Jostein Sæther

Karmisches Hellsehen

Ein Wegbegleiter durch

dynamische Meditation zu
imaginativem Bewusstsein

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 Jostein Sæther

Karmisches
Hellsehen

Ein Wegbegleiter durch

dynamische Meditation zu
imaginativem Bewusstsein

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 Dieses Buch ist gedruckt mit einem Risograph RZ
auf chlor- und säurefreiem Werkdruckpapier Demeter von Geese.

Widmung

Hans-Jørgen Høinæs
Ate Koopmans
Michèle Beck
Lotte Hopp

Erste Auflage 2007

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by
Verlag Ch. Möllmann
Schloß Hamborn 94, 33178 Borchen
Tel.: 0 52 51 2 72 80
Fax: 0 52 51 2 72 56
www.chmoellmann.de
Herstellung: Verlag Ch. Möllmann, Schloß Hamborn (Inhalt),
Druckteam D. Möhring, Lichtenau (Umschlag).

ISBN 978-3-89979-084-9

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Inhalt
[ ist noch nicht überarbeitet ! ]
Einführung
Danksagung 16 / Widmung 19
Prolog .. ...
1. KUNST ALS GRUNDLAGE .. ...
Das Künstlerische 31 / Die bildenden Künste und das Übersinnliche 32 / Kunst-
betrachtung 35 / Architektur erleben 36 / Skulptur, Malerei und Interieur 39 /
Rückblick auf die Kunstbetrachtung 44 / Heiterster Humor und tiefster Ernst in
der Kunst 42 / Die Zeitkünste 43 / Ich-Begegnung in der Musik 44 /
Bekleidungskunst 46 / Film 49 / Ausstellungskunst 50 / Künstlerisch tätig sein
Eine malerische Übung 52 / Wandlasur 54 / Begegnung mit Holz 55 / Eine
spielerisch-dramatische Wahrnehmungsübung 56 / Das vielgliedrige
Menschenwesen 57 / Übungen zum Schauen der Hüllennatur und der Aura des
Menschen 59 / Planeten-, Farb- und Formstimmungen 62 /Imagination,
Inspiration und Intuition 65 / Künstlerische Naturbeobachtung 69 / Die
goetheanistische Arbeitsweise der Offenheit und Behutsamkeit 72 / Die
Eurythmiefiguren 73 / Bewegung, Gefühl und Charakter beim Wort Baum 74 /
Das Baumwesen der Externsteine 78 / Kunstmeditation als Brücke zum Geist-
Erleben 79 / Der Modus der Bildmeditation von der sinnlichen zur
tugendhaften Anschauung 82 / Künstlerische Erfahrung und die
Orientierungsfähigkeit im Geistigen 84
2. SINNES- UND SEELENÜBUNGEN
Das innere Kind der zweite Mensch in uns 92 / Die heilsamen Orte 94 / Räume
der Ruhe 95 / Momente der Bewegung 95 / Schönheit und Fühlen Wahrheit und
Wille 96 / Die bewegende Kraft des Fühlens 98 / Das charakter-bildende Licht
des Wollens 99 / Die Brunnenübung von Mykene 100 / Das Urbild der Bild-
6 7
meditation 102 / Die Inselübung 103 / Die Gipfelübung 107 / Die erste
Engelübung 108 / Steinmeditation 111 / Baummeditation 114 / Farbmeditation
116 / Meditation an Traumbildern 118 / Poesiemeditation 119 / Das
Lebenscredo 122 / Das lebendige Denken das Künstlerische an sich 123 / Eine
Lichtübung von Rudolf Steiner frei interpretiert 125 / Gedächtnis und
Gewissen zwei Grundsätze der Esoterik 128 / Selbstwertübungen 131
3. DAS BAUEN DER IMAGINATIVEN HÜTTE .
Innere Bilder und die Akasha-Chronik 136 / Umständlichkeit als Arbeitsweise
138 / Imaginative Erkenntnis ist künstlerisch 140 / Die dynamische
Karmameditation 142 / Mantram und Wahrspruch seelisch-geistige Gesinnung
und Positions-bestimmung 143 / Hilfestellungen von Verstorbenen 144 / Meister
und Hüter der Meditation 147 / Der Herr des Karmas 148 / Die gefühlsmäßige
Anteilnahme im karmischen Hellsehen 150 / Eine Landschaft als Ausgangsbasis
152 / Architektur des Ich 153 / Die meditative Heimat 154 / Das Museum der
karmischen Gegen-stände 155 / Der Reisegefährte dein Engel 156 / Das Schiff
161 / Die Insel in der Aura der Erde 162 / Das Urbild der Individualität 163 /
Die Umstülpung des normalen Punktbewusstseins 165 / Erforderliche
Vorbereitungen zur Karmaschau und weitere Engelaspekte 167 / Zeit als
Raumerlebnis 170 / Aus dem Schlaf aufwachen 171 / Die Werkzeuge der vier
Elemente 172 / Das Beobachter-bewusstsein 174 / Das Feldbewusstsein 175 /
Das Besucherbewusstsein 176 / Die Parzifal-Stimmung 178 / Perspektiven und
Zeitverschiebungen 179 / Frühere Leben aufrollen 181 / Eine ehemalige
Todesschwelle zu überschreiten das Exkarnationsbewusstsein 182 / Die drei
Lebenstugenden 183 / Die drei Tugendengel 184 / Das Fernglas 185 / Die
karmischen Fundstücke 187 / Zu Devotion und Dankbarkeit 188 / Wie gehst du
mit Karmaerkenntnis um? 190
4. AUS DER KARMAFORSCHUNG ...
Illusion und Wahrheit 191 / Warum brauchen wir authentische Imaginationen?
198 / Frühere Leben von zwei Betreuten 199 / Begleiterscheinungen des
imaginativen Schauens 202 / Perspektiven der Karmaforschung 205 / Wie ich
eine Inkarnation von mir selbst erforschte, wo Blindheit seit der Geburt vorlag
206 / Karmaforschung mit Einzelnen und mit Gruppen 210 / Zu karmischen
Aufarbeitungen, die mit Atlantis zu tun haben 213 / Der Wächter im
Vulkanorakel 215 / Der nordische Anführer 217 / Der mesopotamische
Baumeister 220 / Der griechische Wanderarzt 222 / Der Gast des schwarzen
. Pumas 225 / Die aufgezwungene Verlassenheit 227 / Die englische Adelsfamilie
228 / Die Steinigung in der Wüste 232 / Nebenübungen und Karmaschau 235
5. KRAFT- UND SEELENTIERE ... .
Totem, Sphinx und Evangelistensymbole 240 / Die Seelenlandschaft 242 / Die
zweite Gebäude das Seelenhaus 242 / Die erste Begegnung mit den drei
 Seelentieren 243 / Seelentiere und Eigenschaften der menschlichen Seele 244 / Gedicht von Angelus Silesius 354 / Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe
Die kosmische Mission der Tierwelt 246 / Mit den Seelentieren in früheren Leben 354 / Gedicht von Hans Canossa 354 / Sprüche und Mantren von Rudolf Steiner
gehen 247 / Zusammenhänge zwischen Krafttieren und Karma 248 / Tiere und 355 / Spruch der Begleitung von Jostein Sæther 357
Elementarwesen 251 / Gruppenseelen von ausgestorbenen Tieren und die
Astralebene 253 / Tierschutz und Zukunft der Menschheit 254 / Die Spinne und Glossar ...
die Zukunft der Esoterik 255
Literatur ..
6. WANDEL DES KARMISCHEN DOPPELGÄNGERS...............
Schwellenübertritte die Begegnung mit dem hässlichen Selbst 261 / Der kleine
Hüter und Karma 262 / Der innere Nachbar 264 / Der Fremdling im Seelenhaus
265 / Das Wesen des Zwischenspielers und frühere Leben 267 / Den
Unsichtbaren durch den Sichtbaren entdecken 268 / Abendteuer mit dem
Stuntman 269 / Voratlantische Stufen 270 / Die atlantische Schlüsselinkarnation
271 / Der karmische Doppelgänger und gesellschaftliche Verstrickungen 272 /
Der Schutzengel und die karmische Doppelgestalt 275 / Was geschieht, wenn die
Einweihung fehlschlägt 276 / Unerträgliche und böse Doppelgänger 278
7. GEISTIGE BESCHÜTZER UND WIDERSACHER...................
Das dritte meditative Bauwerk ein geistiger Tempel 284 / Die drei Apsiden, die
Beschützer, die Widersacher und das Arkanum 287 / Die drei Altäre und das
Meeting 289 / Die sieben Fenster, Chakren und Kostbarkeiten 290 / Die zwölf
Säulen und Residenzen 292 / Der heilige Garten und die sieben Monopteros 293
/ Das Gastmahl 294 / Geselligkeit mit der geistigen Welt 295 / Prüfungen an der
Schwelle zur geistigen Welt 297 / Einsamkeit und Schmerz der Initiation 299 /
Christus als Torhüter am Eingang zur geistigen Welt 303 / Inzwischen den
Inkarnationen 306 / Die griechische Tempeldienerin der Aphaia 308 / Der
Geisteskampf des protestantischen Reformators 309

8. DIE MANICHÄISCHE AUFGABE ... ..

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Ich 315 / Das Ich als Wärmewesen
317 / Zwei zukünftige Inkarnationen in ihren potenziellen Ausmaß 319 / Übungen
zum Voraussehen 321 / Die Göttin Kala und die Selbstachtung 322 / Schauende
Geistesgegenwart der Umgang mit Magie 324 / Satanische Wesen, die gegen
Karma wirken 326 / Die Individualität des Mani-Parsifal 328 / Das Prinzip der
Manichäismus den anderen Seelen das geistige Leben geben, das man in sich
selbst trägt 329 / Manichäische Lichtarbeit an karmischen Schäden 332 /
Wandeln unter Meistern 334 / Die geistige Stellung der Individualität des
Matthias Grünewald 336 / Lebenskunst 341 / Das Auserwähltheitssyndrom 345
/ Das vierte imaginative Gebäude der Gemeinschaftstempel 347

Epilog .

Anhang ...

8 9
 Die Bedeutung eines Menschen liegt nicht in dem, was er erreicht,
sondern in dem, was er sich zu erreichen sehnt.1
Khalil Gibran

1
Khalil Gibran, Hinter dem Schleier der Nacht leuchtet das Licht, Herder-Spektrum
Band 4495, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1997, Seite 103.

10 11

Einführung
Eine geistige Welt durchwebt und trägt alles Dasein. Diese Wahrheit
wurde durch authentische Erfahrungen vieler Menschen in den letzten
Jahrzehnten bewahrheitet. In vielen spirituellen Richtungen weiß man,
dass wir durch angeborene, seelisch-geistige Anlagen erkennen können,
dass jeder durch Meditation* 2 oder dank anderer Methoden sie entwickeln
kann, um sich übersinnliche Erfahrungen zu erwerben. Ein zentrales
Thema der Spiritualität betrifft die Idee von Karma* und Reinkarnation*.
Gegenwärtig gibt es eben die unterschiedlichsten Methoden, wie man
sich Einsicht in frühere Inkarnationen* und ein Verständnis für das Kar-
ma aneignen kann.
Nachdem ich bestimmte Karmaübungen von Rudolf Steiner (1861
1925), dem Initiator der Anthroposophie*, regelmäßig geübt hatte, bekam
ich im Jahr 1996 ein sogenanntes Erleuchtungserlebnis. Demzufolge
durchlebte ich eine Selbsteinweihung, eine Initiation*, die ein karmisches
Hellsehen bewirkte. In meinem ersten Buch Wandeln unter unsichtbaren
Menschen, das im Jahre 1999 und dessen englische Version 2001 erschien,
zeichnete ich die biografischen und meditativen Wege nach, die mir zu
diesen entscheidenden Einsichten brachten.3 Darin beschrieb ich, wie ich
mich als ein meditativ Übender und Forschender im rein geistig-seeli-
schen Erfahren begriff.
Die karmischen Imaginationen boten Stützen für erhebliche Erkennt-
nisse über die Schicksalsgefüge. Somit konnte ich zwölf miteinander in-
2 gart. Sie wurde hinterher zu einer heftigen Streitfrage innerhalb der Gre-
Begriffe mit einem Stern* sind im Glossar gegen Ende des Buchs erklärt.
3
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen. Eine karmische Autobiogra-
phie. Verlag Urachhaus, Stuttgart 1999, http://www.urachhaus.com. Jostein
Saether, Living with invisible people. A karmic autobiography, Clairview Books, For-
est Row 2001, http://www.clairviewbooks.com/pages/invisiblepeople.html.
12
nig verknüpfte frühere Erdenleben präsentieren inklusive einiger Einbli-
cke bezüglich anderer Individualitäten, die mir immer nahe gestanden
haben. Ich riskierte, mich selbst als aufklärendes Beispiel zu enthüllen,
um zu zeigen, dass es im Jetzt durch dauerhaftes, meditatives Üben
durchaus möglich ist, karmische Erkenntnis in großem Umfang zu er-
ringen. Ich wollte anschaulich machen, dass das übersinnliche Schauen,
das Geist-Erleben und die Karmaerkenntnis anhand früherer Leben in
ihrem Bezug zu heute für das Alltagsleben positive Folgen haben.
Ich hätte gewiss solche besonderen Intimitäten verschweigen oder be-
grenzt mitteilen oder, wie ein Freund es mir empfahl, alles in Roman-
form berichten können. Nachdem bestimmte geistige Mächte mir über-
raschend mitteilten, dass ich versuchen könnte, meine übersinnlichen Er-
fahrungen bekannt zu geben, entschied ich mich, entgegen der Meinung
Vieler, rätselhaftes Karma zu publizieren. Somit machte ich eine Zäsur
mit, die andere Autoren begonnen hatten. Ich wollte herausfinden, ob
Karmaverständnis sozial wirksam sein kann und ob esoterische* Erkennt-
nis, wenn sie als aktuelle geistige Forschung präsentiert wird, öffentlicher
Kritik parieren kann. Da ich meinte, die Signatur der Gegenwart erfasst
zu haben, versuchte ich, den Weg eines Outsiders durchzuhalten und
mich bewusst der aufziehenden negativen Kritik auszusetzen, während
viele z. B. behaupteten, dass ich gegen normale Diskretion verstoße. Es
war für mich keine Tat des Übermuts, was zwar einige Kritiker erklärten,
sondern ich ging einen schmalen Pfad der modernen Mysterien*, so wie es
mir mein Karma erlaubte. Dass auf diese Weise vieles anders geschah,
als ich es mir erhoffte, und ich deswegen vielen Angriffen bis auf Ruf-
mord Stand halten musste, ändert nichts an der Tatsache, dass ich es
heute noch einmal tun würde.
Obwohl ich Vieles bezüglich des meditativen Forschungswegs und der
Vorgänge des übersinnlichen Bewusstseins sehr detailliert darstellte,
konnte Manches nur skizzenhaft und teilweise unzureichend vermittelt
werden, und zwar wegen der Fülle der Ergebnisse und des Versuchscha-
rakters solche vertraulichen Darstellungen damals preiszugeben. Wenn
eines Tages eine deutsche Neuauflage kommen würde, müssten ein paar
religionshistorische und einige andere Dinge sachgemäß korrigiert wer-
den. In der englischen Ausgabe habe ich solche Berichtigungen schon
erwirkt. Im Ganzen, was das Geistige und Karmische betrifft, bleibt das,
was im ersten Buch veröffentlicht wurde, ausnahmslos verlässlich.
Diese karmische Autobiografie erschien im Verlag Urachhaus, Stutt-
mien des Verlags und weit darüber hinaus, weswegen es nicht mehr in
Frage kam, das vorliegende Buch dort herauszugeben. Viele Vertreter
der anthroposophischen Sache konnten mit meinem Ansatz und mit
meinen Ergebnissen nichts anfangen oder sie lehnten das Dargestellte
13
ohne sachliche Prüfung als etwas mit der Anthroposophie Unvereinbares
rigoros ab. Dessen ungeachtet hat in vielen Dingen seither eine Anzahl
geistig Forschender mir durch ihr selbstständiges Auffinden bestätigt,
was die Karmaforschung* angeht. Dies ist ein äußerst begeisterndes Fak-
tum, welches für die allgemeine Geistesforschung von Bedeutung wäre,
wenn hierüber künftig etwas zur Veröffentlichung kommen würde. Es
gibt allerdings einige Leser, die mündlich divergierende Resultate mir
vorgewiesen, aber nicht publiziert haben, die einigen meiner karmischen
Befunde widersprechen. Bis aber ausführlichere Checks dieser Kontro-
versen betrieben werden können, halte ich die erteilten Ergebnisse mit
der Wahrheit für identisch.
In einer Neuausgabe wäre es bestimmt opportun, die dort erteilten
Darstellungen zu karmischen Zusammenhängen zu erweitern, weil sehr
viele der einbegriffenen Persönlichkeiten mittlerweile gestorben sind, was
die notwendige Neutralität schafft, sonst zu intime Einblicke zu ermög-
lichen. Obendrein habe ich inzwischen eine Reihe weiterer Leben zu mir
selbst erforschen dürfen, was mir neue Erkenntnisse zu früheren Kultur-
epochen z. B. zur so genannten zweiten nachatlantischen, altpersi-
schen Kultur gegeben hat. Ich enthülle hier eines dieser neu erforsch-
ten Vorleben im Frühmittelalter, nicht weil ich für mein heutiges Dasein
daraus einen Gewinn ziehen möchte, sondern weil es sowohl allgemein
Gültiges und Eigentümliches als auch Methodisches zur Karmafor-
schung zeigt.
Die Haupttendenz der Rückmeldungen der Leser war sehr erfreulich
und anregend. Durch etwa 200 Briefe, durch reichliche Anrufe und vie-
lerlei Besprechungen kam ich mit zahlreichen Menschen in fruchtbaren
Austausch über karmische und geistige Erfahrungen oder sonst über
Menschliches des Alltags. Durch diese Kontakte und die daraus entstan-
denen Nachfragen wurde es mir möglich, Manchen von ihnen ebenfalls
durch persönliche Begegnung meditative Betreuung und Hilfe in ent-
scheidenden Lebensfragen zu geben. Dank des moralischen und finan-
ziellen Beistands, den manche der neuen Freunde mir gewährten, kam
der günstige Zeitpunkt heran, eine Praxis für Schicksalspflege zu grün-
den, in der es mir permanent möglich ist, individuell angepasste Seelen-
wege und Meditationspraktiken immer weiter zu entwickeln. Die vorlie-
gende Arbeit ist in gewisser Hinsicht eine Frucht der vielen neuen Kon-
takte, die anlässlich des ersten Buchs entstanden.
Meine innere Beziehung zu Rudolf Steiner als Meister* einer Wahr-
heitsfindung, die auf die geistigen Leistungen des Einzelnen baut und in-
sofern keine Dogmen aufkommen lässt, ist trotz der distanzierten Hal-
tung der anthroposophischen Prominenz zu meiner Forschung gleich-
bleibend. Die Beschreibungen im vorliegenden Buch beleuchte ich des-
halb stellenweise mit ausgesuchten Zitaten von ihm, die immer nachge-
14
wiesen werden. Solche Belegstellen sind nicht immer, aber hin und wie-
der zitiert nach dem Lexikon Anthroposophie. Die Geisteswissenschaft Rudolf
Steiners. Ein alphabetisches Nachschlagwerk in 14 Bändern unter weitestgehen-
der Verwendung des Originalwortlautes von Rudolf Steiner, editiert und illus-
triert von Urs Schwendener.
Schon beim Erscheinen der karmischen Autobiografie hatte ich vor,
bestimmte Themen zu ergänzen und zu vertiefen. Ich plante einerseits
über atlantische* Kultur- und Lebensformen ausführlich zu schreiben, an-
dererseits aus umfangreichen Forschungen zum 12. christlichen Jahrhun-
dert Weiteres bekannt zu machen. Seitdem haben mich aber die vielen
Rückmeldungen angeregt, ein Buch ganz anderen Inhalts zu schreiben,
erstens um wichtige Karma- und Schulungsfragen der Leser aufzugrei-
fen, zweitens um weitere Klarheit zu geben, wie eine Geistesschulung
oder eine moderne Initiation, die auf Karmaverständnis baut und eine
meditative Karmaforschung in weitestem Sinne entstehen lassen will, an-
gestrebt, geübt und gepflegt wird.
Ich möchte daher ein grundlegendes Übungsbuch hiermit vorlegen.
Jede Meditation, die zugehörigen Vorbereitungen, die übenden Momen-
te und die Nacharbeit sind so beschrieben, wie sie in meinem praktizier-
ten Üben und in der fortdauernden Zusammenarbeit mit vielen übenden
Menschen betrieben wurden und noch heute ausgeübt werden. Folglich
können sie von jedem in ähnlicher Weise gehandhabt werden. Aus die-
sem Grund ist auch der Umgangston im Text so, dass ich den Leser ge-
radewegs anspreche, als würde ich in einem Gespräch mit dir sitzen. Für
mich als Skandinavier ist es ganz natürlich, das Du zu benutzen, weil das
Sie im Norden seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sogar im öffentlichen
Leben kaum noch in Gebrauch ist. Ansonsten bin ich der Auffassung,
dass wir in spirituellen Angelegenheiten, wenn eine einmütige Gesin-
nung gesucht wird, heute ohnehin miteinander auf vertraulichem Boden
stehen können.
Wie etwas von mir oder von einigen Meditierenden, die ihre intimen
Erfolge und individuellen Erfahrungen für diese Publikation freigegeben
haben, gepflegt wurde, wird bei vielen Übungen durch authentische und
aufschlussreiche Exempel ausgemalt. Daher wirst du die Möglichkeit er-
halten, alle Schritte zu erkennen für die hier vorgeschlagene und gewis-
senhafte Übungsarbeit, die aus einer kunstwissenschaftlichen Betrachtungs-
weise hervorgeht, um selbst zu einem imaginativen Bewusstsein mit Auf-
rechterhalten des auf Freiheit begründeten Ich-Bewusstseins zu gelangen.
Das Erfahrungsmaterial von Anderen ist so ausgearbeitet, dass dort, wo
einer nicht erkannt werden wollte, es so anonymisiert wurde, dass es
nicht möglich sein wird, es auf jemand Bestimmten zurückzuführen.
Die kurzweiligen Anregungen zur Kunst und Kunstbetrachtung im 1.
Teil gehen auf über 20 Jahre Übungs- und Lehrtätigkeit auf diesen Ge-
15
bieten insbesondere in Schweden zurück. Viel vom weiteren Material
geht zurück entweder auf eigenes Tun, auf ungezählte Seminare, die ich
seit 1997 gehalten habe, auf Arbeit in kleineren Gruppen, oder es stammt
aus Sitzungen und Besprechungen, die ich mit Freunden bei ihnen oder
bei mir zu Hause oder mit Klienten in meiner Praxis im Saarland oder
an zahlreichen Orten zwischen Norwegen und Spanien, Deutschland
und Großbritannien durchführte.
Einige Übungen, die ich im Laufe der Zeit als wertvoll empfand und
angewendet, ja manchmal weiterentwickelt oder umgeformt habe und
hier gerade wegen ihres Gebrauchswerts weiterreichen möchte, habe ich
von Anderen übernommen, die manchmal in ähnlicher Richtung wie ich
in Biografie- und Karmaarbeit tätig sind. Die seelisch-geistigen Zusam-
menhänge, die ich hier ausgearbeitet habe, sind je nachdem geringer im
Umfang als diejenigen im ersten Buch, aber deswegen nicht weniger
komplex. Sie sind folglich nun ausführlicher in ihrem Wesen und ihrer
Bedeutung charakterisiert, so dass ich für solche Inhalte und für andere
übersinnliche Gesetze und Erscheinungen eindeutigere sprachliche Dar-
stellungsweisen angestrebt habe.
So wenig wie möglich wurden Begriffe aus der Anthroposophie oder
aus der modernen Esoterik, die nicht aus dem Durchgehenden lesbar
sind, benutzt. Interpretationen zu Begriffen, die ich aus sachlichen Grün-
den dennoch verwendet habe, kannst du aber im Glossar finden. Es bietet
sonst auch einige erläuternde Nachweise, die im laufenden Text nicht
weiter aufgegriffen werden konnten. Manchmal habe ich Worte in ein-
fache Anführungszeichen z. B. anhörte gesetzt, um z. B. auszu-
drücken, dass eine übersinnliche Wesensart gemeint ist oder weil es
schwierig war, einen passenden Begriff für die beschriebene Tatsache zu
finden. Bei Ersterwähnungen von Decknamen habe ich dito auch ver-
wendet. Zum Stil des Buchs kann noch Folgendes gesagt werden: Ähn-
lich wie Rudolf Steiner einmal dazu aufforderte, der Anthroposophie in
Skandinavien künftig einen volkstümlichen Charakter zu geben, damit
Menschen dort nach ihrer Art sie besser aufnehmen würden, habe ich
einige innere Schritte der Übungen und bestimmte geistige Tatsachen
bildhaft oder illustrativ vorgestellt und solche Begriffsbildungen dafür be-
nutzt, die in diesem geistigen Zusammenhang manch einem Mitteleuro-
päer vielleicht als trivial vorkommen. Wenn du durch solche Übungen
geistige Erfahrungen machst, wirst du wissen, was sich in solchen gleich-
nishaften Begriffen verhüllt .
Was ich beschreibe, stellt gewiss nur einige von zahlreichen Gesichts-
punkten zur Erlangung höherer Bewusstseinsarten dar. Das Erfassen
geistiger Zusammenhänge ist so aufwändig, dass es nicht möglich ist, in
einer didaktischen Darstellung wie dieser allen Seiten gerecht zu werden.
Ich hoffe aber, dass es mir gelungen ist, solche Feinheiten auszuarbeiten,
16
die dir die nötige Orientierung geben, dich in einer für die Geisteswelt
heute angängigen Weise um Karmaerkenntnis zu bemühen. Bestimmt
gibt es vielerlei weitere Fragen zu den behandelten Themen, die ich hätte
erhellen können. So müssen einige Unklarheiten bestehen bleiben und
deinem Mut und deinem Wissensdrang überlassen werden, oder du fin-
dest in der Literaturliste weitere Hinweise.
Generelle Gefahren, besondere Schmerzabläufe und einzelne Probleme
der Karmaschulung und des Initiationsbewusstseins beachte ich zwar
durch die Betonung einiger typischen Tendenzen, aber ich hätte be-
stimmt noch ausführlicher darüber schreiben können. Mir war jetzt
wichtig, eine erforderliche bejahende Grundhaltung zu beschreiben, damit
der Interessierte sich überhaupt auf den Weg zur Karmaerkenntnis be-
gibt. Es stimmt, dass Überraschungen uns an jeder Ecke erwarten kön-
nen, die uns aus der Richtung werfen könnten. Gleichzeitig ist aber die
Hilfsbereitschaft guter Geistwesen und Helfer heute so groß, dass wir uns
vor negativen Einflüssen oder Illusionärem nicht zu fürchten haben. Wir
sollten vielmehr uns bemühen, das vermeintlich Falsche in allem, was
wir erleben, aufzuspüren und zu durchschauen. Aus reinem Vertrauen
zur geistigen Welt und ohne Daseinssicherung zu leben im Jetzt, stärkt den
erforderlichen Mut für eine meditative Schulung.
Es muss aber hervorgehoben werden, dass das, was hier als allgemein-
gültig geschildert wird, zwar für den Einzelnen im eigenen Üben und
Leben modifiziert und zuweilen sehr individualisiert werden muss. Wenn
du Erfahrungen mit den verschiedenen Übungen machst und siehst, wie
sie auf dich wirken, wirst du aus dir selbst heraus oder im Gespräch mit
Anderen, die dieselben Übungen pflegen, herausfinden, wie du erfolg-
reich weiter kommst. In diesem Sinne kann geistige Schulung nur ganz
individuellen Wegen entsprechen. Folglich ist auf diesem Gebiet nicht
dasjenige zeitgemäß, was von einem Experten prinzipiell vorgeschrieben
wird, sondern das, was der Einzelne aus eigenen karmischen Bedürfnis-
sen für seine Entwicklung für gut befindet.
Deshalb gilt alles, was ich präsentiere, nur als Ermunterung und Hin-
weis, nicht als Vorschrift, was du tun solltest, um karmische Erkenntnisse
zu erlangen. Folglich muss jeder selbst die Verantwortung auf sich neh-
men, die eventuellen Misserfolge und Probleme, die sich zweifellos be-
merkbar machen werden, aber erfahrungsgemäß einen persönlichen An-
lass haben, auch selbst zu verkraften. Dort, wo das Leben es möglich
machen wird, stehe ich selbstverständlich zur Verfügung, um auf Sach-
fragen und einzelne Probleme einzugehen. So wird eben hier ein
Übungs- und Bildungsweg deutlich stufengliedrig geschildert, mit metho-
dischen Schritten, Zwischenübungen und Erklärungen erläutert, ein allen
Lesern zugänglicher esoterischer Weg, der im ersten Buch eher sprung-
haft und lapidar beschrieben war. Deshalb wurde meine persönliche Ent-
17
wicklung von einigen Lesern damals anscheinend als nicht nachvollzieh-
bar empfunden.
Das zweite Buch hat hingegen einen durchgehend konsequenten Cha-
rakter, aber jeder sollte sich frei fühlen, eigene, individuelle Schritte
durch die angezeigten Übungen und Meditationen zu unternehmen oder
daraus eigene weitere Maßnahmen zu entwickeln. Es kann heute nicht
genug akzentuiert werden, dass anders als früher eine esoterische Schu-
lung im Alleinsein gegangen werden kann, ohne dass damit ausgeschlos-
sen sein soll, dass man die nötige Assistenz anderer berücksichtigt oder
sogar die direkte Aufsicht eines Lehrmeisters sucht. Viele Menschen fan-
den in mir ihren meditativen Berater. Diese Tatsache stellt mich aber
dauernd vor die Aufgabe, eine besondere Verbindlichkeit anzustreben, die
als Leitstern über aller echten Esoterik strahlt.
Es kann durchaus wichtig sein, seine Geistesschulung so ausgeglichen
und nüchtern zu pflegen, dass sie sich in ein soziales Umfeld mit ande-
ren Übenden einordnet. Dass es bei meinen eigenen Versuchen aber ent-
gegen meiner ursprünglichen Zuversicht sich überwiegend als undurch-
führbar erwies, meine karmischen Erkenntnisse in das anthroposophi-
sche Milieu einzugliedern, erblicke ich im Nachhinein als ein persön-
liches und soziales Unglück. Der geistig Forschende möchte mit seinen
Bemühungen und Resultaten gerade nicht allein gelassen sein. Daher
steht er gern mit anderen im Kontakt, um Austausch und Vergleich über
Erfahrungen und Ergebnisse zu erhalten. So gesehen, hältst du einen
Leitfaden in der Hand, der sowohl als Beistand für andere wie auch zum
Austausch gemeint ist.
Das Buch ist zwischen den einführenden zwei Teilen und dem ab-
schließenden 8. Teil in fünf Teile gegliedert. Diese fünf Teile enthalten in
sich drei Annäherungsweisen an die imaginativ-geistige Welt. Der 3. und 4.
Teil gehören zusammen als die erste, der 5. und 6. Teil als die zweite
und der 7. Teil als die dritte Etappe.
1. Du kannst die karmische Einordnung, also die ehemaligen physischen
Erdenleben deiner Ich-Wesenheit erkennen.
2. Dann kannst du einesteils die Mannigfaltigkeit des Seelischen in Tier-
imaginationen schauen lernen und demgegenüber als eine elementari-
sche Realität verschiedene Doppelgängergestalten kennen lernen.
3. Schließlich kann das geistige Gleichgewicht auf der Ich-Ebene geschaf-
fen werden, damit du lernst, das übersinnlich Erlebte und Erforschte
in einem ätherischen Lot mit dem alltäglichen Leben zu verbinden.
Die Überschrift des 3. Teils geht auf eine Benennung einer meditativen
Tätigkeit zurück, die Rudolf Steiner benutzt hat, deren technischer
Begriff des klassischen Okkultismus* das Bauen der imaginativen Hütte
18
im ersten Buch anspruchslos übernommen wurde.4 Hier habe ich die
meditative Tätig-keit des Hüttebauens sich übersinnlich eine Heimat
und weitere Freistätten zu gründen , durchgearbeitet, thematisiert und
exemplifiziert und in weiteren Bezugnahmen fortgesetzt, wie sie als
Werkzeuge des Forschens auf geistigem Feld gehandhabt werden können.
Weitere Ausblicke und Erklärungen zum Inhaltlichen sind ansonsten im
Prolog gegeben.
Im Anhang habe ich eine Handvoll Gedichte, Sprüche und Mantren
von Anderen und von mir gesammelt, damit du solche Texte für die Me-
ditation selbst ausprobieren kannst. Einige von ihnen werden im Buch
eingehend als Hilfe oder als Inhalt der Meditation beschrieben. Meine
Erklärungen dazu im Anhang geben zwar evidente, aber jedenfalls nicht
alle Aspekte wieder, die dabei in Betracht kommen können.
Der übliche Gebrauch von maskulinen und femininen Doppelformen
einiger Substantive und Pronomen in der deutschen Sprache habe ich so
vereinfacht, dass ich meistens nur die maskuline Form benutze gemäß
der norwegischen Sprache , wenn beide gemeint sind oder wenn ich
eine genaue Charakteristik nicht gegeben habe. In die umfangreiche Lite-
raturliste habe ich nicht nur solche Bücher aufgenommen, die ich im
Buch erwähnt habe und die ich immer wieder zur Hand genommen ha-
be, um Dinge, die ich selbst erkannt habe, mit der Arbeit Anderer zu ver-
gleichen, sondern auch weitere Bücher, die zur biografischen, medita-
tiven und karmischen Grundlagenarbeit gehören dürften. Wenn ich
zu anderen keine Hinweise gegeben habe, stammen die Inhalte entweder
ganz von mir selbst oder einzelne Motive können noch von vertrauten
Quellpersonen herrühren, deren Erlebnisse und Forschungen mit meinen
völlig übereinstimmen. Da keine Namen angegeben sind, bedeutet es,
dass sie anonym sein wollen oder nicht darum gebeten haben, explizit
erwähnt zu werden. So bleibt mir die volle Verantwortung überlassen,
solche Dinge zu publizieren.
Danksagungen
Das Zustandekommen des vorliegenden Buchs beruht auf Handrei-
chung, Beistand, Begleitung und Beiträgen von vielen Freunden, Kolle-
gen und Zeitgenossen. In erster Linie danke ich meiner lieben Ehefrau,
Miriam (Constanze Sæther), dass sie mich in Nässe und Dürre begleitet,
4
Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten? Bibliographie Nr.
10 in Rudolf Steiners Gesamtausgabe (GA), 20. Auflage, Verlag der Rudolf Stei-
ner-Nachlassverwaltung, Dornach, Schweiz 1961, Seite 165f. Steiners Werk er-
schien ab 1963 bei Rudolf Steiner Verlag, Dornach. Meistens stammen meine
Steiner-Ausgaben aus diesem Verlag, weswegen ich keine Angabe dazu mache.
19
angeregt und aufgeheitert hat und dass sie das Sekretariat meiner Praxis
mit Begeisterung eine Zeit lang übernahm, so dass ich den Entwurf zwi-
schen derzeitigen Pflichten und Arbeitsreisen fertig stellen konnte. Ihr
lauschendes Ohr war mir oft die nötige Hilfe, um in bestimmten For-
schungsmomenten vorzurücken und eine sprachliche Ausdrucksweise zu
treffen. Meiner Schwester, Dagny Rolfseng, danke ich, weil sie für mei-
nen andersartigen Weg stets offen und interessiert war, und besonders,
da sie in meinem Geburtsort eine Brücke bildet zu Anderen, die sich für
Karmaarbeit geöffnet haben. Hildegard Büyükeren danke ich für ihre
liebevolle Beständigkeit in unserer Freundschaft und für die Brücken-
bildung zum deutschen Sprachgeist, die sie durch ihre Gedichte mir und
anderen Lyrikliebhabern gestaltet hat.5 Stefania Reichert sei bedankt als
anregende Gesprächspartnerin in Phasen der Leichtigkeit und der
Schwere, die jeden auf dem geistigen Pfad begleiten.
Dank des finanziellen Beitrags von Claudia Beckmann-Roth und Rein-
hart Beckmann konnte das Schreiben das sich über mehr als fünf Jahre
hinzog als berufliche Arbeitsleistung eine Zeit lang getan werden.
Claudia sei noch für ihre Solidarität mit dem Impuls dieser Arbeit aner-
kannt. Ich danke ihr sowohl für zahlreiche Gespräche, z. B. über die
klassische Astrologie, für ihre sorgfältige sprachliche Bearbeitung eines
größeren Teils des Konzepts, wie auch, dass sie bereitwillig meditative
Erfahrungen preisgegeben hat. Hergen Nordendorp möchte ich danken,
da er mir durch seinen geschulten Sprachsinn und seiner spirituellen
Kenntnis wertvolle Hinweise gegeben hat. Besonders danke ich ihm,
dass ich für das Glossar einige Auszüge aus seinen im Internet schon
veröffentlichten Erklärungen übernehmen durfte.6
Reinhart Fiedler ( 2006), Johannes Pande und Barbara Pfund seien be-
dankt, dass sie unabhängig von einander das Manuskript gelesen und
wertvolle Gesichtspunkte zur sprachlichen Korrektur und zum Inhalt-
lichen gegeben haben. Annerose und Jørn Mosebekk danke ich für ihre
Gastfreundschaft in der kontinuierlichen Karmaarbeit auf ihrem Wohn-
ort und für ihre Mitarbeit in der karmischen und geistigen Erforschung
bestimmter gewichtiger und komplexer Aspekte der Menschheitsent-
wicklung, die ich seit dem Anfang des neuen Millenniums mit bestimm-
ten Risiken verfolge. Sven-Inge Johansen danke ich ebenso, zumal er als
Norweger in Mitteleuropa eine Geistesart der offenen Ohren vertritt,
die hier erforderlich ist für das Lösen der drängenden Zukunftsaufgaben
besonders im Hinblick auf die Kinder und die Jugend. Wilhelm Floride,
5
Veröffentlichungen von Hildegard Büyükeren, u. a.: Sprich dein Schweigen, Ge-
dichte, 1991; Wüstenrose, Gedichte, 1995, beide Edition L, Hockenheim; Jede Blü-
te eine Pietà, Gedichte, Verlag Ch. Möllmann, Borchen 2004.
6 10
http://www.hermetika-aorim.de/lexikon/inhalt.htm.
20
dessen Veröffentlichungen meine Erkenntnisfähigkeit sowieso reifen
lässt, danke ich für eine tief empfundene Bestätigung meines Beitrags zur
anthroposophischen Entwicklung.7
Heide Oehms sei anerkannt als vertrauliche Kollegin und dafür, dass sie
ihre geistige Forschung sorgsam in die Öffentlichkeit gestellt hat.8 Damit
ist ein neuer Schritt in der Entwicklung zeitgemäßer Geistesforschung
aus anthroposophischer Grundlage gekommen. Gunnhild von Kries
danke ich für edle Gesichtspunkte aus ihrem musikalischen Wissen und
ihre sorgfältige und empfindsame Handhabung von akkuraten übersinn-
lichen Gesetzen, die wir in Gesprächen gemeinsam erwogen haben.9
Demzufolge konnte ich bestimmte Feinheiten der geistigen Welt näher
erforschen, die nötig zu erkennen waren, um das Buch geradeso zu
schreiben. Helle Bjerkan und Birgit Hammer danke ich, zumal sie beide
unabhängig voneinander, als in meinem Heimatland extreme Auseinan-
dersetzungen über meine Person und Arbeit in anthroposophischen Krei-
sen liefen, die Courage zeigten, Veranstaltungen mit mir gleichmütig
weiter zu arrangieren, um eine kontinuierliche Anleitung für viele Inte-
ressierte zu ermöglichen.10
Josianna Arippol belobige ich, weil sie am Goetheanum und anderswo
mit Enthusiasmus sich hinter die anthroposophische Karmaforschung
gestellt hat und dass sie gegen alle Arten von Entweihung in diesem So-
zialorganismus kämpft. Ich danke ihr auch dafür, dass sie mich mit eini-
gen Menschen aus Brasilien, England und Holland, die Biografie- und
Karmaarbeit pflegen, zusammenführte. Robert Lord danke ich beson-
ders für sein Organisationstalent und dafür, dass er sich der englischen
Art des Handhabens von antisozialen Stimmungen als einer Kunst des
Ausgleichs bedienen kann. Unsere liebe Nachbarin durch einige Jah-
re, Marcelle Lemasson, möchte ich danken, dass sie mir quasi Tag und
Nacht auf der realphysischen Ebene unentbehrliche Hilfestellungen ge-
geben hat, besonders was die Welt des Computers betrifft. Norbert Un-
tersteller sei bedankt für sein herzliches Entgegenkommen während der
Zeit, als meine Beziehung zur anthroposophischen Bewegung kritisch
wurde. Aspekte aus seinem psychologischen Wissen und seinem astro-
logischen Bewusstsein bestätigten im rechten Moment manche meiner
eigenen Analysen.
7
Aufsätze von ihm sind laufend in der Zeitschrift Lazarus zu finden: Lazarus
Verlag und Buchhandel GmbH, Fritjof-Nansen-Straße 7, 24223 Raisdorf, Tel.
04307/6182. Fax: 04307/839636, http://www.zeitschrift-lazarus.de.
8
Heide Oehms, Karma-Erkenntnis warum? Innere Entwicklung als Grundlage geis-
tiger Fähigkeiten, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1999.
9
Gunnhild von Kries, Zeit heilt. Begegnungen mit dem Klang der Zeit, Oratio Ver-
lag, Schaffhausen 2003.
Redakteurin und Herausgeberin der Zeitschrift Sofia, Trondheim (NO).
21
 Viele Kollegen und Freunden haben in irgendeiner Weise das Entste-
hen des zweiten Buchs bejahend mit veranlasst, ob sie es wissen oder
nicht. Deswegen seien einige von ihnen hier genannt und bedankt. Der
Leser darf nicht meinen, dass ich mit jedem von ihnen im Sinne des
Buchs gearbeitet habe. Sie werden hier anerkannt, entweder weil sie
meiner Arbeit wohlgesonnen sind, öffentliche Veranstaltungen mit mir
durchführten oder weil ich ihnen aus anderen Gründen einen Dank
schuldig bin. Die einzelnen Begründungen dieser Danksagungen müssen
also aus verschiedenen Anlässen und natürlich auch aus Platzmangel
wegfallen: Ernst Ammons, Ulrik Asmussen, Lutz Baar, Hilda Boadi, Ib Bos-
kov-Hansen, Philip Beaven, Nicky Brown, Ann-Kristin Bruset, Raúl Castaño
Espinosa, Christiane Feuerstark, Karl-Heinz Finke, Dr. Wolfgang Garvelmann,
Irmgard Gold, Dawn Golten, Ruth Haertl, Dr. Andreas Heertsch, Daniel He-
ring, Joachim Heppner, Johannes Herzberg, Christian Hitsch, Ursula Homeyer,
Ingo Hoppe, Coenrad van Houten, Martin Jacobi, Professor Angus Jenkinson,
Sebastian Jüngel, Anton Kimpfler, Hillevi Koops, Dorothea Kroschel, Regina
Leese, Christoph Lindenau, Ingrid Marl, Bruno Martin, Marlis Mechtle, Bjørn
Moen ( 2006), Ulrich Morgenthaler, Stephan Mögle-Stadel, Frank Dieter Neu-
bauer, Monika Neve, Frode Nilstun, Arne Nicolaysen, Sigurd Nordås, Inger-Lise
Oelrich, Angela Patten, Jutta Petzold, Daniele Reistad, Nothart Rohlfs, Ralph
Rössner, Blanca Sánchez de Muniain, Magnus Schlichtig, Dr. Peter Schmiedel,
Benjamin Schmidt, Rigmor Skålholt, Øyvind Solum, Klaus Detlef Spieker,
Jakob Streit, Christian Thal-Janzen, Nick Thomas, Marion Tudge, Eva-Sofia
Ulstrup, Marié de Uña Fernández, Terje Vatn, John Wilkes, Uwe Winther und
Hildegunn Ådland.
Außerdem gibt es eine weitere Vielzahl von Menschen, an die ich mit
Dankbarkeit denke, die ich wegen bestimmter Rücksichtnahme oder we-
gen anderer Gründe nicht nenne. Einigen Autoren möchte ich zusätzlich
Dank sagen, auch wenn ich sowohl ihnen nicht persönlich begegnet bin
als auch nicht alle ihre Ansichten teile. Dank ihrer Bücher und Aufsätze
sind mir jedenfalls wertvolle und fruchtbringende Eingebungen zuge-
kommen: Jesaiah ben Aharon, Mario Betti, Irene Dalichow, Peter Dawkins,
Kyriacos Markides, Michael Muschalle, Ulli Olvedi, Marco Poga nik, Robert A.
Powell, Günter Röschert, Harrie Salman, Christiane Sautter und Hella Wies-
berger. Darauf möchte ich meinem englischen Verleger, Sevak Gulbekian,
herzlich danken, dass er mit Entschlusskraft das erste Buch zum Eng-
lisch lesenden Publikum brachte, und schließlich Johanna Collis, dass sie
die englische Übersetzung mit Finesse ausarbeitete.
22
Widmung
Die Widmung geht an vier Verstorbene, die mir in der letzten Zeit ihres
Lebens außerordentliche Eindrücke der Einverständnis, der Anspruchslosig-
keit, der Zuverlässigkeit und des Frohsinns bereiteten:
Der norwegische Anthroposoph, Waldorflehrer, Autor, Dichter, Mu-
siker, Dozent und Historiker Hans-Jørgen Høinæs, der in Dänemark seine
letzte Lebensphase verbrachte, engagierte sich immer stark für alles, was
mit neuer Spiritualität zu tun hatte. Er setzte sich aber die Aufgabe, alle
Erscheinungen, z. B. in der New-Age-Bewegung, mit dem schärfsten
Denken zu untersuchen. Für ein geplantes Buchprojekt über modernes
Hellsehen, das aber wegen seines plötzlichen Todes nicht fertig gestellt
werden konnte, machte er mit mir ein mehrstündiges Interview. Ich er-
innere mich, dass ich kaum zuvor über eigene geistige Erfahrungen in
solch freier Weise wie mit ihm gesprochen hatte. Als in Skandinavien in
anthroposophischen Kreisen tendenziöse Kritik über mich entstand,
stellte er sich öffentlich für meine Sache ein. Das war für mich zu jenem
Zeitpunkt kurz vor dem Jahrhundertausgang eine entscheidende Tat, wel-
che mir die erforderliche Bekräftigung gab, trotz gewaltigen Widerstands
die Arbeit mit der Karmaforschung bedingungslos fortzuführen.
Dem ehemaligen Generalsekretär der Anthroposophischen Gesell-
schaft in den Niederlanden, Ate Koopmans, lernte ich durch eine glück-
liche Schicksalsfügung nur wenige Wochen vor seinem Tod in einem
kleinen Kreis von Karmaenthusiasten kennen. Eine für mich wichtige
Mitteilung, die er gab, war: welche Persönlichkeiten in einem führenden
weltweiten anthroposophischen Gremium, die sich für seinen Vorschlag,
Anleitungen zu praktischen Karmaübungen im Sinne Rudolf Steiners in
den 1980er Jahren allseitig anzubieten, einsetzten, und welche nicht Stel-
lung nehmen wollten und welche sich ganz dagegen stellten. Die Mehr-
zahl war quasi gegen seine Initiative. So musste er sich damit abfinden,
seine Arbeit nur im kleineren Rahmen in seinem Heimatland zu ma-
chen. Folglich bekam ich durch ihn unentbehrliche Hinweise, um zu ver-
stehen, warum sich in der anthroposophischen Bewegung in den 90er
Jahren die Verzagtheit weiterhin so stark vor diese bedeutungsvolle Auf-
gabe lagerte, die Karmaforschung im Sinne Rudolf Steiners weiter zu
entwickeln. Solche Mitteilungen halfen mir in der Zeit nach der Jahr-
tausendwende, zu erkennen, wo und wie ich meine Kraft für die Karma-
arbeit fortführend einzusetzen hatte. Sein anerkennenswerter und um-
sichtiger Beitrag ist inzwischen in einem Buch dokumentiert.11
11
Paul Wormer, Lili Chavannes, Ate Koopmans, Blick aufs Karma. Schicksals-
elemente im Lebenslauf, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004.
23
 Michèle Beck lernte ich mit meiner Ehefrau in der Uniklinik in Hom-
burg/Saar kennen, als unser zu früh geborener Sohn, Heljar Lisavander,
dort die ersten vier kritischen Monate seines Lebens verbrachte. Sie war
die Krankenschwester, die ihn hauptsächlich pflegte. Durch ihren offe-
nen, heiteren, freundlichen und vorurteilslosen Arbeitsstil gewann ich
großen Respekt vor den Leistungen, die Menschen in diesem für mich zu
jener Zeit noch unbekannten sozialen Arbeitsbereich vollbringen. Als sie
kurz nach unserem persönlichen Kennenlernen unerwartet erkrankte
und nach einem halben Jahr starb, verloren wir eine Freundin, die sich
noch in ihren letzten Lebenstagen tiefe Gedanken über Schicksalsfragen
machte.
Die Eurythmistin Lotte Hopp mit ihrer unvergesslichen Heiterkeit, der
Bescheidenheit und dem Ernst gegenüber dem Geistigen lernte ich in
einem Menschenkreis kennen, die ihr gemeinsames Karma aufarbeiten
wollten. Ich durfte Einblicke in ihr individuelles Karma bekommen so-
wie die Übungsarbeit in der Gruppe leiten, die bei ihr zu Hause während
mehrere Jahre zusammenkam. Besonders in der Erinnerung sind mir
einige Motive geblieben, wo sie mir ihr meditatives Erleben der atlanti-
schen Kultur vermittelte. Ich bin ihr dankbar, dass sie sowohl meine For-
schung finanziell unterstützte wie auch für einige markante Ergebnisse
der Karmaforschung entsprechende Angaben bei Steiner nachsuchte und
fand, was einen bedeutenden Beleg für mich darbot.
24
Prolog
Gegenwärtig ist die Fülle der Angebote, die sich mit Spiritualität, Medi-
tation und ganzheitliche Therapie befassen, so umfangreich, dass man
sich fragen könnte: Warum soll ein weiteres Buch zu dieser Anhäufung
angeboten werden? Ich habe mich gefragt, warum ich den Zeitaufwand
auf mich nehme, dazu eine Schrift über karmisches Hellsehen und imagi-
natives Bewusstsein anzubieten. Wäre es nicht besser, ein solches Anliegen
nur im Gespräch und in direkter Zusammenarbeit mit den beteiligten
Menschen, die Karmaerkenntnis wirklich ehrlich suchen, zu pflegen?
Wäre es nicht willkommener, sich solchen Intimitäten von Mund zu Ohr
zu widmen? Weil ja so viel unmittelbar vom Individuellen bei der esote-
rischen Schulung abhängt, müsste man dann nicht die Fragen, Aufga-
benstellungen und Probleme unvermittelt angehen? Ist es überhaupt mög-
lich, allgemeine Beschreibungen von solchen umfangreichen spirituellen
Inhalten zu behandeln, ohne in Verallgemeinerungen zu verfallen, die
dann besondere Feinheiten nicht beachten würden?
In der direkten Arbeit mit Menschen in den letzten zehn Jahren, als
ich übernommene Übungen von Anderen und darüber hinaus von mir
selbst entwickelte und dann meistens individuell angepasste Meditations-
anleitungen weitergereicht habe, wurden immer wieder von mir verfasste
schriftliche Unterlagen erbeten. So habe ich mir erneut viele Fragen ge-
stellt und überlegt, ob es nicht doch angebracht wäre, einen eigenen Leit-
faden zur Karmaerkenntnis zu schreiben. Bei Vorbereitungen zu Vorträ-
gen und Seminaren oder in der eigenen Nacharbeit geistiger Forschun-
gen konnte ich außerdem feststellen, dass eine schriftliche Aufarbeitung
oft neue Aspekte erbrachte und in mir neue Fragen aufkommen ließ, die
zu weiteren Experimenten und Forschungen führten. So war immer das
Schrifttum, z. B. Aufsätze für Zeitschriften zu verfassen, eine Möglich-
25
keit, das Erfahrene mit dem gewöhnlichen Denken erneut nachzuvollzie-
hen. So sehe ich das Schreiben eines Buchs über geistige Schulung als
eine Tätigkeit, die auch die eigene Wissenschaftlichkeit im Tun durch-
leuchten lässt, um sich dabei kritisch gegenüber zu treten und seine Er-
gebnisse hinterfragen zu können.
Sowohl in der eigenen meditativen Arbeit wie auch in den Versuchen,
andere dabei anzuleiten, wurde es mir ansonsten immer deutlicher, wie
wichtig es ist, eine künstlerisch-schöpferische Haltung gegenüber dem Le-
bendigen, Seelischen und Geistigen aufzuweisen. Es zeigte sich interes-
santerweise immer wieder, dass Menschen, die mit der Kunst, z. B. der
Eurythmie*, arbeiteten oder mit einer künstlerischen Gesinnung dem Le-
ben und Dasein gegenüber standen, es leichter als Andere hatten, mit
den inneren, oft bildhaften Erlebnissen umzugehen, und dass sie selber
mit ihnen etwas direkt anfangen konnten, um sich weiter spirituell aus-
zubilden. Menschen ohne künstlerische Bildung zeigten öfters eher Äng-
ste und Unsicherheit gegenüber dem imaginativ Erlebten.
In der Aufgabe, Menschen geistig und karmisch zu beraten, zeigte
sich zusätzlich mit der Zeit die stete Notwendigkeit, dass ich nur in dem
Maße qualifiziert war, jemanden zu begleiten und ihm zu helfen, in dem
ich selbst künstlerisch, einfallsreich und feinsinnig mit neuen mensch-
lichen Situationen und übersinnlichen Ergebnissen umgehen konnte. So
präsentierte sich mein beruflicher Hintergrund, bildender Künstler und
Pädagoge über mehr als zwei Jahrzehnte gewesen zu sein, als ein sehr
fruchtbarer Erfahrungsbereich, um solche neuen Aufgaben der geistigen
Schulung ergreifen zu können.
Im Künstlerischen ist die kreative Mitte des Menschen durchgehend
angesprochen. In Anbetracht des Künstlerischen findet sich der Mensch
in einem unmittelbaren Prozess darinnen, der sein ganzes Wesen an-
spricht, sofern er sich auf die Möglichkeiten der künstlerischen Mittel ein-
lässt. Im künstlerischen Tun erlebt er sich ganz und gar als Gegenwarts-
mensch. Das kann man bei Kindern gut nachvollziehen, wenn man sie
beim Spielen, welches dem Künstlerischen sehr nahe steht, betrachtet
oder sie erlebt, wenn sie die Welt durch ihre unbefangene Art erfassen
wollen.
Die folgende Anekdote erzählte meine Ehefrau beim Mittagessen,
tatsächlich direkt nachdem ich den letzten Satz geschrieben hatte. Sie
wurde ihr von einer anderen Mutter in der Nachbarschaft erzählt. So
offenbart das Leben selber das Wesen der Wahrheit:
Ein noch nicht zweijähriges Mädchen guckte im Winter den Mond
aus einem Fenster an. Es sagte: Armer Mond! Weshalb armer
Mond? , fragte die ältere Schwester. Kalt. Pulli anziehen , sagte die
Kleine. Sie hatte Mitleid mit dem Mond. Ein möglicher künstlerischer
Kommentar des Erwachsenen für das Kind hätte sein können: Wenn
26
wir den Mond anschauen, dann strömt unsere Herzenswärme zu ihm
und er friert nicht. Das Kind erlebt die Welt anders, nämlich wesenhaft,
und der einfallsreiche Erwachsene findet passende, bildhafte Worte für
diese übersinnliche Wirklichkeit.
Alles in der Welt ist mehr als nur das Sichtbare, das unseren für die
Gegenstände geschaffenen Sinnen erscheint. Goethes Aussage: Alles
Vergängliche ist nur ein Gleichnis bezieht sich auf diese Erfahrung.
Wenn uns die so genannte objektive Sinneswelt als eine vorläufige Wahr-
nehmung unserer Beobachtungs- und Erfassungsfähigkeit aufgeht, wer-
den wir mit reifendem Erkenntnisvermögen immer neue Sichtweisen
und Verständnisgrundlagen erwerben. Diese Horizonterweiterung tritt ein
sowohl für jedes beschränkte individuelle Menschenleben wie auch für
die ganze Menschheitsevolution. Nicht nur das Äußere hat Vergleichs-
charakter, sondern auch die Vorstellungen und Anschauungen, die wir
gegenüber seelischen und geistigen Tatsachen entwickeln, müssen einer
Vorläufigkeit untergeordnet werden.
Nur das Wesenhafte, das rein Geistige, welches universelle Ordnung
pur beinhaltet, könnte sich in seiner Individualität, in seiner Unteil-
barkeit oder seinem Ewigkeitskern dem Menschenbewusstsein als Ur-
eigenes präsentieren. Aber weil Gleiches nur Gleiches erkennen kann,
muss das Geistige im Menschen dem Geistigen im Kosmos entgegen
streben, um von ihm angenommen zu werden. Und ehe das erreicht
wird, muss der Mensch mit dem Gleichnis des Geistigen bis auf Weiteres
sich zufrieden geben bis eine Erkenntnisbegegnung, eine Erkenntnis-
einheit auf geistiger Ebene, z. B. in der Meditation, ihn irgendwann
beschenkt haben mag. Die Übungen, Betrachtungen und Erforschungen,
die ich hiermit der Öffentlichkeit übergebe, stehen, insofern sie nicht
real-geistige Stütze haben sollten, selbstverständlich auch noch in der
jedem zugänglichen Gleichniswelt darinnen. Aber weil Erkenntnis im-
mer eine individuelle Leistung ist, kann nur jeder für sich abwägen, ob
Einiges im Dargestellten eine geistige Objektivität erreicht hat oder noch
nicht.
So genannte geistige Erkenntnis als Seelenvorgang stellt ja nicht etwas
Anderes dar als das, was jeder alltägliche Erkenntnisprozess bringt, der
eigentlich ein geistiges Geschehen ist, oft aber als solches nicht bemerkt
wird. Eine reine Erkenntnis kann nur etwas in der Seele Geistiges sein,
das man bewusst erlebt. Wenn man glaubt, zu wissen, was Erkenntnis
ist, und leugnet den Geist, dann kennt man die Realität des Erkennens
noch nicht und kann folglich dann auch nicht wissen, was Geist ist. Da
in dem Bereich, welcher die Erkenntnistheorie betrifft, manchmal Ver-
wirrung herrscht und z. B. durch die moderne Hirnforschung weiter
durcheinander gebracht wird, möge dieses Buch ein kleiner Beitrag sein,
um den Farben- und Formenreichtum der Bewusstseinsvorgänge der
27
Menschenseele, der jeder Erkenntnis zugrunde liegen muss, aufzude-
cken.12
Mir scheint es außerdem wichtig, hervorzuheben, dass ein innerer Zu-
sammenhang zwischen Künstlertum und Hellsehertum besteht, wie Rudolf
Steiner immer wieder darstellte und sogar betonte. Dabei möchte ich
versuchen, auf künstlerische Gesetze geistigen Ursprungs hinzuweisen.
Das Ziel des Buchs ist demgemäß, einen Weg zu zeigen, wie ein imagi-
natives Bewusstsein mittels künstlerischer, bildhafter Meditation die
ich hier ansonsten mit einem gangbaren Begriff als dynamische Medita-
tion bezeichne erreicht werden kann. Ein Hauptanliegen ist dabei,
dem Leser zu erklären, dass heute nicht nur jeder lernen könnte, wie
Karma allumfassend wirkt, sondern auch zu demonstrieren, wie man das
Karma konkret in Imaginationen zu schauen lernt, wie es in früheren Le-
ben gewirkt hat, um dabei die Quellen der heute tätigen Karmaauswir-
kungen zu durchschauen, so dass man Lebensmut und Erkenntniskräfte
im Jetzt entwickeln kann, um einer hier und da bedrohten Zukunft kühn
entgegen gehen zu können. Dazu möchte ich ausmalen, dass vieles in
der menschlichen Umwelt ein Ausdruck von karmischen Zusammen-
hängen ist, welche, wenn sie erkannt werden, im Sinne des Steinerschen
Textauszugs eingangs des 1. Teils ganz neue und aufschlussreiche Er-
kenntnisse liefern könnten.
Karma entsteht immer aus dem Innersten des eigenen Ich* und wird
später dem Anderen, dem man früher z. B. etwas negativ angetan hat, als
Ausgleich, als Erleichterung geschenkt, auch wenn man dies nicht be-
wusst nachvollzieht. Die Karmaidee bedeutet nichts Geringeres, als dass
kein Mensch sich erhebe zum Richter über das Innere eines anderen
Menschen. Im Sinne des Karmas darf jeder sein eigener Richter sein.
Solange ein Mensch über einen anderen kritisierend urteilt, so lange stellt
er den anderen unter den Zwang des eigenen Ich und er handelt deshalb
im Grunde gegen das Karma. Das über- und unterbewusste Nehmen und
Geben des Karma durch die Inkarnationen wird durch Karmaerkenntnis
freigelegt und als eine große Selbsterziehungshilfe, ja sogar als eine friedens-
stiftende Energie entdeckt.
Wie Karma wirkt, ist äußerst vielgestaltig, und wenn wir die verschie-
denen Karmagesetze, wie sie uns der Buddhismus, die Theosophie oder die
Anthroposophie vermitteln, auch aus direkter Sichtweise kennen lernen,
können wir unser Leben und dessen Stellung in einem karmischen Ge-
staltungsgang zwischen vergangenen und zukünftigen Inkarnationen
denkerisch einigermaßen einordnen. Durch das normale Erkenntnis-
vermögen, das jedem heutzutage mit dem üblichen, gesunden Tages-
12
Zur Hirnforschung siehe z. B. Michael Kalisch, Ist Freiheit denkbar? Goethea-
num Nr. 18/2006, http://www.dasgoetheanum.ch.
28
bewusstsein zur Verfügung steht, können solche Zusammenhänge schon
gefühlsmäßig ausgemalt werden. Bis zu einem gewissen Grad könnte
man gewiss Wahrhaftigem über frühere Leben durch ein so genanntes
intuitives Denken auf die Spur kommen.13 Aber vor allem ein gewollt er-
strebtes höheres Bewusstsein, das innerhalb übersinnlicher Forschung
mit imaginativer Schau sich entfalten würde, kann umfassendere Inhalte
und Gegebenheiten in Bezug auf diese früheren Inkarnationen erschlie-
ßen.
Ein Orientierungslauf in meditativen Gebieten, der als Richtungsziel
Karmaerkenntnis hat, wird einem selbst die Stationen zur Auffindung
der Kriterien geben, wo Illusion und Wirklichkeit auseinander gehalten
werden können. Eine Imagination ist eine freie und neutrale Tat im le-
bendigen Denken, die mit dem Schwung des Fühlens und der Wärme
des Wollens eine Erkenntnis reifen lassen kann. Karmische Zusammen-
hänge dürfen aus dem Dunkel und der Unsichtbarkeit der Vergangenheit
als imaginatives Ergebnis dieser Tat heraus treten. Denn Karmaerkennt-
nis stärkt das Selbstvertrauen, bildet Empathie aus, entwickelt ein umfang-
reiches Bewusstsein über Karmawirken und frühere Erdenleben, schafft
ein Interesse für übersinnliche Wesen und spirituelle Wahrheiten und
weckt den Mut zu versöhnlichem Handeln in einer oft rücksichtlosen
Welt.
Wenn diese Vorleben nicht schon aus dem Historischen bekannt sind,
werden sie neu entdeckt, und solche, die bekannt sind, werden unter
Umständen, was überlieferte Darstellungen betrifft, ergänzt oder korrigiert,
gerade so, wie ich es im ersten Buch bei einigen Beispielen dargestellt
habe. Eine erkämpfte inspirative und intuitive Erkenntnis, der Imagina-
tionsinhalte noch innewohnen oder die solche Inhalte ermittelt, gibt dem
Geistesschüler nicht nur ein neues intellektuelles Wissen, sondern durch
das höhere Erkennen entwickelt er seine seelisch-geistigen Organe, die
Chakren*, die ihn befähigen, göttliche Kraftimpulse für die Welt und für
die Menschheit durch sich hindurch strömen oder sogar aus sich heraus
als neue Licht- und Wärmeenergie entstehen zu lassen. Also begründen
diese aus karmischer Erkenntnis erzeugten heilsamen, geistigen Effekte, die
der Karmaforscher bewusst einzusetzen vermag, zusätzlich die gewissen-
hafte Forschung zu Reinkarnation und Karma.
Im ersten Buch bezog ich mich auf ein Thema, das ich zu jener Zeit
ohne jegliche Vorkenntnisse hierüber selbst meditativ entdeckt hatte. Es
ist mit Ausnahme von wenigen Hinweisen Steiners dazu im anthropo-
sophischen Geistesleben eben kaum behandelt worden. In der neueren
13
Im ersten Buch habe ich ein solches Beispiel aus meinem Leben des Jahres
1995 beschrieben. Siehe Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, S.
101ff.
29
spirituellen Szene ist dieser Bereich dagegen gut bekannt, und z. B. im
von der akademischen Welt neu entdeckten Schamanismus* war er im-
mer von größter Bedeutung. Es betrifft die so genannten Seelen- und Kraft-
tiere, die der geistig Strebende als innere Helfer entdecken kann. Hier
führe ich diesen Motivkreis ein Stück weiter, weil ich der Auffassung
bin, dass kein die Initiation Suchender heute von der Stellung der Tier-
welt für die Menschheitsevolution absehen kann. Würde er ihr auszuwei-
chen versuchen, so wäre er beim Eintritt in die geistige Welt den Zwän-
gen der Tiernatur in seinem eigenen Wesen fürchterlich ausgesetzt. Der
übende Umgang mit den Seelentieren schafft eine Vorbereitung, die eige-
ne Astralität* zu zähmen, zu besänftigen und zu läutern sowie den Gang
des eigenen Individualitätswesens innerhalb der Evolution einzuordnen.
Wie der meditative Umgang mit Seelentieren zu sonst nicht so leicht
greifbaren Karmaaspekten aus früheren Leben hinführen kann, werde
ich außerdem exemplarisch zeigen. Ein Parallelthema zu dem mit den
Seelentieren betrifft das des so genannten karmischen Doppelgängers. In der
umfangreichen anthroposophischen Sekundärliteratur, in welcher dieses
Thema zwar öfters behandelt wurde, fehlen zumeist, wie es mir scheint,
Hinweise, wie man diesen Begriff in Verbindung mit einem anderen set-
zen kann, nämlich dem des kleinen Hüters, ein Begriff, welcher auch noch
auf Steiner zurückgeht.
So möchte ich einerseits eine Reihe von Übungen beschreiben, die zu
imaginativen Erlebnissen auf diesem Gebiet führen, andererseits Be-
schreibungen geben, die aus meiner meditativen Forschung und der-
jenigen einiger meiner Freunde stammen. Somit zeige ich, wie wir im
Auge behalten können, dass die beiden Gestalten, die des karmischen
Doppelgängers und die des kleinen Hüters, auf ein und dasselbe Wesen in
verschiedenen Phasen seines Bestehens zurückzuführen sind. Deswegen
möchte ich Hilfestellungen geben, wie man dem Wesen dieses Doppel-
gängers hilft, das geistige Amt eines hütenden Helfers auf dem Gebiet
des Karmas wahrzunehmen. So wird zu den früheren anthroposophi-
schen Darstellungen auf diesem Gebiet versucht, eine erweiterte Identi-
fikation dieses Wesens vorzunehmen und auf Perspektiven hinzuweisen,
die direkt mit Reinkarnation und Karma zu tun haben.14
Ich streite für die Einstellung, dass gegenwärtig eine neue Geistes-
forschung auf allen Gebieten des Lebens und des Daseins dringlich ist,
damit den drohenden Niedergangskräften und verfehlten Aktivitäten der
westlichen Zivilisation sowie der anderen Kulturen Positives und Fort-
schrittliches entgegengestellt werden kann. Aber ein Geistesforscher
kann sich nur behaupten , insofern er sich auch in übersinnlichen Zu-
14
Siehe z. B. Johannes W. Schneider, Der Doppelgänger. Die Schattenseite unserer
selbst, Verlag am Goetheanum, Dornach 2000.
30
sammenhängen frei macht, dass er es quasi schafft, eventuelle Indiskretion
durch Geistwesen oder ihm gegnerisch gesinnte Menschen zu durch-
schauen und sie von der inneren Aktivität seiner eigenen Forschung fern
zu halten.
So widmen sich einige Abschnitte gegen Schluss der Aufgabe, geistige
Helfer- und Widersacherwesen zu erkennen, um einen spirituellen
Standort zu schaffen, in welchem unabhängige Forschung und geistige
Arbeit betrieben werden kann. Nur wenn ein oder einige Geistesforscher
die geistigen Ursprünge der Zeitgenossenschaft und der dringenden Zeit-
fragen jeglicher Art zu erforschen vermögen und ihre Ergebnisse und
Anregungen durch ihre einleuchtende Darlegung Publizität und williges
Aufgreifen finden würden, könnten neue Ideen, Impulse und Erfindungen
die gefährlichen Tendenzen der Gewalt- und Machtausübung aller Art in
der Gegenwart allmählich ablösen. Ich meine damit nicht, dass von Ein-
zelnen, von Ländern und von Zivilgesellschaften aufbauende Ansätze in
dieser Richtung heutzutage ganz und gar fehlen würden, ich denke nur,
dass ganz bestimmte Sichtweisen, die mit neuer Karma- und Geistes-
forschung in weitestem Sinne zielbewusst arbeiten, noch umfassender er-
kannt werden müssten. So möchte ich hier darstellen, wie ein Boden der
spirituellen Wissenschaft durch imaginatives Bewusstsein und karmisches
Hellsehen erbaut werden kann, wo Seelenfähigkeiten aufblühen, die zu
einer christlich gesinnten, manichäischen* Gewaltbefreiung oder weißen
Magie* und zu einer schöpfungsfreundlichen Lebenskunst in weitestem
Sinne gehören.
1982 veröffentlichte ich als Mitarbeiter einer schwedischen Zeitschrift
ein Essay zur Frage: Der Kampf um das menschliche Ich. Darin verfolgte ich
bestimmte Tendenzen der Entwicklung des Ich-Bewusstseins in der Zeit
zwischen dem 18. und den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mit beson-
derer Rücksicht auf Darstellungen zum Thema des Bösen von Friedrich
Schiller und Robert Jungk. Dort stand folgender Satz im Anschluss an eine
Idee von Jacques Lusseyran:
Wenn des Menschen inneres Milieu nicht gepflegt wird, kann auch
das Ich des Menschen geschädigt werden. Und wenn die Zukunft ge-
rettet werden soll, muss das Ich des Menschen gesund sein.15
Etwa 14 Jahre später, genau gerechnet nach einem halben Saturnumlauf,
erfuhr ich eine Erweiterung des eigenen Ichbewusstseins, weil ich geübt
hatte, eine solche innere Pflege der Tätigkeit des Ich im Denken, Fühlen
und Wollen anhand der gestellten Fragen der Bestimmung des Men-
schen in Vergangen-heit, Gegenwart und Zukunft durchzutragen. Das
15
Jostein Sæther, Kampen om människans jag. Antropos, Stockholm April und Juni
1982. Die Übersetzung ist von mir.
31
Ergebnis dieser Entfaltung war das Thema des ersten Buchs. Nach
abgeschlossenen, weiteren sieben Jahren mögen diese Aufzeichnungen
Wegweiser für Leser sein, die einen Übungsweg zu karmischem Hellsehen
anstreben, auf welchem Etappe für Etappe, Schritt für Schritt eine Bewah-
rung und eine grenzenlose Entfaltung des höheren Ich, des göttlichen We-
senskerns des Menschen, seiner schöpferischen Individualität, gewähr-
leistet werden kann. 1.
Kunst als Grundlage

Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.

Goethe

Warum sind Sterne,

warum sind Wolken?
Warum ist Sonne und Mond?
Warum sind Tiere der Erde?
Warum sind Pflanzen der Erde?
Warum sind Steine der Erde?
Warum sind Flüsse und Bäche und Ströme?
Warum ist Fels und Berg?
Warum ist alles da,
was im Kosmos um uns herum ist?
Das alles ist Vorrat für die Götter,
um uns die erste Form unseres Karma,
ja nachdem wir unsere Taten errichtet haben,
vor Augen zu führen.
Welt ist die Vorratskammer
im Karma von Seiten der Götter.

Rudolf Steiner
Dornach, 22. Juni 1924

32 33
Wir sind Menschen der Gegenwart des bereits angefangenen 21. Jahr-
hunderts. Wir leben in einer Zeit, die viele geistige Impulse, spirituelle
Bewegungen und holistische, ganzheitliche Menschenbilder und Weltan-
schauungen aufweist. Auch du bist vielleicht jemand, der selbst schon
Erfahrungen gesammelt hat, die auf geistige Erlebnisse zurückzuführen
sind. Wenn du dein Leben als existent ansiehst, es absolut ernst nimmst
und für die Kennzeichen unserer hektischen Zeit wach bist, dann kannst
du zunächst zwei Tendenzen in deiner Seele beobachten. Die eine macht
dich für Spirituelles grundsätzlich offen, die andere schafft dir die Mög-
lichkeit, allem frei und differenziert gegenüber zu stehen, was dir an Er-
scheinungen übersinnlicher Art durch andere Menschen anvertraut wird.
Wenn du die Seelenhaltungen der Behutsamkeit, des Feingefühls oder der
Bedachtsamkeit, die aus dieser Tendenz stammen, im Umgang mit eige-
nen geistigen Erlebnissen nicht berücksichtigst, entsteht die Gefahr, dass
du alles überschätzt, was du selbst erfährst, nicht nur im Spirituellen,
sondern im alltäglichen Leben überhaupt. Wenn du die Haltungen der
Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und der Wahrheitsliebe, die aus jener Tendenz
stammen, im Umgang mit geistigen Erfahrungen von Anderen nicht be-
achtest, geht die Lust am Kritisieren schnell in Ablehnung und Aburtei-
lung über.
Nach diesem kleinen Einblick in einige Seelenverfassungen, die heute
allgemein gegenüber dem Geistigen auftreten, erkennst du die Notwen-
digkeit, eine Arbeitsweise zu wählen, die dir hilft, dich nicht von extremen
Verhaltensmustern einnehmen zu lassen oder dich in einer Sache
festzufahren . Möchtest du einen Übungs- oder Bildungsweg gehen,
durch den du das Bewusstsein erweitern und Geistiges wesenhaft erfas-
sen willst, so ist es verständlich, dass diese zwei Eigenschaften dabei in
deinem Gemüt vorhanden sein müssen: also erstens Offenheit, oder mit
einem mittelalterlichen Begriff der Tugenden anders formuliert: Freimut;
zweitens Behutsamkeit, oder mit einem übereinstimmenden Begriff
ausgedrückt: Besonnenheit.
Der Buchtitel drückt es nicht aus, aber inhaltlich stellt das Buch eine
Skizze der Kunst der Karmaforschung dar. Deshalb werde ich anfangs das
künstlerische Element in seinem Zusammenhang mit Kunstbetrachtung
und künstlerischem Schaffen charakterisieren, um auf die Beziehung des
Künstlerischen zum geistigen Forschen hinzuweisen, so dass ein Ver-
ständnis entstehen kann, warum es adäquat sein könnte, dass Meditation
und Karmaforschung von Erfahrungen mit den Künsten unterstützt wer-
den. In den Ausführungen sollen die oben genannten zwei grundlegen-
den Seelenhaltungen Offenheit und Behutsamkeit mit einbezogen
werden. Es gibt auch andere solche Gemütszustände, deren Pflege zu
den Grundbedingungen gehört, die der Geistesschüler zu erfüllen hat,
auf die ich später noch eingehen werde.
34
Das Künstlerische
Um das Künstlerische zu charakterisieren, können wir es erst einmal im
Vergleich zu den zwei anderen Gebieten menschlicher Kultur, dem
Religiösen und dem Wissenschaftlichen, betrachten. Religion, Kunst und
Wissenschaft sind traditionell drei Bereiche, die miteinander immer zu
tun haben können, die aber aus ihren Besonderheiten heraus auch selbst-
ständig auftreten können. Wir können die einzelnen Bereiche handha-
ben, ohne dass sie in direkter Berührung miteinander kommen müssen.
Andererseits können sie einander wechselseitig befruchten und ergänzen.
Es kann beispielsweise eine religiöse Kunst geben oder eine künstle-
risch geprägte Wissenschaftsrichtung. Eine Religion kann durch wissen-
schaftliche Forschung gefestigt werden, so dass sie für die Menschen
zeitgemäß und zugänglich erscheint, ohne die ursprüngliche Geistesrich-
tung deshalb zu verlieren. Eine Wissenschaft, die in den Naturerschei-
nungen Göttliches zu erkennen sucht, wird andere Erfindungen hervor-
bringen als diejenige, die nur eine materialistische ist.
Die Wissenschaft in der neueren Zeit stellte sich immer mehr in den
Dienst der gesellschaftlichen Nützlichkeit und verlor deshalb immer
mehr den Drang, sich nach einer geistigen Welt zu orientieren, den sie
noch in der Renaissance hatte. Herkömmliche Religionsausübungen ver-
wickelten sich auch in der Neuzeit immer wieder in politische Aus-
einandersetzungen, so dass in einer modernen, säkularisierten Gesell-
schaft neben den traditionellen Religionen und Konfessionen auch ande-
re Geistesströmungen und Schulungsformen in das Blickfeld traten oder
neu entstanden sind, deren Vertreter oft erklärten, dass sie das Erlangen
spiritueller Einsicht und Erleuchtung sauberer als die herkömmlichen
Glaubensrichtungen erfüllen könnten.
Weniger als die Wissenschaftler haben sich die modernen Künstler
dem gesellschaftlichen Druck gebeugt, ihr künstlerisches Schaffen mate-
riellen Forderungen preiszugeben. Im Dialog mit alten Stilen schöpften
sie das Neue, dessen Prägungen und Stilrichtungen zunehmend einen
großen Einfluss auf die moderne Bildung ausgeübt haben. Dass oft eine
autonome Religiosität oder Spiritualität das Entstehen ihrer Kunstwerke
wesentlich beeinflusste, wurde von Kunstwissenschaftlern manchmal
erst nach dem Tod der Künstler entdeckt.
Das spezifisch Künstlerische drückt sich dadurch aus, dass der Aus-
übende durch die künstlerische Tat etwas, was er erlebt oder sucht, was
vorerst immateriell in seiner Seele vorhanden war, was von ihm nur er-
ahnt werden konnte, mit Hilfe physischer Mittel, seien sie aus der Natur
oder durch die Kultur entstanden, in der Welt der Sinne verwirklichen
kann, sofern er nicht spontan, ohne alle Absichten arbeitet. Der Kunst-
betrachter oder Kunstgenießer kann sich dem Kunstwerk nur in dem
35
Maße nähern und es annehmen, wie er auch in der Lage ist, bei der Be-
gegnung oder beim Umgang mit dem Kunstwerk aus den künstlerischen
Quellen seiner eigenen Seele zu schöpfen.
Durch das Kunsterleben wird dem Künstlerischen, das durch den
Künstler im Kunstwerk versinnlicht worden ist, wieder eine seelische Be-
stimmung gegeben, die in der Seele des Betrachters eine geistige Energie
entzünden kann, welche unter Umständen zu neuen schöpferischen Ta-
ten führt. Ebenso sehen wir, dass das Künstlerische etwas ganz Uneigen-
nütziges ist. Es geht in das Kunstwerk ein, um bei der Kunstbetrachtung
neu aufleben zu können. Daher könnte man sagen, dass das Künstleri-
sche die Fähigkeit hat, einen Prozess zu durchlaufen, der mit Absterben
und Aufkeimen verglichen werden kann. Das Künstlerische stellt in der
Welt der Kultur das Gesetz des Sterbens und des Werdens der organischen
Welt dar. Dieses künstlerische Gesetz des Prozessualen werden wir
später artgleich auch beim Geist-Erleben wiederentdecken.
Ein künstlerisches Element ist allein nicht nur im traditionellen
Kunstwesen angesiedelt, sondern es hat mit dem alles umfassenden
Schöpferischen im Leben zu tun, das überall dort zu finden ist, wo sich
der Mensch zeitgemäß in die Welt hinein stellt, auch wenn er nicht
Künstler ist oder besonders viel von Kunst hält. Das Künstlerische kön-
nen wir aber am besten dort kennen und verstehen lernen, wo es aus ei-
ner inneren Notwendigkeit heraus gepflegt werden muss, nämlich in den
verschiedenen Künsten. Aus diesem selbstverständlichen Grund wollen
wir uns hier vorab mit grundlegenden Fragen der klassischen Künste
sowie mit einigen anderen künstlerischen Gestaltungsweisen und deren
gegenwärtigen Beziehungen zum Menschen befassen und alsdann die
Stellung des Künstlerischen zur Natur und zum Spirituellen genauer be-
leuchten. Zwischendurch werde ich außerdem diverse elementare
künstlerische Übungen einfügen.
Die bildenden Künste und das Übersinnliche
Die bildenden Künste sind traditionell drei- oder zweidimensional in der
sinnlichen Welt ruhend vorhanden, so dass der Mensch sie fortdauernd
betrachten kann oder sie erneut aufsuchen kann, um sie wieder zu er-
leben. Ihre Haupttendenz ist, dass ihre Kunstwerke sich über eine Zeit-
dauer hin vorwiegend an einem bestimmten geografischen Ort befinden,
wenn sie folglich nicht umplatziert worden sind. Signifikant dabei ist,
dass sie, wenn sie monumental oder gestalterisch sich darstellen dürfen,
durch ihr Vorhandensein auch den Ort, den Platz oder den Raum, wo sie
lokalisiert sind, radikal prägen und mit beherrschen. Auch auf die Men-
schen, die in diesem kulturellen Milieu wohnen und arbeiten, haben sie
36
eine fördernde oder hemmende Wirkung, je nach Charakter und Stil der
Gestaltungsarten. Es kommt auch darauf an, inwieweit sich die Men-
schen von ihrer Umgebung beherrschen oder beeinflussen lassen.
Wir besitzen aus der Vergangenheit in erhalten gebliebenen Werken
viele Beispiele, wie Menschen in früheren Kulturen die drei bildenden
Künste angelegt und entwickelt haben. Die Höhlenmalerei z. B. bestätigt
uns Leistungen einer ehemaligen Hochkultur vor mehr als zehntausend
Jahren. Bei zahlreichen archäologischen Ausgrabungen wurden Siedlun-
gen, Städte, Paläste, Tempel und Gräber aus vielen Kulturen und Epo-
chen wieder freigelegt, die die architektonische, plastische und male-
rische Tatkraft und Fertigkeit ehemaliger Baumeister, Architekten und
Künstler noch heute bezeugen können. Die Kunstgeschichte ist gleich-
zeitig ein Abbild der ganzen Bewusstseinsentwicklung der Menschheit. So
ist es einleuchtend, zu denken, dass es eine gute Vorbereitung für den
heutigen Menschen wäre, sich durch sinnliche Anschauung mit der Ge-
schichte im Allgemeinen und mit der Kunstgeschichte im Besonderen
vertraut zu machen, bevor es ihm durch eine Bewusstseinserweiterung
möglich wird, alte Kultur- und Lebensformen meditativ wieder zu erle-
ben und zu schauen.
Es ist plausibel, daraus zu schlussfolgern, dass durch eine authenti-
sche Schulung anhand dieser Künste ein innerer Formsinn und ein Orien-
tierungsvermögen in der Seele ausgebildet werden könnten, so dass der
Geistesschüler, wenn er sich in übersinnlichen Regionen bewegen oder
temporär aufhalten würde, sich besser auskennen könnte und dass er
freilich auch parallel dazu erkennen würde, in welchen Kulturen und
Zeiten er möglicherweise in der Vergangenheit gelebt haben könnte.
Rudolf Steiner hat in Vorträgen aus seinen kunstwissenschaftlichen
und übersinnlichen Forschungen viele Gesichtspunkte aufgezeigt, die
deutlich machen, worin die übersinnliche, das heißt die zunächst nicht
bewusst nachvollziehbar verborgene, okkulte Beziehung zwischen Künst-
lertum und übersinnlicher Forschung besteht.16 Er beschrieb beispiels-
weise, dass echte Kunst, so wie sie in der sinnlichen Welt vorhanden ist,
in der geistigen Welt für jemanden, der fähig ist, geistig zu schauen,
nicht ausgelöscht ist, sondern evident bleibt:
Man kann nicht vom Morgen bis Abend Geistesforscher sein. Das Hi-
neinschauen in die Geisteswelt ist an gewisse Zeiten gebunden; man
weiß Anfang und Ende des Zustandes, in dem die Seele in die geistige
Welt eindringt. In diesem Zustand ist die Seele fähig, durch eigene
16
Rudolf Steiner, Kunst und Kunsterkenntnis. Grundlagen einer neuen Ästhetik, GA
271, Taschenbuchausgabe, tb 650, Dornach 1986.
Kunst im Lichte der Mysterienweisheit, GA 275, Dornach 1980.
Das Künstlerische in seiner Weltmission, GA 276, Dornach 1961.
37
 Kraft vom Eindruck der äußeren Sinne vollständig abzusehen, so dass
von all dem, wobei die äußeren Sinne Farben sehen, Töne hören,
nichts vorhanden ist. Gerade durch dieses Hinschauen auf das Nichts
geht die Wahrnehmung für die Geisteswelt hervor.
Ich möchte sagen: Auslöschen kann der Seher alles das, was von
der Außenwelt auf ihn eindringt, all das, was aus dem gewöhnlichen
Erinnerungsvermögen herauf wogt in das seelische Bewusstsein, aber
nicht auslöschen kann er, auch wenn er sich in diesen Zustand hinein
versetzt, gewisse Eindrücke, die ihm von Kunstwerken kommen, die
wirklich der schöpferischen Phantasie entstammen. Ich will da nicht
sagen, dass der Seher in solchen Zuständen dieselben Eindrücke von
den Kunstwerken hat wie der Nichtseher. Die hat er in nichtseheri-
schen Augenblicken. Aber in seherischen Augenblicken hat er die
Möglichkeit, das Sinnliche, Erinnerungsmäßige vollständig auszulö-
schen bezüglich der Außenwelt, nicht aber bezüglich eines Kunst-
werks, dem er gegenübertritt.17
Dieses auffallende Band zwischen der schöpferischen Fantasie des
Künstlerischen und der aus Hingabe und Autonomie erfolgte Geistesfor-
schung müsste uns, wenn Rudolf Steiners Feststellung wahr ist, anschau-
lich machen, welche Bedeutung das Künstlerische für die innere Arbeit
des Geistesschülers haben könnte. Steiner geht in diesem Zusammen-
hang mehrere Künste durch, wie der Hellseher sie in der geistigen Welt
auf andere Art als in der Sinneswelt erlebt. Auf besondere Weise stellt
Steiner es am Beispiel der Malerei dar.
Der Maler bildet seine Phantasie durch Anlehnung der inneren ge-
staltenden Kräfte an sinnliche Anschauung, die er erlebt, wie er sie
braucht. Er kommt von außen herein bis dahin, wo er das im Raum
Lebende so umgestaltet, dass er in Linien, Formen und Farben wirkt.
Das bringt er bis zum Flächenhaften der malerischen Anschauung.
Von entgegengesetzter Seite kommt der Seher. Er verdichtet das, was
in seiner seherischen Tätigkeit ist, bis zu seelischen Farben; er durch-
tränkt das, was sonst farblos ist, wie innerlich illustrierend mit Farben,
er bildet Imaginationen aus. Man muss sich nur in richtiger Weise
vorstellen, dass dasjenige, was von der einen Seite der Maler bringt,
von entgegengesetzter Seite kommt in dem, was der Seher von innen
nach außen schafft.
Um sich das vorzustellen, lese man einmal die elementaren Grund-
begriffe in den letzten Kapiteln von Goethes Farbenlehre über die
sinnlich-moralische Wirkung der Farben, wo er sagt, dass jede Farbe
einen Gemütszustand auslöse. Diesen Gemütszustand, den erhält der
17
Rudolf Steiner, Kunst und Kunsterkenntnis, Seite 147.
38
Seher als letztes, mit dem tingiert er das, was sonst farb- und gestaltlos
wäre. Wenn der Seher von Aura und dergleichen spricht und Farben
anführt bei dem, was er schaut, soll man sich klar sein, dass er das
tingiert, was er innerlich mit diesen Gemütszuständen erlebt. Wenn
der Seher sagt, was er schaut, sei rot, erlebt er das, was man sonst an
der roten Farbe erlebt; das Erleben ist das gleiche wie beim Sehen von
Rot, nur geistig.
Es ist dasselbe, was der Seher schaut und was der Künstler auf die
Leinwand zaubert, aber von verschiedenen Seiten geschaut. Mit dem
Maler begegnet sich so der Seher. Diese Begegnung ist ein bemerkens-
wertes, bedeutsames Erlebnis. Sie lässt die Malerei als besondere Ei-
genart der übersinnlichen Erkenntnis erscheinen. Das zeigt sich beson-
ders bei einer Erscheinung, die für jede Seele ein besonderes Problem
werden muss: beim Inkarnat, der menschlichen Fleischfarbe, die ei-
gentlich für den, der in solche Dinge innerlich eindringen will, etwas
ebenso Geheimnisvolles wie Reizvolles hat, das in tiefe Natur- und
Geistverhältnisse hineinschauen lässt. Dieses Inkarnat erlebt der Seher
auf besondere Weise.18
Aus diesen Betrachtungen geht hervor, dass wir, wenn wir eine hell-
seherische Tätigkeit ausbilden wollen, zuvor die klassische künstlerische
Tätigkeit kennen gelernt haben sollten. Die außerordentliche Reichweite
solcher Gesichtspunkte ist die Basis, auf der meine Übungs- und For-
schungsmethoden im vorliegenden Buch sich gründen. So wirst du im
Folgenden immer wieder mit eben dieser Sichtweise konfrontiert wer-
den. Ich möchte dir nahe bringen, dass eine moderne Initiation auf das
Künstlerische einschließlich der schöpferischen Fantasie de facto
achten muss. Wenn der Seher sagt, was er schaut sei rot, erlebt er das,
was man sonst an der roten Farbe erlebt; das Erleben ist das gleiche wie
beim Sehen von Rot, nur geistig. Diese Aussage Steiners dürfen wir im-
mer wieder in Erwägung ziehen und deren Bedeutung vor dem inneren
Auge haben. Sie besagt, dass nichts, was im Inneren als Farbe und Form
auftritt, dem ähnlich ist, was in der Sinneswelt vorhanden ist. Es geht
beim meditativen Schauen um den erwähnten Seelenzustand, den ich als
Gemütsvehikel und Gefühlsgebilde bezeichne. Wenn wir uns bemühen, in-
nerlich genau wahrzunehmen, wird zuerst ein Fühlen zur Verfügung ste-
hen, das mit Gemüt vergleichbar ist, in welchem übersinnliche Gehalte
eingebettet sind, die sich analog wie Farben, Formen und Bilder beobach-
ten lassen.
18
Ebenda, Seite 151f.
39
 Kunstbetrachtung
Falls du nach der Kindheit und Jugend keine Gelegenheit mehr hattest,
künstlerisch tätig zu sein, oder in der Kindheit überhaupt wenig Kunst
ausüben durftest, solltest du dir als Erwachsener klar darüber werden, in
welchem Verhältnis du zu Kunstwerken stehst, und dir eindringlich
Kunsterlebnisse zukommen lassen. Beginne mit der Kunstbetrachtung,
so schaffst du dir ein Fundament für den inneren Schulungsweg, auf das
du weiter aufbauen kannst.
Es lohnt sich immer, ein geliebtes Kunstwerk im Original zu sehen
und dafür etwa eine Kunststudienreise zu unternehmen. Das Anschauen
von Abgüssen oder von Fotografien und Reproduktionen, selbst wenn
diese durch modernes Druckverfahren hervorragend in ihrer Qualität
sind, können nie das augenblickliche Erlebnis des Originals ersetzen.
Wenn du von vornherein weißt, dass du ein Kunstwerk beispielsweise
ein Bauwerk, eine Kathedrale, ein Schloss oder eine Klosterruine
wirst mehrmals sehen können, kannst du dich beim ersten Anschauen
von diesem Bauwerk selbst navigieren lassen, um zu erleben, was du
entdecken kannst, wohin die Füße dich bringen und worauf dein Blick
hingelenkt wird. Du kannst dich gewisser-maßen vom Schicksal führen
lassen, so dass du der Architektur und den betreffenden Kunstwerken
einräumst, Gesprächspartner für dich zu werden. Du stellst bei der ersten
Anwesenheit wie eine Art offene Frage: Was möchtest du mir wohl von
deinen Geheimnissen erzählen? Du gestattest dem entsprechenden Kunst-
werk, dir ein sinnlich-sittliches Gegenüber zu sein.
Der japanische Architekt Yugi Agematzu stellte in einer Architekten-
konferenz in Järna, Schweden, in der Mitte der 1980er Jahre seine For-
schungen über eine, wie er es herausgefunden hatte, Beziehung zwischen
den zwölf Sinnen (gemäß den Forschungen Rudolf Steiners) des Men-
schen und den architektonischen Grundelementen vor. Seine Hinweise
kamen mir bei Architekturwanderungen viele Jahre später immer wieder
in den Sinn. Es wäre eine wunderbare Aufgabe, wenn wir beim An-
schauen eines architektonischen Kunstwerks nach solchen inneren Ver-
bindungen zwischen Mensch und Bau suchen würden. So gibt es viele
Anregungen in dieser Richtung, z. B. in den Schriften meiner ehemaligen
Lehrer, des Kunsthistorikers Åke Fant 1997), des Gesamtkünstlers Arne
Klingborg 2005) und des Architekten Rex Raab 2004).19
19
Arne Klingborg und Åke Fant, Leben in der Architektur unserer Zeit. Der unvoll-
endete Funktionalismus, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1985. Rex Raab, Die Wal-
dorfschule baut, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1982.
40
Architektur erleben
Bei einer sorgfältigeren Kunstbetrachtung an architektonischen Bauwer-
ken, etwa beim zweiten Aufsuchen oder wenn dir mehr Zeit zur Verfü-
gung steht, müsstest du das Haus oder den Gebäudekomplex im Grunde
zuerst von außen entdecken und untersuchen, wie die Architektur in der
Landschaft oder im Stadtteil gleichsam Fuß gefasst hat. Als ich zum ers-
ten Mal nach Chartres kam und entdeckte, dass die Kathedrale oben auf
einem Berg stand, erstaunte ich, weil alle fotografischen Aufnahmen aus
der Ferne, die ich zuvor gesehen hatte, immer das Wunder so zeigten,
als würde es inmitten eines Getreideackers stehen.
Um ein Bauwerk in seinem Inneren lesen lernen zu können, unter-
scheidest du zuerst einmal zwischen dem Boden, den Wänden und der
Decke. Du untersuchst beim Herumgehen und Durchstöbern, ob es z. B.
verschiedene, wechselnde Bodenebenen gibt und ob Stufen, Treppen,
Absätze und Balkons vorhanden sind. Achte darauf, wie es sich anfühlt,
wenn du etwa eine Treppe hoch oder auch wieder hinunter gehst.
Wie fühlt es sich an, z. B., wenn du unten stehst, jemandem zu begeg-
nen , der eine Treppe herunter kommt, und wie anders ist es, wenn du
oben stehst und irgendeiner hoch kommt? Solche Situationen habe
ich in Seminarien mit stets aufschlussreichen Erlebnissen der Teilnehmer
geübt.
Dann schaust du dir die Wände an, wie die Wandflächen geformt
sind ob sie von Portalen, Türen, Fenstern, Öffnungen durchbrochen
sind und ob sie zu Gängen oder Passagen hinführen. Du ergründest, wie
es sich anfühlt, durch einen schmalen Korridor zu gehen oder sich bü-
cken zu müssen, wenn du durch eine niedrige Türöffnung gehst wie
sie beispielsweise an den norwegischen Stabkirchen anzutreffen sind. Du
schaust dir Pfeiler, Stützen, Pilaster, Träger, Balustraden und Bögen an.
Wie erlebst du es, neben einem Kathedralenpfeiler mehrere Minuten
schweigend zu stehen? Wie wirken die mannigfaltigen Flächen und
Formen auf dich? Dann betrachtest du die Decke. Wie hoch ist es bis
dorthin, wie ist sie geformt? Ist sie flach, kuppelartig, zur Mitte hin ogi-
val, spitzbogig laufend oder ist die Decke ganz anders gebaut?
Dann verschaffst du dir einen Überblick über die verschiedenen Räum-
lichkeiten: große und kleine Räume, Säle, Foyers, Korridore, Zimmer,
Stuben, Kapellen und Apsiden. Wie fühlst du dich in den verschiedenen
Volumina der Räume? Wie wirkt die Raumesgeometrie auf dich, unter Um-
ständen ein quadratischer, ein rechtwinkliger, ein ovaler, ein runder
Raum? Wie empfindest du z. B. den Unterschied zwischen einem alten
Bauernhaus, das durch den Zahn der Zeit die rechten Winkel verloren
hat, und einem funktionalistischen Haus des 20. Jahrhunderts, das seine
klare Form ganz behalten hat? So kannst du abschließend in dieser ersten
41
Untersuchungsrunde, von der Mitte im Inneren der Gebäude ausgehend,
in einer inneren Schau, in einer vom Denken gefassten Vorstellung, dir
die gestalterischen Zusammenhänge ausmalen .
Dabei kannst du dich fragen, wie bei dem Haus das Verhältnis zwi-
schen innen und außen ist. In diesem Moment kannst du dich schließlich
auch fragen, wo du wahrheitsgemäß stehst: Stehe ich in der exakten
geometrischen Mitte oder in einer durch ästhetische Mittel geschaffenen,
künstlerischen Mitte? Fallen diese zwei zusammen, und wenn nicht,
wie erlebst du das Verhältnis zwischen den beiden Brennpunkten?
In der nächsten Runde wäre all das zu entdecken, was mit Baumateria-
lien und Farben der Oberflächen zu tun hat. Du wirst gegebenenfalls,
wenn du es nicht vorher schon getan hast, beim Bauwerk auch zwischen
Architektonischem, Plastischem, Farbgestalterischem und Malerischem
unterscheiden müssen.
In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, die Lichtverhältnisse zu
erleben. Was entsteht durch Tageslicht, Wandfenster oder mittels Ober-
licht, was mit Hilfe künstlicher Beleuchtung? Wie beeinflussen farbige
Glasfenster eine Örtlichkeit? Wichtig ist es hierbei, die Stimmungen in
den Räumen zu erleben und was durch Färbungen, Abschattungen, far-
bige Schatten und Dunkelheiten auftaucht. Wie wirken die Wandfarben,
wenn sie opak oder lasierend, satt oder pastellartig gestrichen sind? Wie
wirkt das herein brechende Morgenlicht? Wie wirken Sonnenstrahlen,
wenn sie durch farbiges Glas gebrochen werden oder durch geöffnete
Fenster herein kommen? Wie fühlt sich die Dämmerstunde an und wie
verändert sich ein Raum, wenn die elektrische Beleuchtung angeschaltet
wird? Wie erlebst du Kerzenlicht in bestimmten Räumen?
Oberflächen von Handgriffen, Handleitern, Geländern, Möbeln usw.,
die leicht anzufassen sind, kannst du im Vorbeigehen betasten und dort,
wo es erlaubt ist, auch andere Bauflächen berühren. In diesem zweiten
Rundgang entsteht allmählich, oft wie aus einer Eingebung heraus, eine
ästhetische Apperzeption, ein innerer Eindruck vom Ganzen, einerseits wie
es auf dich wirkt, andererseits was das Gesamtkunstwerk über sich aus-
sagt, so dass es unter Umständen dazu kommen kann, dass dir das, was
darin von den Bauherren, Architekten, Künstlern und Handwerkern ein-
gerichtet worden ist, zum Bewusstsein kommt. Alles, was du sinnlich
beobachtet und durch das Denken neu erfasst und verstanden hast, wird
durch diese seelisch-geistige Anstrengung, mit der du dir eine umfassen-
dere Anschauung erwerben wirst, zu einer Grundlage für die allerersten
Seeleneindrücke, die ein Bestandteil des ersten Stadiums des imaginativen
Bewusstseins sein werden.
In einer dritten Runde gehst du zurück zu bestimmten Plätzen, Räu-
men, Kunstwerken, die dich nachhaltig beeindruckt haben oder die dir an-
fangs besonders schön vorkamen. Worin bestand das Erstaunliche, das
42
Beeindruckende, das Schöne? Dann siehst du dir aber auch das an, was
du an dem Bau als nicht schön oder sogar hässlich empfunden hast. Wa-
rum hat dich gegebenenfalls etwas abgestoßen? Nach all diesen Beobach-
tungen bei der Begegnung mit dem Architektonischen bist du soweit ge-
reift, dir ein eigenes Gutbefinden zu bilden. Du kannst daraus lernen, was
bei alldem das Künstlerische ist. Wird es dir dann gelingen, aus den ei-
genen Erlebnissen heraus das Künstlerische in etwa zu charakterisieren?
Mit diesen gerade empfohlenen Interpretationen sollte die Freiheit,
ganz anders bei einer architektonischen Kunstbetrachtung vorzugehen,
nicht beeinträchtigt worden sein. Es würde sicherlich zu ganz interessan-
ten Erfahrungen kommen, wenn man beispielsweise von einem Freund
sozusagen mit geschlossenen Augen mitten in ein Haus geführt werden
würde, um von hier aus unvoreingenommen von Detail zu Detail
gehend, sich einen Überblick zu verschaffen. Ich habe eben solche Ge-
sichtspunkte geliefert, die mit klassischen Vorgehensweisen bei Architek-
turwanderungen kongruent sind.
Skulptur, Malerei und Interieur
Beim Studium des Plastischen, der Skulpturen und Reliefs kannst du aus
verschiedenen Abständen und Winkeln heraus das entsprechende Kunst-
werk betrachten. Wie du bei der Architektur vorgegangen bist, so machst
du es bei der Skulptur artgemäß: Du gehst vom Großen zum Kleineren,
vom Ganzen zu den Details. Aus einer Gesamtschau entdeckst du nach
und nach die Bestandteile. Vom Allgemeinen gehst du zum Konkreten
über, von den Formtendenzen zum künstlerischen Motiv.
Nachdem du das Kunstwerk innerlich bewegt hast und vielleicht das
Ästhetische oder die künstlerische Idee gefunden hast, untersuchst du
dessen Standort in einem Raum oder an einem Ort und wie es sich in die
Architektur- oder Landschaftsformen seiner nächsten Umgebung einord-
net. Was ist der Unterschied zwischen Skulpturen, die im Garten, auf
einem Marktplatz oder draußen in einem Gelände eigenständig wirken
können, und solchen, die besser unmittelbar in einem architektonischen
Zusammenhang aufgehoben sind? Welche Erkennungszeichen verschaf-
fen einer Skulptur die Berechtigung, als ein exzellentes Kunstwerk ange-
sehen zu werden?
Beim Malerischen unterscheidest du zwischen an Architektur gebun-
denen Kunstwerken wie Glasmalereien, integrierten Wand- oder Monu-
mentalmalereien, und freien Bildern, zumeist in Rahmen, wie Ölmale-
reien, Aquarellen oder Lithografien, die ebenfalls andernorts aufgehängt
werden können. Du beobachtest zunächst die größeren Flächen und For-
men im Bild, dann Linien, Figurationen und kleinere Flecken bis Pünkt-
43
chen. Aus der Gesamtkomposition und aus den Farbklängen heraus ent-
deckst du das Motiv oder bestimmte inhaltliche Dinge. So wie eine Ma-
lerei gegebenenfalls aus großen Zügen gemalt wurde, in welchen die De-
tails allmählich entstanden, gehst du gewissermaßen dem Malerischen
mittels einer Rückwärtsfolge nach, um es einzusehen.
Bei der Farbigkeit geht es darum, die einzelnen Farbtöne zu berück-
sichtigen, aber auch zu beachten, wie sie einander beeinflussen oder wie
z. B. ein- und dieselbe Aufstrichfarbe bei zwei vorhandenen Flecken auf
unterschiedlich farbigem Hintergrund in ihren Farbnuancen visuell an-
ders geartet wirkt. Wie wirken die verschiedenen Farben in einem Bild,
wenn sie auf unterschiedlich großen Flächen auftauchen? Was bemerkst
du, wenn du einen blauen und einen roten Farbfleck z. B. auf grünem
Hintergrund nebeneinander siehst, die gleich groß gemalt sind? Wann
scheint Gelb die stärkste Leuchtkraft zu haben: wenn es von Violett oder
von Grün umgeben ist?
In dieser Weise kannst du dir eine Reihe von Erkenntnisfragen stellen
und das Kunsterlebnis zu einer kunstwissenschaftlichen Angelegenheit ma-
chen, um dein Denken als frei schwebende Urteilskraft, als eine Waage
im Bewusstsein benutzen zu lernen, als ein Seelenwerkzeug, das unbedingt
nötig ist, wenn du später in meditativem Bewusstsein eventuell vor Ge-
gebenheiten stehen wirst, bei denen du nicht mehr auf sinnliche Vorga-
ben zurückgreifen kannst. Bei der Kunstbetrachtung kannst du selbst-
verständlich fotografieren, wenn du Dias oder Fotos brauchst, z. B. für
Unterrichtszwecke. Jedoch solltest du das eigene Beobachten nicht mit
dem Fotografieren verwechseln. Viel besser als zu knipsen ist es be-
stimmt, einfache Skizzen, Zeichnungen oder Aquarelle unmittelbar bei
der Beobachtung anzufertigen.
Nicht zu vergessen ist ein weiteres Gebiet, das z. B. Textilien umfasst.
Gobelins kannst du zunächst so auffassen, wie du die malerische Kunst
betrachtet hast. Bei größeren Wandteppichen, die oft in früheren Zeiten
in Schlössern und Burgen ganze Wände dekorierten oder gleichzeitig als
Wärmeisolierung fungierten, musst du beobachten, wie sie sich dem In-
nenraum eingliedern. Auch bei Bodenteppichen oder Bodendekoration
überhaupt versuchst du, zu erleben, welchen Eindruck das Material und
dessen Oberfläche einschließlich der Muster und Farben auf dich haben.
Gardinen, Vorhänge, Blenden und Schleier aller Art sind einerseits
ein Teil des architektonischen Nutzens, andererseits können sie als Be-
standteil der Farbgestaltung und Interieurdekoration gelten. Manche
Lampen, Ampeln und Beleuchtungskörper können interessanterweise als
plastische Elemente erlebt werden, gleichzeitig wie sie durch ihre Be-
leuchtungseffekte die ganze ästhetische Stimmung eines Innenraums be-
einflussen. Auch Möbel und Inventar aller Art wie z. B. ausgestellte
Rüstungen und Waffen in alten Schlössern können wir teilweise als
44
Raumkörper, als Skulpturen betrachten. Ihnen müssen keinesfalls nur
praktische Funktionen zukommen.
Ich erinnere mich, dass ich mich im Museum in Delphi mehrere Stun-
den in dem Raum aufhielt, in dem der Wagenlenker zu sehen war, weil
ich dieses Jahrtausende alte, wunderbare Kunstwerk abzeichnen wollte.
Wegen der vielen Touristen und Besucher musste ich immer wieder neue
Positionen einnehmen, um einen freien Blick zu bekommen. Die Bemü-
hung, unter solch kapriziösen Umständen einige Skizzen und fragmen-
tarische Aufnahmen zu machen und damit zu versuchen, mein Kunst-
erlebnis festzuhalten, zeigte eine überraschende Auswirkung anderthalb
Jahre später bei einer meditativen Erforschung, wo ich mich innerlich
nach meinem Ermessen an etwa demselben Ort in dem antiken Hellas
aufhielt und mittels der verfügbaren Kenntnisse über die Stellung eines
Wagenlenkers in der Antike eine bestimmte karmische Erforschung in
Zusammenhang mit dem Wagenrennen anschauen konnte. Es wurde
mir möglich, beide Männer zu ergründen, den Athleten, der tatsächlich
auf Grund seiner Meisterschaft Modell für das Tausende Jahre später so
berühmte Kunstwerk stehen durfte, und seinen Befürworter, einen be-
stimmten Landesherrn aus einer griechischen Kolonie in Kleinasien, der
auf eben diesen Sportler im Wettkampf gesetzt hatte und nach dessen
Sieg das wundervolle Kunstwerk herstellen ließ, um es der Kultstätte von
Delphi als Opfergabe zu überbringen.
Rückblick auf die Kunstbetrachtung
Wieder zu Hause angelangt, kannst du durch Erinnerungsarbeit das Er-
lebte und Angeschaute verarbeiten. Bevor du gemachte Bilder und Fotos
betrachtest, solltest du aus dem Gedächtnis heraus vor deinem inneren
Auge das Kunstwerk wieder erstehen lassen. Später kannst du durch Foto-
grafien und gekaufte Reproduktionen deine Erinnerungen unter Umstän-
den korrigieren lassen, um unbeschönigt weiter mit der Sache verbunden
zu bleiben. Wenn du nicht an Ort und Stelle schriftliche Aufzeichnungen
gemacht hast, was nicht nur für das Gedächtnis sehr gut gewesen wäre,
kannst du jetzt Notizen machen. Das hilft dir, vergessene Erfahrungen
erneut ins innere Blickfeld zu ziehen und sogar auf Dinge zu kommen,
die du zuvor möglicherweise nicht voll bewusst bemerkt hast.
Wenn du denkst, das Kunstwerk nun gut zu kennen, kannst du Kata-
loge und Bücher lesen, um zu erfahren, was die Architekten, die Künst-
ler und die Kunsthistoriker darüber gesagt oder geschrieben haben. So
kannst du deine eigenen Eindrücke mit denen der anderen vergleichen,
um dabei die Sache noch mehr zu vertiefen. Selbstverständlich ist es
nicht falsch, sich vor einer Kunstreise durch Literatur zu informieren, be-
45
sonders wenn man andere Menschen, Schüler oder Studenten, die mit-
fahren, vorbereiten und ihnen Sachkenntnisse beibringen möchte. Es
könnte auch förderlich sein, jemandem zuzuhören, der schon Erfahrun-
gen gesammelt hat, oder an einer professionellen Führung teilzunehmen.
Ich habe allerdings oft erlebt, dass es die Erfahrungen sind, die man
selbst gesammelt hat, die zu tieferen Erkenntnissen führen, auch wenn
die Einsichten anderer dem eigenen Erkenntnisprozess selbstverständlich
förderlich sein können.
Rückblickend kannst du versuchen im gedanklichen buchstäb-
lichen Rückwärtsgang , nachzuvollziehen, wie du zu einem abschlie-
ßenden Überblick gekommen bist. Welche Beobachtungen führten dich
zu weiteren Betrachtungen, die sich als günstig erwiesen, dir die Augen
für Wichtiges zu öffnen? Wenn du die Wahl hattest, in verschiedene
Richtungen zu gehen, was bewirkte deinen Entschluss oder den Zufall,
genau die Richtung einzuschlagen, die dich rasch zu einem interessanten
Anblick, Motiv oder Bild hinleitete? Mit solchen Fragen berührst du ein
Feld in deiner Seele, wo du die Schlüssel finden kannst, die dir den Blick
dafür öffnen können, ob du mit dem Ort, wenn es sich um eine alte
Anlage handelt, gegebenenfalls aus einem früheren Leben verbunden bist
oder nicht.
Heiterster Humor und tiefster Ernst in der Kunst
Große Künstler zeichnen sich darin aus, dass sie ihr künstlerisches An-
liegen ernsthaft umsetzen können, aber auch einen unmittelbaren Bezug
zum Humor haben, den man in ihren Werken wiederfinden kann. Der
dänische Architekt Erik Asmussen (1913 1998) der vor allem in Schwe-
den tätig war ließ seinen Humor immer als kreative Qualität in seinen
Gebäuden sichtbar werden.20 Zumal ich ihn privat gut kannte und auch
seine Professionalität und Ernsthaftigkeit in mehreren Projekten kennen
lernte, wo ich für die gesamte Farbgestaltung der von seinem Büro
signierten Häuser verantwortlich war, wusste ich seinen diskreten, aber
expliziten Humor zu schätzen.
Weil Asmussen zu Beginn seiner Berufstätigkeit ein ausgebildeter
Maurer war, ließ er später sein praktisches Wissen über Holzheizung
und das Gemütliche eines offenen Ofens in das Architektonische einflie-
ßen. Für einen gewinkelten Speisesaal heute ein öffentliches Restau-
rant eines Zweckgebäudes auf dem Gelände des Rudolf-Steiner-
Seminars in Järna, Schweden, Robygge genannt, der viele Fenster und
20
Gary J. Coates, Erik Asmussen, architect. Max Plunger, Photographs, Susanne
Siepl-Coates, Drawings. Byggförlaget, Stockholm 1997.
46
Holzpaneelen hat, schuf er das Design einer großen, offenen Feuerstelle
an der innersten Sitzecke des Saales. In diesem Fall handelt es sich um
einen im Schwedischen sogenannten öppen Spis , der die Feuerstelle in
der Ebene des Zimmerbodens hat. Er ragt mit der großen Öffnung in die
Höhe und seine plastische Form schwingt sich nach links um den da-
hinter pilasterähnlich stehenden, sichtbaren und weiß gestrichenen
Schornstein.
Die Putzflächen des in den Raum ragenden hohen Heizkörpers erwe-
cken den Eindruck, man habe eine grazile Skulptur vor sich, die wegen
der schön nach oben sich streckenden Linien eine eher harmonische,
gentile Stimmung bewirkt. Mitten in der Bewegung nach oben macht
eine der Ecklinien auf der linken Seite aber einen gezackten Knick nach
links und wieder nach unten, so dass die Harmonie vom gemeinten
Kunstgriff etwas durcheinander gebracht wird. Diese Stelle wirkt im gro-
ßen Ganzen wie ein kleiner Scherz. Etwas Belustigendes taucht auf und
macht diese Feuerstelle erst zu dem Kunstwerk, das es für viele Men-
schen ist.
Den Ernst dieses Architekten kann man an vielen Gebäuden erkennen
und in Planungen wiederfinden, die in seinem Architektenbüro entstan-
den sind. An dem sogenannten Kulturhaus in Ytterjärna, Schweden,
kann man sowohl das Ernsthafte wie auch das Heitere an vielen Stellen
studieren. Aus verschiedenen Winkeln betrachtet, wirkt das komplexe
Gebäude mit seinen konvexen und konkaven Dachformen von außen
her amüsant, beschwingt und frohgemut. Von der Westseite aus gesehen,
von wo aus man auch mit Verkehrsmitteln zu diesem Studien- und Ver-
anstaltungsort hinkommt, wirkt das Kulturhaus streng, gewissenhaft und
monumental.
Beim Studium der Architektur und beim Aufenthalt in den Bauwer-
ken eines Künstlers wie Erik Asmussen können wir in der Sinneswelt
geistige Gesetzmäßigkeiten wiederfinden. Anfangs geht es um die
Zweckmäßigkeit, das Funktionale, das unmittelbar Praktische, das sich
sachlich und urbildhaft offenbart. Wenn wir uns darin zurecht finden,
uns quasi heimisch fühlen und alle eventuell vorhandene Angst am Ernst
der Sache überwinden können, spielt Lustiges hinein und Beschwingtes
taucht auf kurzum: Amüsantes ereignet sich.
In dieser Phase soll aber der Ernst nicht aus dem Blick geraten. Er
muss aus dem Hintergrund der eigenen Seele dem von außen auftreten-
den Auslöser des Humors eine Resonanz geben, so dass eine Art Ge-
spräch mit dem Unbekannten, eine angemessene Spielfreude, entstehen
kann. So wird Humor und Ernst den Geistesschüler in allen Tätigkeiten
des normalen und des meditativen Lebens als zwei schöpferische Kräfte
begleiten können. Sie werden in ihrem dynamischen Bezug dafür sorgen,
dass man eine innere Mitte immer wieder zwischen ihnen herstellen
47
kann, wo das innere Licht des Geistes und die Wärme der Seele leben
können.
Die Zeitkünste
Die Zeitkünste sind Musik; Dichtung, Literatur und Dramatik; Mime,
Tanz und Eurythmie und außerdem noch die sogenannte siebte Kunst,
die manchmal als soziale Kunst oder Heilkunst bezeichnet wird. Auf die-
se siebte Kunstart, die auch mit Kultus, Pädagogik und Lebenskunst im
Allgemeinen zu tun hat, werde ich später im Buch zurück kommen, sie
in diesem Abschnitt also nicht behandeln.
Bei den Raumkünsten haben wir gesehen, dass die Kunstwerke fest
und reglos im Raum vorhanden sind, so dass wir uns bei der Betrachtung
mit dem eigenen Körper frei bewegen können. Beim Anhören und An-
schauen von Zeitkünsten steht bzw. sitzt man selbst normalerweise still,
und das, was durch die Künste hervorgebracht wird, ist in Bewegung. Die
Musiker bewegen vorwiegend die Arme beim Orgelspiel auch die Fü-
ße. Fast immer werden Teile der Instrumente in Bewegung versetzt, um
Töne oder Klänge auszulösen. Die Schauspieler und Tänzer bewegen
sich oder Requisiten und Puppen werden vor uns auf der Bühne bewegt.
Bei den Raumkünsten nehmen wir uns Zeit, um sie einzuordnen, die
Zeitkünste dagegen nehmen sich selbst Zeit , um uns etwas beizubrin-
gen.
In der Musik tauchen wir beim Zuhören in eine innere Welt ein. Wir
können sogar die Augen schließen, ohne dabei etwas Essenzielles zu ver-
lieren. Die Musik nimmt eine Mittelstellung zwischen den bildenden
Künsten und den anderen Zeitkünsten ein. Hier wirst du als Zuhörer
ganz auf dich gestellt. Mehr als bei den anderen Künsten begegnest du
im Musikalischen dir selbst als einem Bewusstseinswesen. Du wirst auf
dein individuelles Ich gestellt und in der Seele leise herausgefordert. Un-
sere Seele wird durch die Musik jenseits des bloßen Verstehens zum inne-
ren Mitgehen aufgerufen und sie hat eigentlich keinen literarischen Inhalt,
der vermittelt werden muss.
Bei der Vokalmusik ist es natürlich anders, und speziell die Oper stellt
eine Übergangsform zu Dichtung und Drama dar. Die Musik vermittelt
zwar populäre und kulturelle Eigenarten, aber sie setzt gewöhnlich keine
Konfessionen voraus. Sie ist sogleich kosmopolitisch. Durch Musik wer-
den die eigene Seelentätigkeit und die Kreativität angeregt, so dass so-
wohl Erinnerungen als auch innere Bilder, Klangfarben, Motive, Ausbli-
cke und Geschichten in der Seele des Zuhörers entstehen. Der Antrieb,
Imaginationen mitzugestalten, kann durch die Musik tatsächlich in dei-
ner Seele geboren werden.
48
Durch die dreifache Dichtkunst Prosa, Lyrik und Dramatik
wirst du zunächst ganz auf das Wort, auf die Sprache gestellt. Dein Den-
ken, Fühlen und Wollen bekommen durch Fiktion, Ideen, Erzählungen,
Monologe, Dialoge, Gespräche, Charakteristiken, Handlungsabläufe
und Tragödien Anstöße, so dass du das Gelesene, Gehörte und Erlebte
mit dem vergleichen kannst, was dir das persönliche Leben widerspie-
gelt. Dadurch fasst du vielleicht Mut, etwas Neues zu beginnen oder
etwas Veraltetes in deinem Leben zu verändern oder zu verwandeln.
Humoristisches, Stimmungen, Gemütszustände, Lebenserfahrungen und
Fragen, die dich bewegen, all das begegnet dir im Literarischen oder im
Dichterischen. Du reifst durch Miterleben, Anteilnahme, Mitgefühl,
Trauer oder Identifikation. So war beispielsweise die erwünschte Wir-
kung des griechischen Trauerspiels, bei den Zuschauern einen Reini-
gungsprozess, eine Katharsis auszulösen.
Kunstarten, die mit Bewegungen, Positionen, Stellungen, Gesten,
Mienenspiel, Zeichen, Gebärden, Gestikulation und Mimik arbeiten,
sind z. B. Pantomime, Tanz, Ballett und Eurythmie. Sie können Kunst-
werke der Musik oder Dichtung mit ihren eigenen Kunstelementen ge-
treu wiedergeben, gegebenenfalls sie übersetzen, sie frei interpretieren
oder andere Fragen und Motive aufgreifen. Der moderne Ausdruckstanz
bringt ganz neue und eigenständige Werke hervor und stellt sie durch
eigene Kunstmittel auf die Bühne. Die Eurythmie, die aus der Anthropo-
sophie entstand und somit eine sehr junge Kunstart ist, macht sichtbar
Elemente der Musik und der Dichtkunst durch Bewegungen der mensch-
lichen Gestalt, die direkt mit der geistigen Quelle derselben Elemente
korrespondierten. Die Eurythmie besitzt die schöpferische Kraft, alle
klassischen Künste neu zu inspirieren, und sie könnte in der Zukunft aus
sich heraus neue Kunstarten gebären.
Ich-Begegnung in der Musik
Gelegentlich konnte ich die neuen Musikinstrumente von Gunnhild von
Kries hören und sie selbst ausprobieren. Das sind z. B. Saiteninstrumen-
te, die mit dem Begriff Tachtivirta (finnisch: Sternenstrom) benannt wer-
den. Diese durch plastisches Schnitzen gefertigten Instrumente werden
entweder aus einem Stück Holz, z. B. Birke, Eiche oder Linde, oder auch
aus Hölzern von zwei oder auch drei verschiedenen Holzarten gebaut.21
Beim Spielen und Anhören dieser Saiteninstrumente, die mit Fiedel-
21
Zu ihrem künstlerischen und geisteswissenschaftlichen Ansatz siehe Gunnhild
von Kries, Zeit heilt. Begegnungen mit dem Klang der Zeit, Oratio Verlag, Schaffhau-
sen 2003.
49
bogen gespielt werden, bekam ich einmal ein seltsames Ich-Erlebnis, was
ich in dieser Art sonst nie erfahren habe. Ich erlebte mich selbst so, als ob
ich getragen wurde und mich dabei ganz geborgen fühlen konnte, gleich-
zeitig aber auch in einer vertikalen Wachheit aufrecht gehalten wurde.
Deswegen wollte ich meditativ nachforschen, ob ich einen karmischen
Hintergrund entdecken würde, der mit diesen musikalischen Affinitäten
zu tun haben könnte. In einer Meditation kam ich in das Leben des Grie-
chen Agamon, des späteren Wagenlenkers, hinein, das heißt in eine mei-
ner Inkarnationen, die ich in meiner karmischen Autobiografie beschrie-
ben habe.22 Ich erschaute eine Situation aus seiner Jugend, die ich vorher
nicht gekannt hatte: Der Jüngling, Agamon, ist mit Verwandten und
Ortsbewohnern aus Delphi in einem Schiff im Mittelmeer unterwegs
nach Hause. Es ist ein flauer, heißer Nachmittag, fast Windstille, und die
Ruderer halten eine Weile die Holzruder still, nachdem sie stundenlang
gerudert haben. Beim Rudern wird im Rhythmus dazu gesungen. Jetzt
merken die Bootsfahrer, dass der Wind zunimmt. Die Segel werden
schnell gesetzt. Dabei stimmt Agamon einen Sologesang an, sich auf sei-
ner Leier begleitend und mit Tönen den Wind nachahmend. Windböen
blähen die Segel auf und das Schiff kommt kräftig in Fahrt, während die
Seefahrer ihre Ruder einziehen. So kommen die müden Händler noch
vor der Abenddämmerung im Hafen von Delphi an.
Damit war die Schau aber noch nicht zu Ende. Nach dem Ausladen
der im Austausch gegen Wolle, Wein und Olivenöl erworbenen Getrei-
desäcke, Lederwaren und Silbermetall, die in Ochsenwagen zum Dorf
hinauf gebracht wurden, wird ein Fest gefeiert. Ein Höhepunkt des
Abends ist für Agamon das Leierspiel einer Gruppe von älteren Musi-
kern, deren Solosänger dann einstimmt, als für die Zuhörer der Augen-
blick geschildert werden soll, wenn der Wind die Segel eines Schiffes auf-
treibt. Der Sänger stellt den Mast mit dem Segel dar. In der Imagination
war es eindeutig, dass für die Griechen ein Segelschiff ein Sinnbild der
Menschenseele ist und ein mit einem Segel gespannter Mast die Fähig-
keit des Menschen widerspiegelt, dass sein Daimon, das Ich, den Stürmen
des Lebens standhalten und von ihnen Gebrauch machen kann.
Bekleidungskunst
Gegenwärtig gibt es eine Anzahl von anderen Künsten, die mit den
schon beschriebenen durchaus zu tun haben können, aber doch eigen-
ständig sind und deshalb ihren eigenen gesellschaftlichen Rahmen erhal-
ten haben. Das sind beispielsweise Garten- und Landschaftskunst, Floris-
22
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 207ff.
50
tik, Bekleidungskunst und Filmkunst. Dann haben wir eine Reihe von
Handwerken und Kunsthandwerken sowie Design überhaupt, die alle
mit künstlerischen und ästhetischen Mitteln arbeiten. Sie alle stellen sich
in die Zusammenhänge der klassischen Künste ungekünstelt hinein. Seit
der Moderne und Postmoderne können wir darüber hinaus auch die vie-
len Typen von Happenings, Aktionen, Installationen, Graffiti, Sozial-
plastiken, Gesamtkunstwerken, audiovisuellen und anderen technischen
Darstellungen als Kunstphänomene mitrechnen.
Für den Geistesschüler, der sich mit Karmaerkenntnis in der Weise
befassen möchte, dass er frühere Erdenleben geistig zu schauen versucht,
wird es durchaus wichtig sein, einige dieser Modernitäten diagnostizie-
ren zu können. Fragen zur Garten- und Landschaftskunst werden wir in
nachfolgenden Kapiteln etwas zu bedenken haben. Jetzt wollen wir mit
unserer Betrachtungsweise Einigem über die Bekleidungskunst und den
Film nachgehen, was ein Licht auf charakteristische geistige Phänomene
werfen kann.
Die Bekleidungskunst ist die Kunstart, die uns Menschen buchstäblich
nahe ist und uns im Leben begleitet, ob wir danach fragen oder nicht. Die
Geschichte des Kleidungsstils, des Volkstümlichen oder Epochalen in
Tracht und Mode, der Kopfbedeckung, der Hüte und Schuhe ist wahr-
lich ein Studium wert für denjenigen, der sich selber und Andere in ver-
gangenen Zeiten karmisch erkennen möchte. Auf welche interessanten
Zusammenhänge ich einmal mit einer Freundin in meditativer Arbeit
über die esoterische Bedeutung des Kopfschmucks eines Indianerhäupt-
lings stieß, werde ich später an geeigneter Stelle im 4. Teil wiedergeben.
Die so genannte Kleinodienkunst, das Schmücken mit Ringen, Arm-
bändern, Colliers, Ohrgehängen usw. hat eine uralte Tradition, die durch
Forschungen der Archäologie bestätigt wurde. Heutzutage erfährt diese
Kunstart interessanterweise in der westlich orientierten Welt mit dem
Piercing eine Erweiterung oder Renaissance. Ein einfluss- und aufschluss-
reiches Fachgebiet ist auch die herrliche Kunst des Frisierens. Außerdem
gibt es die bezaubernde Kunst der Tätowierung.
Die Bekleidungskunst ist nicht weg zu denken, wenn du die verschie-
densten Berufe berücksichtigst und z. B. auch an die unterschiedlichen
Uniformen denkst. Sie hat ebenfalls eine Verbindung zur Tanzkunst. Ihrer
bedarf jeder Schauspieler, Sänger und Musiker auf der Bühne. Die Mate-
rialien der Kleider der Menschen stammen herkömmlicherweise aus dem
Mineralreich, aus dem Pflanzenreich oder aus dem Tierreich. Die klassi-
sche Art der Herstellung von Bekleidung ist untrennbar mit interessanten
Berufen verbunden. Durch die Ethnographie wird die Mannigfaltigkeit der
Bekleidungskunst in der Erdenkultur dokumentiert. Wie ist dein Ver-
hältnis zu Kleidern, Stoffen und Farben, die du trägst? Welche möchtest
du nicht tragen?
51
 Wenn wir Baumwolle, Leinen, Seide, Wolle, Filz, Fell, Leder, Nylon
und Polyester sagen, berühren wir damit gleichzeitig eine Kulturentwick-
lung über Tausende von Jahren hin. Die Bedeutung der Farben für die
Kleider ist ein Kapitel für sich, das auch Goethe in seiner Farbenlehre
eingehend behandelte. Nicht nur die geografische Bedingtheit bestimm-
ter natürlicher Farbstoffe, die zum Färben verwendet wurden, oder die
örtliche Herstellungsmöglichkeit von synthetischen Farben haben die un-
terschiedlichsten Moden in den Ländern geschaffen; auch die Gemüts-
unterschiede und die verschiedenen seelischen Eigenschaften der Völker
und ihre Sitten prägten sie, entwickelten sie weiter und ließen eine Viel-
falt an Mustern und Farbigkeit entstehen, wie es uns die Geschichte der
Bekleidung dokumentiert.
Später werden wir erfahren, welche Bedeutung eine Beschäftigung mit
dem Thema Fußbekleidung für den Karmaschüler haben kann. Puschen,
Schlappen, Pantoffeln, Sandalen, Pantoletten, Mokassins, Latschen,
Halbschuhe, Clogs, Schuhe, Galoschen, Stiefeletten, Stiefel, Langschäf-
ter, Kanonenstiefel, Knobelbecher, Würfelbecher sind nur einige Benen-
nungen, welche diesen interessanten Bereich der Garderobe andeuten.23
Der schwedische Kleidungsentrepreneur Erik Sohl, dem ich viele Jahre
mit Konzepten für Logos, Broschüren und Ausstellungen betreute, pro-
duzierte seine Seiden- und Wollkleidungen aus der Auffassung, dass Be-
kleidung die zweite menschliche Haut ist. Die Aufgabe der Kleider be-
steht nicht nur darin, uns vor der Außenwelt, vor Kälte, Sonne, Wind
und Regen zu schützen, sondern sie geben uns die Möglichkeit, Persön-
liches, Berufliches oder Kulturelles, das heißt psychologische Disposi-
tionen durch Farbe und Form nach außen darzustellen. Diesbezüglich
schafft die Bekleidung als tragbare Behausung für den Körper und für die
Seele eine Hülle für die Bewusstseinsentwicklung nicht nur innerhalb des
derzeitigen Lebens, sondern auch innerhalb der Wanderschaft von Le-
ben zu Leben.
Der sich durch Reinkarnation entwickelnde Menschengeist bekommt
durch die Bekleidungskunst eine Möglichkeit auf der Erde, etwas Ver-
wandtes zu erleben, was er in geistigen Regionen durchgemacht hat, als
seine Geistgestalt sich karmischer Züge nach dem Tode entkleidete ,
nach himmlischen Maßen Umgewandeltes anzog und es vor einer
neuen Geburt mit dem zu ihm mit seiner Vergangenheit zusammenge-
hörigen Zeitstil ausstaffierte . Verschiedene Kleidungsteile wie Mützen,
Hüte, Barette, Kragen, Krawatten, Schals, Schulterklappen, Schließha-
ken, Knöpfe, Ärmel, Manschetten, Stolen, Ponchos, Westen, Schürzen,
23
Ein ansprechendes Buch zum Thema ist: László Vass & Magda Molnár, Her-
renschuhe handgearbeitet, Fotografie Georg Valerius, Könemann Verlagsgesell-
schaft mbH, Köln 1999.
52
Gürtel, Hosen, Röcke sind sowohl aus erdbedingten, funktionellen wie
auch aus kulturellen Anlässen entstanden. Sie haben dennoch Eigen-
schaften, die auf eine Verbindung zu geistigen Gesetzmäßigkeiten hin-
weisen.
So wird der Fortgeschrittene, wenn er übersinnliche Naturwesen, Ver-
storbene und Geistwesen in ihren hervortretenden Gestalten und Silhou-
etten mit dazu gehörenden Attributen imaginativ schaut, auf interessante
Parallelen zur Bekleidungskunst stoßen. Für den Geistesforscher ist es
unentbehrlich, sich genau in allen Entwicklungsmöglichkeiten der
Menschheitsgeschichte auszukennen, um die Gegebenheiten und Situa-
tionen der imaginativen und geistigen Welten zuverlässig zu erkennen.
Ich möchte hier nachdrücklich klarstellen, dass es nicht darum geht, die
Beschaffenheit der physischen Welt auf die geistige Welt direkt zu über-
tragen. Wenn man so verblendet wäre, die Geistwelt sich als das vorzu-
stellen, was die physische Welt ist, erläge man einem Irrtum. Nichts-
destotrotz sagt Steiner einmal etwas Überraschendes, das uns in gewisser
Hinsicht vielleicht zuerst unsicher machen könnte:
Im echten, wahren Sinne geistige Anschauung heißt, das Sinnliche auf
geistige Art sehen und das Geistige auf sinnliche Art. Das erscheint
paradox, aber es ist so.24
Ich glaube, Steiner meint, dass es darum geht, die sinnliche Welt aus ei-
ner erhöhten Perspektive zu verstehen, weil sie eine Folge geistiger Wir-
kungen ist. Und wenn wir dann die geistige Welt anschauen, sollte sie
aus der erweiterten Betrachtung des Sinnlichen aufgefasst, aus einer An-
schauung begriffen werden, die das Physische nicht auf atomare Schwin-
gungen begrenzt, sondern z. B. eine künstlerische Auslegung erlaubt, wel-
che geistige Gesetze berücksichtigt. Wir können wirklich entdecken, dass
Wesenheiten der geistigen Welt im Laufe der Entwicklung ihre Ordnun-
gen den Menschen übergeben haben. Dies ist durch Vorgänge und Pro-
zesse geschehen, die dazu geführt haben, dass das, was im Physischen
entsteht, lange noch nicht dem entspricht, was im Geistursprung gewe-
sen ist. Das Kennenlernen der äußeren Entwicklung und der Geschichte
schafft studienhalber jedoch eine Basis, die uns beim Schauen von Geis-
tigem ermöglicht, uns schrittweise orientieren zu lernen.
Selbst hatte ich interessanterweise zur Krawatte ein geteiltes Verhältnis
in meinem Leben. Als Kind liebte ich es, meine Onkel nachzuahmen,
wenn wir bei unseren Großeltern in Helgeland, Nordnorwegen, in den
Sommerferien waren. Sonntags durfte sich jeder Maskuline zum Früh-
stück nur bemerkbar machen, wenn er frisch gebügelte Sonntagskleider
24
Rudolf Steiner, Der pädagogische Wert der Menschenerkenntnis und der Kulturwert
der Pädagogik, GA 310, Dornach 1965, Seite 125.
53
mit weißem Hemd und Schlips an hatte und das Haar mit Wasser fein
gekämmt war. Als Teenager legte ich die Krawatte ganz ab mit wenigen
Ausnahmen, um sie zuerst wieder anzuziehen, als ich das Abenteuer an-
packte, in vielen Ländern als Vortragsredner aufzutreten. Die abwech-
selnde Benutzung dieses abendländischen Kleidungsstücks hatte mich
interessante Aspekte erkennen lassen zu Jahrhunderte zurückliegenden
Realitäten, wo ich zum Thema Hals und Kehlkopf andere Bezüge als
heute hatte.
Film
Der Film ist eine junge Kunstart. Manche Menschen meinen, dass wir es
hier eigentlich mit Kunst überhaupt nicht zu tun haben. Dessen unge-
achtet arbeiten in einer Filmproduktion zweifellos so viele verschiedene
Künstler und Kunsthandwerker mit wie kaum in einem anderen Kunst
betreibenden Etablissement. Warum sollte dann das Produkt, das aus
dem gemeinsamen Schaffen dieser Künstler hervorgeht der Film ,
als Kunstwerk in Frage gestellt werden?
Für eine Filmproduktion können alle anderen Künste zusammen-
kommen oder auftreten. Was in der illustrativen Kunst in gezeichneten
Serien in Heften und Büchern angeschaut werden kann oder was im
Puppenspiel durch Spieler vorgeführt wird, entsteht wie unikal zauber-
haft auf der Projektionswand in einer beweglichen Erscheinungsform im
Zeichentrickfilm. Durch moderne Techniken wie Animation und Synchro-
nisierung ist der Film heute so perfektioniert worden, dass der alltägliche
Kinobesucher wohl nicht an klassische Dramaturgie und Ästhetik denkt.
Der Anthroposoph und Filmforscher Willy Buzzi (1916 2005), von
dem ich in meinem ersten Buch erzählte, wies darauf hin, dass Rudolf
Steiner zum Film bemerkt hätte, dass dieser über geeignete Darstellungs-
möglichkeiten verfüge, Themen zu Reinkarnation und Karma zu illustrie-
ren. So ist es interessant, festzustellen, dass ein großer Teil der kurzen
Filmgeschichte tatsächlich Themen umfasst, die mit Okkultismus, Magie
und übersinnlichen Phänomenen zu tun haben. Berühmte Regisseure
wie u. a. Ingmar Bergman, Alfred Hitchcock, Akira Kurosawa, Steven Spiel-
berg, Andrej Tarkowskij und Wim Wenders haben in ihren Filmen immer
wieder psychologische, paranormale und geistige Phänomene behandelt.
Besonders seit Anfang der 1990er Jahren werden wir von Filmen über-
flutet, die diese Fragen aufgreifen, aber auch Nahtoderlebnisse, Engel-
begegnungen und frühere Erdenleben werden als etwas Natürliches und
Ungekünsteltes derzeit zur Schau getragen.
Im Umgang mit dem Film sind für den Geistesschüler einige wichtige
Effekte und Tendenzen zu beobachten. Du solltest dich beim Zuschauen
54
einerseits bewusst fragen, was mit dem Film aus kommerziellen, philo-
sophischen, psychologischen oder ästhetischen Neigungen heraus beab-
sichtigt ist, aber auch währenddessen und eigentlich immer danach in
deine Seele hineinlauschen, um herauszufinden, wie der Film auf dich
wirkt. Oft gehen durch die Geschwindigkeit und den schnellen Wech-
sel der Bilder, besonders in Musikvideos und Reklamefilmen, solche
intimeren Wirkungen unter. Nach längerer Zeit kann es sein, dass be-
stimmte Bilder in Träumen oder z. B. als Störungen in Meditationen wie-
der auftauchen, oft verändert oder modifiziert, weswegen man manch-
mal nicht mehr weiß, dass sie aus Filmen stammen, die man gesehen
hat, wenn man bei sich diesbezüglich nicht aufräumt und sich davon
gesäubert hat.
In diesem Zusammenhang wäre es adäquat, sich mit dem Fernsehen,
mit Computerspielen und dem Wirkungsbereich des Internets zu befas-
sen. Um die vielen Tendenzen und Eigenschaften künstlerischer Art in
diesen neuesten Medien sachgemäß darzustellen, wäre eine ausführliche-
re Analyse angebracht, die den Rahmen dieses Buches aber sprengen
würde. Es gibt meiner Ansicht nach hier so viel Interessantes zu erken-
nen, das mit dem Erringen geistiger Erkenntnisse zu tun hat, dass es
wünschenswert wäre, eine gesonderte Niederschrift darüber ausarbeiten
zu können. Ich möchte nur kurz bemerken, dass moderne Filmpro-
duktionen viele Inhalte haben, die Spiegelungen und manchmal Verzer-
rungen dessen sind, was in der Akasha durch geistige und karmische
Forschung geschaut werden kann.
Ausstellungskunst
In jeder Kunstart verbinden sich substanzielle Form und ideeller Inhalt zu
einer Einheit, die ein Werk sinnlich erscheinen lässt. Entweder prägt
sich eine Idee in die Materie ein, die der Künstler in der Ausarbeitung
sichtbar machen will, oder er entdeckt im Stoff, das er bearbeitet, Inhalt-
liches, das seiner schöpferischen Fantasie anregt. Diese beiden Gegen-
pole Physisches und Geistiges können sich auf vielfältige Art be-
gegnen, ergänzen und mehr oder weniger stark die künstlerische Bearbei-
tung beeinflussen, so dass beim Erleben des fertigen Kunstwerks das See-
lisch-Geistige des Betrachters angesprochen wird.
Wie ein Kunstwerk präsentiert wird, hat einen Einfluss auf die Auf-
nahmefähigkeit des Betrachters. Jeder Stil ist eine Darstellungsform, die
über das Anliegen des Künstlers etwas aussagt, besonders wenn er zu
einem bestimmten Kunststil etwas Neues beiträgt. Jede Ausdrucksform,
jeder Ort, wo ein Kunstwerk sichtbar oder hörbar wird, schafft zusätzlich
eine Stimmung, die für das Kunstgenießen ausschlaggebend ist. Wenn
55
man die Möglichkeit hat, dieselben Kunstwerke in verschiedenen Gale-
rien oder Museen zu sehen, kann man Acht geben, ob und wie die Um-
gebung eine Auswirkung auf sie hat oder nicht. Schon wenn ein gemaltes
Bild einen neuen Rahmen bekommt, ist es jedoch in seiner Ausdrucks-
kraft verändert. Die Ausstellungskunst beinhaltet also, auf welche Art und
Weise und in welcher Umgebung Kunstwerke gezeigt werden.
Über viele Jahre hin kam mir gemeinsam mit einer Kollegin die Auf-
gabe zu, Kunstwerke, Kunstgewerbe und Gegenstände z. B. Bücher
und Spielzeug zu arrangieren und ihnen in den Schaufenstern, den
Messen und den Museen, den entsprechenden Raum zu geben. Wir
setzten zum konkreten Ausstellungszweck oft die Aspekte aller Künste
und neu hergestellte Designobjekte ein, und wir arbeiteten mit anderen
Künstlern und mit Architekten zusammen, so dass der Geschmack und
die Wünsche der Aussteller optimal gerecht werden konnten. Es entstan-
den Halter, Träger, Einfassungen, Gestelle, Ablagen, Stufen, Regale,
Mobiliar, Staffeleien, Stellwände usw. Sie erhielten durch Dekorations-
malerei und Oberflächenbehandlung einen für die ausgestellten Dinge
angemessenen Duktus. Es war immer wieder erstaunlich, festzustellen,
wie stark Form und Farbe in ihrer Gestaltungskraft sein können und
welche Tragweite sie haben. Manchmal konnten ganz neue Seiten eines
Kunstwerks, eines Bildes oder eines Textils durch die Unterstützung des
Inventars ans Licht kommen.
Die Idee der Ausstellungskunst ist, ein Überbringer, ein Leib oder
Kleid für das Kunstwerk oder das Kunsthandwerk zu sein. Wenn ein
Mobiliar es schafft, das Kunstobjekt ins Blickfeld zu rücken, wird es
selbst zu Kunst. Die Utensilien der Ausstellungskunst, die in Anbetracht
der präsentierten Werke sekundär sein sollen, gewinnen selbst an
Image , wenn sie unauffällig sind und es dabei trotzdem schaffen, das
Ausgestellte noch stärker hervorzuheben. Dieses Paradox der Ausstel-
lungskunst zeigt ein Gesetz, das wir im Geistigen des Meditierens lernen,
als Grundsatz wiederzuerkennen.
Die Vermittlerrolle sinnlicher Gegenstände weist auf Motive hin, die
wir im Übersinnlichen kennen lernen können. Das Wesen des Geistigen
wird in mehreren Ebenen höherer Bewusstseinsarten eingekleidet ,
vorgeführt und durch form- und farbeverwandte Erscheinungsweisen
dem meditativen Beobachter seelisch nahe gebracht. Deswegen können
wir gerade von der Ausstellungskunst sehr viel lernen und bestimmte
Grundlagen erarbeiten. Wir lernen, das Wesentliche vom Nebensäch-
lichen zu unterscheiden, sodass die Bekleidung also die Erschei-
nungsform nicht für die Wesenheit selbst gesehen wird. Oder wir er-
kennen eben, dass das entsprechende Wesen sich genau dergestalt zeigt,
dass z. B. Bescheidenheit und andere Tugenden sein ausgeprägter We-
senszug sind.
56
Im imaginativen Bewusstsein besteht die Gefahr, dass Inhalt und
Form verwechselt oder durcheinander gebracht werden. Aber eine Inspi-
ration, die das Wesentliche erfassen soll, kann auch irreführen, wenn
man ganz auf den imaginativen Deckmantel verzichtet. Deshalb ist zu
raten, sich bereits in der Sinneswelt an den Form-, Farb-, Klang-, Laut-
und Bewegungstendenzen der Künste und auch die der Natur zu schu-
len, so dass man nach und nach dem Eigenständigen und Andersartigen
des Geistigen mit Bereitschaft begegnen kann. Wenn man Geistiges er-
lebt, kann man sich bei der Interpretation orientieren an den Bedingun-
gen und Gesetzen des Künstlerischen, um zu einer aus geistiger Intuition
erfolgten Erkenntnis zu gelangen.
Künstlerisch tätig sein eine malerische Übung
Durch Kunstbetrachtung und Erfahrungen, die du allgemein im Kultu-
rellen sammelst, schulst und entwickelst du nötige Seelenverfassungen, Be-
herrschung, Würde, Ergebenheit und andere Tugenden und Verhaltens-
weisen, die dir auf dem inneren Schulungsweg in der Begegnung und
beim Umgang mit nichtmateriellen Tatsachen und Wesen den Anstoß
zum Erforschen geben und dir dabei helfen werden. In der künstleri-
schen Tätigkeit aber erwirbst du dir nicht nur derartige Fähigkeiten, son-
dern du kannst deine Seele außerdem so weiterentwickeln und erweitern,
dass du eine Bereitschaft für Mannigfaltiges auf den Ebenen des Übersinn-
lichen und Spirituellen erlernen kannst.
Hier ist nicht Platz dafür, nochmals durch alle Kunstarten zu gehen,
um zu beschreiben, was du dort alles erüben und entwickeln kannst, aber
eine Handvoll Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung möchte ich dir
mit auf dem Weg reichen. Es gibt dazu viel Literatur oder auch Kurs-
angebote, die jedem Interessierten weiterhelfen können.25 Jedem, der mit
Malen sich nicht so gut auskennt, aber gern etwas probieren möchte,
werde ich eine ganz einfache, praktische Grundübung beschreiben, die
du mit Farbstiften oder wohl noch besser mit Aquarellfarben ausführst.
Du brauchst beispielsweise die folgenden Farben: zitronengelb, preu-
ßischblau, ultramarinblau, zinnoberrot, karminrot, weiß und schwarz.
Du nimmst ein weißes, etwas größeres Stück Papier und legst es hoch-
kant vor dich hin. Die Farben und den Pinsel hast du zur Hand. Auch
einen Topf mit Wasser stellst du vor dich hin. Du betrachtest die weiße
Fläche des Papiers und denkst an Einiges in der Welt, was ursprünglich
25
Martina Maria Sam, Bildspuren der Imagination, Rudolf Steiner Verlag, Dor-
nach 2000. Bert Voorhoever, Bilder als Quelle innerer Kraft, Phantasietraining
durch Bildarbeit, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1995.
57
weiß ist, nämlich Schnee, Wolken, Milch, Knochen, Kreide usw. Bevor
du später die weiteren einzelnen Farben mit dem Pinsel aufnimmst,
überlegst du wiederum zunächst, wo diese Farben in natürlicher Einord-
nung zu finden sind. Du nimmst nun von der zitronengelben Farbe mit
dem ein bisschen wassernassen Pinsel etwas auf und malst unten links
auf dem Papier einen runden Fleck. Du betrachtest ihn eine ganze Wei-
le. Tut sich etwas um den Fleck herum? Siehst du eine andere Farbe, die
auffallend das Gelbe umstrahlt? Als Nächstes malst du in gleicher Weise
einen preußischblauen Fleck unten rechts auf dem Papier, ohne dass er den
gelben berührt. All die Farbflecke, die du zunächst auf das Papier malst,
sollen um sich herum einen weißen Freiraum haben solange Platz
dafür ist , in dem du die mitklingenden Komplementärfarben sehen und
erleben kannst. Nun lässt du auf beiden Seiten, links zinnoberrot und
rechts ultramarinblau, über den vorher gemalten Flecken neue erschei-
nen. Du malst dabei gleich auch zum Teil über die schon auf dem Papier
vorhandenen Farben hinweg, so dass Mischungen entstehen. Die Formen,
die sich nach oben hin suchen, gleichen z. B. dicken Stämmen, Streben
oder Pfeilern. Links entstehen dann Schattierungen von Orange und
rechts ein mittleres Blau.
Wenn du nun die Farben zu beiden Seiten ein wenig nach außen und
nach innen zu Halbbögen ausgemalt hast, bringst du von oben her mit
dem Karminrot nach beiden Seiten neue Mischungen hervor links ein
Zwischen-Rot und rechts ein Blauviolett. Danach lässt du ganz unten in
der Mitte durch neue Pinselstriche mit Gelb und Blau ein grünes Feld
entstehen. Dann malst du mit noch mehr karminroter Farbe im oberen
Bereich von der Mitte aus zu den beiden Halbbögen, so dass ein ganzer
Farbkreis entsteht. Um den Farbzirkel herum malst du auf der oberen
Hälfte des Papiers außerhalb des Farbkreises bis zum Rand mit Schwarz
und mit Weiß auf der unteren Hälfte, und vergiss nicht, zwischen den
Farbaufnahmen den Pinsel immer im Wassertopf zu reinigen.
Im grünen Feld und weiter nach oben lässt du das Bild einer Pflanze
mit Blättern entstehen. Lass sie sich zur Mitte des Bildes hin entfalten.
Die rote Blüte einer Rose darf dann wie aus einem roten Himmel herun-
tertropfen , um von dem Grünen aufgefangen zu werden. Um die Rose
herum lässt du mit ein wenig Weiß und ein wenig Schwarz, die inein-
ander greifen, eine helle, graue Farbe entstehen, die beim Herankommen
an das Rot sogleich etwas von dieser abbekommt und zur Inkarnat- oder
Hautfarbe wird. Je nachdem, ob Rot, Weiß oder Schwarz sich mit mehr
Gelb oder mit mehr Blau verbindet, entsteht die Möglichkeit, ein Gesicht
über die rote Blume zu malen, z. B. ein Selbstporträt oder die Abbildung
eines dir Nahestehenden, der sich zu der Rose herunter neigt.
Diese Übung, die ich in dieser Art von meinem Lehrer, Arne Kling-
borg, übernommen habe, ist gleichzeitig ein einfaches Resümee aus der
58
Farbenlehre Goethes sowie aus den erweiterten Gesichtspunkten zu
Glanzfarben und Bildfarben, die Rudolf Steiner in seinem Konzept Das
Wesen der Farben demonstrierte. Ich überlasse es jedem, die vielfältigen
Fragen, Gedanken und Erfahrungen, die bei dieser einfachen Übung ent-
stehen können, selbst zu entdecken und bei Goethe, Steiner, Vassilij Kan-
dinsky, Paul Klee oder Johannes Itten u. a. in deren anregenden Farbkon-
zepten nachzulesen.26
Wandlasur
Nicht jeder hat die Möglichkeit, ein Haus zu bauen, aber wer kennt nicht
die Freude, eine neu erworbene Wohnung zu streichen und zu gestalten?
Wenn du eine Wohnung mit mattweiß gestrichenen Wänden vorfindest,
setze dich allein oder mit einem Freund oder dem Partner zusammen hin
und entwirf einen Farbplan.
Zuvor hast du einen Architektenplan geholt oder du hast auf einem
Blatt Papier eine Zeichnung von der Wohnung mit Markierungen für
Fenster, Türen und Himmelsrichtungen gemacht. Du überlegst, wofür
die einzelnen Zimmer benutzt werden sollen, und probierst in deiner
Fantasie aus, welche Farbstimmungen möglich oder wünschenswert sein
könnten. Welche Farbe könnte ein Zimmer nach Norden haben? Und
welche ein Zimmer, das nach Süden gerichtet ist? Welche Farbe ist stim-
mig für ein Schlafzimmer und welche für ein Wohnzimmer? Kann die
Küche blau bemalt sein oder besser gelb? Wenn du deinen Entwurf fertig
hast, kannst du z. B. bei Goethe nachlesen, was er vor 200 Jahren bei
Raumfarben für gut gehalten hat.
Nun malst du auf deinem Plan mit Aquarell-, Gouache- oder Wachs-
farben die ganze Fläche eines jeden Zimmers entsprechend farbig aus.
Wenn alle Zimmer eine Farbbestimmung bekommen haben, ist ein Ent-
wurf der Farbgestaltung für die Wohnung entstanden, den du dann ge-
nauso im Großen umsetzen kannst. Mit natürlichen Farbpigmenten und
einem geeigneten Kunstharz-, Bienenwachsbinder oder mit Pflanzen-
mischfarben und Wasser bereitest du die Wandlasurfarbe zu, besorgst dir
große Lasurbürsten und arbeitest am besten mit jemandem zusammen
auf großen Wandflächen, weil sie beim Lasurmalen im Ganzen gestri-
chen werden müssen.
Beim Anstreichen ist zu beachten, welche Formen und Muster durch
26
Eine übersichtliche Zusammenfassung vieler Farbenlehren, inklusive die an-
throposophische Sicht der Farben, findet man in: Narciso Silverstrini und Ernst
Peter Fischer, Farbsysteme in Kunst und Wissenschaft, herausgegeben von Klaus
Stromer, DuMont Buchverlag, Köln 1998.
59
den Pinselstrich und den Armbewegungen entstehen. Eine fließende Be-
weglichkeit in der Ausführung ist zu empfehlen, weil dadurch eine leich-
te Luftigkeit im Farbmuster entsteht. Bei mehreren Lasuren, 3 bis 4
sollten mindestens übereinander kommen, entstehen wunderbare Wand-
farben, die Tiefe, Kraft und Milde in einem haben, auch wenn du zwi-
schendurch das Kolorit im Eimer gewechselt hast. Beobachte, was du
dabei erlebst, einmal, wenn die Farben noch frisch aufgestrichen sind,
und danach, wenn die Wandfläche getrocknet ist. Wie wirken überhaupt
die unterschiedlichen Kolorierungen auf dein Gemüt? Bescheiden kannst
du dir einen Farbstimmungskatalog anlegen und hinein schreiben, wie du
in anderen Häusern konkrete Farben erlebt hast. Benutze dabei Adjektive
wie: angenehm, aufdringlich, belebend, beschaulich, beseelend, düster,
erfrischend, erweckend, erweiternd, geeignet, gemütlich, geruhsam, grell,
heiter, heil, kalt, klar, leblos, mollig, sanft, stichig, still, warm usw. für
die Charakterisierung der Farbtöne.
Ich erinnere mich, dass wir in unserer Firma in Schweden einmal ein
Projekt für die staatliche Fußball-Toto-Gesellschaft hatten. Eine Reihe
von neuen Büros sollte laut dem Entwurf des Architekten verschiedene
graue Lasuren aufweisen. Statt die graue Farbe in den Eimern durch di-
rekte Mischung von Pigmenten zu bekommen, legten wir auf den Wän-
den mehrere Schichten von roten, blauen, gelben und grünen Tönen
nacheinander an. Es entstanden besondere graue Nuancen, die gleich-
zeitig warm, maßvoll, ruhig, sophistisch und erfrischend war. Die Her-
ren und Damen, die dort arbeiten durften, berichteten später, dass sie
immer aufs Neue die unterschiedlichsten angenehmen Farbtöne an den
Wänden entdeckten, je nach Wetter, Tages- oder Jahreszeit und je nach
der eigenen Stimmung, mit der sie selbst von zu Hause zur Arbeit ka-
men.
Begegnung mit Holz
Nun gehen wir zu einem anderen Gebiet über, das mir persönlich nicht
nur Spaß gemacht hat, sondern auch immense Überraschungen auf dem
Schulungsweg brachte. Eines Tages musste ich eine Reihe von großen
Bäumen auf unserem Grundstück in Schweden fällen. Um das Gelände
nutzbar zu machen, entfernte ich auch die Wurzeln, indem ich sie aus-
grub. Bei diesen Strapazen wurde mir u. a. klar, dass einige der Holz-
stämme Material für Skulpturen abgeben könnten. So sägte ich einige
Stämme etwa einen Meter über dem Wurzelanfang ab. Vor der weiteren
Bearbeitung stellte ich die Hölzer auf den Kopf, wodurch die Möglich-
keit einer Verzweigung nach oben sich ergab. Darauf formte ich einige
interessanten Holzskulpturen, die beim Bearbeiten nach und nach figura-
tive Elemente offenbarten, so dass tier- und menschenähnliche Gestalten
60
entstanden. In der Fortführung dieser künstlerischen Tätigkeit mit den
Wurzelhölzern entstand bei mir, was ich im ersten Buch als die Möglich-
keit, Elementarwesen zu schauen, beschrieben habe. Gerade die künstleri-
sche Tätigkeit an Materialen, die an Ort und Stelle gewachsen sind, die
in sich die Kräfte dieses Stücks Natur während Jahrzehnten eingegliedert
haben, brachte mich dort zu meinem ersten Erlebnis von Elementar-
wesen. Daraus können wir schließen, dass alles, was man eigentlich
braucht, um geistige Fähigkeiten zu entwickeln, dort zu finden ist, wo
man wohnt oder sich eine Zeit lang aufhält.
Bei Waldspaziergängen oder wenn du an Flüssen entlang gehst, könn-
test du deine Aufmerksamkeit auf abgebrochene Teile von Ästen und
Zweigen richten, die du mitnehmen darfst. Sie können durch ganz ein-
fache Bearbeitung mit einem Messer oder dem Stemmeisen zu wunder-
baren Figuren werden, die in deiner Wohnung oder in deinem Garten
Platz finden können. Ist es dir aber nicht möglich, die gefundenen Höl-
zer mitzunehmen oder zu bearbeiten, oder willst du das nicht tun, kannst
du Holzmaterialien oder Steine sammeln und in einer neuen Anordnung
hinlegen oder hinstellen und bei der nächsten Wanderung nachsehen,
wie die kleine Installation dann aussieht.
Der weltberühmte britische Künstler David Nash hat aus seiner lebens-
langen forscherischen Haltung gegenüber der Sprache der Natur und des
Holzes heraus seine wunderbaren Aschedome und naturbedingten
Skulpturen am Ort geschaffen. Durch das Arbeit an Plastiken und in der
Begegnung mit Holz, Ton und Stein könnte dir darüber hinaus bald ein
Interesse für die Heilkräfte von Pflanzen und Edelsteinen erwachsen und
du wirst entdecken, dass diese Heilkräfte in Zusammenhang mit den kos-
mischen Sternenkräften, den Planeten, der Natur, dem Menschen und
der Kunst betrachtet werden müssen.
Eine spielerisch-dramatische Wahrnehmungsübung
Im Künstlerischen kann man Vieles tun, um sich für meditative Tätigkeit
vorzubereiten. Hier erzähle ich eine einfachere Übung, die vielfältig wei-
terentwickelt werden kann, wenn man fantasiereich ist. Die erste Begeg-
nung mit dieser Übung hatte ich in London, in einem vom Dozenten
Ernst Ammons vom Emerson College, Forrest Row, Sussex, beschaulich
geleiteten Seminar zum Thema Engel. Bei der Übung muss man mindes-
tens zu zweit sein. Wenn mehrere Menschen sind, kann die Übung noch
weiter geführt werden.
Im meditativen Bewusstsein ist man allein mit sich selbst. Es besteht
aber die Aufgabe, künftig andere geistige Wesen mit einzubeziehen, so
dass man mit ihnen in freien Austausch kommen kann. Eine Grundlage
61
der Dramaturgie des Übersinnlichen kann man sich im Umgang mit Er-
fahrungen aus dem Sinnesbereich des Dramatischen erwerben. Wenn du
z. B. mit deinem Schutzengel in Kontakt treten willst, kann es gut sein,
zuvor sich Gedanken gemacht zu haben, wie er in seiner Aufgabe zu dir
steht. Die folgende Übung befasst sich mit dieser Frage in der Hand-
habung von sinnlichen und seelischen Wahrnehmungen.
Mit deinem Übungspartner stellst du dich in einen Raum, wo es ge-
nug Platz gibt, sich reichlich zu bewegen. Ihr entscheidet, wer zunächst
den Engel spielen soll und wer den Menschen. Der Engel darf die Au-
gen offen haben, er sieht alles, was gesehen werden muss. Der Mensch
ist zunächst in dieser Engelwelt blind . Er hält die Augen zu. Der En-
gel begleitet seinen Menschen an der Seite oder von hinten, indem er
eine Hand z. B. auf die Schulter seines Betreuten hält. Gerade so zusam-
mengewoben gehen beide durch den Raum. Der Mensch versucht, die
Richtung zu finden, wo er hin will, der Engel dagegen muss aufpassen,
dass der Mensch nicht an Möbel oder andere Teilnehmer usw. anstößt.
Nach einer Weile wechselt ihr, so dass ihr beide die gleichen Erfahrun-
gen machen könnt, damit ihr euch nachher austauschen könnt.
In einer Variante der Übung lässt man sich anstelle von Berührung
von einem Ton steuern. Der Engel singt, flötet oder brummt einen
gleichbleibenden Ton, dem sein Gefährte folgen muss. Am besten be-
wegt sich der Engel in diesem Fall rückwärts vor dem anderen, der
noch blind ist.
Nach dem Spiel setzt ihr euch hin und bewegt die aufgekommenen
Fragen. Wie fühlt man sich, in dieser Art Mensch zu sein? Was ist der
Unterschied zwischen den beiden Varianten? Was ist in beiden Versio-
nen der große Unterschied zwischen Mensch und Engel ? Was können
wir aus den eigenen Eindrücken schließen, welches mit der realen Welt
der Engel zu tun haben könnte? Vor welchen Herausforderungen stehen
der Mensch respektive der Engel, die der Andere nicht in seiner Welt
hat? In Seminarien, wo ich mit dramatischen, dichterischen und musi-
kalischen Übungen noch vertieft gearbeitet habe, konnte diese Übung
wundervoll weiterentwickelt werden. So konnten wir uns in Gruppen
von drei, vier, fünf Menschen einteilen und z. B. mit den Kategorien
Doppelgänger, Luzifer*, Ahriman*, Christus usw. arbeiten, während jede
Einordnung gespielt wurde und wir dadurch bestimmte Aspekte zu üben
oder zu entdecken hatten. Was wir glaubten, über diese Wesen vorher
gewusst zu haben, bestätigte sich auf humoristische Weise oder es kamen
unerwartete Erkenntnisse hinzu, die keiner gedacht hatte, dass sie aus
solchem Spiel entstehen würden. Das viele Lachen während solcher
Übungen war immerhin ein besonderer Erzieher.
62
Das vielgliedrige Menschenwesen
In seiner Schrift Theosophie27 beschreibt Rudolf Steiner mit Begriffen, die
er aus der indisch-theosophischen Strömung von Helena Petrovna Blavat-
sky zunächst übernahm zum Teil aber änderte, ergänzte und neu be-
nannte , das vielfältige leibliche, seelische und geistige Wesen des
Menschen. Jedes Gebiet hat gemäß Steiner eine Dreiteilung, die aber
durch die besondere Stellung des individuellen Ich-Wesens, das durch
aufeinander folgenden Erdenleben geht, dem Wesen des Menschen in
einer bestimmten Fassung eine Zehngliedrigkeit gibt, wie folgt: physischer
Leib*, Ätherleib*, Astralleib*, Empfindungsseele*, Verstandes- oder Gemüts-
seele*, Bewusstseinsseele*, Ich*, Geistselbst*, Lebens-Geist* und Geistesmensch*.
Die drei Seelen- und Geistglieder erscheinen gelegentlich jedes durch
das Ich als originäres Ergebnis in der irdischen Evolution durch meh-
rere Inkarnationen oder in der persönlichen Entwicklung innerhalb einer
Biografie in der zweifachen Arbeit an den drei Leibesgliedern, ent-
weder nach unten in die Seelenebene oder nach oben in das Geistfeld,
die beide den Menschen als individuelle übersinnliche Rohstoffe zur In-
karnation mitgegeben worden sind. So kann man ein solches Menschen-
bild, wie es in der Theosophie Blavatskys, in der Anthroposophie Stei-
ners oder sonst in den verschiedensten Strömungen moderner Esoterik
erscheint, als ein göttliches Kunstwerk erkennen, an dem der Mensch selber
mitarbeiten darf.
In seinen Kunstvorträgen führte Steiner dieses umfangreiche Men-
schenbild weiter, indem er die verschiedenen Künste in einer Verbin-
dung, in einem dynamischen Prinzip des Zusammenwirkens von je zwei
Gliedern beschrieb. Es lohnt sich, diese Sachen aus den schon erwähnten
Vorträgen gehörig zu studieren. Hier sollen uns erst einmal nur ein paar
Gesichtpunkte davon interessieren, die uns helfen können, bestimmte
Dinge, die uns später prinzipiell beschäftigen sollen, dann besser zu ver-
stehen.
Der Mensch kann, wenn er im alltäglichen Dasein stehen bleibt, nicht
ohne weiteres das vollziehen, was wir nennen können: das Ich wie
wir es gestern dargestellt haben hinuntertauchen in den astralischen
Leib. Dies, was man da unternimmt, indem man mit dem Ich unter-
taucht in diese astralische Welt in der richtigen Weise, so dass das
Untertauchen ist ein Eintauchen in die göttliche Welt, ist eben der
Gang durch die Initiation. Aber ein Bild davon ist uns in dem Gesche-
hen, das durch musikalische Schöpfungen an uns herantritt, gegeben.
Der Mensch entäußert sich, indem er der musikalischen Schöpfung
27
Rudolf Steiner, Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Men-
schenbestimmung, GA 9, Dornach 1961.
63
 schaffend oder genießend sich hingibt, seines Ich. Er drängt dieses Ich den beobachteten Motiven zu formulieren, etwa wie wir es bei der
zurück, aber er übergibt es zugleich all den göttlich-geistigen Mächten, Übung des Lebensmottos getan haben. Das Was, das Wie, das Wer, das
die an seinem astralischen Leib arbeiten werden, wenn er aufsteigen Woher, die Wirkung darf erfragt werden. Wie eine Skulptur, wie ein
wird zum Jupiterdasein.28 Kunstwerk kannst du deinen Freund, deine Freundin beschreiben.
Dann kommt die Aufgabe, etwas zu beschreiben, was mit physischen
In diesem Zitat wird eine weitere Kopplung zum Begriff Initiation ge-
Augen nicht mehr zu sehen ist, was aber im Physischen in seinen Aus-
macht mit dem Hinweis auf das Musikalische und den Zusammenhang
wirkungen Niederschlag gefunden hat. Es kann gefragt werden, was lebt
zwischen dem Ich, dem Wesenskern des Menschen, und dem Astral-
in dem Menschen, wie arbeiten die Lebenskräfte, wer energetisiert hier,
oder Seelenleib, den wir als seine aurische Gestalt benennen könnten. Die
aus welchen ätherischen Quellen schöpft er usw. Du guckst die obere,
Frage der Aura des Menschen ist heute ein beliebtes Forschungsgebiet in
die mittlere und die untere Gestalt an. Was tut sich in der inneren Mitte,
Alternativkreisen geworden. So steigt hier eventuell schon eine Ahnung
wenn du sie als Baumgestalt ansehen würdest? Wie ist der Stamm? Wie
auf, dass es nicht von ungefähr sein kann, dass das, was in früheren Zei-
ist die Krone? Wie ist die Wurzel? Wenn du die Möglichkeit hast, je-
ten durch große musikalische Werke, wie das norwegische Traumlied vom
manden, der schläft, anzuschauen, kannst du die Beobachtungen, die im
Olaf Åsteson, Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte und Richard
Wachzustand gemacht worden sind, damit vergleichen. Es wird sich
Wagners Parsifal und andere Opern, auch inhaltlich einfach von Initiatio-
wahrscheinlich herausstellen, dass der Ätherleib des Schlafenden leichter
nen oder Einweihungen handelt. Wer es schafft, die intimeren seelischen
zu erkennen ist als der des wachen Menschen. Beim Anschauen des
Erfahrungen bei der Kunstausübung meditativ aufzuarbeiten, wird die
Ätherleibs beschränkst du dich zunächst auf Bewegungen, Ströme, Ge-
von Steiner gegebenen Begriffe zum umfangreichen Menschenwesen in-
stalt, Verdunkelungen und Lichterscheinungen. Anlagen zu einer Krank-
dividuell erleben und erkennen können. An verschiedenen Stellen werde
heit oder geheilte Erkrankungen, die in der jetzigen Inkarnation bereits
ich immer wieder Aspekte dieser Wesensglieder beleuchten, weswegen
lange zurück liegen, können solcherart in feinen, aber ausgeprägten For-
es eingangs nötig war, sie einfach aufzulisten.
mationen oder Mustern entdeckt werden, die mit physischen Kristallisa-
tionsstrukturen eine Ähnlichkeit haben.
Beim Erforschen des Astralleibs ist es zunächst wichtig, auch Empfin-
Übungen zum Schauen der Hüllennatur
dungen, die artgemäß wie Farben erscheinen, anzuschauen. Gewöhn-
und der Aura des Menschen
liche Farben sind Erscheinungen in der physischen Welt. Die so genann-
ten astralischen Farben treten ähnlich auf, weil die Energien des Astra-
Freunde, die sich in Arbeitskreisen zusammenfinden, können viele Be-
lischen auf uns so wirken wie die Farben. Sie sind aber keine Farben,
obachtungen und Übungen zur Schärfung des eigenen Hellsehens ma-
sondern geistige Bewegungen auf dem Astralplan, die uns einfach
chen. Man kann sich z. B. gegenseitig mit den Blicken verfolgen und
ausgedrückt bestürmen (rot), die sich von uns zurückziehen (blau)
nacheinander physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich-Organisa-
oder die sich in Ruhe verhalten (grün) usw. Das können Gedanken, Ge-
tion anschauen. Das hier geschilderte Vorgehen folgt denjenigen Grund-
fühle und Willensimpulse des bezüglichen Ich sein, oder es kann astra-
sätzen, die wir bei der Kunstbetrachtung erläutert haben. Man kann ent-
lischer Ausschlag eines Elementarwesens oder eines Dämons sein, wel-
weder wechselseitig die Augen offen haben und sie wieder schließen
che sich in dem betreffenden Astralleib sesshaft gemacht haben.
oder sie während des ganzen Geschehens offen halten. Wichtig ist, den
Wenn der Ätherleib mehr oder weniger innerhalb der physischen
Blick für das übersinnliche, geistige Schauen immerfort durchlässig zu
Haut bei Erwachsenen aufzufinden ist, ragt der Ätherleib bei Kindern
machen. Diese Übung können wir als ein konzentriertes Anschauen be-
vor der Pubertät weit darüber hinaus. Der Astralleib ragt normalerweise
trachten.
weit über den physischen Leib hinaus, aber er kann bei Menschen, die
Bei der Beobachtung des Physischen guckst du nach allen Charak-
z. B. nur ein modernes Stadtleben führen, sogar kleiner als der Körper
teristiken und Eigenheiten von Kleidung, Haarfarbe, Gesichtsform, Kör-
sein. Nicht immer scheint er einheitlich zu sein, sondern er kann wegen
perhaltung hin zu Gesichtsmimik, Gebärden und zum Gehstil, die über
erfahrener Verletzungen gewisse Gliederungen, Abnormitäten oder Tei-
den betreffenden Menschen etwas aussagen. Versuche, ein Zeugnis aus
lungen in sich schaffen. Vieles, was zum Thema Seelentiere gehört,
28
Rudolf Steiner, Kunst im Lichte der Mysterienweisheit, GA 275, Dornach 2000. wird auch im Astralleib geschaut, so dass bei dieser Stufe z. B. gefragt
Taschenbuchausgabe (Tb 747), Seite 63. werden kann: Was für ein Tier steht hier?

64 65
 Das Ich des Menschen unterliegt dem Prozess des Inkarnierens und
Exkarnierens noch weit mehr als der Astralleib. Deswegen kann man es
als Gestalt oder als Organismus nicht eindeutig erfassen. Es ist gleichzei-
tig als Kernwesen mittendrin tätig, wie es auch als Raumwesen seine
anderen drei Hüllen von rundherum umsorgt. Das Ich als Raumwesen
kann man beim Kleinkind bis zum dritten Lebensjahr sehr gut anschau-
en. Es drückt diese Tatsache auch in der Sprache aus, indem es sich mit
dem eigenen Namen bezeichnet und sich nicht als selbst handelndes Ich
darstellt.
Bei einem geistig weiter entwickelten Menschen wird das Ich als Um-
kreiswesen wieder sehr auffallend, bis dahin gehend, dass eine solche
Individualität diesen Aspekt des Ichs als Bewusstseinsorgan benutzen
kann. Bei normalen Menschen trifft dies noch nicht zu, sondern sie er-
leben immer das Ich als etwas innerhalb von sich selbst. Außerkörper-
liche Erlebnisse wirken dann oft beängstigend, weil man nicht gewohnt
ist, sich als Umkreiswesen zu erfahren. Solche verschiedenen Ich-Aspek-
te treten für den hellseherischen Blick auf, indem sie als komplizierte
Licht-, Farben- und Bildzusammenhänge, als geometrische Figuren oder
als Symbole erscheinen.
Ich füge noch ein paar Zitate von Steiner zu diesen Fragen hinzu. Sie
zeigen, wie kompliziert die übersinnlichen Zusammenhänge noch sind,
so dass wir nachfühlen können, dass wir geistige Motive immer wieder
von neuen Seiten zu charakterisieren haben.
Der Ich-Leib zeigt sich dem Hellseher als eine blaue Hohlkugel zwi-
schen den Augen, hinter der Stirn. Wenn der Mensch anfängt, daran
zu arbeiten, so gehen Strahlen von diesem Punkte aus.29
Der Ich-Träger, das vierte Glied der menschlichen Wesenheit, ist
gleich einer Art Ovalfigur, deren Ursprung bis hinein in das Vorder-
hirn zu verfolgen ist. Dort ist dieselbe für den Hellseher als eine bläu-
lich-leuchtende Kugel sichtbar. Von der strömt aus in Ovalform, wie
ein Raum-Ei, könnte man sagen, das in den Menschen hineinspielt,
eine Art von Bläue. Erst wenn der Hellseher imstande ist, sich auch
den Astralleib des Menschen abzusuggerieren, erst dann vermag er
den Ich-Träger wahrzunehmen.30
Mit dem Begriff absuggerieren bei Steiner kann man es sich so vorstel-
len, dass es darum geht, schrittweise das höhere Glied zu schauen, in-
dem man die niederen aus dem Bewusstsein wegschafft, sonst würden
29
Rudolf Steiner, Vor dem Tore der Theosophie, GA 95, Dornach 1978, Seite 149.
30
Rudolf Steiner, Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wie-
derverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit, GA 109,
Dornach 1979, Seite 179.
66
sie dem oberen im Weg stehen. Man kann sich ein Stück Eis vorstellen,
das in einem Glas Wasser liegt. Es ist sichtbar. Presse ich es unter, wird
es gleichzeitig weniger sichtbar, aber das Wasser steigt. Diese feine Erhö-
hung des Wassers ist zu vergleichen mit dem Ich-Träger, der den Platz
der ausgewichenen Luft in Anspruch nimmt. Die wenige Kraft, die ich
verwende, um das Eisstück niederzupressen, hat doch etwas Wärme-
potenzial. Um den Astral-, Äther- und physischen Leib nieder zu pres-
sen , brauche ich vergleichsweise mehr Wärme, um mein Ich als ein kla-
res Kristall auf der Oberfläche des Ätherischen zu schauen. Im Tages-
bewusstsein ist das Ich quasi im ganzen Organismus eingeschmolzen
und wird deswegen als Eigenwesen nicht wahrgenommen.
Tatsachen, die im 6. Kapitel über den kleinen Hüter beschrieben wer-
den, welche zum Thema Doppelgänger und Dämonen gehören, können
im Zusammenhang mit der geistigen Ebene des Ich-Wesens geschaut
werden. Motive vergangener Inkarnationen, die spontan geschaut
werden, sind solche Imaginationen, die ich zu der Ich-Ebene einstufe.
Bei einem solchen Betrachtungsdurchgang kann man noch einmal rück-
wärts die verschiedenen Ebenen durchgehen, so dass weitere Motive er-
kannt werden können, und Dinge, die man selber nicht erkannt hat, je-
doch jemand Anderes beim ersten Durchgang geschaut hat, könnten
jetzt aufgefunden werden.
Das Phänomen der Aura wird bei einer solchen Arbeit zu einer Erfah-
rung. Du wirst erkennen, dass die Aura eine komplexe Gestalt ist, die
auf der astralischen Ebene sowohl ätherische wie ichhafte Motive auf-
weist. So ist die Aura weder als ätherischer noch nur als astralischer Aus-
druck zu betrachten, sondern sie drückt ein Resümee des gesamten geis-
tigen Potenzials eines Menschen aus. Sie ist wie das Inhaltsverzeichnis
eines Buchs, aber anders als im Physischen bringt sie gleichzeitig das
Ganze zur Erscheinung, ohne dass man umblättern muss. Verglichen
mit den so genannten Eurythmiefiguren, die ich unten beschreiben wer-
de, zeigt die Aura sowohl Bewegung und Gefühl als auch Charakter. Die
Aura fasst das Absolute zusammen, was ein Mensch bis jetzt entwickelt
und erreicht hat, aber auch dasjenige, was er unterlassen hat oder noch
nicht entwickeln konnte von allen seinen potenziellen Wesensbegabun-
gen.
Das sinnlich-übersinnliche Üben in dieser Art kann noch höhere Stu-
fen, mit denen der Mensch zu tun hat, z. B. denen der Engel, für den
inneren Blick greifbar machen. Wenn man eine solche Arbeit zunächst
unter Freunden gepflegt hat, dürfte die Wahrscheinlichkeit gering sein,
dass man im Zusammensein mit Menschen, die nicht wissen, dass man
hellseherische Fähigkeiten anfänglich erworben hat, etwas tut, was nicht
berechtigt wäre. Im Normalleben ist es erlaubt, andere Menschen vor-
übergehend zu beobachten, aber es ist gewiss unangemessen, sie anzu-
67
glotzen. Das Esoterische, welches einem Geistesforscher in seiner For-
schung bekannt wird, ist aber nicht seine Privatsache, sondern eine Auf-
gabe, die er mit seinesgleichen teilen darf. Solcherweise wird er viele ver-
trauliche Dinge, die er unter Menschen erforschen kann, so übersetzen
können, dass sie für die globale Öffentlichkeit allgemein zugänglich wer-
den können, wenn er sie so einschätzt, dass solche Mitteilungen dem
Wohl der Menschheit dienen.
Planeten-, Farb- und Formstimmungen
Im Folgenden mache ich eine Einfügung, die sogleich einen Wechsel
schafft. Er führt uns zu einem anderen Gebiet, das mit der Landschaft
und der Naturbeobachtung zu tun hat, wo aber die Fragen zum Men-
schenwesen uns weiter begleiten werden. Hier wird auch ein gewisses
außerirdisches, so genanntes kosmisches Thema tangiert, das später im 7.
Teil in Zusammenhang mit wichtigen meditativen Reinigungsprozessen
noch fortgesetzt werden soll. Die traditionellen Namen der Wochentage,
wie sie in verschiedenen Sprachen heißen, überliefert eine alte Weisheit
zu einer zeitlichen Ordnung der Planeten. Beginnend mit Samstag, der
in vorchristlichen Kulturen den Anfang der Woche zeigte (englisch Sa-
turday), Sonntag, Montag, Dienstag (französisch mardi), Mittwoch (fran-
zösisch mercredi), Donnerstag (französisch jeudi), Freitag (französisch
vendredi) liegen Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter und Venus
diesen Namensgebungen zu Grunde. Das ist aber eine andere Ordnung
als diejenige, die wir in der Astronomie, wenn wir von der Erde aus-
gehen, kennen.
Wenn Steiner im letzten Zitat den Begriff Jupiterdasein benutzt,
meint das ein für die ganze Erdenentwicklung aus geistiger Sicht zukünf-
tiges Stadium, das nach dieser planetarischen Ordnung, die der Namens-
gebung der Wochentage zu Grunde liegt, genannt wird. In der Steiner-
schen Kosmologie erscheint deshalb unser Erdendasein als eine Zusam-
menfügung von Mars und Merkur. Geistig gesprochen, sind die zwei
zusammen gewoben zu einem Doppeltag der Erdenevolution.
Blicken wir aber auf den Lebenslauf des Menschen nach Siebenjahres-
perioden, was ohnehin psychologisch interessant ist, wird er traditionell,
so auch von Steiner, an die astronomische Raumfolge der Planeten ange-
knüpft. Die Periode von der Geburt bis zum 7. Lebensjahr entspricht
dem Mond, von 7 bis 14 dem Merkur, von 14 bis 21 der Venus, von 21
bis 42 der Sonne, von 42 bis 49 dem Mars, von 49 bis 56 dem Jupiter
und von 56 bis 63 schließlich dem Saturn. Demgemäß kann der Lebens-
lauf des Menschen als Raumorganismus erfasst werden, wobei die drei
mal sieben Jahre nach 63 als nach meiner Auffassung potenziell durch-
68
drungen von den Planetenkräften des Uranus, Neptun und Pluto gedacht
werden können.
Nun gibt es auch andere Aufstellungen der Planeten, z. B. eine Reihe,
in der Sonne, Venus, Merkur, Mars, Jupiter, Saturn und Mond nach-
einander stehen. Sie hat Steiner für bestimmte Angaben der Eurythmie
gegeben und dazu meditative Texte von so genannten Planetenstimmun-
gen entworfen. Wenn man sich mit den hinterlassenen Bildkunstwerken
von Steiner befassen möchte, z. B. mit dem so genannten Planetensiegel
oder mit den Sockel-, Säulen-, Kapitel- und Architravformen des ersten
Goetheanums, wird man es nötig finden, dass man sich über solche Auf-
stellungen, Gesichtspunkte und Erkenntnisse der okkulten Seite der Pla-
neten absolut orientieren muss, um überhaupt zu verstehen, was mit die-
sen gewöhnlich befremdenden künstlerischen Motiven gedacht war.31
En passant bemerkt, können wir uns fragen, ob nicht das Phänomen
der Kornkreise mit ihren besonders komplizierten geometrischen Muster-
bildern bei vielen Menschen ein erneutes Interesse für okkulte Zusam-
menhänge zwischen Kosmos und Erde erweckt haben. Es wurden in
alten Traditionen, z. B. bei den Kelten, den Römern und bei den India-
nern, die Planeten, hinter denen sie Geistwesen und Götter erfassten,
nicht nur mit den Wochentagen in Verbindung gebracht, sondern auch
Farben, Edelsteine, Metalle, Bäume, Heilpflanzen und die inneren phy-
siologischen Organe des Menschen wurden von den Eingeweihten inner-
halb dieser Volksgemeinschaften mit den Planeten zusammengebracht.
Steiner knüpfte an dieses alte Wissen organisch an, als er eine ganzheit-
liche Menschenkunde entwickelte, die er als kosmologisch begründet
verstand.
Das, was du künstlerisch an der äußeren Welt übst, z. B. beim Malen,
kann noch weiter vertieft werden, bis dahin, dass du beim Erleben der
verschiedenen Farben dich so innerlich mit ihren Attributen und Quali-
täten verbindest, dass du durch ein dich Hineinleben in ihre tieferen Aus-
strahlungen und Gestaltungstendenzen zu Erlebnissen kommen kannst,
die du als Gemütszustände oder Tugenden wiedererkennst. Wir können
auch hier von moralischen Erlebnissen im Kontemplativen sprechen. Der
Schritt von diesem noch künstlerisch für jeden nachvollziehbaren Vor-
gang zu einem meditativen Geschehen, in welchem du auch die Augen
eventuell schließt, um von den Sinneseindrücken mehr oder weniger völ-
lig abgeschirmt zu sein, um nur innerlich im seelischen Erleben innere
31
Siehe die Arbeiten von: Hedwig Erasmy, Die Eurythmie der Zwölf Stimmun-
gen von Rudolf Steiner als Offenbarung kosmischen Schaffens und menschlichen Seins,
Medizinische Sektion am Goetheanum, Dornach 1990. Carl Cemper, Der
Bau. Studien zur Architektur und Plastik des ersten Goetheanum, Verlag Freies Geis-
tesleben, Stuttgart 1984. Hilde Raske, Das Farbenwort. Rudolf Steiners Malerei
und Fensterkunst im ersten Goetheanum, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1983.
69
Farbwahrnehmungen neu zu erzeugen, ist nicht ein großer, aber doch
ein relativ schwerer Schritt, der mit seelischer Willensaktivität zu tun
hat, so dass, wie es mir scheint, wenige Menschen die Übungen, die Stei-
ner in dieser Richtung empfohlen hat, wirklich durchführen.32 Meine Er-
fahrungen mit ihnen sind solche, die mir vor über zwanzig Jahren schon
halfen, zu den ersten Ahnungen übersinnlicher Kräftewirkungen zu
kommen.
Bei der plastischen Kunst kannst du einen ähnlichen Schritt von der
Betrachtung zum Innenleben vollführen, indem du bei den Flächen die
Konvexität, die gebogene Krümmung nach außen, und die Konkavität, die
eingezogene Biegung nach innen nachfühlst und sogar vom Inneren der
Skulptur her versuchst, sie nachzuempfinden, als würdest du körperlos
drinnen stehen, um die umgekehrten Form- und Bewegungstendenzen
zu fühlen.
Für diesen künstlerischen Vorgang des sich Hineinempfindens in die
Formtendenzen einer Plastik wurde ich zum ersten Mal vom schwedi-
schen Plastiker und Priester Wive Larsson angeleitet. Eine bemerkens-
werte Bronzeskulptur von ihm ist nahe am Goetheanum zu erleben. Sie
steht auf dem Urnenhain, wo die Asche von Christian Morgenstern, dem
beliebten deutschen Dichter, von Rudolf Steiner und von vielen anderen
jüngst beigesetzt worden sind. Wenn diese innere Aktivität weiter vertieft
wird, gehst du den Schritt von der Kunstbetrachtung zur Meditation. In
späteren Kapiteln werden wir solche Übungen weiter verfolgen, um kon-
krete Beispiele auf dem inneren Weg hin zur Imagination genau zu be-
schreiben. Als Anregung zur Entwicklung solcher höheren Bewusstseins-
arten möchte ich hier eine kurze Darstellung einfügen. Sie verdeutlicht,
dass eine Beschäftigung mit den Planeten durchaus wertvoll ist für je-
mand, der Erlebnisformen früherer Kulturen erforschen möchte.
Imagination, Inspiration und Intuition33
Als Einschub möchte ich also an dieser Stelle ein meditatives Beispiel,
das mit Planetenwirkungen zu tun hat, einfließen lassen. Es berührt die
Frage, wie man zwischen verschiedenen höheren Bewusstseinsarten un-
terscheiden kann. Deswegen mache ich vorab eine notwendige theoreti-
sche Bemerkung. Normalerweise entsteht eine meditative Situation, in
der übersinnliche Phänomene vorhanden sind, folgendermaßen: dass
32
Rudolf Steiner, Das Wesen der Farben, GA 291, Dornach 1976.
33
Dieser Abschnitt ist eine Überarbeitung eines Interviews mit dem Autor Ingo
Hoppe in: Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, Beilagenheft der Zeit-
schrift Das Goetheanum, Dornach 2003.
70
man unterschiedlich erleben kann bzw. wahrnimmt, wie man innerhalb
oder außerhalb des Vorhandenen sich befindet. Zuerst bemerkt man,
dass etwas vorhanden ist. Und dann kann man wenn es sich um Ima-
ginationen der eigenen karmischen Geschichte handelt sich selbst als
die Person erkennen, die man damals war. Jetzt muss man sich geistig
hinein begeben und versuchen, sich mit der damaligen Person zu verbin-
den. Das heißt, man findet seine damalige Einstellung, wie man sie da-
mals erlebt hat. Man kann das Geschehen dann von diesem Standpunkt
aus verfolgen.
Es ist aber auch möglich, sich in dieser Imagination von außen her zu
betrachten. Man bewegt sich frei. Man kann sogar probieren, alles durch
die Seele eines Anderen zu erleben, so wie dieser einen damals erlebt
hat. Denn es handelt sich hierbei um nichts Physisches, sondern um eine
geistige Stufe, wo es keine physischen Abgrenzungen mehr gibt. Man
kommt in eine übersinnliche Tätigkeit hinein. Aber erst, wenn man zur
inspirativen Ebene gelangt, kann man tiefer in das Geschehen hinein
kommen und sich wirklich innerhalb des Damaligen fühlen. Zunächst ist
mit dem Geist-Erleben, dem Schauen und den intensiven Gefühlen noch
keine wirkliche Erkenntnissicherheit gegeben. Man erlebt z. B. die
Schmerzen, die man damals erlebt hat.
Ich schilderte in meinem ersten Buch eine solche Situation, die mit
Ägypten verknüpft ist.34 Ein Mann namens Ray läuft, auf seinen Armen
die in Folge eines Krokodilbisses im Sterben liegende, geliebte Frau tra-
gend, aus dem Wasser ans Ufer hinauf, um nach Rettung zu suchen. Das
war damals ein schreckliches Erlebnis. Ich hatte das in der Meditation
wieder mehrmals intensiv nacherlebt. Man erlebt solche einst erlebten
Schmerzen buchstäblich wieder. Dieses tiefe Berührtwerden ist ein Zei-
chen dafür, dass es sich um ein inspiratives Bewusstsein handelt. Aber
auch auf dieser Stufe ist es noch nicht gesichert, ob ich diese Person
wirklich gewesen bin. Das zeigt erst die intuitive Zusammengehörigkeit
in einem existenziellen Sich-integrieren-Können mit dem Erlebten.
Bei der Intuition ist es so, dass man den Schmerz als etwas erleben
kann, was von einem selbst als Gegenwartswesen aber getrennt ist. Das
heißt: Ich kann innerhalb und ungeachtet des schmerzhaften Seelenvor-
gangs ganz und gar ein ruhiger Geist sein. Man erreicht einen gewissen
inneren Frieden mit sich selbst. Man kann in einem Ruck von der ima-
ginativen bis zur intuitiven Stufe erkennen, was dieser Vorgang für einen
selbst heute bedeutet. Es entsteht ein Zeitbogen. Das Seelenerlebnis ist
eine Art Raumerlebnis.
Ich erlebe durch die Intuition eine Umwandlungskraft, die mich selbst
umwandelt bzw. mich zu höheren Idealen führt, so dass ich im jetzigen
34
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 205.
71
Leben anders zu denken, zu fühlen und zu handeln veranlagt werde. Zu-
nächst hat man die Imagination. Da wird man tätig und denkt: Ich
will. Das ist ein Willensvorgang. Man spricht von Bildern, aber das ist
sozusagen nur das Äußere, vergleichbar mit der Malerei. Es ist aber nur
dann Imagination, wenn man willentlich darin tätig ist, wie im Schau-
spiel.
In einem weiteren Schritt kann man beginnen, seelisch, gefühlsmäßig
in ein Hineinleben überzugehen, so dass man sich und den Anderen
gleichsam wie eine Skulptur abtastet. Man kann es auch mit der Euryth-
mie vergleichen. Man ist sozusagen in den strömenden Weltgefühlen
drinnen, das heißt, man erlebt mächtige, kosmische Seelenkräfte, die von
einem selbst nicht hergeleitet werden können. Zuerst waren es eher Welt-
gedanken, jetzt jedoch nehme ich sie auf; ich will es, denn vom Inhalt,
der auf den Weltgedanken vermittelt wird, spüre ich, dass er zu mir ge-
hört. Da sind wir bei der Inspiration.
Wenn es nun zur Intuition kommt, merkt man, dass die Intuition eine
therapeutische Kraft hat. Man merkt dann selbst, ob es im Leben frucht-
bar wird, ob es mich heilt, ob es für die Welt heilsam werden kann. Oder
man erkennt, dass das, was man dadurch tut, irgendwann für die Welt
heilsam wird. Das kennzeichnet die Intuition. Es ist eine Aufgabe, vor
allem auf die Imaginationsstufe aufmerksam zu werden, zu erkennen,
dass sie etwas Wichtiges bedeutet, das als Erstes auf dem esoterischen
Weg erreicht werden muss. Denn diese muss zuerst als Grundlage für
die beiden anderen geschaffen werden. Meiner Ansicht nach ist es hier-
bei zunächst nicht so wichtig, gleich die Erkenntnissicherheit zu bekom-
men. Einige wollen sofort abgesichert sein und alles haben. Es ist aber
nicht sicher, ob man so schnell dahin kommen kann.
Es geht also zuerst darum, die Bewusstseinsstufe zu entwickeln, die
mit der Imagination zu tun hat. Es ist wichtig, dass du überhaupt einmal
innere Bilder oder übersinnliche Erfahrungen mit feststellbaren Motiven
oder Bildelementen bekommst. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Ima-
gination bildfrei ist, was durchaus der Fall sein kann, aber ein mit Willen
gesättigtes Denken ohne Vorstellungen ausmacht, dann bildet sie den
Grund, das Bindeglied, das Medium für Inspiration und Intuition.
Ich werde nun die drei Erkenntnisstufen aus dem konkreten Beispiel
darstellen. Einer meiner Klienten, hier Thomas genannt, hat etwas ge-
schaut und dabei eine starke geistige Kraft erlebt, die ihm dann auch
sofort zu viel wurde. In diesem Fall, würde ich sagen, sind alle drei Stu-
fen sehr schnell auf einmal durchschritten worden. Nach einigen Medita-
tionen und übersinnlichen Schauungen kam Thomas in eine Inkarnation
hinein, in der er sich erlebte, wie er sich in einem wie es sich allmäh-
lich ankündigte keltischen Einweihungsvorgang befand. Er sah sich
alleine in einem Wald. Thomas bemerkte nun, wie er gekleidet war und
72
dass er auf dem Kopf ein Geweih trug. Das ist zunächst das Bildhafte.
Von diesem Motiv erlebte Thomas sich angesprochen, und er fing an ab-
zuspüren, was er mit diesem Hirschgeweih machte. Es war zunächst ein
imaginativer Vorgang, in dem alles gestalterisch vorhanden war, so dass
mehrere Dinge aufgezählt werden konnten. Es könnte nun sein, dass es
sich um ein früheres Leben handelte, aber man weiß es auf dieser Stufe
noch nicht. Jedenfalls konnte Thomas die Situation genau beschreiben
und sich in ihr erleben.
In diesem Sich-drinnen-Erleben war bereits ein bisschen Inspiration
enthalten, weil er sich dadurch mit der Person im Wald verbinden konn-
te. Wir bekommen sozusagen eine Art Beschreibung des physischen Tat-
bestands von damals, das war die Imagination. Es gab zu allen Zeiten
immer auch Elementarisches, Seelisches, Geistiges, Aurisches und Kos-
misches. In der Imagination jedoch sah er so etwas nicht. Er spürte
nicht die geistige Tätigkeit hinter der physischen Ebene. Aber dann fing
er an, die geistige Dynamik zu ahnen. Damit kam der Übergang zur
Inspiration. Thomas begann, etwas von dem Sinn des Geschehens zu
verstehen. Das heißt, jetzt ist es nicht nur gedacht und beobachtet: Aha,
ich war ein Kelte, der in einem Einweihungsvorgang war. Wenn die
Meditation auf dieser Stufe abgeschlossen wäre, könnte er ihren Inhalt
nicht deuten. Erst wenn man die Inspiration erlebt hat, kann man anfan-
gen, Interpretationen anzustellen. Zunächst hatte Thomas sich allein im
Wald erlebt, dann wusste er, dass nicht weit weg andere Menschen auf
ihn warteten, aber er sah sie wegen der Bäume nicht. Dieses Feststellen
ist mehr als nur Imagination, weil in der Imagination alles zunächst vor
einem oder um einen herum vorliegend als wie sichtbar erscheint. In der
Inspiration erscheinen noch zusätzliche informative Botschaften, die
nicht als imaginativ erscheinen müssen, was sie aber auch können.
In der Meditation begannen wir nun damit, dass Thomas zu beschrei-
ben versuchte, was er damals erlebte. Und jetzt erlebte er es wieder und
wusste sofort: Durch das Geweih strömten Kräfte in ihn hinein, die mit
einer damals gerade aktuellen Planetenkonstellation zu tun hatten. Nun
fing er an, über diese Konstellation zu erzählen. Dabei bemerkte er, wie
jetzt diese Planetenkräfte in ihm anfingen zu wirken. Dadurch entstand
zweierlei und hier handelt es sich nun um einen Übergang von der In-
spiration zur Intuition. Einerseits bemerkte er, was er damals tatsächlich
hätte bewirken sollen, nämlich eine Belebung der verschiedenen Organe
wie Herz, Leber und Niere durch die Planetenkräfte, um später ganz be-
stimmte Dinge in seinem sozialen Umkreis bewerkstelligen zu können;
andererseits begann er nun, hier und jetzt interessanterweise diese Plane-
tenkräfte real zu erleben.
Thomas war in diesem Erleben also nicht nur im Imaginativen und im
Inspirativen drinnen, sondern er erlebte augenblicklich den geistig-seeli-
73
schen Prozess bis ins Organische des jetzigen physischen Leibes hinein,
und zugleich war es für ihn ein Zeiterleben. Er erfuhr etwas, was ihn in
der Vergangenheit zu seiner jetzigen Lebenssituation geführt hat. An die-
sem Punkt wäre es möglich, durch innere Fragestellungen weiter danach
zu forschen, was in der damaligen Vergangenheit und danach geschehen
war, welche Schulungen er durchgemacht hatte und so weiter. Da hätte
eine Geistesforschung anfangen können. In diesem Fall kam Thomas
nur zum Anfang einer Intuition. Er erlebte heute die Kraft der damaligen
Planetenstimmungen und merkte, dass ihm das zu viel wurde, es tat weh,
er konnte es nicht lange aushalten, er bekam Angst. Er merkte, dass er
damals anders ausgerüstet war als heute. Seine physischen Organe heute
würden diese Planetenkräfte auf der Ebene der Intuition nicht aushalten
können, wie er damals als keltischer Hellseher sie ausgehalten hatte.
Durch diesen Vorgang konnte Thomas plötzlich in seinen jetzigen Orga-
nen lesen , was damals planetarisch geschehen war aber er konnte
das mit seinem heutigen Leib nicht verbinden.
Weil Thomas praktizierender Arzt ist, hatte er im heutigen Leben
einen realen Wissenszugang zur Physiologie und Pathologie, aber die
psychische Belastung war zu groß, um die geistigen Kräfte der Intuition
ins Bewusstsein einbeziehen zu können. Als es so weit ging, musste ich
ihn unterstützen, sich von dieser Erfahrung wieder loszulösen, und ihm
helfen, da wieder heraus zu kommen, damit er sich von diesem Erlebnis
befreien und seine innere Ruhe wiederfinden konnte. Das heißt, dass
Thomas zu diesem Zeitpunkt für die Intuition von diesem besonderen
Zusammenhang noch nicht reif war.
Intuition ist also eine Mannigfaltigkeit, in der man in geistige Tätig-
keiten und Wirkungen sinngemäß hinein steigt. Die Realität des Geisti-
gen als etwas in das Ich-Bewusstsein mächtig Hineinwirkendes ist eines
von mehreren Kriterien der Intuition. Und dies sollte am Anfang bei
Imaginationen über frühere Leben noch nicht der Fall sein. Es wird sonst
zu viel und zu kräftig, wenn man sich intuitiv so erkennt und erlebt, wie
es früher einmal war. Daher ist es schon gut, dass man am Anfang der
ersten übersinnlichen Erfahrungen bei dem Imaginativen bleibt und noch
ein Maß an guter Skepsis behält, das einem hilft, weitere Übungen und
Vorbereitungen sich vorzunehmen. Zu solchen werden wir gleich wieder
zurückkehren.
Künstlerische Naturbeobachtung
Auf dem spirituellen Pfad bietet die Natur, die greifbar für jeden da ist,
den allerbesten Ansatz, grundlegende Übungen und Schulungsmomente
durchzuführen. Ganz ähnlich, wie du mit der Kunstbetrachtung vorge-
74
gangen bist, weißt du die Natur zu betrachten und zu schätzen. Erst ein-
mal sollst du dich überhaupt Natur als einem Kunstwerk gegenüber stel-
len. Wenn du draußen bist, stellst du dir innerlich vor, dass schöpferischer
Tatwille den Naturzusammenhängen real zu Grunde liegen könnte.
Du wirst zwischen ursprünglicher Natur und von Menschen gestalte-
ter Kulturlandschaft zu unterscheiden lernen. Das ist z. B. in den Län-
dern Süd-, Mittel- und Westeuropas nicht mehr so leicht, genau wahr-
zunehmen. In manchen anderen Ländern, z. B. im Norden und Osten
Europas, gibt es noch Urwälder und verschonte Gebiete, aber mehr oder
weniger über die ganze Erde hin müssen wir irgendwelche Einflüsse aus
menschlicher Hand in der heutigen Natur berücksichtigen. Später im
Buch soll gezeigt werden, wie aus Schauungen, die atlantisches Men-
schentum beinhalten, ganz neue Einblicke in humane Schöpferkraft in
fern zurückliegenden Zeiten gewonnen werden können, deren Zeichen
wir aber noch heute gewissermaßen in alten Kultstätten wie z. B. den Ex-
ternsteinen beobachten können.
Wenn du in einer Landschaft einen Spaziergang oder eine Wande-
rung machst, kannst du versuchen, die Charakterzüge der verschiedenen
Künste wiederzuerkennen. Wie findest du Architektonisches, Plastisches
und Malerisches in der Natur wieder? Du bemerkst den Boden, die Wie-
sen, die Hügel, Täler und Gebirge. Runde Hügel, kantige Klippen und
spitze Gebirgsgipfel scheinen manchmal wie architektonisch eindrucks-
volle Gebäude zu sein. Du kannst ergründen, wie gleichsam Raum-
bildungen zwischen Becken, Senken, Gehölzen, Hainen, Böschungen,
Wäldern, Schrägen, Berghängen, Felsen, Klippen und Bergen erschei-
nen. Durch Gesteine, Gebüsche, Dickichte, Bäume und Baumgruppen
kommen für deine schöpferische Fantasie Skulpturen im Freien zum
Bild. Die Farben von Moos, Gras, Pflanzen, Blumen, Blättern, Baum-
stämmen und Gesteinen fangen an, Darstellerisches erkennen zu las-
sen, ja durch die Lichtverhältnisse, die Luft, den Nebel, durch die Wol-
ken, den blauen Himmel und den Regenbogen kommt das Malerische
in die Bildvorstellung hinein.
Alle solche Ortschaften und Phänomene kannst du entdecken und ih-
re verschiedenen Stimmungen nachempfinden. Wie erlebst du eigentlich
eine Lichtung, die plötzlich bei einer Waldwanderung erscheint? Genau-
so wie bei der Kunstbetrachtung architektonischer Kunstwerke kannst du
einen solchen Naturfleck in seinen Einzelheiten mit dem Kunstsinn aus-
kundschaften. Was kennzeichnet einen Ort, wo eine Quelle hervorquillt?
Was bedeutet für dich ein kleiner Bach, der in einem Buchenwald ein
kleines Tal geschaffen hat? Wie erlebst du eine Tanne, die auf einem
Felsvorsprung einsam thront? Wie empfindest du die Stimmung, wo rote
Sandsteinfelsen am Talhang durch grüne Blätterflächen durchdringen?
Oder wie wirken helle Kalkklippen, die durch das Flechtwerk von Kie-
75
fern leuchten? Wie ist es, von abgerundeten Granitbergen eingeschlossen
zu sein, wenn die Sonne durch klare Luft deinen Schatten auf den steini-
gen Pfad wirft?
Tierpfade, Feldwege, Hecken, lebende Zäune, Bäche, Wasserfälle und
Flüsse, welche die Landschaft durchbrechen und sie in Teile gliedern,
schaffen nicht nur eine ergänzende Dynamik vor dem Horizont, sondern
sie wecken sogar eine Art geräuschlose Musik, die sofort Verbindungen
zwischen den vielen Motiven zieht, und es wird schwierig, nicht anzu-
fangen, zu summen, zu pfeifen oder zu singen. Viele Musikwerke von
Händel, Grieg, Debussy und anderen Komponisten haben die Inspiratio-
nen von bestimmten Gegenden, in denen die Tonkünstler weilten, erhal-
ten. Besonders wenn Fische im Wasser, Tiere am Waldrand oder auf
den Wiesen, Vögel und Insekten in der Luft sich bemerkbar machen,
wirst du durch ihre Bewegungen und Laute, ihre Schreie und ihr Ge-
winsel in das agile Element dessen kommen, was viele Komponisten,
Musiker und Dichter so gern haben, wenn sie das Lebendige in der Welt
so mannigfaltig darstellen wollen.
So kommst du nach solchen Entdeckungen der Beziehung zwischen
Natur und Kunst dazu, auch nach dem Poetischen, Epischen und Dra-
matischen begeistert zu fragen. Was macht die Landschaft poetisch? Wel-
che Merkmale muss eine Umgebung haben, um als dramatisch bezeichnet
zu werden? Und wie ist es mit einer epischen Gegend? Verschiedene
Landstriche mit diesen drei Kunstbegriffen zu vergleichen, macht nicht
nur Spaß, sondern öffnet die Augen für ausgeprägte Motive, die man
sonst vermutlich nicht bemerken würde. Was tun die verschiedenen Bäu-
me, um diese drei literarischen Ebenen in der Landschaft zu verstärken?
Ist eine Birke überwiegend poetisch oder vielmehr prosaisch in ihrer Ge-
stalt? Ist eine Eiche nur dramatisch-theatralisch in ihrem Ausdruck? Und
wann, wenn überhaupt, ist eine Kiefer poetisch-schwärmerisch? So
könnten wir die verschiedenen Bäume durchgehen, um mehr oder weni-
ger zu bestimmten Einschätzungen zu gelangen. Die Kelten wussten von
solchen Gefügen in der Natur, und es ist interessant, ihren überlieferten
Baumkalender nach künstlerischen Maximen anzuschauen.35
In einen Sommer, als ich in der Umgebung unserer Familienhütte in
Norwegen in einem Gebirgsbirkenwäldchen war, in welchem einige
Bäume und Unterholz so dicht gewachsen waren, dass wir vom Fenster
nicht mehr die schöne Fernsicht zum Tal erblicken konnten, entschloss
ich mich, eine Rodung anzufangen. Im Laufe der Strapazen mit dem
Fällen einiger Bäume und dem Wegtransportieren von Buschwerk und
abgesägten Ästen kam ich auf die Idee, diese Stück Natur mit einem Mi-
35
Michael Vescoli, Der keltische Baumkalender. Über die Menschen, die Zeit und die
Bäume. Kailash, Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2000.
76
niaturfamiliendrama à la Henrik Ibsen zu verbinden. Die Akteure dürften
die nicht geopferten Birkenbäume sein. So entstanden: der Held, die Ge-
liebte, die Mitspieler, die Rivalen, der Handlungsablauf, die Intrige und
das Bühnenbild. Rechtzeitig zur Uraufführung , die vom Parkett des
Hüttenfensters angeschaut werden konnte, gab es sowohl das wieder ge-
öffnete Panorama als großartige Dramaturgie des Tals, neues Brennholz
für den künftigen Winter wie auch die ersten Streitgespräche über das
Bühnenwerk im Hüttenbuch, so dass nachkommend andere Gäste in
Ruhe die Geschichte am Kaminfeuer weiterdichten dürften.
Zurück zum Allgemeinen: Die Erscheinungen in der Natur mit dem
Schauspiel am Himmel bekommen ferner eine anregende Steigerung.
Die mannigfaltigen Formen der durch die Winde bewegten Wolken
schaffen oft prachtvolle Stimmungen, wenn sie vom Sonnenlicht ab-
wechselnd durchbrochen werden und Schatten und auf- und abwogende
Lichtfluten über die Wiesen und Wälder geworfen werden. Viele Künst-
ler der Nationalromantik wie der Norweger Lars Skrefsrud beobachteten
das Wolkenspiel und gaben es in wundervollen Ölmalereien wieder. Ma-
ler wie Philipp Otto Runge und William Turner malten auch immer wieder
Motive, in denen das Lichtspiel draußen in Farbenpracht gestaltet wur-
de. Überhaupt die Natur in verschiedenen Wettern und Jahreszeiten zu
erleben, vertieft solche Anblicke.
Ich kenne einen Künstler in Dänemark, Hans-Erik Eriksen, der ein gan-
zes Jahr hindurch an jedem Tag früh morgens zum selben Platz hinaus-
ging, um einen Horizont zu malen. Welcher Fleiß und welche Geduld!
Es entstanden 365 wunderschöne kleine Aquarelle, die er auf einer
Wandfläche zusammenstellte, so dass eine Art Mosaik entstand. Man
kann die einzelnen Bilder für sich betrachten, dennoch vom Saal der
Hochschule Søtoftegaard bei Roskilde, wo das Kunstwerk auf der hinteren
Bühnenwand als Dekoration dient, konnte ich diese einmalige Komposi-
tion des Jahreslaufs wunderschön erleben.
Das künstlerische Miterleben der Natur erwirbst du dir nicht über eine
Nacht, sondern es geht hier um das Hineinleben in Rhythmen und Ver-
änderungen, die mit dem Tageslauf, dem Jahreslauf und auch dem
Wechsel im eigenen Leben zu tun haben. Es geht um ein feines Zusam-
menspiel, um ein Gespräch mit den Phänomenen.
Die vielfachen Erscheinungen im Freien wirst du noch klarer aufspü-
ren können, wenn du dich mit der Kunst des Gartenbaus und der Land-
schaftsarchitektur befasst. Da gibt es in manchen Ländern Gartenanlagen
italienischen, französischen, englischen, arabischen oder japanischen
Stils, die von den Bemühungen einstiger Gartenkünstler erzählen. Es
sind Anlagen, die man noch versucht, weiter zu pflegen und, wie ehe-
mals angelegt, aufrecht zu erhalten. So gibt es wunderbare Gärten und
Parks, z. B. in Städten wie Reykjavik, Trondheim, Bergen, Oslo, Stock-
77
holm, Helsinki, Oxford, London, Glücksburg, Hamburg, Berlin, Dort-
mund, Kassel, Leipzig, Blieskastel, Zweibrücken, Landau, Stuttgart,
Metz, Rom, Athen und Santiago de Compostela, die ich erlebt habe, die
noch unterschiedliche Stile und Finessen zeichnen mit Fußwegen, Trep-
pen, Plastiken, Pavillons, Steinen, Seen, Teichen, Wasserkunst, Blumen-
pracht und Baumständen, die anderswo solcherart nicht zu sehen sind.
Hermann Hesse hat wunderschöne Beschreibungen von Bäumen, Land-
schaften und Gärten gegeben, die ich empfehle zu lesen, weil durch seine
künstlerische und klare Betrachtungsweise viele fruchtbare Gesichts-
punkte übernommen werden können, die einen für die innere Arbeit
klangrein machen können.36
Die goetheanistische Arbeitsweise
der Offenheit und Behutsamkeit
Es ergab sich in den vorangehenden Beschreibungen, dass der Mensch
der Kunst und der Natur und überhaupt den Erscheinungen der Welt,
um ihnen gerecht zu werden, mit einer offenen und behutsamen Haltung
begegnen sollte, weil es um Lebendiges in einem weiteren Sinne geht.
Das Interesse, die Aufmerksamkeit in der Betrachtung und beim Er-
leben, muss dank verschiedener Sinnes- und Seelenfähigkeitsebenen so
gehandhabt werden, dass das Leben selber sich aus seinen Grundsätzen
kundgibt. Dies entspricht der so genannten goetheanistischen Arbeitsweise,
die auf Johann Wolfgang von Goethe zurückgeht, eine Methode, die
überhaupt im Umgang mit subjektiven und objektiven Vorgängen und
Phänomenen in der Welt des Sinnlichen sowie des Übersinnlichen geeig-
net ist.
Bis jetzt haben wir einige allgemeine Verhaltensregeln entdeckt, in-
dem es um die Aufgaben ging, große Zusammenhänge zu erkennen, Ver-
bindungen zwischen den Grundelementen zu finden und ein Gesamtbild
zu bekommen. Die Seelenhaltungen der Offenheit und Behutsamkeit
kannst du noch weiter vertiefen und verfeinern, indem du Einzelheiten
studierst, etwas Besonderes beachtest und dich in ein Objekt über längere
Zeit, das heißt über Tage und Wochen, vertiefst. Im Kunstbereich han-
delt es sich darum, z. B. ein Bild immer wieder anzuschauen, immerfort
kennen zu lernen und seine Geheimnisse zu hinterfragen.
Im Naturbereich mag es sein, dass du durch Wochen das Wachsen,
Blühen und Welken einer Pflanze studierst, über das Leben eines Bau-
mes im Jahreslauf sinnst oder jeden Morgen in einem wortlosen Dialog
36
Hermann Hesse, Bäume. Betrachtungen und Gedichte, Insel Taschenbuch 455,
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1984.
78
mit einem kleinen Edelstein stehst. Im 2. Teil werden wir zu eigenen
Kapitelchen zum meditativen Umgang mit Bäumen und Steinen kom-
men.
Der Weg in Offenheit und Behutsamkeit führt eben zur Erkenntnis
der Grundstruktur, des Wesens der Dinge in der Welt. Ein Ergebnis un-
terwegs könnte sein, dass du eine Beziehung zur Welt erhältst, die einer
wahren Freundschaft ähnelt. In der Beschäftigung mit den Dingen sollst
du solchen Gefühlen in dir zustimmen, die von den Gegenständen selbst
angeregt werden. Deshalb muss vorher eine ruhende Regungslosigkeit in
der Seele hervorgebracht worden sein. Die wird wie von selbst entstehen
können, wenn du zuvor nur in der reinen sinnlichen Anschauung weilst
und oberflächlichen, assoziativen Vorstellungen ausweichst. Gerade so,
wie es bei der malerischen Übung wichtig war, die physiologischen
Nachbilder zu sehen, wird es bei dreidimensionalen Dingen, gegenüber
welchen es eventuell zunächst mehr um die Formgestalt geht, ebenfalls
möglich, bedeutungsvolle Nachbilder, Stimmungen oder Nachklänge zu
erfahren.
So kann ein Gefühl in der Seele aufkommen, welches als objektiv an-
wesend festgestellt wird, als würde es vom Objekt wie in die eigene Seele
hinein projiziert erlebt werden. So können andere Farben, Formen, Li-
nien und Figuren, die anfangs sehr fein, zart und zierlich, aber trotzdem
exakt vorkommen können, auf diesem objektiven Gefühlsgebilde in das ei-
gene Bewusstsein hinein transportiert werden. Wenn nun eine achtsame
und aufmerksame Seelenfassung in diesem Anschauungsprozess gepflegt
wird, in der sowohl künstlerische, religiöse und wissenschaftliche Hal-
tungen mitwirken dürfen, wirst du früher oder später mit übersinnlichen
Realitäten und Wesen konfrontieret werden.
Die Eurythmiefiguren
Es gibt im künstlerischen Nachlass von Rudolf Steiner ein Gebiet, wel-
ches uns hier ein wenig beschäftigen soll, weil es zu konkreten Gesichts-
punkten führt, die hilfreich sein können, wenn wir die angesprochenen
objektiven Gefühle genauer verstehen wollen, um sie dann wesenhaft zu
erachten. Gemeint sind die so genannten Eurythmiefiguren.37
Angeregt durch die Bildhauerin Edith Maryon entstanden in der An-
fangszeit der Eurythmie die Eurythmiefiguren. Mit Bleistiftzeichnungen
hat Rudolf Steiner die einzelnen Vokale und Konsonanten skizziert
keine naturalistischen Menschengestalten, aber auch nicht kubistisch
37
Lasse Wennerschou, Die Eurythmiefiguren in Bild und Wort neu entdeckt, Verlag
am Goetheanum, Dornach 2001.
79
zergliederte Körper . Für die Figuren gibt Rudolf Steiner drei Farben an:
die Grundfarbe, die die ganze Gestalt ausfüllt, nennt er Bewegung , die
Flächen, die meistens um die Gestalt sich formen, werden als Gefühl
bezeichnet, dann, an bestimmten Stellen der Gestalt, die dritte Farbe: der
Charakter . Durch die drei Farben werden drei Elemente charakteri-
siert, die in der ausgeführten Lautbewegung leben und erlebt werden
müssen: Bewegung, Gefühl, Charakter. Die Zeichnungen mit den ange-
gebenen Farben dienen als Vorlage für die Eurythmiefiguren, die aus
Sperrholz ausgesägt und bemalt werden: kleine farbige Kunstwerke. Es
sind nicht Gemälde, auch behaupten sie sich nicht als Plastiken, sie sind
Bilder. Bilder, die uns begleiten und helfen können auf dem Weg zu ei-
nem imaginativen Schauen, auf dem Weg, den wir mit den Lautbewe-
gungen gehen.38
Die Bilder der Eurythmiefiguren mit den drei Farbgebungen und Be-
zeichnungen verhalten sich ja sinngemäß zu den in der eurythmischen
Kunst vorhandenen Vokal- und Konsonantenbewegungen, die mit der
menschlichen Gestalt als Kunstausdruck oder Therapieelement auszu-
führen sind. In der szenischen Eurythmie benutzen die Künstler farbige
Kleidung, die traditionell, wie Steiner es angelegt hat, in zwei Haupt-
farben vorhanden sind, üblicherweise eine Farbe für das Kleid und eine
andere für die Schleier.
In der Kunst der Eurythmie müssen pünktlich immer wieder neue,
aber für die Kenner der Sache altbekannte Bewegungen, Stellungen, Kör-
perhaltungen, Gebärden usw. eingenommen werden, um das, was z. B.
in einem Gedicht als Vokale und Konsonanten gesprochen wird, sichtbar
zu machen. Durch die technische Beleuchtung verändern sich entspre-
chend auch die mit den Gewändern getragenen Farben, je nach dem
Farbwechsel im Lichtraum durch die angegebene Choreografie.
An den Eurythmiefiguren wird dagegen immer eine Dreifaltigkeit ge-
zeigt, als Ausdruck von etwas, was eigentlich übersinnlich ist und des-
wegen für das äußere Auge nicht zu sehen ist. Wenn der Kunstbetrachter
in der sinnlichen Darstellung der Eurythmie seine Anschauungsweise so
weit verfeinert hat, dass er in objektiven Gefühlen die geistige Objektivi-
tät der Vokale und Konsonanten empfinden würde, würde er ihre Be-
wegung, ihr Gefühl und ihren Charakter in Gestalt und Farbe imaginativ
schauen. Er würde die in der geistigen Welt der Hierarchien so genann-
ten Weltgedanken, Weltempfindungen und den Weltenwillen als imaginative
Abgüsse in seinem Seelenraum auf dem vorher angedeuteten Gefühls-
gebilde schauen. Kurzum, es würde die göttliche Weltenseele, Sophia ge-
nannt, von der Platon und die Alten Griechen sprachen, einem als eine
individuelle Realität aufgehen. Zu dem imaginativen Bereich, in dem die
38
Ebenda, Seite 6.
80
Weltgedanken usw. sich auf menschlicher Ebene bekannt geben, gilt es,
durch den spirituellen Weg zu kommen.
Bewegung, Gefühl und Charakter beim Wort Baum
Die zu den Eurythmiefiguren angegebenen drei Sinndeutungen Bewe-
gung, Gefühl und Charakter wollen wir hier aufgreifen. Nicht nur für
die Laute in der menschlichen Sprache sind diese Qualitäten geistiger
Darstellungsweisen zu finden, sondern in allen Gegebenheiten der ver-
schiedenen Ebenen der Schöpfung können wir eine derartige Dreifaltig-
keit wiederfinden. Sie stimmen z. B. mit den menschlichen Seelenkräften
Denken, Fühlen und Wollen überein. Es ist verständlich, dass man diese
Seeleninstrumente in entsprechender Weise stimmen, säubern und kul-
tivieren muss, um die Übersinnlichkeit der Dinge in der Sinneswelt in
einem solchen dreifaltigen Ausdruck erscheinen zu lassen. Wenn wir die
Eurythmiefigur anschauen, ergibt sich folgender Zusammenhang.
Die Zitate sind dem Text des norwegischen Heileurythmisten Lasse
Wennerschou entnommen:
Der blaugrüne Schleier, das Gefühl, setzt sich nur leicht von der
warmgrünen Umgebung ab. Das Blau ist auch im rotvioletten Kleid
wirksam. Es öffnet sich das Blau in zwei Richtungen: zum Grün, zum
Violett. Die ganze Gestalt öffnet sich nach unten, aber das Untere
wird nur mit den Zehenspitzen berührt. Durch das Tasten, das An-
kommen erscheint der rote Charakter: in den Füßen, in den Armen,
im Kopf. Freude ist es, die durch das Rot sichtbar wird. Freude über
das Neue, das durch die Offenheit empfangen werden kann.39
Bei der Figur ist es anders:
Das reine Gelb verleiht der aufrechten Gestalt innere Sicherheit. Die
nach innen gerundete Bewegung der Arme und Füße lässt das Gelb
nicht wegstrahlen, sie ermöglicht dem Blau, aus der Umgebung he-
ranzukommen. Dieses umschließt mit beeindruckender Formkraft die
Gestalt. Es begegnen sich urbildlich die farbigen Repräsentanten
des Lichts und der Finsternis: Gelb und Blau. Sie begegnen sich,
vermischen sich nicht zum Grün. Durch die Begegnung bekommt die
Gestalt Charakter: Rot in Haupt, Herz und Gliedern. Innere Ge-
schlossenheit vermittelt uns diese Gestalt, ohne die Umgehung abzu-
weisen.40
39
Wennerschou, Seite 16.
40
Ebenda, Seite 18.
81
Wenn wir diese zwei Laute nun mit zwei weiteren Vergleichen und
daraus einen bekannten Wort aus der deutschen Sprache bilden, werden
wir entdecken, welche Komplexität von Farb- und Formqualitäten ein
Wort beinhaltet. Nehmen wir das U und das M. Beim U haben wir eine
noch strengere Figur als beim B. Die blaue Gestalt des U ruht in sich.
Die Füße sind zusammengeschlossen, die Arme fast parallel nach unten
gestreckt, der Kopf ist rechteckig:
Alles an dieser Gestalt gerinnt im Rechteck, aber ein Lichtstrahl trifft
auf sie. Aus einer Welt außerhalb des blauen Raumes verbindet er
sich tröstend mit der Gestalt und erscheint wie eine durchsichtige Sto-
la, die dem Körper innere Aufrichte und Halt gibt. Füße, Arme und
Haupt werden belebt, sie errötet im lila Charakter. Ein nach innen
gerichteter Wille, Keimkraft für Neues.41
Mit dem M erscheint eine ganz andere Figur. Die vorigen sind alle fron-
tal gestaltet, das M steht aber im Profil, nach links gerichtet, als würde es
mit dem abendländischen Lesen von links nach rechts verglichen
auf etwas Gewesenes zurückschauen:
Die grüne Bewegung gibt der Gestalt eine horizontale Dynamik. Kopf
und Füße vorwärts gerichtet, das Kreuz wölbt sich nach innen. Die
Arme vorne, aber mit den Handflächen nach hinten. So drängt sich
die Gestalt nicht auf, auch wenn sie vorwärts schreitet, sie ist Inte-
resse, in Bewegung umgesetzt. Das blaue Gefühl beide Flächen
auf der Herzseite! schafft Raum für das, was die Gestalt mit In-
teresse wahrgenommen hat. Der violette Charakter betont durch die
ganze Figur das Vorne-Hinten, hält die Bewegung aber nicht fest, son-
dern lässt sie atmen.42
Fügen wir nun diese vier Laute zu dem Wort BAUM Baum zu-
sammen und betrachten wir einmal Bewegung, Gefühl und Charakter
hier als ein Ganzes. Die Figuren zu dem Wort wirklich zu malen, würde
bestimmt viel mehr als nur das denkerische Anschauen bringen, aber
dazu muss sich jeder für sich die nötige Zeit nehmen. Folgende Begriffe
können aus den oben angeführten Zitaten über die Eurythmiefiguren ent-
nommen werden, um das Wort Baum zu beschreiben: Freude, Offen-
heit, innere Sicherheit und Geschlossenheit, Aufrichte, Keimkraft für
Neues, Dynamik, Interesse, Atmung.
Die Farben der Bewegung des Wortes Baum sind Gelb, Rotviolett,
Blau und Grün. Mit Gesichtspunkten von Goethe aus seiner Farbenlehre
bringt dieser Farbenklang eine stille oder zurückhaltende Stimmung, die
41
Ebenda, Seite 10.
42
Ebenda, Seite 40.
82
aber gleichzeitig etwas Harmonisches hat. Die Gefühlsfarben sind dann
Blau, Blaugrün, Gelb und noch einmal Blau. Dieser Klang in der Ein-
ordnung wirkt ebenfalls zunächst geruhsam, aber durch das Alleinsein des
Gelben im Verhältnis zu den drei dunklen Farben entsteht eine besinnen-
de Wachheit. Im Charakter finden sich abschließend Warmrot, Karmin-
rot, Lila und Violett zusammen. Diese Farbklang nun zeigt eine innere
Kraft, die sowohl begeisternd ist, als würde sie Freudentränen vergießen.
Jeder Baum hat in diesem Sinne Bewegung, Gefühl und Charakter als
innere Lebens- und Gestaltungsqualitäten. Man würde annehmen kön-
nen, dass, wenn verschiedene Elementarwesen und Baumwesen einen
Baum beleben und hüten, sie ihm den nötigen Beistand geben, um den
Wurzeln, dem Stamm, der Rinde, den Ästen, Blättern, Knospen, Blüten,
Samen und den Früchten in der Bewegung Langsamkeit und Eifer, im
Gefühl Kraft und Sinn und im Charakter Eigenart und Ausdauer zu ver-
leihen. Ein Baum ist auf unvergleichliche Weise eine Art natürliches Ge-
samtkunstwerk, welches Bewegung, Gefühl und Charakter so sammelt,
dass dadurch ein Stück Erde mit dem Himmel verbunden wird.
Wie das Wort Baum in früheren Zeiten, als noch Menschen Über-
sinnliches durch vererbtes, atavistisches Hellsehen* schauen konnten, ent-
standen ist, wäre noch zu studieren. In Norwegisch und Dänisch heißt
Baum Tre , in Schwedisch Träd , in Englisch Tree , die auf einen
anderen Wortstamm zurückzuführen sind. Hier wird das Substanzielle,
das Inhaltliche eines Baumes ergriffen, wobei im Deutschen mehr das
Gestalterische, die Formtendenz umschrieben wird. So könnte man ety-
mologisch untersuchen, um erweiterte Gesichtspunkte zu dem zur Un-
tersuchung stehenden Objekt zu ergründen.
Wenn du in deiner inneren Arbeit und bei der künstlerischen Be-
obachtung eines Baumes so vorgehst, dass du diese Gesichtspunkte be-
rücksichtigst, dann wirst du langsam zu den übersinnlichen Ebenen des
Baumes hinkommen. Die innere Wahrnehmung präpariert den Grund
für eine Imagination des Baumes und der zu ihm gehörenden Baumwe-
sen und Elementarwesen. In den Eurythmiefiguren ist der Dreiklang
Bewegung, Gefühl und Charakter mit der ganzen Gestalt und dem
Gewand, mit dem Schleier oder Umhang und oft mit den Gliedmaßen oder
mit Fuß- und Kopfbekleidung verbunden, wobei die Farben des Charakters
nicht so einheitlich verbunden sind wie bei den anderen zwei, dagegen
oft auf immer neune Stellen der Figur aufgetragen.
Beim Erkennen der Seelenglieder des Menschen Empfindungsseele,
Verstandes- oder Gemütsseele und Bewusstseinsseele kann ein Vergleich
mit dem Dreiklang der Eurythmiefiguren eine Ermittlung geben. Die
Empfindungsseele als verinnerlichte Angewohnheit ist ein Seelenkleid.
Damit bewegt man sich in der Gesellschaft. Die Verstandesseele als Bil-
dung ist etwas darüber Gehängtes, eine Drapierung, ein Schal oder sogar
83
eine Krawatte. Die Bewusstseinsseele mit der Zuvorkommenheit zeigt
sich eher in der Art, wie man sich kleidet oder wie man seine Kleidung
trägt. Mit welchem Hut gehe ich aus? Schuhe oder Stiefel? Auch die
Kostümgeschichte aus dieser Perspektive zu studieren, gibt eine immen-
se Aufklärung. Zum Beispiel die modernen Plateauschuhe sind ein typi-
scher Ausdruck der Bewusstseinseele. Sie konnten z. B. zur Zeit der Ent-
stehung der Akropolis in Athen oder bei den Römern nicht generell ge-
tragen worden sein.
Es ist nicht leicht, diese drei Arten der Seele im normalen Leben ein-
zuordnen. Dementsprechend ist es verständlich, dass diese Begriffe der
Anthroposophie keinen allgemeinen Gebrauch außer in den eigenen Rei-
hen gefunden haben. In den höheren Bewusstseinsarten finden sie aber
eine neue Zuweisung. Wenn das Bewegende der Empfindungsseele ruhig
wird, kann sie die Bereitschaft der Intuition wecken, sie gebiert gleich-
sam die Intuitionsseele. Die Verstandesseele kann alles das zurückhalten,
zum Schweigen bringen, was sie weiß. Alles, was ich weiß, inbegriffen al-
le Aussagen von Steiner und von anderen Lehrmeistern, müssen dement-
sprechend gelöscht werden, bevor ich einen Inspirationsraum in der
Seele individuell erbauen kann. Die Gemütsseele entbindet dann eine
Inspirationsseele. Schließlich kann die Bewusstseinsseele die Urteilskraft zu
einem fragenden Erstaunen ausüben, etwas, was die Imaginationsfähig-
keit in der neu geborenen Imaginationsseele anregt.
Das Baumwesen der Externsteine
Ich bin mehrmals hingereist, um den alten Mysterienort, die Exsternstei-
ne, zu sehen und zu erleben. Abgesehen von den vielfältigen Empfindun-
gen und Impressionen an den Gesteinen und den Felsenformationen, die
ich wiederkehrend bekam, hatte ich einmal ein Erlebnis unten auf der
Wiese mit einem großen Baum.
Ich stöberte die Wiese entlang in gutem Abstand von den Felsen, um
deren Gesichter zu beobachten. Dann fand ich plötzlich im Gras an der
Wurzel eines Baumes einen metallenen Löffel, den jemand vermutlich
verloren hatte. Ich hielte inne, und das Nachdenken über den Löffel
führte mich in einen Seelenzustand hinein, wo ich mich bald in einem
inneren Gespräch quasi mit dem Baum antraf. Eine meiner Fragen war:
Was war die Hauptaufgabe der keltischen Einweihung, die hier in vor-
christlicher Zeit gegebenenfalls erteilt wurde?
Der fragenden Einstellung entgegen trat eine Imagination mit inspira-
tiver Umhüllung und intuitiver Aufkeimung auf. Eine gewaltige, aber
zierliche und weiche Gestalt, die mir viel höher als der Baum vorkam,
stand da vor meinem inneren Blick. Ihre sehr beweglichen Hände und
84
Arme streckte sie laufend schnell in graziösen, fasslichen Bewegungen
um sich herum, von unten nach oben sie verlängernd , um sie über sich
zu durchqueren und gleichsam Lichtbänder aus den langen Fingern
weit in die entfernte Umgebung hin auszuwerfen. Sie sprach , wie Bana-
litäten feststellend, dass die Adepten lernen sollten, das Innere mit dem
Äußeren zu verbinden: Aus der Gemeinschaftsarbeit entstand Mut zum Ein-
samsein.
Die Bewegungsfarbe der Baumgestalt war Gelbgrün, ihr Gefühl Hell-
grau und ihr Charakter Dunkelrosa. Bauend an dieser Imagination habe
ich festgestellt, dass die drei Attribute Bewegung, Gefühl und Charakter
auch als Ausdruck des Zeitwesens der entsprechenden Gestalt zu sehen
sind. Bewegung entspricht dem, was aus der Vergangenheit sich in die
Gegenwart hineinstellt. Wir können die Begriffe Ursprung oder Herkunft
dafür benutzen. Gefühl drückt das Gegenwärtige, die unmittelbare Ver-
haltensweise im Augenblick aus. Hier passt dazu der Begriff Standort.
Der Charakter weist in die Zukunft hinein. Richtung wäre ein passender
Begriff.
Ursprung, Standort und Richtung drei Begriffsbildungen, die spä-
ter aufgegriffen werden sollen sagen etwas über das Wesen oder die
Individualität der entsprechenden Gestalt, der ihre drei Farben präsen-
tiert.
Was sagen denn die Farben Gelbgrün, Hellgrau und Dunkelrosa des
Baumwesens der Externsteine aus? Lasse mich eine Deutung anbieten,
die mit Gleichnissen arbeitet, der aber keine Imagination in höherem
Sinne entspricht: Bewegung als Ursprung ist beim Baumwesen gelbgrün,
also ein bisschen mehr grün als gelb. Eine Stimmung von Frühling und
Birkenblättern weckt zur Lebenslust und zum Zusammensein. Etwas mit
Venus Verwandtes ist dabei. Eine zarte Berührung von einer weisen
Hand auf der Wange der Jugend möchte an einen Ort der Frühlings-
mysterien alter atlantischer Kultur erinnern. Jugendfrische bleibt in der
Seele als Nachklang dieser hellgrünen Farbe haften. Gefühl als Stand-
ort ist hier hellgrau. Das Bild von einem von vielen Füßen getrampelten
Pfad durch eine offene Landschaft, auf den die Mittagssonne scheint,
entsteht auf dem Gefühlsgebilde. Das Hellgrau ist für alle Farben offen,
wie ein Schatten, der durch farbiges Licht die Kontrastfarbe erscheinen
lässt. Sein Standort ist kein Zufluchtsort, kein Gefängnis, sondern eher
eine Ufer, der viele Schiffe empfangen oder ausschicken kann. Durchläs-
sigkeit, Offenheit und Gewandtheit entstehen in meiner Seelenresonanz als
die geeigneten Tugenden dazu. Der Charakter ist dunkelrosa. Die
Richtung weist sowohl auf den Sonnenunter- als auf den Sonnenaufgang
hin, als würde der Ort hoch liegen und ihm die letzten und ersten Son-
nenstrahlen eines mit Tatendrang gefüllten Tages schenken. Die Stim-
mung führt in einem Rosengarten hinein, oder es entsteht die Frische
85
nach einem Bad und dann das Gefühl, saubere Kleider nach einer lan-
gen, staubigen Reise zu bekommen.
Das Baumwesen der Externsteine würde gemäß dieser Interpretation
jemand sein, der Erfahrungen gesammelt hat, als junge Menschen im
Altertum durch heilige, aber frohgemute Feiern die Kindheit verlassen
durften. So jemand würde auch der Jugend treu bleiben, um bei ihr zu
sein, auch wenn sie Hippies von Woodstock und Jazzenthusiasten von
Roskilde wären. Es würde erscheinen, wo Menschen im Zwielicht einer
Caféecke einander ihre Geheimnisse mitteilen, wo sie aus festlicher
Stimmung äußersten Stils mit innerlichstem Geschmack sich vereinen.
Vielleicht ist es nun auch dabei, wenn ansonsten ein Löffel beim Es-
sen gehoben wird, um den nach Geist hungernden Menschen zu ernäh-
ren?
Kunstmeditation als Brücke zum Geist-Erleben
Der Umgang mit Kunst baut eine seelische Brücke, die zu geistigem Er-
leben führt. Eine künstlerische Annäherung an alle sinnlichen Phänome-
ne führt dahin, dass du übersinnlichen Qualitäten auf die Spur kommst.
Es wurde in mehreren Beispielen schon gezeigt, wo dieser Brückenbau
in der Seele eingerichtet werden kann. Es wurde von einem Gefühls-
gebilde gesprochen. Wie diese Bildung oder dieser Modus genauer er-
schaffen werden kann, möchte ich durch ein paar Beispiele verdeut-
lichen, so dass die Art und Weise des seelischen Vorhabens der Bild-
meditation richtig verständlich werden kann.
Nehmen wir einmal ein sehr berühmtes Gemälde, das in Dresden
hängt: Die Sixtinische Madonna von Raffael. Wenn die Möglichkeit nicht
besteht, nach Dresden zu fahren, um das Original anzuschauen, musst
du dich damit zufrieden geben, eine Reproduktion als Vorlage zu benut-
zen. Durch die Kunstbetrachtung gehst du wie oben beschrieben vor, bis
der Punkt erreicht ist, dass du das Bild immer neu aus der Erinnerung
auch mit geschlossenen Augen aufbauen kannst, ohne die Reproduktion
zusätzlich anzuschauen. Setze dich mit aufrechtem Rücken bequem hin,
so dass die Schultern locker sind und eine ruhige Atmung möglich ist.
Nun gehst du das Motiv wieder durch, indem du es in andere Kunst-
formen übersetzt. Versuche, es als Plastik anzuschauen, das heißt als
dreidimensionale Gestaltung in einem architektonischen Raum zu den-
ken. Was erlebst du dabei? Oder wie würde es auf einer Bühne in eine
dramatische Darstellung passen? Wie, wenn dazu Musik käme und es,
wie in einer Oper, gesungen werden sollte? Unabhängig von deinen ver-
schiedenen Gefühlen und Gedanken, die sich einstellen, musst du dich
selber energisch durch ein solches Vorhaben als direkt dabei anwesend
86
denken. Deine Position rückt gewissermaßen dem Motiv näher, als
wenn du es als ein von dir getrenntes Bild siehst.
Ein solcher Vorgang wird in der heutigen psychologischen Termino-
logie als Visualisierung bezeichnet. Diesen Begriff kann natürlich benutzt
werden, wenn berücksichtigt wird, dass hier nicht nur visuelle Aspekte in
Wirksamkeit treten sollen, sondern dass auch Aspekte, die mit den Zeit-
künsten zu tun haben, mitwirken müssen. So gesehen reicht es auch
nicht, nur von Bildmeditation zu sprechen, sondern wir müssten von
Kunstmeditation reden. Der Begriff Bildmeditation wird der Einfachheit
halber im Text weiter benutzt, weil er schon durch Jahre in meiner
Arbeit eingearbeitet ist.
Mit dem Begriff Visualisierung besteht vielleicht die Gefahr, dass man
sie mit einer falsch verstandenen Interpretation von Vision verbindet, wo-
bei häufig mindestens bei vielen Anthroposophen etwas Krank-
haftes gemeint wird. Weil es in allen diesen seelischen Abläufen, seien
sie als psychologische Therapie oder als eine sich selbst schulende Medi-
tation eingesetzt, um das echte Künstlerische geht, ist es immer besser,
durch direkte individuelle Erfahrung zu den adäquaten Begriffen zu
kommen. Wesentlich ist, dass auch hier wie bei aller Meditation es
um die eigene Aktivität des seelisch-geistigen Bemühens geht.
In der nächsten Phase der modulierenden Beschäftigung mit dem Ma-
donnenmotiv versuchst du, dich dementsprechend zurecht zu finden,
dass du dich selbst überzeugst, in einer immateriellen Situation zu sein,
das heißt, du versuchst wirklich, dich mitten in dem Motiv anwesend zu
erleben. Um zu verstehen, was hier gemeint ist, musst du zunächst ver-
schiedene menschliche Positionen in der Meditation nacheinander aus-
probieren. Du versetzt dich in die Rollen der verschiedenen Figuren im
Bild, indem du von der entsprechenden Raumposition in dem gebilde-
ten, imaginierten Zusammenhang versuchst zu handeln, zu fühlen und
zu denken. Du lässt aus dem sich Hineinleben in die Figuren die oben
beschriebene Dreiheit Bewegung, Gefühl und Charakter mit ihren
entsprechenden Farben entstehen. Du kannst von den Farben im Bild
ausgehen, aber du musst nicht bei ihnen hängen bleiben , sondern du
kannst aus dem inneren Gefühl heraus andere Klänge entstehen lassen,
die dir auch relevant vorkommen. Aus diesem sich hin und her Bewegen
und sich Zurechtfinden wirst du entdecken, dass dir in den verschiede-
nen Haltungen und Positionen abwechselnde Empfindungen, Gefühle
oder Ahnungen aufkeimen. Du wirst allmählich oder sogar unerwartet
spontan entdecken, dass du dich nicht mehr nur innerhalb der eigenen
Phantasiegebilde befindest, sondern du wirst merken, dass in deiner See-
le eine Atmosphäre sozusagen als etwas Spürbares, das um dich lebt
entsteht, wo echtes Übersinnliches als etwas Befindliches empfunden
werden kann. In dieser Lage wird es wichtig, diesen entscheidenden Mo-
87
ment innerhalb der Meditation nicht nur als Erleben zu haben, sondern
nach der Meditation ihn mit dem normalen Bewusstsein zu charakterisieren,
um erneut aus einer Gefasstheit der Vertiefung zu neuem Meditieren zu
gehen.
Das atmosphärische Gefühl ist die Ankündigung einer Erweckung der
in der Seele schlummernden Organe der Chakren, die im Menschen für
geistige Wahrnehmung allgemeingültig seit Uranfang der Menschheits-
entwicklung eingegliedert sind. So wirst du zunächst die Geistorgane
anders als die Sinnesorgane erfahren. Wenn für die Sinneswelt der
Mensch wie aus einem Punkt nach außen etwas erfasst, muss er für
Übersinnliches umgekehrt, mehr wie aus dem Umkreis wahrnehmen, das
Geistige auf sich wirken lassen, um aus einem inneren Willen die Er-
kenntnisse dann zu erschließen.
Wenn eine entstandene relevante Frage aus der forschenden Arbeits-
weise mit in die Übung hinein genommen wird, kann die aufgebaute Re-
lation zum Madonnenmotiv als Übergang zu einer weiteren Situation in
der Meditation geschaffen werden, in der auf eine Auskunft eingegangen
werden kann. Später werden wir diese fragende Tätigkeit genauer betrach-
ten und mit Exempeln ergänzen, wie du dich verhalten kannst, wenn Be-
antwortungen in Form von symbolischen, bildhaften oder sprachlichen
Prägungen erscheinen.
Für die künstlerische Ausgestaltung des ersten Goetheanums schuf
Rudolf Steiner eine Reihe von Entwürfen, die er maßgebend selber in
den plastischen und malerischen Techniken mit ausarbeitete. Der erste
Goetheanumbau war von ihm so intendiert, dass, gefördert durch die
künstlerischen Formen des Baus, Karmaschau bewirkt werden sollte.
Schon die sinnliche Anschauung sollte die Funktion haben, karmische
Imaginationen beim Betrachter frei zu machen. Wenn man unbefangen
ist und sich meditativ in diese Goetheanum-Motiven vertieft, muss ange-
nommen werden, dass eine gesteigerte Möglichkeit entstehen wird, das
Schauen anzuregen. Für die Malerei der großen Kuppel existiert z. B.
das Motiv Der indische Mensch , das auch in einer nachgemalten Kopie in
dem heutigen Dornacher Bau zu sehen ist.43 Als weiteres Beispiel soll
nun dieses Motiv aufgegriffen werden, um den Modus der Kunst- oder
Bildmeditation noch sorgfältiger zu beschreiben.
43
Eine Beschreibung mit den Kommentaren und Skizzen von Steiner zu diesem
Motiv befindet sich in: Raske, Seite 101 ff.
88
Der Modus der Bildmeditation
von der sinnlichen zur tugendhaften Anschauung
Das Motiv auf einer Pastellskizze von Steiner enthält ein großes, ernstes
Antlitz in rosa-violettem Farbton. Es porträtiert den so genannten gött-
lichen Manu, der Inaugurator war der nachatlantischen Kultur mit ihrem
Beginn in der urindischen Kulturepoche vor etwa neuntausend Jahren.
Das ernst schauende Gesicht ist in einem Hintergrund von Gelb und
Orange eingebettet, wobei das Gelbe nach unten liegt und als Grün am
Hals erscheint. Das Haar ist an den Seiten lang geschnitten und hängt
über die Schultern. Aus seinem Kopf strömen sieben gelbe Lichtstrahlen
nach oben, die sieben kleinere Gesichter, alle mit langem Bart, anstrah-
len. Man bekommt den Eindruck, dass sein Kronenchakra ganz offen
und sehr wirksam ist. Die Gesichter über ihm stellen die so genannten
sieben heiligen Rischis dar. Sie sind in Violett auf den orangefarbenen Hin-
tergrund gemalt. Darüber geht die Grundfläche in warmes Rot über, in
welcher sieben gelbe Sterne über den Rischis erscheinen.
In der Bildbetrachtung und im Vergleich zu den Attributen der Eu-
rythmiefiguren kannst du zunächst nacheinander den Dreiklang der Hin-
tergrundfarben untersuchen und sie wechselweise mit Ursprung, Stand-
ort und Richtung abwägen. Mir scheint das Gelbe mit Ursprung am
besten übereinzustimmen, weil der erhabene Anfang des Menschen als
Lichtwesen bedacht wird; Orange mit Standort, weil der Mensch ein ak-
tives Wesen ist, das in allen Dingen Aufschluss erfahren kann; und Rot
mit Richtung, weil der Mensch sich für die Zukunft resolut begeistern
kann. Rot ist halt eine Farbe, die einem, wie es scheint, entgegen kommt,
während Blau vielmehr von einem fortgeht.
Dann geht es darum, sich in die acht Gesichter einzuleben. Es ist in-
teressant, dass hier nicht die ganze Gestalt zu sehen ist, und deswegen
soll versucht werden, alles, was in der Übung zu empfinden ist, wie nur
aus dem eigenen Gesichts- und Kopfbereich zu beschaffen. Ein Denken
kann sodann geübt werden, in dem alle Gefühle und Willensimpulse wie
von Klarheit und Licht durchdrungen werden müssen, so dass man aber
erlebt, sich ganz in Orange eingebettet zu sein. Beim sich Hineinleben
in die Mittelfigur ist zu beachten, wie es sich fühlt oder wie es zu erleben
ist, dass das Denken unterschiedlich sich bewegt, wenn man hin zu den
sieben Rischis, die ja in einem Halbbogen über einem schweben, von
sich etwas ausgehen lässt; und welche Gedankenströme kannst du von
unten empfangen, indem du nacheinander die sieben Rischi-Positionen
einnimmst? Welche moralischen Impulse oder Tugenden könnten durch
das sich Hineinleben in die verschiedenen Ansichten erlebt werden?
Wenn du das Motiv aus mehreren meditativen Ansätzen von innen
her kennen gelernt hast, kannst du weitergehen und Dinge mit einbezie-
89
hen, die in dem Original nicht vorhanden sind. Z. B. kannst du aus der Werden . Daraus besteht das wahre Ich: aus denkender, fühlender,
grünen Fläche unter dem Kinn ein Landschaftsmotiv denken. Du stellst wollender Aufmerksamkeit.
dir beispielsweise vor, dass du aus den hohen Gipfeln des Himalaya Der Mensch als Ich-Wesen ist dort, wo seine Aufmerksamkeit ist.
nach Süden gegen Indien schaust, das vor dir wie ein sonnendurchflute- Ist sie bei seiner Körperempfindung, dann haftet das Ich an dieser:
tes Land der Fruchtbarkeit ins Unendliche sich ausbreitet. Dieses Haften wird in der Bibel das Fleisch genannt. Ist das Haften
Wenn du aus dieser meditativen Position die Frage stellst: Wann und ein Dauerzustand, so geht die Autonomie, die Freiheit der Aufmerk-
wo war ich selbst als Individualität in der ersten Kulturepoche inkarniert samkeit verloren. Sie wird geteilt: vor allem zwischen dem Selbstemp-
und wie haben dementsprechend die fortwirkenden Impulse der sieben finden und der Welt. Die Selbstempfindung verzweigt sich in viele
heiligen Rischis und deren Lehrer, Manu, auf meine Individualität ge- verselbständigte Aufmerksamkeitsstücke, die zusammen das psycho-
wirkt?, wirst du bestimmt mit der Zeit entdecken, dass die Beschäftigung logische Unterbewusste bilden. Sie wird aber auch zwischen den un-
mit einem solchen Motiv aus dem ersten Goetheanum einer echten Kar- zähligen erworbenen Begriffen und Vorstellungen verteilt. Die Be-
maübung gleichbedeutend sein kann. Dieses Motiv habe ich immer wie- wusstseinsschulung hat zunächst die primäre Aufgabe, die Autonomie
der für mich und mit anderen Übenden als Eingangtor der Karmafor- und Ungeteiltheit der Aufmerksamkeit wieder herzustellen.44
schung zu vorgeschichtlichen Zeiträumen benutzt. Somit entfalteten sich
Kunstbetrachtung und Naturbeobachtung nach künstlerischen Gesetz-
sowohl karmische Imaginationen zu der ersten nach-atlantischen Kultur-
mäßigkeiten sind mit Bewusstseinsschulung gleichbedeutend. Durch die
epoche als auch atlantische Lebensumstände vor dem inneren Blick, die
Souveränität der Aufmerksamkeit kann das Ich in meditativer Schulung
sonst kaum in solcher Erhabenheit sich dargeboten hätten.
das Interesse am Objektiven so steigern, dass man anders sich in der
Der Modus der Bildmeditation ergibt sich nach und nach aus dem
Seele erleben wird, wenn der Geist sich präsentiert, er zu einem spricht
Üben, wenn du die Qualitäten aller Künste involvierst. Der Ablauf geht
oder einen berührt als wenn man keine Sinnesschulung in der äußeren
von der objektorientierten, sinnlichen, zur subjektiven, moralischen An-
Welt gepflegt hat. Ja, Geist wird dann einen dauerhaften Eindruck auf
schauung, von dem Außerhalb-Sein in der Sinneswelt zum Drinnenste-
einen machen, so dass man nicht mehr so sein wird, wie man vorher
hen in der individuellen Seelenwelt. Der anthroposophisch orientierte
war. Es wird der Moment kommen, wo du zu einem Schöpfer deines
Autor Georg Kühlewind 2006) spricht von der Belebung der Sinne,
Selbst wirst. Aus dem Künstlerischen wird der Forscher im Geiste geboren.
wenn er Wege zur fühlenden Wahrnehmung in einem seiner Übungs-
Eine Brücke zwischen Sinneswelt und Geistwelt wird alsdann von uns
bücher beschreibt:
selbst aus den Elementen des schöpferischen Zusammenklangs gebaut.
Die Aufmerksamkeit scheint eine Brücke zu sein zwischen dem auf-
merksamen Subjekt und dem Objekt der Aufmerksamkeit. Genau be-
Künstlerische Erfahrung
obachtend bemerkt man, dass im Augenblick der intensiven Beobach-
und die Orientierungsfähigkeit im Geistigen
tung oder Hingegebenheit der Aufmerksame sich nicht auf sich selbst
besinnen kann; würde er das tun, so würde die Aufmerksamkeit vom
Durch die Art, wie wir später durch Seelenübungen und bildhafte, dyna-
Objekt weg zu ihm selbst als einem anderen Objekt wechseln. Das
mische Meditation die Aufgabe skizzieren werden, wie man außerkör-
Subjekt bleibt in beiden Fällen verborgen, unauffindbar. Es ist näm-
perlich ohne das Fleisch ein neues Bewusstsein gewinnt, um geistige
lich immer dort, wo die intensive, womöglich ungeteilte Aufmerksam-
Erfahrungen zu machen, wird es anschaulich werden, dass der Umgang
keit ist. Das Subjekt wird identisch mit dem Objekt der Aufmerksam-
mit Kunst eine sichere Basis für meditative Arbeit schafft. Das Künst-
keit.
lerische ist wirklich etwas, das uns auf den Weg des geistigen Schauens
Der Aufmerksame ist von seiner Aufmerksamkeit nicht zu unter-
bringt, betonte Rudolf Steiner.
scheiden. Sobald er sich vom Objekt der Aufmerksamkeit unterschei-
Es kann auch nicht genügend betont werden, dass die verschiedenen
det, verliert er dieses und ist so nicht mehr aufmerksam. Aufmerk-
Künste spezielle Eigenschaften entwickeln lassen, die man in der über-
sam aber ist er bis zur Identität dem Objekt hingegeben. Das Maß der
sinnlichen Wahrnehmung zu brauchen lernt, ja, die Orientierungsversu-
Identifizierung ist das Maß der Aufmerksamkeit. Das menschliche Ich
existiert in seiner Tätigkeit, d. h. in der Hingabe, und hat kein stati- 44
Georg Kühlewind, Die Belehrung der Sinne. Wege zur fühlenden Wahrnehmung,
sches Sein. Es ist nur im Tun, in Tätigkeit, im Werden Das- Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1990, Seite 35f.

90 91
che im Geistigen werden immer wieder auf die Erfahrungen im Künst-
lerischen zurückgreifen können. Jeder Mensch ist anders und man muss
selber entdecken, welche Kunstart oder Künste einen am besten in die
geistige Arbeit einstimmen können. Es verhält sich aber nach geistigen
Gesetzen so, wie schon in der Beziehung der Künste zum Menschen-
wesen angedeutet wurde, dass jeder Kunstart eine Ebene im Übersinn-
lichen entspricht.
Wenn wir im 7. Teil einen Abschnitt mit meditativen Übungen behan-
deln werden, wo die sieben Hauptchakren angesprochen werden sollen,
und du diese Übungen machst, kannst du in diesem Zusammenhang
auch untersuchen, wie die Künste und ihre Eigenschaften mit den Cha-
kren in Verbindung gesetzt werden können. Das ist ein wichtiges For-
schungsgebiet, auf das hier nur andeutungsweise hingewiesen werden
kann. So, wie die Künste verschiedene Erlebnissphären ermöglichen
und andere Sinne beanspruchen, werden auch die Chakren, wenn sie zu
übersinnlichen Wahrnehmungsorganen sich allmählich entwickeln, un-
terschiedliche geistige Zusammenhänge enthüllen. So ist es meine Erfah-
rung, dass die Architektur beispielsweise mit dem Kronenchakra zu tun
hat, die Plastik mit dem Stirnchakra, die Malerei mit dem Halschakra,
die Musik mit dem Herzchakra usw. So ist es angebracht, dass man nach
einer Zeit des kontinuierlichen meditativen Übens zur Kunstbetrachtung
und Kunstausübung zurück geht und untersucht, wie man dann andere
und neue Erlebnisse anhand der Wahrnehmungen durch die Chakren
bekommen kann.
Es ist z.B. bemerkenswert, wie durch Anschauung der malerischen
Kunst die Sprachorgane als geistige Forschungsorgane positiv beeinflusst
werden können. Äußerlich kann man beim Malerischen dementspre-
chend das Schweigen üben, welches aber in der Meditation zu einem
innerlichen Sprechen, einem taktvollen Fragenstellen sich entwickeln kann.
In den übersinnlichen Welten, die normalerweise zunächst durch imagi-
natives Bewusstsein aufgehen, werden die Erfahrungen mit den bilden-
den Künsten weiterhin in Betracht kommen.
Im inspirativen Bewusstsein treten die Prinzipien des Musikalischen
deutlich in Funktion und in der Intuition geht das Wesenhafte der ande-
ren Zeitkünste in der Erkenntnis auf. Aber schon in der ganzen Vielfalt
und der komplexen Erscheinung des nur Imaginativen treten schon die
Tendenzen aller Künste auf. So wird es manchmal ein reines Vergnügen
sein, aus einer bekannten künstlerischen Gesinnung heraus zu versu-
chen, bedächtig in der übersinnlichen Beobachtung und in den Erlebnis-
welten des Übersinnlichen sich zurecht zu finden. In der Kunst lebt sich
das Geistige in physisch-sinnlichen Formen aus. Z. B. wird in der Dicht-
kunst Übersinnliches als Abglanz geistiger Wahrheit reflektiert. Das
Künstlerische bringt uns auf den Weg zum geistigen Schauen. Die Eu-
92
rythmie regt quasi dazu an, das Interesse ganz zeitgemäß auf das Geisti-
ge im Menschen zu richten, weil sie rein aus geistigen Quellen getra-
gen von einer modernen Geisteswissenschaft hervorgebracht worden
ist. Umgekehrt kann man sagen, dass nur in dem Umfang neue Geistes-
forschung entsteht, wie die Eurythmie sich lebendig und sachgemäß wei-
ter entwickelt.
Wenn du hinauf kommst ins Übersinnliche, bekommt das Verstandes-
mäßige in seiner intellektuellen Vorstellungsform sofort keinen Sinn
mehr. Genauer gesagt, als kritische Verstandestätigkeit muss es drüben
ganz aufhören zu wirken. Alles Intellektuelle und das verstandesmäßig
Festgelegte der Vorstellungen und der Begriffe müssen sich an der
Schwelle zur geistigen Welt in ein Künstlerisches umwandeln. Nur die
Kunstfertigkeit im Denken bleibt drüben nämlich übrig, ist dort fähig wei-
terzuleben und geistige Wesen zu erleben. Das Initiationsprinzip das
sich verändern Wollen als Mut zum Übersinnlichen eröffnet uns die
Möglichkeit, vom physischen Plan in die geistigen Welten hinein fort zu
schreiten. Was wir dann in Bildern und gleichbedeutend mit künstleri-
schen Gestaltungen erfahren und erleben können, das wird wiederum
neu als Kunst und Geisteswissenschaft zum Ausdruck kommen können,
so dass das real geistig Erlebte für andere Menschen als ein die Kultur
bereicherndes Geschenk angesehen werden kann.
In meinem ersten Buch habe ich auf ein Thema bei Rudolf Steiner
hingewiesen, das aufschlussreich ist, wenn man verstehen will, warum
Imaginationen in der Meditation leichter entstehen, sofern man sich
einem bewussten Sinnesleben vorher gewidmet hat.45 Es betrifft den so
genannten Lichtseelenprozess .46 Ich betonte damals, dass das Üben des
Hineinlebens in äußere Farbzusammenhänge und Bilderscheinungen
bestimmte seelische Fähigkeiten unterstützt, so dass das imaginative
Bewusstsein gewinnbringend erweckt wird. Laut Steiner ist die uns
umgebende Sinneswelt von Lichtqualitäten durchdrungen, die seelisch
bedingt sind, den Menschen zu helfen, sich wieder mit dem göttlichen
Urgrund zu verbinden. Durch das so genannte Mysterium von Golgatha*
wurden diese Lichtqualitäten mit der Erde verbunden, und sie sind seit
dem Beginn des abgelaufenen Jahrhunderts zunehmend stärker gewor-
den.
Das neu erweckte Umweltbewusstsein seit den 1950er Jahren ist nur
ein Zeugnis dieser Entwicklung. Wenn wir mit unseren Erfahrungen im
Tageslicht in einen großen Rhythmus kommen, wo die göttlichen Licht-
taten der guten geistigen Wesen an unseren übersinnlichen Wesenshül-
45
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 118ff.
46
Rudolf Steiner, Die alte Yoga-Kultur und der neu Yoga-Wille, Vortrag vom 30. 11.
1919, in: Die Sendung Michaels, GA 194, Dornach 1983, Seite 102 119.
93
len während der Nacht bewusst werden, wird die Fähigkeit des eigenen
Ich, selbst strahlend zu werden, unaufhörlich ausgebildet. Und diese
selbst entwickelte Strahlkraft wird das Geistdunkel, das anfangs uns nor-
malerweise als meditative Realität begegnet, allmählich erhellen.
Aber warum schauen wir nicht in die geistige Welt so ohne weiteres?
Warum werden wir mit keinem Hellsehen geboren? Rudolf Steiner ging
einmal auf diese Fragen sehr pragmatisch ein: 2.
Nach zwei Richtungen hin ist diese geistige Welt versperrt. Einmal Sinnes- und Seelenübungen
durch die äußere Natur. Wir nehmen die äußere Natur gleichsam als
eine Hülle desjenigen wahr, was dahinter liegt. Kann man durch diese
Hülle durchdringen, dann ist man in der geistigen Welt darinnen.
Aber ebenso ist es im Inneren. Der Mensch nimmt sein Denken, Füh-
len und Wollen wahr. Hinter dem liegt etwas anderes: dahinter liegt
die ganze seelische Natur, die von Inkarnation zu Inkarnation geht.47
Man könnte sagen, dass es nicht so ist, dass wir wegen der Natur des
Menschenwesens von der geistigen Welt unbedingt getrennt wären. Aber
weil die Menschheit seit der Renaissance durch kulturelle Gewohnheiten
und andere Verhältnisse sich ganz abgewöhnt hat, andere Gedanken zu Die Kunst aber ist immer voraus,
bilden als diejenigen, die mit der physischen Welt zu tun haben, werden geht voran, weist auf das Neue hin,
die inneren Anlagen, durch die die geistige Welt erkannt werden kann, das dann nur der Einzelne als Einzelner
nicht beansprucht. Übungen zur Durchdringung der ersten Hülle, der für sich selbst ergreifen kann.
Bedeckung des Äußeren, wurde bereits gegeben; im 2. Teil folgen nun Deshalb ist Kunst immer individualisierend.
einige Übungen, die sich mit der Offenlegung der zweiten Hülle, der
Schleier des Inneren, beschäftigen. Mathias Wais48

47 48
Rudolf Steiner, Die okkulte Bewegung im 19. Jahrhundert und ihre Beziehung zur Mathias Wais, Biographie-Arbeit Lebensberatung, Verlag Urachhaus, Stuttgart
Weltkultur, GA 254, Dornach 1969, Seite 136. 1992. Seite 131.

94 95
Biografisches zu denken, zu bewegen und zu vertiefen, ist eine Voraus-
setzung für karmische Erkenntnisse. Wie viel und in welcher Weise du
das machen sollst, kannst nur du selbst entscheiden. Heutzutage gibt es
viele Praktiken, die sehr sorgfältig unterschiedliche Wege anbieten, um
die eigene Biografie aufzuarbeiten. Um nur einige wenige solcher Impul-
se zu erwähnen, möchte ich hier auf die Biografiearbeit von Gudrun Burk-
hart und das Schicksalslernen von Coenrad van Houten hinweisen.49 Das
sind zwei miteinander verwandte Arbeitsweisen, die gegenwärtig von
vielen Lebensberatern auf der ganzen Welt angewandt werden.
Im ersten Buch habe ich gezeigt, wie ich selbst mit der biografischen
Thematik gearbeitet habe. Hier soll nun eine Reihe von Übungen und
eher einfacheren Meditationen geschildert werden, die nach und nach in
der meditativen Arbeit mit Menschen in den letzten Jahren entstanden
sind. Diese Übungen müssen nicht streng chronologisch durchschritten
werden. Auch können sie immer wieder geübt werden und demgemäß
als etwas Grundlegendes oder in gewissem Sinne als Hilfs- oder Neben-
übungen betrachtet werden.
Der ideenreich Meditierende wird bemerken, dass er selber aus den
beschriebenen Beispielen noch andere Übungen entwickeln kann, weil
aus Phantasievollem immer neues Einfallsreiches entkeimen kann. Ich
werde mit Erinnerungsübungen anfangen und gehe dann weiter zu
Übungen, die einen erfinderischen oder fiktiven Charakter haben. Wenn
du die Tatsachen des Lebens bearbeitest, wirst du entdecken, dass du
zunächst von objektiven, wahren Zusammenhängen auszugehen glaubst,
die aber durch die Arbeit so durchleuchtet werden können, dass du ent-
deckst, dass du im Gedächtnis durch die Jahre vieles mit subjektiven
Motiven geschminkt hast. Hingegen wirst du sehen, dass etwas Fikti-
ves, das du dir ausdenkst oder in der Meditation entstehen lässt, Kom-
ponenten beinhalten kann, die als wahre Themen oder Urbilder der eige-
nen Individualität erscheinen können.
Der Sinn dieser Übungen ist es, in deiner Seele einen anderen Men-
schen, der du gleichfalls selbst bist, zu entbinden. Dieser andere Mensch
in dir soll innerlich so standhaft, plastisch, malerisch, musisch, ausdrucksvoll,
beweglich und gesellschaftlich werden, dass du Schritt für Schritt alle Angst
und alles Zurückschrecken vor dem real Geistigen bis in die Tiefen dei-
nes Wesens erkennst und überwindest. Maria Röschl-Lehrs, eine Schü-
49
Gudrun Burkhard, Schlüsselfragen zur Biographie. Ein Arbeitsbuch. Gudrun
Burkhard, Das Leben in die Hand nehmen. Arbeit an der eigenen Biographie. Gu-
drun Burkhard, Das Leben geht weiter. Geistige Kräfte in der Biographie. Alle Bücher
im Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart. Coenrad van Houten, Erwachsenen-
bildung als Schicksalspraxis. Grundlagen für zeitgemäßes Lernen, Verlag Freies Geistes-
leben, Stuttgart 1998.
96
lerin Rudolf Steiners und die erste Leiterin der Jugendsektion der Freien
Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach, Schweiz, fasste in einem
Aufsatz diese Angelegenheit mit folgenden Worten zusammen:
Dieser zweite Mensch, der bisher nur in zurückgezogenen Schulungs-
stätten bewusst gepflegt wurde, er beginnt, der heraufkommenden
Menschheit als ganzer allmählich erlebbar zu werden. Es ist an der
Zeit, ihn bewusst zu erfassen. Allmählich kommen wir, wenn wir den
geisteswissenschaftlichen Schulungsweg im exakten inneren Tun be-
treten, dazu, diesen zweiten Menschen in Augenblicken reiner Kon-
zentration herauszuheben aus dem physischen Leibe, mit ihm und
durch ihn erkennend Welt und Mensch zu erfassen. Dann geschieht
dies nicht unter Aufgabe des Ichbewusstseins, sondern gerade ichhaft.
Denn dieser zweite, wolkenartige Mensch hängt ja zusammen mit un-
serem sternenhaften Astralleib, dem Träger und der Hülle des Ich.50
Das innere Kind der zweite Mensch in uns
Es soll eine Übung zunächst beschrieben werden, die ich als dynamische
Biografieübung bezeichne, zumal zwei Erinnerungen nacheinander ange-
schaut werden und miteinander in Wechselbeziehung treten sollen. Zu
der ersten Erinnerung fügt man eine Stimmung, die aus der zweiten Er-
innerung stammt und mit hinein genommen werden soll in das Geden-
ken, das man zuerst aufgerufen hat. Das erste Andenken bezieht sich auf
das Erwachsenenleben, das andere auf die Kindheit oder die Jugendzeit.
Die in der Seele vorhandenen, aber oft schlafenden Kindheitskräfte in
vielen modernen Praktiken wird sogar mit Recht von einem inneren
Kind gesprochen sollen im Meditationsbewusstsein dadurch angeregt
werden.
Du wählst also die erste Erinnerung aus, die einige Jahre zurück liegt.
Es soll eine Situation sein, in der du ein bestimmtes Problem hattest, wo
du z. B. in einem sozialen Konflikt standest und wo du dich möglicher-
weise von einem oder mehreren Menschen ungerecht behandelt fühltest.
Du gehst den Ereignissen nach, überlegst, was vorher geschehen war,
wie das Problem entstand und wie es sich weiter entwickelte. Du be-
trachtest den Ort, die Räumlichkeit des Geschehens, wie das Wetter war,
wie jeder gekleidet war; kurz gesagt, du berücksichtigst alle äußeren Um-
stände in der vollen Farbigkeit ihres Ablaufs. Dann gehst du im Ge-
dächtnis über zu dem, was gesagt wurde, und erinnerst, in welcher Art
50
Maria Röschl-Lehrs, Vom zweiten Menschen in uns, Philosophisch-Anthropo-
sophischer Verlag, Dornach 1972, Seite 38.
97
ihr miteinander gesprochen oder vielleicht auch geschwiegen habt. Die
Verhaltensweisen der Betroffenen sollen bis in die Gefühle hinein vorge-
stellt werden, die jeder hatte, soweit sie nach außen durch Gesten und
den Gesichtsausdruck gezeigt wurden.
Nun wirst du vielleicht feststellen, dass du wiederum Gefühle be-
kommst, die ähnlich denen sein können, die du damals hattest. Das soll
dich nicht beunruhigen oder daran hindern, die Übung geduldig durch-
zumachen. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen demjenigen, der du
jetzt bist, und demjenigen, der du damals warst. Nun lässt du diese ers-
te Erinnerung ausklingen, indem du dir eine kleine Ruhepause nimmst,
um danach die andere Erinnerung zu suchen. Du musst also nicht schon
zu Beginn auch sie ausgewählt haben, obwohl das den Prozess erleich-
tert.
Wenn die erste Situation eher als negativ empfunden werden kann, soll
das zweite Ereignis positiv, glücklich oder heiter sein. Wenn du zu den
Menschen gehörst, die nur schwer glückliche Erfahrungen aus der Kind-
heit finden solche Menschen gibt es ja auch; ich bin z. B. vielen Men-
schen begegnet, die in der Zeit der Nationalsozialismus und des Zweiten
Weltkriegs ihre Kindheit verbrachten , dann suchst du halt ein Ereig-
nis aus den Jugendjahren oder später. Eine Geburtstagsfeier oder ein
Jahresfest sind dazu gut geeignet. Du denkst an liebe Menschen, etwa
eine Großmutter oder einen -vater, die dir mit viel Liebe begegneten,
oder du denkst an Spielkameraden, mit denen du schöne Erlebnisse in
der Natur oder in der Schule hattest. Du durftest dich damals im Mittel-
punkt des Geschehens erleben. Du vergegenwärtigst dir die damaligen
Gefühle als Kind und schaffst jetzt daraus eine Stimmung, ein Gefühls-
gebilde, das als warmer Lichtschein auftreten könnte.
Mit dieser Seelensubstanz des Kindheitsglanzes gehst du nach einer
kleinen Weile zurück zu der ersten Erinnerung. Wie wenn man Blumen
mit Wasser begießen würde, gießt du jetzt diese Kindheits- oder Jugend-
substanz hinüber und hinein in die Erwachsenensituation. Du versuchst,
den prozessualen Einfluss zu beobachten und zu gucken, ob und wie die
eigene Haltung des Gegenwartsmenschen sich dabei verändert. Wie er-
scheint jetzt die negative Erinnerung? Hat sich etwas verwandelt? Tau-
chen neue, vorher nicht erkannte Aspekte auf? Oder kannst du jetzt die
Verhaltensweisen der Anderen besser einordnen?
Die Erfahrung zeigt, dass einige Menschen Schwierigkeiten haben,
zwei Ereignisse, die miteinander zeitlich nicht geradewegs zu tun haben
oder in ihrer Art nicht direkt miteinander verwandt sind, in dieser Weise
zusammenspielen zu lassen. Sonst aber kann man oft entdecken, dass
vorher unbekannte Übereinstimmungen oder unterschwellig vorhandene
Fäden zwischen Kindheit und Erwachsensein durch dieses Verfahren der
dynamischen Aufstellung plötzlich freigelegt werden. In dieser Weise
98
kann man verschiedene Situationen des Erwachsenen mit Kindheits- und
Jugenderlebnissen sogar behandeln. Man wird erkennen, wie von dem so
genannten inneren Kind eine heilende Kraft ausgeht und dass man im
Gedächtnis einen Kurort entdecken kann, wo Pflanzen der Selbstheilung
und des Verzeihens aufblühen können.
Eine Variante der Übung besteht darin, dass du am Anfang dich mit
der positiven Kindheitssituation einstimmst, ohne zuvor zu der Problem-
situation zu gehen. Auch in diesem Fall bringt der Lichtschein der Kind-
heit die Möglichkeit, ein Problem aus dem Erwachsenenleben zu behan-
deln. Aber auch Positives aus der ganzen Biografie kann dementspre-
chend eine meditative Kraft verleihen, um Probleme ebenfalls aus der
Kindheit zu kurieren.
Die Kindheitskraft ist mit der Wachstumskraft eines Samens zu ver-
gleichen. Immer wieder kann auch dieselbe Kindheitssituation als Arz-
nei dienen, um die Verhärtungen des Erwachsenen aufzuweichen.
Merkwürdigerweise scheint dieser Quellhof der Kindheit nie versiegen
zu wollen, sondern wiederum entdeckt man, dass im eigenen verborge-
nen Wesen ein schöpferisches, begeistertes Wesen lebt, das auf ein Wirk-
samwerden quasi gewartet hat. Dieses Schöpferwesen im eigenen Innern
beschreibt Steiner in folgender schlichter Weise in seinem Buch Die
Rätsel der Philosophie:
Wie dringt Erkenntnis in das Wesen der Dinge; was kann die Betrach-
tung der Dinge leisten? Solche Untersuchung ist zu vergleichen mit
derjenigen nach dem Nahrungswert des Samenkorns. Doch kann man
auch hinblicken auf das seelische Erleben, insofern dieses nicht nach
außen abgelenkt wird, sondern in der Seele fortwirkend diese von Da-
seinsstufe zu Daseinsstufe führt. Dann erfasst man dieses seelische Er-
leben in der ihm eingepflanzten treibenden Kraft. Man erkennt es als
einen höheren Menschen im Menschen, der in dem einen Leben das andere
vorbereitet. Man wird zu der Einsicht kommen, dass dieses der Grundimpuls
des seelischen Erlebens ist. Und dass die Erkenntnis sich zu diesem
Grundimpuls verhält wie die Verwendung des Samenkorns als Nah-
rung zu dem fortschreitenden Wege dieses Korns, der es zum Keim
einer neuen Pflanze macht. Wenn man dies nicht berücksichtigt, so
lebt man in der Täuschung, dass man in dem Wesen des seelischen
Erlebens das Wesen des Erkennens suchen kann. Man muss dadurch
in einen Irrtum verfallen, dem ähnlich, der entstünde, wenn man das
Samenkorn nur chemisch untersuchte auf seinen Nahrungswert hin
und in dem Ergebnis dieser Untersuchung das innere Wesen des Sa-
menkorns finden wollte. Die hier charakterisierte Geisteswissenschaft
sucht diese Täuschung zu vermeiden, in dem sie die selbsteigene inne-
re Wesenheit des seelischen Erlebens offenbar machen will, das auf
99
 seinem Wege auch in den Dienst der Erkenntnis treten kann, ohne in
dieser betrachten den Erkenntnis seine ureigentliche Natur zu haben.51
Die heilsamen Orte
In vielen Ereignissen ist man allein gewesen. Jetzt können unterschied-
liche solcher Situationen aus dem Gedächtnis in ähnlicher Weise wie in
der vorherigen Übung miteinander ins Gespräch kommen. Für eine
nächste Übung stellst du dir ein solches Ereignis vor, in der du für dich
gearbeitet hast oder in der du beschäftigt mit irgendeiner Tätigkeit alleine
warst. Dabei sind alle Umstände zu betrachten; besonders ist zu beach-
ten, wie du dich damals selber eingeschätzt und als Mensch im Leben
verstanden hast. Dein eigener Charakter und dein Temperament sollen
erinnert werden.
Nun gehst du zusätzlich zu einer weiteren Situation, in der du an
einem anderen Ort und in einer bestimmten Landschaft gleichfalls ab-
geschieden warst. Jetzt muss der Ort nicht ein solcher sein, der mit der
Kindheit zu tun hat; das ginge zwar auch, aber jetzt soll die positive
Wirkung der Naturzusammenhänge eine Stimmung bewirken, mit der
du in die erste Erinnerung zurückgehst. Wenn du dir aus der Erinnerung
eine Landschaft vorstellend denkst, die du sehr liebst, werden die Einzel-
heiten und Schönheiten in ihren Formen und Farben, die Blumen und
Bäume, die Aussicht, der Horizont, Gewässer und Meer, Wetterlagen
und Jahreszeiten lebendig, plastisch und malerisch in der Seele wieder
aufgerufen.
Durch diese Übung wirst du entdecken, dass nicht nur Naturerlebnis-
se, wie du sie früher gehabt hast, zu deiner Charakterbildung beigetragen
haben, sondern du wirst lernen, dass ein heilendes Element der Orte aus
der Erinnerung hervorgerufen werden kann, um dich zu veranlassen,
jetzt dich zu veredeln und zu stählen. Durch Biografiearbeit entdeckst du
deine Unzulänglichkeiten und Befangenheiten. Sie können durch diese
inneren Orte jetzt noch bearbeitet werden, als würdest du psychische
Urbarmachung durch die belebenden Kräfte der Schöpfung selbst betrei-
ben. Das Prinzip der Dynamik, das sich Bewegen von einer Situation zur
zweiten, zur dritten usw. und eventuell wieder zurück zur ersten, wird
uns in vielen Übungen begleiten. Ja, du wirst entdecken, dass das Dyna-
mische, das Kontaktfähige und das Mobile eine kühne Entschlossenheit er-
wecken. Anstelle von Bildmeditation können wir ebenfalls von dynami-
scher Meditation sprechen.
51
Rudolf Steiner, Die Rätsel der Philosophie, GA 18, Taschenbuch 611, Dornach
1974, Band II, Seite 249f. Die Kursivsetzung stammt von mir.
100
Räume der Ruhe
Du kannst dir weitere Lebensumstände erinnern, die dramatisch, turbu-
lent und sogar chaotisch waren. Du nimmst eine Begebenheit, die zu
einer großen Veränderung im Leben führte, die z. B. eine Trennung vom
Partner oder dem Wohnort bewirkte. Für die zweite Situation in dieser
dynamischen Meditation soll ein Zeitpunkt ausgesucht werden, in dem
du in einem Raum weiltest, wo Stille, Ruhe und Harmonie herrschten.
Du warst dort entweder allein oder mit anderen Menschen zusammen,
um etwa an einer Feier mitzuwirken. Es geht hier zunächst nicht um das
soziale Geschehen oder die eigene Haltung in diesem Raum, sondern
um die rein objektiven Qualitäten der architektonischen und künstleri-
schen Umgebung, in der du die Ruhe empfandest. Mit dieser Stimmung
gehst du nun zurück zur Turbulenz. Wie wird sie jetzt erlebt? Was für
Merkmale hat ein solcher Lebenswirbel, wenn du bei der Betrachtung
aus der inneren Regungslosigkeit noch einmal dahin schaust?
Eine Fortführung dieser Übung besteht darin, dass du da, wo es im
Leben Bewegung und Geräusche gibt, dir um dich herum einen solch
konkreten Raum der Ruhe unsichtbar errichtest. Eine übersinnliche Mar-
kise, die nichts kostet als eigene individuelle Seelenkraft, entsteht da-
durch, so dass man sich vor vielen ungewünschten Einflüssen unserer
Zeit direkt beschirmen kann. Jemand könnte möglicherweise die Be-
fürchtung hegen, dass solche Übungen nur Illusionen hervorrufen oder
in Selbsttäuschung und Wunschvorstellungen führen. Wenn du aber
weißt, warum du so übst und du den Zweckcharakter vor Augen hast,
besteht keine Gefahr, dass du dir unsinnige und lebensfremde Gauke-
leien einredest.
Momente der Bewegung
Ferner kannst du Momente der Bewegung, der Dramatik und des An-
triebs benutzen, um ruhige, friedvolle, phlegmatische oder sogar apathi-
sche Zustände des Lebens zu untersuchen. Manchmal hat man vielleicht
Zeiten nicht ausnutzen können, sei es im Stau auf der Autobahn, in einer
Schlange beim Einkaufen oder im Bett liegend während einer Krankheit,
so dass man aus der äußeren Fadheit nicht zu innerer Aktivität ge-
kommen ist. Dagegen gibt es Momente der höchsten Aufregung, als man
ganz außer sich war und aus den üblichen Abläufen heraus gerissen wur-
de. Wende nun deine Aufmerksamkeit dahin, wie aus der inneren Dy-
namik der Zusammenfügung dieser gegensätzlichen Erinnerungen sich
etwas heraus löst, das wir benennen könnten als der Bildcharakter des
Menschen.
101
 Was ich oben in den Begriffspaaren Bewegung und Ursprung, Gefühl
und Standort, Charakter und Richtung beschrieben habe, bildet sich so-
zusagen vor dem inneren Blick als der andere Mensch, von dem die Rede
war. Es ist eine Gestalt, die immer neu entsteht, die ihre Farben und
Gebärden und ihre Gestik wechselt und die das Zeitliche zum Bild
macht oder den Raum in Zeitmomente auflöst und in eine Bewegungs-
dynamik bringt. Das, was der Film durch Mechanik reproduziert, schaut
der Übende in seiner Seele als lebendiges Bild- und Gestaltgeschehen. In
der Übung bist du selber gleichzeitig Regisseur, Requisiteur, Fotograf,
Schauspieler und Stuntman, und du lernst zwischen diesen Arbeitsgebie-
ten in seiner Seele zu unterscheiden.
Nicht nur heilsame Orte, ruhige Räume und bewegliche Bewegung
können in der Meditation die Aufgabe des Verwandlung bringenden
Mediums erfüllen oder im Seelischen die Rolle des chemischen Katalysa-
tors übernehmen, sondern viele andere Komponenten können bewirken,
dass man in der Meditation die Tendenz des Steckenbleibens, des Still-
stehens im Nichts oder die der Übereiltheit überwindet. Objekte aus der
Natur, aus der Kunst, ein Menschengesicht usw., die nicht direkt mit
einem zur Erforschung stehenden biografischen Thema zu tun haben,
können uns helfen, Kraft, Farbe und Licht zu spenden, die uns in die
Objektivierung des Subjektiven führen.
Schönheit und Fühlen Wahrheit und Wille
Es gibt von Rudolf Steiner einen Spruch, der solche Übungen gut beglei-
ten kann, wenn er vor und nach der Meditation wieder aufgefrischt wird.
Aus dem Umgang mit diesem Spruch kann aber auch eine selbstständi-
ge, begleitende Übung erwachsen, die nun beschrieben werden soll.
Ruhiges
Verweilen an den
Schönheiten des Lebens
Gibt der Seele Kraft des
Fühlens.
Klares Denken an die
Wahrheiten des Daseins
Bringt dem Geiste Licht des
Wollens.52
52
Rudolf Steiner, Wahrspruchworte, GA 40, Dornach 1975, Seite 204.
102
Zuerst musst du den Spruch am besten auswendig lernen, so dass du in
der Meditation dich frei mit dem Inhalt des Begrifflichen beschäftigen
kannst. Der ganze Spruch hat zwei Teile. In jedem gibt es eine Art der
subjektiven Verfahrensweise, ein Objekt der Beschäftigung und eine Wir-
kung, die aus dem Vorgang entsteht. Fast immer sind die Aussagen paar-
weise aufgestellt: ruhiges Verweilen, Schönheiten des Lebens, Kraft des
Fühlens, klares Denken, Wahrheiten des Daseins und Licht des Wol-
lens. Was heißt paarweise in diesem Kontext? Die ersten drei Paare sind
für die Seele da, die drei letzten für den Geist im Menschen. Beim medi-
tativen Umgang mit dem Spruch wirst du sicherlich den Unterschied
zwischen ruhigem Verweilen und klarem Denken auch bemerken.
In der hier vorgeschlagenen Übung hältst du beim Verweilen inne bei
einer ganz konkreten Schönheit des Lebens. Alles angefangen von der
äußeren Natur bis hin zur Kunst und zum Menschenbild kannst du
gelassen und in Seelenruhe vor dem inneren Blick ausmalen. Du sollst
dir deutlich machen, was du im Konkreten schön findest und wie es dazu
kommen kann, dass du es als schön siehst. Wann hast du es zum ersten
Mal entdeckt, dass so etwas schön ist? Dann lässt du an der entsprechen-
den Schönheit die Gefühle aufkommen, die normalerweise bei der sinn-
lichen Wahrnehmung dieser Schönheit entstehen. Eben musst du auch
hier zunächst aus der Erinnerung arbeiten.
Sodann aber wirst du merken, dass ein Gefühl entsteht, das wie objek-
tiv mit dieser Schönheit verbunden ist, als würde es aus ihr hervor quel-
len. Aus dem konkreten Gefühl, das in sich wohl vielseitig beschrieben
werden kann, trittst du aber heraus, um das Fühlen an sich nachzuemp-
finden. Was heißt Fühlen? Geht es darum, die direkte Herzensbeziehung
zur Umwelt oder Innenwelt bemerkbar werden zu lassen? Es ist eine
Handlung des Gewahrwerdens der eigenen Fähigkeit, sich zu verhalten,
wie eine Waage in der Seele.
Eben das Verweilen an der Schönheit soll gerade die Kraft des Fühlens
anregen. Dass Gefühle kräftig sein können und den Menschen mitreißen
oder in gewaltige Emotionen bringen, liegt fürwahr in unser aller Erfah-
rung. Hier geht es nicht darum, dass ein bestimmtes subjektives Gefühl
stark werden soll, sondern eine Seelenkraft, welche dem Fühlen zu
Grunde liegt, soll gefunden werden, so dass objektivere Gefühle, etwa
wie Tugenden, die durch das Fühlen als eine funktionelle Seelenkraft ge-
tragen werden können und sich verfeinern, so dass sie als Gold in die
Waageschale der Seele gelegt werden können.
Seelenempfindungen als objektive Werte, nicht als subjektive Gefühls-
tuerei, sondern als Erzieher von Tugenden, sind in diesem Zusammen-
hang gefragt. In der Arbeit mit Kunst wird ja eine Reihe von tugend-
haften Seeleneigenschaften organisiert, die in dieser Übung neu erdacht
und erfühlt werden können. In der Übung sollst du weiter eine bestimm-
103
te Wahrheit, die du im Leben entdeckt hast, im klaren Denken bewegen,
anschauen und eingehend prüfen. Die Wahrheit kann eine einfache
sein, wie eine logische, mathematische Formel, die du in der Schulzeit
kennen gelernt hast, oder sie kann kompliziert und umfassend sein, z. B.
wenn sie mit sozialen Zusammenhängen zu tun hat; aber du weißt ge-
nau, warum du sie als Wahrheit empfindest, warum du sie als unwider-
legbar einmal erkannt hast.
Beim ersten Versuch dieser Übung hat es sich erwiesen, dass viele
Menschen es schwieriger haben, eine Wahrheit zu finden, als sich einer
Schönheit zu erinnern. Bei Wiederholungen wirst du jedoch sehen, dass
das Leben und das Menschendasein sowohl von Schönheiten wie auch
von Wahrheiten voll sind, welche die erstrebenswerte Vitalität für die
Seele und die Helligkeit für den Geist spenden. Der Unterschied zwi-
schen Seele und Geist kann durch mehrfaches Betreiben dieser Übung zu
einer erkenntnistheoretischen Frage werden. Manche Menschen entdeckten
erst bei der meditativen Pflege dieser Begriffe, dass sie vorher gar keine
Ahnung hatten, was Geist ist oder wie der Unterschied zwischen Seele
und Geist erkannt werden kann. Ist die Seele abhängig vom Körper, vom
physischen Leib oder nicht? Kann eine Seele überhaupt frei sein? Wenn
Freiheit eine geistige Frage ist, wie verhält sie sich dann zum Schönen,
Wahren und Guten?
Bei der Entdeckung der Qualität des Lichts, die mit der Wahrheits-
erkenntnis zusammen hängt, wirst du dem, was Gewissen heißt, nachsin-
nen müssen. Welcher Art ist die Beziehung zwischen Wahrheit, Gewis-
sen und Wille? Wann handelst du aus deinem Gewissen, wie bringst du
das Wissen darüber, dass du etwas Gutes und Richtiges tust, in Überein-
stimmung damit, dass du frei handeln willst? Wenn du aus der Verpflich-
tung gegenüber einem Moralkodex handelst, bist du dann immer wahr-
haftig? Was tut das Licht des Wollens für den Geist? Wie bist du mitten-
drin im Getue des Alltags gegenüber diesem Licht treu und wahr?
Die bewegende Kraft des Fühlens
Eine weitere Übung zur Vertiefung kann aus dem bisher Entstandenen
folgen. Man verweilt ruhig und ausführlich in der Kraft des Fühlens, die
man entdeckt hat. Man stellt sich einen Freund vor, jemanden, den man
gern hat, einen Kollegen oder einen Verwandten. Es dürfte jemand sein,
bei dem man weiß, dass er auch dieselbe Schönheit zu schätzen vermag.
Nun schaut man sich zusammen stehend in einem Raum oder in einer
Landschaft. Das kann jetzt eine fiktive Situation sein, die nicht aus der
Vergangenheit stammt, die aber eine gewisse Plausibilität hat. Sie würde
dementsprechend stattfinden können.
104
Aus der Stimmung, die solchermaßen entsteht, aus der Fühlenskraft
lässt man sich fortbewegen zu einem zweiten, vielleicht unbekannten
Ort. Man muss zunächst den ersten Ort auslöschen, dann sich wie in
Bewegung versetzt erleben, vielleicht von einem Fortbewegungsmittel
getragen denkend, um zu einem neuen Ort zu kommen. Wo kommt ihr
hin? Wo befindet ihr euch? Wie sieht die neue Umgebung aus? Wie seid
ihr gekleidet? Hat sich überhaupt etwas verändert? Du kannst die Impro-
visationskraft gut mit dir spielen lassen und dich von allerlei Raritäten
überraschen lassen.
Mit dem Arbeiten an dem Fühlen entsteht folgendermaßen eine inne-
re Beweglichkeit in der Seele. Es erwächst eine Tragfähigkeit des Vertrau-
ens, dass man fähig ist, in der Seele innere Bilder entstehen zu lassen, die
gewiss mit Archetypen oder Urbildern zu tun haben. Man klettert gewis-
sermaßen durch die ganze Pinakothek von Vorstellungen, Ahnungen,
Analogien, Gleichnissen, Symbolen, Sinnbildern, Zeichen, Formationen
und Gebilden, die überhaupt gedacht werden können. Mit der Frische
der Erfindungsgabe kommst du endlich hin zur Kraft des Fühlens, weil
du dir erlaubst, alle möglichen Erinnerungen und Bilder in neuem, aus-
sagekräftigem Zusammenhang erscheinen zu lassen. Zwischen Füh-
len und Denken bildet sich die Geschichte, die geschaut oder gedichtet
wird. Es bildet sich etwas und ganz genau kannst du erleben, wie was
sich bildet. Das selbsttätige Bilden wird zum Schlüssel, zum Tor der wei-
teren meditativen Arbeit.
Das charakterbildende Licht des Wollens
Wenn du in der Meditation mit dem Freund zu einem neuen Ort ge-
kommen bist, unterhalte dich mit ihm und lass aus dem Gespräch eine
Entscheidung folgen, dass ihr euch beim nächsten Mal in einer Stadt
treffen werdet, um z. B. eine Ausstellung zu sehen oder etwas Anderes
dort zu unternehmen. Nach einer Pause vielleicht über die Nacht
kommt die Fortsetzung in der Stadt. Ihr habt beschlossen, euch an einem
bestimmten Platz zu treffen, um zum Ziel, das in einem anderen Stadtteil
liegt, zu fahren oder zu promenieren.
Am Weg hin zu dem gewünschten Richtungspunkt geschieht etwas
Überraschendes, was nicht geplant war, oder etwas, was nicht mitge-
rechnet werden konnte. Lass ein Problem kommen, eine Herausfor-
derung, etwa einen Autounfall, eine Straßensperre, ein Feuer oder et-
was Anderes, was deine helfende Hand oder Hilfsbereitschaft heraus-
fordert. Schau, wie unterschiedlich ihr reagiert auf das Problem, und
guck, wie du selbst handelst, was du tust, um nach der Beschwernis
eventuell doch zum beabsichtigten Ziel zu kommen. Lass die Geschichte
105
zu Ende gehen, so dass ihr euch, wenn möglich, in Frieden verabschie-
det.
Untersuche dann die Kraftquelle deiner Aktion. Schau, ob eine in dir
liegende Wahrheit ein Licht in deinem Willen hervorgebracht hat. Er-
lebe den Charakter, die Farbe, die Stimmung, die Tendenz dieses Lichts.
Wie strahlt es? Wie weit strahlt es hin? Hat es eine Richtung? Breitet es
sich aus in alle Richtungen? Greift es nach unten? Ist es flach zum Boden
gerichtet oder reicht es nach oben hin? Durch diese fragende Haltung wird
es dir gewiss auffallen, dass das, was du als Geistiges denkst, in dem
Umfeld dieses Lichts anwesend sein dürfte. Folglich ist die Anwesenheit,
die Erscheinungsmöglichkeit des Geistes, von dem Licht deines Willens ab-
hängig. Wie muss dieser Wille sein, so dass sich der Geist dir nähern
möchte?
In deinem Willen offenbart sich dein Charakter, was auch Richtung
heißt. Also, wo möchtest du hin? Was willst du mit deiner Zukunft? Was
willst du mit der Entwicklung deines Selbst? Was möchtest du für andere
Lebewesen und deren Entfaltung tun? Wie kannst du ihnen unter den
Umständen der Gegenwart überhaupt helfen, weiterzukommen? Charak-
ter bedeutet auch Denkart, Gesinnung und Geistesrichtung. Die Wahr-
heiten des Daseins helfen dir, den Charakter zu formen und zu veredeln.
Und die Wahrheiten des Daseins stehen in unmittelbarem Dialog mit
den Schönheiten des Lebens. Ein Kreis ist aufgezeichnet und du bist sein
Mittelpunkt. Leben und Dasein bist auch du selbst.
Die Brunnenübung von Mykene
Im Frühjahr 1995 war ich mit Kunststudenten aus Skandinavien in Grie-
chenland, um alte Kulturstätten zu besuchen und zu studieren. Wir ka-
men auch nach Mykene. Ganz oben in den Ruinen der alten Stadtsied-
lung entdeckten einige von uns den alten Brunnen, der mit Treppen tief
nach unten in den Berg ausgehauen ist. Er wurde einst gebaut, um die
Wasserversorgung unabhängig zu machen, falls Feinde die Stadt be-
lagern würden. Mit ein paar Anderen nahm ich die Möglichkeit
wahr, die vielen Stufen zu dem heute ausgetrockneten Brunnen hinun-
ter zu gehen. Mit nur einem Feuerzeug, das wir zur Verfügung hatten,
war es schon ein kleines Abenteuer, sich da ins Dunkel hinunter zu be-
geben.
Drei Jahre später wurde ich innerhalb eines Seminars über Reinkarna-
tion und Karma in Kopenhagen gefragt, ob ich nicht mit den Teilneh-
mern eine Gruppenmeditation machen wollte, damit man ein eigenes Er-
lebnis bekommen könne von solchen inneren Erfahrungen, von denen
ich erzählt hatte. Nach einer kurzen Denkpause stimmte ich zu, obwohl
106
ich damals noch keinerlei Erfahrungen mit Gruppen in dieser Richtung
hatte. Bei der Vorbereitung am Abend des nächsten Tages kam mir das
Erlebnis mit dem Brunnen von Mykene in Erinnerung, und augenblicklich
war die Übung da, die ich dem Teilnehmerkreis präsentieren wollte. Seit-
dem habe ich sie immer wieder ausprobiert, und mit Begeisterung und
Erfolg ist sie von vielen weiter gepflegt worden. Wenn man diese Übung
zusammen mit anderen Menschen macht, welche in einer Seminargrup-
pe anwesend sind, kann man sich in Gedanken gegenseitig für diese
Übung beanspruchen . Wenn man für sich alleine übt, muss man in
seiner Vorstellung jemanden mitnehmen, von dem man sich denkt, dass
er die Treppe gerne mit einem herunter gehen würde.
Stelle dir nun vor, dass du dich an diesem Ort von Mykene in einer
Gruppe von Menschen befindest, die zusammen ein Fest feiern wollen.
Wenn du in der Wirklichkeit nie da gewesen bist, musst du dir aus der
Fantasie eine Gebirgslandschaft vorstellen, in der du dich auf einem ho-
hen, kahlen Hügel befindest, von wo aus du zu der wunderbaren Land-
schaft des Peloponnes eine schöne Aussicht hast. Plötzlich wird festge-
stellt, dass es an Wasser fehlt. Es wird dringend mehr Wasser benötigt.
Zusammen mit jemand Anderem stellst du dich zur Verfügung, um Was-
ser aus dem Treppenbrunnen zu holen. Du nimmst eine Lampe mit, dein
Freund oder deine Freundin ein Gefäß oder eine Amphora. Du bist in
deinen Vorstellungen frei, die Utensilien und Requisiten nach Zeit und
Stil so zu gestalten, wie es sich für dich gut anfühlt.
Dann beginnt der Abstieg. Du gehst mit der Leuchte voraus, der An-
dere kommt hinterher, indem ihr einander an der Hand haltet, oder er
hält sich an deiner Schulter fest. Die Treppe windet sich stets nach rechts
hinab. Sie zieht sich nach unten wie eine Spirale. Für das erste Wegstück
habt ihr noch Tageslicht, das nach unten fällt und verschiedene Schatten
wirft. Aber bald versinkt es und das Licht deiner Lampe nimmt, wie es
scheint, zu. Nach über hundert Stufen kommt ihr endlich unten an. Der
Brunnen besteht aus einer runden Vertiefung im Boden, in welcher sich
das Wasser sammelt, das aus einer Rinne in der Wand des kleinen Rau-
mes zufließt. Nach einer Erholungspause könnt ihr den Wasserbehälter
füllen und den Weg nach oben antreten. Die Lampe muss aber unten ab-
gestellt werden, weil der Wasserbehälter jetzt so schwer ist, dass ihr bei-
de eure Hände dafür zur Verfügung haben müsst. So beginnt der Auf-
stieg. Zuerst erhellt euch das zurück gebliebene Licht noch den Weg.
Aber der Lichtschein wird immer weniger, bis ihr vollständig im Dunk-
len seid. Verschiedene Gefühle erreichen euch möglicherweise auf dieser
Wegstrecke. Ihr geht jedoch immer weiter die Treppe hoch, bis euch
schließlich der erste Lichthauch von oben findet. Endlich gelangt ihr
zum Ausgang zurück, hellstes Tageslicht leuchtet auf, und ihr tragt nun
das Wasser vollends hinauf zum Festplatz, wo die Freunde im Sonnen-
107
licht warten. Mit dem neuen Wasser kann das Fest unbeschwert seinen
weiteren Lauf nehmen.
Innerhalb dieser Rahmenerzählung kann jeder für sich alles ausmodel-
lieren, geschehen lassen und zuschauen, wo die schöpferische Fantasie
mit ihm hin will. Verschiedene Dinge sollst du unterwegs bewusst be-
obachten, überlegen und abspüren: die Körper- und Fußbekleidung, die
Geräte, die Treppen, das Geländer, die Steinoberfläche, die Veränderung
des Lichts, die Farben, die Schatten, die Dunkelheit, die Qualität des
Wassers, Formen des Brunnens, eventuelle Nischen und Ausstattungen
usw. Es kann sein, dass du dich wie in einer anderen Zeit erlebst, weil die
Umstände es anzeigen.
Eine Fortsetzung dieser Übung kann, wie folgt, geschehen: Du stellst
dir einen späteren Zeitpunkt am selben Tag vor. Es muss noch weiteres
Wasser geholt werden. Wieder stellst du dich mit deinem Kameraden
von vorher für diesen Auftrag bereit. Möglich ist auch, dass jemand An-
deres hilfsbereit mitgeht. Ihr nehmt einen kleineren Krug als vorher, die
Lampe aber steht bereits unten und muss diesmal zurück gebracht wer-
den. Beim Eingang sagt dein Freund überraschend, er tue es schon
allein: Du kannst dich hier hinsetzen und warten. Gesagt, getan! Er
verschwindet und du bleibst für dich zurück. In der Übung sitzt du ledig-
lich da, tust nichts, aber denkst vielleicht nach. Woran denkst du? Woran
erinnerst du dich? Plötzlich wird es dir klar: Der Andere wird nicht zu-
rück kommen. Was ist geschehen? Du stehst auf und hastest jäh die
Treppe hinunter, um herauszufinden, was passiert ist. Vielleicht ist er
nicht in der Lage, alleine zurück zu gelangen, vielleicht ist er gestürzt
und braucht deshalb deine Hilfe.
Die Aufgabe besteht nun darin, die Lampe, den Krug mit neuem
Wasser und auch den Freund, lebend oder tot , mit nach oben zu brin-
gen. Wie verhältst du dich? Bist du aufgeregt? Schlägt dein physisches
Herz rascher? Möglicherweise findest du den Freund da unten am Brun-
nen, still in Besinnlichkeit sitzend, weil er vielleicht die in Alabaster aus-
gehauene Wassergöttin, die du beim ersten Mal noch nicht gesehen hast,
anstarrt, dass er sie, alles um sich vergessend, anbetet. Eine andere Mög-
lichkeit wäre, dass ihm etwas zugestoßen ist, vielleicht ist er gestürzt und
du musst schnellstens wieder nach oben rasen, um Hilfe herbei zu holen.
Viele Umstände sind so möglich, die ihn von der Rückkehr abgehalten
haben könnten. Zum Ausgang der Geschichte kehrt ihr gleichwohl nach
oben zurück zu den anderen Menschen, die das Fest mit euch weiter fei-
ern wollen.
108
Das Urbild der Bildmeditation
Solche Übungen, wie die hier geschilderte an dem Brunnen von Mykene,
kann man in vielen Varianten machen. Die Brunnenübung schafft in
ihrem Typus ein Urbild für den Modus der Bildmeditation: Es geht um
eine Aufgabe, welche beinhaltet, dass du mit jemandem einen Weg ein-
schlägst. Du erreichst einen anderen Ort, verrichtest etwas Sinnvolles und
begibst dich auf den Heimweg. Und du gelangt zurück dorthin, wo du an-
gefangen hast. Solche oder ähnliche Faktoren, Überraschungen und Wider-
stände unterwegs einbegriffen, wird jede erweiterte Bildmeditation haben
können, und wenn du dich darin einlebst, so zu meditieren, wirst du das
erreichen, was deine Geistesschülerschaft als Aufgabe dir gestellt hat.
Unsere Meditationen sollen allmählich bewirken, dass wir leibfrei in
die höheren Welten dringen und dort erkennen und schauen lernen.
Allein, es kommt nicht nur darauf an, dass wir in die höheren Welten
kommen, sondern wie; die Seelenverfassung, in der wir die höheren
Welten betreten, muss eine gute, eine moralische sein.53
Diese Worte von Steiner beziehen sich zwar nicht direkt auf die Übun-
gen, die ich gerade beschrieben habe, aber die nötige moralische Ge-
mütslage müsste jeder nach geistiger Erkenntnis Strebende sich bei me-
ditativer Innenarbeit immer als Bedingung auferlegen. Der Modus der
Bildmeditation führt dazu, dass du allmählich bemerkst, dass du dich
selbst ständig anschaust, wie du denkst, fühlst und handelst, sowohl im
Leben wie in der Meditation. Folglich entsteht ein Charakterfundament,
auf welchem alles, was nachher darauf gebaut wird, sicher getragen
wird. Und es entsteht ein Gemütsvehikel, mit dem du dich in der inneren
Welt fortbewegen kannst. Es wird solcher Räder bedürfen, die einen
auf der Bahn halten können. Diese Transmissionen sind zweifelsfrei
Schönheit, Wahrheit, Güte und Freiheit. Sie können aber auch andere
Namen tragen, je nach Gestaltung und Aufgabe der Reise.
Wir können den Brunnen als Gleichnis für das eigene Seelenwesen
betrachten. Man steigt gewissermaßen in seine eigenen geheimnisvollen
Tiefen hinunter und findet dort eine lebenspendende Flüssigkeit, die ins
Tagesbewusstsein hochgeholt werden darf. Eine fruchtbare Übung ist,
wenn du dein persönliches Urbild der Meditation, das du in individueller
Weise erkannt hast, künstlerisch gestaltest. Wie würde es als architek-
tonisches Modell aussehen, wie als Plastik, wie als Malerei, als Gedicht?
53
Nach einer Teilnehmeraufzeichnung an einer esoterischen Stunde von Rudolf
Steiner in Straßburg, 14. Mai 1913, in: Rudolf Steiner, Aus der Inhalten der esoteri-
schen Stunden, GA 266/III, Dornach 1998, Seite 110.
109
Und wo in der Natur findest du die Qualitäten wieder, die für das Medi-
tative charakteristisch sind?
Die Inselübung
In der folgenden Reiseübung soll in anderem Aufbau, dem Urbild der
Bildmeditation folgend, wiederum der Versuch gemacht werden, see-
lisch-bildhafte Bestandteile durch einen inneren Prozess zu bewegen.
Der Mensch ist ein Wasserwesen. Der physische Leib des Menschen be-
steht aus 70% Wasser, das Gehirn sogar aus 90% und das Blut aus 92%.
Wissenschaftler stellen fest, dass das ganze uns bekannte Universum aus
90% Wasserstoff besteht. Der Nobelpreisträger, Albert Szent-Gyorgyi, er-
klärte das Wasser zur Mutter und Matrix allen Lebens.54
Auf diesem Hintergrund mag es erlaubt sein, eine Übung zu gestalten,
in der das Wasser eine Hauptrolle spielt: Du bildest dir in deinem Be-
wusstsein einen schönen, sonnigen Tag ein. Du sitzt in einem kleineren
Boot und bist gerade beispielsweise von deinem Heimatufer abgegondelt.
Du ruderst oder segelst auf dem Wasser. Ein Motorboot zu benutzen, ist
selbstverständlich auch erlaubt. Es kann ein See, ein Fluss sein oder viel-
leicht befindest du dich auf dem Meer oder auf einem Fjord. Dein
Ziel ist eine kleine, unbewohnte Insel. Du kannst sie von der Ferne schon
erblicken. Sie wird nicht sehr groß sein, so dass man sie in einer guten
Stunde umwandern kann. Wie erscheint das Licht über der stillen Was-
seroberfläche? Weht ein sanfter Wind, der kleine Wellen macht? Siehst
du Fische in der Tiefe? Du kommst am Ufer der Insel an und findest
einen Platz am Strand, um anzulegen. Wenn nötig, musst du das Boot
hochziehen und eventuell anbinden. Schaue, wie das Ufer aussieht. Han-
delt es sich um Sand oder Kies, um Steine oder Klippen? Nimm alle
Sachen mit, die du für eine Wanderung brauchst, und entscheide dich,
nach links oder rechts am Ufer entlang zu gehen. Weil das Wetter so
schön und das Wasser so anziehend ist, suchst du eine Stelle, wo du ans
Wasser gelangen kannst, und du trittst mindestens bis zu den Knien
hinein, wenn du nicht schwimmen willst. Wie fühlt sich das Wasser an?
Welche Temperatur hat es? Ist es Salz-, Brack- oder Süßwasser? Siehst
du sonst noch etwas? Wie ist der Boden unter dem Wasser?
Durch die Sonne glänzt ein Gegenstand auf dem See- oder Meeresbo-
den auf. Er ist nicht größer, als dass du ihn aufheben kannst. Er stammt
aus menschlicher Kultur und ist einst im Besitz eines Menschen ge-
wesen. Nimm das Ding mit, setze dich am Ufer und untersuche es. Wie
54
Aus dem Internet zum Thema: Der Mensch als Wasserwesen: http://www.
hunzawasser.de/Wirkung/Wasserwesen/hauptteil_wasserwesen.html
110
groß ist es? Wie ist seine Form? Welche Farben hat es? Was ist es? Wenn
es nur ein abgebrochener Teil von einem größeren Gegenstand ist: Wozu
wurde er benutzt, als er noch funktionierte?
Lass eine Geschichte entstehen, wie es ausgesehen haben mag, als ein
bestimmter Mensch mit dem Gegenstand in Berührung war. Was war es
für ein Mensch? Wie lebte er? Welcher Art war seine Beziehung zu dem
Gegenstand? Wie kam es dazu, dass er ihn verloren hatte? Mal dir bis ins
Detail aus, wie eine solche Vergangenheit als eine Novelle erzählt wer-
den könnte. Du entscheidest, wie du weiter mit dem Gegenstand ver-
fahren willst, falls du ihn mitnehmen möchtest. Oder du wirfst ihn nun
wieder ins Wasser. Soeben geht die Entdeckung weiter, um das Inland
der Insel einzubeziehen. Beim Suchen nach Pfaden und Wegspuren be-
merkst du allerlei Pflanzen und Lebewesen. Da sind Insekten, kleinere
Waldtiere und Vögel, die auf der Insel brüten. Sogar größere Tiere kön-
nen hier zum Vorschein kommen, weil sie die Insel ab und zu schwim-
mend besuchen.
Dann geschieht es, dass du einem bestimmten Tier begegnest, das
auch dich entdeckt hat. Es hat in seinem Tun innegehalten, und es ent-
steht zwischen euch ein Gespräch, wie in einem Märchen, in welchem
Tiere sprechen können. Lass das Tier von sich erzählen. Was hat es ge-
rade gemacht? Wie geht es ihm heutzutage? Welches ist seine Mission in
der Schöpfung? Was tut es für die Erdenevolution? Mit welchen anderen
Wesen versteht es sich gut? Hat es auch Feinde? Nimm nach dem Ge-
spräch Abschied von dem Tier und lasse es in Ruhe weiter gehen.
Auch du spazierst nach der Tierbegegnung weiter, um einen Ort zu
finden, wo du Rast machen kannst. Wie ist hier die Landschaft? Befin-
dest du dich auf einer Lichtung oder an einer schattigen Stelle unter
einem Baum? Kannst du Wasser zum Trinken finden? Da ist vielleicht
eine Quelle, ein Bach oder ein Wasserfall, der von einem Felsen herab
stürzt. Wie schmeckt das Wasser? Kannst du auch mit dem Süßwasser in
solch ein inniges Gespräch wie mit dem Tier kommen? Stell die ent-
sprechenden Fragen und suche alsdann etwas zu essen, was die Natur dir
vorlegt, z. B. Früchte, Beeren, Wurzeln oder Nüsse. Was sagt der Ge-
schmack? Welche Berufung besitzt dieses Naturgeschenk als Lebens-
mittel?
Nach der Erholungspause gehst du weiter, um den höchsten Punkt
der Insel zu finden. Wie ist das Panorama? Kannst du dein Boot von hier
oben sehen?
Es wird nun aber Zeit, allmählich an den Rückweg zu denken. Auf
dem Weg zum Boot erwartet dich eine Überraschung, denn ein zweites
Boot ist angekommen. Und da steht jemand daneben, der auf dich war-
tet, als würde er etwas von dir wollen. Wie reagierst du? Bekommst du
Angst? Wie sieht der Neuankömmling aus? Kennst du ihn schon? Er hat
111
dir eine Botschaft zu überbringen. Wie bekommst du die Mitteilung? Als
Brief, auf einen Zettel geschrieben oder mündlich?
Ohne dich weiter mit dem Boten zu beschäftigen, ziehst du dein Boot
ins Wasser, um nach Hause zu fahren. Du nimmst von ihm Abschied
und er fährt seinerseits seines Weges. Auf der Heimreise genießt du das
Wetter und erfreust dich an der Bewegung des Wassers. Jetzt erst ver-
tiefst du dich in die Meldung. Was hast du soeben zur Kenntnis be-
kommen? Wie betrifft dich der Inhalt, was bedeutet die Aussage für
dich?
Die Inselübung stellt ein weiteres Urbild des Meditierens dar. Eine
Meditation ist wie eine Insel in dem Gewässer des Alltags. Die Besinn-
lichkeit wird an bekannten Gegenständen, Abenteuern und Verrichtungen
geübt. Das Überraschungsmoment ist so eingebaut, dass es nach anderen
Ereignissen eventuell gegen den Schluss hin erscheint. Was man
vorher nicht wissen kann, ist der Inhalt der Mitteilung. Man könnte in
einer Einleitung zur Übung dahin gerichtete Fragen stellen, worauf dann
möglicherweise innerhalb der Komponenten des Durchgangs Andeutun-
gen zu einer Antwort auftauchen könnten, ähnlich wie wenn wir abends
eine Frage mit in den Schlaf nehmen und morgens mit einer Antwort
vielleicht aufwachen.
Die vier Komponenten der Übung stimmen mit den vier Stufen oder
Hüllen des Menschenwesens überein. Das Auffinden des Gegenstands
im Wasser greift eine Ich-Stufe auf, die sogar auf karmische Hintergrün-
de weisen könnte. Der Begegnung mit dem Tier entspricht das Seelisch-
Astrale, die Einnahme von Wasser und Essen berührt das Lebendig-
Ätherische, und die Botschaft betrifft den Menschen, der physisch voll
inkarniert sein muss, um gesund und handlungsfähig zu sein. Die Insel-
übung entstand einmal in einer Sitzung mit einer Klientin, mit der ich
schon öfter gearbeitet hatte. Sie hatte aber immer wieder emotionale
Schwierigkeiten in den Meditationen bekommen, wo nach karmischen
Zusammenhängen gesucht wurde, weil sie aus dem Studium der Karma-
forschung von Steiner etwas befangen war. So griff ich zu einer Arbeits-
weise, bei der ich sie zunächst durch scheinbar ablenkende Manöver zu
einem Überraschungsmoment bringen wollte, sodass ihre Voreingenom-
menheit bearbeitet werden konnte. Es zeigte sich bei ihr wie bei Anderen,
die diese Übung auch machten, dass viele interessante Bilder und frucht-
bare Hinweise zur Selbsterkenntnis und zu karmischen Anhaltspunkten
entstanden.
In der weiteren Forschung hat es sich erwiesen, dass schon bei jeman-
dem, der zu Beginn eines Schulungswegs diese Übung machte, solche
Bilder entstanden, die dann später in ganz anderen imaginativen Kontex-
ten wieder auftauchten und dort eine Erweiterung erfuhren. So ist zu ver-
stehen, dass eine in dieser Art geübte Bildmeditation eine imaginative
112
Bewusstseinsstufe vorzeitig ergreift und ihr Wahres in Erscheinung tre-
ten lassen, ja, sogar beschleunigen kann. Wenn Letzteres eintritt das
heißt, reine Imaginationen auftreten , muss man schon aufpassen, dass
man die nötige Wachheit behält, so dass die Bilder nicht überinterpretiert
werden. Kein Egoismus darf einem irgendwelche Resultate aus der inne-
ren Versenkung vorgaukeln. Da alles, was man erlebt, mit der Wahrheit
im Einklang sein muss, deswegen soll man warten und die Dinge selbst
zu sich kommen und reifen lassen. Ein okkultes Gesetz sagt, dass nur sol-
che Gefühle wie totale Selbstlosigkeit, Sachlichkeit, Vorurteilslosigkeit
und Genauigkeit unsere geistige Entwicklung fördern können, das heißt,
dass man das Geistige nur deswegen sucht, weil man seine Mitmenschen
helfen will, weiter zu kommen, und ihnen, wenn es karmisch möglich und
erwünscht ist, Heilung geben will.
Es hat sich in der Inselübung bei vielen Übenden interessanterweise
gezeigt, dass gerade solche allgemeingültigen geistigen Gesetze in indivi-
dueller Umsetzung für den betreffenden Moment ihres Lebens gegeben
wurden als Inhalte der Botschaften des zweiten Bootsfahrers. So kannst
du schon ahnen, dass diese imaginäre Gestalt dir etwas aushändigt, was
du später durch die so genannten Hüter der Schwelle zur geistigen Welt
erfahren wirst.
Die Gipfelübung
Die Struktur der Inselübung erlaubt weitere Variationen mit anderen
Landschaftsformen. Eine Variante ist die folgende, die ich mit vielen
Einzelnen und auch in einer Arbeitsgruppe mit erstaunlichen Ergebnis-
sen und mit viel Begeisterung ausprobiert habe. Man befindet sich auf
dem Weg nach oben zu einem Berggipfel und untersucht die unter-
schiedlichen Ausblicke über die weite Landschaft. Man kann am Weg-
rand unterschiedliche Dinge finden und ansprechende Begegnungen be-
kommen. Das Überraschungsmoment besteht darin, was oder wen man
ganz oben vorfindet. Nachher geht man den gleichen Weg wieder hinun-
ter, macht aber Halt, wo sich vorher etwas ereignet hat, um über die Be-
deutung des Vorfalls wiederholt nachzusinnen.
Statt einer Insel kannst du also andere Zielorte aufsuchen. Bei einer
Wanderung zu einem Berggipfel werden verschiedene Motive ange-
schaut und es wird den entsprechenden Gefühlen, die sich bemerkbar
machen mögen, nachgegangen. Das weltberühmte Gedicht von Goethe
Über allen Gipfeln ist Ruh scheint mir für diese Übung als einstimmende
Anregung zu passen.55 Stelle dir zu Beginn vor, dass du schon eine Stre-
55
Siehe Anhang.
113
cke hin zum Berg geschafft hast und dich z. B. mitten zwischen Gipfel
und Tal befindest. Schau in alle Richtungen und betrachte die kultur-
und naturbedingten Gegebenheiten. Begib dich auf einen Pfad und wan-
dere ein gutes Stück weiter, bis der Gipfel nicht mehr weit entfernt ist.
Mache wieder eine Pause, um dich in den Anblick zu vertiefen. Verglei-
che diese Perspektive mit der vorigen. Was hat sich geändert? Wie viel
mehr siehst du von der Talsohle, von der sich ausbreitenden Landschaft?
Oder wie viel weniger siehst du vom Tal, wenn der Hügel bergauf sich
abrundet? Was passiert ansonsten bei der Wanderung aufwärts? Begeg-
nest du anderen Wanderern? Siehst du Tiere und Vögel? Findest du
schöne Steine? Hat jemand etwas verloren? Wie denkst du an dein Ziel?
Was wirst du dort oben vorfinden? Hast du Erwartungen? Bist du müde
geworden? Ist es eine Strapaze gewesen? Versuche, nur solche Bilder und
Vorstellungen kommen zu lassen, die zu einem solchen Gebirgskontext
gehören.
Dann erreichst du den Gebirgsgipfel. Wie sieht hier oben der Boden
aus, auf dem du stehst, und wie ist die Aussicht? Gibt es dort wie in Nor-
wegen einen Varde , das heißt, eine kleine Steinpyramide als Wegzei-
chen? Oder gibt es andere Markierungen oder Wegschilder? Lasse hier
oben etwas auf dich zukommen. Lasse eine Überraschung stattfinden.
Was erlebst du? Begegnest du jemandem? Ist es ein Mensch, ein Tier, ein
geistiges Wesen? Findest du etwas? Gibt es einen Schatz? Du nimmst
dir genügend Zeit, um die Überraschung gründlich kennen zu lernen und
dich mit ihr auseinanderzusetzen. Das heißt, du lässt die Gegebenheit so
auf dich wirken, dass du beim Hinuntersteigen etwas davon mitnehmen
kannst. Schlage alsdann wieder denselben Pfad ein, den du nach oben
benutzt hast, und mache Pausen an den Stellen, wo du vorher die Aus-
sicht bewundert hast. Hat sich in der Zwischenzeit etwas verändert, oder
siehst du etwas Neues?
Eine Fortsetzung dieser Übung kann es sein, bei einer zweiten Wan-
derung beim Abstieg einen anderen Pfad zu wählen, um zu sehen, wohin
dieser führt. Es könnte sein, dass du zu einem Dorf gelangst, das du
nicht kennst, und dass du dort einen Menschen triffst, der dir etwas er-
zählt oder schenkt.
Eine Kombination der Gipfelübung mit den Insel- und Brunnenübun-
gen würde darin bestehen, eine Grottenübung zu entwickeln, in der du
unterirdisch in einen Berg hinein gehst, um unterschiedliche Abenteuer
zu suchen. Eine junge Frau entwickelte nach diesen Angaben eine Reihe
von Meditationen, die sie in Motive hinein stellten, die eine gewisse
Übereinstimmung mit den Romanen Herr der Ringe von J. R. Tolkien
hatten. Kritiker würden behaupten, dass sie solcherart nur frei und fan-
tasievoll gelesene Inhalte wiedergegeben hat. Meine Anschauung sagt
aber, dass sie hiermit die eigenen karmischen Motive mit erstaunlicher
114
Präzision tangierte. Sie war sozusagen in einer ersten inneren Wande-
rung zu den Wurzeln der Akasha gelangt.
Die erste Engelübung
Eine weitere Reiseübung befasst sich mit dem Thema Engel, welches
heutzutage eine sehr beliebte Angelegenheit für Menschen in allen Ge-
sellschaftszusammenhängen geworden ist. In den letzten Dezennien sind
viele Berichte und Bücher zu diesem Thema erschienen.56 Der Geistes-
schüler hat als Arbeitshypothese, dass es geistige Wesen gibt, die die
hebräische und christliche Tradition als Engel bezeichnet und in unter-
schiedliche Gruppen und Hierarchien einordnet. In der Gegenwart gibt
es viele Menschen, die persönliche Berichte über Engelbegegnungen und
Engelkontakte veröffentlicht haben. Für uns gilt immer, auch zu eigenen
geistigen Erfahrungen kommen zu wollen, wofür wir uns allerdings vor-
zubereiten haben, damit ein Bewusstsein dafür entwickelt werden kann.
Einige Ausführungen von Alexa Kriele können Aufklärung zu gewissen
Fragen zu Engeln geben, auch wenn der lehrhaft geprägte Kontext ihrer
Darstellungen für mich persönlich nicht ansprechend ist.57 Sonst gibt der
spirituelle Ratgeber Gary Quinn eine Reihe von wertvollen Blickwinkeln,
wie man mit Engeln das eigene Leben im Griff und in Fluss bringt.58
Die folgende Übung habe ich von dem Waldorflehrer, Reinkarna-
tionstherapeuten und Geistesforscher Winfried Wahlter, Nesoddtangen,
Norwegen, übernommen und sie entsprechend für meine Arbeit ausge-
staltet. Du stellst dir zu Beginn vor, dass du von deinem so genannten
Schutzengel eine Einladung bekommen hast. Du sollst ihm an einem
verabredeten Treffpunkt auf der anderen Seite eines Wassers begegnen,
weil er dir ein Geschenk geben möchte. An deinem Geburtstag oder sons-
tigen Feiertag triffst du dich noch mit zwei Freunden, denen du von die-
ser unerwarteten Einladung erzählt hast. Sie haben alles für die Reise
vorbereitet. Du kommst zum Ufer des Flusses, des Sees, des Fjords oder
des Sunds und erblickst das Boot oder Schiff, dessen Segel sie am Kai be-
reits gesetzt haben.
56
Heinrich Krauss, Kleines Lexikon der Engel. Von Ariel bis Zebaoth, Becksche Rei-
he 1411, Verlag C. H. Beck, München 2001. Flower A. Newhouse, Engel und
Devas, Aquamarin Verlag, Grafing 1994.
57
Alexa Kriele, Wie im Himmel so auf Erden. Einführung in die Christliche Engel-
kunde, Band I IV, Ch. Falch-Verlag, Seeon 1998 2000.
58
Gary Quinn, Von Engeln geleitet. Finden Sie Ihre geistigen Führer und Ihr wahres
Ziel, Econ Taschenbuch 74077, Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co, Mün-
chen 2002.
115
 Das Reiseziel ist diesmal also das andere Ufer oder eine Insel, die
noch größer sein muss als diejenige der Inselübung. Diesmal kannst du
die Fahrt ganz und gar genießen, weil die zwei Helfer alles Praktische
mit großem Geschick für dich erledigen. Wie verläuft die Überfahrt? Un-
terhaltet ihr euch miteinander? Sind andere Boote oder Schiffe unter-
wegs? Wie verlaufen die beiden Landstriche vom Wasser aus gesehen?
Wenn ihr zum anderen Ufer kommt, wo könnt ihr anlegen? Die Helfer
sorgen dafür, dass du trockenen Fußes das Land betreten kannst. Dann
aber bleiben sie am Strand, um auf das Schiff aufzupassen, und sie wer-
den auf dich warten, bis du wiederkommst. Inzwischen werden sie eine
Mahlzeit vorbereiten und es sich bequem machen. Du aber findest so-
gleich einen Fußweg und so steigst du bald durch Laub- oder Nadelwald
einen Hang hinauf. Was erlebst du? Was hörst du? Wie ist die Stim-
mung? Wie sieht das Wetter aus? Wohin sollst du gehen, um den Engel
zu finden? Wie stellst du dir eine Engelbegegnung vor? Was erwartet
dich?
Lass einen geeigneten Platz entstehen, wo mit einiger Wahrschein-
lichkeit ein Engel warten könnte. Welcher Ort könnte das sein? Wird die
Begegnung im Freien stattfinden oder musst du etwas suchen, wo du
hinein gehen sollst? Ist es eine Kapelle, eine Hütte, ein Zelt, eine Grotte?
Wie verhältst du dich vor der Begegnung? Bist du zuversichtlich, vor-
sichtig oder abwartend? Wie grüßt du deinen Engel? Wie redest du mit
deinem Engel? Wie sieht er aus? Hat er eine Gestalt? Gewänder? Hat er
Flügel? Weist er Farben auf? Strahlt von ihm ein Lichtschein aus? Oder
ist er überhaupt nicht sichtbar? Nur fühlbar? Wie weißt du, dass es jetzt
um eine wirkliche Engelbegegnung geht? Oder bildest du es dir nur ein?
Die weitere Handlung wird sich gewiss von selbst ergeben. Du be-
kommst oder findest das Geschenk. Was ist es? Ist es ein Gegenstand
oder bekommst du etwas zu wissen? Dann bedankst du dich beim Engel,
nimmst Abschied und findest den Weg zurück zu den Kameraden und
dem Boot. Was geschieht diesmal im Wald? Beobachtest du einige
Tiere? Während ihr das Essen einnehmt, erzählst du vielleicht vom Ge-
schenk. Wie reagieren sie? Wie ist die Heimkehr? Was bewegt dich,
wenn du wieder im Boot sitzt? Wie nimmst du Abschied von den zwei-
en? Wie fühlst du dich, mit einem Engelgeschenk nach Hause zu kom-
men?
Um die Komponenten und Erlebnisse der Engelübung zu erkennen,
benötigt man immer wieder viel Zeit, um darüber nachzusinnen und sie
aufzuarbeiten. Hier versuchst du gegebenenfalls zum ersten Mal, etwas zu
üben, was unvermittelt mit einem geistigen Phänomen zu tun hat. Die
Übung kannst du immer wieder machen, ausarbeiten und verfeinern.
Anfänglich kannst du bekannte Erinnerungen und Bilddarstellungen aus
der Kunst zu Hilfe nehmen. Die Engel dürfen so aussehen, wie beispiels-
116
weise die großen Künstler sie vermittelt haben, oder du übst dich, eigene
Erscheinungsformen in das anfangs vorhandene Geistdunkel hinein zu
projizieren.
Mit der Zeit fangen die Gestaltungen an, sich so etwa wie von selber
zu bilden. Du wirst eine schöpferische Kraft spüren, von der du in der
Meditation umgeben bist. Solche Bemerkbarkeiten können so zart und
leise vorkommen, dass du sie fast nicht erlebst, aber hast du einmal diese
Art Teilnahme bemerkt, wirst du erkennen, das sie auch früher da ge-
wesen ist. Du wirst durch diese Erfahrung plötzlich ein Werkzeug haben,
rückblickend Vieles anzuschauen, was vorher unverständlich im Leben
bestand, das jetzt in neuem Zusammenhang erscheint. Dies hat mit der
besonders feinen Wirksamkeit des Schutzengels zu tun.
Eine Erweiterung dieser Übung besteht darin, sich mit dem Thema
Boot und Schiff eingehend zu beschäftigen. Wenn wir in der Geschichte
zurückgehen, werden wir finden, dass Boote für die Menschen viel grö-
ßere Bedeutung besaßen als heute, und das, wohlgemerkt, nicht nur ihres
praktischen Nutzens wegen, sondern sie wurden uneingeschränkt geliebt,
verehrt und sogar gefürchtet, da solche Wasserfahrzeuge als Götterge-
schenke erschienen, so wie es die Mythen und Märchen aufzeigen. Ein
Boot ist eine Umhüllung, die einen auf dem Wasser trägt und vor dem
Untergehen bewahrt. Das sich Getragenfühlen ist eine Beschaffenheit, die
man in der Meditation braucht, da man in der erstrebten Leibfreiheit
leicht ins Schwanken kommen könnte. Verschiedene unbekannte Stim-
mungslagen, die sich wie fremde Fahrgewässer, Ströme und Wirbel er-
leben lassen, können und werden höchstwahrscheinlich auftauchen.
Es muss das Fahrzeug , das du um dich bildest, so beschaffen sein,
dass es je nach Bedürfnis von Grund auf anpassungsfähig ist. Steuer, Ru-
der, Segel und Eigenbewegungsmittel für verschiedene Elemente müssen
okay sein. Im normalen Leben gehört es zu den Vorbereitungsmaßnah-
men, dass man vor einem Ausflug das Fahrzeug oder das Auto besich-
tigt. Ähnlich sollte es auch für die Meditation sein, sonst könnte man in
Unannehmlichkeiten geraten. Gelingt es dir in diesen Übungsreisen, Fle-
xibilität, Entschlossenheit und innere Ruhe aufrecht zu erhalten, dann
hast du dein eigenes Perpetuum Mobile , einen seelisch-geistigen Selbst-
beweger, geschaffen.
Von den vielen Geschenken zu berichten, die Menschen in meiner
Anwesenheit von ihren Schutzengeln bekommen haben, würde ein eige-
nes Büchlein füllen. Statt davon hier zu informieren, erwähne ich ein
einziges Beispiel von mir selbst. Da ich diese Übung oft in Seminaren
gemacht habe, durfte ich manchmal selbst, wenn ich die Übung nicht
direkt durch Sprechen begleitete, selbst mittun. So bekam ich des öfteren
verschiedene Geschenke von meinen Engeln. Einmal befand ich mich
auf einer kleinen Klippe in einem Gebirgsteich, wo ich dem Engel begeg-
117
nen sollte. Er gab mir eine lange, wundervoll bemalte Digeridoo, also ein
Blasinstrument aus Eukalyptusholz, das bei den australischen Ureinwoh-
nern beheimatet ist. So bewahrte ich diesen unsichtbaren Digeridoo für
lange Zeit, ohne ihn zu vergessen. Auf einem Altstadtfest stieß ich ein-
mal auf ausländische Verkäufer, die verschiedene Musikinstrumente der
Naturvölker darboten. So ergriff ich die Gelegenheit, mir endlich einen
Digeridoo in der Realität zu erwerben.
Das Spielen auf diesem besonderen Instrument zeigte mir alsdann,
warum der Engel mir dieses Geschenk schon gegeben hatte. Es offen-
barte bestimmte Töne der tiefsten Trauer, die wir beide in unseren meist
unwegsamen Wesensgründen aufweisen können. Es waren Töne, die
schienen längst vergessenen Urschmerzen abgelauscht zu sein. Das Be-
wusstwerden dieses Ursprünglichen intensivierte sodann ein Interesse an
der Zukunft. Darauf werde ich im 8. Teil zurückkommen.
Steinmeditation
Gelegenheit zu meditieren kann man überall finden, beispielsweise wenn
man unterwegs in einem Verkehrsmittel sitzt, in einer Arztpraxis warten
muss oder in der Mittagspause einen Spaziergang macht. Mannigfache
Fragen oder Dinge in der Sinneswelt können Anhaltspunkte oder Beweg-
gründe geben, dass du meditierst. Jetzt zeige ich, wie eine Schwäche
oder einseitige Charaktereigenschaft Anlass sein kann, eine außerordent-
liche Übung zu beschreiten.
Wir haben gesehen, dass wir im Leben von allerlei Dingen Gebrauch
machen, die uns stützen, tragen oder bergen, damit wir etwas ausrichten
können. Sie sind einfach ein Mittel zum Zweck und wir bedienen uns ih-
rer mit Selbstverständlichkeit. Ich habe z. B. die Gewohnheit angenom-
men, Edelsteine und Mineralien in meinen Jacken- oder Hosentaschen
mit mir herum zu tragen. In meiner Kindheit waren allerlei Püppchen,
Spielereien und Geheimschriften darin zu finden. Heute enthalten sie
mindestens ein Taschentuch und einen Edelstein, wenn ich auf Reisen
unterwegs bin.
Nimm folglich einen Edelstein oder einen Kristall in die Hand. Be-
trachte ihn gründlich und beschreibe ihn. Wie ist seine Form: gerundet,
eckig, kristallin? Wie ist sein Eigengewicht? Wie fühlt sich seine Tempe-
ratur an? Ist er glatt, glänzend, matt? Wie beschreibst du seine Farbe? Ist
er bunt? Wie wirkt er auf dich? Welche feineren Eigenschaften kannst du
am Stein erfahren? Als nächsten Schritt überlegst du die Charakter-
schwäche, die du hast. Was ist es, das du nicht kannst? Wann unterlau-
fen dir wiederkehrend in deinen eigenen Augen Fehler? Was würdest du
gerne entwickeln oder lernen?
118
Gehe dann zu einer bestimmten Landschaft hin. Du gehst ziel-
bewusst auf einem inneren Weg entlang. Du trägst einen Gegenstand bei
dir, der einen Fehler hat oder defekt ist, etwa ein Werkzeug, eine Brief-
waage, ein Gerät, eine Schaufel usw. Das Objekt soll ein Sinnbild sein
für die seelische Schwäche, die du hast. Lass einfach diesen Gegenstand
entstehen, der während des Übens kommen will. Wenn du nicht sofort
weißt, was du mitbringst, mache eine kurze Pause. Setze dich irgendwo
hin, vielleicht auf einer Bank, und gucke in deinen Rücksack. Was liegt
dort? Ist es ein Eimer ohne Boden, was der Schwäche entspricht, Auf-
gaben im Leben nicht zu beenden? Ist es eine defekte Wanduhr, die ein
schwaches Kurzgedächtnis anzeigt? Oder hast du einen schweren Stein
im Rucksack, was auf eine Unfähigkeit hinweist, die dir unnötige Proble-
me aufbürdet, weil du dich z. B. nicht abgrenzen kannst? Deine Absicht
ist es, jemanden aufzusuchen, der dir helfen kann, eine Reparatur, eine
Umänderung oder einen Umtausch dieses defekten Gebrauchsgegen-
stands vorzunehmen. Er wohnt in dem vorher beschriebenen Stein. Ge-
nauer gesagt, in der Geschichte ist auch der Stein größer, und vermutlich
sieht er anders aus.
Wie ist er nun? Ist es ein Felsen, ein Steinhaufen, eine Hütte, ein
Schloss? Klopfe an und gehe hinein. Wie fühlt es sich da drinnen an?
Gehst du durch einen Gang? Musst du eine Treppe betreten? Wie er-
scheinen die Farben und das Licht? Ist es dunkel? Wer erwartet dich?
Wie sieht das Steinwesen aus? Männlich oder weiblich? Ist es ein Hand-
werkertyp? Hat der Betreffende einen Betrieb? Wie unterhältst du dich
mit ihm oder ihr? Erzähle deine Angelegenheit und schaue zu, wie er dir
helfen kann. Wie ergreift er das Problem? Ist es schnell zu erledigen? Be-
kommst du eine Aufgabe? Stellt er dir eine Bedingung? Musst du später
noch einmal zurück kommen? Wenn das Letztere der Fall ist, gehe in
einer folgenden Meditation wieder hin. Bedanke dich jetzt und suche
denselben Weg zurück.
Im Nachsinnen vergleichst du die Erlebnisse mit den entdeckten Tat-
sachen aus der Analyse des betreffenden Edelsteins. Auf diese Weise
wirst du in drei Richtungen gleichzeitig forschen können. Einerseits be-
treibst du Selbsterkenntnis, andererseits Naturbeobachtung an dem Stein
und drittens gelangst du zur gleichnishaften Zusammenstellung des Sub-
jektiven mit dem Objektiven in der übersinnlichen Welt der Imagination.
Goethes Wort Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis wird zur Selbst-
erfahrung.
Es ist immer wieder erstaunlich gewesen, als ich mit Menschen diese
Übung gemacht habe, dass sie auf eigene Schwächen gestoßen sind, die
zwar bei der biografischen Aufarbeitung deutlich zu erkennen, aber im
Alltagsleben doch ziemlich in den Hintergrund geraten waren. Schwä-
chen wie z. B. Vergesslichkeit, Faulheit, schlechtes Selbstwertgefühl und
119
Ungeduld bekamen durch die bildhafte Umsetzung eine neue Dimen-
sion, die ermöglichte, den Stier an den Hörnern zu packen , so dass eine
Umwandlung bzw. eine Verbesserung der negativen Eigenart in Angriff
genommen werden konnte. Eine Fortführung dieser Art der Stein-
meditation wird ergeben, dass bei der gleichen Schwäche je ein anderer
Stein eine andere Seite des Mangels oder dessen Aufarbeitung sich erge-
ben wird.
Eine gewisse Zeit lang arbeitete ich immer wieder mit einem kleinen
Aragonit. Einmal entstand eine Forschung zu einem in früheren Zeiten
ausgeübten Initiationsritus, der gewiss in der Fingalhöhle Fingal s
Cave auf der Insel Staffa in Schottland stattfand. Diese Insel ist durch
das sechskantige, kristalline Vulkangestein Basalt geformt, den man auch
auf der gegenüberliegenden Seite des nördlichen Irland am so genannten
Giant s Causeway wiederfindet. Dort bin ich 1981 gewesen, auf Staffa
aber nicht. Die Höhle, der man nachsagt, dass sie von einem Riesen be-
wohnt wurde, hat auf Grund ihrer fabelhaften Naturformationen viele
Künstler und Dichter, z. B. Jules Verne, inspiriert. Das Geräusch der Wel-
len in der Höhle regte ebenfalls Felix Mendelssohn-Bartholdy zu seiner
Hebriden-Ouverture an.
Während der Forschungssituation wurde das Aragonitwesen gefragt,
etwas zu zeigen, was bestimmte karmische Hintergründe des keltischen
Christentums aufklären könnte. So kam aus dem Nichts und vollkom-
men vorbehaltlos ein geistiger Besuch auf Staffa, der vielschichtige Bezie-
hungen zwischen einer keltisch-christlichen Initiation und bestimmten
Rätseln des Golgatha-Mysteriums offenbarte, die weiterführend mit ge-
wissen karmischen Aufgaben der Gegenwart zu tun haben. Diese einzel-
ne Forschung in Einzelheiten hier zu beschreiben würde aber unsere un-
mittelbare Aufgabe des Übens mit zu viel Stoff überladen. Statt dessen
folgt ein kurzer Hinweis zu dem Stein, der in der erwähnten Meditation
benutzt wurde. So kann sich jeder ermutigt fühlen, eigene Versuche
durchzuführen.
Die Schwingung des Aragonits hilft uns, gerade in unserer hektischen
Zeit, unsere materiellen Dinge zu ordnen. Er erinnert uns, dass wir
nichts besitzen sollten, wenn wir uns nicht selbst darum kümmern
können. Auch geistige Entwicklungen, die durch unsere Informations-
flut kaum mehr zu beherrschen ist, lässt die Schwingung des Arago-
nits ordnen und dadurch wachsen. Er fördert das Interesse und hilft,
Überforderungen zu vermeiden. Aragonit fördert die Konzentration
und kann, wenn dies erwünscht wird, mit Bergkristall kombiniert,
eine hohe geistige Frische im Raum erzeugen.59
59
Zitiert nach einem Informationstext der Künstlergemeinschaft, Carl-Orff-Bogen
44, D 80939 München: www.designmitstein.de/page302.html.
120
Zum kontemplativen und meditativen Umgang mit Steinen, Mineralien
und Kristallen gibt es heute eine Menge an Literatur, die aus unter-
schiedlichen spirituellen Vorgehensweisen stammt. Einen Bestseller von
Michael und Ginny Katz finde ich besonders empfehlenswert.60 Aber auch
das Buch Heilkraft mir der Stein verschafft von Lucy A. und Walter J. Beeler
ergänzt andere Veröffentlichungen zu diesem Thema.61
Baummeditation
In den Ausführungen des 1. Teils wurde schon deutlich, dass eine Be-
schäftigung mit Bäumen eine Erweiterung des Horizonts des Geistes-
schülers mit sich bringen würde. Hier soll noch ein anderer Grund
angegeben werden, warum es unumgänglich sein müsste, sich meditativ
mit Bäumen zu beschäftigen. Durch die Zivilcourage der jungen Ameri-
kanerin Julia Butterfly Hill ist die Weltmeinung aufgewacht und hat er-
kannt, dass es an der Zeit ist, Wege zu finden, konkrete alte Bäume und
Wälder vor politischen Machenschaften und Wirtschaftsinteressen zu
schützen, um sie für die Nachwelt zu retten.62 In diesem Zusammenhang
scheint es mir mehr als erforderlich zu sein, auch weiterhin die demokra-
tische Auseinandersetzung zu suchen und vermehrt zusätzliche Proteste
und Zeichen im Sinne von Gandhis Gewaltlosigkeit zu setzen, um uns
nicht nur für allgemeine Menschenrechte, sondern auch für die Existenz-
berechtigung der ganzen Schöpfung einzusetzen.
Nun kann man meines Erachtens eine Erweiterung der erstgenannten
Übungen finden, wenn man sich meditativ mit der Natur verbindet. Hier
soll zunächst ein Verfahren der Annäherung an die elementarische Welt
skizziert werden. Es geht darum, wie du gleichsam in Kontakt mit einem
Baumwesen kommen kannst, denn jede Menschenindividualität ist seit
dem Urbeginn der Erdenentwicklung zutiefst mit der Mission der Bäume
verbunden, so dass es zu einer Stufe der Geistesschulung gehört, diesen
Bereich eines Tages erneut aus klarem Bewusstsein zu betreten.
Suche einen konkreten Baum auf, der in deinem Garten wächst, in
einem Park oder in der Naturumgebung, wo du wohnst. Besuche regel-
mäßig diesen Baum bei Spaziergängen. Beobachte ihn durch den Jahres-
lauf, bei unterschiedlichem Wetter und verschiedenen Tageszeiten. Be-
60
Michael und Ginny Katz, Die Hüter der Edelsteine. Gespräche mit Engeln und
Devas des Mineralreichs, Heyne esoterisches Wissen 13/9834. Aquamarin Verlag,
Grafing und Wilhelm Heyne Verlag, München 2000.
61
Lucy A. und Walter J. Beeler, Heilkraft mir der Stein verschafft, Para Praktika-
Verlag, CH-Buchs 1993.
62
Julia Butterfly Hill, Die Botschaft der Baumfrau, C. Bertelsmann Verlag, Mün-
chen 2000.
121
schreibe ihn ähnlich wie in der Kunstbetrachtung. Am besten zeichne
oder male ein Bild davon. Der Baum kann auf verschiedene Weise be-
rührt werden, mit den Händen, mit den Füßen oder mit dem ganzen
Körper. Man kann sich unter den Baum hinlegen, hinstellen oder acht-
sam an ihm hochklettern. Kannst du dich in den Lebensumkreis des Bau-
mes hinein fühlen? Wie weit scheinen die Wurzeln zu wachsen? Worauf
achtest du dabei? Wie ist der Erdboden, wo er steht? Sandig, lehmig oder
steinig? Wie ist der Flüssigkeitszufluss zum Baum durch das Grundwas-
ser? Welche anderen Lebewesen haben mit ihm zu tun? Welche Tiere
und Vögel lockt er zu sich? Wie schätzt du sein Alter ab? Wie steht er zu
anderen Bäumen und Pflanzen in der nächsten Umgebung? Was hat die-
se Baumart durch ihr Holz, ihre Rinde oder ihre Früchte unserer Kultur
durch die Jahrtausende hin geschenkt?
Arbeite zu Hause mit der Erinnerung an den Baum. Vergleiche dich
selber mit einem Baum. Wie würdest du als Baum sein? Wo würdest du
stehen wollen? Wärst du ähnlich wie eine Birke? Oder eher wie eine Ei-
che? Wie wären dein Boden und dein Lebensumkreis beschaffen? Wärst
du ein kleinerer Baum, der umgeben ist von anderen, die größer sind,
oder wärst du vielleicht einsam auf einem Hügel gewachsen? Suche und
stelle fest, ob du in deinen Lebenskräften beschnitten oder überschie-
ßend wärest, ob du Baumpflege brauchen würdest, ob nicht Äste und
Rinde gepflegt werden müssten. Tritt dann in die Meditation und besu-
che innerlich den ausgesuchten Baum. Überlege, ob du ähnlich wie beim
Besuch des Steins etwas mitbringst und wie du dich verhalten sollst, ge-
setzt den Fall, dass du einer Gestalt begegnest, die mit dem Baum zu tun
hat.
Weitere empfehlenswerte Übungen, Arbeitsweisen und Hinweise, wie
man mit der vielfachen Geistigkeit der Natur umgehen kann und sollte,
wirst du in den Büchern und in der außergewöhnlichen künstlerischen
Arbeit und Forschung von Marco Poga nik finden.63 Er ist zweifellos ein
genialer, vorbildlicher Vertreter einer Verhaltensweise gegenüber der
Natur und den Naturwesen, die heutzutage als Maßstab für alle gelten
könnte, die mit der Welt des Lebendigen wirtschaftlich, pflegend und
schützend zu tun haben.
63
Marco Poga nik, Elementarwesen Die Gefühlsebene der Erde, Knaur Esoterik,
Band 86083. Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1995.
Marco Poga nik, Schule der Geomantie, Knaur Esoterik, Band 86095. Droemer-
sche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1995 und 1996.
122
Farbmeditation
Es ist außerordentlich empfehlenswert, Rudolf Steiners Angaben zu
Farbmeditationen zu lesen, noch mehr aber, sie tatsächlich zu üben. Er
stellt dar, wie der Übende beim Hineinleben in das Gelbe in ein Stadium
der Evolution zurück versetzt wird, das noch in die Zeit vor der aller-
ersten Inkarnation fällt.64
Wenn wir uns meditativ mit den Farben beschäftigen, wird es allmäh-
lich deutlich, dass sie mit unterschiedlichen Ebenen der geistigen Welt,
mit wechselnden Attributen des Göttlichen und mit bestimmten mora-
lischen Fähigkeiten des Menschenwesens zu tun haben. Aus diesem
Grund können wir auch begreifen, warum sowohl in vielen Mythen wie
auch in der Bibel der Regenbogen nach der so genannten Sintflut als Zei-
chen eines erneuerten Bundes zwischen Gott und den Menschen an den
Erdenhimmel gesetzt wurde. Falls du in Meditationen innere Bilder
und Vorgänge schaust, die Farbiges beinhalten, so dass du mit Sicherheit
sagen kannst, wie die Farbe erschienen ist, kannst du diese als Grundlage
für einzelne vertiefende Meditationen auswählen.
Einmal machte ich mit einer Klientin eine Forschung über atlantische
Lebensumstände. Es wurde der Unterricht eines Meisters der Wachs-
tumsvorgänge an junge Frauen geschaut. In den Jahren der Belehrungen
durften sie ihn überhaupt nicht ansehen. Der unterweisende Eingeweihte
stand außerhalb ihres Blickfelds. Er stand oben auf dem Dach einer aus
vier wachsenden Bäumen errichteten Laubhütte, unter welchem die
Jungfrauen beim Unterricht sich befanden. Erst beim Fest der Schul-
entlassung durften sie ihn zum ersten Mal sehen und ihn inmitten aller
Versammelten begrüßen. Eines ragte sichtbar hervor: die rote Feder, die er
als Halsschmuck trug. Es war auffallend, dass er der Einzige war, der
diese Ehrenerweisung trug.
Bei weiterem Nachforschen darüber, woher die Feder stammte, zeig-
ten die Imaginationen auf feuerrote Vögel, die in riesigen Bäumen leb-
ten. Diese Vogelart verbrachte ihr ganzes Leben in diesen Bäumen, da
die Tiere die Flugfähigkeit verloren hatten. Es kam heraus, dass alle
Vögel dieser Art bei der atlantischen Flut ausgestorben waren. Auf die
Frage, falls und wie man dem Geistwesen der Gruppenseele dieser
Vogelart heute begegnen könnte, wurde eine außerordentliche Ant-
wort gegeben. Eine ernsthafte Stimme auf der Inspirationsebene gab
kund, dass derjenige, der sie suchen wolle, in seinem ganzen Wesen von
tiefstem Ernst des Daseins durchdrungen sein müsse. Und nur in einer
solchen Ernsthaftigkeit würde er ausfindig machen, wohin er sich be-
64
Ein Vortrag vom 1. Januar 1915 in: Rudolf Steiner, Das Wesen der Farben, GA
291, Dornach 1976, Seite 96 111.
123
geben sollte, um dem Geistwesen innerlich gleichsam errötend oder de-
mütig zu begegnen.
Dem Geistwesen des Rots zu begegnen, ist in sich ein Begegnen mit
einem Wesen der Ernsthaftigkeit. Die Meditation zur zinnoberfarbigen,
flammenroten Farbe, zu der Steiner seine damaligen kunstinteressierten
Zuhörer ermutigte, sollte genau zu einer inneren Erfahrung des so ge-
nannten göttlichen Zorns führen, so dass gleichsam auch die Fähigkeit zum
Beten dem Geistesschüler aufblühen würde.65 Dementsprechend ergab
die beschriebene Erforschung zu der roten Feder aus Atlantis einen erha-
benen Hinweis buchstäblich in dieser Richtung.
Als Beispiel des inneren Verlaufs einer einfachen Farbmeditation,
möchte ich schildern, wie du dabei vorgehen kannst. Grundlage der
Farbmeditation soll dann die bereits gemachte sinnliche Betrachtung einer
bestimmten Farbe sein. Im Raum oder draußen vor einem Fenster, wo
du dich befindest, gibt es viele Farben in der Natur, am Himmel, an
Häusern, an Kleidern, in Bildern, an Wänden, an Gegenständen usw.
Wähle eine Farbe deiner Umgebung aus, die du magst, und konzentriere
den Anblick auf diese bestimmte Farbe. Halte den Blick so lange fest, bis
die entsprechende Komplementärfarbe leuchtend drumherum erscheint.
Dieses Phänomen kannst du mehrmals beobachten, indem der Blick
nach dem Fixieren zu einer weißen Fläche hingewandt wird. Die Kom-
plementärfarbe folgt sozusagen mit, weil es sich um ein physiologisches
Phänomen des Sehens geht, das objektiv ist. Nach diesem Sehvorgang
schließt du die Augen und gehst hinein in den inneren Raum der Seele.
Aus der eigenen Schöpferkraft lässt du als zweiten Schritt der Übung
diesen Raum ganz mit der beobachteten Farbe durchflutet sein. Wenn von
selber eine Farbe nicht entsteht oder du Schwierigkeiten hast, die Farbe
zu erzeugen, stellst du dir vor, dass du wie eine Biene zu einer Blume
fliegst, die diese Farbe hat. Du tauchst hinein und saugst die Süßigkeit
der Farbe auf. Es ist dir erlaubt, die Substanz der Farbe mit nach Hause
zu nehmen, wie eine Biene den Nektar zum Bienenkorb mitnimmt, aus
dem Honig entstehen wird. Beim Drinnenschweben in der Farbblume
versuchst du nun, zu erleben, welche Stimmung die Farbe in dir erzeugt.
Was erlebst du? Welche moralische Kraft wird eventuell in dir geweckt?
Jetzt folgt als dritter Schritt, dass du dein Zuhause in der Meditation
aufsuchst, das diesmal quasi deine eigene Biografie wäre. Lasse aus der
Farbbegegnung eine oder mehrere Episoden in der Biografie aufkom-
men, als würde die Farbstimmung selbst entsprechende Lebensmotive
heranziehen. Zu welchen Erinnerungssituationen kommst du? Was
kommt dir in den Sinn, wenn du solcherart aus der Farbmeditation
Biografisches wieder anschaust? Ein fortgeführter, meditativer Umgang
65
Rudolf Steiner, Das Wesen der Farben, Seite 99ff.
124
mit verschiedenen Farben wird immer mehr die eigene Biografie neu
durchleuchten und kolorieren.
Meditation an Traumbildern
Die eigenen Träume aufzuschreiben und sie mittels Jungscher Traum-
deutung zu bewegen, schafft eine Grundlage, Bilder, Symbole, Zeichen
und Geschehen kennen zu lernen, die einen imaginativen Charakter ha-
ben können. Während der geistigen Schulung wird sich dein Traumleben
vielfach verändern. Zuerst wirst du einfach Träume haben, die dich in
ihrer Klarheit, Besonderheit und Dramatik überraschen. Noch mehr
können Träume zu einem Tor des Geistigen werden, wenn du bestimmte
Inhalte daraus für die meditative Tätigkeit heraus nimmst. Man kann
einen Ort, Handlungsverläufe oder Gestalten aus Träumen nehmen, um
in der Meditation einen Ausgangspunkt für eine Untersuchung, eine Rei-
se oder eine Begegnung zu finden. Eine Traumgestalt, die vielleicht kei-
nem Menschen aus dem täglichen Leben gleicht, darfst du als Gefährten
oder Begleiter mitnehmen . Mit der Zeit kann es sich herausstellen, dass
die Traumgestalt eine Verkleidung eines existenten Geistwesens oder
einer im jenseitigen Dasein lebenden Individualität ist, für die du im Un-
terbewusstsein keine auf Erinnerungen zurück greifenden Daten hattest,
so dass sie im Traum qualifiziert gestaltet werden konnte. Also entsteht
im Traum oft zuerst etwas Zufälliges, etwas Fantasieartiges. Durch das
meditative Verfahren überwindest du das Traumhafte und erwirbst statt
dessen die Sachlichkeit des Geistes.
Jemand hatte mehrmals den gleichen Traum gehabt, in welchem eine
Gestalt auftrat, die einem Mönch mit grauer Kappe und Kapuze ähnelte.
Der Meditierende nahm diese Gestalt jetzt in der neu ergriffenen Karma-
arbeit ernst und mit ihm als Reisegefährten fing er an, während der
nächsten Meditationen regelrecht aufzuwachen . Es offenbarte sich,
dass der Betreffende ein Verstorbener war, mit welchem er in mehreren
früheren Erdenleben, die allmählich erforscht werden konnten, in ver-
schiedenen Ereignissen und Kulturen zusammengelebt hatte, dem er je-
doch noch nicht in diesem Leben begegnet war.
Die nächste Aufgabe besteht darin, in einem laufenden Traum sich
bewusst zu werden, dass man träumt. Wenn das entsteht, musst du ver-
suchen, im Geschehen bewusst aktiv zu werden. Das ist nicht einfach,
weil man dann meist Knall auf Fall aufwacht, womit die Traumbilder
augenblicklich verschwinden. Wenn das so ist, gehst du direkt zu einer
Meditation über, der womöglich diese Traumbilder als Unterlage dienen
können, um andere Aufgaben anzugehen, die du tagsüber auch innerlich
zu verfolgen hast; das heißt, nach dem Aufwachen kann die meditative
125
Beschäftigung mit Traummotiven eine Klärung zu Aufgaben geben, die
am Tag bevorstehen.
Es kann sich zeigen, dass Fragen, die man am Abend der geistigen
Welt gestellt hat, im Traum nur andeutungsweise oder verpackt beant-
wortet sind. Erst die meditative Beschäftigung wird eine volle Auskunft
geben. Sein eigenes Traumleben während des Lebens zu beobachten, ist
erstaunlich interessant. Wenn man eine geistige Schulung angefangen
hat, können hier wertvolle Anstöße und Erkenntnisse folgen. Leider wer-
de ich dieses Thema hier nicht weiter verfolgen. Der Interessierte müsste
bei Steiner oder anderen Forschern Stoff suchen.66 Die anthroposophi-
sche Karmaforscherin Heide Oehms gibt in ihrem bahnbrechenden Buch
Karma-Erkenntnis Warum? eine Andeutung darüber, in welcher Rich-
tung hier gearbeitet werden kann:
Auch die Traumbeobachtung bietet in diesem Bereich einen Quell der
Selbstbeobachtung. Es ist dazu allerdings notwendig, die Traumspra-
che und Traumsymbolik lesen zu lernen. Als Vorstufe zur bewussten
Imagination, aber auch als ständiger Gegenpol zu dieser, erfordert sie,
sich mit Hilfe der allgemeinen Traumdeutung an die individuelle
Traumsprache heranzuarbeiten. Jeder hat auch da seine ureigene
Symbolik, die er nur deuten lernen muss, damit der Traum zum Er-
zieher werden kann.67
Weitere Hinweise zum Umgang mit Träumen und anderen inneren Er-
fahrungen geben auch die Schriften von Anton Kimpfler.68 Eine kurz ge-
fasste, aber informative Schrift von Rudolf Treichler will dem interessier-
ten Leser Anstöße geben, wie man nachfühlen kann, was beim Men-
schen im Tagesrhythmus übersinnlich vor sich geht.69
Poesiemeditation
Wie wir vorher bei dem Spruch von Rudolf Steiner gesehen haben, ist
die Pflege der Dichtung und der Poesie eine gute Vorbereitung für ein
höheres Bewusstsein. Angefangen mit Gedichten, Sprüchen und Man-
tren führt die Meditation jenseits von Wort und Begriff. Hier soll zu-
66
Siehe z.B. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten, GA 10,
Dornach 1961, Seite 159 169.
67
Heide Oehms, Karma-Erkenntnis Warum? Innere Entwicklung als Grundlage
geistiger Fähigkeiten, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1999.
68
Siehe z. B. Anton Kimpfler, Was verraten meine Träume? Verlag am Goethea-
num, Dornach 2000.
69
Rudolf Treichler, Schlafen und Wachen. Vom rhythmischen Leben des Ich. Studien
und Versuche 22, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1985.
126
nächst eine einfachere Variante des Umgangs mit dem Poetischen ge-
zeigt werden, die mit Entfaltungen oder Metamorphosen arbeitet. Man
sucht z. B. ein geliebtes Gedicht von einem Dichter aus oder man setzt
sich selber hin und schreibt einige Strophen. Mit zwei Zeilen von Hans
Carossa werde ich versuchen, eine angenehme, feinsinnige Meditation
nachzuzeichnen:
Es gibt kein Ende,
Nur glühendes Dienen.
Zerfallend senden
Wir Strahlen aus.70
Zuerst wird das kleine Gedicht gelesen, am besten laut, so dass du die
Vokale und Konsonanten hörst und quasi im Mund erlebst, wie die Zun-
ge und die Lippen die Laute des Gedichts gegen die Zähne und den
Gaumen wie plastizieren. Du kannst es mehrmals tun und dann erneut
still lesen. Beim Lesen versuchst du zunächst, deine subjektive Interpre-
tation zu finden, ehe du versuchst, zu verstehen, was der Dichter wohl
gemeint hat, was ihn eventuell bewegt hat, es so zu schreiben. Um nicht
sofort in ein intellektuelles Verfahren zu kommen, kannst du einen er-
innerungsmäßigen oder bildhaften Umweg gehen. Bleibe dabei sachlich
und ganz konkret. Erinnere dich, ob und wann du kein Ende erlebtest.
Denke an lange Reisen und Wanderungen, die dich auch sehr müde
machten. Versuche das Dauerhafte, das Beständige, das Fortgesetzte in
deinem Leben zu erkennen. Denke an das Generationserbe in deinen
Adern. Wie hat dein Großvater mütterlicherseits gelebt? Hast du mit ihm
irgendwelche Ähnlichkeiten? Bedenke alte Traditionen und Lebensfor-
men, die weiterhin dein ganzes Leben beherrschen.
Schau aus dem Fenster in die Ferne. Dein Blick geht zum Horizont,
zum blauen Himmel, zum Weltenraum. Gibt es kein Ende? Wann hast
du etwas Glühendes erlebt? Was glühte? Wann entsteht in einem Feuer-
prozess das Glühen? Wie glüht Birkenholz, wie anders glüht eine Wur-
zel der Kiefer? Was war vorher und was kommt danach? Und das
Dienen? In welcher Art hast du einmal gedient? Wem hast du gedient?
Gab es eine Belohnung? Bist du enttäuscht gewesen, wenn es einmal kei-
ne Anerkennung gab? Wie kann das Glühende mit Dienerschaft verbun-
den werden? Belebe die Varianten des Dienens! Wo liegt der Unter-
schied zwischen Gehorchen und Beistehen? Kennst du Menschen, die
diese Fähigkeiten haben? Was charakterisiert ein Tier, einen Mensch, ein
geistiges Wesen, die solche Fähigkeiten des Helfens haben? Wie dienen
Engel. Es gibt kein Ende, nur glühendes Dienen. Welche Tätigkeit,
70
Hans Carossa, Geheimnisse (Auszug). In: Sämtliche Werke. Band 1. Frankfurt
a. M. 1978.
127
Eigenschaft oder Tugend wird damit gemeint? Wem wird gedient? Was
kann man dabei tun? Was geht immer weiter? Warum entsteht bei
diesem Wirken kein Burn-out-Syndrom?
Zerfallend senden wir Strahlen aus. Wann, wo und wie hast du
etwas Zerfallendes erlebt? Was ist zusammengefallen? Hast du einen
Hausbrand miterlebt oder Bombardement und Krieg? Welches Welken
und Sterben hast du in der Natur gesehen? Wie sah das Pflanzenleben
aus und was kam danach? Warst du dabei, als ein Mensch gestorben ist?
Kennst du die Ästhetik des Gesichts eines Verstorbenen? Hast du einmal
eine Totenmaske gesehen?
Erinnere dich an Briefe, Postkarten oder Emails, die du geschickt
hast. Wem hast du Liebesbriefe geschickt? Was hast du damit angestrebt
oder beabsichtigt? Ist deine Stimme per Rundfunk übertragen worden?
Welche Art sichtbarer und unsichtbarer Strahlen hast du erlebt? Hast du
Röntgenbestrahlung erhalten? Wo bist du gewesen, als die Tschernobyl-
Katastrophe im Frühjahr 1986 stattfand? Was verbindest du damit, wenn
jemand sagt, dass du eine gute Ausstrahlung hast? Wie beschreibst du,
dass Menschen unterschiedliche aurische Leuchtkräfte haben?
Es gibt kein Ende, nur glühendes Dienen. Zerfallend senden wir
Strahlen aus. Probiere, statt des wir zuerst ich zu meditieren. Zu wel-
cher inneren Haltung kommst du, wenn du versuchst, diesen Zustand
seelenkräftig, bildhaft und imaginativ zu erzeugen? Dann lässt du das
Wir zu. Welche anderen Menschen würdest du zu deinem Wir rechnen?
An welche Individualitäten und Geistwesen dürfte dabei gedacht wer-
den? Verfolge den Weg eines solchen Strahls. Welche Lichtqualität,
Farbnuance und Substantialität hat euer Strahl? Wie fühlt es sich an,
Glut zu sein, die Enthusiasmus ausstrahlt? Wie fühlt es sich an, sonnen-
haft oder sternähnlich zu sein, wenn du reine Liebe, umfassende Weis-
heit oder selbstbestimmende Freiheit geben würdest?
Sende den Strahl in einer Richtung hinaus, die einen bestimmten Ort
auf der Erde in der Gegenwart treffen soll. Wo kommt der Strahl hin?
Trifft er auf die Erde, auf eine Pflanze, ein Tier, einen Menschen, ein
Haus, ein Auto? Welches Tier ist es oder welche Marke hat das Auto?
Verweile bei dem Ding, dem Objekt oder dem Wesen, das den Strahl
empfangen hat. Wie wird der Strahl eventuell erlebt? Was bewirkt dieser
Strahl in der entsprechenden Gestaltung? Tue Ähnliches, wenn du vor-
her das Ziel des Strahls festgelegt hast. Wohin und zu wem schickt ihr
eure Strahlen?
Was hältst du für den wichtigsten Begriff im Gedicht von Carossa?
Versuche, die Betonung auf verschiedene Begriffe und Stellen in der in-
neren Tätigkeit zu legen. Was verstehst du und was tust du bei zer-
fallend ? Wie kannst du beim ständigen Zerfallen, Zugrundegehen und
sich Loslassen eine fortführende meditative Aktivität betreiben? Welcher
128
Teil deines Wesens muss in Erscheinung treten oder tätig werden, damit
du dein Bewusstsein nicht verlierst? Welche Kraft im Zerfallen über-
wältigt dich, wenn du in der Meditation einschläfst? Übe bewusst das
Einschlafen und das Aufwachen. Wie machst du das? Auf solche Fragen
werden wir später zurück kommen. Es wäre auch gut möglich, ein sol-
ches Gedicht vor dem Meditationsvorgang denkerisch zu untersuchen,
so wie es bei dem Lebenscredo in der nächsten Übung beschrieben wird.
Dadurch würdest du mehrere Interpretationsebenen vorbereitet haben,
so dass in der Meditation die Konzentration in einer Richtung fokussiert
werden könnte.
Das Lebenscredo
Unter der Anleitung von Karl-Heinz Finke vom Forum Kreuzberg,71 Berlin,
habe ich anregende Seminararbeiten mitgemacht. Die folgende Erkennt-
nisübung geht auf ihn und seinen Lehrmeister Coenrad von Houten zu-
rück. Am besten ist sie in einem Arbeitskreis durchzuführen, weil man
sich dann gegenseitig anhören und beobachten kann, aber es macht auch
Sinn, sie nur für sich selbst durchzuführen.
Man wählt sich ein Lebenscredo, ein Glaubensbekenntnis oder ein-
fach eine Wahrheit und verfasst darüber einen kurzen, gewandten Wahl-
spruch, am besten ohne Nebensätze, der die Richtung anzeigt. Die Auf-
arbeitung, die Erkenntnisuntersuchung des Gedankenspruchs erfolgt in
fünf Schritten: das Sprechen, die Interpretation, das Wie, das Woher und die
eventuelle Wirkung auf die Zuhörer. Das Sprechen des eigenen Spruchs
kann dreimal nacheinander erfolgen, vorzugsweise in unterschiedlichen
Positionen beim Sitzen, beim Stehen , um die beste Ausdruckswei-
se der Stimme und der Pose zu finden. In der Deutung soll man aufspü-
ren, mit welchen anderen Worten die gleiche Aussage entstehen würde,
nämlich, wie man denselben Sinn mit anderen Begriffen sagen könnte.
Beim Wie soll alles, was gehört und gesehen wurde, als Zeugnis darge-
stellt werden, um den Charakter der Stimme, des Tonfalls, der Hände-
geste, der seelischen Ausstrahlung usw. zu bestimmen.
In der Frage nach dem Woher werden ahnungsweise Ursprünge un-
terschiedlicher Art erfragt. Welche Erfahrungen könnte ein Mensch ha-
ben, der so etwas sagt? In welcher Kultur entstehen solche Aussagen? In
welchen Zeiten der Menschheit wurden solche Gedanken geformt? Bei
der Wirkung geht es um die Reaktion der Zuhörer. Wie war der erste
Eindruck, den der Betreffende durch sein Sprechen auf einen gemacht
71
Forum Kreuzberg Projekte e.V., Eisenbahnstraße 21, 10997 Berlin, www.
ForumKreuzberg.de
129
hat? Fand man sich damit unmittelbar in Übereinstimmung? War man
erstaunt oder verlegen oder erlebte man sich vielleicht sogar provoziert?
Aus dieser Übung könnte man weitere Erkenntnisübungen entstehen
lassen, die gleicherweise im normalen Bewusstsein ablaufen, oder man
kann meditative Übungen ansetzen, die sich dann z. B. ins Bildhafte um-
setzen würden. Die erste natürliche Weiterarbeit besteht darin, anschlie-
ßende Fragen an den Urheber zu richten, an denjenigen, der solcherma-
ßen untersucht wurde. Wie hat er das selbst erlebt? Wie geht es ihm nach
der Untersuchung? Zusätzlich könnte man die Reaktion eines Zuhörers
gründlicher analysieren, nämlich was seine Reaktion auf die gleichen
Fragen über ihn sagt.
Diese Übung pflegt besonders das gedankliche Element und entwi-
ckelt einen Sinn für die Denktätigkeit, sowohl bei einem selber als auch
beim Anderen. Man muss sich in der Disziplin des genauen Zuhörens
und der strikten Formulierung üben, so dass man wirklich das verstan-
den hat, was der Andere gesagt hat und man nicht selber etwas in dessen
Aussage hinein interpretiert hat, was gar nicht gesagt wurde. Gleicher-
weise hat man dann exakt das ausgedrückt, was man tatsächlich als In-
halt darüber hat geben wollen. Diese Arbeit an der Sprache und der
Kommunikation in einer Gruppe gehört zu den Vorbereitungen zum inspi-
rativen Bewusstsein, welches dem imaginativen in der Geistesschulung
normalerweise nachfolgt.
Die Ausarbeitung von mehreren solchen Lebenscredos würde dir hel-
fen, die Grundlage zu entwickeln, um die richtige Position einnehmen
zu können, wenn du in übersinnlichen Regionen auf geistige Wesen
triffst, die du dann daraufhin zu überprüfen hast, wer sie sind, woher sie
kommen, was sie tun, was sie wollen und wie du mit ihnen zusammen-
arbeiten könntest, falls das eine erwünschte Angelegenheit wäre.
Das lebendige Denken das Künstlerische an sich
Durch künstlerische Tätigkeit und Pflege von Seelenübungen, wie die be-
reits beschriebenen, wird man feststellen, dass gewöhnliches Denken,
eingebürgertes Fühlen und gewohntes Wollen mit verschiedenen Dingen
belastet sein können, die vor dem meditativen Leben sortiert, klassifiziert
und vielleicht ausgeräumt werden müssen, wenn sie einem später nicht
im Wege stehen sollen. An unserem Ausgangspunkt sind wir alle durch
diesen seelischen Ballast aus Erziehung, Kultur und Gewohnheit geprägt.
Wer würde behaupten wollen, dass das Beste, was er aus früheren In-
karnationen mitgebracht hat, nicht in irgendeiner Weise durch schwie-
rige Kindheits-, Jugend- und Erwachsenerlebnisse die vielleicht nicht
karmisch bedingt sind, aber dennoch aus anderen Gründen aufgetreten
130
sind gewissermaßen beschädigt worden ist oder sogar fast wie ver-
loren ging? Selbst der in früheren Zeiten höchste Eingeweihte muss in
einer heutigen Inkarnation damit rechnen, durch belastende Erfahrungen
gehen zu müssen, die ihm klar legen, dass er seine Seele neu zu gestalten
hat, wenn er erneut zu Geisterkenntnis kommen will. Die beschriebenen
Übungen sind solcherart, dass die Seele dabei eine Reinigung, Aufklä-
rung und Läuterung erfährt. Diese Prozesse finden aber nicht ganz auto-
matisch statt, sondern man muss sich dabei beobachten und sehen, wie
sich die Wirkung der inneren Arbeit auf das fortdauernde Bewusstsein
und das tägliche Leben entfaltet. Der Seelenfaktor, der diese Aufsichts-
arbeit mit einem selbst macht, der diese Kontrollfunktion übernehmen
muss, ist unbestritten das Denken. Nur du selbst kannst wissen, wie weit
du dein Denken geschult hast, damit du durch Selbsterkenntnis so weit
gelangst, dass bei der weiteren Geistschulung deine Seele dich nicht be-
lasten, betrügen oder in die Irre führen wird.
Die Imaginationen sollen auf dem Schauplatz des Denkens in Verbin-
dung mit dem früher charakterisierten Gefühlsgebilde und dem individu-
ellen Willenslicht entstehen. Das Denken ist mit der Leinwand zu ver-
gleichen und das Gefühlsgebilde mit der Grundierung, worauf die Farb-
und Formgestaltungen sich entfalten sollen. Wenn das Denken nicht
sauber, gebleicht oder ausgebreitet ist, werden Schattierungen und Fle-
cken auftreten, die nicht zum Imaginativen gehören. Nun werden die
imaginativen Tatsachen jedoch so fein, beweglich und dynamisch sein,
dass die denkerische Unterlage gleichfalls sehr lebendig und beseelt sein
muss, um sie aufzufangen. So sprechen wir von lebendigem Denken als
einer Grundlage des hellseherischen Schauens.
Um dieses lebendige Denken von anderen Arten des Denkens zu
unterscheiden, könntest du vorerst die unterschiedlichsten Denkweisen
angehen und bestmöglich üben. Die deutsche Sprache hat für Denktätig-
keiten eine Reihe von Seelenaktionen, die im Alltag vorkommen, wie
z. B. andenken, auffassen, ausfragen, ausdenken, bedenken, besinnen,
betrachten, einschustern, entdecken, erdenken, erfinden, erforschen, er-
gründen, erinnern, erörtern, erwägen, gedenken, grübeln, lernen, nach-
denken, prüfen, Rücksicht nehmen, sinnen, spekulieren, studieren, über-
legen usw. Welche Art Denken benutzt du, um den Unterschied zwi-
schen diesen aufgezählten Denkarten zu treffen? Findest du die Sorte in
der Reihe oder gibt es noch eine Bezeichnung für diese gegenüberstel-
lende Tätigkeit in deinem individuellen Denken?
Gehört z. B. Humor zum Denken, zum Fühlen oder zum Wollen oder
gründet sich der humoristische Sinn eines Menschen in einer Mischung
dieser drei Seelentätigkeiten? Wie ist dein Denken, wenn du lachst? Wie
ist es, wenn du weinst? Wenn das Denken sich selbst will und dabei dem
Fühlen gleicht, aber keinen Gedanken, kein Gefühl und keinen Trieb zu-
131
lässt, sondern ohne Nachdenken oder Wollen ganz in sich ruht, dann
liegt das lebendige Denken als Samen, als Quelle im eigenen Ich-Be-
wusstsein darinnen. Das lebendige Denken gleicht dem anspornenden,
freien Zustand, wenn ein Künstler, begeistert vom gerade gemachten
letzten Pinselstich, entweder das Werk beendet oder zu einer Fortset-
zung sich angeregt fühlt, weil er bemerkt, dass er gerade Entscheidendes
gemacht hat. Geradeso verglichen, wäre schöpferische Freiheit eine andere
Bezeichnung für das lebendige Denken. Freiheit kann desgleichen als die
geliebte Schwester des Denkens betrachtet werden.
Das autonome Denken ist nämlich ein Bewusstseinszustand, in wel-
chem einen die Freiheit zum Schöpfen nicht dirigiert, etwas zu tun, son-
dern frei lässt, auch nichts zu tun. Mache vielleicht folgende Übung:
Konzentriere dich auf einen Gedanken, eine Idee oder einen Begriff,
z. B. Sitzen , Gespräch oder Stuhl . Erlebe deinen Kopf wie ein Stück
dunkle, kalte und feuchte Erde. In ihr liegt ein Same. Das ist ein Bild für
den Inhalt deiner Aufmerksamkeit. Der kleine Same besitzt eine Kraft,
die aber im eigenen kleinen Wärmevorrat schläft.
Spüre zwischendurch deinen Kopf, die Haut, das Haar, das Gesicht
mit den Ohren, den Augen, der Nase usw. Vergiss dann wieder das Phy-
siognomische, erlebe dich ganz als in der Erde drin. Was tut der Same?
Was braucht er, um sein Leben zu entfalten? Er braucht Wasser, Licht
und Wärme, so dass seine Wurzeln die Mineralstoffe aus der Erde auf-
saugen können. Wenn dein noch nicht lebendiges Denken in seinem
Samencharakter sich entfalten will: wodurch wird Wasser, Licht und
Wärme bei dir gegeben? Was ist für dein Denken das Wasser? Es ist ein-
fach eine individuelle Frage. Genau so ist es mit dem Licht und mit der
Wärme auch. Dem einen bringt das Lesen der Philosophie der Freiheit
von Steiner alle diese drei Komponenten, für jemand Anderen wäre es
eher angebracht, projektive Geometrie zu praktizieren. Und ein Dritter
müsste sich ständig mit Politik auseinandersetzen. Wie ging es dir
übrigens mit der parallelen Konzentration auf das Sitzen während die-
ses Denkvorgangs des Samenvergleichs?
Was glaubst du, was du brauchst, um dein Denken so anzulegen, dass
daraus eine lebendige, dynamische und mächtige Energiequelle entstehen
würde, die wie ein Baum tausend Jahre lang in allen Stürmen und Win-
tern ausharren könnte, das heißt, dass du ein solch gesundes und starkes
Denken zu entwickeln vermagst, dass du dich nicht wegen böser Wider-
sachermächte hinter Angst und Widerwillen in der Meditation verste-
cken müsstest? Das lebendige Denken bedeutet, die Fähigkeit mit jedem
seien es Menschen im Sinnlichen oder Wesen im Übersinnlichen
reden zu können, so dass ihr beide in ihrer Entwicklung vorwärts kom-
men. Statt des Begriffs lebendig können wir auch künstlerisch sagen.
Durch Ausbildung eines Denkens, welches das Künstlerische unver-
132
fälscht wahrnimmt, wirst du dich zu einem Geistes-, ja einem Wahrheits-
forscher vorbereiten können. Möglicherweise wirst du ohne aktives,
künstlerisches Tun ein imaginatives Bewusstsein, eine Fähigkeit des
Hellsehens entwickeln, aber meines Erachtens wird nur derjenige diese
Fähigkeit bis zur Erforschung geistiger Realitäten bringen können, der
sich als Lebenskünstler, als Schöpfer neuer, menschlicher Lebensrealitäten
versteht. So wirst du den Gedanken denken können, dass auf diese Wei-
se etwas Bahnbrechendes geschaffen wird, weil dieses lebendige Denken
dich von Überlieferung frei macht, aber dich deswegen nicht unbedingt
zu einem Sünder gegenüber aller Tradition macht.
Eine Lichtübung von Rudolf Steiner frei interpretiert
Rudolf Steiner hat äußerst umfassende Angaben zur meditativen Arbeit
gemacht und immer wieder neue Anregungen und konkrete Übungen ge-
geben. Am Schluss dieses 2. Teils möchte ich eine seiner Übungen zu-
nächst in seinem Wortlaut wiedergeben und dann die Übung im Aufbau
so charakterisieren und schildern, wie ich und Andere sie geübt haben.
Die Übung ist einfach im Duktus. Dessen ungeachtet hättest du jedoch,
wenn das Gesuchte dabei entstehen soll, für die weitere Meditations-
arbeit eine bedeutsame Grundlage gefunden, die dir unentbehrlich wer-
den wird.
Für den Lernenden, für den sich zu höherer Schaukraft, zu Hellsich-
tigkeit Entwickelnden ist es von großer Bedeutung, wenn er Übungen
macht wie etwa die folgende: Er stellt sich den Raum finster vor, ohne
dass ein äußeres Licht auf ihn einwirkt sei es bei nächtlichem Dun-
kel oder durch Schließen der Augen und sucht dann nach und
nach vorzudringen durch eigene innere Kraft zu der Vorstellung des
Lichts. Wenn der Mensch sich diese Vorstellung intensiv genug bilden
kann, so wird es nach und nach heller, und er wird dann ein Licht
sehen, das kein physisches Licht ist, sondern ein Licht, das er nun sich
selber schafft, das er durch innere Kraft in sich erzeugt. Und das ist
ein Licht, das durchstrahlt sein wird von der Weisheit, in dem ihm die
schaffende Weisheit erscheint. Das ist das, was man Astrallicht nennt.
Durch Meditation kommt der Mensch dazu, durch innere Kraft Licht
zu erzeugen. Dieses Licht ist ein Vorbote dessen, was der Mensch der-
einst nicht mit physischen Augen, sondern mit feineren Sinnes-
organen sehen wird. Es wird das Kleid werden für wirklich vorhan-
dene Geistwesen.72
72
Rudolf Steiner, Mythen und Zeichen Okkulte Zeichen und Symbole, GA 101,
Dornach 1987, Seite 149.
133
Für einen seiner esoterischen Schüler, Friedrich Krüger, hat Steiner um
1912 eine Spruchmeditation gegeben, die ich mit der angeführten Licht-
meditation zusammengeknüpft habe.73 Sie geht wie folgt:
Licht um mich
Licht erfülle mich
Licht stärke mich
Licht befreie mich
Licht stelle mich
Auf mich selber
Ich
Wenn es nicht genügt, die physischen Lichtverhältnisse durch Ausschal-
ten der Zimmerbeleuchtung oder durch Augenschließen zu dämpfen,
kannst du noch um Augen und Kopf ein Tuch binden, ohne dass ein
Druck entsteht. Konzentriere dich sodann auf eine innere Welt und auf
den Raum, der dort um dich herum sich befindet. Probiere dann, das
Dunkel aufzugreifen und zu erleben. Wie kommt dir Dunkel eigentlich
vor? Wie charakterisierst du es? Versuche dann, Erinnerungen von
Nächten und Dunkelerlebnissen in deiner Biografie nachzugehen. Wie
hast du es damals erlebt? Achte wieder auf den Augenblick und das mo-
mentane Dunkel. Ist es ganz schwarz oder sind Grautöne vorhanden? Ist
es nicht der Kohle ähnlich, so ist schon ein bisschen Lichtqualität vor-
handen.
Versuche dann eine Lichtquelle außer dir in der Ferne zu erzeugen
oder zu entdecken. Probiere aus verschiedenen Vorstellungen, wie Däm-
merung, Morgengrauen, Sterne am Himmel oder ein entferntes Licht-
fenster wirken. Entschließe dich für einen bestimmten Charakter des
Lichts, der dann wie ortsgebunden ein Stück weit von dir entfernt sein
soll. Lasse dich von diesem Licht beleuchten. Entdecke, welche Gestalt
du dabei annimmst. Wechsle dann den Ort deines Bewusstseins. Ge-
he in die erzeugte Lichtquelle hinein. Begreife dich als diese Lichtquelle.
Schaue auf deine Gestalt zurück, die stehen geblieben ist. Wenn es ge-
lingt, heißt das, dass du dich in gewissem Sinne entzweit hast, ohne
dich zu verlieren. Das entstandene Licht vereint euch oder lässt dich zwi-
schen den beiden Standpunkten frei bewegen. Du kannst ein Hin- und
Herströmen des Lichtes erleben.
Die Übung kann auch anders gemacht werden. Statt die Lichtquelle
außerhalb zu suchen, kannst du aus dir heraus, von innen her, das Licht
entstehen lassen, so wie es bei der Poesiemeditation beschrieben wurde.
Das Ergebnis dieser Lichtübung soll meines Erachtens sein, dass man die
73
Rudolf Steiner, Mantrische Sprüche. Seelenübungen II, GA 268, Dornach 1999,
Seite 150.
134
eigene Lichtqualität des Astralleibes, des Sternenleibes , entdeckt, ge-
mäß dem Spruch von Steiner an Herrn Krüger. Diese Lichtgestalt wird
in der weiteren meditativen Arbeit keine statische Lichtquelle sein, son-
dern es wird ein wandelndes Licht sein, welches das Dunkel der übersinn-
lichen, geistigen Welt Schicht für Schicht, Stück für Stück auflichtet und
bewusst macht.
Es ist außerdem möglich und auch sinnvoll, beide Varianten zusam-
men zu bringen, so dass du um dich herum eine Lichtform bekommst,
die z. B. einem Ei oder einem Oval gleicht. Bei weiterer Arbeit mit dieser
Lichtübung, bei der es sich empfiehlt, sie in regelmäßigen Abständen er-
neut aufzugreifen, wirst du Zusammenhänge, die mit der menschlichen
Aura zu tun haben, erkennen. Sowohl bei dir selbst wie bei Anderen
wirst du mitunter Licht- und Farbwahrnehmungen bekommen, die As-
pekte der göttlichen Weisheit erscheinen lassen werden. Wie die Erschei-
nung der Weisheit wahrgenommen werden kann, musst du bestimmt
durch mehrfaches Üben herausfinden. Weisheit wird normalerweise so
erfasst, dass man darunter ein bestimmtes Wissen erkennt, das beispiels-
weise als Satz formuliert werden kann.
Die Weisheit als Kraft, Wesensgebilde oder Wesenheit lässt sich aber
inmitten des meditativ erlebten, astralischen Lichts erkennen. Wenn das
Astrallicht selber sich gleichsam als ordnendes Prinzip kundgibt, kann die
Weisheit als Leben spendendes Prinzip, als ein göttliches Wesen imaginativ,
inspirativ und intuitiv erkannt werden. Verweilend innerhalb dieses Le-
bens im Geiste das in der Esoterik als Erleuchtung oder das Erleben
des so genannten Kundalinifeuers bezeichnet wird wirst du des Weite-
ren entdecken, dass das eigene, gewöhnliche Selbst oder Ich nur ein Ab-
bild eines großen, so genannten höheren Selbst ist.74 Aber dieses höhere
Selbst die Individualität ist auch nur ein kleiner Tropfen von
einem noch größeren Selbst draußen im kosmischen Weltenmeer.
Alles, was du den Übungen und Vorschlägen dieses Buches folgend
fortan in der Meditation durch Eigentätigkeit bildest, sollst du als ein in-
dividuelles Kunstwerk verstehen lernen, das im Astrallicht gestaltet wird.
Die objektive Weisheit wird sich diesem Individuellen anschließen in
dem Maße, wie du lernst, die Gesetze der Imagination zu respektieren
und ihnen zu folgen. Was du als dein Karma entdecken wirst, sind die
Wegschilder im geistigen Straßennetz, die du brauchst, um ein Geistes-
forscher zu werden, und die dich bei deiner ersten Fahrt daran hindern
sollen, mit jemand Anderem zu kollidieren , oder die dich von überhöh-
tem Tempo abhalten, so dass du nicht in den Graben fährst. Wenn zum
Denken und Fühlen ein geläutertes, tugendhaftes Wollen dass du
wirklich etwas Wahres, Gutes und Faires anstrebt in den seelischen
74
Vergleiche: Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 269ff.
135
Übungen und in der Meditation hinzu treten kann, ist die Zeit reif, die
eigentliche Forschung auf geistigem Felde herbei zu sehnen. Als erstes
Gebiet wäre es dann adäquat, Reinkarnation und Karma anzugehen.
Gedächtnis und Gewissen zwei Grundsätze der Esoterik
Ich gebe in diesem Buch wohl Empfehlungen, aber im Grunde keine
Vorschriften, auf die im Laufe der Übungsarbeit Acht gegeben werden
müssten. Viele notwendige Maßnahmen und die wichtigsten geistigen
Gesetze werden dem aufmerksamen Übenden aus der Sache heraus be-
wusst. Damit behaupte ich nicht, dass eine authentische, esoterische
Schulung von vornherein überhaupt keine Maßregeln oder Richtlinien
braucht, die der geistigen Welt entsprechen. Jeder kann sich umfassende
Grundlagen bei wahrhaftigen Wegbereitern wie Rudolf Steiner (1961
1925), Paramahansa Yogananda (1893 1952), Daskalos (Stylianos At-
teshlis, 1912 1995) und Anderen holen.75
Sofern du bewusst mit diesem Üben umgehst, sind die Anleitungen,
die ich gebe, solcherart, dass du erkennen wirst, was für dich das Rich-
tige ist, falls irgendwelche Probleme aufkommen. Dennoch möchte ich
ein paar wichtige Dinge eingrenzen, die aus der Sache heraus eigentlich
selbstverständlich sind, aber dennoch sogar den Fortgeschrittenen aus
den Augen fallen könnten. Das Erste hat mit dem Gedächtnis zu tun, das
ja immer wieder angesprochen worden ist, weil es eben in vielen Übun-
gen angesagt ist. Im alltäglichen Leben schätzen wir natürlich die eigene
Erinnerungsfähigkeit hoch. Es ist wichtig, aus Erinnerungen an gestern,
vorgestern und an all die Jahre zurück bis in die früheste Kindheit uns
eine Gewissheit zu verschaffen, wer wir sind.
Im alltäglichen Leben versteht man mit dem Gedächtnis im Grunde
nur, dass man sich schlicht erinnern kann, damit wichtige Lebensereig-
nisse nicht einfach aus dem Bewusstsein verloren gehen. Aus einer spi-
rituellen Sicht bedeutet ein folgerichtiges Gedächtnis auch noch, dass wir
mit unserer Empfindung, mit unserem Gefühl nur auf diejenige Taten
Bezug nehmen sollten, mit denen wir in der überblickbaren Vergangen-
heit schon geleistet haben. Wir sollten uns keine anderen Eigenschaften
oder Verdienste beimessen als den Wert, den uns die eigenen Erfahrun-
75
Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10.
Paramahansa Yogananda, Autobiographie eines Yogi, Self-Realization Fellowship,
Scherz Verlag, Bern, München, Wien für Otto Wilhelm Barth Verlag 1997.
Stylianos Atteshlis Daskalos ), Esoterische Lehren. Die Botschaft des Magos von
Stravolos , Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, München 1991, Knaur Eso-
terik 4279.
136
gen, die wir tatsächlich erinnern können und die sich aus der gegenwärti-
gen Inkarnation unmittelbar ergeben.
Wenn du durch geistige Schulung karmische Erkenntnisse bekommst
und überschaust, wie du in früheren Leben gewirkt und gehandelt hast,
sollte dein gegenwärtiges Selbstwertgefühl deswegen nicht beeinflusst wer-
den, als ob du dasjenige noch heute könntest, was du in der abgelaufenen
Vergangenheit der früheren Leben gekonnt hast. Auch wenn du Karma-
erkenntnis bekommst, sollst du dich also für nichts Anderes halten, als
was du in dieser Inkarnation selbst erarbeitet hast.
Daskalos, der sehr viel über Karma und frühere Leben unterrichtet
und erzählt hat, hielt nicht viel von Rückführung, weil er der Gefahren bei
solcher Tätigkeit sehr bewusst war. Deswegen empfahl er seinen Schü-
lern, auf diesem Gebiet nichts zu forcieren, sondern geduldig abzuwar-
ten, bis aus der meditativen Arbeit die Erkenntnisse über frühere Leben
von selbst kommen würden. Aus ähnlichem Achten der Vorsicht, welches
gut nachvollziehbar ist, halten sich auch viele Anthroposophen zu mei-
ner Karmaforschung eher distanziert als interessiert.
Nachdem ich vor vielen Jahren reichlich mit karmischen Erkenntnis-
sen begünstigt worden war, bemerkte ich, dass ich einen gewaltigen in-
neren Wandel meines seelischen Zustands durchmachte. Ich entschied
mich daraufhin sogar zu der außergewöhnlichen Tat, öffentlich über
meine früheren Inkarnationen zu sprechen und zu schreiben, weil ich an
einem authentischen Beispiel zeigen wollte, dass man anhand von Stei-
ners Karmaübungen auch wirklich Erfolge haben kann. Eine Folge
des Auftretens mit karmischen und geistigen Erfahrungen war, dass viele
Menschen in meinem damaligen Lebensumkreis so reagierten, als ob ich
mir einen höheren Wert beilege, als würde ich mir für die Gegenwart
noch die Taten aus historisch bekannten vergangenen Leben jetzt noch
zuschreiben. Ich bekam das Gefühl, als ob sie behaupteten, ich wolle,
dass sie mich wegen vergangener Leistungen noch heute verehren soll-
ten. Ich merkte, dass ich mit den meditativen Ergebnissen in der Öffent-
lichkeit auf einem haarscharfen Weg ging, wo diejenigen, die mich kri-
tisch beobachteten, selbst keine geistigen Erfahrungen bewusst pflegten
auch wenn sie spirituell aufgeklärt waren und deswegen anschei-
nend unfähig waren, meinen neuen, inneren Standort zu verstehen.
Warum gilt es denn, sich nur auf die bestehende Inkarnation zu
berufen und sich keine Werte aus früheren Leben beizulegen? Die okkul-
te Schulung bewirkt eine Erweiterung der Seele, die bedeutet, dass man
innerhalb der Meditation den so genannten Astralleib hellwach als Erleb-
nisorgan benutzen kann. Die Ich-Leistungen aus früheren Leben tauchen
zunächst in diesem Erlebnisraum auf, in der aufgewachten Seele, so dass
die Gefahr besteht, dass das gegenwärtige Ich-Bewusstsein zu schwach
ist, um Stand zu halten gegenüber den eigenen Ich-Wirkungen aus der
137
Vergangenheit. Das gegenwärtige Ich, der Selbstbild davon, kann quasi
von dem alten, eigenen Ich-Strom überwältigt werden, darin temporär
untergehen oder sogar davor einschlafen. Im 8. Teil werde ich gerade
diese Gefahr der Karmaarbeit nochmals pointieren.
So wirst du nach den ersten karmischen Imaginationen und übersinn-
lichen Erlebnissen erkennen, dass es eine innere Notwendigkeit ist, das
gegenwärtige Ich durch Gedächtnis- und Biografiearbeit zu stärken und
sich mit Gegenwartsaufgaben zu befassen. Die Gedächtnisarbeit an er-
innerbaren Tatsachen aus dem gegenwärtigen Leben schafft folglich eine
Ermutigung des Ich-Bewusstseins, einen Zusammenhalt dessen, wer man
gegenwärtig ist und künftig werden will.
Das Zweite, was wir als gegenwärtige Menschen in der Geistesschu-
lung beibehalten müssen, ist der Grad des Gewissens, den wir uns im jetzi-
gen Tagesbewusstsein erworben haben. Bisher haben Erziehung, sozialer
Zusammenhang, überlieferte gesellschaftliche Moralvorschriften und die
allgemeine Kultur, in welcher wir gelebt haben, uns gestützt und die ethi-
schen Maßstäbe des Handelns gegeben. Das Gewissen ist eine Stimme ,
die uns sagt, eine seelisch-geistige Waage , die uns zeigt, wo wir in Be-
zug auf andere Menschen und der Gesellschaft mit den eigenen Taten
stehen.
Bei einer esoterischen Entwicklung kann es sein, dass dieser An-
sprechpartner, dieses Messgerät aus dem Bewusstsein fällt, weil neue Fä-
higkeiten sich entwickeln, die den Platz des Gewissens künftig einneh-
men werden, aber einen zunächst in verfrühte Handlungen treiben könn-
ten, die man selbst vielleicht als ethisch gerechtfertigt sieht. Die anderen
Menschen werden sie aber nicht unbedingt billigen. So könnte man
schnell in einen Konflikt mit seiner existierenden Umgebung kommen
wegen Taten, die, allgemein betrachtet, vielleicht noch einer Zukunft
angehört.
Es kann aber auch sein, dass geistige Erlebnisse dich so überleuch-
ten , dass du anfängst objektiv gesehen , unmoralische Handlungen
durchzuführen, ohne dass du es selbst merkst. Wenn man früher nicht
gelogen hat, könnte man anfangen zu lügen. Wenn man nie gestohlen
hat, könnte man plötzlich stehlen. Die Tendenz zu solchen Fehlhand-
lungen entsteht, weil geistige Widersacher anders als früher anfangen,
uns zu solchen Taten zu verführen. Sie haben aber ihr volles Recht dazu,
weil wir als Geistesschüler durch solche moralischen Prüfungen gehen
müssen. Das normale Gewissen muss deswegen beibehalten werden, ja,
noch widerstandsfähiger werden, so dass der Einfluss aus neuen, geistigen
Erfahrungen auf das normale Leben mit dem gewohnten Ethos ange-
schaut werden kann. In den Teilen 7 und 8 gehe ich weitere Aspekte
dieses Themas noch einmal an.
138
Selbstwertübungen
Um diese zwei Elemente des gesunden Gedächtnisses und des beibehal-
tenen Gewissens zu verfolgen und zu trainieren, kannst du z. B. folgende
zwei Übungen nacheinander machen. Erinnere dich, wie das Sonnen-
licht über einer schönen Landschaft sich ändert im Laufe eines Tages.
Halte fest, wie das Licht die Umgebung beleuchtet und verschiedene Far-
ben und Schatten entstehen lässt. Erinnere dich an einen Sonnenauf-
gang, die Wolken, den Nebel, einen Regenbogen, die Bäume am Wald-
rand, Häuser in der Ferne usw. Schaue dich selbst als tätiger Mensch
durch den Tag und wie du am Abend in den Schlaf gehst. Davor ist der
Sonnenuntergang gewesen. Denke dich hinein in die ständige Tätigkeit
der Sonne um die Erde herum während des Schlafs bis zum nächsten
Morgen. Ein Teil von dir liegt im nächtlichen Schlafzimmer, den ande-
ren Teil versuchst du denkend nachzuvollziehen, während er z. B. wie
geistig mit dem Sonnenlicht über die Welt schwebt. Erlebe diese Aus-
gebreitetheit des Selbst im Licht. Fühle darin die Kraft des Erinnerungs-
vermögens. Benutze das gekräftigte Gedächtnis, um drei konkrete Taten
aus deinem Leben anzuschauen ein Ereignis des Erwachsenenseins,
eins der Jugend und eins der Kindheit.
In der anderen Übung fängst du an innerhalb des Nachterlebens. Das
heißt, du erlebst dich im Licht, das auf der anderen Seite der Erde ein
Ereignis beleuchtet, das du physisch nicht miterleben kannst, weil dein
Leib im Bett liegt. Schaue hin und entdecke, dass dort irgendein Mensch
etwas Unmoralisches gleichzeitig begeht. Wie wirkt es auf dein Gewis-
sen, wenn du äußerlich nicht eingreifen kannst, falls du z. B. schaust, wie
ein Kind misshandelt wird? Wie versuchst du, das Opfer zu trösten und
ihm beizustehen?
Besuche in dieser Weise eine Reihe von Missetaten, die in der Welt
tatsächlich begangen worden sind und die du historisch überliefert
kennst. Das Gefühl von Scham, Schuldgefühl oder Unwohlsein, das du
wahrscheinlich bekommst, kannst du in dein Gewissen eingießen, um ei-
ne bestimmte Tat deines persönlichen Lebens anzuschauen, die unmiss-
verständlich auch als falsch beurteilt werden muss. Wenn du in dieser
Richtung wach bleibst gegenüber deinem Selbstwert, wirst du die Gefah-
ren einer okkulten esoterischen Entwicklung wie sie beim Fortschrei-
ten des Weges ab dem 3. Teil des vorliegenden Buchs dir entgegen kom-
men könnten bestehen und deine Leistungen werden sich mit dem
Schönen, Guten und Wahren der ganzen Menschheit integrieren können.
Wenn du eine innere Entwickelung durchmachst, bist du nicht gleich
eine vollkommene, strahlende Sonne im Astralleib, umgeben von
den Planeten deines Selbst. Zunächst erreichst du eine unvollständi-
139
 ge Ausbildung des scheinenden, sonnenartigen Selbst, gewissermaßen
ein unvollkommenes Sonnendasein. Dieser innere Seelenkosmos voll-
zieht sich nach und nach. Damit aber geht auch ganz langsam und
schrittweise die Entwickelung des gewöhnlichen Selbst in das höhere
Selbst über. Wenn diese Entwickelung an einem bestimmten Punkt
angelangt ist, wenn also das Selbst quasi höher und höher bis zum
Entgegenkommen des höheren Selbst gelangt, dann entsteht die 3.
Möglichkeit, zu früheren Inkarnationen zurückzuschauen.76
Das Bauen der imaginativen Hütte

Es war dann ungefähr acht Tage nach diesen Worten, da nahm er Pe-
trus, Johannes und Jakobus zu sich und stieg auf den Berg, um zu beten.
Und während er noch im Gebet versenkt war, verwandelte sich das Aus-
sehen seines Antlitzes, und sein Gewand wurde leuchtend weiß, wie mit
Blitzen strahlend. Und siehe, zwei Männer sprachen mit ihm: Moses
und Elias. Sie wurden im übersinnlichen Lichte sichtbar und sprachen
von der Vollendung, die sein Erdenweg in Jerusalem finden sollte. Petrus
und die anderen, die bei ihm waren, versanken in tiefen Schlaf. Im Erwa-
chen aber nahmen sie den Glanz des geistigen Lichtes wahr, das von
ihm ausging, und die beiden Männer, die bei ihm standen. Und als die
beiden Gestalten von ihm wichen, sprach Petrus zu Jesus: Meister, wie
gut ist es für uns, daß wir hier sind! Wir wollen drei Hütten bauen, eine
für dich, eine für Moses und eine für Elias. Aber er wußte nicht, was er
sprach. Und als er noch sprach, kam eine Wolke und überschattete sie.
Sie waren ganz bestürzt, als sie die Gestalten in der Wolke verschwinden
sahen. Da sprach eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein aus-
erwählter Sohn, höret auf sein Wort! Und als die Stimme noch sprach,
sahen sie Jesus wieder allein vor sich stehen. Und sie bewahrten Schwei-
gen über das Geschaute und erzählten in jenen Tagen niemand etwas
von dem, was sie gesehen hatten.
Lukas-Evangelium, 9, 28 3677

76
Vergleiche: Rudolf Steiner, Welche Bedeutung hat die okkulte Entwickelung des
77
Menschen für seine Hüllen physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und sein Selbst?, GA Nach der Übersetzung von Emil Bock, in: Das neue Testament, Verlag Urach-
145, Dornach 1976, Seite 171f. haus, Stuttgart 1983, Seite 171f.

140 141
Bauklötze eines Kindes, die einfach aus Holz sind, können viel Spaß be-
reiten. In jedem Kind steckt ein Architekt , betonte der Gesamtkünstler
und Volkspädagoge Arne Klingborg im Anschluss an eine populär ge-
wordene Ausstellung über Funktionalismus und so genannte goetheanis-
tische Architektur in Stockholm im Jahre 1980.
Der absteigende Weg des reinkarnierenden Wesens des Menschen
durch übersinnliche Zustände des Seins, durch die Verhältnisse der
Schwangerschaft und der Geburt und schließlich durch eine Reihe von
verschiedenen biografischen Lebensphasen ist gekennzeichnet durch Auf-
bau- und Abbauprozesse einer Reihe von Umhüllungen, Organen und Kör-
perteilen. Das zwischen zwei Inkarnationen geistig versorgte Ich hüllt
sich selber in einen Wohnort seiner Existenz für die Sinneswelt ein. Um
in Raum und Zeit zu leben, muss es sich mannigfache Wohnbereiche bau-
en und auch fähig werden, Umzüge und Reisen zu unternehmen.
Die Karmaforschung baut tatsächlich in der Meditation mit diesen
existenziellen, aber normalerweise unbewussten Bauklötzen, die jeder
durch viele Inkarnationen vielgestaltig bearbeitet hat und welche auch
maßgeblich für den Bau dieser wohnlichen Umhüllungen verantwortlich
zeichnen. Latent im Menschenwesen liegen Fertigkeiten aus früheren
Verkörperungen vor, die jetzt als Fundament und Baumasse angewendet
werden können, auch wenn man noch nicht weiß, wie alles gewesen ist.
In der Methode der Karmaforschung, die hier präsentiert werden soll,
kommt eine Anzahl von Faktoren, die bis jetzt behandelt wurden, folge-
richtig wieder zusammen.
Wenn in den zwei ersten Teilen die Betonung auf das Sinnliche in der
Kunst- und Naturbetrachtung, auf das Seelische des rein Künstlerischen
und auf das fantasievoll Schöpferische beim Üben gelegt wurde, soll von
jetzt an der ideelle Forschungscharakter des Entstehenlassens von innerer
Bildhaftigkeit akzentuiert werden. Dies bedeutet einen meditativen
Schöpfungsprozess, welcher dem geistigen Schauen vorausgehen muss.
So erstrebe ich den Aufbau einer Meditationsrichtung, die zur Geistes-
forschung führt und eine Fortsetzung des Kunstwissenschaftlichen dar-
stellt. Das Subjektive, das immer in der Entstehung von Kunst walten
muss, hat in der forschenden Meditation vor der objektiven Gesetzlich-
keit der imaginativen Welt zurückzutreten. Wie man hier zu einem in-
neren Durchdringen und Konsolidieren des Gefühlsmäßig-Schwebenden
im Selbstgewahrsein kommen muss, um zu objektiver Wahrheit zu gelan-
gen, wird durch die Art des Aufbaus des Meditativen gezeigt. Im Lukas-
Bericht über die Verklärung Jesu spricht der Jünger Petrus das Bestreben
aus, drei Hütten zu bauen, je eine für Jesus, Moses und Elias. Welche Art
Bauimpuls verbirgt sich hinter diesen Evangelienworten? Wird damit ein
Mysterium angedeutet? Wurde dieses Hüttebauen der Verklärung in der
Christenheit je aufgegriffen? Über mehr als drei Jahrzehnte lebte ich mit
142
solchen Fragen. Was bei mir als das Bauen der imaginativen Hütte sich
entwickelte, trat in diese Rätselhaftigkeit hinein.
Was ich in diesem 3. Teil des Buches als die erste Hütte, die mit den
karmischen Fundstücken, benenne, könnte dem Moses, dem Meister der
Schicksalsgesetze, zugeordnet werden; die zweite Hütte, das Haus der See-
lentiere und das des kleinen Hüters (im 5. und 6. Teil), dem Jesus, dem
lebendigen Vorbild der Selbstentwicklung; und die dritte Hütte (im 7. Teil),
der Tempel der sieben Fenster und zwölf Säulen, dem Elias, dem Spe-
zialisten der Verjüngung.
In alten Zeiten, die vor unserer Geschichte liegen, waren die Tempel
des Geistes, in denen die Eingeweihten die höheren Geheimnisse be-
hüteten, auch äußerlich sichtbare; heute, wo unser Leben so ungeistig
geworden ist, sind sie nicht in der Welt vorhanden, die dem äußeren
Auge sichtbar ist. Aber sie sind geistig überall vorhanden; und jeder
der sucht, kann sie finden.78
Die Übungen und Meditationen im 3. 7. Teil sind innere Vorbereitun-
gen und Verrichtungen, um seinesgleichen, real vorhandene Tempel des
Geistes zu suchen und sie auf dem Erdball, innerhalb des Erdkreises und
im Kosmos zu finden. Jeder Mensch für sich ist ebenso ein Tempel für
Götter, das heißt für die Engel und die Wesen der höheren Hierarchien,
auch wenn man es nicht weiß. Sie halten sich wie in ihrer legitimen
Tempelanlage auf in unseren Organen des Denkens, des Erinnerungsver-
mögens und der Sinnesaktivität. Wir sind im allerwörtlichsten Sinne
wirklich mit Geist beglückte Wesen, die befugt sind, wieder zu finden die
Urheimat der geistigen Individualität, aus der wir einmal vor der ersten
Inkarnation entlassen sind.
Innere Bilder und die Akasha-Chronik*
In der kosmischen Evolution und der Menschheitsentwicklung geht
nichts verloren. Wenn wir im Leben denken, fühlen und handeln, spie-
gelt sich unser Tun in die übersinnliche Substanz unseres Astralleibes,
des Trägers der Seele, hinein. Wir können gar nichts tun, ohne dass im
eigenen Astralleib ein Bild der Handlung kopiert wird. Der zypriotische
Eingeweihte und Heiler, Stylianos Atteshlis, den ich schon erwähnt
habe, wurde unter dem Namen Daskalos (griech. Lehrer) bekannt. Er
sprach in diesem Zusammenhang von Elementalen*, von lebendigen Ge-
78
Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten, GA 10, Dor-
nach 1961, Seite 19.
143
dankenformen, die wir ständig schaffen.79 Sie werden nicht nur als Maß-
stab für die Akasha-Bilder benutzt, sondern sie führen ein mehrfaches
Eigenleben auf unterschiedlichen, übersinnlichen Ebenen. Sie besitzen
schließlich eine elementarische Kraft, die u. a. dem Phänomen Telepathie
und der so genannten Fernheilung bei z. B. Reiki zu Grunde liegt.
Die Astralbilder eines gewöhnlichen Tagesverlaufs inklusive der
Nachtzusammenhänge werden später während des Einschlafens im
Ätherleib gespeichert. Der Ätherleib strahlt die neu entstandene Bilder
während des Schlafs hinaus in die Äthersphäre der Erde, wo sie durch
die Mitarbeit des Schutzengels und anderer Wesen in die feinen Ener-
giefelder der Akasha-Chronik eingeschrieben, gespeichert werden. Dort
bleiben die Abbilder der Einmaligkeiten auf Erden und was wir während
des Schlafs erlebt haben in der Akasha-Chronik andauernd wahrnehm-
bar, so dass ein Hellseher sie schauen kann. So ist alles in der Akasha zu
finden, was wir im Laufe unseres Lebens und in früheren Inkarnationen
als Handlungen begangen haben. Auch die Vorhaben, die eine Indivi-
dualität zwischen den Inkarnationen geistig durchmacht, werden gespei-
chert.
Es verhält sich außerdem folgendermaßen, dass wir während des
Schlafs, wo das inkarnierte Ich vom Astralleib getragen wird, durch das
Gebiet der Akasha das räumlich-übersinnlich etwa zwischen der Erde
und der Bahn des Mondes zu denken ist wandeln. Dann besuchen wir
quasi unsere eigene Bildgalerie der früheren Inkarnationen. Nicht nur
wird das letzte Leben solchermaßen durchquert, sondern alle einstigen
Vergangenheiten werden von uns selbst in ihrer bildhaften Hinterlassen-
heit aufgesucht. Somit können wir jeden durchlebten Tag im Schlaf
mit der eigenen karmischen Vergangenheit vergleichen und für den
nächsten Tag aus ihnen eine Korrektur für die Gegenwart in das Auf-
wachen hinein einprägen. Eine meditative Tätigkeit während des Tages
würde diese ansonsten unbewussten alltäglichen Vorgänge erfassen und
die Richtigstellungen bewusst in die Lebensführung eingliedern.
Die Akasha-Bilder sind erfahrungsgemäß nicht unbeweglich. Sie zei-
gen sich dauernd wie lebendige, wesenhafte Bilder. Dinge und Gestalten,
die man sieht, bewegen sich und sie können sogar sprechen. Würden wir
erleben, dass ein Mensch auftaucht, der früher gelebt hat, so könnte er in
der Sprache von damals sprechen dann würden wir ihn wahrschein-
lich nicht verstehen oder er spräche in der heutigen Sprache, so dass
wir ihn verstehen würden. In einem solchen Fall handelt es sich nicht
um das existierende Wesen des Verstorbenen, der sich solchermaßen
79
Kyriacos C. Markides, Der Magus von Strovolos. Die faszinierende Welt eines spi-
rituellen Heilers, Knaur Esoterik, Band 4174, Droemersche Verlagsanstalt Th.
Knaur Nachf., München 1988, Seite 51ff.
144
mitteilt, sondern es ist ein Bild, ein Elemental der damaligen Persönlich-
keit, das quasi als geistige Kopie weiterlebt. Also können wir begreifen,
dass im Akasha-Archiv, wo diese Erscheinungen zu finden sind, es eine
Art geistige Klone eine Verdoppelung oder mehrere Vervielfältigun-
gen des eigenen Selbst gibt.
Es ist gut möglich, während des Aufenthalts inmitten von Akasha-Bil-
derzusammenhängen, dass man falsch über das Geschaute urteilt. Um
Irrtümer zu vermeiden, musst du einfach Erlebnisse und Eindrücke sam-
meln, ohne sofort urteilen zu wollen. Die urteilsgenaue Aufarbeitung soll
bestmöglich hinterher kommen, wenn du noch nicht in der Lage bist, aus
einem höheren Intuitionsbewusstsein die wahre Erkenntnis prompt in
Anspruch zu nehmen. Zunächst soll registriert werden, was sich von
selbst zeigt oder was man bemerkt. Die früheren Inkarnationen wirst du
ablesen können, weil sie gesetzmäßig während der meditativen Seelen-
arbeit zurück gespiegelt werden.
Nun kannst du aber einem Irrtum unterliegen, wenn du die Einord-
nung falsch ableitest. Du kannst so unwahrscheinlich es klingt so-
gar mit Rudolf Steiner reden, während in der Realität diese Individua-
lität wieder als inkarnierte Persönlichkeit heute leben könnte. Es ist auch
möglich, dass das Akasha-Bild logische Auskünfte geben würde, dass du
von Steiners Ebenbild wirkliche Leitsätze oder Mantren bis hin zu um-
fangreichen Vorträgen kriegen könntest, die aber nicht von der fortge-
schrittenen Individualität stammen, sondern die als frisch hervorgebrach-
te Sätze in Fortsetzung der damaligen Steiner-Persönlichkeit anzusehen
sind. Das Akasha-Bild ist tatsächlich etwas lebendig Wesenhaftes und
keine abenteuerliche Internetseite.
Einige der bunten Informationen durch sogenanntes Channeling, Ka-
nalisierung von Geiststimmen, könnten was die Erscheinung eines
vom Medium definierten Wesens betrifft Fälschungen dieser Sorte
sein, auch wenn die vermittelten Inhalte selbst als für wahr erscheinen.
So wäre es eine wichtige Aufgabe für Geistesforscher, einmal auf diesem
Feld Aufklärungen zu erwirken. Mit diesem Hinweis möchte ich keine
Abwertung dieser esoterischen Aktivität erwecken, sondern nur zu einer
qualitativen Forschung darüber anregen. Channeling kann übrigens als
eine Version des beginnenden Inspirationsbewusstseins verstanden wer-
den, das ohne entsprechende Erkenntnis durch Imagination und Intui-
tion doch irreführend sein könnte.
Wenn das direkte Auslegen von Dingen und Ereignissen in der Aka-
sha nicht leicht ist, so bietet die Übertragung des Geschauten und Ent-
zifferten in eine ermittelbare Form oder Sprache eine neue, normaler-
weise anstrengende Aufgabe. Selbst Rudolf Steiner paradoxerweise erleb-
te es damals am Anfang des letzten Jahrhunderts, mit gewisser Mühe
verbunden, ein ehemaliges Ereignis in der Akasha-Chronik zu studieren.
145
Auch heute ist es normalerweise mühsam und zeitaufwändig, mit Kar-
ma- und Geistesforschung anzufangen. Wir können uns dadurch helfen,
dass wir an bekannte Tatsachen anknüpfen, die wir äußerlich selbst er-
fahren haben. Manchmal ist es aber leichter paradoxerweise , außerkörperlich in der übersinnlichen Umwelt die ersten realen Imagina-
Dinge zu erforschen, wenn du vorher dieselben Fälle aus der Geschichte
nicht kennst. Dann stehen dir sozusagen keine Schablonen im Wege.
Wenn du geschichtliche Vorgänge aber schon kennst und sie als mög-
liche, aber nicht als abgeschlossene Darstellungen von historischen Er-
eignissen erfasst hast, wirst du die geschauten Geschehnisse mit ihnen
vergleichen können, um das wirklich Geschehene aufzuklären.
Eine standhafte Fortsetzung der geistigen Schulung in dem Sinne, wie
sie in diesem Teil ausgearbeitet wird, lassen Fähigkeiten entspringen, die
die unumstößliche Mühe beim spirituellen Forschen vermindern kann.
Umständlichkeit als Arbeitsweise
Vor der geistigen Forschung müssen die seelischen Energiereserven erholt
und gekräftigt sein. Diese Stärkung erfährt deiner Seele, wenn du die
Denkkraft, das Interesse etwa auf einen und denselben Inhalt durch wie-
derkehrende Meditation richtest. Mantren und Sprüche, die über längere
Zeit gepflegt werden, dienen diesen Wiederholungen. Der kunstwissen-
schaftliche Ablauf der Meditation, wie ich sie hier befürworte, dient
ebenfalls der Kräftigung der Seele durch die immer wieder erneuten, glei-
chen Ansätze, Motive und Momente. Ich schlage also vor, dass du einen
umständlichen oder langsamen Weg wählst und nicht versuchst, sofort
durch einen Abkürzer die Akasha aufzusuchen. Später, wenn die Seelen-
kräfte ausgebildet sind, wird es möglich sein, ähnlich wie ich es bei mir
selbst erfuhr und im ersten Buch berichtete, Karmaforschung mittendrin
im Leben zu betreiben, weil man mit der Zeit lernt, ein höheres Bewusst-
sein in das normale Tagesbewusstsein einfügen zu können.
Durch Gleichnisse für die bekannten Lebenszusammenhänge wird es
möglich, sich ein künstlerisches Gerüst zu bauen, welches hilft, zu über-
sinnlichen Regionen langsam hochzuklettern . Die verschiedenen Ge-
dankenformen, die ich vorschlage, dass du sie innerlich errichten sollst,
dienen als illustrative Überbringer, als Träger, als Gefährt, um bedächtig
zu wahren Imaginationserlebnissen zu kommen, die dann den Platz der
selbst eingesetzten Motive übernehmen und daselbst Geistrealitäten zur
Erscheinung bringen.
Damit wird jetzt aber nicht gesagt, dass die selbst geschaffenen Bilder
nicht wahr sind. Sie sind schon echt, sie sind Ausdruck einer übergeord-
neten Realität, die aber nicht wie ein Wetterleuchten Kunde über eine
karmische Vergangenheit geben muss. Zuerst bist du sozusagen vom
146
physischen Leib mehr oder wenig abhängig, du traust dich nicht, loszu-
lassen da benötigst du noch die selbst geschaffenen Bilder , aber
allmählich werden die schöpferischen Kräfte im Ätherleib so frei, dass
tionen erfasst werden können. Auch Steiner arbeitete viel mit Sinnbil-
dern, mit symbolischen Vorstellungen als Inhalt der Meditation. Besonders
wies er darauf hin, dass diese selbst geschaffenen Meditationsmotive
nicht die Sinneswelt plagiieren sollen, sondern in freier Art so geschaffen
werden müssen, dass sie auf das Andersartige im Geistigen hindeuten.
Nehmen wir einmal an, ein Mensch habe ein liebevolles Herz, und er
erweist aus seinem liebevollen Herzen einem anderen Menschen, der
der Liebe bedarf, eine liebende Tat, so gibt er dem anderen etwas ab,
aber er wird dadurch nicht leerer, sondern indem er Liebestaten dem
anderen Menschen hinübergibt, erhält er mehr, er wird voller, und
wenn er ein zweites Mal eine Liebestat verrichtet, wird er noch voller,
hat er noch mehr. Man gießt in den anderen Menschen etwas hinüber,
was einen selbst voller macht. Was Liebe ist, ist etwas so Komplizier-
tes, dass kein Mensch den Hochmut besitzen sollte, Liebe zu definie-
ren, Liebe ihrem Wesen nach ohne weiteres zu durchschauen. Liebe
ist kompliziert. Wir nehmen sie wahr, aber keine Definition kann die
Liebe ausdrücken. Aber ein Sinnbild, ein einfaches Sinnbild, ein Glas
Wasser, das, indem es ausgegossen wird, voller wird, das gibt uns die
Eigenschaft des Liebeswirkens wieder. Solche Bilder sind nützlich für
die okkulte Entwickelung. An ihnen merken wir, dass wir über die
gewöhnliche Vorstellung hinausgehoben werden, dass wir, wenn wir
zum Geiste aufsteigen wollen, uns geradezu entgegengesetzte Vorstel-
lungen bilden müssen zu denen, die auf die Sinnenwelt anwendbar
sind. Daher finden Sie, dass die Ausgestaltung solcher symbolischer
Vorstellungen ein wichtiges Mittel ist, um in die geistige Welt hinauf-
zusteigen.80
Wenn ich z.B. nachher von einer Geistinsel referiere, musst du nicht
annehmen, dass es solche Geistinseln in trivialer Weise wirklich gibt,
sondern diese Definition kommt einer geistigen Realität entgegen anhand
des so genannten höheren Ich oder Selbst, das auf dieser Stufe des He-
rantastens annähernd so und vielleicht nicht besser veranschaulicht wer-
den kann. Damit du schon übend mit höheren, noch nicht erkennbaren
Realitäten umgehen kannst, werden künstlerisch strukturierten Vorläufig-
keiten aufgestellt, die begrifflichen Brückenbildungen sind, die dem Geist-
Erleben unterstützen. Jene sind die Werkzeuge, dieses ist das Material
80
Rudolf Steiner, Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen,
GA 136, Dornach 1984, Seite 59f.
147
der Geisterkenntnis. Dies mag als eine sehr umständliche Methode er-
scheinen, aber sie hat sich für zahlreiche Menschen als praktisch, richtig
und erfolgreich erwiesen. Sowohl für ältere Menschen mit viel Lebens-
erfahrung, die dennoch eine Ängstlichkeit gegenüber der realen geistigen
Welt besaßen, wie auch für jüngere Menschen, die eher zu übereilt den
geistigen Pfad erklimmen wollten, hat es sich erwiesen, dass der vorge-
schlagene Weg ein Ausdruck der Mitte, der Ausgeglichenheit, der Har-
monie repräsentiert. Das künstlerische Schaffen in der Meditation be-
wahrt uns vor zu schnellen Schlüssen über geistige Erlebnisse und We-
sensbegegnungen, weil wir lernen, dass alles durch Prozesse gehen muss,
ehe ein Zentralmotiv zum Vorschein kommen kann.
Imaginative Erkenntnis ist künstlerisch
Mein Ansatz ist, dass kein wahres Geist-Erleben möglich sei, ohne in
Verbindung mit Wesenhaftem zu treten. Er setzt bereits ein Erkenntnis-
streben voraus, und zwar eines, das von egoistischen Motiven frei gehal-
ten wird. Du beginnst mit Erinnern und Improvisation, weil du vermit-
telt zum Geist-Erleben gelangen willst. Alsbald löscht der Ich-Wille im
Denken die Gedächtnisbilder und Begriffsbestimmungen aus.
Nach dem Verklingen erzeugst du eine freimütige Seelenstimmung,
dem Verzicht vergleichbar, die allmählich die feinsinnige Wahrneh-
mungsart in der imaginativen Dimension befördert und dir daselbst Er-
kenntnis ermöglicht. Nicht die Begrifflichkeit bewirkt die Erkenntnis-
basis, sondern meine Haltung, wie ich meine nackte Seele für geistige
Wesen bereitstelle, schafft eine Sphäre des Erlebens, die geistige Erkennt-
nis erst möglich macht. Die übersinnliche Bildgestalt des höheren Ich
ein Thema, zu dem wir im 8. Teil zurück komme unterstützt dabei
die Selbsterkenntnis.
Wir haben zuerst die im gewöhnlichen Leben stehende gegenständ-
liche Erkenntnis; die ist naturalistisch. Wir kommen dann zu der Er-
kenntnis durch Imagination; die ist künstlerisch. Wir kommen dann
zu der Erkenntnis durch Inspiration; die ist moralisch. Und wir kom-
men dann zu der Erkenntnis durch Intuition; die ist religiös. [...] Mit
den übersinnlichen Erlebnissen hat man Wahrnehmungen, nicht Vor-
stellungen, daher muss man immer wieder zu ihnen zurückkehren.81
Gemäß dieser Präzisierung Steiners bleiben wir also künstlerisch in der
Meditation, bis ein neuer Erkenntnisboden ohne Unsicherheit, ohne Ab-
81
Rudolf Steiner, Neugestaltung des sozialen Organismus, GA 303, Vortrag vom
27. Dezember 1921, Dornach 1983, Seite 91f.
148
grund entsteht. Man gibt den Geistinhalten jeweils neue Denkentwürfe,
um sie zum Tagesbewusstsein zu bringen, weil eine wahre Imagination
nicht erinnerbar ist. Ideen und Begriffe sind Mittel, um Realität gleich
welcher Art zu bewerten. Wir begegnen ihr immer wieder neu und je-
der auf Grund seiner individuellen Voraussetzungen anders. Erkenntnis
ist dabei ständig möglich, wenn Erleben und Denken zusammen kom-
men. Sie ist nichts Fertiges, sondern eine fließende Entwicklung. Ich
werte daher Erfahrungen gern mit Anderen aus, weil ich so zu neuen
Begriffen komme oder sie während des Gesprächs bilden kann. Andere
Ausführungen von Steiner zeigen, dass Bild und Begriff sich nicht aus-
schließen, sondern ergänzen. Beide sind für die Erkenntnis höherer Wel-
ten sogar notwendig. Geistesforschung bedarf außerdem eindeutig des
Geist-Erlebens das begründet Steiner im Buch Die Rätsel der
Philosophie :
Wirkliche Geisteswissenschaft kann nur errungen werden, wenn die
Seele in eigener selbst geleisteter Innenarbeit den Übergang findet von
dem gewöhnlichen Bewusstsein zu einem solchen, mit dem sie in der
geistigen Welt sich drinnen stehend klar erlebt.82
Bei meinem 35jährigen Studium des Lebenswerks von Steiner bin ich zu-
nächst ein Mit-Erkenner der geistigen Welt geworden. Indem ich meine
Begriffe über z. B. den Schutzengel im Denken zunächst lebendig ge-
macht habe, werde ich durch meine eigene meditative Seelenarbeit ein
selbstständiger Geist-Erkenner. Steiner drückte einmal explizit aus, dass
wir ins Geistige nur durch Bilder hinein geführt werden könnten. Er füg-
te hinzu:
Und sobald man die Bilder gar zu sehr in Begriffe presst, die eigentlich
nur taugen für den physischen Plan, so enthalten sie nicht mehr das-
jenige, was sie eigentlich enthalten sollen.83
Die Begriffe, die wir haben, stammen alle laut Steiner 1921 aus der
Zeit vor dem 15. Jahrhundert. Deshalb passen für die heutige Geisterfah-
rung nur solche Begriffe, die durch einen lebendig-seelischen Prozess,
z. B. durch Schulung des Denkens oder durch Kunst-Erleben, vorbildlich
präpariert worden sind. Steiner spricht von einer Festigung der Begriffe ,
die ich so deute, dass es darum geht, sie quasi als Boden für ein vorstel-
lungsfreies, fließendes Denken zu haben, das die Änderartigkeit im
Übersinnlichen in sich aufnehmen kann:
82
Rudolf Steiner, Die Rätsel der Philosophie, aus dem Kapitel: Skizzenhaft dargestell-
ter Ausblick auf eine Anthroposophie, GA 18. Taschenbuchausgabe, 2. Band, Dor-
nach 1974, Seite 251, Hervorhebung von Steiner.
83
Rudolf Steiner, Weltwesen und Ichheit. GA 169, Dornach 1963, Seite 149.
149
 Unsere Erinnerung, unser Gedächtnis ist manchmal ein bisschen bes-
ser, manchmal ein bisschen schlechter, aber wir erwerben uns das Ge-
dächtnis. Wir haben Erlebnisse; wir erinnern uns später an diese Er-
lebnisse. Mit dem, was wir in den übersinnlichen Welten erleben, ist
es nicht so. Das können wir erleben in Größe, in Schönheit, in Be-
deutsamkeit wenn es erlebt worden ist, ist es vorbei. Und es muss
wieder erlebt werden, wenn es wiederum vor der Seele stehen soll. Es
prägt sich nicht im gewöhnlichen Sinne der Erinnerung ein. Es prägt
sich nur dann der Erinnerung ein, wenn man erst mit aller Mühe das,
was man im Übersinnlichen schaut, in Begriffe bringt, wenn man sei-
nen Verstand mit hinüber schickt in die übersinnliche Welt. Das ist
ganz schwierig. Man muss drüben nämlich geradeso denken, ohne
dass einem der Leib bei diesem Denken hilft. Daher muss man vorher
seine Begriffe gefestigt haben, muss vorher ein ordentlicher Logiker
geworden sein.84
Für das geistige Erleben müssen wir uns gleichsam in die Lage versetzen
können, die Vorstellungen in uns wie gegeneinander kämpfende Kräfte
wie in einem Erkenntnisdrama ablaufen zu lassen. Wir müssen fä-
hig werden, Begriffe und Bilder mit anderen kämpfen zu lassen, so dass
sie ihre Einseitigkeit verlieren. Sie müssen für das Imaginative quasi
transparent werden. Wir müssen uns die Gewohnheit erlernen, wenn
wir eine Sache von einer Seite charakterisiert haben, sie auch von der
Gegenseite zu beschreiben. Unser Denken im geistigen Gebiet müssen
selber gleichsam zu einem Sinnesorgan werden, das passiv die geistige
Umwelt durch sich strömen lässt, oder es muss wie schmiegsame Fang-
arme geistige Phänomene aktiv umfassen.
Die dynamische Karmameditation
Manch einer liebt eine bestimmte Landschaft, ein Stück Natur, es mag
als Garten oder Parkgelände mitten in einer Stadt gepflegt werden oder
es befindet sich an einem Ort, der weit weg von der Zivilisation liegt. In
der Landschaft, um die es in diesen Übungssequenzen geht, soll auch na-
türliches oder angelegtes Wasser vorkommen, wie ein Brunnen, Kanal,
Teich, Bach, Fluss, See, Fjord oder das Meer. Sicherlich kennst du eine
solche Landschaft aus dem Sinnesleben, die jetzt ausgewählt werden
kann, um für die Meditation zu einer bestimmten Entstehungsstätte des
inneren Schaffens zu werden. Es wäre gut eine Landschaft zu benutzen,
die du vielleicht schon als Kind erlebt hast.
84
Rudolf Steiner, Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst, GA 305,
Dornach 1979, Seite 84f.
150
So kannst du Platz nehmen und mit dir selbst beratschlagen, welche
Landschaft, welcher Ort in Frage kommt. Ein schöner Platz, den du auf
einer Reise in ein fremdes Land als Erwachsener erlebtest, wird auch die
gewünschte Funktion erfüllen. Es muss ein Ort gewählt werden, wo du
nur bejahende Erlebnisse hattest, oder es muss ein in gewissem Sinne
neutraler Ort sein. Das Prinzip der hier genannten dynamischen Karma-
meditation ist, dass man in seiner meditativen Innenwelt eine Art Heimat
schafft, eine Pflegestätte, eine Grundlage, der hier auch mit dem etwas
humoristischen Begriff Karmamuseum bezeichnet werden kann, um aus-
zudrücken, dass darin Elemente angereiht, aufgehängt und aufgestellt
werden sollen, die man aus Entdeckungsreisen in die Vergangenheit zu-
rück ins Gegenwärtige mitbringen wird.
Die dynamische Karmameditation, die manchmal lange, falls nötig
und möglich sogar mehrere Stunden dauern kann, fängt immer mit die-
ser inneren Heimat an, zu welcher du am Schluss jeder Meditation zu-
rück kehrst, nachdem du eine Art ausgedehnte Bildatmung durchgeführt
hast. Die Reisen oder Fortbewegungen gehen zu inneren Orten und
Zeiträumen, die am Anfang normalerweise nicht bekannt sind. So musst
du die erforderlichen Vorkehrungen treffen, Reisekameraden einladen
und Zwischenstationen einrichten. Das sind Motive und innere Verrich-
tungen, die unten alle genau beschrieben werden sollen.
In der Meditation sind an den verschiedenen Ortschaften, Stationen
und während der unterschiedlichen Abläufe und Vorgehensweisen die
sorgsamsten Seelenhaltungen nötig, damit das forschende Ich allmählich
ausgebildet werden kann und sich auch ausnahmslos frei in allen Situa-
tionen zurecht zu finden lernt. Bestimmte Haltungen sollen in der Medi-
tation in bildhaften Fahrzeugen und Werkzeugen auftreten, das heißt, du
musst lernen, dich getragen zu fühlen, aber auch selber in Aktion zu treten,
damit die entsprechenden Zustände, die dir aus der imaginativen Welt
entgegen kommen, situationsgetreu erlebt werden können.
Bevor jedoch der gesamte Ablauf der Karmameditation mit ihren ver-
schiedenen Standorten und Aktionen dargestellt wird, sollen einige weitere
grundlegende Gesichtspunkte hervorgehoben und gesondert behandelt
werden, damit du dann die Meditation bestens vorbereitet ausführen
kannst.
Mantram und Wahrspruch
seelisch-geistige Gesinnung und Positionsbestimmung
Vor und nach der Karmameditation kannst du ein Mantram oder einen
Spruch lesen, sprechen oder meditieren, welcher dir vertraut ist. Ich habe
im Anhang einige solche Sprüche, die ich lange in bewährter Weise be-
151
nutzt habe, mit einigen Kommentaren beigefügt. Dieses Tun am Anfang
und Ende hilft, Distanz zu den alltäglichen Dingen zu schaffen und sich
wiederum nach der Meditation von ihren Inhalten und Stimmungen in
richtiger Weise zu trennen . Wenn du es wünschst, wirst du hier auch
schützende Wesen und Geistfreunde bitten können, dich während der
Meditation zu hüten und zu unterstützen. Nicht nur der Ungeübte
braucht quasi diesen Beistand, sondern jeder, der in ein meditatives Be-
wusstsein tritt, muss die unmittelbare, gewohnte Stütze des Sinneslebens
aufgeben. In der Normalität des Sinneslebens jedoch wird der Mensch
gemäß seinen karmischen Umständen und durch übersinnliche Einflüsse
ohnehin aus der geistigen Welt behütet. Um wie vieles notwendiger aber
mag ein Schutz sein, wenn diese Normalität überschritten wird!
Um diese Gesinnung der Devotion, der Bescheidenheit, der Einord-
nung gesondert zu üben, kannst du eine anregende Nebenbeiübung ma-
chen. Stelle dir anschaulich vor, dass du dich entsprechend deinem geis-
tigen Entwicklungsgrad auf einem Platz in einer großen Menge von
Geistsuchenden befindest. Welche Art des Zusammenhangs wählst du
oder erscheint vielleicht von selbst in deinem Bewusstsein? Stehst du
auf einer Treppe? Auf einem Platz? Auf einem Flughafen? Auf einem
Weg? Vor einem Tempel? In einer Kathedrale? Welche Menschen sind
vor dir und welche sind hinter dir? Wie sehen der Boden und die ganze
Umgebung aus? Kannst du jemanden um dich herum aufspüren, den du
im Leben kennst? Kannst du dich mit jemandem unterhalten oder ist
eure Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung gelenkt?
Diese bedeutsame Übung der eigenen seelisch-geistigen Positions-
bestimmung kannst du immer wieder im Laufe der weiteren Arbeit ma-
chen, um klar zu stellen, ob du deine Position im Verhältnis zum ersten
Standort und den Umstehenden verändert hast. Selbst wenn man sich
später als ein Fortgeschrittener einstuft, kann es mittlerweile geschehen,
dass man sich zurückversetzt findet. Die Bescheidenheit im Spirituellen zu
haben und die richtige Einordnung in die entsprechenden übersinnlichen
Zusammenhänge zu finden, gehören zu den wichtigsten Eigenschaften
in der geistigen Orientierung und Forschung.
Hilfestellungen von Verstorbenen
Im ersten Buch habe ich ausführlich berichtet, wie ich nach meinen ers-
ten Imaginationen über karmische Inhalte in Kontakt kam mit Verstor-
benen, die ich im Leben gekannt habe. Auch dieses Gebiet kann geübt
werden, um eine Aufnahmefähigkeit gegenüber Geistigem entstehen zu
lassen. Es ist hier nicht der Ort, diesen Aufgabenkreis mit ausführlichen
Beispielen darzustellen. Dennoch möchte ich ein Schulbeispiel geben,
152
das ein Licht auf manch andere Situationen werfen kann. Jeder muss
nun selber zusehen, ob es ihm angemessen sei, in der karmischen Arbeit
die Berührung mit Verstorbenen zu suchen. Es gibt nicht unbedingt eine
Verpflichtung für jeden, dies zu tun, aber wenn man solche Kontakte
entwickeln könnte, wäre eine erstaunliche Erleichterung für die meditati-
ven Verrichtungen gegeben.
Eine Frau, hier Alda genannt, bekam in der Erforschung einer ihrer
Inkarnationen den Eindruck, dass eine der geschauten Persönlichkeiten
im Zusammenhang mit der damaligen vorderasiatischen Kultur iden-
tisch mit einer seit vielen Jahren verstorbenen Freundin sei. Diese Frau,
hier Corinna genannt, war jung gestorben, aber in den letzten Jahren ih-
res Lebens pflegte sie ein reges künstlerisches Tun. Es entstand bei Alda
der Wunsch, die verstorbene Corinna meditativ zu suchen. War das
überhaupt möglich und erlaubt? Alda stellte sich diese und viele weitere
Fragen und so begann sie, Erinnerungen nachzugehen. Alda wies in un-
serem Gespräch auf einen kleinen Steinblock aus Speckstein hin, der in
ihrem Regal als Bücherstütze diente. Sie hatte ihn einst von Corinna ge-
schenkt bekommen. Eigentlich wollte Corinna sie damals dazu anregen,
durch plastische Bearbeitung eine Skulptur zu schaffen, was aber Alda
nie erledigt hatte. Ich bekam die Apperzeption, dass es gut wäre, wenn
Alda mit dem Behauen des Steins jetzt beginnen würde, bevor sie Corin-
na meditativ aufsuchen würde. Wie gedacht, so gemacht. Es entstand
eine schöne gerundete Form, die in der Entstehungsphase Alda viele
wunderbare Erinnerungen über die Freundin, die sie nicht mehr präsent
gehabt hatte, aufkommen ließ. Nach mehreren Wochen ging Alda in die
betreffende Meditation hinein. Nachdem sie ihre Fragen geprüft und die
Bitte um Hilfe artikuliert hatte, wurde sie von ihrem Schutzengel hin zu
einer Gegend begleitet, die nicht mehr mit irgendwelchen irdischen
Landschaften vergleichbar war, ihr aber trotzdem das Gefühl gab, auf
einer Erhöhung vor einem wunderschönen Panorama zu stehen. Sie
schaute zunächst eine Gestalt, die sie mit Corinna identifizierte, die da
stand und der ganzen Umgebung durch die Bewegungen ihrer Arme und
Hände Farben und Formationen gab. Es war, als ob sie den geistigen
Umkreis in diesem Moment erschuf. Wie eine Landschaftskünstlerin
stand sie und erzeugte alles, was von Alda geschaut werden konnte. Al-
da erhielt ein kurzes Gespräch und eine Unterweisung von der verstor-
benen Freundin. Sie sagte, dass es ihr gut mit der Vorbereitung zum
nächsten Leben ging, mit der sie sich gerade befasste, und sie würde
außerdem gerne Alda im Irdischen helfen, sich nach geistigen Gesetzen
weiter zu entwickeln. Bei Rudolf Steiner finden sich zahlreiche Hin-
weise und Forschungen über die Toten und über das Leben zwischen
Tod und neuer Geburt. Zwei Zitate mögen eine wegweisende und wun-
derbare Ergänzung zum gegebenen Beispiel bringen:
153
 Die Toten sind es, die im Devachan* leben, die durch die Kraft, die sie
dort haben, selbst an dieser Umgestaltung der Erde arbeiten. So wie
die Menschen hier an der physischen Erde arbeiten, so die Toten an
dem geistigen Urbilde dieser physischen Erde. Sie sind es, die ihre
Kräfte herein senden in diese physische Welt und die an der Umbil-
dung mitwirken. Allerdings gibt es da Anführer und höhere Wesen-
heiten, welche die Führung übernehmen. Und an diesem Reiche, das
da mitten unter uns ist, arbeiten die Toten an der Umgestaltung des
Antlitzes unserer Erde. Die Menschen atmen hier in der Luft; ohne
Luft könnten sie nicht atmen. Ähnlich bei den Toten, nur dass, wie
hier die Luft, dort das Licht wirkt. In dem ausgebreiteten Licht sieht
der Eingeweihte die Wesen der Toten. So sind zum Beispiel für den
Seher die Pflanzen umgeben von den Geistern der Verstorbenen, und
indem das Licht die Pflanze wandelt und wachsen lässt, sind es die
Geister der Toten, die das vollbringen. Wir alle werden in der geisti-
gen Welt über der Erde schweben und an den Pflanzen bauen.85
Nun wird es uns verständlich werden, wie solcher Einfluss der see-
lischen Welt auf uns ist, wenn ich wiederum zuerst mit einigen Wor-
ten berühre, wie sich dieser Einfluss dem geistig Geschulten darstellt,
der imstande ist, Inspirationen aus der geistigen Welt zu empfangen.
Er stellt sich ihm so dar, dass er zum Bewusstsein bringen kann diese
Inspirationen nur dann, wenn er gewissermaßen etwas von dem We-
sen, das ihn inspirieren will, selber in sich aufnehmen kann, etwas von
den Eigenschaften, etwas von der Lebenstendenz und Lebensrichtung
dieses Wesens. Handelt es sich darum, dass der geistig Geschulte
bewusste Beziehungen entwickeln soll, nicht bloß aus dem Ätherleib,
sondern in dieser unmittelbaren Art durch Inspirationen mit einem
Toten, dann ist notwendig, dass er in seiner Seele noch mehr trägt als
dasjenige, was durch das Interesse, durch den Anteil hervorgerufen
werden kann. Der geistig Geschulte muss gewissermaßen, wenigstens
für kurze Zeit, sich so verwandeln können, dass er in sich selber etwas
annimmt von den Gewohnheiten, von der Art des Wesens, also sagen
wir des Menschenwesens, mit dem er in Verkehr treten will. Er muss
sich so einleben können, dass er sich sagen kann: Du nimmst so sehr
dessen Gewohnheiten an, dass du das tun könntest in seinem Sinne,
was er tun könnte, fühlen könnte, empfinden könnte, wollen könnte;
auf das könnte kommt es an!86
85
Rudolf Steiner, Menschheitsentwicklung und Christus-Erkenntnis, GA 100, Dor-
nach 1981, Seite 66.
86
Rudolf Steiner, Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten, GA 168, Dornach
1976, Seite 188.
154
Es war gerade dieses mein Eindruck, dass Alda durch die plastische Tä-
tigkeit eine der künstlerischen Gewohnheiten von Corinna nachempfin-
den konnte. Sie führte in dieser Zeit die Bearbeitung der Steinplastik
durch. Das war etwas, was ihrer eigenen Gewohnheit nicht entsprach,
und sie konnte dadurch der geistigen Anwesenheit der Verstorbenen
einen Platz in ihrer Seele bereiten. Da ich das ganze Geschehen gleich-
laufend meditativ verfolgte, erlangte ich Inspirationen und Intuitionen
und konnte weiterführende Fragen stellen als diejenigen, die Alda selber
auszudrücken vermochte. Somit wurde diese Begegnung zu einem Bei-
spiel, das mir musterhafte Erkenntnisse in der Aufgabenstellung gegen-
über den Verstorbenen brachte. Einige dieser Erkenntnisse können wie
folgt zusammengefasst werden:
Man darf zu jeder Zeit mit einem Verstorbenen Kontakt suchen, inso-
fern man es aus selbstloser Liebe tut und vom Verstorbenen nicht für sich
irgend etwas bekommen will. Sie leben ja quasi jenseits von Raum und
Zeit, weswegen sie auch nicht in unserem Sinne gestört werden, wenn
wir sie bitten, mit uns zu kommunizieren. Wenn es geschehen sollte,
dass sie unser Anliegen nicht unmittelbar erfassen, weil sie mittendrin in
bestimmten Aufgaben sind, wird ihnen durch Geistwesen, durch Engel,
auf einer anderen Stufe das anvertraut, womit wir uns an sie gewandt
haben. Das Paradoxe kann sogar geschehen wie unvorstellbar dies
auch sein mag , dass wir im Irdischen, ehe noch die Frage oder Bitte
gestellt war, eine Antwort bereits bekommen haben, welche wir aber
nicht bemerken konnten, weil wir noch nicht gefragt hatten. Verstorbene
können und wollen gern, darin den Engeln ähnlich, unsere Gefährten in
Geistgebieten sein. Verstorbene vermögen dabei, auf das Wahrhaftige in
der Karmasuche hinzuweisen. Dabei muss man jedoch beachten, wo sie
sich selber in ihrer Entwicklung nach dem Tod befinden, weil auch
durch die Beiträge der Verstorbenen bestimmte Fälschungen in die Medi-
tation sich einmischen könnten.
So wird es sich als hilfreich erweisen, dass man sich klare Vorstellun-
gen darüber bildet, wie die Abfolge zwischen zwei Inkarnationen ver-
läuft und in welchen Zusammenhängen der Verstorbene weilt, damit
Feinheiten in der Kommunikation erkannt werden können. Das Buch
Blick aufs Karma von Paul Wormer und Lili Chavannes dient als eine
gute, anschauliche Begriffsunterlage in dieser Hinsicht.87
87
Paul Wormer, Lili Chavannes, Ate Koopmans, Blick aufs Karma. Schicksals-
elemente im Lebenslauf, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004.
155
 Meister und Hüter der Meditation
Ein weiteres Thema kann die meditative Tätigkeit zu einer erhabenen
Angelegenheit erheben. Es betrifft die Frage der so genannten Meister,
die mit allem echten Meditieren inniglich immer verbunden sind. Wenn du
dich so weit vorgearbeitet hast, dass du dir bestimmte fortgeschrittene Indi-
vidualitäten oder sogar Meister in dein Interessefeld gerückt hast, darfst
du sie selbstverständlich auch auf dieser Stufe deiner Entwicklung in
deine geistige Arbeit einbeziehen. Du kannst dir klar machen, wo deine
eigene Gesinnung und Verbundenheit mit geistigen oder karmischen
Strömungen liegt, in welcher Richtung du die Taten Vorangegangener
würdigst und warum du dich jemandem als einem unsichtbaren Helfer
zuwenden möchtest.
In späteren Kapiteln werden wir dieser Frage nochmals nachgehen,
um die rechte Vorbereitung zu kennzeichnen, bevor du dich vielleicht
aus Ungeduld dazu verlocken lässt, Meister, Ehrwürdige oder so ge-
nannte Heilige aufzusuchen. Auch wenn du immer wieder versuchst,
etwas Bestimmtes vorzubilden und zu gestalten, soll die rechte Haltung
doch in der Gewissheit bestehen, dass das Geistige mit Sicherheit im
richtigen Augenblick zu dir kommen wird. Du brauchst keine Sorge zu
haben, dass dieser Moment nie stattfinden wird. Die Reifung der Seele
schafft selbst Raum für die geistigen Begegnungen.
Ein Hinweis aus dem frühen esoterischen Wirken Rudolf Steiners vor
dem ersten Weltkrieg passt hier, erwähnt zu werden. Er hat damals be-
tont, dass quasi jede Meditation, wenn sie eine echte geistige Vertiefung
ist, ein in Kontakt Treten mit einer Meisterindividualität sei.88 Und man wird
in einer Meditation nur das erleben und erkennen dürfen, so Steiner, was
ein solcher Wegbereiter, der in der geistigen Entwicklung weiter als man
selbst ist, einem hinreicht, zeigt und spricht. Wenn diese Vorstellung ge-
pflegt wird, kann auch nicht der Gedanke entstehen, dass man sich un-
frei fühlen muss, weil man meint, sich jemandem unterwerfen zu müs-
sen, den man nicht kennt, sondern man kann dabei üben, sich in eine
unsichtbare Hierarchie, einen Reigen, einen Chor oder eine Schlange zu
stellen, wo jeder seinen rechtmäßigen Platz hat, gemäß der früher er-
wähnten Übung der Positionsbestimmung. Außer bei Steiner und in den
Büchern von Markides fand ich einen anregenden Beitrag zur Frage des
Wirkens der Meister z. B. bei der amerikanischen Mystikerin Flower A.
Newhouse (1909 1994).89 Ansonsten gibt es im Internet derzeit noch viele
88
Rudolf Steiner, Aus den Inhalten der esoterischen Schule, GA 266. Band I, Dor-
nach 1998, Seite 251.
89
Peter Michel, Die großen Weg-Weiser Flower A. Newhouse, Aquamarin Verlag,
Grafing 1999.
156
einführende Texte oder Übersichten zu diesem wichtigen Thema herun-
terzuladen.90 Dabei muss jeder selbst solche Quellen auf die Seriosität
prüfen. Im 8. Teil werden wir wiederum zu dieser Frage zurückkehren.
Der Herr des Karmas
Ein Mensch mit christlicher Gesinnung könnte extra noch anstreben, in
der Meditation einen Kontakt zu Christus, der in der Anthroposophie mit
der Benennung Herr des Karmas bezeichnet wird, herzustellen. Jemand
mit einer anderen religiösen Überzeugung mag selbstverständlich die
Heiligen, Meister, Gurus und Götter seiner eigenen Religion verehren
und sie sich als anwesend denken, gemäß dem sachlichen Beweggrund
solcher Hinwendung. Der hier beschriebene Meditationsweg ist, was die
Methode angeht, in keiner Weise konfessionell gefärbt. Jeder muss sich
aus seinen eigenen Glaubenstiefen eine Vorstellung der geistigen Welt er-
ringen. Es soll aber nicht geleugnet werden, dass ich eine christlich orien-
tierte Einstellung hege, die ein anthroposophisches Studium zum Funda-
ment hat, weswegen ich auch die daraus entnommenen Begriffe für die
geistigen Wesen und Tatsachen hin und wieder bevorzuge. Im ersten
Buch habe ich präsentiert, wie ich in mein Karma noch andere kulturelle
und religiöse Erfahrungen, z. B. aus dem Ägyptischen, Chinesischen und
Indischen inskribiert und einverleibt habe, die nicht untergegangen
sind, sondern in meinem aktuellen Glaubenskonfiguration oft tonange-
bend mitklingen.
Mit dem Begriff Herr des Karmas ist ein Wesen gekennzeichnet,
welches gleicherweise das Göttliche, das der Mensch als Zukunftsideal in
sich trägt, wie auch das eigentlich Menschliche, das die geistigen Hierar-
chien, ohne selbst in der Sinnesebene zu inkarnieren, nicht kennen kön-
nen, anstrebt. In und um Christus, der vor zweitausend Jahren in den
Wesensgliedern des Jesus von Nazareth gelebt hat und gestorben und auf-
erstanden ist, treffen sich urbildlich alle Möglichkeiten karmischer Um-
wandlung und Vervollkommnung, die Menschen innerhalb der weiteren
Erdenentwicklung erstreben können.
Wenn angenommen wird, dass er gegenwärtig als göttliches Wesen
im Erdenbereich so wirkt und arbeitet, dass der Mensch durch ihn Hilfe
bekommen kann, sein eigenes Karma zu erkennen, dann darf man ihn
auch denken, fühlen und wollen, so dass man ihm Bild und Gestalt in
90
Zum Thema Meister aus anthroposophischer Sicht, siehe z.B. Benjamin
Schmidt, Über die Meister der Weisheit und des Zusammenklangs der Empfindungen in
der Internetzeitung hermetika , unter: www.hermetika-aorim.de. Oder Gemisch-
tes, einige Meister betreffend, auf: www.hermes-trismegistos.com/meister.html.
157
der Meditation gibt. Wie dies unterschiedlich geübt werden kann, Einige außergewöhnliche Veröffentlichungen von Jesaiah Ben Aharon und
wirst du selbst später im Umgang mit den Übungen im 7. Teil genauer Robert A. Powell behandeln gleichfalls ähnliche Fragen auf eine fundierte
herausfinden. Zunächst mag es auf dieser Übungsstufe genügen, einen und exemplarische Weise, die dem Interessierten weitere Erkenntnisse
Engel oder ein menschliches Wesen als Hauptgefährten in der Medita- über die Taten des Christus in unserer Zeit vermitteln können.93
tion zu haben. Ein Zitat von Steiner soll jedoch vergegenwärtigen, wel-
che Stellung dieses Thema in der Evolution offenbar hat:
Die gefühlsmäßige Anteilnahme
Karma und der Christus sind der Inbegriff der ganzen Evolution. Das
im karmischen Hellsehen
Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung in der geistigen
Welt; es ist die Spirale der Entwickelung. Die Christus-Kraft schaltet
In der Meditation entsteht oft eine intensivere Anteilnahme am Gesche-
sich in die Entwickelung dieser karmischen Linie als richtunggebende
hen menschlicher Dramen und Ereignisse, als es im normalen Leben ge-
Achse ein. Diese Kraft findet sich seit der Ankunft des Christus auf
wöhnlich und möglich ist. Im Alltag ist unsere Fähigkeit zum Gewahr-
der Erde im Grunde jeder menschlichen Seele.91
werden eigener Schmerzen und des Mitfühlens gegenüber den Anderen
Die Karma- und Geistesforscherin Heide Oehms geht besonders auf die manchmal wegen der unterschiedlichsten Umstände abgedämpft. Oft
Frage ein, welche Rolle eine systematische Geistesschulung gegenüber kommen die starken Gefühle erst hinterher, wenn das Ereignis vorbei ist
der Tatsache einnimmt, dass so viele Geist- und Christuserfahrungen in und man sich einen Überblick verschafft hat. Angstzustände können sol-
der neueren Zeit allgemein der Menschheit zuzufallen scheinen: cherart starke Gefühle momentan zurückhalten und dämpfen. Der Initi-
ierte dagegen erlebt erfahrungsgemäß künftige Probleme, z. B. Anfein-
Wie schon angedeutet, kann eben nicht damit gerechnet werden, dass
dungen, schon gefühlsmäßig voraus. Beim Meditieren und innerhalb der
jemandem automatisch etwas zufällt. Das geht auch aus dem zuletzt
Sequenzen des karmischen Schauens musst du damit rechnen, dass ehe-
Ausgeführten hervor. Geisterlebnisse und Christuserfahrungen sind
malige Gefühle so stark empfunden werden können, dass sie dich über-
entweder eine Folge von Vorbereitung als Vergangenheitsaspekt oder
wältigen würden, wenn du sie im Normalbewusstsein ähnlich stark er-
Gnade als aus der Zukunft entgegenströmende Aufforderung zum
leben würdest. Man wird aber hier nicht negativ erschüttert, weil im
Sinneswandel. Auch wenn man sich im jetzigen Leben nicht darauf
Geistigen alles immerwährend von göttlichen Weltempfindungen durch-
vorbereitet hat, muss etwas in dem Menschen sein, was aus früheren
drungen ist. Man ist sozusagen quasi in ein höheres Mitgefühl der Hierar-
Zeiten einen Anknüpfungspunkt geschaffen hat, der durch das jetzt
chien eingetaucht, so dass die zu einem selbst gehörenden Erlebnisse
hereinbrechende Erlebnis wieder aktiviert wird. Und wenn es wirklich
jetzt in adäquater Stärke neu durchlebt werden dürfen.
auch einmal geschehen sollte, dass ein Mensch sich durch viele Inkar-
Wir können immer wieder staunen, dass während der Rückführungen
nationen gänzlich vom Geistigen abgewandt hatte und er durch ein
folglich kräftige Gefühle erlebt werden. Auch wenn Menschen entspre-
plötzlich hereinbrechendes Erlebnis zum Geiste bekehrt würde, gin-
chende Orte aus früheren Leben, die während einer Sitzung geschaut
gen ihm die Früchte dieses Erlebnisses wieder verloren, wenn er nicht
wurden, hinterher aufgefunden und zum ersten Mal in diesem Leben be-
in der Folge sein Leben umgestaltete. Geistesschulung ist in jedem
sucht haben, entsteht wieder eine Erkraftung des Gefühlslebens. Bevor man
Fall notwendig, entweder als Vorbereitung in der Hoffnung auf Geist-
eine geistige Erfahrung hat, kommt einem das Geistige normalerweise
erfahrung oder aus Einsicht in die eigene Unvollkommenheit nach
als etwas sehr Abstraktes vor. Mit dem Herantreten an das Karma, das ja
einem unvorhergesehenen geistigen Erlebnis. So wie wir heute be-
reiner Geist ist, wird das Abstrakte überwunden und der Geist kann in
schaffen sind, müssen wir aktiv an der Umgestaltung unserer Wesens-
der Seele kraftvoll, intensiv wirksam werden, so dass man dabei sogar
glieder arbeiten. Die geistigen Erlebnisse, auch die Christusbegegnun-
parallele Gefühle haben kann, die mitunter positiv oder negativ geladen
gen, haben einen anderen Charakter, wenn sie durch Geistesschulung
sein können.
erlangt werden. In diesem Falle sind sie feiner und stiller. Sie reifen zu
einer ständigen Erfahrung der Gegenwärtigkeit Christi heran.92
93
Jesaiah Ben Aharon, Das spirituelle Ereignis des 20. Jahrhunderts. Eine Imagina-
tion, Verlag am Goetheanum, Dornach 1994. Robert A. Powell, Das größte
91
Rudolf Steiner, Kosmogonie, GA 94, Dornach 1979, Seite 116. Geheimnis unseres Zeitalters. Gedanken zur Wiederkunft des Christus, im Selbstverlag
92
Heide Oehms, Seite 186. des Verfassers, 1999. Auslieferung: Urachhaus Verlag, Stuttgart.

158 159
 Schon auf der Imaginationsstufe kannst du bemerken, dass die Art des leben sich vergeistigt. Und eigentlich bedeutet alles Hellsehen im be-
Gefühlslebens sich verfeinert, aber besonders mit der Inspiration wandelt sten Sinne des Wortes ein Zurückgehen in frühere Erdenleben. Initi-
sich der Wille zu einer gefühlsähnlichen Kraft um, weil er nicht mehr an iertwerden bedeutet, nicht im gegenwärtigen Erdenleben stehenblei-
den Leib und das Muskelsystem gebunden ist. Das Gefühl wird durch ben, sondern mit dem Menschen, der man war im vorigen Erden-
esoterische Tätigkeit immer mehr aktiv, und der Wille wird immer emp- leben, die Dinge der Welt anschauen. Und in der Regel ist es so, dass,
findsamer, zu einem Anteilnehmer des inneren Geschehens, der sich der wenn man zum nächstvorigen Erdenleben zurückkommt, man die
Weisheit und der Wahrheit der geistigen Welt einordnen möchte. Selbst- Entdeckung; macht: derjenige, der man da war, der ist eigentlich
verständlich geschieht dieser Prozess des Umwandelns der seelischen schon ein viel vollkommenerer Mensch geworden.94
Bezüge nicht von selbst, sondern man muss sich ständig beobachten und
Solche bestätigenden Hinweise von Steiner sind einerseits beglückend,
sein Ich-Gefühl essentiell aktivieren wollen und die Besonnenheit stei-
wenn man eigene karmische Erlebnisse bekommt, andererseits bedeuten
gern. Dies bedeutet keinen Appell zum Größenwahn, sondern es be-
sie einen Appell, seine eigene Forschung so ernst zu nehmen, dass man
inhaltet eine außerordentliche Aufgabe mit den dazugehörigen Heraus-
immerfort untersucht, wie die Ergebnisse unter Umständen dem gegen-
forderungen, die ich im 8. Teil noch aufgreifen werde.
wärtigen Lebens-gefühl beeinflussen.
Wenn du dich auf frühere Leben unvoreingenommen einlässt und
dich mit den imaginativen Inhalten identifizieren kannst, bedeutet es ei-
ne Einweihung, eine sinnentsprechende Zurückwandlung in frühere Inkar-
Eine Landschaft als Ausgangsbasis
nationen, deren Seelenintensität auch Rudolf Steiner sorgfältig begrün-
dete:
Nach der vorbereitenden Einstimmung zur dynamischen Karmamedita-
Der Mensch erlebt durch sein Haupt in der Tat nur eine Spiegelung
tion suchst du dich auf als stehend oder dich bewegend in der ausge-
der gegenwärtigen Außenwelt. Aber wenn man aufsteigt zur Initia-
wählten Landschaft. Schaffe dir zunächst einen Standort, von wo aus du
tions-Wissenschaft, dann kommt man durch die imaginative Erkennt-
die umliegende Gegend erschließen kannst. Achte auf den Boden, prüfe
nis, ihre Umwandlung in inspirative Erkenntnis, und dann durch die
die Art des Geländes. Wie sieht das Gras aus, welche Blumen, Pflanzen,
intuitive Erkenntnis zurück zu den früheren Erdenleben. Dann schaut
Gebüsche und Bäume wachsen dort?
man hinein in die früheren Erdenleben, aber man schaut sie dann in
Du fängst bei den eigenen Füßen an und schaust immer weiter bis
ihrer geistigen Gestalt. In der geistigen Welt ist auch die Erkenntnis
zum Horizont hin. Es ist wichtig, innerlich alle Zusammenhänge und
etwas durchaus Reales. Und derjenige, der mit wirklicher Initiations-
Details der Landschaft für sich selbst zu schildern, so dass du weißt, wel-
Erkenntnis das durchmacht, dass er in die früheren Erdenleben hin-
che Komponenten sie hat. Zu Beginn soll die der wirklichen, physischen
einschaut, er kommt sich nicht so vor, als wenn er jetzt da wäre, [...]
Erscheinung nach gegebene Sinnesrealität herrschen, die erinnert werden
sondern er wird sich selber gegenwärtig in dem Verlaufe der früheren
kann. Allmählich erst werden sich einige Bereiche ändern, indem du dir
Erdenleben; er schaut da nicht nur hinein, sondern er schaut sich in
Stück für Stück erlaubst, künstlerische und phantasievolle Umstrukturie-
seinem ganzen Wesen zurück. Es ist nicht ein abstrakt-erkenntnis-
rungen, Gartenanlagen und Gebäude hinein zu gestalten. Beobachte also
mäßiges Hineinschauen, es ist eine Zurückwandlung, ein Einssein, ein
zunächst geduldig die verschiedenen Elemente, die in der Region sind,
Identischwerden mit demjenigen, was man war. Es wird sehr lebendig
das Material und die Beschaffenheit des Erdbodens, die Feuchtigkeit und
das Innere, sehr bewegt und erregt, wenn man da zurückkommt in die
die Erscheinungen von Wasser, Luft- und Lichtverhältnissen. Gib dir
früheren Erdenleben. Dadurch aber, dass man zurückgeht, gewinnt
Zeit, die Formen und Farben verschiedenster Gegenstände und Lebe-
man die Möglichkeit, den Gesichtspunkt seiner Weltanschauung zu
wesen zu beobachten. Nachdem du festgestellt hast, welche Blumen,
ändern. Der Gesichtspunkt der äußeren Weltanschauung, die man ge-
Pflanzen und Bäume hier wachsen, horche, welche Tierarten hier leben.
wöhnlich hat, ist der Kopf. Diesen Kopf, den Sie schon im vorigen
Es ist dabei erforderlich, sich die Himmelsrichtungen zu vergegenwärti-
Erdenleben gehabt haben, den können Sie nicht zum Gesichtspunkt
gen, so dass du den Gang der Sonne in der Landschaft einordnen kannst.
der Weltanschauung machen, der ist ja längst nicht mehr da, der ist ja
Wenn du aus der Erinnerung nicht festzustellen vermagst, wo Osten tat-
fort. Nur das Geistige, das im Kopfe lebte, das können Sie zum Aus-
gangspunkte der Weltanschauung machen. Die Initiation besteht also 94
Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band V,
darin, dass der Mensch durch Zurückgehen in sein früheres Erden- GA 239, Dornach 1963, Seite 259ff.

160 161
sächlich ist, versuchst du in den Meditationen, nach und nach den geo-
grafisch korrekten Osten gefühlsmäßig abzuspüren. Zu jeder Zeit
herrscht in der äußeren Natur ein gewisses Klima vor. In der Meditation
setzt du ein bestimmtes Wetter ein oder du lässt aus einer Stimmung
heraus blauen Himmel, Wolken oder Diesigkeit entstehen. Innerhalb
einer Meditation kann sich das Wetter auch ändern, z. B. kann man von
einer Reise zurück kommen, und es hat angefangen zu schneien , ohne
dass du daran gedacht hast! Mit der Zeit wirst du die verschiedenen Mo-
tive, Stimmungen und Zusammenhänge deiner Landschaft so überschau-
en können, dass du nicht mehr nur in der Oberflächlichkeit der Dinge
lebst, sondern du wirst anfangen, bestimmte Feinheiten und Nuancen in
den Dingen zu erspüren und kennen zu lernen. Ein Fühlen aus dem Ich
beginnt sich zu bilden.
Wenn du dieserart meditativ übst, wirst du auch bemerken, dass sich
im normalen Bewusstsein deine Beobachtungsfähigkeit und dein Gespür
gegenüber der Natur und der übrigen Umwelt verfeinern und schärfen
werden. Du wirst Dinge entdecken, die du früher nicht wahrgenommen
hast oder die dich gar nicht interessiert haben. So kannst du im dynami-
schen Wechselspiel zwischen Sinnesleben und Meditation die Qualitäten
der Schöpfung neu erspüren und zugleich deine Seelenkonfiguration
stärken und kultivieren.
Architektur des Ich
Wenn die Landschaft dir richtig vertraut geworden ist, so dass du eine
Art Heimatgefühl entwickelt hast, kommt der nächste Schritt: Ein Gebäu-
de, z. B. eine Hütte soll gebaut werden. Die Art dieses Bauwerks kann
recht individuell sein. Manche mögen ein Haus so errichten, dass es wie
eingebettet erscheint in die betreffende Landschaft. Andere wollen etwas
Größeres haben, ähnlich wie eine Kapelle oder einen Turm. Hier muss
das schöpferische Denken freie Bahn erhalten, damit du dir das baust,
was deine Seele für ihre inneren Verrichtungen benötigt.
Es soll außerdem im Haus ein Innenraum geschaffen werden, der dich
von den Erscheinungen der Natur trennt. Andere Stimmungen und Mo-
tive als im Außenbereich sind drinnen angesagt. Bei diesem Bauvorha-
ben kannst du dir vorstellen, dass du eine Baugenehmigung bei den Lebe-
und Elementarwesen beantragst. Stelle dir sogar vor, dass sie dir bei die-
ser inneren Verrichtung helfen und dich unterstützen wollen, so dass von
Tag zu Tag durch ihre Hilfsbereitschaft der Bau ätherisch-seelisch-geistig
entsteht und weiter gehütet und entwickelt werden darf. Bereits im ersten
Buch habe ich auf solche elementarischen Hilfskräfte beim Hüttebauen
betont hingewiesen.
162
Viele Menschen, die ich beraten und begleiten durfte, haben ähnliche
Erlebnisse gehabt, in denen Naturwesen ihnen geholfen haben. Es konn-
te sogar beobachtet werden, dass der physisch wirkliche Ort, der als me-
ditatives Vorbild für die Hütte galt, durch die Meditation eine Beeinflus-
sung erfuhr und nach einiger Zeit eine andere Stimmung bekommen hat-
te, so dass beispielsweise eine deutlich größere Anzahl von Vögeln ihn
sich zum Aufenthaltsort wählte, als dies früher der Fall war. Auch Men-
schen, die von der meditativen Pflege nichts wussten, beobachteten diese
äußere Veränderung. Alle Gedanken machen sich geltend und der feinen
Beobachtung können die Wirkungen guter Gedankenformen auch in
solcher Weise erfahrbar werden.
Bevor du das Bauvorhaben angehst, musst du das Grundstück aus-
wählen. Suche dir einen Bauplatz, der nicht weit weg vom Wasser ent-
fernt ist. Finde ihn, entwirf einen Bauplan und schreite die Größe der
Hütte ab. Wichtig zu wissen ist, in welcher Richtung der Eingang liegen
soll. Gehe dorthin, drehe dich um, denke, dass der Bau mit der Ein-
gangstür hinter dir liegt, und blicke erneut in die Landschaft hinein. Was
siehst du vor dir? Was ist links, was ist rechts? Diese Aussicht wird dir ja
immer wieder nach der Beendigung einer Meditation erscheinen, wes-
wegen es wichtig ist, diesen Ausblick bewusst anzulegen.
Gehe einmal um die Hütte herum. Beschließe, aus welchem Baumate-
rial sie gebaut sein soll, wie die Wände gestrichen sind und wie das Dach
angefertigt ist. Gehe auch einmal weg von der Hütte und schaue sie aus
der Entfernung an; beobachte, wie sie in der Landschaft ruht und wie die
Natur sie aufnimmt. Wenn man einmal vor Ort diesen Blick auf die me-
ditative Hütte haben wird, mag die Frage berechtigt sein, ob die Wesen
in der physisch realen Natur von diesem inneren menschlichen Ich-Vor-
haben etwas aufnehmen konnten? Wachsen jetzt hier vielleicht wirklich
andere Blumen als früher und sind möglicherweise weitere Vögel oder
Vogelarten hinzu gezogen?
Die meditative Heimat
Die Hütte braucht am Anfang nur einen Raum. Allmählich kann man
sie erweitern. Zuerst guckst du, was nötig ist, um dich dort zu Hause zu
fühlen. Aus welchem Material ist der Boden, die Wände, das Innen-
dach? Wie ist der Raum geometrisch geordnet? Gibt es Fenster, durch
die du hinaus gucken kannst? Wie sind die Farben und die Lichtverhält-
nisse? Was brauchst du an Möbeln, Inventar und Kunstgegenständen?
Vielleicht ist es angebracht, eine Ecke, Nische oder einen Altar einzu-
richten, so dass bestimmte religiöse oder spirituelle Elemente vertreten
sind. Kerzen, Edelsteine, farbige Textilien und bestimmte Kleider, die
163
am Eingang anzuziehen sind, können Gefühle und Gedanken wecken,
die für die Meditation geeignet sind. Kopien aus der Kunstgeschichte,
bekannte Malereien, Bilder und Skulpturen können hier Platz finden, so
dass die Betrachtung solcher Kunstwerke eine ganz bestimmte Seelenver-
fassung erzeugt, die angemessen ist, wenn man möglicherweise Freunde
oder geistige Wesen einladen möchte, um mit ihnen zu kommunizieren.
Dieser imaginativ hergestellte Hüttenraum entspricht einem Urmotiv,
das jeder Mensch in sich trägt. Wenn es die Umstände zulassen, fängt
ein kleines Kind gerne an, sich zu umgrenzen, damit es sich als frei-
stehendes Wesen gegenüber der Welt entdecken kann. Wenn ein Kind
mit Bauklötzen einen Zaun um sich baut oder sich unter einem Tisch
versteckt, vollzieht sich in der Kinderseele ein ursprüngliches Gesche-
hen. Die Gewissheit des Ich, ein eigenes Wesen zu sein, beginnt zu er-
wachen. Es möchte sich von seiner Umwelt abgrenzen, sich auch einen
eigenen Bereich von Sicherheit, Rückzug und Schutz schaffen, um von
da aus mutig die Welt entdecken zu können.
Wenn es einem nicht gelingt, eine Räumlichkeit frei zu gestalten,
kann man seinen Raum auch an ein vorgegebenes Haus anpassen. Ein-
mal richtete eine Frau in Mitteleuropa sich in einer Hütte ein, die einem
weltbekannten Philosophen gehört hatte, welchen sie sich karmisch ver-
bunden fühlte. Eine Frau aus Norwegen baute im Lieblingsbaum ihrer
Kindheit weiter an einer damals vorhandenen Baumhütte. Eine andere
Persönlichkeit baute um einen riesigen Eichenbaum eine Laubhütte und
entdeckte danach in der Karmaforschung ihre ehemalige Zugehörigkeit
zu einem keltischen Volkstamm. In den verschiedensten Gegenden der
Welt können solche Hütten, Kapellen und Tempel entstehen. Jemand er-
stellte in Dovrefjellene in Norwegen ein Lappenzelt, ein Anderer errichtete
in einem fernen Tal im Himalaya eine Steinhütte, ein Dritter baute auf
Iona eine Kapelle, ein Vierter auf Rügen ein Fischerhaus, ein Fünfter auf
Sizilien zwischen alten Ruinen ein Ziegelhaus, und ein Sechster auf einer
Wolke ein Luftschloss, damit er sich über allen Gegenden frei bewegen
könne. In den letzten Jahren sind überall auf der Erde Hunderte von sol-
chen imaginativen Hütten entstanden. Manche Orte werden von vielen
Übenden übereinstimmend aufgesucht, wie Iona, Kreta und die Alpen,
so dass man sich fragen möchte, ob sie mit der Zeit im übersinnlichen
Bewusstsein auf gleichem Ort einander entdecken werden.
Das Museum der karmischen Gegenstände
Allmählich fühlt man sich hier richtig gemütlich zu Hause. Es entsteht
ein Ort, zu welchem man immer wieder hingehen kann, auch wenn man
nicht unbedingt weitere Erforschungen betreiben will. Der Ort der Hütte
164
kann auch einfach Ruhe und Gelassenheit für kurze Momente des All-
tags geben, wenn man sich nur für einige Minuten dorthin zurückzieht .
Beispielsweise mag ein Lehrer einen Schüler, mit dem er in der Klasse
Schwierigkeiten hat, innerlich mitnehmen, um ihn in seinem Garten
oder seiner Hütte spielen zu lassen. Und jemand, der in einer Arbeits-
oder Beziehungskrise steckt, mag einen Kollegen oder die Partnerin dort-
hin zu einem inneren Gespräch einladen, das im Alltag noch unausführ-
bar wäre.
Wenn die weiteren Ereignisse auf diesem Schulungsweg sich einfin-
den, wird die Hütte auch zu einem inneren Ort, an welchem du deine
Ergebnisse bearbeitest, so dass karmische Motive, Gegenstände und Sym-
bole aufgestellt werden können. Deshalb wäre der Begriff karmisches Mu-
seum geeignet. Weil der Mensch gewohnt ist, Besitztümer anzuhäufen,
was von einem gewissen anderen Gesichtspunkt aus vielleicht in Frage
zu stellen wäre, könnte man der Meinung sein, man sollte doch in der
Meditation diese Vorgehensweise aus der Sinneswelt nicht übernehmen.
Der hier vorgeschlagene Weg greift hingegen nur insofern diese Ge-
wohnheit aus der sinnlichen Welt auf, als man lernen möchte, später das
imaginativ Aufgefundene in reine Erkenntnisse umzuwandeln. Zuerst
aber muss eine Vielfalt von Erfahrungen in bildnerischer Fassung er-
scheinen, mit der man lernt, meditativ und ideenreich eine Zeit lang um-
zugehen. Die äußeren Erfahrungen mit bestehenden Museen, Galerien,
Pinakotheken und Sammlungen können nun sehr wertvoll sein, damit
der innere Raum stilvoll eingerichtet werden kann, oder man wählt sich
Arrangements, die einem persönlichen, einfachen Stil folgen. Wichtig
ist, dass du die Gegenstände so anordnest, dass sie ihre Form, Farbe und
Eigenheit beibehalten und dass du sie bei kontinuierlicher Arbeit ord-
nungsgemäß auf ihren Plätzen wieder vorfindest.
Bei diesen mannigfaltigen meditativen Ausführungen, die viele Ein-
zelheiten und Nuancen verfolgen, ist es wichtig, wiederholt auf deinen
Gemütszustand zu blicken, damit du dich in Unwichtigkeiten nicht ver-
lierst. Nur insoweit, wie du die Vorhaben aus einer ernsthaften Absicht,
z. B. aus einem Gefühl für Schönheit und Klarheit, ausführen kannst, ha-
ben sie für die innere Betrachtung einen Sinn.
Der Reisegefährte dein Engel
Es ist eine Eigenheit der Meditation, dass man allein in seinem Bewusst-
sein arbeitet und von äußeren Beweggründen unberührt und abgesondert
ist und sein soll. Es könnte aber sehr wohl sein, dass du jemanden im
physischen Raum dabei hast, der dich gewissermaßen als Lehrmeister
führt oder begleitet, oder dass die andere, räumlich anwesende Person
165
selber gleichzeitig ähnlich meditiert und ihr euch dabei eventuell aus-
tauscht. Doch das, was du im eigentlichen Sinne tust, machst du allemal
mit deinem Bewusstsein, mit deinem Ich, allein. Warum sollte man dann
nicht alles Weitere gleichfalls gesondert tun? Warum sollte man über-
haupt versuchen, mit jemandem, den man sich innerlich zuwendet, et-
was Gemeinsames im Kontext der Meditation auszuführen? Es mag dir
schon in den vorangegangenen Übungen klar geworden sein, dass es ein
Unterschied ist, ob du etwas abgeschieden machst oder ob jemand dir
während eines inneren Vorgangs beigesellt ist.
Eines der Ziele der Meditation besteht darin, zu lernen, in geistige Um-
gangsformen mit anderen Wesen geistiger Gattung zu treten. Wir können
z. B. einen Engel nur dadurch kennen lernen, dass wir für ihn unser
Selbstbewusstsein durchlässig machen, dass wir ihm erlauben, in uns
quasi zu denken . Der normale Drang zum Einschlafen ist auch ein un-
bewusstes Bedürfnis, mit der geistigen Welt zusammen zu kommen.
Demgemäß musst du bewusst dein Bewusstsein im Engel einschlafen
lassen, um in seinem Bewusstsein neu aufzuwachen. Die Begegnung mit
ihm erfolgt also nicht vom außen , sondern aus dem Inneren seines
Wesens.
Um dieses Paradox zu üben, geht der Weg vorerst durch bildhafte,
imaginäre Gleichnisse. Du kannst dir Reisegefährten aller Art dazu ein-
laden. Von der Hütte aus kannst du allerlei Reisen mit jemandem unter-
nehmen. Du kannst einen Freund aus dem Alltagsleben, einen Verwand-
ten, einen Verstorbenen einladen oder dein eigener Engel, dein beständi-
ger Schutzengel, wäre derjenige, der dich in der Meditation begleiten
dürfte. Unabhängig, wen du dir zum Gefährten wählst, lasse ihn, so gut
du es vermagst, innerlich sichtbar werden. Lasse den Engel nicht nur ein
Lichtschein sein, sondern gebe ihm eine plastische Ausdrucksweise und
Farben. Erinnere dich an eine Begegnung, die du als Kind mit einem äl-
teren Verwandten hattest, mit einer Großmutter oder einem Großvater.
Du fühltest dich gut angenommen und verstanden. Stell dir vor, dass
dein Verhältnis zum Engel in ähnlicher Weise eine Haltung des Empor-
schauens braucht, damit du seine Hinwendung zu dir erspüren kannst.
Der Engel ist jemand, der dir zwar zugewandt ist, der dich aber so
begleitet, dass du fühlen würdest, dass er an dir vorbei guckt , um das
anzuschauen, was gerade die nächste Aufgabe für dich sein wird. So
wirst du immer wieder merken können, wenn du ihn um sein Mitwirken
oder um seinen Rat fragst, dass er schon alles vorbereitet hat, als wüsste
er, was gleich geschehen sollte. Der Engel lebt sozusagen voraus, mit
dem Kommenden, mit der Zukunft. Wir jedoch haben zunächst in der
Gegenwart zu leben. Um solchen inneren Widersprüchen standzuhalten,
braucht man die Beweglichkeit und Heiterkeit, alles so anzunehmen, wie
es im Moment zu sein scheint.
166
Nimm dir in einer separaten Übung vor, von der Hütte aus eine Wan-
derung mit dem Reisegefährten oder mit deinem Engel zu machen. Bitte
ihn, dir beispielsweise etwas im umliegenden Wald zu zeigen. Oder du
kennst etwas Besonderes, das du ihm zeigen möchtest, z. B. eine alte
Stadt, ein Schloss oder ein Museum. Was geschieht jetzt? Was seht ihr?
Wem begegnet ihr? Wie verhaltet ihr euch zu dem, was eventuell gefun-
den wird oder dem ihr begegnet? Wie verhältst du dich, wenn der Engel
z. B. einmal ausbleibt oder zunächst dir überhaupt nicht erscheint?
Als ich in Seminarien gelegentlich das Engelthema behandelte, behaup-
teten manche Anthroposophen, es sei unzeitgemäß, sich direkt an den
Schutzengel zu wenden, wenn wir Karmaerkenntnis suchen. Dieser An-
sicht sprechen ein paar Gesichtspunkte zu diesem Thema entgegen, die
ich hier noch einarbeiten möchte. Meiner Auffassung nach sind sie völlig
in Übereinstimmung mit diversen Aussagen von Rudolf Steiner,95 was
aber nicht dagegen spricht, dass jeder selbst frei ist, zu entscheiden, was
er in der Meditation tut und was er über Engel erkennen will.
Im Laufe seiner kosmischen Entwicklung soll der Mensch sich immer
mehr entwickeln und zu einem freien, schöpferischen Wesen werden,
das nicht mehr von Beweggründen anderer Wesen beeinträchtigt wird.
Bis der Mensch eine nächste Stufe in der kosmischen Ordnung erreicht
hat, wird er von einem Engelwesen bis weit in die Zukunft noch geleitet
und dirigiert und je nach karmischer Notwendigkeit in einer Inkarnation
z. B. vor zufälligen, äußeren Gefahren behütet. Deswegen wird in religiö-
sen Überlieferungen seit dem Altertum immer von den menschlichen
Schutzengeln gesprochen. Diese Idee entspricht völlig einem übergeordne-
ten spirituellen Gesetz. Die Engel sind solche weitergekommenen We-
sen, die eine Übereinstimmung zwischen den einzelnen menschlichen
Individualitäten und dem Ablauf der gesamten Erdenevolution schaffen,
bis der Mensch selbst so weit sein wird, dass er die Aufgaben seines
Schutzengels durch selbsterworbene Autonomie ersetzen kann.
Seit der neueren Zeit ist es ansonsten immer mehr so geworden, dass
die Engel näher an die Menschenseelen heran getreten sind, weil sie eine
Zu-stimmung aus höheren hierarchischen Ebenen erhalten haben, uns
ihre Eingebungen noch direkter als früher zu geben. Eine solche Bezie-
hung zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt, zwischen
Mensch und Engel, soll noch immer vertraulicher werden, laut Steiner, was
auch die vielen Engelbotschaften in den letzten Jahren anschaulich be-
stätigen.
95
Rudolf Steiner, Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen, GA 102,
Dornach 1974, Seite 141f. Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der
physischen Welt, GA 110, Dornach 1981, Seite 92f. Rhythmen im Kosmos und im
Menschenwesen, GA 350, Dornach 1962, Seite 85f.
167
 Die Beziehungen zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen 2. Du kommst in einen Zustand, wo der selbst hervorgerufene, medita-
Welt sollen vom jetzigen Zeitalter an intimer werden. Die Menschen tive Inhalt der Seele entschwindet, so dass du einen Übergang zu
sollen die Eingebungen der immer mehr sich unter die Menschen- einem dunklen Zustand verspürst. Was deine Seele hervorgerufen hat,
seelen mischenden Angeloi wahrnehmen lernen.96 muss aus dem Vorstellungsmäßigen, dem Bildhaften oder dem Er-
innerten verschwinden und neue, imaginative Bilder sollen aus der
Während des Lebens können wir dieses Wesen des Engels also als
Finsternis, wie aus dem Nichts geschaffen, auftauchen.
Schutzgeist betrachten, nicht weil es unser Karma regelt die Bestim-
3. Die imaginativen Bilder oder Motive werden viel lebendiger als z. B.
mungen des Karma tun noch andere höhere Wesen für uns , sondern
in einem Traum sein. Du versuchst dich alsdann, mit ihnen zu iden-
weil es aus übergeordneter Wachsamkeit ein Gedächtnis von Leben zu
tifizieren. Du hast also ganz die erste, subjektive Bilderreihe ausge-
Leben bewahrt, dessen, was durch alle Inkarnationen hindurch die evo-
löscht, aber es kann noch oft passieren, dass du nichts an deren Stelle
lutionäre Tendenz und die Richtung des ihm zugeordneten Menschen-
bekommst. Durch das Üben und die meditative Praxis bist du aber so
wesens ist.
weit, dass du keine Angst kriegst zu verzagen. Kein Zweifel kommt
Von einem Leben zum anderen also in der geistigen Phase zwi-
über dich, dass du z. B. dich in eine Nichtigkeit auflösen würdest. Du
schen Tod und neuer Geburt leitet ebenfalls der Engel aus höherem
hast auch das Vertrauen, dass kein Gefühl des Verlassenseins kommt.
Bewusstsein die Kontinuität der menschlichen Individualität. So könnten
Du tauchst in die übersinnliche Umwelt unter, wie in ein Nichts hi-
wir den Engel in Wahrheit auch als einen Gedächtnisgeist bezeichnen. Al-
nein schwimmend .
so ist es einleuchtend, zu denken, dass wir immerhin diesem Wesen kon-
4. Alsdann ist es, wie wenn du aufwachtest, aber nicht aus dem Schlaf,
krete Fragen zu unserem Karma stellen könnten, wenn wir meditativ in
sondern aus etwas viel Realerem. In diesem Augenblick kannst du
das hinein schauen wollen, was unserer eigenen Vergangenheit ent-
dich sagen: Es war aber kein Schlaf, in dem ich jetzt war! Ich habe es
spricht. Dieser Gedächtnisengel wäre sozusagen das nächststehende We-
nicht so durchlebt, wie ich normalerweise im Schlaf mit dem Unter-
sen aus den Himmelsregionen, das uns auf dem meditativen Pfad, der
bewusstsein die Leere durchlebe. Es war total anders. Etwas ist im
auf wahrhaftige Rückerinnerung zuläuft, begleiten könnte.
meditativen Zeitraum passiert, wo ich anwesend war, und jetzt bin ich
So wirst du einerseits im Alltag dieses Wesen als Schutzengel weiter-
wieder vollwach. Es kamen in mein Bewusstsein bestimmte Erleb-
hin betrachten können. Andererseits tritt er in deiner Meditation aber als
nisse herein, die ich nicht voll bewusst erleben konnte, bei denen ich
Gedächtniswesen auf und wird dir dort nur insofern Schutz geben, als du
aber im Nachhinein sicher bin: Ich habe sie erlebt.
selbst eine gewisse Autonomie übernimmst, damit er freigestellt wird,
Das Geist-Erleben ist wie eine Erinnerung. Man erinnert sich an etwas,
dich gegebenenfalls selbst aus dieser seiner zweiten Position zu schützen
das man nicht mit dem alltäglichen Ich durchstanden hat, das man aber
oder dir jemand Anderen zur Seite zu geben. Wenn ich diese Tatsachen
mit dem, was aus dem Ich herausgelöst war, dennoch durchmachte.
durch Angaben von Rudolf Steiner zur Hilfe nehme, ergeben sich die
Nachher kommt es zuerst ins Bewusstsein herein. Man erlebt dasjenige,
folgenden Schritte:97
worauf man losgesteuert ist, was man zu schauen als Aufgabe sich ge-
1. In der Meditation stellst du dir also die Aufgabe, etwas Karmisches, ein
stellt hat. Wenn du dich nachher auf das besinnt, was vorher geschah,
Wesen oder einen Vorgang in der geistigen Welt zu beobachten. Du
stellst du fest: Ich habe etwas denkend durchlebt. Denkend hat nun
ziehst dich dadurch heraus aus der normalen Organisation zwischen
hier eine umfassendere Bedeutung als im Alltagsleben. Aus dem heuti-
der Seele und dem physischen Leib. Du benutzt bewusst gewählte Er-
gen Stand der Menschheitsevolution sind wir nicht reif genug, dasjenige
innerungen oder selbst geschaffene Bilder wie diejenigen mit der
zu erleben, was in der Meditation durchgemacht wird, währenddessen
Landschaft und der Hütte als Vorbereitung, als Brücke zum Geist-
wir in ein gewissermaßen relatives Bewusstsein untertauchen müssen.
Erleben.
Das können wir noch nicht durchdenken oder denkend miterleben.
Deswegen übernimmt ein anderes Wesen die Funktion unseres Den-
96 kens in der Zeit zwischen dem Untertauchen und dem Wiederauf-
Rudolf Steiner, Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen Geschehen, GA
190, Dornach 1980, Seite 53. Den griechisch-christlichen Begriff Angeloi be- tauchen. Du kannst also während der Meditation selber nicht normal
nutzte Steiner oft für das identische Wort Engel . denken. Du kannst dich nur hinterher erinnern, was ein Geistwesen in dir
97
Rudolf Steiner, Okkultes Lesen und okkultes Hören. Wie bekommt man das Sein in gedacht hat. Ein Engelwesen hat es gedacht, pointierte Rudolf Steiner.
die Ideenwelt hinein?, GA 156, Dornach 1987, Seite 53ff. Gegebenenfalls der Schutzengel denkt in uns drinnen, wenn wir richtig

168 169
meditieren. Ich weiß, in der Zwischenzeit bin ich mit meinem Engel
verwoben gewesen. Er hat für mich das Ausschlaggebende erlebt. Und
dadurch, dass er das erlebt hat, war das Bewusstsein herab gedrückt . So
wache ich auf und erinnere mich mit dem gewöhnlichen Gedankenerle-
ben an das, was der Engel in mir gerade erlebte. Der meditative Vor-
gang, wo der Engel in uns denkt, muss aber nicht in großen Zügen abge-
schlossen werden, ehe das Gedächtnis einsetzt, um das geistig Erlebte zu
begreifen. In ruckartigen Sequenzen kann ein eher zeitaufwändiges Ge-
schehen auch eingeordnet werden, wo etwa flüchtige Unterbrechungen
für das eigene Denken während des Meditierens eingehalten werden.
Das Schiff
Das folgende Motiv ist und bleibt ein wunderbarer Gegenstand. Die ers-
ten Worte, die mein ältester Sohn in schwedischer Sprache sprach, wa-
ren: Blå bil blaues Auto. Mit dem Begriff Automobil, Selbstbeweger,
ist das Motiv des gedachten Utensils illustriert. Ein solches Fahrzeug,
das sowohl dich als auch deinen Begleiter gewissermaßen in alle Rich-
tungen und bei jedem Wetter zu transportieren vermag, wird in dieser
meditativen Methode unentbehrlich sein. Es soll wie im norwegischen
Volksmärchen Die guten Helfer genauso gut übers Land wie übers Was-
ser fahren können. So entsteht ein derartiges Schiff, wie es auch in Mär-
chen anderer Länder vorkommt, beinahe wie von selbst. Die orientali-
sche Dichtungsart gibt mit dem Utensil des fliegenden Teppichs die gleiche
Wahrheit wieder.
In der anthroposophischen Terminologie von den Wesensgliedern des
Menschen bildet das Geistselbst, der durch Ich-Arbeit umgewandelte As-
tralleib, dieses übersinnliche mobile Fahrzeug am nächsten nach. Wenn
man seine sieben Hauptchakren bis zum untersten Wurzel- oder Basis-
chakra erkennt, ist die Imagination einer Strandebene oder eines Meeres-
grundes eine entsprechende Erscheinung in der Meditation. Dein Schiff
oder Boot, es könnte auch ein Wagen mit vier Rädern sein, gehört also
zur Ausrüstung deiner Hütte. Sein Ankerplatz befindet sich am Strand,
es besitzt ein eigenes Obdach mit Kai am Wasser oder eine Garage. Es
hat z. B. Segel , Ruder und die nötige Ausrüstung, die für geistige For-
schung erforderlich ist. Lasse den Engel, den Begleiter oder Reisekame-
raden das Schiff führen, so dass du in Ruhe die Umgebung beim Fahren
anschauen kannst.
Mache in kleineren Übungen verschiedene Ausfahrten in der näheren
oder weiteren Umgebung deiner gegenwärtigen inneren Region. Suche
auch Orte auf, die du nicht kennst, gucke, was dort geschieht, wem du
begegnest. Kehre aber nach einer solchen Reise in die Fremde immer zu-
170
rück zu deiner meditativen Heimat. Begrüße und verabschiede dich von
denen, die du triffst, und auch vom Gefährten und gehe in die Hütte zu-
rück, um dort eine Zeit zu weilen. Der Ausstieg aus der Bildmeditation
kann ansonsten immer stehend in der Landschaft in der Umgebung der
Hütte vorgenommen werden, weil dieser Blickwinkel mit dem Anfang
der dynamischen Karmameditation überein stimmt. Wenn du keine Ver-
trautheit mit Bootsfahrten, mit Segeln und mit dem Leben am Meer hast,
informiere dich durch Studien vor Ort, durch Literatur, Filme oder
Internet, so dass deine Kenntnis der Wirklichkeit dir sinngemäße Bilder
für die Meditation bringen kann, oder lies Märchen, Geschichten und
Romane, in denen Schiffe vorkommen. Die Haifische , der letzte Roman
des norwegischen Schriftstellers Jens Bjørneboe, ist eine schöne Darstel-
lung in dieser Richtung.
Die Insel in der Aura der Erde
Oft gehen wir unbewusst durch das Leben. Wir rennen nach immer neu-
en Erlebnissen. Wir legen sozusagen die schattenhaften Erinnerungen hin-
ter uns, etwa wie wenn wir der Sonne entgegen gehen und hinter uns
einen Schatten werfen. Ein geistig Aufgewachter verhält sich anders zu
seinen Erinnerungen. Er stellt sie quasi vor sich hin, er arbeitet meditativ
mit ihnen und macht sie durchsichtig für die objektive Erinnerung, für das
universelle Karma, das dahinter vorliegt.
Um uns herum, aber unsichtbar, existiert die kosmische Erinnerung,
in welcher auch dein individuelles Karma eingebettet ist. Das Karma ist
wie ein Lichtmeer um uns ausgebreitet, worin die meisten Menschen un-
bewusst eingebettet sind. Oder Karma ist wie eine Lichtatmosphäre,
worin sie herum flattern, ohne zu wissen, wer sie trägt. Aus diesen Ver-
gleichen wird es verständlich, dass es in den folgenden Karmaübungen
angemessen ist, in einer meditativ produzierten Geste wie nach oben
nach außen sich zu versetzen, um bewusst in das Karmische hinein zu
kommen.
Gemäß der zuvor zitierten Aussage von Steiner ist die Welt von Sei-
ten der Götter eine Vorratskammer voll Karma. Das heißt, dass Sterne,
Wolken, Sonne, Mond, Tiere, Pflanzen, Steine, Flüsse, Bäche, Ströme,
Felsen und Berge nur ein Ausdruck, ein Gleichnis dessen sind, was die
Schicksalsmächte uns als unser eigenes Karma vor Augen führen wollen.
Karma ist entweder das Werk meiner Vergangenheit, die Palette meiner
Zukunft oder beides zugleich. Wenn du so denkst, wirst du begreifen,
dass die Bilder, die du in der Meditation schaffst oder erhältst, auch aus
dieser Vorratskammer entnommen werden. Und du tust es, um wesen-
haft hinter die Bilder zu kommen und zum Kern des Karmas zu gelan-
171
gen. Und dieser Kern ist ein Teil deiner Individualität, der innerhalb der
Erdenleben wie ausgebreitet über die Erde gestreut ist, aber bis jetzt für
dich unsichtbar geblieben war.
Von der Hütte aus ist es möglich, ein neues Verhältnis zur ganzen
Erde zu bekommen. Durch die innere Beweglichkeit des Reisens an
jeglichen Ort schaffst du dir neue Horizonte. Du bemühst dich nicht nur
darum, Reisen nahe der Erdoberfläche zu machen, sondern es wird mög-
lich, vom physischen Leib seelisch-geistig weg zu fliegen und sich von
der Erde zu entfernen. Das Fliegen, das schon in atlantischer Zeit eine
Realität war und wieder neu durch technische Mittel der modernen Zivi-
lisation hervorgebracht wurde, scheint eine Materialisation der Möglich-
keiten des Menschengeistes zu sein.
So wie du mit dem Bau der Hütte eine Manifestation des Ausgangs-
punkts für innere Reisen auf der unteren, naturähnlichen Erdebene aus-
führst, so kannst du auf einer darüber liegenden Wolken- oder atmosphä-
rischen Ebene auch eine weitere Basis für seelisch-geistige Erforschungen
errichten. Es beginnt dann eine Reise mit dem Engel oder dem Reise-
kameraden in diesem Schiff über die Erde hin, über ihre Kontinente
hinaus, und man versucht zu erleben, wie es sich anfühlt, sich in der
Erdenaura zu bewegen. Welche Farben und Konfigurationen nimmst du
wahr? Wie sieht es nach unten zu aus, ins Weite und nach oben hin?
Erinnere dich an Landkarten, an Sternenkarten und Reisen im Flugzeug,
die dir gewiss wunderbare Wolkenlandschaften gezeigt haben. Wie fühlt
es sich an, im Wolkenkuckucksland ein König seines Ichs zu sein?
Halte Ausschau nach einer Insel im Meer der Erdenaura. Finde sie
und steige dort ans Land. Wie sieht es hier aus? An welche Landschaft
erinnert sie? Hier ist es nicht mehr passend, zu meinen, dass du dich auf
der Erde befindest. Du bist vorderhand innerhalb eines Schaffens-Fanta-
sie-Gebildes, das dir vorübergehend die innere Sicherheit verschaffen
soll, bis du genügend Mut und Kraft entwickelt hast, die reale imaginati-
ve Welt zu betreten , die um dich herum unsichtbar ausgebreitet ist.
Gehe mit dem Engel über diesen Inselgrund und kundschafte ihn aus,
wie du es vorher unten auf der Erde getan hast.
Das Urbild der Individualität
Auf der Geistinsel wirst du eine imaginative Wiedergabe deiner Indivi-
dualität finden. Wieso? Es ist, weil du die eigene Individualität, dein
höheres Ich, einmal gerne von außen anschauen kannst, um zu lernen,
wer du bist, wie du geschaffen bist. Stelle dir vor, dass du ein Gebilde
siehst, eine Formation, einen Gegenstand, welcher ein Abbild ist dessen,
was auf der Erde als Mineralisches, Pflanzliches oder Künstlerisches vor-
172
kommt. Die eigentümlichsten, wunderbarsten oder einfachsten Dinge
wurden in diesem Moment der Meditation von Menschen geschaut, er-
lebt oder erahnt. Um der Klarheit halber sollst du bei dieser Aufgabe
Tierformen, Menschengestalten oder Bilder von Engeln und höheren
Wesen bestmöglich vermeiden. Es ist einfach interessant, zu verfolgen,
welche Motive dann hier auftauchen können.
Einer, mit dem ich gearbeitet habe, befand sich plötzlich in einer
Grotte, die einer Druse ähnelte, angefüllt von violetten Edelsteinen. Ein
Anderer sah eine Quelle, die aus einem Felsen hervor quoll. Ein Dritter
stand vor einem Geysir, aber zugleich nahm er einen riesigen Eiszapfen
wahr, also ein Doppelmotiv, das die Spannweite der Ausdrucksfähigkeit
des Wassers zwischen Wärme und Kälte zeigt. Ein Vierter erblickte sich
als Flusslauf, ein Fünfter sah eine blaue Blume auf einer Wiese, ein
Sechster eine Birke, ein Siebter einen Riesenbaum im Urwald usw. Eine
Frau erlebte sich als Rosentor, eine andere Frau als Gartenhaus. Jemand
erkannte sich als Obelisk, jemand Anderer als eine Brücke. So entstehen
die verschiedensten Bilder oder Imaginationen, die bedeutsame Aspekte
der eigenen Individualität ausdrücken.
Die Frau mit dem Rosentor konnte ihr Bild in unzähligen Variationen
in ihrem jetzigen Leben wiederfinden. Erstens ist sie sehr sozial, indem
sie für andere Menschen immer gesorgt hat. Sie erinnerte sich stets in
sozialen Zusammenhängen stehend, in denen sie fürsorglich für Ande-
re wirkte, sei es für ihre eigenen Kinder oder in der Tätigkeit im Kreis
der Pensionäre. Darüber hinaus schaffte sie es, über Jahre hinweg eine
sonst unlenkbare Dreierbeziehung immer mehr gelassen mit zu tragen.
Das Rosentor drückt also die Fähigkeit einer Individualität aus, für An-
dere ein angenehmer Durchgang zu sein. In ähnlicher Weise wirst du
dein eigenes Motiv und Hauptthema finden, so dass du während des
geistigen Erlebens wissen kannst, wie du bist, wie du auf deine Umwelt
wirkst.
In einem weiteren Fall erlebte ein junger Mann, dass er sich keines-
falls mit einem definierbaren Gegenstand identifizieren konnte. Er
schwebte und bewegte sich innerhalb einer Art musikalischer Geometrie.
Ein anderer Mann fühlte sich anwesend als Berührungsqualität zwischen
zwei Flächen, was zunächst schwierig in Worte zu fassen war, aber er
selbst wusste genau, was er damit anfangen sollte.
In einem Seminar erzählte eine ältere Dame, dass sie innerhalb der
Übung nichts gesehen habe. Sie hatte einfach begonnen, über eine Birke
in ihrem Garten nachzudenken. Beim Nachfragen hinterher fing sie an,
eine der wunderbarsten, amüsantesten Betrachtungen, die ich je gehört
hatte, über die Birke als solche zu erzählen. Im Nachhinein stand für alle
Teilnehmer, auch für sie selber fest, dass sie demzufolge in der Birke ein
Urbild ihrer Individualität gefunden hatte. So besteht die Aufgabe zuerst
173
darin, ein Erlebnis zu bekommen, das allmählich bei weiteren Besuchen
auf der Insel sich erweitern, verdeutlichen oder verändern kann.
Bei den Besuchen auf der Geistinsel und der Auffindung des Urbildes
ist es angebracht, sich mit dem Gebilde zu identifizieren, damit erlebbar
wird, wie es sich anfühlt, z. B. eine Quelle zu sein. Das Strömen des
Wassers aus dem Dunkel der Erde und das Hinaufdrängen ans Licht in
der Luft soll erlebt und nachempfunden werden. Die Temperatur des
Wassers, die Plastizität, die Fügsamkeit, die Tropfenbildung usw. sind
Qualitäten, die erlebt werden können und sollen. Man steigt ins Wasser,
legt sich in die Blume, stellt sich in den Baum, lässt jemanden durch das
Tor gehen, und man identifiziert sich mit den Stoffen, Grundelementen
und Eigenschaften des Gebildes. Solche Gleichnisse über das höhere
Selbst des Menschen, die wir als subjektive Imaginationen erleben, sind
für die hierarchischen Wesen die Objekte ihrer Umwelt, aus welchen sie
Weltgedanken schöpfen.
Die Umstülpung des normalen Punktbewusstseins
Es kann nicht genug pointiert werden, dass allmählich das Bewusstsein
in der Meditation anders sein wird als im normalen Bewusstsein, wo
man sich meistens quasi als ein Punkt-Ich im Körper erlebt, aus welchem
die Umwelt mit ihren Erscheinungen beobachtet und verstanden wird.
Die neue Rezeptionsart wird entweder langsam eintreten oder auch in
einem überraschenden Augenblick erlebt werden, in welchem du deines
Ich neu und anders gewahr wirst. Wenn ich im Fortlauf der Übungen
immerhin so die Sachen beschreibe, als wären sie aus einem Blickwinkel
betrachtet oder erlebt worden, musst du immer beachten, dass allerdings
noch andere Gesichtspunkte denkbar sind, die manchmal gerade nicht
besprochen werden, weil die erwähnte Angabe für mich erst einmal die
meist Bezeugte ist.
In dem Moment, wo du in die imaginative Welt eintrittst und dein Ich
bildhaft siehst, kannst du begreifen, dass eigentlich zwölf verschiedene
Bildauffassungen des Ich gleichzeitig wie in einem Panorama geschaut
werden können oder dass sie im Laufe der weiteren meditativen Arbeit
für dich auffindbar werden können. So wie die Sonne durch die zwölf
Sternbilder geht und in jedem astronomische Bild eine andere Kraft be-
kommt und von zwölf verschiedenen Standpunkten aus unsere Erde er-
hellt, wird auch das menschliche Ich aus zwölf verschiedenen Gesinnun-
gen sich selbst erkennen können, wenn es auf Erdenphänomene wie z. B.
die eigenen physischen Leiber mit ihren Organen zurückblickt aus der
imaginativen Welt. So wäre es bei den Übungen zur Geistinsel wohl an-
gebracht, sich zwölf Inseln zu denken, die je ein anderes Thema oder
174
Bild des Ich wiedergeben könnten. Wenn das Ich-Erlebnis allmählich
sich so verstärkt, dass eine solche Ausdehnung zu einer Zwölfheit wahr-
genommen werden kann, was zuerst ein Raumerlebnis ist, wird eine wei-
tere Intensivierung des Ich kommen, so dass auch die Zeit neu ergriffen
werden kann. Das ganze Leben, das Punktuelle in den Ich-Erlebnissen
der eigenen Biographie können wie im Fluge gleichzeitig überschaut und
kraftvoll erlebt werden. Dieses Motiv habe ich im ersten Buch an das
Thema Initiationsmärchen* geknüpft.
Unten werde ich die Aufgabe des Ich-Wandels noch einmal veran-
schaulichen, und im Teil 7 und 8 werden einige dieser Fragen in einem
bestimmten Übungszusammenhang nochmals aufgegriffen. Auch im ers-
ten Buch habe ich diesen Umschwung in einem Aspekt, was das Denken
betrifft, in Bezug zu mir selbst beschrieben. Rudolf Steiner hat einmal
gesagt, dass man das wahre Ich nur sehen kann durch den Rückblick in
eine frühere Inkarnation.98 Dieser Feststellung folgend, wäre es also
plausibel, dass man sich mit den Fragen des höheren, wahren, eigent-
lichen Ich befasst, bevor man die karmische Rückerinnerung sucht.
Wenn in dem hellseherischen Bewusstsein die Imagination beginnt,
wenn aus dem Dunkel des geistigen Daseins die ersten Eindrücke her-
auftauchen, so sind diese Eindrücke in ihrer Qualität, in ihrer ganzen
Wesenheit sehr ähnlich jenem Seeleninhalt, der als Gedächtnisschatz
in uns ist. Wie Erinnerungsbilder, aber jetzt doch wiederum wie etwas
unendlich viel Geistigeres, treten die Offenbarungen aus der geistigen
Welt bei uns auf, wenn wir mit dem hellseherischen Bewusstsein
wahrzunehmen beginnen.99
Diese Belegstelle von Steiner zeigt uns auf der einen Seite wiederum, wie
wir uns durch Gedächtnisarbeit eine Ahnung verschaffen können, wie
die Qualität des karmischen Rückblicks geartet ist. Auf der anderen Seite
jedoch müssen wir eine Aufmerksamkeit bereit haben, dass das Geistige
uns auch mit erstmaligen, total neuen Erlebnisqualitäten begegnen wird.
Gegenüber dem Erleben mit den physischen Sinnen innerhalb des Leibes
hat das geistige Erleben mit übersinnlichen Organen im Astralleib etwas
völlig Fremdartiges. Das, was wir als die gewöhnliche Idee des Seins,
wie sie in der physischen Welt erworben wird, verliert ihre ganze Bedeu-
tung. Es gibt im Geistigen nichts Bestehendes wie in der physischen
Welt. Im Geiste ist alles Werden und im Entstehen. Steiner charakteri-
siert dieser Sachverhalt, der letztlich ein geistiges Gesetz ist, folgender-
maßen:
98
Rudolf Steiner, Heilpädagogischer Kurs, GA 317, Dornach 1979, Seite 183f.
99
Rudolf Steiner, Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Ge-
burt, GA 153, Dornach 1978, Seite 91f.
175
 Das Einleben in eine geistige Umwelt ist ein Einleben in ein immer-
währendes Werden. Dieser Unruhe des Werdens der geistigen Außen-
welt steht aber gegenüber das Erleben des Inneren, das sich als ruhen-
des Bewusstsein innerhalb der nie ruhenden Bewegung, in die es ver-
setzt ist, wahrnimmt. Das erwachte geistige Bewusstsein muss sich in
diese Umkehrung des inneren Erlebens gegenüber dem Bewusstsein,
das im Leibe lebt, hineinfinden. Dadurch kann es sich ein wirkliches
Wissen von einem leibfreien Erleben erringen. Und nur ein solches
Wissen kann die Zustände zwischen Tod und neuer Geburt in seinen
Bereich aufnehmen.100
So müssen alle imaginativen Eindrücke und Dinge , die in der Medita-
tion wahrgenommen, erlebt und geschaut werden, nie als etwas Fertiges
fixiert werden. Die geistige Phänomene können auch in anderer Prägung
erscheinen, je nach Zeitpunkt und Wesensart des sich Herantastens des
betreffenden Geistesforschers. Diese Beschaffenheiten einer wahren Ima-
gination immer aufs Neue zu beschreiben, sehe ich als eine der schöns-
ten und wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben, wenn man geis-
tige Erfahrungen erhält und übersinnliche Forschung entwickeln will.
Erforderliche Vorbereitungen zur Karmaschau
und weitere Engelaspekte
Wenn du in eine Meditation gehst, die zum Zweck hat, eine Karma-
schau zu erfragen, muss zu Beginn eine ernsthafte Bereitschaft dazu er-
worben worden sein. Sie kann sowohl vor der Meditation wie auch in-
nerhalb derselben bewusst gemacht werden. In dieser ersten Reihe der
Karmaforschung sollen am besten soziale Beziehungen zu anderen Indivi-
dualitäten, die du als Persönlichkeiten in deinem jetzigen Leben kennen
gelernt hast, erforscht werden. So ist es sinnvoll, sie zuvor durch Erinne-
rungsarbeit betrachtet zu haben, gemäß den Übungen, die im 2. Teil be-
schrieben wurden. Es ist auch möglich, jemanden bildhaft neben sich
mitzunehmen, als würde man ihn als Gast in der Hütte, als Gefährten im
Schiff dabei haben. Du kannst auch Versuche ansetzen, in denen du dich
an seinen Engel wendest oder du versuchst, in der Erdenaura auf seiner
Geistinsel das Urbild seiner Individualität zu erblicken.
Es könnte das Bedenken bestehen, dass es nicht erlaubt wäre, Karma-
forschung über andere Menschen zu betreiben, wenn man vorangehend
sie darum nicht direkt gefragt hat. Ich kenne kein geistiges Gesetz, der
uns verbietet, das zu tun. Nur solltest du in deinem Vorhaben nieman-
100
Rudolf Steiner, Philosophie und Anthroposophie, GA 35, Dornach 1965, Seite
287.
176
dem Zutritt erlauben, der dafür kein Verständnis hat. Also muss totale
Diskretion und klassische Schweigepflicht herrschen, wenn die Karmaarbeit
nicht in Freundeskreisen läuft, wo die Möglichkeit besteht, sich liebens-
würdig auszutauschen und offen über alles zu sprechen. Als ich anfing,
von meinem Umgang mit Steiners Karmaübungen und meinen früheren
Leben zu erzählen, hegte ich noch die Illusion, dass alle anthroposophi-
schen Zuhörer zu meinen lieben Freunden gehörten. Ebenso wurden sie
in Vorträgen ja angesprochen. Die Wirklichkeit zeigte aber, dass viele
Persönlichkeiten selbst konträr über Karma und Austausch von medita-
tiven Inhalten dachten.
Es hängt von der vorbereitenden Biografiearbeit ab, wie diese erste
Karmaforschung angegangen wird. Entweder untersuchst du karmische
Elemente, die dich individuell betreffen: du kannst Fähigkeiten oder Un-
fähigkeiten, Mängel und Schwächen und sonstigen seelischen oder kör-
perlichen Eigenheiten auf die Spur kommen, um zu verfolgen, wie sie als
Anlage in einem früheren Leben vorbereitet wurden. Du kannst aber
auch guten oder schwierigen Beziehungen nachgehen, um herauszufin-
den, was sie dir schuldig geworden sind oder wie du ihnen verpflichtet
bist. Das, was man aus einem eventuellen früheren Leben schaut, kann
dann ein Licht auf das werfen, was heute zu tun sein könnte. Es kann
eventuell erkannt werden, dass bestimmte karmische Aufgaben mit den
Mitmenschen auszugleichen sind, dass quasi Folgetaten noch zu erwarten
sind.
Auf dieser Stufe der Meditation machst du deinem Engel in der Hütte
klar, dass eine Reise bevorsteht, die in die Vergangenheit gehen soll.
Oben auf der Insel des höheren Selbst nimmst du außerdem eine sepa-
rate Entscheidungshandlung vor. Du überlegst inmitten der Meditation, ob
du in diesem Augenblick deines Lebens wirklich bereit bist, eine karmische
Wahrheit zu ertragen. Du vermittelst dann deinem Engel deinen Ent-
schluss. Diese freie Tat ist wichtig, damit du in dir den Mut erweckst,
überzeugend selbst zu handeln. Die Vorbereitungen zur Karmaschau
durch Erinnerungen an das vorhandene Leben müssen vor oder inmitten
der Meditation wieder gelöscht, zum totalen Stillstand gebracht werden,
ehe du den Rückblick in ein früheres Leben beginnst. Du kannst diesen
notwendigen Entschluss als ein Erwirken des totalen Bewusstseinsschlafes
gegenüber dem Alltag durch den eigenen Willen verstehen. Die Ent-
scheidung ist eine freie Geistestat des Ich, die den Innenraum schafft,
dass ein neues, hellsichtiges Bewusstsein aufflammen kann.
Die Erinnerungsinhalte sollen zurück gelassen werden. Die Fähig-
keit des Gedächtnisses wird jedoch als Nachklang fortwirken, damit eine
Kontinuität des Selbstgewahrseins besteht. Du wirst deshalb immerfort
wissen, dass du derselbe bist, aber keine Lebenserinnerungszeichen sol-
len für die karmische Rückerinnerung im Wege stehen. Ein bewusst her-
177
beigeführtes Beseitigen von allen normalen Gedächtniszetteln weckt das
höhere Ich wie einen Phönix aus der Asche zur Entfaltung auf. So
gesehen können die weiteren karmischen Imaginationen auch als wahre
Mitteilungen des eigenen höheren Ich, das im Schoß der höheren Hie-
rarchien gehütet wird, verstanden werden. Karmisches Hellsehen als Er-
weiterung des Seelenlebens holen sie aus dem Zeitlosen herüber. Dein
Engel und andere Helfer und Hüter sind natürlich für dich da, jedoch
nur du selbst in deinem Ich-Wesen vermagst die Verantwortung gegen-
über dem zu tragen, was dir wegen eventueller Erscheinungen und Er-
kenntnisschmerzen widerfahren könnte. Bestimmt kannst du ihnen im-
mer Fragen stellen und vorher um Hinweise beten, wie du dich innerhalb
des Forschungsvorgangs zu verhalten hast. So können auch manchmal
Stimmungen und Gefühle entstehen, die als Mahnung, Warnung oder
Anweisung zur Vorsicht verstanden werden wollen.
In ihrer Stellung zum Engel haben viele Meditierende erfahren, dass
es so scheint, als ob er immer bereits wüsste, was man vorhat oder was
man demnächst fragen möchte. Dieser Tatbestand soll einen nicht davon
abhalten, sich mit ihm über alle Vorhaben dennoch menschlich zu be-
raten. Dein Gedächtnisengel lebt in einem noch höheren Bewusstsein,
als du es derzeitig erwerben kannst, und diese Tatsache erscheint im
imaginativen Bereich manchmal so, dass er wie ein Allwissender auftritt
oder wie unbeteiligt da steht. Doch ist er in Wirklichkeit immer hand-
lungsbereit und freundlich. Mit der Zeit wirst du vermehrt eine solche
Andersartigkeit der Geistzustände kennen lernen und die entsprechende
Kommunikationsform mit ihm und mit den präsenten Geistwesen
finden.
Es könnte unter Umständen sein, dass der eigene Schutzengel nicht
derjenige ist oder der geeignete ist, der die Begleiterfunktion in der Kar-
mameditation zu übernehmen hat. Wenn das der Fall wäre, würdest du
es höchstwahrscheinlich erkennen und die Gründe für diesen Umstand
auch erforschen können. Rudolf Steiner hat außerdem genaue Gesichts-
punkte gegeben, warum schon im Hochmittelalter das Karma der gan-
zen Menschheit in Unordnung kam, mit der Folge, dass eine Disharmo-
nie in der zum Erzengel Michael gehörenden Rangordnung der Engel-
wesen eintrat.101 Auf dem achten ökumenischen Konzil in Konstanti-
nopel im Jahre 869 erhoben die römisch gesinnten Kirchenväter nämlich
zum Dogma, dass der Mensch nur aus Leib und Seele besteht. In der
westlichen Kirche wurde seitdem dem Geist keine Selbständigkeit mehr
zugemessen. Der Geist im Menschen wurde für das allgemeine Bewusst-
sein der abendländischen Welt quasi abgeschafft .
101
Vergleiche: Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhän-
ge, Band III, GA 237, Seite 179f.
178
Damit begann nicht nur auf Erden ein Schisma in der Christenheit,
das bis heute ihre Konsequenzen nach sich zieht, sondern auch in der
geistigen Welt konnten die Schutzengel der Menschen in den folgenden
Erdenleben nicht mehr alle Erlebnisse richtig in das Karma hinein stel-
len, weil sie die menschliche Freiheit zu respektieren haben, auch wenn
jemand seinen Geist, in welchem sein Karma wurzelt, verkennt. Im Be-
richt über den Geisteskampf des protestantischen Reformators im 7. Teil wer-
de ich diesen komplizierten Sachverhalt mit einem Beispiel ein bisschen
beleuchten.
In der Arbeit mit der Engelfrage wirst du also herausfinden, ob ein
weiterer Engel als dein besonderer Meditationsengel hinzutreten würde.
Jeder Mensch steht während der Menschheitsevolution mit mehreren
Wesen aus den Rangordnungen der Engel in innigster Berührung . Die-
se Tatsache fasst ein altes norwegisches Abendlied zusammen, in dem es
heißt, dass vierzehn Engel um das Bett des Kindes stehen . So dürfte
kein Hindernis aufkommen, wenn der eigene Schutzengel aus noch nicht
erkannten, unter Umständen alten karmischen Problemen eine medita-
tive Arbeit gegenwärtig nicht unterstützen würde oder könnte. Das
Zusammensein mit einem Engel in der imaginativen, selbst durchleuch-
tenden Innenwelt wird sich allmählich so steigern, dass man sich ihm
ganz hingeben kann. Man traut sich, das Wirken des Engels aufzuneh-
men, als würde er in einem alles vermitteln, was als Bewusstsein in ei-
nem lebt.
Verglichen mit der Kunst der Schriftstellerei, erscheinst du im karmi-
schen Hellsehen, während der Imagination, als ein okkulter Schreiber, der
alles das notiert, was der Engel dir wahrhaftig diktiert .102 Es ist aber so,
dass man zuerst das innere Schreiben angefangen haben muss, ehe der
Engel etwas aushändigt . Diese Umkehrung der Dinge wirst du als Aus-
druck einer geistigen Gesetzmäßigkeit entdecken.
Hier muss ich noch darauf hinweisen, dass es nie sicher ist, dass die
vorbereitende Erinnerung an Themen oder Personen, die zur Unter-
suchung stehen, zu karmischen Imaginationen oder Motive in früheren
Leben führen, die direkt damit zu tun haben. Es können oft ganz andere
Motive auftauchen, die mit Menschen und Ereignissen aus dem Jetzigen
zusammen hängen, die überhaupt nicht bedacht worden sind. Trotzdem
ist die biografische Vorbereitung wichtig, da es sich später herausstellen
kann, wie mehrere Motive miteinander zusammen hängen, oder es zeigt
sich nötig, ein anderes Motiv zuerst auszuarbeiten, um eine Grundlage
zu schaffen, so dass man mit den karmischen Hintergrund des Erfragten
besser umgehen wird. Auch in dieser Hinsicht lernen wir die Bedacht-
102
Vgl.: Rudolf Steiner, Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt, GA
154, Dornach 1973, Seite 14.
179
samkeit höherer Wesen kennen, die hinter unseren meditativen Kulissen
alles besser überschauen als wir selbst.
Zeit als Raumerlebnis
Bisher hast du dich zumeist in den Übungen und Meditationen als
Raumgestalt, als eine Figur neben anderen Gestalten und Formen ge-
schaut und erlebt. Fortan jedoch entsteht die Aufgabe, sich mehr und
mehr als ein Zeitwesen zu erleben. Das bedeutet, einen markanten inne-
ren Schritt zu vollziehen, um das Figurale vorübergehend abzulegen, so
dass du in den künftig entstehenden Situationen während der Meditation
immer neue Gestalten annehmen kannst und dich in verschiedenen Ge-
stalten und Zuständen zu erkennen vermagst, wobei gleichzeitig das ei-
gene Ich-Wesen als der Forschende und Schauende dabei ist. Es soll eine
zumindest vordergründig widersprüchliche Existenz geschaffen wer-
den, wobei die Aufgabe darin besteht, dass man einerseits gewisserma-
ßen auseinanderklappt , aber gleichzeitig in sich einheitlich bleibt.
Parallel zu deiner Rolle als gegenwärtig Forschender soll dein Ich-
Erlebnis, deine Ich-Erfahrung einheitlich und ungebrochen auch in dem
erhalten bleiben, was du als vergangene Persönlichkeit der einstigen In-
karnation erneut gegenwärtig wieder erlebst. Und in dem Annehmen des
Vergangenen wirst du dich auch mit einer künftigen Erscheinungsform
identifizieren können. So wird allmählich aus der vertrauten, fixierten
Raumpersönlichkeit eine neue, differenzierte Zeitpersönlichkeit aus den
Karmameditationen heranwachsen. Welche ernsthaften Folgen dies
möglicherweise für das Alltagsleben bringen wird, werde ich später be-
handeln. Oben auf der Geistinsel kannst du versuchen, das verstandes-
mäßige Gebundensein an die Schwerkraft zu überwinden, das heißt, es
ist möglich, Unten und Oben zu vertauschen. Statt über dir Himmel und
unten Erde zu denken, kannst du sie beide umgekehrt erfassen, so dass
die Erde als Himmelsgebilde erscheint, zu dem du nach oben hin-
schaust, das bedeutet, dass die Insel, umgekehrt als vorher beschrieben,
ihre Oberfläche gegen die Erde zeigt.
Bei einem Hingehen in die Vergangenheit kann es aber vorerst ver-
trauter sein, die Erde unter sich zu denken. Nun sollst du sie dir so den-
ken, dass sie ganz und gar so erscheint, wie sie einmal gewesen ist. Es ist
alsdann nicht mehr die Gegenwartserde da unten, sondern es wird eine
Erde sichtbar werden müssen aus einer bestimmten Zeit mit den Be-
gebenheiten, die in Wirklichkeit zu einem deiner früheren Leben gehör-
ten. Diese Erscheinungen sollten sich jetzt vor deinem inneren Blick aus-
breiten, weil du darum bittest. So nimmst du dir vor, dorthin zu gehen ,
zu sausen , zu fliegen , zu fahren , zu fallen oder nieder zu sinken .
180
Beim Erwachen auf der Erde in einer Vergangenheit kannst du unter-
schiedliche Vorgehensweisen durchführen. Nahe liegend ist es, eine Sze-
ne aufzubauen, bei der du von deinem Individualitätsurbild ausgehst, in-
dem du dich an einen Ort oder in ein Element versetzt, das diesem ent-
spricht.
Jetzt werde ich aber ein Verfahren beschreiben, das ich am meisten
bei den Anfängern benutzt habe und welches sich als fundiert und erfolg-
reich bewährt hat. Bei der weiteren Arbeit in der Karmameditation darfst
du auch den Engel als allgegenwärtig anwesend denken. Stelle ihn dir
präsent, aber in den Imaginationen der Vergangenheit besser nicht als
sichtbaren Begleiter vor, damit er dir bei auftretenden Fragen und Pro-
blemen mit Ermunterungen und Ratschlägen zur Seite stehen kann.
Aus dem Schlaf aufwachen
Stell dir vor, da unten auf der vergangenen Erde sei es Nacht. Tritt in
das Dunkel hinein und erlebe die Stille. Es naht ein neuer Tag heran und
im Osten wird die Sonne bald aufsteigen. Schwebe als reines Bewusst-
sein, als Geist über eine nicht definierte Landschaft. Beobachte, wie zu
dieser Morgenstunde die Vögel auch in diesen Zeitverhältnissen zu singen
und zu jubilieren anfangen. Folge einem Singvogel, einer Taube oder ei-
ner Krähe, die zu einer Siedlung, einem Dorf oder über eine Stadt fliegt.
Verweile eine Zeit in diesem schwebenden, undifferenzierten Zustand, bis
du eine Orientierung über landschaftliche Motive erhalten hast. Suche
wieder die Himmelsrichtungen und stelle dir Fragen wie die folgende:
Wie weit ist es zum nächsten Fluss? Wo sind die nächsten Hochgebirge?
Wo ist ein Weltmeer? Wo ist die nächstliegende historische Stadt? Warte
ruhig ab, bis eventuelle Beantwortungen wie aus dem Umkreis sich nä-
hern oder herauskristallisieren.
Denke dir, dass du einer der Menschen bist, die hier an diesem Ort, in
dieser Siedlung bald aus dem Schlaf aufwachen werden. Folge einen Vo-
gel, der sich auf einem Dach hinsetzt, und suche gleichsam einen Men-
schen auf oder lasse dir von deinem Engel jemanden zeigen, der schläft.
Denke, dass sein Leib damals dir hätte gehören können. Erlebe dann,
dass du gerade als dieser Mensch in der liegenden Position die Augen
aufschlägst, dass du aufwachst. Orientiere dich nach dem Aufwachen.
Wo befindest du dich? In einem Bett, in einer Hängematte, auf einer
Chaiselongue, auf einer Liege, auf einem Diwan, im Gras? Bist du drin-
nen oder draußen? Weilst du in einem Dormitorium, einem Zimmer,
einer Hütte, einem Zelt, in einem Iglu? Bist du allein oder mit jemandem
zusammen? Gib diesen Fragen sofort, aber anspruchslos eine Antwort
und lasse aus den Antworten das nächste folgerichtige Ereignis kommen,
181
bis eine Geschichte entsteht, die du Schritt für Schritt, Ereignis für Ereig-
nis aufdeckst. Wenn du dich anfangs für einen bestimmten Faden oder
Themenkreis entschlossen hast, müssen analog dazu alle folgenden De-
tails und Gegebenheiten entstehen, weil in allen Ereignissen immer eine
ausnahmslose sinnliche Ordnung und einen gesellschaftlichen Konse-
quenz geherrscht haben.
Falls du nicht weiter kommst oder erlebst, dass der Faden verloren ist,
oder du das Gefühl bekommst, nur zu spinnen , gehst du zurück und
greifst einen anderen Faden auf, der am Ausgangspunkt vielleicht da war
oder noch als stimmig erlebt werden kann. Es sollte innerhalb des imagi-
nativen Geschehens möglichst nicht über die aufkommenden Zusammen-
hänge mit aktivem Verstand geurteilt werden, sondern erst im Nach-
hinein darf man das ausreichend tun. Ein wirkliches Geistesverständnis
kannst du auf keine andere Weise bewirken, als dass ein Phänomen im-
mer auf Anderes hinweist, deswegen musst du dich zunächst in das An-
wesende einleben und gucken, wie es weiter geht .
Wenn du diesen einen Tag mitsamt seinen verschiedenen Abenteuern
und Begebnissen hindurch bis zum Abend und dem erneuten Schlafen-
gehen verfolgt und gemeistert hast, gehst du alle Stufen über die Insel,
die Hütte und die Landschaft zurück und schließt somit gebührend deine
erste Karmameditation ab. Wie der Rückgang aus der Karmaschau ge-
nauer erfolgt, werde ich noch unten mit seinen folgerichtigen Schritten
beschreiben.
Die Werkzeuge der vier Elemente
Eine andere Methode, einen Anfang innerhalb der Karmaschau zu fin-
den, geht wie folgt: Nachdem du das Schiff auf der Erdenaurainsel ver-
lassen und das Urbild besucht hast und anschließend in einem eventuell
ausdruckslosen Wechsel oder ruhigen, entleerten Zwischenzustand ver-
weilt hast, sagst du dir, dass du schon mittendrin in einer entsprechenden
karmischen Situation auf der Erde stehst. Dabei hast du die folgenden
Rahmenbedingungen bereits geschaffen. Sie befasst sich mit den vier Ele-
menten Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Beschäftige dich mit dem Boden, auf dem du stehst. Wie fühlt er sich
an? Ist er aus Gras, Sand, Kies, Pflaster, Lehm, Holz, Beton? Hast du
eine Fußbekleidung an, Schuhe, Stiefel, Sandalen, oder bist du barfuß?
Fange an, nach vorne zu gehen. Ist der Boden eben oder schräg? Falls er
schräg ist, gehst du den Hang hinab oder hinauf? Ist da eine Treppe? Bist
du drinnen oder draußen? Berühre mit einer Hand etwas in deiner Nähe.
Vielleicht trägst du etwas? Was kannst du solcherart ertasten oder an-
fassen?
182
Bewege dich weiter und erfahre die Umgebung. Stelle fest, ob du
allein bist oder andere Menschen dabei sind. Wenn keine da sind, gehe
weiter, bis du jemandem begegnest. Wer ist es? Wie kannst du dich bis
jetzt einschätzen? Wie siehst du aus? Welche Kleider hast du an? Bist du
weiblich oder männlich? Wie sieht der Andere aus? Ist es eine Frau oder
ein Mann? Überlege, wie hoch dein Alter sein mag und das des Anderen
ist. Lasse dann das Motiv des Wassers zum Vorschein kommen. Soll
möglicherweise etwas getrunken werden? Werden Wasser oder andere
Getränke gebraucht? Sind Gefäße vorhanden? Gibt es einen Bach, einen
Teich, einen Brunnen? Wird gewaschen oder gebadet? Oder befindest du
dich am Meer? Sind Schiffe zu sehen? Wie ist das Wetter? Scheint die
Sonne oder regnet es?
Nun soll eine Änderung des Aufenthaltsortes geschehen. Von außen
aus der Ferne erscheint jemand oder es kommen mehrere Menschen.
Vielleicht sind es auch nur Tiere. Eventuell droht eine Gefahr? Oder eine
Botschaft wird überbracht und bewirkt, dass du in die Lage kommst, zu
einem zweiten Ort gelangen zu müssen. Wie unternimmst du die Wan-
derung, die Reise, die Überfahrt? Musst du fliehen? Wird gelaufen, gerit-
ten, gefahren? Reist du allein oder mit jemandem zusammen? Wie ist die
Luft? Wie lange dauert die Reise? Was geschieht auf dem Weg? Viel-
leicht erreichst du den neuen Ort ohne allzu dramatische Umstände. Du
wirst irgendwo bewirtet. Ist es ein Lagerplatz? Ein Dorf? Eine Stadt?
Kommst du zu einer Gaststätte, zu fremden Menschen oder zu lieben
Bekannten?
Gehen wir nun zu dem Motiv mit dem Feuer. Worin besteht es?
Siehst du eine Feuerstelle, einen Ofen, Fackeln, Öllampen, Kerzen? Lass
die äußere Wärmequelle sich zurückziehen und tritt in andere Wärme-
oder Lichtmotive ein. Haben sie zu tun mit wärmender Kleidung, so-
zialer Wärme, einem wärmenden Gespräch? Lass eine Stimmung der
Ruhe und des Friedens aus der Innigkeit der Wärme entstehen. Verweile
in diesem Frohsinn einige Minuten.
Tritt dann aus der imaginativen Bilderfolge und nimm dankbar wieder
Kontakt mit dem Engel auf. Geh mit ihm zurück zur Insel, zur Zwi-
schenstation. Suche dein Urbild auf. Falls erwünscht, bewege hier Fra-
gen an das Geschehene, aber lebe eher in dem Erklingen und Abklingen
der erlebten Gefühle als in neuen Gedanken, die aufkommen könnten.
Fahre dann im Schiff, das auf der Insel stationiert war, zurück zur Hütte,
betreibe die nötige Nacharbeit dort, die unten noch beschrieben werden
soll, nimm von den Reisekameraden Abschied, bedanke dich und ver-
weile etwas in der Landschaft, bevor du die Meditation mit einem
Spruch beschließt.
183
 Das Beobachterbewusstsein
Wenn wir träumen, haben wir gewöhnlich nicht Zugang zum normalen
Urteilsvermögen, das heute die natürlichste Eigenschaft des menschlichen
Tagesbewusstseins ist. In einem gesund entwickelten Betreten des Über-
sinnlichen durch höhere Bewusstseinsarten wirst du auch nie das gesun-
de Denkvermögen verlieren. Wenn das der Fall wäre, sind sicherlich kei-
ne Imaginationen vorhanden, sondern ein visionäres Erleben wäre einge-
treten, das nicht ein mehrfaches oder ein Doppelbewusstsein hat. Dann
würde der Betrachter in einem einzigen Erlebensakt gleichsam mit dem
Geschauten zusammengegangen sein.
Im Normalbewusstsein ist es richtig, wie aus einer gesamten Erfah-
rung alles zu erleben. Im Übersinnlichen dagegen ist es gesund, gleich-
zeitig in mehreren Bewusstseinsarten zu existieren und sich zwischen
ihnen bewegen zu können. Um das zu lernen, ist es erforderlich, zu-
nächst verschiedene solche Sorten separat zu üben, dann sie miteinander
zu verbinden, um ein Doppelbewusstsein bzw. ein Tripelbewusstsein
usw. zu erlangen. Wenn in den folgenden Beschreibungen die Akzentu-
ierung auf den neu zu entwickelnden Bewusstseinstypen liegt, heißt das
nicht, dass der menschliche Verstand ausgelöscht ist.
Das ursprüngliche Bewusstsein des täglichen Lebens wird bei gesun-
dem Betreten des Übersinnlichen wie ein treuer Hund mitgehen, der alles
miterlebt und auf seinen Besitzer aufpasst, oder wie ein Pferd sein, auf
dem man reitet. In der Karmaforschung, ja, in aller Geistesforschung ist
es sinnvoll, verschiedene Bewusstseinsarten, Standorte, äußere und inne-
re Blickwinkel, Blickrichtungen und Gesichtspunkte einzunehmen, die
nicht vom Normalbewusstsein beengt werden sollen. Drei solcher Be-
wusstseinstypen, die für die übersinnliche Forschung obligatorisch sind,
möchte ich besonders herausheben und charakterisieren. Ein vierter Typ
wird außerdem in einem späteren Abschnitt beschrieben. Ich nenne sie:
1. Beobachterbewusstsein
2. Feldbewusstsein
3. Besucherbewusstsein
Das erste gleicht imaginativem, das zweite inspirativem und das dritte
intuitivem Aufnehmen von Geistinhalten. So gesehen, tauchen sie im
lebendigen Denken der heiteren Bewusstseinsseele als Vorstufen dieser
drei höheren Bewusstseinsarten auf.
Als Beobachter bist du vorderhand außerhalb des Geschehens geblie-
ben. Du hast die Möglichkeit, dich selbst im Bildzusammenhang als han-
delnde ehemalige Person zu beobachten und von außen zu verfolgen,
was du tust und wie du dich verhältst. In dieser Position kannst du gut
forschen, denn du vermagst die Anschauungsstandorte zu wechseln, um
184
Ortschaften und Ereignisse zu überblicken. Du verfolgst das Geschehen
in ähnlicher Weise wie etwa bei der Kunstbetrachtung oder im Theater
und Kino. Der Unterschied ist jedoch, dass du in einer Imagination im-
mer anpassungsfähig bist, dass du mitgehst und wie innerhalb des Gesche-
hens unsichtbar auftrittst, ohne jedoch die Handlung beeinflussen zu
müssen. So kannst du z. B. entdecken, dass die Imagination wirklich um
dich herum und nicht nur vor dir ausgebreitet ist.
Es sollte immer möglich sein, innerhalb einer Erforschung zwischen
den Bewusstseinsarten zu wechseln, um die Freiheit zu ertüchtigen. Mit
der Beobachterlage kannst du dich leichter von dramatischen und ge-
fühlssatten Erlebnissen zeitweise zurückziehen, um neue Kraft zu erhal-
ten, falls du noch weitere Momente in den anderen Lagen erforschen
möchtest. In diesem Zustand können Details wie Zeichnungen, Muster,
Schrift, Umrisse, Physiognomien genau erforscht werden. Diese For-
schungsposition kann man so verstehen, dass man mit dem Ich momen-
tan wie in einem Bildergeschehen verwoben ist. Man tastet die Inhalte
gewissermaßen anonym ab. Damit wird auf dasjenige hingewiesen, was
im klassischen Okkultismus als das Schauen in der Akasha-Chronik be-
zeichnet wird.103
Das Feldbewusstsein
Im Feldbewusstsein kannst du nicht mehr außerhalb des Ablaufs sein, du
musst nun selbst dich beteiligen, quasi mitspielen. Du erhältst sozusagen
einen Namen. Das heißt, es wird nun auch möglich, seinen damaligen
Namen zu erfragen. Hast du die Frage gestellt, kannst du ein bisschen
warten, um dann abzuspüren, ob und wie eine Antwort dich erreicht. Du
kannst dich z. B. in einem Gespräch mit jemandem finden, der deinen
Namen oder deine Anrede ausspricht. Oder du hörst deinen Namen von
außen, weil jemand, den du bis jetzt nicht bemerkt hast, dich ruft; ein
Vorgang, der gleichfalls beobachtet werden kann. Im Feldbewusstsein
befindet man sich mittendrin im Geschehen. Dein gegenwärtiges For-
scher-Ich lebt im damaligen Ich oder in dessen Persönlichkeit. Du kannst
erfassen, wie deine damalige Seele gewesen ist, und du kannst die Ereig-
nisse verfolgen, wie du sie damals erlebt hast.
Im Verhältnis zur Beobachterlage, die gewiss umfassender bezüglich
äußeren Dingen sein kann, bedeutet die Feldlage einerseits unter Um-
ständen, dass man ein wenig eingeschränkt ist, weil man alles nur aus
der eigenen Perspektive wahrzunehmen vermag, gerade so, wie es ja
103
Vergleiche: Rudolf Steiner, Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung,
GA 61, Dornach 1962, Seite 271.
185
auch im gewöhnlichen Leben meist der Fall ist. Anderseits erfährst du
hier ein näheres Verbundensein mit dem Geschehen, was dir die Mög-
lichkeit schafft, eine Steigerung des Evidenzerlebnisses zu erreichen. Im
Beobachterbewusstsein besteht demgegenüber die Gefahr, dass du dich
mit dem Geschauten nicht identifizieren kannst oder möchtest und es
deswegen versäumst, zu einer tieferen Sicherheit darüber zu gelangen.
Wenn im Bildgeschehen eine Person aufgetaucht ist, mit der du dich
irgendwie identifizieren kannst, weil du die verschiedensten Anblicke
eingenommen hast, um eine Identität zu erwägen oder eine Evidenz zu
klären, versuchst du, einen chronologischen Zeitverlauf, etwa im Sinne
eines fortlaufenden Geschehens, die sich über mehrere Tage und Wo-
chen, ja eventuell Jahre hin erstreckt, aus dem damaligen Leben im Au-
ge zu behalten. Wenn du in einer Schau diese beiden Lagen hin und
her ausprobiert hast, kannst du zur dritten Position wechseln.
Das Besucherbewusstsein
Im Grunde genommen bist du gegenüber allem, was dir in der Medita-
tion begegnet, ein Besucher, jemand, der zuerst nicht ganz zu Hause ist,
sondern du bist in diesen Erlebnissen einen Gast. Somit wird das Be-
sucherbewusstsein zuerst eine Zunahme dessen sein, was ein dem Geist
verpflichteter Mensch allemal zu üben hat. Es ist zweifellos erlaubt und
sogar erwünscht, in alle Bilder, Formationen, Figuren und Gestalten,
denen du begegnest, hinein zu steigen, um sie von innen her zu erleben, zu
erspüren und zu erkennen. Das heißt, um es in den Begriffen von Steiner
auszudrücken, von Imagination weiter zu Inspiration und Intuition zu
schreiten.
Allerdings wollen wir uns im Klaren darüber sein, dass das Beobach-
terbewusstsein vorerst nur imaginative und inspirative Elemente enthalten
wird, jedoch nicht aus der Intuition zu schöpfen vermag. Im Besucherbe-
wusstsein wird Intuitives nur entstehen, wenn man in seinen Übungen
zu einer gewissen Reife gelangt ist. Das Feldbewusstsein, wo du quasi bei
dir selbst bist, wird der Ort sein, wo du vermutlich zum ersten Mal in-
tuitive Erkenntnis erfährst. Wenn du beispielsweise davon ausgehst, dass
du als die damalige Persönlichkeit mit jemandem im Gespräch stehst,
kannst du mit deinem Bewusstsein in dein Gegenüber eingehen, hinein
schlüpfen . Du erlauschst seine Seele und nimmst wahr, was er denkt,
fühlt und will. Nicht nur das Innenleben der Menschen kannst du in die-
ser Weise befühlen, sondern auch das Seelenleben der Tiere und aller an-
deren Wesen, die in der Welt existieren. Dergestalt kannst du jetzt auch
durch den Blickwinkel des anderen Menschen Ereignissen nachforschen,
die du damals selbst nicht erlebt hast.
186
Wir könnten zum meditativen Umgang mit mehreren Bewusstseins-
arten weitgehende erkenntnistheoretische Darstellungen anknüpfen, die
allenfalls die innere Sicherheit beim Forschen unterstützen würden.
Wenn du aber selbst durch schrittweise erfolgte Untersuchungen pro-
bierst, wie eine Bewusstseinsart funktioniert , wirst du die Erkenntnis-
sicherheit aus Empirie heraus entwickeln, was besser ist, als alle voraus-
gehenden, mehr theoretischen Auslegungen. Was dich auf dieser Ebene
der Arbeit vielleicht nicht überzeugt, wird bei fortgesetzter Übung allen-
falls sich erweitern. Eine ausnahmslose Gelassenheit ist also die Richt-
schnur beim Üben der drei Bewusstseinsarten.
Es sei noch vermerkt, dass du in Situationen kommen kannst, wo du
fühlst, als würdest du von jemandem oder von etwas gebremst werden,
dass du spürst, dass du hier noch nicht zugelassen wirst. In solchen
Situationen wird die Lebendigkeit des geistig Wesenhaften offenbar. Das
hat unbedingt mit Intuition zu tun; es wäre gewissermaßen die Außen-
seite eines intuitiven Vorgangs. Wenn du irgendwie flatterhaft, ängstlich
oder sogar aufdringlich werden würdest, flugs würdest du ausdrücklich
zurückgewiesen werden oder dein Engel würde dir einen Wink geben,
dass du Acht geben musst oder auf Irrwege geraten bist.
Ein beachtenswertes Beispiel stellt die folgende Episode dar, die
gleichzeitig eine geistige Grundwahrheit beinhaltet: Ich erforschte einmal
durch das Beobachterbewusstsein eine Situation in der atlantischen Zeit,
in welcher eine Gruppe von Frauen nach der Arbeit von einem Pfad-
finder durch einen Wald nach Hause geführt wurde. Nach den gerade
überstandenen, inhaltsreichen Erforschungen entstand dadurch eine ru-
hige Phase der Meditation, wo ich als ein im Geiste anonymer Anwesen-
der die Gruppe von hinten beobachtete. Ich wollte einer der Frauen,
welche die Hauptrolle einnahm, eine bestimmte Frage über die geistige
Welt zur Zeit der Atlantis stellen. In dem Moment drehte sich ihr Kopf
nach hinten, und sie guckte gewissermaßen aus dem atlantischen Zeit-
raum in mein gegenwärtiges Überbewusstsein hinein. Ihr Blick war von
solch ernstem Ausdruck, dass ich sofort verstand, wie unangemessen die
Frage in diesem Moment sei. Wer schaute durch die Augen der Atlan-
tierin mich in diesem Forschungsmoment an? War es ein selbstständiges
Geistwesen, das in der imaginativen Welt berechtigterweise tätig ist und
sein muss? An dieser Stelle lasse ich diese Fragen offen stehen.
Nun aber zurück zur Methodik der Karmameditation: Ansonsten ist
das Besucherbewusstsein von Vorteil, wenn du noch nicht herausgefun-
den hast, ob du selbst eine der auftretenden Personen bist. Gleicherma-
ßen ist es angebracht, wenn du dich allgemein über eine Gruppe infor-
mieren willst oder gesonderte Untersuchungen über Beziehungen zwi-
schen mehreren Personen vornehmen möchtest. Es ist auch interessant
und manchmal erforderlich, sich selber durch die Augen eines Anderen
187
anzuschauen. Von diesen drei beschriebenen Bewusstseinsarten können
gleichzeitig zwei und sogar alle drei eingesetzt werden, wenn man es da-
rin zu einer gewissen Meisterschaft bringen kann. Denn es ist ja gerade
die Eigenschaft des Geistes, dass er in seiner Größe nicht nur zu fixieren
ist, sondern es ebenso vermag, sich parallel auszubreiten. Das Üben
von Punkt- und Umkreisbewusstsein, um geometrische Begriffe zu be-
nutzen, gehört sozusagen zum Handwerk des Geistesforschens.
Wenn du forschen willst im Übersinnlichen oder im Karma, dann
muss deine Kopflogik sich in eine Herzenslogik umbilden, so wie
auch das gewöhnliche Gedächtnis in einen anderen Zustand der Seelen-
tätigkeit übergeht. Für die alltäglichen Erlebnisse müssen wir uns als
Geistesschüler aber nicht immer in einen höheren Bewusstseinszustand
so wie die oben beschriebenen versetzen, so dass wir bezüglich des
Alltags die höheren Seelenfähigkeiten nicht immer zu benutzen brau-
chen. Man kann aus den Augenblicken des übersinnlichen Forschens
wiederum zurück kehren in die gewöhnliche Welt und wird da natürlich
geradeso denken und ein Gedächtnis haben wie vorher oder wie andere
Menschen auch. Als Geistesschüler können wir jedoch fähig werden, uns
vom Alltagsbewusstsein in einen Zustand des übernormalen Bewusst-
seins versetzen zu können und wiederum zurück, ohne verwirrt zu wer-
den.
Die Parsifal-Stimmung
Im Spirituellen müssen wir lernen zu fragen. Das moderne Leben führt
uns oft ab vom Fragen. Statt selbst offene Fragen zu stellen und Fragen
Anderer abzuwarten, führen die vielen Informationen, die wir in der
neueren Kommunikationsgesellschaft meistens gezwungen sind aufzu-
nehmen, dazu, dass schnell über alle Dinge geurteilt wird. Es wird für
Selbstständigkeit gehalten, wenn jemand aus Sachkenntnis immer ein ei-
genes Urteil fällen kann. Bestimmt müssen wir in Bezug auf die äußeren
Verhältnisse des Lebens immer urteilen können, aber wenn wir uns an
das Geistige wenden, sollten wir eine Haltung der Demut und der Ehr-
furcht einnehmen, die beachtet, dass wir zur richtigen Zeit und am richti-
gen Ort die richtigen Fragen stellen.
Im äußeren Leben stehen wir sofort mittendrin in Tatsachen, die wir
beurteilen müssen, um die Freiheit zu erlangen. Das Geistige tritt zu-
nächst so in uns auf, dass es uns höchstwahrscheinlich nicht mit voller
Kraft sofort anstürmt, sondern es meldet sich vielmehr leise, sanft und
langsam an. Wie ein Negativpol eines Magnets halten unsere fertigen
Urteile und Befangenheiten das Geistige zurück, weil sie an den physi-
schen Tatsachen haften. Eine fragende Haltung dagegen wirkt statt des-
188
sen wie eine Einladung auf die legitimen Wesen der geistigen Welt, die
die Freiheit des Individuums hundertprozentig beachten. Ein Urteil ist
etwas Fertiges, das ein Gespräch eher abschließt als öffnet. Eine Frage
kann statt dessen eine Stimmung, eine Gesinnung schaffen, die etwas
öffnet, etwas einleitet.
Um welche Fragen es in der jeweiligen Situation gehen könnte, kann
nur jeder selbst entdecken. Rudolf Steiner sprach in diesem Zusammen-
hang von der Parsifal-Stimmung.104 Wenn eine innere Offenheit da ist
etwa wie ein offener Behälter, die der Schale des Grals* entsprechen
würde , wird uns etwas spirituell verkündet, welches der Gralssub-
stanz entspricht, das sich mit den Quellkräften der eigenen Seele als in-
neres Erleben verbinden würde. Zu Anbeginn jeglicher karmischen Ar-
beit wäre die Grundhaltung freilich eine fragende. Du bist ein Abenteurer,
ein Suchender, ein Entdecker, ein Forscher. So hast du das Menschen-
recht, immerzu Fragen zu stellen. Alles, was dir ungewiss ist, darfst du
erforschen, erkunden, untersuchen, du darfst näher hin gehen und es
aushorchen. Du darfst schlichtweg mit dem Unerforschten in jeder nur
denkbaren Weise Kontakt aufnehmen, wenn du das Phänomen selbst
nicht beeinträchtigst.
Gleichzeitig aber übst du dich in Geduld, Geduld und nochmals Ge-
duld. Deine ausdauernde Gelassenheit wird letztendlich die Antworten
reifen lassen. Behutsamkeit und Forschheit, die als Kumpane auftreten
können, sind die wichtigsten Devisen des Geistesforschers. Dennoch ist
es nicht immer einfach, zu wissen, wann eine Frage gestellt werden darf
und wann lieber nicht. Soll man besser zuerst nicht fragen? Und dann
vielleicht auf Umwegen raten? Oder doch gerade heraus fragen und dann
möglicherweise zurückgewiesen werden? Nimmst du in Kauf, ohne Ant-
wort mit langem Gesicht da zu stehen?
Eine gute Arbeitsweise ist es, alle Fragen im normalen Bewusstsein
vorab aufzulisten, um sie in der Meditation vorübergehend zu vergessen.
Gedanklich hast du dich dann mit Fragen versorgt. Nun steigst du
handelnd bewusst in das zu erforschende Thema der Meditation hinein,
ohne die gestellten Fragen im Vordergrund des Bewusstseins zu haben.
Im Fühlen verbleibt aber ein Echo dieser Fragen. Du hast sie quasi wie
eine Anmeldung voraus geschickt. Innerhalb der Meditation bist du
dann ganz frei, zu erleben und zu erforschen, aber die Gewissheit über
die Anwesenheit bestimmter Rätsel ist gleichzeitig in deinem Bewusst-
sein als eine Aura aus ichhafter Substanz um dich herum vorhanden,
welche die gefälligen Geistwesen wahrnehmen und begutachten und in
welche sie gegebenenfalls ihre Antworten einprägen werden, so dass du
sie intuitiv erfährst.
104
Rudolf Steiner, Aus der Akasha-Forschung, GA 148, Seite 169f.
189
 Perspektiven und Zeitverschiebungen
Weil die Imagination in ihrer Anschaulichkeit sich allmählich als eine
plastische, sehr ineinander laufende, mannigfache Erscheinung wie auf-
gehend entwickelt, ist es möglich, in Zeit und Raum hin und her wan-
dernd sich zu verschieben . Innerhalb der Erforschung einer Inkarna-
tion, wo anfangs z. B. etwa eine Strecke des Erwachsenenlebens ange-
schaut wurde, kannst du zur Jugend und Kindheit zurück gehen, indem
du dich darauf konzentrierst, dass ein bestimmtes Alter angesagt ist.
Oder du löschst eine Imagination aus, stellst eine Frage und wartest, was
neu entsteht. Solcherart ist es möglich, durch diese Anschauungsweise
mittels einer Reihe von Meditationen eine ganze Inkarnation zu erfor-
schen.
Beim Bemühen, Zeitangaben zu erhalten, kannst du dich zwischen
jetzt und damals wie eine Spanne innerlich strecken lassen, wodurch du
ein Gefühl erhältst, wie weit zurück das Geschehen liegen mag. Es ist
auch möglich, historische Ereignisse, die man kennt und von denen man
weiß, wann sie stattgefunden haben, wie Kennzeichen im Bewusstsein auf-
zustellen, so dass die für Forschung stehenden Ereignisse passend vor
oder nach ihnen zu sehen sind. So vergleicht man das Erlebte mit diesen
fixierten Motiven und kann dadurch herausfinden, wann das betreffende
Geschehen stattgefunden hat. Manchmal folgen auf solche Fragen zur
Zeitangabe direkte Antworten durch die Geistwesenheiten oder du siehst
an Gebäuden oder in Büchern Jahreszahlen, etwa Anno Domini, mar-
kiert. Deshalb ist es angebracht, z. B. Römerzahlen, vorher gelernt, lesen
zu können. Oder du schreibst unerklärliche Texte auf und zeichnest
Symbole und Bilder ab, die vorkommen, um sie nachher in archäologi-
schen Entdeckungen und historischen Quellen zu suchen.
Gleichfalls wichtig sind geografische Untersuchungen. Es gilt, sich ört-
lich zu orientieren und die Himmelsrichtungen aufzufinden. Am besten
ist das gemacht, wenn du die Bewegung der Sonne verfolgst. So wirst du
auch wissen, ob du dich auf der nördlichen oder südlichen Halbkugel be-
findest. Eine weitere Methode besteht darin, sich hoch über die Erde zu
begeben, dass du dich so an einer Landschaft, einem Land oder einem
Kontinent orientierst, als würdest du auf eine Karte hinunterschauen.105
Wenn du weit zurück in vorchristlicher Zeit dich aufhältst, wirst du
häufig nicht mehr die Möglichkeit haben, die Landschaften mit ihren
heutigen Umrissen zu vergleichen, weil Erosion und Veränderungen der
Meeresoberfläche die Landschaftsverhältnisse vielerorts radikal verän-
dert haben. So musst du statt dessen mit einer suchenden, durchlässigen
Empfindung arbeiten, die Kenntnisse der Entwicklung der Erdoberfläche
105
Siehe hierzu: Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 162.
190
mit berücksichtigt. Wenn du deine Orientierung ähnlich wie vorhin
bei den bekannten historischen Tatsachen hier im geographischen Be-
reich bei Orientierungspunkten nimmst, die seit Urzeiten bekannt sind,
wie berühmte Gebirgsgipfel, Hochplateaus, Flussläufe oder Städte, wirst
du ebenso aufspüren können, wo du dich genau in der Vergangenheit
befindest.
Frühere Leben aufrollen
Immer wieder während eines karmischen Rückblicks wirst du Gelegen-
heiten erhalten, Fragen zu karmischen Zusammenhängen zur Gegen-
wart zu stellen. Wenn auffallende und prägnante Eindrücke von anderen
Personen von damals imaginativ auftauchen, wo du das Gefühl hast, sie
könnten zu deinem karmischen Umkreis gehören, sollst du mittendrin
im Verlauf der Dinge einen Moment anhalten, um nachzufragen, wem
derjenige in deinem heutigen Leben entsprechen würde. Solche Ab-
brüche integrieren sogleich die generelle okkulte Anweisung, die erteilte
Imagination aus eigener Kraft wieder aufzubauen oder sie aus einem
früheren Zeitpunkt neu laufen zu lassen.
Entweder stellst du die Fragen an deinen Engel, der quasi dabei ist,
oder du breitest die Frage allgemein aus, als würdest du jemand Unsicht-
barem in den höheren Hierarchien, welchen du nur denkst, die Frage zu-
schicken. Warte die Antworten anspruchslos ab. Manchmal kommen sie
erst nach dem Ablauf einer Meditation. Andere Male wirst du sogar
gleich aus dir selbst heraus, ohne dass du bewusst gefragt hast, ein Wis-
sen über eine karmische Identität erfahren.
Wenn du während der meditativen Karmaschau solche auf normaler
Erinnerung basierenden Checks machst, musst du ganz vorsichtig sein,
dass nichts durcheinander gebracht wird entsprechend dem Gesagten
im oben angeführten Absatz über den Engel. Es kann sein, dass du es am
Anfang einer Karmaarbeit wie dieser nur schaffst, das Schauen für sich
zu meistern. Jeder muss gucken, was ihm recht ist. Gehe nach der Medi-
tation alles erneut durch, um die berechtigten Fragen zu notieren. Wenn
du dir einen Überblick über ein eventuelles Vorleben geschaffen hast, in-
dem du einen Lebensgang von der Geburt bis zum Tod verfolgt hast,
wirst du verschiedene Fäden erkennen, die zwischen damals und heute
verlaufen.
Um aber das heutige Leben in richtiger Weise karmisch zu begreifen,
ist die Kenntnis von nur einer einzigen früheren Inkarnation lange nicht
ausreichend. Vielmehr geht es darum, mehrere Leben zueinander in Be-
ziehung setzen zu können. So ist es nötig, sich geduldig Zeit und Kraft
zu nehmen, um mehreren Autobiografien , die wir uns quasi angeeignet
191
haben, nachzusinnen, um in der Lage zu sein, die karmischen Verknüp-
fungen noch reichlicher zu verfolgen.
Mit der Zeit findest du eine Reihe solcher Verknüpfungen, die sich
durch die Inkarnationen ziehen. Du kannst sie einzeln verfolgen und da-
durch in interessante, sich fortwährend verändernde Beziehungsverhält-
nisse eintauchen, die du in unterschiedlichen Konstellationen mit einer
Reihe von Individualitäten über eine Anzahl von Leben hinweg gehabt
hast. Möglich und bestimmt immer adäquat ist es auch, eine Fragestel-
lung, ein Problem aus dem jetzigen Leben aufzugreifen, um eine Ent-
wicklung rückwärts zu studieren.
Weil du deine Individualität durch dieses Geduldsspiel als Lot und
Bindemittel immer mehr kennen lernst, wirst du die Leben, die zu dir ge-
hören, in ihren Einbindungen und wechselseitigen Bedingtheiten ausfin-
dig machen. Dinge, die zu Beginn der Arbeit nicht stimmig schienen und
die du deswegen zur Seite legen musstest, können später, nachdem an-
dere Zusammenhänge aufgetaucht sind, wieder integriert werden. So ist
die Karmaforschung meines Erachtens eine zeitaufwändige Arbeit, die
manchmal genauso mühselig und gewissenhaft wie die der Urkunden-
forschung oder der Archäologie gehandhabt werden muss. Zum Trost sei
darauf hingewiesen, dass du sicherlich auch Tage und Perioden erleben
wirst, in der sich fast unerwartet eine ganze Ansammlung von Erkennt-
nissen einstellt.
Eine ehemalige Todesschwelle überschreiten
das Exkarnationsbewusstsein
Die Art und Weise, wie man einstmals gestorben ist, kann gleichfalls
erforscht werden. Untersuche die Umstände und Ursachen der Todes-
momente. Starbst du einmal als Kind? In jüngeren Jahren? Nach einem
langen und erfolgreichen Leben? Starbst du auf Grund von Krankheit
oder Altersschwäche? Waren beim Sterben andere Menschen dabei?
Wurde dein Tod durch jemand Anderen herbeigeführt? Wurdest du im
Kampf getötet? Welche Waffe brachte dich gegebenenfalls um? Bist du
einst durch einen Mordanschlag gestorben? Wer war dabei beteiligt? Sol-
che und ähnliche Fragen führen zu einer neuen Vertrautheit im Umgang
mit dem Sterben und Tod.
Die Umstände vor, während und nach dem Todesaugenblick können
also durch die verschiedenen Bewusstseinsarten genau erforscht werden.
So wird es interessant sein, zum ersten Mal zu vergleichen, wie Dinge in-
nerhalb eines Lebens erlebt werden und inwiefern Dinge nach dem Tod
anders erscheinen. Empfinde, wie du dich von dem Körper trenntest.
Was hast du unmittelbar danach gesehen oder gedacht? Was ist ehemali-
192
ges Erlebnis und was ist deine gegenwärtige Auffassung dieses Vorgangs?
Wie schautest du auf die letzte Inkarnation zurück? Weiltest du nur kurz
oder noch lange bei deinem Leichnam? Wie erlebtest du die Zurück-
gebliebenen, die dich unter Umständen pflegten und beweinten?
Das Verfolgen des Überschreitens einer vormaligen Todesschwelle ist
zu vergleichen mit dem Schritt aus dem Feldbewusstsein zum Beobach-
terbewusstsein, jedoch die Intensität des sich im Leib drinnen Fühlens,
das im Feldbewusstsein vorhanden ist, bleibt bestehen und steigert sich
durchweg zunehmend mit dem Fortschreiten in die jenseitige Welt nach
dem einstigen Tod. So könnten wir das Bewusstsein, welches rein über-
sinnliche Tatsachen erlebt und das sich nicht mehr auf ehemalige irdi-
sche Bedingungen stützen kann, weil man in diesem Zustand nicht mehr
inkarniert war, als eine vierte Art, als das Exkarnationsbewusstsein bezeich-
nen. Wenn hier eine Fortsetzung der Forschung im rein Geistigen betrie-
ben wird, kann der Ablauf zwischen Tod und neuer Geburt studiert wer-
den. Das lässt sich nicht mehr ohne weiteres in derselben Art fortset-
zen, weil man im üblichen Sinne für die verschiedenen Ebenen und Re-
gionen der geistigen Welt keine Begriffe mehr hat. So ist es von großem
Nutzen, zuvor geisteswissenschaftliche oder religiöse Literatur über diese
Verhältnisse zu studieren. Wenn du dann Stück für Stück deine eigenen
Ergebnisse durcharbeitest und immer wieder die Grenzen des eigenen
Wissens erweiterst, wirst du allmählich einen wahren Überblick über dei-
ne einstigen Inkarnationen bekommen.
Die drei Lebenstugenden
Eine erste Orientierung in dem Exkarnationsbewusstsein wird es sein,
nach drei Seeleneigenschaften, und zwar nach drei Tugenden zu fragen,
die du innerhalb des abgeschlossenen Lebens mehr oder weniger entwi-
ckeln durftest. Diese Tugenden entsprechen der Hauptanstrengung, die du
damals während des betreffenden Lebens innerhalb des Denkens, Füh-
lens und Handelns gemacht hast. Der Erwerb dieser Tugenden kann aus
karmischer Bedingtheit notwendig gewesen sein oder sie haben sich
innerhalb des Lebens als Errungenschaften entwickelt, die du nach dem
Tod als Früchte der Inkarnation anschauen und den geistigen Wesen, die
das Menschenleben lenken, gleichsam als Gegengabe überreichen durf-
test. Die Begriffe, die uns bei den Eurythmiefiguren im 1. Teil begegne-
ten, können hier wieder benutzt werden. Bewegung, Gefühl und Charak-
ter als zusammengehörige Dreifaltigkeit können mit diesen drei Tugen-
den in Verbindung gesetzt werden.
Eine Reihe von Eigenschaften wird dieser Art durch die Inkarnatio-
nen hindurch aufgegriffen und vertieft: Alleinsein, Altruismus, Arbeits-
193
lust, Aufmerksamkeit, Begeisterung, Behutsamkeit, Bereitwilligkeit,
Dankbarkeit, Demut, Dienen, Duldsamkeit, Durchhalten, Edelmut, Ein-
fachheit, Entschlossenheit, Freimut, Freundlichkeit, Geduld, Gehorsam,
Gelassenheit, Güte, Hingabe, Idealismus, Lebenslust, Mitgefühl, Mut,
Nüchternheit, Ritterlichkeit, Selbstlosigkeit, Ruhe, Taktgefühl, Tapfer-
keit, Toleranz, Treue, Uneigennützigkeit, Verbindlichkeit, Verzicht,
Weisheit, Würde und Zufriedenheit. Die angeführten Begriffe sind
nicht aus dem Wörterbuch entnommen, sondern sie entsprechen tatsäch-
lichen Haltungen, denen ich mit Klienten nachgeforscht habe. Noch vie-
le weitere solche Fähigkeiten könnten gefunden werden, die zusammen-
hängend mit früheren Erdenleben wirksam waren.
Der Dreiklang der Eigenschaften wurde entweder nacheinander in
verschiedenen Lebensphasen angesprochen oder sie wirkten immer zu-
sammen, um bestimmte Erfahrungen zu ermöglichen, Schwierigkeiten
auszuhalten oder Prüfungen überstehen zu können. Es kann sein, dass
du sofort auf die drei Begriffe aufmerksam wirst, oder du wirst in einer
gesonderten Meditation versuchen müssen, sie noch einmal im nachtod-
lichen Lebenspanorama aufzufinden. Wahrscheinlich tauchen dann drei
Lebensereignisse auf oder du suchst sie selber auf, die diesen Tugenden
entsprechen, so dass du sie nun in ihrer irdischen Auswirkung erkennen
kannst.
Die drei Tugendengel
Eine Geistesschulung bedeutet, dass Phänomene innerhalb der Sinnes-
welt und des Inkarniertseins von physischen Gegenständen bis hin zu
gedanklichen Bildungen der menschlichen Seele allmählich für die
Wirksamkeit geistiger Wesen transparent werden. Wenn du es in der
Meditation geschafft hast, ein Gefühl dafür zu bekommen, dass deine
Imaginationen nicht mehr nur solche sind, die du allein hergestellt hast,
sondern wenn du beginnen würdest, zu erleben, dass sie tatsächlich von
Geistwesen in deinem Denken produziert werden, dann ist die Zeit reif,
mit ihnen in unmittelbaren Kontakt zu treten.
Wenn dir solche eigenen Lebenstugenden im nachtodlichen Anschau-
en aufgehen, kannst du versuchen, sie als Ausdruck höherer Wesen zu
denken. Lasse aus den drei Gesinnungen so etwas wie drei Farbenräume
entstehen. Du bittest dann drei Gestalten aus der Geistwelt, sich in diese
Räume einzubringen . Stelle dir vor, dass sie die Hüter, die Aufseher,
die Betreuer dieser Tugenden sind, dass sie stets für sie gewirkt haben
und ewig an der Veredelung des Menschen arbeiten, auch an dir.
Wie könnten die drei Gestalten in deinem zuerst erhaltenen persönli-
chen Kontext aussehen? Welche Farbqualitäten strahlen sie aus? Welche
194
Ausdrücke, Gesten und Haltungen nehmen sie ein? Welche Attribute
tragen sie möglicherweise? Kannst du sie mit den drei Tugenden beklei-
den , sie damit gleichsetzen? Beachte, dass dir in diesem Vorgang die
Wirklichkeit einer unmittelbaren Geistesgegenwart mitten im karmi-
schen Schauen vergangener Erlebnisse neu zum Erleben gemacht wer-
den kann. Wie verhältst du dich? Wie kommunizierst du? Wie trittst du
zurück? Wie bedankst du dich? Wie schaffst du es, den ganzen Weg aus
der Meditation zurück zu finden? Wie erklingt eine solche Wesensbegeg-
nung im Alltag wieder?
Mehrere Menschen, die ich auf die Tugendengel aufmerksam ge-
macht habe, berichteten, dass sie mit ihnen weiter in Kontakt verblieben
sind. So wirst du auch aufspüren, dass aus der geistigen Welt besondere
Wesenheiten zu dir treten werden, die dich weiter unterstützen und auf-
muntern wollen und dir allewege geistige Substanz zuschicken möchten.
Später im 7. Teil werden wir diese Sachlage erneut aufgreifen, um Wege
anzugeben, wie eine Fortsetzung und Vertiefung des Erforschens der Zu-
stände zwischen zwei Inkarnationen angegangen werden können. Aus
weiterer Forschung wirst du zusätzlich erkennen, dass die Tugendengel
in intimer Weise mit den Krafttieren in Verbindung stehen, damit du ent-
decken kannst, dass Eigenschaften, die mit den Seelentieren in Verbin-
dung stehen, für eine oder mehrere Leben im Vordergrund deiner Ent-
wicklung standen.
Ein Mann in der Wirtschaft entdeckte z. B. das Flusspferd als ein See-
lentier bei sich, das sich in seiner Lebenssphäre als bestimmte Wächter-
eigenschaften darstellt. In einer Inkarnation in Indien vor dem Eindringen
der Engländer regierte er aus der Königskaste mit Großzügigkeit über sein
Volk. In einem anderen Leben als Polizist in Chicago um die vorige Jahr-
hundertwende wurde er in seinem Stadtgebiet als der lebendige Gleichmut
gesehen. Für die aktuelle Inkarnation steht ihm insbesondere der Tu-
gendengel der Wachsamkeit zur Verfügung, damit er für seine Kinder, die
im Jugendalter sind, ein geeigneter Erzieher sein kann. Ein Buch, das
uns vortrefflich die Tugendengel vor den Augen stellt, ist übrigens Engel
für das Leben von Anselm Grün.106
Bei diesem etwa neuen Entdecken der Wichtigkeit von Tugenden in
der Menschheitsentwicklung müssen wir aber klar im Auge behalten,
dass es auf unserer Welt nichts Absolutes gibt. Wenn wir irgendein Gutes
anstreben, kann es aber durch den Gang der Welt zu etwas Schlechtem
oder Bösem werden. Daher müssen wir immer von vorn und zeitgemäß
streben. Es muss in immer neuen humanen Gestaltungen gestrebt wer-
den, so dass die Ideale nicht dogmatisch, intolerant oder fundamenta-
listisch gegen Andere auftreten. Nichts ist der Menschheit schädlicher als
106
Anselm Grün, Engel für das Leben, Verlag Herder, Freiburg in Breisgau 2001.
195
der Glaube an absolute Ideale, weil sie dem realen Entwicklungsgang der
Welt widersprechen, betonte Rudolf Steiner. Ein etwas überraschendes,
aber logisches mit Karma zusammen hängendes Band zwischen Tugen-
den und mehreren Erdenleben beschrieb er wie folgt:
Zwei Tugenden leuchten hin über die verflossen Inkarnationen: Weis-
heit und Gerechtigkeit. Tapferkeit und Besonnenheit aber leuchten
hin über die zukünftigen Inkarnationen. Die Zeit wird kommen, wo
der Mensch sich klar sein wird, dass er sich dem Ahriman in den Ra-
chen wirft, wenn er sich gegenüber der Gerechtigkeit und der Weis-
heit verschließt. Das, was in früheren Inkarnationen sein war, was der
göttlichen Welt angehört hat, würde er dem Luzifer hinwerfen durch
das, was er in Unbesonnenheit oder Feigheit des Lebens vollbringt.
Was Luzifer erhascht, wird uns an Kräften für den Aufbau unseres
Leibes im nächsten Leben entzogen.107
Das Fernglas
Wenn man sich mit dem Engel oder dem Geistfreund auf der Geistinsel
aufhält, entweder vor oder nach dem Versuch, die Vergangenheit einer
Inkarnation zu erforschen, besteht die Möglichkeit, eine Schau aus der
Ferne zu erbitten. Durch eine Art geistiges Hilfsgerät, welches man vom
Begleiter bekommen kann, erleichtert sich diese Angelegenheit. Bitte ihn
einfach um ein Fernglas . Stelle dir vor, dass du es entgegen nimmst und
vor dem inneren Auge gegen die Vergangenheitserde richtest.
Wenn du zum ersten Mal durch die oben beschriebene Art eine erste
Inkarnation untersucht hast und noch über die Ausdauer verfügst, einen
Versuch mit dem Fernglas zu machen, schaue dann nacheinander in
zwei Richtungen, z. B. nach Osten und dann nach Westen, indem du dir
vorstellst, dass du diese Richtungen in der gedachten Weise zu deiner
rechten oder linken Seite erkennst. Denke, dass das, was du zu sehen be-
kommst, einen Mensch zeigen soll, der in einem Geschehnis, in einem
Tun sich befindet, von dem du sofort erkennst, um was es sich handelt.
Ein derart geschautes Bild oder Tätigkeit sollst du nicht sofort aufsu-
chen, indem du hingehst. Nimm es eher als Anmerkung in deine Hütte
mit. Später kannst du das Geschaute bei einer anderen Gelegenheit als
Ausgangspunkt für ausführlichere, meditative Untersuchungen benut-
zen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Fernglasmotive solcherart sind,
dass man sie deswegen bekommt, weil ihre Inhalte in einem fruchtbaren
107
Rudolf Steiner, Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und
die europäischen Volksgeister, GA 159, Dornach 1980, Seite 24.
196
Zusammenhang mit dem stehen, was man momentan oder demnächst
erforschen könnte oder darf. So könntest du das Vertrauen entwickeln,
dass die Karmaförderer der geistigen Welt dir andauernd zur Seite ste-
hen.
Man darf aber nicht alles nur leichtgläubig in Kauf nehmen, sondern
Bilder und Erscheinungen müssen so gehandhabt werden, dass man sich
als ein im Bewusstsein strebender Forscher versteht, nicht als ein Schar-
latan, der alles sofort weit und breit als Wahrheit verkündet. Wir können
durch kein äußerliches Zusammenreimen, durch allerlei äußere Verglei-
che wirklich nicht auf aufeinander folgende Inkarnationen antreffen. Vor
dem imaginativen Blick präsentieren sie sich so, dass man meist nicht
vermuten würde, dass das eine Leben der Grund des folgenden ist. So
besteht zunächst die Aufgabe, alles weiter zu erforschen, was wirklich ge-
schaut wurde.
Die karmischen Gefüge lassen sich nicht durch einen Schlag gewin-
nen. Wir können die höchsten und wichtigsten Erkenntnisse des Lebens,
nämlich die Karmaerkenntnisse, nur langsam und allmählich erwerben.
Deswegen sollen wir uns davor hüten, rasche Schlüsse zu ziehen. Wir
müssen die karmischen Dinge an uns heran kommen lassen. Gerade die
Fernglasübung bildet diese innere Gelassenheit aus, wo es ja darum geht,
die innere Ruhe zu bewahren, nachdem letzthin höchstwahrscheinlich
ganz erschütternde Erlebnisse aus einem früheren Leben erlebt wurden.
Die karmischen Fundstücke
Dinge, Gegenstände, Werkzeuge, Geräte, Kleidungsstücke, Schmuck,
Waffen, Aufgaben, Angelegenheiten, Ereignisse, Anhaltspunkte und Be-
gegnungen, die in den karmischen Untersuchungen geschaut werden,
dürfen in bildhafter Weise, wie Kopien oder Reproduktionen, mitge-
nommen werden. Anfangs hat man genug zu tun, um sich selbst zu ori-
entieren und innerhalb des Ganzen zurecht zu kommen. Deshalb darfst
du zu Beginn dem Beschützer diese Aufgabe des Mitnehmens von kar-
mischen Fundstücken überlassen. Wenn ihr nach einer solchen umfas-
senden Reise wieder in der Hütte zurück seid, frage ihn, ob er etwas aus
dem gerade verstrichenen Leben mitgenommen hat, was in der Hütte
aufbewahrt werden darf.
Manchmal wirst du sofort wissen, was er eingesackt hat, weil auch
du es während des geschauten Lebens für etwas Wichtiges hieltest. Es
kann auch sein, dass es dich überraschen wird, weil er etwas behalten
hat, was du kaum oder überhaupt nicht wahrgenommen hast. In dem
Moment jedoch, wo es zum Vorschein kommt, wird es dir sehr plausibel
und einsichtig erscheinen. Wenn es kein Gegenstand ist, kann ein Bild
197
oder ein Symbol, das eine Eigenschaft des Geschehenen nachbildet, ge-
staltet werden, um es in der Hütte aufzustellen.
Einmal hatte jemand sich in der Karmaforschung als Pianist erlebt.
Die Textilbedeckung eines Klaviers wurde mitgenommen. Ein Anderer sah
sich in einem Kloster als schreibender Mönch. Eine Handschrift prachtvol-
ler Miniaturmalereien wurde ihm gereicht. Eine Frau schaute, wie sie als
Indianerhäuptling gewirkt hatte. Der Engel nahm seine mit vielen Gefie-
dern geschmückte Kopfbedeckung mit. Ein weiterer Forscher erlebte sich
als mittelalterliche Schlossfrau, deren Ehemann als Ritter im dritten
Kreuzzug getötet wurde. Zwar nicht sein Leichnam, aber sein von Blut
getränktes Kettenhemd wurde ihr nach Hause gebracht. Es durfte als kar-
misches Fundstück dienen. Ein Mann schaute, dass er einmal in männ-
licher Inkarnation aufgrund seiner bescheidenen Herkunft eine Edelfrau
nicht heiraten durfte. Er bekam vom Reisekameraden einen Goldring als
Symbol seiner damals im Mittelalter nicht ausgelebten Liebe. Eine Frau
schaute sich als lebenslustiger, aber gewissenhafter Sägewerksbesitzer. Eine
Pfeife war ihr karmisches Fundstück. Ein Mann, der sich als eine afrika-
nische Nomadin erlebte, erhielt einen Wanderstab. Ein weiteres Fundstück
bekam jemand, der sich im vierten Jahrhundert als ein im gesamten
Europa und sogar außerhalb desselben umherreisender Kaufmann schau-
te, der allerlei Raritäten, Materialien und sonstige Prachtstücke auf sei-
nem einzigartigen Kaufhof im damaligen Schlesien zusammen sammel-
te. Dasjenige antike Steinmesser, das er in seiner damaligen Sammlung
hatte, erhielt er seiner Ansicht nach im gegenwärtigen Leben wieder. So
durfte das Messer ebenfalls in seiner meditativen Hütte als karmisches
Fundstück aufbewahrt werden, bis er eines Tages es einem Kind schenk-
te.
Bei einer kontinuierlichen Erforschung früherer Leben bereitest du
dich beim Anschauen der karmischen Fundstücke in der Hütte, die übri-
gens kunstvoll in Nischen, auf Kissen oder auf Regalen ausgestellt sind,
in der erforderlichen Weise vor, um nochmals in die entsprechende Ver-
gangenheit zu gehen. Dadurch kannst du weitere Zusammenhänge erfor-
schen, bereits Erforschtes überprüfen, oder du musst eventuell entde-
cken, dass du partiell auf falschen Spuren gewesen bist.
Zu Devotion und Dankbarkeit
In der meditativen Verrichtung solltest du nicht nur bei der Berührung
mit Wesen menschlicher oder engelhafter Art eine angemessene innere
Haltung zeigen, sondern du musst dich auch in der richtigen Weise ge-
genüber der Vielfalt von Erscheinungen aller Arten, die sich nicht mehr
auf sinnliche Dinge beziehen, zu benehmen wissen. Es ist das großartige
198
Wie angesagt. Die meditative Arbeit erfordert streng, dass alles, was man
als Stil, Sitte, Etikette, Konvention, Höflichkeit und einvernehmliches
Handeln kennt, eine neue Bedeutung innerhalb des Umgangs mit geisti-
gen Fragen, Qualitäten und Wesen erfahren muss, weil man gleichsam
eine Gesellschaft oder einen Organismus betritt, den man noch nicht
kennt, oder bei dem man im heutigen Bewusstsein zumindest ganz ver-
gessen hat, welches Auftreten angebracht ist.
Wenn wir im Leben wenig Demut und Dank geübt haben, werden
uns in der Meditation die Dinge nicht unbedingt leicht zukommen. Das
heißt nicht, dass wir keine Erlebnisse bekommen. Man kann sogar aller-
hand erfahren und die inneren Bilder können unaufhörlich wie aus ei-
nem Strom entstehen. Dafür kann man eigentlich nur dankbar sein; aber
Undank und zu starkes Selbstgefühl im Alltag bewirken auf der geistigen
Ebene, dass bestimmte Wesen sich einmischen, die von geistiger Ord-
nung abgefallen sind. Respekt für das Kleine, das Unbedeutende, das Ab-
weichende, das Gehänselte, kurz gesagt, Anerkennung des Göttlichen in
allem, was in der Sinneswelt aus welchen Gründen auch immer
Abweisung erfährt, schafft interessanterweise auf der geistigen Ebene
Schutz vor Versuchern. Der in den Evangelien oft erwähnte Umgang
Christi mit Zöllnern und Sündern weist darauf hin, dass der geistig
Strebende keinen Menschen als zu niedrig erachten darf, um mit ihm
Geselligkeit zu pflegen. Devotion und Dankbarkeit gilt immer und über-
all in der Meditation auch als eine Seelenhaltung des exakten Takt-
maßes.
Verglichen mit einem Gebrauchsgegenstand geht es da um eine see-
lisch-geistige Waage, auf der die Geistesgegenwart des Ich sich selbst an
der Umwelt misst. Wenn es dem Ich gelingt, eine qualitative Bilanz mit
dem erlebten Objekt zu ziehen, erfüllt es am ehesten die geistige Gesetz-
mäßigkeit, die einen Dialog ermöglicht. Sich unbesonnen in verwegene
Geisteszustände zu stürzen, wäre ungehörig und leichtsinnig. Wenn du
etwa ein Gefühl wie Scham in der Meditation erlebst, dann bist du auf
dem richtigen Weg zur Geistesforschung. Dieses feine Schamgefühl wä-
re der rote Teppich, aus dem der Schößling aus Devotion und der Ein-
schlag aus Dankbarkeit gewoben seien, auf welchem du zum Spirituellen
schreiten oder fliegen darfst.
Als ich Hilda Boadi, eine Lehrerin und Sängerin aus Ghana, Westafri-
ka, in Norwegen kennen lernte, erfuhr ich ganz Neues zum Begriff und
der Tätigkeit der Dankbarkeit. In ihrer Sprache heißt danke schön etwa
medauase . Das Wort wird mit lieblichen, beinahe schüchternen Gesten
der Hände und einer Neigung des Oberkörpers ausgesprochen. Die drei
Silben me, daua und se werden je betont, und in dem daua kommt eine
kurze Ausdehnung des ersten vor. Ich konnte daraus mit Leichtigkeit
entnehmen, dass das Wort daua mit dem uralten Begriff der Göttlichkeit
199
Tauwa zu tun hat, das ich in meditativen Forschungen über Atlantis ge-
funden habe, wie im ersten Buch dargelegt wurde.108
Im Chinesischen Tao und im Griechischen theos für Gott er-
scheint es erneut. Damit wurde für mich sofort spürbar, dass das deut-
sche Danke , das englische thank you und das norwegische takk das
Tauwa , das Göttliche, in sich bergen. Dankbarkeit auszudrücken wird
demnach gleichbedeutend damit, einem Gott, einer Gottheit Lob, Aner-
kennung und Zuneigung zu geben. Freilich wird das vordergründig nicht
mehr oft beim Danksagen erlebt.
Es ist die schönste Art, von seiner Persönlichkeit aus dem Übersinn-
lichen hingeführt zu werden, wenn diese Führung durch die Dankbar-
keit geht, durch die Dankbarkeit gegenüber dem Leben. Diese Dank-
barkeit, sie ist auch ein Weg ins Übersinnliche, und sie landet zuletzt
bei der Verehrung und bei der Liebe zu dem lebensspendenden Geist
des Menschen. Die Dankbarkeit gebiert die Liebe. Die Liebe gebiert
dann, wenn sie aus der Dankbarkeit für das Leben geboren ist, das
Aufschließen des Herzens für die das Leben durchdringenden Gei-
stesmächte.109
Wie aus dem Zitat von Steiner hervorgeht, gehört Dankbarkeit mit Liebe
zusammen. Jeder echte Erkenntnisprozess ist eigentlich auch ein Liebe-
prozess. Ohne uneigennützige Hingebung an die Sache werden sich die
Zusammenhänge, die gesucht werden, nicht erschließen. Aus Karma-
erkenntnis kann wieder Dankbarkeit an die geistige Welt sich entbinden
lassen und daraus kann echte Liebe wachsen in Hinblick z. B. auf das-
jenige, wo man mit jemandem in Schwierigkeit oder Konflikt gelebt hat.
Wie gehst du mit Karmaerkenntnis um?
Während du noch in der umfassenderen Karmameditation bist, dich
aber gerade von deinem Engel verabschiedet hast, kannst du dich in dei-
ner Hütte hinsetzen, um alles Geschehene erneut ruhig nachwirken zu
lassen. Hier kannst du verschiedene Arbeitsweisen ausprobieren: bildfrei
etwas nachklingen lassen, Bildhaftes rückwärts laufen lassen, bestimmte
Ansichten ins Auge fassen, auf überraschende Details achten, Unklarhei-
ten deutlicher fassen usw. Einzelne Meditationen in der Hütte können
sogar nur dazu dienen, um solcher erforderlichen Aufarbeitung nachzu-
gehen oder jemand mitzunehmen , den man sonst im Alltag z. B. nicht
108
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 160ff.
109
Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band V,
GA 239, Dornach 1984, Seite 224.
200
unmittelbar erreichen kann. Dinge, die diffus bleiben oder sich nirgends
in die Gesamtheit des Erforschten einordnen wollen, sparst du für später
auf. Irgendwann wirst du damit weiter kommen, oder du erkennst, dass
etwas Falsches oder Abwegiges sich in dein Bewusstsein gemischt hat.
Es lohnt sich wie bei der Kunstbetrachtung , Notizen zu ma-
chen, das heißt, ein Meditationsbuch zu führen, weil die Dinge, die medi-
tativ erlebt werden, sich nicht so leicht wie Sinneseindrücke dem Ge-
dächtnis einprägen. Im Alltagsbewusstsein arbeitet der Ätherleib, der
Träger des Erinnerungsvermögens, parallel zum Sinnesleben und bildet
alles ohne Weiteres für das Gedächtnis nach. Es kann sogar richtig sein,
während der Meditation Notizen festzuhalten, entweder fortlaufend oder
du hältst kurz inne, um zu notieren oder zu illustrieren. Ich lernte einmal
eine junge Psychologin kennen, die aus eigener Kraft viele Inkarnationen
nachgeforscht hatte. An ihren mit Farbstiften gemachten Bildern der
komplizierten geistigen und karmischen Gefüge konnte ich wiedererken-
nen karmische Tendenzen, die ich schon kannte, wo sie selber aber un-
sicher war und deshalb eine Bestätigung brauchte, um weiter zu kom-
men.
In der Meditation als Innenwelt soll aber die Sinneswelt ausgeschlos-
sen sein, und der Ätherleib kann deshalb auch nicht wie gewöhnlich
arbeiten. Dieselben Lebenskräfte, die sonst für das Erinnern zuständig
sind, werden für die innere bildnerische Anstrengung benutzt. Dadurch
entsteht eine Art Vakuum, das nur durch bewusste Sinnes- und Seelen-
arbeit, z. B. Schreiben, Zeichnen oder Malen im Nachhinein erfüllt wer-
den kann. Das geistig Erlebte wird man einfach wieder vergessen oder es
wird sich abdämpfen, wenn es im Leben nicht bewusst verankert oder für
das soziale Leben der Mitmenschen fruchtbar gemacht wird.
Falls du nahe Freunde hast, die auch Karmaforschung betreiben oder
sich sonst für deine Tätigkeit absolut positiv interessieren, kannst du
überlegen, was du ihnen vermitteln möchtest. Wenn man sich gegensei-
tig karmisch erforscht, entsteht die Möglichkeit, einander das Erforschte
zu bestätigen oder Hinweise zu geben, die für das eigene Tun hilfreich
sein können. Du solltest keine Menschen informieren, von denen du be-
fürchtest, sie könnten mit solchen Fragen nicht umgehen. Wenn sie kein
Gespür dafür haben, bereitet man sich selbst und ihnen nur Probleme,
wenn man sie damit konfrontiert.
So musst du damit rechnen, dass du mit der Zeit eine Menge Erkennt-
nisse über dich und andere Menschen sammelst, die du höchstwahr-
scheinlich nur wenigen zumuten und anvertrauen kannst und die du da-
rum bescheiden für dich behalten musst. Nach meinen ersten anregen-
den und ergreifenden karmischen Erkenntnissen bin ich selbst zu naiv in
dieser Hinsicht gewesen. Dem Anschein nach waren mehrere naheste-
hende Menschen zuerst sehr interessiert an meiner Karmaarbeit, aber als
201
ich sie auf gemeinsames Karma hinwies und später Umfangreiches
selbstverständlich ohne Namen zu nennen veröffentlichte, wehrten sie
das Mitgeteilte von sich ab, oder sie zeigten bald solche ablehnenden
Attitüden, dass es vermutlich besser gewesen wäre, gerade ihnen nichts
erzählt zu haben.
Und sie bewahrten Schweigen über das Geschaute und erzählten in jenen
Tagen niemand etwas von dem, was sie gesehen hatten. Dieser Satz aus dem 4.
Lukas-Evangelium ist ein Archetypus dafür, wie man sich gleich nach
geistigen Schauungen am besten verhält. Eine Geheimhaltung fordert
Beispiele aus der Karmaforschung
aber nicht, dass man später nie darüber etwas sagen soll. Nach einem
Reifeprozess, der halt individuell lang sein mag, darf das Evangelium
verkündet werden. Auch nichts Anderes habe ich mit dem ersten Buch
getan, auch wenn viele Kritiker mein Vorhaben als etwas Überhebliches
erlebten.
Eine verantwortungsbewusst weitergeführte Arbeit in der beschriebe-
nen Richtung wird mit der Zeit nicht nur das persönliche Leben und ver-
schiedene Beziehungen positiv verändern, sondern möglicherweise wirst
du auch von der geistigen Welt, die allmählich in der Meditation er-
scheint, neue Aufgaben erhalten, die dein Leben verändern werden. Auf Es gibt keine Möglichkeit,
diesen Punkt werde ich im 7. Teil noch zurück kommen. der Betrachtung der Folgen deines Tuns
Ein wunderbares Beispiel, wie jemand seine karmischen Erkenntnisse aus dem Wege gehen.
veröffentlicht hat, ist das Buch Es begann in Atlantis von Christiane Früher oder später wirst du es tun.
Sautter.110 Mit poetischem Stil erzählt sie detaillierte und dramatische Glaubst du nicht an das Karma?
Ereignisse aus vielen Leben, aber auch Situationen im geistigen Bereich Wenn du zwei oder drei Hiebe
zwischen ihnen. Die Schilderungen der Geistsphäre, wo das letzte und von seiner Peitsche erhalten hast,
das künftige Leben miteinander in feinen Sequenzen der Umwandlung wirst du es kennen,
verwoben werden, bilden Perlen der Schönheit, mittels derer die Loya- weil du den Schmerz spürst.111
lität, das Wohlwollen und die Befähigung der geistigen Welt gezeigt wer-
den. Das Buch ist weit entfernt von Sentimentalität und Selbstherrlich- Stylianos Atteshlis ( Daskalos )
keit. Das literarische Dokument lässt jeden frei, die berichteten karmi-
schen Tatsachen in eine wissenschaftliche Ordnung gemäß karmischer
Gesetzmäßigkeiten einzuordnen. Hochinteressant ist außerdem die
Schilderung eines individuellen Entwicklungswegs, der nicht geradlinig
verläuft, sondern viele Abweichungen, Rückschritte und Umwege auf-
weist, bis das Zentralthema der Individualität der Christiane Sautter
nochmals integriert werden kann.

111
Kyriacos C. Markides, Der Magos von Strovolos. Die faszinierende Welt eines
110
Christiane Sautter, Es begann in Atlantis. Ein Lebensweg durch die Jahrhunderte, spirituellen Heilers, Knaur Esoterik, Band 4174. Droemersche Verlagsanstalt Th.
Ch. Falk-Verlag, Seeon 1997. Knaur Nachf., München 1988.

202 203
Sowohl in der Kunst wie auch in der Wissenschaft ist eine qualifizierte
Leistung zunächst vom einzelnen Künstler oder Wissenschaftler abhän-
gig, der damit etwas Neues hervorbringt. Dass möglicherweise weitere
Menschen am Zustandekommen seines Produkts mitbeteiligt gewesen
sind, seine Kunst genießen oder aus seiner Forschung Nutzen ziehen,
ändert nichts an dieser Tatsache. Seine Werke und Erkenntnisse sind in
erster Linie ein Erzeugnis ganz individueller Art.
Für die Entwicklung künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens ist
ein gesellschaftlicher Austausch zwischen dem autonomen Erschaffer mit
dessen daran gebundenen Erlebnissen und den Erfahrungen Anderer un-
entbehrlich. Dabei ist es in künstlerischen und wissenschaftlichen Krei-
sen Konsens, dass diejenigen, die sich an einem Diskurs über ein be-
stimmtes Werk oder eine bestimmte Forschung beteiligen, selber fach-
liche Kompetenz besitzen müssen, damit ein zur Diskussion stehendes
Thema sachgerecht behandelt werden kann. Dass Forschungsgespräche
über die Art geführt werden, wie jemand zu geistigen Erkenntnissen
durch eigene übersinnliche Erlebnisse und seelisch-geistige Fertigkeiten
kommt, ist hingegen nicht in gleicher Weise selbstverständlich, weil auf
geistigem Feld die Teilnehmer noch mehr als auf sinnlichem in ihren in-
dividuellen Ansätzen herausgefordert sind.
Ich bin der Auffassung, dass eine neue Geistesforschung aus meditati-
ven Quellen entwickelt werden kann, wenn alle Stufen des Suchens und
Auffindens von Ergebnissen beschrieben werden. Es darf geschildert
werden, was gefunden worden ist, wie es gefunden wurde, was die Ent-
deckung bewirkt hat und warum erforscht wurde. Die Umstände und Be-
dingungen, welche für das Entstehen eines Forschungsergebnisses auf
geistigem Felde maßgebend waren, sollten sorgfältig beschrieben wer-
den, damit ein Konsens über die aktuelle Karma- und Geistesforschung
erreicht werden kann, was überdies auch deutlich machen würde, wa-
rum es wichtig ist, sich auszutauschen.
Illusion und Wahrheit
In den letzten Jahren wurden mir abermals Fragen gestellt, wie eine
Sicherheit entstehen kann, ob man sich auf dem richtigen Weg befindet.
Wie erkennt man die Wahrheit in Bezug auf karmische Bilder? Wie kann
man durchschauen, dass die karmischen Befunde keine subjektiven Projek-
tionen sind? Woher nehme ich die Gewissheit, dass die Zusammenhänge,
die ich veröffentlicht habe, überhaupt mit der Richtigkeit zu tun haben?
Wie kann ich wissen, dass ich mich nicht geirrt habe? Solche und ähnli-
che Fragen sind jedenfalls berechtigt, aber sie können, wie es mir scheint,
dem Fragenden selber seine Begeisterung dämpfen, geistige Forschung
204
selbst zu entwickeln oder sie bei Anderen unterstützen zu wollen. Ich
kannte eine akademisch gebildete Anthroposophin, die seit längerem
verstorben ist, welche solche unbewusste Angst und bewusste Vorsicht
gegenüber dem Karmathema hatte, dass sie die Bücher von Steiner, die
seine Karmavorträge beinhalten, nie öffnete. So fühlte sich damit sicher,
dass sie auf diesem Gebiet nie zu etwas Falschem beitragen würde.
Ich habe jederzeit betont, dass es darum geht, in sich selbst die Sicher-
heit zu bekommen. Ein Anderer kann einem die Wahrheit nicht geben,
jeder kann nur selber wahr sein und die Wahrheit entschlüsseln. Das
eigene, vorurteilsfreie Ich ist das Messgerät der Wahrheitsfindung. Ein in-
nerer Kosmos kann aus den verschiedenen Befunden entstehen, so dass sie
in Bezug zueinander wechselseitig in einem durchschaubaren Zusam-
menhang sich in Bewegung halten, damit sie sich selber tragen und
keinen Beweisgrund brauchen, ganz anders als es bei einem Kartenhaus
ist, welches einen Tisch als Unterlage benötigt und trotzdem durch einen
kleinen Luftzug zusammensacken wird.
Auch die Ergebnisse von Anderen müssen ähnlich in der Seele erwo-
gen werden, damit sie zur Erkenntnis ergründet und aufgebaut werden
können. Immer wieder haben Menschen mir gesagt, dass sie meine kar-
mischen Angaben im ersten Buch nicht überprüfen können. Dieser An-
spruch stimmt nur ansatzweise. Wenn jemand es wirklich wollte, wäre
es absolut möglich, sie nachzuprüfen. Teils könnte man die erteilten Ge-
schichten in ihrer ganzen Fülle miteinander abwägen, um einen sach-
lichen Konsens zu entschlüsseln. Wiederum könnte man das Anvertrau-
te meditativ ausforschen, was einige Freunde teilweise mit Vergnügen
gewagt haben.
Einerseits soll man unvoreingenommen alles annehmen, was durch die
Karmaübung oder in der Meditation entsteht und dann die Auskünfte
miteinander prüfen. Andererseits soll man die vorläufigen Diagnosen oder
die Urteile, die man versucht hat aufzustellen, stets durch neue Unter-
suchungen und Fragestellungen erweitern oder auch ändern und berich-
tigen wollen. Im Grunde suche ich in der Karmaforschung keine Beweise,
sondern ich fordere mich selbst auf, Resultate zu suchen, die zu neuen
Fragestellungen und weiteren Forschungen führen können.
Die spirituelle Geistesströmung wird nur gedeihen können, wenn wir
den Unterschied zwischen Fragen und Urteilen verstehen lernen.112
So markant stellte einmal Rudolf Steiner den Leitgedanken des Forschers
im Übersinnlichen dar. Urteile sind richtig auf dem Platz, wenn man
sich bemüht, Korrekturen vorzunehmen oder Berichtigungen von fal-
112
Rudolf Steiner, Aus der Akasha-Forschung. Das fünfte Evangelium, GA 148, Dor-
nach 1980, Seite 168.
205
schen Deutungen seiner eigenen Mitteilungen zu geben, aber sonst sollte
man die Darstellungen von übersinnlichen Motiven in unbefangener
Weise auf sich wirken lassen und eine Meinungsbildung in geistigen Din-
gen vermeiden. Es ist eben so, dass nicht nur die Ich-Wesen der Men-
schen reinkarnieren, sondern auch die anderen Wesensglieder oder Tei-
le von ihnen können reinkarnieren und so zur Verfügung gestellt werden
für Individualitäten, die diese Glieder früher selbst nicht geschaffen ha-
ben. Ebenfalls in dieser Frage spreche ich aus eigener Erfahrung, was
frühere Inkarnationen betrifft. So müssen wir z. B. solche Feinheiten, die
in Betracht kommen könnten, verfolgen und nicht ruckzuck etwas fest-
legen und als Wahrheit proklamieren. Reinkarnation und Karma ist und
bleibt eine komplizierte Geschichte, wo allgemeine Gesetze und individu-
elle Ausnahmen sich manchmal kreuzen, aber trotzdem muss weiter ge-
forscht werden, und das, was herausgefunden wird in Bezug auf karmi-
sche Zusammenhänge, sollte bei günstiger Gelegenheit weitergegeben
und in Vergleich zu anderen Forschungen gesetzt werden.
Einen Grund, warum ich im 1. Teil Gegebenheiten der Künste er-
arbeitet habe, ist, dass wir dabei lernen können, bei den Tatsachen zu blei-
ben, dass wir lernen, zu sehen, wie physische Bedingtheiten miteinander
sachgerecht verbunden sind und zueinander stehen. Diese Tatsachenge-
wohnheit befördert eine Disposition für die Wahrheit in der Seele, so dass,
wenn du nicht mehr auf physische Dinge hinschaust, du ein Wahrheits-
gefühl in die geistige Welt mitnimmst. Merkwürdigerweise wird die Wahr-
heit uns dort quasi nicht entgegen rasen. Wir müssen selbst einen Wahr-
haftigkeitsfaktor ähnlich wie einen Magnet mitbringen, der die Wahrheit
anbringen lässt und Fälschungen wegschiebt. Wir müssen uns für die
Wahrheit zuvor reif gemacht haben, damit sie sich in der Meditation zu
uns wagt, denn sie ist ein Wesen, mit welchem Umgang gepflegt werden
kann und sollte.
Steiner bezeichnete die Wahrheit als eine Schwester der menschlichen
Seele die wir vernachlässigt haben, könnten wir gestehen. Als Wahr-
heitsforscher benannte Daskalos sich und seine Mitarbeiter. Es gilt also,
bei allen übersinnlichen Untersuchungen seiner eigenen Seele gerecht zu
sein. Wenn wir sie vor der meditativen Erhöhung, währenddessen und
nachher pflegen und uns vom Geistigen quasi befruchten lassen, werden
wir mit Sicherheit von der Wahrheit selbst als etwas Wesenhaftes nicht
äußerlich, aber sinngemäß schwanger . Davon habe ich im ersten Buch
tatsächlich zum Thema der Verstorbenen etwas ganz Ernstes, Erhabenes
und zugleich Subtiles dargestellt, was allen Kritikern scheinbar ent-
schlüpft ist.113 Während eines solchen Geist-Erlebens fühlte ich mich he-
rausgelöst aus mir, aus dem gewöhnlichen Ich. Ich konnte mich als ein
113
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 267f.
206
Geistwesen auf neuer Weise aufrecht erhalten, weil ein anderes Wesen
mich aufsuchte . Es war ein tiefster, erschütterndster Eindruck. Von die-
sem Augenblick an, der in vielfältiger, nach geistigen Gesetzen ablaufen-
der, aber immer in individueller Weise sich ereignet, weiß man, was es
heißt, unabhängig vom Sinnesleben des Leibes innerhalb der Seele selber
sich zu erleben. Der Okkultismus benutzt folgenden Ausdruck für dieses
Erlebnis: man sei als Mensch an der Pforte oder des Tores des Todes ange-
kommen, das dann eine geistig-seelische Neugeburt fordert, ehe man
sich wieder als Sinnesmensch zurecht finden kann.114 Im 7. Teil komme
ich auf dieses Thema nochmals zu sprechen, ohne aber weitere so ge-
nannte Tore zur geistigen Welt explizit darzustellen, von denen es meh-
rere gibt, weil die geistige Welt ja in mehreren Bereichen, Ebenen oder
Wirkungsbereiche eingeteilt ist, die man gewissermaßen betreten muss.
Die menschliche Seele kann eigentlich nur von Wahrheitssubstanz be-
stehen. Wenn also Unwahrheiten und Illusionen trotz aller Vorbereitun-
gen sich hinein schleichen oder es ihnen erlaubt wird, die Seele zu infi-
zieren, wird die Seele irgendwann krank oder sie schiebt dann die Un-
wahrheiten quasi eine Ebene nach unten hin, so dass im Ätherleib Stö-
rungen entstehen können. Z. B. könnten Hochmut, Eitelkeit, Schlaflosig-
keit oder sogar Verfolgungswahn aus solchen subjektiven Fehlurteilen
entstehen. Der Forscher des Geistes wird da bereit sein, sich jederzeit in
das Licht der allgemeinen Wahrheit zu stellen, um sich von anderen
Wahrheitssuchern prüfen zu lassen, sonst wäre er nicht ernst zu nehmen.
Deine innere Ehrlichkeit muss so charakterfest sein, dass du andauernd
bereit bist, alles wieder von vorne anzufangen, wenn du herausfinden
würdest, dass du der Wahrheit nicht gedient hast. Grenzenlose Wahrheits-
liebe muss mit goldenen Buchstaben als Devise über dem Portal der
Geistesforschung leuchten. Das scheint mir eine glasklare Selbstverständ-
lichkeit zu sein, über welche wir nicht diskutieren müssen.
In offenen Gesprächen über karmische und geistige Erfahrungen wird
die Wahrheit in Person selbst anwesend sein und aus den erforschten
Inhalten sich aussprechen. So muss man keine Angst haben, die Wahr-
heit nicht zu finden, auch da, wo Scheinwahrheiten sich angesammelt
haben könnten. Mut zur Wahrheit dagegen zieht sie regelrecht an und ein
Forscher, der bereit ist, seine eventuellen Wunschbilder aufzugeben,
fürchtet sich nicht, wenn er mal wieder auf Falsches trifft. Mindestens
weiß er, wenn er gegebenenfalls einmal etwas Wahres erkannt hat, dass
es mit der Zeit glücken wird, auch wenn er zunächst keinen Umsatz
damit machen kann. Im 6. Teil, wenn wir zum Thema Doppelgänger
kommen, werde ich dieses Thema noch ergänzen.
114
Vergleiche Rudolf Steiner, Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod
und neuer Geburt, GA 153, Dornach 1978, Seite 43ff.
207
 Warum brauchen wir authentische Imaginationen?115
Meine Versuche mit anthroposophischer Meditation und Karmaübun-
gen während Jahrzehnten waren stets an den Eindrücken und Erlebnis-
sen aus den übenden Verrichtungen orientiert. Ich habe mir immer prä-
zise Ideen über Reinkarnation und Karma gesucht und das daraus ent-
standene Ideal verfolgt, konkrete Fragen und Problemstellungen zu der
aktuellen Biografie oft in Zusammenhang mit Naturereignissen oder mit
sozialen und historischen Fragen als Grundlage des Übens zu pflegen.
Es ist mir beim Üben klar geworden, dass jeder Versuch, das Sinnes-
leben für eine Weile auszuschließen, ein abenteuerliches Experiment ist.
Jedoch vermag diese Empirie im individuellen Ausführen denjenigen
Anforderungen Genüge zu tun, welchen sich der Geistesschüler unter-
ziehen muss, damit er in einem fortgesetzten Arbeitsprozess unbefangen
und undogmatisch verbleibt. Deshalb kann jedes Ergebnis, das durch hö-
heres Bewusstsein möglicherweise zu Stande kommt, nach diesem Ver-
fahren ergänzt und erweitert, nötigenfalls auch modifiziert oder korri-
giert werden. So wird ein errungener Fortschritt, den man sich zunächst
selbst zuschreiben darf, zur Grundlage für weitere Experimente.
Um den wissenschaftlichen Charakter des übersinnlichen Übens zu
garantieren, falls man das wünscht, muss man seinen Weg, seine Metho-
dik und die Umstände des Erkenntnisvorgangs im Rückblick anschauen
und von immer neuen Seiten charakterisieren können. Ferner darf man
nicht die Mitteilung scheuen, damit andere Forscher das Ergebnis nach-
vollziehen oder überprüfen können. Nachdem ich bestimmte imaginative
Erfahrungen vor mehreren Jahren machte und schließlich eine vielfältige
Arbeit mit Menschen begann, habe ich erfahren, dass insbesondere der
persönliche Bericht manche meiner Zuhörer oder Leser so anzusprechen
vermochte, dass sie eine Art Scheu vor der geistigen Welt oder ein man-
gelndes Selbstvertrauen überwinden konnten.
Nicht nur ein allgemeiner Hinweis auf geistige Gegebenheiten oder
Gesetze, sondern meine unmittelbare individuelle Auseinandersetzung da-
mit in Sprache übersetzt schaffte oftmals erst die nötige Grundlage
dafür, dass andere damit etwas Konkretes anfangen konnten. Die
Schwierigkeit und die Aufgabe besteht allerdings darin, das geistig Erleb-
te und Erforschte durch bekannte oder neue Bilder, Darstellungen und
Begriffe so zu interpretieren, zu kommentieren und zu charakterisieren,
dass man sich wiederum allgemein darüber verständigen kann.
115
Die Darstellungen in den nächsten Kapiteln wurden als Aufsatz im Internet
(www.hermetika-aorim.de) und dann 2004 in der Wochenschrift Das Goethea-
num veröffentlicht.
208
Mir ist es so ergangen, dass die Karmaforschung und das Erforschen
von übersinnlichen Tatsachen nicht nur inhaltliches Wissen gebracht ha-
ben. Die Erkenntnisse als Folge der meditativen Betätigung haben auch
eine solch bejahende und gestaltende Wirkung auf meine Seele gehabt,
dass ich quasi vor mir selbst ein anderer Mensch geworden bin. Insbe-
sondere ist es aber wichtig, eine geistige Arbeit so durchzuführen, dass
sie sich in einen sozialen Kontext einfügen kann. Ein Geistesforscher wie
jeder andere Wissenschaftler möchte, dass seine Bemühungen und Er-
gebnissen unter Kollegen wahrgenommen und sachlich geprüft werden.
Daher strebt er jeden hilfsbereiten Kontakt an, um Austausch und Ver-
gleich zu finden. Wenn seine Befunde, die ihn viel Mühe gekostet haben
mögen, von vermeintlich sachkundigen Kritikern bemängelt werden,
muss er seine Arbeit beschützen, weil er annehmen muss, dass sie unter
einem geistigen Stern steht.
Anhand eines Exempels, das ich schildern möchte, soll einer meiner
Forschungsansätze und meine Vorgehensart veranschaulicht werden, die
sich an definierten Aufgabenstellungen und konkreten Situationen orien-
tieren. Es geht in diesem besonderen Fall um die Karmawirkung zwischen
zwei Individualitäten, deren Spuren ich rückwärts in hauptsächlich zwei
früheren Leben gesucht habe.
Frühere Leben von zwei Betreuten
Dieses Beispiel aus meiner eigenen meditativen Forschung geht zurück
in die Jahre vor dem Erscheinen des ersten Buches. Ich habe es in Vor-
trägen erneut benutzt und außerdem in einem z. B. im Internet veröffent-
lichten Aufsatz gebracht, weil darin bestimmte allgemeine Bezüge ent-
halten sind.
In den 70er Jahren arbeitete ich einige Jahre in der Heilpädagogik in
Norwegen. In einem Heim für seelenpflegebedürftige Jugendliche und
Erwachsene hatte ich u. a. mit einem jüngeren, damals noch nicht er-
wachsenen Mann zu tun, der seit Geburt an einer so genannten cerebralen
Parese litt, einer Behinderung, die auch seine Bewegungs- und Gehfähig-
keit stark beeinträchtigte. Einige Jahre später, nachdem ich nicht mehr
dort arbeitete, hörte ich von seinem überraschenden Tod. Es wurden mir
von mehreren Personen, die ihn an seinem Sterbetag betreut hatten,
genau die Umstände des tragischen Vorfalls berichtet. Nach einer
Schwimmstunde, die jede zweite Woche stattfand, war er nicht mit der
ganzen Gruppe zum Duschen erschienen. Niemand hatte ihn zunächst
vermisst. Er war ein guter Schwimmer und so weit selbstständig, dass er
es stets allein schaffte, das Schwimmbecken zu verlassen. Schließlich
wurde er im Wasser ertrunken aufgefunden. Nur wenige Minuten waren
209
vergangen, seit man ihn zuletzt beim Schwimmen gesehen hatte. Ein
sofort eingesetzter Wiederbelebungsversuch blieb wirkungslos.
Als ich über ein Jahrzehnt später in Karmaübungen Schicksalsmotive
aus diesem Menschenumkreis zu untersuchen begonnen hatte und mich
seit einigen Wochen besonders mit diesem jungen Mann befasste, dem
ich hier das Pseudonym Gernot gebe, kam in einer Meditation von einer
verstorbenen Mitarbeiterin, hier Algot genannt, ein überraschender Hin-
weis dazu, wie ich bei der karmischen Erforschung der Krankheit und
des Todesfalls von Gernot vorgehen sollte. Die Verstorbene drückte aus,
dass in der Erforschung ein anderer Junge, hier Robert genannt, der da-
mals auch im Heim lebte, aber später den Wohnort wechselte, mit einbe-
zogen werden müsste, ohne den ich überhaupt nicht vorwärts kommen
würde. Wenn Gernot eher ein sozialer Typ war, der gerne Geschichten
hörte, dann zog sich Robert öfters zurück, um allein zu sein und hand-
werkliche Hobbys zu pflegen. Kehrte Gernot eine Art profilierten Hitz-
kopf heraus, lebte sich Robert in Rastlosigkeit und aufbrausendem Tem-
perament dar. Algot war eine Mitgründerin des Heims gewesen, und sie
hatte das Geschick, mit den beiden jungen Leuten in der Webstube in
geistig angemessener Weise umgehen zu können. Ich folgte nun ihrem
Rat und in einer Meditation ergaben sich zwei Imaginationsstränge. Ich
berichte zunächst die geschauten Inhalte in Präsensform, um die beob-
achteten Umstände unmittelbar wiederzugeben, und werde anschließend
die Art des Zustandekommens der Bilder und ihrer Beziehung zur Ge-
genwart näher zu erläutern versuchen, um dir einen Einblick in den Ab-
lauf des Methodischen in diesem Fall zu geben.
Ich bin im Beobachterbewusstsein anwesend in einem schlichten Zim-
mer mit fest gestampftem Erdboden, in welchem ein Mann allein ar-
beitet. Mir ist klar, dass ich nur in der Schau bin, was bedeutet, dass ich
mich selbst in diesem damaligen Moment nicht dort körperlich aufge-
halten habe. Das Zimmer ist eine Art Küchenraum. Rechts in der Stube,
an der Wand, steht ein gemauerter Herd, auf dem sich ein großer Kessel
mit Griffen und kochendem Wasser befindet. Der Mann erscheint hoch
aufgeschossen und kräftig. In ihm schaue ich eine Inkarnation des Ger-
not. Er hat eine Schürze und Hosen an, aber kein Hemd, weswegen seine
kräftigen Arme sichtbar sind. Er hat gerade die Absicht, den Kessel hoch
zu heben. Er will mit dem heißen Wasser zum Hof hinaus gehen, um
dort seine Arbeiten fortzuführen. Links in der Stube, gegenüber dem
Ofen, befindet sich die Holztür, die nach außen führt. Es wird mir klar,
dass der Raum Teil eines größeren Anwesens ist, das einem italienischen
Edelmann gehört, der damals eine Inkarnation von Algot gewesen ist. Ich
erkenne ebenfalls, dass ich selbst den vorliegenden Ort bei Lodi in der
Lombardei in dieser Epoche schon aus einem eigenen damaligen Leben
gut kenne. Vermutlich bin ich einige Zeit nach dem Ereignis selbst dort
210
angereist. In dem Moment, als Gernot den Kessel hoch hebt, kommt
durch die geöffnete Tür ein kleinerer Mann, sprechend und mit den Ar-
men gestikulierend, hinein gerannt. Ich weiß, es handelt sich um den
späteren Robert. Der Große nimmt ihn wahr und bleibt mit dem Kessel
neben dem Ofen in meiner Blickrichtung breitbeinig stehen. Der Kleine
wirkt merklich erregt, läuft hin zum Ersteren und übermittelt ihm eine
Nachricht, von der er meint, dass sie der andere unbedingt wissen sollte.
Der Große will aber seine Arbeit zu Ende bringen, auch weil der Was-
serbehälter ziemlich schwer zu tragen ist. Er ärgert sich und wendet sich
zur Tür. Dabei schwappt etwas heißes Wasser aus dem Topf, wovon et-
was den kleinen Kerl trifft. Dieser macht unwillkürlich eine Handbewe-
gung nach oben hin, mit welcher er gegen den Unterarm des Anderen
stößt. Der Große kann dadurch den Kessel nicht mehr halten. Dieser
entgleitet seinem Griff, und das kochende Wasser ergießt sich über den
kleinen Mann, so dass dieser furchtbare Verbrennungen erleidet.
Nach der Schau dieses Geschehens klingt die Imagination aus, aber
einige Informationen des weiteren Ablaufs tauchen dabei noch auf. Der
Kleine erhält schwere Verbrennungen im Gesicht und am Körper, so
dass er für sein Leben stark behindert wird und nur mit Mühe seine Ar-
beit als Bauer weiter ausüben kann. Für den Großen bewirkt der Unfall,
dass er sich zu bemühen anfängt, seinen Stolz zu beherrschen, um sich
später mit dem Verletzten auszusöhnen. Es ergibt sich der Hinweis, dass
er sich danach im damaligen Leben um den Unterhalt und die Pflege des
Freundes kümmert.
In einer Ruhepause der Meditation fragte ich mich, ob das geschaute
Ereignis, das ich ins Mittelalter rückdatierte, einen vorhergehenden kar-
mischen Anstoß gehabt haben könnte. Diese Fragestellung führte zu
den weiteren Imaginationsbildern.
Ich schaue nochmals als geistig Anwesender. Was ich sehe, könnte in
der Römerzeit sein. In einer offenen Landschaft plätschert mir auf der
rechten Seite ein kleiner Fluss entgegen. Weiter links liegt ein Dorf oder
eine kleine Stadt, die aber nicht von meinem Standpunkt aus zu sehen
ist. Von dort ist eine mollige, in mittlerem Alter stehende Frau zum
Fluss gekommen, um ihre Wäsche zu waschen. Ich erkenne in ihr Robert.
Der Wäschekorb steht neben der knienden Frau. Sie bewegt ein Wäsche-
stück im frischen, kalten Wasser hin und her. Ich habe den Eindruck,
dass sie es sehr schätzt, allein hierher zu kommen, um eine Weile diese
wichtige Arbeit in Ruhe zu machen, und auch, um ungestört ihren eige-
nen Empfindungen nachgehen zu können etwas, das ihr nur schwer
bei der großen Betriebsamkeit zu Hause gelingt. Dann naht von links
eine jüngere, hagere Frau mit ihrem Wäschekorb es ist mir klar, dass
Gernot ihr entspricht. Es ist wiederum klar, dass die beiden sich kennen,
weil der älteren Frau die jüngere einen Gruß zuruft. Wegen des rau-
211
schenden Wassers und des Versunkenseins in ihr Tun hört jene die Stim-
me der Nachbarin nicht. Sie bemerkt zuerst überhaupt nicht, dass je-
mand gekommen ist. Die Jüngere stellt ihren Korb ab und klatscht mit
ihrer Handfläche der Älteren auf die linke Schulter. Diese dreht sich
überrascht um, versucht, sich aufzurichten, verliert aber die Balance und
fällt wild gestikulierend ins Wasser. Die Strömung ist stark. Der Frau
gelingt es nicht, sich schwimmend über Wasser zu halten vielleicht
konnte sie auch nicht schwimmen. Sie ertrinkt, ohne dass die jüngere
Frau sie retten kann. Diese rennt ins Dorf zurück, um aufgeregt das
Unglück zu berichten. Was im letzten Satz ausgedrückt ist, stellte sich
nicht als bildhafte Imagination dar, sondern erfolgte als wissender Ein-
druck im Erklingen der Bilderfolge.
Begleiterscheinungen des imaginativen Schauens
Zu diesem beschriebenen Fall können eine Reihe von Fragen gestellt
werden und weitere Charakterisierungen des Forschungsablaufs und des-
sen Hintergründe können gegeben werden. Ich werde einige davon he-
rausholen und so in Worte kleiden, dass der Sachverhalt einer solchen
Karmaforschung nachvollziehbar werden kann.
Im Jahre 1975 lernte ich die Heilpädagogin Algot und den Betreuten
Robert kennen. Etwa ein Jahr später kam die Betreuung des Gernot hin-
zu. Die Pflege der beiden Jugendlichen ging bis 1978. Zwei Jahre später
starb Algot und gegen Mitte der 80er Jahre verschied Gernot. Im Herbst
1996 vollzog ich die Forschungen, die zu den beschriebenen Imaginatio-
nen führten. Im Heim gab es in den Jahren dazwischen immer wieder
Projekte, die mit Farbgestaltung zu tun hatten. Daher hatte ich mit den
dortigen Mitarbeitern und Betreuten immer wieder zu tun. Das wurde
mir zum Anlass, um aus diesen Beziehungen einen meditativen Arbeits-
ansatz zu entwickeln. Hierfür waren die Erfahrungen mit den Menschen
in der Heilpädagogik und der Sozialtherapie von wesentlicher Bedeu-
tung. So wurde auch der Blick für Besonderheiten im menschlichen Zu-
sammenleben entsprechend geschärft.
Aus diesen Erlebnissen entstanden damals schon einige Fragen, die
später wieder aufgegriffen wurden: Aus welchen früheren Ereignissen
sind die Beziehungen zwischen Betreuten und ihrer Betreuerin ent-
standen? Welche Bedingungen führen Menschen mit solchen Behinde-
rungen zusammen? Welche karmischen Voraussetzungen liegen dieser
besonderen Krankheit der cerebralen Verkrampftheit zu Grunde? Was
liegt karmisch bei Hysterie vor? Aus welchem Karma neigen Einige da-
zu, immer allein sein zu wollen, während Andere die Einsamkeit fürch-
ten?
212
Meine ehemalige harmonische Beziehung zu Algot schaffte für die
spätere meditative Tätigkeit die schöpferische Grundlage. Ich empfand
es als stimmig, sowohl unser gemeinsames Karma erforschen zu wollen
als auch Algot in ihrer gegenwärtigen geistigen Präsenz aufzusuchen. So
kam ich, bevor ich mich an die Erforschung der beiden Betreuten mach-
te, unter anderem auch zu Ergebnissen aus dem 12. Jahrhundert, die uns
beide betrafen, hier aber nicht geschildert werden sollen. Nun ist es si-
cherlich gerechtfertigt, zu fragen: Wieso konnte ich wissen, dass sie die
Verstorbene war, die sich mir in der Meditation ankündigte und mir den
Hinweis zu weiterem Forschen gab? Warum habe ich die geschauten
Gestalten als zu den zwei Betreuten gehörend erlebt? Welche Kriterien
gibt es, dass es zu einer Identifikation überhaupt kommen kann? Wie ist
es möglich, zeitliche Daten und geografische Ortschaften zu identifizie-
ren?
Ähnlich wie ich im künstlerischen Schaffen als Maler entdeckt hatte,
dass ein Bild sich allmählich durch einen Strom aus fortlaufenden, an-
schaulichen Entstehungsschritten gestaltet, war es mir aufgefallen, dass
ich auch in der Meditation auf das prozessuale Entstehen von Empfin-
dungen und Bildern setzen konnte. Das heißt, der Weg in der Karma-
übung oder Karmameditation geht von bekannten, sinnlichen Gegeben-
heiten aus, die in einem zusammenfassenden Überblick erinnert werden
können, und geht über Wahrnehmungen im Fühlen. Das führt zu genau-
en und manchmal überaus klaren, bildhaften Gestaltungen in den Imagi-
nationen, die eine Informationsaura um sich tragen, die immerfort durch
das Denken hinterfragt werden kann. Ein Urvertrauen in die Möglich-
keiten des Ich, sich willentlich in der Meditation in alle Richtungen ori-
entieren und besinnen zu können, zieht imaginative Informationen an.
Die Fähigkeit des Ich, sich mutig und unmittelbar von allen Inhalten,
Gegebenheiten und auftretenden Wesen berühren zu lassen und sich
mit ihnen verbinden zu wollen, bringt das Ich auf die Bewusstseinsstufe
der Intuition. Die individuelle Integrationsfähigkeit in der Meditation be-
wirkt für das Erkennen die Evidenz bei der Identifikation der Eindrücke.
Die Inspiration von Algot, Robert mit einzubeziehen, erschien hinge-
gen durch kein imaginatives Bild. Dafür erklang eine innere Stimme im
Denkvorgang meiner Seele genau so handfest, wie ich erlebt hatte, wie
Algot mit einem Webstuhl umgehen konnte. Der große Mann mit dem
Wasserkessel stand mit einer Entschlossenheit an der Feuerstelle, wie ich
sie bei Gernot erlebt hatte, wenn er sich nach einem Sturz am Kiesweg
wieder brummend aufrichtete. Die Freudigkeit der hageren Frau, als sie
die ältere Waschfrau sah, fand ich auch in der Art wieder, wie Gernot
seine Anwesenheit im Kreis der Anderen stets fröhlich jauchzend kund
tat. Der kleine Bauer mit der wichtigen Nachricht war unmissverständ-
lich von einem Eifer erfüllt, der Roberts Arbeitslust entsprach, und das
213
Versinkenkönnen in die eigenen Gedanken stimmte überein mit Roberts
Ambitionen. Imaginationen wie diese verfügen über eine Datenfülle, de-
ren innerer Bezug nur aufwändig beschrieben werden kann. Das heißt,
man spürt, dass Inspiration und Intuition schon in ihr enthalten sind.
Für ihre Entschlüsselung jedoch muss das erforschende Ich dafür er-
wachen. Ich habe manchmal den Eindruck gehabt, dass, wenn meine
Fähigkeiten entwickelter wären, ich unaufhörlich eine Fülle weiterer
Hinweise aufnehmen könnte. Viele Anhaltspunkte in den erinnerten und
erschauten Ereignissen haben gewisse äußerliche Ähnlichkeiten, aber an-
dere Motive wiederum passen überhaupt nicht in ihrer Erscheinungs-
form dazu.
Die imaginativ auftretenden Gestalten in diesem Beispiel hatten mit
den gegenwärtigen Personen äußerlich nicht viel gemeinsam. Würde
man nur durch äußerlich auffallende Merkmale eine Identifikation vor-
nehmen wollen, wäre man hier beinahe verloren. Nur dadurch, dass ein
innerer Evidenzprozess, der sich wie musikalisch, poetisch oder atmo-
sphärisch also unsichtbar, aber trotzdem genau erkennbar durch den
rein imaginativen Bildraum hindurch kundtut, kommt man dazu, eine
Identifikation denken zu können. Das bedeutet, dass sich hier die der
Imagination folgende Stufe der Inspiration ankündigt, wobei beide Stu-
fen sich auch durchdringen können. So erscheint ein qualitativ gleiches
Element in den einzelnen Inkarnationen einer Individualität in verschie-
dener äußerlicher Ausprägung und Gestaltung. Ein Wiedererkennen der
darin verborgenen Individualität, die sich mit ihnen gleichsam unter-
schiedlich einkleidet, kann stattfinden, wenn der Forschende sich darin
übt, eine solche Qualität aus dem Erscheinungsbild der imaginativen
Wahrnehmung herauslösen und auf diese Weise die qualitative Grund-
formung des Bildes aufspüren zu können.
Es gilt, die verschiedenen Darstellungen der Inkarnationen einer Indi-
vidualität im Zeitenstrom auf ihre ihnen gemeinsam zu Grunde liegen-
den Faktoren zu untersuchen, also auf solche Qualitäten, die dann in-
spirativ erkennen lassen, dass sich eine gleich bleibende Wesensartung
durch eine imaginative Erscheinung hindurch ausspricht. Dies ist ein Er-
kenntnisvorgang auf inspirativer Ebene, den das in meditativer Versen-
kung forschende Ich zugleich mit der Wahrnehmung einer Imagination
leisten kann. Doch ist es auch möglich, dass ein zunächst nur imaginativ
Erlebtes anschließend im Normalbewusstsein weiter so durchdrungen
wird, dass eine inspirative Erkenntnis wie eine Oase in der Wüste
aufgefunden werden kann.
Erstaunlich durchgängig an diesem Beispiel ist das Motiv des Was-
sers, das hier als qualitatives Element erscheint und sogar in den Inkar-
nationen verschiedener Individualitäten auftritt. Es gibt in der heutigen
Inkarnation eine Schwimmhalle, zudem liegt das Heim auf einem
214
Strandgrundstück an einem Fjord. Gernot ist ertrunken. Damals hat das
kochende Wasser dem kleinen Mann/Robert die Verbrennungen zuge-
fügt und in einer weiteren Inkarnation starb die mollige Frau/Robert im
Fluss. In seiner Behinderung zeigte Gernot ähnliche Anzeichen, wie sie
die Folgen der Verbrennung waren, welche die andere Individualität im
Mittelalter wegen ihres Handelns bekommen hatte. Diesmal ertrank Ger-
not. In der Römerzeit wurde er dadurch schuldig, dass die andere Person
ertrank.
Könnte es sein, dass die beiden Individualitäten sowie ihre Betreuerin
eine besondere Affinität zum Wasserelement haben? Algot liebte bei-
spielsweise das Aquarellmalen und übte es als Hobby aus. Wie würde
sich Wasser in ihren vergangenen Inkarnationen bemerkbar gemacht
haben? Wie ist schließlich die Beziehung des Forschers selbst zu diesem
Element? Solche Fragen begleiten das Forschen und machen die Karma-
forschung zu einer begeisternden Tätigkeit. Ein Begleitphänomen des
imaginativen Schauens, welches dieses nachher als wirklichkeitsgemäß
offenbart, besteht oftmals darin, dass die Bilder und Informationen zum
Staunen Anlass geben. Man ist dann zunächst völlig überrascht, dass sich
genau ein solcher Zusammenhang vor dem inneren Blick entfaltet. Doch
gleichzeitig mit dem sich Verwundern kann eine klare Einsicht in die
Tatsächlichkeit des Vorgangs und die Empfindung entstehen, dass man
sich in einem echten Mitfühlen mit dem Wesenhaften des Erschauten
verbinden möchte.
Die Meditation wird als ein Tun empfunden, das eine gute Aus-
wirkung auf die erschaute Individualität haben könnte. Dieser Vorgang
stößt an das eigene Gewissen, so dass der Wunsch entsteht, mit den Er-
kenntnissen, die aus dem Erschauten gewonnen werden können, im All-
tag nun so umgehen zu wollen, dass sich Fruchtbares daraus entfalten
möge. In diesem zutiefst moralischen oder tugendhaften seelischen Um-
gang mit den Ergebnissen der Meditation liegt der Ansatz, um zum In-
tuitionsbewusstsein vorzurücken.
Perspektiven der Karmaforschung
In der weiteren Beschäftigung mit der Individualität des Gernot fand ich
noch Hinweise für eine Inkarnation zwischen Mittelalter und heutiger
Zeit, die seinem annähernd aristokratisch anmutenden Auftreten mit ei-
nem geschichtlichen Hintergrund ergänzten. Eine Auswirkung des Ver-
suchs, diese Individualität zu verstehen, war also, dass ich mich fragte,
was er sich in der vorliegenden letzten Inkarnation durch seine Krank-
heit und durch seine dadurch bedingten Lebenserfahrungen aneignen
wollte? Durch solche karmischen Ergebnisse bekam ich die Überzeu-
215
gung, dass heutzutage jeder Mensch mit einer solchen Haltung in das
Leben kommt, welche die Seele mit einer Sehnsucht ausstattet, die kar-
mischen Hintergründe erkennen zu wollen. Also fragte ich mich, was be-
deutete es für Gernot, in einer Lebensgemeinschaft zu leben, in der zu-
nächst sein Karma nicht so untersucht wurde, dass konkrete Ergebnisse
zu seinen Lebzeiten auftraten.
Ich bekam im Nachhinein den Eindruck, dass er vor den Betreuern
seine Krankheit noch schärfer hingestellt hatte, als vielleicht nötig war,
so, als wolle er ganz deutlich aufzeigen, was zu alldem geführt hatte. Es
bleibt eine offene Frage, welche Wirkung konkrete karmische Bilder und
Erkenntnisse wie die oben beschriebenen für die pädagogischen und the-
rapeutischen Dienstleistungen haben würden, wenn Karmaforschung in
einer Arbeitsgemeinschaft mit Betreuten ernsthaft zur Tagesordnung ge-
hörte?
Eine andere Wirkung der geschauten Verknüpfungen war, dass mein
Blick für seltsame Verknüpfungen zwischen Menschen im Leben schär-
fer wurde, dass eine Aufmerksamkeit für bestimmte biografische Zusam-
menhänge entstand, so dass ich eine Bereitschaft entwickelte, mich auf
Dauerbeobachtungen einzulassen, um mich selber oder die entsprechen-
den Menschen, wenn ich sie offen für Spirituelles fand, dazu anzuregen,
mit Fragen über das Schicksal umzugehen. Solche Gespräche bewirkten
dann manchmal eine Öffnung für Neues oder eine Überwindung von
alten, einengenden Vorstellungen über das Leben oder über Reinkarna-
tion und Karma. Gleichzeitig aber musste ich Zurückhaltung üben, da-
mit Menschen, die mit solchen konkreten Beispielen nicht umzugehen
wussten, keiner unnötigen Belastung ausgesetzt wären.
Eine der wichtigsten Wirkungen der Karmaforschung war für mich
und für viele Menschen, die sich meiner Arbeitsweise anschließen konn-
ten, dass sich für das Wesenhafte des Geistigen eine direkte Beziehung
entwickelte. Tief sitzenden Befürchtungen und der Angst vor der Mäch-
tigkeit der geistigen Welt und der Unmissverständlichkeit der Wahrheit
konnte in neuer Art entgegen getreten werden. Die Vorbehaltlosigkeit
und angeborene Ehrlichkeit eines Kindes wurden auf individueller Ich-
Stufe neu errungen durch Überschreiten der Schranken von Geburt und
Tod im eigenen Denken.
Die in den letzten Jahren in vielen anthroposophischen Zeitschriften
und Podiumsgesprächen diskutierten Zweifel an der Echtheit von inne-
ren Bildern kann nur überwunden werden, wenn man selber ernsthaft an
eigene imaginative Erlebnisse heran tritt. Der uralte Bilderstreit scheint
hier und da weitergehen zu wollen. Denn oftmals wird das Denken in
Begriffen und Ideen als unversöhnlicher Gegensatz zu einer Methodik
aufgefasst, die den Umgang mit imaginativen Bildern schulen möchte.
Und es entstehen vielfach Ängste und Sorgen, es könnte sich hierbei nur
216
um ein atavistisches Hellsehen* handeln. Es würde den Rahmen des hier
Dargestellten bei weitem übersteigen, auch nur annähernd auf diese sich
vermeintlich ausschließenden Gegensätze einzugehen. Jedoch möchte
ich meinem Standpunkt explizit Ausdruck geben, dass ich gerade in
einem klaren und disziplinierten Denken in lebendigen Begriffen und
Ideen eine notwendige Unterstützung dafür sehe, im Bereich des bildhaf-
ten und imaginativen Seelenerlebens Orientierungsebenen zu schaffen, in
denen das Ich sich verankern und auf denen es eine Stärkung finden
kann.
Wie ich eine Inkarnation von mir selbst erforschte,
wo Blindheit seit der Geburt vorlag
Im 3. Teil habe ich geschildert, dass ein beträchtlicher Unterschied erlebt
werden kann zwischen Imaginationen, die auf ein Vorleben zurück ge-
hen, und solchen, die mit Zuständen zwischen Tod und neuer Geburt zu
tun haben. In den umfassenden Untersuchungen bei Hunderten von
Klienten wurde es mir zusätzlich ersichtlich, dass auch die Imaginatio-
nen, die die früheren Erdenleben wiedergaben, außerdem untereinander
ganz unterschiedliche Qualitäten der Klarheit und Fülle aufweisen konn-
ten. Wenn der Betreffende in einigen Inkarnationen in Bezug auf bei-
spielsweise seelische Entwicklungsstörungen, Krankheiten, Sinnesschwä-
chen oder körperliche Beschädigungen gelitten hatte, musste der Be-
treffende mehr innere Kraft aufbringen, um die Einordnung aus den oft
zarteren oder diffuseren Bildern zu entlocken. Diese Tendenz in der Er-
forschbarkeit zeigte sich einmal sehr markant, als ich vor einigen Jahren
eine Inkarnation von mir selbst entdeckte, die ich zur Zeit des Erschei-
nens des ersten Buches noch nicht kannte, aber angenommen hatte, dass
ein Leben in dieser Zeitabschnitt vorliegen könnte. Damals schrieb ich
von einer fehlenden Inkarnation in der Zeit Karls des Großen.116
Gerade in dieser Zeitspanne zwischen dem Ende des 8. und der Mitte
des 9. Jahrhunderts entfaltete sich nun das Leben einer blind geborenen
Frau, die meines Erachtens sowohl mit den geschichtlich bekannten Per-
sönlichkeiten um die beiden Kaiser, Karl den Großen und Lothar I., nähe-
ren Umgang pflegte wie auch gleichzeitig in sonst mit Legenden gekop-
pelten Abenteuern des Arthur- und Gralsstroms engagiert war. Ich stellte
für mich fest, dass sie z. B. mit dem Ritter, den die Gralsliteratur Gau-
wain nennt, einige für Beide bestimmende gemeinsame Erfahrungen hat-
te. Ich skizziere zuerst geschwind Bruchstücke aus ihrem abenteuer-
lichen Lebensgang, um dann die Eigenheit dieser damit verbundenen
116
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 280.
217
Imaginationen zu erklären. Ich bezeichne sie hier mit dem Decknamen
Irmina.
Die Konzeption des Mädchens geschah nach einer Missetat ihres
Vaters, eines ehrgeizigen Arthurritters, an ihrer Mutter, die die Tochter
eines keltischen Druiden war. Der Ritter wollte sich ein bestimmtes Ge-
heimnis ihres Vaters erzwingen, das die junge Frau in einer Höhle ver-
borgen hatte. Als die Jungfrau ihm die dazugehörige Zauberformel ver-
weigerte, verletzte und vergewaltigte er sie. Eine unerwünschte Gravidi-
tät erfolgte, und dann verheimlichte sie noch das unwillkommene Kind
und überließ es einem Mönch, damit er es im Wald aussetzen sollte. Der
Mönch wollte letztlich das Kind in einer walisischen Abtei geheim ab-
geben, aber ehe er schaffte, seine anonymen Vorbereitungen dazu abzu-
schließen, versteckte er am Tagesanbruch das Windelkind in einer, wie
er vermutete, leeren Fuchshöhle. Als er nachmittags zurückkam, war das
Kind aber verschwunden. Die Füchse hatten es weiter nach innen ge-
schleppt. Das konnte der Mönch aber nicht ahnen. Wie in einem Mär-
chen wurde es von den Füchsen ernährt und es gedieh in dieser ersten
Heimat weiter, bis es frühzeitig Krabbeln lernte.
Eines Tages wurde Irmina vom Pferd eines anderen Ordensbruders
auf einer Wiese entdeckt. Somit kam das Mädchen zu ihrer zweiten Hei-
mat, einem abseits gelegenen Wirtshaus in der Gegend, das von einer be-
triebsamen Frau bewirtschaftet wurde. Sie war eine Witfrau, aber hatte
keine Kinder und keine nahen Verwandten, die sie besuchten. Dieser
Mönch gehörte indessen fast zu ihrem Inventarium, weil er diesen Weg
zwischen Irland und dem Kontinent immer benutzte und bei ihr allzeit
angenehme Tage zur Abwechslung des fleißigen Lebens bekam. Oben-
drein brachte er ihr jetzt eine Tochter welches Gottgeschenk! Nach
einiger Zeit entdeckten sie die Blindheit, die aber keine schwierigen Pro-
bleme erzeugte, wie es sich mit der Zeit erwies, da das Mädchen sehr
geschickt, teilnehmend und lehrfähig war. Irmina war so wissbegierig,
dass der Mönch sie später in ein Frauenkloster zur weiteren Erziehung
brachte. So fand sie ihren Weg aus der verborgenen Kindheit in Wales
nach England, Frankreich und Deutschland bis nach Sizilien. Nachdem
sie die Lehrjahre des Klosterlebens aus eigenem Wunsch eingestellt hat-
te, wurden ihre Broterwerbe einerseits das Hofsingen, andererseits das
Heilen und das Wahrsagen.
Den ersten Erweis zu dieser Fraueninkarnation im Mittelalter bekam
ich in einer Karmaarbeit mit jemandem, der sich als die Mutter von Irmi-
na enthüllte. Später konnte ich meine weiteren, selbstständigen Bilder zu
Irmina mit Imaginationen von über zehn weiteren Menschen verglei-
chen, die ich im karmisch-meditativen Üben begleitete. Ohne ihnen vor-
her von meinen Dingen überhaupt erzählt zu haben, leitete ich ihre Auf-
merksamkeit auf Sachlagen, die ich aus meiner Sicht schon kannte.
218
Auch umgekehrt verstanden, konnte ich verschiedene Aspekte meditativ
alleine ergänzen, die mir bei Klienten zuerst begegnet waren. Somit be-
stätigte sich eine Reihe von Verknüpfungen und Ereignissen, die sich im
9. Jahrhundert abgespielt haben, so dass ich die besonderen Lebens-
umstände von Irmina und ihren Zeitgenossen aus vielen Blickwinkeln
aufdecken durfte.
Es war sehr bemerkenswert, sie auf Reisen zu begleiten . Durch ihre
Augen ihre Augenlieder hingen herunter, so dass sie wie schlaftrun-
ken aussah konnte ich nichts sehen . Ihr Gehör und besonders ihr
Riechen waren außerordentlich entwickelt, so dass die zunächst manch-
mal bilderlosen Imaginationen sich daraus entfalteten. Zusätzlich hatte
sie ein geerbtes Hellsehen, das wir als atavistisch bezeichnen müssen, da
ihr Großvater mütterlicherseits ein eingeweihter Hellseher und Magier
war. Im Laufe des Lebens bildete sie ihr Hellsehen weiter aus zu einer
besonderen Begabung des Vorauswissens, anscheinend, weil sie so viele
Heilungen von erkrankten Menschen unternahm. Schon ihre ersten
Lebensjahre zeigten ein vorrangiges Lebensthema, dass sie nämlich mit
Tieren in einer besonderen Vertrautheit leben konnte. Sie wusste selbst-
ständig zu reiten, weil sie sich so mit der Aktivität des Pferdes verband,
dass sie wie durch seine Augen schauen konnte und solchermaßen Ge-
fahren enträtselte und andere Menschen in der Landschaft erriet, bevor
sie sie entdeckten. Auf Grund gesellschaftlicher Verordnungen und Vor-
kehrungen ritt sie sicherheitshalber meistens in Begleitung mit einem
oder zwei Knappen.
In einer Szene wie die anschließende trat mir die Art dieser Imagina-
tionen besonders bemerkenswert entgegen. Zuerst kommt es mir vor wie
eine dunkle Wolke um mich herum. Dieser Zustand der Eintönigkeit
dauert zirka eine halbe Minute, bevor sich etwas ändert. Dann ist mir
klar, dass ich Irmina nachbildend gerade aus einem flüchtigen
Schlaf aufgewacht bin. Ich lehne mich auf und merke die Stütze eines
Baumes im Rücken. Das Prasseln der Blätter im Wind, der von links
heranweht, bestätigt die Naturumgebung. Der erste gedankliche Anhalts-
punkt ist: Die Sonne scheint. Und gleich anschließend: Licht ist Got-
tes Liebe. Dann höre ich von unten vor mir rechts Geräusche herkom-
men wie Reiben von Leder auf Pferdehaut und ich höre im Feldbe-
wusstsein Irminas Gedanken: Meine rechte Hand , Dagobert, möchte al-
so weiter reiten. Flugs kommt ein leises Wimmern meines Pferdes, Pri-
da, das unverkennbar ist. Soweit sehe ich noch nichts Gegenständliches,
aber die Wolke hat sich in ein wellendes Licht in vielen hellen Farben
umgewandelt. Aus diesem durchsichtigen Farbenmeer taucht dann der
weiße Kopf von Prida auf, von Sonnenlicht umkränzt, nachdem sie mich
mit ihrem Maul beschnüffelt hat. Der liebe Pferdekopf schwebt vor mir
hin, bis ich aufgestanden bin und die Zügel genommen habe.
219
 Dann treten Konturen der Landschaft auf, aber nicht so scharf und
dinglich, wie ich es aus mannigfaltigen Imaginationen gewöhnt bin. Hier
ist nur eine Andeutung von den wichtigsten Ingredienzien vorhanden
wie in einem Aquarell von Willian Turner, das durch ein paar sorgfältige
Pinselstriche das Kennzeichnende illustriert. Durch die zwei physischen
Augen sieht Irmina das nicht, sondern durch ihr drittes Auge, das wie
ein segelnder Leuchtturm durch die Welt wandelt. Eine typische und
interessante Situation in Irminas Leben war die folgende: Irmina ist mit
demselben Knappen in Burgund zu einer kleinen Stadt unterwegs, wo sie
sich aus mehrjährigen Gastspielen auskennen. Dagobert reitet voran,
aber Irmina kennt auch den Weg, weil sie Pflanzen und Kräuter riecht,
die am Pfad entlang wachsen. Bei weiterem Erforschen ergab es sich,
dass es damals gewöhnlich war, dass Ortschaften, die miteinander in ver-
traulichem Bund standen, dieselben Kräuter an den Pfaden zu ihren An-
siedlungen ausgesät hatten. Jedes Bündnis hatte ein anderes Kraut. So-
mit konnten z. B. aufgeklärte Arthusritter oder Gralsvertraute aus der
Distanz schon wissen, wo sie hinkommen würden. In beträchtlicher Ent-
fernung hört sie aus der Richtung der Kleinstadt einen Hund bellen. Die
Art des knurrenden Gebells sagt ihr, dass der Hund einerseits einem ihr
bekannten Gastwirt gehört, andererseits von irgendwem mit Stiefeln ge-
treten wird. Während sie sich dem Ort nähern, entsteht vor ihrem inne-
ren Blick, was drüben passiert und was sich in den letzten Tagen in der
Gegend zugetragen hat. Als sie dann zur Stadt und zum Gasthaus
kommen, herrscht scheinbar wieder Friede. Sie werden vom Wirt
freundlich begrüßt, aber auf Dagoberts Frage, wie es in der Stadt zugeht,
antwortet er so ausweichend, dass Irmina bemerkt, dass nicht alles in
Ordnung ist. Er will sein Maul halten, weil er befürchtet, dass die
Schurken wieder auftauchen könnten. Weil Irmina vom Unglück weiß,
erzählt sie dem staunenden Wirt die ganze Geschichte und weitere De-
tails, die er nicht weiß. Es verhielt sich so, dass ein Edelmann aus einem
Kastell im Distrikt wegen verbrecherischer Taten von seinem Vater ver-
trieben worden war. So ließ er sich als Räuberhauptmann erheben. Die
betreffende Stadt, aus der er früher die Zunftsteuer abgeholt hatte, ließ
ihm nun gelegentlich Zwangsgelder zukommen, damit er seine raubgie-
rigen Legionäre nicht auf sie ansetzen sollte. An dem Tag aber hatte der
Stadtgraf dem Raubritter mitgeteilt, dass sie ihm nichts mehr vergüten
würden. Deswegen war er in Amok geraten, ist auf und davon galop-
piert, aber beabsichtigte, mit seiner Truppe bald wieder zu erscheinen.
Mit der Zeit fand der Fall eine ersprießliche Lösung, zumal Irmina dem
Erpresser einen Dienst bei einem Gebieter in Übersee vermittelte, wo er
wieder zu Vernunft und Ehren kam.
Die Imaginationen zu Irmina waren immer wenig bildhaft, wenn ich
im Feldbewusstsein ermittelte. Sie glichen mehr Hörspielen, die ich an-
220
hörte und gleichzeitig selbst innerlich mitsprach , als ob ich in meiner
Seele einen Resonanzboden erzeugte, um dort Erfassbares zu arrangie-
ren. Erst durch ein Erstehen und Vergehen der verkapselten Karma-
inhalte durch die eigene Lichtkraft und das Mitschwingen des Ich
konnte ich die manchmal unglaubwürdigen Zusammenhänge innerlich
abtasten, abmalen und durchschauen und in vieler Hinsicht mit den be-
liebten Ereignissen und Gestalten der klassischen Arthur- und Grals-
geschichte vergleichen.
Karmaforschung mit Einzelnen und mit Gruppen
Ich habe nie gezählt, wie viele Menschen ich im Laufe der vergangenen
Jahre in Biografie- und Karmaarbeit begleitet habe. Eine Zeit lang mach-
te ich während der Sitzungen Notizen, die ich danach den Klienten
schenkte, wenn sie das wollten. Lange schrieb ich auch Tagebücher, um
interessante Dinge für mich selbst zu behalten, oder auch, um für das
nächste Treffen besser vorbereitet zu sein. Irgendwann hatte ich so viel
Arbeit mit Menschen in Beratungen und Seminarien, dass es zu wenig
Zeit gab, ausführliche Notizen zu machen. Natürlich musste ich meine
Fähigkeit des Rückblicks ertüchtigen, damit wichtige Forschungsmotive
nicht verloren gingen. In einigen Fällen wurde es auch möglich was
natürlich immer ausführbar ist , dieselben Dinge durch erneute Medi-
tationen nochmals zu erkunden und ihre Umstände zu ergänzen. Es
wäre gut möglich, aus allem Material der Rückerinnerungen an frühere
Leben mehrere Bücher zu schreiben. Hier werde ich nur einige Dinge
skizzenhaft berühren und dann einige Beispiele herausholen, die dir Mut
machen könnten, eine umfassende Karmaforschung gutzuheißen.
Es ist immer wieder erstaunlich, dass so reichliche Ergebnisse gekom-
men sind. Es ist ein großes Glück, festzustellen, dass die geistige Welt
einem bei dieser Arbeit so nahe ist, dass mit den verschiedensten Men-
schen immer Wege gefunden werden konnten, ihnen eine für den Au-
genblick richtige Auskunft anzubieten . Nur in wenigen Fällen waren
Menschen unzufrieden und wollten keine Weiterarbeit. Meistens hatten
sie dann bestimmte Vorurteile, was für Ergebnisse kommen sollten, oder
sie hatten Absichten, wie die Arbeit mit mir laufen müsste. Als ich sie
dann leider enttäuschen musste oder eigens einschüchterte , habe ich
nun mit ihrer Ungnade weiterzuleben.
Nicht nur mit Einzelnen, sondern auch in Gruppen bis auf über 20
Teilnehmer habe ich versucht, Meditation und Rückerinnerung zu er-
arbeiten. In einigen Konstellationen, wo die Menschen sich gut kannten
oder sogar über Jahre Mitarbeiter auf demselben Arbeitsplatz gewesen
sind, gelang die Arbeit äußerst gut. Es wurde dann in der Runde ver-
221
sucht, z. B. zu einem und demselben Ort in der Vergangenheit zu kom-
men. Ich oder jemand Anderes griff ein Motiv auf, das imaginativ sich
einstellte, und die Anderen versuchten, sich in die betreffende Situation
einzuordnen oder sich auf einem angrenzenden Ort zu demselben Zeit-
punkt zu finden.
Ebenso sind die unterschiedlichsten Lebenszusammenhänge aus frü-
heren Zeiten sichtbar geworden. Was enthüllt es, wenn ich nach Belie-
ben einige aus der Reihe der vielen herauspflücke? Da sind Leben, die
vor wenigen Jahrzehnten abgeschlossen sind, und da sind Individuen,
die den Zweiten Weltkrieg oder die Jahrzehnte zwischen den Weltkrie-
gen erleben. Beispielsweise der deutsche Offizier der Nationalsozialisten,
der eine neue Identität findet, der amerikanische Bomberpilot, der über
Deutschland abstürzt, die Jüdin, die dem Holocaust entkommt, der ame-
rikanische Freimaurer, der sich nach dem Ersten Weltkrieg in die Politik
nicht einmischen will, der französische Pianist, der vor dem Ersten Welt-
krieg die ganze Welt bereist, der Fischer aus der Normandie, der unter-
geht, als er seine Tochter retten will, und schließlich der deutsche Philo-
soph, der viele Freunde verliert, weil er die Abgestumpftheit des Bürger-
tums verpönt. Da sind etliche Anthroposophen um Rudolf Steiner, einer-
seits diejenigen, die aus Russland kommen, und andererseits diejenigen,
die nach England übersiedeln. Da sind drittens Holzschnitzer am ersten
Goetheanumbau, viertens eine Handvoll junger Eurythmistinnen und
fünftens ein Arbeitsleiter am Doppelkuppelbau. Da sind der Österreicher
und der Russe, die beim Essen in der Baracke Freunde werden und sich
trotzdem verpflichtet fühlen, in den Krieg zu gehen, um an der Ostfront
zu sterben. Da sind weiterhin die zwei Freunde aus den Vereinigten
Staaten, die Dornach im Jahre 1921 besuchen, und außerdem die
Schweizerin, die Steiner aufsucht, weil sie ihn ihrer Tochter, die Kinder-
lähmung hat, als Heilkünstler anvertrauen möchte.
Es tauchen ab und zu bekannte Namen und historische Ereignisse auf.
Wie verhalte ich mich, wenn Lebensmotive geknüpft zu Namen wie
Ludwig Eifel, Andrej Belyj, Ella Dziubaniuk, Edouard Schuré, Friedrich
Nietzsche, Cosima Wagner, Edvard Grieg, Sophie von Kühn, Diane de Poitiers,
Martin Luther, Lothar II. und Lucius Brutus der Caesarmörder blitz-
schnell auftauchen, wenn keiner von uns den geringsten Gedanken zu
ihnen hatte davor und am Anfang des Rückblicks? Oft stimmen die ge-
schauten Szenen haargenau mit überlieferten Dokumenten überein
z. B. mit den Tagebüchern von Cosima Wagner. Andere Male bleiben
Fragen offen, oder die Resultate reimen sich nur teils mit historischen
Quellen zusammen.
Dann sind es zahlreiche Episoden unter bescheideneren Umständen
aber zu einer Zeit, die doch bis auf Jahr und Tag festgelegt werden
konnte, weil das zwischendrin diagnostiziert wurde, die folglich auch
222
mit historischen Ereignissen in Verbindung gebracht werden konnten.
Ich durfte z. B. viele Indianerschicksale im 19. Jahrhundert und vorher ver-
folgen oder eine Unmenge interessanter Lebensläufe in der Renaissance-
zeit studieren. Da ist der junge deutsche Bühnendichter, der an Tuber-
kulose frühzeitig stirbt. Da sind die aufwiegelnden Bauern und ein paar
drahtziehende Adelige in Ungarn zur Zeit kurz nach der Französischen
Revolution, dann eine Handvoll friedliche Zeitgenossen von Goethe und No-
valis und etliche Intriganten, die sich am Hofe Maria Stuarts unterschlei-
fen . Da sind Jungfrauen im Spätmittelalter, Tempelritter, Mönche, Nonnen
und auch so genannte Hexen und zweifellos unschuldige Andersdenkende,
die verfolgt und verbrannt werden. Da ist der junge Grafensohn, der sein
Erbe nicht antritt, sondern sich den Katharern in den Pyrenäen an-
schließt. Da ist der Sohn eines deutschen Pfalzgrafen, der vom Vater ver-
flucht wird, weil er im entscheidenden Moment das Schloss nicht mitver-
teidigen will aber auch die Söhne des norwegischen Königs Magnus
Barfuss im 11 12. Jahrhundert, die nach dem frühen Tod des Vaters in
einer Schlucht die Leitungsaufgaben zwischen sich ohne Machtkampf
teilen können. Da ist die Edelfrau, die ein Leben als männlicher Arzt in
Rom verbringt und erst erkannt wird, als sie ihre Schwangerschaft nicht
länger bemänteln kann. Dementsprechend könnte ich die Liste durch die
Jahrhunderte und Jahrtausende fortsetzen, zurück bis in die Zeit, bevor
Menschen auf der Erde zum ersten Mal inkarniert waren.
Viele Länder und Völker um den ganzen Globus und allerlei Kulturen
sind somit repräsentiert: Atlantier, Aborigines, Chinesen, Inder, Perser,
Chaldäer, Araber, Kelten, Griechen, Juden, Römer, Normannen, Lapp-
länder, Eskimos, Sioux, Hopis, Azteken, Inkas usw. Da sind Mysterien-
priesterinnen, Nomaden, Städtegründer, Kräuterhändler, Eremiten, Her-
rinnen, Schmiede, Zigeuner, Hofnarren, Päpste, Schuhmacher, Bäuerin-
nen, Sittlichkeitsverbrecher, Gesetzeshüter, Sattelmacher, Musiker, Post-
beamte, Wissenschaftler, Hauswirtinnen und Publizisten. Verschiedene
Glaubensrichtungen, religiöse Sitten und philosophische Systeme tauchen
auf. In unterschiedlichen Gebäuden und an allen möglichen Orten und in
Städten treffen sich die Personen, um etwas zu besprechen, zu verhan-
deln, oder sie leben dort. Da sind Höhlen, Laubhütten, Iglus, Wigwams,
Steinkreise, Bergdörfer, Festungen, Türme, Klausnereien, Fischerstädt-
chen, Basiliken, Stabkirchen, Klöster, Kathedralen, Moscheen, Farmen,
Lehranstalten, Segelschiffe und Automobile.
Städtenamen wie die folgenden tauchten augenfällig auf: Eridu, Bag-
dad, Mekka, Petra, Jerusalem, Nazareth, Akkon, Phasis, Dendera, Mem-
phis, Alexandria, Knossos, Hattusa, Ephesos, Byzanz, Athen, Korinth,
Olympia, Moskau, St. Petersburg, Karthago, Roma, Pisa, Venedig, Bu-
dapest, Prag, Nürnberg, Basel, Straßburg, Nidaros, Bergen, Bilbao, Lon-
don, Edinburgh, Reykjavik, Boston, Charleston, Chicago und New Or-
223
leans. Aber Siedlungen und Städte konnten manchmal gut beschrieben
werden, ohne dass eine geographische Diagnose gestellt werden konnte.
Oft standen Völker, Gruppierungen und Individuen in Konflikt mitein-
ander. Zuweilen wurden Friedensschlüsse gefeiert. Zu anderen Zeitpunk-
ten starben viele in einer grausamen Schlacht, weil kein Übereinkommen
vorher gefunden wurde.
Mehrere Personen, mit denen ich kontinuierlich über längere Zeit ge-
arbeitet habe, entwickelten die Fähigkeit, karmische und andere Zusam-
menhänge souverän zu erforschen. Andere dagegen warten noch ab, bis
sie die innere Sicherheit erlangt haben, ihre meditativen Bilder als wahre
karmischen Bescheide zu erkennen. Nachfolgend möchte ich allerdings
einige Beispiele schildern, wie bei einigen Personen meditative Motive
entstanden sind, die an gegenwärtige Ereignisse in ihrem Leben solcher-
art anknüpfen, dass ich es festgestellt habe, dass es sich um echte karmi-
sche Motive handelt.
Zu karmischen Aufarbeitungen, die mit Atlantis zu tun haben
Manche, die sich oberflächlich mit dem Karmagedanken befassen, mei-
nen, dass man so von Leben zu Leben weiter schreite, dass in dem heu-
tigen Leben lediglich dasjenige Karmische weiterwirke, was nur mit der
letzen Inkarnation in Verbindung steht. Das würde heißen, dass die wei-
ter zurück liegenden Leben damit erledigt seien. Meine Forschungen
und Entdeckungen und auch mir bekannte, nicht veröffentlichte selbst-
ständige Forschungsarbeiten anderer Forscher zeigen komplexere Zu-
sammenhänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Es hat sich
immer wieder gezeigt, dass viel umfassendere karmische Verbindungen
zwischen den früheren Inkarnationen und heute vorliegen, als man an-
nehmen würde.
Ein Ereignis in einem früheren Leben ist nicht unbedingt ausge-
schöpft, wenn die direkte karmische Folge, beispielsweise einer negati-
ven Tat, aufgearbeitet ist. Eine einmalige Tat wirft eine immense Vielfalt
von Wirkungsstrahlen wir könnten von karmischen Weisheitsradien
sprechen in die Zukunft hinein und in unbeschränkter Weise wird
einem solchen Radius das Walten der Schicksalsmächte angeschlossen.
Für viele Epochen und Kulturen habe ich manche bedeutungsvollen kar-
mischen Erkenntnisse gesammelt, die aber hier nur in einer Richtung,
die mit dem Thema Atlantis zu tun hat, exemplarisch angedeutet werden
sollen.
Eine Persönlichkeit schaute in lebendigen und überraschend einleuch-
tenden Imaginationen einen Lebensabschnitt in einer weit zurück liegen-
den Inkarnation. Sie entdeckte sich als eine junge Frau, die unter der
224
Führung eines Eingeweihten aus dem Sonnenorakel die nötige Ausbil-
dung bekam, um im Zusammenhang des Venusorakels tätig zu werden.
Nach der Abschlussfeier wurde sie auf dem Höhenzug oberhalb der Sied-
lung, wo sie aufgewachsen war, von einem fliegenden Fahrzeug abge-
holt, das sie zum Venusorakel bringen sollte. Das Schiff wurde von eini-
gen Männern aus dem Merkurorakel, die sie nicht kannte, geführt. Im
Laufe der mehrtägigen Reise wurde nichts gesprochen und die junge
Frau, hier Sedawa genannt, wagte es nicht, den Fremdlingen Fragen zu
stellen. Am Rande vermerkt, sei noch erwähnt, dass bei dieser Erfor-
schung auch einige Feinheiten zur Steuerung dieser Schiffe, die ich im
ersten Buch mit dem Begriff Gamamila bezeichnete, entdeckt wurden.
Am neuen Ort ihres Wirkens wurde Sedawa mit einer Arbeit betraut, die
sie zusammen mit anderen Frauen auszuführen hatte. Nicht weit ent-
fernt von der Siedlung auf der anderen Seite eines Hügels gab es einen
See. Ein Stück weit vom Ufer entfernt existierten überdachte Plattfor-
men, die je aus den lebendigen Blattkronen von vier aus dem Wasser
aufsteigenden Bäumen zusammen geflochten waren, auf welchen jede
der Frauen für sich alleine ihre Arbeitsaufgaben zu erledigen hatte.
Junge Männer, die noch Kandidaten bei ihren Schulungen waren, trugen
für die Frauen die notwendigen Seile, weitere Werkzeuge und an be-
stimmten Tagen auch neue Pflanzenkeime herbei. In schmalen Kanus
wurden die Frauen mit ihren Arbeitsgeräten zu den Postamenten geru-
dert. Der Ort am Gewässer war eine Plantage, auf der besondere Früchte
angebaut wurden, die Samen von starker Lebenskraft entwickelten.
Diese Samen wurden dann als Treibstoff für unterschiedliche atlantische
Erfindungen benutzt. Um eine neue Anpflanzung anzulegen, tauchten
die Frauen unter Wasser und pflanzten die Keime um die Pfosten. Auf
den Plattformen, die ganz aus den Ästen und dem Blätterwerk der vier
Baumstämme geflochten waren, lebten Sedawa und ihre Freundinnen
tagsüber. Es wurde gespielt, gesungen, gebetet und getanzt. Oft trafen
sich mehrere Frauen auf einem Podium zu gemeinsamem Spiel, aber
lange Stunden war jede alleine für sich beschäftigt. Die besondere Auf-
gabe der vielfältigen Tätigkeiten der Frauen auf den Plattformen bestand
darin, eine verstärkte Verbindung zwischen Wachstumsprozessen und
kosmischen Einflüssen herzustellen. Sie sollten durch ihre ätherische
Brücke zwischen der Erde und den außerirdischen Planeten schaffen. So-
mit wurde eine Steigerung der auf die Erde naturgemäß hinein fallenden
kosmischen Energien erzielt.
Viele Jahre hindurch war Sedawa unverändert mit dieser Beschäfti-
gung betraut. Zu der Plantage kamen in regelmäßigen Abständen Abge-
sandte des Merkurorakels, die die Samenernte an die vielen Stätten auf
Atlantis verteilen sollten. Sedawa lernte einige dieser Männer näher ken-
nen und zu einem von ihnen entstand ein Liebesverhältnis. In dieser Zeit
225
und an diesem Ort bestanden strenge Vorschriften über das Verhalten
von Männern und Frauen zueinander. So gab es für Sedawa keine Mög-
lichkeit, die Verbindung mit ihrem neuen Liebhaber von der Siedlungs-
verwaltung legitimiert zu bekommen. Ihr Geliebter entschloss sich da-
her, sie heimlich in seinem Schiff mitzunehmen. Der weitere Verlauf der
Geschichte ergab, dass Sedawa eine Ächtungserklärung über sich er-
gehen lassen musste, die besagte, dass sie an keinem Ort mehr ihre ehe-
malige Arbeit ausführen durfte.
In späteren Inkarnationen entwickelte sich bei dieser Individualität
häufig eine Tendenz, Aufgaben aus der Agrikultur zu ergreifen, aber
auch aus dem Bereich der Fortpflanzung und im Zusammenhang mit der
Liebeskunst. In einer markanten Fraueninkarnation während der Renais-
sancezeit wurde sie Mätresse eines französischen Königs, dem sie erfolg-
reiche Ratschläge durch ihre stolze und mutige Haltung und adelige Ge-
lehrtheit geben konnte. Heute verhalfen ihr die Einblicke in die atlanti-
sche Lebensart zu einem neuen Verständnis für den Entwicklungsgedan-
ken überhaupt im Fortschreiten der Menschheit.
Der Wächter im Vulkanorakel
Eine andere Persönlichkeit, hier mit einem Decknamen der damaligen
Inkarnation, Jescham genannt, schaute sich und ihrem damaligen Bruder,
hier Gascham genannt, als zwei Ausgesandte des Merkurorakels. Der
Bruder wurde zum Dienst im Sonnenorakel und er selber für die Aufga-
ben im Vulkanorakel weiter ausgebildet. Manchmal trafen sie sich, um
ihre Beschäftigungen gegenseitig zu ergänzen, weil Gascham für das
Sonnenorakel über bestimmte Gewinne der Arbeit von Jescham zustän-
dig war. Jeschams Arbeitsplatz lag auf einer Insel, die von Menschen-
hand angelegt worden war. Die Insel sah von außen wie eine runde Klip-
pe aus. Im Inneren des Berges gab es aber eine große Halle, wo regsame
Arbeit durch eine Gruppe von Eingeweihten geleistet wurde. In der Mit-
te der Halle war im Erdboden ein großer Hohlraum, der nach unten weit
in das Erdinnere ging. Wenn man hinunter schaute, sah man den leuch-
tend roten Vulkanschmelzfluss, der auf und ab wogte wie ein lebendiges
Wesen. Die Arbeit am Lavabrunnen wurde geleitet von einem obersten
Eingeweihten, hier Galascham genannt. Jescham war mit den Dingen im
Felsinneren vertraut, aber er hatte keine Befugnisse, dort zu arbeiten.
Seine Aufgabe war, den Eingang zu hüten, damit keine Außenstehenden
hinein treten konnten. Keine Tiere und keine Unvorbereiteten durften
das Geheimnis der vulkanischen Stätte stören.
Zwischen Jescham und Galascham entwickelte sich im Laufe der Jah-
re eine vertrauensvolle Beziehung, so dass in späteren Jahren Galascham
226
oft umher reisen konnte, um an anderen Orten sein Wissen über die Feu-
erkräfte zu verbreiten. Manchmal war Jescham sogar wie ein Einsiedler
ganz allein auf der kahlen Insel. Ihm wurde lediglich von Dienern das
tägliche Essen und Trinken geliefert. Diese Einsamkeit war für Jescham
keine Erfreulichkeit. Deshalb ließ er es bald zu, wenn umher irrende
Ausgestoßene von irgendwelchen Orakeln oder Siedlungen ihm ihre Ge-
schichten erzählen wollten. So kam es dazu, dass ein solcher Bursche,
ohne von Jescham bemerkt zu werden, eines Nachts in seinem Paddel-
boot zur Insel zurück kam. Jescham lag schlafend vor dem Tor und der
Taugenichts konnte unbemerkt in das Innere gelangen. Wie eine Mücke,
die sich in die Flamme stürzt, wurde der Unerfahrene so von der Feuer-
pracht der Lava beeindruckt, dass er sich wie gebannt hinein stürzte.
Damit war sein Leben beendet. Galascham erfuhr das Unglück in direk-
ter Gleichzeitigkeit, aber seine Folgen konnte er nicht aufheben. Dieser
Umstand war nicht der einzige, welcher sich im Vulkanorakel ereignete,
sondern es entstanden darüber hinaus viele weitere Tragödien durch den
nachlässigen Umgang mit dem Feuerelement und der falschen Betäti-
gung der Egokräfte des Menschen, was dazu führte, dass ein Scheide-
weg zwischen dem Vulkanorakel und dem Sonnenorakel angelegt wer-
den musste.
Im Leben von Jescham ereignete sich diese Wendung folgenderma-
ßen: Eines Tages stand Jescham auf einer flachen Festlandserhebung am
Meer, die als Flughafen benutzt wurde. Aus dem Norden kam ein Luft-
fahrzeug vom Sonnenorakel, das Gascham, seinen Bruder, herbei brach-
te. Über das Meer kam aus dem Osten ein anderes fliegendes Gefährt
aus dem Merkurorakel dazu, das einen seiner alten Freunde mitbrachte,
hier Schamuradhin genannt, der als Feldrichter zwischen den Brüdern
wirken sollte. Eine Aussprache zwischen den dreien entfaltete sich in ei-
nem Stil, der verglichen mit den Gewohnheiten unserer Zeitverhältnisse
sehr fremd erscheinen muss. Eine annähernde Übertragung würde etwa
dieserart erklingen:
Schamuradhin: Lasset euch aus der Not der Gegenwart die Früchte
der Vergangenheit für die Zukunft zukommen. Es ereig-
net sich ein Wandel, der uns befähigen soll, das Leben
auf der Erde nicht festfahren zu lassen. Schamuradhin
möchte euch eine Brücke anpreisen.
Jescham: Die Kräfte der Erde haben mich aus dem Schlaf er-
weckt. Jescham ist auf Grund des unerlaubten Todes
des Ausgestoßenen ein Anderer geworden, aber Je-
scham möchte sich auch fernerhin dem Gesetz Gala-
schams unterordnen.
Gascham: Gaschams Gesetze sind nicht mehr mit der Mission
von Galascham übereinstimmend. Das Feuer des Sü-
227
 dens brennt uns ins Gesicht. Gascham hat seine Ge-
folgsleute und euch vor dem Brand des Vulkanfeuers
gewarnt. Das Herzfeuer hätte noch lange im Dienst des
Okkulten das Widerstehen gegenüber dem äußeren Feu-
er zu üben gehabt. Wir sehen, dass Galascham nicht
mehr den Wirrnissen der Ausgestoßenen widerstehen
kann.
Schamuradhin: Schamuradhin schaut die zukünftigen Liebschaften der
Menschheit, deren Entzifferung wir noch nicht bewäl-
tigen können. Das Übel der Gegenwart wird erst dann
aufgehoben sein, wenn Menschen gelernt haben wer-
den, die Götterglut in sich zu handhaben. Wenn die
Glut aus dem Innern des Menschen selbst wie ein rich-
tig gehüteter Vulkan nichts mehr zerstört, sondern See-
lenfelder mit Honig und Milch bewässern wird, dann
wird Jeschams Zerstörung ausgeglichen sein. Bis dahin
aber werden wir verschiedene Erdenwege betreten müs-
sen.
Gascham: Gascham muss sich von seinem lieben Bruder entfer-
nen. Göttertaten werden unsere Wege einmal wieder
miteinander kreuzen lassen.
Jescham: Jescham weint Tränen, die wie Schnee auf die Erde
fallen. Er wird stille Tränen in den Feuer speienden
Brunnen fallen lassen, um den Schmerz der Erdenmut-
ter zu besänftigen.
In dem darauf folgenden Moment, als die zwei Schiffe sich ins Schweben
setzten und Jescham sich auf den Weg in die Richtung der Residenz des
Galascham begab, fing es an zu schneien. Seine nackten Füße machten
deutliche Spuren im frisch gefallenen Schnee.
Diese Individualität entwickelte in nachatlantischen Inkarnationen
eine besondere Begabung, einerseits als Magier zu wirken, um andere
Menschen in ihrer Ich-Entwicklung zu unterstützen, anderseits sich als
Kämpfer für Fortschritte innerhalb dekadenter Gesellschaften einzuset-
zen. Einmal stritt sie gemäß meinen Forschungen als Ritter in der Tafel-
runde des Königs Arthur im neunten Jahrhundert, ein andermal erforsch-
te sie im 19. Jahrhundert die alten Mysterien mittels Reisen vor Ort im
Nahen und im Fernen Osten. Durch die Einordnung in die atlanti-
schen Mysterien konnte dieser Mensch heute eine erforderliche neue Ge-
lassenheit gegenüber sich selbst und seinem nächsten karmischen Um-
kreis entwickeln.
228
Der nordische Anführer
Ein in Mitteleuropa lebender Geschäftsmann stand in einer erneuten Be-
ziehung zu einer Frau, mit der er bereits einmal zusammen gewesen war,
die ihm jetzt erklärte, dass sie sich wieder von ihm trennen wollte. Der
Mann jedoch wünschte sich, die Beziehung fortsetzen zu können, und
wollte deswegen meditativ karmische Hintergründe zu dieser Problema-
tik suchen. In einem weit zurückliegenden Leben in vorchristlicher Zeit
fand sich eine Thematik zwischen den Beiden, die ein Muster eingeprägt
hatte, das anscheinend seither in keinem Leben wieder aufgelöst werden
konnte. Er schaute sich in einer männlichen Person, die innerhalb eines
Volksstamms im südlichen Norwegen eine bestimmende Rolle als An-
führer der Jägertruppe inne hatte. Die geistige Leitung des kleinen Volks
wurde von einer Priesterin ausgeübt, die ihre Schulung in einem weit
entfernten Land im Süden bekommen hatte. Der Meditierende erkannte
diese Priesterin als seine jetzige Freundin. Zwischen den beiden bestand
damals so etwas wie eine geschwisterliche Verbindung.
Nach Erledigung der alltäglichen Pflichten und nach dem Zusammen-
sein mit den anderen Einwohnern trafen sie sich oft bei Sonnenunter-
gang oder -aufgang auf einer runden Klippe, wo die Aussicht nach Sü-
den sehr schön war. Dann erzählte er ihr allerlei über die Jagd und
männliche Bräuche. Sie erzählte ihm ihrerseits von besonderen Begeg-
nungen, die ihr während ihrer Zeit im Süden zu Teil geworden waren,
als sie ihre Einweihung bekommen hatte.
Eines Tages berichtete sie ihm überraschenderweise, dass sie wieder
nach Süden reisen würde. Darauf wurde er sehr trübsinnig, bis sie ihm
zugestand, dass er mitfahren durfte, was ihn vor Glückseligkeit fast au-
ßer sich geraten ließ. Am Tag der Abreise wurden sie von Fischern an
der Küste über das Meer zum heutigen Jylland, Dänemark, gefahren. An-
gelangt am anderen Festland reisten sie etliche Wochen von Ort zu Ort
und wurden dabei von Pfadfindern begleitet, die alle einen blauen
Schmuckstein trugen, der ganz der Art entsprach, wie ihn die Priesterin
besaß. Während der Reise wurde zwischen den Beiden nicht viel gespro-
chen. Die Priesterin redete manchmal in einer fremdländischen Mundart
mit den Menschen, die ihnen begegneten. Der Jägermeister sah und hör-
te sich alles an und lernte dabei viel Neues.
Nach zahlreichen Tagesmärschen kamen sie zu einem Ort auf einer
Hochebene, wo merkwürdigerweise Menschen um einige runde Schiffe
herum standen, obwohl es dort kein Wasser gab. Staunend verfolgte er
das Ereignis, bei dem sie alle von diesen Schiffen durch die Luft weiter
gegen Süden getragen wurden. Nach gut einer Woche gelangten sie an
das Ziel der langen Reise. Es war eine Ansiedlung auf einem der Höhen-
züge, die wir heute dem marokkanischen Atlasgebirge zuordnen. Spätere
229
Untersuchungen, die ich erstellt habe, ergaben, dass hier noch in atlanti-
scher Zeit ein Ableger des Sonnenorakels eingerichtet worden war, um
Menschengruppen, die zur Auswanderung aus Atlantis zusammen ge-
führt wurden, in ihre neuen Heimatländer zu geleiten. Hier wurden die
zwei Besucher aus dem hohen Norden gut umsorgt, aber sie sahen wäh-
rend der Besuchszeit nicht viel von einander.
Die Priesterin ging jeden Tag zu ihrem Unterricht und zu Zeremo-
nien, die der Jägersmann nicht besuchen durfte. Meistens durchsuchte er
die umliegenden Landschaften oder er hielt sich im Tempelhof auf, falls
er irgendeine Schulung erhalten sollte. Er hatte sich ausgemalt, dass auch
er eine Einweihung bekommen würde, jedoch es geschah nichts in dieser
Richtung. Beim Abschiedsfest erhielt er ein Geschenk, das er für die
Nordländer mitnehmen durfte. Es handelte sich um einen langen, mit
bemaltem Schmuck verzierten Speer, der einen metallenen Spitzkopf
hatte. Es wurde ihm gesagt, dass eine magische Kraft den daran befestig-
ten Bärenpelz erfülle, die Glück beim Jagen bringen würde.
Während der Heimreise wurde wieder wenig zwischen den Beiden ge-
sprochen. Die in seinen Augen noch schöner gewordene Priesterin war
in sich wie versunken. Nach Hause zurück gekommen, setzte der An-
führer den Speer für die Jagd ein und erfuhr durch seine Kameraden viel
Bewunderung, da es sich herausstellte, dass mit der neuen Waffe mehr
Beute als je zuvor erlegt werden konnte. Ja, es war sogar möglich, Bären
ohne vorangegangene Belagerung allein mit Hilfe dieses Speers aus eini-
gem Abstand heraus zu erlegen, als würde der Speer den Jäger für den
Bären unsichtbar machen. Jedoch gelang es dem Anführer nicht, den
Kontakt zur Priesterin zu erneuern, weil sie ihn aus Gründen zu meiden
schien, die er nicht durchschaute.
Manchmal saß er allein auf dem runden Berg und grübelte darüber
nach, warum das Leben so anders geworden war. Er konnte nicht
herausfinden, ob er etwas Falsches gemacht hatte, und er wagte es nicht,
die Priesterin danach zu fragen. Nach einigen Jahren überließ er einem
Jüngeren den magischen Speer, weil er einmal bei der Jagd von einem
nicht ganz zu Tode getroffenen Wildschwein verletzt worden war. Er
ging immer trübsinniger herum, und um niemanden mehr damit zu stö-
ren, hielt er sich in dieser Zeit entfernt von der Kolonie im Wald auf.
Eines Abends, als er einsam auf dem Berg saß, entschloss er sich, den
Heimatort ganz zu verlassen. Er begab sich auf eine Wanderung gegen
Norden hin in Gegenden, die er früher nie gesehen hatte. In einem ab-
seits liegenden Tal hielt er erschöpft Rast. Doch geriet er dabei in die Nä-
he einer Braunbärin mit kleinen Jungen. Er versuchte, dem vergrämten
Tier zu entfliehen, aber der wütenden Bärin gelang es, den ermüdeten
Weidmann zu zerfleischen. So beendete er in einem ansonsten frohge-
muten Zeitalter seine persönliche Tragödie.
230
Diese und andere Motive aus weiteren Inkarnationen, die wir ent-
deckten, verhalfen dem Geistsuchenden, seine gegenwärtige Lebens-
situation neu zu ergreifen, um eine Lösung für die in Frage gestellte Be-
ziehung zu finden. Zur Zeit dieser Erforschung hatte die entsprechende
Frau die ehemalig Priesterin keine Gelegenheit, in die gemeinsame
Karmaarbeit mit dem Geschäftsmann und mit mir einzusteigen. Schon
damals spürte ich, dass es gut gewesen wäre, wenn sie sich anschließen
würde. Viele Jahre später, nachdem die Beziehung zwischen den beiden
längst vorbei war und ich mit dem Geschäftsmann eine Weiterarbeit an-
haltend betrieben hatte, rief die Frau eines Tages unerwartet an. Jetzt
hatte sie den Zeitpunkt gefunden, aus sich heraus Kontakt aufzunehmen,
um ihr Karma bewusst anzuschauen.
Der mesopotamische Baumeister
Ein Mann mittleren Alters, der heute in einem kaufmännischen Beruf
arbeitet, wollte einige soziale Probleme an seinem Arbeitsplatz untersu-
chen, die mit seiner bevorstehenden Beförderung zu tun hatten. Er ent-
deckte folgende Geschichte im alten Babylonien, dem Zweistromland,
und konnte somit durch die darin agierenden Personen etwas ableiten,
wie er sein Verhalten zu einigen seinen Kollegen verbessern konnte. Er
fand sich anfangs des Rückblicks inmitten einer kleinen Gruppe anderer
Männer, die sich zu einem bewachten Portal in einer großen Mauer
achtsam hin bewegten. Bei näherer Besichtigung ergab sich hinter der
Mauer eine pompöse Burg. Die Gefolgsmänner blieben in günstiger
Entfernung stehen, um auf ihn zu warten, bis er ihre gemeinsame Auf-
gabe allein in der Burg verrichten konnte. Der kräftig gebaute Mann
hier Sedekkar genannt trug einen schlichten, roten Kittel. Aber sein
mit Goldzeichen geschmücktes Stirnband, das noch einen Rubin hatte,
zeigte, dass er von hohem Stand war. Weil die Wächter ihn freundlich
grüßten, wurde es klar, dass Sedekkar hier nicht zum ersten Mal er-
schien.
Indem er in einen großen Saal der Burg geführt wurde, fühlten wir
voraus, dass es um einen Vermittlungsversuch ging, der die ganze Stadt-
bevölkerung der benachbarten Flussstadt betraf, wo er der regierende
Potentat war. Sedekkar wurde vor einen Kreis auf Steinsesseln sitzenden
Männern geführt. Sie waren alle in langen, farbigen Mänteln ansehnlich
gekleidet. In der Mitte saß der Fürst dieser Burg hier Akktamar ge-
nannt. Sedekkar blickte ihn an, verbeugte sich flüchtig und gab einem
Diener eine Schriftrolle, die er in seinem Kittel versteckt hatte. Dieser
reichte das Verzeichnis einem Herrn in blauem Mantel hier Jerulam
genannt , der zur rechten Hand Akktamars saß. Dieser erhob sich,
231
ging zu Sedekkar hin und begrüßte ihn, indem er ihn umarmte. Es wurde
dadurch deutlich, dass die Beiden manches miteinander zu tun hatten.
Nachdem Sedekkar seinen Bericht gegeben hatte, entstand ein leiden-
schaftliches Gespräch in der Runde. Anhand des Gesprochenen das
intuitiv verstanden werden konnte zeichnete sich das Bild, dass das
Volk des Sedekkar die Einheimischen waren, die Tausende Jahre in die-
ser Region gelebt hatten. Akktamar und Jerulam dagegen gehörten zu
einem anderen Volksstamm, der vor ein paar hundert Jahren aus dem
Norden kommend sich hier ansässig gemacht hatte. Zunächst hatten die
zwei Völker in Eintracht gelebt, weil genug Land und Fang vorhanden
war, aber schon der Großvater von Akktamar, der die Burg gebaut hatte,
erzwang sich mit Waffengewalt eine Oberherrschaft über die Region.
Trotz einiger Gegenstimmen wurde nun Sedekkar vom Herrscher wei-
terhin mit der Autonomie betraut, seine umfangreichen Bauvorhaben in
der Stadt zu betreiben, die für den eigenen religiösen Kult notwendig wa-
ren. Besonders der Spruch des Jerulam schien ausschlaggebend für den
positiven Ausgang zu sein. Mit glücklicher Miene verließ Sedekkar die
Burg und vereinte sich mit seiner Eskorte, die die Nachricht begeistert
empfing. In den nächsten Jahren sahen wir Sedekkar im Stadtbezirk
mit diversen Bauvorhaben beschäftigt. Kanäle wurden vom Fluss hin
zum Tempel angelegt. Ein neuer Altar für die Flussgöttin sollte gebaut
werden. Sedekkar war auf einmal selbst Bauherr, Architekt, Ingenieur
und Steinmetz gewesen. Um sich herum hatte er Tausende von begeis-
terten Hilfsmännern und tüchtigen Frauen, die das Projekt mit trugen.
Die Stadtkultur blühte und es bestand zumeist ein gutes Verhältnis zum
Volk des Binnenlandes, das von der Burg diszipliniert wurde. In rhyth-
mischen Abständen, die mit Planeten- und Sternenkonstellationen zu-
sammenhingen, kam Jerulam, immer in Blau gekleidet, zu Besuch, aber
Sedekkar nahm sich nicht mehr die Zeit, selbst zur Burg zu gehen. Wenn
Wichtiges verhandelt werden musste, schickte er einen Boten hin. Dann
tauchte immer Jerulam auf, aber Akktamar nicht.
Es mutete so an, als sei nach einigen Jahren ein Ärgernis entstanden,
aber der Kaufmann konnte nicht erkennen, warum. Immer öfters war Je-
rulam bekümmert, als er zur Audienz bei Sedekkar ankam, und konnte
nichts tun, um einem Interdikt entgegen zu wirken. Die Bautätigkeit
musste sofort aufhören. Hinzu kam das Überraschende, dass überall in
der Stadt Akktamar selbst in eigener Person seine Krieger als Polizei auf-
stellte. Es dauerte nicht viele Tage, bis ein Volksaufstand unter dem Be-
fehl eines Untertanen von Sedekkar organisiert wurde. Viele Stadtein-
wohner wurden aber mit Gewalt sofort nieder geschlagen, weil sie nicht
gewohnt waren, in die Offensive zu gehen. Die restlichen Bürger, die
nicht gefangen genommen wurden, und Sedekkar mit ihnen flogen
nachts in Booten flussabwärts aus der Stadt. Sie kamen weit weg in eine
232
andere Gegend, wo keine Menschen vor ihnen hausten. Die kleine
Gruppe von etwa achtzig Individuen gründete keine neue Stadt, sondern
sie fanden Unterkunft in Höhlen und erstellten kleine Kollektive aus
Lehmbauten. Sedekkar zog sich zurück in eine Grotte als Einsiedler. Ei-
nige seiner Kinder aus mehreren Verbindungen brachten ihm Essen und
Bedarf für sein bescheidenes Dasein.
Jeden Tag saß er am Grotteneingang und schrieb auf Pergament alles
nieder, was er früher gelernt hatte. Alles, was aus seiner Jugendschulung
hinein geflossen war in die Baukunst, entstand jetzt in einer anderen
Form in den Handschriften. Das, was nach außen gegangen war, aber
von Akktamar gewaltsam unterdrückt worden war, bekam folgenderma-
ßen eine beispiellose Verinnerlichung. Sedekkar beobachtete die Natur-
zusammenhänge. Am Tag musterte er die Vögel am Meer, die Tiere in
der Bucht und die Bäume vor seinem Aufenthaltsort. Nachts saß er stun-
denlang und staunte über den Mond, die Planeten und die Sternzeichen.
Er betrachtete die Wolken, die Regenbögen und das Gewitter. Er ver-
folgte mit seinem Blick die Wassertropfen, die nach dem Regenschauer
vor seinem Höhleneingang hinunter fielen. Er ergründete, warum sie im
Sand kleine Löcher machten. Allmählich entdeckte er, wie viele Farben
die verschiedenen Naturerscheinungen aufwiesen. Er philosophierte und
dachte nach, was alles zu bedeuten hatte. Sedekkar schrieb vieles auf und
machte kleine Illustrationen dazu und entwickelte neue Zeichen für die
Dinge um sich herum. Stückweise entstand in Keramikamphoren eine
Bibliothek, die nach seinem Tod von seinen Nachkommen immer mehr
erweitert wurde. In dieser Weise beendete ein Mensch seine letzten Jahre
in der weisheitsvollen Natur, welcher anfangs in einer ausgeprägten
Städtekultur gelebt hatte.
Der griechische Wanderarzt
Eine Frau kam, während sie sich in den nachtodlichen Rückblick zu
ihrer einmaligen ägyptischen Inkarnation vertiefte, in Kontakt mit einem
Tugendengel, der mit der Weisheit zu tun hatte. Sie wollte dieses Motiv
bei sich genauer verfolgen und wurde daher auf eine anknüpfende Inkar-
nation aufmerksam. Sie erkannte sich als einen jungen Mann, der Unter-
richt mit anderen Jugendlichen in einem Tempelzusammenhang im
alten Griechenland erhielt. Die Schüler wohnten in bescheidenen, aber
schönen Kasernen hinter dem Apollo-Tempel. In den allgemeinen Un-
terweisungen, die mehrere Jahre dauerten, lagen die Hauptfächer in der
Ausübung verschiedener Künste und sportlichen Übens, wo es darum
ging, den menschlichen Körper vollends zu verstehen. Für den jungen
Herrn, hier Pedon genannt, der später Arzt werden sollte, ging das Inte-
233
resse besonders in Richtung der Pflege der Poetik und des Anhörens alter
Sagen und Mythen. Während des karmischen Rückblicks war es beson-
ders interessant, mitzuerleben, wie die Frau versuchte, einige Momente
der Rezitation in altgriechischer Mundart nachzuvollziehen. Ein paar
Worte konnte sie beinahe hörbar machen, was gleichwohl deutlich zeig-
te, dass es in der Zukunft möglich sein würde, eine neue Öffnung für die
Sprachwissenschaft zu finden, wenn jemand auf diesem Gebiet seine Be-
gabung steigern würde.
Nach der Entlassungsfeier kam der junge Grieche in die Lehre bei
einem alten Arzt. Bei ihm lernte Pedon die praktische Kunst des Herstel-
lens von Arzneimitteln aus Tiergaben, aus Pflanzen und aus minerali-
schen Stoffen der Natur. Er lernte verschiedene Verfahren der Heilung
durch Substanzen, aber auch durch Lebenskräfte, die er in seinem eige-
nen Wesen aufbringen konnte, um sie bei den Patienten mittels Bewusst-
seinsbetätigung oder Meditation einzusetzen. Allmählich dürfte der jun-
ge Arzt die Distrikte übernehmen, die am weitesten vom Wohnort des
Meisters entfernt waren, weil der Alte wegen seiner wunden Knie, die
immer Wasser entwickelten, nicht mehr so gut wandern konnte. Wie alle
Ärzte und Heilkünstler anno dazumal und später hatte auch Pedon sei-
nen Medizinkasten. Es war ein Holzkoffer, der innen kleinere Schachteln
und Räume für die Medikamentengläser, Messer und Geräte hatte. Au-
ßen wurde er durch Lederriemen zusammen gehalten, und daher konnte
er auch über der Schulter wie ein Rucksack getragen werden. Nachdem
der Lehrherr sein Amt niedergelegt hatte, übertrug der alte Meister alle
seine Distrikte auf Pedon, der mit den Jahren eine Erweiterung seiner
Wirkenssphäre erfuhr, weil sein Ruhm als geschickter Chirurg sich auch
zu weit weg entfernten Regionen und Inseln kund tat. Der junge Arzt
umsorgte die Knie des alten Mannes, bis er ihn ganz geheilt hatte. So
durfte der alte Therapeut einige schöne Jahre am Ende seines Lebens
haben.
Wenn Pedon nicht auf Wanderschaft war, um einen Patienten zu be-
suchen, lebte er zu Hause bei sich, wo auch kranke Menschen ihn auf-
suchten. Nach dem Zusammensein mit den anderen Bewohnern in sei-
nem Haushalt Pedon hatte keine eigene Familie, aber er hielt eine
Haushälterin und mit der Zeit erwarb er sich mehrere Lehrlinge zog
er sich zurück in sein Zimmer oder hinter das Haus unter einen Baum,
wo er bei gutem Wetter die Herstellung von Heilmitteln besorgte. Jeden
Abend pflegte Pedon seine besondere Meditation, die ihm die geistigen
Kräfte und das Wissen gab, die er für seine Berufung nötig hatte. Er saß
in einer hingebungsvollen, aufrechten Stellung und hob dabei manchmal
die Hände empor. Es wurde deutlich, dass er sich an ein Geistwesen
wendete, das er schaute. Von diesem Wesen wurde Pedon wie überflu-
tet, so dass ihn während dieses Zustands eine Helligkeit durchwob. Er
234
konnte demzufolge seine inneren Organe und Körperteile eingehend prü-
fen und nachempfinden, welche Krankheiten dort auftauchen könnten
und was folglich die richtige Behandlung sein würde. Immer wieder ließ
es die Symptome, die er bei Patienten beobachtet hatte, in seiner Erinne-
rung auftauchen, damit er gleichzeitig nachfühlen konnte, welchen
Schmerz der Betroffene gehabt hatte. So probierte Pedon später im Prak-
tischen aus, ob die Hinweise, die er in der Meditation bekommen hatte,
ihre Gültigkeit behielten. In diesem Sinne können wir Pedon als einen
Empiriker sehen, der einer der vielen medizinischen Schulen in Griechen-
land seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. angehörte. Weil er aber anfangs in
einem Apollo-Tempel unterrichtet wurde, ist es folgerichtig zu denken,
dass er vielmehr einige Jahrhunderte früher gelebt hat, weil später Askle-
pios als Gott der Ärzte an die Stelle Apollos trat. Das Leben des griechi-
schen Wanderarztes verlief eher ohne große Komplikationen und drama-
tische Ereignisse. Er wurde z. B. verschont, in den Krieg zu gehen oder
nach Erdbeben mitarbeiten zu müssen.
Bei der Nachfrage, ob Pedon wirklich nie eine Krise erlebt hatte,
tauchte das folgende Szenario auf: Eines Tages kam zu ihm ein Mann
namens Akelaios, der von schrecklichen Bauchschmerzen geplagt war.
Pedon glaubte, bei dem Patienten eine Magenentzündung wahrzuneh-
men, die er als nicht riskant ansah. Deswegen verschrieb er ihm eine
Selbstharnkur. Dazu sollte Akelaios saueres Obst und Beeren vermeiden
und währenddessen absolut keinen Wein trinken. Akelaios kam nach
den abgelaufenen vier Wochen zu ihm zurück. Die Schmerzen waren
nicht weggegangen, sondern sie waren vielmehr gestiegen. Pedon ver-
suchte nächstens verschiedene äußere Behandlungen mit Packungen aus
Kräuterbrei auf seinem Bauch. Auch diese Verfahren gaben keine Besse-
rung. So sah er sich zum Schluss genötigt, eine Operation vorzunehmen,
weil er durch Handauflegen, beim Abtasten des Erkrankten und in sei-
nen Meditationen in der Zwischenzeit herausgefunden hatte, dass es
wohl eine größere Geschwulst sei, die den Armen quälte. Den chirurgi-
schen Einschnitt führte Pedon auf seinem Domizil durch. Drei seiner As-
sistenten standen ihm zur Seite. Akelaios wurde durch eingenommene
Mittel in einen Halbschlaf versetzt, damit er ganz ruhig liegen konnte.
Als Pedon die Geschwulst auf dem Dünndarm sah, fielen ihm Schweiß-
perlen von der Stirn. So eine große Beule hatte er nie gesehen. Somit
wusste er nicht, ob es ihm gelingen würde, sie wegzukriegen, ohne dass
der Patient an einer Verblutung sterben würde. Pedon fiel mehrmals in
Ratlosigkeit, ob es korrekt wäre, sie abzuschneiden. Er beobachtete ihre
Oberfläche gründlich und untersuchte, wie sie angewachsen war. Seine
Jünger hatten verschiedene Präparate vorbereitet, die in Keramikschalen
auf einem Marmortisch lagen. Es wurde nicht viel gesprochen. Ich be-
kam den Eindruck, dass die Art, wie gearbeitet wurde, wie der Chirurg
235
sich bewegte, den Lehrlingen meldete, was zu tun war. Als Pedon das
schmale Schneidemesser nahm, wussten sie, dass er sich für die Opera-
tion entschieden hatte. So wurde um die Beule eine Mischung von Heil-
pflanzen u. a. waren es gestampfte Samenkörner aus Granatäpfeln und
geriebene Blätter der Schafgarbe geschmiert, einerseits um die Blutung
zu vermindern, andererseits um die Regeneration der Darmgewebe we-
gen der Schnittwunde zu fördern. Mit einigen sachten Schnitten mit dem
Messer operierte er anschließend die Beule weg. Er legte sie in eine leere
Schale und empfing eine feine Nadel aus Fischknochen mit einem Fisch-
darmfaden daran, die der eine Helfer bereit hielt. Somit nähte er die
Wunde mit dem leibfreundlichen Saum zu. Über die Naht der Darm-
wunde pinselte er noch einen dünnen, aber schnell trocknenden Saft, der
aus Eichenrinde und Körperausscheidungen von einem Igel und einer
Eidechse stammte. Diese Mischung schichtete er auch auf dem Saum der
Bauchwunde, nachdem die ganze Operation erledigt war. Akelaios
kam allmählich zu sich selbst. Seine Begleiter, die beiden Söhne, die die
ganze Zeit in der Nähe erwartungsvoll gehofft hatten, kriegten die An-
weisung, diese Mittel jeden Morgen eine Woche lang auf die Wunde des
Vaters zu legen. Die Narbe sollte nicht überdeckt werden. Am besten
würde Akelaios tags und nachts unter offenem Himmel die beste Rekon-
valeszenz erhalten und bei Sonne unter einem blühenden Obstbaum lie-
gen. Es war nämlich Frühlingszeit.
Am selben Abend ging Pedon zu einem Hain von Wahlnussbäumen,
die unterhalb seines Gehöfts wuchsen. Hier grub er die Geschwulst tief
in die Erde ein. Dort hatte es schon andere Abfälle vergraben, die in Ver-
bindung mit seiner Arbeit standen. Pedon kriegte nach einigen Tagen
den Bescheid, dass es seinem Patienten sehr gut gehe. Nach einer Woche
ging er die fünf Meilen zu Akelaios hin, um die Wunde selbst zu kon-
trollieren. Da war nichts Beunruhigendes zu bemerken. Nach sieben
Wochen kam Akelaios selbst zu ihm zu Fuß, um seinen Dank zu geben,
dass er so gut geheilt worden war. Dadurch wuchs der gute Ruf des
Wanderarztes noch weiter.
Schon während der Karmameditation erkannte die Frau in Akelaios,
den sie als Pedon mit Erfolg operiert hatte, ihren eigenen Ehemann in
der Gegenwart, der vor einigen Jahren gestorben war. So warf dieses
griechische Lebensmotiv ein weisheitsvolles Licht über ihre langjährige
Ehe, die nicht immer verträglich abgelaufen war.
Der Gast des schwarzen Pumas
Eine Frau kämpfte in ihrer momentanen Situation mit der Frage, ob sie
sich von ihrem Ehemann trennen sollte oder nicht. Da wurde sie auf eine
236
Inkarnation hingewiesen, in der sie der Häuptling eines Indianerstamms
gewesen war. Besonders eindrücklich prägten sich die Imaginationen
ein , die ein Begegnungsfest zwischen drei Stämmen zeigten, bei wel-
chem die Häuptlinge Geschichten und Anekdoten erzählten, die mit den
Federn in ihrem Kopfschmuck zusammenhingen. Jede Feder bedeutete
etwas Besonderes, denn viele dieser Federn waren Zeugen der durchge-
standenen Prüfungen und Leiden der Ahnväter, die sie in früheren Zei-
ten auf sich genommen hatten, um ihren Häuptlingsstatus zu erringen.
Es gab den Brauch, dass ein Häuptling diese Kopfbedeckung entweder
seinem Nachfahren vererbte oder dass er einzelne Federn daraus ande-
ren Männern schenkte, die innerhalb oder auch außerhalb seines Stam-
mes Tapferkeit und Tugend gezeigt hatten.
Unser Häuptling erzählte folgende Geschichte, indem er zuvor mit
der rechten Hand auf eine bestimmte Feder des Kopfschmucks zeigte:
Das ist die erste Feder, die ich mir selbst als Einzuweihender erworben
habe. Unuhama, unser Medizinmann, unterwies mich damals, wie ich
die Gunst des Felsenpumas erwerben sollte. In Traumarbeit bin ich be-
reits dem schönen Tier in seiner Höhle begegnet. Dann stand ich vor der
Prüfung, es in der Sinneswelt zu suchen. Die Lehrer führten mich zum
Abhang des Canyons, in welchem der Puma lebte. Ich musste den steilen
Steinhang hinunter klettern. Das war lebensgefährlich, weil man durch
lose Steine herunter rutschen konnte. Wenn mir das passiert wäre und
ich das Bewusstsein verloren hätte, wären sofort wilde Tiere und Raub-
vögel gekommen, um mich zu zerfleischen. Also musste ich mich ganz
langsam nach unten bewegen. Endlich stand ich unten auf steinernem
Boden, der von Gefiedern, Knochen und dürren Wurzeln übersät war.
Über mir kreisten Vögel, auch ein Adler war gekommen. Weit oben am
Abhang konnte ich meine Freunde sehen, die mit gespannten Bögen still
dastanden. Würden sie eingreifen, um mir zu helfen, wenn ich in Le-
bensgefahr käme? Ich wusste es nicht, da ich Geschichten über andere
Prüflinge gehört hatte, die solche Situationen mit ihrem Leben bezahlen
mussten. Vor mir auf dem Boden erblickte ich eine große Adlerfeder. Ich
hob sie auf und steckte sie in mein Kopfband. Eine große Ruhe ergriff
meine Seele und all meine Angst war geflohen. Nun begann ich den
Canyon zu untersuchen, um den Eingang zur Höhle des Pumas zu su-
chen. Ich fand sie und setzte mich in danksagender Stellung davor. Ich
wandte mich unseren Göttern zu und der Große Geist sprach zu mir:
Sei hier willkommen. Du selbst bist das Tier, das du suchst. Hier ist
deine Heimat, überall ist deine Heimat. Dann ging ich in die Höhle. Ob
ich dem Puma dort physisch begegnet bin, das bleibt mein Geheimnis,
bis ich meinen Nachfolger ernennen werde. Daraufhin bin ich wieder
hinausgegangen und hochgeklettert zu meinen Brüdern, die mich über-
wacht hatten. So konnte ich meine erste Häuptlingsfeder erwerben. Das
237
hat Wagananka heute seinen lieben Brüdern und Schwestern erzählt, des-
sen Name bedeutet: der Gast des schwarzen Pumas.
Nachdem die Gasthäuptlinge eine ihrer eigenen Geschichten erzählt
hatten, berichtete Wagananka seine zweite Geschichte, die mit einer
Feder zu tun hatte, die sein Vater bekommen hatte. Dieser war in seiner
Jugend in eine schöne Jungfrau verliebt, die aber durch ein Unglück ums
Leben gekommen war. Um sich seiner Trauer in der Einsamkeit hinzu-
geben, paddelte er im Kanu mehrere Tage und Nächte auf dem großen
See herum. Eines Abends saß der Kanute still in Gedanken versunken da
und merkte zuerst nicht, dass ein schwarzer Vogel ihn in der Luft um-
kreiste. Erst als das rote Garn der untergehenden Sonne den Wasserspie-
gel streifte, guckte er hoch und sah den wundervollen Vogel, der genauso
schwarz war wie das Haar seiner verstorbenen Geliebten. Wie es dazu
kam, konnte er nicht durchschauen, aber der Vogel lies eine Feder fallen,
die in spiralenförmigen Kreisen gerade zu ihm herunter schwebte, so
dass er sie mit der Hand ergreifen konnte. Seitdem trug er alle Trauer,
die ihm im Leben begegnete, wie eine schwarze Feder im Kopfschmuck
mit sich fort. Ich aber habe sie von ihm zum Mittragen bekommen.
Dergestalt beendete Wagananka seine zweite Erzählung. Für die be-
treffende Frau erbrachten diese Schauungen einen Beitrag zu der Er-
kenntnis, dass ein Teil ihrer karmischen Aufgabe in der Gegenwart darin
liegt, sich eine Selbstständigkeit zu erwerben, aus der heraus sie ihr Leben
aus eigenen Bedürfnissen gestalten kann, unabhängig davon, ob sie sich
trennen oder mit ihrem Mann weiter zusammenleben würde.
Die aufgezwungene Verlassenheit
Jemand, der in einer Initiative tätig war, die den Impuls verfolgte, eine
Einrichtung für Menschen in der letzten Phase des Lebens aufzubauen,
entdeckte eine Inkarnation, in der er das ganze Leben auf einer Insel in
totaler Isolation von anderen Menschen leben musste. Als Junge spielte
er damals oft allein am Ufer einer Bucht auf einer von tropischem Wald
bedeckten Insel. Einmal sah der Junge mehrere Segelschiffe, die Anker
geworfen hatten, die er als solche aber nicht einordnen konnte, weil er
noch nie so etwas gesehen hatte. Sein schwarzhäutiges Volk lebte in
einer Siedlung in einer Lichtung des Urwaldes auf der großen Insel.
Seltsam aussehende und eingehüllte Seeleute kamen in Kleinbooten ans
Land. Der Junge beobachtete von seinem Versteck in den Büschen und
horchte, dass etwas geschah, was nicht normal war, aber er verstand
nicht, was vor sich ging. Auf die jammernden Rufe seiner Mutter in der
Ferne wagte er nicht zu antworten. Also versteckte er sich weiter und
wartete mehrere Tage ab, bis wieder Ruhe eingetreten war. Er wusste
238
nicht, dass es Europäer waren, die sein ganzes Volk als Sklaven gefangen
genommen hatten, um es nach Amerika mitzuschleppen. Als er wagte,
zur Siedlung zurück zu laufen, fand er seine Eltern nicht mehr. Niemand
war mehr anzutreffen. Die Hütten waren abgebrannt und Keramik,
Werkzeuge und andere alltägliche Utensilien lagen überall zerstört he-
rum. Der Junge wusste hier nichts mehr anzufangen, deswegen lief er so-
fort zurück zu seiner Bucht. Dort hatte er durch Früchte und Beeren ge-
nug zu essen. Trinken konnte er in einem kleinen Bach, der einer Klippe
entsprang, und zum Schlafen legte er sich unter einen Schutz gebenden
Busch, wie er es sich schon als Kind zur Gewohnheit gemacht hatte.
Manchmal hatte ihn seine Mutter dort abgeholt; daran konnte er sich
noch lange erinnern.
So vergingen viele, viele Jahre, ohne dass sich äußerlich viel veränder-
te. Der hager gebaute schwarze Mann, zu dem er herangewachsen war,
lebte in seiner Bucht. Er machte Wanderungen um die Insel, ging immer
wieder zum Platz der alten Siedlung zurück, um etwas zu holen, doch
allmählich war es dort von Unterholz so zugewachsen, dass es keinen
Sinn mehr hatte, dorthin zu kriechen. Der Mann nannte sich Boa, weil
seine Mutter damals, als er sich vor den Fremdlingen versteckt hatte, ihn
mit diesem Namen gerufen hatte. Er vergaß langsam die meisten Wörter
seiner Sprache. Dinge in seiner Umgebung, die ihm gefielen, benannte er
schließlich einfach: Boa . Noch ein einziges Mal sah er wieder solch
große Schiffe, die ein paar Tage wegen Sturm im Golf ankerten. Da ver-
steckte er sich erneut und lag, ohne sich zu rühren, die ganzen Tage und
Nächte unter seinem Busch. Er blieb unbehelligt, denn es kamen keine
Leute aus den Schiffen zur Insel hin. Auch später in seinem Leben kam
er nie wieder mit Menschen in Berührung. Zu den Tieren hatte er ein gu-
tes Verhältnis, weil er keine Jagd betrieb. Viele Vögel hielten sich in sei-
ner Nähe, weil er sie herbe Samen gab, die er nicht essen wollte.
Seine letzten Jahre verbrachte Boa fast nur in seiner buschigen Behau-
sung, die zu einer kleinen Laubhütte angewachsen war. Eine leichte ma-
nisch-depressive Laune hatte ihn ergriffen. Anfangs hatte er ausprobiert,
sich durch allerlei Versuche davon zu befreien, weil er dachte, dass er
von kleinen Ameisen angegriffen worden sei. Kein Schwimmen, kein
Rennen, kein sich in den Sand Eingraben konnte jedoch helfen. Das
Beste, was er entdeckte, war einfach, in der Hütte ruhig zu sitzen und auf
das stille Meer hinaus zu schauen. In dieser Stellung schlief er eines
Abends ein und wachte erst wieder als Verstorbener auf , der auf dieses
seltsame Leben zurückschauen durfte.
Aufgrund der Erfahrungen in dieser außergewöhnlichen Inkarnation
arbeitet diese Individualität in der Gegenwart daran, viele Menschen auf
die Todesschwelle behutsam vorzubereiten.
239
 Die englische Adelsfamilie
Nicht nur habe ich mit einzelnen Menschen in dieser Weise gearbeitet,
um ihr Karma mit ihnen zu erforschen, sondern ich habe auch mit meh-
reren Menschen, die sich gegenseitig kannten, einzeln und gemeinsam
gearbeitet. So konnten unterschiedliche Blickwinkel zu ein und derselben
Geschichte erforscht werden, so dass viele Bestätigungen wechselseitig
entstanden. Die folgende dramatische Geschichte stammt aus einer sol-
chen mehrschichtigen Arbeit. Nach dem Bericht werde ich in diesem
Fall einige Anmerkungen machen, welche seelischen Zustände man be-
kommen kann, wenn ein solch schwieriges Karma aufgearbeitet wird.
Es geht hier zunächst um drei Personen aus der Gegenwart, die mit-
einander in Familie und Freundschaft stehen. Statt den aktuellen Namen
und den Namen, die in den Schauungen entdeckt wurden, habe ich an-
dere erfunden; alles andere entspricht im großen Ganzen den Gegeben-
heiten. Eva und Lotte sind Schwestern. Hilde ist eine Freundin von Bei-
den. Mit diesen drei Frauen führte ich die Karmaarbeit durch. Georg
nahm nicht daran teil. Er möchte auch nichts vom Erforschten wissen,
weil er zu spirituellen Fragen keinen Hang hat. Eva und Georg waren
verheiratet. Zur Zeit der Forschung lag die Scheidung einige Jahre zu-
rück und sie konnten sich wieder einigermaßen wegen der gemeinsamen
Kinder vertragen. Eine fünfte Person, Judith, ist heute die neue Lebens-
gefährtin von Georg. Auch die Kinder von sowohl Eva als auch Lotte
tauchten in den Imaginationen auf, aber es würde zu weit führen, auch
diese Bezüge hier aufzudecken.
Eine Fragestellung, die untersucht werden sollte, hatte mit dem The-
ma Inzest zu tun. Lotte hatte bei einer Hellseherin einen Tipp bekom-
men, dass sie in ihrer Kindheit vermutlich von einem Erwachsenen
sexuell missbraucht worden sei. Sie wusste gar nichts davon, aber seit
diesem Hinweis erlagen auch die zwei anderen Frauen einem Gefühl des
leichten Unwohls, wenn die Rede auf den Vater der Schwester kam. Eva
fing an zu glauben, dass vielleicht auch sie als Kleinkind missbraucht
worden sei. Als ich das alles hörte, aber auch durch früheres Kennenler-
nen des Vaters ihn aus solchem Verdacht absolut fernhalten musste, war
es logisch, dass etwas Karmisches in dieser Richtung gesucht werden
könnte, um eine Aufdeckung zu schaffen.
In der folgenden Geschichte entspricht Eva karmisch dem Namen
Elisabeth, Lotte stimmt mit Albert überein, und Hilde erfüllt Eleonore. Ge-
org heißt in der betreffenden Vergangenheit Gordon. Schließlich kommt
Judith als Johanna vor. Auf einem größeren Landgut in England etwa
in der Barockzeit ist Gordon ein Gutsherr. Albert ist sein jüngerer Bru-
der. Gordon hat zwei Töchter. Elisabeth ist die ältere, Eleonore die jün-
gere. Zum Zeitpunkt in den geschauten Sequenzen war die Frau von
240
Gordon seit einigen Jahren gestorben. Die zwei Töchter, etwa neun und
fünf Jahre alt, wurden von einer Magd, Johanna, erzogen. Sie hatte
mehr und mehr eine tragende Rolle im Leben des Gutsherrn eingenom-
men. Es war einsichtig, dass Gordon nach dem Tod seiner Frau einen
Bruch in seinem Gefühlsleben bekommen hatte. Albert, der in der nächs-
ten Stadt als Mentor tätig war, konnte mit seinen Witzen seinen nun-
mehr deprimierten Bruder kaum mehr ermuntern. Jedes Wochenende
kam Albert jedoch zu Besuch. Die Mädchen freuten sich auf ihn, weil er
ihnen die Musik brachte und mit ihnen anmutige Spiele im Parkgelände
unternahm. Elisabeth war ein hageres, selbstbewusstes Mädel, das ein
stolzes Temperament wie einst ihre Mutter hatte. Eleonore hingegen war
rundlicher und schüchtern und ließ sich von Elisabeth immer sagen, was
sie tun sollte.
Die zwei Kinder spielten ab und zu in einem abgelegenen Teil des
Schlosses, wo keiner mehr seit dem Tod der Mutter wohnte. Als dem
Vater das zu Ohren kam, wurde er verärgert. Er nahm die Töchter zu
sich und ließ sie wissen, dass sie dort überhaupt nicht spielen dürften.
Weil in einigen der geschlossenen Räume Besitztümer, die der Mutter
angehört hatten, zu sehen waren, nahmen sie sich nochmals vor, dorthin
zu schleichen. Wieder wurden sie von Johanna bemerkt, die es dem
Vater erzählte. Gordon wurde nun außer sich von Zorn. Weil er wusste,
dass Elisabeth stur war, wollte er ihren Ungehorsam jetzt brechen. Ohne
dass er es geplant hatte, band er mit dem Beistand von Johanna seine
älteste Tochter an seinem Bett fest. Eleonore musste draußen bleiben. In
einer vereinzelten Rückführung schilderte Hilde mit schwerer Herzens-
qual, wie sie die Schreie der älteren Schwester außen vor der geschlosse-
nen Tür gehört hatte. Aber sie erfuhr damals nie, was da drinnen vorge-
fallen war. Nach diesem ersten Unglück bis zur großen Katastrophe
folgte eine Reihe weiterer Vergewaltigungen, ohne dass der Vater den
Trotz von Elisabeth brechen konnte. Statt dessen erwuchs in ihr ein Hass
gegen ihm, den sie nie wieder loswerden sollte.
In dieser Stellung der englischen Aristokratie, die nach außen als Idyll
galt, verflossen auf diese Weise etwa drei weitere Jahre. Innerhalb der
Schlosswände kochte es aber. Elisabeth versuchte andauernd, sich vom
Vater fern zu halten. Albert erfuhr, dass nicht alles in Ordnung war. So
erschien er öfters auch während der Woche an seinem Geburtsort,
um mit seinen Belustigungen und seiner Musikalität zwischen die Ge-
müter zu treten. Eleonore griff das Musikalische auf. Elisabeth aber zog
sich mit ihrem Herbarium immer mehr in ihr Zimmer zurück.
In der Sommerzeit wohnten viele Gäste auf dem Schloss. Sowohl Ver-
wandte wie auch andere Besucher genossen die Gastfreundschaft, die
doch ein Faktum war, trotz des schwermütigen Temperaments des Gast-
gebers. Eines Tages nach dem großen Essen im Speisesaal amüsierten
241
sich die Leute draußen im Park. Ein Feuer war vorbereitet und die Musi-
ker trugen ihre Instrumente zum Pavillon. Einige Kinder spielten unter
den Bäumen, aber Elisabeth hatte Eleonore und einen auswärtigen Jun-
gen mitgenommen, um wieder in dem gewöhnlich abgeschlossenen
Schlossteil etwas anzuschauen. Die Sonne war untergegangen und die
meisten Fenster waren entweder mit Gardinen oder mit Läden verdeckt.
Deswegen hatte Elisabeth eine gläserne Öllampe angezündet. Als Elisa-
beth in eine halbdunkle Kammer kam, stolperte sie über die Kante eines
Bodenteppichs. Sie fiel auf den Fußboden und verlor den Griff um die
Lampe, die zerbrach. Öl floss auf den Teppich und entzündete sich
schnell durch das Lampenfeuer. Eleonore und der Knabe kriegten sofort
Angst und rannten raus in den Park. Elisabeth blieb zurück. Sie versuch-
te, den Teppich umzudrehen, um den Brand zu löschen. Er war ihr viel
zu schwer. Sie holte eine Tischdecke und versuchte, mit ihr zu löschen,
aber es war umsonst. Der Feuer erweiterte sich schnell und erwischte die
nächsten Möbel. Dann rannte sie in ein Gästezimmer, wo sie wusste,
dass es einen Wasserpott gab. Das wenige Wasser nutzte auch nichts. So
kam ihr auch die Angst bei, und sie rannte raus und erzählte ihrem On-
kel vom Geschehen. Es wurde schnell ein Löschdienst organisiert. Die
Menschen in früheren Zeiten wussten, was sie in einer solchen Not zu
tun hatten. Zuerst wurde mit den einzigen Wasserspritzen, die zur Verfü-
gung standen, dann mit wasserfeuchten Betttüchern versucht, das in der
Kammer sich ausbreitende Feuer zu löschen. Als das alles nicht nutzte,
wollte Gordon einige Wertstücke, die hinter der Kammer sich befanden,
abholen. Mit drei anderen mutigen Männern, inklusive Albert, zog er
durch die Flammen. Die drei kamen binnen kurzem mit wertvollem
Schmuckwerk und Bildkünsten zurück. Dann war es für Gordon selbst
zu spät, durch die in vollen Flammen stehende Kammer zurückzutre-
ten. Er öffnete ein Fenster und fing an, Gegenstände hinaus zu werfen.
Somit konnte Einiges mehr gerettet werden. Auch in dem darunter lie-
genden Stockwerk wurden die meisten Wertsachen gerettet. Gordon ent-
kam zunächst den Flammen, indem er von einem französischen Balkon
über eine aufgestellte Leiter herunter kletterte. Dann aber wollte er
wieder in das Haus, um sicher zu sein, dass alle Zwischentüren zu dem
brennenden Teil geschlossen waren. Bei diesen Kapriolen erfasste ihn
der Gedanke, dass vielleicht noch etwas in der untersten Etage in
Sicherheit zu bringen war. Der Gedanke wurde sein Schicksal. Der
Brand war durch den Zwischenboden gedrungen. Ein brennender Bal-
ken fiel herunter und traf ihn in den Rücken. Sein Leben ist ihm gera-
de noch geblieben, weil er aus den Trümmern gezogen wurde, bevor
die ganze Decke abstürzte. Und wäre nicht am Abend ein Gewitter mit
Regenguss ausgebrochen, wäre wohl eine noch größere Katastrophe ent-
standen.
242
Das Unheil brachte es mit sich, dass Gordon vom Brustkorb abwärts
gelähmt blieb. Den Rest seines Lebens, bis die Töchter herangewachsen
waren, musste er das Bett hüten. Johanna pflegte ihn bis zu seinem Hin-
scheiden. Der Bruder Albert besuchte ihn regelmäßig, so auch Eleonore;
aber Elisabeth sah er nie wieder, sogar als sie später im Schloss wohnte
und mit den Jahren die Hofgeschäfte übernahm. Eleonore ging für ihre
Operettenlaufbahn in dieselbe Stadt, wo Albert arbeitete. Somit sahen
sich die Schwestern immer seltener und nie wurde über das Unglück der
Familie gesprochen. Gordon erkannte für sich eine Schuld an seiner
ältesten Tochter und ließ ihr somit auch nichts von ihrem Erbe wegzie-
hen.
Johanna wurde mit den Jahren eine harte, gefühlskalte Dame, die nur
ganz wenige Menschen an sich heran ließ. Nach den Pflichten zog sie
sich wieder in ihr Zimmer zurück, um ihr Herbarium zu erweitern oder
botanische Folianten zu lesen. Nach dem Tod des Vaters kündigte sie
sofort Johanna. Der Bub, der in der Brandnacht anwesend war, wurde
nach vielen Jahren ihr Verwalter.
Der stärkste karmische Knoten aus dieser Vergangenheit ist zwischen
Elisabeth/Eva und Gordon/Georg geflochten. Da liegen noch andere
Leben dazwischen, aber die zwei Individualitäten hatten sich vorgenom-
men, für unsere Gegenwart wieder ein Zusammenleben zu versuchen.
Folglich wuchs durch viele Jahre des gemeinsamen Familienlebens eine
gefasste Liebe heran. Sie war aber nicht stark genug, um die alten Wun-
den des Missbrauchs und der Brandnacht ganz zu verwandeln. So muss-
te wieder eine Trennung kommen, die aber nicht einen brennenden
Querbalken als Brücke, sondern eine Kameradschaft der blumigen
Pfade als Verbindung hat.
Bei Eva sind noch heute tiefe Ängste in der Sexualität vorhanden. Es
besteht für Eva das Problem, wie bei Gordon damals als physischer Tat-
bestand, dass sie sich von der Brust abwärts wie innerlich, ätherisch ge-
lähmt fühlt. Zuerst das karmische Erkennen dieser Zusammenhänge hat
bei ihr Prozesse des Loslassens und des sich selbst Annehmens ausgelöst,
so dass sie auch mit der Sexualität allmählich besser zurecht kommt. Bei
Georg besteht das Thema, dass er sich in seinem Beruf verschanzt, wel-
ches auch als eine Ursache der Trennung von Eva gesehen wurde. Bei
den beiden sehen wir gleichsam eine gewisse Umkehrung der Zustände.
Das Nicht-Verstehen-Können, was geschah, einerseits durch die Un-
reife bei Eleonore, anderseits durch die Verschwiegenheit der damaligen
kulturellen Umgebung, hat bei Hilde heute eine seelische Tendenz der
Ruhelosigkeit bewirkt, die sie nur durch kontemplative Tätigkeit einiger-
maßen in den Griff bekommen hat. Die Treue zu Familie und Tradition
bei Albert war ganz herzlich, aber im Verhältnis zu seinem Bruder ver-
steckte er eine Empörung über dessen Herrschsucht. Die Folge aus dieser
243
persönlichen Unselbstständigkeit ist heute in einem Karma zu sehen, wo
sie sich um psychisch zarte Menschen sorgt.
Das Erschließen der Vergewaltigungsszenen war für Eva zunächst
erschütternd. Sie war bestürzt, dass ihr ehemaliger Mann einmal ihr
schmählicher Vater gewesen sei. Über sich selbst war sie empört, dass sie
in einem früheren Leben so zimperlich sein konnte. Es hat sie aber be-
glückt, dass sie ihren heutigen Vater aus dem unmittelbaren Verdacht
nehmen konnte. Hilde war schockiert, als sie in der Schau vor der ge-
schlossenen Tür saß . In diesem Moment musste sie lange weinen, um
sich mit der umwerfenden Erkenntnis zu verbinden, ehe wir die Erfor-
schung tränenfrei weitermachen konnten. Sie musste gut schlucken, um
die Wahrheit zu ertragen, dass sie die Schwester damals, wie sie es jetzt
begriff, quasi allein gelassen hatte. Das sind lediglich nur einige wenige
der vielen Gefühle und Erkenntnisse, die anhand einer karmischen Er-
forschung wie dieser gekommen sind.
Die Steinigung in der Wüste
In mehreren Fällen durfte ich mit Gruppen arbeiten, um mit ihnen kar-
mische Hintergründe für sie selbst zu suchen oder solche für Andere in
ihrem Umkreis, die selber nicht fähig sind, diese Arbeit zu machen oder
sie für sich zu wollen, die aber sonst die eventuellen Ergebnisse nicht ab-
lehnen. Mit fünf Mitarbeitern einer sozialtherapeutischen Einrichtung
wurden sowohl zu ihnen selbst gehörende und zu mehreren Betreuten
karmische Befunde erforscht, die so bezeichnend und interessant waren,
dass es mir richtig scheint, ein Beispiel davon hier weiter zu reichen, so
dass andere begeistert werden könnten, eine solche Forschung in einem
Betrieb durchzuführen.
Die kleine Gruppe war vertraut mit dem Bauen der Hütte und mit
anderen Feinheiten dieser Methode. Sowohl hatte ich über Jahre einzeln
mit ihnen gearbeitet wie auch gemeinsam in der Gruppe und mit den
Themen Doppelgänger, Engel, Elementarwesen usw. viele Fortschritte
erreicht. Auch mit den Betreuten in dieser Einrichtung hatte ich solche
Themen durch z. B. Improvisationstheater offen und freudig bearbeitet,
dass ich am Ort immer ein beliebter Gast war. Im Vorfeld einer Grup-
penarbeit wurde die Einstimmung so gemacht, dass jeder in der Runde die
Möglichkeit bekam, über jeden anderen im Kreis seine positivsten Ein-
schätzungen zu Wort zu bringen. Damit sollte eine gemeinsame Grund-
lage geschaffen werden, so dass ein jeder nicht nur bei sich das Selbst-
vertrauen bewusst ergriff, sondern auch unmittelbar hören konnte,
welche Fähigkeiten die Anderen gegenseitig als wichtig fanden. Somit
wurde erreicht, dass jeder sich frei fühlte, während der Meditation eine
244
richtungweisende Rolle am Steuer zu übernehmen, je nachdem welche
Motive geschaut würden. Nicht nur ich sollte also die Möglichkeit ha-
ben, eine Geschichte zu den betreffenden Betreuten aufzurollen. Somit
entwickelten wir während mehrerer Sitzungen eine aufeinander abge-
stimmte Handhabung des gemeinsamen imaginativen Schauens, wo je-
der ein Teil des Gesamten oder die Hauptsequenzen mitverfolgen konn-
te. Was man eventuell selbst nicht schaute, konnte man dann von den
Anderen mithören, so dass eine Brisanz und eine Kontinuität in der Er-
forschung erreicht werden konnte.
Der zu Untersuchung stehende Betreute wurde im Vorfeld genau ge-
schildert. Jeder brachte zum Gespräch ein bestimmtes Ereignis, das er mit
ihm direkt erlebt hatte. Es ging um einen etwas älteren Mann, der viele
Jahre im Institut gelebt hatte. Äußerlich gesehen hatte er keine Behinde-
rungen, weil er in vielen praktischen Dingen und im Haushalt sehr dien-
lich war. Er liebte auch seinen Beruf als Kleiderhandwerker. Von einigen
Mitpatienten war er sehr beliebt, von anderen aber unpopulär, weil er
manchmal seine Ansichten oder Urteile wie ins Gesicht einem zuspuck-
te . Demzufolge erreichte er manchmal, dass die Gemüter zum Kochen
kamen, und ein Hitzkopf in der Nähe konnte deshalb total ausrasten
und weitere Beschwerlichkeiten zu Wege bringen.
Nach dem von mir angeleiteten innerlichen Übergang erzählte einer
im Kreis das erste auftauchende Bild, mit welchem wir uns nach einer
Erörterung als Einstieg einigen konnten: Die Sonne scheint über eine
trockene, sandige Landschaft. Nach und nach fügte jemand Anderes
etwas dazu, so dass eine stimmige geografische Ganzheit entstand: Im
Osten liegt das Meer. Der Sandstrand dehnt sich nach Süden und nach
Norden immer weiter. Zwischen dem dürren Innenland mit leichten Hü-
geln und Felsenformationen und dem Strand gibt es ein Feld mit niedri-
gem Gebüschwald, wo Vögel ihr Nest haben und Tiere sich verstecken
können. Sowohl die Gruppenmeditation wie die nachfolgenden Gesprä-
che ergaben, dass es um ein Stück der östlichen Sinaihalbinsel handeln
müsste. Die Fortsetzung ergab folgende Geschichte: Es wird ein Tiger be-
schrieben, der sich im Gebüsch lautlos bewegt und eine Frau am Strand
mustert. Nach abwechselnden Beschreibungen des Tigers wird es uns
einsichtig, dass er nicht zu den einheimischen Tieren gehören kann. Das
Rätsel erklärt sodann, warum eine Gruppe Männer aus einer in der Nähe
liegenden Siedlung mit Speeren und Stöcken die Gegend vom fremden
Tier absichern will. Die Frau scheint einer anderen Meinung als ihre
Dorfbewohner zu sein, weil sie gegenüber dem Tiger keine Angst zeigt.
Allmählich wird ersichtlich, was in den letzten Tagen geschehen ist.
Die Frau, hier Schamulla genannt, lebt im kleinen Dorf und sie hat
wegen ihrer Fähigkeiten als Heilkünstlerin eine Sonderstellung inne. Bei
den meisten ist sie beliebt, aber einige Leute im Dorf, mit denen sie nicht
245
stammesverwandt ist, fürchten Schamulla, weil heimlich behauptet wird,
dass sie eine Zauberin sei. Als sie alle einsehen, dass Schamulla mit dem
Eindringling gesellig umgeht und das Tier sogar berührt hat, ohne an-
gefallen zu werden, bestimmt der Rat der Ältesten, dass das Tier einge-
fangen und getötet werden soll. Schamulla hat die Anordnung erfahren
und rennt im Voraus, um den Tiger zu warnen . Somit kommen wir
wieder zum ersten Bild in dieser imaginativen Reihe, wo Schamulla am
Strand auf dem Tiger wartet. Sie schafft es, ihn zu sich zu locken. Sie
streichelt ihn und spricht nett mit ihm. Schamulla versucht, die Großkat-
ze in ihrer Sprache klar zu machen, dass sie verschwinden müsse, weil
ihr Volk sie sonst töten werde. Das einmalige Tier scheint aber nicht wei-
chen zu wollen. Er legt sich dagegen vor ihr nieder und scheint einzu-
schlafen. Schamulla sitzt hockend vor ihm, als einige junge Männer sie
finden. Ohne zu zögern werfen sie ihre Speere in die Seite des Tigers,
ehe die anderen Männer unter Geschrei auftauchen. Schamulla stürzt er-
schrocken auf, versucht die Männer zu bremsen, aber sie wird vom ers-
ten heran hastenden Ältesten mit einer Wurfschlinge sofort eingeholt.
Der Tiger ist nicht gleich getötet worden, sondern er ist nur verletzt.
Daher fängt er bald an, mit den Männern blutig zu kämpfen. Und in der
nächsten bestaubten Stunde haben sie zu tun. Einige von ihnen werden
selbst getötet und Andere verwundet, bis es ihnen gelingt, das stolze Tier
zu erlegen. Nachher sind sie auf Schamulla wütend, und als die Hälfte
der Gruppe das Tier zerlegen, um das edle Fell und das Fleisch nach
Hause zu bringen, nimmt die andere Hälfte Schamulla zu einen Stein-
haufen mit, um dort schleunigst durch Steinigung ihr Todesurteil zu voll-
ziehen.
Der Tiger gehört einem arabischen Kaufmann, der mit einer Karawane
durch die Wüste nach Norden hin zieht. Seit Tagen überquert er die Ka-
rawanenstraße hin und her, um nach seinem kostbaren dressierten Tier zu
suchen. Gerade als die Hinrichtung von Schamulla stattfindet, steht er
mit seiner Kameleskorte auf dem nächsten Hügel und sieht allem zu. Er
reitet in die Siedlung hinein und erfährt bald, welches schreckliche Un-
glück geschehen ist. Weil er erkennt, dass sein geliebter Vierfüßler der
Bevölkerung Unheil gebracht hat, trauert er mit ihnen. Er verlangt des-
wegen das Tigerfell nicht zurück, sondern schenkt den Bejammernswer-
ten noch andere Gaben aus seiner Kamelladung.
Nach der Erforschung besprachen wir diese fabelhafte Geschichte und
die Motive gemeinsam und wir konnten feststellen, dass nicht nur Scha-
mulla, sondern viele Dorfeinwohner wie auch einige aus der Reisegesell-
schaft heute zu den Bewohnern der Einrichtung gehörten. Die Steini-
gungsszene wurde zu einem realen Sinnbild, wie die gegenwärtigen Ereig-
nisse liefen. Nicht so zu verstehen, dass der Betreute heute wieder ge-
steinigt wird, sondern dass er selbst eine selbstbewusste Festigkeit aus-
246
strahlt und meistens verblüffend treffsicher mit seinen Formulierungen
ist. Weitere Studien ergaben, dass er natürlich auch einen Tiger als See-
lentier hat. Diese und andere Karmaforschungen im betreffenden Institut
verhalfen den mitwissenden Mitarbeitern, über sich selbst und den Be-
treuten anders zu denken als vorher. Sie konnten z. B. anfangen, mit vie-
len Eigentümlichkeiten des Krankheitsbildes gelassener als früher umzu-
gehen.
Nebenübungen und Karmaschau
Immer wieder wurde von Pionieren der esoterischen Schulung die Wich-
tigkeit der Stärkung des Denkens, Fühlens und Wollens und die Pflege
der gesamten Charakterbildung bei einer Geistesschulung betont. Dafür
arbeitete Rudolf Steiner die so genannten Nebenübungen in seinen Vorträ-
gen und Büchern aus. Diese Verhaltensmaßregeln zur Selbsterkenntnis
und Selbsterstarkung sollen hier keineswegs in Frage gestellt werden.
Jeder muss selber darauf achten, wie ausgebildet oder unentwickelt er in
dieser Hinsicht noch ist, so dass möglicherweise eine erforderliche Er-
gänzung oder Ausweitung solcher Übungen vorgenommen werden sollte
ein Anliegen, das hier nur unvollständig berührt werden kann. Ich
möchte wenigstens exemplarisch aufzeigen, wie aus einer Gedanken-
übung, also aus der ersten dieser so genannten Nebenübungen, zusätz-
liche Aspekte entwickelt werden können, so dass der Blick während der
Karmaschau noch besser geschärft werden kann.117
Nehmen wir an, du hältst eine Sicherheitsnadel in der Hand. Untersu-
che nacheinander die Form, die Farbe, das Material, die Funktion und
das Verfahren bei ihrer Anfertigung, soweit wie es dir bekannt ist. Stelle
dir bei ihrem Anblick folgende Fragen: Wie groß ist die Sicherheits-
nadel? Wie lang und wie breit ist sie? Wie ist die Spitze geformt? Ist die
Nadel am einen Ende durch eine Spirale gebogen oder hat sie eine Ku-
gelverstärkung, entsprechend der Art, wie sie extra für Eurythmisten her-
gestellt wird? Was genau kennzeichnet eigentlich deine Sicherheitsnadel?
Wie funktioniert der Verschluss? Warum entsteht und wie wichtig ist die
Spannung des Metalls? Versuche, die Fragen und deine Beschreibungen
kurz zu fassen. Wie würdest du die Idee der Sicherheitsnadel formulie-
ren? Welches ist die zugrunde liegende Bedeutung, ihr Wesen?
117
Siehe: Florin Lowndes, Die Belebung des Herzchakra. Ein Leitfaden zu den Neben-
übungen Rudolf Steiners, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2000. Das Erwe-
cken des Herz-Denkens. Wesen und Leben des sinnlichkeitsfreies Denkens in der Darstel-
lung Rudolf Steiners. Umriss einer Methodik, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart
2002.
247
 Dann legst du sie weg und gehst in einen meditativen Zustand hinein. wird wie irgend eine andere Handlung, z. B. wie eine Treppe zum zwei-
Beschreibe innerlich den zuvor durchschrittenen Vorgang der Beobach- ten Stock mit schweren Einkaufstüten hoch laufen oder Fahrrad in bergi-
tung. Nicht aus der Erinnerung, sondern als ob du den gleichen Vorgang gem Terrain fahren.
aber jetzt rein seelisch wiederholtest, stellst du dieselben Fragen
und fasst ähnliche Formulierungen zusammen. Verweile aber jetzt aus-
führlich bei der Ideenseite oder beim Wesentlichen der Versenkung.
Schaffe dann einen gedanken- und motivleeren Übergang und versetze
dein Bewusstsein zu einem anderen Zeitpunkt in der Vergangenheit.
Stelle dir vor, dass du dich in einer vorchristlichen Zeit an irgend einem
Ort befindest. Alle Vorstellungen, die du mit einer solchermaßen unter-
suchten Sicherheitsnadel verbunden hattest, müssen nun augenblicklich
schweigen. Keine Gedanken aus der modernen Zeit passen hierher. Las-
se aus dem Extrakt der Idee, aus der Kraft des erkannten Wesens der Si-
cherheitsnadel eine Situation entstehen, die Entsprechendes auf einer an-
deren Ebene zeigen könnte. Ich werde ein Beispiel erzählen, das einmal
von einem Meditierenden erlebt wurde.
Ein erfahrener Meditant machte diese Übung und bekam folgende
Imagination. Er sah sich anwesend in einer Versammlung von Men-
schen in einem Gebiet mit Hügeln und großen Eichen. Er bekam ein
Gefühl von zwei keltischen Stämmen, die nach längerem Gefecht gerade
durch eine Hochzeit einen Friedensbund vollzogen. Er sah die beiden
Häuptlinge, den Bräutigam aus dem einen und die Braut aus dem ande-
ren Stamm. Er schaute, wie die Menschen gekleidet waren, und er erleb-
te die Stimmung der Einhelligkeit, die vermittels dieser Feier entstanden
war. Die sinnliche Betrachtung der Sicherheitsnadel brachte die ima-
ginative Betrachtung der Eheschließung. Begegnen sich vielleicht unser
auserwählter Gegenstand und die Vermählung auf einer höheren Stufe?
Dergestalt kann uns deutlich werden, dass alle möglichen Gegenstände,
Umstände und Gegebenheiten in der Sinneswelt, die wir genau nach
ihrer sinnlichen Erscheinung und möglichen Funktion betrachten, um
die Idee zu finden, bestimmte karmische oder geistige Situationen er-
schließen können, je nach der Art, wie die Intention der meditativen
Haltung gesteuert wird. Die Gedankenübung schafft demgemäß einen
Anhaltspunkt, ein Sprungbrett in etwas Anderes, das mit ihm wesens-
verwandt ist.
Du brauchst aber nicht der Vorstellung verfallen, dass das Denken im
Übersinnlichen gleich demjenigen im Physischen sein soll. Der Geistes-
schüler muss in die Lage kommen wie früher beschrieben , die gan-
ze Seelenverfassung umzuwandeln. In der Meditation müssen wir uns
also innerlich anstrengen. Wir müssen lernen, anders über das Geistige
zu denken, als wir über die äußere Sinneswelt gewohnt sind zu denken.
Du kannst nur das Karma erforschen, wenn du wahrhaft objektiv den
Willen in das Denken hinein legst, so dass das Denken eine Handlung

248 249
 5.
Kraft- und Seelentiere

Ich war ein blauer Lachs,

Ich war ein Hund, ich war ein Hirsch,
Ich war eine Ziege auf dem Berg,
Ich war der Stamm einer Buche,
Ich war die Axt in der Hand,
Ich war ein Nagel in einer Zange 118

Taliesin
6. Jahrhundert n. Chr.

118
Zitiert nach: Irene Dalichow, Krafttiere Boten der Göttin. Mit Krafttieren zu
Energie und Heilung, Arkana, Wilhelm Goldmann Verlag in der Verlagsgruppe
Bertelsmann GmbH, München 1999, Seite 85.

250 251
Tiere aller Kategorien haben wie Menschen eine Seele. Sie haben auch
ein Ich-Wesen, d. h. eine Individualität. Sie ist aber nicht inkarniert, we-
der in den übersinnlichen Leibern noch im sinnlichen Erscheinungsbild
eines einzelnen Repräsentanten seiner Gattung, sondern sie existiert un-
körperlich als ein Zusammenhalter, Träger oder Fürsorger einer Art von
vielen einzelnen Tieren. Eine Menschenindividualität schafft an ihrem
eigenen Wesen in der Zeit nacheinander durch die vielen Erdenleben.
Die Manifestation einer Tierindividualität tritt als ein Phänomen auf, das
sich in gleicher Weise in der Zeit und im Raum ausbreitet, indem sie sich
mannigfaltig nacheinander in den Generationen entfaltet, sich aber auch
gleichzeitig in ihren vielen Kreaturen innerhalb der Biosphäre zeigt.
Weil die einzelnen Tierseelen keine Reinkarnation wie die Menschen
durchmachen, haben sie auch kein Karma wie die Menschen, wohl aber
eine Entfaltungskontinuität und ein Erinnerungsvermögen, die aus dem Ge-
samtschatz der Tierindividualität schöpfen. Die Evolutions- und Lei-
denswege der Tiere sind aber innig mit der karmischen Entwicklung der
Menschheit verbunden. Auch die einzelne Menschenindividualität hat
seit Uranfang eine seelisch-geistige Beziehung zu bestimmen Tierarten,
so dass es angebracht ist, sie meditativ kennen zu lernen.
Der Geistesschüler wird allmählich auf dem inneren Übungsweg ver-
schiedenen Ebenen begegnen. Dort erscheinen ihm elementarische, see-
lische und geistige Gegebenheiten und Wesen bildhaft oder imaginativ
als Tiergestalten. In diesen Fällen sind innere Bilder mit Tieren als
Gleichnisse zu verstehen, als indirekte Sinnbilder von Tatsachen, die sich
später in anderer Gestalt ausdrücken werden, wenn man die Ich-Kraft
aufbringt, hinter die Bilder zu blicken. Im 7. Teil werde ich diese Thema-
tik noch aufgreifen. Der folgende Teil betrifft aber vorerst eine Ebene, in
welcher es darum geht, sich vorzustellen, dass man mit dem höheren
Ich-Wesen oder auch Gruppenseele genannt eines bestimmten Tieres
der Natur innerlich in Kontakt treten kann. So wird man in der meditati-
ven Schulung schrittweise dazu heranreifen zu erkennen, dass jede Men-
schenindividualität in der Evolution und in den tatsächlichen Inkarnatio-
nen auf der Erde mit bestimmten Tiergruppenseelen sowohl in indirekter
wie auch direkter Verbindung gelebt hat. Dieser seelisch-geistigen Bezie-
hungen wegen bestand in vielen Inkarnationen unmittelbarer Kontakt mit
physischen Repräsentanten der entsprechenden Tiergruppenseelen.
In den religiösen und esoterischen Traditionen wurde das Phänomen,
dass ein Mensch, ein Schamane, ein Medizinmann usw. durch verschie-
dene meditative oder kultische Praktiken in Kontakt mit den Wesen der
Tierseelen kommen konnte, mit wechselnden Begriffen bezeichnet. Am
häufigsten wird von Krafttieren gesprochen. Es heißt, dass sie Begleiter
sind, denen man in der astralen Ebene begegnet und die einem neue
Kräfte verleihen können. Sie begleiten uns dort auf dem inneren Weg.
252
Sie geben nützliche Hinweise und man kann von ihnen sehr viel lernen.
Jedes Krafttier hat meistens einen speziellen Bereich, wo es uns leiten
und führen kann. Welchem Krafttier du begegnen würdest, hängt von
deinem seelischen, karmischen und spirituellen Entwicklungsstand ab.
Den Begriff Krafttier stelle ich mit dem der Tiergruppenseele gleich.
Seelentiere hingegen spiegeln in einer Tiergestalt die Wirkung eines
Krafttieres in der menschlichen Seele. Ein Seelentier ist kein objektives
Wesen, aber es gibt die Charakterzüge eines Menschen bildhaft oder
imaginativ in der Gestalt eines Tieres wieder. Geistwesen können sich
aber mit diesem Astralbild einverleiben und uns positiv oder negativ
beeinflussen, ja uns dadurch sogar bösartig besetzen. Mit dem Begriff
Seelentier wird also prinzipiell kein Eigenwesen, sondern es werden We-
senszüge von uns bezeichnet. Wir erleben das Innenleben eines Kraft-
tieres und wenn wir uns auf der astralen Ebene bewegen, können wir uns
in ein Seelentier verwandeln, um mit einem Krafttier in unmittelbaren
Kontakt zu treten.
Wenn du irgendwo in der Sinnenswelt spazieren gehst und einen
Vogel trällern hörst, lässt dich das Lied vielleicht bis in die Zehenspitzen
erschauern. Dieser Laut kann tief in dich eindringen, er berührt die Seele
und du wünschst dir nichts inständiger, als wie ein Vogel die Flügel aus-
zubreiten und loszufliegen. Du fühlst dich wie dieser Vogel. Die Seelen-
tiere eines Menschen können sich im Laufe des Lebens verändern, so
wie sich jeder eben verändert, wenn er älter und an Erfahrung reicher
wird. Ich werde mit den beiden Kategorien Krafttier und Seelentier
zunächst sinngemäß umgehen, um dann zu zeigen, dass diese beiden
übersinnlichen Tatsachen sich im eigenen Bewusstsein auch durchdrin-
gen können. Die Art der Neigungen, die bestimmte Tiere verfolgen, um
ihre irdischen Aufgaben zu realisieren, ist nicht nur mit Instinkten ver-
bunden, die sie unbewusst prägen und dirigieren, sondern die ummittel-
bare Seelenverfassung, der astralische Charakter der Tierseele, ist dem
Verhalten des Tieres einverleibt.
Durch seine Seelentiere ist jeder Mensch verbunden mit Krafttieren,
die als übergeordnetes Ich-Wesen die einzelnen Tiere im Lebensraum
lenken. Wenn man seine Seelentiere kennen lernt, öffnet sich einerseits
eine neue Perspektive für die Tierwelt überhaupt, andererseits für die
geistigen Kräfte und Aufgaben der Tierwesen in der Evolution in Bezug
zur Menschheit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Außerdem
entsteht die Aussicht, das Thema Karma erneut anzuschauen und an-
schließend eine unerwartete Einstiegsmöglichkeit in bestimmte Ebenen
früherer Leben durch ein Seelentier zu bekommen.
253
 Totem, Sphinx und Evangelistensymbole
In der Kunst- und Kulturgeschichte gibt es mannigfaltige Beispiele von
Geschöpfen, die sowohl menschliche wie tierische Gestalt haben. Stam-
meszeichen, Totems, Fetische, Talismane, Amulette und allerlei Gottes-
darstellungen zeigen die vielfältigsten Kombinationen von Menschen-
und Tierformen. Der griechische Satyr ist nur die Erscheinung eines sol-
chen Mischlings. Den Schreibern der vier Evangelien, den Evangelisten,
sind in der Christenheit je ein Symbol zugeteilt, einmal ein Mensch oder
richtiger ein Engel und dreimal ein Tier. Die Tiere sind Stier, Löwe und
Adler. Das Menschliche ist damit gleichsam in einer Vierheit auseinan-
dergereiht, so dass die drei Tiere und der Engel den vollen Menschen
darstellen. Auch in Bildern und Plastiken von Sphinxen taucht eine ähn-
liche Vierheit auf. So kann man sich doch fragen, ob die alte Weisheit
damit eine geistige Tatsache ausdrücken wollte. In der Anreihung der
Tiere wird meistens der Adler als das Obere, der Löwe als das Mittlere
und der Stier als das Untere des Menschen gekennzeichnet. Wenn man
dies mit den Seelenkräften Denken, Fühlen und Wollen vergleicht, kann
man eine erste entsprechende Einteilung mit ihnen machen. Eine andere
Korrespondenz zum viergliedrigen Menschenwesen wäre diese, dass
dem physischen, ätherischen und astralischen Leib je ein Seelentier zuge-
ordnet wird, dem Ich aber der Engel.
Bei genauerer Anschauung kann man manchmal bei einem Menschen
sogar physiologische Ähnlichkeiten mit einem bestimmten Tier wieder-
finden. Näheres dazu werde ich unten kommentieren. Dementsprechend
würden auch die Lebenskräfte und die seelische Konfiguration eines
Menschen mit zwei weiteren Tieren korrespondieren. Nun ist anzuneh-
men, dass die Tiere der Evangelisten eine allgemeine Zusammenfassung
von Tierqualitäten repräsentieren, so dass dann, wenn drei Tiere indivi-
duell gesucht werden sollen, andere Tiere sich dazu zeigen würden und
sich dadurch allerlei Kombinationen ergeben könnten.
Die Journalistin und Buchautorin mit Spezialisierung auf spirituelle
Themen, Irene Dalichow, hat sich ausführlich mit Krafttieren beschäf-
tigt.119 Sie zeigt in ihrem Buch, wie wir uns mit Hilfe von Imagination,
Traumreisen und Meditation, ähnlich wie früher die Schamanen vieler
Urvölker, in die geistige Ebene des Tierreichs einklinken können, so dass
jeder sein persönliches Krafttier als Vermittler tiefer Weisheit kennen
lernen kann. Sehr nützlich für unsere Arbeit ist ihr kleines Lexikon über
viele Tierarten, die als Krafttiere oder Seelentiere auftauchen können wie
119
Irene Dalichow, Krafttiere Boten der Göttin. Mit Krafttieren zu Energie und Hei-
lung.
254
Adler, Affe, Bär, Biene, Chamäleon, Delphin, Eidechse, Elefant, Esel,
Fuchs, Hahn, Hase, Kamel, Katze, Libelle, Löwe, Papagei, Pferd, See-
hund, Schildkröte, Schwan usw. Viele von den Übungen, die Irene Dali-
chow schildert, könnten ansonsten im Vorfeld oder parallel zu denen, die
ich in diesem Teil gebe, geübt werden.
Rudolf Steiner hat eine Vortragreihe gehalten, die in ihrem auf allge-
meine Bezüge zur Tierwelt und der Welt der Elementarwesen gegebenen
Aufbau, mit dem Thema der Krafttiere in Verbindung gebracht werden
kann.120 Er deutete an, dass ein Hellseher ein Glimmerlicht schaut, das
längs des Rückenmarks eines Säugetiers läuft, dessen Strom mit der
Gruppenseele in Verbindung steht.121 In seiner Darstellungen finde ich
aber keine Belege, dass wir mit konkreten, allerlei Tiergruppenseelen in
den früheren Leben so okkult verbunden waren und noch sind, wie der
Schamanismus davon ausgeht und ich es hier darstelle. Das folgende Zi-
tat weist aber gewissermaßen auf dieselbe Einordnung hin:
Wir tragen im Grunde genommen das ganze Tierreich in unserem
Ätherleib in uns. Unser Ätherleib ist das ausgebreitete Tierreich, das
zusammengedrängt, zusam-mengehalten wird durch die Elastizität
des physischen Leibes.122
Steiner beschrieb, wie man mit hellseherischem Blick die Tiere anschau-
en kann, so dass ihr physischer Leib sich dann in Imaginationen verwan-
delt. Er stellte fest, dass auch Pflanzen in ihren äußeren Formen aber
Pflanzen weniger als Tiere und am wenigsten die Mineralien in gewis-
ser Weise imaginative Erzeugungen vom Widersacherwesen Ahriman
sind. Die Gruppenseele z. B. der Löwen gehört laut Steiner sozusagen
den guten geistigen Wesenheiten an. Ihre einzelnen Löwengestalten, wie
sie draußen real herumlaufen, sind aber aus der Gruppenseele heraus ge-
zwängt durch Ahriman in seinem Kampf gegen die guten Geistwesen.
Ein andermal beschrieb er den Zugang zu den Gruppenseelen der Tiere
wie folgt:
Man findet die Gruppenseelen der Tiere erst, wenn man [...] durch
Initiation [...] in die ganz andere Welt hineinkommt, die der Mensch
zwischen Tod und neuer Geburt durchmacht. Da findet man unter
den Wesenheiten, mit denen man dann zusammen ist und unter de-
120
Rudolf Steiner, Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und ge-
staltenden Weltenwortes, GA 230, Dornach 1985.
121
Rudolf Steiner, Natur- und Geistwesen ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt,
GA 98, Dornach 1983 Seite 255.
122
Rudolf Steiner, Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste, GA 167, Dor-
nach 1962, Seite 166.
255
 nen ja vorzugsweise diejenigen sind mit denen man das Karma ausar- Das zweite Gebäude das Seelenhaus
beitet, die Gruppenseelen der Tiere.123
Der Bau, zu welchem ihr gekommen seid, entspricht Dingen, die in dei-
ner Seele veranlagt sind. Entweder spiegeln sich durch seine Baustoffe,
seine Architektur und Lage in der Landschaft bestimmte karmische Mo-
Die Seelenlandschaft
tive, welche du zu entdecken hast, oder der Ort demonstriert andere In-
halte, aus welchen dein Wesen besteht. Später entdeckst du im Haus
Folgende Übung, die schrittweise dargestellt werden soll, weist dich in
voraussichtlich verschiedene Räume. Beim ersten Besuch jedoch soll ein
die erste Begegnung mit deinen Seelentieren ein.
Hauptraum aufgesucht werden, ein großer Saal, der nach meiner Emp-
Nachdem du deine Landschaft, die Hütte, also deine innere Heimat,
fehlung einen quadratischen Grundriss haben könnte. Vorschlagsweise
die für die Karmaarbeit benutzt wurde, welche der lebendigen, ätheri-
darf dieser Raum sehr schlicht und einheitlich aussehen, damit eine ge-
schen Ebene entspricht, mit dem Schiff wieder einmal in einer Medita-
wisse zusammenhaltende Struktur gegeben ist, so dass eine Gelassenheit
tion verlassen hast, gestalte dir den Gedanken, dass du auf dem Weg hin
in der Seele entsteht, welche eventuelle Gefühle des Erschreckens aus der
zur Geistinsel eine Gegend durchfährst, die rein aus seelischen Bestän-
Begegnung mit den Tieren eindämmen kann. Aber dein Engel begleitet
den existiert. Anfangs gelangst du wie schon früher geradewegs hin-
dich ja und er weiß wie immer über alles guten Bescheid.
durch, ohne etwas Besonderes wahrzunehmen. Oben auf der Insel, die
Hinein gekommen stellt sich der Engel in der einen Ecke, vorschlags-
sich innerhalb einer gedachten Geistebene befindet, vermittelst du dem
weise in die erste, nach links gesehen. Gehe du aber dann separat hin zur
Engel, dass du heute die Seelenebene aufsuchen möchtest, um deine See-
Mitte des Saales. Wende dich um und schaue den Engel an. Fühle dich
lentiere kennen zu lernen.
mit ihm bei allem, was bald geschehen soll, innerlich verbunden und
Lasse dort am Strand das Schiff zurück und folge dem Engel nach.
nimm alle seine Anweisungen auf. Drehe dich wieder um, so dass du ihn
Er bleibt in der nächsten Szene imaginativ sichtbar und du siehst, wie er
hinter dir hast. Schaue hin zu den drei Ecken, die in deinem weiten Blick-
einen Pfad oder einen Weg einschlägt, der nach unten führt. Du folgst
feld sind. Entscheide dich für eine Ecke und gehe dorthin. Gehe so weit
ihm nach, ohne zu zögern, wenn er auch eilen würde. Jetzt kannst du die
in die Ecke, wie es überhaupt möglich ist. Nimm wahr Stimmungen,
Umgebung anschauen und erwägen, durch welche Gegend die Wande-
Farben und andere Eindrücke, die entstehen werden.
rung führt. Interessante Imaginationen können deutlich werden. Mal
Nun erscheint in der Ecke eine Öffnung, eine offene Tür, die du vor-
führt der Weg wieder aufwärts, mal links, mal rechts. Ihr werdet an
her nicht gesehen hast. Nach unten oder nach oben führt eine Treppe
verschiedenen Erscheinungen vorbeigehen, vielleicht an Flüssen entlang,
oder ein Korridor führt geradewegs hinaus. Gehe einfach weiter und du
über Brücken, an Klippen vorbei, durch Wälder und über Moore. Präge
wirst bald anhalten müssen, weil vor dir plötzlich eine Kreatur den Weg
dir gut ein, durch welche Seelenlandschaft ihr zieht, weil genau der glei-
versperrt. Es steht vor dir eine Gestalt, die einem Tier gleicht, das du aus
che Weg später zurückverfolgt werden soll. Etwa wie in einem Märchen
der Fauna der Erde kennst. Entweder lebt ein solches Exemplar noch auf
sollen sich die Bilder entfalten, die zu den Seelentieren führen.
der Erde oder du wirst entdecken, dass diese Tierart irgendwann früher
Es ist nun an der Zeit, nach dem Ziel der Tour zu suchen. Was siehst
in der Evolution ausgestorben oder ausgerottet worden ist.
du in der Ferne? Ein Schloss, eine Burg, ein Herrenhaus, eine Villa, oder
ist es nur ein Stall? Wie auch immer das Domizil aussieht, kümmere
dich momentan nicht zu viel um das Äußere, sondern folge dem Engel,
Die erste Begegnung mit den drei Seelentieren
der zum Haupteingang schreitet. In bevorstehenden meditativen Verrich-
tungen wirst du rechtzeitig das zweite meditative Haus und seine Umge-
So wie du im zweiten Teil der Inselübung bei der Begegnung mit dem
bung kennen lernen.
Tier versucht hast, mit ihm ins Gespräch zu kommen, machst du es auch
hier. Gehe mit dem Tier aus dem engen Raum und ihr werdet hinter
dem Gebäudekomplex ins Freie hinauskommen. Begleite das Tier immer
weiter. Lasse es von sich erzählen und dir zeigen, wie es lebt. Wenn nö-
123
Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band III, tig, verwandle dich in eines seiner Nachkommen, um alles aus der Reali-
GA 237, Dornach 1959, Seite 31. tät des Tierseins zu erleben, oder schlüpfe in das betreffende Tier hinein,

256 257
um aus erster Hand sein Dasein zu ergründen. Stelle eine Anzahl von
sachlichen Fragen. Wo lebt das Tier? Wie geht es ihm tatsächlich? Was
tut es jeden Tag? Welche Aufgabe hat es in der Natur übernommen?
Welches ist seine Mission in der Evolution? Was tut es für die Entwick-
lung der Menschheit? Welche Weltgedanken oder göttlichen Ideen hütet
das Tier innerhalb der Erdensphäre? Mit welchen anderen Tierarten ver-
steht es sich am besten? Mit welchen Pflanzen hat es zu tun? Welche
Geistwesen außer dem eigenen Gruppenseelengeist stehen ihm hilfreich
bei? Mit welchen Elementarwesen pflegt es Umgang? Was hat es für
Probleme in der heutigen Zeit? Was könntest du für das Tier tun, damit
du sein Leiden linderst?
Auf jede Frage wird eine Antwort folgen, so dass du dir Zeit nehmen
musst, sie zu empfangen. Wahrscheinlich wird das Tier dich weit in sei-
nen Lebensbereich am Hof, im Wald, auf der Savanne, in den Meerestie-
fen usw. mitnehmen, um dir seine Eigenart imaginativ zu zeigen. Nach
dem Sich-bekannt-Machen mit dem ersten Tier begleitet es dich dahin
zurück, wo ihr einander anfangs begegnet seid. Nimm danksagend Ab-
schied und gib deinem Anliegen Ausdruck, dass du vorhast, es noch ein-
mal zu besuchen.
Gehe dann zum Saal zurück, in dem der Engel auf dich wartet. Von
der Mitte des Raumes aus nimmst du mit ihm wieder Augenkontakt auf,
bevor die zweite und nach einer zweiten Exkursion die dritte Ecke be-
sucht wird. Ähnlich wie beim ersten Mal führst du auch bei den zwei
anderen Tieren Untersuchungen, einfühlsame Wahrnehmungen und Ge-
spräche durch und stellst behutsam deine Fragen. In den Saal zurückge-
kommen, kannst du für dich oder mit Hilfe des Engels herausfinden, wie
du die drei Seelentiere deinen Seelenkräften beziehungsweise Leibern zu-
ordnen kannst.
Seelentiere und Eigenschaften der menschlichen Seele
Die erste Aufgabe im Normalbewusstsein wird es sein, positive Eigen-
schaften, die die Seelentiere repräsentieren, zu analysieren, um heraus zu
finden, wie man selbst sie vertritt. Danach wirst du negative Disposi-
tionen, die du selbstverständlich auch hast, mit den Tieren in Verbin-
dung setzen können. In den folgenden Beispielen deute ich an, wie ver-
schiedene Seelentiere aufgetaucht sind.
Eine künstlerisch tätige Frau begegnete in der Seelentiermeditation ei-
ner Kuh, einem Seehund und einem Krokodil. Sie zeigte im Willen ein aus-
geprägtes Gleichmaß, im Fühlen Spielfreude und im Denken Sorgfalt und
Tiefsinn. Ihre Stirn ist physisch gesehen auffällig schmal und sie weiß,
dass sie manchmal stur und eigensinnig sein kann oder es schwer hat,
258
bestimmte Ansichten aufzugeben. Ihr physischer Leib und besonders der
Kopf könnten so entsprechende Merkmale eines Krokodils aufweisen.
Eine andere Persönlichkeit begegnete einem Braunbären, einem Lämm-
lein und einer Taube. Bei ihr stand Durchhaltekraft, Fürsorge für andere und
Gewissenhaftigkeit im Vordergrund, aber ihr Leben war auch von einer
Tendenz geprägt, sich zeitweilig von der Gesellschaft zurückziehen zu
wollen. Ein Dritter fand einen Gorilla, einen Wolf und einen Adler, die
u. a. für Entschlusskraft, Zusammenhalten und Überblick stehen.
Eine weitere Frau, die diese meditative Arbeit betrieb, entdeckte z. B.
bei sich das Hängebauchschwein. Es konnte einerseits feststellt werden,
dass sie gewisse Gesichtszüge, die eine Ähnlichkeit mit einem Schwein
aufwiesen, ausgeprägt hatte. Andererseits konnte sie durch das für sie
neue Aufspüren der Muttersorgen eines Schweins ihre sozialen Anlagen
neu bewerten. Da sie keine eigenen Kinder hatte, aber immer einen Zug
zu Kindern wahrgenommen hatte, ohne etwas beruflich in dieser Rich-
tung entwickelt zu haben, entschloss sie sich nun, einen pädagogischen
Kurs zu machen. Sie begann mit der Frage umzugehen, ob sie vielleicht
in einem künftigen Leben den Beruf eines Pädagogen ergreifen könnte.
Eine jüngere Frau, die sich seit ihrer Kindheit von einer Großkatze in-
nerlich begleitet wusste, die sie nicht nur als existent wahrnahm, wenn
sie allein, sondern auch, wenn sie z. B. unterwegs war, erfuhr durch diese
Meditationsweise einen neuen Zugang zu diesem Seelentier. Oft hatte sie
sich von der Wildkatze bedrängt gefühlt, die ihr Angst eingeflößt und sie
in Verzweiflung gebracht hatte, weil kein Erwachsener oder Psychiater
mit ihren Erzählungen etwas anfangen konnte. So fand sie nun zum ers-
ten Mal ein neues Verständnis für ihre Erlebnisse, so dass sie zu diesem
großartigen Seelentier ein freies Verhältnis entwickeln konnte, wodurch
sie von weiteren Depressionen dieser Art befreit wurde.
Ein Therapeut, der bislang in seinem Leben keinen Zugang zu Tieren
gehabt hatte, wurde in einer meditativen Übung von einem Hund aufge-
sucht, der ihn beinahe nicht wieder loslassen wollte. Er wurde aufmerk-
sam auf das Vermögen der Freundschaft und Treue, das diesem Tier eig-
net, aber auch eine Wesensseite von ihm selber war, die er bislang zu
wenig gepflegt hatte. Er nahm sich vor, diesen Aspekt in seinem Leben
fortan zu pflegen, und fing seitdem an, Tiere ganz neu zu schätzen.
Eine Tanzpädagogin entdeckte einen Lachs als eines ihrer Seelentiere.
Ihre Biografie zeigte ein Motiv der Dürre, Unentschlossenheit und Un-
zufriedenheit. Vielmehr wie tote Fische, die auf den Klippen zum Trock-
nen aufgehängt sind, als wie ein lebendig und beweglich im Wasser
schwimmender Fisch stand ihr momentaner Lebensabschnitt plötzlich
vor ihr. So entschloss sie sich, mit dem Seelentier quasi wieder ins Was-
ser zu steigen, um ihr Leben erneut aus Zielstrebigkeit ins Fließen und
Strömen zu bringen.
259
 Bei einem Geschäftsführer, der denkerisch und philosophisch sehr in-
telligent, aber deswegen nicht unpraktisch war, entdeckte ich den Igel als
eins seiner Seelentiere. Nicht nur ich selbst hatte seine Widerspenstigkeit
erfahren, sondern mehrere Menschen, die ihn kannten, berichteten, dass
ihre Freundschaft abgebrochen wurde, weil er sich entweder wegen Klei-
nigkeiten vor den Kopf gestoßen gefühlt hatte oder dass er nicht mehr
zusammenarbeiten wollte, weil verschiedene, aber nicht entgegengesetz-
te Auffassungen der Aufgabenstellung auftauchten.
Während einer karmischen Erforschung in der jedoch keine Frage
nach diesem Menschen gestellt war mit einer mir karmisch nahe
stehenden Frau, die mit seiner Gemahlin befreundet war, tauchte un-
vermittelt eine ehemalige Inkarnation des Betreffenden im antiken
Griechenland auf. Ich war damals der Sportler Agamon, der im Askle-
pios-Tempel in Epidauros wegen eines Unfalls gepflegt wurde. Nahe
am Tempel wurden Igel gehalten. An einer schrecklichen Kniewunde,
wo die Haut verletzt war, benutzte der Arzt in welchem ich den
Geschäftsführer erkannte die Haut eines Igels, um meine Abschür-
fung zu heilen. Damit erkannte ich bei ihm seine positivste Charakter-
eigenschaft heute: die Souveränität in kleinen wie in großen Fragen des
Lebens.
Die kosmische Mission der Tierwelt
Bei der Frage nach ihrer Mission auf unser Erde, welche den Tieren ge-
stellt wurde, sind die außergewöhnlichsten Hinweise und Beschreibun-
gen gekommen, woraus Konsequenzen gezogen werden könnten, die
eine weitere naturwissenschaftliche Forschung und Geistesforschung zur
Folge haben müssten, um besser verstanden zu werden, oder es könnten
sogar Projekte entstehen, um diesen weisheitsvollen Hinweisen weiter
nachzugehen. Um weitere Forschung in dieser Richtung anzuspornen,
möchte ich einige solche Ergebnisse referieren.
Von mehreren Menschen, die den Braunbär als Seelentier hatten, wur-
de darauf hingedeutet, dass der wichtigste Grund, warum er heute vom
Aussterben bedroht ist, darin liegen könnte, dass seine Bedeutung für die
Bienen von den Menschen, die mit ihnen zu tun haben, nicht berücksich-
tigt wird. Im Winter, wenn er normalerweise im Winterschlaf ist, führt
der Bär eine notwendige geistig-seelische Wärmearbeit für die Bienen aus.
Um einen Urwaldbaum, in welchem ein Bienenvolk seine Wohnung hat,
oder um ein Bienenvolk, das in menschlicher Zucht wohnt, kann er sei-
nen Astralleib wie einen Mantel ausbreiten, wenn er sich physisch in re-
gionaler Reichweite befindet. Dadurch entsteht übersinnlich eine für das
Bienenvolk erforderliche energetische Auswirkung. Der Bär erzeugt einen
260
Wärmezufluss, welchen die Bienen durch ihre Empathie aufsaugen. Die-
se Seelenwärme des Bären auf dem Umweg durch die Biene verbindet
sich dann mit dem Bienenwachs und mit dem Honig. Wenn zu wenig
Bären oder, wie es heute der Fall ist, gar keine mehr in einer Region
leben, bekommen die Bienen zu wenig von dieser dynamischen Energie
und es entstehen Bienenkrankheiten, die man bis jetzt nicht hat eindäm-
men können. So würde eine Zusammenarbeit zwischen Bienenzüchtern
und zoologischen Gärten, welche Bären halten, eine Grundlage für eine
segensreiche Arbeit für beide Tierarten schaffen, die eine weitere Geistes-
forschung in dieser Richtung noch einbeziehen müsste.
Eine Waldorflehrerin begegnete in der Meditation einem Hasen. Auf
die Frage, woher er die geistige Inspiration für seine Erdentätigkeit be-
komme, antwortete der Hase, dass wir eigentlich außerhalb des Tierkrei-
ses suchen müssten, um seinen Heimatstern zu finden. Die Betreffende
hatte kaum astronomische Kenntnisse und als der Hase den Namen
Chiron ungeschminkt sagte, dass er mit ihm ebenfalls zu tun habe, wusste
sie nichts damit anzufangen. Auf Grund dieses meditativen Hinweises
begann ich später, auf dieses Phänomen der neueren Astrologie zu ach-
ten und es in Verbindung mit der Hasenthematik zu beobachten. Diese
Studien sind allerdings noch nicht so weit gediehen, dass etwas dazu ver-
öffentlicht werden kann. Jedenfalls teilte der Hase in der beschriebenen
Meditation weiter mit, dass er für sein Gehör nicht nur seine Ohren be-
sonders entwickelte, sondern seine Pfoten waren ihm sogar noch wich-
tiger, damit er mit ihrer Hilfe nach unten in die Erde und durch den Glo-
bus hindurch horchen könne. Beim Stampfen sendet er ein Signal ab-
wärts, auf das ihm die Erdenwesen antworten. So ist es vermutlich
kein Zufall, dass der Hase nach Australien sozusagen ausgewandert ist.
In einer Meditation sagte mir ein Hase, dass er sich dorthin schicken
ließ, um als Einzelgänger unter fremden Tieren neue Erfahrungen für
seine Erdenmission zu erhalten, um damit in die Lage zu kommen, sei-
nen Artgenossen auf der nördlichen Halbkugel neue Informationen zu-
senden zu können. Dass diese Emigration des Hasen eine biologische
Katastrophe auf dem südlichen Kontinent nach sich gezogen hat, ist eine
Tatsache, die uns anspornen könnte, entsprechende spirituelle Forschun-
gen zu betreiben.
Bei der geistigen Erforschung der Evolution einiger Tierarten in der
Frühgeschichte der Erde habe ich interessante Zusammenhänge erblickt.
Es zeigte sich, wie auch im Darwinismus behauptet wird, wenngleich
unter ganz anderen Gesichtspunkten, dass mehrere Tierarten, die heute
voneinander physisch ganz getrennt sind, in der Urzeit die gleichen Vor-
fahren hatten. Wer würde aber denken, dass ein Schwan und ein Kroko-
dil einen gemeinsamen Ursprung hätten? Es scheint mir so zu sein, dass
ihre Kraftseelen in einer Art Ehebund zusammen leben oder dass diese
261
zwei Tierarten sogar weiterhin von der gleichen Gruppenseele dirigiert
werden.
Mit den Seelentieren in frühere Leben gehen
Ähnlich wie du die Tiere in ihrer Lebensumwelt besucht hast, kannst du
durch ihren Hinweis und nach Fragestellen und ihrer Mithilfe in frühere
Leben gehen, wo du gegebenenfalls mit einem solchen Tier in physischer
oder psychischer Hinsicht zu tun gehabt hast. Hinter deinen Seelentie-
ren, die eine astrale Erscheinung sind, stehen die Krafttiere, die dem Ich-
Wesen einer Tiergattung entsprechen. Hinter dem Krafttier steht noch
ein Geistwesen, das mit seinem Gedächtnis dessen zoologischen Evolu-
tion umfasst. Diese Art Karmaforschung durch die Seelentiere kannst du
sofort bei der ersten Begegnung mit ihnen tun, oder du wartest, bis eine
separate Erforschung möglich wird. Nach und zwischen den Aufenthal-
ten im Seelenhaus kannst du die folgenden Übungen machen:
Gehe innerlich mit dem Seelentier zusammen in eine Vergangenheit
der Erde. Halte dich zunächst an die Gegend, wo ein Tier dieser Art lebt.
Schaue, wie es dem Tier geht. Danach suchst du den Ort, wo Menschen
sind. Du kannst auch direkt ein Seelentier bitten, dich geradewegs hin zu
deiner damaligen Persönlichkeit zu schicken. Ermittle die Art, wie du
damals in Verbindung mit dem Tier standest. Sehr wahrscheinlich ist es,
dass physische Begegnungen oder sogar ein Zusammensein z. B. auf
einem Bauernhof stattgefunden haben. Eine andere Art der Verbindung
zum Seelentier war damals, dass das Krafttier dich übersinnlich unter-
stützt hat. Das Tier könnte in der umgebenden Natur gelebt haben, aber
eine physische Begegnung kam eventuell nicht zu Stande. Stattdessen
wirkte das geistige Wesen des Tieres wie ein unsichtbarer Erzieher, Leh-
rer, Meister oder Verwalter deiner Tugenden oder Seeleneigenschaften,
die du zu entwickeln hattest. So wäre es möglich, anstelle oder als Er-
gänzung der Begegnung mit den Tugendengeln während einer Erfor-
schung des Nachtodlichen, die eigenen Seelentiere der damaligen Inkar-
nation aufzufinden.
Eine Frau aus dem Norden Skandinaviens hatte die Seelentiere Ziege,
Elefant und Ameise, die auf bestimmte Inkarnationen von ihr hinwiesen.
Die Ziege zeigte ihr eine Frau, die hoch oben in den Alpen Ziegenzucht
betrieb. Als Mädchen schon rannte sie mit den bodenständigen Zicklein
auf den Almwiesen herum und lernte dadurch den Bergboden mit seinen
besonderen Gräsern und Kräutern kennen. Später leitete sie die Herstel-
lung des Ziegenkäses in ihrem Dorf. Der Elefant zeigte ihr einen Ere-
miten im Norden Indiens. Äußerlich spielten die Elefanten keine Rolle
in seinem zurückgezogenen Leben, aber innerlich reichte ihm der Elefant
262
die Gabe der Erinnerung, der Verinnerlichung menschlicher Weisheiten.
Vor dem Einsiedlertum hatte er als umherziehender Lehrer gewirkt und
dadurch manche Geschichten gehört und erzählt und viele Menschen
kennen gelernt. Bis ins hohe Alter vertiefte er alles Erlernte in seiner me-
ditativen Verrichtung. Die Ameise schließlich zeigte ihr einen Medi-
zinmann im Urwald Südamerikas, der eine ausgeprägte sinnreiche Fähig-
keit hatte, das Richtige zu tun oder zu raten, wenn Unordnung im Sozia-
len oder Erkrankungen in seinem Volk aufkamen.
Zusammenhänge zwischen Krafttieren und Karma
Als ich mit anderen Menschen anfing, die Zusammenhänge mit Tieren
in früheren Inkarnationen zu erforschen, baute ich auf eigene Erfahrun-
gen, die ich im ersten Buch zum Teil nachgezeichnet habe. In den letzten
Jahren sind solch anregende Ergebnisse entstanden, dass ich hier einige
von ihnen unbedingt berichten möchte. Ein paar Geschichten, die mich
am stärksten fasziniert und deswegen für weitere Forschungen inspiriert
haben, sind die folgenden.
Ein älterer Herr ging einem Aspekt der Beziehung zu seiner Ehefrau
nach. Er schaute sich als europäischer Seefahrer, der nach Mexiko kam.
Zuerst entstand eine brüderliche Beziehung zu einem indianischen Volk,
bei denen die Seemänner als Besucher willkommen waren. Dennoch
wurden sie bald gefangen genommen und unfrei eingeschlossen, denn sie
sollten bei einer bestimmten Feier geopfert werden. In dieser geschauten
Situation enträtselte er seine gegenwärtige Frau unter den Anführern der
Indianer. Er entdeckte sich sogar als eines der Opfer. Auf einem Altar im
Freien wurde unter Aufsicht der Medizinmänner sein Unterleib, wäh-
rend er noch lebte, geöffnet und seine ganzen Eingeweide heraus genom-
men und für weitere Zwecke benutzt. Bei dieser erbarmungslosen Be-
handlung erfuhr er ein langsames und qualvolles Sterben. Der Zweck,
den der Indianerstamm mit diesem Verfahren verfolgte, bestand darin,
sich bestimmte Kräfte aus dem Übersinnlichen durch diese Art des Tö-
tens zu verschaffen.
Der Betreffende entdeckte nun den Vogel Strauß als eines seiner See-
lentiere, mit dem er auch in einem noch früheren Leben in Afrika Erfah-
rungen gemacht hatte. Das meditative Erforschen des Straußes ergab in-
teressante Hinweise für eine zukünftige geisteswissenschaftliche Wirt-
schaftsweise für den afrikanischen Kontinent. In der so genannten von
Rudolf Steiner entwickelten biologisch-dynamischen Landwirtschaft beste-
hen die wichtigsten Maßnahmen in dem Einsatz von potenzierten Präpa-
raten, die mittels Kombinationen von Heilpflanzen und Tierorganen her-
gestellt werden. Tiere, die für den eurasischen Kontinent dafür eingesetzt
263
werden, sind die Kuh und der Hirsch. Nun zeigte die übersinnliche Be-
schäftigung mit dem Krafttier Strauß, dass er besondere Geheimnisse des
afrikanischen Kontinents besitzt. Er kennt winzige Kräuter, welche den
Menschen wahrscheinlich noch nicht einmal bekannt sind oder noch
nicht benutzt werden und die sich nur kurzfristig ausbreiten, nachdem in
der Regenzeit dürre Flussbetten bewässert wurden. Der Strauß frisst die-
se Kräuterpflanzen und entwickelt in seinem umfassenden Verdauungs-
organismus ein bestimmtes Enzym, das nur bei ihm gefunden werden
kann. Diese Substanz könnte für bestimmte homöopathische Präparate
eingesetzt werden, um in einer besonders auf afrikanische Verhältnisse
ausgerichteten und der Natur und dem Kosmos verbundenen Landwirt-
schaft herangezogen zu werden. So wäre der Strauß das erste Tier, das
für eine solche Wirtschaftsweise in Frage kommen müsste. Meiner An-
sicht nach ist dagegen die moderne Zucht von Straußen als Lebensmittel
für Menschen in der westlichen Welt eine exaltierte Handlung, die die
bedeutungsvolleren Eigenschaften dieses Tiers ausnahmslos verkennt.
Ein Mann, der sich im reifen Alter nicht entscheiden konnte, ob er ei-
ne medizinische Ausbildung abschließen sollte, wurde durch die folgen-
de Erforschung zu einer Entscheidung befähigt. Er schaute sich als Leiter
eines indianischen Einweihungsplatzes in einem Mayavolk. Gleich unter
dem Gipfel eines noch lebendigen Vulkans lag diese Mysterienstätte.
Hier hatte er sein ganzes Erwachsenenleben verbracht. Gemächlich nah-
te sich der Zeitpunkt, dass sein ältester Sohn sein Amt als Hohepriester
übernehmen sollte. Eine kleine Gruppe von Menschen lebte hier oben
über der Wolkendecke. Nur ab und zu wurden Boten zum Hauptstamm
am Fuß des Berges hinunter geschickt, um jedes Mal, wenn einer gestor-
ben war, neue Aspiranten zum Vulkandienst zu rekrutieren. Die Unge-
eigneten wurden nach einer Prüfungszeit wieder weg geschickt. Worin
bestand dieser Vulkandienst? Die Erforschung deckte eine merkwürdige
Tätigkeit auf, die, soweit mir bekannt, in dieser Form nirgends überlie-
fert ist.
Die Eingeweihten droben besaßen die Freiheit, in regelmäßigen Ab-
ständen nach unten zu ihrem Volk zu gehen, um ein Stück Leben zu
vollziehen, aber das Geheimnis des Vulkandienstes mussten sie strengs-
tens geheim halten. Wenn nun der Tod sich jemandem näherte oder er
einfach als reif zum Sterben befunden wurde, kam seine letzte Lebenstat.
Mit dem Oberpriester neben sich stand er dann am Rande des obersten
Abhangs. Stundenlang oder Tage und Nächte hindurch musste er dort
stehen und die Balance halten, um nicht zum falschen Zeitpunkt in den
dunklen Krater zu stürzen.
Auf der linken Schulter des Anführers saß ein Königsadler. Manchmal
flog der Achtung gebietende Vogel in die aufsteigenden warmen Abdüns-
te des Kraters hinein. Aber meistens kam er nach einigen kreisenden
264
Runden nach oben zurück und setzte sich wieder hin. Erst wenn er eine
bestimmte Zeit länger verschwunden war, durfte der Eingeweihte sprin-
gen. Mit einer zielbewussten Miene setzte er zum Todessprung an und
stürzte sich in die Luft hinein. Im Flug nach unten entdeckte er den Ad-
ler neben sich, der ihn ein Stück weit begleitete, bis ihm die Hitze un-
erträglich wurde und der Vogel wieder nach oben drehte. Der Indianer
aber fand quasi in der Luft seinen Tod dadurch, dass die Hitze ihn ver-
kohlte. In dieser Weise bekam auch später der alte Häuptling seinen er-
sehnten Tod.
Der Zweck dieses Opfers bestand darin, dass sein Lebenspanorama in
den Äther des Erdenorganismus in sehr besonderer Weise eingeschrie-
ben werden sollte. Nicht allein für sein Einzelschicksal wollte er seine
Lebenserfahrungen mit in die geistige Welt nehmen, sondern sie sollten
der Erde erhalten bleiben, um sie davor zu bewahren, unkontrollierten
Vulkanismus zu verbreiten. Diese Eingeweihten hatten den Gedanken,
dass drüben jenseits des grandiosen Ozeans im Osten, im Mittelmeer-
gebiet, solche überragenden Ereignisse stattfanden, dass die Menschen
dort vor vulkanischen Ausbrüchen behütet werden müssten. So scheinen
diese Mysterien ungefähr zwölfhundert Jahre überdauert zu haben, bis
sie fast spurlos im achten christlichen Jahrhundert aufhörten.
Dass es neben diesen ordnungsgemäßen Mysterien auch andere gab,
die ähnliche Gebräuche benutzten, aber sie für ihre Gruppeninteressen
einsetzten, ist sicherlich auch ein Faktum. Vor wenigen Jahren wurde
eine weibliche Leiche an einem südamerikanischen Ort gefunden, wo
ein Gletscher sich zurückgezogen hatte. Diese Entdeckung zeugt von
einem vergleichbaren Männerwerk, das höchstwahrscheinlich gegen den
Willen der Geopferten geschehen ist. Dessen ungeachtet durchschaute
der Medizinstudent als das eine seiner Seelentiere selbstverständlich ei-
nen Adler. Nachträglich wurde mir bewusst, dass ich bei unserer ersten
Begegnung und noch bis zum Augenblick der gemeinsamen Erforschung
immer seinen besonderen Blick bemerkt hatte, welcher mich in eine uner-
gründliche Stimmung geführt hatte, die ich erst jetzt als eine der Höhen-
angst vergleichbare deuten konnte. So gelangt man bei solchen Verknüp-
fungen in der Karmaforschung manchmal zu eigenartigen Resultaten.
Tiere und Elementarwesen
Während der Aufenthalte bei den Seelentieren kannst du die auf die phy-
sische Ebene bezogene Stufe der Imagination verlassen, um in die ele-
mentarische Welt zu treten. Dabei bittest du deine Seelentiere, dich mit
solchen Elementarwesen in Kontakt zu bringen, die vornehmlich mit
den entsprechenden Tieren in der Natur zu tun haben. Somit wirst du
265
eine außerordentliche Welt kennen lernen, die dir ganz überraschende
und umfassende Einsichten über die Elemente, die mineralische Welt,
die Pflanzenwelt, die Tierwelt, die Menschenwelt und sogar die Engel-
welt zukommen lässt.
In der Meditation wirst du es vielleicht zunächst nicht einfach haben,
zwischen dem Auftreten von Seelentieren und Krafttieren zu unterschei-
den. Weil das Seelentier, okkult betrachtet, ebenfalls die geistige Wir-
kung eines Krafttieres in der Menschenseele ist, kann es sein, dass du zu-
nächst keinen Unterschied wahrnimmst. Wenn du nur auf der imaginati-
ven Ebene haust, können die Eindrücke sich so mischen, dass normaler-
weise nur eine Erscheinungsform bemerkt wird. Bei höherem Bewusst-
sein wird der Unterschied dennoch deutlich wahrgenommen. Wenn das
Seelentier sich fügsam in den Bildzusammenhang ergibt, tritt das Krafttier
eher regsam auf, so dass ferner interessante Konfrontationen entstehen
können, denen du als Eigenwesen gewachsen zu sein hast, wenn du Er-
kenntnisse angesichts eines Krafttiers herbei bringen möchtest.
Wenn du bei Wassertieren wie Fischen, Schildkröten, Krokodilen,
Fröschen, einige Echsen, Walfischen und Delphinen verweilst, wirst du
natürlich die Wasserwesen, die Undinen, kennen lernen. Spinnen, Mist-
käfer, Ameisen, Maulwurfe, Mäuse, Igel und Schweine werden dich zu-
nächst zu bestimmten Gnomen führen. Allerlei Vögel und Insekten, aber
auch Eichhörnchen werden dir die Luftwesen, die Sylphen, zeigen. Be-
stimmte Insekten, aber auch der Bär, die Schafe und Schlangen machen
dir die Welt der Wärmewesen, der Salamander, bewusst. Es gibt Tiere,
die ihre Haut wechseln, wie Schlangen, oder die ihre Haut- oder Pelz-
farbe beim Wechsel der Jahreszeiten oder bei Gefahr verändern können,
so wie Hasen und Chamäleons. Sie werden dein Bewusstsein öffnen für
besondere Elementarwesen, welche die Zeitläufe überwachen. Andere
Tiere, wie der Elefant, der Löwe, der Wolf und die Pinguine sind z. B.
für geografische Gebiete zuständig, wo Elementarwesen leben, die u. a.
bestimmte Substanz- und Raumgeheimnisse der Erde hüten. Durch man-
che Tiere, die durch ihre Domestikation in die menschliche Kultur einge-
ordnet wurden, wirst du solchen Elementarwesen begegnen, die Aufga-
ben innerhalb der menschlichen Kultur übernommen haben. Mit einem
Viehbestand ist ein auf eine höhere Stufe aufgestiegener Gnom verbun-
den, der sich besonders für das Heranwachsen der Kälbchen als Stall-
zwerg einsetzt. Mit einem Bienenvolk ist ein Lichtwesen der elementa-
rischen Natur verbunden, das sich auf der hierarchischen Wirkensstufe
befindet, die mit einem Erzengel korrespondiert, das heißt einem Schutz-
patron für eine Sprach- oder Landesgemeinschaft.
Bei bestimmten Taubenarten haben wir es mit Vögeln zu tun, die jahr-
tausendelang den Menschen außerordentlichen Dienst geleistet haben.
Seit dem Auftauchen des wirtschaftlichen Postwesens sind sie aus dieser
266
Aufgabe entlassen worden. Diese Taubenart hat sich aber nicht zurück
verwildert, sondern die Vögel blieben in den Städten. Was haben sie
denn heute für eine Aufgabe oder auf welche neue kulturelle Aufgabe
warten sie? Mit welchen Elementarwesen sind sie verwoben? Wenn man
auf einem Bahnsteig steht und den Menschen zuschaut, die voneinander
unter Tränen Abschied nehmen oder sich beglückt wiedersehen, mag
man sich fragen, ob die Tauben nicht mit dem, was zwischen den Men-
schen als Zuneigung wirkt, elementarisch zu tun haben könnten?
Eine junge Stadtfrau, die auf die diesbezügliche Weise meditierte, ent-
deckte eine Krähe durch ihr Bürofenster auf dem gegenüber liegenden
Dach. So entstand ein Gespräch zwischen dem teilnehmenden Men-
schen und dem von so vielen Menschen gehassten Vogel. Aus dem still-
schweigenden Gespräch entstand die folgende Perspektive. Weil die Krä-
hen schon im Altertum einen Platz in bestimmten Mysterienschulen ge-
habt hatten, fühlte sich diese Vogelart gegen den Ausgang des zwanzigs-
ten Jahrhunderts geneigt, wieder eine Mysterienaufgabe auf sich zu neh-
men. So bekamen die Krähen den scheinbar grämlichen Auftrag, die
Luft von den elektrostatischen Schwingungen der Mobiltelefonie zu rei-
nigen. Nur zusammen mit verschiedenen Gruppen von Elementarwesen
christlicher Gesinnung konnten sie diese schwierige Arbeit antreten,
aber sie tun sie gegenwärtig mit Eifer und Elan. Also wäre vielleicht eine
besondere Dankbarkeit gegenüber den Krähen angebracht!
Die Dohlen dagegen sind seit langem damit beschäftigt, zwischen den
Dörfern in Mitteleuropa und sicher auch anderswo die Luft vom allge-
meinen Geschwätz der Menschen zu säubern. Was sie in ihrem Abend-
klatsch mit Beflissenheit abladen, ist nichts Anderes als das Gebräu
menschlicher Ich-Schwäche auf der elementarischen Ebene, womit
bestimmte Elementarwesen der Luft einen Streit ausfechten. Die eine
Gruppe dieser Wesen steht in Gemeinschaft mit den Dohlen, die andere
Gruppe ist zusammengesetzt aus ihren Verwandten , die sich aber in der
Vergangenheit bei der Eitelkeit, dem Neid und Misstrauen der Menschen
niedergelassen haben, wovon sie sich nun ernähren.
Während der Begegnungen mit diesen durch die Seelentiere entdeck-
ten Elementarwesen wirst du sicher ein Wesen antreffen, das bereit ist,
dir als Beschützer für weitere Ausflüge behilflich zu sein, die in bestimm-
te Regionen führen können, an denen die Tierwesen nicht interessiert
sind oder wozu sie keinen direkten Zugang haben. So wirst du auch
solche Elementarwesen entdecken, die mit deiner eigenen Entwicklung
innerhalb deiner Inkarnationen verbunden waren. Sie sterben ja in
menschlicher Weise nicht und haben dich immer wieder in bestimmten
Phasen deines Reinkarnationsgangs begleitet.
267
 Gruppenseelen von ausgestorbenen Tieren und die Astralebene
Eine außerordentliche Situation trifft ein, wenn du ein Seelentier hast,
dessen Vertreter der Tierart in der Sinneswelt ausgestorben sind. Dann
wirst du in vielleicht lange zurück liegenden Leben das entsprechende
Tier erleben, als es noch die Erde bewohnte. Die Gruppenseele des Tie-
res ist dann auf eine hierarchische Stufe empor gestiegen, die dem Grad
eines Menschenwesens ähnelt. Das bedeutet, dass, solange der Erdenäon
andauert, dieses Wesen eine übersinnliche Aufgabe innerhalb der
Menschheitskultur verfolgen wird.
Jemand entdeckte solch ein Wesen und wollte eine Inkarnation su-
chen, in der es ihn besonders unterstützt hatte. Er kam in die Renais-
sancezeit hinein und schaute sich als einen Kunstmaler, der im Hinter-
grund der weltberühmten Maler in Italien einer seiner besonderen Eigen-
arten Ausdruck verlieh, indem er bestimmte Farbmischungen entwickel-
te, die bis in die Pigment- und Schichtbehandlung ging. Das Wesen, das
als sinnlichen Aufenthaltsort besonders den Regenbogen und andere
atmosphärische Phänomene benutzte, schwebte immer übersinnlich um
ihn herum. Bei einer Fortführung der Karmaforschung fand er sich in
vorchristlicher Zeit als Maya-Indianer, der von seinem Volk ausgestoßen
worden war. In seiner Einöde in den Hochgebirgen des Regenwaldes
pflegte er täglichen Umgang mit einem Tier aus einer Art der Leguane,
die später ausstarb.
Die Individualität dieser Baumeidechsenart wirkt also weiter in der
Menschheit in einem Bereich, der mit Farbenbehandlung zu tun hat. So
gesehen kann man sich wohl vorstellen, dass sein Ich-Wesen, als er phy-
sisch die Erde verlassen musste, auf die Astralebene herunter gestiegen
ist und damit in Berührung mit der Seelenschicht eines Menschen kom-
men konnte, der solche Fragen zu den Farben stellte. So steht es folglich
nicht nur demjenigen zur Verfügung, der es als Seelentier hat, sondern
jeder, der sich mit dem entsprechenden Krafttier geistesforscherisch ver-
binden möchte, darf sich von seiner Befähigung zur Farbenweisheit in-
spirieren lassen.
Tierschutz und die Zukunft der Menschheit
Die Zukunft der Menschen auch geistig verstanden ist von der phy-
sischen Zukunft der Tiere abhängig. Aus solchen Forschungen, wie sie
hier angedeutet wurden, kann die Motivation entstehen, sich für Tier-
schutz und Tierrechte einzusetzen. Mehrere Entwicklungen in der Ge-
genwart gehen in Richtungen, die, wenn sie sich verschärfen, in Kürze
viele weitere Tierarten mit dem Aussterben bedrohen werden. Die Fol-
268
gen von natürlichem und indirekt von Menschen verursachtem Ausster-
ben sind unterschiedlich. Im letzteren Fall werden die Tierwesen darun-
ter leiden müssen, dass ihnen dämonische Gewalt entgegen gestellt wird,
d. h. sie werden weniger Möglichkeiten haben, ihre Dienstleistungen für
die Menschheit einzusetzen, wenn Menschen keine vorbeugende Maß-
nahmen erfinden würden.
Wie heute allgemein bekannt ist, verlieren Tierarten ihre Lebens-
grundlage, wenn Urwälder zerstört werden, auf die sie angewiesen sind,
oder wenn von Menschen geschaffene Kulturwälder und Kulturland-
schaften plötzlich einseitig bewirtschaftet werden, deren Entstehung
Tausende Jahre zurück liegt. Und eine dritte Gefahr besteht darin, dass
Jagd und Zucht von bedrohten Tierarten so durchgeführt wird, dass ihre
natürliche Lebengrundlage zu wenig berücksichtigt wird. Weitere un-
übersehbare Gefahren für die Tiere und die ganze Lebenswelt der Erde
entstehen durch wissenschaftliche Experimente der Biogenetik und durch
Unterdrückung der elementarischen Welt in übertechnologischer Tier-
haltung und industriellen, nichtökologischen Wirtschaftsweisen. Gerade
hierzu eine Geistesforschung zu betreiben, um auf die weiteren Konse-
quenzen dieser Gefahren hinzuweisen, wäre eine spirituelle Strebensrich-
tung von höchstem Rang.
Jeder sollte sich bewusst machen, wie viele Produkte er der Tierwelt
zu verdanken hat. Die ganze Geosphäre ist voll von den unterschied-
lichsten Stoffen wie Kalk, Schiefer, Erdöl und Gas, die wir früheren Tier-
formen zu verdanken haben. Im Wohnbereich und als Kleidung benut-
zen wir jeden Tag Materialien, die von Tieren stammen. Keiner kann
sich Lederschuhe anziehen und Wege damit gehen, ohne dass ein Tier
dafür gesorgt hat. Wie und wann geben wir der Tierwelt dafür einen pas-
senden Dank zurück?
Die natürliche Ausbreitung von Tierarten über die Erde ist von Men-
schen seit dem Altertum immer wieder beeinflusst worden, indem Tier-
arten in ein Gebiet ausgesetzt worden sind, wo sie vormals nicht lebten.
Der Waschbär z. B. wurde in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts
von USA nach Deutschland als Jagdbeute mitgebracht und eingezäunt
gehalten. In den Wirren des zweiten Weltkriegs ist er aber verwildert.
Heute muss man ihn echt zu den einheimischen Tierarten rechnen, auch
wenn viele Probleme durch die enorme Ausbreitung des Waschbären
entstanden sind, so dass der Mensch sich vor die Aufgabe gestellt sieht,
hier eingreifen zu müssen. Eine geistige Erforschung der Frage, warum
der Waschbär nach Europa gekommen ist, würde sicherlich interessante
Gesichtspunkte sowohl zum Stand der europäischen Fauna wie zur An-
thropologie Mitteleuropas liefern.
Der Umgang mit den Seelentieren, von denen allmählich sogar mehr
als drei erscheinen können, macht dich reif, damit du die Welt der Tiere
269
neu wahrzunehmen und ihnen mit hoher Achtung zu begegnen lernst
und ihren Einzelwesen eine ihnen gemäße Unterstützung zukommen
lässt, damit die Zukunft der Schöpfung gerettet werden kann. Für jede
Angliederung eines Seelentieres an die Seelenbereiche Denken, Fühlen
und Wollen können folglich andere Tiere eingeführt werden. Wenn noch
ein viertes, fünfte usw. Seelentier dir begegnen würde, solltest du erfor-
schen, woher du die Beziehung zu ihnen in früheren Leben bekommen
hast. So wirst du allmählich herausfinden, warum du nicht nur in einer
durchschnittlichen Dreifaltigkeit stehst, sondern auch noch in einer um-
fassenderen Vielfalt zu den Tieren eingestellt bist.
Die Spinne und die Zukunft der Esoterik
Die Forschungen zu den Seelen- und Krafttieren haben mir eine Reihe
neue Gesichtspunkte im Umgang mit esoterischen Fragen geliefert. Am
Schluss dieses Teils möchte ich etwas schildern, das mit der Zukunft der
Esoterik und mit der geistigen Forschung überhaupt zu tun hat. Später
werde ich das damit verbundene Thema des so genannten Bösen an-
gehen, weil bestimmte Initiationerfahrungen uns mit Wesen konfrontie-
ren, die auf den inneren Weg scheinbar hintertreibend auftreten. In ei-
nem Fall entdeckte ich, dass die übersinnliche Forschung der Insekten
und besonders der Spinne zu interessanten Perspektiven führen. Um
dem Thema Spinne eine konkrete Deckung zu geben, füge ich einige
zoologische Daten hinzu.
Eine junge Frau entdeckte die Kreuzspinne als eines ihrer Seelentiere.
Seit der Kindheit hatte sie vor Spinnen und vielen Insekten immer Angst
gehabt und ist sofort zu ihrer Mutter gerannt, wenn sie Spinnennetze im
Gras beim Blumenpflücken entdeckte. Durch die meditative Arbeit
konnte sie nun ihre Furcht vor diesem eindrucksvollen Tier überwinden,
indem sie das Leben und die Tätigkeit der Spinne aus der Nähe auf
mehreren Ebenen studieren konnte. Die Kreuzspinne (Araneus daiade-
matus) auch Gartenkreuzspinne genannt ist in Deutschland die ge-
wöhnlichste Spinnenart überhaupt und sie ist eine im ganzen Alpenraum
verbreitete Spinne. Der charakteristischen weißen Kreuzzeichnung auf
ihrem vorderen Hinterleib verdankt sie ihren Namen. Sie hat sonst eine
gelb-bräunliche Farbe. Das Kreuz selber setzt sich immer aus fünf Fle-
cken zusammen, vier länglichen und einem kleinen, runden Fleck in der
Mitte. Die Kreuzspinne ist eine unserer größten Spinnen. Das Weibchen
kann bis zu 20 mm und das Männchen bis zu 11 mm groß werden. Sie
ernährt sich vor allem von Fluginsekten wie Schnaken und Fliegen oder
auch sogar von Heuschrecken. Nach der Lähmung der Beute spritzt die
Spinne Säfte zur Verdauung in das Opfer, so dass sich die essbaren Be-
270
standteile auflösen, und sie saugt diese danach aus. Die Kreuzspinne ist
in Europa beheimatet, man trifft sie vorzugsweise an Gebäuden, in Wäl-
dern und auf Wiesen. Ihr Netz ist kreisförmig und hat oft einen Durch-
schnitt von 30 50 Zentimetern. Die Kreuzspinne sitzt nach dem Netz-
bau mitten im Netz und wartet dort auf Fang. Bei bewölktem Wetter
wartet sie neben am Netz in einem Hinterhalt. Beim Beutefang werden
alle acht Beine, die Taster und die Giftdrüsen zugleich geschwind abge-
stimmt. Bei der kleinsten Bewegung stürzt sie sich auf das im Netz ge-
fangene Opfer und lähmt es durch einen giftigen Biss. Für den Menschen
ist die Gift einer Kreuzspinne im Normalfall nicht gefährlich, wohl aber
schmerzhaft. Ihre natürlichen Feinde sind vor allem Vögel und Fleder-
mäuse. Die Netze der Gartenkreuzspinne sind eng geflochten. Wie viele
Radnetzspinnen hält auch sie ihr Netz stets in Ordnung, um es nicht
durch im Netz hängende Beute leicht offenbar zu machen. Auffällig ist
die Fähigkeit, unterschiedlicher Fäden herzustellen: einerseits klebrige
Fäden für die Fangnetze, andererseits feste Fäden zur Verknüpfung der
Netze. Aber auch sehr feine Fäden zum Bau der Eikokons werden von
den Spinndrüsen am Hinterleib hergestellt. Die Paarungszeit erfolgt im
Spätsommer. Weibchen produzieren von September bis Oktober Ei-
kokons, aus denen im Frühling Jungspinnen geboren werden. Das kleine
Männchen muss nach der Paarung schnell flüchten, weil es sonst vom
Weibchen gefressen wird. Da Spinnen auf Erschütterungen sehr emp-
findlich reagieren, erkennt das Weibchen das Spinnenmännchen an dem
Zupfen. Dabei bedienen sich die Spinnen so genannter Hörhaare an
den Beinen. Ist das Weibchen paarungsfähig, kriecht es von der Netz-
mitte weg und begibt sich zum Bewerbungsfaden. Die Paarung dauert
nur wenige Sekunden und wird meist öfters wiederholt. In gelben Ko-
kons aus Fadenwolle legt das Weibchen im Herbst dann die Eier ab.
Meist stirbt es über dem letzten Kokon.
Die betreffende Frau fragte nun ihre Kreuzspinne nach besonderen
Dingen, auf die sie bei der weiteren Untersuchung möglicherweise zu
achten hatte. Die Seelentierspinne erzählte, dass sie ein ganz besonde-
res Herz hatte. Ihr so genannter offener Blutkreislauf erlaubte ihr, das Füh-
len im Blickfeld der ganzen Netze zu handhaben . Mein Spinnnetz ist
ursprünglich ein Teil meines Herzens, das ich dem Sonnenlicht geopfert
habe , erzählte das Seelentier leichtfüßig.
Ihre acht Beine sind auch keine Beine mit Füßen wie beim Menschen,
sondern sie entsprechen umgeformten Rippen , die beweglich geworden
sind, weil die Spinne mit dem ganzen Umkreis anders atmen gelernt
hat. Zur Frage ihrer eigentlichen Beine gab sie die rätselhafte Antwort,
dass sie in einem Speicher der Zukunft bereit gehalten werden. Statt zu-
nächst von der Spinne in einem früheren Leben begleitet zu werden
wie es bei anderen Seelentieren immer bei dieser Übung bis jetzt der Fall
271
gewesen war , geschah nun das Besondere, dass die Kreuzspinne sie
auf eine denkbare Zukunft einer künftigen Inkarnation hinweisen wollte.
Ihre Beine würden geistige Flügel werden, für Esoteriker, die eine mani-
chäische Aufgabe gemäß der Ausführungen im 8. Teil sich anschlie-
ßen würden. Und die Art wie die Spinne ihre Netze baut und wie sie mit
ihren Beuten umgeht, würden den Menschen Anführungszeichen sein,
wie sie in den Abgrundtiefen des Bösen immer mindestens zu Zweit 6.
über Fäden der Liebe vorwärts schreiten sollten, um die gesuchten
Widersacher aufzuspüren.
Wandel des karmischen
Doppelgängers

Keiner will frei sein,

denn keiner will die Wahrheit wissen.
Weißer Bär, Hopi124

124
Frank Waters, Das Buch der Hopi. Nach den Berichten des Stammesältesten
aufgezeichnet von Kacha Hónaw (Weißer Bär), übers. von Sylvia Dorn, 6. Auf-
lage, Diederichs, München 1990.

272 273
Selbstliebe muss mit der Nächstenliebe harmonisiert werden, gemäß dem
Christuswort: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das Eine kann
sich nicht ohne das Andere verwirklichen. Sie stehen zueinander wie
Mann und Frau, wie Kinder und Erwachsene. Jeder kann bei Anderen
auf etwas treffen, bei ihnen etwas finden und lieben lernen, woraus ihm
Kräfte zukommen bezüglich dessen, was er selber gern als Eigenschaften
entwickeln möchte.
Ein jeder trägt etwas in sich, aus dem heraus er jemand Anderen lie-
ben kann. So stehen die Menschen einander gegenüber als Gebende und
Empfangende, Schüler und Lehrer, Lehrlinge und Meister. Und sie neh-
men hierin ständig einen Rollentausch vor in vielen Lebenssituationen,
in denen sie sich nahe kommen. Mit Selbstliebe ist hier keine Eitelkeit
oder Egoismus gemeint, sondern die Liebe zum göttlichen Ursprung der
eigenen Individualität, die wir immer nur als ein Geschenk der Schöpfer-
gottheit verstehen können.
Nicht nur bei anderen Menschen ist es möglich, Neues zu lernen,
etwas aufnehmen, wodurch wir uns verändern, sondern auch viele Din-
ge, Phänomene und Wesenheiten können uns weiter bringen. Im Laufe
der durch Karmaforschung sich vertiefenden Welt- und Selbsterkenntnis
gelangt man allmählich dahin, nach solchen Wesen zu suchen, die ei-
nem in solch einer Weise gegenüber stehen und einmal gegenüber ge-
standen haben. Aber du wirst begreifen, dass du sie vorher deshalb nicht
berücksichtigen konntest, weil du sie nicht wahrgenommen hast. Du
wirst sogar erkennen, dass es Wesen gibt, die dir sogar das Leben er-
schwert haben, es manchmal in andere Bahnen gelenkt haben oder dich
vor Prüfungen stellten, die alle Kräfte in dir herausforderten. Ob es sich
dabei um ein oder mehrere fördernde, schützende, hemmende oder ver-
führerische Wesen handelt, ist zunächst nicht sicher zu klären. In diesem
Teil werde ich Übungen geben, die ein Gebiet beleuchten, wo ein auto-
nomes Wesen auftritt, das in der Literatur oft als der Doppelgänger be-
zeichnet wird. Da diese Wesenheit jedoch in mannigfachen Gestaltun-
gen bezüglich unseren Lebenssituationen figuriert , werde ich aus Sach-
gründen auch unterschiedliche Bezeichnungen für sie wählen. Denn
gerade auf diesem Gebiet herrscht aus Mangel an geistiger Erfahrung
und Klarheit ein großes Durcheinander. Darüber hinaus wird durch viele
Rapporte, die mir zugänglich sind, auch Neues sichtbar hinsichtlich des
sogenannten karmischen Doppelgängers oder des kleinen Hüters.
Schwellenübertritte die Begegnung mit dem hässlichen Selbst
Mein Sohn Heljar nahm, als er dreieinhalb Jahre war, in einer Waldorf-
schule bei der Einschulung eines älteren Freunds teil. Ein redegewandter
274
Lehrer sprach über die verschiedenen Stadien, die gewöhnlich einem
Schulkind in den verschiedenen Klassen entgegentreten. Er berichtete,
dass jede Versetzung in eine neue Klasse mit einem Schwellenübertritt
vergleichbar sei. Das kommentierte der Dreijährige zu einem Erwachse-
nen neben sich, so laut, dass alle ringsherum es hören konnten: Aber
dann kann man auch stolpern.
Es gibt im Leben des Menschen viele Schwellenübertritte äußerlicher
Art, aber auch solche der innerlichen, die man häufig nicht bemerkt. Mit
jedem Einschlafen und Aufwachen vollzieht sich solch ein Übergang
zwischen einem Bewusstseinszustand in einen anderen. Ein gesunder
Mensch vollzieht diese Schwellenübertritte, ohne zu stolpern . Bei vie-
len psychisch Kranken aber haben sich Dinge ereignet, die sie in einem
fortwährenden Zustand des Gestolpertseins halten. Sie kommen quasi
nicht mehr wieder auf die Beine. Das führt dazu, dass sie nicht mehr
richtig einschlafen oder aufwachen können. Sie geraten in eine Art
Zwischenzustand.
Auch echte Geistesschüler können kurzfristig in Bewusstseinszustän-
de eintreten, die sie derartig fesseln, dass sie Hilfe von Außenstehenden
benötigen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Darin sehen wir
typisch Menschliches nämlich sowohl selber Fehler begehen wie auch
jemand Anderem helfen zu können. Es darf uns daher überhaupt nicht
erschrecken, dass eine esoterische Entwicklung viele Stationen hat, die
mit Alltäglichem nicht vergleichbar sind und die deshalb alle möglichen
Ängste bei Nichtbetroffenen erwecken könnten. In den Mysterieneinrich-
tungen früherer Zeiten wurden die Schwellenschritte bei Initiationen von
Hierophanten, Meistern und Gurus aufmerksam, umfangreich und sorgfältig
gelenkt, damit der Einzuweihende nicht zu stolpern brauchte und gege-
benenfalls die geeignete Anweisung bekam, so dass er sich wieder mit
dem Alltagsbewusstsein befreunden konnte. Ein Mensch im Normalbe-
wusstsein schreckt heute gewöhnlich durch evolutionär bedingte Unreife
und diesbezügliche Unwissenheit davor zurück, solche verhüllte Zusam-
menhänge bei sich selbst zu erkennen. Wird ein Schwellenübertritt für
eine umfassendere Weisheitserkenntnis hinsichtlich des eigenen Wesens
auf eine höhere übersinnliche Wachheitsstufe angestrebt, dann würde
das auch heute noch bedeuten, sich selbst völlig anders als gewöhnlich
anschauen zu lernen.
Eine esoterische Entwicklung bewirkt, dass man noch vor Erlangung
der eigentlichen Reife die eigenen Unzulänglichkeiten und Unstimmig-
keiten durchschauen lernen darf. Der Anblick der umfassenderen Selbst-
bilder muss nicht notwendigerweise als unangenehm erlebt werden, kann
aber überaus widerlich, hässlich oder schrecklich sein. Bei jedem Schwel-
lenübertritt über das Physische hinaus treten wir fortwährend wieder vor
uns selbst als ein Monstrum der Schöpfung hin. Das, was aus unserem
275
Astralleib als eigene Mankos nach außen strahlt, wird und muss zu uns
selbst von der geistigen Umgebung reflektiert werden, wenn wir Geist-
erkenntnis suchen. Dieser geistige Gesetz wird in der modernen Esoterik
oft nicht oder zu wenig beachtet. Ständig werden uns dabei unsere in-
dividuellen Fehlverhalten gegenüber der Welt von einem Wesen gespie-
gelt, das der Okkultismus den kleinen Hüter nennt.
Ein geistiges Wesen der große Hüter* benannt hält uns so lange
von einer bewussten Begegnung mit dem kleinen Hüter fern, bis wir reif
sind, den grausigen Anblick unseres Selbst zu ertragen. Hinter oder ge-
nauer verbunden mit dem Anblick dieses Gegenbildes wirkt ein autono-
mes Wesen der elementarischen Welt, nämlich der kleine Hüter. Er soll
uns nun in diesem 5. Teil beschäftigen. Es ist in Daskalos Sinne kein
menschliches Elemental, welches wir selber geschafft haben, sondern es
existiert außer uns, aber lebt sozusagen ganz aus und mit unseren Ele-
mentalen, weswegen es einem schwer fallen kann, darüber volle Klarheit
zu bekommen.
Der kleine Hüter und Karma
Bei esoterischen Entwicklungen in früheren Zeiten fand die Begegnung
mit dem kleinen Hüter oftmals zeitiger statt, als dies heute geeignet wäre.
Damals erlangte man im fortlaufenden Prozess der geistigen Schulung
selbst erst relativ spät eine Einweihung in die Erkenntnis karmischer Ver-
hältnisse. Heute hingegen ist die Karmaerkenntnis auch schon am An-
fang eines Schulungswegs möglich und sogar erforderlich. Die Myste-
riendramen von Rudolf Steiner zeigen diesen Tatbestand mit eindring-
licher Deutlichkeit. Damit ist zugleich gesagt, dass Karmaschauen in den
meisten Fällen vor den Hüterbegegnungen stattfindet. Die Karmaschu-
lung, wie ich sie in diesem Buch vorlege, bereitet die Begegnung mit dem
kleinen Hüter so vor, dass sie moderater durchgemacht werden kann,
als es ohne sie geschähe.
Umgekehrt kann man sagen, dass, wenn Karmaerkenntnis bei den
Einzelnen oder in sozialen Zusammenhängen nicht genügend entwickelt
wird, dann müsste der karmische Doppelgänger in unserer Zeit viel stär-
ker als früher chaotisierend hineinwirken. In Fällen, wo der Schutzengel
unfähig ist, bei der Karmaaufarbeitung mitzumachen, gemäß dem Pro-
blem der karmischen Chaotisierung, die im 3. Teil angedeutet wurde, ist
es sehr wichtig, sich mit der Schwellenthematik zu befassen. Wenn der
kleine Hüter dann nicht als solcher erkannt wird, werden dämonische
Wesen ihn für sich in Angriff nehmen können, um soziale Konflikte und
zivilisatorisches Unheil auszulösen. Sonst bewirkt die Seelentierarbeit ei-
ne gewisse Milderung der Heftigkeit bei der Begegnung mit dem kleinen
276
Hüter. Dadurch, dass wir bereits eine Bestimmung unseres Verhältnisses
zur Tierwelt vorgenommen haben, werden die diesbezüglichen thema-
tischen Aspekte beim Auftreten des kleinen Hüters normalerweise eher
marginal.
Rudolf Steiner sprach schon 1910 von solchen verzerrten Tier- und
Menschenbildern, die für den inneren Blick aufsteigen, wenn man ver-
sucht, sich meditativ für eine umfassende Selbsterkenntnis in sein eigenes
Wesen zu vertiefen.125 Er nannte damals dieses innere Vorgehen mysti-
sche Versenkung . In den esoterischen Unterweisungen der so genann-
ten ersten Klasse der ich 25 Jahre als Mitglied angehörte und deren
Lektionen ich mit individuellem Lohn empfing , kurz als Klassen-
stunden* benannt, beschrieb er 1924 die Begegnungen mit drei Schwellen-
tieren, die der hütende Geistesbote dem Geistesschüler aufklärt.126 Jedoch
besprach er in diesem Zusammenhang keinen Bezug zu mehreren Hü-
tern oder zu einem Doppelgänger.
Früher in seinem Werk ist die Behandlung von Schwellenerlebnissen
lange nicht so drastisch bildhaft wie in den Klassenstunden, die inte-
ressanterweise in denselben Tagen wie die Karmavorträge jene am 15.
und diese am 16. Februar 1924 eröffnet wurden. Nach meiner Sicht
müsste eine Behandlung dieser komplexen Schwellenphänomene heute
eine noch umfassendere Darstellung bekommen, als es Steiner möglich
war, seinen damaligen Zuhörern zu vermitteln, wenn Esoterik suchende
Menschen nicht vor unergründlichen Rätseln verharren sollten. In Ge-
sprächen mit Klassenmitgliedern bemerkte ich immer wieder, dass er-
staunlich wenig Kenntnis vorhanden war, wie z. B. Schwellenphäno-
mene in der Geschichte behandelt worden sind.
In der Kunst- und Kulturgeschichte tritt das Bedürfnis, sich selbst-
erkennend anschauen zu wollen, in verschiedenen Dokumenten und
Selbstdarstellungen auf. Maler wie Rembrandt im 17. und Edvard Munch
im 20. Jahrhundert versuchten in vielen Selbstporträts hinter die Maske
ihres persönlichen Gesichts zu blicken. Und Schriftsteller wie Fjodor Dos-
tojewski, Henrik Ibsen, und August Strindberg schöpften aus unbewussten
Untergründen ihres Wesens. Rudolf Steiner zeichnete z. B. in seinen
Karmavorträgen nach, wie Strindberg versuchte, als Dramatiker mit sei-
nem negativen Verhältnis zu Frauen, welches karmisch in ihm angelegt
war und welches ihn psychisch bedrängte, ins Reine zu kommen.127 Stei-
125
Rudolf Steiner, Makrokosmos und Mikrokosmos. Die große und die kleine Welt.
Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen, GA 119, Dornach 1962, Seite 117ff.
126
Rudolf Steiner, Esoterische Unterweisungen für die erste Klasse der Freien Hochschu-
le für Geisteswissenschaft am Goetheanum, GA 270/I-IV, Dornach 1999.
127
Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band IV,
GA 238, Dornach 1960, Seite 35ff.
277
ner unterstrich, dass die Erforschung karmischer Zusammenhänge sich
in einer gewissen Weise selbst aus Karma ergeben müsse. Er stellte dar,
wie er durch konkrete Menschenbegegnungen in Berlin zu seinen For-
schungsergebnissen über August Strindberg, der dort einige Freunde hat-
te, gelangte. Diese zeigten an, dass Strindberg als die Tochter von Au-
gustus dem Großen, Julia, gelebt hat. In meinem ersten Buch habe ich
ausgeführt, wie meine karmischen Verbindungen zur Familie des Kaisers
Augustus sind. Daher sollte es nicht zu sehr verwundern, wenn ich be-
haupte, dem heute wieder inkarnierten Strindberg begegnet zu sein. Er
ist eine historische Erscheinung, die anschaulich macht, wie jemand mit
dem eigenen karmischen Doppelgänger sein ganzes Leben lang kämpft .
Dass er diesen Kampf gesund gemeistert hat, zeigt mir seine heutige In-
karnation als eine ansprechende Frau, die mir vorführte , wie man mit
sich selbst und mit der Umgebung in entspannter Weise umgehen und
außerdem modisch sein kann.
Ich gebe nun Übungen, die die Begegnung hiermit und mit den Moti-
ven solcher Wesenheiten zu einer ernsten, aber zugleich auch beschwing-
ten Angelegenheit machen. Ich möchte betonen, dass dir der kleine Hü-
ter in vielen Gestalten all das vorhält, was du aus früheren Leben selbst
als karmisches Eigentum trägst, welches noch ungeläutert, unreif und
sogar böse sein kann. Mit vollem Bewusstsein darfst du beginnen, diese
karmischen Besitzstände zu verschönern und umzuwandeln, was dann
auch den kleinen Hüter in seinem Wesen verändert. Zuerst tritt er dir als
ein Doppelgängerwesen entgegen, das immer deine Unvollkommenhei-
ten und alten Charakterzüge hervorkehrt. Allmählich wird er ein Aus-
sehen annehmen, das frei von dir ist. Dann tritt er nicht mehr als dein
abschlägiges Doppel auf, sondern als ein neben dir tätiges, emanzipiertes
Wesen, welches Aufbauendes erwirken kann.
Der innere Nachbar
Folgende kontemplative Übung kann gemacht werden. Stell dir einen
Tag vor, an dem du so wie aus dem Urlaub nach Hause kommst. Be-
nutze wie früher deine meditative Hütte mit ihrer eingeführten Umge-
bung. Oder richte dir hierzu eine zweite Heimat an einem neuen Ort ein.
Richte alles so ein, dass der Engel gleichsam als Haushaltshilfe oder
Bediensteter zu Hause geblieben ist. Als du zurück kommst, berichtet
er dir von dem neuen Nachbarn. Ein Fremdling ist in ein anliegendes
Haus eingezogen. Dein Engel war ihm zufälligerweise begegnet und hat
ihm von dir erzählt. Der Eingezogene begann sogleich, Interesse an dir
zu zeigen, und möchte dich unbedingt kennen lernen. Zu einer Ein-
ladung geht es jetzt gleich. Du musst dich nur noch schnell umziehen.
278
Dann gehst du mit dem Engel hin. Wie ist dein Verhalten? Welche Klei-
dung ziehst du an? Was erwartest du von diesem Besuch? Nimmst du ein
Geschenk mit? Oder einen Blumenstrauß? Noch weißt Du ja nicht, ob
du einer Frau oder einem Mann begegnest. Der Engel wollte mit gleich-
mütiger Miene nichts Näheres über den Unbeschriebenen verraten. Wie
weit ist es bis zum Haus des neuen Nachbarn? Wie zeigt es sich? Ist es
ein Prachtbau oder eine bescheidene Hütte? Wer begrüßt dich? Mit wem
gehst du schließlich ins Haus hinein? Wie fällt die Begegnung aus? Ist die
Gestalt weiblich oder männlich? Was gibt es zu essen? Worüber wird ge-
sprochen? Ist sie oder er allein oder zeigt sich auch noch ein Diener?
Was macht dein Engel, der sich z. B. wie dein Chauffeur gekleidet hat.
Kommt er mit ins Haus? Auf diese Weise kannst du die ganzen Verhält-
nisse rund um den neuen Nachbarn erfahren. Ihr könntet euch gegen-
seitig eure Biografien erzählen und einander von Reisen und sonstigen
Erfahrungen berichten. Wie anders ist die Gestalt des Nachbarn als du?
Wie sieht sie eigentlich aus und wie alt ist sie? Habt ihr etwas gemein-
sam? Könnte eine Freundschaft möglich werden? Wirst du ihn auch zu
dir einladen?
Als Variante dieser Übung könntest du dir vorstellen, dass du Frem-
denzimmer vermietest. Eines Abends kommt ein Gast, der nur für eine
Nacht das Zimmer nehmen möchte. Wie sieht er aus? Was wird gespro-
chen? Wie kümmerst du dich um ihn? Wie verläuft die Nacht? Kannst
du schlafen? Träumst du? Wie geschieht der Abschied am nächsten Mor-
gen? Wenn du regelmäßig solche Übungen durchführst, wird allmählich
eine Gestalt sich herausformen, die bestimmte Züge zeigt, welche du von
deinen karmischen Forschungen her kennst. Sie wird einerseits solche
Merkmale zeigen, die du selber in früheren Leben hattest, andererseits
aber auch solche, die von deinen karmischen Freunden herrühren.
In der folgenden Übungssequenz kannst du diese Dinge noch wesent-
lich vertiefen. Hierdurch entstehen fruchtbare Ergänzungen, die sich un-
mittelbar im täglichen Leben auswirken werden, weil das Wesen des kar-
mischen Doppelgängers dadurch beginnt, eine Verwandlung durchzu-
machen.
Der Fremdling im Seelenhaus
Eine Variante bzw. Erweiterung des soeben Dargestellten, falls du beide
Übungen weiter entwickeln möchtest, kann folgenderweise geschehen.
Gehe in der Meditation in dasselbe Haus zu Besuch, wo du den Seelen-
tieren begegnet warst. Lass den Engel sich an seine frühere Ecke im
Raum stellen und geselle dich zu ihm mit dem Rücken zum Saal. Bitte
ihn jetzt, einen gedeckten, rechteckigen Tisch herzurichten. Du drehst
279
dich um und gewahrst je einen Stuhl an den beiden schmalen Tischsei-
ten. Setze dich auf den Stuhl hinten und lass dich vom Engel als deinem
Kammerherrn bedienen. Er soll die Seelentiere herein holen, ihnen
etwas Frisches zu essen geben und danach losgehen, um jemanden ein-
zuladen, der aus der Richtung der vierten Ecke kommen soll, z. B. links
vom Eingang, wo der Engel vorher immer gestanden hat. Die Tiere er-
scheinen so, dass sie glücklich sind, und euch macht das große Freude.
Jetzt tritt dieser Fremde zu euch in den Raum. Wer kommt? Wie sieht
die Person aus? Wie ist sie gekleidet? Bringt sie etwas mit? Bitte den
Fremden zu Tisch und lass ihn nach Herzenslust essen und trinken. Was
wird serviert? Wie verhält er sich? Wie und worüber unterhaltet ihr
euch? Wie geht er mit den Tieren um? Nach dem Essen schickt der Kam-
merherr die Tiere hinaus, und du verlässt mit ihm und dem Fremden den
Raum. Vielleicht hat er eine Wohnung hier im Schloss. Lasst ihn euch
etwas von sich selbst zeigen. Wohin führt er euch? Was tut er im Alltag?
Welchen Beruf führt er aus? Was hat er in seiner Vergangenheit ange-
stellt? Fordere ihn auf, von anderen Ländern und Kulturen zu erzählen,
in denen er einmal gelebt hat. Was war dort seine Lieblingstätigkeit
gewesen?
Auf ähnliche Weise kannst du durch weitere Besuche im Seelenhaus
sowohl durch die Tiere als auch durch den direkten Umgang mit dem
Fremden sein Wesen erkunden. Gib ihm eine frei gewählte Benennung,
die zu seinen Fähigkeiten passt, wie z. B. der Maler, der Wissenschaftler,
der Jurist, die Lehrerin, die Priesterin o. ä., oder frage direkt nach seinem
Namen. Dadurch hört er auf, ein anonymer Doppelgänger zu sein. Er
darf sich als jemand zeigen, mit dem du dich unterhalten kannst und der
seine Identität zeigt. Untersuche jetzt, wieweit diese Gestalt derjenigen
ähnlich ist, die früher als Nachbar auftrat. Handelt es sich vielleicht so-
gar um ein und dasselbe Wesen bei beiden Gestalten?
Der karmische Double kann in scheinbar einander widerstrebenden
Figuren auftauchen. Ich erlebte in einer Meditation zu mir selbst, dass er
bei der Szenerie eines Weinhofs tagelang auf einem Obstbaum saß und
Weintrauben kostete, weil er der Meinung war, es nütze überhaupt nicht
mehr, noch etwas Vernünftiges zu tun. Er wartete auf bessere Zeiten. In
diesem Fall zeigte er sich als extreme Schlafmütze. In einer anderen Vari-
ante rannte er fortwährend mit einer Motorsäge herum, um abgebro-
chene Äste und gefährdete Bäume nach einem Sturm zu entsorgen. Er
zeigte sich wie ein zorniger Rücksichtsloser, von dem ich mich selbst bes-
ser fernhielt, um nicht selber auch mit beseitigt zu werden. Jene Gestalt
ist interessanterweise luziferisch geprägt, diese ahrimanisch. Wenn der
Double also nicht direkt in Vergangenheitstracht auftaucht, sondern
möglichenfalls auf Zukünftiges hinweist, wird er in solcher Zwiespalt
erlebt werden können.
280
All deine Ängste, die dich bei unbekannten, unbehaglichen, beängsti-
genden und bösen Doppelgängern befallen haben mögen, werden durch
diese neue, übersinnlich reale Bekanntschaft allmählich von dir weichen.
Du wirst irgendwann erkennen, dass er im Grunde ein behütendes We-
sen darstellt, das dich eines Tages an die eigentliche Schwelle der geisti-
gen Welt führen wird. Aber bis dahin müsst ihr vieles vornehmen, damit
ihr beide aus allerlei entstandener karmischer Enge und Behinderung frei
kommt.
Das Wesen des Zwischenspielers und frühere Leben
Ich habe diesem Wesen ferner die Bezeichnung der Stuntman gegeben,
weil er jemand ist, der für uns einspringt, stellvertretend agiert, Umstän-
de spielt und darlebt, denen wir momentan noch nicht uns stellen kön-
nen. Er stellt mich nicht nur so dar, wie ich sein könnte, sondern er ist
wesenhaft vorhanden in den Ereignissen, die mich schicksalhaft treffen.
Er bedient sich inmitten meiner Darstellungen auch der Gestalten mei-
ner Mitmenschen, um sie Handlungen vornehmen zu lassen, die das-
jenige widerspiegeln, was für mich karmisch gedacht ist. So zeigt er sich
als raffinierter Ersatzschauspieler, als Clown und Komödiant, der profes-
sionell zu simulieren versteht. Die gesamte Karmasubstanz unserer ver-
knüpften Geschichte steht ihm als Werkzeug, Schminke, Garderobe und
Requisite zur Verfügung. Das Double verfügt also über unsere ganze
Karmagarderobe. Er besteht in seinen unteren Wesensgliedern aus nichts
anderem als dem, womit wir ihn in unserer Naivität ausstaffiert haben.
Also lohnt es sich, erst einmal dieser Staffage nachzuspüren, um zu er-
kennen, was er mit uns zu tun hatte und noch zu tun haben wird. Er ver-
fügt nicht nur über das so genannte Mondenkarma, das aus der Vergan-
genheit in das Jetzt hinein gespiegelt wird, sondern er kann auch Teile
des Sonnenkarmas benutzen, welches die Zukunft gestalten soll.
Mit dem Begriff Mondenkarma ist der Karmaanteil gemeint, welcher
sich in der jetzigen Inkarnation auslebt. Unter Sonnenkarma verstehe ich
das Karma, welches für künftige Inkarnationen in regulärer Weise aufge-
hoben oder gerade im Entstehen begriffen ist. Also steht der Stuntman in
einer gewissen Weise auf vergleichbarem Niveau wie der Engel. Wenn
dieser Hüter für die Anlagen meiner gesamten Individualität ist, dann ist
jener ein Hüter dessen, was ich daraus bis jetzt im Erdendasein verwirk-
licht habe.
Einige Beispiele werden zeigen, in welchen Erscheinungen das karmi-
sche Double aufzutauchen in der Lage ist und mit welchen Tatsachen
aus früheren Inkarnationen diese Erscheinungen zusammenhängen kön-
nen. Ein Musiker schaute in der Meditation die Persönlichkeit eines
281
männlichen Säufers. Dieser nahm ihn in einer Stadt mit zu einer Keller-
kneipe. Zunächst wollte er sich weiter Alkohol nachschenken lassen,
doch dann begann er mit Tränen in den Augen von seiner unglücklichen
Liebe zu erzählen. In der schönen Frau dieser unglücklichen Liebe konn-
te ein Zusammenhang des Musikers mit einer früheren Fraueninkarna-
tion erkannt werden, in welcher diese so stolz war, dass sie alle Heirats-
bewerber ausschlug. Ein anderes Beispiel: Eine Kunstlehrerin begegnete
einem ausgedörrten Bibliothekar, der sich im hintersten Winkel seiner
Regale verschanzt hatte. In einem früheren Leben hatte sie als General in
einer Wüstenstadt gelebt. Dieser hatte sich unter der Vorspiegelung eines
Selbstmords zu einem Leben inkognito gewandt, um dann theosophische
Literatur zu studieren. Ein drittes Beispiel: Eine Sozialpädagogin begeg-
nete in einer luxuriösen Villa einem aristokratischen Herrn, der immer von
Gästen umgeben war, denen er großartige Umbaupläne vorführte, wel-
che aber niemals verwirklicht wurden. In einem früheren männlichen
Leben hatte sie das ganze Familienerbe aufgebraucht und in der Folge
die Anverwandten mit in die Armut hinein gezogen. Ein sensibler Eu-
rythmist kam in Kontakt mit einem Junggesellen, der abgelegen in einer
buschigen Gegend eine Hütte ohne alle modernen Annehmlichkeiten be-
wohnte. Er wirkte ein wenig verwildert , aber er lebte trotz allem mit
sich selbst in Frieden. Anfänglich noch mürrisch, hellte sich sein Sinn in
einer gemütsartigen Weise auf, nachdem der Meditierende ihm seine
Hilfe in praktischen Dingen angeboten hatte. Zuerst half er ihm dabei,
die Toilette zu säubern. Für solch eine Arbeit war sich der feine Künstler
im Sinnesleben zu schade. Später standen dann noch peinlichere Sachen
auf dem Programm. Er durfte die Schweine hüten und ihren Stall aus-
misten. Woher diese Seite des Doppelgängers rührte, stand auf dieser
Stufe der Arbeit karmisch noch unaufgeklärt da.
Die manchmal deutlichen, aber nicht immer in einem bekannten Zu-
sammenhang einzureihenden Motive, die man solcherart imaginativ er-
blicken kann, müssen durch genaue Karmaforschung in der Art, wie sie
im 3. Teil beschrieben wurden, weiter untersucht werden. Und allmäh-
lich wird sich die Figur des karmischen Zwischenspielers aus der Fülle der
Umstände herausschälen. Werden seine Umhüllungen entfernt, wie die
Schalen bei einer Zwiebel, wird er diesmal anders als bei der Zwiebel
seinen wahren Kern offenbaren.
Den Unsichtbaren durch den Sichtbaren entdecken
Die meditativen Übungen dieser Art kannst du abwechselnd mit Übun-
gen und Beobachtungen in Alltag ausführen. Gehe eine Reihe deiner
Verwandten, Freunde und Kollegen durch. Erinnere dich verschiedener Epi-
282
soden deiner Biografie, wo du mit diesen wirklichen Menschen zu tun
hattest. Nimm solche Situationen, die dein Leben in dieser oder jener
Weise positiv oder negativ beeinflusst haben. Erinnere dich, wie die Per-
sonen gekleidet waren. Was taten sie damals, das dich berührt hat. Gege-
benenfalls solltest du mit ihnen nochmals direkt sprechen, um herauszu-
finden, in wieweit sie sich noch an Einzelheiten erinnern können.
Wenn damals dein Doppelgänger auf ihre Seelen eingewirkt hat, wer-
den sie sich höchstwahrscheinlich nicht so deutlich an die Ereignisse er-
innern. Wenn du so die Suche vornimmst, erkennst du, wann und wie er
etwas in deinem Leben angeschlagen oder dir aufgebürdet hat. Mög-
licherweise ist es auch so, dass du damals leidenschaftlich oder indigniert
auf jemand Anderen reagiert hattest. Das heißt, dass du dich nur so lan-
ge gegen dich zur Wehr setzt, wie du deine Vergangenheit und deine Be-
stimmung karmisch noch nicht gekannt hast. Hier liegt die Ursache für
sehr viele Missverständnisse und Schuldzuweisungen, die soziale Dishar-
monien nach sich ziehen.
Der karmische Double liebt das Versteckspiel. Denken wir ihn uns
einmal als menschliches Wesen; nur kennt er keine menschlich-mora-
lische Verantwortung, weil er ja nicht in gewöhnlichem Sinne inkarniert
ist. Aus diesem Grund spielt er auf der gesamten Klaviatur so genannter
lasterhafter und unmoralischer Gewohnheiten. Er spielt sich ab und zu
regelrecht als Wahrheitsverdreher auf, der sagt: Einmal ist keinmal
und Zweimal ist einmal zu viel . Sein Trachten ist manchmal an und
für sich voller Lüge, List und Ausrede. Durch seine Klugheit täuscht er
Schwindel als Wahrheit vor. Seine widerlichen Gefühle versteckt er hin-
ter Schönrednerei und Selbstbetrug. Wenn man ihn in flagranti ertappt,
verschwindet er sofort in einem Schlupfloch oder macht Ausflüchte
unter einem anderen Deckmantel. Er tüftelt immer neue Wege aus, wie
man sich in das Handeln Anderer einmischen kann, um die eigene inne-
re Unzulänglichkeit zu verschleiern. Sein Leben ist auf Scheingründen
aufgebaut und so fallen die darauf errichteten Kartenhäuser fortwährend
ein. Und danach entzieht er sich mit dem, was er als Gewinn aus all dem
ergaunert hat, sogleich dem Blick.
Diese negative Seite ist nicht alles. Er verbirgt noch weitere böse Sei-
ten, die jeder sich selbst ausmalen kann. Aber er hat auch besonders gute
Seiten, die in genauso charakteristischer Weise gefunden werden können
und sollten wie die negativen. Wie würdest du die positiven Eigenschaf-
ten deines Doppelgängers beschreiben? Vergegenwärtige dir solche bösen
und guten Attribute, die du an dir selber findest, oder solche, die du bei
Freunden und Verwandten siehst. Es sind vielfach solche, die du in frü-
heren Leben gehabt haben magst oder selbst heute noch nicht ganz über-
wunden hast.
283
 Abenteuer mit dem Stuntman
Wenn du eines Tages hoffentlich das Wesen des Doppelgängers schätzen
gelernt hast, dann ist die Zeit reif dafür, mit ihm zu verreisen , auf inne-
re Abenteuer zu gehen, ohne dass euch der Engel dabei begleitet. Suche in
der Seelenwelt allerlei Orte auf, wo du mit ihm zusammen üben kannst,
Schwierigkeiten zu überwinden. Es wird sich herausstellen, dass er die-
selben Eigenschaften besitzt, die du als Wesenszüge der drei Seelentiere
gefunden hast. Aber er hat sie auf eigentümlich menschliche Weise.
Mache unter Umständen Reisen oder Ausflüge, zu denen ein Tier
mitkommt. Nimm alles an, was dir vorher unangenehm war, setze dich
Nöten und Schwierigkeiten aus, die du im normalen Leben noch nicht
bewältigen kannst. Schaue, wie dein Begleiter dir hilft, etwas anzuneh-
men, durchzumachen und darin beharrlich zu bleiben. Übe dich mit ihm
in den verschiedenen Elementen. Fahre mit dem Schiff auf das Meer
hinaus. Wie verhältst du dich, wenn ein Sturm kommt? Was machst du,
wenn deiner Hütte eine Überschwemmung droht? Was tust du, um einen
Waldbrand zu löschen? Wie verhältst du dich im Gebirge, wenn eine
Lawine kommt? Gehe dann mit ihm in die vergangenen Inkarnationen,
um Ebenen zu erforschen, die das Doppelgängerphänomen im Zwi-
schenmenschlichen anno dazumal aufzeigen könnten. Untersuche, wie
du verschiedene Schwierigkeiten gemeistert hast oder wie du durch sie
gezwungen warst, dich unmoralisch oder unüberlegt zu verhalten. Unter-
suche Krankheitsepidemien, Hungersnöte, Kriege, Naturkatastrophen,
Mordkomplotte und andere soziale Bedrohungen, die du vermutlich
irgendwann miterlebt oder gar selber mit inszeniert hast. Wann und wie
hast du versagt? Wann und wie bist du ein Held geworden? Inwiefern
wirkte der karmische Doppelgänger in diesen Geschehen?
Voratlantische Stufen
Wenn du die Ereignisse zurück in die atlantische Zivilisationszeit ver-
folgst, wirst du höchstwahrscheinlich auf eine Schlüsselinkarnation stoßen,
innerhalb welcher du damals einen Teil deines Ich-Wesens das erste Mal
als Einschlag ins Tagesbewusstsein empfangen hast. Dieser Vorgang ist
vergleichbar mit dem Ereignis, wenn ein Kind um das dritte Lebensjahr
sich zum ersten Mal selber ich nennt. Ein Kind und ein Jugendlicher, die
noch nicht zum eigenen Ich erwacht sind, brauchen von Eltern, Ver-
wandten, Vorgesetzten und Lehrern die nötigen Vorbilder und die Hilfe,
um ihr Leben ethisch im Griff zu kriegen.
Vergleichbar durchlebte man normalerweise auch seine Inkarnationen
zu atlantischer Zeit ab vor ungefähr 20.000 Jahren bis hinein in das dritte
284
nachatlantische Kulturzeitalter (um 3000 650 v. Chr.). Das vollzog sich
innerhalb von Gemeinschaften aller Art, welche die Ich-Entwicklung för-
derten. Zuerst waren es Inkarnationen innerhalb von Kulturen, die die-
sem dritten Kulturimpuls entsprachen. Danach erreichten wir diejenige
Ich-Phase, welche mit dem Erwachsenwerden um das 21. Lebensjahr
verglichen werden kann. Seitdem wurde eine allgemeine Individualisie-
rung in der karmischen Entwicklung maßgebend. Bei führenden Indivi-
dualitäten fing der Beginn dieser Phase schon in atlantischer Zeit an.
In der unsichtbaren übersinnlichen Nähe wirken der Schutzengel, der
Stuntman und andere Wesen mit, so dass die individuellen und karmi-
schen Aufgaben eines jungen Menschen nicht unterbrochen werden. Für
einen Menschen, der schon in der lemurischen* Zeit seine Inkarnations-
reihe begonnen hat, aber erst gegen die Mitte des Atlantis oder etwas
später seinen ersten Ich-Einschlag aufnahm, wurde einerseits durch
Gruppenseelenwesen gelenkt, anderseits aber durch das ihm beigeordne-
te Wesen des späteren Doubles gehütet. Dieser Faktor gestattet es, solche
weit zurück liegenden Leben in Lemurien zu schauen und sie bis in De-
tails der Umstände zu verfolgen, wie ich es auch in meinem ersten Buch
exemplifiziert habe.
Die atlantische Schlüsselinkarnation
Der kosmische Ursprung des karmischen Doppelgängerwesens bleibt bei
dieser Stufe des Übens noch verhüllt. Eine Annäherung zum Entschlei-
ern findest du, wenn du die Kraft entwickelst, eine solche Inkarnation in-
nerhalb der atlantischen Zivilisationen zu verfolgen, die als ein Schlüssel-
oder Modelleben bezeichnet werden kann, weil es musterhaft ganz ver-
schiedene Aspekte des Menschseins in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft zur Abbildung brachte.
In gewisser Hinsicht macht der Mensch innerhalb jeder Entwicklungs-
phase über mehrere Inkarnationen oder sogar innerhalb eines Lebens die
gesamte Menschheitsentwicklung immer wieder durch. Das bedeutet,
dass z. B. der Schritt in die allererste Inkarnation, der bildlich als die
Austreibung aus dem Paradies bezeichnet werden kann, in wiederkehren-
den Spiegelungen durchlebt wird. Meiner Ansicht nach hatten sehr viele
Individualitäten vielleicht alle , die schon in Lemurien Inkarnatio-
nen hatten, seit etwa der Mitte der Atlantis eine Inkarnation, die diesen
Schritt zur Verkörperung in sehr markanter Weise nochmals bis in die
äußeren Lebensumstände nachbildete. Insbesondere mussten die Indivi-
duen für allerlei Aufgaben ihre Hauptgruppe verlassen. Oder sie mussten
Prüfungen bestehen, in denen ihre bisher ausgelebten Fähigkeiten magi-
scher Art sie in eine innere Enge führten. Manche verloren sie ganz. In
285
solchen kritischen Probezeiten war es höheren, hierarchischen Wesen in
Zusammenklang mit den Eingeweihten unterschiedlicher Orakelstätten,
die in geistigem Austausch mit dem so genannten Sonnenorakel standen,
möglich, die untere menschliche Ich-Wesenheit einem Individuum ein-
zugliedern.
Mache dich durch Meditation bereit, diese bestimmte Inkarnation für
dich zu entdecken. Finde heraus, welche werktätigen Fähigkeiten du be-
saßest und welchen Beruf du ausgeübt hast. Dabei wirst du sehen, mit
welchen Elementen du hauptsächlich zu tun hattest und welche Geräte,
Werkzeuge oder Hilfsmittel du dazu benutzen durftest. Bei ausdauernder
Erforschung in den geistigen Regionen sowohl innerhalb dieses Atlantis-
lebens als auch in den vorbereitenden Geistzuständen vor dieser Inkarna-
tion wirst du sicherlich auch die planetarische Region ausfindig machen,
die mit deinem Beruf innerlich zusammen gehörte. In meinem ersten
Buch habe ich solche Zusammenhänge für mich angedeutet, indem ich
das Leben des Schamuradhin beschrieb, die dir bei diesen Vorhaben als
Musterexempel dienen könnten.
Dein karmischer Doppelgänger wirkte damals mehr als ein Vermittler
zwischen dir und deiner naturbedingten Umwelt, weniger als ein Wesen,
das dir soziale oder karmische Störungen zufügte. Deine karmische Last
war derzeitig so gering, dass er hauptsächlich in der Art eines Elementen-
wesens förderlich wirken konnte. Statt außerhalb deines Wesens oder im
sozialen Kontext aufzutreten, lebte er mit und in deinem Ätherleib darin-
nen. Er stellte sozusagen deine verlängerten Gliedmaßen in die elemen-
tarische Welt dar. Er war das Bindeglied zwischen dir und den Elemen-
tarwesen, die in deiner von göttlichen Wesen durchdrungenen sehr le-
bendigen, umgebenden Natur existierten.
Nun wurde dieser Hirte der Elementargewalt wie wir ihn nennen dür-
fen, also der spätere karmische Doppelgänger durch Eingriffe von
Eingeweihten, die dich in dieser Zeit erzogen, meist etappenweise oder
in einigen Fällen auch geschwind von seinem Träger getrennt. Von sei-
ner einstigen Hüterfunktion wurde er für Jahrtausende entbunden. Die
Initiierten, die selber von führenden Geistwesen aus den höheren Hierar-
chien gelenkt wurden, hatten schon solch eine Entwicklung in einem
vorangegangenen Leben durchgemacht. Sie durften jetzt bei anderen
Menschen dasselbe Geschehen überwachen. Wenn du verfolgst, wie
diese Behandlung und deren Folgen für dich wurden, wirst du auch den
Charakter deines Doppels vor und nach diesem Ereignis anschauen kön-
nen. Nicht nur für dich bringen diese Forschungen oder überhaupt die
Karmaforschung und die Geistesschulung neue Erkenntnisse, sondern
das Wesen des Doppelgängers erobert sich dadurch ein Stück Selbst-
bestimmung, so dass er als geistiges Wesen ebenfalls etwas für sich selbst
tun kann. Er wacht innerhalb deiner Imaginationen gleichsam auf, so
286
dass er die Wirklichkeit deines Engels zum ersten Mal seit Atlantis wieder erlebt .
Das erlaubt dem Engel, sich ihm zu nahen und ihm, dem karmischen
Doppel, eine solche Weihe zu geben, dass dieser wieder ein Hüter im
weiteren Sinne werden kann.
Der karmische Doppelgänger und gesellschaftliche Verstrickungen
Die meisten Menschen, mit denen ich karmisch gearbeitet habe, er-
zählen von verschiedenen sozialen Verstrickungen, welche manchmal
schwierige Etappen der eigenen Biografie bedeuteten. Beim Durcharbei-
ten solcher Probleme mit anderen Menschen zeigt es sich meistens, dass
es nicht leicht ist, im Nachhinein das Geschehen auf die bewussten
Handlungen der Beteiligten zu reduzieren. Oft entdeckt man ein so ge-
nanntes irrationales Handeln bei sich oder bei den Anderen, das mit den
Komponenten des eigentlichen sozialen Konflikts nicht in Übereinstim-
mung steht.
In den letzten Jahren konnte ich mehrere Konflikte z. B. in gemein-
nützigen Einrichtungen durch die Berichte von mehreren Beteiligten, mit
denen ich Karmaarbeit gemacht hatte, mitverfolgen. In einem Fall wur-
de ich selber indirekt involviert, weil ich mehrere der Mitarbeiter in der
betreffenden Einrichtung kennen gelernt hatte, da viele von ihnen zu
einer Seminararbeit mit mir über Wege zur Karmaerkenntnis gekommen
waren. Im Laufe von ein paar Jahren entstand dabei eine soziale Span-
nung, weil die karmischen Erkenntnisse, die einige Teilnehmer des Semi-
nars aus übersinnlichen Erfahrungen erhielten, von einigen anderen Mit-
arbeitern, die an solch einer Art von Karmaarbeit nicht teilnehmen woll-
ten, als unerträglich empfunden wurden. Nicht nur zwei Gruppen ent-
standen, die sich mit der Zeit gegenseitig seelisch voneinander abgrenz-
ten, sondern sogar Teilnehmer, die zunächst von der Seminararbeit für
sich persönlich viel Positives erlangt hatten, schlossen sich später der
Fraktion an, die sich diesem Impuls der Karmaforschung entgegensetzte.
Mit der Zeit wurde es deutlich, dass besonders drei Persönlichkeiten im
Zentrum des Streits standen. Es waren eine Frau und zwei Männer, hier
Marie, Claus und Waldemar genannt. Marie und Claus nahmen vom An-
beginn an den Seminaren teil. Waldemar war nie dabei und er hielt sich
auch von den weiteren Aufklärungsdiskussionen fern. Durch die Semi-
nararbeit und die vielen Gespräche dabei entwickelte sich zwischen Ma-
rie und Claus eine Festigung der seit Jahren schon vorhandenen Freund-
schaft, die auch den Ehemann von Marie, hier Bernt genannt, betraf.
Anfangs nahm Bernt an den Seminarien nicht teil, aber später schloss er
sich der Arbeit an. Nach einiger Zeit aber brach Claus die begonnene
Karmaarbeit ab und die Freundschaft zu Marie und Bernt drehte sich
287
bald in eine erschütternde Gegnerschaft um, weil er sich den kritischen
Meinungen von Waldemar anschloss.
Meiner Erfahrung nach fördert nur eine aufrichtige, meditative Arbeit
Inhalte über solche sozialen Schwierigkeiten zu Tage, die auf karmische
Hintergründe zurückzuführen sind, an welchen nicht nur die karmischen
Doppelgänger, sondern noch andere, dämonische Doppel beteiligt sind.
Auf sie komme ich unten noch zurück. Diese Wesen treiben voll Vergnü-
gen ihr Spiel, ohne dass die hiervon Betroffenen solches durchschauen,
weil sie sich inmitten von Gefühlskämpfen befinden. Wenn man aus spi-
rituellem Wissen etwas von dem Wesen des karmischen Doppels kennt,
gelingt es einem trotzdem zunächst oftmals nicht, dessen Treiben zu
durchschauen. Man wirft dann in der Regel seinem menschlichen Ge-
genspieler unsachliche und negative Kritik vor, die gegenüber der per-
sönlichen Auseinandersetzung, um die es geht, übertrieben erscheint. Da-
her verpasst man dort, wo es auf Voraussetzungslosigkeit ankommt, die
Gelegenheit, diesbezügliche Doppelgänger zu erkennen. Demzufolge
entwickelt sich oftmals die abstruse Situation, dass jemand heute für eine
Tat verurteilt wird, die er nicht in diesem, dafür aber mit Sicherheit in einem frü-
heren Leben begangen hat. Ich selbst wurde einmal von einer Waldorfschu-
le als unerwünscht geheißen, weil ich beschuldigt wurde, Schülerinnen
der neunten Klasse belästigt zu haben. In einem Brief zwei Monate nach
der Unterrichtsperiode wurde ich mit der Anklage konfrontiert, ohne
dass mein Bericht beachtet wurde, und keine Lehrer und keine Freunde
am Ort waren geneigt, eine Aufklärung zu suchen. Nicht gegenwärtig,
sondern vor ungefähr 3230 Jahren habe ich eine eigenmächtige Tat be-
gangen, die anno dazumal ein solches Urteil hätte rechtfertigten kön-
nen.128
Wenn die Beteiligten keine Karmaarbeit betreiben, können sie nicht
wissen, was dereinst geschehen ist, aber die Doppelgänger wissen es. So
wird nicht aus bösen Absichten unserer Doppelgänger etwas Altes ver-
kapselt beschworen, sondern auf diese Weise wird sozusagen eine Frei-
heitsmöglichkeit hervorgerufen. Hieraus kann sich dann eine Perspektive
mit ihren Vergangenheiten als Maßstab für die aktuellen Vorgänge öff-
nen. Im oben erwähnten Fall wurde es möglich, mit Marie, Bernt und
einem fünften Mitarbeiter, der später in die harten Auseinandersetzun-
gen mit der Partei von Waldemar und Claus einbezogen wurde, ausge-
dehnte karmische Untersuchungen anzustellen. Ein Bericht über diese
Verstrickungen, die über mehrere Inkarnationen gehen, würde füllen ein
ganzes Buch allein. Deswegen genügt es hier, nur einen einzigen Aspekt
des komplizierten Zusammenhangs zu erwähnen, der mit unserem The-
ma direkt zu tun hat.
128
Siehe Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 205f.
288
Als Drahtzieher des Ganzen habe ich einen Doppelgänger von Claus
bemerkt, der sich anlässlich gewisser Konfrontationen einen Makel zuge-
zogen hatte, der aus Tempelzusammenhängen der ägyptisch-chaldäi-
schen Zeit etwa 1400 Jahre vor Christus zwischen der damaligen
Marie und dem damaligen Waldemar herrührte. Dieser Makel hatte sich
bis heute durch viele Inkarnationen immer weiter verschlimmert. Als
legale Hohepriesterin wurde Marie damals durch Eingriffe von Claus
er war in jener Zeit ein Mitglied des Magistrats aus dem maßgeb-
lich von Frauen geführten Tempel vertrieben. Es ging dabei um Streitig-
keiten bezüglich notwendiger Entwicklungsmaßnahmen. Ihr Nachfolger
wurde Waldemar , der damals noch ein jüngerer Priester war. Die Ver-
änderungen innerhalb des Tempels führten nicht nur dazu, dass viele an-
dere Frauen abgesetzt wurden, sondern auch dass die Stadtbevölkerung
einen Aufstand machte, weil die frauenärztliche Versorgung sich durch
die ungebremste Reformsucht Waldemars verschlechterte. Zusätzlich
kam eine Pest auf, die u. a. den Claus mit einer unheilbaren Hautverlet-
zung befiel. Durch seine Standhaftigkeit, am Leben bleiben zu wollen,
beraubte er seinen Doppelgänger sozusagen seiner Haut . Das bedeute-
te, dass dieser übermenschlicher Schwamm wurde, der befähigt war,
Gutes wie Bösartiges in sich aufzusaugen, ohne dass Claus sich dage-
gen wehren konnte, auch wenn er durch viele Inkarnationen hindurch
immer wieder eine vorzügliche Fähigkeit entwickelte, auf spirituelle Auf-
gaben und klerikale Verfahren mit Kennerschaft einzugehen.
Einesteils war Claus in der betreffenden Einrichtung einer der Ersten,
der die Karmaarbeit bei sich ernsthaft aufgriff, hingegen war er auch
derjenige, der, als es zu kränkenden Kontroversen kam, keine Neigung
mehr hegte, diejenige Rolle als Vermittler zu übernehmen, welche er aus
verschiedenen karmischen Hintergründen heraus und bezüglich seiner
heutigen Stellung als einer dieser Ersten hätte ergreifen müssen . Viele
Beteiligte konnten nicht nachvollziehen, weshalb Claus ein solcher Ver-
sager wurde. Nur der Blick auf seinen Doppelgänger hätte enthüllt, dass
er voller Abneigung gegen bestimmte karmischen Gesetzmäßigkeiten
war.
Der Schutzengel und die karmische Doppelgestalt
In diesem Zusammenhang wäre es einsichtig, die geistigen Forschungen
von Daskalos über Erzengel und Engel mit denen von Rudolf Steiner zu
vergleichen. Es hat vordergründig den Anschein, dass Daskalos Ausfüh-
rungen den Darstellungen von Steiner widersprächen. Auf den zweiten
Blick sieht man, dass sie eine neue Verständnisperspektive zur Evolution
unter geistigen Wesen eröffnen, die der Anthroposophie nicht nur nicht
widerspricht, sondern vielmehr weitere Aspekte der Beziehungen zwi-
289
schen Erzengeln, Engeln und Menschen enthüllt.129 Leider sprengt eine
detaillierte Darstellung solcher Bezüge den Rahmen dieser Schrift. Es
bleibt zu hoffen, dass eine zukünftige Geistesforschung hier neue Klärun-
gen schafft.
Mir ist indessen aufgefallen, dass der karmische Double nicht nur aus
dem Verhalten des zu ihm gehörenden Menschen hervorgegangen sein
kann, da er sozusagen vor diesem den Schauplatz der Reinkarnation be-
trat. Ist er vielleicht ein Abkömmling des Schutzengels? Ich beantworte
diese Frage mit: Wahrscheinlich! Ein Erzengel oder der Engel erschuf
ein solches Wesen, ehe sein Mensch in die erste Inkarnation eintrat. Ich
stelle fest, dass mein karmischer Doppelgänger, dessen Namen ich in
meiner karmischen Autobiografie mit Schilbur angegeben habe, meinen
Schutzengel als Pate hatte, ehe er durch meine Inkarnationen hindurch
die Stufenleiter zum Erwachsensein erklommen hat. Da es im Zuge
einer solchen Entwicklung einem Kind vergleichbar, das auch durch
eine lebhafte, dramatische und von Übermut charakterisierte Jugend-
phase hindurch muss zur Begegnung mit vielen Gefahren, Hinder-
nissen und Problemen kommt, könnte diese Art Doppelgängerwesen
zwischendurch auch gestrauchelt sein, selbst bis dahin, dass es sozusagen
seiner eigentlichen Aufgabe untreu geworden wäre, die ja darin bestand,
dem Menschen die notwendigen Korrekturen zu präsentieren.
Wenn in der Geistesschülerschaft die Stufe erreicht worden ist, dass
der karmische Doppelgänger wieder als Hüter auftreten kann, das heißt,
dass man bewusst seine Beziehungen zu sich selbst in früheren Leben
und in der Gegenwart verfolgen kann, so dass man erkennt, was er für
einen bewirkt hat und heute bewirkt, dann bedeutet das, dass er in einer
gewissen Hinsicht die Funktion eines Schutzengels ausfüllen könnte. Der
Engel würde dadurch eine gewisse Befreiung erfahren. Das bedeutet
nicht, dass dieser sich ab jetzt total von einem zurückziehen würde, aber
er würde seine Aufgabe gegenüber der Individualität des Menschen so
weiter vollziehen, dass er sein Augenmerk mehr auf die Umsetzung der
Folgen aus deiner geistigen Selbstständigkeit für die geistige Welt richten
würde. Früher musste er mehr die Impulse der geistigen Welt in dich
hineintragen, damit sie den irdischen Zuständen geeignet werden sollten.
So aber würde er die Folgen der menschlichen Geisttaten im Erden-
dasein in die geistige Welt hinaus tragen.
Somit kann es erkannt werden, dass der geläuterte Doppelgänger eng
mit der Entwicklung der Freiheit verbunden ist. Was der Mensch quasi
129
Stylianos Atteshilis ( Daskalos ), Esoterische Lehren. Die Botschaft des Magos
von Stravolos , Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, München 1991. Knaur
Esoterik 4279. Rudolf Steiner, Vom Wirken der Engel, Verlag Freies Geistes-
leben, Stuttgart 1991.
290
zwischen Doppelgänger und Engel innerhalb eines Erdenlebens als freie,
schöpferische Tat vermag, wird der geistigen Welt als ein neuer Kosmos
entgegen leuchten. Zu dem Urkosmos der Hierarchie stellt sich der
menschliche Kosmos der aus freier Liebe geschaffenen Anarchie oder
mit einem Begriff von Rudolf Steiner: des ethischen Individualismus.
Der kleine Hüter oder der karmische Botschafter, wie wir ihn von nun an
auch nennen können, würde also etwa wie ein Engel anfangen, wirken
zu können. Dies kann er aber nur, indem man ihn lehrt, wie ein Engel
wirkt. Ihm ist zwar seine Aufgabe bekannt, aber man hätte selbst die
Verantwortung dafür zu übernehmen, dass er all das aufnimmt, was man
selbst schon vom Engelwirken erkannt hat. Folglich ergäbe sich die Si-
tuation, dass der kleine Hüter einerseits beim Menschen in eine Engel-
schule einträte, zugleich aber auch in seiner neuen Aufgabe tätig zu wer-
den hätte.
Was geschieht, wenn die Einweihung fehlschlägt?
Würde sich ein Mensch diesem Lehramt nicht stellen, dann klinkten
sich andere Wesen, auf die ich im 7. Teil noch zurück komme, sofort in
diese Obliegenheit ein. Sie aber haben keinerlei Interesse am Fortschritt
und an der absoluten Entwicklung des Menschen. Deswegen lauert auf
dieser Stufe der geistigen Schulung die Gefahr, dass der Fortgeschrittene
die bisher eingeschlagene positive Richtung verlässt und zu einem Übel-
täter in geistigem Sinne abdriftet.
Jenseits der sinnlichen Welt gibt es durchaus nicht bloß gute Götter,
sondern es gibt auch Götter, welche den Interessen der Menschen, wie
man sie gewöhnlich ansieht, durchaus zuwiderhandeln. So dass man
durchaus nicht glauben darf, dass derjenige, der ein wirklicher Einge-
weihter ist, nur aus guten Motiven heraus zu handeln braucht.130
In der Geistesgeschichte gibt es mehrere Beispiele von Menschen, die auf
einer bestimmten Stufe ihrer Einweihung gescheitert sind, so dass ent-
weder in derselben oder in einer Folgeinkarnation eine böse Auswirkung
eintrat. Die innere Umkehrung, von der ich im 3. Teil berichtet habe, ist
zumeist das Geschehen, welches bei jemandem misslungen ist, das dann
das Schwarzmagische in ihm zugelassen hat. Der Wille zum Guten
wird beinahe ganz aus seiner Seele gelöscht. Somit tritt sozusagen beim
Schwarzmagier dasjenige, was unreif und verworren war, aus früheren
Inkarnationen wieder zutage, was völlig abgeklungen sein sollte.
130
Rudolf Steiner, Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis, GA
191, Dornach 1983, Seite 104.
291
 Es erscheint folglich als wichtige Aufgabe, Beispiele von solchen geis-
tig unzuverlässigen, machtsüchtigen oder grausamen Individualitäten,
die zu Schwarzmagiern geworden sind, aufzuzeigen. Denn hierdurch
kann ihnen jene Hilfe auf indirekte Art gebracht werden, die sie
benötigen, um ihre einstigen Fehltritte wieder zu korrigieren. Es wäre
vermutlich angebracht, hier einige Beispiele zu bringen, um diese These
zu illustrieren. Nur andeutungsweise möchte ich ein paar Zielangaben
machen, wo und in welchem Menschenumkreis z. B. weiter geforscht
werden könnte. Eine gesonderte Darstellung wäre nötig, um die Kom-
plexität solcher Menschenseelen und deren Machenschaften zu beleuch-
ten, so dass keine unbegründeten Behauptungen aufgestellt werden.
In dem englischen Adelsmann, Philip Henry IV. Earl of Stanhope (1781
1853), meistens Lord Stanhope genannt, der zuerst hilfsbereit, dann feind-
selig in dem Geschehen um Kaspar Hauser in den Jahren um 1830 auf-
trat, sehe ich einen Machtspieler, der eigenmächtige Magie benutzt ha-
ben könnte. Mit Geschick bewirkte dieser britische Geheimagent , das
Bewusstsein vieler Menschen, die mit Kaspar Hauser zu tun hatten, ab-
zudämpfen, damit die positiven Wirkungen, die von Hausers engelhafter
Seele ausgingen, nicht eine größere, soziale Reichweite bekommen soll-
ten. Ein anderer Politiker, der meines Erachtens auch als fragwürdig ge-
wirkt hat, war Wladimir Iljitsch Lenin (1870 1924). Nicht so sehr wäh-
rend des Lebens, sondern nach seinem Tod sich verschärfend, hat sein
anrüchiger Einfluss einen gewaltigen Entfaltungsraum hervorgerufen.
Durch die Art, wie er durch seinen Leichnam über Jahrzehnte dank der
kommunistischen Diktatur unter Josef Stalin eine Art Apotheose erfuhr,
konnte er den Seelen von Millionen Menschen, die ihn als positiven Pio-
nier verehrten, antimenschliche Tendenzen einflüstern. Wäre seine Bal-
samierung nicht erfolgt, hätten wahrscheinlich weniger Millionen Men-
schen in den sibirischen Konzentrationslagern einen so grauenhaften
Tod erfahren.
Würde man einen Eingeweihten oder Meister, dessen Initiation nur
zum Guten resultiert, geistig anschauen und ihn nach seinem befreiten
und verwandelten karmischen Doppelgänger befragen, dann würde man
entdecken, dass dieser Hüter neben dem weiteren Dienst an seinem ehe-
maligen Träger selbst auch ein spezifisches Leben im Übersinnlichen
führt. Es wäre nicht einmal leicht, ihn in seiner imaginativen Erschei-
nung vom Schutzengel eines durchschnittlichen Menschen zu unter-
scheiden. In manchen Fällen ist es so, dass solch ein einstiger Doppel-
gänger viel höher steht und tugendreicher ist als etwa der Engel eines
Menschen, der es über mehre Inkarnationen hin unterlassen hat, sich
offen zu halten für eine geistige Welt, die sich progressiv der Menschheit
jederzeit zuwendet.
292
Unerträgliche und böse Doppelgänger
Das Doppelgängertum ist ein Phänomen, das mit uns selbst zu tun hat.
Entweder schafft ein Doppelgängerwesen für oder bei uns etwas mehr
oder weniger Berechtigtes. Oder er bewirkt Phänomene solcher Art, die
deshalb zur Wirksamkeit gelangen, weil wir selbst aus irgendeinem
Grund dafür die Verantwortung tragen, aber so angelegt sind, dass sie
uns noch mehr Schaden zufügen würden, wenn sich uns nicht ein Aus-
weg aus dem Dilemma öffnete.
Es wäre beispielsweise möglich, dass körperliche Krankheitssympto-
me oder psychische Probleme auftauchen, die ohne Karmaerkenntnis
nicht zu behandeln sein könnten. Sie erscheinen deshalb, weil jemand
zwei Astralleiber trägt, die einander durchdringen. Menschenunwürdige
Handlungen in einem letzten Leben könnten dazu geführt haben, dass
der Astralleib dieses Vorlebens nach dem Tod nicht aufgelöst wurde und
deshalb in die jetzige Inkarnation mit hinein getragen wurde. Dieser alte
Astralleib würde dann so herumspuken, dass man eine Art Verfolgungs-
wahn bekäme. Auch unerlöste Astralleiber oder seelische Splitter von
anderen Menschen können eine solche Durchdringung suchen und viel
Unheil anrichten. Die parapsychologische Forschung kennt zahllose sol-
che Fälle, auch wenn dieses Phänomen dort oft anders erklärt wird.
In der Anthroposophie werden sogenannte luziferische, ahrimanische
und asurische* Wesen beschrieben, die von einer ordentlichen Entwick-
lung abgefallen oder abgestiegen sind. Es können Wesen aus der Ebene
der Naturwesen sein oder Engel und Erzengel usw., deren Wirken nicht
mehr im Einklang steht mit der einstmals geplanten, guten Entwicklung
der Erde und der Menschheit. Sie treiben ihr Unwesen meist in abge-
grenzten Gebieten der Welt, die von den übergeordneten Schöpfermäch-
ten dafür vorgesehen sind. Allerdings versuchen sie immer wieder, diese
Einschränkungen zu durchbrechen und auch zu immer größerer Macht
und Attraktion unter den Menschen zu gelangen. Wenn solche Wesen
sich dauerhaft bei einem Menschen festgesetzt haben, kann man z. B.
von Dämonen oder luziferischen und ahrimanischen Doppelgängern
sprechen. Bei Rudolf Steiner gibt es außerdem viel Aufschlussreiches zu
diesem Thema nachzulesen.131 Im nächsten Teil gebe ich ein Übungs-
schema, anhand dessen du entdecken, zähmen und eventuell für eine
spätere Bearbeitung zunächst einmal herauswerfen kannst solche We-
sen, die bei dir oder anderen Unfug treiben.
131
Rudolf Steiner, Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13, Dornach 1979. Ru-
dolf Steiner, Individuelle Geistwesen und einheitlicher Weltengrund, GA 178, Dor-
nach 1980, Seite 59ff. Rudolf Steiner, Der innere Aspekt des sozialen Rätsels. Luzi-
ferische Vergangenheit und ahrimanische Zukunft, GA 193, Dornach 1977.
293
 7.
Geistige Betreuer und Widersacher

Ich bin,
Vergebe mir meine große Stille,
Ich knie Tag und Nacht in eurem Sein,
Durchweht, durchtobt von eurem Wunsch und Wille,
Halt ich die Waage zwischen Lust und Pein.132

Emma Krell-Werth

132
Zitiert nach: Gudrun Stoewer (Hrsg.), Engelwirken Engelspuren. Engel in
Kunst und Dichtung, Ogham Verlag im Verlag am Goetheanum, Dornach 1992.

294 295
Geistwesen, die mit der göttlichen Weltenordnung angeblich ins Un-
gleichgewicht geraten sind, machen unter den Menschen manchmal gro-
ßen Unfug und sinnloses Getöse aus Dingen, die anfangs geringfügig
waren. Es ist nicht die Aufgabe, hier die komplizierten Hintergründe des
Auftauchens des so genannten Bösen in der Weltentwicklung aufzuklä-
ren. Dafür gibt es genug Literatur.133
Auf dieser Stufe seiner Schulung hat es der Geistesschüler aber nötig,
aus eigener Betrachtung zu wissen, was er wegen der Gewerke solcher
Widersacher in der Vergangenheit in seinem eigenen Wesen zusammen-
getragen hat. Gleichgewicht, Übereinstimmung, Balance, Konkordanz,
Gleichklang, Harmonie, Ausgleich, Identität, Kongruenz, Zusammen-
fall, Korrespondenz sind Begriffe, die einerseits etwas beschreiben, was
innerhalb einer aus hierarchischer Ordnung realen Zusammengehörig-
keit besteht, wo jedes Glied aus einem Zusammenhang von gemeinsa-
men Aufgabestellungen handelt, andererseits wird ein Zustand umschrie-
ben, der zwischen polaren Gegensätzen erscheint, um auszuhelfen, ein-
zugreifen oder zu ebnen.
Eine Waage, die aus zwei Waagschalen, einem Waagebalken und
einem Hebelarm besteht, ist ein Gerät, welches diese Tätigkeit der Har-
moniebildung versinnbildlicht. Es könnte angebracht sein, bevor du die
weitere meditative Arbeit ausübst, dass du dich mit der Idee und dem
Gerät der Waage beschäftigst gemäß der Übung mit der Sicherheits-
nadel im 2. Teil , weil immer wieder der innere Zustand des Gleich-
gewichts herstellt werden muss, zumal markante bis zerreißende see-
lisch-geistige Gegensätze sich beim Erringen höheren Bewusstseins be-
merkbar machen. Ja, die geistigen Zwiespalte, die von geistigen Wesen
aller Art um des Menschen Willen entstehen, sollen sogar bewusst ge-
sucht werden, damit bestimmte neue Erkenntnisse erlangt werden kön-
nen und bestimmte Fähigkeiten entwickelt werden sollen.
Aus der Kunst- und Kulturgeschichte können verschiedene Motive
studiert werden, die mit dem Thema Balance zu tun haben, aber auch
sportliche Spiele und andere Beschäftigungen wie Turnen, Segeln, Berg-
steigen, Segelfliegen usw., die das sinnliche Gleichgewicht und die Be-
schäftigung mit der Schwerkraft fördern, können Ideen zu inneren Har-
monieübungen geben. Folgend möchte ich zu einer Steigerung der in den
vorigen Teilen gegebenen Übungen und Meditationen ermutigen. Erst
wenn du ausreichend imaginative, inspirative und eine Handvoll intui-
tive Erfahrungen gesammelt hast und dich selber einschätzt, genügend
reif dafür zu sein, sollst du die folgende Arbeit anfangen. Es ist auch an-
gebracht, in dieser Reihe die Strenge, die Genauigkeit und die Sorgsamkeit,
133
Siehe z. B.: Hans-Werner Schröder, Der Mensch und das Böse. Ursprung, Wesen
und Sinn der Widersachernächte, Urachhaus Verlag, Stuttgart 1984.
296
die du schon kennst, weiterhin einzuhalten und die Handlungen, die ge-
macht werden sollen, Schritt für Schritt auszuführen, weil eine Eigen-
dynamik, die aus dem Geistigen kommt, auftauchen kann, die du sonst
nicht meistern wirst. Es heißt damit nicht, dass du schon früher Arten
von imaginativer Eigendynamik nicht erlebt hast, aber jetzt werden Aus-
wirkungen kommen können, die das einst Erlebte weit übertreffen und
dich in bis jetzt unbekannte Schwankungen versetzen können.
Was im 1. Teil zur Numerologie angedeutet wurde, wird hier aufgegrif-
fen und in Verknüpfung gebracht mit dem Gebiet, das mit den Chakren
zu tun hat. Die geistigen Gesetze des Künstlerischen bekommen dadurch
einen neuen Sinn, in dem sie für den Meditierenden so erscheinen, dass
sie ihre wahre geistige Bedeutung offenbaren können.
Das dritte meditative Bauwerk der geistige Tempel
Wir haben immer wieder mit Kunst- und Naturformen gearbeitet, und in
karmischen Schauungen sind Reihen von verschiedenen Beispielen dir
wohl gegeben worden, wie du in früheren Leben mit und zwischen die-
sen Polaritäten der Schöpfung gelebt hast. Mit den Worten der Evan-
gelien heißt es, dass der Mensch nicht in den Himmel kommt, wenn er
nicht wieder wie ein Kind wird. Das bedeutet buchstäblich, zu spielen
oder sich künstlerisch zu verhalten. Von nun an wirst du alles, was du bis
jetzt in deiner meditativen Arbeit erfahren hast, gewissermaßen durch
die feinste Kunstfertigkeit und die ernsteste, spielerischste Meisterschaft
einsetzen müssen, um neue Stufen der geistigen Objektivität zu erreichen
und in bis jetzt nicht erlebte Tiefen der karmischen und geistigen Zusam-
menhänge deiner Wesenheit hinunter zu steigen.
Auf und in der Gegend der so genannten geistigen Insel des Urbilds
der Individualität sollen die weiteren Übungen, Verrichtungen und Um-
wandlungen stattfinden. Gehe einmal, wenn du viel Zeit und genug Ru-
he hast, mindestens ein paar Stunden, mit dem Engel zur geistigen Insel.
Hinter dem Urbild, das du schon kennst, gibt es eine große Wiese ,
einen großen Platz oder einen Hügel . Gehe dorthin. Der Engel stellt
sich nun vor dich, so dass er auf dein Urbild, das jetzt hinter dir ist, hin-
schaut. Weil er ein geistiges Wesen ist, das als Geistgestalt keine Abgren-
zung nach außen bewirken muss, kannst du bei ihm einmal um eine in-
nerliche, eine zusammengehende Begegnung anfragen.
Anfangs so wie in jeder dynamischen Meditation sollte aus dem
Gewahrwerden des Alleinseins eine innere Ruhe sich entwickelt haben,
die z. B. einer Morgendämmerung ähneln kann. Die Ruhe breitet sich
allmählich so aus, dass allerlei Erinnerungsfragmente aufziehen können,
zum Beispiel eine, bei der du dich mit herrlicher Aussicht an der Ostsee
297
aufhieltest. Wenn solche Gedächtnisinhalte sachlich vorbeigelotst sind,
wächst die Gelassenheit an. Sie macht den inneren Standort hell, als kä-
me der Sonnenaufgang. Die Helligkeit kommt nicht vom außen, sondern
sie stammt aus der Kraft des eigenen Ich. Wenn auch dieses Licht los-
gelassen wird und du selbst dastehst, ohne etwas für dich zu wollen oder
zu fordern, entsteht die Bereitschaft zur Geistbegegnung z. B. mit dem
Engel. Wenn du die Stimmung innerlich festigst, kannst du dich wie von
außen sehen, weil ein Teil der Lichtquelle quasi Umkreis geworden ist.
Du bleibst aber bei dir und gibst dir selbst eine Gestalt, als würdest du in
einem Schauspiel mitwirken. Wenn du dich deutlich hingestellt hast,
wird jemand vor dir bemerkbar werden. Das ist der Schutzengel, oder
wahrer gesagt: Er macht sich im Rahmen deiner vorbereitenden Drama-
turgie unterscheidbar. Es entsteht eine Imagination. Innere Ruhe rahmt
das Erlebnis ein und schützt dich vor inneren Aufregungen und äußeren
Ablenkungen.
Du bleibst in dieser imaginativen Position zunächst still und schweig-
sam. Objektive Fragen können auftauchen und dem Engel als Ge-
schenk übergeben werden. Nach dieser ersten Situation, in der du eher
bewegungslos innerhalb einer ausgedehnten Fläche wie Draußen ruhst,
kann nun eine Bewegung ansetzen, die den Engel von Innen her er-
lebbar macht. Wenn die erste Begegnung mit ihm wie frontal oder im
Waagerechten erlebt wird, lebt sie sich nun ganz im Vertikalen nach
Oben und Unten hin aus, ohne dass du den Boden verlierst. Du fühlst
dich wie in einem Farbenraum, der einen moralischen, einen zum Fort-
schreiten auffordernden, leisen Druck macht. Diese Empfindung be-
deutet eigentlich keine Forderung, sondern sie zeigt eher einen Wink ,
wohin sich der Durchlass weiter nach innen erschließt. Diese Stellung
könnte dich erschrecken, weil du dir plötzlich bewusst wirst, dass du
gerade nicht allein bist. Oder du könntest dich so klein fühlen, dass du
nicht wagst, weiter zu gehen. Die Entschlossenheit packt dich aber
derart, dass du dennoch wagst, in die Hütte des Engels einzutreten. Du
kommst in einen noch eindrucksvolleren Raum , der gleichsam über vie-
le architektonische Mittel verfügt, deren Funktionen du bald entde-
cken wirst.
Die Rückkehr aus einer solchen Engelbegegnung folgt analog dem
Herantasten. Mit Bedacht und wie im Rückwärtsgang nimmt man
Abschied. Man begreift, dass nur eine bewusst erzeugte, reaktionsfähige
Aufmerksamkeit vor, während und nach der Meditation zu eventuellen
Erkenntnissen führen wird. Interessanterweise bedeutet ein Aufstieg
zum Engel in diesem Sinne ein Abstieg von einer subjektiven Expres-
sion zu einer objektiven Impression, als hätte man im gefühlsbetonten
Astralleib angefangen und wäre über das Lebenshafte bei der Sinnes-
wahrnehmung angekommen. Du wirst das Geistige als eine mannigfal-
298
tige Einheit erleben, als würde ein erstaunlicher Widerspruch von einem
anderen Paradox aufgehoben werden.
Diese drei Schritte eines meditativen Erlebens stellen den Auftakt hö-
herer Bewusstseinsarten dar, die über Imagination, Inspiration und Intui-
tion verfügen. Auch Imaginationsinhalte, die während der Meditation
nicht höhere Intuition mit einschließen, können doch zu Erkenntnissen
führen, wenn im Tagesbewusstsein die Ergebnisse eine plausible Gliede-
rung an anderen Erfahrungen finden. Wenn das nicht so wäre, könnten
wir im Denken keine Freiheit erreichen. Das Ich schafft Prozesse und
wird selbst zu einem Prozess innerhalb des Gesamtwerks des Engels.
Der Engel benutzt die Farbtöpfe der menschlichen Freiheit, um sich
seelisch-geistig sichtbar zu machen. Er tritt quasi zur Seite, um uns sei-
nen Platz zu geben, damit wir geistig erwachen.
Du bist also zum Engel hingetreten und weitergegangen und versuch-
test zu erleben, dass du in seine Gestalt, in seine Aura hinein steigen
durftest. Denke, dass du wie unter seiner Tunika dich gleich in einem
Vorraum eines geistigen Tempels befindest. Bleibe eine kurze Weile ste-
hen. Wie verweilst du im Geistschein des Engels? Bedenke die Farben,
das Licht und andere Engelaspekte, die dir erscheinen, und beachte dei-
ne Anteilnahme. Bedanke dich in der Form und mit der Geste, die du als
angebracht empfindest. Nun trittst du nach vorne und wirst dich bald in
einem großen Raum erleben. Die Grundarchitektur des Raumes ist
strikt nach geistigen Gesetzen gebildet, aber du wirst allmählich sehen,
dass einige Züge sich so zeigen, dass sie sich deinem individuellen kar-
mischen und geistigen Maßstab anschließen. Der Raum ist zirkelrund und
zwölf Säulen, die am Sockel Sitzplätze haben, tragen einen Architrav, über
welchem das mittlere Gebäude von einer bemalten Kuppel überwölbt
wird. Um die Säulen ist ein runder Gang der von der Außenwand abge-
grenzt ist. Das Dach über den Säulenumgang ist abgerundet und niedri-
ger als der große Dom in der Mitte. Im Übrigen kann es sein, dass der
Boden unter dem Dom durch ein paar Stufen höher liegt als der Gang-
boden hinter den zwölf Pfeilern.
Die jetzt spürbar gewordenen Außenwand wird an vier Stellen von
Torbögen durchbrochen. Durch den einen bist du hinein getreten. Die
drei anderen liegen, zum Eingang gesehen, in einem Kreuz des Plans. So
wirst du bald entdecken, dass hinter diesen drei Toren drei Apsiden oder
kleinere Räume etwa wie Kapellen sich verbergen. In den vier Zwischen-
räumen wirst du sieben farbige Fenster sehen, die so geordnet sind, dass sie
entsprechend der Form, Größe und Platzierung nach der Konstellation
der sieben Hauptplaneten in deinem Geburtshoroskop ausgearbeitet sind.
Stelle dich in der Mitte des großen Raumes. Drehe dich einmal im Kreis
um und schaue die Architektur, die plastischen Formen, die Fenster, die
Wandfarben und die Deckenmalerei an. Schaue den Engel an und bleibe
299
mit ihm die ganze Zeit in innerlicher Verbindung. Er bleibt am Eingang
stehen, um sich wie ein Hauswart um den ganzen Vorgang zu kümmern
und bestimmte Geschehnisse und Elemente einzurichten. Bei der baldi-
gen Visite der drei Apsiden wirst du bemerken, dass einerseits darinnen
Künstlerisches zu sehen ist, andererseits Wesenhaftes, das aus Form- und
Bewegungszuständen in einer oder mehreren Gestalten sich zeigen wird.
Mit diesen Wesen wirst du kommunizieren können und lernen, was sie
bedeuten und wie du mit ihnen in Aussprache treten kannst.
Den meditativen Weg zum geistigen Tempel musst du vermutlich im-
mer wieder gehen , ehe seine geistige Dichte spürbar wird. Rudolf Stei-
ner erklärte in seinen esoterischen Unterweisungen, dass die alltägliche,
gewöhnliche Welt mit ihren philiströsen Wänden und Stühlen, ein natur-
hafter Wald, sichtbare Bäume oder Häuser, wie sie in unserem Normal-
bewusstsein vorhanden sind, keinen Platz in der Meditation haben. Er
berichtete, dass unser Seelensinn die Gewölbe des geistigen Tempels,
seine Wände und seinen Boden findet, wo wir denjenigen begegnen, mit
denen wir als geistige Wesen in Verbindung treten wollen.
Die drei Apsiden, die Beschützer,
die Widersacher und das Arkanum*
Gehe, wenn der Engel nichts Anderes verordnet hat, zunächst geradeaus
in die Apside, die gegenüber dem Eingang ist. Gehe hinein in diesen
kleineren Raum und erlebe die Formen, die Farben und die Stimmung,
die dort sind. Wie kannst du beschreiben, was dich hier als Kunstwerk
begegnet? Ist es etwas Bekanntes oder etwas ganz Neues? Verhalte dich
so, wie du bei einer Kunstbetrachtung gearbeitet hast. Erkenne, dass das-
jenige, was du jetzt als Kunst schaust, ein Bild ist, das Wesenhaftes ver-
birgt. Stelle die Frage: Wer bist du, dem ich begegnen darf? Möchtest du
dich zeigen und zu mir sprechen? Wer bist du, der mich geistig immer
betreut hat, ohne dass es mir im irdischen Bewusstsein klar geworden ist?
Wem könntest du hier begegnen? Welche Art Wesenheit würde ge-
genüber deinem Schutzengel in einem Tempel auf geistiger Ebene für
dich sich meditativ offenbaren? Menschen sind in dieser Situation Wesen
und Individualitäten unterschiedlichster Kategorien begegnet. Mehrere
Menschen haben, wie sie meinten, bei dieser Gelegenheit die erste Chris-
tusbegegnung ihres Lebens erfahren. Andere haben einen zweiten Engel
erlebt, der in anderen Farben, mit anderen Attributen als der Schutzengel
da gestanden hat. Einige haben Erzengel wie Michael, Gabriel oder Engel
wie Gamamiel, den Hüter des Entgegenkommens, angetroffen. Bei Einigen
traten die Maria- oder die Sophiagestalt auf. Jemand traf einen Verstorbe-
nen, aber altbekannten Verwandten, der lange nicht mehr im Gedenken
300
des Betreffenden gewesen ist. Einige durften berühmten Individualitäten
begegnen, die z. B. als Meister einzuordnen sind. Nicht wenige sind der
Individualität, die als Rudolf Steiner lebte, begegnet. In mehreren Fällen
traten sogar zwei oder drei Wesen oder Menschengestalten gemeinsam
auf.
Wenn die geistige Gestalt oder die Wesen dir deutlich in Erscheinung
getreten sind, verhalte dich zuvorkommend, lasse dich unterweisen oder
eröffne ein Gespräch. Bitte um Kundschaft, was er oder sie für dich als
geistiger Beschützer in der Vergangenheit in und zwischen den Inkarna-
tionen getan hat. Frage nach dem Arkanum, dem geistigen Wundermittel,
über welches sie verfügen, das dir in deiner karmischen Entwicklung ge-
holfen hat, den Weg der Mitte immer wieder zu finden, nachdem du
manchmal auf Abwege geraten warst. Entscheide dich, mit diesem Be-
schützerwesen in weiterem Kontakt zu stehen, wenn du den Eindruck
hast, dass das jetzt angebracht sei. Untersuche eventuell, in welcher Be-
ziehung das Arkanum zu deinem sogenannten geistigen Namen134 steht,
dem Namen, der in sprachlicher Figur dasselbe wie dein höheres Ich
ist.
Tritt dann zurück zur Mitte des großen Raumes, richte deinen Blick
zum Engel hin und empfange von ihm den Rat, wohin du als nächstes
gehen sollst. Gehe dann je nach Alternative zu der rechten oder zur lin-
ken Apside, vom Engel gesehen. Verfahre wie bei der ersten, schaue dir
das Künstlerische an, erlebe die Stimmung usw. Wenn im ersten Fall
eine eher angenehme Situation erschien, wirst du hier wahrscheinlich
aber nicht absolut zunächst unangenehme, unerträgliche bis bösartige
Erscheinungen wahrnehmen müssen. Gehe mit dem Ganzen gelassen
und gemütsruhig um. Es sind Dinge und Wesen geistiger Art, die du an-
treffen wirst, die ohnehin mit deinem Wesen andauernd zu tun hatten
und haben. Sie sind normalerweise in dir eingeordnet oder mit dir ver-
haftet , du erlebst sie aber im Normalbewusstsein nicht. Jetzt treten sie
als objektive geistige Erscheinungen vor dir auf und du kannst sie zum
ersten Mal anschauen und mit ihnen reden.
Normalerweise treten hier keine menschlichen Individualitäten auf,
aber in Sonderfällen kann das auch vorkommen. Meistens begegnet man
hier Wesen, die zu den Elementarwesen gehören, die manchmal in
dämonische Kategorien eingestuft werden müssen. Aber man kann auch
Engel- oder Erzengelwesen begegnen. Manchmal tritt eine Gruppe von
Wesen auf, die als Einzelwesen nicht auseinander zu halten sind, weil
sie etwa wie ein Mücken- oder Vogelschwarm erscheinen. Die rechte
Seite ist bei den meisten Menschen von einer Prägung, die mit Begriffen
wie Form, Kälte, Finsternis, Abgestumpftheit, Befehlsgewalt, Gefühl-
134
Vergleiche mit dem Hinweis dazu im Anhang.
301
losigkeit usw. übereinstimmt. Die Anthroposophie nennt diese Wesen
ahrimanische, die solche Effekte geben. Manchmal treten Wesen auf, die
nicht irgendwie moralisch klassifiziert werden können. Man könnte
den Eindruck bekommen, dass sie bestimmte Aufgaben verfolgen, einem
mit Weltenkräften in Berührung zu halten, die man für seine Entwick-
lung braucht. Die Tendenz der Wesen der linken Apside können mit fol-
genden Begriffen zu tun haben: Überschwänglichkeit, Eifer, Inbrunst,
Ehrgeiz, Bewegung, Aufregung, Tumult, Neugier usw. Luziferische We-
sen nennt die Anthroposophie die Erzeuger solcher Ausschläge.
Bei einigen Menschen waren die Seiten umgekehrt. Bei anderen ka-
men bei den ersten Besuchen in diesem Tempel keine Wesenheiten zur
Erscheinung, sondern nur gewisse kräftige Gefühlsreize, die von Farben-
fluten und abstrakten Bildformationen begleitet waren. Also musst du
einfach sehen, wie du klar kommst, wie dein Schauen entsteht und wel-
che Bewusstseinsart du schaffst. Die Aufgabe ist, auch mit diesen beiden
Arten von Wesenheiten in Unterhaltung zu kommen. Die Fragen wer-
den wieder sein: Was haben sie mit dir zu tun? Warum tauchen sie in
deinem Bewusstsein auf? Warum begleiten sie dich? Zunächst wirst du
wahrscheinlich bemerken, dass die Wesen mit dir nicht sprechen wollen.
Wenn du keine Angst bekommst, was nicht nötig ist, sondern denkst,
dass sie in diesem Kontext quasi da sind, um erkannt zu werden, dann
werden sie auch gesprächsfähig werden.
Es klingt widerspruchsvoll, aber es ist im Geiste wahr: Du stehst als
Geistesschüler auf einer höheren Stufe als alle diese Widersacher, wenn
du ihnen erst einmal begegnet bist, ohne die Gemütsruhe zu verlieren.
Du bist im vollen Recht, sie zu enträtseln, weil sie auf Grund der
Menschheitsentwicklung gerade so geworden sind, wie sie sind. Zwi-
schen den Aufenthalten in den Apsiden rechts und links gehst du zur
Mitte des Doms, um den Kontakt zum Engel wahrzunehmen, so dass du
ihn mitentscheiden lässt, ob du das durchhalten wirst, was sich weiter
zutragen könnte.
Die drei Altäre und das Meeting
Wenn es dir viel Kraft kostet, diese Arbeit zu tun, musst du mehrere
Meditationen benutzen, um durchzukommen. Eine Alternative ist, bevor
du zur dritten Apside gehst, dass du noch einmal die erste besuchst, um
absolutes Gleichgewicht herzustellen. Auch nach der dritten kannst du
noch einmal zur ersten gehen, um dich zu beleben.
Nach den drei Besuchen kommt eine Zwischenposition beim Engel.
Stehe zu ihm gewendet, indem du ihn bittest, die drei Altäre einzurichten.
Wenn du dich wendest, wirst du sehen, dass wie durch eine geistige
302
Technik gesteuert drei Stehaltäre unter dem Dom eingerichtet worden
sind. Eventuell steht ein Hocker an dem Ort, wo ein vierter Altar hätte
stehen können. Gehe zu dem Hocker, stelle dich davor oder setze dich
auf ihn. Du wirst merken, dass die drei Altäre vorwiegend mit Tüchern,
Gegenständen und Blumen geformt und gestaltet sind, so dass sie die
Ästhetik der Apsiden wiedergeben.
Bitte den Engel, einen Repräsentanten aus jeder Apside zu ihren Altä-
ren herein zu bringen. Es wird sodann ein Meeting, eine Unterredung in
zwei Teilen stattfinden. Im ersten Teil darfst du nur zuhören und erle-
ben, wie sie sich zueinander verhalten, wie sie sich verstehen oder strei-
ten. Im zweiten Teil, wenn der Engel das bejaht, darfst du mitreden und
Fragen stellen. Vorangehend hast du eine bestimmte Bedeutung, Beson-
derheit und Einseitigkeit dieser drei Bereiche des Geistigen wahrgenom-
men, wenn sie voneinander getrennt waren. Jetzt wirst du sie gleichzeitig
erleben. Bemerkst du nun weitere Merkmale bei ihnen? Hörst du in der
Art, wie gesprochen wird, ob die Wesen sachlich bleiben, oder erlebst
du, dass jemand eine Übertreibung macht?
Wenn du die Möglichkeit bekommst, mitzureden und Fragen zu stel-
len, sollst du, wenn du das nicht schon erkannt hast, nach der Bevor-
mundung der Wesen fragen. Wem sind sie in der geistigen Welt unter-
stellt? Können sie Charakterisierungen geben oder Namen nennen, wem
sie dienen? Wenn jemand zögert, dir darüber Bescheid zu geben, musst
du aufpassen. Wenn es um Wesen geht, die unter so genanntem ahrima-
nischem, luziferischem und asurischem Einfluss stehen, ist es anzuneh-
men, dass sie ihre Identität nicht preisgeben wollen.
Es muss auch nicht hundertprozentig angenommen werden, dass der
Repräsentant der Mitte nicht teilweise unter solchem Einfluss stehen
könnte. Also hast du volle Aufmerksamkeit und Vorsicht aufzubringen,
damit du erkennst, mit wem du zu tun hast. Wenn das Minikonzil be-
endet ist, gehst du wieder zum Engel hin. Er wird die drei Repräsentan-
ten gehen lassen und die Altäre entfernen. Du gehst dann als Erster
hinaus und mit dem Engel suchst du den Weg zurück zur Hütte auf der
Erde. Die Meditation beendest du so, wie du es dir angewöhnt hast.
Es geht in der Meditation mit dem geistigen Tempel darum, zu ler-
nen, dass man unter Führung einer geistigen Welt steht, die den Men-
schen alles Gute will. Selbst möchtest du ja unter einer solchen liebe-
vollen Führung sein. Das heißt, du nimmst an, dass du dann auch die
Gelegenheit bekommst, anderen Wesen zu begegnen, die solchen Ein-
fluss auf dich haben wollen, der nur von der guten geistigen Führung ge-
wollt ist. Das bedeutet, dass du im Laufe deiner Inkarnationsentwick-
lung die ungute Geistigkeit zu dir heran gezogen oder sie sogar selber
geschaffen hast. Und jetzt besteht die Aufgabe, diesen Wesen imaginativ
bis intuitiv zu begegnen und möglicherweise sicherzustellen, dass du aus
303
deiner Gefangenheit oder Verbundenheit mit ihnen loskommen und um-
gekehrt.
Eine fortgeführte Untersuchung in den Apsiden und deren Wesen
kann auch zeigen, dass du anderen Wesenheiten und Individualitäten
begegnest, die mit dir zu tun haben. Es geht auch, Besucher mitzuneh-
men. Das heißt, diese Arbeit für andere karmische Verwandte , die sel-
ber die Fähigkeit nicht besitzen, zu machen, für sie eine Untersuchung
ihrer Begleiter durchzuführen, damit du für sie ein geistiger Betreuer
werden kannst.
Die Aufgabe des Meetings, das in späteren Meditationen eine Fort-
führung finden muss, ist die in Freiheit gefasste Entscheidung, an der Ver-
wandlung des Bösen mitzuarbeiten. Von diesem Moment an, wenn du die-
se gewaltige Aufgabe annimmst, darfst du dich Manichäer nennen, das
heißt, jemand, der mit der Liebe und dem Licht des eigenen Wesens zur Vervoll-
kommnung anderer Wesen, unabhängig ihres geistigen Hintergrunds oder Rangs,
beiträgt. Im 8. Teil werde ich Beispiele schildern, wie der Geistesfor-
scher manichäische Tätigkeit betreibt, wenn er sich um die ernsthafte,
apokalyptische Weltlage der Gegenwart kümmern will.
Die sieben Fenster, Chakren und Kostbarkeiten
Wenn du die Gesellschaft mit den Wesen der drei Apsiden eine Zeit ge-
pflegt hast, kommt die nächste Aufgabe im geistigen Tempel. Gehe
hinein und schaue dir die Ordnung der sieben farbigen Fenster an. Über-
lege die Himmelsrichtungen. Wenn du im Westen den Eingang hast, ist
die mittlere Apside im Osten. Dann ist links gegen Norden und rechts
gegen Süden. In der Astrologie entspricht der Aszendent dem Osten, der
Deszendent dem Westen, die Himmelsmitte (MC) dem Süden und die
Himmelstiefe (IC) dem Norden, und die Planeten Sonne, Mond, Mer-
kur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn tanzen einen Reigen in dem Kreis
der Tierkreiszeichen herum. Deine farbigen Fenster werden zwischen
dem Eingang und den Apsiden so geordnet sein, wie du die Planeten in
deinem Geburtshoroskop vorfinden wirst. Ihre Farben sind traditionell
wie folgt: Sonne weiß, Mond violett, Merkur gelb, Venus grün, Mars rot,
Jupiter orange und Saturn indigoblau. Es kann sein, wenn du deine
Farbfindungen mit denen von Anderen vergleichst, dass Nuancierungen
auftreten oder dass andere Farben bestimmten Planetenfenstern zuge-
schrieben sind. Warum das so ist, wirst du bei vertieften Erforschungen
feststellen können.
Gehe einmal den Säulengang herum und schaue dir die Fenster mit
ihren Umfassungen, Farben und plastisch eingravierten Motiven an. Ent-
schließe dich oder berede es mit dem Engel, mit welchem Fenster du an-
304
fangs arbeiten sollst. Anschließend werden innere Verrichtungen be-
schrieben, die, wenn sie an physischen Taten verglichen würden, als pro-
fan oder vulgär angesehen werden müssten, falls man sich indes an ei-
nem heiligen Ort befände. Im Geistigen haben solche Taten einen ande-
ren Charakter und das Folgende ist deswegen im Vergleich mit anderen
geistigen Manövern eher arglos.
Es ist angebracht, die folgenden Handlungen bei einem Fenster Tag
für Tag zu machen, so dass sieben Meditationen innerhalb einer Woche
stattfinden können. Die Nachwirkungen solcher meditativen Arbeiten
sind normalerweise so bis ins Organische eingreifend, dass man an einem
Tag nicht mehr als ein Fenster besuchen sollte. Gehe dann hin zum
Fenster. Stelle fest, dass unter dem Fenster je nach seiner Größe und
Platzierung in der Wand ein mit der Wand verbundener Kleinaltar
ist. Auf ihm steht eine Amphora, eine Schale oder eine Urne. In diesem
Behälter gibt es etwas für dich zu essen oder zu trinken. Was bekommst
du? Ernähre dich damit. Erlebe, was das Eingenommene in dir bewirkt.
Schaue zum Fenster hoch. Denke, dass sich in diesem Moment außer-
halb des Tempels die reale Geistwelt befindet, die du, wenn das dicke
Fensterglas dich nicht schützen würde, überhaupt nicht bewusst aushal-
ten würdest. Da draußen walten die schöpferischen Kräfte bestimmter
hierarchischer Wesen, die mit der entsprechenden Planetensphäre ver-
bunden sind. Eine winzige, jedoch für dein beflecktes Wesen genügen-
de Heilwirkung strahlt aber durch das Fenster. Lasse solche Farbstrahlen
für einen Moment auf dich wirken. Erlebe eine reinigende Kraft, die dich
von oben nach unten durchflutet. Schau deine Gestalt an, die anfängt zu
leuchten und durchsichtig zu werden.
Entdecke an bestimmten Stellen oder an einer Stelle, die eventuell mit
einem Chakra zu tun haben kann, dunkle Flecken, widersprechende
Geflechte oder schmutzigen Dreck . Versuche, diese Materie in ihrer
Substantialität zu spüren. Ist sie hart, steinig, kreidig, schleimig, flüs-
sig, schwer, leicht oder anders? Versuche, alles oder so viel wie möglich
entweder durch Weinen, Spucken, sich Übergeben, Schwitzen oder
durch Toilette machen los zu werden. Sammele das Herausgezogene auf
und lege es in den Behälter auf dem Fensteraltar. Bitte durch Tele-
pathie die Wesen da draußen , einen verwandelnden Strahl auf dei-
ne Ausscheidung zu schicken. Beobachte, welcher Verbrennungs- oder
Vernichtungsprozess sich worauf vollziehen wird. Im Behälter bleibt ein
Rest zurück, der nicht vergehen kann. Es ist aber kein Abfall, sondern
ein Geschenk der Götter hinter dem Fenster ist solchermaßen entstan-
den.
Das Geschenk darfst du aus dem Behälter nehmen. Was hast du be-
kommen? Ich nenne diesen Geschenkstück das Kleinod oder die Kostbar-
keit. Es kann ein Naturgegenstand sein, ein Kristall, ein Kunstgegen-
305
stand, ein Ring, eine Krone, ein Kleidungsstück, ein Werkzeug, ein
Schwert oder etwas Anderes, was du in weiteren Obliegenheiten und
Prüfungen brauchst. Beim Ausgang gibst du das Kleinod dem Engel, der
es bis auf Weiteres aufbewahren wird. Mache mit jedem Fenster die glei-
che Arbeit und hebe die anderen sechs Kostbarkeiten auf.
Beobachte in den Wochen nach diesen Fenstermeditationen, welche
Nachwirkungen in Form von seelischen Stimmungen und körperlichen
Empfindungen entstehen konnten. Weitere Literatur zum Chakra-
Thema gibt es außerdem heute viel.135
Die zwölf Säulen und Residenzen
Wenn du die Planetenarbeit dementsprechend getan hast und Entde-
ckungen gemacht hast, wie deine Chakren in positivem und negativem
Ausmaß durch Ereignisse in deinen Inkarnationen beeinflusst sind, wirst
du auch erkennen, warum die verschiedene Ablagerungen in deinem
Wesen entstanden sind. Nun ist die Zeit gekommen, genauere Hinter-
gründe der eigenen Biografie zu erforschen.
In einer Reihe von Meditationen kannst du dich nach und nach auf
den zwölf Residenzen, Sitzplätzen, die mit den Säulensockeln verbunden
sind, hinsetzen. Wenn du die Unterschiede der Sitze und der Säulenkapi-
tel erkennst, wirst du etwas von den zwölf Tierkreiskräften kennen ler-
nen. Sitzt du auf einer bestimmten Residenz, wirst du eine Reihe von
Fenstern zwischen den Säulen sehen, einige wirst du vermutlich nicht se-
hen, weil sie hinter dir sind oder nur sichtbar werden, wenn du an einem
anderen Ort sitzt. Bitte den Engel, der am Eingang steht, dir ein entspre-
chendes Ereignis aus deiner Biografie zu zeigen, das mit dieser Sitzstel-
lung zu tun hat. Schließe deine geistige Augen, so dass das Tempelinte-
rieur verschwindet, und schaue in dein Leben hinein. Was entsteht? Wie
siehst du dich damals handeln und in Anspruch genommen und welche
Gedanken belagerten dein Gehirn?
Anschließend lässt du den Engel ein Konzil mit drei Apsidenrepräsen-
tanten gestalten. Lasse die Besprechung vom Biografieereignis handeln.
Die Arbeit auf den Residenzen entspricht dem, was man in der Astro-
logie als eine Untersuchung der Transite versteht. Mit der Zeit wird dann
das Innere des Tempels keine statische Architektur sein, sondern Alles
wird sich anpassen, so dass die Inhalte der Bilder und Platzierungen der
135
Siehe z. B. Manfred van Dorn, Chakren und Tierkreiskräfte. Innere Entwicklung
im Spannungsfeld der Archetypen, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2001. Dora van
Gelder-Kunz, Shafica Karagulla, Die Chakren und die feinstofflichen Körper des Men-
schen, Econ Taschenbuch Verlag, München 2000.
306
Fenster, die sichtbar werden, diejenigen sind, die im Moment der ge-
suchten Erforschung ent-spricht.
Von den zwölf Sitzplätzen kannst du auch die Deckenmalerei betrach-
ten. Hier kannst du hinschauen, um Vergangenes, Gegenwärtiges oder
Zukünftiges wie ich es im 8. Teil noch beschreiben werde zu
schauen. Die Motive, die da sind, schaffst du selber oder sie werden je
nach gezielten Fragen sich ergeben. Wenn du bis jetzt nur oder fast nur
deinen eigenen karmischen Umkreis erforscht hast, kannst du ab jetzt
dich freier fühlen, karmische Forschungsaufgaben anzugehen, die nicht
mit dir direkt zu tun haben, die aber für die allgemeine Menschheits-
entwicklung gut wären, erforscht zu werden. Auf diese Weise habe ich
z. B. viele vergangene Geschehen der Erd- und Menschheitsevolution an-
geschaut, von denen Rudolf Steiner schon einige beschrieben hat, aber
stets aus einem individuellen Blickwinkel habe ich sie wieder gefunden
und erforscht z. B. gewisse Umstände um die Inkarnation Luzifers im
alten China und die Gründung der tibetischen Kultur.
Der heilige Garten und die sieben Monopteros
Wenn du in dieser Weise den geistigen Tempel, deine individuellen
Beschützer, das Arkanum, deine Widersacher, die sieben Kleinodien ge-
troffen und erwogen hast und die Möglichkeiten der vielfachen Einrich-
tungen benutzt hast, besteht die Möglichkeit, den Park oder den Garten,
der sich hinter dem Tempel befindet, zu erkunden. Gehe einmal mit dem
Engel oder mit einem Repräsentanten der mittleren Apside durch eine
Tür, die sich darinnen befindet, aus dem Tempel hinaus. Dann kommt
ihr in den Garten hinein. Bei der ersten Führung wird sich herausstellen,
dass der Garten seit langem angelegt ist, aber nicht mehr gepflegt worden
ist. Grünflächen, Wiesen, Baumbestände, Blumenrabatten, Wasseranla-
gen, Teiche, Wege, Pfade, Treppen, Mauer, Zäune, Skulpturen, Garten-
tempel und andere Einrichtungen werden beschädigt und abgenutzt sein.
Nach der aufbauenden und heilsamen Arbeit im Tempel wirst du bei
dem Anblick des Zerfalls des ehemals erhabenen Gartens gegebenenfalls
eine tiefe Trauer erfahren. Bei dieser Seelennot wird dir dein Engel im
Moment nicht helfen, weil er dir überraschenderweise berichtet, dass er
von höherer Warte abkommandiert worden ist, so dass er dir eine Zeit
lang nicht beistehen darf. Diese Gelegenheit macht es dir klar, dass du
den kleinen Hüter mit dem Tempel und seiner Gartenanlage bekannt
machen kannst. So wirst du nach gewisser Bemühung darum sehen, dass
du ihn als Vorsteher der Arbeit mit dem Wiederaufbau des Gartens be-
auftragen kannst. Nach Hilfskräften und Mitarbeitern für diese Arbeit
werdet ihr sicher in den Apsiden des Tempels anfragen können.
307
 Bevor du den Engel verabschiedest, musst du ihn nach den sieben
Kleinodien fragen, die er für dich aufbewahrt hat. Du nimmst sie mit in
den Garten, und bei der Restaurierung der sieben Monopteros, der Klein-
tempel, wirst du diese Gegenstände benutzen oder sie in diesen Freilicht-
tempeln als Schmucksachen einbeziehen können.
Das Gastmahl
Nachdem der Garten ein Wunderstück in deinen Augen geworden ist,
wirst du bei Besuchen dort erleben, dass sich da gern aus freiem Willen
Gäste aufhalten. Wer sind diese Besucher? Kannst du einige Wesen und
Individualitäten aus deinen früheren Erforschungen und Wanderungen
im Geistigen wiedererkennen? Wandle durch den Garten und gucke, wer
mit dir in Berührung kommen will. Nach einer Zeit kannst du zu einem
Gastmahl im Tempel alle diese Gartengäste einladen.
Lasse deinen Dienstherrn, den kleinen Hüter, das Fest planen und ar-
rangieren und freue dich wie ein Geburtstagskind, der Ehrengast zu sein.
Wahrscheinlich wirst du entdecken, dass dein Engel auch gekommen ist.
Er hat aber jemanden mitgebracht. Es könnte sein, du kennst diese Indi-
vidualität oder du wirst hier zum ersten Mal mit jemandem bekannt ge-
macht, mit dem du in der Zukunft aber zu tun haben wirst. An diesem
Abend wirst du mit diesem Anderen und einigen bekannten Begleitern
zu einem Zimmer, von welchem du bislang nichts wusstest, begleitet,
das möglicherweise oberhalb der mittleren Apside liegt. Eine Treppe
führt sodann dort hinauf.
In diesem hübsch geschmückten Turmzimmer wirst du Angelegenhei-
ten erfahren, die für alle Anderen in der Sinneswelt, die nie einen sol-
chen Geisttempel betreten haben, ohne Gnade ein Geheimnis bleiben
muss. Nachdem du hier etwas in der Meditation erfahren hast, das alle
deine bisherigen Anhaltspunkte über geistige Zusammenhänge übertrifft,
wirst du wissen, was Schweigen wesenhaft bedeutet. Das entsprechende
Nichtssagen über dieses zweite Arkanum einzuhalten, könnte in der
nächsten Zeit zu einer deiner schwersten Lebensprüfungen werden, weil das
Geheimnis so geartet sein könnte, dass es jene Neigung haben würde, dir
in jedem Augenblick entfliehen zu wollen, besonders wenn du dich mit
ansprechenden Menschen im Alltag unterhältst. Ab dieser geistigen Er-
fahrung wirst du es vielleicht nicht mehr für merkwürdig halten, dass
Rudolf Steiner den auf Geistwegen Wandelnden einen Geheimschüler
nannte.
In der germanisch-nordischen Mythologie repräsentiert der junge
Gott , Vidar, diese Stufe einer Initiation. Er ist derjenige, der wenig
spricht. In der christlichen Esoterik repräsentiert der Erzengel Michael*
308
die gleiche Haltung. Er ist der Schweigsame, der auf die Handlungen der
Menschen schaut, und er guckt, was daraus gut werden kann. Der
lebensbejahende Wille Michaels ist schicksalsordnend. Seine Energie
möchte uns zu einsatzfreudigen, mutigen Taten begeistern.
Eine gute Nebenübung in dieser Entscheidungszeit könnte sein, sich
mit Vögeln zu beschäftigen und über Vögel zu meditieren besonders
Zugvögel, die lange Strecken zurücklegen und geografisch in gewisser
Unabhängigkeit sind aus dem Grund, weil sie nicht nur mit der ele-
mentarischen Welt des Luftbereichs verbunden sind, das mit Sprechen
und Schweigen innerlich zu tun hat, sondern auch weil sie eine bis jetzt
wenig erforschte Verbindung zur Erzengelwelt haben. Dass der Evange-
list Johannes mit einem Adler als Symbol seiner geistigen Reife in der
christlichen Esoterik auftritt, hat ebenfalls mit diesem Thema zu tun,
sowie auch mit dem ernsten Schulungsaspekt, das Rudolf Steiner als das
Geheimnis der Schwelle bezeichnete.136
Der Weg zur geistigen Welt kann immer allgemein beschreiben wer-
den. Wie jemand die Schwelle übertritt, müsste letztlich eine individuelle
Sache eines jeden einzelnen Menschen bleiben, weil diejenigen, die keine
Schwellenübertritte geschafft haben, nicht reif genug sind, mit der neuen
Empfindsamkeit des Schwellengängers adäquat umzugehen.
Geselligkeit mit der geistigen Welt
Wir leben viel innerlicher in der Seele als früher, als zum Beispiel in der
griechischen Zeit, wo die äußere Umwelt viel mehr Spirituelles den
Menschen direkt durch die Naturerlebnisse und mittels ritueller Feiern
verlieh. Der menschliche Umgang mit den göttlichen Wesen war in frü-
heren Zeiten also anders und viel buchstäblicher, als er jetzt ist. Heute
gehen wir aber noch immer mit den übersinnlichen Wesen um. Im Kopf
wissen wir in der Regel nichts davon, weil er eben nur die menschlichen
Gedanken fasst, im Grunde nur die Gedankenleichen .
Als ganzer Mensch leben wir eigentlich also indirekt mit geistigen
Wesen. Dieser Umgang ist aber intimer , mehr seelisch geworden in un-
serer Zeit, und er wird normalerweise nicht bemerkt, aber kann medita-
tiv heute recht schnell entdeckt werden. Daher ist sogar die Art des
Hellsehens in unserer Zeit von anderer Beziehung z. B. zu den Engeln
und zu geistigen Wesen überhaupt, als das früher der Fall war, was die
umfangreichen Berichte von Nahtod- und Engelerlebnissen und anderen
geistigen Erfahrungen während der letzten paar Jahrzehnte bestätigen.
136
Vergleiche Rudolf Steiner, Entwicklungsgeschichtliche Unterlagen zur Bildung ei-
nes sozialen Urteils, GA 185a, Dornach 1963, Seite 199f.
309
Wenn heute die Menschenseele mit unkörperlichen Wesen oder mit Ver-
storbenen verkehrt, so geschieht es normalerweise sehr subtil. Rudolf
Steiner beschrieb dieses Geschehen einmal folgendermaßen:
Man verkehrt mit geistigen Wesenheiten etwa so, ich möchte sagen,
wie der eigene Gedanke mit dem eigenen Willen in der Seele verkehrt.
] Jetzt gibt es Menschen, welche ein Verhältnis haben zur geistigen
Welt, das sich, wenn es bewusst wird, in viel intimerer Weise auch
heute schon ausdrückt, als es Verinnerlichung als Zukunftsaufgabe
sich früher ausgedrückt hat. Gewisse Fähigkeiten mussten verloren ge-
hen, damit dieser intimere Verkehr mit den Göttern sich entwickle.
Daher kam es, dass während der griechisch-lateinischen Epoche und
sogar noch tief ins Mittelalter herein die Menschen, wie gesagt, noch
aus der äußeren Umwelt unmittelbar Spirituelles wahrnahmen, nicht
bloß wie wir heute materielle Farben sehen, materielle Töne hören,
sondern in Farben und Tönen noch Spirituelles wahrnahmen. [ ]
Früher war verhältnismäßig leicht heranzukommen an die Geister
und an die Toten. Wie also die äußere Sinnesanschauung noch spiri-
tueller war, so war gewissermaßen auch der Zusammenhang mit der
umliegenden Gedankenelementarwelt noch imaginativer. Die Träume
hatten noch den Wert von Imaginationen, die in die Zukunft verwei-
sen. So wie das Gedächtnis auf die Vergangenheit verweist, so verwie-
sen die Imaginationen auf die Zukunft, natürlich nicht in derselben
Weise.137
Meine Schilderungen im so genannten geistigen Tempel scheint gegen-
über Steiners Ausführungen sehr grob zu sein. Sie sollen aber nicht
buchstäblich genommen werden, sondern als innere Vorgänge und
Handlungen verstanden werden, die die dem Äußeren entliehenen Be-
griffen nur vorübergehend benutzen, um dich zu inspirieren, in das
Kraftfeld der geistigen Ereignisse einzutreten, das den Umgang mit
Wesenhaftem in Übersinnlichen um sich herum haben wird. Die Ge-
selligkeit mit der geistigen Welt wird wahrlich sowohl sehr kräftig in
ihrer Intimität und subtil in ihrer Lebhaftigkeit sein. Unser Verkehr mit
der geistigen Welt wird kein Urlaub, auch nie ein privates Hobby, aber
wohl eine Gestaltung der Zeit mit ungeahnter, innerlicher Betriebsamkeit
sein:
Immer innerlicher wird der Verkehr der Menschenseelen mit den hö-
heren Hierarchien werden, und immer mehr und mehr wird sich der
Mensch anstrengen müssen, gerade durch das Innere, durch die tiefs
137
Rudolf Steiner, Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geis-
ter der Finsternis, GA 177, Dornach 1977, Seite 98ff.
310
ten und intimsten Kräfte seiner Seele den Wechselverkehr mit den
Wesenheiten der höheren Hierarchien zu unterhalten.138
Prüfungen an der Schwelle zur geistigen Welt
Ab dieser Stufe der meditativen Übungsarbeit wirst du je nach deiner
Wesensart und deinen Charakter Reihen an Reihen von Prüfungen be-
kommen, die dir scharf gesagt drohen werden, alles, was du bis jetzt
erforscht, aufgearbeitet und umgewandelt hast, wie auf den Kopf zu stel-
len. Nicht nur im Übersinnlichen kommen diese Prüfungen, nein, das
Leben selbst reicht sie her, als würde das Geistige selbst dicht im physi-
schen Dasein branden. Menschen werden sich z. B. in deinen Weg stel-
len, dir wie grundlos kritisch in die Augen schauen und dich in deiner
Geistesschülerschaft gründlich herausfordern. Die kleinsten Fehler, die
du im Alltag begehen könntest, die ehemals vielleicht nicht bemerkt wur-
den, würden jetzt von deinen Nächsten und von Kritikern mit Sicherheit
entdeckt werden. Wenn dieser Zeitraum sich anbahnt, machst du am
besten keine tief greifenden Forschungen oder Handlungen im meditati-
ven Bewusstsein, sondern nur die nötige Pflege der Kontinuität sollst du
erwirken.
Der Grund dieser Phase der Angreifbarkeit ist, dass die immateriellen
Widersacher aller Art, die du noch nicht in ihrer Missachtung dem
Menschlichen gegenüber voll kennst, dich entdeckt haben, weil du für
diese Wesen in der geistigen Welt ein bemerkbares Wesen geworden bist.
Wie kann das sein? Früher bist du von den guten Geistern behütet wor-
den. Jetzt bist du selbst quasi ein guter Geist geworden, dem andere
Geistwesen erlaubt worden sind, zu untersuchen und gegebenenfalls an-
zugreifen, um deine Stärke und dein Ansehen zu erfahren. Also musst
du dich erkennen, mit welchen universellen Attributen du dich in die geis-
tige Welt einreihst. Welcher Art Geist möchtest du wesenhaft sein? Was
wird deine geistige Aufgabe ab jetzt und in der Zukunft sein? Mit wel-
chem Impuls kannst du dich verbinden? Mit welchen anderen Impulsträ-
gern des Universums wirst du gemeinsam um den kosmischen Frieden, um
der Vorwärtsentwicklung der ganzen Menschheit ringen? Solche Fragen
werden dich dahin bringen, dass du eine Arbeit anfängst, die Gegenwart
und die Zukunft geistig ins Auge fassen zu wollen. Nur deine eigene
Kunstfertigkeit kann dein Helfer sein, so dass du jetzt ganz individuelle
Fertigkeiten kreierst.
138
Rudolf Steiner, Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis
zu den kosmischen Tatsachen, GA 141, Dornach 1983, Seite 18.
311
 Eine Reihe von Übungen und meditative Tätigkeiten werden dich so
schulen, dass du dich als Meister deines absoluten Ich erkennst. Das heißt,
du wirst diese Arbeit nur in dem Sinne erfolgreich machen können, wie
deine Meisterschaft in der Geistesforschung es dir erlaubt. Wenn du dich
eine Zeit lang in der Geistesschülerschaft z. B. von sozialem Zusammen-
sein weg gedrängt fühltest, um dich in der inneren Einsamkeit mit vielen
Fragen und Erfahrungen zu finden, wirst du hoffentlich bald erfahren,
dass etliche Menschen, die deine Entwicklung wahrgenommen haben,
dich als Gefährten und Mitarbeiter in der Geistesarbeit gewinnen wollen.
Oder der Meister, der dir am nächsten steht, wird sich so oder so in der
Meditation eines sonnigen Tages bemerkbar machen.
Bevor aber die Freundschaft von Gleichgesinnten in geistiger Hinsicht
für dich wirklich tragfähig wird, musst du die Einsamkeit als Geistesschü-
ler und Forscher des Geistigen zunächst entschlüsselt haben. Die Be-
schäftigung mit den Fragen und den Aufgaben, die im folgenden Kapitel
angeführt werden, wird eine Vorbereitung geben, diese Einsamkeit im
Geiste zu erlernen, die eine Erfahrung bringen wird, die quasi eine volle
Erkenntnis des eigenen höheren Ich bedeutet. Daskalos beschrieb eine
entsprechende Stufe des Mystikers* oder des Wahrheitsforschers, der seinen
Begriff eines modernen Wissenschaftlers des Seins war, in folgenden
Worten:
Als fortgeschrittener Mystiker wirst du die Stufe erreichen, auf der du
dich nicht nur daran erinnerst, wer du in früheren Inkarnationen ge-
wesen bist, sondern auch wissen wirst, welches das Ziel deiner Exis-
tenz ist. Dieses Ziel wurde schon vor Äonen bestimmt, und mit jeder
Inkarnation wurde dein Weg dorthin geduldig und ruhig geebnet,
ohne Hast und ohne Verzögerung. Du musst selber der Weg werden.
Christus sagte schon: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Le-
ben. So wird man Meister über das raumzeitliche Geschehen und er-
kennt den Sinn, der hinter diesem steht. Du musst dich selbst kennen
lernen und dir vertrauen und verhindern, dass Zweifel dir den Weg
versperren. Solange du nicht Herr über dich selbst und das Phänomen
des Lebens wirst, kannst du als Mystiker nicht weit gelangen.139
Zu allen Zeiten gab es Mysterienschulen, die den einzelnen Individuen
zur Einweihung, Initiation, d. h. zu spiritueller Reife brachten. Vieles
von den Anleitungen wurde in Gruppen, in Gesellschaften gegeben, aber
der Aspirant musste in Einweihungen des Altertums auch bestimmte
Prüfungen im Alleinsein durchmachen. Die großen Denker oder Philoso-
phen waren oft einsame Menschen, die durch Eingebungen die Weisheit
139
Kyriacos C. Markides, Heimat im Licht. Die Weisheit des Magus von Strovolos ,
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1988, Seite 140.
312
des Metaphysischen suchten. Oder die Eremiten suchten die Zurückgezo-
genheit in einer Höhle oder auf einem Felsen, um sich körperlich und
seelisch gereinigt dem Göttlichen zu ergeben.
Auch heute gibt es esoterische Anleitungen, die in mehr oder weniger
geschlossenen Gesellschaften gegeben werden, die bestimmt zu guten Er-
kenntnissen führen können. Aber noch mehr als früher wird der geistig
Suchende heute entdecken, dass es die Einsamkeit für sich ist, die zu den
höchsten Erkenntnissen führt. Wenn du recht auf dich selbst gestellt bist,
also einsam in deinem Bewusstsein, aber nicht unbedingt äußerlich
allein bist, schaffst du eine Seelenverfassung, die gleichzeitig die richtige
für übersinnliche Erkenntnisse ist.
In einer solchen Phase meiner eigenen Entwicklung, wo es sinnvoll er-
schien, eine Zeit lang sich von öffentlichen Auftreten temporär zurück-
zuziehen, entdeckte ich, dass die Stadt, wo wir wohnten, auf einem Ort
erbaut war, wo im Mittelalter ein Eremit in einer Sandsteinhöhle ge-
wohnt hatte. In einem Baum hatte er ein Marienkreuz aufgehängt. Die
Legende sagt, dass einmal Räuber ihn überfallen wollten. Als einer der
Räuber einen Pfeil in die Madonnenfigur abschoss, floss Blut aus dem
Holz. Das Wunder bewirkte, dass die Räuber der Taufe annahmen. In-
sofern wurde es mir bestätigt, dass äußere und innere Ereignisse wäh-
rend der esoterischen Entwicklung miteinander auf der erstaunlichsten
Weise korrespondieren.
Einsamkeit und Schmerz der Initiation
Die Gefühle der Einsamkeit im Leben sind manchmal genügend
schmerzlich. Manche können sie überhaupt nicht aushalten. Deswegen
gibt es in der gegenwärtigen, westlich orientierten Gesellschaft reichliche
Wege und Mittel durch körperliches und seelisches Vergnügen, solchen
Gefühlen zu entfliehen. Dein fester Wille, übersinnliche Erlebnisse
durchzuhalten, wird dir eine Steigerung der bekannten Einsamkeit ge-
ben, die alles Vorstellbare übertrifft. Nicht nur besonders starke Gefühle
des seelischen Schmerzes werden sonst nicht auffindbare karmische Ein-
blicke geben, sondern verschiedene Zustände des Aufenthalts im Über-
sinnlichen bringen in sich neue Schmerzempfindungen, die mit einer Art
Isolierung des Ich zusammen hängen. Abgesehen vom Glück, der Geist-
helligkeit und dem Kontakt mit höheren Wesenheiten wirst du außer-
dem laute Qual fühlen, wenn du aufsteigst in die übersinnlichen Re-
gionen.
Eine ungeheure Leere oder Bedeutungslosigkeit gegenüber der Fülle,
der Erhabenheit und der Realität des Geistigen wirst du erst einmal in
deinem Innern fühlen müssen. Im Physischen ist das Ich-Wesen nicht
313
isoliert, sondern reichlich im eigenen Leibesorganismus eingegliedert und
von den eigenen Schutzhüllen der gesamten Aura umgeben. In der Me-
ditation nimmt das Ich gewiss einen Anteil der Seelenhülle mit. Das
Austreten aus der normalen Leiblichkeit lässt aber eine Art Eremiten-
dasein für die Zeit des geistigen Forschens entstehen, das eine Art Verlust-
schmerz aktiviert. Schmerz entsteht, wenn wir z. B. wegen einer Verlet-
zung den physischen Leib nicht mehr ganz durchdringen können. Hast
du ein höheres Bewusstsein in der Meditation erlangt, in welches geistige
Bilder und Wirkungen herein fluten , dann bist du für die Momente die-
ser beseelten Erfahrung vom ganzen physischen Körper abgeschnitten.
Deswegen kann alles als wund erlebt werden und du wirst dich von
Schmerzlichen ganz durchdrungen fühlen. Solche Erfahrungen werden
höchstwahrscheinlich auch im Normalzustand lange nachklingen.
Nur wenn ein geistiges Bewusstsein das Sinnesbewusstsein durch-
dringt, dass man quasi schaut, ohne den Leib verlassen zu haben, kommt
das Gemeinte nicht in Frage. Auch in diesem Fall kann der Eingeweihte
starke geistige Erlebnisse haben, die in gleicher Weise im Normalleben
nicht vorkommen. Und dies wird üblicherweise zuerst eintreten, wenn
du das intuitive Bewusstsein voll meisterst oder sonst über ein regelmäßi-
ges Hellsehen verfügst. Rudolf Steiner beschrieb, wie man mit diesem
heiklen Zustand zurecht kommen kann, so dass man nicht aus der Medi-
tation ausfällt:
Aber dann schaut man zurück zu dem, was sich als die geistige Um-
gebung im Spiegel des physischen und des ätherischen Leibes zeigt,
die man zurückgelassen hat. Da wird man eben gewahr des völligen
Einsamkeitsgefühls, durch das man einzig und allein sein Ich auf-
rechterhalten kann in dieser Welt. Man würde sonst in dieser Welt des
Geistes zerfließen, wenn man nicht gerade so, wie man hier sein Ich-
Gefühl durch sein Leibesempfinden hat, in der geistigen Welt dieses
Ich-Gefühl nicht durch die Einsamkeit erleben würde. Dieser Einsam-
keit dankt man die Aufrechterhaltung des Ich in der geistigen Welt.140
Es gibt nun einige Aufgaben und seelische Symptome, die den esoteri-
schen Fortschritt bewahren:
1. Sich abwägen: lernen, die verschiedenen Unwohlgefühle und Schmer-
zen zu ertragen, und Wege finden, sie auszubalancieren.
2. Sich berühren lassen: ernsthafte Erschütterungen durchmachen, die not-
gedrungen kommen, weil man ungeahnte Erkenntnisse bekommt und
vor allerart geistigen Begegnungen steht , die es ihresgleichen im nor-
malen Leben nicht gibt.
140
Rudolf Steiner, Die Wirklichkeit der höheren Welten, GA 79, Dornach 1962, Sei-
te 142f.
314
3. Sich objektivieren: lernen, sich selbst, sein Ich als ein Objekt zu be-
trachten und mehr noch: mit vertrauten Standpunkten flexibel umzu-
gehen. Man muss anpacken, alte Meinungen loszulassen, da sie durch
neue Erkenntnisse verjähren .
4. Sich durch Kunstfertigkeit erneuern: Das Vorangegangene steigert
sich, weil das übersinnliche Verweilen eine gewisse Fremdartigkeit
gegenüber dem physischen Leib und der normalen Persönlichkeit mit
sich bringt.
Du wirst anfangen, dich selbst als jemanden zu erleben, dem du immer
wieder nach den meditativen Verrichtungen quasi neu zu erwerben oder
gleichsam wie eine Kleidung anzuziehen hast. Ab dieser Stufe fing ich
an, mich selbst im Normalbewusstsein als absolut unbequem zu erleben.
Auch beim Erwachen morgens nach dem Schlaf können solche Unwohl-
erlebnisse eintreten. Es wird manchmal eine Anstrengung kosten, wieder
in den eigenen Leib zu gehen. Es gibt noch weitere Erscheinungen der
Initiationsvorgänge für den Fortgeschrittenen, die das menschliche Le-
ben in der Zukunft mächtig umgestalten werden. Hast du nun diese ers-
ten schon überstanden, ohne deinen Mut zu verlieren, wirst du die wei-
teren ebenso gut meistern. Zwei weitere, umfangreiche Zitate von
Steiner werden dieses Thema noch gründlicher vertiefen:
Man kann nicht zu dem intuitiven Erkennen, zu diesem Untertauchen
in die äußeren Dinge kommen, ohne dass man durch ein gesteigertes
Leiden durchgegangen ist, gesteigert gegenüber demjenigen Schmerz,
den ich schon früher bei der imaginativen Erkenntnis charakterisieren
musste, indem ich sagte, dass man sich ja mit Mühe erst wiederum
hineinfinden muss in seine Sympathien und Antipathien, was eigent-
lich immer, wenn es geschehen muss, schmerzt. Jetzt wird der
Schmerz zu einem kosmischen Miterleben alles Leidens, das auf dem
Grunde des Daseins liegt. Indem man sich durch den Schmerz, der als
kosmischer Schmerz gefühlt wird, hindurch windet zum neutralen
Erleben im geistigen Kosmos man muss sich zum Miterleben des
Geschehens und Wesens aller Dinge hindurcharbeiten , dann ist die
intuitive Erkenntnis da.141
Dieser Pfad zur Einweihung hat zwei Seiten. Die eine Seite ist diese,
dass der Mensch die Rätsel des Daseins durch die Einweihung kennen
lernt, dass er durch sie eintritt in das geistige Erleben des Daseins. Die
andere Seite ist aber dasjenige, was wir nennen können das mehr Sub-
jektive, das mehr in der Seele sich Abspielende der Initiation. Es ist
zugleich das, vor dem die Menschen am meisten zurückschrecken,
141
Rudolf Steiner, Das Geheimnis der Trinität, GA 214, Dornach 1980, Seite 139f.
315
 weil es in der Tat etwas darstellt, was nicht zu den Bequemlichkeiten
des seelischen Erlebens gehört, denen sich die Seele so leicht hingibt
oder hingeben will. Es gibt eine sehr ausführliche Skala inneren Erle-
bens für denjenigen, den sein inneres Erleben allmählich zur Initiation
führen soll. Die Überwindungen, Befreiungen, die Widerstände und
Erlösungen, sie wechseln ab in mannigfaltigster Weise in dem inneren
Erleben auf dem Wege zur Initiation: Da hat man durchzumachen all
dasjenige, was uns die Seele so erfühlen lässt, wie wenn sich diese
Seele plötzlich ganz fremd geworden wäre, wie wenn sie in einen Ab-
grund gestürzt wäre, wo sie fühlen muss von sich, wie wenn sie ewig
verloren wäre und nimmer wieder finden könnte das, was sie schon in
irgendeiner Lebenszeit einmal erworben hat. Wie eine unendliche Be-
stürzung und Trauer gegenüber dem Verlieren des schon gewonnenen
Daseins kann es über die Seele kommen.
Dann wiederum kann es über diese Seele auch so kommen, wie
wenn diese Seele sich zersplittern müsste, aufgehen müsste in eine un-
endliche Vielheit, in alle die Wesen, aus denen der Kosmos zusam-
mengesetzt ist. Dann aber ist es wieder die Stimmung, wie wenn sie
sich fühlen muss hindurchwandeln durch die Wesen des Alls. Erleb-
nisse, die immer verbunden sind mit schmerzlichen Entbehrungen,
mit schmerzlichen Verlassenheiten, wenn sie im Einzelnen durchge-
macht werden. Endlich dasjenige, was die Seele erleben kann, wenn
sie die radikalste Verwandlung miterlebt, wo die Seele sich entschlie-
ßen muss zu dem, was ausgedrückt werden kann mit den Worten: Du
musst jetzt eine Weile dich selber verlieren, dich selber von dir stoßen,
aber du musst das Vertrauen haben, dass, während du dich selber ver-
lierst, während du dich von dir stoßest, Wesen, die in den Weiten der
göttlichen Hierarchien ruhen, dich bewahren und wieder dich selbst
finden lassen, nachdem du dich verloren hast. Dies ist das Durch-
gehen durch Geburten und Tode.
Das ist es, was durchzumachen ist unter den inneren Erlebnissen,
die zur Einweihung führen. Es ist endlich das schaudervolle Durch-
gehen durch alle die Kräfte, die nicht für das Erdenleben, wohl aber
für das Leben des außerirdischen Kosmos notwendig sind, die aber,
wenn sie von Luzifer oder Ahriman in unberechtigter Weise in dieses
Erdenleben hineingebracht werden, zu den Kräften des Bösen werden;
es ist das schaudervolle Durchgehen durch die Kräfte des Bösen, samt
alledem, was sie an Aufwühlendem, Zerstörendem, Aufsaugendem in
dem ganzen Kosmos bedeuten. Und es ist endlich das Durchgehen
durch das Stadium, wo der Mensch sich nur als Instrument, als Werk-
zeug fühlen darf, durch das die geistigen Wesen sprechen; und wo er
sich selber ruhend fühlt in dem allwaltenden, göttlichen Wort. Und
dann der Zustand, wo in der Zukunft dieses Fühlen einläuft in das
316
Miterleben des göttlichen Webens und Wollens im Kosmos selber.
Der Erkenntnispfad ist so schmerzensreich und auch so erlösungs-
reich.142
Weil die geistige Welt anders als in früheren Zeiten den Menschen heute
näher steht, quasi uns kräftiger durchkreuzt und durchströmt, werden
also die Prüfungen, Widerstände und Schmerzerlebnisse, die gerade für
die Veränderungen des meditativen Bewusstseins charakteristisch sind,
auch schon inmitten des normalen Lebens immer häufiger auftreten, so
dass wir auch deswegen von einer Lebenseinweihung sprechen können.
Der russische Schriftsteller Andrej Belyj, der zwischen 1911 und 1915
im nahen Umkreis von Rudolf Steiner lebte und ein esoterischer Schüler
von ihm war, hat viele solche Eigentümlichkeiten beschrieben, die als
Schwellenphänomene ihn unmittelbar im Alltag beeindruckten.143 Er be-
merkte z. B., dass Menschen in seiner Umgebung scheinbar stellvertre-
tend solche ablehnenden und bösartigen Attitüden, die er aus Goethes
Faust und aus den Mysteriendramen von Steiner gut kannte, ihm zeig-
ten oder gewissermaßen vorspielten . Belyj erfuhr durch Anspielungen
seiner Lebensgefährtin, Assja Turgenjewa, und durch Gerüchte, dass man-
che Anthroposophen in Dornach ihn beschuldigten, etwas Negatives
getan zu haben, welches ihm interessanterweise nie von jemandem ge-
radewegs näher spezifiziert wurde. Aber er wusste bei sich selbst, dass er
so etwas nie getan hatte.
Darum ist es ganz natürlich; mein Anblick veranlaßte damals viele,
die mich nicht kannten, stehenzubleiben; man erzählte mir, daß ich
wie von irgendetwas erregt oder bestürzt aussähe, so, als hätte ich mich
selbst verloren; darin daß man mich fragte: Was ist denn mit Ih-
nen? , sehe ich einen Sieg über mich selbst. Wäre den Fragenden
auch nur ein Viertel des wirklich Erlebten bekannt geworden, hätten
sie gesagt: Der Mensch hat den Verstand verloren. Niemand sagte
es.144
Christus als Torhüter zur geistigen Welt
Ich habe so weit Übungen, Themen und Aufgabestellungen behandelt,
die zu einer Initiation, einer Einweihung in karmischen und geistigen
142
Rudolf Steiner, Kunst im Lichte der Mysterienweisheit, GA 275, Dornach 1980,
Seite 61ff.
143
Andrej Belyj, Geheime Aufzeichnungen. Erinnerungen an das Leben im Umkreis
Rudolf Steiners, Rudolf Geering Verlag im Verlag am Goetheanum, Dornach
1992.
144
Ebenda, Seite 222.
317
Tatsachen führt. Die Befunde und Ergebnisse auf diesem Weg gehören,
wenn sie wirklich der Wahrheit entsprechen, zu einer Initiationswissen-
schaft. Als Initiant, als Einzuweihender lässt du dich auf einen solchen
inneren Weg ein, nicht nur weil ich oder jemand Anderes in der Sinnes-
welt dich überzeugend anleitet, sondern weil du in dir selbst die Sicher-
heit der geistigen Tatsachen und Begegnungen durch autonomes Tun be-
gründet findest.
Wenn eine solche innere Konsolidierung durch Erkenntnisse so un-
termauert ist, dass sie nicht nur dich tragen, sondern auch für andere
Wesen eine Deckung garantieren, wird der Augenblick bevorstehen, wo
du zur Enthüllung der Schwelle, der Pforte, des Eingangs zur eigent-
lichen geistigen Welt, die Sphäre der höheren Intuition, geführt werden
kannst. In der esoterischen Literatur gibt es wenig Authentisches über
das Einschneidende des Moments, wenn jemand durch ein bestimmtes
hierarchisches Wesen an der Schwelle zur geistigen Welt quasi geadelt
wird oder die geistige Souveränität gewinnt. Rudolf Steiner hat in seinem
Buch Die Geheimwissenschaft im Umriss das Wesen des so genannten gro-
ßen Hüters, der diese Adelung durchführt, entschlüsselt und in Verbin-
dung mit der Wesenheit gebracht, die als Christus im so genannten Mys-
terium von Golgatha* im Erdendasein aufgetaucht ist.
Man kann sich fragen, warum der Mensch nicht früher eine Christus-
begegnung dieser Art bekommt, die ihm das Vermögen des Schauens in
die geistige Welt gibt. Nun ist es so, dass der Christus auf vielen Ebenen
tätig ist und auch Menschen, die nicht eine Geistesforschung suchen, be-
kommen Begegnungen allerart mit ihm geschenkt. So gesehen gibt es
viele Wege zu Christus und er zeigt jedes Mal andere Wesenszüge von
sich, wenn man ihm auf den verschiedenen Stufen des Lebens und des
Schulungswegs begegnet.
Das Wesensmerkmal, das ihn im Amt des großen Hüters charakteri-
siert, ist zunächst mit dem Erzengel Michael verwandt, so dass man in
dieser Situation einer Gestalt begegnet, die in geistiger Position auf das
hinweist, was die Evangelien über Jesus Christus berichten, als er den
Tempel von Jerusalem von Wirtschaftlern reinigte. Der Unterschied an
der Schwelle der geistigen Welt ist, dass der Christus als Hüter die Reini-
gung des Gotteshauses der Menschenseele nicht durchführt, sondern ihm
klar macht, dass er selbst diese Aufklärungsprozess in sich auszuführen
hat. Und wenn man das nicht schon geklärt hat, steht man vor der Situa-
tion, zu überlegen, was man tut, wenn man in diesem Moment unrein in
die geistige Welt treten würde.
Haben dich die Übungen einmal so weit gebracht, dass du vor diesem
Hüter bewusst stehst, ist freilich die Freiheit gegeben, auch unrein wei-
terschreiten zu dürfen. Dass ein solches Weiterschreiten aber abgrund-
tiefe, ängstliche Gefühle hervorrufen kann, ergab sich aus Schwellen-
318
erlebnissen von Menschen, mit denen ich gesprochen habe, die offenbar
noch nicht ganz reif für diese Bedeutsamkeiten waren oder die die
Begegnung mit dem Hüter und seine Anweisungen nicht entsprechend
beachteten. Nur totale Vorsicht und voller Bedacht in diesen Dingen
schafft dir den Mut und die Kraft, nicht aufzugeben, wenn du schwan-
ken würdest.
Bist du schon so weit gekommen, trägt nur ein vollkommenes Los-
lassen aller Ängste, der Glaube an die Macht des Geistes und die Liebe zu
Christus und allen Schöpfungswesen über den Abgründen zwischen dies-
seits und jenseits. Auch als ein Unreiner vor dem großen Hüter zu stehen
schafft die Möglichkeit, in diesem Augenblick sich rein zu waschen ,
aber dabei alle Verantwortung beizubehalten. Das Urbild eines prekären
Scheiterns am Abgrund des Seins ist außerdem in den Evangelien mit
der Gestalt des Pontius Pilatus gegeben, des römischen Statthalters in
Jerusalem, der die Verantwortung für Christus dem Pöbel übergab und
nicht selber als der Reichsoberste am Ort genügend Entschlossenheit
zeigte.
Steiner hat vornehmlich geschildert, dass die Begegnung mit Christus
in diesem Kontext den Geistesschüler mit verschiedenen Imaginationen
initiiert, die solche Inhalte wiedergeben, die entweder aus der Bibel, den
Evangelien oder der Gralsgeschichte allgemein bekannt sind. Weil es da-
bei um so genannte Erkenntnisimaginationen geht, wird der Schüler gleich-
zeitig alles so erleben, dass er es schmerzlich existenziell erlebt, das
heißt, er wird z. B. das Moses-, das Jesus Christus- oder das Parsifal-
Geschehen mit seiner Entwicklung als Individualität vergleichen müssen
und dabei erleben müssen, wie unweit oder weit er selbst, damit vergli-
chen, bis heute fortgeschritten ist. Steiner beschrieb eine Begegnung mit
dem großen Hüter einmal wie folgt:
Bei der Begegnung mit dem Hüter kommen wir dazu, dass wir uns
selbst erkennen, wie wir jetzt als das Resultat der vorhergehenden In-
karnationen zu der gegenwärtigen Gestalt geworden sind. Aber wir
erkennen auch, wie wir den tiefsten Schmerz empfinden können und
uns über diesen Schmerz emporarbeiten müssen zur Überwindung un-
seres gegenwärtigen Daseins. Und für jeden, der nur genügend weit
fortgeschritten ist und die Empfindungen in ihrer ganzen Intensität
durchgemacht hat, der geschaut hat den Hüter der Schwelle, taucht
dann mit Notwendigkeit ein Imaginationsbild auf, mit dem Bilde des
göttlichen Idealmenschen, der in einem physischen Leibe uns selbst
gleich lebt.
Die Versuchung und das Bild, das uns in den synoptischen Evange-
lien geschildert wird von der Versuchung, dem Hinführen des Chris-
tus Jesus zu dem Berge, von dem Versprechen aller äußeren Reali-
319
 täten, dem Festhaltenwollen an den äußeren Realitäten, die Versu-
chung an der Materie hängen zu bleiben, kurz, die Versuchung, beim
Hüter der Schwelle zu bleiben und nicht über ihm hinauszuschreiten,
das erscheint uns in dem großen Idealbilde des Christus Jesus auf dem
Berge stehend und der Versucher neben ihm das sich uns entgegen-
stellen würde, selbst wenn wir nie etwas von den Evangelien gehört
hätten.
Dann geht in uns eine andere Empfindung auf, eine Art nächster
Stufe des okkulten Weges. Wir fühlen, wie der Versucher, der da auf-
getreten ist, sich auswächst zu einem mächtigen Wesen, das hinter
allen Erscheinungen der Welt ist. Ja, wir lernen zwar den Versucher
kennen, aber wir lernen ihn doch nach und nach in einer gewissen
Weise schätzen. Wir lernen sagen: Die Welt, die sich vor uns ausbrei-
tet, mag sie nun Maya sein oder etwas anderes, sie hat ihre Berechti-
gung; sie hat uns etwas zur Offenbarung gebracht.
Da tritt etwas Zweites auf, das wieder als ein ganz konkretes Ge-
fühl geschildert werden kann. Das Gefühl tritt auf: Wir gehören dem
Geiste an, der in allen Dingen lebt und mit dem wir rechnen müssen.
Wir können gar nicht hinter den Geist kommen, wenn wir uns nicht
dem Geiste hingeben. Und da wird uns angst! Wir machen eine Angst
durch, die jeder wirkliche Erkenner durchmachen muss: ein Empfin-
den der Größe des in der Welt ausgebreiteten Weltengeistes. Sie steht
vor uns, und unsere eigene Ohnmacht empfinden wir und empfinden
auch, was wir geworden wären im Laufe des Erdenganges oder der
Welt überhaupt, und empfinden unser ohnmächtiges Dasein, das so
weit von dem göttlichen Dasein entfernt ist.
Da empfinden wir Angst vor dem Ideal, dem wir gleich werden
müssen, und vor der Größe der Anstrengung, die uns hinführen soll
zu dem Ideal. Wie wir die ganze Größe der Anstrengung empfin-
den müssen durch die Esoterik, so müssen wir auch diese Angst emp-
finden als ein Ringen mit dem Geiste der Welt. Das Bild des Christus
in Gethsemane steht vor uns, wie er die Angst erlebt in ungeheuer ge-
steigertem Maße, die wir selbst empfinden müssen auf dem Erkennt-
nispfad die Angst, die ihm den Blutschweiß auf die Stirne treibt.
Dieses Bild haben wir auf einem bestimmten Punkte unseres okkulten
Weges ohne äußere Urkunden.145
In meinem ersten Buch habe ich die innere Position gegenüber dem
großen Hüter aus individueller Sicht des Jahres 1996 so weit geschildert,
wie es damals möglich war, solche intime Vorgänge preis zu geben.146
145
Rudolf Steiner, Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13, Dornach 1962, Seite
131ff.
146
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 269ff.
320
Eine authentische Begegnung mit dem großen Hüter ist trotz der Allge-
meingültigkeit seiner Ermahnungen immer eine individuelle. Jeder be-
merkt andere Qualitäten, wovon ich drei betone: berührt zu werden von
der Prägnanz der Mitteilung, die der Wahre artikuliert ; zu beachten das
Farb - und Lichtdurchzierte des Schönen; und zu spüren, wie der Güti-
ge seine Hand einem auf die Schulter legt.
So stehen an einem wichtigen Bestimmungsort während des mühevol-
len Gangs des Wahrheitsschülers der Ernst seines gegenwärtigen Men-
schendaseins und die schlichte Fragestellung, ob er bereit ist, in Christi
Fußspuren zu gehen. Würde er hier den Mut nicht aufbringen, seine bis-
herigen Anstrengungen in den Dienst der Mitmenschen zu stellen, das
heißt die Bereitschaft zu entwickeln, gewissermaßen einen Leidensweg für
den allumfassenden, absoluten Geist im Inkarniertsein zu gehen, dann
wäre seine bisherige Arbeit etwas, was in Tilgung geraten würde. Dies
heißt nicht, dass jeder, der diese Stufe erreicht hat, seine Erfahrungen
und Forschungen z. B. veröffentlichen muss, aber die Aufgabe steht fest,
dass man seine Erkenntnisse mit der Welt in irgendeiner Weise in ir-
gendeine Berührung zu bringen hat oder schlicht in das Leben zu inte-
grieren hat.
Zwischen den Inkarnationen
Die Möglichkeit, die geistigen Stufen, die eine Individualität zwischen
den Erdenleben durchmacht, meditativ zu erforschen, besteht schon frü-
her auf diesem hier beschriebenen Erkenntnisweg, aber die Mündigkeit
erreicht zu haben, höhere Wesen als die Engel in ihrer Vielfalt zu erken-
nen, schafft die nötige Reife, solche komplizierten Ebenen anzugehen.
Den Unterschied zwischen dem geistigen Auftreten des Christus und sol-
chen Wesen, die ihm verbündet sind, zu anderen ihnen gegenüber diver-
gierende Wesen zu wissen, scheint mir eine Hilfe zu sein, um qualifiziert
das Dasein zwischen Tod und einer neuen Geburt nachzuvollziehen.
Es wurde immer wieder von Kritikern der Reinkarnationstherapie
besonders aus anthroposophischen Kreisen behauptet, dass es un-
denkbar sei, frühere Leben authentisch zu erforschen, wenn man nicht
die Abläufe zwischen den Leben als notwendiges Bindeglied beschrei-
ben könne. Es ist meine Erfahrung, dass dies heutzutage immerhin mög-
lich ist, weil aus der geistigen Welt ein Support aus christusfreundlichem
Horizont gegeben wird, wenn jemand die nötige Erkenntnishöhe nicht
erreicht hat, um die ausgedehnte geistige Kontinuität durchgehend zu
erforschen. Eine Studie vom Unternehmensberater Bernward Rauchbach
bestätigt diese Empirie, indem er einige Wahrnehmungshinderer auf
dem Schulungsweg benennt und beschreibt, wie durch eine Gabe Christi
321
die Möglichkeit besteht, Schulungsstufen zum Erkennen des Geistigen
quasi überspringen zu können.147
Es hat sich immer wieder gezeigt, dass direkte Einblicke in frühere In-
karnationen solche regenerierenden Effekte haben, dass man verstehen
kann, dass der geistige Wirkungskreis der Christusliebenden diese Tätig-
keit unter Menschen gegenwärtig fördern will. Noch einmal können wir
bedenken, was es doch heißt, dass Rudolf Steiner den Christus Herr des
Karmas genannt hat. Nichtsdestoweniger besteht die Aufgabe, geistige
Zusammenhänge zwischen den Erdenleben zu erforschen. Besonders
wenn Unsicherheit darüber bestehen könnte, dass aufgefundene Imagi-
nationen, die zu möglichen Inkarnationen hindeuten, wirklich zu einem
selbst oder zu der zur Forschung stehenden Individualität gehören,
müsste man in die Zwischenphasen meditativ eindringen. Es gibt mehre-
re Angehensweisen, wie du Imaginationen über das Dasein zwischen
den Leben bekommen kannst.
Einen Weg, zu der Region des Vorgeburtlichen zu kommen, wo eine
Inkarnation vorbereitet wurde, ist die Beschäftigung mit dem Thema
Initiationsmärchen*, das ich in meinem ersten Buch berührt habe. Die me-
ditative Arbeit mit dem bestimmten Märchen, das man als Konzept für
das heutige Leben finden kann, schafft die Vorbereitung, die eigenen vor-
geburtlichen Stufen nachvollziehen zu können. Eine Fortsetzung der Be-
tätigung, die vorher im 3. Teil in Verbindung mit dem Überschreiten ei-
ner Todesschwelle beschrieben wurde, kann jetzt schrittweise vollbracht
werden. Der gute Ort, an dem alle diese Erforschungen durchgeführt
werden können, ist der geistige Tempel, wo auch die angebrachte Betreu-
ung vorgefunden werden kann.
Durch die sieben farbigen Fenster, die jetzt als Tore zu Geistregionen
erkannt werden können, die du nach der zweiten Hüterbegegnung mit
Sorgfalt, ohne dich zu schädigen , betreten kannst, wirst du eigene ehe-
malige Erlebnisse in diesen Geistesländern anschauen können. Jetzt
wirst du erkennen, dass die früher durchgemachten Chakrenreinigungen
einen weiteren Sinn haben. Wie die Chakren zu geistigen Sinnesorganen
werden können, um für das Leben im Sinnensein nutzbar gemacht zu
werden, so werden sie aber für die geistigen Planetenregionen ganz erfor-
derlich sein, damit du dich überhaupt dort orientieren kannst. Weil die
Existenz in den Geistregionen so ganz anders ist als das Leben auf der
Erde, wird man zunächst wahrscheinlich große Schwierigkeiten haben,
sich dort zu orientieren. Da das Leben dort in gewisser Hinsicht viel so-
zialer oder gemeinschaftlicher ist, das heißt, dass du mit anderen Wesen
und Verstorbenen bestimmte Erlebnisse und Taten vollziehst, ohne es
zunächst zu bemerken, wirst du sehen, dass es sehr fruchtbar war, alle
147
Bernward Rauchbach, Befangenheit ablegen, Das Goetheanum, Nr. 1/2, 2007.
322
Ereignisse aus atlantischer Zeiten oder früher geschaut und erlebt zu
haben. Wenn wir die Menschheitsentwicklung zurück verfolgen, wird sie
immer geistiger. Dass heißt, dass sie mehr und mehr solchen Dingen äh-
nelt, die wir noch in den Regionen zwischen den Inkarnationen vorfin-
den. Somit wird es nochmals klar, warum z. B. die Erforschung der
atlantischen Zivilisation mit ihrer Lebensfreude, Beweglichkeit und Ge-
meinnützigkeit eine unentbehrliche Hilfe sein kann, um allgemeine Geis-
tesforschung zu entwickeln. Weil das Material, das ich zum Thema der
Zwischenzeit gesammelt habe, weniger von anderen Menschen stammt
als von mir selbst und ich deswegen zu wenig Vergleichsmaterial habe,
um es ermitteln zu wollen, müssen ausführliche Beschreibungen dieser
Dinge künftigen Publikationen vorbehalten bleiben. Ein paar ausdrucks-
volle und Licht bringende Beispiele, die dir Mut geben können, pflicht-
bewusst weiterzuarbeiten, möchte ich jedoch mitteilen.
Die griechische Tempeldienerin der Aphaia
Mit einem Eurythmisten zusammen erforschte ich eine seiner damaligen
Inkarnationen im alten Griechenland. Er erkannte sich als eine Tempel-
dienerin in einem Aphaiatempel. Aphaia galt primär als eine Tochter des
Zeus, und sie war eine kretische Nymphe, die eine gewisse Vergleichbar-
keit mit der Göttin Artemis hatte. Der Legende nach floh sie mit einem
Fischerboot nach der Insel Ägina, um ihre Keuschheit vor den Verfolgun-
gen des Kreterkönigs Minos zu bewahren. Ungefähr 12 km vom Ort
Ägina entfernt befindet sich im Nordosten der Insel das Heiligtum der
Aphaia. Einen religiösen Kult gab es an diesem Ort bzw. in einer tiefer
gelegenen Höhle schon seit dem 14. Jahrhundert v. Chr., wobei die ge-
ehrte Gottheit dabei nicht bekannt ist. In den Imaginationen des Betref-
fenden ergab es sich nicht eindeutig, dass sein Leben genau in diesem
Tempel auf Ägina sich entfaltet hatte, aber ich nehme es an, dass es al-
lenfalls so sein könnte.
Nun verfloss das Leben der Tempeljungfrau in friedlichen Ereignissen
ohne weitere äußere Komplikationen. Sie machte ihre täglichen Ver-
pflichtungen in der Wohnsiedlung mit strebsamer Ordnung und die
Dienste im Tempel mit Bescheidenheit. Als recht junger Mensch, noch
bevor sie dreißig war, starb sie, ohne krank gewesen zu sein. Sie hatte
einfach ihre diesmalige Inkarnation vollbracht. Nun zeigte es sich bei der
weiteren Forschung ihres nachtodlichen Lebens, dass nicht so sehr die
irdischen Gegebenheiten an sich, sondern vielmehr was nach dem Tod
wegen der Klarheit der griechischen Gesellschaftsgepräge sich ereignen
könnte, die Früchte dieses Leben für eine spätere Zeit bewahrte. Als eine
allgemeine Erkenntnis aus diesen individuellen Forschungen ergab sich
323
Folgendes: Die griechische Kultur scheint ein Versuch in der Menschheit
zu sein, in ihrer damaligen Gegenwart die Zukunft im Relief des atlanti-
schen Zivilisation zu gestalten bzw. Elemente aus Atlantis, die noch zu-
gänglich und lebendig waren, so aufzugreifen, dass darin eine erhabene
Zukunft der Menschheit sich erahnen ließ. Die Bestrebungen der Grie-
chen in dieser Richtung waren natürlich nicht für das Tagesbewusstsein
erfassbar, aber die Tatsache, dass Platon in einer seinen Schriften die
Legende von Atlantis vortrug, deutet diesen Sachverhalt an. So können
wir sagen, dass die Beschäftigung mit den nachtodlichen Ereignissen aus
griechischen oder artgleichen Inkarnationen auf eine Reserve antrifft, in
welcher noch Kräfte für die Gegenwart und die Zukunft schlummern.
Der Eurythmist konnte sich mit der besonderen griechischen Geistigkeit
im Nachtodlichen so vereinigen, dass er für seine heutige tänzerische Tä-
tigkeit neue Impulse bekam. Als er nach der Meditation versuchte, seine
Erlebnisse zusammen zu fassen, wurde ihm klar, dass die griechische
Wesensart aus diesem Blickwinkel sich als erhabenste Reinheit bezeich-
nen lässt.
Der ägyptische Charakter dagegen hat etwas ganz Anderes. So habe
ich in ähnlicher Richtung versucht, die Geheimnisse des ägyptischen
Totenkults und der Kunst der Balsamierung zu erkennen. Einige Erfor-
schungen zu nachtodlichen Ereignissen nach ägyptischen Inkarnationen
ergaben überraschende Hinweise. In einem Fall, den ich verfolgte, konn-
te sich Identisches bestätigen, was Elisabeth Hauch in ihrem Roman be-
schreibt, dass es denn vorkommen könnte, dass jemand im Nachtodli-
chen in einem Jahrhunderte langen Bann gehalten werden konnte, wenn
durch schwarzmagische Riten zum Todeszeitpunkt sein physischer Leib
und Ätherleib geschändet worden waren.148 Die ägyptische Kultur war
ein Versuch, noch einmal durch das vorhandene Gut des Atlantischen
die Angelegenheiten der Menschheit neu zu regeln, es bedeutete, die ei-
gene Gegenwart quasi als etwas, was an gesunde und noch unverfälschte
Vergangenheitsmotive gekettet war, zu fixieren. Dass ein solches gigan-
tisches Unternehmen nicht realisierbar sein konnte, hat die Geschichte ja
gezeigt.
Der Geisteskampf des protestantischen Reformators
Schwarzmagische Gebräuche in vorchristlichen Zeiten, die mit Leben
und Tod spielten, konnten sehr wohl verheerend sein, aber noch schreck-
licher war für bestimmte Individualitäten solch bösartiges Gehabe in
nachchristlicher Zeiten. Die Hintergründe zu bestimmten Krankheiten,
148
Elisabeth Hauch, Einweihung. Roman, Drei Eichen Verlag, 1997.
324
die normalerweise nicht allopathisch oder durch bekannte Heilsverfah-
ren kuriert werden können, rühren meines Erachtens aus diesem Bereich
der Vergangenheit her. Hier ist Karma solcherart chaotisiert, dass je-
mand nicht mehr in die Lage kommt, vor einer neuen Inkarnation die
übersinnlichen Leiber der Astralsubstanz und des Äthers ordnungs-
gemäß aufzubauen. In solchen Fällen können wir im wahrsten Sinne
des Wortes von Reinkarnationstherapie sprechen, weil nur Erkenntnisse
über die komplizierten karmischen Verstrickungen zwischen mehreren
Individualitäten die Grundlage schafft, eine Heilung herbeizuführen.
Mit einer sensiblen Frau, die es mit ihrem physischen Leib schwer
hatte, erforschte ich einige ihrer früheren Inkarnationen. In einer prähis-
torischen Inkarnation war sie anscheinend die einzige Überlebende ge-
wesen aus einem furchtbaren Vulkanausbruch und einer Erdbebenkata-
strophe, die in einem Gebiet stattfanden, welches der heutigen Vulkaneifel
entspricht. Nach dem Eingliedern in einer anderen Volksgruppe, mit der
sie zur britischen Hauptinsel übersiedelte, erlebte sie noch einmal die
Qualen der Einsamkeit, weil sie wegen ihrer Andersartigkeit nicht, aber
ihre neuen Angehörigen schon die Integration in einen dort befindlichen
Stamm erfuhren. Die karmischen Folgen dieser Entbehrungen wurden in
zwei Leben im Mittelalter und in der Reformationszeit aufgegriffen. Zu-
nächst stoßen wir auf einem ebenfalls geschichtlich bekannten Reforma-
tor, der gegen den Stillstand der katholischen Kirche in seinem Heimat-
land maßgeblich kämpfte. Es zeigte sich in den Imaginationen, dass sei-
ne Tätigkeit als Prediger nicht mehr angefochten werden konnte. Dann
wurde es aber deutlich, dass ein ehemaliger Mitstudent von ihm, der in
der katholischen Kirche als Priester geblieben war und mit dem Refor-
mator bis zu seinem natürlichen Tod noch freundschaftliche Beziehung
aufrecht erhielt, nichtsdestoweniger ein Verdächtiger war. Mit zwei Mit-
gliedern der Gesellschaft Jesu 149, die magische Praktiken kannten, ver-
suchte er, sich der Reformatorseele nach dessen Tod zu bemächtigen,
das heißt, sie zu bedrängen, so dass sie sich von ihren Impulsen trennen
sollte. Weil der Heimlichtuer den genauen Todesaugenblick den Jesuiten
vermitteln konnte, bekamen sie einen Zugang zum Doppelgänger des
Verstorbenen. Wie das genau geschah, werde ich nicht vermitteln. Es
zeigte sich so als eine Sachlage, die im Detail wegen des bedrückten Ge-
mütszustands des betreffenden Meditanten momentan nicht verfolgt wer-
149
Ein Freundeskreis von Theologiestudenten aus mehreren Nationen um Igna-
tius von Loyola (1491 1556) an der Universität von Paris, waren die Gründer der
Gesellschaft Jesu (Societas Jesu). Den Namen für ihre Gruppe wählten sie, noch
bevor sie einen Orden gründen wollten. Sie wollten damit an ihr Grundverständ-
nis des Christseins und der katholischen Kirche erinnern und ihre Absicht aus-
drücken, sich für dieses Verständnis einzusetzen.
325
den konnte. Und durch die Macht über den Doppelgänger konnten die
Agenten des 16. Jahrhunderts die verstorbene Seele in ihrem Fortschrei-
ten anhalten.
Durch gemeinsame meditative Kräfte gelang es uns dann aber, den
Weg der Reformatorseele nach dem Tod näher zu studieren. Normaler-
weise geschieht es nach dem Tod eines Menschen, dass die Geistseele
verschiedene Stadien der Befreiung nach der Aufarbeitung des letzten
Lebens erfährt. In diesem Fall wurde die Seele solcherart bedrängt, dass
so genannte ahrimanische Engel an sie herankamen. Durch ein Eingrei-
fen seines Schutzengels konnte sie aber dennoch nach einigen Tagen aus-
weichen.
Eine dramatische Situation schauten wir, während die hagere Gestalt
der Seele unter den Lichtfederzügen ihres Schutzengels vor den dunk-
len vorbeieilenden Dämonenengeln in einem schmalen unterirdisch-ähn-
lichen Gang beschirmt wurde. Wäre der Einfluss der damaligen jesui-
tisch geprägten Magie stärker gewesen, hätten die Dämonen den Men-
schengeist und seinen Engel noch erspähen können und sie dann beide
gegebenenfalls zur Herrschaft der Ahrimanschule* bringen können. Die
Dämonen wollten die Menschenseele zu einer gerüsteten geistigen Fol-
termaschine einliefern. Sie war nach dem Original angefertigt, in wel-
chem tatsächlich der Reformator in seinem einige Jahrhunderte zuvor
beendeten Leben als Häretiker in den Fängen der Inquisition gestorben
war. So zeigte sich die makabre Tatsache, dass solche Erfindungen, die
Menschen gegeneinander in der Sinneswelt benutzt haben, von Wider-
sacherwesen aufgegriffen werden, so dass Seelen nach dem Tod unbe-
gründet nochmals gefoltert werden sollen. In der erstaunlich einheit-
lichen Kunst des niederländischen Barockmalers Hieronymus Bosch kön-
nen entsprechende Vorgänge in der nachtodlichen Welt bildlich verfolgt
werden.150
Nach diesen Ermittlungen konnte dann die mittelalterliche Todessitu-
ation angeschaut werden und die Schritte, die diese Seele in der geistigen
Welt durchmachte, als sie ihren reformatorischen Ansatz vorgeburtlich
vorbereitete. Diese Imaginationen wurden für die betreffende Frau zu ei-
ner Grundlage, dass sie einige soziale Konflikte mit unzulässiger Macht-
ausübung neu anschauen konnte, die sie in der Gegenwart erlebt hatte,
besonders in Kreisen, die sich mit Fragen der Erneuerung des religiösen
Lebens beschäftigten. Im Dasein zwischen dem Tod und einer neuen
Geburt wirkt Ahriman und seine Wesensverwandten auf eine verstorbe-
ne Seele in unterschiedlichen Etappen mit abwechselnder Kraft ein, teil-
weise um ihr berechtigterweise zu dienen, aber auch, um sie in ihren
150
Linda Harris, Hieronymus Bosch und die geheime Bildwelt der Katharer, Verlag
Urachhaus, Stuttgart 1996.
326
Bann einzubeziehen. Rudolf Steiner beschrieb diesen Umstand in ein-
dringlicher Weise:
In dem Moment, wo die Seele durch die Pforte des Todes gegangen
ist, schwirren sie ganz besonders heran, diese ahrimanisch-geistigen
Wesenheiten. Da sind sie in Fülle da, und es ist nicht zu verwundern,
dass sie da sind, denn sie sind ja die Geister der Zerstörung. Ihre regel-
mäßige Tätigkeit ist es, dass sie an der Zerstörung der physischen Or-
ganisation arbeiten. Das gehört zu ihrem Handwerk. Sie dürfen nur
nicht zu lange dableiben. Die Menschen nun, welche geistiges Ver-
ständnis in sich aufgenommen haben, halten sich diese Wesenheiten
vom Leibe. Aber viel Macht haben diese Geister über die materialis-
tisch denkenden Seelen, die sich kein Verständnis aneignen für die
geistige Welt. Und viel leiden von Ahriman diejenigen Seelen, die es
im Leben verschmäht haben, sich geistiges Verständnis anzueignen.
Nach dem Tode während der Kamalokazeit, wenn sie ihr Leben
durchgehen, haben sie überall, indem sie sehen, in was sie gelebt ha-
ben, das Gefühl: Wozu habe ich dies oder das getan? Sie sehen, da
kommt gleich einer der zerstörenden Geister und schnappt es ihnen
weg, so dass sie finden: Ich habe es eigentlich für nichts getan. Die
Geister der höheren Hierarchien können sie nicht sehen beim Zurück-
leben und so muss ihnen alles sinnlos erscheinen.151
Die ahrimanischen Wesen wollen unseren Planeten so arrangieren, dass
mit ihr zugleich der Mensch bloß irdisch bleibt. Er soll in seiner irdi-
schen Materialität quasi immer mehr verhärtet werden und als eine Art
Bildsäule seiner Vergangenheit weiterleben. Ahriman möchte nicht, dass
wir das Karma erkennen und Einsicht in frühere Leben bekommen. Er
versucht, Karma anders zu instrumentalisieren und durch äußere Anord-
nungen den Menschen zu enthalten, so wie es in vielen Science-Fiction-
Romanen und verwandten Filmen oft grauenvoll beschrieben wird.
Es war ein großer Augenblick für die Weltentwickelung, als das Gol-
gatha-Ereignis eintrat. Da erschien Christus in der Region, der jeder
Mensch nach dem Tod betritt, die als Christi Höllenfahrt bezeichnet
wird. In dieser Welt war damals der Einfluss Ahrimans noch viel stärker
als auf dem physischen Plan. Es wirkten mit einer furchtbaren Gewalt
und Macht Ahrimans Einflüsse auf einen Verstorbenen. Falls Christus
aus der nachtodlichen Region zu den Lebendigen nicht als Auferstande-
ner zurückgekehrt wäre, wäre eine unendliche Isolation und Fesselung
an das menschliche Ego eingetreten im Leben zwischen dem Tod und
einer neuen Geburt und jeder Mensch würde bei der Reinkarnation so in
151
Rudolf Steiner, Die okkulte Bewegung im 19. Jahrhundert und ihre Beziehung zur
Weltkultur, GA 254, Dornach 1969, Seite 186.
327
sein Leben hinein geboren werden, dass er zu einem krassen, zu einem
argen Egoisten geworden wäre. Die inneren Kämpfe der Reformatorsee-
le und die heutige Lebenssituation der betreffenden Frau, wo sie dauernd
mit dem Egoismus Anderer konfrontiert wurde, wiesen auf diese The-
matik mit einer ernstlichen Deutlichkeit hin.
8.
Die manichäische Aufgabe

Die Wahrheit ist keine Theorie, keine philosophische Spekulation, kein

intellektuelles Wissen. Wahrheit ist genaue Übereinstimmung mit der
Wirklichkeit. Für den Menschen ist Wahrheit gleichbedeutend mit der
Erkenntnis seiner wahren Natur, seines Selbst oder seiner Seele. Jesus
bewies durch jedes seiner Worte und jede seiner Taten, dass er sein wah-
res Wesen d. h. seinen göttlichen Ursprung kannte. Da er sich voll-
kommen mit dem allgegenwärtigen Christusbewusstsein identifizierte,
konnte er die einfache, unantastbare Aussage machen: Wer aus der
Wahrheit ist, der höret meine Stimme.152
Paramahansa Yogananda

152
Paramahansa Yogananda, Autobiographie eines Yogi, Self-Realization Fellow-
ship, Scherz Verlag, Bern, München, Wien für Otto Wilhelm Barth Verlag 1997,
Seite 623.

328 329
Zeitgemäß zu sein, ist eine Aufgabe, die nicht leicht einzugrenzen ist.
Den Begriff modern zu benutzen, ist für Manche nicht mehr zeitgemäß.
Karma- und Geistesforschung entwickeln zu wollen oder zu betreiben,
wird in der derzeitig führenden Zivilisation des Westens nicht für mög-
lich und notwendig gehalten. Ebenso werden viele spirituell interessierte
Menschen oder solche, die Geistesgut aus früheren Zeiten in sich tragen,
nicht unbedingt als Unterstützer neuer Geistesforschung auftreten. Des-
halb muss man als Geistesforscher mit dem Bahnbrechenden, das man
behauptet gefunden zu haben, zunächst vorsichtig und still umgehen, um
nicht unnötig mit seinen Funden aus dem Weg geräumt zu werden.
Für mich heißt zeitgemäß eben, dass man die Zeit quasi überwunden
hat. Dazu reicht es lange nicht, die Vergangenheit und die Gegenwart
karmisch und geistig erschlossen zu haben, sondern auch die Tendenzen
der Zukunft, die gegenwärtig erforscht und geschaut werden können,
müssen vom Standpunkt des Zeitgemäßseins in das Interessenfeld mit
einbezogen werden. Das Gewesene der Menschheitsevolution ist im
Weltengedächtnis, in der Akasha-Chronik, vorhanden und kann vom
Geistesforscher in Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen gefun-
den und erforscht werden.
Im Gewesenen webt das Seiende und in ihm keimt das Werdende.
Wie weit der Geistesforscher aber das Seiende und das Werdende als
Prognose schauen und in ihrer Entwicklungstendenz beeinflussen kann,
wenn er das wollte und dürfte, hängt von seiner geistigen Berufung ab.
Sich vorbereiten und durch Übungen eine Grundlage schaffen, dass man
für freie Zukunftsaufgaben beauftragt werden kann, darf jeder, der sich
als Geistesschüler versteht.
Im letzten Teil sollen nun Dinge betont werden, die zunächst mit der
heutigen weltpolitischen Lage zusammen hängen. Insofern sind es über-
sinnliche Motive, die erforscht werden können, die aber mit Zeitproble-
men und -aufgaben zusammen gesehen werden müssen. Zunächst werde
ich versuchen, diese Thematik so einzukreisen, dass man an das Unbe-
fugte, sozusagen das Kriminelle, an das Tun der so genannten dämoni-
schen Wesen heran treten könnte. Das betrifft dann die Aufgaben einer
weißen, so genannten manichäischen Magie in der Gegenwart und in der
Zukunft.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Ich
Durch dynamische Meditation, die in diesem Buch eingehend gezeigt
worden ist, kannst du dir eine Auffassung der eigenen Individualität er-
werben. Du lernst zu unterscheiden zwischen dem Ich, das innerhalb der
Leiblichkeit in der jetzigen Inkarnation denkt, fühlt und handelt, und
330
dem so genannten höheren Ich oder Selbst, das dich quasi mehr als über-
sinnliches Umkreiswesen begleitet, welches aus der Direktion des
Schutzengels zunächst und normalerweise nur indirekt auf das inkarnier-
te Ich einwirkt. Durch die meditative Arbeit wirst du aber immer mehr
dieses höhere Ich so erleben können, dass es nicht nur die Ich-Bilder dei-
ner früheren Inkarnationen in sich trägt, sondern auch Modelle künftiger
Inkarnations-Ich-Bilder schon in ihrer Veranlagung zeigt. Bei Rudolf
Steiner finden wir eine Reihe von Beschreibungen, wie die komplexe
Ich-Schichtung oder Ich-Organisation begriffen werden kann. In Vorträ-
gen, die er während des Ersten Weltkriegs in Berlin gab, wurden Erfor-
schungen zusammen gebracht über den Zusammenhang zwischen der
Ich-Vorstellung, die der inkarnierte Mensch haben kann, mit seiner vori-
gen und der künftigen Inkarnation.
Das vorgestellte Ich ist überhaupt gar nicht dieses Ich, das wir jetzt
haben, sondern dieses vorgestellte Ich, das entbehrt in der Gegenwart
des inneren wirksamen Seins. Und das ist das Unsichere, das wir füh-
len, dass wir eigentlich einem bloßen Bilde, dass wir keiner Wirklich-
keit gegenüberstehen. Das kommt davon her, dass dieses Ich, das wir
vorstellen, so sein muss, wie es in der Vorstellung ist, weil in diesem
vorgestellten Ich schon die Kräfte für die nächstfolgende Inkarnation
liegen.
So lebt in dem, was wir uns vom Ich vorstellen, die Kraft, die in der
nächsten Inkarnation sich erst entfalten wird. Es muss also das vorge-
stellte Ich so abgeschwächt sein, dass es für die Gegenwart nicht wirk-
sam ist, sondern die Keimkräfte für die nächste Inkarnation enthält.
Und wenn man nichts tut, um dieses Schattenhafte der nächsten In-
karnation irgendwie reicher zu machen, als es im gewöhnlichen Le-
ben ist, so bleibt es immer unbefriedigend; denn es bleibt sozusagen
bei der Punktvorstellung. Man kommt nicht über diesen bloßen Ich-
Punkt hinaus.153
In der Meditation kann man diesen Ich-Punkt, der normalerweise den
seelischen Schauplatz des persönlichen Ich ausmacht, einerseits durch
die Karmaerkenntnis überwinden. Das niedrigere Ich wird aus der Per-
sönlichkeitsverkleidung und der eventuellen seelischen Bemächtigung
befreit. Andererseits schafft diese Erkenntnis ein Gewahrwerden der
Keimanlage der nächsten Inkarnation. Es ist meine Erfahrung, die mit
anderen Reinkarnationsforschern übereinstimmt, dass Menschen heute
in ihren Ich-Strukturen so ausgereift sind, dass sogar mehrere künftige
Inkarnationen als Konzept darin geschaut werden können.154
153
Rudolf Steiner, Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten Das
Karma des Materialismus, GA 176, Dornach 1982. Seite 129f.
110
Siehe: Jenny Cockell, Unsterbliche Erinnerung, Bastei-Lübbe Verlag, 1994.
331
 Selbstverständlich kann sich jeden Tag die Programmierung des geschachtelte Wesenheit. Wir sind so zusammengeschachtelt, dass in
künftigen Karmas ändern, indem neue Faktoren durch neue Taten dazu uns lebt das, was herüberwirkt aus der vorigen Inkarnation, dasjenige,
kommen. Also sind Vorausblicke immer als Prognosen zu verstehen, die was jetzt erfühlt wird, und dasjenige, was herüberwirkt in die nächste
nie die Handlungsfreiheit eines Menschen beeinträchtigen dürften. lnkarnation. Wie die Pflanze herauswächst aus dem, was Same des
Steiner erklärte, dass das vorgestellte Ich nicht uns selber, sondern inner- vorigen Jahres war, der vertrocknet, so ist das Vertrocknende der vori-
halb der aktuellen Inkarnation ganz der geistigen Welt angehört. Das gen Inkarnation, das allmählich in die übrige Welt Übergehende, das
heißt, die geistigen Wesen, die Karmagestalter, die unser Karma aus ehe- Wollen, das aus dem Ich quillt. Der Keim für die nächste Inkarnation
maligen Handlungen entwerfen, machen aus dem, was in uns als Bild- ist dasjenige, was wir als Ich denken.155
Ich, als Ich-Gedankenbild im Alltagsbewusstsein erscheint, für die nächs-
Das Zusammenwirken in einer höheren und unteren Organisation der
te Inkarnation das, was dann in unserer künftigen Seele wirksam sein
gegliederten Ich-Wesenheit über drei Erdenleben können wir schnell er-
wird. Gegenwärtig müssen diese Bildekräfte des Ichhaften quasi brach
fassen. Denken wir uns aber, dass eine weitere Zusammenkopplung zwi-
liegen, damit sie im nächsten Leben sich entfalten können.
schen vergangenen und künftigen Inkarnationen besteht, die alle durch
Das Ichhafte aus dem letzten Leben, das damals lebendig wirksam
das Nadelöhr des zweidimensionalen gegenwärtigen Ich gefädelt wer-
war, muss im Gegenwärtigen, verglichen mit Pflanzenprozessen, aus-
den, bekommt das gewöhnliche Denken eine weitere Herausforderung.
trocknen, ja, sogar im Denken sterben. Davon kann nur ein Bild des Ich
Wenn die früheren Leben aber in ihrem komplexen Zusammenspiel, das
erhalten werden, aber in diesem Bild-Ich ist auf geistiger Ebene der Plan
nicht nur als eine in der Zeit bestehenden Aneinanderreihung zu ver-
der künftigen Ich-Gestalt schon vorhanden. Dieser Ich-Grundriss besteht
stehen ist, sondern als räumliche Geometriefigur gesehen werden kann,
aus reinem Willen, der mit den gebliebenen karmischen Impulsen in uns
wird die Aufgabe, künftige Inkarnationen in ihrem Samencharakter zu
hinüber transportiert wird. Diesen schlafenden Willen im Ich kann der
denken, nicht nur interessant, weil man spekulieren will, sondern es wird
Meditierende aber wecken und dadurch in das hellseherische Schauen
für den Einzelnen wichtig, vorzublicken, weil er sein Potenzial etwa in
kommen, weil Schauen nichts anderes ist als schlafender Wille, der auf
einer fernen Zukunft sich ausmalen könnte.
einer anderen Ebene ausgepresst wird oder künstlich zur Tat im Den-
ken geführt wird. Eine Imagination ist in dieser Hinsicht also konzen-
trierter Ich-Wille aus einem früheren Leben, der eigentlich für die Zu-
Das Ich als Wärmewesen
kunft gespeichert ist. Man könnte denken, dass die Imagination, die
beinahe als eine Provokation gegenüber dem eigenen Wesen gesehen
Der Mensch trägt das Ich-Bewusstsein des letzten Lebens unterbewusst
werden könnte, eine schädliche Einwirkung auf die Zukunft haben wür-
im Jetzt in sich. Wenn man das beobachten will, dann muss man sich
de, weil etwas zu früh benutzt wird. Das Umgekehrte ist aber der Fall,
darauf konzentrieren, wie der Mensch nicht nur einen festen Körper hat,
weil die Imagination an einem Ort im Menschenwesen entsteht, an dem
nicht nur ein Wasserwesen ist und auch noch eine Atmung, eine Verbin-
die luziferischen und ahrimanischen Widersacher nicht zugreifen kön-
dung zum Luftigen der Umgebung hat, sondern er ist auch ein Wärme-
nen. Der Ich-Wille bekommt durch diese momentane Geistarbeit sogar
wesen. Wenn du mit dem normal ausgebildeten Ich-Bewusstsein zur
eine Steigerung seiner Entfaltungsmöglichkeit für die Zukunft.
Bildhaftigkeit, zur Imagination vorangeschritten bist, dann hast du we-
Wenn wir unseren Interessenhorizont für Welterscheinungen und
bende, lebendige Bilder bekommen. Denn deine Seele führt dich in der
Menschenschicksale durch altruistische Liebe erweitern, so Steiner,
Meditation zurück in deine vorirdische Existenz.
wenn wir gewissermaßen eingehen können auf den feineren Sinn des
Frei nach Steiner referiert, können wir diese Prozesse so beschrei-
Lebens, wenn wir ein Gespür entwickeln für Zusammenhänge, die unter
ben:156 Wandelst du weiter zu einer Erkenntnis, die dich mit intensivster
der Oberfläche des Daseins liegen, dann kriegt das Gedanken-Ich der
Liebe zusammen bringt, wo die Liebefähigkeit zum Erkenntnismut wird,
Zukunft Nahrung für seine spätere Entfaltung. Es muss für den Geistes-
wo du zunächst dein eigenes Bestehen aus einem vorigen Erdenleben he-
schüler eine Art Selbstzweck der Seele werden, dass man sein Ich durch
Umweltbewusstsein bereichern will. 155
Rudolf Steiner, Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten Das
Karma des Materialismus, GA 176, Dornach 1982, Seite 145.
Real in der Gegenwartsform ist eigentlich nur das Gefühlserlebnis; 156
Rudolf Steiner, Anthroposophie. Eine Einführung in die anthroposophische Weltan-
und wir sind wirklich zeitlich gewissermaßen eine dreifach ineinander schauung, GA 234, Dornach 1994, Seite 93ff.

332 333
rein strömen siehst in deine heutige Inkarnation, so spürst du dieses vo- kung] anderen Menschen in den Willen aufnimmt, ihn nicht nach
rangehende Leben in der normalen Differenzierung deines Wärmeorga- dem äußeren Eindruck beurteilt, tritt für den Initiierten das ein, dass
nismus, in dem du darinnen lebst. Das ist dann nicht nur Imagination, tatsächlich anschaubar für ihn wird dasjenige, was frühere Erdenleben
sondern sogar eine höhere Intuition, die sich dabei entfaltet. der Persönlichkeit waren, die ihm da entgegentreten. Da tritt nicht nur
Das frühere Erdenleben wirkt in die Wärme deines Organismus he- dieser physische Mensch auf mit seinem geistig-seelischen Inhalte,
rüber und erzeugt diesen oder jenen Impuls in Freiheit. Wir können geis- sondern gewissermaßen hinter ihm schattenhaft früheres Erdenleben,
tig in dem Wärmemäßigen des Menschen das eigentliche höhere Ich vielleicht mehrere frühere Erdenleben. Man lernt zugleich mit einer
schauen, welches Liebe und Freiheit miteinander verbindet, in dem Mo- Bekanntschaft eine ganze Reihe von Personen kennen, die so gegen-
ment, in dem eine Erkenntnis entsteht. Daher verstehen wir, dass die ständlich sind, wie der Mensch gegenständlich ist, den man im Physi-
Liebefähigkeit viel Wärme benötigt, um in die Tat umgesetzt zu werden. schen vor sich hat.157
Das Ich ist wirklich ein Wesen, das sich in Wärmesituationen erleben
möchte oder sich für ein anderes Ich durch Wärmefluten ausgießen
möchte. So können wir also von Erkenntnisimaginationen sprechen,
Zwei zukünftige Inkarnationen in ihrem potenziellen Ausmaß
wenn die zwei höheren Bewusstseinsarten, Inspiration und Intuition,
gleichzeitig in einer Imagination mitwirkend sind. Das Ich der jetzigen
Rudolf Steiner stellte fest, dass die Ideen zu der nächsten Inkarnation
Inkarnation ist nie fertig. Es bildet sich immer weiter aus.
schon drinnen sind, und im Gehirn wirken, so wie der Keim in der
Das eigentliche, in den unterbewussten Tiefen wirkende Ich ist das
Pflanze drinnen ist.158 Ich habe aus diesem Anhaltspunkt, aus den oben
aus der letzten Inkarnation. Und vor dem schauenden Bewusstsein tritt
erwähnten und auf der Grundlage meiner karmischen Erkenntnisse ge-
die Bildnatur eines Menschen, dem du gegenüber trittst, so auf, dass du
übt, Zukünftiges zu schauen. Seit der Veröffentlichung des ersten Buches
sagen kannst: Ich erblicke ihn zunächst so, wie er dasteht, mit meinen
mit den Darstellungen aus zwölf meiner früheren Inkarnationen, die mit-
äußeren Sinnen. Du schaust dann das Ätherische, du schaust das Astra-
einander eine ganz bestimmte Fügung und Geschlossenheit ausmachen,
lische, dann aber hinter ihm den anderen Menschen, der er als Ich-We-
habe ich nun noch Einblicke in eine Reihe von weiteren Leben bekom-
sen im letzten Leben war. Je weiter dieses Bewusstsein ausgebildet
men, die andere karmische Strömungen und Aufgaben meiner Indivi-
wird, desto mehr erscheint das menschliche Haupt als Bild der gegen-
dualität berücksichtigen. In der Neuzeit habe ich z. B. noch zwei Leben
wärtigen Inkarnation, etwas darüber ein Bild des Gesichts des letzten Le-
gefunden, die beide mit dem Tod in sehr jungen Jahren endeten.
bens, etwas darüber noch eine Abbildung der noch weiter zurück liegen-
Dadurch bekam ich z. B. einen Hinweis, warum mich die Biografien
den Inkarnation. Wenn der Hellseher einen vor ihm stehenden Men-
früh Verstorbener der Geschichte dermaßen interessiert haben. Aus die-
schen aus Liebe so anschaut, dann hat er Erkenntnisimaginationen, die
sen zwei Inkarnationen sind nicht verbrauchte Lebenskräfte geistig vor-
karmische Porträts enthalten.
handen, die für das jetzige Leben nicht bevorzugt sind, sondern die sich
Steiner wies darauf hin, dass wir in früheren Zivilisationen, die von
frei machen möchten für eine kommende Inkarnation, die deswegen mit
diesen Dingen aus einem so genannten atavistischen Hellsehen noch
einer Menge von Jugendkräften kalkulieren kann. Aus einigen anderen
etwas geahnt haben, Bilder finden, wo hinter dem deutlich gezeichneten
Inkarnationen liegt außerdem eine Anlage des Mathematisch-Musikali-
Antlitz, das auf das gegenwärtige Erdenleben bezogen wurde, ein ande-
schen vor, welche in der (in meinem ersten Buch als die damals vermutete
res, etwas weniger deutlich gemaltes zu sehen ist und ein noch weniger
letzte) Inkarnation in Amerika in der damaligen Form früh abgebrochen
deutlich Gemaltes als drittes. Es gibt tatsächlich solche Malereien aus
wurde. Diese potenzielle Musikalität würde gewiss im nächsten Leben
der ägyptischen Kultur. Nicht nur gegenüber der Vergangenheit können
zur Ausführung kommen wollen. In dem heutigen Leben ist bei mir
solche imaginative Bilder hintereinander entstehen etwas, das ich sel-
sonst eine Liebe zum Singen entstanden, eine Hingabe, die sich aber nur
ber öfters erlebt habe , sondern auch in Bezug auf die Zukunft reihen
gering in persönlicher Ausübung hat entfalten können. Als ich ver-
sich gelegentlich das karmisch Gewordene und das Werdende wie Re-
genbogenfarbengestalten hintereinander auf. 157
Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band VI,
GA 240, Dornach 1986, Seite 84.
Während für das gewöhnliche Bewusstsein nur die innerliche Empfin- 158
Rudolf Steiner, Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der mensch-
dung da ist, dass man den [karmisch verbundenen; meine Anmer- lichen Geschichte, GA 170, Dornach 1964´, Seite 23.

334 335
sucht habe, mich imaginativ in ein Frauenleben später im 21. Jahrhun-
dert hinein zu denken, ist in meinem Alltagsleben plötzlich ein neues
Phänomen aufgetaucht. Das ist zwar ganz persönlicher Art, aber so cha-
rakteristisch für diese Art innere Arbeit an der Zukunft, dass ich es be-
richten möchte.
In den letzten Jahren hatte ich des Öfteren die Gelegenheit, mich auf
großen Flughäfen in Deutschland, Holland, England und in Skandina-
vien aufzuhalten. Immer wieder fiel es mir auf, dass ich stets Begegnun-
gen mit schwarzen Menschen erhielt. Sowohl zu Hause als auch bei
Arbeitsaufenthalten im Ausland und bei Besuchen bei Freunden in
Deutschland begegnete ich im Übrigen immer wieder schwarzen Men-
schen aus Afrika und von anderswo. Einige lernte ich freundschaftlich
und persönlich kennen, was ein neues Motiv in meinem Leben wurde.
Diese äußeren Ereignisse spiegelten Dinge, die ich schon meditativ ge-
schaut hatte, in denen ein mögliches kommendes Leben als eine singende
und musizierende Frau sich auftat, die in einem afrikanischen Land unter
Umständen geboren sein würde.
Wie ist es möglich, etwas Künftiges zu schauen, das in eine solche
konkrete Richtung geht? Nun muss man sich klar machen, dass Indivi-
dualitäten, mit denen man in früheren Leben verbunden war, heute ir-
gendwo anders auf der Erde schon inkarniert sein können und dass man
sich eventuell dieses Mal nicht wird begegnen können. Oder sie bereiten
sich gerade übersinnlich vor, sich in eine Inkarnation zu begeben, die als
irdisches Ziel ein Land hat, das gerade dem entspricht, welches man
schauen kann. So würden sie z. B. unsere Ur- oder Großeltern oder künf-
tigen Lehrer werden können. Also liegen schon willentliche Intentionen
bei Anderen vor, die zunächst außerhalb unseres Gegenwartsbewusst-
seins eine verhüllte Verbindung zu unserem künftigen Karma bewirken.
Ferner habe ich versucht, nachzuspüren, welche Auswirkung mein
Interesse an der alten atlantischen Kultur in einem weiteren künftigen
Leben haben könnte. So entstanden Imaginationen, in denen ich einen
Mann schaute, der in jüngeren Jahren das Tauchen lernt, um später von
Schiffen und U-Booten nach Überresten von alten Kulturen am Meeres-
boden suchen zu können. Inwieweit sie auch Erkenntnisimaginationen,
also wahre Prophezeiungen sein können, können nur der Erkennende
selbst und diejenigen, die ihn erkennen, bestätigen inklusive die real
gewordene Zukunft, wenn wir so weit sind.
Wenn wir zu diesen eventuell künftigen Leben das Motiv mit den See-
lentieren aufgreifen, ergänzt sich das Geschaute. In meinem ersten Buch
habe ich angedeutet, dass ich bei mir selbst einen Elefanten, ein Krokodil
und einen Stier in Verbindung mit Wille, Gefühl und Denken gesetzt ha-
be. In gewisser Hinsicht hat der Elefant mit seinem Erinnerungsvermögen
in meinem heutigen Leben eine Dominanz gegenüber den anderen zwei
336
Tieren. Bei der künftigen Sängerin würde der Stier mit der Gabe des Ver-
arbeitens einen Vorrang bekommen und beim Unterwasserforscher die
Krokodile mit ihrer Geduld. Je mehr man solche möglichen Zukünfte für
sich im Lebensstil mit einbezieht, desto mehr öffnen sich neue Sichtwei-
sen auf dasjenige, was man in früheren Leben versucht hat zu verwirk-
lichen. Man wird erkennen, dass Dinge, die vorgeburtlich veranlagt sind,
wegen ungünstiger Umstände, die inzwischen im physischen Umfeld
entstanden sind, nicht mehr realisierbar sind, wenn sie im betreffenden
Alter angegangen werden wollen.
Gleichzeitig aber erlebt man sein gegenwärtiges Leben mit seiner
Möglichkeit, das zu realisieren, was man vorhat, als ein wunderbares
Abenteuer. Die Freiheit, die das Leitmotiv dieses Abenteuers sein wird,
entbindet gleichsam eine neue Dimension, die Versöhnung mit Vergange-
nem, Vorfreude am Künftigen und Herzenswärme gegenüber dem Mög-
lichen im Jetzt beinhaltet. Aus diesen Blickwinkeln wird das jetzige Le-
ben als ein dynamisches Ereignis zwischen der letzten und der nächsten
Inkarnation erfolgen. Die Gegenwart kann als ein Zusammenwirken von
Vergangenem und Zukünftigem gesehen und zuversichtlich erstarkt wer-
den.
Übungen zum Vorausschauen
Meditationen, die das Vorausschauen begünstigen sollen, können z. B. in
einem der sieben Gartentempel, die im 7. Teil erwähnt wurden, stattfin-
den. Solche Hinwendungen können unterschiedliche Anliegen verfolgen.
Vielleicht suchst du für jemanden, dem du helfen möchtest, Möglich-
keiten für seinen Lebensweg. Es kann geschaut werden, was er aus kar-
mischen Gründen für diese Inkarnation vorhatte. Sein Lebensfaden ist
schon ausgelegt, aber er ist möglicherweise in eine Sackgasse gelangt,
aus der er nicht selbst heraus kommt. Wenn einer seinen Lebensweg
nicht genügend kennt, ist es schwierig, ihm überhaupt befriedigend zu
helfen. Etwa folgendermaßen kannst du schauen, was künftig ihn erwar-
ten könnte.
Durch gezielte Fragen bereitest du dich vor. Warum ist er unfähig ge-
worden, sein Leben zu steuern? Mit welchen Menschen hatte er zu tun,
als es für ihn schief ging? Zuerst muss festgestellt werden, inwiefern die
entstandene Lage eine karmische Ursache haben kann und mit wem er
vielleicht verbunden ist, der karmisch verpflichtet wäre, ihm zu helfen.
So könntest du seinen Umkreis gegenwärtig auflichten und z. B. etwas in
Bewegung setzen, so dass der potenzielle Mitkämpfer aus seiner Untätig-
keit erwacht und handlungsbereit wird. Mit Hilfe einiger Beispiele kann
klar werden, was hier gemeint ist.
337
 Eine geschiedene Frau hat zwei Söhne. Der ältere von ihnen ist sehr
tatkräftig, aber in ein Alter eingetreten, in dem er seinen jüngeren Bruder
wiederholt abträglich beeinflusst. Der Elfjährige kommt zu kurz und die
Mutter überlegt, mit ihm etwas zu unternehmen, aber sie weiß nicht, was
ihm wirklich gut tun würde. Eine der Motive der Trennung war, dass sie
im Ausland einen Mann aus Australien kennen gelernt hatte, aber seit
einiger Zeit ist der Kontakt nicht mehr aufrecht erhalten worden. In der
Karmaforschung hatte die Frau sowohl über sich, den Ehemann, die
Söhne und den Freund Hintergründe gefunden, die zunächst eine Har-
monie für sie geschaffen hatten. Nun bestand noch die Frage, wie sie mit
dem jüngsten Sohn vorgehen könnte, damit er Zeit für sich und Erho-
lung finden könnte. In einer Steinmeditation, angeregt durch ein Amazo-
nitwesen, bekam sie eine Zukunftsimagination. Sie erlebte sich darin im
Badekleid auf einem riesigen Sandstrand. Das offene Meer lag vor ihr
und große Wellen brandeten rhythmisch auf die Küste. Im Wasser lau-
fend, entdeckte sie ihren jüngsten Sohn, der vom Australier im Spiel mit
den Wellen aufgeheitert wurde. Es war kein Zweifel, dass der Mann eine
innige Beziehung zum Jungen hatte. Das Lachen des Jünglings und sein
fröhliches Hüpfen bestätigten, dass er über die Umstände glücklicher war
als je. Beim Schreiben dieser Zeilen steht für die beiden eine Reise nach
Asien noch bevor, aber ich habe keinen Zweifel daran, wenn die Reise
eine Realität würde, dass sich daraus ein gutes Schicksal für die Beteilig-
ten ergeben würde.
Ein Mann überlegte, ob er seinen technischen Beruf aus jüngeren Jah-
ren wieder aufgreifen sollte oder nicht. Um sich für den Entschluss zu in-
spirieren, versuchte er, eine künftige Inkarnation zu schauen. Ein Frau-
enleben, das sich in eine futuristisch aussehende Großstadt einfügte,
tauchte mit markanten Konturen auf. Er erlebte sich als diese Frau. Es
war besonders beeindruckend, einige Automodelle, die er nachzeichnen
konnte, mitzuverfolgen. Ein solch flottes Design haben wir noch nie im
normalen Leben erblickt.
Vorschauen, wie die oben beschriebenen, sind wie ich schon er-
wähnt habe immer Momentaufnahmen, deren Zielangaben überhaupt
nicht eintreffen müssen, weil viele Umstände sich durch jeden Lebenstag
ändern können. In solchen Imaginationen ist es entweder der gereifte
kleine Hüter, der Schutzengel oder ein anderes höheres Wesen, welcher
die Regie mitverantwortet. Bevor du selbst reif bist, eigene wahre Pro-
phetien aus deinem höheren Ich zu gebären, entwirft das Geistwesen aus
den vorhandenen Voraussetzungen deiner Fragen und deiner Wesensart
heraus sein Zukunftsbild, das du erblickst. Jedenfalls muss beim Heran-
ziehen von prophetischen Bildern, noch mehr als bei der Rückerinnerung
an frühere Leben, Umsicht herrschen. Insbesondere gilt dies, wenn du
künftig willentlich aus den geschauten eventuellen Zukunftsmotiven he-
338
raus dein eigenes Leben oder die Wirklichkeiten von Anderen einiger-
maßen beeinflussen möchtest.
Die Göttin Kala und die Selbstachtung
Eine Erzieherin hatte die Frage, wie sie ihr Leben neu ergreifen könnte,
nachdem sie die komplizierte Trennung vom Ehemann, den Umzug in
einen neuen Wohnort, wo sie sogleich eine neue Arbeitsstelle fand,
durchgemacht hatte. Sie wollte wieder den roten Faden ihres Lebens
aufgreifen, den sie als stückweise aus der Sicht verloren empfunden hat-
te. Wir machten uns zu zweit auf in die Meditation, wo ich sie beglei-
tete, die passenden Fragen stellte und Hinweise gab, damit sie in einen
sinnvollen Prozess hinein kommen konnte. Dabei erschien bald ihr
Schutzengel in majestätischer Ruhe, um sie auf einem Flug über das
Land hinter ihrer Hütte zu begleiten. Zuerst schwebten sie an einer
Moschee vorbei. Sie empfand, dass sie dort nicht anhalten sollten. Sie
ließ sich von einem Licht in der Ferne anziehen und bald kamen sie zu
einem persischen Palast mit einem großen Innenhof. Sie erlebte die
Schönheit der Architektur überall, aber ein Mann mit Turban tauchte auf
und ging mit ihr, um den Stall aufzusuchen. Sogar den Geruch der Pfer-
de konnte sie stark empfinden. Nach diesem seltsamen Besuch, der even-
tuell altes Karma anklingen ließ, ging die Reise weiter. Sie befand sich
demnach mit dem Engel in einer Wüste, wo die Empfindung der Entbeh-
rung alles Andere überschattete. Nach einer Weile vermochte sie aber
eine kleine Oase zu finden, wo sie zu essen und zu trinken bekam. Sogar
zwei nahe Freunde durften anwesend sein, um sie zu bedienen. Danach
erwartete jedoch ihr Engel, dass sie zu dritt weiterzogen. In der Ferne
tauchten mehrere Pyramiden auf. Ich bat sie, nach der Möglichkeit Aus-
schau zu halten, einen Kultraum dort zu besuchen. Der Engel wies sie
auf eine gigantische Pyramide hin, wo der Eingang zum Inneren zugäng-
lich war. Sie kamen in einen Prachtsaal hinein mit brennenden Fackeln
und auf einem Thron sitzend befand sich eine wunderschöne Göttersta-
tue. Bei näherem Hinschauen zeigte sich die Statue aber als lebendig. In
dem folgenden Gespräch, das die Frau mit der Göttin namens Kala* hat-
te, erlebte sie eine durchdringende Erschütterung in der Seele. Die Göttin
stellte mit eindeutiger Strenge und sogleich mit Milde einfach fest, dass
sie ihr und ihren göttlichen Impuls in der jüngsten Vergangenheit ver-
nachlässigt habe. Jetzt bestand die Möglichkeit, dass sie ihre Lebensfüh-
rung wieder im Einklang mit der geistigen Welt einrichtete. Als Ge-
schenk von Kala durfte sie einen Rubin aus ihrem Kleid mitnehmen, um
ihn bei sich in der Seele ständig zu tragen. Nach diesen verschiedenen
schönen, unbehaglichen und ergreifenden Szenerien kam sie zurück zu
339
ihrer Hütte. Die zwei Freunde machten ihr dort überraschenderweise
Spaß, weil sie mittels eines Teils der Oberuferer Weihnachtsspiele zwei der
Hirten lustig nachahmten. Bei der Retrospektive auf die Motive nach der
Meditation wurde es der Erzieherin deutlich, dass sie unerwartete, aber
anschauliche Antworten auf ihre Frage bezüglich der Vorausschau be-
kommen hatte.
1. Sie solle sich nicht von allem, was ihr begegnete, aufhalten lassen.
2. Sie dürfe die Schönheit im Alltag beachten.
3. Sie müsse sich vorbereiten, dass eine Zeit der Entbehrung im An-
marsch sein könne, wahrscheinlich wegen des radikalen Neuanfangs
im Leben, der auch äußerliche Sorgen neuer Art bringen könne.
4. Sie werde immer mindestes zwei Freunde haben, die sie helfend be-
gleiten.
5. Schließlich solle sie sich ihrer Eigenständigkeit bewusst werden, dass
sie alles anpacken werde, wenn es ihr nie entfiel, dass die geistige
Welt immer da sei.
Die Göttin Kala, die traditionell mit Kraft, Wissen, Handeln und Weis-
heit verbunden wird, zeigte in dieser Erscheinungsform, dass Selbst-
achtung notwendig ist, um die göttliche Liebe in der menschlichen Liebe
wirksam werden zu lassen. Auch der Edelstein Rubin den ich manch-
mal in Steinmeditationen benutzt habe ist mit dieser außerordent-
lichen Aufgabe des sogenannten roten Strahls verbunden.159
Schauende Geistesgegenwart
der Umgang mit meditativer Magie
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer zunehmen-
den Ausbreitung unterschiedlicher, oft aus den USA stammender Me-
thoden, um eine außerkörperliche Bewusstseinskontrolle zu erlangen,
welche früher in der parapsychologischen Forschung beschrieben worden
sind oder wie von einigen Autoren behauptet wird im Geheim-
dienst des CIA entwickelt wurden. In diesem Zusammenhang können
uns zwei Begriffe besonders interessieren.
Das eine ist die so genannte Astralreise oder Astral-Projektion, das an-
dere ist Remote Viewing die Fernschau.160 In der Literatur und im
Internet werden verschiedene Übungsprogramme angeboten, damit man
sich die Fähigkeit aneignen kann, eine Lockerung des so genannten fein-
stofflichen Körpers zu schaffen, einen übersinnlichen Lichtkörper zu ent-
159
Michael und Ginny Katz, Die Hüter der Edelsteine, Seite 135 ff.
160
Zu Remote Viewing siehe R. Craig Hogan, The Greater Reality: http://www.
greaterreality.com/
340
wickeln, um umfassende Reisen in höheren Bewusstseinsarten zu unter-
nehmen und problemlos in den physischen Leib zurück zu gelangen.161
Kyriacos Markides erzählt in seinen Büchern ausführliche Bespiele, wie
Daskalos und seine Schüler die sogenannte Eksomatose* üben und betrei-
ben. Dieses Verlassen des grobstofflichen physischen Körpers, um über-
sinnlich sich zu anderen Orten oder Zeiten zu bewegen, scheint ein wich-
tiger Bestand des geistigen Heilens dieser christlichen Geistesrichtung zu
sein.
In vielerlei Hinsicht sind die Ansätze wohlgemerkt nur die Ansätze
zum Bewusstseinsausbau, die in solchen Praktiken beschrieben wer-
den, nicht auffallend verschieden von denjenigen, welche bei Steiner vor-
kommen oder welche ich für mich erarbeitet habe, als ich aus einer die-
nenden Christus-Orientierung heraus bestimmten Kriminalitätstenden-
zen in sozialen Zusammenhängen übersinnlich nachgehen wollte, wie
ich es im ersten Buch andeutungsweise beschrieben habe.162 Im Zusam-
menhang des Remote Viewing ist es aber so, dass der Schauende für sich
durch die eigene Bewusstseinsfähigkeit bestimmte und zuweilen eigen-
nützige Ziele verfolgt, die er anschauen, untersuchen und einkreisen will.
Wie ein Geheimagent, ein Spion, versetzt er sein Bewusstsein an einen Ort
in der Ferne, wo er bestimmte Vorhaben und Handlungen anderer Men-
schen auskundschaften möchte. Aus welchen Beweggründen er sein Er-
mittlungsverfahren betreibt, wissen nur er allein oder seine Auftraggeber.
Es ist also nicht auszuschließen, dass eine solche Tätigkeit auch als ver-
brecherisch beurteilt werden könnte. So kann diese Art übersinnlicher Tä-
tigkeit ebenfalls als negative Magie bezeichnet werden, weil eine Willens-
ausübung vorkommt, die in die Freiheit eines anderen Handelnden sogar
eingreifen könnte. Ob Magie eine so genannte weiße, graue oder schwar-
ze ist, gründet also auf einer haarscharfen Beurteilung desjenigen, der ein
Mitwissen darüber hat.
Wenn Tugendreines im Denken, Fühlen und Wollen freilassend mit
Lichtwärme aus Liebe verschenkt wird, etwa in dem Stil, wie es im 1.
Teil mit der Poesiemeditation beschrieben wurde, können wir die gute
Wirkung, die bei einem Empfänger entstehen könnte, als Wirkung weißer
Magie bezeichnen. Wenn der Ausstrahlende noch einen Touch von Ego-
ismus beim Geschenk beigemischt haben sollte, aber die Wirkung noch
förderlich wäre, könnten wir von grauer Magie sprechen. Wenn aber ein
Magier mit seiner Tätigkeit bei anderen Menschen oder Wesen etwas be-
wirken würde, welches sie in ihrer physischen, seelischen, geistigen oder
karmischen Entfaltungsmöglichkeit zurücksetzen oder hindern würde,
161
James H. Brennan, Astral-Projektion. Anleitungen zu außerkörperlichen Erfahrun-
gen, Verlag Hermann Bauer, Freiburg im Breisgau 2000.
162
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 304ff.
341
hätten wir es mit schwarzer Magie zu tun. Ob karmische Hintergründe in
solchen Fällen bestimmte Dispositionen zum Bösen veranlagt haben,
müsste allerdings erforscht werden. Einer der beachtenswertesten Men-
schen im 20. Jahrhundert, der als christlicher Magier galt, war also der
Zypriot Dr. Stylianos Atteshlis, der von Markides mit dem Pseudonym
Spyros Sathi bezeichnet wurde, der sonst mit dem Namen Daskalos oder
auch als der Magus von Stravolos bekannt ist.163
Sich mit seinem Leben und seiner Tätigkeit zu beschäftigen, die durch
mehrere Bücher belegt sind, spendet eine unerlässliche Hilfe, wenn man
das Gebiet der Magie aus positiver Sicht in unserer Zeit studieren möch-
te. Ich habe in meiner geistesforscherischen Tätigkeit in dieser Richtung
solche Perspektiven und so viel Information allerlei Art bekommen, dass
ich es für angebracht halte, dazu beizutragen, dass Bewusstseinswege
angeleitet werden, die im Einklang mit der realen Ordnung der geistigen
Welt sind und nicht irgendwelche Interessen verfolgen, die aus persön-
lichen, gruppenmäßigen, patriotischen oder böswilligen Beweggründen
herrühren. Nachfolgend möchte ich eine meditative Arbeitsweise be-
schreiben, die ich praktiziert und seminaristisch unterrichtet habe. Ich
beschreibe das Konzept in der Ich-Person, aber jeder kann für sich prü-
fen, wie er Ähnliches unternehmen könnte.
Satanische Wesen, die gegen Karma arbeiten
In meiner Beobachtung der gegenwärtigen Weltlage inklusive der politi-
schen Entwicklung seit 1989 stieß ich auf die Gegebenheit, dass die nor-
malen Engel die jede Nacht, wenn der Mensch schläft, seine Wesens-
glieder mit regulären, guten Impulsen versorgen in ihrer rechtmäßigen
Arbeit von anderen Wesen beeinträchtigt, behindert und bekämpft wer-
den. Immer wieder erschien es mir zunehmend oft vorzukommen, dass
Menschen in ihrem Tagesbewusstsein von solchen unerlaubten, dunklen
oder kriminellen Ideen und Impulsen überschattet wurden, die mit ihrer
normalen karmischen Entwicklung wenig oder gar nicht harmonieren
konnten. Ich sah es als eine Gewissenssache, diese Problematik näher ins
geistige Auge zu fassen. Bei mehreren Versuchen, diese Dinge genauer
zu erkennen, wurde mir klar, dass ich für die geistige Untersuchung
nicht in der Lage war, allein solchen Wesen, die Ursache des Illegalen
waren, gegenüber zu treten und ihre Zerstörertätigkeit aufzuspüren oder
163
Kyriacos C. Markides, Der Magus von Stravolos. Die faszinierende Welt eines spiri-
tuellen Heilers, Knaur Esoterik Band 4174, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur
Nachf., München 1988. Daskalos, Esoterische Lehren, Knaur Esoterik, Band
4279.
342
ihr Einhalt zu gebieten. Deswegen baute ich mir durch Zusammen-
arbeit mit anderen Geistesforschern und einigen geistigen Wesen geistige
Hilfsmittel, die uns die Deckung geben sollten, ungestört in die übersinn-
liche Aktionsebene dieser Widersacher zu gelangen. Ich baute ein über-
sinnliches Gerät, das ich Pentagonmobil nannte. Ich stellte mich geistig
auf eine Ecke des gedachten Grundrisses eines Pentagramms, eines Fünf-
ecks. Neben mir stand der Geistesfreund und vor uns standen unsere
zwei Schutzengel. In der fünften Ecke, in der Fahrtrichtung des Fahr-
zeugs, bat ich einen Erzengel, einen der sieben Zeitalterwesen, den Uriel,
sich einzubringen. Der Erzengel Uriel steht in seinem Beruf als Beauf-
sichtiger der Taten der Menschen gegenüber dem Planetengeist der Erde.
In der geistigen Welt ist er jemand, den man gleichsam als Umwelt-
minister bezeichnen könnte. Er handhabt die Folgen des menschlichen
Handelns gegenüber den anderen Naturreichen. Außerdem wirkt er für
die Kontinuität geschichtlicher Entwicklungen. So wird er von Steiner
dem Begriff des historischen Gewissens zugeordnet. Es kam mir während
einer Meditation als Inspiration, genau diesen Erzengel für diese span-
nungsgeladenen Erforschungen zu rufen. Das Pentagramm, auch Dru-
denfuß genannt, ist traditionell eine Figur mit symbolischer oder magi-
scher Kraft. Laut Steiner geht eine Strömung durch den Ätherleib in
Form eines Pentagramms, die den Ich-Punkt in der Stirn mit den Füßen
und Händen durch das Herz verbindet. Auch Daskalos befürwortete den
Fünfstern als geistigen Schutz gegen unerwünschte Beeinflussungen,
indem man ihn innerlich um sich herum errichtet.
Eines Morgens mitteleuropäischer Zeit brachte uns das Mobil über
den Atlantik nach Westen, wo noch das Nachtdunkel bestand und die
meisten Menschen noch schliefen. Meine Idee war, einen konkreten Po-
litiker geistig aufzusuchen, dem ich aus den Nachrichten kannte, ihm
aber nicht persönlich begegnet war. Ich wollte erforschen, ob er von sol-
chen antichristlichen Dämonen angegriffen wurde, und wenn ja, wie sie
konkret sich benahmen. Was wir erforschen durften, waren Tatsachen,
die alles übertrafen, was z. B. in Horrorfilmen gezeigt wird. Weil es sich
meines Erachtens hier um unmittelbare geistige Realitäten handelte, die
alle Grausamkeiten des physischen Lebens überstiegen, und ich zunächst
meine Bestürzung besiegen musste, um überhaupt diese Erkenntnisse zu
ertragen, war es nicht einfach, etwas Heilendes sofort dagegen einzuset-
zen. Was ich jetzt berichte, waren solche starken Imaginationen, die
gleichlaufend inspiriert waren und volle intuitive Intensität besaßen. Ich
erkannte auf der physischen Ebene ein büroähnliches Schlafzimmer. Da
war ein Bett, in welchem ein Mann schlief. Auf der übersinnlichen Ebe-
ne standen um den schlafenden, lebendigen Körper herum rätselhafte
Geistgestalten. Die Laune dieser Geistwesen untereinander enthüllte
sich bald als vergleichbar mit der Entschlossenheit eines Operations-
343
teams in einem Krankenhaus, bei dem jeder weiß, was zu tun ist, und sie
sich gegenzeitig die Hände und Utensilien reichen, die für den Eingriff
nötig sind. Hier bestand aber die Eigenmächtigkeit darin, dass sie die
rechtmäßigen Engel, die dort hätten sein sollen, außer Funktion gesetzt
hatten. Diese waren nicht zu sehen. Für die operierenden Dämonen la-
gen die Farbschönheit , die geometrische Struktur und die lebendigen
Kanäle der sieben Chakren des schlafenden Menschen auf ätherischer
Ebene offen. Es schien, als ob sie nicht die Chakrenblüten direkt antas-
ten konnten, sondern nur die Verbindungen zwischen ihnen anzugreifen
wussten und dann fleißig anfingen, sie herausreißen zu wollen. Die
Zwischendimension der Chakren sollte buchstäblich angeschwärzt und
umgekoppelt werden, damit dieser Mensch am nächsten Tag oder in
der nächsten Zeit sein Karma nicht normal einsetzen konnte. Er sollte
schicksalsunfähig oder so verschroben werden, dass er nicht im Einklang
mit seiner karmischen Umgebung stabil leben würde.
Dieser Politiker war nicht der einzige Mensch, der solch böses Verfah-
ren erleiden musste. Das ergaben dereinst andere Abscheulichkeiten der-
selben Art. Diesen Meditationserweis erhielt ich tatsächlich ein paar Wo-
chen vor den Terroranschlägen am 11. September 2001. Nach dieser Kata-
strophe setzte ich solche Forschungen und Versuche der weißen Magie be-
dingungslos fort. Durch die eigene Arbeit und durch Berichte von Ande-
ren wurde offenbar, dass nicht nur das so genannte Böse sich in den letz-
ten Jahren gesteigert hat, sondern dass auch Gegenmaßnahmen sowohl
von Menschen wie auch von der geistigen Welt in segensreichem An-
wachsen begriffen sind.
Gleichzeitig mit den westlichen militärischen Anordnungen in Afgha-
nistan die zum Ziel hatten und noch haben, die grauenhaften Terro-
risten Osama bin Laden und seine Anhänger einzufangen wurden von
Freunden von mir, die zugleich daran forschten, übersinnliche Handlun-
gen beobachtet, wo Individualitäten und Engel im Bündnis für einen
Manichäismus ausübenden Impuls sich einsetzten, um aus dem Jenseits
gequälte Menschen zu beruhigen und sie vor Gewalt zu schützen. An-
schließend schaute ich, dass in von Krieg und politischer Unruhe be-
drohten Ländern z. B. in Afrika, im Golfgebiet und auf dem Balkan In-
dividualitäten, die in früheren Zeiten richtungweisend für die Mensch-
heit als Eingeweihte wirkten, heute wieder verkörpert sind. Außer ihre in-
dividuellen Beiträge zu realisieren, warten sie darauf, noch mehr geistige
und physische Unterstützung ihrer friedenstiftenden Arbeit zu erhalten.
In der Meditation kann man solche Menschheitshelfer und Meister
antreffen, genauer gesagt, man wird ihre Stimmen inspirativ hören ,
wenn man selbst bereit ist, ihnen die richtige Hilfestellung zu geben.
Trotz jeden Tag sich steigernder Gewalt und unmenschlicher Grausam-
keit können wir mit größter Lebensbejahung hinschauen, dass eine geis-
344
tige Sicherung des Ich und der Humanität immer mehr möglich sein
wird, wenn Herzenswärme da, wo Herzenskälte herrscht, ausreichend er-
zeugt und verschenkt wird.
Die Individualität des Mani-Parsifal
Eine Individualität die gemäß Angaben von Rudolf Steiner mit ver-
kürzten Aufenthalten zwischen Tod und neuer Geburt in jedem Jahr-
hundert inkarniert ist, um teils für die Reinkarnationsidee global zu wirken
und dazu die Arbeit der Umwandlung des Bösen zu veranlassen und dabei
sich mit den Aufgaben anderer Meister und Individualitäten zu verstän-
digen lebte einst als der iranische Religionsstifter Manes oder Mani
(etwa 216 277 n. Chr.), der den historischen Manichäismus gründete. In
einer späteren Inkarnation sei er laut Äußerungen von Steiner der Hüter
des Grals im 9. Jahrhundert, Parsifal, gewesen. Einige Steiner-Zitate zei-
gen deutlich an, mit wem wir es da zu tun haben. Bei der umfassenden
Erforschung zur Inkarnation der blinden Frau, die ich im 4. Teil be-
schrieb, kamen viele Ereignisse herauf, die mit dem Wirken der Ritter
vom Gral plus ihren Gegnern zu tun hatten.
Manes ist jene hohe Individualität, die immer und immer wieder auf
der Erde verkörpert ist, die der leitende Geist ist derer, die zur Bekeh-
rung des Bösen da sind. Es wird, wenn auch in der Gegenwart dieses
Prinzip des Manes sehr in den Hintergrund hat treten müssen, weil
wenig Verständnis für den Spiritualismus da ist, es wird dieses wun-
derbar herrliche Manichäerprinzip mehr und mehr Schüler gewinnen,
je mehr wir dem Verständnis des spirituellen Lebens entgegen-
gehen.164
Manes bereitet diejenige Stufe der menschlichen Seelenentwickelung
vor, die das eigene seelische Geisteslicht sucht. Alles, was von ihm
herrührt, war ein Berufen auf das eigene Geisteslicht der Seele, und
das war zugleich ein entschiedenes Aufbäumen gegen alles, was nicht
aus der Seele, aus der eigenen Beobachtung der Seele kommen wollte.
Schöne Worte rühren von Manes her und sind das Leitmotiv seiner
Anhänger zu allen Zeiten gewesen. Wir hören: Ihr müsst abstreifen
alles dasjenige, was äußere Offenbarung ist, die ihr auf sinnlichem
Wege erhaltet! Ihr müsst abstreifen alles, was äußere Autorität euch
überliefert; dann müsst ihr reif werden, die eigene Seele anzuschau-
en!165
164
Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes, GA 104, Dornach 1979, Seite 163.
165
Rudolf Steiner, Die Tempellegende und die goldene Legende als symbolischer Aus-
345
 Damit die Seele des Manes ihre eigentliche spätere Mission den
wahren Zusammenklang aller Religionen zu bringen tun konnte,
musste sie wiedergeboren werden als diejenige Seele, die zu dem
Christus-Impuls in einem ganz besonderen Verhältnis steht. Untertau-
chen musste gleichsam noch einmal alles, was in jener Inkarnation als
Manes an altem und neuem Wissen aus dieser Seele heraufgekommen
war. Als der reine Tor musste er dem äußeren Wissen der Welt und
dem Wirken des Christus-Impulses in seinen Seelenuntergründen ge-
genüberstehen.
Er wird wiedergeboren als Parzival, der Sohn der Herzeloyde, der
von ihrem Gatten verlassenen tragischen Gestalt. Als Sohn dieser
Witwe verlässt nun auch er die Mutter. So bereitet er sich in seinem
Leben als Parzifal dazu vor, später ein neuer Lehrer des Christentums
zu werden, dessen Aufgabe es sein wird, das Christentum immer
mehr zu durchdringen mit den Lehren von Karma und Reinkarna-
tion, wenn die Zeit dazu reif sein wird.166
Manes beabsichtigt sich im nächsten Jahrhundert zu verkörpern, vor-
ausgesetzt dass er einen geeigneten Körper findet.167
Das Prinzip des Manichäismus den anderen Seelen
das geistige Leben geben, das man in sich selbst trägt
Versuche, wie die oben beschriebenen, können zeigen, in welcher Rich-
tung ein zeitgemäßer Manichäismus ansetzt. Steiner drückte die Haltung
eines weißen Magiers in lapidarer Weise aus:
Der weiße Magier will den anderen Seelen das geistige Leben geben,
das er in sich selbst trägt.168
Dieses Erkennungswort setzt voraus, dass man genau weiß, welches
Geistleben man in sich trägt oder entwickelt hat. Solange das eigene
Seelenleben nicht befriedigend geläutert ist, muss das Geistige, das man
weitergeben will, in einer gewissen Weise noch vom Subjektiven, aber
noch nicht vom Individuellen gefärbt sein. Zum Erkennen und Befes-
tigen des Individuellen gehört quasi, seine karmische Hauptlinie zu er-
kennen, dann das Ungeklärte in den bestehenden karmischen Wirkun-
druck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen, GA 93,
Dornach 1979, Seite 73.
166
Rudolf Steiner, Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esote-
rischen Schule 1904 bis 1914, GA 264, Dornach 1984, Seite 230.
167
Ebenda, Seite 240.
168
Rudolf Steiner, Kosmogonie, GA 94, Dornach 1979, Seite 64.
346
gen aufzufinden. Wenn die Wesensstufe dieser Dinge betreten werden
kann, entsprechend den Übungen im 7. Teil, geht es um eine manichäi-
sche Arbeit der Bekehrung, der Zurechtweisung, der Dressur oder der
Domestizierung von widerwilligen, so genannten bösen Wesen. Das erste
Wesen, das quasi umgeschult werden kann und muss, ist das karmische
Double, genauer gesagt, du selbst. Später kommen Wesen auf der Stufe
der Elementarwesen dazu, denen ein Mensch in seiner heutigen Inkarna-
tion durch erworbene Fähigkeit helfen kann, von der Wildheit z. B.
ein Troll oder der Abgesondertheit vom Naturdasein z. B. ein
Technikelementarwesen zu befreien, zu zähmen und zu kultivieren.
Für eine umfassendere manichäische Arbeit muss man vorläufige
Maßnahmen ergreifen, um die gewaltsameren Wesen eine Zeit lang, wie
Steiner das bezeichnete, auszuhungern. Wie ein solches geistiges Aushun-
gern, Abriegelung oder Belagerung zu verstehen ist, kann man bei ihm
nicht direkt nachlesen. Also besteht die Aufgabe, eigene Versuche auf
diesem Gebiet der weißen Magie zu realisieren. So wie Hütten, Häuser
und Tempel in der Meditation für Entwicklungs- und Forschungszwecke
gebaut werden können, wie wir bis jetzt geübt haben, können auch geis-
tige Gebäude, übersinnliche Haftanstalten und elementarische Schulen ge-
baut werden, die für die Einholung, die Erziehung, den Unterricht und
die Umwandlung von dämonischen Widersacherwesen zulässige Ein-
satzräume geben.
Eine geistige Forschung mit den Seelentieren über die Geschichte der
Tierschau, des Hippodroms, der Menagerie, des Circus, der zoologi-
schen Gärten würde Gesichtspunkte und Hinweise geben, die für Aufga-
ben der Domestizierung geistiger Wesen luziferischer und ahrimanischer
Art erforderlich wären. Ein anderes Gebiet gründlich geistig und kar-
misch zu erforschen, würde überhaupt die Maßnahmen betreffen, die
aus alten Mysterien hervor gingen, als in der so genannten altpersischen
Kulturepoche im großen Stil die Domestizierung der wilden Tiere zu
Haustieren angefangen, entwickelt und eingesetzt wurde. Der Impuls des
Manichäismus arbeitet auf allen Ebenen der Schöpfung. Auf der physi-
schen Ebene geht es um Gewaltlosigkeit, Pazifismus und versöhnliches Welt-
bürgertum. Eine der wichtigsten Aufgaben in der nächsten Zukunft wäre,
gezielte politische Maßnahmen zu schaffen, allerdings nicht nur be-
stimmte atomare Waffen zu entfernen, sondern den Militarismus als poli-
tisches Mittel überhaupt abzuschwächen oder tunlichst zu erledigen, et-
was, was allerdings soeben nichts als eine Utopie erscheint.
Das Prinzip des Aufrüstens und sich mit physischen, psychologischen
oder schwarzmagischen Waffen verteidigen zu wollen, könnte geistes-
wissenschaftlich erforscht werden, so dass geistige Hintergründe der Ge-
walttätigkeit und des Tötens gefunden werden könnten. Welche karmi-
schen Grundlagen bestehen beispielsweise bei Menschen, die in Betrie-
347
ben arbeiten, die Massenvernichtungswaffen herstellen? Bestehen bei Men-
schen, die sich als Soldaten in einen Krieg einberufen lassen, karmische
Hintergründe? Und warum lassen sich gegenwärtig immer mehr Leute
als Söldner in Kampfzonen schicken? Aus welchen karmischen Gründen
würden Offiziere eine Behauptung aufstellen, dass sie in vollem Recht ge-
wesen seien, solche Order zu geben, die zu Massenschlachten oder zur Ver-
gewaltigung und Tötung von Zivilisten, Frauen und Kindern führten? Hat
es mit Karma etwas zu tun, wenn ein Völkermord z. B. derjenige an
den zu Beginn des letzen Jahrhunderts in der Türkei ansässigen Armeni-
ern bis heute in der Öffentlichkeit der involvierten Staaten, nämlich
der Türkei und ihrem damaligen Verbündeten, Deutschland, nicht aus-
reichend geklärt worden ist? Ein karmischer Hintergrund kann bei Men-
schen eine konstitutionelle Schwäche erzeugen, die zu einer kriminellen
Tendenz in der Seele führt. Aber keine karmische Vergangenheit wird jemals
eine ausgeführte gewaltsame oder böse Handlung rechtfertigen können.
Jede Schwäche also, die in der Seele lagert und zum Bösen führen
könnte, können wir im Jetzt immer entdecken, aus dem Wege räumen,
bremsen oder zum Guten total umwandeln. Gedanken und Vorstellun-
gen erstehen aus dem Vergangenheitsmaterial. Handlungen sind immer
zukunftorientiert, die ihre Wirkung und Beurteilung aus dem im Jetzt
Geschehenen finden müssen. Eine Veranlagung zum Bösen muss folg-
lich nie in eine Tat umgesetzt werden, sondern sie kann bewusst aufge-
spürt und in gute Handlungen umgesetzt werden, so dass altes Karma
erledigt wird. So besteht immer die Möglichkeit, das Böse als Neigung
durch Prophylaxe-Mittel abzuwenden, zu verhindern und umzuwandeln.
In der Tendenz zum Bösen liegt zwar eine amoralische Kraft, die aber
zum Guten gewendet werden kann und muss. Das Ziel des Manichäis-
mus ist es, diese Kraft für die Zukunftsentwicklung der Menschheit auf
heilsame Art einzugliedern. Somit führt eine konsequent erarbeitete Kar-
maerkenntnis zu einem ernsthaften Einsatz für das Wohl der Menschheit
und der Zukunftsentwicklung der ganzen Schöpfung.
Manichäische Lichtarbeit an karmischen Schäden
Eine Darstellung aus dem Leben einer älteren Frau hier Hilma ge-
nannt , die zu mir kam, um die karmische Rückerinnerung zu lernen,
kann zeigen, wie Schäden aus früheren Leben durch manichäische Licht-
arbeit behandelt werden können. In einer Meditation begleitete ich sie zu
einer Ebene der geistigen Welt, wo Meister aufzusuchen sind. Sie hatte
das Bedürfnis, dem oben beschriebenen Mani zu begegnen. Hilma
schaute eine Art Pavillon, der spitzbogig sich aufrichtete. Der Meister,
mit einer ogivalen Tiara auf dem Kopf, zeigte sich für sie sitzend im
348
offenen Portal des farbenfrohen Festgebäudes. Auf ihre Frage, ob er
wirklich der Mani sei, den sie suche, schaute er stillschweigend auf sie.
Hilma fühlte die Anwesenheit des Meisters wie eine sanfte Welle, die
über sie kam, als würde sie ein erfrischendes Bad nehmen. Damit war
ihre Skepsis erloschen. Sie machte über ein paar Tage Besuche bei Mani,
der ihr beim ersten Mal zeigte, wie sie eine Lichtarbeit nach seiner An-
leitung machen könne. Der Meister machte sie darauf aufmerksam, dass
die Ausstrahlungen aus ihren Chakren, die mit verschiedenen Farben-
strahlen des göttlichen Lichts in Verbindung stehen, an bestimmte Orte,
die sie vorher auswählte, hin dirigiert werden können. Deswegen sollte
sie vorher ihr Karma zusätzlich aufarbeiten gemäß dem 3. 7. Teil ,
um ihre Chakren zu bereinigen. Er gab ihr etwas aus einer seiner Licht-
quellen mit auf den Weg.
Für eine bestimmte Problematik, die aus einem Leben in Ägypten
stammte, die wir an demselben Tag entdeckt hatten, gab er Hilma eine
Schale mit einem fließenden Licht. Sie sollte es aus geistiger Reichweite
über dem Ort in Ägypten ausgießen, wo sie damals ihren Tod erlitten
hatte. Hilma hatte sich als Baumeister einer Pyramide entdeckt. Eine
interessante Entdeckung dabei war, dass die gesamte Organisation des
Bauvorhabens dem menschlichen Organismus zugeordnet war. Immer
wenn der Baumeister die heiligen Papyri, die in Kästen auf einem Wa-
gen aufbewahrt wurden, anschaute, machte er seine Hände in einer
Schale mit Wasser zuvor und danach sauber. Dabei kam heraus, dass
sein kleiner Finger an der linken Hand eine alte Verwundung hatte, die
noch schmerzte. Der Finger war krumm und hatte einen Auswuchs. Die
Finger der rechten Hand entsprachen seinen nächsten fünf Mitarbeitern
am Bau. Der Daumen stimmte mit dem willensstarken Leiter der Fremd-
arbeiter und Sklaven überein. Zum Zeigefinger passte sein Sekretär, der
sowohl in den theoretischen wie in den praktischen Angelegenheiten
hoch bewandert war. Der Mittelfinger stimmte mit dem Chef der Innen-
arbeiten an der Pyramide zusammen, wo viele Gänge, Treppen, Blind-
passagen und Kammern in einem kongenialen Muster miteinander har-
monieren mussten. Dem Ringfinger entsprach der Fachmann der bild-
haften Ausschmückungen. Dem kleinen Finger kam sein agiler und
schnellfüßiger Bote gleich, der überall die Anweisungen und Erklärungen
austeilte. Der linken Hand des Baumeisters entsprach die Verbindung zu
priesterlichen und königlichen Führungskräften, die meistens frühmor-
gens oder abends das Bauwerk besichtigten. Zum Daumen passte das
Amt des Hohenpriesters. Zum Zeigefinger gehörte ein anderer priesterlicher
Berater der Bautradition, die mit Hieroglyphentexten zusammen hing.
Dem Mittelfinger entsprach ein Ratgeber der wandbildnerischen Darstel-
lungen. Der Ringfinger glich einer attraktiven Frau, die die Direktorin der
Dienerschaft war, die entweder bei den künftigen Feierlichkeiten be-
349
stimmte Verrichtungen auszuüben hatten oder bei der königlichen Grab-
legung selbst mit beerdigt werden sollten. Dem kleinen Finger schließlich
entsprach ein Prinz, der allezeit und allerorts am Bauplatz zu sehen war.
Er sprach mit Allen und wurde von Vielen verehrt, weil er des alten Pha-
raos begünstigter Sohn war. Dem Bauherrn gefiel er nicht, aber dieser
Luftikus sollte ihn eines Tages unversehens in ein Verhängnis bringen.
Es war dem Bauherrn zu Ohren gekommen, dass etwas im Innern der
Pyramide nicht so gebaut worden war, wie er es angeordnet hatte. Eines
Abends, nachdem alle Arbeiter zu ihrer Wohnsiedlung gegangen waren,
ging er mit einigen seiner Vertrauten in die fast fertig gebaute Pyramide
hinein. Durch einen Korridor schritt er ein einziges Mal als der Erste.
Plötzlich aber hatte er keinen Grund und Boden mehr unter den Füßen.
Er stürzte kopfüber nach unten in einen Blindschacht voller Schutt und
Gebröckel. Mund, Hals und Lungen füllten sich mit Staub und Sand. Er
erfuhr schreckliche Todesqualen, bevor er das Bewusstsein verlor und die
ganze Situation aus dem Nachtodlichen anschauen durfte. Aus dieser
Perspektive sah er, dass seine Freunde seinen Leichnam retten konnten,
damit er ein traditionsgerechtes Begräbnis erfahren konnte. Hilma er-
kannte, dass es der Prinz gewesen war, der befürwortet hatte, dass die
Falltür des Blindschachts nicht sachgemäß gebaut wurde. Sie entdeckte,
dass damals Stücke ihres Äther- und Astralleibs wegen des Schocks abge-
rissen worden waren. Sie waren von bestimmten Elementarwesen des
Dunkels in Anspruch genommen worden, die derzeit die Pyramide noch
bewohnten. Plötzlich erkannte Hilma außerdem, dass die unerklärliche
Angst vor dem Ersticken, welche sie einmal erlebte, als eine Therapeutin
ihren Hals anfasste, ihre karmische Wurzel aus diesem schrecklichen
Sterbevorgang in Ägypten hatte. In der Meditation erfuhr sie außerdem,
dass dem Prinzen heute ein Mann entsprach, der bei ihr einige Jahre als
Assistent gearbeitet hatte. Ihre Zusammenarbeit erlosch nach vier Jah-
ren, weil der junge Mann mit ihrem eigenen Verständnis von Verlässlich-
keit nicht überein gestimmt hatte.
Aus der Schale Manis überschüttete sie den Blindschacht der Pyra-
mide mit fließendem Licht, den sie von oben schaute. Die goldene Sub-
stanz durchhellte alle Materie und alles Sein in dem dunklen Unter-
grund. Hilma bot den verblüfften Elementarwesen einen anderen Tätig-
keitsort in Ägypten an. Dem ehemaligen Mitarbeiter schickte sie auch
einen Strahl der Aussöhnung.
Wandeln unter Meistern
Wandeln unter unsichtbaren Menschen war der Titel meines ersten Buches,
in welchem ich meinen individuell angepassten Weg zur Karma- und
350
Geistesforschung aufgezeigt habe. Im vorhandenen Buch, das auch
Wandeln unter Meistern heißen könnte, geht es insbesondere darum, eini-
ge allgemeine Richtlinien kennen zu lernen, so dass du deinen individu-
ellen Weg zur Spiritualität und Karmaerkenntnis finden kannst. Wenn
du deinen Weg gehst, wird die Geistesschülerschaft allmählich zu einer
Meisterschaft, in der du unter Meistern wandeln wirst. Das heißt sinn-
gemäß, dass du jeden Menschen und alle Lebewesen und Geschöpfe, die
auf deinem Weg erscheinen, als potenzielle Lehrmeister sehen wirst.
Deine unter Umständen vorhandene Tendenz, andere Menschen wegen
Schwächen und Unvollkommenheiten zu kritisieren oder zu verurteilen,
wirst du allmählich in eine Fähigkeit umwandeln wollen, die dich frei
macht, wenn es möglich wäre, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen.
Diese Disposition des grenzenlosen Helfens zeichnet alle so genannten
Meister und Lehrer der wahren Esoterik aus. Keinen wirst du aus
Abneigung zurückweisen, sondern du wirst Möglichkeiten suchen, dass
das, was mit dir karmisch vielleicht nicht zu tun hat, so zurückgespie-
gelt werden kann, dass nur Liebesfühlen und Freiheitswille aus dir strö-
men, weil nur der gesteigerte Gedanke der Liebe und der Freiheit ge-
meinsam das Unrechte wie z. B. Neid und Eifersucht bei demjenigen, der
dies in sich trägt, beheben kann.
Nachdem ich fähig wurde, Karma und übersinnliche Realitäten zu
erforschen, ergriff ich die begeisternde Aufgabe, andere Menschen zu
suchen, die ähnliche Fähigkeiten besitzen, um ein Forschungsteam zu
gründen. Bis zum Fertigstellen dieses Buches bin ich gewiss etwa einer
Handvoll solcher Menschen in Europa begegnet, die dazu reif sind und
mit mir zusammenarbeiten könnten, aber darüber hinaus Hunderte von
anderen Interessenten kennen gelernt, die nicht genügend eigenständig
waren, um mit mir diesen Traum zu verwirklichen. In ihrer Gegenwart
durfte ich mich dankenswerterweise weiter entwickeln, aber manche von
ihnen musste ich leider mitsamt ihren Wunschbildern zurück lassen .
Dies stelle ich nicht aus Selbstgefälligkeit fest. Fortschritte zu machen,
wird den Geistesforscher immerhin mit einem besonderen Initiations-
schmerz begleiten, der sich auch im Alltag offenbaren wird. Die weitere
Entwicklung der Individualismus wird es fordern. Das wirkliche Erleben
des Geistigen wird nämlich überall, wo man es wahrhaftig antrifft, aus
individuellen Initiativen hervorgegangen sein.
Wenn man durchs Leben geht, einzelnen Menschen gegenübertritt,
muss man ein offenes Herz, einen offenen Sinn haben für diese einzel-
nen Menschen. Man muss sozusagen jedem einzelnen individuellen
Menschen gegenüber in der Lage sein, ein ganz neues Menschen-
gefühl zu entwickeln. Man wird nur dadurch dem Menschen gerecht,
dass man in jedem einzelnen einen neuen Menschen sieht. Aus dem
351
 Grunde hat jeder Mensch uns gegenüber das Recht, dass wir ihm ge- ter heute jedem näher stehen und auf der inneren Ebene zugänglicher sind
genüber ein neues Menschengefühl entwickeln.169 als in früheren Zeiten, als sie sich noch häufiger als heute in physischer
Erscheinung ihren Schülern zeigten etwas, was wir, wegen der rück-
Gewöhnlicherweise meinen wir mit Meistern solche Individualitäten, die
läufigen Berichte darüber, mindestens annehmen müssen. Mit der Zeit
in ihrer Entwicklung in ethischer und geistiger Vervollkommnung ein
werden sich dir ein oder mehrere Meister in der Meditation kund tun,
Stück weiter sind als wir selbst und die meisten anderen Menschen. Man
die mit deiner eventuellen Beförderung in spiritueller Hinsicht zu tun
kann aber nicht ohne Weiteres wissen, wie eine solche Individualität in
haben, oder sie werden dir einfach unerwartet bewusst aufgehen, weil sie
einer gegenwärtigen Inkarnation als Persönlichkeit beschaffen ist. Nicht
deine Entwicklung aus dem Geistigen heraus lange verfolgen und dir
deswegen sollte man jedem Menschen, dem man begegnet, Achtung und
bereits beistehen. So können wir Steiners Hinweis verstehen:
Würdigung erteilen, weil er eine Meisterindividualität sein könnte, was
potenziell möglich wäre, sondern einfach weil er ein göttliches Wesen Die Meister sprechen fortwährend zu den Menschen; nur die Vorbe-
ist. So habe ich auch immer wieder die schlichte Übung gemacht, als ich reiteten, diejenigen, deren Seele geöffnet ist, so dass die Meister den
auf Reisen unterwegs war und z. B. auf einem Bahnsteig auf einen ver- Eingang zu ihnen finden, können ihre Stimme vernehmen.172
späteten Zug warten musste, dass ich jeden Menschen, den ich sah, in-
Das Wirken der Meister zu beschreiben, über das hinausgehend, was die
nerlich mit den Worten angesprochen habe: Du bist ein göttliches Wesen!
Parsifal-Individualität wie schon angedeutet wurde betrifft, liegt
Nun besteht obendrein auch für einen Geistesschüler die unmittelbare
nicht in der direkten Aufgabe dieses Buches. Dennoch möchte ich ein be-
Aufgabe, wirkliche Meisterindividualitäten bewusst zu suchen und sie
merkenswertes Beispiel geben, das dich inspirieren könnte, eigene Wege
unter Umständen mitten im Leben zu erkennen. Daher beschäftige ich
mit den Aufgaben der Meister anzugehen.
mich seit Jahren mit Fragen zu Individualitäten, die sich beispielsweise
hinter Namen wie den folgenden verbergen: Abraham, Antonius, Buddha,
Christian Rosenkreutz, Daskalos, El Morya, Kuthumi, Mani-Parsifal, Manu-
Die geistige Stellung der Individualität des Matthias Grünewald
Noah, Marcello Haugen, Moses, Rudolf Steiner, Skythianos, Thycho Brahe und
Zarathustra.170 Ein schönes und aufschlussreiches Buch zu diesem Thema
In meinem ersten Buch habe ich ein paar Aspekte des kontroversen The-
ist von Manuela Oetinger, Mike Booth und Peter Michel erschienen.171 Darin
mas der Sexualität aus bewusstem Anlass teils in Verbindung mit frühe-
werden viele Aspekte des theosophischen und anthroposophischen Um-
ren Leben und dagegen mit individuellen Initiationerfahrungen zusam-
gangs mit der Meisterfrage behandelt. Es werden Helena P. Blavatsky,
mengebracht. Das rief sofort eine Reihe von Bestürzungen, Irrtümern
Rudolf Steiner, Alice A. Bailey, Krishnamurti, Dora Kunz und viele andere
und alten Denkweisen hervor. Mein Ansatz, das Tabuthema überhaupt
spirituell Wirkende im 19. und 20. Jahrhundert in ihrem Einfluss aufge-
zu erwähnen, beruhte auf geistigen Erfahrungen, die mit einer Erkenntnis
zeichnet. In welcher Weise sie die Hilfe von Meistern anerkannt haben,
Rudolf Steiners übereinstimmen, die er einmal folgendermaßen schrift-
wird noch anschaulich beschrieben. Mir scheint die zentrale Einsicht ih-
lich formulierte:
rer Studien und gemeinsamen meditativen Arbeit zu sein, dass die Meis-
169
Und damit ist ein wichtiger Satz der Geheimlehre zum Ausdruck
Rudolf Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Ge- gebracht, der so lautet: Die höheren, edlen Gotteskräfte haben Ver-
neration. Pädagogischer Jugendkurs, GA 217, Dornach 1988, Seite 62. wandtschaft mit den scheinbar niederen Kräften der Menschen-
170
El Morya gilt als Meister des Ziels, der Zukunftsperspektiven der Mensch-
natur. Das Wort scheinbar muss hier in seiner ganzen Bedeutung
heit. Kuthumi wurde von Steiner anfangs in seinen esoterischen Unterweisungen
häufig als Inspirationsgeber des okkulten Wegs erwähnt. Marcello Haugen (1878 aufgefasst werden. Denn es wäre eine vollständige Verkennung der
1967), ein ehemaliger Schüler von Rudolf Steiner und der bekannteste Hellseher okkulten Wahrheiten, wenn man in den Fortpflanzungskräften an
und Heiler Norwegens. In anthroposophischen Kreisen ist sein Ruhm jedoch sich etwas Niedriges sehen wollte. Nur wenn der Mensch diese Kräfte
meistens negativ belastet. Literatur von und über ihn gibt es bis jetzt nur in skan- missbraucht, wenn er sie in den Dienst seiner Leidenschaften und
dinavischen Sprachen. Tycho Brahe (1546 1601), dänischer Astronom, dessen Triebe zwingt, liegt etwas Verderbliches in diesen Kräften, nicht aber,
karmische Hintergründe Steiner entschlüsselte. Siehe Rudolf Steiner, Esoterische wenn er sie durch die Einsicht adelt, dass göttliche Geisteskraft in
Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, GA 235 240. ihnen liegt. Dann wird er diese Kräfte in den Dienst der Erdentwicke-
171
Manuela Oetinger, Mike Booth, Peter Michel, Die Meister der Weisheit. Ihr
172
Wirken in Geschichte und Gegenwart, Aquamarin Verlag, Grafing 2005. Rudolf Steiner, Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, GA 266/I. Seite 251.

352 353
 lung stellen und die Absichten der charakterisierten höheren Wesen- zugehen und neue Auskünfte aufspürt, z. B. wie sich die Resonanz der
heiten durch seine Fortpflanzungskräfte ausführen. Veredelung dieses Engel in das soziale Sinnessein einfügt. Um solche Gesichtspunkte an-
ganzen Gebietes und Stellung desselben unter göttliche Gesetze ist nähernd zu beschreiben, wäre eine separate Darstellung doch nötig.
das, was die Geheimwissenschaft lehrt, nicht aber Ertötung desselben. Eine einzige Perspektive zu diesem Thema möchte ich jedoch durch-
Die letztere kann nur die Folge äußerlich aufgefasster und zum miss- blicken lassen, so dass derjenige, den es angeht, den Mut entwickelt, eine
verständlichen Asketismus verzerrter okkulter Grundsätze sein. 173 diffizile, aber wichtige und erhabene Zukunftsaufgabe anzugehen, die
aktuell werden kann, wenn jemand seine karmische Hintergründe er-
Nirgends in meinem Leben, in meinen früheren Publikationen oder in
forscht hat. Als Exempel des Erfreulichen, was einem in der gereiften
der Methode der spirituellen Forschung, die hier präsentiert wird, besteht
Schulung begegnen kann, möchte ich folglich erzählen, wem ich medi-
eine falsche Kopplung wie es mir von Kritikern vorgeworfen wird
tativ begegnete, als ich lange mit der Frage umging, was die Sexualität
zwischen einerseits dem Üben und Meditieren, die zu karmischem
für einen Geistesschüler oder Geistesforscher bedeuten könnte. Ich ver-
Schauen führen können, und andererseits dem Sinnlich-Leiblichen, das
suchte durch Studium und Meditation, die Eigenheit der Sexualität und
die Sexualität berücksichtigen könnte. Wenn mir so, wie die Nachreden
deren Stellung und Wesen zunächst im Altertum und in der Geschichte
es vorzuspiegeln versuchen, eine zweifelhafte Mischung von Spiritualität
zu erkennen, weil ich überraschenderweise entdeckte, dass auffällig viele
und Sexualität angeklagt wird, liegt ein Fehlurteil vor. Meine Methode
Menschen, die ich durch Karmaarbeit in ihren Seelengründen kennen
baut auf den folgenden Grundlagen auf:
lernen durfte, in ihren früheren Inkarnationen mit der Aufgabe, der Pro-
1. das Denken
blematik und manchmal auch mit dem Missbrauch der Sexualität viel-
2. das klassische Künstlertum
schichtig zu tun gehabt hatten.
3. das Geschichtsverständnis
Ich suchte dann eine der Individualitäten auf, mit der ich wiederholt
4. präzise Sinnes- und Seelenübungen
in Meditationen Umgang pflegen durfte nämlich mit Rudolf Steiner.
5. die dynamischen Meditation
Ich stellte ihr das Problem der Sexualität vor. Zuerst wies sie mich auf
6. Integration der Freiheit, der Liebe und der Ehrlichkeit
den Inhalt des oben erwähnten Zitats hin, dann schickte sie mich zu
Die geschlechtliche Liebe lebe ich innerhalb einer ehrlichen Ehe und
einem geistigen Vorsteher oder Verwalter, den ich als die Individualität
noch wenn die Lebensumstände es überhaupt ermöglichen in nicht
erkannte, die in der Renaissance als der deutsche Maler Mathis Gothardt
verheimlichten, aber gewissenhaften Beziehungen, die auf gegenseitigem
Nithardt, bekannt als Matthias Grünewald, gelebt hat.175 Dieser wurde mir
Respektieren der Freiheit des Anderen baut und die Aufmerksamkeit
de facto als ein Hüter des physischen Leibes vorgestellt. Wie dieser Hinweis
derjenigen Anderen beachtet, die es absolut angeht. Der Umgang mit der
mit denselben Aufgaben des Skythianos zusammen hängt, ist eine Frage,
Sexualität setzt die Liebe voraus. Er integriert Aufrichtigkeit und Ge-
mit der ich seitdem ringe. In den meditativen Gesprächen mit diesem
sprächsgesinnung und pflegt das aufmerksame Bewusstsein, mit wem
Meister entstanden sodann die folgenden Untersuchungen. In der Aufar-
man zu tun hat, und die Frage, warum es zu intimer Begegnung über-
beitung dieser geistigen Begegnung konnte ich des Weiteren dazu kom-
haupt kommen darf.174 Das in manchen Kreisen heikle Thema der Se-
men, in ihm eine Individualität aufzuspüren, die entweder identisch mit
xualität ist also sehr komplex, und es ist hier nicht die Aufgabe, sie in ih-
oder in intimer Verbindung zu der Entelechie stand, die der Maler selbst
rer möglichen Verbindung mit der Geistesschulung detailliert zu behan-
als den heiligen Antonius in seiner ehemaligen Einweihung als Eremit im
deln, da meine Methode der Karmaforschung, explizit keine Erkenntnisse
Isenheimer Altar künstlerisch geschildert hat. Dass die Individualität des
aus diesem Feld schöpft. Eine ehrliche Beschäftigung mit den Fragen der
Matthias Grünewald ferner eine solche ist, die weiterhin mit voller Hin-
Sexualität, mit ihrer Ausübung und mit ihren geistigen Hintergründen
gabe für diese Aufgabe der Selbstbeherrschung durch weitere Erdenleben
liefert jedoch zusätzliche Erkenntnisgrundlagen, so dass man z. B. Pfade
geht, wurde mir dank dieser Schauungen zur Einsicht.
im Leben gehen kann, mit solchen eben erwähnten Denunziationen um-
Durch die Beschäftigung mit den Hinweisen, die ich von der in mei-
173 nen Meditationen auftretenden Individualität des Matthias Grünewald
Rudolf Steiner, Aus der Akasha-Chronik, GA 11, Dornach 1975. Seite 96f.
174
Zur Thema Sexualität siehe Manfred van Dorn, Sexualität. Zwischen Geist und bekam, der anschließend in seiner geistigen Position mit dem Namen
Sinnlichkeit, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1999. Siegfried Woitinas, Zwischen
175
Licht und Finsternis. Willensmagie, Hellsehen, Gedankenkraft. Sexualität oder Spirituali- Zu Grünewalds Wirken z. B. Ernst H. Gombrich, Die Geschichte der Kunst,
tät?, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1998. Belser Verlag, Stuttgart, Zürich 1986.

354 355
Antonius bezeichnet werden wollte, erfuhr ich in einer Zusammenarbeit
mit einem hellseherischen Freund, dass sie heute wieder verkörpert sei.
Wenn eine Individualität, die früher Einzigartiges geleistet hat, gegen-
wärtig in einer realen Inkarnation lebt und möglicherweise noch als jün-
gerer Mensch in den Anfängen ihres Menschenlebens steht, eines Le-
bens, in dem sie z. B. gegenwärtig auch mit einer Ausbildung und ande-
ren Alltäglichkeiten beschäftigt ist, kann sie doch auf der geistigen Ebene
und nicht nur, wenn sie schläft mit Anderen, die geistig sich frei
bewegen können, in Kontakt treten und ihnen ihre Mission offenbaren.
So muss man sich als Forscher im Übersinnlichen erst einmal mit dem
Phänomen auseinandersetzen, dass es einen Bereich gibt, in welchem
eine solche Persönlichkeit denkt, fühlt und handelt, insofern man ihr in
der Sinneswelt begegnet oder auch nicht, und dass es einen anderen gibt,
in welchem dieser Mensch dennoch unabhängig vom aktuellen Erschei-
nungsbild ihre geistige Wirksamkeit entfaltet.
Wenn Matthias Grünewald ein so genannter Rosenkreuzer* oder Gottes-
freund* gewesen sein könnte, was denkbar ist, weil er vorwiegend im
Stillen lebte und wirkte, dann dürfte er gewisse Zusammenhänge erkannt
haben, die darin lagen, wie man sich künstlerisch-therapeutisch zu seiner
Zeit mit der Krankheit der Patienten des Hospitals der Antoniter der
Priorei Isenheim auseinandersetzen musste. Dorthin war er von dessen
italienischem Domherrn bestellt worden, um einen beweglichen Altar-
schrank zu malen. Durch die Jahrhunderte stand dieser Bilderschrank in
der Krankenhauskirche des Hospitals. Die leprösen und chronisch Kran-
ken wurden bei ihrer Einlieferung vor das Bild der Kreuzigung gebracht.
Die Novizen legten dort ihren Profess ab, und bei Bestattungen stand der
Sarg vor dieser Szene. Heute befinden sich die Bilder in einem Museum
in Colmar, Frankreich.
In der geistigen Forschung prüfte ich die Frage, ob die karmischen
Hintergründe solcher Krankheiten zu solchen Vorleben führen können,
in denen die Betroffenen mit der Sexualität verantwortungslos umgegan-
gen gewesen seien sei es schon in atlantischen Zeiten, in späteren ent-
gleisten nachatlantischen Mysterienstätten oder als Kumpane Klingsors*.
Mit anderen Forschern habe ich viele bis jetzt rätselhafte Abschnitte der
Menschheitsgeschichte karmisch untersucht z. B. die Zeit der Inkarna-
tion Luzifers im alten China oder das 9. Jahrhundert mit der Wirksam-
keit der Klingsorströmung , um Hintergründe zu heute bestehenden
sozialen Hürden zu suchen, wo eine skurrile Handhabung der Sexualität
oft als Drahtzieher der Asozialität dahinter steht. Ich kam zu dem Ergeb-
nis, dass Antonius wegen seines standhaften Vergangenheit um die letzte
Jahrtausendwende in die Zukunft hinein schaute und dann bemerkte,
dass Menschen mit ihren physischen Leibern höchstwahrscheinlich wei-
terhin sehr unverantwortlich sich benehmen werden. Deswegen fasste er
356
aus einer bedrohenden Prognose der Menschheitszukunft seinen Ent-
schluss, dass durch ihn aufgrund seiner ehrwürdigen Geschichte ein neu-
er Impuls in unsere Gegenwart hinein gegossen werden darf, wodurch
die Sexualität nicht mehr von geistiger Schulung getrennt gelebt und verstanden
werden muss. Folglich könnte die Sexualität durch direkte Handhabung
von geistig geschulten Erwachsenen aus dem Bann festgefahrener Glau-
bensbekenntnisse befreit werden, um eine vergleichbare Position wie in
der orientalischen Tantra-Tradition einzunehmen, wo in einigen Schulen
keine Abneigung gegen die geschlechtliche Liebe gezüchtet wird.
Aus den Ehren verflossener abenteuerlicher Wüsteneinsamkeit stieg
Antonius am Übergang zum neuen Jahrtausend quasi hinab zu den
Straßen der erloschenen mittleren und okzidentalen Zivilisation, um
Männer und Frauen, welche die Morgenröte der neuen hellen Epoche,
die 1899 schon begonnen hatte, zu suchen, um ihnen den Tempel der Liebe
zu zeigen.176 Aus den Gestaltungskräften des physischen Leibes können
diese Tempel in der Bewusstseinsseele errichtet werden, wenn Menschen
ihre geistige Heimat durch wahre Esoterik wiederfinden, die Ängste vor
dem Abgrund zur geistigen Welt überwinden und es in ihrem Seinsgrund
wagen, einzutauchen in das allgemeine Trauermeer , das mit der kosmi-
schen Verborgenheit der Gottesmutter, der Isis-Sophia*, zu tun hat. Anto-
nius malt gleichsam heute mit dem von Buddha177 überreichten Geistes-
Meeres-Wesen aus neu erstandenen übersinnlich-sittlichen Kämpfen in
der geistigen Marsregion die grandiosen Imaginationen, die Geistes-
kämpfer als Ideal brauchen, um den Menschen aufmerksam entgegen-
treten zu können, die seine Begleitung als Geistesfreund, als Seelentrös-
ter oder als behutsamen Sinnesgefährten aufsuchen wollen.178 Intuitiv
lebend in diesen Imaginationen, bemerkte ich meine noch vorhandenen
leiblichen Kränklichkeiten, meine seelischen Schwächen und meine
Mankos im Ich-Organismus. Eros*, Philia* und Agape*, die drei Typen
der Liebe im Menschenleben, traten in diesen Erkenntnisimaginationen
als eine harmonisierte, ideale Geistgestalt auf, als eine Vermittlerin der
dreigegliederten Liebe, die sie mit solchem Taktmaß ausübte, dass das
Göttlich-Weibliche bildlich gesprochen bis in die Erdenmitte des
Inkarniertseins Heilung, Milde und Segen einschenkte. Ich fragte mich, wie
eine solche erhabene Geistgestalt genannt werden dürfte? Den Namen
Debora erschien mir signifikant zu sein.179
176
Gemeint ist der Übergang des Kali-Yuga* zum neuen lichten Zeitalter.
177
Siehe Glossar unter Bodhisattva.
178
Vergleiche Rudolf Steiner, Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie
und Philosophie, GA 137, Dornach 1973, Seite 203f.
179
Debora wirkte als Richterin in vorchristlicher Zeit in Israel (Richter 4) und sta-
chelte den Barak zum Kampfe gegen die Kanaaniter an. Sie verleiht hier ihren
hebräischen Namen dieser imaginativen Gestalt.
357
 Dass es in dieser Erkenntnisimagination um das Schauen des eigenen
Geistselbst ging, wie es künftig werden könnte, wenn alle Triebhaftigkeit
im Astralleib überwunden sein wird, wurde mir dann ersichtlich. Ein
männlicher Geistesschüler kann sein Geistselbst vergleichbar der oben
figürlich dargestellten Gestalt der Debora übersinnlich erleben, welches
in der Ätherwelt eine Art weibliche Gestalt annimmt. Wählen wir einen
Vergleich mit den Ereignissen um das Golgatha-Mysterium, dann würde
das Geistselbst eines Geistesschülers in männlicher Inkarnation sich et-
wa so im Umkreis des ätherischen Christus zur Erscheinung bringen wie
damals die sieben Frauen, die sich um Jesus Christus herum stellten, kurz
gesagt: mitempfindend, umsorgend und aufpassend, wohingegen das Geist-
selbst einer Geistesschülerin eine Erscheinung wie einer der zwölf Jünger
annähme: aufmerksam, mitkämpfend und lernbereit. An solch einer idealen
Verbildlichung seines Geistselbst wird sich der Geistesforscher ausrich-
ten beim Eingliedern erlaubter Kräfte für seine Bewusstseinsseele aus
dieser Zukunftsgestalt.
Lebenskunst
Es kann sein, dass jemand, der alle Übungen in diesem Buch sorgfältig
macht und entsprechende Erlebnisse bekommt, die er als reale und wahr-
haftige übersinnliche Erfahrungen einschätzt, die ihm ferner bestimmte
Erkenntnisse karmischer und geistiger Art geben werden, trotz allem auf
eine fortgesetzte Geistesforschung verzichtet. Nicht jeder muss ein
Karma- oder Geistesforscher werden. Wichtig ist nur, dass geistige For-
schung aus Freiheit und aus der Liebe zur Sache überhaupt von immer
mehr Individuen betrieben wird und dass ihre Resultate wenigstens von
einigen anderen erkannt oder umgesetzt werden.
Das Leben selbst kann jemandem, der in fortschreitendem Üben mit
diesen Dingen steht, zeigen, dass er noch andere Aufgaben hat, als Geis-
tesforscher zu werden. Oder jemand entscheidet sich, den Weg bald ab-
zubrechen, da er das Erlebte nach einiger Zeit letztmöglich für lauter Il-
lusionen hält, weil er sich ganz andere Vorstellungen von dem gemacht
hatte, was er zu erleben hätte. Einige Menschen, mit denen ich temporär
gearbeitet habe, kamen offenbar zu solchen Schlussfolgerungen, zumal
sie sich später von mir abgewendet und mich sogar bekämpft haben.
Ich habe immer wieder auf Behutsamkeit und Geduld hingewiesen. Wir
brauchen andauernd Geduld. Wenn du nicht im höchsten und besten
Sinne lernst zu warten, dann taugst du nicht zum Geistesschüler und
wirst auch niemals zu Resultaten kommen, die eine bedeutende Echtheit
besitzen. Ich habe auch auf das Fingerspitzengefühl, auf die Besonnenheit
hingewiesen. Wenn nicht so sehr die Ergebnisse der Meditation in ihrem
358
karmischen Inhalt, sondern die Wirkung der Befunde in deinem Wesen
von Bedeutung ist und zu einem für andere Wesen verschenkten Energie-
fluss wird, dann wird deine Arbeit einen Wert für die Folgezeit be-
kommen. Sofern du solcherart Geisteslicht und Seelenwärme ausstrahlst,
welches den anderen Menschen Wohl und Nutzen bereitet, auch wenn
sie es nicht bemerken, dann werden deine meditativen Bemühungen
Früchte tragen. Das für den Geist sonnenhaft Errungene wird sich vor
dir wie Heil und Segen ausbreiten. Manche werden es dir übel nehmen,
weil sie es nicht verstehen, was genau von dir ausgeht, aber Andere wer-
den merken, dass du eine angenehme Ausstrahlung hast, die sie gerne
um sich haben möchten, auch wenn sie vielleicht die Inhalte deiner For-
schung noch nicht einordnen können.
Es benötigt viel Geschick und Kunstfertigkeit, geistige Erfahrungen
und Geistesforschung in die bestehende Kultur hinein zu bringen. Selber
habe ich über die Jahre so viele interessante positive wie negative Reak-
tionen und Echos erlebt, dass es alle Phantasie übersteigt, was Menschen
alles unternehmen, um sich z. B. fern zu halten von solchen Dingen, die
ich dargestellt habe. In den vergangenen Jahren kam es ebenfalls oft zu
falschen Auslegungen, wenn ich versuchte, jemanden aus allgemeiner
Liebe und geistigem Einblick zu unterstützen oder ihm beizustehen.
Besonders einige Frauen dachten, dass ich sie etwa aus sexuellem Trieb
mochte oder begehrte , nachdem ich ihnen Offenherzigkeit offenbart
und zärtliche Zuneigung gezeigt hatte. Weil die Liebe die entscheidende
Kraft aller übersinnlichen Erkenntnis ist, wird ein Geistesschüler feststel-
len, dass er anfängt, aufmerksamer als früher mit jedem Lebewesen und
jedem Menschen umzugehen, seitdem er geistige Erfahrungen pflegt.
Wenn dies der Fall nicht wäre, würden seine Erfahrungen nicht aus
geistigem Boden gewachsen sein. Auch Rudolf Steiner unterstrich diesen
Umstand:
Eine Vorbereitung muss es sein für den geistigen Erkenntnisweg, sich
noch viel, viel liebefähiger zu machen, als man es für das gewöhnliche
soziale Leben zu sein hat. Man merkt nämlich allmählich, dass man
in seiner ganzen, vollen Menschennatur die Welt eigentlich nur ken-
nenlernt, solange man im physischen Leibe ist, durch die Liebe, durch
keine andere Forschungsmethode.180
Es wird eine wahre Lebenskunst nötig sein, um solche Ideen und Im-
pulse ins Leben zu bringen, die aus Karmaerkenntnis und Geistesfor-
schung stammen. Wir müssen keine neuen Gesetze aus dem Gefunde-
nen aufstellen, sondern alles so lebendig, flüssig und beweglich halten,
180
Rudolf Steiner, Gedankenfreiheit und soziale Kräfte. Die sozialen Forderungen der
Gegenwart und ihre praktische Verwirklichung, GA 333, Dornach 1985, Seite 47.
359
dass immer ein neuer Anstoß zu freudigem Üben und zu weiterer For-
schung entsteht. Die Perspektive einer Lebenskunst aus Geist-Erkenntnis
ist so umfassend, dass sie wohl eine eigene Darstellung benötigt, um gut
beschrieben zu werden. Nur die Tatsache, dass Meditation zum Alltags-
leben gehören könnte, würde die alten Lebens- und Arbeitsformen auf
den Kopf stellen, wenn wir annehmen würden, dass es nicht eine Privat-
sache wäre, Meditation zu betreiben. Nicht nur die Arbeitszeit, sondern
auch die architektonische Umwelt müsste anders beschaffen sein, wenn
Meditation als Kulturimpuls ernst genommen würde.
Die Tatsache der Reinkarnation und des Karmas würde viele Ange-
wohnheiten überhaupt abschaffen und einige Institutionen und Betriebe
von Arbeitnehmern total entleeren, wenn sie diese Ideen und ihre Konse-
quenzen wirklich als Wahrheiten annehmen würden. Das militärische
System und alle mit ihm verbundenen Fabriken würden keinen weiteren
Sinn und keine Bedeutung mehr haben, wenn ihre Vertreter die Karma-
idee verkörpern würden. Dadurch würde definitiv keine Arbeitslosigkeit,
sondern eher bei vielen eine innovative Initiativkraft entstehen, neue Be-
schäftigungen und Projekte entwickeln zu wollen. Die Entscheidung,
Übungen anzufangen, um frühere Leben erkennen zu wollen, ist schon
eine anfeuernde Aktion für die umfassende Kunst des Lebens.
Noch einpaar Zitate von Steiner zeigen aber an einem Punkt die erns-
te und sogar bedrohliche Perspektive auf, mit der wir in der Zukunft der
äußeren Welt noch ohnedies zu rechnen haben. Diese Belegstellen setze
ich nicht oben drauf, um jemand zu deprimieren, sondern um den Ernst
der Sache einer Geistesschulung zu karmischem Hellsehen nochmals zu
akzentuieren.
Man wird immer mehr und mehr imstande sein, tatsächlich durch be-
stimmte Verrichtungen Menschenmassen in Bewegung zu setzen, sie
einfach zu zwingen. Der Einzelne wird mehr und mehr Macht be-
kommen über bestimmte Menschenmassen. Denn der Gang der Ent-
wickelung ist nicht der, dass wir demokratischer werden, sondern dass
wir brutal aristokratisch werden, indem der Einzelne immer mehr
Macht gewinnen wird. Wenn da nicht die Veredelung der Sitten statt-
findet, so muss das zu den brutalsten Dingen führen. Das wird auch
kommen, so wie die Wasserkatastrophe für die Atlantier gekommen
ist.181
Eine von diesen Sachen, die sich mit aller Gewalt geltend machen
wird, wird die sein, dass möglich werden wird eine gewisse Lenkung
der Menschen nach mehr okkulten Grundsätzen, als jemals die
Menschen gelenkt worden sind. Es liegt im allgemeinen Charakter der
181
Rudolf Steiner, Grundelemente der Esoterik, GA 93a, Dornach 1972, Seite 126.
360
Entwickelung, dass in dieser fünften nachatlantischen Zeit gewisse
Machtverhältnisse, gewisse starke Einflussverhältnisse, auf kleine
Gruppen von Menschen übergehen müssen, die eine starke Macht ha-
ben werden über andere, große Massen.
Dem arbeitet ein gewisser Teil der öffentlichen Meinung heute leb-
haft entgegen, aber das wird sich trotzdem entwickeln. Es wird sich
aus dem Grunde entwickeln, weil ein großer Teil der Menschheit
während dieser fünften nachatlantischen Zeit einfach aus der inneren
Seelenreife heraus, aus den Entwickelungsnotwendigkeiten der
Menschheit heraus, gewisse spirituelle Anlagen entwickeln wird, ein
gewisses naturgemäßes Hineinschauen in die geistige Welt entwickeln
wird.
Dieser Teil der Menschheit, der zwar die beste Grundlage abgeben
wird für das, was im sechsten nachatlantischen Zeitraum, der auf den
unseren folgt, kommen wird, dieser Teil der Menschheit wird sich
aber in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum, in dem er sich vor-
bereitet, wenig geneigt zeigen, die Angelegenheiten des physischen
Planes stark ins Auge zu fassen. Er wird gewissermaßen geringes In-
teresse für die Angelegenheiten des physischen Planes zeigen; er wird
viel damit beschäftigt sein, das Gemütsleben auf eine höhere Stufe zu
bringen, gewisse geistige Angelegenheiten zu ordnen. Dadurch wer-
den andere, die gerade weniger für dieses spirituelle Leben geeignet
sind, gewisse Machtverhältnisse an sich reißen können.182
Beim ersten Entwurf der voran gegangenen Zeilen beschäftigte ich mich
gerade mit den Nachrichten über den Mord an der schwedischen Außen-
ministerin Anna Lindh, die in einem Kaufhaus in Stockholm niederge-
stochen wurde. Diese Missetat war nur noch eine weitere in der ab-
schreckenden Reihe von unendlichen verbrecherischen Handlungen, die
vielleicht hätten vermieden werden können, wenn es mehr Menschen
mit geistigem Bewusstsein und manichäischen Fähigkeiten gäbe.183
Bei der Beschäftigung mit solchen ernsten Themen sollten wir doch
nie vergessen, dass echte Karmaerkenntnis zu einer sozialen Zukunft un-
mittelbar durch ein erweitertes Verständnis beiträgt, in der der einzelne
Mensch im geistigen Leben einer Gemeinschaft seine Seelenwurzeln
haben kann. Auch umgegehrt gedacht, führen ein umfassendes soziales
182
Rudolf Steiner, Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen,
GA 178, Dornach 1980, Seite 80f.
183
Anna Lindh hatte keine Leibwächter, als sie am Nachmittag des 10. Septem-
ber 2003 in einem Nobelkaufhaus in Stockholm das Opfer eines Messerattentats
wurde. Trotz intensiver ärztlicher Bemühungen führten die inneren Blutungen
am darauf folgenden frühen Morgen zu ihrem Tod. Die studierte Juristin war die
Ehefrau des früheren Innenministers Bo Holmberg und Mutter zweier Söhne.
361
Verständnis und ein echtes globales Denken zu einem Einfühlungsvermö- rungen in vielen Ländern führten, sehe ich das fehlende Karmaverständ-
gen gegenüber Karma gemäß der folgenden Aussage von Steiner: nis als Erzeuger des Übels.
Ein bewusstes Sich-Zusammenfinden aus konkreten Einblicken in
Was wird nun dieses Verständnis, das man sich durch soziales Ver-
Karma und frühere Leben, wo verstanden wird, warum man sich wieder
ständnis erwirbt, in dem nächsten Erdenleben? Das wird das Ver-
begegnet ist, und wo dazu Abbau von eventuellen Spannungen gezielt
ständnis für das Karma. Aber es kann sich kein Mensch soziales Ver-
erstrebt werden, um sich gegenseitig zu helfen, stiftet Frieden auf der Basis
ständnis erwerben anders, als dass er sich Verständnis für das Geistige
der Freiheit und der Liebe zueinander. Nur ein solcher karmischer Frie-
erwirbt. Sie sehen, wie die Dinge zusammenhängen, Sie sehen, wie
den könnte eine Erfolg versprechende Art des sozialen Berücksichtigens
das soziale Verständnis hängt an dem geistigen Verständnis, an einer
entwickeln. Genau so, wie früher in den Zünften und heute noch bei der
spirituellen Welterfassung und Weltanschauung, und wie davon ab-
Eheschließung die Partner sich zu einer Verantwortung für einander ver-
hängt dasjenige, was als ein bewusstes Erkennen des Schicksals im
pflichten, wäre eine Stiftung für karmischen Frieden angewiesen auf eine
Laufe der Menschheitsentwickelung für die Menschen eintreten muss,
kunstfertige Etikette des sich gegenseitig Bestätigens in der auf Karma-
die dann mit sozialem Verständnis durch die Pforte des Todes gehen,
erkenntnis basierten Willensrichtung.
wiedergeboren werden und nach der Wiedergeburt verstehen werden
ihr Schicksal.184
Wenn Menschen aus gemeinsamem Karmaverständnis, das heißt sich Das Auserwähltheitssyndrom
gegenseitig aus wahrer Karmaerkenntnis verstehen, respektieren und un-
terstützen, auch da, wo der eine und der andere im täglichen Leben noch Die Meister und die Wesen der Hierarchie erwarten keine Vereh-
Fehler macht, fängt eine wirklich tragende, soziale Kraft sich zu entwi- rungsenergie von uns, sondern sie erwarten unsere Mithilfe im globa-
ckeln. Inmitten der Jahre 1910 13 in der Entstehungszeit der Mysterien- len Veränderungsgeschehen.185
dramen Rudolf Steiners, als die Karmaidee zum ersten Mal in der Ge-
Diese Worte der Hellseherin Manuela Oetinger deuten einen ernsten
schichte bewusst und buchstäblich auf die Bühne gebracht wurde, ging
Punkt der geistigen Schulung an, den ich noch gegen Abschluss durch-
ein Versuch von ihm aus, für und mit einigen Trägerpersonen der an-
blicken lassen möchte. Wenn man selbst seine Erwartungen an die geis-
throposophischen Bewegung eine Stiftung für theosophische Art und Kunst
tige Welt nicht bremsen kann oder sie einfach als zu groß einstuft, kön-
zu gründen, die meines Erachtens als eine Ausstrahlungsstätte gedacht
nen riskante Scheinwahrheiten aufgetürmt werden, die nur zu Enttäu-
war, um zu zeigen, wie Karmaverständnis zwischen konkreten Men-
schungen und überflüssigen Prüfungen führen oder einen sogar in eine so
schen eine neue Lebensart fördern kann.
genannte okkulte Gefangenschaft versetzen können.186 Eine der größten Ge-
Diese Idee von Steiner konnte nicht verwirklicht werden aus Grün-
fahren der geistigen Schulung ist, dass solche selbst geschaffenen Täu-
den, die durch Dokumente nicht belegt sind. Man weiß nur, welche Per-
schungen nicht genügend durchschaut werden.
sönlichkeiten angesprochen waren, die bestimmte Arbeitsfelder vertre-
Besonders wenn man viele geistige Erfahrungen schon hat und derge-
ten sollten. Es wurde später öfters behauptet, Steiner habe eine Wieder-
stalt ein Fortgeschrittener ist, könnte es leider noch passieren, dass man
aufnahme dieser Idee gebracht, als er den so genannten Esoterischen
seine Schauungen überschätzt oder sie einfach falsch deutet. Selbstver-
Vorstand bei der Weihnachtstagung 1923 24 initiierte. Das glaube ich
ständlich habe ich selber mit dieser Gefährdung wiederholt gekämpft.
nicht, da die nachfolgende verheerende Geschichte der Allgemeinen An-
Dazu habe ich riskante Tendenzen bei einigen Menschen erlebt, mit de-
throposophischen Gesellschaft gerade zeigt, dass kaum oder zu wenig Kar-
nen ich auf die Dauer gearbeitet habe. Wenn das Inspirationsbewusstsein
maverständnis vorhanden war, um z. B. die negativen Gerüchtebildun-
erlangt ist und man erlebt, dass Kontakt zu Geistwesen z. B. Meis-
gen über karmische Angaben, die in Umlauf waren, zu entschärfen. In
terseelen möglich ist, könnte es sein, dass man zu wenig darauf
den sozialen Problemen nach Steiners Tod, die über viele Jahrzehnte
achtet, die imaginative Ebene dabei mit selbstloser Ich-Kraft zu durch-
und mit einigen verspäteten Ausläufern bis heute zu hartnäckigen Kon-
flikten und bitterlichen Trennungen zwischen Einzelnen und Gruppie- 185
Manuela Oetinger, Mike Booth, Peter Michel, Die Meister der Weisheit, Seite
150.
184 186
Rudolf Steiner, Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis, GA Vergleiche z. B. Rudolf Steiner, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges,
191, Dornach 1983, Seite 178f. GA 174b, Dornach 1974, Seite 153.

362 363
leuchten. Der Buchautor Peter Michel deutet diese Gefahr auf seine
Weise an:
Wir waren uns einig, dass Gnade wichtig ist, um mit den Meistern in
Berührung zu kommen. Dies bedeutet, sich ihnen mit einer bestimm-
ten Qualität des Herzens zu nähern, um unser eigenes inneres Wesen
zu entfalten, so dass wir am Ende Gotteskinder werden können. Ich
habe aber auch Leute getroffen, die über innere Meister sprachen, und
ich habe immer eine enorme Arroganz gefühlt in den Worten: Mein
Meister sagt . . oder Mein höheres Selbst spricht . . Bei näheren
Betrachten war vieles Unsinn, einfach nur das Auserwähltheitssyn-
drom und eine Überschätzung der eigenen Wichtigkeit.187
Es ist verständlich, dass jemand sich auserwählt fühlt, wenn er mit geis-
tigen Erfahrungen und karmischen Erkenntnissen begnadet wird. Wie
ich wiederholt betont habe, geht es dennoch darum, diese Erlebnisse mit
dem gewöhnlichen Leben, mit den lieben Mitmenschen einzuordnen.
Wenn es nicht passt, sie unmittelbar mit jemandem zu besprechen, sollte
man unbedingt darüber schweigen. Sonst läuft man Gefahr, Andere mit-
zureißen, die selber nicht fähig sind, dasselbe zu schauen oder es richtig
einzuordnen. Man könnte dadurch Anhänger unfreiwillig kriegen, die
einem in ihrer selbstsüchtigen Lage kaum helfen können. Besonders sol-
che Menschen, die einem noch etwas aus Karma schuldig sind, werden
leicht hereinfallen und eine solche Lage ausnutzen, so dass sie einen als
Meister zu betrachten beginnen und einen insofern nach Oben schie-
ben wollen.
Wir können diese Gefahr und die direkten Probleme auf dem Schu-
lungsweg, die damit verbunden sind, auch als das Capesius-Syndrom be-
zeichnen. Professor Capesius ist eine Figur, die in den Mysteriendramen
von Steiner vorkommt.188 Dieser humanistisch Gebildete schafft es auf
einer bestimmten Stufe der Initiation nicht, das Luzifer-Wesen zu durch-
schauen. Deshalb gerät er temporär in seine Zwangsjacke hinein. Nur
die liebevolle Kameradschaft einiger anderer Geistesfreunde schafft ihm
die richtige physische Umgebung und die seelisch-geistige Unterstüt-
zung, so dass er seinen bedauerlichen Zustand erkennt und mit seinen
Freunden und Kollegen wieder in eine fruchtbare Entwicklung kommen
kann. Mit solchen psychischen Sackgassen und vorübergehenden Abwe-
gen musst du allerdings auch rechnen. Sie sollen uns aber nicht von vorn-
herein abschrecken, so dass wir uns von weiteren Schritten fern halten.
Genau das möchten die Widersacher mit Vergnügen erreichen. Ein aus
187
Manuela Oetinger, Mike Booth, Peter Michel, Die Meister der Weisheit, Seite
150.
188
Rudolf Steiner, Vier Mysteriendramen, GA 14, Dornach 1981.
364
Angst oder Faulheit abgebrochener geistiger Pfad bedeutet für sie einen
Sieg, der sie mit dauerhafter Energie des schwankenden Geistesschülers
auflädt.
Auch die Kritiker der Esoterik kriegen mehr Wind in ihre Gerüchte-
mühlen, wenn sie sehen, dass die esoterische Schulung zu geistigen
Früh - und Fehlgeburten führen kann. Anders herum: Wenn du von
einer Stufe nicht weitergehst, was die Freiheit dir ja immer einräumt, das
Erreichte aber innerlich siegelst und für die Zukunft aufsparst, besteht
keine Gefahr, dass du auf Irrwege abgleitest. Derartige Probleme sollten
uns im Grunde nur stärken, so dass wir noch mehr einander helfen und
zu offener, spiritueller Gemeinschaftsarbeit fortdauernd beitragen. Die ab-
schließenden Übungen setzen gerade bei diesem Punkt an.
Das vierte imaginative Gebäude der Gemeinschaftstempel
In geistiger Arbeit und gemeinsamer Meditation mit Anderen ist es mir
eindeutig geworden, dass man gemeinsam übersinnliche Taten vollziehen
kann. Wenn du mit Freunden in einem Austausch das Bauen der Hütte
in den drei Varianten, die ich beschrieben habe, durchgemacht hast
1. das Karmamuseum
2. das Seelenhaus
3. den Tempel der geistigen Umwandlungsarbeit
, dann kannst du als viertes Bauunternehmen anfangen, einen Gemein-
schaftstempel mit Geistesverwandten einzurichten.
Ein Freund, der große hellseherische Fähigkeiten besitzt, wollte ein-
mal mit mir eine imaginative Hütte bauen. Er nahm mich mit in einen
Wald an seinem Wohnort. Nahe an einem kleinen Bach, wo es üblich
war, frisches Quellwasser zu holen, hatte er ein schönes Grundstück
entdeckt. Wir legten abgefallene Äste aus, um einen Umriss einzugren-
zen. Wir entschieden, wo der Eingang sein sollte, und probierten aus,
wie es durch die Tür sich anfühlte, hinein zu steigen.
Zwei Buchen symbolisierten die Säulen vor dem Eingang. Wir setzten
uns auf den Waldboden und gemeinsam ließen wir die Einbildungskraft
strömen, um den ovalen Grundplan und den mit Säulen gestalteten In-
nenraum zu entwerfen. Im Wald führten wir mit geschlossenen Augen
die erste Meditation aus, die in dieser imaginativen Einrichtung statt-
fand. Im Laufe der nächsten Zeit benutzte jeder zu Hause für sich den
gemeinsamen imaginativen Bau, wenn wir füreinander etwas erforschen
oder tun wollten. In Briefen und Telefongesprächen tauschten wir die in-
dividuellen Ergebnisse aus. Manchmal gelang es uns, in geistige Intuitio-
nen zu kommen, das heißt, wir konnten uns in derselben Wahrheit me-
ditativ zusammenfinden.
365
 Mit anderen Kollegen und in anthroposophischen Arbeitskreisen habe
ich ähnliche gemeinsame meditative Bauvorhaben angeleitet, um die so-
zialen Energien positiv zu involvieren. In einem solchen Fall machten
wir auch vor Ort auf einer großen Wiese, die von Wäldern und sanften
Hügeln umrahmt war, einfache kultische Handlungen z. B. Edelstei-
ne im Boden zurück zu legen , um den Platz mit seinen Elementarwe-
sen für unsere innere Arbeit vorzubereiten. Als wir am Abend in einem
Wohnzimmer im Kreis versammelt waren, entstand vor unseren inneren
Augen da draußen ein großer Tempelbau in zwei Stockwerken. Der
Eingang war im Obergeschoß und man kam hinunter zur Krypta über
eine Windeltreppe, die am Altar in der Mitte unter dem Kuppeldach
hinunterging. Jeder Teilnehmer hatte seine Säule im oberen Raum, von
wo aus man bestimmte Ereignisse verfolgen konnte.
In mehreren Gruppenmeditationen dieser Art gaben unabhängig von-
einander mehrere Teilnehmer solche Beschreibungen ihrer inneren Er-
lebnisse, dass es im Nachhinein evident war, anzunehmen, dass es die
beiden Individualitäten, die mit den Namen Rudolf Steiner und Chris-
tian Rosenkreutz bekannt sind, waren, die die Zusammenkunft leiteten .
In der Zusammenarbeit mit einem anderen Menschen, der mehrere
hervorragende auch geschichtlich bekannte Inkarnationen für sich ent-
deckt hatte und sein Leben in der Gegenwart als moderne Eingeweihter
denkt, entstand die folgende Variante eines Gemeinschaftstempels, der
bis in den Himmel , in die geistigen Regionen der Hierarchien ragt. Man
denkt sich einen breiten Fluss, der durch eine bewegte Landschaft nach
Norden fließt man könnte z. B. an den Nil oder den Rhein denken.
Der Fluss kann selbstverständlich in eine andere Himmelsrichtung flie-
ßen, aber man denkt sie ganz konkret, um die Himmelsrichtungen im
Blick zu behalten. Man fährt mit seinen Freunden in einem Schiff strom-
aufwärts. Bald sind Siedlungen auf beiden Seiten zu sehen, die sich mehr
und mehr zu einer Stadt zusammen tun. Die Reise führt zu einer Insel in
der Mitte des Flusses, die man von den Stränden der Metropole nicht
sehen kann, weil die Nebel der Wasserdünste von einem riesigen Was-
serfall im Hintergrund sie verdeckt. Nur wenn man auf der Insel steht,
kann man den schlossartigen Turmtempel sehen, der vor dem Katarakt
in die Höhe ragt. Wenn man die Empfangstreppen hinauf steigt, wird
man von Kennern des Tempels empfangen, die je nach der Reife und
den Bedürfnissen der Besucher das Innere des Tempels zeigen werden.
Es würde ein separates Buch füllen, was mir und Anderen in diesem
Heiligtum und von ihm ausgehend geschehen ist, was uns widerfahren
ist, und alles, was wir noch von Angelegenheiten der Vergangenheit, der
Gegenwart und der Zukunft dort schauen durften. Nur zwei monumen-
tale Bilder möchte ich malen, welche mit dem Inhalt dieses Buches
direkt zu tun haben. Das erste Beispiel ist ein affirmatives, was unser Ge-
366
dächtnis erhellen könnte. Das andere Motiv ist etwas sehr Ernstes, was
unser Gewissen beherzigen sollte, das ich noch erzählen möchte, auch
wenn die Zeitangabe des während des Schauens künftigen Geschehens
eingetroffen ist, und zum Glück alles beim Gewohnten geblieben ist,
dass also die geschaute Katastrophe nicht geschehen ist.
Eine breite Treppe führt nach oben. Weit oben sitzt in strahlendem
Kleid die Gottesmutter, Sophia, die Weisheit in Person. Die Treppe, die
viel prächtiger und monumentaler als die Spanische Treppe in Rom ist,
wird von vielen Individualitäten betreten. An beiden Seiten sind für jedes
Stockwerk der geistigen Ebenen kleine Balkons, die zu mehreren Pau-
sen im strapaziösen Zug nach oben einladen. Für jede Treppenstufe wer-
den alle Fehler, die man in den Inkarnationen gemacht hat, nochmals in
ihren Konsequenzen für die anderen Menschen und die ganze Schöp-
fung erlebt. Auf den Balkons aber kann man sich an seinen eigenen Leis-
tungen, die positiv waren, erquicken und wieder Kräfte für das Aufstei-
gen sammeln. Bei einer dieser meditativen Aufstufungen hatte ich die
folgende apokalyptische Schau, indem ich quasi einen tiefen Atemzug
tat und gleichzeitig nach hinten schaute: Auf dem dunklen Abendhim-
mel flammt eine Jahreszahl auf. In leuchtenden Ziffern ist zu lesen das
Jahr 2010. Sofort knickt die Eins in der Mitte nach rechts um und fällt
auf die letzte Null. Es entsteht in der ganzen Zahlenkombination dann
eine innere Erschütterung, die die Jahreszahl zunächst fast entschwinden
lässt. Als wieder Ruhe eintritt, steht zu lesen: 2006. Mehrere vorahnende
Menschen, mit denen ich gesprochen habe, konnten für verschiedene
Prophezeiungen aus unterschiedlichen Quellen eine Übereinstimmung
mit mir finden, dass gewisse Tendenzen der Zukunft, die früher galten,
heute anders liegen, weil eine Verfrühung gekommen ist. Über Jahre
habe ich wiederholt versucht, die Entwicklung auf verschiedenen Ebenen
in Europa zu verfolgen. Die folgende Prognose ergibt sich aus den
Schauungen von Anderen und aus meiner eigenen Geisteswahrneh-
mung: Erstens wurden wegen Erdöl- und Gasentnahmen aus der Nord-
seeplatte durch Jahrzehnte gewisse Unstimmigkeiten in den Erdschich-
ten hervorgerufen. Physische Hohlräume sind entstanden, die geistig
nicht nachgefüllt sind. Zweitens hat die europäische Entwicklung des
20. Jahrhunderts, was das Politische und das Geistige betrifft, eine weite-
re Diskrepanz verursacht. Ein geistiges Loch ist entstanden, das auf der
physischen Ebene von mit Macht erfüllten Institutionen und Strukturen
ergriffen worden ist. Anthroposophische Lebens- und Arbeitsbereiche
sind hierin keine Ausnahmen. Die Dynamik der karmischen Zusammen-
hänge in Europa hat wegen diesen zwei Missverhältnisse auf geomanti-
scher* Ebene eine Art Hypotonie, einen Unterdruck geschaffen, so dass
geografisch ausgedrückt ausgehend von der Nordsee ein diagonaler
Zog durch Europa in Richtung der Türkei läuft. Anthroposophisch be-
367
merkt: Zu wenig Sonnenkarma ist geschaffen worden. Wenn aus dieser
ätherischen Depression eine Katastrophe kommen würde das durch
geistige Heilung möglicherweise verhindert werden könnte , hätten wir
es mit einem gewaltigen Erdbeben zu tun, das einerseits durch Flutwel-
len große Schäden an den Küsten von Nord- und Westeuropa verursa-
chen würde. Andererseits würden Plattenverschiebungen und Senkungen
große Gebiete von Großbritannien, Dänemark, Deutschland, Holland, Epilog
Belgien, Frankreich bis hinein in die Schweiz und Österreich und weiter
südöstlich mit unheimlichen Schicksalsschlägen, besonders in den Groß-
städten, überraschen, weil die politischen Leitungen und die Katastrofen-
hilfe in diesen Ländern und die Bevölkerung selbst auf Desaster solchen
Ausmaßes einfach nicht vorbereitet sind. Wenn ein physisches Gebäude
nicht mehr da ist, wird indessen alles, was geistig gebaut und entwickelt
wurde, nie aus dem Menschendasein verschwinden. Sie werden im Stein
der Weisen* mit ihrem kosmischen Karma für die Zukunft aller Kreaturen
verbunden bleiben.
Seit der Veröffentlichung meines ersten Buches bis zum Schreiben dieser
Zeilen sind über sieben Jahre verflossen im 20. Jahrhundert seien
zehn Jahre wegen der Beschleunigung der Zeit wie früher hundert Jahre,
soll Rudolf Steiner einmal geäußert haben.189 Es hat also Zeit genug ge-
geben, dass jemand ernsthaft einen Versuch hätte machen können, das
darin Beschriebene als Ganzheit zu bewerten. Da bisher von meinen frü-
heren Veröffentlichungen nur begrenzt etwas ernsthaft aufgegriffen wur-
de, würde ich mich sehr freuen, wenn dem vorliegenden Buch anders be-
gegnet werden könnte. Es ist vielleicht nicht so wichtig, was professionel-
le Kritiker schreiben. Wichtiger ist es, dass Menschen, die meine Übun-
gen und Meditationsvorschläge durch eigenes Tun üben und nachprüfen,
ihre Bilanzen irgendwann veröffentlichen, damit ein produktiver Fort-
gang der Geistesgeschichte geschieht. Auf alle ernsthaften und freundlich
dargebrachten Gegenstimmen werde ich lauschen, um denkbare Korre-
ktur oder Entgegenkommen anzubieten. Wenn im öffentlichen Raum
solche positiven Auseinandersetzungen stattfinden würden, hätten wir
die Möglichkeit, uns über Vieles auszutauschen, was hier wegen Platz-
mangel nicht beschrieben werden konnte. Das Buch ist sowieso zu dick
geworden, um als praktisches Taschenbuch verlegt zu werden, aber des-
sen ungeachtet möchte ich das Ganze zusammenfassen.
Eine künstlerische Betrachtung der Umwelt und des eigenen Lebens
ist eine adäquate Haltung, um gegen deprimierende Verhältnisse zu ar-
beiten. Sie führt zum Interesse für das Geistige hinter dem sinnlichen
Dasein. Eine Beschäftigung mit Kunstbetrachtung im Allgemeinen und

189
Vergleiche Rudolf Steiner, Das christliche Mysterium, GA 97, Dornach 1981,
Seite 284.

368 369
mit Kunstausübung im Konkreten steigert das Interesse für die Welt, für
Menschen und für die Natur. Kunst öffnet die Augen für Wesentliches
im Alltag und lehrt uns, Unwesentliches von Wesentlichem zu trennen.
Wir können durch die Kunst als Begleiterin des Lebens auf dasjenige
aufmerksam werden, was uns als Mensch eigentlich ausmacht und uns
von Steinen, Pflanzen und Tieren unterscheidet. Der Mensch, der unter-
wegs ist in seiner ethischen und geistigen Vervollkommnung, kann sich
selber begegnen in der künstlerischen Anschauung und dort wertvolle
Korrektur finden. Wenn zu dem sinnlichen Üben noch seelische Übun-
gen und Meditationen dazu kommen, öffnet die künstlerische Betrach-
tung neue Dimensionen. Wer sich so in der Meditation versenken und
vertiefen lernt, wie er sich in der Kunst gefunden hat, kann seine Biogra-
fie neu enträtseln und für Beziehungen, die festgefahren waren, neue
Möglichkeiten der Öffnung oder Veränderung entdecken.
Die Perspektive von Reinkarnation und Karma, die zunächst für viele
Menschen heute eine Gedankenmöglichkeit und eine interessante Idee
darstellt, bringt mit meditativem Üben durch die Methode der dynami-
schen Kunst- oder Bildmeditation beschreibbare Imaginationen, die mit
der Zeit ihren wahren Inhalt über authentische frühere Leben freigeben
werden. Das Bauen der Hütte und andere innere architektonische Vor-
haben als Prinzipien der Bildmeditation ergänzen sich durch weitere
Seelenübungen, die die Möglichkeit schaffen, stationär und beweglich in
mehrere Raumes- und Zeitdimensionen zu gelangen. Die Karmafor-
schung bringt nicht nur Einsicht in die Vergangenheit antiker Kulturen
und alter Lebensformen, sondern sie bildet auch übersinnliche Organe,
die Chakren, aus, die einen befähigen, in Kontakt zu Wesen zu treten,
die nicht in einem physischen Körper wirken, in den der Mensch wäh-
rend des Lebens inkarniert ist. Der esoterische Weg führt zu Begegnun-
gen mit dem Schutzengel, mit anderen höheren Wesen, mit verstorbenen
Freunden und mit Naturwesen in Erde, Wasser, Luft, Licht und Wärme.
Nicht nur diese so genannten gut wirkenden Wesen sollen die Aufmerk-
samkeit des Meditierenden bekommen, sondern auch solche Wesen, die
als hemmend, verführend und zerstörend in der karmischen Entwicklung
des Menschen sein können, können in ihrer Tätigkeit entdeckt werden.
Sowohl geistige Beförderer und Hüter als auch Widersacher und Ein-
peitscher werden in höheren Bewusstseinsarten, die durch dynamische
Meditation genau geübt und gelernt werden können, in ihrem Wesen er-
kannt. Geistige Tatsachen, die z. B. in der Anthroposophie oder in ande-
ren esoterischen Schulungen beschrieben werden, wird der eigenständige
Geistesforscher selber durch authentische Erfahrung untersuchen können
und je nach Bedarf individuelle Beschreibungen und Begriffe dafür ent-
wickeln. Der Übende auf diesem Bildungsweg wird bestimmte Begeg-
nungen im meditativen Bewusstsein haben, die ihm die Möglichkeit ver-
370
leihen, zu prüfen, ob er gegen Täuschungen in seinen übersinnlichen
Schauungen geschützt ist oder nicht. Er wird so lange weiterarbeiten, bis
er die innere Natürlichkeit gewonnen hat, um alles, was er im Alltag tut,
vergessen zu lernen, solange er meditativ tätig ist, und alles, was er über-
sinnlich erlebt, im Alltag jedoch nicht zu vergessen. Das heißt nicht, dass
er alle imaginativen Bildzusammenhänge als geistige Wahrheit vor An-
deren darstellt, sondern er legt alles, was innerlich erlebt oder geschaut
wurde, auf die Waage des von Selbstsucht gereinigten Ich, so dass alles
Illusionäre von der Wahrheit abgestreift wird. Nur das, was von seinen
Erlebnissen und Erforschungen im Leben weiterhin als fruchtbar und
sozial aufbauend wirkt, verbindet er mit der Wahrheit.
Falls du Christus Herr des Karmas und großer Hüter zur geistigen
Welt authentisch begegnen wirst und erlebst, dass er für dich eine in-
dividuelle Gestalt angenommen hat, so dass zwischen dir und ihm keine
konfessionellen oder traditionellen religiösen Färbungen oder Vorstellun-
gen mehr bestehen, kannst du sicher sein, dass der Weg, den du gegan-
gen bist, ein heilsamer und förderlicher gewesen ist. Solltest du Christus
durch diese Arbeit nicht begegnen, kannst du sicher sein, dass der Weg
entweder von Anfang an falsch war oder du selbst bist noch nicht von
deinen Wunschbildern ausreichend befreit, um ihm in diesem Kontext
gegenübertreten zu können.
Wenn auch nur ein einziger Leser wegen dieses Buches künftig sagen
würde: Ich will den anderen Seelen das geistige Leben geben, das ich in
mir selbst trage , dann hat sich das Anliegen erfüllt, das mit diesem
Buch erstrebt wurde. Ich glaube, dass es keinen schöneren Abschluss
meines zweiten Buches geben könnte, als ein Zitat aus Daskalos Esoteri-
sche Lehren weiter zu reichen:
. . . Er streichelte mir übers Haupt und küsste meine Augen . . . und er,
immer mir nahe und lächelnd, sah mich liebevoll an und sprach sanft
zu mir. Ich fragte: Wo warst du so lange, wenn ich litt, als mein
Herz brach und ich so sehr kämpfte? So lange wo bist du gewe-
sen? Er sagte: Ich war immer in dir und sprach zu dir sanft, ich ver-
band deine Wunden, ich zählte deine Tränen. Ich war immer bei dir.
Als du littest, litt auch ich.
371
 Anhang

Gedicht von Angelus Silesius

Mensch, werde wesentlich!

Denn wenn die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg;
das Wesen, das besteht.

Diese Zeilen von Angelius Silesius passen z. B., wenn Fragen an die Zu-
kunft angegangen werden sollen.

Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe

Über allen Gipfeln

Ist Ruh ,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Dieses weltberühmte und meistübersetzte Gedicht von Goethe, dessen

Geburtsort im Thüringer Wald ich einmal besuchen durfte, kann man
immer wieder benutzen, wenn das Anliegen des inneren Friedens artiku-
liert werden soll. Es beschreibt zwar Naturzusammenhänge, aber auch in-
nere Vorgänge und übersinnliche Wesen können dabei gedacht werden.

372 373
 Gedicht von Hans Carossa Heilsam ist nur, wenn
Im Spiegel der Menschenseele
Es gibt kein Ende, Sich bildet die ganze Gemeinschaft;
Nur glühendes Dienen. Und in der Gemeinschaft
Zerfallend senden Lebet der Einzelseele Kraft.192
Wir Strahlen aus.
Dieser Spruch wirkt harmonisierend, wenn du dich mit karmischen Fra-
Dieses Gedicht wurde im 2. Teil entsprechend behandelt. gen befasst, die einen Freundeskreis oder eine Arbeitsgemeinschaft be-
treffen, wenn schwierige soziale Beziehungen angeschaut werden sollen
oder wenn du dich innerhalb Konstellationen in früheren Zeiten erken-
Sprüche und Mantren von Rudolf Steiner nen möchtest.

Ruhiges Verweilen an den

Schönheiten des Lebens Des Lichtes webend Wesen, es erstrahlet
Gibt der Seele Kraft des Durch Raumesweiten,
Fühlens. Zu füllen die Welt mit Sein.
Klares Denken an die Der Liebe Segen, er erwarmet
Wahrheiten des Daseins Die Zeitenfolgen,
Bringt dem Geiste Licht des Zu rufen aller Welten Offenbarung.
Wollens.190 Und Geistesboten, sie vermählen
Des Lichtes webend Wesen
Dieser Spruch wurde ebenfalls im 2. Teil behandelt. Mit Seelenoffenbarung;
Und wenn vermählen kann mit beiden
Der Mensch sein eigen Selbst,
Urselbst, Ist er in Geisteshöhen lebend.
Von dem alles ausgegangen,
Urselbst, Des Lichtes webend Wesen, es erstrahlet
Zu dem alles zurückkehrt, Von Mensch zu Mensch,
Urselbst, Zu füllen alle Welt mit Wahrheit.
Das in mir lebt Der Liebe Segen, er erwarmet
Zu dir strebe ich hin.191 Die Seele an der Seele,
Zu wirken aller Welten Seligkeit.
Diese Hymne aus dem Sanskrit in Steiners Deutung passt, wenn du für Und Geistesboten, sie vermählen
eine Karmameditation weit zurückgehen möchtest, z. B. in atlantische Der Menschen Segenswerke
und lemurische Zusammenhänge, oder wenn du zu Vorgängen, die ehe Mit Weltenzielen;
Reinkarnation angefangen hatte, gehen möchtest. Sie ist auch richtig, Und wenn vermählen kann die beiden
wenn du dich mit dem höheren Ich beschäftigst. Der Mensch, der sich im Menschen findet,
Erstrahlet Geisteslicht durch Seelenwärme.

190
Rudolf Steiner, Wahrspruchsworte, GA 40, Dornach 1975, Seite 204. Für Frau
192
Maude Künstler in ein Neues Testament geschrieben, 4. April 1906. Ebenda, Seite 256. Für Edith Maryon als Das Motto der Sozialethik in ihrem
191
Ebenda, Seite 154. Er ist Steiners freie Interpretation einer altindischen Hym- Exemplar des Buches In Ausführung der Dreigliederung des sozialen Organismus , 5.
ne. November 1920, heute GA 24.

374 375
Diese zwei Sprüche stammen aus dem ersten Mysteriendrama von Ru- Ich bitte euch, Freunde der Schöpfung,
dolf Steiner.193 Sie sind Worte, die von Benedictus dem spirituellen Meister der Menschheitsströmungen und Geistwesen
Lehrer in den Dramen gesprochen werden. Der erste Spruch kommt aller Ordnungen, die mit der Michaelsendung* der Gegenwart
als eine Ermutigung für den Geistesschüler Johannes im 3. Bild vor. Der wahrhaftig verbunden waren, sind und sein werden,
Appell lautet, seinem innersten Selbst treu zu sein und den Offenbarun- mich und die Anwesenden umhüllt von Licht zu hüten,
gen der Geistwelt als etwas Ersehntem zu begegnen, was einem nicht uns in der Meditation durchflutet von Farben zu beleben
fremd sein kann. Der zweite Spruch wird im 7. Bild Johannes und seiner und erweckt vom schöpferischen Wort zu begeistern.
Freundin Maria als Worte der Kraft vermittelt. Hier wird die Geistsuche Lasse mich ein Gewissens-Zeit-Genosse
als eine Sache der Liebe bestätigt. Die eigenen Taten auf dem inneren und ein Weihe-Wegbereiter
Weg, auch wenn sie noch unvollkommen sind, sollen den Geistesschüler für diese/n Geistesschüler/in sein.
so ermuntern, dass man gemeinsame Wege mit Anderen als ersehnens- Ich wende mich an dich, mein Engel,
wert sieht. Viele, die ich kenne, inklusive ich selbst haben diese Sprü- Ausgesandter des Heiligen Geistes,
che bei Rückerinnerungen in frühere Leben benutzt. Ich finde den ersten Gralshüter meines Erdenwandels,
als passend vor und den zweiten als passend nach der meditativen Ver- ich bitte um deine Anwesenheit.
tiefung. Auch Heide Oehms verweist auf diese Sprüche in ihrem wert- Ich wende mich an dich, Michael,
vollen Karmabuch. Botschafter des göttlichen Vatergrundes,
Erkenntnishüter, Geist der Stärke und Freiheitsbewahrer,
ich bitte um deine Anwesenheit.
Licht um mich Ich wende mich an dich, Christus,
Licht erfülle mich Gottes-Menschen-Sohn und Weltenvermittler,
Licht stärke mich Herr des Karmas und Diener der Liebe
Licht befreie mich in Erden-Äther-Welten,
Licht stelle mich ich bitte um deine Anwesenheit.
Auf mich selber Ich wende mich an dich, göttliche Sophia,
Ich Vertreterin der mütterlichen Weltgedanken,
Für Friedrich Krüger, 1911/12 Hebamme der Weisheit des angefangenen lichten Zeitalters,
ich bitte um deine Anwesenheit.
Diesen Spruch habe ich ebenfalls im 2. Teil besprochen. Lasset walten in uns eure Geist-Gnade-Güte,
so dass wir Helldenken, Hellfühlen und Hellsehen
in Menschenkreisen entwickeln lernen.
Spruch der Begleitung von Jostein Sæther Lasset Motive der Menschheitsvergangenheit
aus Akasha schicksalsumwandelnd zum Segen
CHRISTUS, für neu entstehende Kulturen werden.
im Andenken deiner Erfahrungen unter Menschen Haltet die Widersacher Christi,
richte ich meiner Seele Kräfte die Gegenmächte Michaels
auf wahres Geistesstreben und Karmagesinnung. und die bösen Antiwesen des Menschseins
Ich möchte, dass die Geistgebärde und die Seelensprache von unserem Geisterleben fern,
der geistigen Michaelschule solange wir noch nicht eigenständig reif
durch Imagination, Inspiration und Intuition in Geistesschülerschaft geworden sind.
in mir bewusst, seelenkräftig und lebendig werden. Ich bestätige in dieser Allgegenwart
unsere menschliche Geistsuche,
193
Rudolf Steiner, Mysteriendramen. Band I. Die Pforte der Einweihung. Die Prüfung unser Karma-Erkenntnisstreben,
der Seele, Dornach 1982. Taschenbuchausgabe (tb 6070), Seite 75 und 119. während ich für eure Geistesohren, ihr Weltenhüter,

376 377
 meinen geistigen Namen ausspreche,
der Urselbst-Christ-Benennung, die du, Mani-Parsifal,
mich berufend, mir anvertraut hast:
Hier aber im Sinnesraume wurde er stumm ausgesprochen.
Der Michael-Christus-Gedanke möge ihn durch euch,
ihr Elementargeister Christi,
in Erden-Tiefen-Reichen der Anthropo-Sophia
heilwirksam werden lassen.
Dieser Text ist kein klassisches Gebet, eher eine meditative Bestätigung,
dass der Meditierende seine Annäherung der geistigen Welt ankündigt.
Er ist etappenweise entstanden, verbessert und geschliffen worden. Als
ich anfangs in der meditativen Betreuung und in seminaristischer Arbeit
stand, benutzte ich immer Texte von Steiner. Dann entstand allmählich
das Bedürfnis, durch eigene Befähigung sich freimütig mit der geistigen
Welt unmittelbar zu verständigen . Der Inhalt und die mit Namen er-
wähnten Wesen entsprechen ganz meinem individuellen Hinwendungs-
bedürfnis. Da viele den Spruch als allgemein gültig gefunden haben, gebe
ich ihn hiermit frei. Jeder kann dann nach Bedarf einige Wesen auslas-
sen und andere geistige Gesprächspartner hinzufügen. Das Motiv des
geistigen Namens der an der Stelle der drei Striche gedacht oder flüs-
ternd ausgesprochen wird , das hier Urselbst-Christ-Benennung ge-
nannt wird, habe ich diesmal kaum erwähnt. Im ersten Buch findest du
einen weiteren Hinweis dazu.194
194
Jostein Sæther, Wandeln unter unsichtbaren Menschen, Seite 269.
378
Glossar
Agape griech. Nächstenliebe
Sie stellt die höchste, die dritte Kategorie der Liebe dar. A. ist die geistige
Liebe, die auch als so genannte platonische Liebe bezeichnet wird. Sie
kann, weil sie ohne Egoismus ist, Philia und Eros miteinander in Ein-
klang bringen.
Ahriman, ahrimanisches Wesen pers. böser Geist
In der altpersischen Religion der König der Finsternis , der böse Grund-
satz, der allem Guten zuwider läuft und mit diesem stets im Kampf liegt.
In der Anthroposophie ist A. das Wesen der Verhärtung, der Täuschung,
der Herr der Materie und des Toten, der dem Menschen sein Karma ver-
hüllen will, um seine geistigen Zukunftskeime für sich zu gewinnen.195
A. saugt am Ätherleib des Menschen. Er ist ein retardierter Erz-
engel, der von der normalen Evolution der gottestreuen Hierarchien ab-
gefallen ist. Seine mit Luzifer zusammenhängenden Wirksamkeiten
geben aber dem Menschen die Möglichkeit, durch Erkenntnis des Bösen
die Freiheit zu erlangen. Ahrimanische Wesen finden sich in verschiede-
nen Ordnungen und Stufen unter Naturwesen und Doppelgängern bis
hin zu den Engeln. Sie haben A. als eine kollektive Führerwesenheit ge-
funden. A. entspricht dem biblischen Satan und ist im esoterischen
Christentum ein Antipode des göttlichen Sohnes.
Wie einst Luzifer und Christus in Menschenleibern inkarniert wa-
ren, wird auch einmal in der Zukunft Ahriman sich inkarnieren, laut
Aussagen von Rudolf Steiner.196
195
Die mit Pfeilen vermerkten Worte sind anderswo im Glossar beschrieben.
196
Rudolf Steiner, Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis, GA
379
Ahriman-Schule, geistige
In der Anthroposophie die geistige Versammlung um Ahriman, die
als Gegeneinrichtung zur geistigen Michael-Schule gebildet wurde. Seit
dem Anbruch der Neuzeit ist die Aktivität aus dieser geistigen Bastion
stark angestiegen, so dass nicht nur geistige Wesen, sondern auch Men-
schenseelen sich der A. angeschlossen haben. Die Wirksamkeit der A.
hat sich über, um und in der Erde verbreitet. Wo sie sich irdisch fokus-
siert, kann das als negative Ausstrahlungsorte geomantisch festgestellt
werden.
Akasha-Chronik sanskr. Das Buch des Lebens
Eine übersinnliche Weltenchronik, in der alle Taten, Empfindungen und
Gedanken der gesamten Vergangenheit als Einprägungen im Welten-
äther aufgezeichnet sind. Alles, was wir im Leben durchmachen, wird
beobachtet von so genannten Mondenwesen, die Rudolf Steiner Ur-
lehrer der Menschheit nennt, weil sie einmal mit uns die Erde bewohnt
haben als Geistwesen. Sie sind die Registratoren für die Erlebnisse der
Menschheit und sie tragen alles in lebendiger Gestalt in die Akasha-Sub-
stanz ein. Die A. wird von ihnen als deren Erinnerung gehütet und zu-
sammengehalten. Diese Erinnerungen können heutzutage nur auf medi-
tativen Wegen exakt erschlossen werden. Mediale und andere paranor-
male Hinwendungen an die geistige Welt können aber gewisse Aspekte
aus der A. erschließen.
Anthropo-Sophia
In der Anthroposophie Bezeichnung einer geistigen Wesenheit, aus der
immerwährend neue Erkenntnisse zur modernen Spiritualität dem ehr-
lich geistig suchenden Menschen zuströmen.
Anthroposophie, anthroposophisch
Die von dem österreichischen Goetheforscher und Philosophen Rudolf
Steiner (1861 1925) entwickelte seelische Methode geistiger Forschung.
A. und a. bezeichnet heutzutage eine Spiritualität, die im Einklang mit
Steiners umfangreichem Lebenswerk ist. A. spricht über eine Aufschlüs-
selung von geistigen Themen wie Golgatha-Mysterium, Reinkarnation
und Karma. Sie liefert auch Impulse für eine Erneuerung der gesamten
modernen Kultur, was sich z. B. in der Waldorfpädagogik, der anthropo-
sophischen Medizin und der biologisch-dynamischen Landwirtschaft zeigt. A.
191, Dornach 1980, Seite 187ff. Rudolf Steiner, Der innere Aspekt des sozialen
Rätsels. Luziferische Vergangenheit und ahrimanische Zukunft, Dornach 1977, GA
193, Seite 166. Rudolf Steiner, Weltsilvester und Neujahrsgedanken, GA 195,
Dornach 1962, Seite 54.
380
umfasst ferner alles, was ein Mensch durch geistige Forschung heute neu
entwickelt, wenn er mit der Wahrheit im Einklang ist, selbst dann, wenn
dem Forscher von der historischen A. zuvor nichts bekannt war.
Arkanum
Archana hind. Blumen- und Blätteropfer bei der Götterverehrung. Die
22 großen und die 56 kleinen Arkana sind Karten mit komplexen Moti-
ven im Tarot-Kartenspiel. Arcanum: eine Bezeichnung für den Stein
der Weisen. Hier wird A. als die göttliche Idee eines jeden Menschen ver-
standen, die Ursubstanz der Individualität, die sowohl in der Mannigfal-
tigkeit als auch der Einheit (griech. Monade) auftritt. Das A. ist die Quel-
le des höheren Ich und sie ist auch ein individuelles, geistiges Heilmittel
für die bestehenden Schwächen, die aus den Verirrungen der niederen
Ichhaftigkeit entstanden sind und weiter entstehen, wenn Karmaver-
ständnis ausgeblendet wird.
Astralität
Die übersinnlichen emotionalen und triebartigen Emanationen eines
Astralleibes. Sie gehen von beseelten Wesen wie Tieren, Menschen oder
noch höher stehenden Wesenheiten aus.
Astralleib
Der A. ist das übersinnliche, seelische Wesensglied von Tier und
Mensch, in dem Bewusstsein aufleuchtet. Im A. werden von außen kom-
mende Einwirkungen als Bedürfnisse, Triebe und Regungen kurz: als
Empfindungen bewusst. Deshalb kann der A. neben Bewusstseinsleib
auch als Empfindungsleib bezeichnet werden.
Asuras, asurische Wesen
In der Anthroposophie Widersacherwesen, die von A. gelenkt werden.
Den A. entspricht das Urböse, das für sich selbst glaubt, Gottvater zu
sein. Diese Zerstörermacht ist bestrebt, das Ich des Menschen zum Ver-
löschen zu bringen oder es zu zersplittern. Sie versucht dies durch Ein-
wirkungen in die genetischen Strukturen der belebten physischen Welt.
Die A. sind im esoterisch-christlichen Verständnis die Antipoden des
göttlichen Vaters.
Ätherleib
Der Ä. ist eine den physischen Leib direkt umgebende und durchdrin-
gende übersinnliche Kräfteorganisation, ein feinstoffliches Agens, das
diesen mit dem Astralleib verbindet. Pflanzen, Tiere und Menschen
finden im Ä. das, was man als Vitalenergie bezeichnet. Besonders wer-
den alle körperlichen Organe durch die strömenden Kräfte und Bewe-
381
gungen des Ä. dynamisch in ihrer Form und Gestalt gehalten und um-
gebildet. Diese Umbildung, die sich parallel zum Austausch der Stoffe
vollzieht, ist das Altern.
Atlantis, atlantisch
In der esoterischen Tradition, auf Platons Beschreibung zurückgreifend,
ein untergegangener Kontinent, dessen Lage man für eine prähistorische
Zeit zwischen Europa/Afrika und Amerika im heutigen Ozean an-
nimmt. Seit Erscheinen des Buchs Atlantis The Antediluvian World des
amerikanischen Kongressabgeordneten Ignatius Donnelly (1831 1901) hat
das Thema zu unzähligen Forschungen und neuen Theoriebildungen
über die Lage und Wirklichkeit der A. Anlass gegeben.
In der neueren Esoterik finden sich viele Berichte, die durch Rückfüh-
rungen und meditative Forschungen Vieles dieser alten Theorien bestäti-
gen. In der atlantischen Zeit haben Menschen Erfahrungen gemacht und
Taten vollbracht, von denen einige karmische Folgen bis jetzt noch nicht
aufgearbeitet sind. Hier stößt man an ein Forschungsgebiet, auf welchem
auch Wesentliches zu einer Erneuerung wichtiger Heilkräfte zu finden
ist.
Auferstehung
Eine durch das Christus-Wesen vollbrachte Wiederherstellung der gött-
lichen Idee des Menschen am 5. April im Jahre 33, die die Jünger und
Frauen um Jerusalem, in Judäa und in Galiläa in den nächsten 40 Tagen
erlebten. Mit der A. wurde nach Rudolf Steiners Forschungen das an
den Tod gebundene menschliche Phantom des physischen Leibes aus der
Verhaftung an unlösliche Aschekräfte befreit. Unter Phantom versteht
die Anthroposophie die unsichtbare Strukturleiblichkeit des physischen
Leibes. Sichtbar wird sie durch Einlagerung von Materie. Ursprünglich
sollte die Einlagerung von Materie in das P. so sein, dass nur Salzhaftes
hinein genommen würde. Dieses hätte sich mit dem Tode völlig aufge-
löst und der Verstorbene hätte das P. unmittelbar mit in die geistige Welt
nehmen können.
Durch den Sündenfall wurde aber unlösliches Aschehaftes eingela-
gert. Aus diesen Bestandteilen resultiert der eigentliche Tod des P. Durch
das Mysterium von Golgatha hat Christus durch die besondere Leiblich-
keit des Jesus von Nazareth dieses Aschehafte im P. so locker halten
können, dass es erlösbar wurde. So brachte er Ostern als Auferstehungs-
leib dieses von Asche befreite P. mit. Der Geistesmensch kann nur aus
dem erlösten Phantom gebildet werden. Daher war das Christusopfer
unerlässlich.
382
Bewusstseinsseele
In der Anthroposophie ein drittes Glied der Seele, das besonders im
mittleren Erwachsenenalter (35 42) ausgebildet wird, indem der Mensch
seine bewussten Erfahrungen, die er an seinem physischen Leib und des-
sen Sinneswesen macht, verinnerlicht. Die B. ist diejenige Seelenhülle, in
welcher sich das selbstständige Ich des Menschen geistig erfahren und
begreifen kann.
Kulturgeschichtlich oder evolutionsgeschichtlich vollzieht sich diese
Seelenbildung ab der Renaissance für die gesamte Menschheit. Dieses
Seelenglied dient der Überwindung der Ichbezogenheit. In dem Maße,
wie diese errungen wird, erlangt der Einzelne die Grundlage zu einer ob-
jektiven geistigen Forschung.
Bodhisattva buddh. Erleuchtungswesen
Darunter versteht der Buddhismus bestimmte Wesen, die aber nicht eher
ins Nirwana eingehen wollen, bevor sie alle anderen Wesen aus dem
leidvollen Rad der Geburten befreit haben. Sie können von den Gläu-
bigen verehrt werden. Eine Individualität wird B. genannt, welche alle
potenziellen irdischen Erfahrungen aufgenommen hat, so dass sie von
jedem Ding weiß, wie es verwendet werden kann, und daher ein Schöp-
fer geworden ist. Ein B. ist reif, aus den inneren Geistimpulsen der
Menschheit zu wirken. Die Menschheitsführer, Weisen und Meister
der Erde sind noch nicht Bodhisattvas. Erst wenn einer das ganze Wis-
sen des Erdorganismus in sein Ich-Wesen aufgenommen hat, um schaf-
fen, heilen und initiieren zu können, wird er zu einem B.
Zarathustra, Buddha, Jeshu ben Pandira und Skythianos waren Bodhisatt-
vas. Sie können die fortdauernde Entwicklung immer analysieren und
neu regeln. Sie können und wollen etwas für die Menschheit Fremdes
aber nicht hinein bringen. Ob sie inkarniert sind oder nicht, können sie
höhere Geistwesen wie Erzengel in ihren Ätherleibern tragen und von
ihnen beseelt sein. Es wird vom Kreis der zwölf Bodhisattvas, der Ge-
schmückten , überliefert, dass sie von einem Dreizehnten, dem Gesalb-
ten , dem Christus, als ihrer schöpferischen Mitte, getragen werden.
Chakra sanskr. Rad , Lotusblume
Hierunter versteht man übersinnliche Energiezentren, die sich in der
Nähe von Organen im menschlichen Körper befinden. Sie sind durch
Kanäle (sanskr. nadis) miteinander verbunden. Es gibt sieben Haupt- und
eine Anzahl Nebenchakras. Ein Ch. besteht im übertragenen Sinne aus
einem Blütenkelch und Stängel, die im Astralleib lokalisiert sind, sowie
einer Wurzel, die den physischen Körper des Menschen mit Wirkungen
versieht. Die Hauptchakras sind: Muladhara (Steißbein) oder Wurzel-
chakra, Svadhisthana (Geschlechtsorgane) oder Sakralchakra, Manipura
383
(Nabel) oder Nabelchakra, Anahata (Thymusdrüse) oder Herzchakra, Vi-
suddha (Schilddrüse) oder Halschakra, Ajna (Hypophyse) oder Stirn-
chakra, Sahasrara (Scheitel des Kopfes) oder Scheitelchakra. Die Cha-
kren entsprechen bestimmten Wirkungsbereichen und verharren in Un-
tätigkeit, bis ein Aufwecken sie erblühen lässt. Die Schlangenkraft ,
Kundalini genannt, die dem Astrallicht entspricht, durchströmt sie mit
neuen Schwingungen. Ein erwecktes Ch. dient u. a. der Geistesforschung
als Wahrnehmungsorgan, weil man dann nicht mehr vom Astrallicht
geblendet wird.
Devachan
Dieser Ausdruck ist ein zusammengesetztes sanskrit-tibetisches Wort:
Deva ein Gott ; chan Land, Bereich, Gegend . Man kann es übersetzen mit
Götterland , Götterreich . Es ist jene Existenzebene zwischen zwei Inkar-
nationen, in die das menschliche Ich-Wesen, die menschliche Individua-
lität eingeht und wo sie die Umwandlung für ein neues Leben erfährt.
Die geistige Welt oder das D. ist eine schöpferische Welt. In ihr weben
die Urbilder für Form und Werden aller Wesen, die nach ihnen gestaltet
sind und die diesen innewohnen. Ein Hellseher, der die Bewusstseins-
stufe der Intuition erreicht hat, kann das D. bewusst betreten und z. B.
mit Verstorbenen kommunizieren.
Eksomatose griech. außerhalb des Körpers
Die Fähigkeit, sich auf eigenen Wunsch vom Körper zu lösen, um voll
bewusst in den höheren, geistigen Dimensionen zu leben, und danach in
den Körper zurück zu kehren. Hierzu gehört auch Fähigkeit, die Erinne-
rung an alles, was man in dem Zustand der E. erlebt und unternimmt, zu
entwickeln. E. ist ein Standardbegriff in der Lehre von Daskalos.
Elemental
Bei Daskalos der Begriff einer Gedankenform. Jedes Gefühl, jeder Ge-
danke, den der Einzelne aussendet, ist ein Elemental. E. besitzen Gestalt
und eigenes Leben, unabhängig von dem, der sie ausgesandt hat. Die
Wirkung eines Elementals kann je nach Art seiner gespeicherten Energie
aufbauend oder destruktiv sein. E. entsprechen in der Anthroposophie
denjenigen Gedanken- und Gefühlsformen, die auf dem Astralplan
lebendige, sich bewegende und tätige Wirklichkeiten sind. Sie sind vom
Menschen selbst erschaffene Elementarwesen, die aus Astralstoff beste-
hen. Sie werden aber auch von anderen Wesenheiten als Werkzeuge ih-
rer Ziele benutzt.
Ein Liebesgedanke ist als Gedankenform offen und kann die Stimme
eines Meisters hindurch tönen lassen. Aber die geschlossene Gedanken-
form des Hasses lässt die göttliche Stimme keinen Eingang finden, so
384
dass sie ungehört bleiben muss. Der Liebesgedanke, imaginativ geschaut,
sieht aus wie eine wunderschöne Blume, die sich sanft öffnet und den,
dem die Liebe gilt, wohltuend ganz umfasst. Denkt man einen Hass-
gedanken, so bildet er eine spitze, eckige Form, eben geschlossen, um
jemanden zu verwunden.
Empfindungsseele
In der Anthroposophie das erste Glied der Seele, das der individuelle
Mensch besonders im jüngeren Erwachsenenalter (21 28) ausbildet. Die
E. wurde als eine Grundlage der Seelenentwicklung der ganzen Mensch-
heit in der Kulturepoche der Chaldäer, Babylonier und Ägypter um 3000
700 v. Chr. erworben. Die E. unterscheidet den Menschen vom Tier.
Der allererste Selbstbewusstseinsfunke im seelischen Element der Inner-
lichkeit erscheint zunächst nur als eine Art Selbstgefühl oder -empfin-
dung. Man erlebt es in spontanen Ekelempfindungen, Wutausbrüchen
und Depressionen kurz: in allen Emotionen, die sich in irgendeiner
Weise kund tun. Sie entstehen an äußerlichen Impulsen, die an die Leib-
lichkeit heran dringen. Wenn der Impuls vorüber ist, verschwinden beim
Tier sofort auch die daran gebundenen Empfindungen. Anders beim
Menschen: Indem diese Impulse in die Innerlichkeit eindringen, werden
sie von ihrer Verursachung gelöst und bleiben rein seelisch als Erinne-
rungen an den Anlass erhalten. Dadurch erlangt der Mensch gegenüber
dem Tier die Fähigkeit, durch die Erinnerung an einen angenehmen An-
lass beispielsweise aus der Innerlichkeit heraus zu einer selbst gewollten
Wiederholung dieses Anlasses zu streben. Dieses triebhafte Wiederauf-
suchen eines Anlasses aus der Erinnerung ist ein Vorgang der Empfin-
dungsseele.
Eros griech. Liebesgott, lat. Amor oder Cupido
E. ist die erste Kategorie der Liebe, die mit dem physischen Leib zusam-
menhängt. Im E. wirkt die zeugende, schöpferische Kraft der Natur, so
dass aus der Begegnung zwischen Mann und Frau ein Kind gezeugt wer-
den kann, in welchem sich eine menschliche Individualität inkarnieren
kann. Wenn E. von der Eifersucht nicht bedrängt wird, unterstützt und
begünstigt sie die Liebe, die Freundschaft, die innige Zuneigung und die
Zärtlichkeit.
Esoterik, esoterisch
Das Wissen, das früher in den Mysterienschulen gelehrt und durch
Initiation empfangen wurde, galt als e. und es durfte an die breite Bevöl-
kerung nicht gelangen, weil es in den Händen von Unwissenden kultu-
relle Schäden verursachen konnte. Es war in alter Zeit verboten und mit
Todesstrafe verbunden, das Verborgene mitzuteilen.
385
 Exoterisches, zugängliches Wissen, durfte allmählich von öffentlichen
Lehrstühlen, wie den Universitäten, seit dem Mittelalter verbreitet wer-
den. Rudolf Steiner meinte, wer als Schüler esoterisches Lehrgut von
einem Lehrer oder Meister bekommen hat, der würde unter allen Um-
ständen nicht gut tun, diese geheimen Dingen in der ihm überlieferten
Form mitzuteilen. Es ist heute nun ratsam, dasjenige weiter zu geben,
was man selber erforscht hat. Das aber kann und muss der übrigen
Menschheit dienen.
In der so genannten modernen Esoterikszene, manchmal auch New
Age genannt, wird alles, was mit spirituellen Fragen zu tun hat, einfach
als E. bezeichnet. Man müsste aber mit diesem Begriff vorsichtig umge-
hen, indem man sich klar macht, dass das eigentlich Esoterische immer
ein Erkennen von Tatsachen ist, die sich in der geistigen Welt abspielen,
die hinter dem Schleier der Sinnlichkeit sind, und dass die E. als solche
eine fachgemäße Übersetzung benötigt, wenn sie von Nichtesoterikern
verstanden werden soll.
Eurythmie griech. regelmäßige, schöne Bewegung
Eine von Rudolf Steiner und seiner zweiten Ehefrau, Marie Steiner, ent-
wickelte Bewegungskunst, die außer als reine Bühnenkunst auch als pä-
dagogische E. in der Waldorfpädagogik und als Heileurythmie in der an-
throposophischen Medizin zu therapeutischer Anwendung gelangt. Die
E. strebt an, mit der körperlichen Bewegung die entsprechende übersinn-
liche Bewegung, welche sich in der ätherischen Welt vollzieht, auszudrü-
cken. Solche Bewegungen vollziehen sich ätherisch, wenn ein Gedicht
gesprochen oder ein Musikstück gespielt wird. Dementsprechend wird E.
als sichtbare Sprache und als sichtbarer Gesang bezeichnet.
Geistesmensch sanskr. atman
Das dritte künftige Glied des menschlichen Geistwesens. Die höchste
Tätigkeitsstufe, die das Ich einstmals zu erreichen lernt, ist die der Um-
wandlung von physischen Kräften in deren verborgene Geistkraft und
Geistfähigkeit. Dabei wird der menschliche physische Leib in den G.
verwandelt. Kräfte werden erworben, wie man z. B. die Schwerkraft in
geistiger Weise beherrscht, ja was sie ihrem Wesen nach eigentlich ist,
und man lernt, das atomare Stoffgefüge geistig zu durchschauen und zu
beeinflussen. Diese Fähigkeiten stellen in ihrer Gesamtheit die wahre Al-
chemie dar. Über sie ist kaum mehr als nur der Name bekannt. Hierar-
chische Wesen oberhalb der Erzengel entwickeln oder haben den G. als
Wesensglied.
Geistselbst sankr. manas
Das erste künftige Glied des menschlichen Geistwesens. Beginnt ein
386
Mensch, von seinem Ich aus auf die in seinem Astralleib vorhandenen
Emotionsstrukturen so einzuwirken, dass sich die Eigenarten dieser As-
traleigenschaften ändern, dann ergreift er den Geist, der hinter dem
Astralleib waltet. Beispielsweise gestaltet sich Hingabefähigkeit um in Op-
ferkraft, Verschwiegenheit in Meditationskraft, Mut in Erlöserkraft usw.
Jede astralleibliche Äußerung verwandelt sich durch geistige Arbeit des
Ich in eine reale Kraft. Es sind Geistwesen hinter dem Ich, die diese Ver-
wandlung beaufsichtigen. Daher bezeichnet die moderne Esoterik dieses
erste Geistesglied des Menschen als G. oder Geist-Ich. Engel und höhere
hierarchische Wesen besitzen den G. als selbstständige Wesensglieder.
Geomantie, geomantisch
Auch Punktierkunst genannt. G. wurde zuerst von den Persern praktisiert.
In Europa haben die Araber im 12. Jh. diese Form der Wahrsagekunst
bekannt gemacht. Willkürlich werden auf Papier, in Sand, Wachs oder
Ton 16 Punktreihen untereinander gestochen. Die Interpretation erfolgt
nach den Regeln der Punktbücher. Seit den 14. Jh. werden die geomanti-
schen Figuren auch mit Planeten und Tierkreiszeichen in Verbindung
gebracht.
Als Gründer der modernen G. gilt der slowenische Plastiker und Au-
tor Marco Poga nik. Nach ihm besagt G. auch Erdheilung von Ortschaften
und alten Kult- und Kulturstätten, die wegen Einflüssen der modernen
Zivilisation auf feinstofflichen, ätherischen und elementarischen Ebenen
Schaden erlitten haben. Er und seine Nachfolger arbeiten beispielsweise
mit so genannter Lithopunktur und sie kommunizieren mit Elementar-
wesen und Geistwesen in der Natur.
Goetheanum
Ein nach Goethe genanntes Zentrum der weltweiten anthroposophi-
schen Bewegung seit der Lebenszeit Rudolf Steiners, der in jüngeren Jah-
ren ein anerkannter Goetheforscher war. Wird auch Freie Hochschule für
Geisteswissenschaft genannt und befindet sich im Dorf Dornach bei Basel,
Schweiz. Der erste Goetheanumbau wurde in mehreren Holzarten als
Doppel-Kuppelbau zwischen 1913 22 von Menschen aus 17 Nationen
und während des Ersten Weltkriegs maßgebend von Frauen erbaut. Er
wurde in der Silvesternacht 1922 23 durch Brandstiftung vernichtet. Der
zweite Goetheanumbau in Stahlbeton wurde 1928 eröffnet und hat meh-
rere Innengestaltungen und Renovierungen erlebt. Die zwei Gebäude
samt weiterer umliegender Zweck- und Wohnhäuser wurden von Rudolf
Steiner selbst entworfen. Des Weiteren trägt die Wochenschrift für Anthro-
posophie , die in Dornach als offizielles Organ der anthroposophischen
Weltgesellschaft herausgegeben wird, den Namen Das Goetheanum .
387
Gottesfreunde
Bund von Mystikern im 14. Jh., dem u. a. Johannes Tauler, Suso und Mers-
win angehörten, nach dem anonymen Gottesfreund vom Oberland benannt.
Gral
Nach dem Glauben des Mittelalters die Schale, aus welcher Christus
beim Letzten Abendmahl den Wein reichte und mit der Joseph von Ari-
mathia das Blut des Gekreuzigten auffing. Versehen mit himmlischen
Kräften wird der G. gemäß der Legende in einer unerreichbaren Gegend
von einem auserwählten Betreuer, seinen Rittern und Edelfrauen und
einer würdigen Gemeinde gehütet und verehrt.
G. ist auch in der Sage von Parzival das Symbol der Reinheit und der
Verjüngung durch Christus. Es wird überliefert, die Gralsschale habe
einst der Königin von Saba gehört, sie sei aber ursprünglich als Schmuck
der Krone des vom Himmel gestürzten Luzifer eingefügt gewesen.
Rudolf Steiner bezeichnete die Anthroposophie als eine Wissenschaft vom
Gral.
Hellsehen, atavistisches
In früheren, vorchristlichen Zeiten war es normal, dass die gesunden
Menschen ein Hellsehen hatten, das Beobachtungen übersinnlicher Phä-
nomene ermöglichte. Dieses Hellsehen war erblich, war mit dem Gene-
rationsstrom verbunden. So gesehen gab es Familien, die das a. H. stär-
ker hatten. In vereinzelten Beispielen hat es sich bis in unsere Zeit er-
halten. Wenn aber heute wieder in einer Familie hellseherische, mediale
oder heilerische Fähigkeiten auftreten, hat es andere Ursachen als die-
jenigen, die früher ein a. H. hervorbrachten. Statt genetischer, physischer
Anlässe treten karmische und selbst bewirkte Ursachen mehr und mehr
in den Vordergrund für ein neuartiges Hellsehen.
Hüter, kleiner
Dem k. H. der Schwelle zur geistigen Welt begegnet der Mensch als ei-
nem Doppelgänger dessen schrecklicher Anblick einen innerlich zu-
nichte machen kann dann, wenn sich die Verbindungsfäden zwischen
Wollen, Denken und Fühlen innerhalb der feineren Leiber, des Astral-
und Ätherleibes, zu lösen beginnen. Das bedeutet für den Menschen,
innerhalb der Meditation oder in einem höheren Bewusstsein seine Seele
ganz als Werkzeug des Ich, namentlich als übersinnliche Forschungs-
organe nutzen zu können. Die Konfrontation mit dem k. H. bewirkt als
Impuls beim Menschen, seine Untugenden in höhere Fähigkeiten um-
wandeln zu wollen.
388
Hüter, großer
Nachdem der Mensch erkannt hat, wovon er sich frei machen muss, er-
scheint ihm eine erhabene Lichtgestalt, deren Schönheit schwierig ist, in
Worten zu beschreiben. Diese Begegnung mit dem g. H. findet statt,
wenn sich die Organe des Denkens, Fühlens und Wollens auch für den
physischen Leib so weit voneinander gelöst haben, dass die Regelung
ihrer gegenseitigen Beziehungen nicht mehr durch sich selbst, sondern
durch das höhere Bewusstsein geschieht, das sich nun ganz getrennt hat
von den physischen Bedingungen z. B. des Gehirns. Reines Denken, to-
tale Harmonie im Fühlen und ein selbstloses Wollen sind hierzu nötig.
Wenn ein Geistesschüler sich entschließt, den Hinweisen des g. H. zu
folgen, dann beginnt er, seinen Beitrag zur Befreiung der ganzen
Menschheit und der mit ihr verbundnen Wesen vom Bösen zu leisten.
Ich
Die Selbstbezeichnung eines Menschen für die eigene Individualität, für
das geistige Wesen, das sich innerhalb des Tagesbewusstseins in ein
höheres und ein niederes I. gliedert. Jenes I. kann nur durch höhere
Bewusstseinsarten wie Imagination, Inspiration und Intuition erreicht
werden. Normalerweise bleibt es unbewusst. Das I. ist deswegen im Le-
ben des Menschen ein Paradox, das trotzdem das geistige Zentrum der
Seele ist, alle seelischen Empfindungen erkennt und gegebenenfalls ihre
Weisheit entschlüsseln kann.
Initiation lat. Hineingehen
Bedeutet Einweihung in die Mysterien des Seins. Jedes Zeitalter hat
seine Formen der I. In der Vergangenheit gab es verschiedene Mysterien,
die hybernischen, die germanischen, die eleusinischen, die samothraki-
schen usw. Sie wurden oft nach dem Ort benannt, wo sie gepflegt wur-
den, aber auch nach Göttern. Heute besteht die Aufgabe, das Fruchtba-
re, was noch erhalten ist, aus alten Mysterienströmungen in einer globa-
len Spiritualität zu vereinen, durch neue Initiation zu bestätigen und wei-
ter zu entwickeln. Die Anthroposophie versteht sich als Geburtshelfer
für die neuen, modernen Mysterien. Der deutsche Aktionskünstler Joseph
Beuys drückte aus, dass die modernen Mysterien überall so auch auf
einem Bahnhof stattfinden könnten. So gesehen wäre I. eine zivilisa-
torische Angelegenheit. Die geistige Welt kann auch jemanden dazu be-
rufen, eine Selbsteinweihung zu bekommen. Er wird den für ihn geeig-
neten Entwicklungspfad dann selber finden. Es bedarf dazu nur des
ernsthaften Entschlusses seines eigenen freien Willens. Angefangen mit
dem Beginn des Christentums hat sich ein großer Fortschritt allmählich
im Verlaufe von Jahrhunderten vollzogen, so dass die Menschenseele zu
solcher Selbsteinweihung reif wurde. Diejenigen Meister, die wissen,
389
was die Menschenseele okkult ohne Zutun äußerer Tempel- oder Myste-
rienleiter durchmachen muss, leiten diese Initiation aus der geistigen
Welt heraus.
Initiationsmärchen
Volksmärchen vieler Völker entsprechen Imaginationen, die Rosenkreut-
zer und andere Weise nach dem Mittelalter in Erzählungen für das Volk
umsetzten. In einem I. findet ein Mensch immer bildliche Bezüge zu sei-
ner eigenen Entwicklung. Ein I. entspricht vorgeburtlichen Imaginatio-
nen in einem panoramaartigen Vorausblick, durch den die Seele vor der
Konzeption ein Modell für das kommende Leben schaut. In ihm ist das
Karma enthalten, auch alle Prüfungen und Aufgaben, die als Teil einer
Lebenseinweihung, einer persönlichen Initiation, verstanden werden
können.
Inkarnation lat. in das Fleisch hineintreten
I. entspricht der Idee, dass der Mensch als Seele oder geistiges Wesen bei
der Konzeption aus einer geistigen Vorstufe bzw. aus einem früheren
Leben kommend, zu einem autonomen Leben gelangt.
Isis-Sophia
Isis, ägypt. Göttin , die große Zauberin und Göttin der Magie; ihr wurde
auch von den Griechen und Römern Verehrung erwiesen, sogar bis nach
Deutschland zum Stamm der Sueven drang ihr Ruf. I.-S. deutet auf ein
geistiges Wesen, das Züge der Sophia-Gestalt des orthodoxen Christen-
tums mit denen der ägypt. Göttin vereint. I.-S. reicht Menschen die Ga-
be, das weibliche Prinzip der Schöpfung wieder ins Gleichgewicht mit
dem ganzen Kosmos zu bringen.
Kala
K. oder Kali ist ein Typus der Göttin Durga (sanskr. die schwer Zugäng-
liche , die schwer zu Begreifende ), die die populärste Form der Göttin im
Hinduismus ist, gütig und strafend. Sie ist eine Göttin der Vollkommen-
heit, die auch als Sarasvati, Lakshmi und Ishvari sowie in anderen Erschei-
nungsformen auftreten kann und unter anderem Kraft, Wissen, Handeln
und Weisheit verkörpert.
Kali-Yuga sankr. Zeitalter der Todesgöttin
Ind. Äon , dessen Beginn auf eine vermeintliche Konjunktion sämtlicher
Planeten zurückgeführt wird. Nach indischer Tradition das vierte oder
gegenwärtige Weltzeitalter mit einer Dauer von 432.000 Jahren. Rudolf
Steiner bezeichnet eine kürzere Periode als K.-Y. Sie begann nach seinen
Angaben 3101 v. Chr. und endete im Jahr 1899. Die Länge dieses Yuga
390
beträgt 5000 Jahre. Nach dem K.-Y. folgt das lichte Zeitalter , von dem
sich gewisse Tendenzen in geistigen Aufwachvorgängen während des 20.
Jh. zeigen.
Karma sanskr. Folge oder Wirkung
Ein Kernbegriff des Buddhismus. Die Karmalehre wird von westl. Inter-
preten des Buddhismus oft missverstanden. Entscheidend ist nicht das
Ergebnis, sondern der karmische Wille . Dieser Wille, ob heilsam oder
unheilvoll, äußert sich in Taten, Worten oder auch nur in Gedanken.
Der Buddhismus kennt folgende Einteilung des K. nach dessen Wirkun-
gen: Wiedergeburtsbezogenes K., unterstützendes K., unterdrückendes
K. und zerstörendes K. Die Theosophie, die Anthroposophie und die
moderne Reinkarnationstherapie haben die überlieferten Karmagesetze
bestätigt und außerdem Forschungsergebnisse zur Erweiterung des Kar-
maverständnisses gebracht.
Karmaforschung
Rudolf Steiner ist der Begründer der modernen K. Deshalb wird künftige
K. aus spiritueller Sicht sich mit seinen Ergebnissen auseinanderzusetzen
haben. K. erschließt karmische Zusammenhänge für den Forscher selbst
und öffnet Wege, Mitmenschen in ihren karmischen Verknüpfungen er-
kennen zu können. Aus den so gewonnenen neuen Einsichten kann ein
soziales Problemumfeld aufgeklärt werden, unabhängig davon, ob es in
der Gegenwart oder in der Vergangenheit liegt. K. erschließt auch Per-
spektiven gegenüber historischen Persönlichkeiten, mit denen ein Kar-
maforscher selbst keine unmittelbare Karmabeziehung haben muss.
Klassenstunden
Die von Rudolf Steiner unter strenge Übereinkünfte für Mitglieder der so
genannten ersten Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
am Goetheanum, Dornach, Schweiz, im Jahre 1924 gehaltenen esoteri-
schen Unterweisungen, die nunmehr in der Rudolf Steiner Gesamtausga-
be (GA) veröffentlicht sind: GA 270, I IV.
Klingsor
Ein rätselhafter Schlossherr aus Kalabrien, bei dem sich König Arthurs
Mutter und andere Königinnen aufhielten. Er wird auch im Parzival des
Wolfram von Eschenbach erwähnt. K. galt im Mittelalter als der schwar-
ze Magier gegenüber der weiße Magie des heiligen Grals.
Die neuere Geistesforschung sieht in K. einen ehemaligen Artusritter,
der nach einem Streit mit einem arabischen Fürst, dessen Tochter er sich
genähert hatte, kastriert wurde. Das führte bei ihm zu einer unheilbaren,
quälenden Krankheit, die er nur dadurch zu lindern versuchte, dass er
391
durch Magie die Lebenskräfte junger Frauen für sich raubte. Er hielt die-
se Frauen auf einer Burg in Sizilien gefangen. Seine Macht wurde durch
einen Frauenaufstand und das Eingreifen des Gralsritters Gauwain zum
großen Teil gebrochen.
Lebensgeist sanskr. buddhi
Das zweite zukünftige Glied des menschlichen Geistwesens. Wenn das
Ich eine stärkere Arbeit leistet und Eigenschaften des Ätherleibes umge-
staltet, wie es das zuvor am Astralleib getan hat, dann vereinigt es sich
mit dem dahinter verborgenen Geistigen. Dieses nennt die Anthroposo-
phie den L. Die Eigenschaften des Ätherleibes sind das Temperament
eines Menschen oder auch seine Charakterzüge und Gewohnheiten.
Heutzutage gelingt es kaum einem Menschen, seinen Charakter so im
Laufe des Lebens zu verwandeln, dass man von dem ursprünglich vor-
handenen nichts mehr wiederfindet. Aber so, wie sich astralische Nei-
gungen in geistige Kräfte verwandeln, so formen sich Gewohnheiten in
Kräfte geistiger Vitalität, in eine Art Urgesundheit und Heilfähigkeit um.
Erzengel und höhere hierarchische Wesen besitzen den L. zur selbst-
ständigen Verfügung.
Lemurien, lemurisch
Gelegentlich auch Mu genannt. Ein durch Wärme-, Feuer- und Vulkan-
katastrophen untergegangener Kontinent, welcher von Vielen im Pazifik
und von anderen im indischen Ozean gelegen vermutet wird.
Luzifer, luziferische Wesen
L. entspricht die nordische Gottheit Loki , der Gott der Lüge und des
zerstörenden Feuers. Er ist schön von Gestalt, aber bösartig im Herzen.
In der esoterischen Tradition ist Luzifer der weisheitsvolle Lichtbringer,
aber auch Herr aller Versuchung. L. nistet sich ein im Astralleib und
versucht, die Wirkungen des Schutzengels im Menschen während der
Nacht zu hemmen. L. ist dessen ungeachtet eine geistige Macht, die den
Menschen viele Kulturgeschenke hinterließ. Luziferische Wesen sind
solche, die von der Weisheit Luzifers beeinflusst sind. L. ist im esoteri-
schen Christentum ein Antipode des Heiligen Geistes.
Wie Christus einst inkarniert war, so stellte Rudolf Steiner dar, dass
auch L. verkörpert gewesen sei, und zwar um 3000 v. Chr. im alten Chi-
na. Ehe der Tod bei der betreffenden Trägerpersönlichkeit eintrat, ist L.
nach meinen meditativen Forschungen darüber aus dem Leib geflüch-
tet , so dass er die Auswirkungen des Sterbens und somit die Folgen ei-
nes menschlichen Todes nicht miterlebte. Die größte Auswirkung seiner
Erdentat war der Beginn des politischen Denkens und seine Auswirkun-
gen auf Kunst und Wissenschaft durch neue Erfindungen.
392
Magie griech. Zauberkunst
Der Glaube, durch Beschwörungen, Zauberei und Riten Macht über die
Natur und den Menschen auszuüben, ist so alt wie die Menschheit selbst.
Grundlage ist die Analogie zwischen Makrokosmos (Welt) und Mikro-
kosmos (Mensch). Man unterscheidet schwarze (Goetie: griech. goêteia
Verzauberung , Verhexung , Betrug ) und weiße M. (Theurgie: griech. the-
ourgia Götterwerk ). Die erste Kategorie bezieht sich auf Schadenszauber
und das Erreichen von Absichten durch die Hilfe von Dämonen und des
Satans. Die zweite dient der Abwehr von Dämonen bzw. des Bösen,
vornehmlich mit Hilfe von Amuletten, Fürbitten usw. Hiervon muss die
Magia naturalis unterschieden werden, die sich mit Naturerscheinungen
etc. beschäftigt, und aus der die moderne Physik entstanden ist.
Magie, arabische
Die magischen Vorstellungen der vorislam. Araber wurden von Moham-
med anerkannt und leben in der Volksfrömmigkeit z. T. bis heute fort
(Amulette, Talismane und Wahrsagung). In der arab. Mystik spielt die
Buchstabenmagie eine wichtige Rolle, die bis in den Hellenismus zurück
reicht. Die Magie heißt Sihr und wird eingeteilt in Tariqa al mahamuda
(weiße M.) und Tariqa al madnuna (schwarze M.). Die Sure 2, 102 106
des Korans erlaubt die Dienstbarmachung von Geistern durch Beschwö-
rung. Dies führt auch zu der verbotenen Benutzung des Korans für ma-
gische und okkulte Praktiken.
Magie, rituelle
Magische Handlungen, deren Ablauf entweder aufgrund geheimer Über-
lieferungen oder Schriften genau vorgeschrieben ist. Die genaue Be-
folgung des Rituals ist für den Erfolg einer solchen Zeremonie entschei-
dend.
Magie, transzendentale
Andere Bez. für rituelle oder praktische Magie. Der Akzent wird hierbei
auf das Erlebnis der Transzendenz (lat. transcendere hinüber schreiten )
beim magischen Akt gelegt.
Manichäismus, manichäisch
Eine so genannte gnostische Religion, die auf Mani (216 ca. 277) zu-
rückgeht. M. war im römischen Reich, in Afrika und bis nach China ver-
breitet. Ein Hauptgedanke des M. ist die Polarität zwischen Licht und
Finsternis oder Gott und der Materie. Im Lichtreich thront Gott, der sich
im Kampf mit dem Reich der Dunkelheit befindet. Laut späterer Inter-
pretationen sei das Ziel der Lehre die Befreiung des Menschen aus der
Finsternis, die ihn erzeugt hat, um ins Reich des Lichts zu gelangen. Die-
393
se Erlösung sollte deshalb möglich sein, weil der Mensch Partikel aus
dem Lichtreich enthält.
Die Offenbarungen von Mani wurden in zahlreichen Schriften veröf-
fentlicht, von denen nur wenige Fragmente erhalten sind. Seine Apostel
des Inneren Kreises mussten auf Fleisch und Wein verzichten und im
Zölibat leben. U. a. die Katharer (Frankreich, Italien) und die Bogumilen
(Balkan) des Mittelalters setzten die manichäische Weisheit fort. Unsere
Zeit ermöglicht durch neue Geistesforschung eine Metamorphose der
manichäischen Gesinnung, so dass man im Gegensatz zum alten M. sich
nicht mehr vom Bösen abwendet, sondern neue Wege zu dessen Um-
wandlung sucht. Dadurch können im Bösen verhaftete Wesen in die
Welt der Liebe eingeführt werden.
Meditation
Meditation ist zunächst entgegengesetzt der intellektuellen Betätigung,
alles verstehen zu wollen. Das Meditieren schaltet den Intellekt aus, um
sich einem meditativen Inhalt oder dem Meditieren selber als seelischem
Tun zu widmen. Der Meditationsinhalt kann ein Begriff, ein Gedanke,
ein Text, ein Mantram sein. Der Meditierende kann sich auch andere
Inhalte, Bilder, Symbole oder physische Körperhaltungen, z. B. im Yoga,
vornehmen, um sich auf sie zu konzentrieren oder sich in sie zu ver-
senken.
M. wird, richtig empfunden, als die Pflege des Lebens der eigenen
Seele und des Geistes gesehen. Sie braucht und will Klarheit, Geduld
und Seelenenergie aufblühen lassen. Sie wird gedeihen in dem Sinne,
wie es sich der Meditierende selbst verspricht, sich in täglicher oder
rhythmischer Kontinuität zu üben. M. ist daher eine der freiesten Hand-
lungen, die ein Mensch sich vornehmen kann, weil sie nur aus dem Ich
für höhere, ethische Zwecke eingesetzt wird.
M. kann Selbsterkenntnis so weit entwickeln, dass der Einzelne sich
als reiner Geist erlebt und deswegen in spirituellen Kontakt mit anderen
Geistwandelnden treten kann. Hingabe und Liebe zu dem, was einem in
der Meditation als der Strom des Daseins entgegen tritt, muss so gestei-
gert werden, dass alle Willkürlichkeit, Regsamkeit und Ichbezogenheit
überwunden ist. M. ist gesteigerte Aufmerksamkeit auf das Geistige.
Wenn sie Seeleneigenschaften wie Charakterstärke, innere Wahrhaftig-
keit, Besonnenheit und Seelenruhe gewohnheitsmäßig macht, wird sie
dem Meditierenden gute Erfolge schenken.
Meister
In alten Zeiten, als noch Kunst, Religion und Wissenschaft eine kulturel-
le Einheit war, gab es über die ganze Erde viele Mysterienschulen, die
ihre Quellen im atlantischen Zeitalter hatten. Es gab z. B. die samo-
394
thrakischen, die eleusinischen, die hybernischen, mehrere ägyptische
Mysterien usw. Die Leiter dieser Mysterien waren die M. Diese Men-
schenindividualitäten werden fortwährend so bezeichnet, auch wenn die
ursprünglichen Mysterien nicht mehr existieren.
Ein M. kann die Menschheit lenken und anleiten, indem er selbst
Initiativen direkt im Irdischen ergreift. Als Hüter der Weisheit und des
Menschheitsfortschritts können M. aber auch dafür geeignete Menschen
direkt anleiten oder sie indirekt anregen, wenn sie im Moment nicht in-
karniert sind oder sich nicht an demselben Ort wie seine Schüler befin-
den. Sie sind Herr über sich selbst bis auf den physischen Leib, den sie
kontrollieren können. Dadurch haben M. außerkörperliche Wahrneh-
mungen und können geistige Leistungen einsetzen. Sie können die ma-
teriellen Zusammenhänge dementsprechend dadurch dirigieren, dass sie
dasjenige, was im Materiellen unsichtbar schlummert, für bestimmte
Aktionen freisetzen. Wenn ein M. geboren wird, sieht er seiner Familie
äußerlich nur etwas ähnlich. Er gleicht vielmehr in seiner ganzen Er-
scheinung seiner vorigen Inkarnation, weil er schon im physischen Leib
seine Wesenszüge hineinarbeiten kann. Diese Freiheit werden die meis-
ten Menschen erst in einer fernen Zukunft erlangen können.
Michael hebr. Gottschauer
M. wird als der schon vor Beginn der Schöpfung Luzifer stürzen-
de Kämpfer dargestellt. Er war nach der Überlieferung der Engel mit
dem Schwert, der Adam und Eva aus dem Paradies trieb und den Le-
bensbaum bewachte (1. Mose 3, 23 24) und der Seth einen Zweig vom
Baum der Erkenntnis reichte. Im Alten Testament der Bibel taucht M.
des öfteren auf. In den Darstellungen der Offenbarung des Johannes erfüllt
Michael seine besondere Aufgabe beim jüngsten Gericht: Seine Posaune
erweckt die Toten aus den Gräbern, er befreit die Frau mit dem Kind
und tötet im endzeitlichen Kampf in vollem Harnisch und mit großen
Flügeln den Drachen zu seinen Füßen (Offenbarung 12, 4 7).
M. ist aber auch der Engel, der den Drachen in den Abgrund stürzt
(Offenbarung 20, 2 3), er wird nach Kommentaren zur Apokalypse auch
den Antichrist töten, wenn dieser im Erscheinung tritt. Er gilt als Führer
der Seelen gemäß der ältesten Vorstellung vom ägypt. Thot und dem
Hermes in griech. Mythologie und hält die Seelenwaage. Noch heute
wird er deshalb im Totenoffizium der katholischen Kirche angerufen mit
der Bitte, dass der Bannerträger Sankt Michael die Seelen ins heilige
Licht führe . M. empfängt demnach die Seligen im Paradies so wie Pe-
trus an der Himmelspforte.
M. war der Fürst der Synagoge und gilt als der Fürst der Kirche .
Mit Raphael, Gabriel und Uriel ist M. in der Anthroposophie einer der
vier Erzengel der Jahreszeiten. Außerdem tritt er dort auf als derjenige,
395
der sie geistig bewirkt. Nach Rudolf Steiner hat sein übergeordnetes Amt
als Zeitgeist 1879 angefangen und wird etwa 300 Jahre dauern.
Michael-Schule, geistige
Anfang des 15. Jh. entstand unter der Führung des Erzengels Michael
das, was die Anthroposophie eine übersinnliche Schule nennt. Was er
früher in den vorchristlichen Mysterien nur Eingeweihten als seine Im-
pulse für die Menschheit offenbarte, wurde in dieser geistige Schule von
Michael selbst für die Menschenseelen zwischen Tod und neuer Ge-
burt neu begründet. Eine Art feierlichen Ausgang nahm diese geistige M.
am Übergang zum 19. Jh., als die Blütezeit des Deutschen Idealismus
sich entfaltete. Seitdem versuchen Menschen, die den M. vorgeburtlich
erlebt haben, eine Erneuerung des Mysterienwesens durch moderne Spi-
ritualität zu verwirklichen. Ihnen geht es im Besonderen darum, das
praktische Leben mit dem Geistigen zu verbinden.
Die neueste Geistesforschung sieht seit einigen Jahren in der fortge-
setzten g. M. eine geistige Versammlung, die Vorkehrungen und Verhal-
tensweisen anleitet, um die verstärkte Widersetzlichkeit des Bösen in der
Gegenwart entgegenzuwirken. Ich prüfe die Arbeitshypothese, ob die
von Rudolf Steiner ankündigte Inkarnation Ahrimans in unserer Ge-
genwart sich ereignen wird. Die Schrecken des 11. September 2001 in
den USA und der verheerende Tsunami in Südostasien zu Weihnachten
2004 könnten als Beispiele der konkreten Vorzeichen gedeutet werden,
welche einer Geburt Ahrimans voran gehen würden. Das Meeres-
bodenerdbeben, welches die Flutwellen ausgelöst hat, könnte zugleich
als Reaktion des Erdorganismus auf die regen Probesprengungen von
Atombomben verstanden werden, die Anfang der 1970er Jahren in
Asien und im Pazifik stattfanden.
Es werden unter den leitenden Meistern und Bodhisattvas mit
Michael und Christus seit etwa dem letzten Millenniumswechsel ganz in-
dividuelle Wege für den Geistsuchenden entwickelt, damit die negativen
Auswirkungen der Ahriman-Inkarnation für die ganze Menschheit so
weit gemildert und bewältigt werden können, dass für die Zukunft be-
absichtigte Karmawirkungen dadurch nicht verfrüht benutzt quasi ge-
stohlen werden können.
Michaelsendung
Ein Begriff Rudolf Steiners für die geistigen Gaben, den Michael die mo-
dernen Mysteriensuchenden reicht, wenn sie hinter Worten, Gedanken
und Begriffen zu wahren Geisterlebnissen durchdringen. Weil Michael
ein schweigsamer, verschlossener Geist ist, der auf die Taten eines Men-
schen schaut, die aus dem Spirituellen heraus entstanden sind, hat er sei-
ne Geschenke solchen Menschen quasi als Schlüssel auf deren Lebens-
396
weg vorweg ausgelegt . Wie aus der Zukunft kommend leuchten sie
heilsam in die Dramatik der sozialen Erdendramen auf.
Monden- und Sonnenkarma
Rudolf Steiner sprach von M. und S. Alles Karma, das in der Gegenwart
durch Menschentaten neu entsteht, gilt als S. Es wird in der Zukunft ge-
erntet. Alles Karma, das aus früheren Leben herüber kommt in die jetzi-
ge Inkarnation und auf eine Aufarbeitung wartet, bedeutet M., gewisser-
maßen der Schatten des Sonnenkarmas aus der Vergangenheit.
Mysterien, alte und moderne
Alle M. haben ihre Wurzeln in der atlantischen Zivilisation. Jede Kul-
tur, die auf der Erde in einem bestimmten Zeitraum der Menschheitsent-
wicklung zur Blüte kam, war aus einem oder mehreren Mysterienstätten
hervorgegangen, analog wie eine Pflanze aus dem Samen hervorgeht.
Hinter der Kulissen der äußeren Gesellschaft pflegten die Eingeweihten
und Schüler der M. die Denkfähigkeit, die Befähigungen und die Ge-
fühle der Menschen voraus, die in einer späteren Zeit zur allgemeinen
Entfaltung kommen sollten.
In verschiedenen geographischen Gebieten, wie z.B. in Ägypten und
Griechenland, gab es unterschiedliche Mysterienorte, die bestimmte As-
pekte des esoterischen Wissens pflegten. Zu Einweihungen in den Mys-
terien wurden nur auserwählte Menschen berufen, deren günstiges
Karma von den Eingeweihten erkannt wurde.
In vorchristlichen Zeiten wurden alle zivilisatorischen Erneuerungen
und kulturellen Erfindungen in den Mysterienstätten entwickelt und aus-
probiert, lange bevor sie unter dem gewöhnlichen Volk zum allgemeinen
Gebrauch kamen. In den Jahrhunderten nach dem Mysterium von Gol-
gatha wurden die meisten Mysterienstätten in Europa zerstört. Einiges
vom alten Mysteriengut ging auf bestimmte Strömungen und Gruppie-
rungen über, die z. B. im esoterischen Christentum als Katharer und Bo-
gumilen lebten, oder in der späteren Freimaurerei tätig waren.
Laut der Anthroposophie wurden die m. M. von Rudolf Steiner auf
der Weihnachtstagung von 1924 initiiert. Steiner proklamierte ein moder-
nes Mysterienwesen, das frei von politischen und dogmatischen Tenden-
zen sein sollte. Die vielen kulturellen Wirrnisse und Ausartungen im 20.
Jahrhundert, von denen auch die Anthroposophen nicht verschont wa-
ren, haben gezeigt, dass es nur möglich ist, Initiation in absolut ehrli-
chen und von Machtansprüchen befreiten Zusammenhängen zu betreiben.
Mysterium von Golgatha
Christus, griech. Gesalbter (sanskr. Vishva Karman , pers. Ahura Maz-
dao , ägypt. Osiris , hebr. Messias ) ist derjenige göttliche Sonnengeist,
397
der bei der Jordantaufe aus den Geistwelten herunter kam und in sich
das Urprinzip göttlicher Identität trug. In der Imagination einer Taube
trat die göttliche Uridentität Christus an die Stelle des menschlichen
Ich, das bis zu diesem Zeitpunkt in der Persönlichkeit des Jesus von Na-
zareth verkörpert war, dann aber in einer Art Opfer seine Persönlichkeit
an den Christus-Geist gab und selbst deshalb durch einen Sterbevorgang
ging. Nach drei Jahren der Anwesenheit des Christus als Mensch unter
Menschen in Palästina trug sich das tatsächliche M. v. G. zu, das sich
äußerlich als die Kreuzigung Christi zeigte an einem Freitag, am 3.
April des Jahres 33, drei Uhr nachmittags. Dieser Schritt durch den Tod
stellte für eine übersinnliche Wesenheit ein einzigartiges Geschehen dar.
Hierdurch wurde die Erneuerung des bis dahin bedrohten Urbildes des
Menschen in jedem höheren Menschen-Ich errungen. Es ist hierfür
gleichgültig, in welcher Gegend der Erde ein Mensch lebt oder welchem
Religionsbekenntnis er angehört. Die Folgen des M. v. G. wirken weiter
für alle Menschen und in aller Zukunft. In der Auferstehung findet das
M. v. G. seine geistige Vollendung. Seit den 30er Jahren des 20. Jh.s ist
es durch weitere Taten des lebendigen Christus möglich, das M. v. G. im
individuellen Leben seelisch-geistig mitzuerleben, ähnlich wie einzelne
Heilige früher und Menschen noch heute es physisch erlebt haben, weil
sie stigmatisiert wurden.
Okkultismus lat. Geheimwissenschaft
Der heute gebräuchliche Name für das Gesamtgebiet aller Wissenschaf-
ten, die sich die Erforschung der geheimen Naturkräfte zur Aufgabe ma-
chen. In diesem Sinne gehören Spiritismus, Mystik, Theosophie und
Anthroposophie dazu. Im engeren Sinne aber ist O. nur die Bezeichnung
für die wissenschaftliche Überzeugung vom Dasein übersinnlicher Kräfte
und Wesen und steht daher abseits aller Glaubensdinge.
O. unterscheidet sich vom Spiritismus insbesondere dadurch, dass er
kosmische Wesenheiten keineswegs ausschließlich als Geister verstorbe-
ner Erdenmenschen ansieht, sondern annimmt, dass sie neben und au-
ßerhalb des Menschenlebens ein Dasein haben können. Von der Theo-
sophie unterscheidet er sich dadurch, dass er frei ist von jeglicher Art
mystischen Beiwerks, indem er sich auf die Basis der Naturgesetze stellt
von der Metaphysik dadurch, dass er Gebiete des Glaubens und Aber-
glaubens nicht in seine Forschung einbezieht.
Philia griech. Freundschaft , Zuneigung
Die zweite Kategorie der Liebe, die mit der ganzen Seele zusammen-
hängt. Wenn in einer Begegnung zweier Menschen allmählich eine erste
Verliebtheit und Anhänglichkeit verklungen ist, kann die Phase der reife-
ren Verbundenheit beginnen, die von dieser Liebesart geformt wird.
398
Physischer Leib
Als ph. L. bezeichnet die Anthroposophie die sinnliche Erscheinungs-
form aller Wesen der bekannten irdischen Naturreiche: Mineral-, Pflan-
zen-, Tier- und Menschenreich. Sie legt besonderen Wert auf die Be-
trachtung der unterschiedlichen physischen Äußerung des Mineralreichs
gegenüber den drei anderen Reichen: Mineralien scheinen nicht zu ster-
ben oder erscheinen fortwährend als tot. Ihre Form hat aus sich heraus
materiellen Bestand. Ihre Materie kann sich sowohl in Kristallgestalt zei-
gen als auch in einer durch äußere Einwirkung zertrümmerten (amor-
phen) Form. Aber weder die intakte noch die zerstörte Form minerali-
scher Materie ändert ihren Zustand der Leblosigkeit. Man kann daher
feststellen, dass ein ph. L. als solcher stets leblos oder tot ist. Zeigt er sich
in den anderen drei genannten Naturreichen als belebt, so weist das da-
rauf hin, dass ein Leben gebendes Element wirksam ist. Eine solche
Wirksamkeit findet sich folglich bei allen ph. L. aus dem Pflanzen-, Tier-
und Menschenreich. Wenn diese Wirksamkeit fortfällt, dann erst treten
die mineralisch-materiellen Gesetze der ph. L. dieser Naturreiche wieder
uneingeschränkt in Kraft. Sie betätigen sich dann aber als Auflöser der
materiellen Leibesgestalt. An dieser Stelle fällt der erkennende Blick des
Menschen auf etwas Verborgenes, das nur an seinen Äußerungen in der
physischen Welt sinnlich angeschaut werden kann. Der Okkultismus
nennt dieses Leben tragende Prinzip den Ätherleib.
Reinkarnation lat. Wiedergeburt , Wiederverkörperung
Zentraler Begriff der ind. Religionen Hinduismus, Buddhismus und der
modernen Theosophie und der Anthroposophie. Der Mensch geht nach
seinem Tod in eine neue Existenz über. Je nach seinen Taten in seinem
früheren Leben steht ihm eine gute oder schlechte Wiedergeburt be-
vor, die somit von Höllenwesen bis zu den Göttern reicht. Ziel allen
menschlichen Bestrebens ist es, diesem Kreislauf der Geburten (samsara)
zu entrinnen. Der Hinduismus verbindet die R. mit der Seelenwande-
rung, die vom Buddhismus abgelehnt wird. Den Reinkarnationsgedan-
ken gab es auch bei Indianern, bei einigen semitischen Völkern und bei
vielen Denkern und Glaubensrichtungen in Europa. Ein Meilenstein der
neueren Zeit findet sich im letzten Werk G. E. Lessings (1729 1781), in
welchem er R. mit dem Begriff der Freiheit verband.
Rosenkreutzer
Christian Rosenkreutz (1378 1484) wird als legendärer Gründer des Ro-
senkreutz-Ordens betrachtet, von dem J. V. Andreae (1586 1654) in sei-
ner Schrift Fama Fraternitatis berichtete: Eine Pilgerfahrt führte ihn in
das Heilige Land, Arabien und Ägypten, wo er in die Geheimnisse des
Buches der Natur Liber mundi eingeweiht wurde. Nach seiner
399
Rückkehr versuchte er, die Lehre in seiner Heimat zu verbreiten. Für innerlich einnehmen wollte, um jene Weisheit zu bekommen, die in-
seine Ziele kann er noch mehrere Gesinnungsgenossen finden, die ver- nerliche Wahrnehmung hervorruft, den Stein der Weisen.197
suchen, mit ihm gemeinsam seine Lehre zu verbreiten. Diese Lehre ist
Es soll übrigens angeblich auch einen Stein der Weisen gegeben haben,
eine Art Naturphilosophie, die im Liber mundi (lat. Buch der Welt ) nie-
mit dem man eine Rückverwandlung der höherwertigen in minderwerti-
dergelegt ist. Als er spürte, dass der Tod kommt, lässt er noch ein Grab-
ge Metalle erzielen konnte. Die Anthroposophie versteht unter S. d. W.
mal errichten und stirbt. Er gilt als Verfasser folgender Werke: Axioma-
einerseits eine durch Geisteskraft bewirkte Modifikation des Kohlen-
ta , Rotae mundi und Protheus . Diese Bruderschaft bestand noch 120
stoffs, andererseits die Umwandlung des physischen Leibes in den
Jahre nach seinem Tod weiter. In den letzten hundert Jahren sind meh-
Geistesmenschen, die sich schrittweise vollzieht. Wenn der Impuls, die
rere neu gegründete Gesellschaften wie z. B. AMORC und Lectorium Ro-
ganze Schöpfung miterlösen zu wollen, bei einem Menschen zu einer
sicrucianum entstanden. Auch Rudolf Steiner verstand sein Hauptwerk
ethischen Angewohnheit geworden ist, können in seiner Aura so etwas
Die Geheimwissenschaft im Umriss (1910) als eine Erneuerung rosenkreut-
wie prachtvolle, nicht harte Edelsteine , sondern eher wie geleeartige
zerischer Weisheit und hat diese Individualität in seiner Karmaforschung
Diamanten geschaut werden.
zu mehreren bekannten historischen Persönlichkeiten zugeordnet.
Verstandes- oder Gemütsseele
Schamanismus, Schamane tungusisch Zauberer
In der Anthroposophie das zweite Glied der Seele. Während die
Bezeichnung für einen Magier bei sibirischen Naturvölkern, der zugleich
Empfindungsseele der Verwalter der Erinnerungen ist, kann das Ich des
die Funktion eines Priesters und Propheten ausübt. Die magischen Prak-
Menschen über dieses bloße Verwalten hinaus gehen und den Erinne-
tiken, die auch die Tierverwandlung umfassen, werden üblicherweise in
rungsschatz in der vielfältigsten Weise nach seinen Impulsen organisie-
Ekstase ausgeübt. Durch Rauschmittel, Lärm, Rhythmen und Tanzen
ren. Es muss sich dazu in gewissem Sinne dieser Summe von Erinnerun-
wird dieser Zustand erreicht. Man nimmt heute an, dass der Schamanis-
gen in sich selbst gegenüber stellen, um sie anschauen und ordnen zu
mus in ganz Eurasien verbreitet war. Relikte haben sich im Hexenwesen
können. Dazu muss es eine Fähigkeit erringen, die über das bloße Erin-
erhalten. Der S. flog in Tiergestalt in das Totenreich, um die Ernte-
nern hinaus geht. Das Ich muss Verstand entwickeln, das eine Kombina-
erträge zu erhöhen.
tionsgabe ist, die es ermöglicht, die Erinnerungen als Wissensinhalte in
einer Weise miteinander zu verknüpfen, dass sie zu neueren Ergebnissen
Stein der Weisen lat. lapis philosophorum
und Erlebnissen führen können, als die jeweiligen Erinnerungen aus sich
Der Ausdruck kommt schon bei den griech. Alchemisten vor. Ziemlich
allein begründen würden.
gleichbedeutend werden gebraucht: Arcanum, Elixir, Magisterium, Quinta
Im V. o. G. werden Fähigkeiten wie List, Schläue, Entschiedenheit,
essentia, unctur, auch roter Löwe, weißer Löwe, prima materia, Medizin. Jene
Raffinesse usw. entwickelt. Es geht in ihr um die Fähigkeit der Urteils-
angeblich aus Salz, Schwefel und Mercurium zusammen-gesetzte Sub-
bildung, jener seelischen Betätigungsart, durch die der Mensch als Er-
stanz, welche die Verwandlung der unedlen Metalle in Gold bewirkt und
kenntniswesen seine Wahrnehmungen mit Begriffen verbindet.
die Grundlage des Lebenselixiers sein soll. Diesem wurde von dem ital.
Das Gemütsartige dieses Seelenglieds liegt in der Seelenwärme, die er-
Philosophen Raymundus Lullus (1232/33 1315), der 1275 das süße Vitri-
zeugt wird durch die Umwandlung von untugendhaften Gewohnheiten
ol entdeckte, auch die Fähigkeit zugeschrieben, das Pflanzenwachstum
im Ätherleib, so dass der Mensch sich in ein soziales oder sittliches
in natürlicher, doch ganz unglaublicher Weise zu beschleunigen.
Gefüge einordnen kann. Die V. o. G. wurde in den Kulturen der Grie-
chen und der Völker des ehemaligen römischen Reiches von etwa 700 v.
Im Orient wollte man sich durch gewisse Pflanzensäfte für die äußere
Chr. bis in das ausklingende Mittelalter als eine allgemeine Grundlage
Anschauung des Makrokosmos anregen. Im Abendlande kam es dann
der Seelenentwicklung der Menschheit erworben. Beim individuellen
auf, dass man sich durch innere Substanzen anregen wollte. Im Mor-
Menschen findet ihre Entwicklung normalerweise zwischen dem 28. und
genlande nannte man dasjenige, wodurch man wieder durch äußere
35. Lebensjahr statt.
Mittel, durch Einnehmen von etwas, die Fähigkeit heraufbeschwören
wollte, die im letzten Rest durch die Magier (bei der Geburt von Je-
sus) erschienen war, den Somatrank. Im Abendlande, bis ins späte 197
Rudolf Steiner, Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des
Mittelalter hinein, ja bis in die neuere Zeit nannte man das, was man Menschen, GA 202, Dornach 1980, Seite 271.

400 401
Weihnachtstagung von 1924
In der Anthroposophie die Generalversammlung zu Weihnachten
1923 24 am anthroposophischen Zentrum Goetheanum zur Neugrün-
dung der seit 1913 bestehenden Anthroposophischen Gesellschaft in eine
weltweite Allgemeine Anthroposophischen Gesellschaft (AAG), die eine
neu gegründete Freie Hochschule für Geisteswissenschaft beinhalten
sollte. Außer Vorträgen zur karmischen Weltgeschichte und verwal-
tungsartigen Sitzungen wurde von Rudolf Steiner eine sich über mehrere Literatur
Tage hinziehende kultische Weihe gegeben, die einen mantrischen Text
genannt Der Grundstein als Mittelpunkt hatte.
In den letzten 20 Jahren wurde unter Anthroposophen eine Neubesin-
nung auf die W. gesucht. Parallel dazu vertieften sich andere in histori-
sche Konstitutionsfragen, um eine neue Grundlage für moderne Sozial-
strukturen der AAG zu finden.

Anthroposophie. Die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners. Ein alphabetisches

Nachschlagwerk in 14 Bändern unter weitestgehender Verwendung des Origi-
nalwortlautes von Rudolf Steiner, editiert und illustriert von Urs Schwen-
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