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Evangelische Hochschule Ludwigsburg

Bachelorthesis
zur Erlangung des Bachelorgrads

Bachelor of Arts

im Studiengang Soziale Arbeit (B.A.)

Die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und


Mädchen als Thema in der Sexualpädagogik

Leonie Hilzinger
7. Semester (SoSe)
Matrikelnummer: 50030710
Betreuerin: Prof.´in Dr. Stammer
Zweitkorrektorin: Prof.´in Dr. Fietkau

Datum der Abgabe:

12.06.2020
Danksagung

Ich möchte mich herzlich bei meinen beiden Interviewpartnerinnen bedanken. Sie
haben einen wertvollen Beitrag zu meiner Bachelorarbeit geleistet und sind mir sehr
offen gegenübergetreten. Sie haben mich auf ganz unterschiedliche, individuelle Art
beeindruckt, mit ihrer Persönlichkeit, ihren Ansichten und ihrer großartigen Arbeit.
Menschen wie sie tragen zu einem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse bei
und helfen mit, dass Frauen und Mädchen sexuell selbstbestimmter leben können.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................. i

1 Einleitung .................................................................................................................. 1

2 Begriffserklärungen .................................................................................................. 4

2.1 Sexualität ........................................................................................................... 4

2.2 Sexuelle Selbstbestimmung ............................................................................... 4

3 Historischer Einblick ................................................................................................ 6

4 Geschlechter- und Sozialisationsforschung zur Produktion und Reproduktion von


Geschlecht und der einhergehenden Kategorisierung ............................................... 13

5 Geschlechterrollenverständnis und dessen Wandel ................................................ 16

6 Sexualpädagogik ..................................................................................................... 21

6.1 Sexualaufklärung ............................................................................................. 22

6.2 Sexualaufklärung in der Schule und kritische Betrachtung ............................. 24

6.3 Einstellungen, Verhaltensweisen und Erfahrungen von Jugendlichen (mit Fokus


auf den Mädchen/jungen Frauen) in Bezug auf Sexualität und Aufklärung ......... 27

6.4 Geschlechtersensible Sexualpädagogik ........................................................... 30

6.5 (Sexualpädagogische) Mädchenarbeit ............................................................. 32

7 Qualitative Forschung ............................................................................................. 39

7.1 Forschungsinteresse und Erhebungsmethode .................................................. 39

7.2 Auswahl der Interviewpartnerinnen................................................................. 40

7.3 Methodisches Vorgehen der Forschung .......................................................... 40

7.4 Strukturierung und Analyse ............................................................................. 43

7.5 Resümee aus der Forschung ............................................................................ 52

8 Fazit ........................................................................................................................ 54

9 Persönliche Reflexion ............................................................................................. 58

Literaturverzeichnis ................................................................................................... 60

Anhang ....................................................................................................................... 72

Ehrenwörtliche Versicherung .................................................................................. 104


Abkürzungsverzeichnis
BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

ebd. Ebenda

etc. et cetera

u. a. unter anderem

WHO World Health Organization

z. B. zum Beispiel

i
1 Einleitung
„When you bring consciousness to anything, things begin to shift“ (Eve Ensler o.J.)

Im 21. Jahrhundert haben Frauen und Mädchen in Deutschland Freiheiten, für welche
ihre Vorfahrinnen lange kämpfen mussten. Seit 1957 ist im Grundgesetz festgeschrie-
ben, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Das bedeutet auch, dass Frauen
das Recht haben selbstbestimmt über ihr eigenes Leben, ihren Körper und ihre Sexu-
alität zu entscheiden.

Heutzutage sind viele Menschen der Meinung, dass die Diskussion um die sexuelle
Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen längst nicht mehr nötig ist. Ihrer Ansicht
zufolge hat sich Gleichberechtigung durchgesetzt und Frauen sind sexuell befreit, da
sie ihre Partner*innen frei wählen können, nicht mehr heiraten müssen, offen über Sex
sprechen können, verhüten und somit Sex ohne Angst vor einer Schwangerschaft ha-
ben können etc.

Die konkrete Lebensrealität vieler Mädchen und junger Frauen sieht aber oft anders
aus: Rollenbilder werden propagiert, die vermeintlich gesellschaftlichen Normen ent-
sprechen (Hildebrandt 2018: 22). In der Gesellschaft herrschen rigide Schönheits- und
Schlankheitsideale vor (Hirschmüller 2018: 31), wobei mediale Einflüsse eine große
Rolle spielen, die Mädchen und Frauen unter Druck setzen (Hildebrandt 2018: 22).
Sexuelle Übergriffe und latenter bis offensichtlicher Sexismus sind für viele Frauen
und Mädchen alltäglich, sowie die damit verbundene Ohnmacht und Scham (Konrad
2019: 15). Bis ins Jahr 2016 mussten Frauen sich körperlich wehren, damit eine sexu-
elle Handlung gegen ihren Willen als Vergewaltigung anerkannt wurde. Das gespro-
chene Wort einer Frau war nicht genug (Fiebig 2017).

Auf der Basis dieser Situation hat sich das Thema dieser Bachelorarbeit ergeben. Hier
knüpften Fragen an, wie: Woher kommen diese vorherrschenden Rollenbilder? Wieso
wissen Frauen eigentlich so wenig über ihr eigenes Geschlecht, ihre Sexualität und die
weibliche Lust? Warum ist Menstruation immer noch ein Tabuthema und mit großer
Scham besetzt? Und schließlich: Wie sexuell selbstbestimmt sind Mädchen und
Frauen heutzutage?

1
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen, sich verändernden Körper im Laufe der
Pubertät gestaltet sich oft vor dem Hintergrund einer unzureichenden sexuellen Bil-
dung (Hirschmüller 2018: 31). Da die Gestaltung dieses Prozesses die sexuelle Selbst-
bestimmung in einem großen Maße beeinflusst, soll in der Arbeit außerdem der Frage
nachgegangen werden, was Sexualpädagogik erreichen kann bzw. wo angesetzt wer-
den muss.

Die Arbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert und baut
sich folgendermaßen auf:

Als erstes werden die Begriffe „Sexualität“ und „Sexuelle Selbstbestimmung“ zum
Verständnis in dieser Arbeit geklärt. Anschließend folgt ein historischer Einblick in
die weibliche sexuelle Selbstbestimmung. Wenn die Komplexität dieses Themas ver-
standen werden soll, ist u. a. der gesellschaftshistorische Hintergrund vonnöten. Im
weiteren Verlauf wird die Geschlechter- und Sozialisationsforschung zur Produktion
und Reproduktion von Geschlecht und der einhergehenden Kategorisierung behandelt.
Dieses Kapitel dient dem Kontext – um zu verstehen, wie sich gesellschaftliche Ge-
schlechterverhältnisse auf das Leben und die Sexualität von Frauen und Mädchen aus-
wirken. In dem Kapitel „Geschlechterrollenbilder und dessen Wandel“ wird darge-
stellt, wie Mädchen und Frauen sozialisiert werden, mit welchen Rollenbildern sie auf-
wachsen und konfrontiert werden, was von ihnen in der Gesellschaft erwartet wird und
verdeutlicht, wie konträr das auf die sexuelle Selbstbestimmung wirkt. Darauf aufbau-
end wird behandelt, was nötig ist, damit ein Wandel des Geschlechterrollenverständ-
nisses erreicht werden kann.

Im weiteren Teil der Bachelorarbeit wird auf das Thema Sexualpädagogik eingegan-
gen. Sexualpädagogik hat das Potential grundlegend zu einem Wandel in Bezug auf
das Verständnis und den Umgang mit Sexualität, Geschlechtsidentität und körperna-
hen Themen beizutragen. Dazu wird als erstes ein Einblick in die Sexualpädagogik
gegeben, was darunter verstanden wird und auf welcher Grundlage sich die sexualpä-
dagogische Arbeit gestaltet. Anschließend wird die Sexualaufklärung behandelt. Hier
liegt der Fokus vor allem auf dem „Rahmenkonzept für politische Entscheidungsträ-
ger, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden, Expertinnen und Experten“, her-
ausgegeben von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und der
WHO, in welchem die Standards für Sexualaufklärung in Europa festgelegt werden.

2
Dabei wird dargestellt, welche Ziele eine Sexualaufklärung verfolgen sollte. Da Schu-
len den staatlichen Auftrag der Sexualerziehung haben, wird auf die schulische Sexu-
alaufklärung näher eingegangen und diese kritisch betrachtet. Anschließend folgt das
Kapitel „Einstellungen, Verhaltensweisen und Erfahrungen von Jugendlichen (mit Fo-
kus auf den Mädchen/jungen Frauen) in Bezug auf Sexualität und Aufklärung“.

Im weiteren Verlauf wird die geschlechtersensible Sexualaufklärung als positiver An-


satz der Sexualaufklärung dargestellt. Im darauffolgenden Kapitel wird die (sexualpä-
dagogische) Mädchenarbeit vorgestellt. Hier wird zunächst ein kurzer historischer
Einblick gewährt, um einen Vergleich zwischen den Themen und der Arbeitsweise der
früheren und heutigen (sexualpädagogischen) Mädchenarbeit darzustellen. Daneben
soll beleuchtet werden, warum (sexualpädagogische) Mädchenarbeit immer noch not-
wendig ist in der heutigen Gesellschaft.

Im achten Kapitel wird die qualitative Forschung vorgestellt, die im Rahmen dieser
Bachelorarbeit durchgeführt wurde. Dazu werden Forschungsinteresse und Erhe-
bungsmethode beschrieben, sowie die Auswahl der Interviewpartnerinnen, das metho-
dische Vorgehen und die Strukturierung und Analyse. Am Schluss wird ein Resümee
aus der Forschung gezogen.

Die Bachelorarbeit schließt mit einem Fazit, in welchem der Inhalt der Arbeit zusam-
mengefasst, sowie kritisch beleuchtet wird, gefolgt von einer persönlichen Reflexion.
Diese soll dazu dienen den eigenen Wachstumsprozess bezüglich der Arbeit zu schil-
dern, den persönlichen Blick auf die Thematik hervorzuheben und einen Ausblick zu
geben.

3
2 Begriffserklärungen
Hinsichtlich des Verständnisses und der Verwendung in dieser Arbeit, werden im Fol-
genden die Begriffe „Sexualität“ und „Sexuelle Selbstbestimmung“ definiert.

2.1 Sexualität
Folgende Definition stammt von der WHO:

„Sexualität bezieht sich auf einen zentralen Aspekt des Menschseins über die gesamte
Lebensspanne hinweg, der das biologische Geschlecht, die Geschlechtsidentität, die
Geschlechtsrolle, sexuelle Orientierung, Lust, Erotik, Intimität und Fortpflanzung ein-
schließt. Sie wird erfahren und drückt sich aus in Gedanken, Fantasien, Wünschen,
Überzeugungen, Einstellungen, Werten, Verhaltensmustern, Praktiken, Rollen und
Beziehungen. Während Sexualität all diese Aspekte beinhaltet, werden nicht alle ihre
Dimensionen jederzeit erfahren oder ausgedrückt. Sexualität wird beeinflusst durch
das Zusammenwirken biologischer, psychologischer, sozialer, wirtschaftlicher, politi-
scher, ethischer, rechtlicher, religiöser und spiritueller Faktoren“ (WHO 2006, zitiert
in BZgA und WHO 2011:18).

2.2 Sexuelle Selbstbestimmung


Jeder Mensch hat das Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität unter Anerkennung
der Rechte des Anderen. In Deutschland ist die sexuelle Selbstbestimmung ein indivi-
duelles Rechtsgut, das den Bürger*innen garantiert, über die eigene Sexualität frei zu
bestimmen. Dieses Recht ist in vielen nationalen und internationalen Dokumenten
festgehalten und Teil des Gesamtkonzepts der sexuellen und reproduktiven Gesund-
heit und Rechte, das auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo verabschiedet
wurde (profamilia 2014). Nach dem Deutschen Strafrecht werden Handlungen, die ge-
gen dieses Recht sprechen, unter Strafe gestellt (vgl. Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung §§ 174 – 184 StGB).

Nach der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes wird die sexu-
elle Selbstbestimmung folgendermaßen beschrieben:

Der Körper gehört jedem Menschen selbst und daher kann jede*r frei über die eigene
Sexualität bestimmen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung lässt jeder Person die
Freiheit, über sexuelle Orientierung, die Wahl des Sexualpartners oder der Sexualpart-
nerin, sexuelle Praktiken und die Form der sexuellen Beziehung selbst zu entscheiden.

4
Zu der sexuellen Selbstbestimmung gehört auch das Recht auf Aufklärung und Infor-
mation – oder auch „Nein“ zu sagen und sich zu wehren, wenn andere Menschen die-
ses Recht einschränken oder nehmen wollen.

Ebenso muss dieses Recht bei anderen Mitmenschen respektiert werden.

(Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes 2015)

5
3 Historischer Einblick
In diesem Kapitel soll ein Einblick in den Umgang mit der weiblichen Sexualität im
Laufe der Geschichte und deren Umbrüche dargestellt werden. Die Geschichte ist für
ein tieferes Verständnis des Themas vonnöten, kann aber leider nicht umfassender be-
handelt werden, da es sonst den Umfang der Arbeit sprengen würde. Der Einblick ist
größtenteils auf die Entwicklung in Zentraleuropa beschränkt, da in dieser Arbeit die
sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen in Deutschland behandelt wird.

Rückschlüsse über den Umgang mit der weiblichen Sexualität lassen sich bereits mit
den ersten Funden aus der Menschheitsgeschichte ziehen. Über Statuetten bis hin zu
Höhlenmalereien, lässt sich vieles aus dieser frühen Epoche finden. Von diesen ersten
Kunsthandwerken der Menschheit ausgehend, kann darauf geschlossen werden, dass
die „weibliche Sexualität und Fruchtbarkeit als heilig galten“ (Wolf 2019: 154). Aus
der Epoche 25000 bis 15000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, wurden in Europa viele
sogenannte „Venusfigurinen“ (Fruchtbarkeitsstatuetten mit hervortretenden Vulven)
gefunden. Über die ganze Welt verteilt lassen sich solche Fruchtbarkeitsdarstellungen
finden (ebd.: 154).

Es lassen sich außerdem unterschiedliche Göttinnen in den Frühkulturen aufweisen.


Sehr verbreitet waren die Göttinnen der Liebe und des Geschlechtslebens. Zum Bei-
spiel in Ägypten die Göttin Qadesh, die Göttin der Natur, der Schönheit und der sexu-
ellen Lust. Sie wurde reitend auf einem Löwenrücken dargestellt, in der rechten Hand
eine Schlange (symbolisierte den Penis) und in der linken eine Lotusblüte (Zeichen für
die Vulva). Ein weiteres Beispiel kommt aus dem heutigen Irak, in dem vor fünftau-
send Jahren die Göttin Inanna und vor allem ihre Vulva verehrt wurde, welche einen
heiligen Ort voller magischer Eigenschaften repräsentierte (ebd.: 155).

Vor dem Christentum breitete sich die Verehrung der Vulva und der weiblichen Sexu-
alität bis nach Europa aus. So wurden beispielsweise in Irland noch bis in die christli-
che Zeit nackte Frauen in die Wände gemeißelt, die mit gespreizten Beinen und von
den Händen geöffneten Schamlippen dargestellt wurden (ebd.: 157).

Vor allem durch die Etablierung der monotheistischen Religionen erfuhr dieser offene
Umgang eine Repression. Die Sexualität verlor ihren göttlichen Charakter, da der Gott
des Alten Testaments transzendent ist und weder Körper, noch Leidenschaft besitzt

6
(Malo 2018: 32). Aus den Spätschriften des Alten Testaments geht hervor, wie feind-
lich das Frauenbild damals war. „Von der Frau nahm die Sünde ihren Anfang, ihret-
wegen werden wir alle sterben“ (Sir 25, 24-25, zitiert bei Universität Innsbruck 2007).

Die frühen Christ*innen sahen das Lustvolle der heidnischen Antike als Auswuchs des
Niedergangs an. In den ersten Jahrhunderten nach Christis Geburt wurde ein religiös-
moralischer Gegenentwurf entwickelt, in dem das weibliche Geschlecht als Verfüh-
rung galt und allein durch die sexuelle Askese und die Hinwendung zu Gott das See-
lenheil erreicht werden konnte. Sexualität diente der Fortpflanzung und war aus-
schließlich in der Ehe akzeptiert. Sex als körperliches und seelisches Vergnügen galt
als reine Sünde (Muntermann 2018). Den Frauen wurde vorgeworfen die Männer in
den teuflischen Abgrund der Sexualität zu locken (Wolf 2019: 162).

Dieses Bild zieht sich bis ins Mittelalter, in dem die Frauen von Natur aus als minder-
wertig und als körperlich und geistig unterlegen angesehen wurden. Sie sollten zuerst
vom Vater und später vom Ehemann zu Demut und Gehorsam erzogen werden (Meier
2005: 10). Die Frau und ihre Sexualität wurden gefürchtet. Eine Praktik im Mittelalter
war, den Frauen einen Keuschheitsgürtel anzulegen, um die Frau in Abwesenheit ihres
Ehemanns am Geschlechtsverkehr zu hindern. Dabei wurden der Frau zwei eiserne
Bänder um die Hüfte geschnallt, ein drittes führte durch den Schritt. Die Konstruktion
konnte dann abgeschlossen werden und der Mann nahm den Schlüssel mit. Für die
Frau erschwerte das massiv die Hygiene und führte u.a. zu Hautschürfungen (Wolf
2019: 164). Allein dieser Umgang mit der Frau verdeutlicht wie eingeschränkt und
fremdbestimmt die Frau durch den Mann und die Gesellschaft war.

Das negative Bild der Frau steigerte sich immer mehr, bis es in der ersten Welle orga-
nisierter Gewalt gegen Frauen im Rahmen der Hexenverfolgung eskalierte. Dem
christlichen Ideal der keuschen Frau wurde das Bild der Hexe gegenübergestellt. 1487
wurde ein Buch namens „Malleus Maleficarum“ oder „Hexenhammer“ von Heinrich
Kramer veröffentlicht. In ihm wurde zur Verfolgung und Bestrafung von Hexen auf-
gerufen. Hexen waren demnach wollüstige, sexuell unersättliche Frauen, die sich mit
dem Teufel einließen und anschließend Unheil über die Welt brachten (Konrad 2019:
49). In dem Werk lassen sich Zitate wie folgende finden: Frauen seien „fehlerhafte
Tiere“, „Übel der Natur“ oder „Lieblingswerkzeuge des Teufels“ und, dass die Frau
„unfertig“ und eine geringere intellektuelle Kapazität hätte. Auch Luther oder Calvin

7
sprachen sich für die konsequente Bestrafung der Hexen aus (ebd.: 233,234). Ange-
klagt wurden vor allem ältere Frauen, die nicht unter der Führung eines Mannes stan-
den. Sie hätten außerdem einen noch stärkeren sexuellen Appetit als junge Frauen, vor
allem, wenn die männliche Hand fehlt, die sie von dem „Weg in die Sünde abhalten
könne“ (ebd.: 49). Auch kranke Frauen, zum Beispiel Hysterikerinnen, standen unter
Verdacht (ebd.: 49). Die Hysterie galt Jahrhunderte lang als typisch weibliche Krank-
heit. Der Begriff Hysterie leitet sich aus dem griechischen Wort „hystera“ ab und be-
deutet „Uterus“ (Arte 2017).

Viele Frauen wurden im Laufe der Hexenverfolgung bis in die zweite Hälfte des 18.
Jahrhunderts beschuldigt, gefoltert und umgebracht. Insgesamt fielen 60 000 Men-
schen der Hexenverfolgung zum Opfer. Die meisten davon waren Frauen (Zeit 2014).

Im 18. bis zum 19. Jahrhundert wurde die wissenschaftliche Beschäftigung mit der
Hysterie und ihrer medizinischen Behandlung aufgenommen. Mit der Hysterie be-
schäftigte sich schon der Arzt Hippokrates (430 – 370 v. Chr.), welcher die Gebärmut-
ter als Grund der Krankheit ansah. Sie wurde als Tier angesehen, die bei schlechter
Versorgung (sie dürstet nach Kindern) im Körper umherwandert und unangenehme
Symptome, wie Krämpfe, Schmerzen, Erstickungsanfälle etc. verursachte (Konrad
2019: 44). Organische Ursachen für das „Frauenleiden“ konnten aber nicht gefunden
werden (Nagel 2011). Von Hypnose, Eierstockpressungen, Rauschmitteln bis hin zu
Fesselungen, wurden die durch ihre Krankheit bereits stark belasteten Frauen wieder-
holt retraumatisiert (ebd.: 52). Die Ärzte1 schlussfolgerten daraus, dass alles nur Über-
treibung und Simulation sei, was wiederum die Wankelmütigkeit und Unglaubwürdig-
keit der Frau bestätigte. So schreibt der Philosoph Otto Weiniger 1903 „Die Hysterie
ist eine organische Krisis der organischen Verlogenheit des Weibes“ (Nagel 2011).
Die Hysterie mit Symptomen wie Atemnot, Schluckbeschwerden, Lähmungen etc. ist
aus heutiger Sicht kaum zu verstehen (Konrad 2019: 52). Wird sie aber in den Kontext
der damals vorherrschenden Unterdrückung der Frau gesetzt, kann sie als Ausbruch
aus dem Rollenzwang verstanden werden (Nagel 2011).

1
Der Begriff „Ärzte“ wird an dieser Stelle nicht gegendert, da hauptsächlich Männer diesen Beruf zu
dieser Zeit innehatten.

8
Während all den Jahren haben sich männliche Gelehrte immer wieder mit neuen Be-
handlungsmethoden und Theorien über weiblichen Krankheiten und Gesundheit be-
schäftigt. Dabei stand im Zentrum immer die Frau, die an ihrer Sexualität litt (Konrad
2019: 51).

Bis zum späten 18. Jahrhundert gab es allein das „Ein-Geschlechts-Modell“, in dem
das weibliche Geschlecht als unvollkommene Variante des männlichen Geschlechts
angesehen wurde. Ende des 18. Jahrhunderts wurde dann das „Zwei-Geschlechter-
Modell“ eingeführt. Trotzdem wurde den Frauen aufgrund verschiedener Merkmale
eine Unterwürfigkeit gegenüber dem Mann zugeordnet (Laqueur 1996: 156). Etwa
aufgrund des „physiologischen Schwachsinns des Weibs“ (Möbius 1900, zitiert in
(Hausen 2013: 32). Es wurde immer noch angenommen, dass Frauen körperlich und
geistig unterlegen waren. In dem Werk des Psychiaters Möbius heißt es weiter: „Wäre
das Weib nicht körperlich und geistig schwach, wäre es nicht in der Regel durch die
Umstände unschädlich gemacht, so wäre es höchst gefährlich“ (Konrad 2019: 69). Das
„Weib“ solle nur „gesund und dumm“ sein, denn mehr würde es nicht brauchen für
eine Mutterschaft und den Haushalt (ebd.: 69).

Lange Zeit wurde die Entrechtung und die Unterordnung der Frau als völlig natürlich
betrachtet. Es gab wenige Versuche der Emanzipation, die aber an der grundlegenden
Diskriminierung der Frau nichts änderten. Mit der industriellen Revolution wurde zu-
mindest eine Verbesserung der sozialen Stellung der Frau eingeleitet. Die Entwicklung
der Produktivkräfte (Erfindungen wie die Dampfmaschine, große Spinnmaschinen
etc.), die sich in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland ver-
breiteten, sorgte für eine Massenbeschäftigung, vor allem auch für Frauen und Kinder
(Hervé 2001: 12). Für alle, Arbeiter und Arbeiterinnen, gab es dieselben schlechten
Arbeitsbedingungen und dieselbe Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Trotzdem waren
Frauen immer noch benachteiligt durch geringere Schuldbildung, Ausbeutung (ebd.:
13) und Unterdrückung. An der Annahme, dass weibliche Lust und Sexualität so früh
wie möglich unterdrückt werden sollte, änderte sich weiterhin nichts. Diese Ansicht
zog sich bis ins 20. Jahrhundert. Durch diese Einstellung entstand die Idee der soge-
nannten „Klitoridektomien“ (operative Entfernungen der Klitoris), um die Frauen von
ihrem „Leiden“, ihren unbeherrschbaren sexuellen Wünschen zu befreien (Konrad
2019: 64). Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden Frauen mit auffallenden Symptomen,

9
wie bei der Hysterie, auch weiteren Genitaloperationen, wie zum Beispiel der Entfer-
nung der (gesunden) Eierstöcke oder des Uterus, unterzogen. Mediziner gingen davon
aus, dass die Geschlechtsorgane der Frau mit ihrer Psyche in direkter Verbindung ste-
hen würden. Mit dieser Annahme wurden die Eingriffe gerechtfertigt. Aufgrund der
weiteren Annahme, dass eine Empfängnis nur durch den weiblichen Orgasmus ge-
währleistet sei, kam es letztendlich zu keiner Verbreitung dieser Methodik in Zent-
raleuropa2 (ebd.: 66).

Ein weiteres Symptom, das stark diskutiert wurde, war die Nymphomanie, welche sich
in übermäßigem Liebesverlangen, keinem Schamgefühl und zusammengefasst als ei-
nem Zuviel an Lust aus gesellschaftlicher Sicht zeigte. Auch hier wurde die Ursache
im Uterus und der Vagina gesucht. Auch eine vergrößerte Klitoris wurde verdächtigt.
Im 19. Jahrhundert galt die sexuell fordernde Frau als krank, gefährlich und sexuell
unbeherrscht. Auch die Frauen eigneten sich diese Sichtweise an und suchten Ärzte
auf, wenn sie sexuelle Lust empfanden (ebd.: 66, 67).

Im Nationalsozialismus wurde der Frau die natürliche Berufung als Mutter und Haus-
frau zugesprochen. Sexualität an sich wurde nicht unterdrückt, aber der Fokus war
reproduktiven Charakters (Gußmann und Stegemann 2014).

In den Nachkriegsjahren wurde eine Sexualmoral durchgesetzt, die geprägt war von
Tabus. Der weibliche Orgasmus wurde als schädlich betrachtet. Es wurde versucht mit
klaren Geschlechterrollen ein geregeltes Leben wiederherzustellen. Selbst nach der
Einführung des Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau (1958) wur-
den Frauen in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt. Zum Beispiel hieß es
beim Thema „Erwerbstätigkeit der Frau“, dass Frauen auch gegen den Willen ihres
Mannes arbeiten durften, allerdings nur solange sie ihre Familie nicht vernachlässigen
würden (bpb 2018).

Die Frage nach der Selbstbestimmung von Frauen entzündet sich bis heute immer wie-
der an der weiblichen Reproduktionsfähigkeit und -funktion (aktuell §218, Schwan-
gerschaftskonfliktgesetz und Reproduktionstechnologien). Frauen, die eine Abtrei-
bung vornehmen, wurden schon immer in allen Kulturen verfolgt und bestraft, sei es
aus religiösen, kulturellen oder bevölkerungspolitischen Gründen. Abtreibung und

2
In hauptsächlich afrikanischen Ländern, werden Mädchen und Frauen bis heute Klitoridektomien und
Genitalverstümmelungen ausgesetzt (Réthy 2013).

10
Empfängnisverhütung sind zugleich Themenbereiche, die geeignet sind, Macht über
Frauen auszuüben. Männer stellen die Regeln auf, Frauen müssen sie umgehen (oft
gezwungenermaßen). Der aus dem Jahr 1871 stammende Paragraph 218 schrieb bei
einer Abtreibung eine Zuchthausstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Erst 1927 wurde
schwangeren Frauen das Recht auf einen Abbruch zugestanden, wenn ihr Leben in
Gefahr war. Die ersten sozialistischen Frauenbewegungen wandten sich gegen das
Strafrecht, das Frauen als Verantwortliche schwer bestraft, während die Ehegesetze
sie zu rechtlosen Objekten machten, denn Ehemänner durften ihre Frauen bis 1997
straflos vergewaltigen (Notz 2010: 1).

Eine Massenbewegung, die im Zusammenhang mit den neuen Frauenbewegungen ent-


stand, bildete sich in den 1970er Jahren in der BRD. Zentral waren die Forderungen
nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper, nach Streichung des Paragraphen
218, nach umfassender sexueller Aufklärung, selbstbestimmter Sexualität und freiem
Zugang zu Verhütungsmitteln. Die Bewegung lief unter dem Slogan „Mein Bauch ge-
hört mir!“. Es kam zu einigen Veränderungen des Paragraphen 218. Ab 1995 trat bun-
desweit das heute gültige Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz in Kraft.
Demnach sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich strafbar, außer wenn die
Schwangere innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch eine Bescheini-
gung nach Paragraph 219 nachweisen kann, dass sie sich mindestens drei Tage vor
dem Eingriff beraten ließ. Bei einer medizinischen Indikation, bei der eine Gefahr für
die Mutter durch die Schwangerschaft bestehen muss (bis zum Ende der Schwanger-
schaft) und bei einer kriminologischen Indikation, wovon auszugehen ist, wenn die
Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstand (bis zum Ende der 12. Woche),
ist ein Schwangerschaftsabbruch gesetzlich erlaubt (ebd.: 4)

Teil der Frauenbewegung war die Einführung der Anti-Baby-Pille, die 1960 in den
USA auf den Markt kam. Durch sie wurde ein Umbruch ausgelöst, der die Selbstbe-
stimmung der Frau und eine angstfreiere Sexualität anregte und bewirkte, dass Sex ein
fester Bestandteil der Medien wurde (Baumann 2018). Mit der Bewegung der 68er
Jahre, wurde Sex offener diskutiert und praktiziert. Frauen setzten sich mehr für das
Recht ein, über ihren eigenen Körper frei verfügen zu können: Sexualität und Fort-
pflanzung sollten unabhängig voneinander betrachtet werden und selbstbestimmte Fa-
milienplanung wurde gefordert (bpb 2015). Doch mit der neuen Sexrevolte kam es
nicht nur zu neuen Freiheiten, sondern auch zu neuen Zwängen. Frauen sollten frei

11
verfügbar sein, wenn sie nicht als verklemmt gelten wollten. Frauen erkämpften sich
mehr Offenheit mit dem Thema Sexualität, aber auch zu dieser Zeit wurde die weibli-
che Sexualität von außen bestimmt (Baumann 2018).

Die Geschichte der weiblichen Sexualität wirkt sich bis heute aus. Auch heute ist die
Lebensrealität von Frauen und Mädchen durch beträchtliche strukturelle Unterschiede
geprägt und die sexuelle Selbstbestimmung wird beeinflusst durch patriarchal be-
stimmte Einflüsse (Hirschmüller 2018: 31).

Wodurch diese patriarchalen Strukturen sich aufrechterhalten und inwiefern sich das
soziale Geschlecht mit der einhergehenden geschlechtlichen und sexuellen Kategori-
sierung re- und produziert, soll im Folgenden behandelt werden.

12
4 Geschlechter- und Sozialisationsforschung zur Produktion und Re-
produktion von Geschlecht und der einhergehenden Kategorisierung
Die meisten Menschen lernen im Laufe ihres Lebens, sich einem Geschlecht zugehörig
zu fühlen. Nach der sozialisationstheoretischen Perspektive werden die Personen in
der Regel nach einem dualen Schema als Frau oder Mann sozialisiert. Dabei finden
sich empirisch „vielfaltige Differenzen, Übergänge, Ausgrenzungen und Ungleichhei-
ten innerhalb und zwischen den Genusgruppen3“ . Die geschlechtsspezifische Ge-
schlechterforschung betont eine weitgehende Gemeinsamkeit zwischen den Ge-
schlechtern, dies jedoch vor dem Hintergrund, dass beide Geschlechter sozial konstru-
iert sind und sich aufgrund dessen vielfältige Differenzierungen finden lassen. Die
ganze psychologische Forschung zeigt eine Ähnlichkeit von Männern und Frauen auf
der Gruppenebene als eine der am besten gesicherten Verallgemeinerungen in den Hu-
manwissenschaften (Bührmann, Diezinger und Metz-Gückel 2014: 170).

Da nach der Forschung die Geschlechter gar nicht so unterschiedlich sind, wie sie in
der Gesellschaft wahrgenommen werden, stellen sich unterschiedliche Fragen: Warum
herrscht in der Gesellschaft immer noch eine Geschlechtshierarchisierung vor? Warum
werden die Geschlechter als Kategorie des „Seins“ wahrgenommen (Liebsch 1994:
25)? Warum werden Frauen immer noch als das schwächere Geschlecht wahrgenom-
men und sind Objekte von bestimmten Geschlechterrollenzuschreibungen?

Nach Becker-Schmidt sind der Lebensraum, sowie die sozialen Bilder von Frauen Pro-
dukte bestimmter sozialer, ökonomischer, rechtlicher, ideologischer, religiöser und
politischer Verhältnisse. „Die Lebenssituation von Frauen entsteht in einem Zusam-
menwirken gesellschaftlicher Einflüsse, die gleichzeitig ein System an Zeichen und
Bedeutungen mithervorbringen“ “ (Becker-Schmidt 1992, zitiert in Liebsch 1994: 26).
Diese Bezeichnungen und Codierungen treten in Verbindung zum Körper, zur Arbeit
und zum Recht. Dies bewirkt, dass die Frau selbst zur biologischen, ökonomischen
und rechtlichen Tatsache wird. Das Ganze geschieht nicht ohne den Ablauf von „Me-
chanismen der Unbewusstmachung“, welche nötig sind, um die Lebenslagen- und si-
tuationen „auszuhalten“ (ebd.: 26). In Zusammenhang mit der patriarchalen Herrschaft

3
Der Begriff Genus-Gruppe signalisiert, dass Frauen und Männer soziale Gruppen einer Gesellschaft
darstellen, die in Relation zueinander stehen (Becker-Schmidt und Knapp 1995: 17).

13
und der Kultur der Zweigeschlechtlichkeit4, erfolgt die Verdrängung eigener gesell-
schaftlicher Vorstellungen und Praxen der Frau aktiv von den Frauen selbst und geht
in die „gesellschaftliche Unbewusstheit5“ ein (ebd.: 26). Zur „unbewussten Gesell-
schaftlichkeit6“ werden die patriarchalen Strukturen, wenn sie in Form der Zweige-
schlechtlichkeit als natürliches und selbstverständliches Phänomen aufgefasst werden
und sie sich in Institutionen, Organisationsformen und alltäglichem Handeln wieder-
finden. Demnach ist Zweigeschlechtlichkeit, als Unbewusstes in der Gesellschaft, in
den Denkformen und deren Akteur*innen, sowie in der Dynamik der gesellschaftli-
chen Entwicklungen selbst enthalten (ebd.: 26).

Bei der Produktion und Reproduktion von Geschlecht wird in der Fachliteratur auch
von „doing gender“ gesprochen, womit die wechselseitige Herstellung und Aufrecht-
erhaltung von sexuellen und geschlechtlichen Kategorisierungen zwischen Gesell-
schaft und Individuum gemeint ist. Nach Bronner ist jedes Mitglied in das kulturelle
System der Zweigeschlechtlichkeit eingebunden und verwoben mit binären Struktu-
ren. Dabei haben die kulturellen Annahmen Auswirkungen auf das individuelle Den-
ken, Fühlen und Handeln, denen sich das Individuum nie vollständig entziehen kann
(Bronner 2011: 73-78). „Über die sexuellen und geschlechtlichen Kategorisierungen
können Gruppen und Individuen differenziert, hierarchisiert und bestimmten Zwecken
zugeführt werden, also beispielsweise die Lebensform der heterosexuellen Kleinfami-
lie als hegemoniales Lebenskonzept eingesetzt werden“ (Hartmann 2004, zitiert in Do-
neit 2016: 141). Dabei wirken die Identitätskategorien in dem Maße, dass sich Men-
schen mit ihnen identifizieren und die sozialen Ansprüche zu eigenen Ansprüchen
werden. Die Kategorien regulieren und disziplinieren sich in aller Regel unhinterfragt:
Als materialisierter Effekt der mächtigen diskursiven Prozesse wird es zum subjekti-
ven Eigeninteresse, „sich eindeutig als Mädchen oder Junge, Frau oder Mann, homo-
sexuell oder heterosexuell zu begreifen“ (ebd.: 141) und sich entsprechend der gesell-
schaftlichen Erwartungen zu verhalten (Doneit 2016: 141).

4
Spielt auf das „natürliche“ Selbstverständnis der Zweigeschlechtlichkeit an, nach welchem die Ge-
schlechter von Natur aus unterschiedlich sind und sich dieses Verständnis auch auf das soziale Ge-
schlecht übertragen lässt (Liebsch 1994: 24)
5
„Gesellschaftliche Unbewusstheit“ stellt das soziale Wissen dar, das durch die Ideologieproduktion
der Herrschenden unbewusst gemacht wird, da es Potentiale für die Gefährdung von bestehenden
Machtpositionen birgt (Erdheim 1982, zitiert in Liebsch 1994: 26)
6
Prozesse der Unterdrückung dieser Art schlagen sich als psychische Unbewusstheit bei einzelnen Per-
sonen nieder und produzieren objektive Strukturen, die als eine „unbewusste Gesellschaftlichkeit“ auf
alle Personen Einfluss nehmen (Becker-Schmidt 1992, zitiert in Liebsch 1994: 26).

14
Die Vorstellung unterschiedlicher männlicher und weiblicher Sexualität bleibt eine
zentrale kulturelle „Orientierungsfolie“. Viele Zuschreibungen und Bewertungen im
sozialen Alltag (z. B. Regeln des Flirtens oder die routinemäßige Wertung der sexuel-
len (Nicht-) Attraktivität von Frauen), sowie die Vorstellungen „normaler“ Hand-
lungsabläufe in konsensuellen sexuellen Interaktionen, orientieren sich an den offen-
gelegten traditionellen Sexualitätsvorstellungen (aktives, kontrollierendes Subjekt
versus passives, nachgebendes Objekt sexueller Lust) (Krahé et al. 2004, zitiert in Do-
neit 2016: 143). Diese selbstverständlichen gesellschaftlichen Regeln sichern männli-
che Macht und Privilegien in der gesamten Gesellschaft, sowie in konkreten sexuellen
Begegnungen. Mädchen und Frauen wird im Vergleich zu den Jungen bzw. Männern
eine Orientierung an ihrem Begehren deutlich erschwert (Doneit 2016: 143).

Sexualität erweist sich aus kritischer Perspektive als ein „gesellschaftliches Differen-
zierungselement und Ordnungssystem“ (Hartmann 2001, zitiert in Doneit 2016: 145),
welches immer mit Normalisierung und Hierarchisierung verbunden ist (Doneit 2016:
145).

Das patriarchale Denken produziert sich immer wieder als unbewusstes Konstrukt aus
sich selbst heraus, es findet eine geschlechtliche und sexuelle Kategorisierung statt
und Frauen und ihre Sexualität werden beeinflusst von einem veralteten Geschlechter-
rollenverständnis, auf welches im Folgenden näher eingegangen wird.

15
5 Geschlechterrollenverständnis und dessen Wandel
Schon von klein auf werden Mädchen und Jungen gemäß ihrem Geschlecht soziali-
siert. Auch wenn die Eltern ihre Kinder meist nicht bewusst in eine Geschlechterrolle
drängen wollen und sie nicht „geschlechtsspezifisch“ erziehen wollen, passiert dies oft
unbewusst. Dabei übernehmen die Eltern Konzepte, die von der Gesellschaft geformt
wurden. Sie handeln in der Regel spontan, unreflektiert und geschlechtsstereotypisch
und vermitteln Normen, Werte und soziale Erwartungen, die mit dem jeweiligen Ge-
schlecht in einer bestimmten Zeit und Kultur verbunden sind. Auch wenn viele Men-
schen anfangen umzudenken, sitzen diese Muster tief und durch das unbewusste Ver-
halten werden Geschlechterrollenbilder fortgesetzt (Fthenakis 2008).

Durch die Fortsetzung der Rollenbilder resultiert eine Diskrepanz zwischen den Ge-
schlechtern. Für die Mädchen und Frauen ist es schwierig sich von den gesellschaftli-
chen Ansprüchen loszusagen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, da sie mit
sehr widersprüchlichen Botschaften konfrontiert werden. Einerseits wird ihnen ver-
mittelt, dass Frauen heutzutage gleichberechtigt sind – sie können genauso viel errei-
chen wie die Männer, was auch Frauen, wie zum Beispiel das prägnante Beispiel An-
gela Merkel, vorleben – andererseits werden sie in den Medien mit Bildern von ma-
gersüchtigen Mädchen auf Laufstegen oder aus der Werbung konfrontiert oder kriegen
Barbies, Puppen oder andere „geschlechtsspezifische“ Spielzeuge vorgesetzt (ebd.:
16). Die Mädchen werden oft in der Schule für ihre Fügsamkeit gelobt – es wird von
ihnen erwartet, still und nachgiebig zu sein, was dazu führen kann, dass ihnen später
wiederum der Mut für aktiveres und risikofreudigeres Verhalten fehlt. Daraus resul-
tiert ein Bild von Frauen, welche empathisch und sensibel sind und am besten ein sor-
gendes Wesen haben sollten (ebd.: 47).

Renate Valtin, Grundschulpädagogin und Professorin an der Berliner Humboldt Uni-


versität, ließ Kinder im Grundschulalter einen Aufsatz darüberschreiben, warum sie
gerne ein Mädchen oder ein Junge sind. Sie stieß bei der Auswertung auf die klassi-
schen Rollenstereotypen: Mädchen betonen ihre Schönheit, modische Attribute und
ihre Bravheit, während Jungs sich geschickter und überlegener als die Mädchen fühlen
(ebd.: 44). Mit der Pubertät wird dieses Problem, laut der AIDA (steht für „Adaption
in der Adoleszenz“) Studie, noch größer. Weibliche Jugendliche haben demnach ein
negativeres Selbstbild als die männlichen, sind leistungsängstlicher, das bedeutet, dass
sie weniger Vertrauen und Zuversicht in ihre Fähigkeiten und ihren Erfolg haben und

16
halten sich für weniger intelligent. Während der Selbstwert bei den Mädchen bzw.
jungen Frauen sinkt, bleibt er bei den Jungen bzw. jungen Männern stabil (ebd.: 45).

Die feministische Philosophin Iris Marion Young behauptet in ihrem Essay „Throwing
Like a Girl: A Phenomenology of Feminine Body Comportment Mobility and Spatia-
lity“, dass Mädchen nicht gleichermaßen wie Jungen zum freien Umgang mit ihren
Körpern ermutigt werden. Das bringt Folgen mit sich, wie, dass sie nicht die Möglich-
keit haben, ihre körperlichen Fähigkeiten im freien und offenen Umgang mit der Welt
voll auszuschöpfen bzw. kein körperbezogenes Selbstbewusstsein entwickeln (Young
2005: 43).

Junge Frauen erfahren in ihrer Jugend, dass sie nicht unbedingt Aufmerksamkeit für
ihre Leistungen oder Intelligenz bekommen, aber mit Sicherheit für eine sexy Selbst-
darstellung. Die Pubertät ist ein Zeitabschnitt, in dem nach Identifikationsmöglichkei-
ten gesucht wird. Jugendliche greifen demnach oft nach den ersten „Vorbildern“, die
ihnen durch die Medien vermittelt werden. Hier bekommen sie vermittelt, dass wer
„sexy“, auch erfolgreich ist (Häfner und Kerber 2015: 131). Die Mädchen und jungen
Frauen bekommen ein Bild der Frau vermittelt, welches ein bestimmtes Bild fördert.
Schon in den 80er Jahren wurden Frauen oft in abhängigen Posen abgebildet, meist
wenig bekleidet oder ganz nackt. Mehrere Studien, wie von der „Ungleich Besser
Diversity Consulting“, zeigen, dass auch heute das Bild der Frau ein einfältiges ist. Oft
werden Frauen in Werbeanzeigen mit Sex verbunden und auf ihr Aussehen reduziert
(ebd.: 131). Dabei ist es wichtig zu hinterfragen, was das in der Gesellschaft auslöst.
Dazu sagt die Kommunikationswissenschaftlerin und Werbeexpertin Christina Holtz-
Bacha: „Werbung ist keineswegs nur ein Spiegel der Gesellschaft, wie es der Werberat
gerne behauptet, sondern übt sehr wohl Einfluss auf die Standards und Vorstellungen,
die Frauen und Männer von sich selbst, aber eben auch von einander haben, aus“ (zi-
tiert in Häfner und Kerber 2015: 133). Durch die Sexualisierung der Frau in den Me-
dien, wobei das Bild der Frau mit Wespentaille, langen dünnen Beinen und großen
Brüsten als Standard angesehen wird, ist es nicht verwunderlich, dass Magersucht und
Bulimie verbreitete Krankheiten heutzutage sind und Schönheitschirurgie zum Alltag
gehört. Die Genitalchirurgie ist ein boomender Markt, wobei das Ziel eine besonders
kindlich aussehende Vulva ist. Diese Bewegung lässt nicht auf die Selbstbestimmung
der Frau deuten, sondern viel eher auf eine weitere Reduktion der Frau auf ihr Äußeres
(ebd.: 139).

17
Die gängige Pornografie vermittelt einen Sex, in dem der dominante Mann über die
Frau herrscht und die Frau alles macht, um den Mann zu beglücken. Es gibt zwar auch
Bewegungen in Richtung feministischer Pornografie, dennoch überwiegt der Porno-
grafieanteil, der die patriarchalen Ideologien und Rollenklischees bedient. Somit wird
die gesellschaftliche Sicht auf Sex dahingehend gefördert, dass Frauen Objekte der
männlichen Begierde sind und nicht Subjekte ihrer eigenen Lust (Konrad 2019: 178).

Die Gesellschaft ist noch weit entfernt von einer Gleichberechtigung zwischen Män-
nern und Frauen und das Geschlechterrollenverständnis ist stark geprägt von veralteten
Erwartungen und Vorstellungen der Geschlechter. Auch wenn viele Frauen sagen wür-
den, dass sie autonom und sexuell befreit sind, lauern doch oft unbewusste und deshalb
tief verankerte gesellschaftliche Werturteile über Frauen und ihrer Sexualität in den
Menschen (ebd.: 22).

Heutzutage befindet sich die Gesellschaft bereits in einem Diskurs, in dem die Men-
schen anfangen die Geschlechterrollen zu hinterfragen und damit die Erziehung der
Kinder zu überdenken. Doch um die unbewussten Verhaltensmuster und verinnerlich-
ten Rollenbilder zu verändern, ist es nötig entsprechende Programme zu entwickeln,
die Eltern bei der Erziehung unterstützen und für das Thema zu sensibilisieren – mit
dem Ziel, Kinder nicht länger in Geschlechterrollen zu drängen. Nach dem Entwick-
lungsforscher Fthenakis müssen die Kinder selbst in diesen Prozess integriert werden.
Anstatt diese von außen zu steuern und massiv einzuschränken, müssen sie ermutigt
werden, aktiv ihre Umwelt zu erkunden und mitzugestalten. Um die Kinder zu einer
offenen und respektvollen Einstellung zu erziehen, ist es wichtig, dass die Eltern selbst
als Vorbild dienen und den Kindern den Rahmen bieten, sich bestmöglich und frei von
Rollenerwartungen zu entwickeln (Fthenakis 2008).

Auch Pädagog*innen und Lehrer*innen müssen in ihrem Umgang mit den Geschlech-
tern sensibilisiert werden. Sie müssen ihre eigenen Rollenbilder und ihr Verhalten ge-
genüber den Heranwachsenden verstärkt überprüfen und reflektieren. Förderlich ist
auch die Erziehung der Kinder an Institutionen beiden Geschlechtern zu übertragen,
da die Kinder einen großen Anteil ihrer Zeit dort verbringen und demnach Erziehung
nicht nur durch die Eltern stattfindet. Das ist wichtig, da das Lernen der Kinder durch
unterschiedliche Faktoren geprägt wird: zum einen, weil Kinder beobachten, wie Män-
ner und Frauen sich verhalten, zum anderen wie die Bezugspersonen mit dem Kind

18
umgehen, aber auch welche Interessen des Kindes gezielt gefördert oder behindert
werden (Preuk 2012). Dementsprechend ist der Aspekt „Rollenvorbild“ ein entschei-
dendes Thema, dessen sich Pädagog*innen und Lehrer*innen für die Erziehungsarbeit
annehmen sollten. In Bezug auf die schulische Situation, hat der Europarat Ende 2014
in Helsinki zum Thema „Gender Education“ einige Basisthesen entwickelt, die das
Aufgabenfeld für die Lehrkräfte gut erfassen. Demnach soll dem gendersensibel erzie-
henden Kollegium bewusst sein, „dass jedes soziale System genderstereotypisiert ist
(dabei meistens männlich normiert), dass darauf basierende Ungleichheit zu beseitigen
ist und dass insgesamt eine gendersensible Schulstruktur entwickelt werden muss“
(Council of Europe 2014, zitiert in Kirfel 2017:119).

Um zu einem Wandel des Geschlechterrollenverständnisses beizutragen, ist es außer-


dem grundlegend, die vorherrschende Darstellung der Geschlechter in den Medien zu
hinterfragen. Momentan ist der Großteil der Medienbilder vor allem von überholten
Frauenklischees geprägt, welche einen enormen Einfluss auf die Rollenbilder in der
Gesellschaft haben. Es wäre nötig, eine dynamischere Bildsprache in den Medien ein-
zuführen, anstatt immer den gleichen Typus Frau darzustellen und auf mehr Vielfalt,
was Alter, Gesichter, Hautfarbe und Arbeits- und Lebenswelten der Frauen zu achten
(Häfner und Kerber 2015: 162). Auch wenn vor allem das eine Frauenbild in den Me-
dien vorherrschend ist, gibt es bereits Initiativen, wie „Pinkstinks“, welche daran ar-
beitet, dass der Deutsche Werberat keine sexistische Werbung mehr entschuldigt oder
Marketingkampagnen fördert, die nicht mehr mit weiblicher Attraktivität selbst wer-
ben, sondern damit, selbstkritisch und innovativ zu thematisieren, wie groß der Ein-
fluss der Medien auf die Selbstwahrnehmung und Schönheitsvorstellungen ist (ebd.:
158).

Ob feministische Pornografie, in der es darum geht, festgefahrene Geschlechtsstereo-


typen nicht mehr zu bedienen, oder ein Verbot von Pornografie, wie es Alice Schwar-
zer mit ihrer Kampagne „PorNo“ forderte, zu einem neuen Geschlechterrollenver-
ständnis beitragen kann, bleibt umstritten. Die sogenannte „PorYes“ Bewegung
kämpft für eine neue, frauenfreundlichere Pornografie und eine sexuelle Revolution.
Dabei geht es um den Konsens, dass alle die mitmachen, es freiwillig tun und auch
selbst gestalten, was sie zeigen und ihre Grenzen aufzeigen können. Die Bewegung
bezeichnet sich als sexpositiv, wodurch sie sich für einen respektvollen und unbe-

19
schwerten Umgang von Frauen (und allen anderen Menschen) mit ihrer Sexualität aus-
spricht. Außerdem spielen in den Szenen, im Gegensatz zu den rein kommerziellen
Pornos, die Menschen, deren Ausdruck und Umgang ebenfalls eine große Rolle und
nicht der reine Fokus auf den Geschlechtsteilen. Während die Kämpfer*innen der Po-
rYes Bewegung auf eine gleichberechtigte Pornografie und Aufklärung bauen, meint
Alice Schwarzer, dass Pornos ein Mittel der Unterdrückung, Erniedrigung und
„Kriegspropaganda gegen die Frauen“ wären und generell abgeschafft werden sollten
(Bockenheimer 2017).

Die Diskussion um Pornografie ist aufgrund dessen so relevant, weil sich nicht nur
erwachsene Menschen Pornos anschauen, sondern auch Jugendliche, welche einen
Großteil ihrer Informationen über Sex und Sexualität aus dem Internet ziehen. Dabei
stoßen sie auf normierende und diskriminierende Bilder, auf die sie nicht vorbereitet
sind und die auch nicht während der Sexualaufklärung in der Schule besprochen wer-
den. Da sich die Sexualaufklärung immer noch größtenteils auf biologische Gegeben-
heiten bezieht und Sex auf die einfache Penetration beschränkt wird, werden die Fra-
gen der Schüler*innen nicht ausreichend beantwortet. Um klischeehafte Vorstellungen
von Sexualität aufzubrechen, muss die Aufklärung sich für Weiteres, als die Konzent-
ration auf die eine Form von Sex öffnen (Ritscher 2019).

Im Weiteren soll speziell auf die Sexualpädagogik eingegangen werden, da diese das
Potential hat, dem Wandel des Geschlechterrollenverständnisses beizutragen, ein Be-
wusstsein für ganzheitliche Sexualität zu schaffen und daneben, bei richtiger Gestal-
tung, ein grundlegender Bestandteil bei der Förderung der sexuellen Selbstbestim-
mung der Frau sein kann.

20
6 Sexualpädagogik
Die Sexualpädagogik ist ein Teilbereich der Erziehungs- und Sexualwissenschaften.
Der Begriff umfasst sämtliche Theorien über die gezielte Beeinflussung sexueller Ein-
stellungen und Verhaltensweisen. Es werden neben der sexuellen Sozialisation, auch
die erzieherischen Maßnahmen in Bezug auf die Sexualität von Menschen erforscht
und wissenschaftlich reflektiert (Sielert 2008: 39).

Diese Arbeit bezieht sich auf die emanzipatorische Sexualpädagogik, die, im Gegen-
satz zur repressiven7 Sexualpädagogik, sexualfreundlich ist und die selbstbestimmte
Sexualität von Menschen fördert. Die emanzipatorische Sexualpädagogik steht für
eine vielfältige und lebendige Kultur ein, in der sich unterschiedliche sexuelle und
partnerschaftliche Lebensweisen entwickeln können, sie geachtet werden und das Ge-
schlechterverhältnis von gegenseitigem Respekt und Fürsorglichkeit geprägt ist (pro-
familia 2003: 5).

Die Definition der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – in Ab-


stimmung mit den Bundesländern – schafft mit der Definition von dem Begriff „Se-
xualität“ die verbindliche Grundlage für die sexualpädagogische Arbeit in den unter-
schiedlichen Bundesländern (profamilia 2016: 5):

„Sexualität ist ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen und ein zentraler Be-
standteil seiner Identität und Persönlichkeitsentwicklung. Sexualität umfasst sowohl
biologische als auch psychosoziale und emotionale Dimensionen. Die Ausgestaltung
von Sexualität deckt ein breites Spektrum von positiven Aspekten ab, wie beispiels-
weise Zärtlichkeit, Geborgenheit, Lustempfinden und Befriedigung. Menschen leben
und erleben Sexualität unterschiedlich, je nach Lebensalter und -umständen“ (BZgA
2016: 5). 8

Auf die Sexualaufklärung, als zentraler Bestandteil der Sexualpädagogik, soll im Fol-
genden genauer eingegangen werden.

7
Die repressive Sexualpädagogik war vor allem im 19. Jahrhundert vorherrschend und versuchte Angst
vor Sex zu erschaffen und die bestehenden Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten. Vor allem Frauen
wurden durch dieses Konzept unterdrückt, was wiederum mit der angsterzeugenden Charakterisierung
der weiblichen Sexualität zusammenhing (De Nuys-Henkelmann 1990: 140).
8
Die WHO Definition zu Beginn, betrachtet Sexualität umfassender und geht auf mehr Aspekte ein.
Hier wird die Definition der BZgA angeführt, da diese veranschaulicht, auf welcher Grundlage sexual-
pädagogisch gearbeitet wird.

21
6.1 Sexualaufklärung
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) betont, dass Sexualauf-
klärung sich nicht auf die bloße Wissensvermittlung über biologische Vorgänge wie
Zeugung und Schwangerschaft beschränkt, sondern neben sachlichen Informationen,
auch die Beziehungen zwischen Menschen thematisiert. Damit sind Liebe, Freund-
schaft und Emotionalität ebenso Bestandteil einer ganzheitlich orientierten Aufklä-
rungsarbeit (BZgA 2019). Die Sexualaufklärung nach §1 SchKG9 (Schwangerschafts-
konfliktgesetz) orientiert sich an der im Gesetz beschriebenen Zweckbestimmung der
gesundheitlichen Vorsorge und der Vermeidung/Lösung von Schwangerschaftskon-
flikten. Sie hat zum Hauptziel, die Bevölkerung und spezifische Zielgruppen zu einem
eigen- wie auch partnerverantwortlichen und gesundheitsförderlichen Umgang mit Se-
xualität in einem ganzheitlichen Sinne zu befähigen (BZgA 2016: 9). Dabei betont die
BZgA, dass eine einseitige thematische Ausrichtung auf Schwangerschaft und
Schwangerschaftskonfliktvermeidung nicht ihrem sexualpädagogischen Konzept ent-
spricht. Das Thema „Sexualität“ wird in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit durch
die BZgA entsprechend breit behandelt und es werden Materialien und sinnvolle An-
regungen für die Sexualaufklärung zur Verfügung gestellt (Etschenberg 2012: 2).

Das Ziel der Sexualaufklärung ist, zu Toleranz, Offenheit, Respekt und Achtung vor
der Vielfalt und Verschiedenheit der Geschlechter beizutragen, sowie das Bewusstsein
für sexuelle Identität und Geschlechterrollen zu stärken. Ebenso soll sie die Fähigkeit
fördern, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken, Sexualität lustvoll zu erfahren und
die sexuelle und geschlechtliche Identität auszubilden (BZgA und WHO 2011: 31).

Eine ganzheitliche Sexualaufklärung basiert darauf, dass diese altersgerecht hinsicht-


lich Entwicklungs- und Wissensstand der jungen Menschen gestaltet wird und dabei
die kulturellen, sozialen und geschlechtsspezifischen10 Gegebenheiten berücksichtigt.
Außerdem basiert sie auf einem Ansatz der sich an (sexuellen und reproduktiven)
Menschenrechten orientiert und einem ganzheitlichen Konzept des Wohlbefindens,
das auch die Gesundheit einschließt. Die Sexualaufklärung orientiert sich eindeutig an

9
§1 Abs. 1 SchKG besagt wörtlich: „Die für gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung
zuständige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erstellt unter Beteiligung der Länder und in
Zusammenarbeit mit Vertretern der Familienberatungseinrichtungen aller Träger zum Zwecke der ge-
sundheitlichen Vorsorge und der Vermeidung und Lösung von Schwangerschaftskonflikten Konzepte
zur Sexualaufklärung, jeweils abgestimmt auf die verschiedenen Alters- und Personengruppen.
10
Geschlecht ist hier auf das soziale Geschlecht (Gender) bezogen.

22
der Gleichstellung der Geschlechter, an Selbstbestimmung und Anerkennung der Viel-
falt und kann zu einer von Mitgefühl und Gerechtigkeit geprägten Gesellschaft beitra-
gen, indem sie Menschen und Gemeinschaften zu einem respektvollen Umgang mit-
einander befähigt. Die Sexualaufklärung beginnt mit der Geburt11 und basiert auf wis-
senschaftlich korrekten Informationen (ebd.: 31).

Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte fordern eine Anpassung der Sexu-
alaufklärung. Zu diesen Entwicklungen zählen die Globalisierung, die Migration neuer
Bevölkerungsgruppen mit anderem kulturellen und religiösen Hintergrund, die rasche
Verbreitung neuer Medien, insbesondere von Internet und Handys, die Übertragung
von sexuell übertragbaren Krankheiten, die wachsende Besorgnis über sexuellen Miss-
brauch von Kindern und Jugendlichen, sowie die veränderte Einstellung zur Sexualität
und dem veränderten Sexualverhalten unter Jugendlichen. Aufgrund dessen werden
wirksame Strategien benötigt, die den Heranwachsenden einen sicheren und befriedi-
genden Umgang mit ihrer Sexualität ermöglicht (ebd.: 10).

Sexualaufklärung ist eine gesetzliche, wie auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,


die für jede Generation neu gewährleistet werden muss. Dabei nehmen unterschiedli-
che Instanzen diese Aufgabe auf unterschiedlichen Ebenen wahr. Dazu zählen die Kul-
tusministerien der Länder, die die Richtlinien für die Sexualaufklärung in den Schulen
erlassen, die Lehrer*innen, als aktive Kräfte der Sexualaufklärung von Kindern und
Jugendlichen, die Beratungsstellen, als Anlaufstellen bei Fragen in Richtung Familie,
Sexualität und Schwangerschaften, die Ärzt*innen, als Ansprechpartner*innen bei
medizinischen Fragen und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Durch
den umfassenden Austausch und Diskurs zum Thema Sexualaufklärung soll daraus ein
gemeinsam erarbeitetes Konzept und die Umsetzung resultieren (BZgA 2016: 6).

Daneben spielen auch die Eltern eine große Rolle, da sie in erster Linie die nächsten
Ansprechpartner*innen für die Kinder sind. Es bedarf hier unterschiedlicher Unter-
stützungsangebote, um die Eltern zu stärken, damit sie offen und vertrauensvoll mit
ihren Kindern über Sexualität sprechen können (ebd.: 6). Doch es ist festzustellen, dass

11
Damit ist gemeint, dass alle Menschen als sexuelle Wesen geboren werden und ihr sexuelles Potenzial
auf unterschiedliche Art und Weise entwickeln. Dabei ist es wichtig, dass Sexualaufklärung an die all-
gemeine Entwicklung des Kindes angepasst und den Phasen entsprechend vermittelt werden sollte
(BzGA und WHO 2010: 25).

23
die Aufklärung und Beratung hinsichtlich der Verhütung zu Hause immer mehr ab-
nimmt. Nach einer Studie der BZgA werden Kinder nur noch zu 51 bis 63 Prozent zu
Hause zu dem Thema beraten. Daher kommt der Schule heutzutage eine wichtige Auf-
klärungsrolle zu (Bigalke 2019).

Inwieweit die Schule diese Aufklärungsrolle wahrnimmt, soll im Folgenden näher be-
trachtet werden.

6.2 Sexualaufklärung in der Schule und kritische Betrachtung


Die Schule hat seit 1968 den staatlichen Auftrag der Sexualerziehung. Festlegungen
darüber erfolgen über die jeweiligen Schulgesetze bzw. über die eigenen Richtlinien
der Bundesländer (BZgA 2004: 11). Das Bundesverfassungsgericht hebt in einem Ur-
teil hervor, dass „Sexualaufklärung umfassend angelegt sein soll, um die verschiedens-
ten Alters- und Zielgruppen anzusprechen“ (BVERFG 1993, zitiert in BZgA 2004: 12).
Weiter heißt es, dass sie mehr sein muss als nur Wissensvermittlung über biologische
Vorgänge und die Technik der Verhütung, dass sie emotional ansprechend sein muss
und die vielfältigen Beziehungsaspekte, Lebensstile, Lebenssituationen und Wertehal-
tungen berücksichtigen muss. „[…] Um vielfältige und vielseitige personale Kommu-
nikation zu praktizieren, bedarf es qualifizierter Multiplikatoren in den Kontaktfeldern
der anzusprechenden Zielgruppen“ (ebd.: 12).

Der Rahmen für die schulische Sexualaufklärung wird von Schulgesetzen, Richtlinien,
Lehrplänen und Handreichungen der Bundesländer zur Sexualerziehung und Fami-
lien- bzw. Geschlechtserziehung vorgegeben. Daneben gelten die Vorgaben aus den
Lehrplänen für die verschiedenen Fächer (u. a. Biologie und Religion/Ethik), in wel-
chen menschliche Sexualität auf jeweils fachtypische Weise angesprochen werden soll
(Etschenberg 2012: 2).

Trotz dessen muss davon ausgegangen werden, dass Sexualaufklärung und -erziehung
in der Schule nicht immer nach den Richtlinien und oft nicht intensiv genug durchge-
führt wird. Dies wird durch Student*innen bestätigt, die von höchstens zwei Mal Se-
xualaufklärung im Unterricht während ihrer Schulzeit berichten oder Eltern, die immer
noch davon ausgehen, dass sie ihre Kinder von der Sexualerziehung in der Schule be-
freien lassen könnten (BZgA 2004: 12). Dazu gibt es die sogenannte „Besorgte Eltern“

24
Initiative, welche sich gegen eine Frühsexualisierung12 der Kinder einsetzt. Die Eltern
fordern einen Stopp zur Entmündigung der Eltern bei der Kindererziehung und Auf-
klärung, sowie zu der Genderbewegung13 (Speit 2015). Konkret wird das Propagieren
einer neuen Sexualmoral befürchtet, bei der alle Varianten der Sexualität als neue
Norm gelehrt und der heterosexuellen Ehe gleichgestellt würden (Spreckelsen 2015).
Diese Diskussion erfolgt nicht nur zwischen Schule und Eltern, sondern ist ein ver-
breitetes gesellschaftlich umstrittenes Thema. Wie aufgeladen das Thema ist, zeigt
sich zum Beispiel durch die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Buches über
Sexualaufklärung, von der Professorin Elisabeth Tuider. Sie bekam für das Buch „Se-
xualpädagogik der Vielfalt“ Morddrohungen und Poltiker*innen der AfD verurteilten
Tuider und bezeichneten sie als „pervers“ (Demling und Greiner 2014).

Passend zu dieser Diskussion definiert der Sozial- und Sexualpädagoge Sielert den
Begriff „Sexualpädagogik“ folgendermaßen: „Mit Sexualaufklärung oder Sexual-
kunde wird der Versuch bezeichnet, sich auf Fakten und Zusammenhänge zu allen
Themen menschlicher Sexualität zu konzentrieren und diese mehr oder weniger ziel-
gruppenorientiert zur Verfügung zu stellen. Inwiefern eine solche wertefreie Informa-
tionsvermittlung möglich und sinnvoll ist, wird aus verschiedenen wissenschaftstheo-
retischen Positionen heraus unterschiedlich bewertet“ (Sielert 2005, zitiert in Sielert
2011).

Auch zwischen den unterschiedlichen Bundesländern gibt es keine einheitliche Rege-


lung. In jedem Bundesland gibt es unterschiedliche Richtlinien zur Familie- und Ge-
schlechtererziehung in der Schule. Zum Beispiel in Baden-Württemberg verweist das
Landesrecht auf den Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz, nach welchem Pflege und Erzie-
hung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende
Pflicht ist. Den Schulen kommt, begründet durch das Grundgesetz, Landesverfassung
und Schulgesetz, der Erziehungs- und Bildungsauftrag zu, der auch die Familien- und
Geschlechtererziehung umfasst. Der deutsche Rechtsstaat darf nach Artikel 7 Absatz

12
Mit Frühsexualisierung ist gemeint, dass Kinder und Jugendliche durch die Beschäftigung mit Sexu-
alität, sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Schulunterricht überfordert werden. Sie würden in ihrer
sexuellen und geschlechtlichen Identität verunsichert und könnten homosexuell oder trans* gemacht
werden (Dissen o.J.).
13
Die Genderbewegung hält eine freie und gerechte Gesellschaft nur dann für möglich, wenn zuvor der
Mensch von der Zwangskategorie „Mann“ und „Frau“ befreit wird. Sie halten das Geschlecht und das
soziale Geschlecht (Gender) für sozial konstruiert (Vonholdt 2015).

25
1 Grundgesetz, eigene Erziehungsziele verfolgen. Außerdem heißt es nach dem Bun-
desverfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 1977 zur Begründung der Sexual-
erziehung an Schulen: „Die Sexualität weist bekanntlich vielfache gesellschaftliche
Bezüge auf. Sexualverhalten ist ein mächtiger Teil des Allgemeinverhaltens. Deshalb
kann es dem Staat auch nicht verwehrt sein, Sexualerziehung als wichtigen Bestandteil
der Allgemeinerziehung von jungen Menschen auf seinem Staatsgebiet zu betrachten“
BVERFG 1993, zitiert in Bigalke 2018). Daneben wird auf den §100 b Schulgesetz
(SchG) verwiesen, wonach die Schulen den ausdrücklichen Auftrag zur Familien- und
Geschlechtererziehung erhalten. Eltern sind dabei nach dem §56 SchG rechtzeitig und
umfassend über Ziel, Inhalt, Form und Zeitpunkt der Geschlechtserziehung zu infor-
mieren. Sie sind befugt Wünsche einzubringen, damit die Familien- und Geschlech-
tererziehung im Elternhaus und in der Schule weitgehend abgestimmt werden kann.
Dennoch hat die Schule letztendlich das letzte Wort. Das Bundesverwaltungsgericht
hat 2014 geurteilt, eine Befreiung von einzelnen Unterrichtseinheiten komme nur bei
einer besonders gravierenden Beeinträchtigung des elterlichen Erziehungsrechts in-
frage (BVERWG 2012, zitiert in Rux 2017). Eine derartige Beeinträchtigung ist bei ei-
ner angemessenen Ausgestaltung der Geschlechtserziehung nicht anzunehmen (Rux
2017).

Es ist nicht fragwürdig, dass aufgrund der Spannungen zwischen Eltern, Öffentlichkeit
und Schulen, die Lehrkräfte unter Druck geraten. Die Sexualaufklärung stellt für die
Lehrer*innen eine besondere Herausforderung dar, in der sie nicht umhinkommen,
sich mit psychosexuellen Entwicklungsprozessen, gesellschaftlichen und sozialen Ge-
gebenheiten auseinanderzusetzen, sowie mit ihren eigenen Vorstellungen von Sexua-
lität und Rollenerwartungen, um die Schüler*innen in ihren Lebenswelten begleiten
zu können (Martin 2017: 163). Vor allem in der Pubertät rückt Wissenserwerb in den
Hintergrund, da viele körperliche und psychische Prozesse in den Jugendlichen statt-
finden, die das Interesse und die Aufmerksamkeit der Jugendlichen binden. Es ist der
Auftrag der Schulen die Schüler*innen in dieser Phase zu unterstützen und dabei em-
pathisch und reflektiert vorzugehen. Doch viele Lehrer*innen sind sich unsicher und
haben Zweifel, was alles angesprochen werden kann (ebd.: 163). In diesem Zusam-
menhang ist es kritisch zu sehen, dass in der Regel „entsprechende Angebote mit se-
xualitätsbezogenen Inhalten in den Grundqualifikationen zu erzieherischen, lehrenden
und pädagogischen Berufen und in den entsprechenden Studiengängen fehlen“ (ebd.:

26
165). Die fehlende Ausbildung in diesem Themenbereich führt dazu, dass die Praxis
den Vorgaben und erzieherischen Erfordernissen nur unzureichend gerecht werden
kann (Sielert 2011).

Obwohl die Sexualaufklärung seit 1968 im Auftrag der Schule liegt, ist sehr wenig
über die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, Richtlinien und Lehrpläne bekannt
und es gibt keine umfassende Grundlagenforschung zu der Frage, in welchem Umfang
Sexualerziehung durchgeführt wird (ebd.).

Ein weiterer Mangel in der Sexualaufklärung in den Schulen, ist die Arbeit mit Ex-
pert*innen, wie Sexualpädagog*innen von Pro Familia. Es ist bekannt, dass körper-
nahe Themen besser mit Externen angesprochen werden können, als mit den bewer-
tenden Lehrkräften, die die Schüler*innen täglich im Schulalltag sehen (Martin 2017:
170). Zum einen wird bereits an vielen Schulen mit Expert*innen zusammengearbei-
tet, zum anderen wiederum gibt es auch noch viele Schulen, welche die Sexualaufklä-
rung immer noch auf den Biologieunterricht begrenzen (Vltzthum 2014) und der Fo-
kus auf Themen wie etwa ungeplante Schwangerschaften und sexuell übertragbare In-
fektionen liegt. Dieser negative Fokus wird von den Kindern und Jugendlichen oft als
bedrohlich wahrgenommen. Außerdem entspricht er nicht ihrem Informations- und
Wissensbedarf und hat außerdem meist nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun (BZgA
und WHO 2011: 10). In den Schulen wird zudem meist vermittelt, dass der vaginale
Geschlechtsverkehr der „richtige“ Sex wäre. Der Fokus wird hauptsächlich auf die
Penetration gelegt. Die weiblichen Organe werden bei der Sexualaufklärung meist als
Fortpflanzungsorgane behandelt und Aspekte, wie der Aufbau der Klitoris, das
Schwellgewebe und die Funktionen bzw. Reaktionen, werden übergangen (Bocken-
heimer 2017).

6.3 Einstellungen, Verhaltensweisen und Erfahrungen von Jugendlichen


(mit Fokus auf den Mädchen/jungen Frauen) in Bezug auf Sexualität und
Aufklärung
Aus der „Jugendsexualität 2014/2015“ Studie14 ging hervor, dass die Einstellung zur
eigenen Körperlichkeit sich nach Geschlecht unterscheidet. Während nur jeder Fünfte
der Jungen/jungen Männer Mängel an seinem Aussehen empfindet, empfindet sich ein
Viertel der 14- bis 17-jährigen Mädchen/jungen Frauen als „zu dick“ und umgekehrt

14
Hier wird sich auf Ergebnisse der Studie bezogen, die als relevant für das Thema betrachtet werden.

27
bezeichnen sich nur sehr wenige als „zu dünn“. Diese Einstellung steigt in höherem
Alter: von den 18- bis 25-jährigen Frauen bezeichnen sich sogar 30 Prozent als „zu
dick“ (BZgA 2016: 7).

Ein weiteres erschreckendes Ergebnis ist die hohe Zahl der 14- bis 25-jährigen Mäd-
chen/jungen Frauen, die sich bereits gegen unerwünschte sexuelle Annäherungen weh-
ren mussten: eins/eine von fünf Mädchen/jungen Frauen ist hier betroffen, teilweise
sogar mehrfach (ebd.: 9).

Der Studie zufolge fühlen sich die meisten der 14- bis 17-Jährigen für ausreichend
aufgeklärt. Die Mädchen, deutscher Herkunft, fühlen sich mit 85 Prozent und Mäd-
chen mit Migrationshintergrund fühlen sich mit 75 Prozent aufgeklärt. Das Thema
„Schwangerschaft und Geburt“ wird von den Mädchen, als noch nicht ausreichend
behandelt bewertet. Es besteht hier, wie schon 1980, Wissensbedarf. Das Thema Ver-
hütung zählt zu den sechs meistgenannten von 17 Themen, zu denen Jugendliche sich
noch nicht ausreichend informiert fühlen. Zu diesem Thema haben immer noch jedes
dritte Mädchen zwischen 14 bis 17 Jahren Informationsbedarf. Bei Mädchen mit Mig-
rationshintergrund sind es sogar 40 Prozent. Zu dem Thema Geschlechtskrankheiten
und sexuelle Praktiken würden drei von zehn Jugendlichen gerne mehr erfahren. Unter
den Mädchen erreichen außerdem die Themen Schwangerschaft/Geburt, Schwanger-
schaftsabbruch und sexualisierte Gewalt diese Größenordnung (ebd.: 6,7).

Ein kontinuierlicher Zuwachs bei der Nutzung von Verhütungsmitteln ist bei den Ju-
gendlichen zu verzeichnen, wobei Mädchen/junge Frauen immer schon und auch heute
noch gewissenhafter mit der Verhütungsfrage umgehen (ebd.: 11).

Es ist festzustellen, dass die Wissensvermittlung über anatomische Gegebenheiten


bzw. biologische Vorgänge, neben der Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten
sowie der Schwangerschaftsabbrüche (belegen Plätze drei und vier in der Häufigkeits-
anordnung), Vorrang in der schulischen Sexualaufklärung haben. Themen wie Selbst-
befriedigung, Beschneidung von Männern, Pornografie und Prostitution werden selten
angesprochen im Schulunterricht (ebd.: 37).

In der Literatur lässt sich an vielen Stellen finden, dass die Schüler*innen sich zwar
theoretisch aufgeklärt zeigen, in der Praxis jedoch Wissenslücken aufweisen. Bei-
spielsweise stellen Pädagog*innen von Pro Familia immer wieder fest, dass unter Ju-
gendlichen das Wissen über Kondome verbreitet ist, sie jedoch in der Praxis oft nicht

28
wissen, wie damit richtig umzugehen ist. Marita Völker-Albert vom BZgA meint, dass
neben Tripper und Syphilis sehr wenig über die anderen sexuell übertragbaren Krank-
heiten bekannt ist (Focus Online 2014).

Zu verzeichnen ist eine wachsende Zahl der Neuinfektionen mit sexuell übertragbaren
Krankheiten (außer HIV und Aids (Robert Koch-Institut 2019: 485)). Dem Bericht des
Europäischen Zentrums für Krankheitsprävention und -kontrolle zufolge, ist die Zahl
der Syphilis-Infektionen stark angestiegen (ECDC 2017: 2). Auch Krankheiten, wie
Chlamydien oder Humane Papillomviren (HPV), sind vor allem bei jungen Frauen und
Männern weit verbreitet (Bundesministerium für Gesundheit 2016: 3).

Auch in der Zeitschrift „Gynäkologische Endokrinologie15“ wird bestätigt, dass viele


Jugendliche merkliche Wissenslücken aufweisen. Mythen sind bei Themen wie Ver-
hütung und Sexualität immer noch weit verbreitet. Beispielsweise wenn es um den
Zyklus und Fruchtbarkeit geht, Nebenwirkungen der Pille (z. B. Gewichtszunahme)
oder Schmerzen beim ersten Geschlechtsverkehr. (Schütz und Spahni 2017: 185, 186).
Auch weit verbreitet ist die Annahme, dass es sich beim Jungfernhäutchen, dem soge-
nannten Hymen, um ein Häutchen handelt, das nach dem ersten Geschlechtsverkehr
zerstört wird. Dabei ist es ein Saum, der den Scheideneingang umgibt. Manche Mäd-
chen werden ohne geboren, manche haben trotz sexueller Kontakte ein intaktes Hymen
und bei anderen kommt es beim ersten vaginalen Geschlechtsverkehr zu einer Verlet-
zung (Streit 2009: 22).

Zwar haben die breitere sexualpädagogische Praxis in den Regelschulen, die Aufklä-
rungskampagnen und auch der breite Zugang zu Informationen über das Internet, die
sexuellen Kompetenzen der Jugendlichen gestärkt, dennoch bedarf der Transfer auf
die Handlungsebene individueller Förderung (Schütz und Spahni 2017: 185, 186).

Dies kann auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass die Sexualaufklärung in der
Schule sich, wie bereits erwähnt, größtenteils nur auf die Körperaspekte eingeht, nicht
fächerübergreifend behandelt wird und in der Schullaufbahn generell viel zu kurz
kommt. Dies bestätigt auch der Sprecher des Landesschülerausschusses Berlin, Franz
Kloth. Er bemängelt, dass es große Defizite vor allem durch den Unterrichtsausfall

15
Die Zeitschrift „Gynäkologische Endokrinologie“ bietet Übersichtsarbeiten zu einem aktuellen
Schwerpunktthema, wobei im Mittelpunkt gesichertes Wissen zu Diagnostik und Therapie mit hoher
Relevanz für die tägliche Arbeit für alle Frauenärzt*innen geliefert wird (Springer Medizin o.J.).

29
gibt, wodurch der Sexualunterricht leiden würde. Die Aufklärung an sich würde sich
außerdem größtenteils auf die Fortpflanzung beziehen und nicht auf den „richtigen
Lebensaspekt“ eingehen (Kloth, zitiert in Bigalke 2019).

Daraus resultiert die Forderung nach einem positiveren Ansatz, der nicht nur wirksam,
sondern auch realitätsnäher ist. Demnach soll der präventive Ansatz mit dem An-
spruch, Jugendliche relevante, nützliche, akzeptable und attraktive Angebote zu ma-
chen, vereint werden (BZgA und WHO 2011: 10).

6.4 Geschlechtersensible Sexualpädagogik


Die Sexualaufklärung im Sinne der geschlechtersensiblen Sexualpädagogik stellt so
einen positiven Ansatz dar. In ihr wird nach dem Grundsatz gearbeitet, für Zuschrei-
bungen, Einschränkungen und Benachteiligungen zu sensibilisieren, ohne die Bedeu-
tung von Geschlecht für die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen zu
leugnen. Dabei wird nach dem gesetzlichen Anspruch aus §9 Absatz 3 SGB VIII, „die
unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benach-
teiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu för-
dern“, gearbeitet (Verein für geschlechtersensible Sozialarbeit 2019).

Bei der geschlechtersensiblen Sexualpädagogik wird eine Vermeidung einer Verfesti-


gung von Geschlechterrollen und die Hinterfragung bestehender Gesellschaftsverhält-
nisse angestrebt. Die Schule stellt dabei einen geeigneten Ort dar, um sexuelle Bildung
für alle Schüler*innen anzubieten und kreative Lösungen für eine geschlechtersensible
und sexuelle Vielfalt fördernde Kultur voranzubringen (Müller 2017: 171). Hier müs-
sen vor allem in Bezug auf Vermittlung von sexualitäts- und körperbezogenen The-
men, geschlechtersensible Konzepte entwickelt werden, in denen die Konstruktion von
eben diesen einschränkenden Geschlechterrollen vermieden wird, die nicht „entindi-
vidualisierend“ wirken und in denen Diskriminierung nicht gefördert werden kann
(ebd.: 168).

Wie bereits in Kapitel vier „Geschlechter- und Sozialisationsforschung zur Produktion


und Reproduktion von Geschlecht und der einhergehenden Kategorisierung“ darge-
stellt wurde, ist es immer unklarer und ungewisser geworden, was reine geschlechts-
spezifische Eigenschaften und Verhaltensweisen sein könnten. Erst durch die Soziali-
sation lernen sich die Personen einem Geschlecht zugehörig zu fühlen. Daher wird von

30
vielen Seiten gefordert auch die Sexualaufklärung unabhängig vom Geschlecht zu ma-
chen, da die Frage, was die beiden Geschlechter gemeinsam haben, was sie unterschei-
det und wie weibliche bzw. männliche Geschlechtsidentität aussehen kann, unter der
Berücksichtigung von Individualität und Vielfalt nicht beantwortet werden kann. Den-
noch kann in der Planung von Sexualaufklärung nicht ignoriert werden, dass die Ge-
schlechteridentitäten gesellschaftlich und kulturell geprägt sind (Martin 2017: 169)
und demnach sollte sensibel das Angebot an die vorherrschenden Verhältnisse ange-
passt werden. Durch die historisch geprägte, schwierige Verbindung von Sexualität
und Geschlechtsidentität muss sexualitätsbezogenes Lernen einen sicheren Ort bieten,
an dem traditionelle, moderne und postmoderne Werte, Normen und Lebensvorstel-
lungen und –entwürfe einen Platz finden (ebd.: 169).

Es hat sich aus der Praxis bewiesen, dass es auf die Themen ankommt, ob bevorzugt
in geschlechtshomogenen oder geschlechtsgetrennten Gruppen gearbeitet wird. Da das
Thema Sexualität sehr facettenreich ist, gibt es eine Vielzahl von Themen die in ge-
schlechtshomogenen Gruppen besprochen werden können. Bei den größtenteils kör-
perbezogenen Themen wie zum Beispiel Hygiene, Selbstbefriedigung, körperliche
Vorgänge, Jungfernhäutchen, Beschneidung, Konsum von Pornografie etc. hat sich
gezeigt, dass dort lieber getrennte Gruppen bevorzugt werden. Bei den Themen haben
Mädchen und Jungen einen unterschiedlichen Zugang und damit einen anderen Ge-
sprächs- und Aufklärungsbedarf (ebd.: 170). Speziell auf die Mädchen bezogen, be-
deutet das, dass durch den anderen Sozialisationsprozess, die vielen medialen Vorbil-
der und gesellschaftlichen Ansprüche, sie vermehrt Probleme mit ihrem eigenen Kör-
per haben, Selbstbefriedigung und weibliche Lust mehr mit einem Tabu belegt sind,
als dies bei den Jungen der Fall ist (ebd.: 170). Auch durch die interkulturelle Beset-
zung der Gruppen erfahren geschlechtergetrennte Gruppen eine zusätzliche Bedeu-
tung. Beispielsweise ist es islamischen Mädchen grundsätzlich untersagt, vor Jungen
über Sexualität zu sprechen (profamilia 2011). Insofern erschließt sich, dass auch ge-
schlechtsbezogene Angebote im Rahmen der Sexualaufklärung nötig sind.

Im Folgenden soll speziell auf die sexualpädagogische Mädchenarbeit eingegangen


werden. Mädchenarbeit ist immer noch sehr gefragt, in einer Gesellschaft, in der im-
mer noch unbewusste verinnerlichte Geschlechterrollen vorherrschend sind und
Frauen und Mädchen in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Postmoderne,

31
zwischen Familie, Emanzipation, Religion und kultureller Zugehörigkeit aufwachsen
und ihren Weg finden sollen (Fachstelle Mädchenarbeit Saarland o.J.).

6.5 (Sexualpädagogische) Mädchenarbeit


Die zeitgemäße sexualpädagogische Mädchenarbeit ist einem stetigen Wandel ausge-
setzt. Zuerst zur Entwicklung der sexualpädagogischen Mädchenarbeit:

Durch die sexuelle Revolution Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, begann die
emanzipatorische Sexualerziehung, die insbesondere ein Ziel vor Augen hatte: Durch
die Befreiung und Überwindung von gesellschaftlichen und sexuellen Zwängen, soll-
ten die Menschen zu einer selbstbestimmten Sexualität erzogen werden. Die am An-
fang der 80er Jahre entstandene Bedrohung durch den HI-Virus und AIDS verhalf der
Sexualerziehung zu einem Wandel, woraus die Sexualpädagogik entstand (Bültmann
2008: 315).

Mitte der 80er Jahre, nach der Phase der Abgrenzung gegenüber den traditionellen
Mustern (patriarchalischer) Heterosexualität, öffnete sich die Frauenbewegung für
eine Diskussion über die lustvollen und positiven Seiten von Sexualität. Themen wie
Orgasmus, Selbstbefriedigung, sexuelle Phantasien/Praktiken etc. wurden immer mehr
unter dem Blickwinkel des Entdeckens und Realisierens von den Bedürfnissen und
Wünschen von Frauen behandelt. Die Mädchenarbeit hatte ihren Ursprung in der
„Neuen Deutschen Frauenbewegung“ und orientierte sich an deren Dogmen. In dieser
ersten Phase wurden Mädchen und Frauen als Opfer einer patriarchalen Gesellschaft
gesehen, die gegenüber Jungen und Männern Defizite besaßen (ebd.: 315). Durch die
feministische Mädchen- und Frauenarbeit sollten diese ausgeglichen werden. Die se-
xualpädagogische Arbeit wurde häufig reduziert auf die Themen wie Körperaufklä-
rung, Menstruation, sexuelle Gewalt, Verhütung und geschlechtsspezifisches Rollen-
verhalten. Es galt die Mädchen und jungen Frauen für die Benachteiligung und Dis-
kriminierung zu sensibilisieren (ebd.: 10)

Im Neuen Jahrhundert hatte sich die Haltung der Pädagog*innen in vielerlei Hinsicht
grundlegend verändert. Die Mädchen und Frauen werden nun nicht mehr als Opfer
oder defizitäre Wesen betrachtet, sondern vielmehr als eigenständige Persönlichkeiten
mit Stärken und Schwächen, die Unterstützung und Begleitung benötigen, um ihren
selbstbestimmten Weg – auch bezüglich ihrer sexuellen Identitätsentwicklung – zu

32
finden. Ziel ist es die Mädchen in ihrer psychosexuellen Entwicklung und in ihrer Rol-
lenfindung zu fördern und dabei individuell zu begleiten. Demnach hat sich auch die
Themenbehandlung verändert - es werden nun mehr Themen wie Selbstbehauptung,
sexuelle Lust, Weiblichkeit und Körperlichkeit, die Stärke weiblicher Sexualität, die
Lust, ein Mädchen zu sein etc. behandelt. Anhand der Themen lässt sich folgern, dass
das Konzept sich stark in Ausrichtung der Bedürfnisse der Mädchen, sowie den ver-
änderten gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen an die Frauenrolle orien-
tiert (ebd.: 10, 11). Doch ist es eine langwierige und komplexe Herausforderung, dass
die Mädchen selbstbestimmte Haltungen in Bezug auf ihren Körper, in dem Erleben
ihrer Sexualität und ihrer weiblichen Identität entwickeln. Es ist ein ständiges Wech-
selspiel zwischen der Reflexion und dem Hinterfragen gesellschaftlicher Werte und
Normen. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass die Mädchen einen freien und neut-
ralen Raum haben, um eigene Wünsche und Vorstellungen äußern und entwickeln zu
können. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die beteiligten Fachkräfte ihre
eigenen biographischen Entwicklungen reflektieren (Arbeitskreis Mädchenpolitik
Bremen 2014: 25).

In der Arbeit wird sich an den Bedürfnissen der Mädchen orientiert, es wird ihnen mit
Achtung und Würde an die Seite getreten und ihnen die Möglichkeiten und Rechte an
(auch sexueller) Individualität geöffnet. Jede Person hat das Recht, die eigene Sexua-
lität, sexuelle Orientierung und Lebensweise zu wählen, sofern dadurch nicht andere
in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden. Grundlage dafür ist die Anerkennung
der Grundrechte auf die freie Entfaltung (Art. 2 GG) und die Achtung der Menschen-
würde (Art. 1 GG). Seit der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 werden die
sexuelle Selbstbestimmung und das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit
in diese Grundrechte miteingeschlossen (Gerdes, Kick und König 2014: 47).

Die sexualpädagogischen Angebote für Mädchen finden statt in Mädchen- und Frau-
enprojekte, in kommunalen Jugendeinrichtungen, in Jugendverbänden und in Bera-
tungsstellen, allen voran Pro Familia und den Beratungsstellen gegen sexualisierte Ge-
walt. Diese Angebote finden in Form von Projektwochen, Einzelberatungen, Gruppen-
abenden, Schulprojekten, Mädchentreffs etc. statt. Die sexualpädagogische Mädchen-
arbeit ist nicht an klassische Gruppenarbeit gebunden und hat ihren Platz im Alltag
einer pädagogischen Einrichtung (Bültmann 2008: 316).

33
Während sich früher die Mädchenarbeit mehrheitlich an deutsche Mädchen richtete,
sind die heutigen Angebote vielfältiger und interkultureller geworden. Basierend auf
der Erfahrung, dass der niederschwellige Zugang ermöglicht, Themen zu erarbeiten,
die die Lebenswelt von Mädchen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund aus-
macht und die Vielfalt von Geschlechtern und Lebensformen jenseits der heteronor-
mativen Lebensentwürfen akzeptiert (Bonert 2016: 3).

Seit dem Jahr 2000 wurden auch immer mehr Mädchen mit Behinderungen ins Blick-
feld genommen. Dazu sind viele einzelne Maßnahmen, aber auch Projekte und Initia-
tiven entstanden, die sich speziell an Mädchen mit den unterschiedlichsten Beeinträch-
tigungen richtet. Durch die unterschiedlichen Bedürfnisse und die Vielfalt der indivi-
duellen Lebenssituationen werden sehr differenzierte didaktische Ansätze und Metho-
den benötigt. Dringend ist die Qualifizierung von Multiplikatorinnen16, die Erarbei-
tung geeigneter Praxismaterialien und die Einbeziehung des gesamten Lebenskontex-
tes der Mädchen (die Mädchen selbst, die Eltern, die Lehrer*innen und die Multipli-
kator*innen der Behinderten- und Jugendarbeit). Ebenso sind sexualpädagogische Ma-
terialien in leicht verständlicher Sprache nötig (Bültmann 2008: 318). Theoretisch
wurde die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zwar enttabui-
siert, dennoch ist in der Praxis immer noch unklar, wie die Forderung umgesetzt wer-
den kann (isp o.J.).

Mädchenarbeit sprach lange Mädchen an, ohne ihre Zielgruppe definieren zu müssen.
Das hat sich geändert, aufgrund der Anerkennung, dass Menschen in Bezug auf ihre
geschlechtliche und sexuelle Identität unterschiedlich sind. Dabei entsprechen viele
Menschen nicht den institutionalisierten Normen der heterosexuellen Zweigeschlecht-
lichkeit. Somit soll Mädchenarbeit alle Mädchen ansprechen, die Mädchen sein wol-
len, und auch Mädchen, die Mädchen sein sollen, aber es gar nicht oder nur teilweise
wollen. Sie bietet einen Rahmen für die Themen und Anforderungen, die sich für die
Mädchen aus diesem Zusammenhang ergeben. Darüber hinaus besteht das Ziel, dieje-
nigen zu unterstützen, die aufgrund von normativen weiblichen Rollenzuweisungen

16
Multiplikator*in: Person, die Wissen oder Information weitergibt und zu deren Verbreitung, Verviel-
fältigung beiträgt (Duden o.J.)

34
Gewalt und Repression erleben und es werden auch die Personen in den Blick genom-
men, die Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind, weil sie im Widerspruch zum
zugeschriebenen Geschlecht stehen (Arbeitskreis Mädchenpolitik Bremen 2014: 10).

Vor allem aufgrund der immer noch bestehenden Ungleichverhältnissen zwischen den
Geschlechtern, ist (sexualpädagogische) Mädchenarbeit nach wie vor wichtig. Dies
obwohl in den Medien heutzutage oft die Botschaft gefunden wird, dass die Gleichbe-
rechtigung bereits erreicht wäre. In diesem Zusammenhang ist der sogenannte Alpha-
mädchendiskurs zu nennen, welcher eine vorzufindende Einstimmigkeit in den Me-
dien findet. Dieser betont immer wieder, dass Mädchen die Jungen in der schulischen
Bildung weit überholt haben und sie die sozialen Kompetenzen mitbringen, die heute
im Beruf verstärkt gefragt sind (Wallner 2014: 44). Dabei wird bewusst übergangen,
dass Mädchen zwar vergleichsweise bessere schulische Abschlüsse machen, diese
aber oft nicht umsetzen können in der Arbeitswelt, die immer noch stark von Ge-
schlechterrollenzuweisungen geprägt ist (Arbeitskreis Mädchenpolitik Bremen 2014:
17). Die transportierten Botschaften sind hochwirksam und kommen auch bei den
Mädchen an. Sie vermitteln, dass es keine Ungerechtigkeiten mit sich bringe, ob Junge
oder Mädchen (Wallner 2014: 45). Dabei werden Benachteiligung und Chancenun-
gleichheit des sozialen Geschlechts – sowie anderer gesellschaftlicher Platzanweiser
und struktureller Bedingungen – entpolitisiert und individuell zugeschrieben. Das be-
deutet, dass soziale Probleme als persönlich bedingte oder individuelle Probleme ge-
deutet werden. Damit wird der strukturelle Kontext der Ungleichheitserfahrungen un-
sichtbar gemacht. Individuelle Erfolge werden zum Maßstab des Möglichen für alle
gemacht und als Beweis für die Überwindung der Ungleichheit angesehen (Arbeits-
kreis Mädchenpolitik Bremen 2014:16). Der Gleichstellungsbericht vom BMSFJ
(2001), beispielsweise, belegt, dass es immer noch Ungleichheiten zwischen den Ge-
schlechtern gibt und zeigt auf, in welchen Bereichen diese aufzufinden sind. Solche
Berichte und andere Studien, wie die Shell-Studie, werden trotzdem oft übergangen
oder fehlinterpretiert. Demnach hat sich in der Shell-Studie gezeigt, dass die Antwor-
ten von Mädchen und Jungen sich sehr ähneln, auf die Frage, wie ihre Lebenswege
aussehen sollen. Obwohl dieses Ergebnis nur etwas über Vorstellungen und nicht über
die Lebensrealität aussagt, wird verbreitet, dass es eigentlich kaum noch Unterschiede
zwischen den Geschlechtern geben würde. In einer Gesellschaft in der nachweislich

35
Ungleichverhältnisse bestehen, diese aber übergangen werden, ist auf jeden Fall Mäd-
chenarbeit notwendig (Wallner 2014: 45).

Da in der heutigen Gesellschaft die Mädchen mit sehr widersprüchlichen Bildern kon-
frontiert werden und an sie unterschiedliche Erwartungen gestellt werden, denen sie
gar nicht allen entsprechen können, ist es grundlegend vor diesem Hintergrund den
Mädchen Entlastung zu ermöglichen. Der Hintergrund besteht aus dem gesellschaftli-
chen Eindruck, Mädchen sind die Bildungsgewinnerinnen, verfügen über soziale
Kompetenzen, sind flexibel, können Multitasking und haben ihre Gehirnhälften besser
vernetzt. Dabei sind sie stark, selbstbewusst, schlank, sexy, sexuell aktiv und aufge-
klärt, gut gebildet, familien- und berufsorientiert gleichzeitig, heterosexuell, weiblich,
selbstständig, aber auch anschmiegsam usw. (Stauber 1999, zitiert in Wallner 2013:
69). Dieses aktuelle gesellschaftliche Bild ist in sich widersprüchlich und deutlich
überfordernd, weil Mädchen die unterschiedlichsten Rollenanforderungen zu bewälti-
gen haben (Wallner 2013: 69). Um den Mädchen Entlastung zu bieten, sind in diesem
Zusammenhang Angebote zur Selbstwahrnehmung der Mädchen wichtig. Das bedeu-
tet ihnen zu helfen, sich zu orientieren, Grenzen setzen zu lernen, sich und das eigene
Leben zu reflektieren, Bedeutsamkeit zu erfahren, die sich nicht nur in Bezug auf Kör-
per und Schönheit realisiert, sondern sich auf ihre Person bezieht (ebd.: 50). In diesem
Kontext soll außerdem hinterfragt werden, welche Werte, Normen und Ideale Mäd-
chen in der Gesellschaft erleben und erlernen, wie sie diese Werte und Ideale auf sich
selbst beziehen und sich selbst entsprechend gestalten, inszenieren oder abgrenzen.
Bei Symptomen wie Essstörungen und selbstschädigendes Verhaltensweisen, sollten
sowohl die individuelle biographische Perspektive des Mädchens, sowie die gesell-
schaftlichen Normen und Erwartungen berücksichtigt werden. Bei dem Thema Körper
und dem Umgang mit dem eigenen Körper werden Anpassung und Widerstand gegen
gesellschaftliche Ansprüche ebenso ausgehandelt wie eigene innere psychische Kon-
flikte und Verunsicherungen (Mädchenarbeit Bremen 2014: 25). Vor allem in der Zeit
der medialen Überflutung mit sexuellen Bildern und Inhalten und der damit verbun-
denen „Anforderungen“ an die sexuellen Aktivitäten der Mädchen, ist es nicht ver-
wunderlich, dass besonders jüngere Mädchen über ein geringeres Selbstbewusstsein
verfügen und über weniger Strategien verfügen, um sich vor den möglichen negativen
sexuellen Erfahrungen zu schützen. Hier sollte die sexualpädagogische Mädchenarbeit
ansetzen, um die Mädchen in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken, ihnen Möglichkeiten

36
eröffnen, ihre Bedürfnisse unabhängig von der breiten Masse wahr- und ernst zu neh-
men und sie unterstützen, ihre Entscheidungen selbstständig zu treffen (Bültmann
2008: 319).

Da sexualisierte Gewalt immer noch sehr viele Mädchen und Frauen betrifft, ist die
Arbeit mit den Betroffenen und besonders die präventive Arbeit Schwerpunkt der se-
xualpädagogischen Mädchenarbeit geworden. Nach einer Studie zur Jugendsexualität
der BZgA, haben 13 Prozent aller Mädchen in irgendeiner Form sexualisierte Gewalt
erfahren müssen (ebd.: 319). Man geht davon aus, dass Mädchen etwa dreimal so häu-
fig betroffen sind wie Jungen (Mädchenarbeit Bremen 2014: 27). Bei dem gewaltprä-
ventiven Ansatz stehen die individuellen Ressourcen der Mädchen und jungen Frauen
im Mittelpunkt, um Mädchen vor sexuellen Übergriffen und sexualisierter Gewalt
nachhaltig zu schützen. Das Ziel ist, den Mädchen zu ermöglichen, Strategien des
Selbstschutzes in der realen wie auch in der virtuellen Welt zu entwickeln und zu er-
proben (Bültmann 2008: 319), sowie den Mädchen das Recht auf körperliche und see-
lische Unversehrtheit zu vermitteln (profamilia 2003: 8).

In der heutigen Mädchenarbeit ist die „Re-Politisierung“ von großer Bedeutsamkeit.


„Mädchenarbeit ist und bleibt auch Mädchenpolitik“. Daher ist es nötig sich auch an
öffentlichen Diskursen über Sexismus, Ausgrenzung von sozioökonomisch benachtei-
ligten Mädchen, an der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Zuschreibungen,
sexualisierte Gewalt, strukturelle Benachteiligung etc. zu beteiligen. Dabei soll den
Mädchen bewusstgemacht werden, wo ihre Spiel- und Handlungsspielräume sind und
wo sie strukturellen Barrieren begegnen. Außerdem ist es wichtig die Lebenslagen in
vielfältigen Mädchenwelten zu benennen, wie sie sind, um die Weiterentwicklung und
Positionierung der Mädchenarbeit zu gewährleisten (Wallner 2014: 50).

Mädchen brauchen nach wie vor die Mädchenarbeit, weil es weiterhin mädchenspezi-
fische Lebenslagen und Benachteiligungen gibt, weil gesellschaftliche Erwartungen
hohen Druck machen, weil Mädchen den Widerspruch zwischen gesellschaftlichen
Versprechen und Realität verstehen lernen müssen und weil Mädchen einen Anspruch
auf mädchengerechte Pädagogik haben (ebd.: 72). In der Forderung und Ausgestaltung
der Gleichberechtigung, müssen Mädchen die notwendigen Freiräume zugestanden
und ermöglicht werden. Denn durch die Eröffnung von Räumen, in denen der Zugang

37
zu beispielweise Körperwissen möglich gemacht wird, ist die Voraussetzung zur (se-
xuellen) Selbstbestimmung gegeben (Gerdes, Kick, König 2014: 49).

Aber Mädchenarbeit muss neue Zugangswege zu den Mädchen finden. Dabei muss
das Gefühl vieler Mädchen, gleichberechtigt zu sein, ernst genommen werden. Mit der
Mädchenarbeit wird Benachteiligtenförderung verbunden – das passt nicht zu dem
Gleichberechtigungsverständnis der Mädchen. Daneben müssen Konzepte der Ausdif-
ferenzierung weiblicher Lebenslagen angepasst werden. Das bedeutet, dass ermittelt
werden muss, in welchen Bereichen Mädchen benachteiligt sind, wo es konkrete und
verdeckte Barrieren für Mädchen gibt und mit welchen Problemen Mädchen zu kämp-
fen haben. Neben der Mädchenarbeit müssen Konzepte entwickelt werden, auch in den
koedukativen17 Angeboten, die mädchengerecht sind und auf ihre Bedürfnisse einge-
hen (Wallner 2014: 72).

17
Koedukation: gemeinsamer Unterricht für Mädchen und Jungen (Duden o.J.)

38
7 Qualitative Forschung
Aufgrund des Forschungsinteresses, welches die Forderung zur Offenheit des For-
schungsvorgehens voraussetzte, fiel die Wahl auf eine qualitative Forschungsstrategie.
Die qualitative Forschung interessiert sich nicht für repräsentative Stichproben, son-
dern für die subjektive Wirklichkeit von Menschen. Der Mensch ist nicht nur ein Un-
tersuchungsobjekt, sondern auch ein erkennendes Subjekt (Krell und Lamnek 2016:
44). Die qualitative Sozialforschung unterscheidet sich von der quantitativen dadurch,
dass sie komplexe Sachverhalte verstehen und nicht erklären will. Die wissenschaftli-
chen Ergebnisse werden aus den Aussagen der Interviewpartner*innen generiert und
auf der Grundlage theoretischer Konzepte analysiert (Ahlrichs 2012: 105).

7.1 Forschungsinteresse und Erhebungsmethode


Die Vorannahme, entstanden durch den vorhergehenden wissenschaftlichen Teil, dass
Mädchen und Frauen heutzutage noch nicht sexuell selbstbestimmt leben, sollte durch
die Forschung geprüft werden. Daneben sollte untersucht werden, wodurch Mädchen
und Frauen beeinflusst werden, warum sie noch nicht sexuell selbstbestimmt leben
und was dazu nötig ist, damit sie sexuelle Selbstbestimmung erlangen. Hier sollte ein
Fokus auf die Sexualpädagogik als Förderansatz gelegt werden, da dieser Bereich in
der Arbeit besondere Beachtung findet.

Aufgrund des spezifischen Forschungsinteresses wurde als Erhebungsmethode sich


für das qualitative Interview mit Expert*innen als Zielgruppe entschieden. Bei Ex-
pert*inneninterviews18 erfolgt eine Bezugnahme auf klar definierte Wirklichkeitsaus-
schnitte. Der*die Expert*in wird als Repräsentant*in einer Organisation oder Institu-
tion angesehen. Beim „Expert*in-Sein“ handelt es sich nicht um eine personelle Ei-
genschaft oder Fähigkeit, sondern um eine Zuschreibung seitens der forschenden Per-
son aufgrund des spezifischen Erkenntnisinteresses, die sich auf gesellschaftliche
Konventionen stützt (Bogner et al. 2014, zitiert in Krell und Lamnek 2016: 687).

Die Interviews wurden leitfadengestützt geführt. Die Leitfäden haben den Vorteil, dass
sie das Forschungsfeld strukturieren und ein konkretes Hilfsmittel in der Erhebungs-
situation darstellen (ebd.: 689). Durch den Interviewleitfaden ist der Ansatz immer

18
Der Fachbegriff ist „Experteninterviews“, da aber in dieser Arbeit ausschließlich Interviews mit
Frauen geführt wurden, macht es an dieser Stelle keinen Sinn den Begriff nicht zu gendern.

39
noch theoriegeleitet, aber dennoch offen, um neue Ansätze zu erforschen (Schuster
2011: 68).

7.2 Auswahl der Interviewpartnerinnen


Die Auswahl der Interviewpartnerinnen ist nach dem Prinzip des „theoretical Samp-
ling“ nach Glaser und Strauss erfolgt. Innerhalb der qualitativen Sozialforschung ver-
steht man unter diesem Begriff die Auswahl einer Datenquelle, eines Falles, einer
Stichprobe bzw. eines Ereignisses vor dem Hintergrund theoretischer Überlegungen.
Dabei geht es zentral um die Fragestellung, welche Fallauswahl für die Spezifizierung
von Konzepten im Rahmen einer zu entwickelnden Theorie am gewinnbringendsten
ist (Halbmayer und Salat 2011).
Für die zwei geplanten Interviews wurde gezielt nach Expert*innen gesucht, die in
Arbeitsfeldern arbeiten, in denen es um Themen wie Sexualität, Körper und Feminis-
mus geht. Daher wurde bei den Organisationen Pro Familia Stuttgart und Ludwigsburg
angefragt, sowie dem FF*GZ (feministisches Frauengesundheitszentrum) Stuttgart.
Auf die Anfrage meldeten sich Mitarbeiterinnen der Organisationen, die sich mit dem
Thema auskennen und sich bereit sahen ein Interview zu geben. Die erste Inter-
viewpartnerin arbeitet im Bereich der Sexualpädagogik und die zweite im Mädchen-
und Frauengesundheitsbereich.
7.3 Methodisches Vorgehen der Forschung
Nachdem sich für die Forschungsfrage und für das Expert*inneninterview als Methode
der Forschung entschieden wurde und die Interviewpartnerinnen feststanden, galt es,
sich angemessen vorzubereiten. Damit eingeschlossen sich darüber bewusst zu wer-
den, dass Forschung niemals vorurteilsfrei sein kann (Mayring 2008: 25). Dement-
sprechend ist es die Aufgabe der forschenden Person den Blickwinkel möglichst offen
zu halten. „Dem Subjekt muss mit größtmöglicher Offenheit gegenübergetreten wer-
den“ (ebd.: 24,25). Generell geht es bei der qualitativen Forschung nicht um das vor-
herige Aufstellen von Hypothesen und deren Überprüfung, wie es bei quantitativen
Forschung der Fall ist. Doch muss akzeptiert werden, dass jede Wahrnehmung nur
unter Rückbezug auf die eigenen Deutungsschemata Bedeutung gewinnt, also das Vor-
wissen unsere Wahrnehmungen unvermeidlich strukturiert und damit als Grundlage
jeder Forschung anzusehen ist (Meinefeld 2013: 271, 272). Dementsprechend bestand

40
bereits die Vorannahme und das Vorverständnis, aufgrund der Einarbeitung in die wis-
senschaftliche Literatur, dass Frauen und Mädchen heutzutage noch nicht sexuell
selbstbestimmt leben.

Als Auswertungsmethode wurde sich für die qualitative Inhaltsanalyse entschieden,


welche ihre Stärke in ihrem systematischen und regelgeleiteten Vorgehen hat (May-
ring 2010: 124). Dabei wird das methodische Vorgehen an den konkreten Gegenstand
angepasst. Es handelt sich somit um eine gegenstandsorientierte Analyse, die dennoch
methodisch abgesichert ist (ebd.: 123, 124). Im Zentrum der qualitativen Inhaltsana-
lyse steht die Entwicklung eines Kategoriensystems. Dieses dient wie ein „Suchraster“
dazu, aus der Fülle des Interviewmaterials diejenigen Aspekte herauszufiltern, die für
die Forschung relevant sind (Vogt und Werner 2014: 47, 48).

Als nächstes wurden deduktive Kategorien erstellt, auf der Grundlage des vorherge-
henden theoretischen Teils. Durch die Kategorien wird abgebildet, was im Interview
erfragt werden soll. Die deduktiven Kategorien sind einerseits wichtig für die Leitfa-
denerstellung, als auch für die spätere Auswertung des Interviews, wobei alle Textbe-
standteile, die durch die Kategorien angesprochen werden, dann aus dem gewonnenen
Interviewmaterial systematisch extrahiert werden (Mayring 2015: 97). Das Katego-
riensystem stellt das zentrale Instrument der Analyse dar und ermöglicht das Nach-
vollziehen der Analyse für andere (ebd.: 51).

Kategorie 1: Sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen

Unter diese Kategorie fallen alle Aussagen, die definieren, was nötig ist in einer Ge-
sellschaft, dass Frauen und Mädchen ein sexuell selbstbestimmtes Leben führen kön-
nen.

Kategorie 2: Die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen heutzu-


tage

Unter diese Kategorie fallen alle Textstellen, in denen angesprochen wird, ob Mädchen
und Frauen in der heutigen Zeit sexuell selbstbestimmt leben.

Kategorie 3: Einfluss von Medien

Hier sollte erfragt werden, inwiefern die Medien einen positiven bzw. einen negativen
Einfluss auf die sexuelle Selbstbestimmung haben können.

41
Kategorie 4: Vergleich der sexuellen Selbstbestimmung von Mädchen und
Frauen zu früher

Unter diese Kategorie fallen alle Aussagen, die Bezug zur sexuellen Selbstbestimmung
in der Vergangenheit und die Veränderungen bis zur heutigen Zeit in Blick nehmen.

Kategorie 5: Förderung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und Mäd-


chen

Hier sind alle Aussagen gemeint, in denen angesprochen wird, was nötig ist, um die
sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen zu fördern.

Unterkategorie 5: Sexualpädagogik als Förderansatz

Unter diese Unterkategorie fallen Aussagen, in denen von der Sexualpädagogik als
Ansatz zur Förderung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen ge-
sprochen wird und wie diese gestaltet werden muss.

Kategorie 6: Sexualaufklärung in der Schule

Bei dieser Kategorie sind die Aussagen gemeint, wo auf die aktuelle Sexualaufklärung
an Schulen eingegangen wird.

Kategorie 7: Aktuelle Gefahren in Bezug auf die sexuelle Selbstbestimmung

Hier sind alle Aussagen gemeint, die auf Gefahren im Moment in Bezug auf die sexu-
elle Selbstbestimmung hinweisen (z.B. gesellschaftliche Entwicklungen, die die sexu-
elle Selbstbestimmung gefährden).

Anhand dieser Kategorien wurde anschließend der Interviewleitfaden erstellt. Auf-


grund der Forderung nach Offenheit bei der qualitativen Interviewforschung, mussten
bei der Erstellung des Interviewleitfaden entsprechende Fragen aufgestellt werden.
Diese Fragen sollten den Anspruch haben u. a. nicht geschlossen, keine Erwartungen
andeutend und nicht suggestiv zu sein (Kruse 2015: 216). Diese wurden gegliedert in
Leitfragen/Erzählimpulsen, Aufrechterhaltungsfragen und Nachfragen.

Vor den Interviews galt es sich nochmal intensiv in das Thema einzuarbeiten, sich die
Fragen und den Ablauf des Interviews anzueignen, sowie die Aufnahme der Interviews
mittels eines Aufnahmegerätes abzusichern.

42
Die Transkription erfolgte mithilfe des Programms EasyTranscript und anhand der
Transkriptionsregeln von Dresing und Pehl19. Dabei wurde zur besseren Lesbarkeit
und für die Zitation die Schriftsprache angepasst. Pausen, Überschneidungen und be-
tonte Silben wurden verschriftlicht, um die Charakteristik der gesprochenen Sprache
zu erhalten. Die Interviews wurden anonymisiert.

Anhand der Kategorien wurde anschließend das Interviewmaterial ausgewertet. Dazu


wurde zuerst ein Kodierleitfaden erstellt. Dieser beinhaltet die Kategorien, die Defini-
tion der Kategorien, passende Ankerbeispiele und die Kodierregeln.

7.4 Strukturierung und Analyse


Im weiteren Verlauf wurde mithilfe des Kodierleitfadens das Transkript bearbeitet und
die Textstellen den unterschiedlichen Kategorien zugeordnet20. Danach wurden die
Aussagen aus beiden Interviews der jeweils zugehörigen Kategorie zusammengefasst:

K1: Die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen

Bei dieser Kategorie war es interessant festzustellen, dass die Interviewpartnerinnen


sich beide über die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen bzw. was
notwendig ist in einer Gesellschaft, damit Frauen und Mädchen sexuell selbstbestimmt
zu leben äußerten, indem sie sich größtenteils von den aktuellen gesellschaftlichen
Gegebenheiten abgrenzten. Das Thema, das am meisten angesprochen wurde, war,
dass für die sexuelle Selbstbestimmung ein gutes eigenes Körpergefühl und die Auf-
klärung über den Körper und dessen Vorgänge grundlegend sind. Außerdem, dass Se-
xualität etwas ganz Grundlegendes ist und eine positive Grundhaltung ihr gegenüber
maßgeblich dafür ist, wie sich die sexuelle Selbstbestimmung nachher ausprägen kann.
Es wurden u. a. Punkte erwähnt, wie dass eine Enttabuisierung der Menstruation nötig
ist, damit Mädchen und Frauen nicht weiter diskriminiert werden. Dass Mädchen ihre
sexuellen Erfahrungen ohne Gewalterfahrungen machen können und demnach einen
Schutz vor sexualisierter Gewalt auf allen Ebenen benötigen. Unter anderem wurde
angesprochen, dass es notwendig ist, einen sicheren und kostenfreien Zugang zu Ver-
hütungsmitteln zu bekommen bzw. dass Verhütung nicht nur als Frauensache angese-
hen wird. Ebenso braucht es für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau einen sicheren

19
Verfügbar unter: https://www.audiotranskription.de/audiotranskription/upload/VereinfachteTran-
skription30-09-11.pdf
20
Der Kodierleitfaden mit farblicher Markierung, um Textstellen den jeweiligen Kategorien zuzuord-
nen, ist dem Anhang beigefügt.

43
Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und das Recht, alleine über ihren Körper ent-
scheiden zu können.

K2: Die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen heutzutage

Beide Interviewpartnerinnen argumentierten vielseitig, warum Mädchen und Frauen


noch nicht sexuell selbstbestimmt leben in der heutigen Gesellschaft. Dabei bezogen
sie sich in vielen Teilen auf Kategorie eins. Es wurde u. a. erwähnt, dass die Gesell-
schaft in Deutschland, in Bezug auf die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und
Frauen, weiter ist, als in anderen Ländern, dass aber der Zustand trotzdem nicht als
sexuelle Selbstbestimmung deklariert werden könnte. Das Frauenbild, das die Frauen
verinnerlicht haben, ist ein sehr Patriarchales, wobei auch ihr Leben in großen Teilen
von einer patriarchal strukturierten Gesellschaft reguliert wird.

Aus beiden Interviews ging hervor, dass Mädchen heutzutage nicht so aufgeklärt sind,
wie oft angenommen wird. Es besteht eine größere Offenheit heutzutage, dennoch kur-
siert viel Falschwissen und Mythen, wodurch Jugendliche eher eingeschüchtert heut-
zutage sind. Beide Interviewpartnerinnen betonten, dass sexuelle Bildung und Aufklä-
rung grundlegend für die sexuelle Selbstbestimmung sind.

Ein großes Thema in beiden Interviews war die Menstruation, wobei in der Gesell-
schaft immer noch suggeriert wird, dass sie etwas Dreckiges ist. Viele Mädchen sind
oft auch nicht aufgeklärt über ihre Periode und erleben sie als ein sehr schambesetztes
Thema. Dabei wurde betont, dass bei fehlender Aufklärung und fehlenden Kenntnis-
sen über ihren eigenen Körper, sich die Frauen und Mädchen nicht sexuell selbstbe-
stimmt äußern können. Aufgrund der endlosen Tabuisierung dieses Themas, werden
Mädchen und Frauen in Schule und Beruf diskriminiert und müssen sich rechtfertigen
für ein Thema, das ihnen von Natur aus gegeben ist. Zudem wurde erwähnt, dass vor
Kurzem noch 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Menstruationsartikeln bestand und als
Luxusartikel bezeichnet wurden. Die Menstruation wurde sogar von Interviewpartne-
rinnen B2 als Hauptunterdrückungsinstrumentarium bezeichnet.

Dass Verhütungsmittel nicht kostenfrei zugänglich sind, wurde von B1 bemängelt. Um


sexuell selbstbestimmt leben zu können, müssen Frauen und Mädchen den Zugang zu
Verhütungsmitteln haben. Es wurde betont, dass viele aufgrund ihrer finanziellen Si-
tuation sich diese nicht leisten können und daher oft nicht verhütet werden kann. Nach

44
dem gesellschaftlichen Bild wäre Verhütung außerdem Frauensache mit dem Argu-
ment, dass „das Baby ja auch die Frau kriegen würde“.

Die Interviewpartnerin B2 betonte den immensen Druck unter dem vor allem junge
Mädchen leiden. Nach ihr findet eine Normierung in der Gesellschaft statt, nach wel-
cher Mädchen heutzutage schlank, hübsch und cool sein müssen. Sie erfahren eine
Beschneidung ihrer sexuellen Selbstbestimmung, indem sie sich dieser Normierung
anpassen müssen, um Mitglied der menschlichen Gemeinschaft zu sein. Ihnen wird
außerdem vermittelt, wie das weibliche Genital auszusehen hat und was als schön in
der Gesellschaft deklariert wird. Dabei fehlt ihnen der Zugang zur Realität. In diesem
Zuge lassen sich viele Frauen operieren, da das vorherrschende Schönheitsideal in der
Gesellschaft ist, die inneren Schamlippen kürzer als die äußeren zu haben. Auch Inter-
viewpartnerin B1 betonte, dass in der Gesellschaft immer noch Werte und Normen
vorherrschend sind, die Frauen und Mädchen massiv einschränken in ihrem Alltag und
in ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Sie erläuterte in diesem Zusammenhang, dass
Mädchen und Frauen für ihr Aussehen oder für ihre Kleidung degradiert werden, wäh-
rend es bei Männern und Jungen niemanden interessieren würde. Demnach würde auch
oft im Zusammenhang mit Übergriffen das Argument angeführt: „die Mädchen brau-
chen sich ja mehr oder weniger nicht wundern, wenn man sie nachher irgendwo hin-
ter`s Zelt schleppt“. Es wurde betont, dass diese Art von Ansicht ein ganz normales
Verhältnis in der heutigen Gesellschaft darstellt und Mädchen sich nie so „ausleben“
dürfen wie die Jungen, ohne dafür beschimpft oder abgestempelt zu werden. Sogar das
Zeigen der Brüste im Zusammenhang mit Stillen eines Babys ist immer noch gesell-
schaftlich verpönt.

K3: Einfluss von Medien

Der Einfluss von Medien wurde von B2 als das Hauptinstrumentarium bezeichnet,
wodurch das normierte gesellschaftliche Frauenbild transportiert wird. Demnach fin-
det eine Konditionierung durch die Medien statt, wodurch die Mädchen und jungen
Frauen dem optimierten medialen Bild entsprechen wollen. Auch B1 betonte, dass der
mediale Eindruck das Körperselbstbild verfälscht. Dadurch ist für Mädchen schwierig
sich selbstbestimmt wahrzunehmen und so zu zeigen, wie sie sind, ohne sich dabei zu
verstellen oder sich an irgendwelche Dresscodes halten zu müssen. Ihrer Meinung
nach komme es aber darauf an, welchen Inhalt sich die Frauen und Mädchen sich selbst

45
zuführen. Doch die breite Masse greift auf Seiten zu, wo es um Schönheit, Make-Up
und Fitness geht. Dabei ist es vor allem für die Mädchen schwierig zu reflektieren,
dass das transportierte optimierte Frauenbild in den Medien nicht der Realität ent-
spricht. Wenn die Mädchen bzw. Frauen nicht sensibilisiert werden oder sich nicht mit
der Thematik auseinandersetzen, ist es kaum zu vermeiden, dass die Medien einen
negativen Einfluss auf die Mädchen und Frauen haben. Einen positiven Einfluss kann
durch gute feministische Seiten entstehen, die Mut machen können, auf die jedoch die
meisten nicht zugreifen, da ihnen der feministische Zugang fehlt.

Auch Werbung gehört zu den Inhalten, die auf die Mädchen und Frauen am meisten
einwirken. Als Beispiel wurde in dem Interview mit B1 Bindenwerbung angeführt,
welche bei Mädchen und Frauen das Gefühl nicht richtig zu sein hinterlässt. Denn das
Blut in der Werbung wird als blaue Flüssigkeit dargestellt, wobei dies direkt sugge-
riert, dass die Menstruation an sich etwas gesellschaftlich Unerwünschtes ist. Es stellt
sich die Frage, warum die Flüssigkeit nicht mit einer roten Farbe, sondern mit einer
blauen Farbe dargestellt wird. Auch sexistische Werbung ist weit verbreitet, wo
Frauen als leicht bekleidete Objekte neben beispielsweise einem Reifen stehen, wo
sich Fragen stellen wie: Was suggeriert so eine Werbung oder welche Rollenbilder
werden da vermittelt?

K4: Vergleich der sexuellen Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen zu frü-
her

Aus beiden Interviews ging hervor, dass sich in Bezug auf die sexuelle Selbstbestim-
mung sehr viel verändert hat im Vergleich zu früher. Zum einen ist klar, dass Mädchen
und Frauen heute im Allgemeinen mehr Möglichkeiten haben, wenn es um Bildung
oder Beruf geht. Auch der Zugang zu sexueller Bildung ist offener geworden und es
wird mehr darüber gesprochen. B1 betonte, dass im Bereich sexuelle Vielfalt es für
Jugendliche einfacher geworden ist, sich zu öffnen und zu outen, da Themen wie Ho-
mosexualität, Bisexualität, Pansexualität etc. „einfach schon mal da gewesen sind“.
Doch der Bereich, was sich alles Positives verändert hat, wurde relativ kurzgehalten.
Aus beiden Interviews ging hervor, dass die heutige Zeit nicht so offen ist, wie oft
angenommen. B1 war der Meinung, dass die Offenheit heutzutage nur vorgetäuscht
sei. Dabei wurde sich auf die gleiche Chancenteilhabe bezogen. Demnach werden

46
Frauen immer noch benachteiligt – als Beispiel wurde hier die Kfz Ausbildung ge-
nannt, wo Frauen nicht die gleichen Zugangsmöglichkeiten haben, wie Männer.

Interviewpartnerin B2 war der Meinung, dass Frauen früher in ihrer Sexualität und in
ihrem Körper freier waren, weil sie nicht so einem optimierten Bild entsprechen muss-
ten, wie es heutzutage der Fall ist. Frauen mussten nicht die Schamhaare abrasieren
und „man musste nicht erschrecken, weil das weibliche Genital anders aussieht als in
pornografischen Filmen“. Daher auch der Trend heutzutage, dass Frauen sich Genital-
operationen, wie einer inneren Schamlippenverkleinerung unterziehen.

B1 erwähnte, dass heutzutage im Gegensatz zu früher durch das Internet ungefiltert


Inhalte konsumiert werden und viel Mythen und Falschwissen kursieren. Es ist zwar
der breite Zugang zu Informationen möglich, was aber vor allem die Jugendlichen ver-
unsichern und einschüchtern kann, die über weniger Wissen und Erfahrung verfügen
und somit Inhalte weniger kritisch wahrnehmen.

Die extreme Beeinflussung der sexuellen Selbstbestimmung durch Industrie oder


durch Lobbyismus heutzutage wurde in beiden Interviews erwähnt. Die zentrale Frage
dabei ist, wer beispielsweise die Pillen oder Verhütungsmittel auf den Markt bringt
und warum dabei vor allem die Frau in den Fokus genommen wird, wenn es um Ver-
hütungsfragen geht. Warum werden die Verhütungsmöglichkeiten für den Mann nicht
stärker propagiert, obwohl es schon Verhütungsmittel gibt? Hier wurde als Beispiel
ein Verfahren genannt, wo dem Mann eine Flüssigkeit in die Samenleiter gespritzt
werden kann, die zur Verhütung dient, welche leicht wieder mit einer Kochsalzlösung
aufgelöst werden kann.

K5: Förderung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen

Beide Interviewpartnerinnen betonten, dass es von elementarer Bedeutung ist, Mäd-


chen und Frauen aufzuklären und dass dies Voraussetzung für eine sexuelle Selbstbe-
stimmung ist. Außerdem muss das Blickfeld geöffnet und erkannt werden, dass da
immer noch ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen herrscht. Es müssen
Lösungen gefunden werden, um dies auszugleichen. Politisch und gesellschaftlich
muss viel getan werden, aber solange diesbezüglich nichts passiert, kann nur eines
getan werden: Mädchen stärken, in ihrem Selbstwertgefühl, in ihrem Körpergefühl
und ihnen eine sexpositive Haltung vermitteln. Dies müsste eigentlich überall und je-

47
derzeit, in der Schule und zu Hause passieren. Mädchen müssen von Beginn an unter-
stützt und der Zugang zu sexueller Bildung ermöglicht werden - unabhängig von ihrer
Religionszugehörigkeit. Es ist grundlegend, dass sie Bescheid wissen über ihren Kör-
per, selbstständig darüber entscheiden können und vor allem eine positivere Beziehung
zu ihm bekommen. Mädchen muss auch der Zugang zu Schutzräumen ermöglicht wer-
den. Orte, wo sie sich sicher fühlen können, wo sie da sein dürfen, wo ein Austausch
möglich ist. Auch soll feministischer mit Mädchen gearbeitet werden und mit ihnen –
und auch mit Jungen – reflektiert werden, woher Rollenbilder kommen, damit sie ein
Gesamtbild bekommen und auch merken, wo Sexualität überall eingeschränkt wird.

B1 forderte andere Positionierungen von der Politik, als beispielsweise eine Frauen-
quote festzulegen. Sie begründete dies mit dem Argument, dass Frauen es verdient
haben, eine Stelle innezuhaben, weil sie dafür geeignet sind und nicht nur, weil es eine
Quote sagt. Die Frauenquote kann natürlich auch aus anderen Blickwinkeln betrachtet
werden, aber es müssen auch andere Ansatzpunkte gefunden werden. Wenn allein die
sexuelle Bildung oder Beratungsstellen in Betracht gezogen werden, benötigen diese
mehr Unterstützung – zum einen finanziell und zum anderen mit mehr Stellen, damit
überhaupt ein Landkreis abgedeckt werden kann. Auch müssen mehr Beratungsange-
bote für Mädchen und Frauen entstehen, zu Themen, die auch etwas anderes als
Schwangerschaft betreffen, „denn Schwangerschaft ist nicht das einzige Thema im
Leben einer Frau“.

Es müssen Orte geöffnet werden, wo gesellschaftlich tabuisierte Themen, wie zum


Beispiel Sex während der Menstruation oder während der Schwangerschaft, da sein
dürfen, wo darüber geredet werden kann. Feministische Diskussionen dürfen nicht
mehr gedeckelt werden. Über die Themen muss geredet werden, damit sich etwas ver-
ändern kann.

Frauen und Mädchen mit Behinderung müssen mehr Unterstützung erfahren. Sie sind
eine Personengruppe, die oft nicht in den Genuss von partnerschaftlicher Sexualität
kommt. Das heißt, es muss geschaut werden, wie alle Personen auf allen Ebenen un-
terstützt werden können.

Mädchen und Frauen müssen die Möglichkeit haben ein Verhütungsmittel ihrer Wahl
kostenfrei zu erhalten und einen leichteren Zugang zu sexueller Gesundheit, die auch
Teil der sexuellen Selbstbestimmung darstellt. Es muss gegeben sein, dass Mädchen

48
und Frauen Frauenärzt*innen Termine ohne Probleme bekommen können, da es für
viele sowieso schon eine Überwindung darstellt und sie nicht auch noch in ihrer sexu-
ellen Gesundheit eingeschränkt werden dürfen, indem es ihnen erschwert wird über-
haupt einen Termin zu bekommen. Auch sollten Frauenärzt*innen in sexueller Bil-
dung geschult werden, inwieweit Themen vermittelt werden können oder auch wie
empathisch mit einer Frau umgegangen wird, die ungewollt schwanger ist. Daneben
förderlich wäre mehr Kooperation zwischen dem Frauengesundheitsbereich mit Be-
reichen wie Gynäkologie und Sexualpädagogik, Frauenberatungsstellen, welche sich
stärker vernetzen und gemeinsame fächerübergreifende Ziele in den Fokus nehmen
sollten.

B2 forderte, dass die patriarchale Konditionierung aufgeweicht werden muss. Um dies


zu erreichen muss an vielen Stellen angesetzt werden. Es muss mehr Druck auf die
Medien gemacht werden, damit beispielsweise nicht nur Models mit Größe 32 bis 34
zu sehen sind. Hier sind Klagen gegen die öffentliche Darstellung des weiblichen Kör-
pers nötig. Auch durch Veranstaltungen oder Presse kann hier viel getan werden. Als
Beispiel wurde eine Veranstaltungsreihe des feministischen Frauengesundheitszent-
rums angeführt, mit dem Namen „We all came out of a pussy“, wo Themen rund um
das weibliche Geschlecht behandelt wurden.

UK5: Sexualpädagogik als Förderansatz

Bei diesem Thema hatte vor allem B1 viele Anmerkungen und Ideen, da sie als Sexu-
alpädagogin arbeitet.

Sie sieht eine Sexualpädagogik als Voraussetzung, die auf die Mädchen eingeht, die
empathisch und geschlechtssensibel vorgeht, um die Mädchen bewusst in ihrer sexu-
ellen Selbstbestimmung zu fördern. Dabei muss darauf geachtet werden, ob Einzelne
bzw. die Gruppe mitkommt, ob Grenzen überschritten werden, für welche Themen
eine Trennung der Geschlechter von Vorteil ist – es hat sich bewiesen, dass Mädchen
sich bei vielen Themen, oft besser in reinen Mädchengruppen öffnen können. Daneben
ist eine Sexualpädagogik mit schönen Materialien förderlich, die angefasst werden
können und eine angemessene Sprache, die ein positives Gefühl vermittelt. Als Bei-
spiel für angemessene Sprache führte Interviewpartnerin B1 das Thema Menstruation
an und wie das angemessen erklärt werden kann: „Der Körper baut ein Luxushotel auf

49
für ein Baby, weil er eigentlich denkt, dass das kommt und wenn es nicht kommt, dann
baut er das wieder ab.“

Bei der sexualpädagogischen Arbeit, ist es grundlegend, dass die Personen, die das
machen, sich damit wohl fühlen und den Heranwachsenden auch eine Haltung dahinter
vermitteln können. Es soll Selbstliebe, Sexualfreundlichkeit und eine Enttabuisierung
dieser Themen erreicht werden. Wenn eine Person, sich nicht mit der Vermittlung
wohlfühlt, kommt es bei den Kindern und Jugendlichen auch nicht an. Auch über The-
men wie Selbstbefriedigung muss mit den Mädchen und jungen Frauen vermehrt ge-
sprochen werden, damit sie lernen, dass das nichts Schlimmes ist und nicht beschämen
sollte. Genauso wie die Menstruation, welche vor allem für Mädchen ein sehr scham-
besetztes Thema darstellt.

Um sexualisierter Gewalt vorzubeugen, ist es notwendig mit den Heranwachsenden


an der Wahrnehmung von Gefühlen und ihrer Körperwahrnehmung zu arbeiten, sowie
ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Sie sollen lernen, wann Grenzen überschritten wer-
den, wovor sie sich schützen müssen und wie sie das machen können.

Über Verhütungsmittel, ihre Auswirkungen im Körper und was sie genau für Risiken
mit sich bringen, muss umfassender informiert werden. Nur so können Mädchen und
Frauen selbstbestimmt Entscheidungen treffen.

B1 führte, dass es zwei Grundpfeiler gibt, auf die es vor allem in der Sexualpädagogik
ankommt: „Das ist mein Körper, da darf auch niemand ran, das heißt keiner darf über
meinen Körper bestimmen“ und „ich bin gut so wie ich bin“.

Optimal für die Förderung der sexuellen Selbstbestimmung, wäre sexuelle Bildung als
Unterrichtsfach und fächerübergreifend, damit das regelmäßig einfließen kann und so
den Schüler*innen ein breiterer Zugang gewährt wird. Außerdem nicht nur ein*e So-
zialarbeiter*in an jeder Schule, sondern auch eine Ansprechperson für sexuelle Bil-
dung. Daneben sollten alle junge Frauen im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihres Stu-
diums sexualpädagogische Angebote bekommen.

Die Sexualpädagogik muss sich außerdem mehr öffnen. Zum einen müssen andere
Themen mehr fokussiert werden, wie Pornografie, weil diese ein Bild von Frauen ver-
mittelt, die sich unterdrücken lassen und in Positionen daliegen, die sehr von männli-
cher Dominanz bestimmt sind. Daneben aber auch Themen wie Sexspielzeug oder

50
Menstruationstassen, weil die Kinder und Jugendlichen im Alltag, sei es durch Wer-
bung oder durch das Internet, damit konfrontiert werden. Zum anderen muss die Se-
xualpädagogik neue Wege finden, um zur Aufklärung beizutragen und vor allem auch
Mädchen und junge Frauen zu erreichen. Dabei spielen vor allem soziale Medien, wie
Instagram und Facebook eine große Rolle.

K6: Sexualaufklärung in der Schule

Aus beiden Interviews ging hervor, dass die Sexualaufklärung in der Schule zu fach-
orientiert, zu „mechanisch“ ist. Sie kommt allein im Fach Biologie zur Sprache und
wird nicht fächerübergreifend durchgenommen. Die Interviewpartnerin B1 kritisierte
an diesem Punkt, dass fächerübergreifend nichts gemacht werden würde. Zum Beispiel
könnten die Schüler*innen im Sportunterricht leicht das Nähe-Distanz-Verhalten ler-
nen, damit sie lernen sich auch angemessen zu wehren oder sich bemerkbar machen,
wenn es ihnen zu viel wird. Doch wird in dieser Richtung nichts unternommen.

B1 kritisierte außerdem, den verpflichtenden Kontext bei der Sexualaufklärung in der


Schule. Sexualaufklärung muss freiwillig sein, damit sie annehmbar wird – wenn Se-
xualaufklärung in den Pflicht- und Bewertungskontext in der Schule angebracht wird,
kann das nicht funktionieren. Fragen werden dann eher nicht gestellt, weil die Kinder
wissen, dass die Lehrer*innen sie nachher benoten. Der offene und sichere Rahmen,
der Voraussetzung ist bei sexualpädagogischen Themen, ist somit nicht gegeben.

B2 bemängelte, dass die Beschreibung des weiblichen Geschlechts sehr nebulös wäre.
In keinen der Biologiebücher gibt es eine ausreichende Beschreibung, die umfassend
informiert. Mädchen und Frauen müssen über ihr eigenes Geschlecht ausführlich auf-
geklärt werden, damit sie eine erfüllte Sexualität erfahren können.

K7: Aktuelle Gefahren in Bezug auf die sexuelle Selbstbestimmung

B1 sieht vor allem in einer neuen konservativen Welle in der Gesellschaft eine zuneh-
mende Gefahrenquelle, wodurch verschiedene gesellschaftliche Vorgänge resultieren.
So werden Schwangerschaftsabbrüche immer mehr kriminalisiert, sodass es kaum
noch Ärzt*innen gibt, die Abbrüche durchführen, weil sie unter einer großen Kritik
leiden und teilweise sogar Morddrohungen bekommen. Es gab viele Vorfälle, wo
Frauen belästigt wurden, nur, weil sie zu Pro Familia in die Beratungsstelle gegangen

51
sind. Dies ist eine sehr gefährliche Richtung, die gegen das Selbstbestimmungsrecht
der Frau geht.

Eine weitere besorgniserregende Bewegung ist die „Demo für alle“. Dieser Demonst-
ration treten vor allem Eltern bei, die besorgt sind, dass ihre Kinder durch Sexualauf-
klärung „frühsexualisiert“ werden.

B1 lastete der Politik an, immer noch größtenteils von „weißen alten Männern“ be-
stimmt zu werden, wodurch in der Gesellschaft keine weibliche Selbstbestimmung
entstehen kann.

Dadurch, dass viele geflüchtete Familien nach Deutschland gekommen sind und kom-
men, ist auch in Deutschland das Thema der Zwangsverheiratung präsenter und stellt
eine Gefährdung von Mädchen und jungen Frauen dar.

Durch die mediale Entwicklung, kursiert viel Falschwissen und verstärkt daneben,
durch beispielsweise viele pornografischen Seiten im Internet, ein unterwürfiges Frau-
enbild.

B2 kritisierte vor allem die Industrie, die beispielsweise schambesetzte Themen, wie
körperliche Auswirkungen während den Wechseljahren (u. a., dass die Blutung nicht
unter Kontrolle ist), benutzt, um den Frauen synthetische Hormone anzudrehen. Die
sogenannte Hormonersatztherapie ist genauso wie die Pille mit hohen Risiken für die
Frau behaftet. Zum Beispiel steigert sie nachweislich das Brustkrebsrisiko um 25 Pro-
zent.

Auch bei hormonellen Verhütungsmitteln steht nicht die Gesundheit von Frauen und
Mädchen im Vordergrund. Demnach experimentiert die Industrie mit Wirkstoffen:
momentan garantiert der Gestagen Anteil in der Anti-Baby-Pille, dass die jungen
Frauen hübsch und schlank bleiben, die Haare und Nägel schönmachen, aber das
Thromboserisiko ist vierfach höher.

7.5 Resümee aus der Forschung


Die Vorannahme, dass Mädchen und Frauen heutzutage noch nicht sexuell selbstbe-
stimmt leben, konnte ganz eindeutig durch die Forschung bestätigt werden. Es lässt
sich resümieren, dass sich die Gesellschaft noch weit davon entfernt befindet, um
Frauen und Mädchen ein sexuell selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Sie erfahren
durch die Gesellschaft einen immensen Anpassungsdruck, denn es herrschen Werte

52
und Normen vor, die Frauen und Mädchen einschränken. Dabei spielen verschiedene
Einflussfaktoren eine Rolle. Zum einen wurde erwähnt, dass die Medien einen starken
Einfluss haben, welcher meist eher negativ ist, weil vor allem junge Mädchen sich
Inhalte zuführen, die nicht förderlich für die sexuelle Selbstbestimmung sind und auch
Werbung und Fernsehen, viele Rollenbilder verstärken. An vielen Stellen wurde auch
die Industrie genannt, die heutzutage genau weiß, auf welche Schlüsselwörter es an-
kommt, um ihre Produkte erfolgreich abzusetzen. Dabei geht es nur um Gewinn und
nicht um die Gesundheit der Frauen und Mädchen.

Um die sexuelle Selbstbestimmung zu fördern, ist es grundlegend Mädchen und


Frauen aufzuklären. Mädchen müssen gestärkt werden, in ihrem Selbstwertgefühl, in
ihrem Körpergefühl, denn für sexuelle Selbstbestimmung ist ein gutes eigenes Kör-
pergefühl eine Voraussetzung, und es muss ihnen eine sexpositive Haltung vermittelt
werden. Dies muss auf allen Ebenen, mit allen Mädchen und Frauen, von Beginn an,
geschehen. Es wurden viele Punkte genannt, die vor allem auch gesellschaftliche und
politische Veränderungen umfassen. Hierzu gehört eine Veränderung des Umgangs
mit vielen Themen, wie z. B. der Verhütungsfrage, der Menstruation oder Schwanger-
schaftsabbrüchen. Daneben sind andere Positionierungen der Politik erforderlich, um
gesellschaftlich etwas zu verändern.

Sexuelle Bildung muss mehr unterstützt werden, da diese ein großes Potential hat, se-
xuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen zu fördern. Dabei ist die entspre-
chende Gestaltung wichtig, um dies zu realisieren. Eine umfassende geschlechtssen-
sible Aufklärung mit der richtigen Haltung dahinter, ist nötig, damit Themen, wie Se-
xualfreundlichkeit, Selbstliebe und Selbstbestimmung vermittelt werden können.

53
8 Fazit
Rückblickend auf diese Arbeit lassen sich ungemein viele Erkenntnisse feststellen. Es
konnten Zusammenhänge zwischen der Vergangenheit und der heutigen Gesellschaft
erkannt werden. Frauen wurden Jahrtausende lang unterdrückt – in ihrer Sexualität, in
ihrem Körper, in ihrer Selbstbestimmung, in ihrem ganzen Wesen. Es ist natürlich,
dass eine Gesellschaft Zeit braucht, um sich von dieser Vergangenheit zu befreien und
neue Wege einzuschlagen. Daher wirken sich transgenerationale Übertragungen bis
heute aus, die sich stark auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen
auswirken – sexuelle und geschlechtliche Kategorien ermöglichen eine Hierarchisie-
rung und schaffen den Anspruch, dass die Mitglieder einer Gesellschaft sich entspre-
chend der Erwartungen an ein Geschlecht zu verhalten haben, traditionelle Sexuali-
tätsvorstellungen wirken sich immer noch auf den gesellschaftlichen „Regelkatalog“
aus und unterdrücken die weibliche Sexualität (Krahé et al. 2004, zitiert in Doneit
2016: 143) und das patriarchale Denken produziert sich immer wieder als unbewusstes
Konstrukt aus sich selbst heraus (Becker-Schmidt 1992, zitiert in Liebsch 1994: 26) .
Aus einem veralteten Geschlechterrollenverständnis resultiert eine Ungleichheit zwi-
schen den Geschlechtern, Kinder werden oft geschlechtsstereotypisch erzogen, wobei
Mädchen u. a. vermittelt wird, als Frau empathisch, sensibel und sorgsam zu sein (Häf-
ner und Kerber 105: 47). Auch werden Mädchen weniger im freien Umgang mit ihrem
Körper ermutigt, als das bei Jungen der Fall ist. Für Mädchen stellt es sich schwierig
heraus, ein körperbezogenes Selbstbewusstsein zu entwickeln (Young 2005: 43) - al-
lein wenn auf die Vermittlung des Mädchen- und Frauenbild in den Medien geschaut
wird, wo Frauen und Mädchen auf ihr Aussehen reduziert und sexualisiert werden
(Häfner und Kerber 2015: 139). Die Gesellschaft ist geprägt von unbewussten und tief
verankerten gesellschaftlichen Werturteilen, wie eine Frau und ihre Sexualität zu sein
hat (Konrad 2019: 22).

Um etwas zu verändern in der Gesellschaft, braucht es eine starke Sensibilisierung –


primär muss bei den Eltern, Lehrer*innen und Pädagog*innen angesetzt werden, weil
sie als Rollenvorbilder für die Kinder dienen und damit Kinder nicht länger in Ge-
schlechterrollen gedrängt werden (Fthenakis 2008). Daneben müssen die Medien stär-
ker überprüft werden, damit nicht länger sexistische Werbungen entschuldigt werden

54
können. Auch Pornografie muss verändert werden, in der mehr das zwischenmensch-
liche Verhältnis zum Ausdruck kommt und nicht der reine Fokus auf Penis und Vagina
(Bockenheimer 2017).

Ein großes Potential, um die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen zu
fördern, liegt in der Sexualpädagogik. Zur Sexualaufklärung in der Schule gibt es
Richtlinien, Handreichungen und Lehrpläne der Bundesländer (Etschenberg 2012: 2)
und auch die BZgA und die WHO haben hierzu Zielsetzungen und Standards geliefert,
an denen sich orientiert werden kann. Aus umfassenden Recherchen muss trotz dessen
davon ausgegangen werden, dass Sexualaufklärung in der Schule immer noch unzu-
reichend ist. In diesem Bereich ließ sich feststellen, dass sehr wenig Reflexion statt-
findet und auch keine umfassende Fachliteratur ließ sich finden. Es ist sehr wenig über
die Umsetzung und den Umfang der Sexualerziehung bekannt (Sielert 2011). Auch ist
es kaum zu verstehen, dass im Rahmen des Lehramt Studiums sich keine Veränderun-
gen zeigen. Obwohl die Schulen den staatlichen Sexualerziehungsauftrag innehaben,
bekommen die Lehrer*innen immer noch keine Grundqualifikationen im Rahmen der
Sexualpädagogik vermittelt (ebd.). Daher stellt sich die Frage, warum keine umfassen-
deren Untersuchungen und Reformen bezüglich der Sexualaufklärung an Schulen ein-
geleitet werden. Das ist umso trauriger, da hier eine nicht wahrgenommene Chance
liegt, um Heranwachsende in ihrer Toleranzfähigkeit und in ihrer Offenheit zu stärken,
sowie zu mehr Respekt und Bewusstsein für sexuelle Identität und Geschlechterrollen
beizutragen (BZgA und WHO 2011: 31). Die aktuelle Sexualaufklärung konzentriert
sich größtenteils nur auf biologische Gegebenheiten und der Fokus wird größtenteils
auf die Risiken von Sexualität gelegt (ebd.: 10). Es wird nicht ausführlich informiert
– beispielweise werden die weiblichen Geschlechtsorgane als Fortpflanzungsorgane
behandelt, dabei wird der Aufbau der Klitoris, das Schwellgewebe und die Funktionen
bzw. Reaktionen ausgespart (Bockenheimer 2017), sowie, dass sie allein für die weib-
liche Lust zuständig ist.

Die Recherche, wie aufgeklärt Frauen und Mädchen heutzutage sind, erwies sich als
schwierig. Es gibt hierzu nur sehr wenig Untersuchungen. Allein eine Studie zu den
Einstellungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen in Bezug auf Aufklärung, Se-
xualität und Verhütung der BZgA konnte ausfindig gemacht werden. Dass bei der Stu-
die sich jedes dritte Mädchen beim Thema Verhütung und auch beim Thema Ge-

55
schlechtskrankheiten sich drei von zehn Jugendlichen noch nicht ausreichend infor-
miert fühlten, obwohl diese, die am meisten behandelten Themen im Sexualkundeun-
terricht darstellen (Mocker 2015), ist ein auffallendes Ergebnis. Trotz dessen behaup-
tet die Mehrzahl der Mädchen sich aufgeklärt zu fühlen. Bei weiterer Nachforschung
ließ sich feststellen, dass vor allem Expert*innen, wie Pädagog*innen von Pro Familia,
erleben, dass Jugendliche theoretisch Bescheid wissen, aber oft nicht wissen, wie das
Wissen praktisch umzusetzen ist (Focus Online 2014). Gynäkolog*innen stellen im-
mer wieder fest, dass es an Aufklärung fehlt, da bei Mädchen und jungen Frauen Wis-
senslücken festzustellen sind (Schütz und Spahni 2017: 185, 186).

Um den Jugendlichen eine bestmögliche Sexualaufklärung zu bieten, die auch indivi-


duelle Bedürfnisse berücksichtigt und den unterschiedlichen Zugang zu körperbezo-
genen Themen von Jungen und Mädchen nicht leugnet, müssen geschlechtersensible
Konzepte entwickelt werden. Mädchen durchlaufen einen ganz anderen Prozess hin-
sichtlich der Prägung der Geschlechtsidentität. Demnach zeigt sich bei Mädchen und
jungen Frauen, dass sie vermehrt Probleme mit ihrem eigenen Körper haben, Selbst-
befriedigung und weibliche Lust mehr tabuisiert sind, als bei Jungen (Müller 2017:
170). Daher ist es notwendig, dass auf sie spezifisch eingegangen wird und sie geför-
dert werden. Hier kann (sexualpädagogische) Mädchenarbeit einen großen Beitrag
leisten, welche den Mädchen Entlastung bieten kann, in einer Welt die geprägt ist von
widersprüchlichen Anforderungen und Zuschreibungen. Mädchen müssen Räume ge-
öffnet werden, in denen der Zugang zu Themen wie beispielsweise Körperwissen mög-
lich ist. Das ist die Voraussetzung für (sexuelle) Selbstbestimmung (Gerdes, Kick, Kö-
nig 2014: 49).

Die qualitative Forschung mit Expertinneninterviews als Methode, war im Rahmen


dieser Arbeit sehr gewinnbringend. So konnten durch die Interviews zwei fachliche
Meinungen eingeholt werden, die in vielen Bereichen den theoretischen Teil bestätig-
ten, aber auch mehr ins Detail gingen und neue Erkenntnisse brachten. Dabei war es
sehr interessant zu erleben, wie sich die beiden Interviews von den Grundaussagen
ähnelten, jedoch in ihren Ausschmückungen und Beispielen sehr unterschiedlich wa-
ren. Im Nachhinein kann gesagt werden, dass es die idealen Interviewpartnerinnen wa-
ren, da beide eine andere Sozialisation erlebt haben, unterschiedlichen Alters waren
und jeweils in einem anderen Berufsfeld aktiv sind, sodass zwei unterschiedliche Zu-
gänge möglich waren. Persönlich kann reflektiert werden, dass es ziemlich schwerfällt,

56
neutral bei einem Interview zu bleiben, offene Fragen zu stellen, ohne Antwortmög-
lichkeiten anzubieten und das Interview nicht wie ein normales Gespräch zu struktu-
rieren. Trotz dieser Schwierigkeiten, können die beiden Interviews aus persönlicher
Sicht als sehr gelungen bewertet werden.

57
9 Persönliche Reflexion
Die Beschäftigung mit der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen hat
mich nachhaltig beeinflusst hat. Ich habe schon davor mein eigenes Verhalten, sowie
meine Einstellung bezüglich der sexuellen Selbstbestimmung reflektiert und mich mit
den gesellschaftlichen Verhältnissen beschäftigt, aber ich habe mich nie in dem Maße
in das Thema eingearbeitet. Ich habe erkannt, wie sehr wir noch von der Geschichte
beeinflusst werden und wie fest die Strukturen in den Menschen und der Gesellschaft
verankert sind. Mir wurde bewusst, wie schwer es ist, eine Veränderung herbeizufüh-
ren. Die Geschlechterrollenbilder werden immer wieder durch Erziehung, traditionel-
len Vorstellungen und Sozialisation neu produziert. Dadurch können wir immer noch
nicht frei in unserer Sexualität sein. Sich diesen ganzen Aspekten bewusst zu werden,
ist der Schritt, um etwas zu verändern. Jede*r muss darüber aufgeklärt werden und den
Zusammenhang zum eigenen Verhalten erkennen, um dann darüber zu reden und sich
für Veränderungen einzusetzen.

Es herrscht in der Gesellschaft ein Körperbild vor, vor allem in der Modebranche und
der Werbeindustrie, dem viele Mädchen und junge Frauen nicht entsprechen. Geprägt
durch diese Bilder fühlen sie sich nicht wohl in ihrem Körper und manche beginnen
sich selbst für ihren Körper zu hassen. Selbstverletzung und Essstörungen können Fol-
gen dieses Körpergefühls sein. Durch fehlenden Zugang zu ihrem Körper, verbunden
mit den immer noch vorherrschenden gesellschaftlichen Bildern, ist der Zugang zur
eigenen Sexualität erschwert. Fehlendes Wissen um körperliche Vorgänge verschärfen
die Situation.

Ich wurde für das Thema sensibilisiert, als ich in Mexiko bei sexualpädagogischen
Workshops in einer Schule mitwirken durfte und bemerkte, dass ich selbst große Wis-
senslücken hatte. Traurig und schade finde ich, dass immer noch ein großes Unver-
ständnis und Unwissen über die weibliche Sexualität in der Gesellschaft herrscht.

Leider konnte ich keine Literatur finden, die die Sexualaufklärung kritisch in Bezug
auf die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen betrachtet und unter-
sucht, wo angesetzt werden muss, um diese konkret zu fördern. Dabei hat die Sexu-
alaufklärung in der Schule ein großes Potential, denn sie erreicht die Heranwachsen-
den, sie kann gezielt auf die Bedürfnisse eingehen und es können Konzepte entwickelt
werden, um Geschlechterrollenbilder abzubauen und die sexuelle Selbstbestimmung

58
zu fördern. Ein Weg dazu ist Expert*innen einzuladen, z.B. von Pro Familia. Das al-
lein reicht jedoch nicht aus, um dem Thema in seiner Komplexität gerecht zu werden,
ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Mich persönlich hat die Beschäftigung mit diesem Thema sehr berührt. Ich sehe eine
große Chance in der sexualpädagogischen Arbeit an Schulen, aber es geschieht zu we-
nig. So sollten die Bildungspläne der Schulen hinsichtlich der Rollenbilder, Gleichbe-
rechtigung und Sexualität überarbeitet und ergänzt werden. Es besteht so viel Bedarf
und die Heranwachsenden werden in das Leben entlassen, ohne über ihre Sexualität
und ihren Körper ausreichend aufgeklärt zu sein. Wissen und Aufklärung sind Voraus-
setzungen für eine freie und selbstbestimmte weibliche Sexualität. Es kann dazu bei-
getragen werden, dass Frauen sich nicht für ihre Sexualität und ihren Körper schämen,
sondern sich im Gegenteil damit verbunden fühlen, ihre Grenzen kennen, wissen was
sie wollen und das auch kommunizieren können.

Ich will deshalb dazu beitragen, Mädchen und Frauen zu fördern. Ich will sie ermuti-
gen, sich selbst anzunehmen und selbstbewusst, ohne Angst oder Scham aufzutreten
und sie aufklären, damit sie erkennen, wie stark, schön und voller Wunder sie sind.

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71
Anhang

Anhang 1: Interviewleitfaden

Anhang 2: Kodierleitfaden

Anhang 3: Transkript Interview mit B1

Anhang 4: Transkript Interview mit B2

72
Anhang 1: Interviewleitfaden

Uhrzeit:

Datum:

Dank für Teilnahme

Informationen im Vorhinein:

 es werden unterschiedliche Fragen gestellt zum Thema „die sexuelle Selbstbe-


stimmung von Frauen und Mädchen“. Fokus soll dabei auf der Förderung der
sexuellen Selbstbestimmung liegen und daneben, inwiefern Angebote im Be-
reich der sexuellen Bildung dahingehend eine Rolle spielen können.
 Im Verlauf der Gesprächs werden offene Fragen gestellt  es kann alles er-
zählt werden, was für Dich relevant ist
 Zeitanspruch: ca. 30-45 min

Formelle Angelegenheiten:

 Interview wird aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht. Material wird


streng vertraulich und anonym behandelt  ist das in Ordnung?

Aufforderung zur Vorstellung der eigenen Person und des Arbeitsfelds…

Leitfrage, Erzählimpuls Aufrechterhaltungsfra- Nachfragen


gen
Woran zeigt sich Deiner Kannst du mehr darüber er-
Meinung nach, dass Mäd- zählen?
chen und Frauen in einer
Gesellschaft sexuell
selbstbestimmt leben
können?
Denkst Du, dass Mäd- Wo siehst Du Grenzen?
chen und Frauen heutzu- Welche Rolle spielen so-
tage in Deutschland sexu- ziale Medien? Was
ell selbstbestimmt leben? könnte ein positiver Ein-
fluss von sozialen Medien

73
sein? Was könnte ein ne-
gativer Einflusss von So-
zialen Medien sein?
Was hat sich zu früher Kannst Du Beispiele nen-
verändert? nen?
Wo siehst Du Möglich- Kannst Du das weiter aus- Wie sieht es…
keiten, die sexuelle führen? - im Bereich Bil-
Selbstbestimmung von dung bzw. sexuel-
Mädchen und Frauen zu len Bildung
fördern? (Sexualaufklä-
rung)
- was ist deine Mei-
nung zu der aktu-
ellen Sexualauf-
klärung?
- Wie kann man se-
xuelle Bildung so
gestalten, um
Mädchen in ihrer
sexuellen Selbst-
bestimmung zu
fördern?
Welche Gefahren siehst Gibt es aktuelle (gesell-
Du im Moment in Bezug schaftliche) Entwicklun-
auf die sexuelle Selbstbe- gen, die Du als schwierig
stimmung? betrachtest in Bezug auf die
sexuelle Selbstbestim-
mung?

74
Anhang 2: Kodierleitfaden

Kategorie Definition Ankerbeispiele Kodierregeln


K1: Alle Textstellen, „.. dass sie ein gutes ei- Aspekt des in-
Sexuelle Selbst- die definieren, genes Körpergefühl ha- haltlichen Ver-
bestimmung was nötig ist, dass ben und aufgeklärt sind ständnisses von
von Frauen und Frauen und Mäd- über ihren Körper..“ sexueller Selbst-
Mädchen chen ein sexuell bestimmung
selbstbestimmtes muss gegeben
Leben führen in sein.
einer Gesell-
schaft.
K2: Unter diese Kate- „…weil wenn ich mei- Kriterium der
Die sexuelle gorie fallen alle nen eigenen Körper gar sexuellen
Selbstbestim- Textstellen, in de- nicht richtig kenne und Selbstbestim-
mung von nen angesprochen gar nicht weiß, was da ei- mung bezogen
Frauen und wird, ob Mädchen gentlich drin vorgeht, auf die heutige
Mädchen heut- und Frauen in der kann ich mich ja gar Zeit, muss gege-
zutage heutigen Zeit se- nicht selbstbestimmt ir- ben sein.
xuell selbstbe- gendwie in meiner Sexu-
stimmt leben. alität äußern“

K3: Alle Textstelle, „..und deswegen glaub Der Bezug auf


Einfluss von bei denen auf den ich, dass es sowohl posi- die Medien
Medien Einfluss der Me- tive, als auch negative muss gegeben
dien eingegangen Einflüsse gibt. Man sein.
wird. muss sich aber halt den
richtigen Content aussu-
chen und das stell ich mir
wahnsinnig schwierig
vor, wenn man sich nie
mit dem Thema ausei-
nandergesetzt hat“

75
K4: Alle Textstellen, „wir dürfen studieren... Das Kriterium
Vergleich der die Bezug nehmen also wir haben jetzt der sexuellen
sexuellen zur sexuellen schon deutlich mehr Of- Selbstbestim-
Selbstbestim- Selbstbestim- fenheit, die aber meiner mung in der
mung von Mäd- mung von Mäd- Meinung nach nur vor- Vergangenheit
chen und Frauen chen und Frauen getäuscht ist“ bzw. ein Ver-
zu früher in der Vergangen- gleich zur heuti-
heit und die Ver- gen Zeit, muss
änderungen bis erfüllt sein.
zur heutigen Zeit
in Blick nehmen.
K5: Alle Textstellen, „…wir müssten politisch Förderung der
Förderung der in denen ange- wahnsinnig viel tun, wir sexuellen
sexuellen sprochen wird, müssten gesellschaftlich Selbstbestim-
Selbstbestim- was nötig ist, um wahnsinnig viel tun und mung muss an-
mung von die sexuelle wir müssten ganz drin- gesprochen wer-
Frauen und Selbstbestim- gend daran arbeiten, dass den.
Mädchen mung von Mäd- Frauen und Mädchen in
chen und Frauen ihrem Selbstwertgefühl
zu fördern. von Anfang an mehr un-
terstützt werden“
------------------- --------------------- ----------------------------- -------------------
UK5: Alle Textstellen, „Also das einfach zu Förderung der
Sexualpädago- in denen von der supporten und natürlich sexuellen
gik als Förder- Sexualpädagogik aufzuklären, damit die Selbstbestim-
ansatz als Ansatz zur wissen, was ist in mei- mung, aber ein-
Förderung der se- nem Körper passiert oder deutig bezogen
xuellen Selbstbe- was passiert da grade, auf die Sexual-
stimmung von wozu ist das gut, wovor pädagogik.
Frauen und Mäd- muss ich mich vielleicht
chen gesprochen auch schützen, wie kann
wird. ich mich schützen. Das
sind alles Sachen, die

76
grundlegend sind, um se-
xuell selbstbestimmt zu
leben“

K6: Alle Textstellen, „…die Lehrerin oder der Muss sich auf
Sexualaufklä- in denen die aktu- Lehrer macht dann eben die Sexualauf-
rung in der elle Sexualaufklä- noch entsprechende In- klärung in der
Schule rung in den Schu- halte zu Geschlechtstei- Schule bezie-
len angesprochen len, wie heißt das alles, hen.
werden. aber halt sehr biologisch.
Es ist immer nur Fach-
wissen, das vermittelt
wird und über emotio-
nale Themen wird, glaub
ich, so gut wie gar nicht
gesprochen“
K7: Alle Textstellen, „…Schwangerschaftsab- Muss auf Vor-
Aktuelle Gefah- die auf Gefahren bruch. Wir haben zum gänge hinwei-
ren in Bezug auf im Moment in Be- einen kaum noch Ärzte, sen, die eine Ge-
die sexuelle zug auf die sexu- die es durchführen, weil fahr für die se-
Selbstbestim- elle Selbstbestim- die auch Angst haben, xuelle Selbstbe-
mung mung hinweisen. weil die ja auch einfach stimmung von
von außen sehr sehr sehr Frauen und
viel Kritik ertragen müs- Mädchen bedeu-
sen und teilweise nicht ten.
nur Kritik und reflek-
tierte Kritik, sondern
einfach böse Schimpf-
wörter, Morddrohun-
gen…“

Anmerkung: Die Farben dienen der Zuordnung der Textstellen zu den jeweils zugehö-
rigen Kategorien.

77
Anhang 3: Transkript Interview mit B1

I: Also, das Interview beginnt um 11.49 Uhr. Heute ist der.. #00:00:15-1#

B2: 29.04. #00:00:09-0#

I: 29.04. Zuerst mal herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit für das Interview genommen
hast. Im Vorhinein ein paar Informationen zu dem Thema und zu dem Ablauf des Ge-
sprächs.

Ich werde in dem Interview verschiedene Fragen zum Thema „die sexuelle Selbstbe-
stimmung von Frauen und Mädchen stellen. Der Fokus soll dabei insbesondere auf der
Förderung der sexuellen Selbstbestimmung liegen und daneben, inwiefern Angebote
im Bereich der sexuellen Bildung dahingehend eine Rolle spielen können.

Im Verlauf unseres Gesprächs werde ich Dir nun verschiedene offene Fragen stellen,
bei denen ich Dich grundsätzlich bitte, einfach all das zu erzählen, was für Dich rele-
vant und wichtig ist. Ich schätze das Interview wird ca. 45 min in Anspruch nehmen.

Noch zu ein paar formellen Angelegenheiten:

Ich möchte das Interview für die spätere Auswertung auf Band aufnehmen und es an-
schließend verschriftlichen. Selbstverständlich verwende ich das Interviewmaterial
streng vertraulich und anonym. Ist das soweit in Ordnung für Dich? #00:01:06-8#

B2: Ja #00:01:07-8#

I: Ok, kannst du im Vorhinein kurz etwas zu deiner Person und zu deinem Arbeitsfeld
sagen? #00:01:13-3#

B2: Klar, mein Name ist B2. Ich bin 29 mittlerweile (lachend) kann mich noch nicht
ganz daran gewöhnen. Ich arbeite bei Pro Familia seit 2016. Ich habe da im Praxisse-
mester angefangen, wurde dann übernommen, erstmal als Honorarkraft und hab jetzt
seit, glaub, zwei Jahren einen festen Arbeitsvertrag mit 35 Prozent und mach aus-
schließlich sexualpädagogische Angebote in der Schule. Also hauptsächlich mit Mäd-
chengruppen, hab aber auch manchmal gemischte Gruppen, je nachdem wie es mit
dem Kollegen hinhaut. Also Berufsschule kann es auch sein, dass es dann die kom-
plette Klasse ist und ich das alleine mache. In der Beratungsstelle an sich hab ich nicht
viel zu tun, also ich bin schon zwischendurch da, wir haben ja auch Teamsitzungen,
aber jetzt gerade im Beratungskontext in Schwangerschaftskonfliktberatung oder so

78
angeht, mach ich nichts bisher, kann sich vielleicht nochmal ändern. Ich hab einen
Master, hoffentlich bald abgeschlossen, in angewandter Sexualwissenschaft und einen
Bachelor in Heilpädagogik. Genau. #00:02:10-8#

I: Ok, vielen Dank. Dann beginnen wir mit der ersten Frage. Woran zeigt sich deiner
Meinung nach, dass Mädchen und Frauen in einer Gesellschaft sexuell selbstbestimmt
leben können? #00:02:22-4#

B2: Das ist eine spannende Frage (lachend). Naja, grundsätzlich wär es ja einfach
schon mal schön, wenn Frauen und Mädchen ohne Gewalterfahrungen ihre sexuellen
Erfahrungen machen könnten. Wenn auch zum Beispiel die Periode nicht so krass
tabuisiert wäre, dass Mädchen einfach offen über ihre sexuelle Gesundheit sprechen
können, da mehr Anlaufstellen haben. Einen sicheren und meiner Meinung nach, sollte
es einen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln geben. Verhütung ist auch nicht
nur Frauensache, das ist auch, meiner Meinung nach, ein bisschen fehlinterpretiert, das
heißt das sollte so sein. Natürlich der Schutz vor sexualisierter Gewalt auf allen Ebe-
nen, also nicht nur tatsächlich Übergriffe, sondern auch Stalking, Verbreitung von
Bildmaterial, sind auch alles Gewalterfahrungen, die Mädchen machen können. Und
natürlich dann auch in dem Punkt immer, der Begriff slut shaming ist da ja ganz prä-
sent. Und dass Mädchen einfach aufgrund ihres Mädchenseins oder Frauenseins schon
allein in ihrer Sexualität einfach irgendwie mehr oder weniger untergraben. Also ist
auch gar nicht so erwünscht. Ja. Genau. #00:03:43-8#

I: Ok. Dann die zweite Frage: Denkst du, dass Mädchen und Frauen in Deutschland
sexuell selbstbestimmt leben? #00:03:52-1#

B2: //Nein. Tun sie aus den genannten Punkten nicht. Ich erlebe immer wieder Mäd-
chen in Projekten, die nicht mal aufgeklärt worden sind über ihre Periode. Das heißt
die erleben in jungen Jahren, in denen sie sowieso schon durch Pubertät und das ganze
Schulgedöns drum herum eh schon total unter Strom laufen und dann haben sie noch
ihre Tage und manche wissen einfach schlichtweg nicht warum. Denen wird immer
noch suggeriert, dass es etwas Dreckiges ist, dass da irgendwie was abgeht und allein
diese Vorstellung ist ja gegen sexuelle Selbstbestimmung, weil wenn ich nicht mal
meinen eigenen Körper gar nicht richtig kenne und gar nicht weiß, was da eigentlich
drin vorgeht, kann ich mich ja gar nicht selbstbestimmt irgendwie in meiner Sexualität
äußern. Fängt ja schon meistens damit an, dass Mädchen, die im Sportunterricht sagen,

79
ich hab meine Tage, ich kann heute nicht mitmachen, von Lehrerinnen immer wieder
erleben, dass es heißt "ja, dann zeig mir deine Binde" oder "dann will ich ein Attest"
und geh mal zum Arzt und krieg ein Attest, weil du deine Tage hast. Ich hab das neu-
lich auch gedacht, das ist grundsätzlich auch bei Frauen so, Frauen im Beruf, die wirk-
lich Schmerzen haben, können nicht einfach sagen "ich geh jetzt nach Hause, weil ich
hab meine Tage". Die müssen quasi immer eine andere Notlüge finden im Sinne "mir
ist übel" oder "mir ist schwindelig", weil einfach diese Regelschmerzen gar nicht an-
erkannt werden.

Das Nächste ist: Verhütungsmittel. Wie viele Frauen haben wir, die aufgrund ihrer
finanziellen Situation sich nicht immer das Verhütungsmittel leisten können, teilweise
dann einfach nicht verhüten. Kondome sind ja eher bei Männern nicht so beliebt. Das
erleben wir auch immer in Projekten, dass die Jungs das erst mal nicht so cool finden
und dann auch mit dem Argument kommen "das Mädchen kann doch die Pille neh-
men", also es wird auch einfach komplett abgegeben, weil das "Baby kriegt ja auch
die Frau". Und natürlich kann man sich da relativ schnell aus der Verantwortung zie-
hen. Deswegen bin ich einfach der Meinung, dass zur sexuellen Selbstbestimmung
auch natürlich dazu gehört, dass jede Frau jederzeit die Möglichkeit ein Verhütungs-
mittel ihrer Wahl kostenfrei zu erhalten. Und nicht nur Mädchen unter 25, weil ab 25
oder 21 - wir studieren ja trotzdem. Das heißt auch dann haben manche kein Geld
dafür. Und eine Spirale da rechnen wir mal mit 450 Euro, das muss man aufbringen
können und wenn man das nicht kann, ist es nicht selbstbestimmt. Jetzt nochmal ganz
kurz zurück zur Frage, musst mir nochmal kurz helfen. #00:06:17-2#

I: Ob du denkst, dass Frauen und Mädchen sexuell selbstbestimmt leben in der Gesell-
schaft #00:06:23-5#

B2: Nee, nee tun sie einfach nicht. Eine Erfahrung war auf einem Festival, wo dann
ein Typ gesagt hat "die Mädchen brauchen sich ja mehr oder weniger nicht wundern,
wenn man sie nachher irgendwo hinter`s Zelt schleppt". Und ich mir einfach denke,
wieso ist denn der Wert einer Frau, oder, also der Rock zeigt ja nicht an in der Länge,
wieviel ich bereit bin von meinem Körper herzugeben und selbst wenn ich nackig über
das Feld renne, ist es noch kein Grund übergriffig zu werden oder einen Kommentar
abzulassen, aber das sind momentan einfach immer noch ganz normale Verhältnisse,
würde ich sagen. Und nicht nur in prekären Systemen, sondern ganz normal - auf der

80
Straße, in der Uni, in der Schule. Mädchen werden immer für ihr Aussehen oder für
ihre Klamotten im Sommer degradiert und die Jungs können quasi oberkörperfrei rum-
laufen und es interessiert keinen - also es ist schon sehr eingeschränkt. Natürlich im
Verhältnis zu anderen Ländern sind wir deutlich weiter. Allein Thema Schwanger-
schaftsabbruch legal und so weiter, aber, nee sexuelle Selbstbestimmung würde ich
das noch nicht nennen. #00:07:28-4#

I: Kannst du dir vorstellen, dass soziale Medien da einen positiven bzw. negativen
Einfluss darauf haben? #00:07:35-4#

B2: Ich denke es kommt einfach ganz darauf an, welche und welchen Content man
sich ja auch selber zuführt. Und bei Instagram geh ich einfach mal stark davon aus,
dass die Mädchen hauptsächlich Seiten liken, wo es um Fitness, um Schönheit, um
Make-Up.. Und da sehen wir natürlich immer andere Vorbilder (.), immer andere Men-
schen, die mit uns eigentlich gar nichts zu tun haben, wo es ganz arg schwierig ist zu
reflektieren, dass da dahinter zum einen gutes Make-Up steckt, zum anderen auch das
Frauen sind, die halt jeden Tag Zeit haben, um Sport zu machen und sich um solche
Sachen zu kümmern. Eine Heidi Klum, die nach einer Schwangerschaft vier Wochen
später wieder perfekt aussehend auf dem Laufsteg steht (.), das kann eine normale Frau
nicht leisten, wie denn auch? Die hat ihr Kind zu versorgen. Die kann nicht ins Fitness
Studio rennen. Und deswegen glaub ich, dass es sowohl positive, als auch negative
Einflüsse gibt. Man muss sich aber halt den richtigen Content aussuchen und das stell
ich mir wahnsinnig schwierig vor, wenn man sich nie mit dem Thema auseinanderge-
setzt hat. Und das ist auch immer Thema bei unserem Projekt (.). Grad das Körper-
selbstbild, das durch diese ganzen medialen Eindrücke so verfälscht wird, dass es für
Mädchen natürlich auch unglaublich schwer ist, sich selbstbestimmt wahrzunehmen
und selbstbestimmt so zu zeigen, wie sie einfach sind, ohne sich dabei verstellen zu
müssen oder sich an irgendwelche Dresscodes zu halten. Es gibt aber auch ein paar
gute Seiten, die natürlich eher feministisch geprägt sind, die dann auch Mut machen
können. Aber es ist für mich einfach die Frage wie kommen Kinder und Jugendliche,
also junge Mädchen, aber auch erwachsene Frauen, wie kommen die auf die Seite,
wenn sie nie den Zugang zu feministischen Ansichten oder sowas bekommen haben.
#00:09:19-9#

I: Ja, ohne Sensibilisierung... #00:09:22-1#

81
B2: //Genau. Deswegen, es kann beide Seiten sein, aber ich glaub aber, dass das
Mainstream Zeug, was sie sich antun, eher ganz ganz negativ ist. #00:09:31-5#

I: //ja, auch durch Werbung.. #00:09:32-7#

B2: //genau. Werbung auch,zum Beispiel Bindenwerbung. Bindenwerbung ist immer


mit blauer Flüssigkeit, unsere Periode ist nicht.. Ich blute nicht blau. Und das ist auch
völlig in Ordnung, dass ich nicht blau blute. Und deswegen ist es für mich.. also ich
benutze im Projekt, wenn ich Binden und Tampons erkläre, einfach einen roten Tee
als Flüssigkeit und nicht was blaues. Weil allein das suggeriert doch schon, dass das
was da eigentlich rauskommt gesellschaftlich nicht erwünscht ist. #00:09:56-8#

I: Ja, komplettes Tabu Thema.. #00:09:57-6#

B2: Ja. Von sexistischer Werbung brauch ich ja gar nicht erst anfangen. Also irgend-
welche Reifen Werbungen, wo dann eine Frau danebensteht, im Bikini und man sich
fragt warum? Weil es geht um den Reifen. Warum hat die Frau.. Warum muss man
die Frau jetzt im Bikini daneben stellen? Was hat das für einen Sinn und was suggeriert
das auch? Welche Rollenbilder werden denn da vermittelt? Wenn ich die Werbung
mal.. Jetzt mal andersrum: die Vick Werbung, wo der Mann im Sterben liegt, wegen
seinem Schnupfen, nä das macht halt auch so ein Bild. Und das gibt es jetzt relativ
wenig, dass das auf Männer bezogen ist. Aber auf Frauen.. Also es gibt ja auch die
Grippostat Werbung, wo dann Mutti völlig krank ist und dann erst mal 3 Grippostat
gefühlt einschmeißt und dann kann sie wieder mit ihrem Kind arbeiten, so yeah. So
nein, das muss eine Mutter nicht, eine Mutter darf auch krank sein und wenn eine
Mutter krank ist, dann muss sie nicht irgendwas einschmeißen, damit sie funktioniert,
sondern damit sie einfach sich um sich selber kümmern kann. Und das ist einfach in
vielen Punkten (.), vielen, vielen Punkten so. #00:11:02-4#

I: Ja. Dann die Frage: was hat sich zu früher verändert deiner Meinung nach?
#00:11:09-3#

B2: Viel. Es hat sich wahnsinnig viel verändert. Also allein wenn wir bei Rollenbildern
bleiben. Natürlich haben wir mittlerweile.. wir dürfen studieren, also wir durften früher
ja nicht studieren, Frauen durften das einfach nicht. Frauen durften auch nicht zur Bun-
deswehr. Also wir haben jetzt schon deutlich mehr Offenheit, die aber meiner Meinung
nach, nur vorgetäuscht ist. Weil klar darf eine Frau Kfz Mechanikerin werden, aber

82
das geht auch nur, wenn der Betrieb da eine Umkleide hat für die Frauen. Und wenn
der Betrieb keine hat, dann sagt der einfach "nee sorry, wir können dich nicht ausbil-
den, du bist eine Frau und für dich haben wir keine Räume zum Umziehen". Und dass
ein Betrieb auch nicht hingehen kann, ein kleiner, der dann einfach sagt "jetzt nehmen
wir einfach mal 10 000 Euro in die Hand und bauen da noch was um, damit die Azu-
bine anfangen kann", ist ja völlig klar. Verändert hat sich meiner Meinung nach der
Zugang zu sexueller Bildung, also im Vergleich zu früher reden wir da relativ offen.
Es wird im Fernseher schon um.. also allein bei Big Brother um 19 Uhr, da duschen
die nackt und da sehen die Mädels halt auch Penisse. In der Bravo gab es das ja schon
eine ganze Zeit vorher diese nackten Menschen. Ich glaub da ist ne größere Offenheit
da, die aber auch wahnsinnig verunsichern kann. Weil jetzt steht denen auch das In-
ternet zur Verfügung und wenn die jetzt anfangen was zu googeln, weil sie irgendwas
aufgeschnappt haben, - das erleb ich bei Viertklässlern ganz oft, die dann "was ist
blasen?" - Und dann denk ich mir "oh Gott, was machen die, wenn die das jetzt goo-
geln?" Dann kriegen die ja alle Inhalte alle ungefiltert rein. Wir sind offener, aber es
ist nicht weniger gefährlich geworden. Also, auf der einen Seite ist es voll gut, dass sie
so viel Input kriegen können, auf der anderen Seite kursiert so viel Mythos und Falsch-
wissen, der trotzdem immer wieder in die Richtung steuert, dass Frauen und Mädchen
einfach doch nicht das gleiche Recht haben wie Männer. (..) Fuckboy ist das einzige
Wort, das mir für Männer einfällt, die sich so verhalten, wie sie Frauen betiteln als
Schlampen, also das ist (.).. #00:13:09-7#

I: Aber trotzdem nicht sehr gängig.. #00:13:10-7#

B2: Nee, es ist absolut nicht gängig und.. ich darf jetzt keine bösen Worte sagen, aber
wenn man zum Beispiel bei "Fotze" ist, ja? Ist eigentlich nur ein Begriff für das weib-
liche Genital und ich sag ja auch nicht im Gegenzug zu Männern "Du Penis". Wir
gehen sehr offen damit um - Rap macht da ja auch ganz viel. Und trotz dieser ganzen
großen Offenheit, erleb ich eigentlich eher vermehrt eingeschüchterte Jugendliche, die
viel viel weniger wissen und viel viel weniger Klarheit darüber haben. Wir haben na-
türlich auch einen riesigen Vorteil dadurch, dass jetzt Homosexualität, Bisexualität,
Pansexualität - das sind einfach Themen, die schon mal da gewesen sind. Für Jugend-
liche ist es jetzt natürlich viel leichter sich zu öffnen. Auch für ein Mädchen ist es
leichter zu sagen "ich bin bi" oder "ich möchte gar keine feste Beziehung, ich leb in

83
einer offenen Beziehung"- also wir haben viel mehr Möglichkeiten, die aber auch im-
mer mehr zu Unsicherheiten führen - oder führen können. Es betrifft ja nicht immer
alle, muss man ja immer im Kontext sehen. #00:14:14-3#

I: Ok. So und jetzt: Wo siehst du Möglichkeiten die sexuelle Selbstbestimmung von


Mädchen und Frauen zu fördern? #00:14:22-1#

B2: Einmal grundsätzlich: Zugang zu sexueller Bildung und zwar unabhängig von Re-
ligionszugehörigkeiten - weil der Körper ist immer der gleiche. Schutzräume für Mäd-
chen, also, dass auch Mädchen mal in Mädchengruppen sich sicher fühlen können.
Deswegen machen wir Sexualpädagogik ja auch immer noch geschlechtergetrennt,
nicht weil wir jetzt wahnsinnig an diesem Geschlechtermodell festhängen, aber weil
wir auch wissen und gemerkt haben, dass Mädchen sich in einer reinen Mädchen-
gruppe oft viel besser öffnen können und es auch einen gewissen Schutzrahmen für
sie bietet, um über Themen zu sprechen, die man vor Jungs vielleicht nicht ausbreiten
will, weil die eben diese sozialisierten Einstellungen mit sich tragen von Eltern, Groß-
eltern oder wie auch immer. Verhütungsmittel, hab ich ja schon gesagt. Das finde ich
einen ganz ganz wichtigen Punkt. Den Zugang auch.. Also (.). Frauenärzte sind voll.
Junge Mädchen haben wahnsinnige Probleme überhaupt einen Frauenarzttermin zu
kriegen und wenn dann nur im Notfall und.. Das geht nicht. Also ein Mädchen das
nicht zum Frauenarzt. Also die wollen ja eh nicht. Das ist ja eh schon immer so eine
wahnsinnige Hürde dort anzurufen und dann kriegst du keinen Termin und dann musst
du nochmal irgendwo anrufen... und sexuelle Gesundheit gehört zur sexuellen Selbst-
bestimmung dazu. Genauso wie es dazugehört, dass Mädchen sich endlich genauso
ausleben dürfen wie Jungs, ohne dass sie dafür abgestempelt werden oder beschimpft.
Da gehört dazu, dass es eigentlich auch so sein sollte, dass die Brüste einer Frau oder
die Brustwarzen einer Frau, genauso gezeigt werden dürfen, wie die von Männern.
Und wenn ich da ans Stillen denke, als wie verhöhnt ist es immer noch in der Öffent-
lichkeit zu stillen. Ich hatte jetzt neulich auch einen Kurs mit ein paar Frauen und
Männern und eine Frau mit Kind eben dabei und sie hat mich gefragt "ist es ok, wenn
ich die Kleine still, während dem Vortrag?" - und für mich war das ganz natürlich, so
"klar", also das Kind, wenn das das Bedürfnis hat gestillt zu werden, dann ist das für
mich gar kein Thema. Musste dann aber reflektieren, dass es einfach für viele Leute
einfach trotzdem immer noch ein Thema ist und viele Frauen in der Öffentlichkeit hart
angegangen werden, dass es was ist was man zu Hause macht und ich denk mir nur

84
"ja, nee". Ich kann ja nicht jedes Mal mit meinem Baby rein rennen, nur weil andere
Leute das irgendwie //das Natürlichste der Welt andere Leute stört und beschämt. Und
das sind einfach gesellschaftliche Punkte, da sind Werte und Normen immer noch im
Spiel, die unsere sexuelle Selbstbestimmung massiv einschränken. Bei den Männern
auch, aber um die geht es jetzt auch grad nicht so. Aber ich erlebe es schon sehr, dass
Frauen da einfach deutlichere Einschränkungen im Alltag schon erleben. Menstruati-
onsartikel - vor kurzem hatten wir noch 19 Prozent Mehrwertsteuer, weil Luxusartikel.
Schnittblumen waren bei 7 Prozent. Frag ich mich, was ist jetzt an einer Schnittblume
wichtiger, wie an meiner Binde? Und auch wenn ich da Kommentare dazu lese und
mich mit dieser Diskussion auseinandersetze, finde ich immer wieder (.) wirklich
Männer, die sagen "ja, ich hab mir auch nicht ausgesucht, dass ich einen Bart hab, jetzt
möchte ich die Rasiere auch kostengünstiger haben". Und wenn man dann anfängt
darüber zu diskutieren, dass man das eigentlich sogar umsonst zur Verfügung stellen
sollte, weil es ein medizinisches Produkt ist und kein Luxusartikel, dann geht die Dis-
kussion ja..also dann sind sie ja alle völlig am durchdrehen "weil, oh Gott die Männer,
und was kriegen die denn?" Und ich denk mir: aber ausgleichende Gerechtigkeit wäre
an der Stelle was Anderes. Das heißt wir müssten politisch wahnsinnig viel tun, wir
müssten gesellschaftlich wahnsinnig viel tun und wir müssten ganz ganz dringend da-
ran arbeiten, dass Frauen und Mädchen in ihrem Selbstwertgefühl von Anfang an mehr
unterstützt werden. #00:18:00-9#

I: Und wo siehst du da Ansätze (.) konkret? #00:18:05-2#

B2: Konkret fängt das für mich tatsächlich auch mit sexueller Bildung an. Also wir
machen da ja auch schon in der dritten Klasse, da ist eher der Schutz vor sexualisierter
Gewalt mit Stärkung von Selbstbewusstsein, wahrnehmen von Gefühlen, wie fühlt
sich das an, wenn mir jemand nahekommt. Ich darf sagen, wenn mir das nicht passt.
Also das einfach zu supporten und natürlich aufzuklären, damit die wissen, was ist in
meinem Körper passiert oder was passiert da grade, wozu ist das gut, wovor muss ich
mich vielleicht auch schützen, wie kann ich mich schützen. Das sind alles Sachen, die
grundlegend sind, um sexuell selbstbestimmt zu leben. Da sind wir ja noch nicht mal
bei Frauen mit Behinderung (.), die dann einfach wirklich gar nicht, teilweise gefragt
werden, sondern einfach mit der drei Monat Spritze verhütet werden. Die haben noch
nicht mal Sex, die wollen auch gar nicht, aber von oben herab wird das einfach direkt
unterbunden. Also das ist einfach nochmal natürlich ein ganz großer Bereich an sich,

85
da sieht es mit der sexuellen Selbstbestimmung noch ganz fataler aus, wie in anderen.
#00:19:01-0#

I: Ja, das ist nochmal ein anderer Bereich. #00:19:02-6#

B2: Genau, aber auch da ist es wichtig, dass man Wissen vermittelt, damit man selbst-
ständig darüber entscheiden kann, möchte ich das meinem Körper antun oder nicht.
Das fängt auch damit an, dass Pillen nicht mehr permanent als Zaubermittel gehand-
habt werden. Die Pille ist ein Verhütungsmittel und kein Produkt, um die Haut schöner
zu machen. Und das wird aber auch von Frauenärzten, von Krankenkassen, also es
wird ja in dem ganzen System immer so propagiert. Und gerade diese ganzen Diskus-
sionen und feministischen Diskussionen, die ja immer ganz viel auf den Tisch bringen,
werden auch immer gedeckelt, das heißt auch da müsste man ansetzen und auch mal
mit den Mädchen arbeiten und vielleicht auch einen Ticken feministischer. Es ist halt
wahnsinnig problematisch in der Gesellschaft, wo die Demo für alle ein sehr sehr be-
liebter Ort ist für Leute, die sich anscheinend nie reflektiert haben - ich will da jetzt
gar nicht so darüber urteilen, aber wir merken ja den Gegenwind und ich merke den
auch bei den Elternabenden und ich merke wie Eltern plötzlich auf die Barrikaden
gehen, wenn man sagt "wir erklären den Kindern was Geschlechtsverkehr bedeutet".
Da alle schon immer mit Alarmlampen auf dem Kopf, so "wir zeigen den..". Nein, wir
zeigen denen gar nichts, aber die müssen doch wissen was ist Geschlechtsverkehr, da-
mit sie sich auch schützen können. Wie soll denn ein Kind kapieren, weil wenn es zu
einer übergriffen Situation kommt, dass das nicht in Ordnung ist, dass ein Erwachsener
mich berührt. Weil, also berühren tun mich viele Erwachsene - streichen mir über den
Arm oder sonst was. Aber, dass diese Stellen und solche Formen einfach Erwachse-
nensexualität sind. Und dass kann ich nur dann machen, wenn ich von Grund auf allen
Kindern die Möglichkeit gebe sexuelle Bildung zu genießen. Und das wird in der
Schule halt leider wenig gemacht, es steht zwar im Lehrplan, aber dann auch abhängig
von der Lehrperson, die gerade Unterricht hat und wie das dann ausgeführt wird und
auch mit welchen Haltungen, die dahinterstecken. Da muss man halt echt ein gutes
Auge draufhaben. Ich fände es super, also so ganz grundsätzlich, bin ich der Meinung
es sollte an jeder Schule nicht nur eine Sozialarbeiterin, die sich nicht nur um Anti-
Gewalt-Trainings kümmert, sondern auch eine Ansprechperson für sexuelle Bildung.
Eine Sexualpädagogin oder einen Sexualpädagogen an jeder Schule, das wäre mein

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Traum Ziel. Beziehungsweise Sexualpädagogik oder Sexuelle Bildung als Unterrichts-
fach. Einfach das sowas regelmäßig immer wieder einfließt. Das kann man ja auch
fächerübergreifend, das ist ja gar kein Problem, aber wir müssen in dem Bereich un-
bedingt mehr tun! #00:21:36-8#

I: Ihr werdet wahrscheinlich nicht in alle Schulen eingeladen? #00:21:41-7#

B2: Nee, leider nicht. Also auch gerade Schulen in Ludwigsburg, die es dringend nötig
hätten. Zum einen weil ich selber auf der Schule war oder, weil ich Jugendliche hab,
die dann erzählen "so und da ist es so und ganz schlimm" und auch viele Übergriffe
stattfinden - wenn wir nicht eingeladen werden, können wir halt nichts machen// und
wir haben nur eine begrenzte Anzahl von Stellen, d.h. ich kann, //selbst wenn alle
Schulen buchen wollen würden, kriegen wir sie gar nicht unter. Wir sind ein Jahr im
Voraus meistens schon komplett ausgebucht. Weil die Schulen sie wollen das, sie neh-
men das gerne an, aber es ist halt einfach auch ein teures Angebot, weil wir da natürlich
auch nicht so viel Unterstützung durch den Staat erfahren, wie zum Beispiel irgend-
welche Projekte zu Sport, also das wird eher gefördert wie Projekte zu sexueller Bil-
dung. #00:22:26-8#

I: Wie läuft denn sonst die Sexualaufklärung an Schulen? Bloß Biologieunterricht oder
ist es tatsächlich fächerübergreifend, wie es ja eigentlich der Maßstab sein sollte?
#00:22:38-4#

B2: Ich glaube jetzt weniger, dass in Mathe irgendwelche Aufgaben auf den Tisch
kommen mit "Sina und Patrizia sind ein Paar.." - so könnte man das ja gut einführen,
also man könnte ja immer mal wieder stückchenweise zum Beispiel sexuelle Vielfalt
darlegen, ohne dass Kinder das jetzt irgendwie groß irritieren würde. Im Sportunter-
richt, da fehlt es glaub komplett. Einfach auch dieses Nähe-Distanz-Verhalten zu ler-
nen, was ja da super wäre, weil wir ja eh schon in einer Gruppe sind, wo wir miteinan-
der uns näherkommen, aber trotzdem auch darauf zu achten, dass die Kinder sich auch
angemessen wehren oder sich bemerkbar machen, wenn es zu viel wird. Und ich glaub
da wird das einfach gar nichts gemacht. Die Schulen, die ich habe, von denen weiß
ich, dass ich quasi zum Projekt komme, wir bereiten vor, wir machen quasi mal den
Startschuss oder wir runden das ab und die Lehrerin oder der Lehrer macht dann eben
noch entsprechende Inhalte zu Geschlechtsteilen, wie heißt das alles, aber halt sehr

87
biologisch. Es ist immer nur Fachwissen, das vermittelt wird und über emotionale The-
men wird, glaub ich, so gut wie gar nicht gesprochen. Also auch "was löst das aus,
wenn du deine Tage hast?" Das sind ja aber auch eher wirklich Gespräche, die in die
Tiefe gehe - das kann auch nicht jeder. Und ich bin auch nicht Fan davon zu sagen,
alle Lehrer müssen das machen. Wenn ich an meine persönliche Grenze komme und
darüber hinaus versuche, was zu vermitteln, dann kommt das eib den Kindern nicht
an. Das werden die so nicht annehmen. Deswegen finde ich es wichtig zu sagen, auch
als Biologielehrerin oder Lehrer "bis dahin kann ich gehen und ab diesem Moment
muss ich mir jemandem dazu holen". Und das finde ich schon auch teilweise, wenn
die mir anfangen zu erzählen, wie die Kondome erklärt bekommen haben in der sieb-
ten Klasse, wo dann halt wirklich die Gurke oder die Banane auf dem Tisch liegt und
der Lehrer da vorne anfängt das Kondom da drüber zu pfrimeln. Ich glaub das ist die
peinlichste Situation, die man sich vorstellen kann - für BEIDE. Und auch immer die
Angst "ja müssen wir jetzt Kondome über Bananen ziehen?" und ich "ich hab keine
Bananen, also ich habe Holzpenismodelle, die hab ich dabei, die sind sehr abstrakt".
Ich will die auch nicht verunsichern. Wir kommen auch nicht mit Dildos oder sonst
was um die Ecke. Es braucht für Sexualpädagogik einfach auch eine gewisse Sensibi-
lität und eine gewisse Empathie, um zu fühlen, kommt die Gruppe mit bzw. kommen
Einzelne mit? Und dann ist es im Schulkontext immer nicht freiwillig und das muss es
sein, damit es annehmbar ist, weil jeder hat seinen eigenen Schampunkt, an dem er
aussteigen will. Und wenn ich jetzt einfach quasi das in der Schule in diesem Pflicht
und Bewertungskontext anbringe - das kann nicht funktionieren. Fragen werden gar
nicht erst gestellt, weil ich weiß "dieser Mensch gibt mir nachher auch meine Note,
dann schreib ich da noch eine Arbeit darüber". Das gibt dir ein ganz anderes Gefühl,
wie wenn wir Sexualpädagogik machen, schöne Materialien dabeihaben, die man an-
fassen darf, wo man auch mal eine doofe Frage stellen kann, weil wir alle wissen, in
diesem Raum passiert dir nichts. Und ich glaub deswegen, glaub ich, dass Sexualpä-
dagogik outgesourct immer noch gerade der wertvollere Beitrag. Ich find es gut, dass
die Schulen das machen und es gibt auch wirklich wirklich ganz ganz bemühte Lehre-
rinnen und Sozialarbeiterinnen und Co, die machen das wundervoll - aber alle können
es nicht und deswegen denke ich, dass es auch die Leute machen sollten, die sich damit
wohl fühlen, die auch den Kindern und Jugendlichen das vermitteln können, dass es
eben auch um einen gewissen.. (.) ja, Selbstliebe, eine Sexualfreundlichkeit und nicht

88
so ein Tabu - weil ich glaub dann würden wir deutlich weiterkommen, also auch gerade
was sexuelle Selbstbestimmung bei Mädchen und Frauen bedeutet. #00:26:14-4#

I: Ok, nochmal konkret die Frage: wie kann man sexuelle Bildung so gestalten, um
Mädchen in ihrer sexuellen Selbstbestimmung zu fördern? Also du hast schon mal
gesagt: geschlechtgetrennte Gruppen..? #00:26:27-5#

B2: Genau, zumindest geschlechtssensible Gruppen, also..#00:26:31-1#

I: Was bedeutet das genau? #00:26:32-2#

B2: Wir arbeiten mittlerweile so, dass wir den Gruppen im Vorhinein sagen "wir tren-
nen jetzt". Bei mir ist es jetzt meistens mit A. zusammenzuarbeiten. Und alle, die sich
mehr für die Jungsthemen interessieren, die gehen mit dem A. mit und alle, die sich
eher für die Mädchen interessieren, die gehen bei mir mit. Meistens relativ klar: die
Mädchen sind bei mir, die Jungs sind bei A. Aber wir möchten das offen, weil es auch
immer Trans- und Interkinder gibt. Und auch da ist sexuelle Selbstbestimmung wichtig
und da sollten die auch in diesem Fall und das sollte auch die ganze Klasse merken:
"ich darf entscheiden (.), worüber ich jetzt was lerne, weil ich darf entscheiden, was
jetzt für mich wichtiger ist". Da finde ich fängt es schon, dass man das auch einfach
kommuniziert und auch darüber spricht, dass es andere Möglichkeiten gibt sich zu
entscheiden. Bei meinen Mädels merke ich immer ganz deutlich, wenn ich das Mate-
rial auspacke, dass das schon einfach echt viel macht. Weil Menstruation zu erklären
ohne ein schönes Material und so biologische Folien aus dem Bio Buch, da hätte ich
auch keinen positiven Bezug dazu gekriegt. Und ich glaub einfach, dass eine positive
Grundhaltung gegenüber der eigenen Sexualität maßgeblich dafür ist, wie sich die se-
xuelle Selbstbestimmung nachher ausprägen kann oder auch nicht. Wenn ich immer
nur erlebe "mein Körper ist falsch, ich als Mädchen bin weniger wert" - warum soll
man da//warum soll man sich da weiterentwickeln, warum sollte man sich denn da was
trauen? Und mal alle Facetten von sich und seiner Sexualität wahrzunehmen, weil da
geht es ja nicht immer nur um Geschlechtsverkehr, Sexualität beginnt ja einfach schon
mit der Körperveränderung in der Pubertät. Bei Mädels ist auch zum Beispiel..//Das
ist immer ein bisschen tricky, wann ich das anbringe, aber achte Klasse auf jeden Fall,
pro Selbstbefriedigung zu sein und denen auch zu vermitteln "das ist nichts schlimmes,
das ist das Normalste der Welt - Männer machen das dauernd, du darfst das auch!".
Und es ist nichts dran, was man irgendwie// was einen beschämen sollte. "Der eigene

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Körper gehört nur dir!" Und damit setzt du zwei Punkte: einmal: "das ist mein Körper,
da darf auch niemand ran, das heißt keiner darf über meinen Körper bestimmen" und
"ich bin gut so wie ich bin". Und das sind, glaub ich, diese Grundpfeiler, die sie mit-
kriegen sollten. Wir machen das halt eben viel durch schönes Material oder auch durch
angemessene Sprache. Also ist ja auch immer die Frage, wie rede ich darüber, wie
erkläre ich Menstruation? Sag ich irgendwie "ja, dann kommt halt Blut aus deiner
Vulva" oder sag ich "naja, der Körper baut ein Luxushotel auf für ein Baby, weil er
das eigentlich denkt, dass das kommt und wenn es nicht kommt, dann baut er es wieder
ab". Das ist eine andere Form an die Sache ranzugehen, das ist liebevoll mit dem ei-
genen Körper gedacht und dann krieg ich ein positives Gefühl dazu und dann kann ich
ganz anders damit umgehen. Und sie natürlich auch jedes Mal darin zu bestärken, also
auch so Sachen wie Tampons kaufen, finden die voll peinlich. Und einfach auch daran
zu arbeiten und mit denen zu erarbeiten, dass das ja völlig normal ist. Und das die
Frau, die an der Kasse sitzt, die das ja auch tut. Die muss das ja auch einkaufen, das
heißt, die an der Kasse wird dich schon mal überhaupt nicht irgendwie dafür auslachen.
Wenn du zu deiner Lehrerin gehst, die hat das auch. Aber manchmal fehlt einfach der
Blickwinkel dafür, dass das ja alle Frauen betrifft, weil wir nie darüber reden, nie. Es
wird ja totgeschwiegen, dass Frauen menstruieren. (lacht) Also das sind (unv.), wenn
jetzt achte Klassen, weiter höher, Berufsschulklassen: Verhütungsmittel und zwar jede
Seite eines Verhütungsmittels und zwar nicht nur "ah die Pille kann schöne Haut ma-
chen" sondern "die Pille kann auch gar gefährlich sein, die kann auch Thrombose aus-
lösen". Also ich muss umfassend und in alle Richtungen informieren, damit sich eine
eigene selbstbestimmte Haltung entwickeln kann. Ja. Pornografie, auch so ein Thema.
Wir müssen aber anfangen darüber zu reden, weil sonst werden Mädchen immer mit
dem Bild von diesen Frauen konfrontiert, die sich unterbuttern lassen, die in Positionen
daliegen, die sehr von männlicher Dominanz bestimmt sind. Auch diese Bilder aus
dem Kopf rauszuarbeiten, was wir so als Frauen eigentlich von klein auf kriegen:
"Mädchen haben Zöpfe, Mädchen haben Röcke", also Rollenbilder zu reflektieren und
das ganz offensiv auch mal mit der ganzen Gruppe zu tun. Wenn wir mit achten Klasse
arbeiten, dann geht es auch viel um Beziehung, wo wir dann auch immer gerne die
Jungs dazu holen, damit die einfach merken "die sind gar nicht so unterschiedlich in
ihrem Denken und Jungs und Mädchen haben die gleichen Gefühle und erwarten ei-
gentlich die gleichen Dinge von einer Beziehung". Und das muss man mal aufmachen.
Und man muss denen auch einfach mal die Möglichkeit geben, sich mit dem anderen

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auseinandersetzen, mit dem anderen Geschlecht auseinanderzusetzen, zu experimen-
tieren, zu gucken "wie weit können wir denn miteinander gehen?". Und deswegen
muss die Sexualpädagogik sich auch grundsätzlich in die Richtung wieder mehr öff-
nen. Andere Methoden finden, junge Methoden finden, über Instagram sprechen, über
facebook, über.. alles was gerade an Medien auf dem Tisch liegt. - Sowohl die Gefah-
ren, aber natürlich denen auch zu zeigen "das kann man auch voll gut positiv nutzen",
also du kannst dich auch mit den Leuten verbinden und du kannst Informationen aus-
tauschen oder leicht Informationen holen. Das sind aber alles Sachen, die muss ich
langsam mal auf den Tisch bringen, es hilft nicht nur weiterhin jetzt nur über Kondome
und Menstruation zu sprechen, sondern ich muss auch mal anfangen über Menstruati-
onstassen und Sexspielzeug, weil sie sind ja damit konfrontiert im Fernseher. Es ist
nicht mehr so, dass Kinder noch nie einen Vibrator gesehen haben, wenn ich mittags
um drei den Fernseher anmach, dann kommt die Eis Werbung. Und dann muss ich
anfangen darüber zu reden, weil es ist präsent, es ist da und sie müssen im Alltag damit
umgehen und deswegen müssen wir auch an diesen Themen früher ansetzen. Und nicht
erst in der Berufsschule, wenn sie dann selber fragen "was ist eigentlich ein Dildo?"
Hab ich mit Frauen mit Behinderung auch ganz oft, dass die schlichtweg einfach gar
nicht wissen, was das ist und wie man damit umgeht. Und da sind jetzt einfach//da
reden wir von einer Personengruppe, die oft nicht in den Genuss von partnerschaftli-
chen Sexualität kommt. Das heißt ich muss aber irgendwie ja auch gucken, wie ich
alle Personen irgendwie so unterstützen kann, dass die sich wenigstens ihre Behilfs-
mittel besorgen können. Und Sexualität ist was ganz ganz Grundlegendes. Das ist ja
nicht irgendwie "ich hab mal Hunger auf Schokolade", sondern das ist einfach auch
eine Art von Grundbedürfnis. Unser komplettes partnerschaftliches Verhalten ist ge-
prägt durch unsere sexuelle Geschichte. Und das muss man einfach wissen und das
sollten die auch wissen. Dass man mit dem Beckenboden, keine Ahnung, super viel
steuern kann, auch beim Orgasmus. Das sind jetzt natürlich keine Informationen für
Viertklässler, die können damit noch nichts damit anfangen, aber es sind Informatio-
nen, die meiner Meinung nach, geteilt werden sollten. Wie groß ist eine Klitoris, wo
liegt die eigentlich, was ist dieser G-Punkt, gibts den wirklich, können alle Frauen
ejakulieren oder nicht? Da sind so viele Mythen gerade durch diese ganze Medienprä-
senz. Und wir müssen wirklich anfangen mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, in allen
Altersschichten. Für junge Frauen, also grad im Studium, gibt es gar nichts. Da wär
mein..// also in Berlin gibt es da ganz ganz tolle Settings, die ich super finde. Wie zum

91
Beispiel so ein Frauencafé, die haben tagsüber quasi ein Laden, wo man hauptsächlich
Frauendinge kaufen kann, also Baumwollbinden oder Femidome, also alles eher spe-
zifischer und abends wird das ein Café und da werden da Vorträge gehalten//
#00:33:50-3#

I: Das kenn ich.. #00:33:52-1#

B2: ja genau, also weibliche Ejakulation. Und sowas fände ich hier total wichtig. Wir
sind ja hier auch mit Stuttgart und Ludwigsburg relativ groß. Und das sind auch alles
Themen.. Sex in der Schwangerschaft, also da gibts ja ganz viel das unausgesprochen
da liegt und wo sich keiner drum kümmert und wenn ich nicht in der Lage bin, und
das sind einfach viele Frauen, sich die entsprechende Fachliteratur zu besorgen, weil
einmal ist das teuer und zweitens muss ich da wissen, was ich da les und vielleicht
auch ein bisschen aussieben, was ist da gute Literatur und was sind da eher vielleicht
so ein bisschen auch kritisch zu betrachtende Ansichten - das muss man aber schulen,
da muss man unterstützen, da muss man Hilfestellungen geben. Das heißt ich könnte
so viel mehr tun, indem ich einfach quasi nur ein Ort öffne, an dem solche Themen da
sein dürfen. Mehr Beratung für junge Frauen, nicht nur zum Thema Schwangerschaft,
weil Schwangerschaft ist nicht das Alles was eine Frau betrifft. Ja, es tun auch alle
immer so, als wäre Schwangerschaft das Non Plus Ultra im Leben einer Frau, und
viele wollen aber halt keine Kinder mehr kriegen. Aber die haben trotzdem Themen
und die wollen trotzdem eine erfüllte Sexualität. FrauenärztInnen schulen (.) in sexu-
eller Bildung. Wie gehe ich denn auch empathisch zum Beispiel mit jemandem um,
der gerade merkt "ich bin ungewollt schwanger". Da gibts ja Frauenärzte, die dir halt
einfach den Bildschirm hindrehen und sagen "guck da ist der Herzschlag auch wenn
du es gar nicht sehen wolltest". Da müsste man auch viel mehr kooperieren. Ich denk
einfach der ganze Frauengesundheitsbereich mit Gynäkologie, mit Sexualpädagogik,
alle Beratungsangebote - wir müssten uns viel mehr vernetzen und viel mehr gucken,
dass wir ein gemeinsames Ziel verfolgen und das ist ja letztendlich immer nur die
sexuelle Selbstbestimmung der Frau zu fördern. Wir leben nicht mehr in den Sechzi-
gern, wir sind einfach eigentlich// könnten eigentlich viel viel weiter sein. Es ist ein-
fach schade, dass sowas auch oft gebremst wird. Vielleicht auch ein Stück weit durch
Lobbyismus. Weil die Frage ist ja: wer bringt die Pillen denn auf den Markt? Und
warum ist die Pille bzw. die Lösung für den Mann noch nicht auf dem Markt? Es gibt
nämlich eine, dass man quasi einfach die Samenleiter eine Flüssigkeit oder ein Gel

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einspritzt, das sich ganz leicht wieder mit einer Kochsalzlösung wieder auflösen kann,
kommt aber nicht auf den Markt. Und auch über solche Sachen mal irgendwie zu spre-
chen, und mit Jugendlichen daran zu arbeiten, woher kommen denn solche Sichtwei-
sen, woher kommen Rollenbilder? Damit sie nicht nur sich verstehen, sondern auch
einfach mal auf das Gesamtbild gucken und merken, wo wird Sexualität überall ein-
geschränkt. Ich find das auch einen relativ wichtigen Zugang. #00:36:16-0#

I: ja mega. Ok, jetzt die letzte Frage: Welche Gefahren siehst du im Moment auf die
sexuelle Selbstbestimmung? (.) Also aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen?
#00:36:29-7#

B2: //ja, Schwangerschaftsabbruch. Wir haben zum einen kaum noch Ärzte, die es
durchführen, weil die auch Angst haben, weil die ja auch einfach von außen sehr sehr
sehr viel Kritik ertragen müssen und teilweise nicht nur Kritik und reflektierte Kritik,
sondern einfach böse Schimpfwörter, Morddrohungen, keine Ahnung. Leute, die bei
Pro Familia in Pforzheim die Frauen belästigen, die in die Beratungsstelle gehen, wo
sie noch nicht mal wissen, ob es um einen Schwangerschaftsabbruch oder eine Paarbe-
ratung geht. Aber, also das ist, finde ich, eine der größten Punkte, die grad auf dem
Spiel stehen. Dass Frauen einen sicheren Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch
haben und das das Selbstbestimmung bedeutet. Ich alleine bestimme über meinen Kör-
per. Ich darf eine Haltung dazu haben, das darf jeder Mensch und jeder Mensch darf
das sehen wie er oder sie das möchte, aber ich habe nie das Recht das einem anderen
Menschen aufzudrücken. Und da sind wir, meiner Meinung nach, gerade in einer sehr
gefährlichen Richtung, weil sich da was aufbäumt und da so eine Welle rüber
schwappt, die einfach// also mal komplett gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau
geht. Komplett. Also da lässt sich ja auch gar nicht mehr diskutieren. Wir sind schon
ein bisschen weiter gerade durch diese Pille danach, aber auch die Pille danach ist ja
eigentlich ein Notfall Verhütungsmittel. Das heißt diese Aufklärungsarbeit, die trotz-
dem noch stattfinden sollte, in Bezug auf "wie gefährlich sind denn hormonelle Ver-
hütungsmittel, machen die etwas..//was machen sie mit unserem Körper?" Da müsste
man auch viel mehr tun. Oh Gott, eigentlich könnte ich stundenlang darüber reden,
was man tun müsste und was nicht so gut läuft, aber.. Politisch ist es ein Knackpunkt.
Und solang mein Körper von // oder was mit meinem Körper passiert, von alten weißen
Männern bestimmt wird, solang ist es absolut// hat es nichts mehr mit Selbstbestim-
mung zu tun. Und da gehen wir, meiner Meinung nach, einen sehr gefährlichen Weg.

93
Auch Kindern, zum Beispiel, einfach zu untersagen Sexualpädagogik zu haben, also..
Wir sind jetzt auch mit den geflüchteten jungen Frauen, da sind einige, die immer noch
Angst haben müssen, dass sie zwangsverheiratet werden und für die ist das einfach
eine ganz lebendige Realität. Die wissen nicht, ob sie wenn sie das nächste Mal in
Flieger steigen, ob sie wieder nach Hause kommen. Und das kommunizieren die auch
so, die haben Angst. Jungfernhäutchen - es ist kein Häutchen, das zerreißt, wenn der
große Penis kommt, nein, es ist ein Hymen, das ist immer da und das geht auch nicht
durch eine Geburt kaputt. Aber das sind Sachen, die muss ich verbreiten, weil alleine
dieses Jungfernhäutchen sorgt so oft für Angst, für Stress, für eventuell sogar Morde,
weil irgendjemand gesagt hat "die hat nicht geblutet, die war keine Jungfrau mehr".
Warum auch immer eine Jungfrau mehr wert ist.. allein da wäre ja schon mal ein An-
satzpunkt. Aber das sind diese ganzen Themen, die schon seit Jahren auf dem Tisch
liegen und wo jetzt gerade irgendwie immer eher so eine richtige konservative Welle
kommt, die da nochmal drüber fegt und das ganze was man quasi erarbeitet hat wieder
platt fegt. Und das ist bisschen schade. Und da wünsche ich mir auch von Seiten der
Regierung andere Statements. Also, Frauenquote.. das fällt denen dann ein. Da kommt
eine Frauenquote. "Ja aber ich will nicht Quote sein". Ich möchte als Frau an dieser
Position stehen, weil ich es verdient habe und nicht weil es eine Quote sagt. Das kann
man auch wieder anders sehen, das kann man in alle Richtungen diskutieren. Aber
Frausein soll darf Krankheit sein und ich möchte nicht nur, nur weil ich eine Frau bin,
überhaupt darüber nachdenken müssen "kann ich das jetzt machen oder kann ich das
nicht?" Also zumindest (.) sollten wir so weit kommen, dass eine Frau sich nicht mehr
fragen muss "darf ich das, weil ich eine Frau bin?" Sondern grundsätzlich kann ich das
machen, ist das moralisch in Ordnung, einfach das, was ein Mann halt dann auch in
dem Fall tun würde. Der macht sich ja auch relativ wenig Sorgen darüber "darf ich
jetzt oberkörperfrei rumrennen oder nicht".. der ist in einer anderen Richtung, also wie
gesagt gehört nicht zum Thema, aber muss die immer ein bisschen miterwähnen, weil
ich sonst immer das Gefühl habe Männer sind so arg unterrepräsentiert bei mir. Kin-
dergärtner, männliche Erzieher, die haben es immer schwer. Die brauchen das Kind
nur einmal falsch anfassen und DRAMA. Ja, also dabei auch immer nicht zu verges-
sen, dass auch Frauen Täterinnen sind. Und dass man auch Frauentäterinnen Arbeit
anbieten müsste und nicht nur Gruppen mit Männer Tätern. Also das gehört ja auch
dazu. Man müsste einfach mal das Blickfeld wieder öffnen, hingucken, sehen da ist

94
immer noch ein Ungleichgewicht und gucken wie man das ausbügeln kann. Und so-
lang das aber gesellschaftlich nicht passiert, kann ich nur eins tun: ich kann die Mäd-
chen stärken. In ihrem Selbstwertgefühl, in ihrem Körpergefühl und versuchen ihnen
eine sexpositive Haltung zu vermitteln. Das kann ich tun. Wie sehr fruchtbar das ist,
wenn wir einmal kommen, weiß ich nicht. Das müsste man eigentlich überall und je-
derzeit und in der Schule und zu Hause. Das können wir aber so ja gar nicht steuern.
Das heißt wir sind nur punktuell da und haben halt vier Stunden Zeit um möglichst
viele Themen zu vermitteln und dabei noch eine Haltung. Es wäre ein Ansatzpunkt zu
sagen "wir unterstützen Sexualpädagogik oder sexuelle Bildung finanziell, mit mehr
Stellen", sodass wir auch als Beratungsstelle zum Beispiel überhaupt den ganzen
Landkreis abdecken können, können wir nicht. Also ist eine Utopie zu sagen "wir
könnten alle Schulen bedienen", geht nicht. Wahrscheinlich nicht mal die Hälfte. Und
allein das ist ein Punkt, finde ich, wo man ansetzen kann. Aber da sind wir, wie bei
der Sozialen Arbeit im Allgemeinen, halt einfach schlecht dran. Finanzielle Mittel für
Bildung, für soziale Angelegenheiten, ist ja kaum da. Und wenn man das jetzt aktuell
betrachtet: diese ganzen.. //also alle Klassen, die dieses Jahr gebucht haben, kriegen
kein Projekt mehr. Und wir wissen nicht wie es nächstes Jahr aussieht. Also allein
solche Sachen, das das nicht gesichert ist, ist total schade. ja. #00:42:29-2#

I: Perfekt, ja gut, das war es von meiner Seite. #00:42:33-2#

B2: ja wunderbar. #00:42:33-9#

I: Es ist 12.31 Uhr. #00:42:35-6#

#00:42:35-6#

95
Anhang 4: Transkript Interview mit B2

I: So das Interview beginnt um 11.04 Uhr. Datum ist der 30.04. Zuerst mal herzlichen
Dank, dass du Dir Zeit für das Interview genommen hast. Im Vorhinein ein paar In-
formationen zu dem Thema und zu dem Ablauf des Gesprächs. Ich werde in dem In-
terview verschiedene Fragen zum Thema "die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen
und Mädchen" stellen. Der Fokus soll dabei insbesondere auf der Förderung der sexu-
ellen Selbstbestimmung liegen und inwiefern Angebote im Bereich der sexuellen Bil-
dung dahingehend eine Rolle spielen können. Im Verlauf unseres Gesprächs werde ich
nun verschiedene offene Fragen stellen, bei denen ich dich grundsätzlich bitte, einfach
all das zu erzählen, was für Dich relevant und wichtig ist. Ich schätze das Interview
wird ca. 30 bis 45 Minuten in Anspruch nehmen. Noch zu ein paar formellen Angele-
genheiten. Ich möchte das Interview für die spätere Auswertung auf Band aufnehmen
und es verschriftlichen. Selbstverständlich verwende ich das Material streng vertrau-
lich und anonym. Ist das in Ordnung für dich? #00:01:02-9#

B1: Ja. #00:01:04-3#

I: Okay. Kannst du im Vorhinein kurz zu deiner Person und zu deinem Arbeitsfeld


etwas sagen? #00:01:09-6#

B1: Ja. Also ich bin seit, ich überleg grad, 27 Jahren als Heilpraktikerin tätig, und
genauso lange bin ich mit Frau im feministischen Frauengesundheitszentrum. Und aus
diesem Kontext ist mein als Heilpraktikerin, als auch im feministischen Frauengesund-
heitszentrum, ist meine Haupttätigkeit Frauenheilkunde. Also Frauen zu unterstützen,
zu beraten und zum Teil zu behandeln im praktisch sämtlichsten Frauenerkrankungen.
Und gleichzeitig ist mir ein riesiges Anliegen das gegenwärtige Frauenbild, das sehr
patriarchal bestimmt ist, dagegen irgendwas zu setzen. Also das zu unterstützen, dass
Frauen ein anderes Verhältnis zu ihrem Körper kriegen. #00:02:03-6#

I: Ok, dann beginnen wir mit der ersten Frage: Woran zeigt sich deiner Meinung nach,
das Mädchen und Frauen in einer Gesellschaft sexuell selbstbestimmt leben können?
#00:02:15-7#

B1: Also, die erste Geschichte wäre, dass sie ein gutes eigenes Körpergefühl haben
und aufgeklärt sind über ihren Körper und das kann man sagen, ist in keiner Weise der
Fall. Zu gar nichts, was die weibliche Biologie anbelangt und ich nehme mal das erste

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raus: also die Tatsache, dass Frauen zwischen 30 bis 40 Jahre menstruieren, ist heute
noch mit Scham behaftet, nur ist das Bild der Scham eine andere geworden. Aber es
ist zum Beispiel problemlos so, dass Pillen verschrieben werden, die die Menstruation
unterdrücken und man das auch als ok und gut sieht. Und da, finde ich, fängt es schon
an, dass das Frauenbild, das die Frauen, auch wir alle verinnerlicht haben, ein sehr
patriarchales ist. Und dann kann Sexualität nicht frei erlebt werden, wenn ich zu die-
sem Körper ein ambivalentes Verhältnis habe. #00:03:25-0#

I: Ok. Dann die nächste Frage: denkst du, dass Mädchen und Frauen heutzutage in
Deutschland sexuell selbstbestimmt leben? #00:03:31-2#

B1: Eben, wie gerade gesagt, nur sehr bedingt. Natürlich in bestimmter Weise haben
sich diese Tabus verändert. Aber, also ich kann mich nicht erinnern, dass es zum Bei-
spiel eine öffentliche Diskussion gibt, wie ist das mit Sexualität zum Beispiel während
der Menstruation, ist das ein Problem, ist das kein Problem? Das handhaben vielleicht
manche so und manche so, aber es ist überhaupt kein Thema. Als Beispiel. #00:04:07-
0#

I: Nochmal konkret die Frage, was hat sich zu früher verändert, deiner Meinung nach?
#00:04:12-5#

B1: Also ich muss es immer an der Menstruation festmachen, weil das ist praktisch
das Hauptunterdrückungsinstrumentarium, auch. Als ich ein junges Mädchen war, war
das so, wenn man Binden, also für die Menstruation gekauft hat, ich habe das mehr-
mals für meine Mutter gemacht zum Beispiel, dann gab es das nur in Apotheken. Und
dann sind die da nach hinten gegangen und haben das in Papier eingeschlagen und
über den Ladentisch gereicht. Also die Tabuisierung hatte eine ganz (.), das vielleicht
ähnlich wie das heute bei manchen Migrantengruppen der Fall ist. Dass, also, einer-
seits weiß natürlich jeder, dass der weibliche Teil der Bevölkerung 40 Jahre menstru-
iert, und andererseits, also tut man so, als ob man da immer ein Geheimnis darum
machen muss. Gleichzeitig war das aber auf eine Art freier. Also es war tabuisiert und
aber, dadurch, dass zum Beispiel Frauen an ihrem Körper //also gar nicht optimiert
sein mussten, hatten sie Freiheit zu ihrem Körper und zu ihrer Sexualität. Also, man
musste nicht die Schamhaare rasiert haben, man musste nicht erschrecken, dass das
weibliche Genital so anders aussieht als in Pornografiefilmen. Also, zum Beispiel, ich
weiß nicht wieviel Prozent, aber ein ganz hoher Prozentsatz bei Frauen, da sind die

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inneren Schamlippen länger wie die äußeren. Das ist überhaupt nichts absurdes, das
ist nichts krankhaftes und nichtsdestotrotz wird das in der heutigen optimierten Zeit
als hässlich betrachtet und es gibt total viele, auch junge Frauen, die sich unters Messer
legen deswegen. Das ist zum Beispiel, ein Verlust von Freihet, der früher, früher war
das halt so, außerdem hat man`s nicht gesehen, weil man Schamhaare hatte und weil
man auch geschlechtergetrennt in die Sauna, zum Beispiel, gegangen ist. Also, manch-
mal denk ich, das war eine andere Art von Umgang, aber ob das heute freier ist, be-
zweifle ich. #00:06:27-6#

I: Inwieweit denkst du, dass Medien da ne Rolle spielen? Also können die einen posi-
tiven/negativen Einfluss haben? #00:06:33-9#

B1: //Also die Medien sind das Hauptinstrumentarium über die das transportiert wird.
Also ich hab mal überlegt, was sind die Fehler von alten Feministinnen. Wieso ist es
nicht gelungen, jungen Frauen diese Wertschätzung zum eigenen Körper weiterzuge-
ben. Und da haben die Medien eine wahnsinnig große Macht darin, indem sie sozusa-
gen das Bild, also sie haben ganz schnell das Thema Emanzipation aufgegriffen. Also
das coole Girl, das irgendwie, was weiß ich wie aussieht. Aber dieses coole Girli muss
unbedingt ein paar Dinge heute erfüllen. Es ist schlank, und das finde ich eine unge-
heure Konditionierung. Also ohne Schlank Zusein ist man eigentlich out und dann
müssen natürlich die Schamhaare rasiert sein, die Achselhaare rasiert sein, die Bein-
haare rasiert sein. Es muss, also es muss eine (.), es findet eine unheimliche Normie-
rung statt, in die sich die jungen Frauen und Mädchen einfügen, weil sie wollen ja dazu
gehören zur menschlichen Gemeinschaft. Sie wollen ja nicht irgendwelche, also es
gibt natürlich immer eine paar Rebellinnen, das ist auch wunderbar, aber die Mehrheit
will einfach Teil der menschlichen Gemeinschaft sein. Und die sagt, du bist aber nur
ein anerkanntes Mitglied, wenn du, eben, keine zu großen Schamlippen hast, wenn du
rasiert bist, wenn du dies, das, jenes. Und das wirklich Dramatische, finde ich, dass
die Industrie immer ganz schnell aufspringt. Also, das ist jetzt sozusagen, darum geht
es. Also gibt es heute neue Anti Baby Pillen, die gibt es schon ein paar Jahre, schon,
ich weiß nicht, fast 17 Jahre, glaub ich. Die haben, die experimentieren immer mit den
Wirkstoffen und die Wirkstoffe sind jetzt so, dass der Gestagen Anteil garantiert, dass
die jungen Frauen hübsch schlank bleiben, die Haare schön, die Nägel schön, aber das
Thromboserisiko ist vierfach höher und das ist erlaubt. Und das darf all den jungen
Frauen verschrieben werden. Und da frag ich mich, wo ist da die Freiheit, und, also

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was hat das für eine Auswirkung auf die Sexualität. // was machen jungen Frauen, die
übergewichtig oder moppelig, oder was weiß ich. Was machen sie, wenn irgendwas in
ihrem Äußeren nicht diesem optimierten Bild entspricht? #00:09:19-4#

I: Also siehst du eigentlich einen Rücklauf zu früher? #00:09:23-6#

B1: Ich sehe einfach, dass quasi ganz schnell, dass sozusagen die Industrien, die Zeug
an den Mann oder die Frau bringen wollen, ganz schnell die heutigen Schlüsselwörter
kapieren und sich darauf ausrichten. #00:09:47-8#

I: Und vielen ist das wahrscheinlich auch nicht bewusst oder? #00:09:51-5#

B1: Also dieses hohe Risiko, für, also das ist eine Geschichte, die wir im ff*gz und
auch ich speziell mit meinen Büchern mache, ist Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.
Also weil wenn nachher die Schädigung, wenn zum Beispiel eine Lungenembolie
stattgefunden hat, die junge Frau überlebt das entweder nicht oder ist schwer geschä-
digt für den Rest ihres Lebens. Und das gilt ja nicht nur für diese Pille, also der Wirk-
stoff heißt Drospirenon, der da drin ist, der das so erhöht, sondern das gilt auch für die
Hormonspirale. Also das ist einfach, diese ganzen neuen Kombinationen von Östrogen
und Gestagen haben einfach dieses viel höhere Risiko. Und aber, sie bedienen das
Frauenbild. Das anscheinend emanzipiert ist, ich weiß nicht, was ich daran emanzipiert
finden soll (lachend). Also wenn ich sozusagen nur geliebt und wertgeschätzt werde,
wenn ich aussehe wie bei Heid Klums Modelshow (.) Und das ist quasi das Bild, das
alle verinnerlicht haben und umso jünger ein Mädchen ist, umso stärker hat sie das ja
verinnerlicht. Weil ja dieser Wunsch dazuzugehören völlig normal ist und völlig ok ist
und weil eine Industrie ellenlang ein Frauenbild transportieren durfte, und ja immer
noch tut, das das sozusagen so hinstellt. Also, sieht man irgendwo übergewichtige Mo-
dels? Nein, also das ist alles, das Bild ist unheimlich, das ist dieses optimierte Bild.
#00:11:33-0#

I: Ok. Wo siehst du Möglichkeiten die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und


Frauen zu fördern? #00:11:40-9#

B1: Naja (lachend), ich sehe sie darin, dass das Verhältnis zum eigenen Körper ein
positiveres wird. Das ist das wichtigste. Habe ich ein positiveres Verhältnis, dann kann
ich über, dann kann ich eine Sexualität auch ganz anders genießen, und ich kann auch
viel eher sagen "nee du das will ich nicht oder das will ich". Also, aber diese Forderung

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an die optimierten Körper, die geht ja in der Sexualität weiter. Also das tolle Girli will
dies, das, jenes. Ja (.) will sie das denn wirklich? Also weiß sie denn überhaupt was
sie da will? Und das finde ich ein riesiges Problem. #00:12:21-5#

I: Und wo siehst du da Ansätze, um die sexuelle Selbstbestimmung zu fördern?


#00:12:26-2#

B1: Also es gibt, das hab ich jetzt in einem meiner Bücher geschrieben, es gibt ja
immer noch 20 Frauengesundheitszentren in Deutschland. Und wir in Stuttgart haben
jetzt, nach über 35 Jahren, das erste Mal kriegen wir vom Gemeinderat eine halbe
Stelle , also das ist enorm, dafür haben sie aber über 35 Jahre gebraucht. (.) Und es
gibt, zum Beispiel eins in, jetzt überleg ich grad, in Köln sind die. Und da ist eine
Kollegin, die hat eine, also die stammt und die ist aufgewachsen im Irak glaub ich, ich
hoff, dass ich jetzt nichts Falsches sage - und die hat uns zum Beispiel erzählt, die
machen ganz viel solche Sachen zu Workshops. Und das kommt aus der Kultur auch,
von mir aus die Frauen tanzen miteinander. Und dann geht immer, so laufen ja oft
diese Tänze, dann geht immer eine in die Mitte und wird von allen beklatscht. Und die
wird beklatscht, egal ob sie OPTIMIERT aussieht oder nicht. Und das sind, glaub ich,
Elemente, die oft noch in vielleicht sogar sehr patriarchalen Kulturen, aber die vorhan-
den sind, die die Frauen egal wie (.) sie aussehen die Wertschätzung der Gemeinschaft
gibt. Und da glaube ich, dass das Elemente sind, die sind total positiv.

Oder wenn dann ein Druck auf die Medien gemacht wird, dass nicht die Größe 32, 34
Models auftreten. Also wenn man da auch klagt gegen diese öffentliche Darstellung
das weiblichen Körpers. Und ich habe jetzt ein Kapitel gar nicht angesprochen, aber
mit dem habe ich eigentlich angefangen. Also angefangen habe ich da vor (.) 94 war
das, mit der nicht jungen Frau, sondern der älteren, der Frau im Klimakterium. Da war
ich selbst noch eine ganze Ecke weg davon. Aber da ist mir aufgefallen, dass man da
genauso den Frauen//man benutzt sozusagen die Scham in Bezug auf bestimmte
Dinge, also in den Wechseljahren kommt es zu solchen Dingen, wie Hitzewallungen,
es kann zum Beispiel sein, dass man die Blutung nicht unter Kontrolle hat, dass die so
stark ist, dass die Hose durchblutet oder solche Dinge. Diese wahnsinnig schambesetz-
ten Dinge hat man benutzt und benutzt man übrigens bis zum heutigen Tag, um ihnen
synthetische sogenannte Hormon, die sogenannte Hormonersatztherapie anzudrehen.
Die ist, genauso wie die Pille behaftet mit hohen körperlichen Risiken für die Frau.

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Und da hat das schon angefangen, also das Frauenleben darf stattfinden, ganz „eman-
zipiert“, aber sozusagen völlig reguliert von einer (lachend) patriarchal strukturierten
Gesellschaft. Und nur das ist erlaubt, was da gut ins Konzept passt. Das war sehr ein-
träglich, die haben Milliarden verdient, tun sie übrigens, versuchen sie sie jetzt immer
wieder und immer wieder aufs Neue. Es hat aber zum Beispiel das Brustkrebsrisiko
nachweislich // erhöht das das um 25 Prozent. Und dann kann man natürlich die Kon-
trollen vor Brustkrebs höher drehen, aber was ist das denn für eine Herangehensweise
an Menschen, an weibliche Menschen? Also und deswegen, ich denke die wichtigste
Geschichte in Bezug auf die Sexualität ist überhaupt, diese Konditionierung von
Frauen, also diese patriarchale Konditionierung sozusagen mal ein bisschen brösliger
zu machen, also, dass da einfach andere Gedanken reinkommen. Und das kann die
Presse sein, das können Veranstaltungen sein. Diese Veranstaltungen, die wir im ff*gz
zweimal gemacht haben mit dem Titel "we all came out of a pussy", find ich zum
Beispiel einfach genial, weil das ist es genau - also zu tun, als ob das weibliche Ge-
schlecht ein ganz schrecklicher Ort ist, obwohl alle daraus kommen, das muss irgend-
wie mal richtiggestellt werden, so. #00:16:47-1#

I: Wie siehst du die aktuelle Sexualaufklärung, bzw. siehst du da Potenzial, um die


sexuelle Selbstbestimmung zu fördern? #00:16:54-7#

B1: Also die ist mir zu mechanisch. Also, die ist mir (.) also wie ein Kind entsteht und
von mir aus noch, dass dann neuerdings auch noch ein paar Worte über die Klitoris
verloren werden, das ist alles ok, und da gibts ja auch Gute, also ich will ja auch nicht
alles abtun, also da gibts ja auch gute Ansätze - aber, ich glaub die besten Ansätze
kommen noch von quasi, aus Selbsthilfegruppen oder diese Frauengesundheitszentren
machen zum Beispiel ganz viel in der Richtung. Also ich weiß, dass schon vor über
30 Jahren und das haben wir noch, ist im ff*gz Stuttgart immer wieder eine dia-show,
eine Klitoris Diashow gezeigt worden. Die haben die damaligen Frauen ihre Klitorise,
ich hoffe, dass das in der Mehrzahl so heißt (lacht) - #00:17:53-8#

I: (lacht) #00:17:54-2#

B1: - fotografiert, das weiß ja kein Mensch wem seine Klitoris das ist. Aber da konnte
man mal sehen, dass Klitoris, was ganz, ganz, ganz unterschiedlich ganz unterschied-
lich aussieht, und alles nichts davon irgendwie unnormal ist. Dann gab es irgendwann
ein Buch - das finde ich auch ganz klasse - Klitoris, die unbekannte Schöne, also, wo

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einfach nochmal klar ist, die Klitoris ist nicht nur so eine kleine Perle irgendwo, die
hat genauso zwei Schenkel, die ganz tief in das Körperinnere reingehen, wie im Prinzip
vergleichbar mit dem männlichen Genital. Und dass man heute, zu unser heutigen Zeit,
das alles quasi weder - das steht in keinen Büchern drin, in keinen Schulbüchern. Aber
wenn ich eine sexuelle Aufklärung macht, dann muss ich doch mal überhaupt beschrei-
ben, wie ist denn das männliche Genital und wie ist denn das weibliche Genital. Und
beim weiblichen gibt es noch eine Autorin, die ist auch im Frauengesundheitszentrum,
Mithu Sanyal, die hat das Buch geschrieben "Vulva - das unbekannte Geschlecht".
Und da hat sie zu recht gesagt also man sagt immer "die Scheide", aber die Scheide ist
der innere Teil, die Vulva ist der äußere Teil. Es wird praktisch, so wie es um das
weibliche Geschlecht geht, ist die Beschreibung völlig, also nebulös und ein nebulöses
Geschlecht kann sicherlich keine, also da ist es bestimmt schwierig eine erfüllte Sexu-
alität zu erleben. Also wenn ich nicht einmal weiß, aha, wie sieht das eigentlich aus.
Und ich glaube, also ich glaube ehrlich gesagt, auch in deiner Generation, dass die
wenigsten sich mal in aller Ruhe das Geschlecht ihrer Freundinnen angeguckt haben,
um eine Vorstellung zu haben "wie sieht es eigentlich aus?" Das wird den Gynäkolo-
gen, Gynäkologinnen und den männlichen Partnern oder auch den weiblichen Partne-
rinnen überlassen. Aber das ist also überhaupt nicht, da ist nichts frei. Und es gab in
den Anfängen der ff*gz`s Klitoris zum Beispiel nicht nur diese Klitoris Diashows,
sondern auch vaginale Selbstuntersuchungen, also, dass man selber mit dem Spekulum
und dem Spiegel sich das alles angeguckt hat, und ich glaube, das wäre gar nicht
schlecht, wenn in diese Richtung wieder mehr stattfinden würde. #00:20:26-6#

I: So zur letzten Frage, welche Gefahren siehst du im Moment in Bezug auf die sexu-
elle Selbstbestimmung? #00:20:33-5#

B1: Also die größten Gefahren sehe ich in dieser pornografischen Konditionierung.
Also in diesem, also bevor sozusagen junge Menschen sexuelle Kontakte haben, haben
sie schon eine Unmenge Bilder gesehen, die einfach total fürchterlich sind, also die
haben, ja, die haben einfach mit Körpern, die sich liebevoll begegnen, wie auch immer,
wenig zu tun. Und das ist ein ganz großes Problem. Und deswegen haben die keine
Ahnung, von nicht über Orgasmus, nicht über, von mir aus, wie ändert sich ein Körper,
also fast niemand weiß, ob eigentliche Menschen über 60 noch Sex haben oder nicht
und wie der dann vielleicht ablaufen könnte - das ist doch absurd. Das wissen indigene

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Gesellschaften, die vielleicht in gewisser Weise tabuisiert, also wo Sachen tabuisiert
sind, aber das wissen die tausend Mal besser. #00:21:40-3#

I: Ja, also in den Schulen gibt es ja auch keine Medienaufklärung, nä? #00:21:45-5#

B1: Nee, nee. #00:21:47-1#

I: ja gut (lachend) #00:21:50-7#

B1: (lacht) #00:21:50-7#

I: Das wärs von meiner Seite, vielen Dank, es ist jetzt 11.26 Uhr #00:21:56-2#

#00:21:57-5#

103
Ehrenwörtliche Versicherung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Insbesondere ver-
sichere ich, dass ich alle wörtlich und sinngemäß übernommenen Stellen eindeutig
kenntlich gemacht habe. Ich versichere auch, dass die Arbeit noch an keiner anderen
Stelle als Abschlussarbeit vorgelegt wurde.

Ort, Datum Unterschrift

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