Daniela zusammen-
ziehen könnte, die schon in München lebt und arbeitet. In seiner Branche gibt es nicht
viele Stellen in München. Es ist ein Glücksfall, dass jetzt eine Stelle ausgeschrieben
wurde, die perfekt passt. Dirk kennt den Geschäftsführer des Unternehmens in
München von einem Kongress und weiß, dass dieser ausgesprochen viel Wert auf
Zuverlässigkeit legt und Unpünktlichkeit, gleich aus welchen Gründen, sehr negativ
bewertet. Daniela und Dirk besuchen sich an den Wochenenden wechselweise in
Hannover, wo Dirk wohnt, oder in München, wo Daniela wohnt. Erst letzte Woche
hatte sein Zug zwei Stunden Verspätung. Und das war nicht das erste Mal. ◄
Wäre in einer solchen Situation die Nervosität von Dirk vor der Zugreise tatsächlich
zwingend Ausdruck seiner Ängstlichkeit? Oder wäre das eine Situation, in der viele
andere Menschen auch nervös wären? In dem Fall könnte man aus dem nervösen Ver-
halten Dirks keinen Rückschluss auf seine Resilienz oder auf andere individuelle
Besonderheiten ziehen. Diese Situationsvariation zeigt: Es spielt eine Rolle, in welcher
Situation ein Mensch ein bestimmtes Verhalten zeigt. Wenn Dirk vor jeder Urlaubsreise
zwei Stunden vor Abfahrt am Bahnsteig steht, könnte man eher über die Persönlich-
keitsfacette Ängstlichkeit nachdenken, als wenn er dieses Verhalten nur dieses eine Mal
vor dem wichtigen Vorstellungsgespräch in München zeigt. Um die Resilienz von Dirk
könnte es nicht so gut bestellt sein, wenn er sich vor jeder privaten Reise so ängstlich
verhält.
1.3 Interaktion
Bis hierhin handeln die Ausführungen von direkten Wirkungspfaden von der Person und
der Situation zum Verhalten. Sortiert eine Person im Lebensmittelgeschäft ihre Waren
aus dem Einkaufswagen sorgfältig auf das Kassenband (Verhalten), dann könnte das an
256 M. Cirkel und S. Seibold
ihrer hohen Gewissenhaftigkeit (Persönlichkeit) liegen. Oder die Hektik im Geschäft und
der gestresst aussehende Kassierer (Situation) veranlassen die Person dazu, zu einem
reibungslosen Ablauf beizutragen. Doch liefern solche unidirektionalen Wirkungspfade
von Person oder Situation zum Verhalten keine Erklärung dafür, warum sich Menschen
im Laufe eines Lebens verändern. Wieso ist ein sehr schüchternes Kind als erwachsene
Person beispielsweise in der Lage, sich gegenüber anderen Personen besser zu öffnen?
Menschen ändern sich aufgrund einer dynamischen und ständigen Interaktion oder
Wechselbeziehung zwischen Person und Situation (Neyer & Asendorpf, 2018, S. 39;
Rauthmann, 2016, S. 42). Personenmerkmale im Allgemeinen und Persönlichkeitseigen-
schaften im Spezifischen beeinflussen die Umwelt und die Umwelt beeinflusst wiederum
die Person und die Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen (Neyer & Asendorpf,
2018, S. 39). Beispiel: Menschen mögen Menschen, die ihnen ähnlich sind, wie etwa
mit einer ähnlichen Intelligenz oder ähnlichen Werten oder Interessen. Sie wählen in
der Regel selbst diejenigen Personen aus, mit denen sie ihre Zeit verbringen. Damit
sind Menschen Gestalter ihrer eigenen Umwelt. Gleichzeitig wirkt die Umwelt auf die
Person: Interessen, Einstellungen oder Werte von engen Bezugspersonen können über-
nommen werden. Beispielsweise werden sich die Partner in Paarbeziehungen einander
mit der Zeit ähnlicher. Mithilfe selektiver Wechselwirkungsprozesse zwischen Person
und Umwelt formen sich Menschen also ihre persönliche Umwelt kongruent zu ihrer
Individualität und ihre Individualität passt sich an ihre persönliche Umwelt an. So könnte
sich beispielsweise ein wettbewerbsorientierter Mensch eher für eine Branche wie die
Unternehmensberatung interessieren, in der man stärker miteinander konkurriert als bei
der Feuerwehr. Wegen des täglichen Umgangs mit ebenfalls wettbewerbsorientierten
Kollegen in der Unternehmensberatung wird dieser Mensch im Laufe der Zeit noch
stärker wettbewerbsorientiert. So entwickelt man sich in eine bestimmte Richtung weiter
und es entsteht zwischen Person und Umwelt eine zunehmende Passung (auch: Person-
Umwelt-Passung, Rauthmann, 2016, S. 47). Aufgrund des wechselseitigen Einflusses
von Person und Umwelt stehen Umweltmerkmale nicht unabhängig zur Person, sondern
man kann sagen, sie charakterisieren sie (Neyer & Asendorpf, 2018, S. 238).
Daniela und Dirk lesen gern dieselben Bücher und mögen es, sich im Anschluss mit-
einander über das Gelesene auszutauschen. Über dieses gemeinsame Interesse haben
sie sich vor fünf Jahren in einem Buchclub kennen- und lieben gelernt. Danielas vor-
heriger Freund konnte mit Büchern nichts anfangen. Naja, und Daniela dann irgend-
wann auch nichts mehr mit ihm. Mit Dirk ist es anders und sie bekommt mit Dirk
noch einmal eine ganz neue Sicht auf das Leben. Dirk erzählt gern, was er Neues im
Politikteil der Zeitung gelesen hat. Konnte sie bisher Politik kaum etwas abgewinnen,
hat sie nun eine ganz andere Einstellung zu Parteien und Wahlen. Sie findet nun,
dass Politik wichtig ist. Sie findet auch, dass die Partei, die Dirk seit Jahren wählt,
ein gutes Parteiprogramm vertritt. Und so kam es, dass sie, seitdem sie mit Dirk
zusammen ist, wählen geht. ◄
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 257
Mit zunehmender Passung von Person und persönlicher Umwelt stabilisiert sich das Ver-
halten und die Individualität einer Person, die wiederum die Person-Umwelt-Passung
erhöht. Es entsteht ein sich gegenseitig verstärkender Wechselwirkungsprozess (Neyer
& Asendorpf, 2018, S. 288). Beispiel: Ist eine Person hilfsbereit (Persönlichkeitseigen-
schaft), wird sie eher einem Beruf (Situation) nachgehen, in dem Hilfsbereitschaft
eine Stellenvoraussetzung ist, zum Beispiel als Krankenpfleger. Da die Person einen
Beruf ausübt, der zu ihrer Persönlichkeit passt, entsteht eine Person-Umwelt-Passung.
Bedingt durch die Berufswahl zeigt die Person viel Hilfsbereitschaft (Verhalten), was
bei längerer Berufsausübung die Hilfsbereitschaft (Persönlichkeitseigenschaft) weiter
verstärkt. Stabilisierung der Individualität und Person-Umwelt-Passung verstärken
sich gegenseitig. Über die Lebensspanne eines Menschen betrachtet, stabilisiert sich
die Individualität mit zunehmendem Alter (Roberts & DelVecchio, 2000). Denn die
Möglichkeiten der aktiven Einflussnahme auf die eigene persönliche Umwelt und damit
die Herbeiführung einer Person-Umwelt-Passung nehmen mit dem Alter zu. So haben
Kinder noch wenige Möglichkeiten, ihre Umwelt zu gestalten. Mit höherem Alter aber
wächst der Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Menschen können sich dann eher
aussuchen, wer ihre Bezugspersonen sind oder welcher Arbeit sie nachgehen wollen
(Neyer & Asendorpf, 2018, S. 288). Mit weiter zunehmendem Alter hat man bereits viele
Entscheidungen getroffen, die nicht so einfach neu getroffen werden können: Berufs-
wahl, Partnerwahl, Entscheidung für eigene Kinder.
1.4 Resilienz
Daniela und Dirk stehen am Bahnsteig und schauen auf die Uhr: In zwei Stunden
fährt der Zug ab. Das kann doch nicht wahr sein, denkt sich Daniela, dass ich hier so
lange warten muss. Zum nächsten Urlaub muss Dirk endlich entspannter werden und
an sich arbeiten. Kann man da nicht etwas machen? Gibt es da nicht irgendwelche
Übungen oder Trainings, die er absolvieren kann? Daniela hat neulich etwas zum
Thema Resilienz gelesen. Vielleicht ist das ja ein erfolgversprechender Ansatz. ◄
Resilienz bezeichnet die erfolgreiche Bewältigung von belastenden und potenziell die
Lebensführung beeinträchtigenden Situationen, wie alltäglicher Stress und Strapazen,
etwa viel Arbeit, unangenehme Nachbarn oder nörgelnde Verwandte bis hin zu
traumatischen Lebensereignissen (Fletcher & Sarkar, 2013, S. 14). Eine erfolgreiche
Bewältigung heißt, dass als Ergebnis des Bewältigungsprozesses die Lebensführung
nicht oder nur kurzfristig beeinträchtigt oder sogar verbessert wird (Padan & Gal,
2020, S. 37). Resiliente Menschen sollen nicht nur mittelfristig Belastungen erfolg-
reicher bewältigen können als Menschen mit geringer Resilienz, sondern auch lang-
fristig gesünder leben. Zwar liegen zu den langfristigen Folgen von Resilienz zum Teil
widersprüchliche Erkenntnisse vor (zum Beispiel: Färber & Rosendahl, 2020; van der
Meulen et al., 2020). Mehrheitlich wird aber berichtet, dass Resilienz zu einer besseren
258 M. Cirkel und S. Seibold
körperlichen und psychischen Gesundheit beiträgt (Färber & Rosendahl, 2020; Hu et al.,
2015; Leppert et al., 2005; Wermelinger et al., 2017). Im Hinblick auf die Definition von
Resilienz wird in der einschlägigen Literatur ein Diskurs darüber geführt, ob Resilienz
als Persönlichkeitseigenschaft ein Personenmerkmal, ein Prozess oder das Ergebnis
eines Prozesses ist (Fletcher & Sarkar, 2013, S. 13). Aus persönlichkeitspsychologischer
Sicht, genauer gesagt aus dynamisch-interaktionistischer Sicht, resultiert Individuali-
tät im Verhalten immer aus Person, Situation und Interaktion. Also eine Person trifft
auf Situationen, die miteinander interagieren und die auch eine Interaktionsgeschichte
aufweisen (Prozess), was in Verhalten resultiert (Ergebnis). Resilienz also nur auf
bestimmte Aspekte zu reduzieren, ist zu kurz gedacht und wird menschlichem Verhalten
in seiner Komplexität nicht gerecht.
Womit sind Unterschiede zwischen Menschen bei der Bewältigung von Belastungen
zu erklären? Bislang hat sich aus persönlichkeitspsychologischer Sicht kein Modell
zur Erklärung von Resilienz durchgesetzt (mehr Informationen dazu zum Beispiel in
Fletcher & Sarkar, 2013). Man weiß nicht genau, wie hoch der Anteil der Person und
wie hoch der Anteil der Situation an Resilienz tatsächlich ist und welche Prozesse der
Interaktion von Person und Umwelt insgesamt zu Resilienz beitragen. Bewältigt ein
zurückgekehrter Soldat die negativen Erlebnisse im Krieg besser als sein Kamerad, weil
er persönlichkeitsbedingt weniger verletzlich ist (Persönlichkeit) oder weil er zurück in
der Heimat einen stärkeren Rückhalt innerhalb seiner Familie erhält (Situation)? Aus-
sagen über die Resilienz einer Person wären aussagekräftiger, wenn mit dem Wissen
über die spezifischen Resilienzfaktoren Profile erstellt werden könnten, die Angaben
zur Persönlichkeit, zu Werten, zu Motiven, zu Einstellungen, zu Lernerfahrungen
(Umwelt) und so weiter eines Menschen enthielten. Eine Verortung ist nicht nur wichtig,
um ein besseres Verständnis von Resilienz zu erlangen. In Hinsicht auf eine mögliche
Anwendung des Wissens über Resilienz, zum Beispiel in der Personalführung, im
Gesundheitswesen oder bei der Erziehung, ist es wichtig zu wissen, wie viel praktischer
Handlungsspielraum bleibt, um aktiv an einer Verbesserung von Resilienz zu arbeiten.
Wäre Resilienz, überspitzt gesagt, eine Einstellung, könnte man an einer Veränderung
der eigenen Einstellung arbeiten. Wäre Resilienz dagegen eine Persönlichkeitseigen-
schaft, wäre der Handlungsspielraum für Veränderungen wesentlich kleiner. Bislang
liegt aber kaum gesichertes Wissen darüber vor, wie langfristig stabil Resilienz ist
und welche Entwicklungsmöglichkeiten es gibt. Das ist problematisch, denn geht man
zu optimistisch heran (Resilienz ist eine Einstellung), überschätzt man womöglich die
Möglichkeiten eines Trainings von Resilienz und wird frustriert, wenn ein Training nicht
die gewünschte Wirkung erzielt. Geht man zu pessimistisch heran (Resilienz ist eine
Persönlichkeitseigenschaft), bemüht man sich nicht um eine Verbesserung von Resilienz,
obwohl es möglich wäre.
Um einen Eindruck zu bekommen, wie Resilienz persönlichkeitspsychologisch
zu verorten ist, wird in den folgenden Abschnitten der Einfluss von Personen- und
Situationsfaktoren auf Resilienz detaillierter betrachtet. In Tab. 2 sind die metaana-
lytischen Forschungsarbeiten aus den Jahren 2010 bis 2020 zu Resilienzfaktoren
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 259
aufgeführt. Einzelstudien (zum Beispiel: Job et al., 2020; Laucht, 2012) werden auf-
grund der Vielzahl nicht aufgeführt. Bei quantitativen Metanalysen wird die Höhe des
Einflusses von Personenfaktoren oder Situationsfaktoren auf Resilienz mithilfe von
Effektgrößen quantifiziert. Bei den anderen Studien steht qual. für qualitative Metaana-
lyse. Die Personenfaktoren und Situationsfaktoren werden mit der ihnen zugehörigen
übergeordneten Personenfaktorklasse oder Situationsfaktorklasse in deutscher Über-
setzung aufgeführt. Verschiedene Abstraktionsebenen werden mithilfe von Spalten
und Aufzählungszeichen gekennzeichnet: Die in der Spalte Personenfaktorklasse
beziehungsweise Situationsfaktorklasse mit Aufzählungszeichen aufgeführten Resilienz-
faktoren sind der Klasse untergeordnete Faktoren, während die in der Spalte Personen-
faktor beziehungsweise Situationsfaktor mit Aufzählungszeichen aufgeführten
Resilienzfaktoren dem Faktor untergeordnete Facetten sind.
In den Primärstudien wurden Personen als resilient eingestuft, wenn nach belastenden
und potenziell die Lebensführung beeinträchtigenden Lebenserfahrungen keine patho-
logischen Symptome eintraten, die Personen also körperlich und psychisch gesund
blieben, die Lebensführung nicht nachhaltig beeinträchtigt war oder sich verbesserte
(zum Beispiel: Lamp, 2013, S. 81; Stewart & Yuen, 2011, S. 206). Eine nachhaltig nicht
beeinträchtigte oder verbesserte Lebensführung wird je nach Stichprobe und Kontext
der Primärstudie unterschiedlich definiert. Bei einer Untersuchung von Grundschülern
zum Beispiel (Doblinger & Becker-Stoll, 2020, S. 116) wird unter einer nachhaltig nicht
beeinträchtigten Lebensführung die Bewältigung von Anforderungen im Schulalltag ver-
standen, wie eine erfolgreiche Integration in die Klasse oder positives Lernverhalten. Die
Stichproben bestanden aus Patienten mit psychotherapeutischen Bedürfnissen, zum Bei-
spiel nach Traumata oder aufgrund von Persönlichkeitsstörungen (Bartholomew et al.,
2020, S. 7), aus körperlich Kranken (Stewart & Yuen, 2011), aus Älteren (Bolton et al.,
2016), aus Kindern mit widrigen Lebensbedingungen (Werner, 2020) und aus Flücht-
lingen (Sleijpen et al., 2016). Belastende Situationen waren zum Beispiel Traumata
durch Naturkatastrophen oder Kriege (Lamp, 2013, S. 84–85), körperliche oder
emotionale Gewalt oder Misshandlung (Nasvytienė et al., 2012, S. 11; Yule et al., 2019,
S. 408), Flucht und Migration (Sleijpen et al., 2016) und bei Kindern Armut, psychische
Erkrankungen der Eltern, Missbrauch und Scheidung (Werner, 2020, S. 86).
In diesem Beitrag werden nicht die Wirkungsweisen von dysfunktionalen Personen-
und Situationsfaktoren betrachtet, da nicht Belastungsursachen, sondern Bewältigungs-
ursachen im Fokus dieses Beitrags stehen. Wir konzentrieren uns daher auf funktionale
Personen- und Situationsfaktoren und die Frage, wie stabil sie sind. Da sich Resilienz
aber letztlich über das Vorliegen von belastenden Situationen definiert, sollten dys-
funktionale Personen- und Situationsfaktoren für das Verständnis von Wirkungs-
mechanismen grundsätzlich mitgedacht werden. Obwohl es sich um eine umfangreiche
Liste von Einflussfaktoren handelt, kann eine vollständige Auflistung nicht garantiert
werden. Das hat zum einen den Grund, dass sich wegen des mitunter widersprüch-
lichen Forschungsstandes noch kein Konsens zu den Resilienzfaktoren entwickelt hat.
Oftmals sind Einflussfaktoren zudem auf verschiedenen Abstraktionsebenen dargestellt,
260 M. Cirkel und S. Seibold
Tab. 2 Resilienzfaktoren
Personen- Personenfaktor Zusammenhang Autoren
faktorklasse
Persönlichkeit Persönlichkeit .197* Nasvytienė et al. (2012)
• Emotionale Emotionale Stabilität/ −.46/.35−.44** Oshio et al. (2018)/Waaktaar
Stabilität Emotionale Instabilität und Torgersen (2010)
• Distress −.400*** Bartholomew et al. (2020)
• Niedriger Distress/ qual. Werner (2020)
Niedrige Emotionali-
tät
• Hoffnung qual./qual. Sleijpen et al. (2016)/
Stewart und Yuen (2011)
• Impulskontrolle qual. Werner (2020)
• Optimismus .28−.41*/.42***/qual. Lamp (2013)/Lee et al.
(2013)/Stewart und Yuen
(2011)
• Extraversion Extraversion .42/.65−.69** Oshio et al. (2018)/Waaktaar
und Torgersen (2010)
• Aktiv lebhaft qual. Werner (2020)
• Emotional qual. Werner (2020)
gewinnendes
Temperament
• Entschlossenheit qual. Stewart und Yuen (2011)
• Positiver Affekt .59*** Lee et al. (2013)
• Verträglichkeit Verträglichkeit .31/.28−.29** Oshio et al. (2018)/Waaktaar
und Torgersen (2010)
• Altruismus qual. Bolton et al. (2016)
• Gewissen- Gewissenhaftigkeit .42/.42−.46** Oshio et al. (2018)/Waaktaar
haftigkeit und Torgersen (2010)
• Befolgung qual. Stewart und Yuen (2011)
medizinischer
Behandlungen und
Übungen
• Zähigkeit qual. Stewart und Yuen (2011)
• Offenheit Offenheit .34/.66−.72** Oshio et al. (2018)/Waaktaar
und Torgersen (2010)
Fähigkeiten Besondere Talente qual. Werner (2020)
• Intelligenz Durchschn. bis qual. Werner (2020)
überdurchschn.
Intelligenz
Kognitive Fähigkeiten .159*/.06−.17 Nasvytienė et al. (2012)/Yule
et al. (2019)
(Fortsetzung)
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 261
Tab. 2 (Fortsetzung)
Personen- Personenfaktor Zusammenhang Autoren
faktorklasse
• Soziale Sozial qual. Werner (2020)
Kompetenzen Fähigkeit, Hilfe einzu- qual. Werner (2020)
fordern
Motive Autonomie qual./qual. Bolton et al. (2016)/
Werner (2020)
Hohe Leistungs- qual. Werner (2020)
motivation
Überlegenheit/Macht/ qual. Stewart und Yuen (2011)
Herrschaft
Interessen Teilnahme an extra- .04-.06 Yule et al. (2019)
schulischen Aktivitäten
Handlungsüber- Internale Kontrollüber- qual./qual. Stewart und Yuen (2011)/
zeugungen zeugung Werner (2020)
Selbstwirksamkeits- .44−.58*/.61***/qual. Lamp (2013)/Lee et al.
erwartung (2013)/Stewart und Yuen
(2011)
Bewältigungs- Anpassung qual. Sleijpen et al. (2016)
stile Antizipation/voraus- qual. Werner (2020)
schauendes Handeln
Coping .11/qual. Stewart und Yuen (2011)/
Yule et al. (2019)
Erfahrung mit qual. Bolton et al. (2016)
schwierigen Zeiten+
Schneid/Mut/Kraft qual. Bolton et al. (2016)
Selbstermächtigung qual. Stewart und Yuen (2011)
Vermeidung/ qual. Sleijpen et al. (2016)
Ablenkung
Einstellungen Positive Sicht auf das qual. Bolton et al. (2016)
Leben
Werte Bildung qual. Sleijpen et al. (2016)
Gesunder Lebensstil qual. Stewart und Yuen (2011)
Religion/Religiöses qual./.05−.16* Sleijpen et al. (2016)/Yule
Engagement et al. (2019)
Sinnhaftigkeit qual. Bolton et al. (2016)
Spiritualität −.09−.31* Lamp (2013)
(Fortsetzung)
262 M. Cirkel und S. Seibold
Tab. 2 (Fortsetzung)
Personen- Personenfaktor Zusammenhang Autoren
faktorklasse
Selbstbezogene Lebenszufriedenheit .43*** Lee et al. (2013)
Dispositionen • Selbstakzeptanz qual. Bolton et al. (2016)
• Akzeptanz von qual. Stewart und Yuen (2011)
Krankheit
Positives Selbst- qual. Werner (2020)
konzept
Selbstregulierung .30−.45*** Yule et al. (2019)
Selbstvertrauen/ qual. Werner (2020)
Kohärenzgefühl
Selbstwertgefühl .41−.52*/.55***/qual. Lamp (2013)/Lee et al.
(2013)/Stewart und Yuen
(2011)
• Achtsamkeit qual./qual. Bolton et al. (2016)/Stewart
und Yuen (2011)
• Selbstwahrnehmung .086*/qual. Nasvytienė et al. (2012)/
Stewart und Yuen (2011)
• Positive Selbstwahr- .06−.31 Yule et al. (2019)
nehmung
Situations- Situationsfaktor Zusammenhang Autoren
faktorklasse
Persönliche Familiengröße (<4 qual. Werner (2020)
Umwelt Kinder)
Mütterliche/Elterliche qual./.06−.17 Werner (2020)/Yule et al.
Kompetenz (2019)
Schulerfolg qual. Werner (2020)
Persönliche Persönliche qual. Bolton et al. (2016)
Beziehungen Beziehungen
• Beziehungen .074* Nasvytienė et al. (2012)
außerhalb der
Familie
• Kompetente, gleich- qual. Werner (2020)
altrige Freunde
• Mitgliedschaft qual. Werner (2020)
in prosozialen
Organisationen
(Fortsetzung)
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 263
Tab. 2 (Fortsetzung)
Personen- Personenfaktor Zusammenhang Autoren
faktorklasse
• Soziale Unter- Soziale Unterstützung .21−.25*/.41***/ Lamp (2013)/Lee et al.
stützung qual./qual. (2013)/Sleijpen et al. (2016)/
Stewart und Yuen (2011)
• Unterstützung durch .16−.18*** Yule et al. (2019)
Familie
• Unterstützende qual. Werner (2020)
Großeltern/
Geschwister
• Gesellschaftlicher/ .063*/.06−.20 Nasvytienė et al. (2012)/
Sozialer Zusammen- Yule et al. (2019)
halt
• Unterstützung .12** Yule et al. (2019)
durch gleichaltrige
Personen
• Unterstützung durch qual./.20−.21*** Werner (2020)/Yule et al.
Lehrer (2019)
• Mentoren (ältere) qual. Werner (2020)
• Bindungen/ Bindungen/Verbunden- .20−.57 Rasmussen et al. (2019)
Verbundenheit heit
• Enge Beziehungen .082* Nasvytienė et al. (2012)
innerhalb der Familie
• Enge Bindung an qual. Werner (2020)
primäre Fürsorge-
personen
* p<.05; ** p<.01; *** p<.001; ohne Symbol = keine Angabe eines p-Werts in der Studie; + genau
genommen kein Personenfaktor, sondern ein Interaktionsfaktor aus Person und Situation
was die Systematisierung der Resilienzfaktoren sowie den Vergleich der Ergebnisse ver-
schiedener Arbeiten erschwert. Zum anderen sind mitunter starke konzeptionelle Über-
lappungen zwischen Resilienzfaktoren zu vermuten, sodass oftmals ungeklärt bleibt,
welche Resilienzfaktoren etwas Ähnliches oder etwas Unterschiedliches abbilden.
Die Metaanalysen sind nicht frei von Problemen methodischer Art, weshalb die
hier angegebenen Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. So sind zum Beispiel
Primärstudien enthalten, in denen die Ergebnisvariable nicht etwa die Bewältigung
belastender Situationen ist, sondern die gemessene Resilienz. Im Ergebnis sind die damit
korrelierenden Faktoren lediglich eine Replikation der Faktoren der Resilienzskalen, bei-
spielsweise bei Lee et al. (2013) sowie bei Oshio et al. (2018). Außerdem ist häufig die
Wirkrichtung der Faktoren nicht angegeben. DeRoon-Cassini et al. (2010) zeigen zum
Beispiel, dass ein realistisches Maß an Selbstwirksamkeitserwartung entscheidend ist für
264 M. Cirkel und S. Seibold
eine hohe Resilienz. Anders als positive Zusammenhangsmaße implizieren, erhöht sich
die Resilienz nicht, je höher die Selbstwirksamkeitserwartung ist. Wer sich selbst erheb-
lich überschätzt, erhöht das Risiko des Scheiterns.
1.4.1 Personenanteil
Resilienz wird überwiegend durch Personenanteile erklärt (Nasvytienė et al., 2012,
S. 19). Einen großen Beitrag zur Varianzaufklärung leisten die Persönlichkeitseigen-
schaften Emotionale Stabilität, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und
Offenheit (Fichte, 2017, S. 68; Friborg et al., 2005, S. 34; Oshio et al., 2018, S. 58;
Waaktaar & Torgersen, 2010, S. 160). Dass die Persönlichkeit von Menschen einen
wichtigen Einfluss auf Resilienz hat, zeigen Waaktaar und Torgersen (2010), die heraus-
fanden, dass Persönlichkeitseigenschaften die Bewältigung von Risikosituationen besser
erklären können als Resilienzskalen. Außerdem haben die Selbstwirksamkeitserwartung
und selbstbezogene Dispositionen eine hohe Erklärungskraft, insbesondere Lebens-
zufriedenheit, das Selbstwertgefühl und eine positive Selbstwahrnehmung (Lamp, 2013,
S. 85–102; Lee et al., 2013, S. 274; Thoma et al., 2020, S. 10; Windle et al., 2008,
S. 288; Yule et al., 2019, S. 416).
1.4.2 Situationsanteil
Erklärungsstarke Situationsfaktoren innerhalb der Situationsfaktorklasse der persön-
lichen Beziehungen sind soziale Unterstützung und Bindungen (Lamp, 2013, S. 85–102;
Lee et al., 2013, S. 274; Rasmussen et al., 2019, S. 1285; Yule et al., 2019, S. 416).
Sind persönliche Beziehungen besonders eng, spricht man von Bindungen (Neyer &
Asendorpf, 2018, S. 253). Persönliche Beziehungen, besonders enge Beziehungen,
können sich durch soziale Unterstützung auszeichnen (Neyer & Asendorpf, 2018,
S. 264). Subjektiv empfundene soziale Unterstützung, besonders emotionale Unter-
stützung, wirkt wie ein Puffer bei Belastungen (Cohen & Wills, 1985) und fördert die
Bewältigung.
1.4.3 Interaktion
Über mögliche Interaktionen kann man für die Gesamtheit der geschilderten Personen-
und Situationsanteile wenig aussagen. Bereits auf der Ebene der Person sowie auf der
Ebene der Situation ist die Befundlage heterogen. Aussagen über eine kombinierte
Wirkung beider Anteile zu treffen, ist daher derzeit nicht zielführend.
1.5 Entwicklungsperspektiven
Es gibt kein gesichertes Wissen über die langfristige Stabilität von Resilienz. Solange
sich keine Definition und kein Modell zur Erklärung von Resilienz durchgesetzt haben,
fehlt es an validen Messinstrumenten und einheitlichen Indikatoren, die zur Bestimmung
der langfristigen Stabilität von Resilienz nötig wären. Die Ergebnisse metaanalytischer
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 265
Studien über die Wirksamkeit von Trainings und Interventionsmaßnahmen sollten des-
halb mit Vorsicht interpretiert werden (Chmitorz et al., 2021, S. 239; Robertson et al.,
2015, S. 556–557). Die Primärstudien unterscheiden sich mitunter stark in den unter-
suchten Gruppen, in Belastungsfaktoren, im Versuchsaufbau, in Messinstrumenten und
in Evaluationskriterien (Fenwick-Smith et al., 2018, S. 11–12; Vanhove et al., 2015,
S. 19). Zum Beispiel werden verschiedene Ergebnisvariablen erhoben, wie pathologische
Symptome, Wohlbefinden, Bewältigungsstrategien oder Resilienzwerte (Liu et al., 2020,
S. 3; Robertson et al., 2015, S. 548).
Trotz aller methodischer Mängel zeichnen sich kleine bis moderate Effekte von
Resilienztrainings und Resilienzinterventionsmaßnahmen ab (Angelopoulou &
Panagopoulou, 2021; Chmitorz et al., 2021; Joyce et al., 2018; Leppin et al., 2014;
Liu et al., 2020; Vanhove et al., 2015). Angelopoulou und Panagopoulou (2021, S. 14)
berichten von leichten Trainingseffekten bei Ärzten (g = 0.237, p = .000). Erfolgs-
versprechend sei der Erwerb von Bewältigungs- und Problemlösungsfähigkeiten
(g = 0.242, p = .003) und Techniken zur Stressreduzierung, wie zum Beispiel Achtsam-
keitsübungen (g = 0.208, p = .000). Trainings, die länger als eine Woche dauern, seien
effektiver (g = 0.262, p = .000) als Trainings bis zu einer Woche (g = 0.172, p = .064).
Bartholomew et al., (2020, S. 9) fanden einen kleinen Effekt (d = 0.417, p<.001) nach
psychotherapeutischen Maßnahmen. Nach aktueller Studienlage sind erfolgsver-
sprechende Interventionsmaßnahmen (die nachfolgende Reihenfolge entspricht keiner
Rangfolge) (Chmitorz et al., 2021, S. 240; Fenwick-Smith et al., 2018, S. 17; Joyce
et al., 2018, S. 5; Liu et al., 2020, S. 11-12):
Außerdem seien nach Anwendung des Gelernten die Effekte größer. Ein nachhaltiger
Trainingseffekt resultiert erst aus der Wechselwirkung mit Risikosituationen. Waren die
Teilnehmer nach einem Resilienztraining keinen Belastungen ausgesetzt, schwächte sich
der Effekt wieder ab (Vanhove et al., 2015, S. 20).
Wie sind also die Entwicklungsperspektiven von Resilienz bei einem Menschen?
Könnte Dirk einfach ein Training absolvieren, um sich zu ändern? Zwar stimmen die
Befunde zu Resilienztrainings leicht optimistisch, doch sollte man nicht zu optimistisch
sein, solange es keine verlässlichen Untersuchungen zur Stabilität von Resilienz gibt.
Resilienz wird unserer Einschätzung nach zu einem großen Teil von stabilen Personen-
faktoren beeinflusst, wie der Persönlichkeit (siehe Abschn. 1.4. Resilienz). Da sich die
Persönlichkeit von Menschen langfristig kaum ändert (siehe Abschn. 1.1. Person),
266 M. Cirkel und S. Seibold
ist es unwahrscheinlich, dass sich die Resilienz von Menschen durch ein kurzes, ein-
maliges Training wesentlich verändern lässt. Allerdings könnte man in einem Training
lernen, mit der eigenen Verletzlichkeit klug umzugehen. Der Fokus eines Trainings wäre
demnach nicht die Verbesserung von Resilienz, sondern ein verbesserter Umgang mit
den eigenen Schwächen. Hilfreicher als ein einmaliges Training wäre bei sehr geringer
Resilienz eine Psychotherapie.
Optimistischer lassen andere Personenfaktoren stimmen, wie das Selbstwert-
gefühl, Lebenszufriedenheit und die Selbstwirksamkeitserwartung (siehe Abschn. 1.4.
Resilienz). Die drei Konstrukte sind langfristig zwar relativ stabil, können aber sensitiv
auf Lebenserfahrungen reagieren, sich also durch positive Lebenserfahrungen steigern
lassen. Zum Beispiel kann der positive Umgang mit einer Krise die Selbstwirksamkeits-
erwartung erhöhen und damit die zukünftige Krisenbewältigung verbessern. Aus einer
positiven Krisenbewältigung schöpft man das Vertrauen auch mögliche künftige Krisen
bewältigen zu können. Kommt es in Zukunft dann zu einer Krise, fühlt man sich weniger
ohnmächtig und das erhöht die Bewältigungschancen.
Auch bieten Situationsfaktoren mögliche Ansatzpunkte zur Veränderung.
Beziehungen sind mittelfristig weniger stabil als die Persönlichkeit (Neyer & Asendorpf,
2018, 248). So kann zum Beispiel von außen soziale Unterstützung geleistet werden, die
in Krisenzeiten bei der Bewältigung von Belastungen hilft (siehe Abschn. 1.4. Resilienz).
Bei der Resilienzentwicklung von Kindern können sichere Beziehungen in der Kindheit
zur psychischen Sicherheit beitragen und zur Ausbildung intellektueller, emotionaler
und sozialer Fähigkeiten führen, die im Umgang mit Belastungen helfen (Schmid,
2020, S. 139). Sicher Gebundene können im Gegensatz zu unsicher Gebundenen eigene
Befindlichkeiten besser durchdenken und interpretieren, Probleme ansprechen, Hilfe
einfordern und Lösungen entwickeln. Früh erlebte sichere Bindungen sind zudem die
Voraussetzung dafür, auch später im Leben sichere Beziehungen zu führen und dafür,
dass therapeutische Interventionen eher zum Erfolg führen (Grossmann & Grossmann,
2008, S. 292-297). Allerdings kann man seine eigene Kindheit rückwirkend nicht
ändern. Man kann aber lernen, mit den eigenen Erfahrungen sowie den Bewertungen
eigener Erfahrungen anders umzugehen.
Letztlich sind Veränderungen von Resilienz von außen Grenzen gesetzt, da Umwelt-
einflüsse immer auch abhängig sind von der Person, auf die sie einwirken (siehe
Abschn. 1.3 Interaktion). Ist eine Person zum Beispiel extravertiert und emotional stabil,
kann sie gut mit anderen Menschen umgehen und leicht ein soziales Netzwerk auf-
bauen, das sie in schweren Zeiten unterstützt. Ist eine Person hingegen introvertiert und
emotional eher instabil, hat sie es schwer, ein Netzwerk aufzubauen oder in belastenden
Zeiten Hilfe von außen anzunehmen. Die Persönlichkeit von Menschen bestimmt also
mit, ob der Einfluss von außen, zum Beispiel in Form von sozialer Unterstützung, tat-
sächlich Wirkung erzielt. Bestenfalls kann durch die fortlaufende Interaktion von Person
und Situation ein sich positiv verstärkender Wechselwirkungsprozess entstehen (siehe
Abschn. 1.3 Interaktion sowie Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2020, S. 172; Werner,
1996, S. 50). Durch den Umgang mit Menschen und durch die positive Resonanz aus
Resilienz – Person, Situation, Interaktion 267
dem sozialen Netzwerk stärken Extravertierte und emotional Stabile ihre sozialen Fähig-
keiten und ihr Selbstwertgefühl. Das erleichtert wiederum den Aufbau und die Pflege des
sozialen Netzwerks. Bei Introvertierten und emotional Instabilen entsteht dieser positiv
verstärkende Wechselwirkungsprozess nicht. Für eine Führungskraft kann das bedeuten,
dass sie sich mehr um die Integration solcher Mitarbeiter ins Team kümmern muss, als
wenn es sich um extravertierte und emotional stabile Mitarbeiter handelt.
2 Fazit
wicklung von Resilienz ist in Grenzen möglich, aber aufwändig. Wenn ein Mensch
persönlichkeitsbedingt wenig resilient ist, bedarf es umfassender Interventionen, um die
Resilienz zu verbessern beziehungsweise den Umgang mit kritischen Situationen zu ver-
bessern. Trainings oder Coachings reichen in der Regel nicht aus. Aus der Perspektive
von gering resilienten Menschen können Trainings, die nicht zu den versprochenen
Resilienzverbesserungen führen, sogar kontraproduktiv sein, nach dem Motto: Nicht ein-
mal mit einem Training schaffe ich es, resilient zu sein. Hilfreicher wäre es für wenig
resiliente Menschen, sich einen Arbeitsplatz zu suchen, der sie zwar fordert, aber nicht
überfordert.
Quintessenz
• Die Persönlichkeit eines Menschen beeinflusst dessen Verhalten. Wer beispiels-
weise nur eine geringe emotionale Stabilität besitzt (Persönlichkeit), wird sich
in vielen Situationen schwerer tun und früher sowie stärker Stress empfinden als
Menschen mit einer hohen emotionalen Stabilität.
• Persönlichkeitsmerkmale, wie emotionale Stabilität, kann man nicht trainieren,
aber man kann lernen, klug mit sich und mit Situationen umzugehen. Wer nur
eine geringe emotionale Stabilität besitzt, muss stärker als andere Menschen
abwägen, ob eine weitere Belastung noch verkraftbar ist. Wer Führungskraft
werden möchte, sollte ein Mindestmaß an emotionaler Stabilität besitzen.
• Die Einstellung eines Menschen beeinflusst dessen Verhalten. Wer beispiels-
weise die Einstellung hat, dass nur eine perfekte Leistung akzeptabel ist, wird
mit einer guten und in einer Situation völlig ausreichenden Leistung nicht
zufrieden sein. Infolge eines überhöhten Perfektionismus wird ein solcher
Mensch in mehr Situationen stärkeren Stress empfinden als Menschen, die nicht
perfektionistisch sind.
• Einstellungen wie Perfektionismus kann man verändern. Das ist nicht ganz leicht,
aber möglich. Voraussetzung dafür ist, dass man selbst die eigene Einstellung
als problematisch erkannt hat. Eine Einstellungsänderung dauert etwas und man
muss freie Kapazitäten haben, seine eigene Einstellung zu ändern. Ein einmaliges
Training wird für eine Einstellungsänderung in aller Regel nicht ausreichen.
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Gordon Heringshausen
1 Einleitung
Im modernen Grundverständnis wird Resilienz per Definition eher nicht als statische
Charakteristik beschrieben, sondern als ein sich fortwährend anpassender adaptiver
Prozess in der Bewältigung von Krisen und intensiven Lebenssituationen. Entsprechend
dieser Annahme ist Resilienz als ein dynamischer Prozess der Adaption während und
nach einem belastenden Ereignis zu sehen (Lindert et al., 2018).
Auch wenn sich Resilienz vor diesem Hintergrund aus verschiedenen Analyse-
ebenen von der individuellen bis zur organisationalen Ebene betrachten lässt, so sollte
sie doch stets im Kontext dreier übergeordneter Bereiche betrachtet werden. Neben
biologischen und psychologischen Faktoren gilt es auch, gesellschaftliche und sozio-
kulturelle Faktoren in Erklärungsansätzen zu berücksichtigen. Auf der Grundlage der
Vielzahl von Definitionen aus den verschiedenen Wissenschaftsbereichen lässt sich
aber als ein gemeinsamer Nenner feststellen, dass Resilienz als ein interdisziplinäres
Konstrukt gelten kann. Die Resilienzforschung versucht seit Jahren, Resilienz beschreib-
bar in Modellen darzustellen. Diesen Modellen ist gemein, dass Resilienz kein fest-
stehendes oder vererbtes Konstrukt ist, sondern sich stetig in der Entwicklung befindet.
Unser Gehirn besitzt die Fähigkeit, sich während des gesamten Lebens zu verändern
und zu wachsen und es lässt sich gezielt in jede gewünschte Richtung verändern (eine
andere Meinung vertritt in diesem Buch der Beitrag von Cirkel/Seibold). Diese Fähig-
keit nennt sich Neuroplastizität und beschreibt die Möglichkeit, dass sich unser Gehirn
G. Heringshausen (*)
Akkon Hochschule für Humanwissenschaften Berlin, Berlin, Deutschland
E-Mail: gordon.heringshausen@akkon-hochschule.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 273
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_15
274 G. Heringshausen
durch Training beständig verändert und sich so den Erfordernissen des Lebens anpasst.
Erst durch diese Fähigkeit lässt sich lebenslanges Lernen überhaupt erklären und ermög-
lichen. Neuroplastizität wird somit zur Voraussetzung für jede Form des Lernens und der
Entwicklung (Hüther, 2001; Schneider, 2017; Hüther & Gebhard, 2019). Lernprozesse
sind eine wichtige Grundlage für den Aufbau von Resilienzkompetenz. Dieser Aspekt
steht im Vordergrund des vorliegenden Beitrags.
Für die praktische Umsetzung zum Aufbau von Resilienzkompetenz wäre es wichtig,
einerseits um die Vorteile von Resilienz zu wissen und dieses Wissen zugleich in
adäquate Handlungen übertragen zu können. Da Resilienz sowohl als Veränderungs- als
auch ein Lernprozess im Fortlauf des lebenslangen Lernens gilt, bedingt die Resilienz-
kompetenzentwicklung im Kontext des lebenslangen Lernens immer auch Erwachsenen-
lernen und wird daher für Führungskräfte und deren Mitarbeiter zum Anschlusslernen.
Das Lernen von Erwachsenen knüpft dabei immer an bereits vorhandene Wissens-
strukturen, Einstellungen und Fertigkeiten an. Dadurch ergibt sich für Mitarbeiter
ein konkreter Verwendungszusammenhang für das Gelernte und stellt den Bezug zum
eigentlichen Ziel der eigenen Resilienzkompetenzentwicklung her. Für die Arbeitswelt
und somit für Führungskräfte bedeutet das, dass lebenslanges Lernen noch stärker zu
einem integralen Bestandteil von berufsbezogenen Arbeits-, Bildungs- und Lernwelten
werden muss und dass insbesondere berufliche und betriebliche Lernsysteme grund-
legend – im Sinne einer wirklichen und nachhaltigen Kompetenzentwicklungskultur –
umgestaltet werden müssen (Erpenbeck & Sauter, 2016; Schäfer, 2017).
Dieses arbeitsmarktbedingte Erfordernis und der allgemeine gesellschaftliche und
sozialstrukturelle Wandel werden aktuell als zentrale Ursache für die Notwendig-
keit des lebenslangen Lernens angesehen. Die Herausforderungen in den Arbeits-
welten von morgen sind ebenso vielfältig wie unterschiedlich. Neben neuen Formen
von Anstellungs- und Arbeitsverhältnissen haben wir es einerseits mit einer alternden
Erwerbsbevölkerung, bei zugleich zunehmender Informationsflut durch neue
Kommunikationstechnologien, und die weiter voranschreitende Digitalisierung zu tun.
Als herausgehobenes Berufsfeld lässt sich das Gesundheitswesen beziehungsweise die
vielfältige Dienstleistungsbranche im Hinblick auf eine unzureichende Vereinbarkeit von
Beruf und Privatleben bei zugleich hohen emotionalen, qualitativen und quantitativen
Anforderungen identifizieren. Vor diesem Hintergrund ist es aber gut zu wissen, dass
Mitarbeiter natürlich älter aber zugleich auch immer öfter gesünder älter werden (Heinz,
2009). Dies erhöht für Führungskräfte die gestalterischen Potentiale im Hinblick auf
arbeits- und lebensbegleitende Bildungsprozesse im Kontext des lebenslangen Lernens
in Arbeitswelten und lassen diese notwendig und sinnvoll erscheinen.
Lernprozesse zum Aufbau von Resilienzkompetenz 275
Hinzu kommt, dass Mitarbeiter zwar älter werden, doch aufgrund der Plastizität des
Gehirns lässt sich zugleich das Lernpotential älterer Menschen als relativ hoch ein-
schätzen (Maier, 2009). Somit lassen sich zwischenzeitlich verstaubte Annahmen im
Sinne von Defizitmodellen im Alter korrigieren. Im Hinblick auf diese Neuroplastizität
lässt sich die Lern- und Veränderungskapazität von Mitarbeitern auch im höheren Alter
als ausreichend hoch beschreiben. Nutzungs- und Erweiterungsprozesse, im Hinblick
auf Erfahrung und Wissen sowie das Lernen an sich, erscheinen dadurch überhaupt erst
realistisch. Für die Resilienzkompetenzentwicklung bedeutet dies nicht nur, resilienz-
wirksame Kompetenzen im Alter zu erhalten, sondern diese permanent mit altersspezi-
fischen Themen fortwährend im Berufsleben neu zu verknüpfen und zu bearbeiten.
Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass ältere Mitarbeiter offenbar resilienter
gegenüber beruflicher Belastung sind als jüngere und aufgrund eines effektiveren
Selbstmanagements besser mit beruflichen Stresssituationen umgehen können (Hertel
et al., 2015; Thielgen et al., 2015). Für den Einzelnen bedeutet dies, sich konstant mit
der eigenen Lebensgeschichte auseinanderzusetzen und wahrgenommene gesellschaft-
liche und sozial strukturelle Wirklichkeiten zu reflektieren (Heinz, 2009). Erst dadurch
ist überhaupt die Entwicklung von Resilienz im Lebensverlauf möglich. Die Nutzung
und die Erweiterung der eigenen Erfahrungen und des Wissens, sowie der sich daraus
abgeleiteten Handlungsstrategien, können die zentrale Grundlage im Hinblick auf mög-
liche Entwicklungsgewinne im Laufe des lebenslangen Lernens und der permanenten
Resilienzkompetenzentwicklung bilden (Maier, 2009).
Wie lässt sich nun Resilienz im Kontext von Wissen, Fähigkeit und Kompetenz ein-
ordnen? Lässt sich Resilienz gezielt erlernen bzw. entwickeln und ist das nicht auch
abhängig vom Alter?
Aktuelle Forschungen zum Thema der Resilienzkompetenzentwicklung zeigen auf,
dass Resilienz gerade nicht angeboren, sondern erlernbar ist und dass diese Wider-
standsfähigkeit im Lebensverlauf variabel ist (Lindert et al., 2018). Je nach Alter und in
Anbetracht verschiedener Umstände kann Resilienz dabei individuell variieren und ist
zugleich abhängig vom jeweiligen Individuum und von dessen Lebensumwelten (vgl.
dazu auch den Beitrag von Böhme in diesem Buch). In der Annahme, dass Resilienz
sich ein Leben lang entwickelt und der jeweiligen Lebenssituation anpasst, lässt sich
Resilienz gerade nicht als eine Form von Wissen oder Qualifikation, sondern eher als
eine Art Kompetenz beschreiben. Grundsätzlich gilt, dass Wissen und Qualifikation
generell gerade keine Kompetenzen, sondern maximal Grundbestandteile davon sind.
Kompetenzen ermöglichen Selbstorganisation und Denk- und Handlungsfähigkeit, auch
ohne (beziehungsweise auch nur mit geringem Wissen) Kreativität.
Dabei ist der Kompetenzbegriff in diesem Zusammenhang weiter gefasst als der
reine Qualifikationsbegriff, der sich auf relativ präzise definierte berufliche Kenntnisse,
276 G. Heringshausen
Fertigkeiten und Fähigkeiten bezieht. So schließen Kompetenzen auch fach- und berufs-
übergreifende sowie persönlichkeitsnahe Leistungsvoraussetzungen mit ein, die Mit-
arbeiter und Führungskräfte zur Bewältigung von Aufgaben befähigen, für die sie noch
keine fertigen und direkt abrufbaren Handlungsprogramme und Wissensvoraussetzungen
besitzen (Schaper, 2014).
Vor dem Hintergrund des Begriffes der Selbstorganisationsdisposition lässt sich
Kompetenz als die Fähigkeit sehen, sich in „… offenen und unüberschaubaren,
komplexen und dynamischen Situationen kreativ und selbstorganisiert zurechtzufinden.“
(Erpenbeck & Sauter, 2013, S. 32). Kompetenzen lassen sich demnach durch folgende
Bezüge kennzeichnen:
• optimistisch sind und mit dem Erfolg ihrer eigenen Handlungen rechnen,
• Problemsituationen aktiv und lösungsorientiert angehen,
• ihre eigenen Ressourcen und Stärken kennen und diese effektiv nutzen,
• an eigene Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten glauben und auch akzeptieren,
wenn etwas außerhalb ihrer Kontrolle und ihres Einflussbereiches ist (Unkrig, 2020).
Welche Lernprozesse sind nun hilfreich bei der Entwicklung von Resilienz und welcher
Strategieansatz bietet sich für die Entwicklung einer Resilienzkompetenz bei Mit-
arbeitern an? Nach Schneider (2017) wird Lernen als ein Prozess verstanden, der von
außen nicht unmittelbar steuerbar ist. Durch die Fähigkeit der Neuroplastizität entwickelt
unser Gehirn selbsttätig Verarbeitungsmuster in Form kognitiver Strukturen und bindet
das neu Erlernte in diese Strukturen ein. Für erfolgreiche Lernprozesse gilt, dass solche
Musterbildungen angeregt und regelmäßig wiederholt werden müssen. Dazu ist es hilf-
reich, dass das Gehirn selbstständig die Eindrücke nach Verständlichkeit, Sinnhaftig-
keit, Bedeutung und Wiedererkennungswert einordnet und damit als wichtige Grundlage
der Resilienz das Kohärenzgefühl stärkt (vgl. dazu den Beitrag von Morgenstern/Moser
in diesem Buch). Da Lernprozesse wie bereits beschrieben aber auch von Emotionen
begleitet werden, ist es wichtig, eine emotional günstige Lernumgebung zu schaffen. Mit
einem „guten Gefühl“ lernt es sich leichter. Als Voraussetzung für die Entstehung der
kognitiven Strukturen (neuronale Landkarten) ist es notwendig, Lernprozesse begreifbar
zu machen. Dies gelingt durch ein eigenes aktives Handeln des Lernenden in einer angst-
freien Lernumgebung (Schneider, 2017).
Wenn an dieser Stelle von Lernen und Lernumgebung gesprochen wird, meint das im
Kontext einer hilfreichen Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Mitarbeitern gerade
nicht das Lernen in klassischen Lehrsituationen beziehungsweise theoriegestützten
beruflichen Fort- und Weiterbildungsangeboten. Vielmehr ist ein Lernen von Mit-
arbeitern sozusagen „beiläufig“, durch Erleben von Herausforderungen, Lösungen und
Erfolgen in diversen, realen Arbeitskontexten gemeint. Dazu ist es an dieser Stelle not-
wendig, sich noch einmal allgemein mit Lernen und insbesondere dem Kompetenzlernen
auseinanderzusetzen.
In der einschlägigen Literatur werden dazu klassisch drei Lernformen unterschieden.
Neben dem formalen Lernen (z. B. innerhalb eines regulären Bildungssystems in
der Schule, der Berufsausbildung oder dem Studium) und dem non-formalen Lernen
außerhalb des klassischen Bildungssystems (z. B. Weiterbildungslernen) gibt es aber
auch das sogenannte informelle Lernen (z. B. eigenverantwortliches Erlernen, Erleben
oder Beobachten in der Freizeit oder im Arbeitsalltag) (Eickholt et al., 2015). Für die
Kompetenzentwicklung von Erwachsenen und speziell für Fach- und Führungskräfte und
deren Mitarbeiter ist das informelle Lernen von elementarer Bedeutung. Da hier primär
das Erfahren und das Erleben die Lernprozesse kennzeichnen, wird die Verantwortlich-
keit des Lernenden für den eigenen Lernprozess und die Individualität des Lernens als
personenspezifische Auseinandersetzung sichtbar. Die bereits vorhandenen Erfahrungen
278 G. Heringshausen
wirken dabei unmittelbar auf diesen Lern- und Aneignungsprozess zielführend ein. An
dieser Stelle soll noch einmal deutlich gemacht werden, dass es eher nicht um Wissens-
vermittlung, sondern um Lernprozesse im Sinn der Wissensaneignung, der Wissensver-
arbeitung und der daraus resultierenden Kompetenzentwicklung geht. Orientierend am
lerntheoretisch-systemisch-konstruktivistischen Ansatz, der sowohl den Lernenden als
auch die ihn umgebenden Systeme und die dazugehörigen Beziehungen in den Mittel-
punkt rückt, und letztendlich dem Lernenden völlige Autonomie zugesteht, lassen sich
folgende Aspekte im Kontext der Kompetenzentwicklung nach Arnold und Erpenbeck
(2014) festhalten:
• Lernen ist Aneignung, d. h. die Lernenden können auf Grund ihrer Vorerfahrungen
autonom verstehen, beobachten und reflektieren.
• Das Eigene ist mächtig und kann nicht übersehen oder dementiert werden.
• Für eine gelingende Kompetenzentwicklung bedarf es der Eigenregie der Lernenden.
• Lehren ist eine Darstellung und Etablierung von Erfahrungsräumen und der Selbst-
steuerung der Lernenden. (Arnold & Erpenbeck, 2014)
2.4.1 Kompetenzlernen
Der Strategieansatz des Kompetenzlernens (Arnold & Erpenbeck, 2014) hat das
klassische Verständnis von Lernen im Sinne einer Wissensvermittlung dahingehend
gewandelt, dass Wissensaufbau nunmehr als eine konstruktivistische Leistung gesehen
werden kann und dem Lernenden (Mitarbeiter oder Führungskraft) nur Einladungen
unterbreitet werden können. Der Lernprozess des Einzelnen beginnt dabei beim Wissens-
aufbau und führt über die Wissensverarbeitung und den Praxistransfer des Wissens in die
Kompetenzentwicklung und wird somit zu einem vierstufigen Lernprozess (Erpenbeck &
Sauter, 2013).
Zwar kann die Phase der Wissensvermittlung prinzipiell auch instruktional in
kognitivistischer Form von Informationsvermittlung oder mittels einfacher Aufgaben-
und Problemstellungen erfolgen, allerdings wäre dieser Zugang pädagogisch wenig vor-
teilhaft und somit nicht empfehlenswert. In der beruflichen Praxis sollte die Phase des
Lernprozesse zum Aufbau von Resilienzkompetenz 279
Wissensaufbaus deshalb regelmäßig so organisiert sein, dass sich jeder der Mitarbeiter
das notwendige Wissen selbstorganisiert aneignet, das er für die Problemlösung benötigt.
Die Lernprozesse der Mitarbeiter sind dabei äußerst differenziert. Diese Form der selbst-
gesteuerten Vermittlung von formellem Wissen kann in beruflichen Weiterbildungen
u. a. über Literaturarbeit, im Web-Based-Training oder mittels Intra- und Internetquellen
erfolgen (Erpenbeck & Sauter, 2013, 2015).
In der Phase der Wissensverarbeitung wird die selbstgesteuerte Sicherung des
Wissens in Einzelarbeit und mit Lernpartnern in Übungen, Fallstudien, Planspielen,
Rollenspiele oder Simulationen bearbeitet und so das erworbene Wissen gesichert.
Ziel ist die Ermöglichung von Qualifikationen, die sich bei Mitarbeitern gemäß ihrer
individuellen Lernpersönlichkeiten ausrichten. Zu beachten ist allerdings, dass in dieser
Phase noch keine Kompetenzen entstehen (Erpenbeck & Sauter, 2015).
Da Erfahrungen nur in Form von Wissen und Kenntnissen weitergegeben werden
können, ist es notwendig, den Mitarbeitern die Anwendung ihrer Qualifikationen im
eigenen Arbeitsbereich zu ermöglichen. Die Mitarbeiter benötigen zum Wissens-
transfer die Möglichkeit, ihr Erfahrungswissen systematisch auszutauschen und in einem
intensiven Kommunikationsprozess laufend gemeinsam weiterzuentwickeln (Erpenbeck
& Sauter, 2015).
2.4.2 Transferlernen
Als Möglichkeit der Übertragung in die Praxis gilt es im Rahmen der Kompetenzent-
wicklung deshalb zuerst Entscheidungen in realen Transferaufgaben und in interessanten
Praxisprojekten zu entwickeln. Dadurch wird eine Anwendung des Wissens in der
Lebenswirklichkeit, im eigenen Arbeitskontext bzw. im Arbeitsumfeld ermöglicht.
Lösungen sind hierbei regelmäßig nicht leicht erkennbar und stellen die Mitarbeiter
vor wirkliche Herausforderungen. Durch Aspekte der Individualisierung und der
Professionalisierung wachsen Lernen und Arbeiten so zusammen (Erpenbeck & Sauter,
2015).
Kompetenzentwicklung findet also auf verschiedenen Stufen statt und demzufolge
bieten sich für die selbstorganisierte Entwicklung der Kompetenzen in Arbeitswelten
grundsätzlich drei Lernrahmen an. Diese können miteinander verknüpft werden:
Es lässt sich feststellen, dass neben der Vermittlung und der Verarbeitung von Wissen
insbesondere dem Wissenstransfer und letztendlich der daraus folgenden Kompetenzent-
wicklung im besonderen Emotionserleben und soziale Beziehungsgestaltung regelmäßig
der Ausgangspunkt von Lern-, Bewertungs- und Entscheidungsprozessen aus Mit-
arbeitersicht sind. Lernmotivation und Beurteilungsprozesse sind somit immer an soziale
Prozesse gekoppelt, die einer ausbalancierten Individualität und Sozialität geschuldet
sind. Emotionen und emotionale Bewertungen spielen daher in allen Lernprozessen und
auf den verschiedenen Stufen des Verarbeitungs- und Lernprozesses eine wichtige Rolle
(Höffer-Mehlmer, 2014). Gemäß dem emotionalen Konstruktivismus muss Wirklichkeit
im Lernprozess daher nicht nur verstanden, sondern auch erspürt und gespürt werden.
Die Wahrnehmung der Wirklichkeit ist dabei nicht nur sprachgebunden, sie ist auch
abhängig von inneren Bildern und Konstrukten, die im Lernenden entstehen. Wirklich-
keit ist somit immer auch emotional konstruiert (Arnold & Pachner, 2013).
2.4.3 Emotionales Lernen
Zu beachten ist, dass Erwachsenenlernen als Kompetenzentwicklung in heutigen
Arbeitswelten auch stets emotionales Lernen darstellt, welches oft beiläufig und zumeist
unbeabsichtigt in Kontexten stattfindet, die i. d. R. zunächst nicht pädagogisch vor-
strukturiert sind. In diesen Kontexten tun alle Beteiligten, nur was sie selbst – aufgrund
ihrer eigenen Lebens- und Bildungsgeschichte – zu tun in der Lage sind. Emotions-
lernen ermöglicht, ausgehend von Konfliktsituationen, die eigenen Gefühle zu verstehen
(emotionale Bewusstheit), sie sinnvoll zum Ausdruck zu bringen (Kommunikationsfähig-
keit), anderen zuhören und sich in ihre Gefühle hineinversetzen zu können (Beziehungs-
fähigkeit) (Schüßler, 2008). Für Führungskräfte lässt sich daraus ableiten, dass vor
allem die Förderung von Kooperations-, Konflikt- und Kommunikationskompetenz in
den Blick genommen werden muss, wenn Resilienzentwicklung bei Mitarbeitern im
Arbeitskontext hilfreich unterstützt werden soll. Als eine Möglichkeit bieten sich hierzu
sozial-interaktive Strategien an. Menschen haben den universellen Wunsch ihr Leben
selbstbestimmt, selbstorganisiert und erfolgreich zu meistern. Dies gelingt dem Großteil
der Menschen in westlichen Industriestaaten. Es gibt aber im Alltagsleben von Menschen
immer wieder Situationen, wo Bedrohungen, Probleme oder Schicksalsschläge intensive
Lebenssituationen entstehen lassen, die die Kraft haben Ängste, Sorgen und persönliche
Krisen auszulösen. Häufig handelt es sich um physische oder psychische Ausnahme-
belastungen, die das Potential beinhalten das bis dato vertraute und akzeptierte Welt-
bild in den Grundfesten zu erschüttern. Diese oft ausweglos erscheinenden Situationen
Lernprozesse zum Aufbau von Resilienzkompetenz 281
erfordern für das Verstehen, das Einordnen und das Bewältigen von Betroffenen eine
hohe Resilienzkompetenz. Vor diesem Hintergrund lässt sich Resilienz als eine Wider-
standsfähigkeit im Sinne von „… ich kann widerstehen“ beziehungsweise „… wieder
stehen können“ (sich aufrichten, wieder aufstehen können) umschreiben.
Wie lassen sich scheinbar ausweglose Situationen überstehen und wie ist es mög-
lich, daraus eventuell weiter zu wachsen und zusätzlich noch Resilienz aufzubauen?
Der theoretische Blick auf die Säulen der Resilienz ist in diesen Akutsituationen und
Momenten für den Einzelnen wenig hilfreich. Natürlich lässt es sich sagen: „Ich muss
optimistisch bleiben.“ bzw. „Ich muss positiv nach vorne schauen.“ und „Ich muss
in jeder Krise auch eine Chance sehen.“, allerdings bewegen sich diese Annahmen
auf der rein kognitiven, bewussten, willkürlichen Ebene. Die inneren Prozesse, die
parallel in Krisensituationen regelmäßig ablaufen, sind aber emotional, unbewusst und
unwillkürlich und sie sind um ein Vielfaches stärker als das bewusste Denken. In akuten
Belastungssituationen beziehungsweise in Krisen, benötigen Mitarbeiter resiliente
Fähigkeiten und Handlungskompetenzen, die sie bis dato im Laufe ihrer individuellen
und beruflichen Entwicklung erworben haben. Mitarbeiter mit einer grundständigen
positiven und optimistischen Grundeinstellung, im Sinne von Änderungen sind ein Teil
des Lebens und völlig normal, die Krisen nicht als unüberwindliche Probleme betrachten
und für sich zugleich die Perspektive bewahren können, sich auf ihre eigenen Ziele
konzentrieren können und aktiv in Akutsituation Entscheidungen treffen können, erleben
Problemsituationen im Berufsleben eher als Herausforderungen und Situationen, die es
zu bewältigen gilt, anstatt als ausweglose Situationen. In der Regel nehmen diese Mit-
arbeiter die Situation an so wie sie ist, akzeptieren und analysieren dann die Situation. In
einem nächsten Schritt wenden sie sich strategisch der Problemlösung zu, die lösungs-
und ressourcenorientiert ist und wägen Aufwand und Nutzen der verschiedenen Hand-
lungen und Maßnahmen ab und gehen aktiv in die Umsetzung zur Lösung. Diese
Prozesse sind regelmäßig erlernt und haben sich im Laufe der beruflichen Entwicklung
verselbstständigt. Sie laufen unwillkürlich und automatisiert ab, lassen sich aber bewusst
reflektieren und steuern. Aus dem Erfolg in der Bewältigung der Situation ziehen diese
Mitarbeiter positive Energie und Ressourcen für zukünftige Herausforderungen und
Krisen.
Fach- und Führungskräfte, denen das nicht gut gelingt (aufgrund mangelnder
Resilienzkompetenz bzw. aufgrund der Intensität des Ereignisses), sehen oft keinen
Ausweg, keine Lösung, keine Möglichkeit die Situation erfolgreich zu meistern. Ihre
individuellen Strategien und Ressourcen reichen anscheinend nicht aus, um die Krise
zu bewältigen. In diesem Fall gilt es umso mehr soziale Unterstützung (z. B. in Form
282 G. Heringshausen
von Familie, Freunde, Netzwerke, Kollegen, Vorgesetzte) aktiv anzufragen und anzu-
nehmen. Diese psychosozialen Ressourcen können im Krisenfall als eine Art kollektive
Bewältigungsmöglichkeit hilfreich unterstützen, wenn es um die Bewältigung von
herausfordernden und belastenden Situationen geht. Insbesondere in intensiven Lebens-
situationen sind diese sozialen Unterstützungsangebote besonders wirksam. Dazu zählen
nach Franzkowiak (2018) konkrete alltagspraktische Hilfen und Informationen, sozial
vermittelte Ablenkung sowie Tipps, Hinweise bzw. Ratschläge, emotionale und kognitive
Unterstützung, sozialer Rückhalt und loyale Anteilnahme und Selbstwertschätzung.
Franzkowiak (2018) führt in diesem Zusammenhang folgende komplementären
Erklärungskonzepte an:
Generell gilt, dass stabile soziale Beziehungen in vielfacher Hinsicht nicht nur lang-
fristig resilienzfördernd sind, sondern insbesondere auch kurzfristig stärkend wirken
(siehe dazu auch den Beitrag von Böhme in diesem Buch). Neben der Fähigkeit psycho-
soziale Belastungen fernzuhalten, zu mindern beziehungsweise aufzuheben, ermög-
lichen hilfreiche soziale Beziehungen im Arbeitskontext die erfolgreiche Bewältigung
von Belastungen. Durch die erfolgreiche Bewältigung wird wiederum die Resilienz- und
Handlungskompetenz des einzelnen Mitarbeiters gestärkt. Für Fach- und Führungskräfte
können zudem gezielte unternehmensspezifische Angebote (u. a. Mentoring, kollegiale
Fallberatung, Coaching) die Entwicklung der eigenen Resilienz- und Handlungs-
kompetenz fördern (Otth, 2019).
Lernprozesse zum Aufbau von Resilienzkompetenz 283
• Ich werde in der Beziehung zu Kollegen und Vorgesetzten ermutigt, meine Gefühle
zu benennen und auszudrücken. Dies ermöglicht die Regulation meiner Gefühle und
fördert meine Impulskontrolle.
• Ich erhalte von meinen Kollegen und Vorgesetzten ein konstruktives Feedback und
komme dadurch zu einer positiven Selbsteinschätzung und erhöhe so mein Selbst-
wertgefühl.
• Ich kann in der Interaktion mit anderen selbst, passende Lösungen entwickeln und
verantworte diese und trainiere somit meine Kooperations- und Problemlösefähig-
keiten für zukünftige berufliche Herausforderungen.
• Ich erlebe Akzeptanz, Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Dies steigert mein Selbst-
wert- und Zugehörigkeitsgefühl und gibt mir Selbstsicherheit in meinem Tun.
• Durch die Übertragung von Verantwortung steigen mein Selbstvertrauen und meine
Selbstwirksamkeitsüberzeugung.
• Ich werde in der Beziehung zu Kollegen und Vorgesetzten ermutigt positiv, konstruktiv
und lösungsorientiert nach vorne zu schauen. Dadurch erlange ich Optimismus und
Zuversicht.
Als universelle beziehungsbezogene Faktoren für die Entwicklung der eigenen Resilienz
und der Förderung der Resilienzentwicklung bei anderen lassen sich folgende Faktoren
benennen:
• emotionale Ausdrucksmöglichkeiten,
• soziale Kompetenz,
• Vorbilder und Mentoren,
• sinnvolle Beziehungen zu anderen Menschen,
• ein unterstützendes soziales Netzwerk,
• Akzeptanz durch Mitmenschen (Kollegen etc.),
• Interesse an anderen (Unkrig, 2020).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Ziel der Resilienzförderung auf
Beziehungsebene ist, das Bewusstsein des Einzelnen zu stärken, dass in der alltäglichen
Interaktion und Beziehungsgestaltung mit anderen (Kollegen und Vorgesetzte) resilientes
Verhalten gefördert und Bewältigungskompetenzen entwickelt werden können und dass
dabei die Bezugspersonen (Team, Kollegen, Vorgesetzte) in der Interaktion eine wesent-
liche Rolle spielen.
284 G. Heringshausen
Intelligenz, Kreativität und die Fähigkeit zum konstruktiven Denken. Als weitere
wichtige und arbeitsbedingt notwendige personale Ressourcen lassen sich – wie bereits
ausgeführt – Kooperations-, Kommunikations- und Problemlösekompetenzen benennen,
aber auch ein positives Selbstkonzept und eine Fähigkeit zur Selbstregulation gehören
dazu. Diese Fähigkeiten entwickeln sich im Umgang mit kritischen Lebensereignissen
und bedingen, bei erfolgreicher Bewältigung, deren Aufbau (Bengel & Lyssenko, 2012).
In diesem Zusammenhang wird auf die in der einschlägigen Literatur vielfältigen
weiteren Resilienz- und Schutzfaktoren verwiesen (vgl. u. a. Bengel & Lyssenko, 2012;
Soucek et al., 2016; Unkrig, 2020)
• positive Emotionen
• Optimismus
• Hoffnung
• Selbstwirksamkeitserwartung
• Selbstwertgefühl
• Kontrollüberzeugung
• Kohärenzgefühl
• Hardiness
• Religiosität und Spiritualität
• Copingstrategien
• soziale Unterstützung
Resilienz und Schutzfaktoren lassen sich – wenngleich auch nicht ganz so einfach wie
Körpergröße, Gewicht, Puls oder Blutdruck – trotzdem messen. Um das Ausmaß an
personalen Schutzfaktoren und deren Anteil an der positiven Bewältigung von Lebens-
ereignissen zu bestimmen und abzubilden, bietet die Sozialforschung verschiedenste
Methoden und dazugehörige validierte und standardisierte Messinstrumente an (vgl.
dazu den Beitrag von Bathen-Gabriel in diesem Buch). Für Fach- und Führungskräfte
eröffnet sich so die Möglichkeit, sowohl die eigene Resilienz als auch die Resilienz
der Mitarbeiter systematisch zu erheben, um daraus konkrete Maßnahmen im Kontext
der beruflichen Resilienzkompetenzentwicklung abzuleiten. Als ein international ver-
breitetes, praktikables und reliables Erhebungsinstrument zur Erfassung der psychischen
Widerstandsfähigkeit als ein Personalmerkmal eignet sich z. B. die Resilienzskala von
Schumacher et al. (2004).
Die American Psychology Association (APA) verfolgt seit nunmehr 20 Jahren,
initiiert seinerzeit durch die Anschläge vom 11. September 2001, die Entwicklung von
Resilienz und benennt dazu in ihrer Online-Publikation „The Road to Resilience“ bei-
spielhaft 10 Schritte zum Aufbau, zur Erweiterung und zur Stärkung individueller
Resilienz. Diese Empfehlungen lassen sich auf Arbeitskontexte sehr gut übertragen und
sind somit als allgemeingültige Empfehlungen sowohl für Mitarbeiter als auch für Fach-
und Führungskräfte (im Rahmen der Ermöglichung) wertvoll:
286 G. Heringshausen
Quintessenz
• Das menschliche Gehirn verfügt bis ins hohe Alter über umfassende
Entwicklungs- und Regenerationsfähigkeiten, die durch Lernprozesse und Inter-
ventionen gezielt gefördert werden können.
• Resilienz ist ein fortwährend adaptiver Prozess in der Bewältigung von Krisen
und intensiven Lebenssituationen.
• Da Resilienz im Prozess des lebenslangen Lernens stetigen Veränderungs- und
Lernprozessen unterworfen ist, stellt sich für Fach- und Führungskräfte die
Frage, wie Lernprozesse dahingehend angeregt werden können, um die Ent-
wicklung von Resilienzkompetenz nachhaltig bei Mitarbeitern zu ermöglichen.
• Für Fach- und Führungskräfte gilt, dass vor allem die Förderung von
Kooperations-, Konflikt- und Kommunikationskompetenz in den Blick
genommen werden muss, wenn Resilienzentwicklung bei Mitarbeitern im
Arbeitskontext hilfreich unterstützt werden soll.
• Als eine Möglichkeit bieten sich hierzu sozial-interaktive Strategien an.
Zugleich ist es, für die erfolgreiche Entwicklung von Resilienzkompetenz
auf individueller Ebene, notwendig, den Mitarbeitern zu ermöglichen, die
gemachten Lebens- und Berufserfahrungen zu reflektieren und sich die vor-
handenen Ressourcen und Schutzfaktoren immer wieder bewusst zu machen.
Literatur
1 Einleitung
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich in der Führungsforschung der Fokus weg
von der Leistung und Motivation als Maß effizienter Führung hin zu der Frage,
wie Führungskräfte die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beein-
flussen können, verschoben (Dellve et al., 2007; Rigotti et al., 2014). Wurden zunächst
etablierte Führungskonzepte, wie die Transformationale Führung oder auch die Quali-
tät der Führungsbeziehung im Rahmen des Leader-Member-Exchange Ansatzes in
Verbindung mit Gesundheit und Wohlbefinden gebracht, sind in den letzten Jahren
vor allem im deutschen Sprachraum, Führungskonzepte entwickelt worden, die den
Fokus auf Gesundheit legen (z. B. Eriksson et al., 2010; Franke et al., 2014; Vincent,
2012). Insbesondere in Krisensituationen und Zeiten erhöhter Belastungen nehmen
Führungskräfte eine herausragende Rolle bei der Unterstützung des Teams und einzel-
ner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, sie können maßgeblich zu einer gelungenen
Bewältigung sowie sich daraus ergebender Lernprozesse beitragen. Der Sprung von der
Frage, welchen Zusammenhang es zwischen Führungshandeln und der Gesundheit von
Beschäftigten gibt, hin zu der Frage, ob Fach- und Führungskräfte auch die Resilienz
fördern können, ist daher nicht groß. Neben der Einflussnahme der Führungskraft auf
T. Rigotti (*)
Johannes Gutenberg-University Mainz, Mainz, Deutschland
E-Mail: rigotti@uni-mainz.de
T. Rigotti · M. Arnold
Leibniz-Institut für Resilienzforschung, Mainz, Deutschland
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 291
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_16
292 T. Rigotti und M. Arnold
das Erleben und Verhalten von Teammitgliedern, ist aber natürlich auch die Frage von
Interesse, wie Fach- und Führungskräfte ihre eigene Resilienz stärken können. Des
Weiteren ist Führung keine soziale Einbahnbahnstraße, sondern ein sozialer Austausch-
prozess, indem es zu Rückwirkungen auf die Führungskraft kommt und die Situation,
Merkmale von Teams und einzelner Mitglieder sowie der kulturelle Kontext diesen
sozialen Austauschprozess der Führung und dessen Effekte beeinflussen. Dieser Beitrag
geht zunächst auf verschiedene Wirkpfade des Führungshandelns auf die Gesundheit,
das Wohlbefinden und auch die Resilienz ein. Bei der gemeinsamen Betrachtung dieser
Erkenntnisse wird auch der Bogen zur Resilienzförderung von Fach- und Führungs-
kräften geschlagen und mögliche Ansätze zur Förderung der Resilienzkompetenz von
Führungskräften dargestellt.
Direkte Effekte von Führungsverhalten auf die Gesundheit ergeben sich unter anderem
durch rücksichtsvolles Verhalten, soziale Unterstützung sowie die Kommunikations-
qualität der Führungskräfte (Gurt et al., 2011). Diese Merkmale wurden mit geringerem
Stress bei Beschäftigten in Verbindung gebracht (Nyberg et al., 2005; Skakon et al.,
2010). Teammitglieder von Führungskräften mit einem Transformationalen Führungsstil
zeigen seltener Burnout (Hetland et al., 2007; Kanste et al., 2007), weniger depressive
Symptome (Munir et al., 2010), und erhöhte Schlafqualität (Munir & Nielsen, 2009).
Das Verhalten von Führungskräften kann aber umgekehrt auch zu einer sehr bedeutenden
psychischen Fehlbelastung beitragen (siehe dazu auch den Beitrag von Schilling in
diesem Buch). Destruktives Führungsverhalten korrespondiert mit erhöhtem Blutdruck
(Wong & Kelloway, 2016), erhöhtem Leidensdruck (Tepper, 2000; Tepper et al., 2007),
emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung und geringerer persönlicher Leistung (Wu
& Hu, 2009; Yagil, 2006).
Führungskräfte nehmen also direkten und indirekten Einfluss auf die Gesundheit und
das Wohlbefinden ihrer Teammitglieder. Wegge et al. (2014) unterscheiden fünf unter-
schiedliche Wirkpfade von Führung auf die Gesundheit von Beschäftigten: Führungs-
kräfte nehmen demnach Einfluss auf die Gesundheit
3 Resilienz im Führungskontext
zu erreichen. Ist die Resilienz-Kapazität nicht vorhanden, so kann die Resilienz auch
nicht demonstriert und (am Arbeitsplatz) beobachtet werden (Britt et al., 2016). Die
Demonstration der Resilienz kann daher als eine Folge der Resilienz-Kapazität ver-
standen werden und da Ressourcen über den Aufbau der Resilienzkapazität dabei helfen,
negative Effekte von Stressoren abzufedern, ergibt sich daraus, dass die dargestellten
Mechanismen und Wirkpfade der Führung letztlich auch zu einer verbesserten Resilienz-
demonstration beitragen sollten.
Das Führungshandeln zeigt jedoch nicht nur Zusammenhänge mit der Gesund-
heit hierarchisch nachgeordneter Beschäftigter, sondern hat auch Auswirkungen auf
die Führungskraft selbst. Zum Beispiel zeigten Zwingmann et al. (2016) auf, dass
ein Transformationaler Führungsstil die Entwicklung emotionaler Erschöpfung bei
Führungskräften begünstigte. Die Autoren erklären ihre Ergebnisse mit der Conservation
of Resources Theorie (Hobfoll, 2011). Sie stellen fest, dass Transformationale Führung
zwar die Ressourcen der Führungskräfte kurzfristig verbessern kann (Wegge et al.,
2014), dass es aber langfristig zu Kosten für die Führungskraft kommen kann. So
nehmen die Autorinnen an, dass die Führungskraft persönliche Ressourcen investieren
muss, um das Transformationale Führungsverhalten im Laufe der Zeit aufrecht zu
erhalten. Dies kann erklären, dass Führungskräfte, die mehr Transformationale Führung
zeigten bei einer zwei Jahre späteren Messung ihrer emotionalen Erschöpfung signi-
fikant höhere Werte berichteten. Transformationale Führung scheint bei den Führungs-
kräften selbst also die Entwicklung von Erschöpfung zu begünstigen (Zwingmann et al.,
2016). Auch Geibel et al. (2022) berichten, dass ein Transformationaler Führungsstil mit
schlechteren Werten in Allgemeiner Gesundheit bei Führungskräften nach 14 Monaten
einhergeht. Gleichzeitig zeigte sich die Allgemeine Gesundheit als positiver Prädiktor
für Transformationale Führung zu einem späteren Zeitpunkt. Die Aufrechterhaltung und
Förderung der eigenen Resilienz bildet für Führungskräfte daher eine wichtige Grund-
lage, um dauerhaft auch Ressourcen für andere bereitstellen zu können und insbesondere
in Zeiten erhöhter Belastungen, wie etwa umfangreicher organisationaler Veränderungs-
prozesse, diese gemeinsam mit ihrem Team erfolgreich bewältigen zu können.
Auch wenn es bisher nur wenige Forschungsarbeiten gibt, die sich explizit mit dem
Zusammenhang zwischen Führungshandeln und Resilienz befassen, lassen sich aus der
breiteren Betrachtung von Führung und Gesundheit einige Erkenntnisse übertragen.
Resilienz und (psychische) Gesundheit stehen in einem wechselseitigen Verhältnis
zueinander.
Strukturiert nach den verschiedenen Wirkungspfaden von Führung werden im
Folgenden ausgewählte Befunde zusammengefasst und passende Führungskonzepte
zugeordnet. Im Anschluss geht der Beitrag kurz auf Rückwirkungseffekte auf die
Führungskraft selbst ein und schließt mit Implikationen, die sich für die Förderung der
Resilienzkompetenz von Führungskräften daraus ergeben.
Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Führungskräften 295
Das Konzept der Gesundheitsorientierten Führung wurde von Franke und Felfe (2011;
Franke et al., 2014) entwickelt und evaluiert. Darauf aufbauend gibt es eine beträcht-
liche Anzahl an Arbeiten, welche sich besonders darauf konzentrierten zu untersuchen,
wie sich diese Form der Führung auf verschiedene Outcomes auswirkt (z. B. Horstmann
& Remdisch, 2016) und welche Rahmenbedingungen diese Wirkung verstärken (z. B.
Klebe et al., 2021) oder welche Mechanismen dabei helfen, die positive Wirkung zu ent-
falten (z. B. Santa Maria et al., 2019).
Die grundlegende Idee hinter der Gesundheitsorientierten Führung ist, dass Führungs-
kräfte einen direkten Einfluss auf das Gesundheitsverhalten von Mitarbeitenden
nehmen können. Dabei kann zwischen einer Gesundheitsorientierten Selbstfürsorge
(auch SelfCare benannt) und der Gesundheitsorientierten Mitarbeiterführung (auch
StaffCare) unterschieden werden. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende können
Selbstfürsorge zeigen, indem sie der eigenen Gesundheit einen hohen Stellenwert bei-
messen, achtsam auf Signale des Körpers für Stress hören und sich entsprechend im
Rahmen der Arbeitsumgebung und auch am Feierabend verhalten (Franke et al., 2014).
Auf diese Form der Selbstfürsorge (SelfCare) wird im Kapitel der Vorbildfunktion
weiter eingegangen. Laut dem Modell der Gesundheitsorientierten Führung trägt eine
hohe SelfCare von Führungskräften dazu bei, dass sie auch in der Mitarbeiterführung
eine stärkere Gesundheitsorientierung aufweisen. Dies drückt sich dadurch aus, dass
Führungskräfte der Gesundheit von Mitarbeitenden eine hohe Wichtigkeit zuschreiben,
dass sie entsprechend aufmerksam dafür sind, wie es den Mitarbeitenden psychisch und
körperlich geht und welche Aufgaben als besonders belastend wahrgenommen werden.
Darüber hinaus motivieren gesundheitsorientierte Führungskräfte die Mitarbeitenden
dazu, in ihrer Freizeit auf die eigene Gesundheit zu achten und besonders bei der Arbeit
Belastungen zu reduzieren und Angebote der Gesundheitsförderung in Anspruch zu
nehmen (Franke et al., 2014).
296 T. Rigotti und M. Arnold
Diese StaffCare gegenüber den Mitarbeitenden trägt direkt zur psychischen und
körperlichen Gesundheit der Mitarbeitenden bei, wie Studien vielfach aufgezeigt haben
(Horstmann & Remdisch, 2016; Köppe et al., 2018; Santa Maria et al., 2019). Darüber
hinaus zeigten Arnold und Rigotti (2021), dass die StaffCare auch die Resilienz von
Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern in der als besonders belastenden Zeit des Vor-
bereitungsdienstes positiv beeinflusst. So zeigten Referendare, die viel StaffCare im
Studienseminar erlebten eher eine stabile psychische und körperliche Gesundheit über
diese Zeit hinweg als in Fällen mit geringer StaffCare. Die Annahme, dass Gesundheits-
orientierte Mitarbeiterführung zur Resilienz in schwierigen Zeiten beiträgt, wird durch
eine Studie von Klebe et al. (2021) im Kontext der Corona-Pandemie weiter gestützt. Die
Autoren konnten aufzeigen, dass je stärker Mitarbeitende die Pandemie als eine Krise
wahrnehmen, desto stärker trug die StaffCare der Führungskraft zu einer Reduktion von
emotionaler Erschöpfung der Mitarbeitenden bei. StaffCare entfaltet also die positiven
Effekte besonders im Falle eines hohen Bedarfs.
Eine Vielzahl von Studien untersuchten Wirkmechanismen von Führung. Neben der
Förderung personaler Ressourcen, welchen sich der nächste Abschnitt widmet, scheinen
auch vor allem die durch Führungskräfte beeinflussten Tätigkeitsmerkmale einen
wichtigen Mechanismus darzustellen. So zeigt Transformationale Führung zum Bei-
spiel einen indirekten Zusammenhang mit der Gesundheit von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, vermittelt über die erlebte Sinnhaftigkeit der Arbeit (Arnold et al., 2007),
Rollenklarheit, Entwicklungsmöglichkeiten (Nielsen et al., 2008) oder organisationaler
Gerechtigkeit (Walsh et al., 2014). Auch Rigotti et al. (2014) konnten Autonomie,
Sinnerleben und kognitive Anforderungen als Mediatoren für den Zusammenhang
zwischen verschiedenen Führungsansätzen und Gesundheit bestätigen, darüber hinaus
zeigte sich auch eine geringere erlebte Arbeitsplatzunsicherheit als relevanter Mechanis-
mus. Ein Konzept, welches den Einfluss von Führungskräften auf die Gestaltung von
Tätigkeitsmerkmalen nutzt, ist die Gesundheits- und Entwicklungsförderliche Führung
nach Vincent (2011).
Die beiden Wirkpfade von Führung über die Gestaltung von Arbeitsbedingungen und
über die Bereitstellung und Förderung von personalen Ressourcen sind nicht immer klar
voneinander abzugrenzen, da letztlich die Arbeitsbedingungen auch wieder einen Effekt
auf den Aufbau personaler Ressourcen haben können. Während aber im ersten Fall die
Führungskraft auf externe Bedingungen einwirkt, die dann wiederum positiv auf Mit-
arbeitende Einfluss nehmen können, wird nachfolgend die direkte Förderung personaler
Ressourcen betrachtet und mit Transformationaler Führung und Dienender Führung zwei
Konzepte vorgestellt, die vor allem über die Bereitstellung und Förderung personaler
Ressourcen positive Zusammenhänge zur Gesundheit von Mitarbeitenden aufzeigen.
Einige Studien konnten den von Bass und Riggio (2006) erwarteten spezifischen
positiven Einfluss von Transformationaler Führung auf die durch eine organisationale
Veränderung induzierten Reaktionen von Mitarbeitenden nachweisen. So kann
Transformationale Führung zum Erfolg einer Unternehmensfusion beitragen, indem sie
ein veränderungsfreundliches Klima aufbaut, was zu einer höheren Akzeptanz der Über-
nahme führt (Nemanich & Keller, 2007). Auch ein mit Transformationaler Führung
einhergehendes höheres change commitment konnte festgestellt werden (Herold et al.,
2007). Über die organisationale Veränderung gut informierte Mitarbeitende tendieren
dazu, sich schneller und einfacher mit dieser zu identifizieren, was sich wiederum gut
auf die Gefühlswelt der Mitarbeitenden auswirkt (Zagelmeyer et al., 2016). Dabei
kommt es nicht nur auf den semantischen Inhalt der Informationsvermittlung, sondern
auch auf die Art und Weise der Kommunikation an (Fox & Amichai-Hamburger, 2001).
Transformationale Führung hat sich vor allem auch in herausfordernden Situationen
als effektives Führungsverhalten erwiesen. Positive Effekte Transformationaler
Führung auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden sind u. a. vermittelt über Sinner-
leben der Arbeit (Arnold et al., 2007), Selbstwirksamkeitserwartung (Nielsen & Munir,
2009) oder auch Empowerment (Krishnan, 2012). Es finden sich auch eine Reihe von
Studien, die positive korrelative Beziehungen Transformationaler Führung zur Resilienz
berichten (z. B. Djourova et al., 2020; Harland et al., 2005). Allerdings weist eine
Studie von Holstad et al. (2014) darauf hin, dass Transformationale Führung nur für
beruflich ambitionierte Beschäftigte mit geringerer emotionaler Erschöpfung assoziiert
ist. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Transformationales Führungsverhalten für
Führungskräfte selbst über längere Zeit mit Aufwand und Ressourcenverlusten ver-
bunden sein kann (Geibel et al., 2022; Zwingmann et al., 2016).
Dienende Führungskräfte (Englisch: Servant Leadership) stellen die Bedürfnisse und das
Wohlbefinden der Mitarbeitenden an erste Stelle (van Dierendonck, 2011). Ihr Prinzip
lautet: „followers first, the organization second, and their own last“ (Eva et al., 2019,
S. 113). Dienenden Führungskräften geht es darum, Mitarbeitende zu befähigen und
sie weiterzuentwickeln und ihnen die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Ressourcen
bereitzustellen (Sendjaya & Sarros, 2002).
Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Führungskräften 299
Dabei wird jedes Teammitglied als Einzelperson wahrgenommen und die Wünsche,
Ziele, Interessen und Bedürfnisse, aber auch deren Stärken und Schwächen werden
berücksichtigt (Eva et al., 2018). Die Erfüllung der Bedürfnisse der Mitarbeitenden wird
als ein Ziel in sich selbst angesehen, somit wird Leistung oder Profit als oberstes Ziel
von den Bedürfnissen der Mitarbeitenden abgelöst (van Dierendonck et al., 2014). Aus
der theoretischen Entwicklung des Konzeptes heraus wird davon ausgegangen, dass
dienende Führungskräfte durch ihre grundsätzliche Haltung auch die Mitarbeitenden
dazu motivieren, ebenfalls eine dienende Grundhaltung einzunehmen (Eva et al., 2018).
Dies kann sich in einer dienenden Haltung gegenüber Kunden aber auch Kolleginnen
und Kollegen ausdrücken. Dienende Führung kann klar von anderen Führungs-
konstrukten abgegrenzt werden (Hoch et al., 2018).
Die dienende Grundhaltung und entsprechendes Verhalten der Führungskraft gegen-
über den Mitarbeitenden stellen in sich selbst bereits eine Ressource für Mitarbeitende
dar. Sie können sich der Unterstützung der Führungskraft in Zeiten hoher Anforderungen
sicher sein. Darüber hinaus generiert die Dienende Führung weitere Ressourcen. Eine
Überblicksarbeit von Coetzer et al. (2017) zeigt auf, dass Dienende Führung die arbeits-
bezogenen Ressourcen von Mitarbeitenden erhöht. Des Weiteren konnten Studien auf-
zeigen, dass Dienende Führung beispielsweise zu mehr helfendem Verhalten (Neubert
et al., 2016), mehr Zusammenarbeit im Team (Garber et al., 2009) und mehr proaktivem
Verhalten (Grisaffe et al., 2016) beiträgt. Auf diese Weise werden also innerhalb des
Teams Ressourcen generiert, welche wiederum zu einer höheren Resilienz Einzelner
und des Teams beitragen können. Dies zeigt auch eine qualitative Studie von Badger
(2017). Die Arbeit hebt die Wichtigkeit von drei Verhaltensweisen Dienender Führung
für Resilienz im Arbeitskontext der Strafverfolgung hervor. So ging das Schaffen
einer positiven Umgebung der Zusammenarbeit, das Fördern der Autonomie von Mit-
arbeitenden sowie das Führen basierend auf ethischen und moralischen Entscheidungen
einher mit mehr Resilienz aufseiten der Mitarbeitenden.
Neben diesem indirekten Einfluss der Dienenden Führung auf die Resilienz von Mit-
arbeitenden über Ressourcen, kann auch davon ausgegangen werden, dass Dienende
Führung bereits in sich selbst eine Ressource darstellt, welche zur Resilienz von Mit-
arbeitenden beitragen kann (Eliot, 2020). Entsprechend untersuchten empirische
Studien bereits den Zusammenhang von Dienender Führung mit der Resilienz von
Mitarbeitenden. So konnten Gillham et al. (2015) zeigen, dass bei Sportlerinnen und
Sportlern eine höhere Dienende Führung der Trainer mit mehr Resilienz einherging.
des Miteinanders innerhalb eines Teams, aber auch in der Organisation. Das Teamklima
kann definiert werden als die geteilten Wahrnehmungen, welche Bedeutung bestimmte
Grundsätze, Gewohnheiten und Abläufe innerhalb eines Teams haben. Dazu gehört
auch, inwiefern gewisse Verhaltensweisen gezeigt und wann diese erwartet und belohnt
werden (Schneider et al., 2013). Die Kultur hingegen bildet sich eher dadurch ab, welche
Geschichten über eine Organisation (oder auch ein Team) erzählt werden, wie man zu
dem geworden ist, was man heutzutage ist (Schneider et al., 2013). Dazu gehören die
grundlegenden Werte der Organisation und die Grundannahmen, die das Umfeld
charakterisieren, aber auch Aspekte dessen, wie man frühere Hürden überwunden hat.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein positives Klima eine
Ressource darstellt, welche in widrigen Zeiten relevant wird und somit zur Teamresilienz
beitragen kann (Brykman & King, 2021). Führungskräfte erfüllen dabei eine doppelte
Rolle: Zum einen können sie direkt zur Gestaltung des Klimas oder der Kultur beitragen
(Basen-Enquist et al., 1998). Zum anderen können sie durch ihre Einstellung oder ihr
Verhalten den Effekt des Klimas auf die Resilienz verstärken, indem sie den Ressourcen-
aufbau erleichtern oder einen Schutz vor Ressourcenverlust bieten (vgl. Brykman &
King, 2021; Hobfoll et al., 2015).
In einer längsschnittlichen Studie untersuchten Hartmann et al. (2021) den Zusammen-
hang zwischen einer Kultur der Freude und der Teamresilienz. Die emotionale Kultur
kann definiert werden als die Normen, Werte und Annahmen innerhalb einer sozialen
Einheit darüber, welche Emotionen ausgedrückt (oder unterdrückt) werden im Verhalten
(O’Neill & Rothbard, 2017). Die Autorengruppe konnte aufzeigen, dass eine Veränderung
in der Kultur der Freude auch zu einer Veränderung in Teamresilienz beiträgt. Dieser
Zusammenhang wurde vermittelt über das Ausmaß der Gegenseitigkeit (Hartmann et al.,
2021). Die Rolle der Führungskraft wird in einer Studie von Brykman und King (2021)
ergänzt. Sie untersuchten das Klima für Mitsprache der Mitarbeitenden (voice climate)
als einen Faktor, welcher zu Teamresilienz beiträgt. Unter dieser spezifischen Form von
Klima versteht man die geteilte Wahrnehmung, dass es erwünscht ist, Meinungen und
Ideen mitzuteilen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Mitsprache-Klima zur
Teamresilienz beiträgt. Dieser Zusammenhang wird durch die Lernziel-Orientierung der
Führungskraft moderiert, indem eine hohe Lernziel-Orientierung den Effekt verstärkt
(Brykman & King, 2021). Dies wird auch durch eine Studie von Dimas et al. (2018)
gestützt. Die Autoren finden in einem querschnittlichen Studiendesign einen positiven
Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und Teamresilienz.
8 Vorbildfunktion
Die Funktion von Führungskräften als Rollenvorbilder wird in Studien zum sogenannten
trickle-down-Effekt deutlich. So konnte etwa gezeigt werden, dass ethisches Führungs-
verhalten des Managements sich über mehrere Führungshierarchien bis auf ethisches
Verhalten von Mitarbeitenden auswirkt (Mayer et al., 2009). Aber auch destruktives
Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Führungskräften 301
Führungsverhalten wird imitiert (Mawritz et al., 2012). Auch Ergebnisse einer Studie
von Dietz et al. (2020) unterstreichen die Vorbildrolle von Führungskräften, indem
ein längsschnittlicher Zusammenhang des Präsentismusverhaltens, also trotz gesund-
heitlicher Einschränkungen zur Arbeit zu gehen, von Führungskräften auf ihre Team-
mitglieder aufgezeigt werden konnte, der im weiteren Verlauf die Wahrscheinlichkeit
krankheitsbedingter Ausfallzeiten erhöhte.
Im Rahmen des Modells der Gesundheitsorientierten Führung (Franke et al., 2011, 2014)
ist die Vorbildfunktion der Führungskraft bereits in die Theorie integriert. Hier wird davon
ausgegangen, dass sich Mitarbeitende an den Werten und dem Verhalten der Führungs-
kraft orientieren, wenn es um den Umgang mit der eigenen Gesundheit geht. Dies zeigt
sich besonders in der Selbstfürsorge (SelfCare). Zeigt die Führungskraft ein hohes Maß an
SelfCare, werden sich die Mitarbeitenden dies zum Vorbild nehmen. Die wahrgenommene
Integrität der Führungskraft spielt bei der Rollenmodellierung eine zentrale Rolle, wes-
wegen wir an dieser Stelle das Konzept der Authentischen Führung näher ausführen.
• Selbstkenntnis (Self-Awareness) bedeutet ein klares Verständnis von sich selbst, von
den eigenen Stärken und Schwächen und seiner Wirkung auf andere Menschen zu
haben. Außerdem hat man ein Verständnis der eigenen Sicht auf die Welt und wie
diese das Verständnis der eigenen Person beeinflusst.
302 T. Rigotti und M. Arnold
Walumbwa et al. (2008) konnten zeigen, dass Authentische Führung über die Effekte
Transformationaler und Ethischer Führung hinaus mit höherem Commitment in
Zusammenhang steht. Nielsen (2013) konnte an einer Stichprobe von Matrosen
zeigen, dass Authentische Führung mit weniger Mobbing verknüpft ist, auch wenn für
Transformationale Führung und Laissez Faire Führung kontrolliert wird.
In der Definition von Walumbwa et al. (2008) wird betont, dass es sich bei
Authentischer Führung um eine Verhaltensweise handelt, die veränderbar ist. Sie
sehen die Authentizität der Führungskraft also nicht als eine nur schwer veränder-
bare Persönlichkeitseigenschaft, sondern als eine Verhaltensweise, die durch ent-
sprechende Bedingungen gefördert oder behindert werden kann und so entsprechende
Entwicklungsmaßnahmen in Organisationen zu mehr Authentischer Führung beitragen
können.
Einige querschnittliche Untersuchungen berichten Zusammenhänge zwischen
Authentischer Führung und einer Reihe von Einstellungs- und Verhaltensmaßen. So
zeigte sich Authentische Führung assoziiert mit weniger unkollegialem Verhalten und
Mobbing unter Krankenpflegern (Read & Laschinger, 2013), mit geringerem Mobbing-
Risiko unter Seefahrern (Nielsen, 2013), mit höherer Qualität interdisziplinärer
Zusammenarbeit bei Krankenpflegern (Laschinger & Smith, 2013) und mit höherer
Zufriedenheit mit der Führungskraft sowie höherer Arbeitszufriedenheit und höherem
Commitment (Neider & Schriesheim, 2011). In einer Studie von Peus et al. (2012) war
Authentische Führung mit der Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit ihrer Führungskraft,
organisationalem Commitment, „extra effort“ und wahrgenommener Teameffektivi-
tät positiv korreliert. Laschinger et al. (2012) berichten ebenfalls, dass Authentische
Führung Mobbing am Arbeitsplatz reduziert. Mobbing am Arbeitsplatz stand wiederum
mit geringerer emotionaler Erschöpfung, höherer Arbeitszufriedenheit und geringerer
Kündigungsabsicht in Verbindung. So scheint Authentische Führung positive Aus-
wirkungen auf verschiedene Maße des Wohlbefindens von Mitarbeitenden zu haben.
Bei der Konzeption von Authentischer Führung ist außerdem zu beachten, dass die
ursprünglichen Definitionen von Authentizität (Harter, 2002; Kernis & Goldman,
2006) keinen positiven Grundton von moralisch korrektem Verhalten enthält. Der
Authentischen Führung liegt implizit zugrunde, dass eine Führungskraft, die ihr „wahres
Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Führungskräften 303
Selbst“ entdeckt und ausdrückt ausschließlich positiv und moralisch handelt. Hier
liegt laut Ford und Harding (2011) auch einer der Hauptkritikpunkte am Konzept der
Authentischen Führung, nämlich dass es keinen Raum für negative Selbstaspekte der
Führungskraft lässt.
Bei dem Wirkungspfad über die Gestaltung der Arbeits- und Tätigkeitsbedingungen
sei noch auf das Konzept der Stressinokulation verwiesen. Bei dem Konzept der Stress-
impfung (Stressinokulation) wird davon ausgegangen, dass die Exposition gegenüber
milderen Formen von Belastungssituationen die psychologische Bereitschaft durch die
Entwicklung von Bewältigungsfähigkeiten und die Erfahrung der Bewältigung fördern
kann (Ashokan et al., 2016; Dienstbier, 1992; Meichenbaum, 1977). Ein höheres Maß
an psychologischer Bereitschaft ermöglicht darüber hinaus günstige Reaktionen auf
negative und potenziell belastendere Stressereignisse, wie die Tendenz, eine schwierige
Situation positiv (neu) zu bewerten und emotionale Stabilität zu zeigen (z. B. stabile
Werte des positiven Affekts; Meichenbaum, 2007). Seery et al. (2010) konnten auf-
zeigen, dass ein gewisses Maß an Widrigkeiten im Leben eine geringere globale
Belastung und eine geringere funktionelle Beeinträchtigung vorhersagt. Die Ergeb-
nisse deuten also darauf hin, dass sich die Stressimpfung positiv auf das Niveau der
globalen Resilienz auswirkt, d. h. auf eine Resilienz, die die Anpassung nicht nur an
bestimmte, sondern an mehrere oder alle Arten von Stressoren erleichtert (Kalisch et al.,
2015). Schilbach et al. (2021) konnten zeigen, dass Beschäftigte, die ein moderates
Maß an herausfordernden Stressoren im Arbeitskontext (Zeitdruck, Komplexität, Ver-
antwortung) haben, in einer experimentellen Stresssituation eine bessere Anpassung
zeigen (gemessen über Cortisol im Speichel). Ideal ist demnach eine beanspruchungs-
optimale Arbeitsgestaltung, es geht nicht darum, Mitarbeitende von allen Anforderungen
fernzuhalten, sondern ein dem Leistungsniveau und den Bedürfnissen der Beschäftigten
angepasstes Arbeitsumfeld zu bieten. Dazu können herausfordernde Ziele, möglichst
partizipativ erarbeitet, zählen, die bewältigbar bleiben müssen (vgl. Kronenwett &
Rigotti, 2022).
Besonders offensichtlich wird der potenziell resilienzförderliche Effekt des Führungs-
verhaltens im Wirkpfad über den Aufbau personaler Ressourcen, zählen doch personale
Ressourcen wie Empowerment, Selbstwirksamkeit, internales Kontrollerleben, Sinn-
haftigkeit, oder auch Optimismus zu empirisch etablierten Faktoren der Resilienzkapazi-
tät (vgl. dem Beitrag von Helmreich in diesem Band). Führungskräfte können personale
Ressourcen u. a. durch soziale Unterstützung, konstruktives Feedback und eine hohe
Beziehungs- und Kommunikationsqualität direkt sowie auch über die Förderung sozialer
Netzwerke und den Zusammenhalt im Team sowie einer gesundheitsorientierten Team-
kultur indirekt fördern.
Ein weiterer Wirkpfad ergibt sich über die Funktion von Führungskräften als Rollen-
vorbilder. Hier sind vor allem moralisch integres und Authentisches Führungsverhalten
herauszustellen. Aber auch Präsentismusverhalten (vgl. Dietz et al., 2020) sowie der
Umgang mit Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben (vgl. Kossek & Lautsch, 2012)
werden als normative Richtschnur von Beschäftigten aufgegriffen und imitiert. Auf-
grund der zentralen Bedeutung der SelfCare von Führungskräften, als Grundlage für
konstruktives Führungshandeln, aber ebenso im Sinne der Vorbildwirkung gehen wir auf
diesen Aspekt im Folgenden noch etwas näher ein.
Entwicklung von Resilienzkompetenz bei Führungskräften 305
Bisher hat sich der Beitrag vor allem mit der Auswirkung des Führungsverhaltens
auf die Mitarbeitenden beschäftigt. Tatsächlich wird in der Literatur zu Führung und
Gesundheit die Frage, welche Ressourcen Führungskräfte zur Verfügung stellen sollten,
um konstruktives und gesundheitsförderliches Führungsverhalten zeigen zu können,
kaum betrachtet (Halbesleben et al., 2013; Kelloway & Barling, 2010). Auch über die
(gesundheitlichen) Auswirkungen des Führens ist vergleichsweise wenig bekannt.
Führungskräfte mit einer beeinträchtigten Gesundheit sind jedoch nicht in der Lage, die
Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, es wirkt sich sogar negativ
auf die Mitarbeitenden aus (Huang et al., 2016).
Führungskräfte nehmen eine Vermittlerposition zwischen dem Management des
Unternehmens und der Belegschaft ein. Führungskräfte müssen nicht nur Leistungs-
ziele erreichen und eigene und fremde Aufgaben koordinieren, sie müssen auch mit
unvorhersehbarem Verhalten ihrer Teammitglieder umgehen und sich um die Belange
der verschiedenen Interessengruppen kümmern. Aus dieser Rolle ergibt sich eine hohe
Verantwortung für organisationale und individuelle Ergebnisse (Grunberg et al., 2006).
Gleichzeitig sind die Handlungsmöglichkeiten durch Rahmenbedingungen oft begrenzt
(Conway & Monks, 2010). Auch wenn Führungskräfte sich in ihren Aufgaben und
Tätigkeiten und der Kombination tätigkeitsbezogener Stressoren und Ressourcen von
Beschäftigten ohne Führungsverantwortung unterscheiden, gelten die Grundprinzipien
beanspruchungsoptimaler Arbeitsgestaltung ungeachtet der hierarchischen Position.
Bei Gefährdungsbeurteilungen werden aber Führungskräfte oft ausgespart und im
Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements werden sie als Multiplikatoren
und Gesundheitsförderer einbezogen, ohne zu fragen, welche Ressourcen zur Aus-
übung dieser Rollen nötig sind. Die Arbeitsbedingungen der Führungskräfte selbst sowie
auch deren (psychische) Gesundheit werden nur selten thematisiert. Es ergeben sich
folgende Ansatzpunkte zur Förderung der Resilienzkompetenz von Führungskräften:
(1) Beanspruchungsoptimale Arbeitsgestaltung, (2) (Weiter-)entwicklung der Führungs-
kompetenzen und Sensibilisierung von Führungskräften für die Wechselwirkungen
eigener Gesundheit, Führungshandeln und Gesundheit der Mitarbeitenden sowie (3)
Förderung personaler Ressourcen der Führungskräfte.
Die in diesem Kapitel vorgestellten Führungskonzepte können durch Trainings
gefördert werden (z. B. HoL: Schulte et al., 2018; Transformationale Führung: Kelloway
et al., 2000, Authentische Führung: Baron, 2016; Dienende Führung: Yeow & Martin,
2013). Nur zum Konzept der Gesundheits- und Entwicklungsförderlichen Führung
nach Vincent (2011) liegen bisher nach unserer Kenntnis keine evaluierten Trainings-
konzepte vor. Da aber gerade der Wirkpfad des Führungshandelns über die Gestaltung
von Arbeitsbedingungen relevant für positive Effekte aufseiten der Mitarbeitenden ist,
stellt die Förderung der Arbeitsgestaltungskompetenz von Führungskräften eine vielver-
sprechende Ergänzung zu bestehenden Ansätzen dar. Konstruktives Führungshandeln
306 T. Rigotti und M. Arnold
kann herausfordernd sein und über längere Sicht auch Ressourcen erschöpfen. Wirtz
et al. (2017) zeigen, dass sich Emotionale Erschöpfung auch von Teammitgliedern auf
die Führungskraft übertragen kann, insbesondere wenn diese eine hohe emotionale
Selbstwirksamkeit aufweist. Die Verfügbarkeit von Ressourcen sowie die eigene
(psychische) Gesundheit der Führungskraft ist wiederum Voraussetzung für gesundheits-
förderliches Führungshandeln. Ergänzend zur Förderung der Führungskompetenzen ist
auch eine Sensibilisierung von Führungskräften für die eigene SelfCare einzubeziehen
– dies wird bisher vor allem in Trainingsansätzen zum HoL-Konzept berücksichtigt
(Schulte et al., 2018).
Neben Trainingsansätzen, welche auf etablierten Führungskonzepten oder auch
den neueren gesundheitsorientierten Ansätzen aufbauen, finden sich vereinzelt auch
Trainingsansätze, die explizit Resilienz thematisieren. In einem insgesamt 12-tägigen
Programm, verteilt über ein Jahr, konnten Holmberg et al., (2016) in einem Versuchs-
Kontrollgruppendesign kleine positive Effekte des Trainings auf die Wahrnehmung der
Selbstwirksamkeit sowie auf den subjektiv eingeschätzten Gesundheitszustand auf-
zeigen. Das Programm setzte sich thematisch aus folgenden Komponenten zusammen:
Voraussetzungen für Führung, meine eigene Führung, die Umsetzung betrieblicher
Veränderungen, Gemeinsamkeiten und Vielfalt und Work-Life-Balance und nutzte
vor allem Ansätze zur Stärkung der Selbstreflexion. Aufbauend auf Ergebnissen einer
qualitativen Interviewstudie hebt auch Smith (2017) die Bedeutung der Selbstregulation
und Selbstreflexion für die Förderung der Resilienzkompetenz von Führungskräften
hervor und sieht Coaching-Ansätze hierfür besonders geeignet.
auf die Führungskräfte einschließt (z. B. Wirtz et al., 2017). In Anbetracht einer
zunehmenden zeitlichen und örtlichen Entgrenzung der Arbeit und Digitalisierung im
Arbeitskontext scheint vor allem auch die Untersuchung virtueller Führung sowie auch
von Führungssubstituten (z. B. Anreizsysteme, automatisiertes Feedback) in Zusammen-
hang mit Resilienz relevant.
Quintessenz
• Die Resilienzkompetenz von Führungskräften kann durch Verhältnis-, Ver-
haltens- sowie kulturelle Präventionsansätze gefördert werden.
• Die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Führungskräften stellt eine
wichtige Grundlage für konstruktives und gesundheitsförderliches (und damit
implizit auch resilienzförderliches) Führungshandeln dar.
• Bei der Gestaltung der Arbeits- und Tätigkeitsbedingungen von Führungs-
kräften (Verringerung hinderlicher Stressoren, Erhöhung von Ressourcen)
sollten individuelle Ansätze der Gesundheitsförderung und Resilienztrainings
zur Förderung der Selbstfürsorge (SelfCare) berücksichtigt werden.
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314 T. Rigotti und M. Arnold
Beispiel
In einem Großraumbüro sitzen sich zwei Kollegen gegenüber, die schon seit der Aus-
bildung gemeinsam im Team arbeiten. In zwei Tagen findet ein großer Kongress statt
und das Team ist für die Organisation des Events verantwortlich. Während ein Kollege
konzentriert und scheinbar ohne große Mühe mit Begeisterung an der Planung
und den letzten Vorbereitungen arbeitet, ist dem anderen der Stress ins Gesicht
geschrieben. Er fühlt sich überfordert von den vielen Dingen, die erledigt werden
müssen, und hat das Gefühl, dass ihm die Aufgaben über den Kopf wachsen. ◄
Dieses Beispiel zeigt, dass nicht alle Menschen gleich auf Stress oder stressreiche
Arbeitsphasen reagieren. Während einige Personen von Stressoren, also potenziell
Stress auslösenden Einflüssen, stark negativ beeinträchtigt werden, scheint anderen
der Umgang mit denselben Herausforderungen leichter zu fallen. Diese Stressoren und
potenziell stressreichen Situationen können einige ausbremsen, während sie andere zu
höherem Engagement motivieren. Der Umgang mit Stressoren ist individuell und dabei
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 317
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_17
318 L. Kloep et al.
von persönlichen Ressourcen abhängig. Eine zentrale Bedeutung bekommt hierbei die
Resilienz einer Person, die eine wichtige Ressource im Umgang mit Stress darstellt.
1.1 Resilienz
Die Resilienz wird als die Fähigkeit einer Person verstanden, auch im Fall von
Stressoren und Widrigkeiten das eigene innere Gleichgewicht aufrechtzuerhalten und ein
gewisses Maß an Kontrolle über ihre Umwelt zu behalten. Resiliente Personen zeichnen
sich dadurch aus, dass sie ein hohes Durchhaltevermögen zeigen und versuchen, das
Positive in der Situation zu sehen, auch wenn Stressoren dies scheinbar erschweren
(Jackson et al., 2007; Tugade & Fredrickson, 2004). Resilienz kann daher als eine Wider-
standsfähigkeit gegenüber belastenden Einflüssen verstanden werden, die es einer Person
ermöglicht, Krisen und Herausforderungen zu bewältigen (Lyssenko et al., 2010).
Dabei ist die Resilienz keine vollkommen unveränderliche Eigenschaft, sondern kann
durch Erfahrung und gezieltes Training teilweise gesteigert werden (Robertson et al.,
2015; Vanhove et al., 2016, vgl. dazu auch die Beiträge von Helmreich und Cirkel/
Seibold in diesem Buch). Einen möglichen Ansatz zum Aufbau von Resilienz bietet das
Flow-Erleben, ein als angenehm empfundener Zustand, bei dem die Anforderungen einer
Aufgabe exakt zu den eigenen Fähigkeiten zu passen scheinen (Parr et al., 1998). Erste
Studien zeigen, dass das Flow-Erleben mit psychologischem Kapital (PsyCap), welches
Resilienz als eine von vier Komponenten mit einschließt, positiv assoziiert ist (Zubair &
Kamal, 2015a, b). Es kann davon ausgegangen werden, dass Zusammenhänge zwischen
Flow und Resilienz bestehen und das Flow-Erleben möglicherweise das Potenzial hat,
die Resilienz einer Person positiv zu beeinflussen.
1.2 Flow-Erleben
Während eines Flow-Erlebens „fließt“ eine Person scheinbar von einem Moment in den
nächsten, ohne dass über die Ausführung der aktuellen Tätigkeit nachgedacht werden
muss. Die Handlungsschritte scheinen wie von selbst aufeinanderzufolgen. Die gesamte
Aufmerksamkeit ist auf die Aufgabe fokussiert und die Gedanken schweifen nicht ab
(Csikszentmihalyi, 1975). Zuerst beschrieben wurde das Flow-Erleben von Mihaly
Csikszentmihalyi (1975). Er interviewte Personen, die regelmäßig verschiedensten, teil-
weise sehr komplexen und risikoreichen Tätigkeiten nachgingen, wie z. B. dem Klettern,
Schachspielen oder Tanzen. Sein Ziel war es, zu verstehen, aus welchem Grund die
Personen diese Tätigkeiten mit Begeisterung verfolgten, ohne dass damit eine sicht-
bare äußere Belohnung verbunden war. Dabei zeigte sich, dass Personen unabhängig
von ihrer Tätigkeit ähnliche Erfahrungen machen, die sie als intrinsisch belohnend
beschreiben. Sowohl bei Extremsportarten wie dem Bergsteigen als auch beim Tanzen
oder Musizieren berichten Personen von einem Zustand, in dem sie vollkommen mit
Das Flow-Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz 319
der Tätigkeit zu verschmelzen scheinen. Außerdem ist die Aufmerksamkeit ganz auf die
Tätigkeit gerichtet, irrelevante Reize werden ausgeblendet und es wird ein Gefühl der
vollständigen Kontrolle erlebt. Spätere Studien zeigten, dass dieser Zustand nicht nur in
der Freizeit, sondern gerade auch bei der Arbeit erlebt werden kann. Dabei kommt es im
Arbeitskontext sogar häufiger zum Flow als in der Freizeit (Csikszentmihalyi & LeFevre,
1989).
In den vergangenen Jahren zeigte sich aufgrund der Vielseitigkeit des Flow-Erlebens
ein gesteigertes Forschungsinteresse. In diesem Zuge wurden sowohl Charakteristika,
wie auch Voraussetzungen und Konsequenzen des Flow-Erlebens erforscht, welche
nachfolgend vorgestellt werden. Ein aktuelles Modell beschreibt die Charakteristika des
Flow-Erlebens mit drei Kernkomponenten (Peifer & Engeser, 2021): Absorbiertheit,
wahrgenommene Anforderungs-Fähigkeits-Balance und Freude an der Tätigkeit.
1.2.1 Absorbiertheit
Die Absorbiertheit beschreibt einen Zustand, in dem Personen vollkommen in einer Auf-
gabe aufgehen, Reize aus der Umwelt ausblenden können und völlig auf die Aufgabe
konzentriert sind. In diesem Zustand verschmelzen die Handlungen mit dem Bewusst-
sein und störende, bewertende Gedanken, die sich mit der persönlichen Leistung aus-
einandersetzen, sind ausgeblendet. Häufig nehmen die Personen im Flow-Erleben das
eigene Zeiterleben als verzerrt wahr.
1.2.2 Wahrgenommene Anforderungs-Fähigkeits-Balance
Die Komponente der Anforderungs-Fähigkeits-Balance wurde bereits 1975 im Flow-
Kanal-Modell berücksichtigt (Csikszentmihalyi, 1975). Zentral in dieser Komponente
ist, dass es nicht um eine objektive Balance aus Anforderungen und Fähigkeiten geht,
sondern um die von der Person subjektiv wahrgenommene Balance (Abb. 1).
Flow wird demnach erlebt, wenn die wahrgenommenen Anforderungen einer
Situation mit den persönlichen Fähigkeiten ausbalanciert sind. Während es bei zu
geringen wahrgenommenen Fähigkeiten zu einem Zustand von Angst bzw. Stress
kommt, entsteht bei zu hohen Fähigkeiten Entspannung oder Langeweile. Flow kann
dementsprechend als Zustand zwischen Entspannung und Stress beschrieben werden,
in dem das Individuum optimal gefordert wird. In einer Erweiterung des Flow-Modells
wird zusätzlich der Zustand der Apathie abgegrenzt und davon ausgegangen, dass Flow
nur dann entsteht, wenn sowohl die Fähigkeiten der Person als auch die Anforderungen
der Aufgabe moderat bis hoch ausgeprägt sind. Bei einer niedrigen Ausprägung beider,
also geringen wahrgenommenen Anforderungen der Tätigkeit und gleichzeitig niedrigem
wahrgenommenen Fähigkeitsniveau, kommt es demnach nicht zum Flow, sondern zu
einem Zustand der Apathie (Csikszentmihalyi & Csikszentmihalyi, 1988). Außerdem
wird davon ausgegangen, dass auch Anforderungen, welche leicht über den Fähig-
keiten liegen, flow-förderlich sein können. Allerdings müssen sich die Phasen der
hohen Anforderungen dann mit Erholungsphasen abwechseln (Baumann et al., 2016).
Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeitenden und deren Fähigkeiten gut kennen, kann es
320 L. Kloep et al.
Abb. 1 Flow-Kanal
Modell. (Eigene Abbildung
in Anlehnung an
Csikszentmihalyi (1975))
ihnen leichter fallen, diese Balance aktiv herzustellen. Sie können Aufgaben in Passung
mit den Kompetenzen der Mitarbeitenden vergeben, bei denen neben genau passenden
Tätigkeiten auch leicht herausfordernde Aufgaben und nachfolgende entspannte Arbeits-
phasen eingeplant werden. So kann der Flow bestmöglich gefördert werden. Stark
langweilende, die Mitarbeitenden unterfordernde Aufgaben sollten dabei bestmöglich
vermieden werden.
Kohärente und nicht widersprüchliche Anforderungen, klare Ziele, die möglichst
gemeinsam vereinbart werden, und eindeutiges Feedback wirken positiv auf die Wahr-
nehmung einer Anforderungs-Fähigkeits-Balance hin. Das kann beispielsweise im
Rahmen eines langfristigen Projektplans berücksichtigt werden, indem logisch auf-
einander aufbauende und sich im Anspruchsniveau steigernde Aufgaben gestaltet
werden. Eine wahrgenommene Anforderungs-Fähigkeits-Balance geht schließlich einher
mit einem verstärkten Gefühl von Kontrolle über die Ausführung der Aufgabe (Peifer &
Engeser, 2021).
1.2.3 Freude
Als dritte Kernkomponente des Flows kann die Freude angesehen werden. Dabei spielt
die autotelische Natur der Aufgabe eine entscheidende Rolle. Der Begriff setzt sich
aus den griechischen Worten für „selbst“ (autós) und „Ziel“ (télos) zusammen und
beschreibt, dass das Ziel einer Tätigkeit nicht von außen vorgeschrieben ist, sondern in
der Ausführung der Tätigkeit selbst liegt (Csikszentmihalyi, 1975). Die Tätigkeit wird
nicht durchgeführt, weil extern Anreize geboten werden, sondern sie selbst sorgt für eine
intrinsische Belohnung. Beim Ausführen der Tätigkeit erlebt das Individuum ein Gefühl
der Zufriedenheit, obwohl von außen keine Belohnung gegeben wird. Dies bedeutet
Das Flow-Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz 321
jedoch nicht, dass Flow nur bei selbst gewählten Tätigkeiten oder Aufgaben entstehen
kann. Auch bei durch andere zugeteilten und zusätzlich extrinsisch belohnten Aufgaben
kann es zum Flow-Erleben kommen, was besonders im Arbeitskontext relevant ist. So
kann aus einer zunächst durch extrinsische Faktoren motivierten Tätigkeit während ihrer
Ausführung eine intrinsisch motivierende und potenziell zum Flow-Erleben einladende
Tätigkeit werden, deren Ziel dann mehr in sich selbst als in äußeren Faktoren liegt
(Engeser et al., 2021). Als Führungskraft ist es somit von Vorteil, genau zu beobachten,
für welche Arten von Aufgaben welche Mitarbeitenden sich begeistern können. Durch
die Vergabe von Aufgaben, die zu den Interessen eines Teammitglieds passen und diesem
Freude bereiten, kann ein Flow-Erleben begünstigt werden.
Zusammengefasst kann das Flow-Erleben beschrieben werden als ein angenehmer
Zustand der völligen Absorbiertheit bei der Ausführung einer optimal beanspruchenden
Aufgabe.
und das Engagement werden positiv von Flow beeinflusst (Maeran & Cangiano, 2013;
Plester & Hutchison, 2016). In einer Tagebuchstudie wurde untersucht, inwiefern Flow
bei der Arbeit das Erleben im Tagesablauf beeinflusst. Dabei zeigte sich, dass Personen,
die mehr Flow bei der Arbeit erlebten, am Abend vitaler und weniger erschöpft waren
(Demerouti et al., 2012). Darüber hinaus zeigen sich positive Auswirkungen des Flow-
Erlebens auf die Lebenszufriedenheit (Datu & Mateo, 2017). Einen weiteren zentralen
Aspekt bildet der Effekt des Flow-Erlebens auf das Stressempfinden. Ein häufiges Flow-
Erleben konnte mit der erfolgreichen Anwendung problemfokussierter Copingstrategien
– Strategien zur Stressbewältigung, die auf Problemlösung fokussieren – in Ver-
bindung gebracht werden (Pinquart & Silbereisen, 2010). Dies zeigt, dass Flow einen
angemessenen Umgang mit stressrelevanten Situationen unterstützt und damit einen
Faktor bildet, der zum Aufbau von Resilienz beitragen kann.
Durch die enge Verknüpfung von Resilienz mit dem effektiven Anwenden von
Copingstrategien (Wilks, 2008) und der unterstützenden Wirkung von Flow für problem-
fokussiertes Coping liegt ein Zusammenhang zwischen Flow und Resilienz nahe. Ver-
schiedene Wirkmechanismen können dabei von Bedeutung sein. Diese können auf Basis
des Transaktionalen Modells von Stress und Flow erläutert werden:
Das Transaktionale Modell von Stress und Flow (Peifer & Tan, 2021) bildet ab, welche
Rolle das Flow-Erleben im Stressprozess und beim Umgang mit stressrelevanten
Situationen spielt. Eine Situation wird hierbei, orientiert am Transaktionalen Stress-
Modell (Lazarus & Folkman, 1984), in zwei Bewertungsschritten betrachtet. In einem
ersten Bewertungsschritt wird entschieden, ob die Situation positiv, irrelevant oder
potenziell gefährlich und stressauslösend ist. Bei positiven oder irrelevanten Situationen
wird nichts weiter unternommen, diese können ohne große Anstrengung bewältigt
werden. Wenn die Situation im ersten Bewertungsschritt jedoch als potenziell stressend
eingeschätzt wird, überprüft das Individuum in einem zweiten Bewertungsschritt, ob
genügend Ressourcen vorliegen, um die Situation zu meistern. Bei fehlenden Ressourcen
zur Bewältigung wird die Situation als Bedrohung interpretiert und es kommt zu einer
negativen Erfahrung und Stress. Wenn dagegen ausreichend Ressourcen vorliegen, dann
kann die Situation als Herausforderung interpretiert und erfolgreich im Flow bewältigt
werden. Hier anknüpfend kann Resilienz in das Transaktionale Modell von Stress und
Flow integriert werden. Die positive Erfahrung erfolgreicher Bewältigung im Flow hilft
beim Aufbau von Resilienz, indem die Person darin bestätigt wird, mit ihren eigenen
Ressourcen Stresssituationen meistern zu können. Die Resilienz kann nachfolgend
Das Flow-Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz 323
Abb. 2 Die Integration von Resilienz in das Transaktionale Modell von Stress und Flow. (Eigene
adaptierte Abbildung in Anlehnung an Peifer und Tan (2021))
wiederum eine Ressource für zukünftige Situationsbewertungen darstellen und bei der
Bewältigung von zukünftigen stressrelevanten Situationen unterstützen.
Das in Abb. 2 dargestellte Modell zeigt, wie das Flow-Erleben als Mechanismus der
Stressbewältigung und -vermeidung zum Aufbau von Resilienz beitragen kann. Um eine
positive Interpretation der Situation als Herausforderung und damit potenzielle Flow-
Situation und Resilienzförderung zu ermöglichen, spielen individuelle Ressourcen eine
entscheidende Rolle. Diese Ressourcen können sowohl aus der Umwelt einer Person
stammen wie beispielsweise soziale Unterstützung, als auch in der Person selbst liegen,
wie ihre eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen oder auch ihre Resilienz.
Eine persönliche Ressource, die im Zusammenhang mit dem Flow-Erleben und zum
Aufbau von Resilienz von zentraler Bedeutung ist, ist die Selbstwirksamkeitserwartung.
Darunter versteht man die Überzeugung einer Person, mithilfe der eigenen Fähigkeiten
und Kompetenzen bestimmte Leistungen erbringen und Herausforderungen meistern zu
können (Bandura, 1994). Eine erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung trägt nach Bandura
324 L. Kloep et al.
(1994) zur Bewältigung von Hindernissen und Misserfolgen bei, indem sich Individuen
zutrauen, auch schwierige Situationen zu lösen.
Annahme: Flow-Erleben führt zu einer Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung,
welche in der Folge zu mehr Resilienz führt.
Das Flow-Erleben ist eng mit der Selbstwirksamkeitserwartung verknüpft. Dabei
kann von einem bidirektionalen Zusammenhang ausgegangen werden. Zum einen
kann durch erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung mehr Flow erlebt werden und zum
anderen kann vermehrtes Flow-Erleben zum Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartung
beitragen – so ergibt sich eine positive Aufwärtsspirale (Salanova et al., 2006). Beide
Wirkrichtungen werden im Folgenden genauer betrachtet.
Die Selbstwirksamkeitserwartung beeinflusst, wie die eigenen Fähigkeiten ein-
geschätzt werden und hat somit eine Auswirkung auf die Wahrnehmung der
Anforderungs-Fähigkeits-Balance, welche wiederum eine zentrale Komponente des
Flow-Erlebens ist (Peifer et al., 2020). In verschiedenen empirischen Studien wurden
diese Zusammenhänge von Selbstwirksamkeitserwartung und Flow untersucht und
bestätigt. Zum Beispiel wurde Teilnehmenden zur Erhöhung ihrer Selbstwirksam-
keit positives Feedback bzgl. einer Aufgabe gegeben. Die dadurch erhöhte Selbst-
wirksamkeitserwartung führte zu mehr Flow-Erleben in einer ähnlichen Folgeaufgabe
(Peifer et al., 2020). Auch in einer Längsschnittstudie, welche Lehrer über acht Monate
begleitete, wurde ein positiver Effekt von Selbstwirksamkeitserwartung auf Flow
gefunden. Dieser positive Effekt der Selbstwirksamkeitserwartung auf Flow wurde über
die individuelle Wahrnehmung der Balance von eigenen Fähigkeiten und Anforderungen
der Aufgabe vermittelt (Rodríguez-Sánchez et al., 2011). Auf der Team-Ebene konnte
bestätigt werden, dass kollektive Wirksamkeitserwartungen das gemeinsame Flow-
Erleben vorhersagen können (Salanova et al., 2014).
Auch die entgegengesetzte Wirkrichtung in Form eines positiven Effekts von Flow
auf die Selbstwirksamkeitserwartung konnte bereits empirisch bestätigt werden (Mao
et al., 2020; Salanova et al., 2006). Aufgaben, in denen Flow erlebt wird, werden als
positiv wahrgenommen, wobei gleichzeitig die eigenen Fähigkeiten trainiert werden. So
kommt es zu einem Aufbau von Fähigkeiten, welcher in einer höheren Einschätzung der
eigenen Selbstwirksamkeit resultiert. Das führt wiederum dazu, dass Aufgaben, die als
attraktiv und herausfordernd eingeschätzt werden und die das Potenzial für ein Flow-
Erleben bieten, vermehrt ausgewählt werden. Diese Wirkrichtung wurde ebenfalls auf
Teamebene gefunden, sodass auch im Team von einem reziproken Zusammenhang aus-
gegangen werden kann (Salanova et al., 2014).
Neben den Zusammenhängen von Flow und Selbstwirksamkeit zeigt sich ein positiver
Effekt der Selbstwirksamkeitserwartung auf die Resilienz einer Person. In einer Studie
mit Studierenden konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass bei Studierenden mit einer
höheren Selbstwirksamkeitserwartung in Bezug auf ihre Studientätigkeiten auch die
Resilienz nach der Konfrontation mit einer stressreichen Situation im Universitätskontext
höher ausgeprägt war (Cassidy, 2015). Auch Wang et al. (2018) konnten den positiven
Das Flow-Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz 325
Effekt der Selbstwirksamkeitserwartung auf die Resilienz in einer Studie mit Pflege-
personal verschiedener Krankenhäuser bestätigen.
Auf Grundlage der oben beschriebenen empirischen Zusammenhänge zwischen
Flow und der Selbstwirksamkeitserwartung sowie Resilienz und Selbstwirksamkeits-
erwartung, liegt die Vermutung nahe, dass auch zwischen Flow-Erleben und Resilienz
ein Zusammenhang besteht. Dieser könnte durch die Selbstwirksamkeitserwartung ver-
mittelt werden.
Auf individueller Ebene sind vor allem Faktoren zu berücksichtigen, die dem Selbst-
management zugeordnet werden können. Dabei stehen die zeitliche Planung von Auf-
gaben und das Einhalten von Erholungsphasen im Vordergrund.
Für die Planung eines Arbeitstages empfiehlt es sich, Pausen und Pufferzeiten ein-
zuplanen. So fällt es leichter, die Teilaufgaben hintereinander zu bearbeiten und die
Aufmerksamkeit ganz auf eine Tätigkeit zu richten, was ein Flow-Erleben begünstigt.
Multitasking, also das parallele Bearbeiten verschiedener Aufgaben zur gleichen Zeit,
scheint in stressigen Arbeitsphasen oft eine Möglichkeit zu sein, den verschiedenen
Anforderungen möglichst schnell nachzukommen. In einer Studie konnte jedoch gezeigt
werden, dass ein negativer Effekt von Multitasking auf Flow besteht, bei Multitasking
also weniger Flow erlebt wird, und dies wiederum zu einer verringerten Arbeitsleistung
führen kann (Peifer & Zipp, 2019). Somit sollte ein Multitasking bei der Arbeit ver-
mieden werden, um ein mögliches Flow-Erleben bei der Ausführung verschiedener Auf-
gaben nicht zu hemmen.
Darüber hinaus kann Flow bei der Arbeit am besten entstehen, wenn außerhalb der
Arbeitszeit ausreichend Erholungsphasen stattfinden. In einer Studie konnte gezeigt
werden, dass Personen, die ausgeruht ihren Arbeitstag begannen, während des Tages
mehr Flow erleben konnten (Debus et al., 2014). Somit empfiehlt es sich, auch in
stressigen Arbeitsphasen bewusst Pausen einzuplanen und nach der Arbeit beispiels-
weise mithilfe von bewusst vorgenommenen Freizeitaktivitäten abzuschalten. So stehen
am nächsten Tag mehr Ressourcen zur Verfügung, die Flow begünstigen und somit den
empfundenen Stress verringern und Resilienz aufbauen können. Auch der positive Effekt
von Entspannung auf Resilienz konnte bereits empirisch bestätigt werden. Dabei zeigen
sich sowohl allgemeine Entspannungsphasen als auch achtsamkeitsbasierte Übungen als
resilienzförderlich (Hwang et al., 2018). Achtsamkeit kann zum Beispiel in Form von
kleinen Meditationsübungen während der Pausenzeiten in den Arbeitsalltag integriert
werden. Schon wenige Minuten lange Meditationen, angeleitet zum Beispiel durch
entsprechende Smartphone-Apps, können zur Steigerung des Wohlbefindens und Ver-
ringerung psychischer und arbeitsbezogener Belastungen beitragen, wie eine Studie mit
Arbeitnehmenden zeigt, die acht Wochen lang eine Achtsamkeits-App nutzten (Bostock
et al., 2019).
Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass während des Flow-Erlebens meist ein
Zustand moderater physiologischer Erregung zu beobachten ist (Peifer & Tan, 2021).
Das heißt, ein Zustand völliger Entspannung könnte das Flow-Erleben auch beein-
trächtigen. Bei geringer physiologischer Aktivierung würde es sich dann anbieten, zum
Beispiel durch einen Spaziergang die Aktivierung zu steigern und ein Flow-Erleben
wahrscheinlicher zu machen. Dementsprechend sollten die Maßnahmen zur Förderung
von Flow bei der Arbeit an das aktuelle Empfinden der Mitarbeitenden angepasst
werden.
328 L. Kloep et al.
Ein flow-förderlicher Faktor auf der aufgabenbezogenen Ebene, den man selbst beein-
flussen kann, ist beispielsweise das Setzen klarer Ziele (Parr et al., 1998). Gerade in
stressreichen Arbeitsphasen werden die Arbeitsanforderungen schnell als unkontrollier-
bar und nicht zu bewältigen wahrgenommen. Dann kann es zu der im Transaktionalen
Modell von Flow und Stress (Peifer & Tan, 2021) dargestellten Bewertung der Situation
als bedrohlich und überfordernd kommen, was in erlebtem Stress resultiert. Wird jedoch
die Arbeitsaufgabe in mehrere kleine Teilaufgaben mit konkreten zu erreichenden
Zielen heruntergebrochen, sind diese einfacher zu kontrollieren und damit auch eher
zu bewältigen. Dann kann die Aufgabe, bzw. ihre einzelnen Teilschritte, in positiver
Weise als herausfordernd und zu bewältigen wahrgenommen werden, wobei Flow ent-
stehen und Resilienz aufgebaut werden kann. Es gibt bereits empirische Hinweise
darauf, dass klare Ziele ein Flow-Erleben wahrscheinlicher machen (Pratt et al., 2016)
und auch positiv mit Resilienz assoziiert sind (Dias & Cadime, 2017). Daraus lässt sich
schließen, dass es von Vorteil ist, wenn Fach- und Führungskräfte gemeinsam mit ihren
Mitarbeitenden genaue und realistische Ziele setzen, die ein Flow-Erleben begünstigen,
die Resilienz fördern und den Umgang mit potenziell stressbringenden Situationen
erleichtern können.
Weitere Aspekte, die auf der Aufgabenebene berücksichtigt werden sollten, lassen
sich dem Job-Characteristics-Modell (Hackman & Oldham, 1975) zuordnen. Dieses
beschreibt fünf Kernmerkmale der Arbeit, die einen positiven Einfluss auf Arbeits-
motivation und Zufriedenheit haben: Anforderungsvielfalt, Ganzheitlichkeit, Bedeut-
samkeit, Autonomie und Feedback. Gleichzeitig können diese Elemente der Arbeit
einen Einfluss auf das Flow-Erleben haben (Demerouti, 2006; Maeran & Cangiano,
2013). Die Kernelemente der Anforderungsvielfalt, der Ganzheitlichkeit und der Bedeut-
samkeit der Aufgabe führen gemeinsam zu einer erlebten Sinnhaftigkeit der Arbeits-
tätigkeit (Hackman & Oldham, 1975; vgl. dazu auch den Beitrag von Morgenstern/
Moser in diesem Buch), welche wiederum positiv mit der Häufigkeit des Flow-Erlebens
assoziiert ist (Bartzik et al., 2021). In einer Studie mit Lehrern zeigte sich außerdem,
dass die wahrgenommene Sinnhaftigkeit der Arbeit mit Resilienz positiv assoziiert ist.
Der resilienzförderliche Effekt der wahrgenommenen Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit
wird über Arbeitsengagement und individuelles Gestalten der Arbeit vermittelt (Van
Wingerden & Poell, 2019). Auch für die Autonomie zeigt sich sowohl ein positiver
Effekt auf das Flow-Erleben (Kowal & Fortier, 1999; Kuo & Ho, 2010) als auch ein
positiver Zusammenhang mit der Resilienz (Dawson & Pooley, 2013). Als weiteres
Element verstärkt Feedback das Erleben von Flow (Maeran & Cangiano, 2013). Bei
der Planung von Arbeitsaufgaben können bereits die Kerndimensionen des Modells
berücksichtigt werden, um das Potenzial für Flow und zur Förderung der Resilienz zu
erhöhen. Beispielsweise können Führungskräfte ihren Mitarbeitenden innerhalb einer
Aufgabe Entscheidungsspielräume geben und so das autonome Arbeiten fördern. Gut ist
auch, durch konkretes Feedback zu spiegeln, welche Aspekte bereits gut funktionieren
Das Flow-Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz 329
Als weitere Ebene wird die organisationale Ebene bzw. soziale Ebene betrachtet. Diese
umfasst neben den organisationalen Rahmenbedingungen auch alle sozialen Inter-
aktionen, sowohl mit Vorgesetzten als auch mit Kollegen. Hier zeigt sich außerdem die
Relevanz des Teamflow-Erlebens, also des geteilten Flow-Erlebens in der Gruppe.
In einer Studie zeigte sich, dass neben der Autonomie auch die Faktoren Leistungs-
feedback, soziale Unterstützung durch Kollegen und Coaching durch die Führungskraft
als Jobressourcen einen positiven Einfluss auf das Flow-Erleben haben (Bakker, 2005).
Das deutet darauf hin, dass auch Faktoren des sozialen Umfelds den individuellen Flow
beeinflussen können. Diese Annahme wird unterstützt durch die Studienergebnisse von
Salanova et al. (2006). Sie untersuchten den Einfluss verschiedener persönlicher und
organisationaler Ressourcen auf das Flow-Erleben bei der Arbeit. Dabei zeigte sich
auf der organisationalen Ebene, dass die Faktoren soziale Unterstützung, Innovations-,
Regel- und Zielorientierung Bestandteil einer Aufwärtsspirale sind, die den Zusammen-
hang zwischen Flow und Jobressourcen kennzeichnet. Je mehr Ressourcen wahr-
genommen werden, desto wahrscheinlicher ist ein Flow-Erleben, welches wiederum
zum Aufbau von Jobressourcen beiträgt. Neben den Zusammenhängen von sozialer
Unterstützung und Flow-Erleben gehen Ozbay et al. (2008) ebenso davon aus, dass
soziale Unterstützung ein wichtiger Prädiktor für Resilienz ist. Dies unterstreicht die
Wichtigkeit sozialer Unterstützung bei der Arbeit zum Aufbau von Resilienz und dem
Erleben von Flow. Für Führungskräfte bedeutet diese Erkenntnis, dass ein zentraler
Weg zu resilienten Mitarbeitenden auch ein funktionierendes Team ist, in dem sich die
Teammitglieder sowohl gegenseitig unterstützen als auch auf die Unterstützung durch
die Führungskraft bauen können (vgl. dazu auch den Beitrag von Kemter-Hofmann in
diesem Buch). So kann durch die Führungskraft zum Beispiel versucht werden, durch
Mentoring oder Maßnahmen der Teamentwicklung zu einem positiven Umfeld im Team
beizutragen.
Außerdem scheint der wahrgenommene Spaß mit Kollegen bei der Arbeit einen
positiven Einfluss auf das Flow-Erleben zu haben (Plester & Hutchison, 2016). Spaß
kann dabei in Pausen erlebt werden, die als erfrischend und energiespendend wahr-
genommen werden. Dies fördert wiederum den positiven Affekt und führt zu einem
erhöhten Engagement nach der Pause. Die Förderung von Spaß am Arbeitsplatz kann
demzufolge vermittelt über das Flow-Erleben zum Aufbau von Resilienz beitragen.
Diese Annahme wird auch dadurch unterstützt, dass bereits gezeigt werden konnte, dass
ein guter Sinn für Humor auch direkt zum Aufbau von Resilienz führt (Cann & Collette,
2014).
330 L. Kloep et al.
Dass das Flow-Erleben nicht ein rein individuelles Phänomen ist, zeigt sich an dem
gestiegenen Forschungsinteresse im Bereich des Teamflows. Teamflow ist definiert als ein
geteiltes Flow-Erleben einer Gruppe bei der Ausführung von interdependenten Aufgaben,
welche zu einem gemeinsamen Ziel beitragen. Hierdurch kommt es zu einer optimierten
Teamdynamik (van den Hout & Davis, 2019). Ähnlich wie individueller Flow ist der
Teamflow mit verschiedenen positiven Konsequenzen, wie z. B. Leistung, Wohlbefinden
und kollektiver Wirksamkeitserwartung assoziiert (Aubé et al., 2014; Heyne et al., 2011;
Salanova et al., 2014; Zumeta et al., 2016). Auch diese Faktoren lassen sich als persön-
liche Ressourcen in das Modell zum Aufbau von Resilienz durch Flow einordnen und
könnten über dieselben Wirkmechanismen zum Aufbau von Resilienz beitragen. Durch
gestärkte Ressourcen sowie entsprechende Prozesse im Team kann außerdem Team-
resilienz gefördert werden – Resilienz auf Teamebene, die sich durch hilfreiche Inter-
aktionen bei der gemeinsamen Bewältigung von Herausforderungen oder Anpassung an
Veränderungen auszeichnet (Soucek et al., 2016). Dementsprechend empfiehlt es sich,
im Arbeitsalltag auch Teamarbeitsphasen zu integrieren, die flow-förderlich gestaltet
sein sollten, d. h. es sollten beispielsweise auch auf Teamebene klare gemeinsame
Ziele gefunden werden, welche im Einklang mit persönlichen Zielen stehen. Hierzu ist
es von Nutzen, die verschiedenen Stärken und Interessen der einzelnen Teammitglieder
zu kennen und auf diese bei der Planung einzugehen, damit eine Identifikation mit den
Teamzielen und ein Teamflow-Erleben beim Erreichen dieser erleichtert wird. Das Setzen
von Teamzielen und die damit verbundene Aufteilung von Teilaufgaben an die Team-
mitglieder sind, wenn möglich, partizipativ zu gestalten, sodass der Zielsetzungsprozess
für das ganze Team nachzuvollziehen ist. Die Aufgaben sollten dabei passend zu den ver-
schiedenen Fähigkeiten der Teammitglieder verteilt werden und eine offene Feedback-
kultur etabliert werden, um den Teamflow zu unterstützen (van den Hout et al., 2018).
Das Flow-Erleben, das eine positive Wirkung auf die Resilienz bei der Arbeit haben
kann, lässt sich durch verschiedene Faktoren sowohl auf der individuellen Ebene als
auch auf der aufgabenbezogenen oder der organisationalen und sozialen Ebene stärken.
Auf einige dieser Faktoren können Fach- und Führungskräfte direkten Einfluss nehmen
und den Flow ihrer Mitarbeitenden gezielt fördern. So bietet sich auf der individuellen
Ebene beispielsweise die bewusste Gestaltung von Pausen im Arbeitsalltag, möglicher-
weise mit Entspannungsübungen oder Achtsamkeitsmeditationen, als Ansatzpunkt zur
Förderung des Flow-Erlebens an. Auf der Aufgabenebene zeigen sich das Setzen klarer
Ziele, die Vermittlung von Sinnhaftigkeit und Autonomie sowie Feedbackstrukturen als
Mechanismen zur Steigerung von Flow. Als Einflussfaktoren, auf die Führungskräfte
auf der organisationalen und sozialen Ebene einwirken können, sind zum Beispiel die
soziale Unterstützung im Team, trainierbar durch Teamentwicklungsmaßnahmen, oder
der vorgelebte Spaß bei der gemeinsamen Arbeit zu nennen. So kann mithilfe ver-
Das Flow-Konzept im Arbeitskontext zur Förderung der Resilienz 331
schiedener Faktoren Flow – sowohl bei der individuellen Arbeit als auch im Team-
kontext – begünstigt werden.
In diesem Beitrag werden mögliche Mechanismen beschrieben, über die Flow-
Erleben und Resilienz miteinander in Verbindung stehen könnten. Das Flow-Erleben
könnte die Resilienz vermittelt über eine erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung und das
vermehrte Erleben positiver Emotionen steigern. Die Resilienz kann dann wiederum als
persönliche Ressource eingeschätzt werden, welche in stressrelevanten Situationen dazu
beiträgt, dass die persönlichen Ressourcen zur Bewältigung der Situation als ausreichend
empfunden werden. Dann wird die Situation als Herausforderung anstelle von einer
Bedrohung interpretiert und es kann Flow erlebt werden.
Um diese bisherigen Annahmen zu bestätigen, sollte in zukünftiger Forschung
eine hypothesenbasierte empirische Überprüfung erfolgen. Dabei sollte der direkte
Zusammenhang der beiden Faktoren untersucht und die postulierten Wirkmechanismen
getestet werden. Dafür liefert das in diesem Kapitel vorgestellte Modell zum Aufbau von
Resilienz durch Flow eine theoretische Grundlage.
Quintessenz
• Das Flow-Erleben wird als das völlige Aufgehen in einer optimal
beanspruchenden und als positiv erlebten Tätigkeit definiert und kann positive
Konsequenzen auf verschiedene Aspekte der Leistung und des Wohlbefindens
von Individuen oder Teams haben.
• Vermittelt durch verschiedene Wirkmechanismen kann Flow den Aufbau von
Resilienz begünstigen. Resilienz kann unter anderem durch die Bewältigung
von Stress durch Flow aufgebaut werden. Auch vermittelt über die Selbstwirk-
samkeitserwartung oder positive Emotionen wird Resilienz gefördert.
• Flow kann durch verschiedene Faktoren auf den Ebenen des Individuums, der
Aufgabe und des organisationalen und sozialen Umfelds gefördert und durch
Fach- und Führungskräfte gezielt beeinflusst werden, um den Aufbau von
Resilienz zu unterstützen.
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Corinna Semling
1 Belastungsprobe Ausnahmesituation
Begriffe wie „das neue Normal“ stehen dafür, wie wir darum ringen, aus einer seit zwei
Jahren andauernden Ausnahmesituation der Covid-Pandemie wieder in gewohnte Fahr-
wasser zurückkehren zu können. Die subjektive Beanspruchung in Ausnahmesituationen
ist hoch, weil häufig kreative und innovative Vorgehensweisen gefunden werden müssen,
für die kaum Vorgaben oder Planungen existieren und der Findungsprozess mit einem
hohen Stresserleben des Teams oder der einzelnen Teammitglieder einhergeht (Semling
& Ellwart, 2016). Welche Merkmale eine Situation für die Einordnung als Ausnahme-
situation verantwortlich sind, kann nach objektiven Gesichtspunkten bewertet werden,
wie z. B. dem Auftreten von Gefahr für Leib und Leben oder finanzieller Verluste,
oder nach dem subjektiven Erleben wie beispielsweise das Gefühl, dass die Situation
nicht mehr beherrschbar oder undurchschaubar ist. Auch nach zeitlichen Gesichts-
punkten können Abweichungen von Routinen unterschieden werden: Die Ausnahme
kann sich langsam über mehrere Monate hinweg anbahnen oder plötzlich als eine Art
fundamentale Überraschung (Lanir, 1986) auftreten.
Auf Basis der vorhandenen Forschung lässt sich annehmen, dass Teamresilienz
unerwünschte kollektive und individuelle Belastungsreaktionen wie z. B. die Einengung
der Aufmerksamkeit („attentional tunneling“ und „cognitive tunneling“ nach Wickens,
C. Semling (*)
ikik – Institut für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz, OST Ostschweizer
Fachhochschule, Rapperswil SG, Schweiz
E-Mail: corinna.semling@ost.ch
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 339
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_18
340 C. Semling
2005, S. 1), die Reduktion von Handlungsoptionen (Sutcliffe & Vogus, 2003), dys-
funktionale soziale Ausschlussprozesse wie bspw. das Ausgrenzen von Gruppenmit-
gliedern aufgrund abweichender Situationseinschätzungen (Starker & von der Weth,
2008), die Überbewertung von Informationen (z. B. Dörner, 2008), das fehlende Abwägen
von Neben- und Folgewirkungen (ebd.) oder emotionales Coping (Bishop et al., 2010),
abfedert oder gar nicht auftreten lässt.
Besitzen Teams eine hohe Resilienz, die aus dem Lateinischen (resiliere) übersetzt
„zurückspringen“ oder „abprallen“ bedeutet, gelingt es ihnen, auch bei Schwierigkeiten,
unvorhergesehenen Ereignissen oder hohem Veränderungsdruck zu ihrer gewohnten
Teamleistung zurückzufinden. Resiliente Teams sind damit eher in der Lage, selbst bei
hoher Belastung die Konsequenzen ihres Handelns einzuschätzen und einen klaren Blick
für ihre Verantwortung zu behalten. Ergebnisse von West et al. (2009) unterstreichen
dies und zeigen, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Teamresilienz und der
Kohäsion (inneren Teamzusammenhalt) sowie der Kooperation innerhalb des Teams gibt.
Teamresilienz ist durch ablaufende psycho-soziale Prozesse mehr als die Summe
der individuellen Fähigkeiten zur Stress- und Krisenbewältigung. Sie ist eine Team-
fähigkeit, die erst in der Teamkonstellation auftritt, und es dem Team ermöglicht, unter
belastenden Bedingungen wie z. B. Krisen leistungsfähig zu bleiben. Im Kontext der
Forschung zur Anpassungsfähigkeit von Teams schlagen Maynard und Kennedy (2016)
ähnlich wie Burke et al. (2006) vor, Resilienz als eine Teamqualität zu verstehen, die aus
der Zusammenarbeit und der Auseinandersetzung mit der Umwelt im Team entstehen
können. Demnach wird Teamresilienz im Weiteren definiert als gemeinsame Teamüber-
zeugung mit schwierigen Situationen umgehen zu können.
Die stresspsychologische Forschung ergänzt die Wirkung der Resilienz um den
Aspekt des Lernens und des Wachstums. Resilienz bewirkt demnach „not only survive
these critical periods but also learn and become stronger by learning „lessons“ from
the crisis“ (Elliot & Macpherson, 2010 zit. nach Salanova et al., 2012, S. 786). Die
Forschung zu sicherheitskritischen Arbeitsfeldern geht wiederum einen Schritt weiter
und schreibt resilienten Systemen (Individuen, Teams oder Organisationen) die Fähigkeit
zu, nicht nur im Umgang mit schwierigen Arbeitssituationen, sondern bereits präventiv
bzw. in der Nachsorge von krisenhaften Ereignissen wirksam zu werden. Teamresilienz
bedeutet demnach „to adjust its functioning prior to, during, or following changes
and disturbances, so that it can sustain required operations under both expected and
unexptected conditions“ (Rigaud et al., 2012, S. 3).
Die bisherige Forschung zum Resilienzkonzept ist breit gefächert. Dennoch können
aus der vorhandenen Literatur spezifische Resilienzfaktoren identifiziert werden. Sowohl
individuelle als auch teambezogene Fähigkeiten, mentale Team Modelle und kollektive
Einstellungen, zählen zu den Teamressourcen, die in der Bewältigung oder im Erleben
von Ausnahmesituationen das Team vor den negativen Konsequenzen zu hoher körper-
licher, psychischer oder mentaler Belastung schützen können.
Herausforderungen „kranker“ Arbeitskontexte: Teamresilienz … 341
Auf Basis der vorliegenden Forschungsliteratur wurde das TiKAS-Modell entwickelt (vgl.
Abb. 1), das sowohl die Voraussetzungen als auch die Prozesse teamresilienter Hand-
lungen beschreibt. In der Annahme, dass Teamresilienz besonders zur Bewältigung der
Anforderungen von Ausnahmesituationen beiträgt, fasst das Modell insgesamt drei relevante
Variablengruppen zusammen: Zunächst sind die individuellen und teambezogenen Eingangs-
bedingungen anzuführen. Dazu zählen die aktuell an das Team gestellten Anforderungen,
die eine Ausnahmesituation charakterisieren, sowie die Ressourcen, mit denen sie den
Anforderungen entgegentreten können. Daran anschließend ergeben sich Teamprozesse,
die affektive und kognitive Teamhandlungen beschreiben sowie drittens Konsequenzen
oder Resultate der Teamprozesse, die wiederum zu einer kurz-, mittel- oder langfristigen
Anpassung der Eingangsbedingungen oder der Teamhandlungen führen können.
Im Folgenden werden die Ebenen des TiKAS-Modells näher erläutert.
2.1 Eingangsbedingungen
2.1.1 Situative Anforderungen
Das TiKAS-Modell geht davon aus, dass Teamresilienz dann gefordert ist, wenn die
Komplexität und die Bedrohlichkeit der Situation zunehmen. Auf Basis der eigenen
Forschungsergebnisse zeigt sich, dass Gefahren-, Notfall- oder Dilemma-Situationen
Nachbereitung / Anpassung
wiederum eine wichtige Rolle zu spielen (siehe z. B. Kaplan et al., 2013). Mit diesen
kognitiven und emotionalen Ressourcen verschafft sich das Team freie Kapazitäten oder
sogar zusätzliche Reserven für die geforderte Problemlösung.
2.1.2 Teamkognitionen
Eine gemeinsame Basis an Erfahrungen und Wissen dient einer hohen Stabilität an
Routineabläufen und reduziert unter schwierigen Bedingungen den Abstimmungs- und
Kommunikationsbedarf. Wichtige Teamkognitionen im Umgang mit Nicht-Routine-
situationen sind neben dem Wissen und dem Umgang mit vorhandenen Risikofaktoren
wie z. B. Stärken und Schwächen der Teammitglieder, auch das gemeinsame Bewusst-
sein für vorhandene Risiken, die durch die Situation entstehen wie beispielsweise
Zeitdruck, Wetterbedingungen oder Ausfall der Kommunikation (z. B. DeChurch &
Mesmer-Magnus, 2010; Ellwart, 2011). Diese gemeinsame Wissensbasis wird als
sogenanntes Team Mental Model (TMM) bezeichnet. Das TiKAS-Modell beinhaltet
das TMM „Risiken“ und betont dadurch, dass Teams ein gemeinsames Wissen zum
Erkennen, Vermeiden und Bewältigen von risikohaften Entwicklungen benötigen (nach
Gomes et al., 2009). Mit Risiken können sehr unterschiedliche Aspekte angesprochen
sein wie beispielsweise der aktuelle Krankenstand im Team (Risiko von Personalaus-
fällen) oder die Verwendung von neuen Technologien (Risiko des Scheiterns).
Als weiterer Aspekt Resilienz-fördernder Teamkognition ist von Krisenmanagement-
teams bekannt, dass das gemeinsame Verständnis zu selbstorganisierender Rollen-
übernahme und -improvisation zu einer höheren Flexibilität in kritischen Situationen
beiträgt. Mit einem geübten Team Mental Modell der „Rollenimprovisation“ sind
Team-Ressourcen vorhanden, um ungeplante Rollen-, Funktions- und Aufgabenwechsel
vornehmen zu können (siehe z. B. Lundberg & Rankin, 2014). D. h. bei Personalaus-
fällen besteht eine flexible Möglichkeit, sich gegenseitig zu vertreten bzw. zu unter-
stützen.
2013). Kontrollüberzeugungen im Sinne eines gemeinsamen „Wir schaffen das!“ und die
Offenheit für neue Wege zeichnen nach dem TiKAS-Modell resiliente Teams aus.
2.2 Teamprozesse
Der Umgang mit Ausnahmesituationen ist für Teams, unabhängig davon, ob es sich um
ein geübtes Einsatzteam oder um ein Projektteam handelt, immer ein einschneidendes
Erlebnis. Im TiKAS-Modell werden zwei zeitlich versetzte Wirkungsmechanismen
dazu angenommen: Einerseits ist eine kurzfristige Stressbewältigung gefordert, die die
kognitive und emotionale Beanspruchung abpuffert, andererseits sind die mittel- und
langfristigen Konsequenzen auf das Lernen und die gesamte Teamentwicklung im Blick
zu behalten.
Das TiKAS-Modell geht davon aus, dass resiliente Teams in ihrer Stressbewältigung
aufgaben- und lösungsorientierter sind als andere Teams. Feldstudien mit Teams unter
extremen Anforderungen (z. B. Bishop et al., 2010) geben Hinweise darauf, dass unter-
schiedliches emotionales Copingverhalten einzelner Teammitglieder sich zu einem
zusätzlichen Belastungsfaktor für die Gruppe entwickelt, wenn die Gruppe isoliert
ist und nur wenige Personen umfasst. Im Umkehrschluss kann angenommen werden,
dass die Teammitglieder eines resilienten Teams einen eher einheitlich ausgeprägten,
aufgabenbezogenen Copingstil bevorzugen oder zumindest sich in der situativen
Bewältigung von Ausnahmesituationen in ihrem aufgabenbezogenen Bewältigungsstil
einander angleichen (siehe dazu Hobfoll, 2001).
Durch die hohen Problemlösungsanforderungen von Ausnahmesituationen prägen
sich diese Ereignisse auch stark in das Teamgedächtnis ein. Geht das Team erfolg-
reich aus der Situation hervor, stärken sich dadurch z. B. nach West et al. (2009)
mittel- bis langfristig der Teamoptimismus und die Team-Selbstwirksamkeit. Diese
Teameigenschaften können als eine der sogenannten „team level positive psychological
capacities“ eingeordnet, die sich wiederum positiv auf Teamkohäsion, Kooperation oder
Koordination auswirken.
Im TiKAS-Modell steht Teamresilienz für die Fähigkeit, schwierige Perioden oder Ereig-
nisse nicht nur zu überstehen, sondern sich kurz-, mittel- und langfristig sogar auf die
besonderen Herausforderungen von schwierigen Ausnahmesituationen besser anpassen
zu können. Das Team ist in der Lage, eigene Lernprozesse anzustoßen und kann dadurch
die eigenen Ressourcen erweitern. In ähnlicher Weise nimmt Woods (Woods, 2005;
Woods & Hollnagel, 2006) an, dass Resilienz dem Teamprozess mehr Kapazität im
Umgang mit krisenhaften Situationen verschafft.
Ob es einem Team gelingt, diese Lernprozesse zu etablieren, hängt von vielen
Faktoren innerhalb der Organisation ab und zugleich stellt sich die Frage, ob es im Sinne
der Organisation ist, wenn die Ausnahme und die Belastung zur Routine werden.
346 C. Semling
In der Bewältigung der Situation griff das Team auf das gemeinsame Mentale Modell der
Rollenimprovisation zurück. In der Situationsschilderung werden zum einen die festen
Routinen in der Einsatzdurchführung und in den Rollenverständnissen betont. Dennoch gibt
es zum anderen eine flexible Rollenübernahme innerhalb des Teams, die vor Ort entschieden
wird, wenn die Einsatzlage sich konkretisiert: „Wer welchen Part übernimmt, das macht
man speziell vor Ort je nachdem, was da gemacht wird.“ Zudem konnte eine hohe psycho-
logische Sicherheit innerhalb des Teams beobachtet werden. Es wurde davon berichtet, dass
die Reaktionen der anderen als vertraut erlebt wurden, das Gespür füreinander gegeben war
und das Team gewohnt war, auf sich allein gestellt zu agieren: „Da ist jetzt nicht nur die
Lage, die exponiert ist, sondern du bist einfach weg von allen anderen.“
Herausforderungen „kranker“ Arbeitskontexte: Teamresilienz … 347
• Diverse Risikobewertung
In der schwierigen Entscheidung, die Rettung der Person zu vollziehen, trotz der Gefahr
für Leib und Leben, gab es abweichende Risikobewertungen: „Ich sage mal zu zwei
Drittel waren wir uns einig, dass wir das jetzt so lösen oder ich sage jetzt mal, dass das
die beste Situation ist, wenn wir da jetzt wirklich auch aggressiv bleiben. Der andere
Teil hat im Nachhinein ganz klar gesagt, eigentlich hätte man die Finger davonlassen
sollen.“. Zur Bewältigung der Ausnahmesituation kann die Diversität ein entscheidender
Faktor sein, um die akute Lage optimal einzuschätzen und um die beste Entscheidung
treffen zu können.
3.1.2 Fazit
Rettungskräfte im Einsatz erleben mittlerweile häufig das Spannungsfeld zwischen
Gefahr für das eigene Leben und der Ausführung ihres originären Auftrags. In dieser
Situation konnte dies gelingen, da das Feuerwehrteam vor dem Hintergrund einer ein-
gespielten Routine, emotionale und kognitive Kapazitäten für den Umgang mit der Aus-
nahmesituation verfügbar hatte. Die Organisation schafft durch eine eingespielte und
selbstverständliche Debriefing-Kultur den passenden Rahmen.
plan nahezu unhaltbar ist. Hinzu kommt, dass eine völlig neuartige Lösung für den
Verbau von Sichtelementen entwickelt werden muss. Der Druck ist immens, dass
das Schiff im vorgegebenen Zeitplan fertig wird. Denn die Vorgabe der Geschäfts-
führung, die Meilensteine einzuhalten, steht fest. Ein fast unlösbares Dilemma
In der Teamzusammenarbeit spielte das Antizipieren von Risiken und Friktionen eine
wichtige Rolle: „Also mein großer Versuch ist im Moment mit dem Ungemach so gut
es geht vorauszuplanen. Also man kann im Moment Dinge, die nicht so laufen werden,
wie sie laufen sollten, schon voraussehen.“ Die Ohren überall haben, einen Plan B ent-
wickeln, kontinuierliches Abfragen der zu erwartenden Arbeitsleistung in den Teilteams
sind Indikatoren für ein ausgeprägtes Mentales Modell der Risikofaktoren.
• Offenheit
Als Beitrag zur permanenten Weiterentwicklung des Mentalen Modells im Team kann
die direkte Ansprache schwieriger Themen gesehen werden: „Also, da kriegen wir (die
Projektleitung) eigentlich sehr positives Feedback. Das Schlimmste ist nicht zu reden
und irgendwas zu verheimlichen und letztendlich stellt das dann auch jeder fest, den
man sich aktiv an den Tisch holt: Sag mir dein Problem, dann kann ich damit umgehen.
Dann werde ich dich nicht in vier Wochen an die Wand nageln. Das beruhigt auch den-
jenigen, der potenziell schuld ist an dem Problem. Sag es mir jetzt und wir finden einen
Weg.“ Die Offenheit im Umgang mit möglichen oder vorhandenen Schwierigkeiten führt
im Projekt zu einem intensiven Austausch, der auch zulässt, individuelle Überlastungen
anzusprechen.
• Emotionale Stabilität
sagen, hör auf zu schimpfen, bringt nichts. Und einfach mit einer positiven Grund-
stimmung daran zu gehen.“ Die individuelle Fähigkeit kann, wie im vorliegenden Fall
ein ganzes Team stabilisieren.
In Phasen von hoher Belastung wurde davon berichtet, dass psychische oder körperliche
Überlastungen direkt durch die Projektleitung in Besprechungen und Teammeetings
angesprochen wurden, um beispielsweise zusätzliche Kapazitäten rechtzeitig in das
Projekt hineinziehen zu können. Das TiKAS-Modell spricht hier von einer Planung, die
die psycho-physischen Kapazitäten des Teams berücksichtigt. Im Gegensatz zu einem
reinen Projektmanagementplan wird auch das subjektive Erleben von Überforderung
erfragt und berücksichtigt. Die Übertragungseffekte auf die anderen Teammitglieder
scheinen hierbei ein wesentlicher Mechanismus zu sein: „Das stelle ich auch fest, wenn
man penetrant selber gut gelaunt ist, dann überträgt sich das schon ein bisschen aufs
Umfeld.“.
Aus Sicht des TiKAS-Modells konnte eine kurzfristige oder sogar mittelfristige
Anpassungsleistung innerhalb des Projekts beobachtet werden: „Da ist letztend-
lich immer viel diskutiert worden … man hat immer wieder versucht eine Lösung zu
finden.“ Der Erfahrungstransfer auf andere Projekte fand jedoch nicht statt, auch eine
strukturierte Aufbereitung der Projekterfahrung konnte nicht beobachtet werden.
3.2.2 Fazit
Im Projektmanagement können neuartige und besonders komplexe fachliche Aufgaben-
stellungen als eine permanente Ausnahmesituation erlebt werden. Als erfolgreicher
Ansatz erwies sich das engmaschige Antizipieren und die offene Kommunikation von
Risiken. Aber auch die individuellen Eigenschaften emotional stabil zu sein, trägt zum
Gesamterfolg bei.
belastenden Ereignissen können nur dann umgesetzt werden, wenn sie auf die passenden
organisatorischen Rahmenbedingungen treffen. Die Resilienz-fördernden Rahmen-
bedingungen, die sich aus den Untersuchungen zum TiKAS-Modell ergaben, werden im
Folgenden vorgestellt:
Der Umgang mit Verantwortung im Team unter schwierigen Bedingungen wie einer Aus-
nahmesituation, lässt sich nicht als Standardvorgehen definieren. Dennoch zeigen kritische
Ausnahmesituationen, dass Aufgabenprioritäten, das Selbstbild des Teams und die
gemeinsamen Stressbewältigungsstrategien wichtige Lernthemen sind, für die jedes Team
sein Reflexionsformat (Debriefing in der Gruppe oder Einzelgespräche) bestimmen sollte.
Letztendlich wird aus den Schilderungen deutlich, dass Teams in Ausnahme-
situationen auf sich allein gestellt sind. Damit dies gelingt, sind im Team mehrere Hand-
lungsstrategien zu etablieren und kontinuierlich zu hinterfragen:
• Situationskontrolle prüfen oder das Wissen testen, was zu tun ist und worauf man sich
als Team berufen kann.
• Konzentrierten Durchhaltewillen stärken: Man zieht etwas durch, man gibt was man
kann, man hat eine hohe Leistungsbereitschaft, man nimmt es selbst in die Hand.
Durchhalteparolen helfen Teams die Leistungsbereitschaft aufrecht zu erhalten. Aber,
die Situationsbeschreibungen zeigen auch, dass eine zentrale Voraussetzung dabei das
Vertrauen in das Team ist.
Herausforderungen „kranker“ Arbeitskontexte: Teamresilienz … 351
Quintessenz
Zusammenfassend können durch die Erfahrungen und Überlegungen mit dem
TiKAS-Modell folgende zentrale Aspekte festgehalten werden:
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354 C. Semling
1 Einleitung
A. Rohde (*)
IU Internationale Hochschule, Erfurt, Deutschland
E-Mail: angela.rohde@iu.org
R. Kosuch
Technische Hochschule Köln, Köln, Deutschland
E-Mail: Renate.kosuch@th-koeln.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 355
Teil von Springer Nature 2023
M. Moser und K. Häring (Hrsg.), Gesund bleiben in kranken Unternehmen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39903-0_19
356 A. Rohde und R. Kosuch
Der Begriff Resilienz hat sich in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu einem
Trendbegriff entwickelt und findet zunehmend Anwendung in unterschiedlichen
Disziplinen. In der Resilienzforschung wird untersucht, welche Faktoren die Ent-
wicklung seelischer und körperlicher Widerstandskraft beeinträchtigen (Risikofaktoren)
bzw. begünstigen (Schutzfaktoren). Personen ebenso wie Unternehmen suchen daher
nach Konzepten zur Stärkung individueller bzw. organisationaler Widerstandskraft.
Dementsprechend unübersichtlich sind zum derzeitigen Zeitpunkt Forschung und
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 357
später weltweit einen Achtsamkeitstrend in Gang gesetzt hat. Das achtwöchige Programm
ist als Ausgangspunkt für eine lebenslange „journey of self-development, self-discovery,
learning, and healing“ gedacht (Kabat-Zinn, 2013, S. xlvii). Auch die Introvision arbeitet
u. a. mit achtsamkeitsbasierten Techniken (vgl. Rohde, 2019), doch im Unterschied zu
anderen Programmen zielt die Introvision nicht auf Vermeidung und Bewältigung von
Stress ab, sondern setzt an der mentalen Weiterverarbeitung von Ist-Soll-Diskrepanzen an
– mit einer oft zunächst als paradox erlebten Vorgehensweise, die darauf zielt, das, was
im Organismus passiert, eben nicht „loswerden“ zu müssen. Mediziner und Hirnforscher
Peters erklärt: „Erfolgreich bewältigte Stresserfahrungen sind im Allgemeinen der beste
Weg, um Resilienz zu entwickeln“ (Ayan, 2022, S. 19). Aus Sicht der Introvision werden
solche Stresserfahrungen dadurch bewältigt, dass etwas „gelassen“ wird (siehe Abschn.
4.2). Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist es, einen inneren Konflikt zu erkennen und
als solchen anzunehmen, um ihn zu beenden bzw. von der Wurzel her aufzulösen.
Ein zentrales Anliegen der Introvision ist die Sensibilisierung für die eigenen mentalen
Prozesse. Noch bevor es darum geht, zu verstehen, was sich eigentlich im Bewusst-
sein abspielt, wenn die Gelassenheit abhandenkommt, gilt es, wahrzunehmen und ein-
360 A. Rohde und R. Kosuch
schätzen zu können, ob in einer Situation eine eher gelassene oder eher nicht-gelassene
Grundhaltung oder Stimmung vorliegt oder vorlag. Im Kontext der Introvision wurde zur
Einschätzung des Ausmaßes an (Nicht)-Gelassenheit die Psychotonusskala entwickelt
(Wagner, 2021, S. 28 f.). Sie basiert auf Erkenntnissen der Stress-, Emotions- und
Volitionsforschung, der Entspannungs- und Meditationsforschung sowie der Konflikt-
forschung (ebd.). Die Skala ist in sieben Psychotonusstufen (PT-Stufen) mentaler und
psychischer Zustände eingeteilt, deren Übergänge fließend sind (siehe Tab. 1). Sie reicht
von absoluter innerer Ruhe – wie sie beispielsweise in der Meditation erlebt werden
kann (PT-1) – über das Alltagswachbewusstsein (PT-4) bis hin zum eskalierenden
Konflikt (PT-7). Für den Kontext des Arbeitsalltags bedeutsam ist aber vor allem, dass
es nicht darum geht, ein Ausmaß an tiefer Gelassenheit anzustreben, wie beispielsweise
in der tiefen Meditation. „Bei der Definition der unterschiedlichen Stufen galt es (…),
einen „Nullpunkt“ zu definieren, also einen Zustand, der im Alltagsverständnis als weder
außergewöhnlich gelassen noch als besonders konflikthaft gilt (…). Hierfür wurde der
Zustand gewählt, den sich (…) Chefs bei ihren Mitarbeitern wünschen: Diese sollen
wach sein, ausgeruht und dazu in der Lage, „einfach so“ willentlich zu handeln. Dieser
Zustand wird hier als „Alltagswachbewusstsein“ bezeichnet (PT-Stufe 4)“ (Wagner,
2021, S. 29).
Demnach ist es förderlich, den Arbeitsalltag möglichst auf der Psychotonusstufe 4 zu
erleben, Informationen weiterzuverarbeiten und zu handeln. Diesen Aspekt herauszu-
heben ist auch deshalb wichtig, weil die Vorstellung weit verbreitet ist, eine Person sei
nur dann gelassen, wenn sie versunken und von tiefer Ruhe erfüllt sei (PT-1 und PT-2).
Eine zweite Alltagsvorstellung von Gelassenheit - nämlich als Selbstbeherrschung im
Arbeitsalltag - ist aus Sicht der Introvision ebenfalls nicht richtig. Selbstbeherrschung
ist vielmehr ein Zeichen fehlender Gelassenheit (PT-5). Jede Form der Selbstabwertung
oder des Handelns gegen einen merklichen inneren Widerstand („Überwindung des
inneren Schweinehundes“) ist mit steigendem Psychotonus verbunden sowie mit
einer Zunahme an Anspannung und (subtilem) Stresserleben, das sogar als dauerhafte
Erschöpfung erlebt werden kann. So agieren Menschen in beruflichen Alltagssituationen
häufig eher auf PT-5 – wenn Herausforderungen hinzukommen mit Ausschlägen nach
oben. Es macht demnach einen großen Unterschied, ob eine Situation mit einer inneren
Haltung wie „Ah, so ist das.“ oder mit „Das darf doch nicht wahr sein!“ eingeordnet
wird (siehe Abschn. 3.2 und Fallbeispiele 4.3).
Um die mit der PT-Skala verbundenen unterschiedlichen Erlebens- und Ver-
arbeitungsweisen bewusster zu machen und bei der Einschätzung von Gelassenheit mit
heranziehen zu können, wurde von Kosuch ein unspezifisches Gelassenheitsbarometer
als Instrument zur Selbstreflexion auf Basis der Introvision entwickelt (ebd. 2021;
Wagner et al., 2020, S. 185–191). Die Einschätzung erfolgt anhand von gegenläufigen
Aussagen z. B. zur Selbstwahrnehmung, zum Umgang mit den eigenen Gefühlen und
Stimmungen oder zum Handlungsspielraum. Das Barometer wird auf eine bestimmte
Situation angewendet und individuell ausgewertet (Kosuch, 2019).
Introvision ist eine Methode, die in über 45 Jahren von der Begründerin der Intro-
vision, Angelika C. Wagner, und vielen anderen Beteiligten wissenschaftlich erforscht
und kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Introvision heißt Innenschau. Der Begriff
wurde 2001 von Iwers eingeführt und ersetzte die bis dahin gebräuchliche Bezeichnung
‚imperativzentriertes Focusing‘, die u. a. auf die gemeinsamen Wurzeln von Introvision
und Focusing nach Gendlin (1981) verweist. Anliegen der Introvision ist es, Menschen
in die Lage zu versetzen, auch in schwierigen Phasen einen klaren Kopf zu behalten,
also gelassen zu bleiben und auf die eigenen Ressourcen zugreifen zu können, statt in
einen Tunnelblick zu geraten. Startpunkt der Forschung waren Untersuchungen zu
Unterrichtsstrategien in der Lehrerbildung im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes
(1976–1984). Es gingen zwei zentrale Fragen daraus hervor, die seitdem die Intro-
visionsforschung maßgeblich bestimmen: 1) Wie entstehen innere Konflikte im Unter-
schied zu äußeren und 2) wie können sie aufgelöst werden? Seitdem wurden über 60
empirische Untersuchungen zur Struktur von Konflikten sowie zur Wirksamkeit der
Methode des Konstatierenden Aufmerksamen Wahrnehmens (KAW) und der Intro-
vision in unterschiedlichen Anwendungsfeldern (u. a. in Wirtschaft, Management, Sport,
Gesundheit und Pädagogik) durchgeführt, z. B. zum Abbau von Rede- und Prüfungs-
angst (Berckhan et al., 1993), zur Verringerung von Lern- und Schreibblockaden (Iwers-
Stelljes & Müller, 2013; Möller, 2008), zur Reduktion von Perfektionismus (Freiwald,
2009), im beruflichen Alltag (Kosuch, 1994), bei der Gestaltung von Veränderungs-
prozessen in Gruppen und Organisationen (Kosuch, 2009), im Leistungssport (Benthien,
2011) sowie zur Reduktion von Nackenverspannungen und Tinnitus (Buth & Guedes,
362 A. Rohde und R. Kosuch
2012) (ausführlicher siehe Wagner, 2021, S. 45-46). Die Untersuchungen zeigen, dass
die Anwendung der Introvision als Beratungsansatz und als Selbsthilfemethode zu signi-
fikanten Änderungen im Erleben und Verhalten führt und spezifische gesundheitsbeein-
trächtigende Probleme verringern kann (vgl. Wagner, 2012, 2021).
Zudem wurde im Rahmen des mit Bundesmitteln und dem Europäischen
Sozialfonds geförderten Forschungsprojektes „Aufstiegskompetenz von Frauen“
(2008–2012; Bamberg et al., 2008) untersucht, was Frauen daran hindern könnte, Auf-
stiegsperspektiven zu ergreifen. Im Teilprojekt „Mentale Blockaden“ (Iwers-Stelljes
et al., 2012; Oerding, 2014) wurden bei weiblichen Nachwuchsführungskräften innere,
karrierehinderliche Faktoren identifiziert, das Potenzial von Coaching mit Introvision
untersucht und dessen Wirksamkeit überprüft. Im Ergebnis zeigte sich eine hochsigni-
fikante Verringerung mentaler Blockaden in aufstiegsrelevanten Schlüsselsituationen
durch Introvision. Chronischer Stress und Belastung nahmen signifikant ab (vgl. Wagner,
2021).
Kernstück der Introvision ist das Konstatierende Aufmerksame Wahrnehmen (KAW),
eine bestimmte Art und Weise der Wahrnehmung und Aufmerksamkeitslenkung. Sie
wird in Kap. 4 vorgestellt und anhand von Beispielen aus dem beruflichen Alltag ver-
anschaulicht.
Steckbrief Introvision
Zu verstehen, wie Nicht-Gelassenheit entsteht, ist ein erster und wichtiger Schritt in der
Introvision (Wagner et al., 2020). Daher werden zunächst einmal Konfliktarten und das
Besondere an inneren Konflikten im Vergleich zu äußeren erläutert.
Allgemein formuliert, kann nach Wagner zunächst zwischen drei Typen von Bewusst-
seinskonflikten unterschieden werden (vgl. 2021, S. 25).
1) Entscheidungskonflikte: „Was soll ich nur tun?“ – Beispiel: Soll ich die Heraus-
forderung annehmen oder lieber nicht?
2) Umsetzungskonflikte: „Ich weiß schon, was ich tun sollte, schaffe es aber nicht!“ –
Beispiel: Ich sollte heute noch am Kundenangebot arbeiten, komme aber nicht in
Gang.
3) Konflikte mit der Umwelt: „Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte.“ – Beispiel: Ich
sollte für meine Leistung endlich besser bezahlt werden.
Doch nicht jeder äußere Konflikt wird zwangsläufig auch zu einem inneren Konflikt
(1-3). Eine schwierige Situation erkennen und benennen zu können, kann bereits die
Grundlage für eine Lösung schaffen. Das setzt aber voraus, dass dieser äußere Konflikt
innerlich als solcher anerkannt werden kann. Aber ihn zu akzeptieren, um dann
anschließend zu schauen, was getan werden kann – dieses gelassene „Anerkennen was
ist“ – gelingt häufig nicht. Das liegt daran, dass zusätzlich zum äußeren Konflikt auch
ein innerer Konflikt ausgelöst wird („Das darf doch wohl nicht wahr sein…!“). Diese –
häufig automatische – Reaktion ist der Auslöser für Stress, Anspannung und den Verlust
der Gelassenheit und dient nicht unbedingt der Lösung des äußeren Konflikts.
Aber warum gerät das Bewusstsein überhaupt in einen inneren Konflikt, obwohl es
stressauslösend ist und so unangenehme Konsequenzen wie den Verlust der Gelassen-
heit hat? Und warum wird in den inneren Konflikt eingegriffen, wird er festgehalten,
indem z. B. abwehrende Gedanken darübergelegt werden? Warum wird versucht, das
364 A. Rohde und R. Kosuch
Abb. 1 WILD-Formel.
(Quelle: Eigene Darstellung in
Anlehnung an Wagner et al.,
2020, S. 71.)
Unangenehme daran wegzuschieben? Denn all das ist verbunden mit der unerwünschten
Zunahme an Anspannung, Erregung und des Psychotonus. Nach Wagner wird hier
ein Mechanismus genutzt, der eigentlich für Not-Situationen gedacht ist, wenn die
Informationsverarbeitung hängen bleibt, wie bei einem Computer, dem der Befehl zur
Ausführung der nächsten Operation fehlt (vgl. Wagner, 2021). Anders als bei einem
Computer wird jedoch kein Absturz des Systems ausgelöst, sondern die kognitive Fehl-
stelle automatisch überbrückt. So ist es möglich, trotz eines sogenannten mentalen
Defaults in einer existentiellen Situation das zu tun, was zum Überleben notwendig
ist, z. B. wegzulaufen. Wagner unterscheidet vier Arten von Defaults: Widersprüche,
Inkongruenzen, Leerstellen und Diskrepanzen, die im Folgenden anhand eines Beispiels
erläutert werden (Abb. 1).
Nehmen wir einmal an, einer Führungskraft fällt bei einem bedeutenden Vertrags-
abschluss der Name dieses wichtigsten Kunden, der ihr gerade gegenübersteht, nicht ein.
Sie könnte nun aus vier Gründen ins Stocken geraten (W-I-L-D):
1. Ein mentaler Widerspruch liegt vor, denn ihr fallen zwei Namen ein. „Ohm oder
Ötting? Beides zusammen geht nicht!“
2. Eine Inkongruenz ist entstanden, wenn der Führungskraft nur ein falscher Name ein-
fällt („Oberhaus – nein, das stimmt nicht!“ (=mit der Realität unvereinbar).
3. Der Name fällt ihr nicht ein – es gibt eine Leerstelle. „Ich habe keine Ahnung!“
4. Eine Diskrepanz liegt vor, wenn die Führungskraft merkt, dass ihr der Name auf der
Zunge liegt, sie aber aufgrund einer plötzlichen Verwirrung oder eines Blackouts
diesen nicht aussprechen kann. „Es läuft nicht so, wie es soll!“ (Hilflosigkeit).
In diesem Fall könnte sich die betroffene Person mit Gelassenheit eingestehen, dass
sie gerade den Namen nicht weiß, statt – welcher Aspekt von W-I-L-D auch immer
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 365
Tab. 2 Konfliktumgehungsstrategien „ENTGEHN“
E Emotionale Erregung • Verstärken: sich hineinsteigern, dramatisieren,
• Imperativisch aufgeladen äußern (z. B. klagend, wütend)
• Verringern und hemmen: „cool bleiben“ etc.
N Nochmals oder • Einen vorhandenen Imperativ noch extra verstärken, oder durch
Neues imperieren einen neuen Imperativ wirkungslos machen etc. („Zukünftig
muss ich…“)
T Theoretisieren • Den Konflikt abstempeln, theoretisch einordnen etc.
• Realität umdeuten, rationalisieren (verstandesmäßig erklären und
rechtfertigen), sich Illusionen machen etc.
• Sich eine andere Realität wünschen („Wenn die Welt…wäre“)
G den Konflikt als • Geringer machen: herunterspielen, abwerten etc.
Ganzes • Größer machen: dramatisieren, überverallgemeinern etc.
• Ganz wegschieben: ignorieren, ausblenden, verdrängen
E Erwartungsbezogene • Negative Erwartungen hegen und verstärken (Pessimismus)
Umgehungsstrategien • Sich Mut machen, auf guten Ausgang hoffen (Optimismus)
H Handeln • Die Umwelt oder sich selbst verändern
• Resignieren: Absicht aufgeben („Geht halt nicht.“)
N Nicht aufgeführte
sonstige Strategien
In Anlehnung an Wagner, 2021, S. 185 ff.; Kosuch & Wagner, 2019, S. 144
vorliegt – mental festzuhalten und einzugreifen. Aus Defaults werden nur dann innere
Konflikte, wenn diese zugleich mit erhöhter Erregung oder Anspannung verbunden sind
(vgl. Wagner, 2021). Die Strategien, mit denen in dieser Weise eingegriffen wird, werden
als Konfliktumgehungsstrategien bezeichnet. In der Introvisionsforschung ist eine
Systematik dieser vielfältigen Umgehungsstrategien entwickelt worden, mit denen innere
Konflikte vorläufig beendet werden können. Sie sind in nachfolgender Tabelle unter dem
Akronym ENTGEHN zusammengefasst (siehe Tab. 2).
Aber das Bewusstsein ist dem nicht ausgeliefert. Aus jedem der Aspekte von W-I-L-D
gibt es auf gelassene Weise einen Ausweg, sofern der Default ausgehalten werden kann
(„Ich weiß den Namen gerade nicht. So ist es.“). Dann bleibt der Handlungsspielraum
erhalten. Denn statt den mentalen Aufwand in die Konfliktumgehungsstrategie (KUS) zu
investieren (vgl. Abb. 2), steht genügend mentale Kapazität zur Verfügung, um entweder
den Namen zu erinnern oder kurz zu überlegen, auf welche Weise sonst die Situation
souverän gelöst werden kann.
Dieser Unterschied im mentalen Aufwand, je nachdem womit das Bewusstsein
beschäftigt ist, wird in Abb. 2 gegenübergestellt. Das in der Abbildung verwendete
TOTE-Modell der Handlungssteuerung geht zurück auf Miller, Galanter und Pribram
(1973) und wird von Wagner für die Visualisierung der beiden unterschiedlichen Ver-
arbeitungsweisen herangezogen (2021, S. 270 f.).
366 A. Rohde und R. Kosuch
Ko n s t a t i e r e n Imperieren
4 4
Test: Diskrepanz zwischen Test: Diskrepanz zwischen
Exit Exit
IST und SOLL? nein IST und Imperativ? nein
1 3 1 3
ja ja
2 2
Operate (Handeln) Konfliktumgehungsstrategie!
Abb. 2 Zwei Arten der Weiterverbeitung. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kosuch,
2008, S. 155)
Das KAW ist eine „bestimmte Form der Aufmerksamkeitssteuerung“ (ebd., S. 144). Im
Kern geht es darum, konstatierend, d. h. feststellend, nicht-wertend und in gelassener
Weise wahrzunehmen, was man sieht, hört, spürt, fühlt oder denkt sowie störende
Kognitionen zuzulassen und sie abklingen zu lassen. KAW ist im Prinzip einfach zu
erlernen. Die zuverlässige Anwendung setzt jedoch eine gute Übungspraxis voraus.
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 367
mit konstant
konstatieren bleibendem Fokus
Weitere
Bewusstseins- Die sechs offen wahrnehmen
inhalte nicht aktiv Merkmale des KAW
ausblenden
Nicht aktiv-bewusst
weitgestellt introferent
eingreifen, um
Lösung zu suchen
Abb. 3 Die 6 Merkmale des KAW. (Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Wagner, 2021,
S. 99; Wagner et al., 2020, S. 83)
Da diese Wahrnehmungshaltung bei der Analyse und Auflösung von Konflikten und
Blockaden in der Introvision eine wesentliche Rolle spielt, wird sie im Folgenden vor-
gestellt. Das KAW wird zunächst im Rahmen eines von Wagner entwickelten Übungs-
programms im Selbststudium oder unter professioneller Anleitung erlernt. Danach ist
es Geübten möglich, KAW und Introvision in der Selbstanwendung zu nutzen. Je nach
Konflikterleben kann eine Beratung bzw. ein Coaching durch professionelle Intro-
visionsberatung nach A. C. Wagner geboten sein. KAW stellt „eine Wahrnehmungsform
dar, die im Alltag quasi ‚an den kleinen Dingen des Alltages‘ erprobt und entwickelt
werden kann“ (Iwers, 2019, S. 200). Es kann eingesetzt werden, um sich kurzfristig
mental zu entspannen, sich in etwas zu vertiefen, die eigene Aufmerksamkeit zu schulen
oder kreative Prozesse bis hin zum Flow anzuregen. Verinnerlichung und Einsatz der
konstatierenden Haltung können bereits zu überraschenden Ergebnissen führen und den
Handlungsspielraum maßgeblich erweitern. Mit sechs ineinandergreifenden Merkmalen
lässt sich das KAW beschreiben (vgl. Abb. 3).
Das KAW-Übungsprogramm zielt darauf ab, die Anwendung sicher zu erlernen. Dem
Einsatz im Arbeitsalltag ist ein weiterer Abschnitt gewidmet (siehe Abschn. 4.3). Für
368 A. Rohde und R. Kosuch
die ersten drei Übungen gilt, die Sinneskanäle jeweils gezielt einzeln anzusprechen.
Zunächst wird nacheinander für jeweils ca. zwei Minuten im Modus des Sehens, Hörens
und des körperlichen Spürens geübt. Je nach Verlauf und Vorerfahrung werden weitere
Modi wie Schmecken, Riechen oder Tasten hinzugenommen und die Übungsdauer
verlängert. Das Übungsprogramm als Schulung der Aufmerksamkeit ist vergleichbar
mit einem Muskel, der trainiert wird. Zunehmende Übung führt zu einem schnelleren
„Umschalten“ in den konstatierenden Modus – der KAW-Muskel ist trainiert, um im
Bild zu bleiben. Für den Anfang wird empfohlen, die nachfolgenden Grundübungen
(1-3) regelmäßig (möglichst täglich) zu einer bestimmten Tageszeit an einem ruhigen
und vertrauten Ort durchzuführen, sie erfolgen zunächst sitzend, in aufrechter Haltung,
mit den Beinen nebeneinanderstehend und den Armen locker auf den Beinen ruhend.
Recht bald wird es so möglich, KAW-Übungen in den Alltag zu integrieren, z. B.
beim Warten auf die S-Bahn, bei der Ankunft im Büro oder in der Mittagspause. Fehlt
die empfohlene Zeit für alle Übungen, kann ein „Lieblings-Sinneskanal“ ausgewählt
werden, um nicht aus der Übung zu kommen.
KAW-Übung 1: Konstatieren
Hier wird der Unterschied von enggestellter und weitgestellter Wahrnehmung geübt
und der Wechsel zwischen beidem geschult. Die Übung sensibilisiert für die Wahr-
nehmungsweise, denn in Belastungssituationen verengt sich häufig die Wahrnehmung
(„Tunnelblick“). Alle Aufmerksamkeit ist unter Anspannung auf ein Problem
gerichtet, alles andere wird ausgeblendet und der Psychotonus steigt auf 5 oder
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 369
höher. Wenn sich beim Weitstellen das Wahrnehmungsfeld weitet, führt dies bereits
häufig zu einer größeren (mentalen) Entspannung (Wagner, 2021). In angespannten
Situationen kann Weitstellen als Erste-Hilfe-Methode verwendet werden, in dem
für einen Moment die Aufmerksamkeit vom Unangenehmen hin in die weite Wahr-
nehmung gelenkt wird. Als Vorübung wird zunächst nur ein Detail betrachtet, gesehen
bzw. gehört, dann alles als Ganzes wahrgenommen (ein einzelner Ast – ein Baum;
Uhrticken – alle Geräusche im Raum etc.). Anschließend wird geübt – nacheinander
in den drei Sinnesmodalitäten – zwischen Engstellung, d. h. dem Fokus auf ein Detail,
und weitgestellter Wahrnehmung hin- und herzugehen. Im KAW Geübte können
diesen Wechsel zwischen Eng- und Weitstellung bewusst einsetzen. ◄
Als Vorübung zur Introvision und zugleich als Entspannungsmethode ist diese
Übung gedacht. Ein Ereignis, das mit Wohlgefühl, Zufriedenheit (weniger Euphorie)
und innerer Ruhe verbunden ist, wird in konstatierender Haltung wahrgenommen.
Anfangs empfiehlt es sich, eine Situation auszuwählen, die nicht zu komplex ist.
Wagner empfiehlt das Erleben eines Frühlingstags (2021, S. 122-123). Es geht in der
Übung um die Wahrnehmung der Essenz, die eine angenehme Situation ausmacht
(z. B. Vogelgezwitscher, duftende Blumen, blauer Himmel o. ä. beim Frühlingstag).
Das Zentrum des Angenehmen ist im Fokus der Aufmerksamkeit und wird weit-
gestellt wahrgenommen. ◄
Dieses KAW kann zunächst für einen kürzeren Zeitraum als zwei Minuten geübt
werden. Diese Praxis des KAW auf ein unangenehmes Erlebnis mittlerer Intensi-
tät bereitet auf den Kern der Introvision vor. Im Übungsprogramm startet Wagner
370 A. Rohde und R. Kosuch
mit einem kalten, nassen Wintertag als Zentrum des Unangenehmen (2021, S. 125).
So wie zuvor beim Frühlingstag die Essenz des Angenehmen betrachtet wird, tritt
nun die Essenz des Unangenehmen des Wintertags in den Fokus. Die weitgestellte
Haltung ermöglicht es, das Unangenehme anzusehen und wahrzunehmen, ohne etwas
wegzuschieben oder auf das Unangenehme engzustellen. Wird durch die Übung zu
große Unruhe ausgelöst und Weitstellen gelingt nicht mehr, kann sie jederzeit vor-
zeitig beendet werden. Damit ist das Übungsprogramm abgeschlossen (ausführlicher
dazu mit vielen Beispielen Wagner, 2021, S. 104 ff.). ◄
Der Übergang vom Üben in die Anwendung des KAW im Alltag ist fließend. Irgend-
wann stellt sich nicht mehr die Frage, ob man gerade konstatiert. Man tut es einfach. Auf
welche Weise das erfolgt, wird anhand des fiktiven Beispiels von Lukas veranschaulicht.
Beispiel
Lukas ist verzweifelt. In zwei Tagen findet die Jahrestagung des Marketingteams
statt, und er soll dort seine erfolgreiche Marketingkampagne vorstellen. Doch bis-
her steht nur die Struktur der Präsentation, ihm fehlen vor allem noch wichtige
Zahlen und passende Abbildungen. Eigentlich müsste er längst weiter sein, doch er
arbeitet seit Stunden an einer komplexen Grafik. Er versucht sich zu beruhigen, unan-
genehme Assoziationen wegzuschieben, doch innerlich steigt der Druck immer mehr.
Seine Gedanken drehen sich im Kreis. Er kann nicht aufhören zu grübeln, was sich
zunehmend auf seine Konzentration auswirkt. Sein Projekt solle Anderen als Vorbild
dienen, hatte ihm erst kürzlich seine Vorgesetzte erklärt. ◄
Da Lukas KAW ausführlich eingeübt hat, bietet es sich an, es auf das Problem anzu-
wenden. Lukas unterbricht seine Arbeit, setzt sich aufrecht, aber bequem auf seinen
Stuhl mit nebeneinanderstehenden Beinen und atmet ein paar Mal tief durch. Er schließt
für einen Moment die Augen, da er so besser zur Ruhe kommen kann und seine unfertige
Präsentation nicht mehr direkt im Blick hat. Dann stellt er seine dringliche Aufgabe und
die damit verbundenen Anmutungen und Anspannungen in den Fokus seiner Aufmerk-
samkeit und fragt sich: „Was hindert mich daran, die Präsentation fertigzustellen?“ –
„Ich sehe es kommen, ich werde nicht fertig und vermassele meine Präsentation. Alles,
nur das nicht!“ – schießt ihm in den Kopf. „Am besten melde ich mich morgen krank!“
Doch anstatt sich in seine Sorgen hineinzusteigern und den Konflikt dadurch zu ver-
schlimmern, konstatiert er das, was aus seiner Sicht auf keinen Fall passieren darf: „Es
kann sein, dass ich meine Präsentation vermassele.“ Er stellt dies konstatierend fest,
ohne zu werten und bleibt mit konstantem Fokus bei dieser Feststellung, nimmt mit
all seinen Sinnen offen wahr, was er sieht, hört, spürt, schaut in sich hinein, bleibt
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 371
nachhaltig wie jenseits einer schwierigen Situation. Eine weitere, noch kürzere Methode
zur Anwendung in akuten Situationen ist die Blitzintrovision (vgl. 2021, S. 218-220). Als
„kleine Schwester der Introvision“ (Wagner et al., 2020, S. 156) ermöglicht sie den blitz-
schnellen Wechsel vom Sich-Imperieren („Das muss so sein!“, „Das darf nicht sein!“)
ins Konstatieren („Es kann sein, dass…“) und damit in den Modus der Gelassenheit.
Hierzu ein Beispiel, wie in KAW Geübte Blitzintrovision anwenden können, um akute
(mentale) Anspannung loszulassen.
Beispiel
Ein Projektleiter befindet sich mit seinem optimierten Angebot im ICE auf dem Weg
zu einem Kunden.
Anstatt sich das Schlimme auszumalen und diese Befürchtung kontrollieren bzw. los-
werden zu wollen (Tunnelblick), lässt er in innerlich annehmender und weitgestellter
Haltung zu, dass seine Befürchtung eintreten könnte.
KAW und Introvision lassen sich gezielt in der Arbeitswelt anwenden. Zur Veranschau-
lichung folgen zwei weitere Beispiele, die aus verschiedenen Coachings anonymisiert
zusammengeführt wurden und in denen unterschiedliche Techniken aus der Introvision
zur Anwendung kommen.
Beispiel
Fall Nr. 1: Elias stellt fest, dass er sich für ein Meeting, das in 30 min beginnt, nicht
vorbereitet hat. Eigentlich sollten alle Teammitglieder der Videoproduktion Ver-
besserungsvorschläge für einen optimierten Produktionsprozess erstellen. Das Timing
ist eng, das erarbeitete Konzept soll bereits Ende der Woche der Leitung vorgestellt
werden. Doch er steht mit leeren Händen da und gerät in einen inneren Konflikt: „Das
darf doch nicht wahr sein!“. ◄
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 373
Elias ist sehr nervös, doch er hat gute Erfahrungen mit KAW als Kreativitätstechnik und
zum Brainstorming gemacht. Deshalb zieht er sich spontan mit Stift und Notizblock
in einen leeren Besprechungsraum zurück, schreibt den Begriff ‚Videoproduktion‘ auf
seinen Zettel, wechselt in die KAW-Haltung und fragt sich innerlich: „Was kann ich dazu
beitragen, was fällt mir dazu ein?“. Erst spürt er aufgrund des Zeitdrucks noch innerliche
Unruhe, hört störende Geräusche auf dem Flur, malt sich negative Konsequenzen aus
und beschimpft sich selbst. Er nimmt diese Bewusstseinsinhalte in einer weitgestellten,
konstatierenden Haltung wahr, kann sie vorbeiziehen lassen und sich seiner Frage-
stellung fokussiert und zugleich weitgestellt zuwenden. Er wartet, was kommt. Erste
Ideen stellen sich ein, zunächst noch zögerlich. Wie im Flow schreibt er in kurzer Zeit
diverse Ideen auf, findet eine Struktur und hat nach zehn Minuten ein erstes Konzept.
Das reicht als Vorbereitung. Erleichtert über diesen kreativen Moment, macht er sich auf
den Weg zu seinem Termin.
Bei besonders starken oder chronischen Belastungen kann es hilfreich sein, den
Prozess der Introvision von einem Coach anleiten zu lassen, wie hier im folgenden Bei-
spiel von Margot, die mit ihrem Chef Probleme hat und in Introvision geübt ist.
Beispiel
Fall Nr. 2: „Ich kann seine Art einfach nicht mehr ertragen“, schimpft Margot ohne
Umschweife über ihren neuen Personalchef, der ihr nun schon seit Wochen „das
Leben schwer macht“. Sie führt verschiedene Gründe an, weshalb die Situation für
sie nicht länger tragbar sei, und wirkt zunehmend verzweifelt: „Ich habe wohl keine
Wahl, ich muss kündigen!“, bricht es schließlich aus ihr voller Anspannung heraus.
Kurz danach ergänzt sie kleinlaut: „Dann habe ich ein riesiges Problem!“. ◄
Die Beraterin macht ihr den Vorschlag, sich an eine Situation oder Begegnung mit ihrem
Vorgesetzten zu erinnern, die sie als belastend erlebt hat, und fragt: „Was ist Ihnen
damals als Erstes in den Sinn gekommen?“. Damit leitet sie die Methode des „Nachträg-
lichen Lauten Denkens“ an, die in den Anfängen der Introvisionsforschung entwickelt
wurde. Margot findet sofort eine geeignete Situation und ihr schießt der Satz in den
Kopf: „Er ist eine Gefahr für mich!“. Die Beraterin beobachtet ihre Gestik, nimmt ihre
zunehmend errötenden Wangen sowie bestimmte sprachliche Indikatoren für Imperative
wahr („Nie hört er zu.“ – „Er darf mich doch nicht so behandeln!“ – „Ich muss
handeln!“). Ihre Befürchtungen werden von der Beraterin konstatierend aufgegriffen,
bis sie zu einem zentralen Imperativ gelangt: „Ich darf meinen Job nicht gefährden!“
„Möchten Sie darauf jetzt KAW machen?“ Margot ist einverstanden, nimmt ihre unan-
genehme Kognition in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit, zugleich offen und weitgestellt.
Die Beraterin greift ihre Formulierung auf, konstatiert die entsprechende Subkognition:
„Es kann sein, dass Sie Ihren Job gefährden.“, und fragt: „Was daran ist das Zentrum des
Unangenehmen?“ Margot möchte dem zunächst gar nicht nachgehen. Dann wendet sie
374 A. Rohde und R. Kosuch
KAW auf ihren Satz an und wird allmählich ruhiger. Nach einer Weile richtet sie sich
auf, schaut nachdenklich aus dem Fenster und sagt: „Ja, das könnte sein. Ich fühle mich
erleichtert. Das würde ich mir gern nochmal genauer anschauen.“. Sie beschließt, KAW
in der nächsten Zeit zu wiederholen, um den inneren Konflikt vollständig aufzulösen.
In der Introvision werden nicht die Erlebnisinhalte selbst, die vorgetragenen Themen
oder Probleme zum Gegenstand des Interesses, sondern vielmehr die zugrundeliegenden
mentalen Abläufe. Zu erkennen, dass ein innerer Konflikt aufgespürt und aufgelöst
werden kann, indem man dem Unangenehmen bzw. Schlimmen ins Auge schaut, anstatt
es (erfolglos) wegzuschieben, so wie Margot und Lukas (siehe Abschn. 4.3) es gemacht
haben, hat eine befreiende Wirkung. Darin liegt die besondere Stärke der Introvision.
Die unterschiedlichen Anwendungsbeispiele aus der Praxis zeigen, dass mit Intro-
vision nicht nur große oder tiefliegende innere Konflikte bearbeitet werden. KAW wird
eingesetzt zur Vorbereitung schwieriger Gespräche oder Aufgaben, bei Mitarbeiter-
gesprächen, in der Feedbackkultur, im Konfliktmanagement, als Kreativitätstechnik
und ganz allgemein als Methode zur Entspannung, wenn die Wogen hochgehen. Zudem
kann jeder Anlass, in dem sich situativ Belastungen oder innere Konflikte auftun, mit
KAW bearbeitet werden und damit zu kurzfristiger Entlastung, zur Deeskalation eines
beginnenden Konflikts und zur Zunahme an Gelassenheit und Handlungsspielraum bei-
tragen (vgl. Wagner, 2021, S. 226-227).
In diesem Beitrag wurde Introvision als Methode zur Förderung von Gelassenheit und
zur mentalen Selbstregulation in einem arbeitsweltlichen Kontext vorgestellt. Übungen,
Erfahrungswerte und Anwendungsbeispiele wurden dargelegt und aufgezeigt, wie Intro-
vision gezielt zur mentalen Selbstregulation und somit zur Stärkung der individuellen
Widerstandskraft in Belastungssituationen angewendet werden kann.
Introvision findet in der Praxis u. a. als Selbstmanagementmethode sowie als Inter-
vention für Einzelpersonen sowie Teams – z. B. im Rahmen von Veränderungsprozessen
– Anwendung, wofür jeweils unterschiedliche Vermittlungskonzepte bestehen.
Wenn KAW erlernt ist, kann Introvision in der Selbstanwendung der einzelnen
Mitarbeitenden sowie durch Einbezug von Introvisionscoaching in die betriebliche
Gesundheitsförderung „zur Reduzierung von Leistungseinschränkungen oder krankheits-
bedingten Ausfällen“ in Unternehmen und Organisationen beitragen (Buth & Pereira
Guedes, 2012). In einem Unternehmen, in dem Mitarbeitende über die Methode des
KAW verfügen, um mit Belastungssituationen gelassener umzugehen, kann Gelassenheit
zur systemimmanenten Gewohnheit mit entsprechend positiver Wirkung auf das soziale
Miteinander und die Arbeitskultur werden (vgl. Rohde, 2021).
Mit Introvision werden die mentalen Prozesse, die innere Konflikte auslösen können,
in den Blick genommen. Sie entfaltet ihr Potenzial auf der individuell-psychischen Ebene,
Gelassen und handlungsfähig im Berufsalltag – Impulse aus der Introvision … 375
hat aber auch Auswirkungen auf den Umgang mit äußeren Konflikten. Introvision kann im
beruflichen Kontext auch einen Beitrag zur Resilienz auf der Interaktionsebene (Teams)
sowie auf der organisationalen Ebene (Organisation/Unternehmen) leisten (z. B. Kosuch,
2009, 2022). Denn auch die Fähigkeit, äußere Konflikte – wie z. B. Interessenskonflikte
im Unternehmen – in den Blick zu nehmen und der Mut, diese dann mit Gelassenheit
anzugehen, wird mit Introvision gefördert. Notwendige Veränderungsschritte können
erkannt, vorgeschlagen und durchgesetzt werden, die nicht allein auf Selbstoptimierungs-
anforderungen hinauslaufen. Im konstatierenden Modus des Erlebens – anschaulich in
Abb. 2 – dargestellt, können auch Herausforderungen und Konflikte im Unternehmen
und seinen Strukturen mit Gelassenheit thematisiert werden, ohne in innere Konflikte zu
geraten.
Quintessenz
Mit der Förderung von Gelassenheit durch Introvision wird bestehenden oder zu
entwickelnden Resilienzkonzepten eine Wirkweise hinzugefügt, die insbesondere
Resilienzfaktoren wie Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Selbstwirksam-
keit, Umgang mit Stress oder Problemlösefähigkeit stärkt. Mit Blick auf das
hier vorgestellte Potenzial, das die Introvision für das Erleben und Durchleben
von Belastungssituationen bereithält, kann sie sich als bedeutender Baustein von
Maßnahmen zur Förderung von Resilienz als Präventions- und Interventions-
methode für Individuen, Teams und Organisationen bewähren.
• Wann wurden Sie das letzte Mal von kreisenden Gedanken oder Grübelattacken über-
wältigt? Um welches Problem handelte es sich, das innere Konflikte ausgelöst hat?
• Welche Strategien verwenden Sie bereits zum Stressabbau, zur Förderung von
Gelassenheit bzw. zur Stärkung Ihrer Resilienz?
• Schauen Sie sich die Übersicht der Konfliktumgehungsstrategien genauer an
(->Tab. 1). Welche Bewältigungsstrategien verwenden Sie bevorzugt, wenn
Schwierigkeiten auftauchen?
• Denken Sie an eine konflikthafte Situation, die Sie erlebt haben. Was – welcher
Gedanke, Satz oder welches Empfinden – kam Ihnen im akuten Konflikterleben als
erstes in den Sinn?
• In welcher aktuellen Situation würde Ihnen die Anwendung des Konstatierenden Auf-
merksamen Wahrnehmens einen neuen Impuls geben und ggf. zur Lösung beitragen
können?
376 A. Rohde und R. Kosuch
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Prof. Dr. phil Angela Rohde ist seit 2019 Professorin für Medien
und PR an der IU Internationale Hochschule. Sie war zuvor viele
Jahre in Marketing und Kommunikation internationaler Konzerne
tätig und bietet Business Coaching mit dem Schwerpunkt in
Kommunikation und Konfliktmanagement an. Sie ist Mitglied in
der Forschungsgruppe Introvision der Universität Hamburg und
Gründungs- und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Intro-
vision. Seit 2020 ist sie im Dozententeam der Introvisions-Weiter-
bildung mitverantwortlich für die Konzeption, Weiterentwicklung
und Durchführung des universitären Kursangebotes für Selbst-
anwender, Trainer und Coaches in Hamburg.