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Universität Koblenz-Landau

Masterstudiengang Lehramt Förderschule


Sonderpädagogische Schwerpunkte:
ganzheitliche Entwicklung/
sozial-emotionale Entwicklung

MASTERARBEIT

Betrachtung des Selbstbestimmungsgedankens bei Menschen


mit Behinderung aus existenzphilosophischer Perspektive

vorgelegt von: Annette Gall


Matrikelnummer: 214100257
Adresse: Vogesenstraße 51
76829 Landau

Betreuender Gutachter: Prof. Dr. Michael Wagner


Zweiter Gutachter: Herr Christian Hauck

Landau, 07.06.19
Name, Vorname: Gall, Annette
Adresse: Vogesenstraße 51
76829 Landau
Matrikelnummer: 214100257
Studiengang: Lehramt Förderschule
Fachsemester: 11
Datum: 07.06.2019
Prüfungskommission: Prof. Dr. Michael Wagner
Herr Christian Hauck
Prüfungsordnung: Prüfungsordnung für die Prüfung in
dem Masterstudiengang für das
Lehramt an Förderschulen
Fach: Sonderpädagogik
Institut für Sonderpädagogik
Fakultät Erziehungswissenschaften
„Denn man muss schon wählen: wenn jeder Mensch der ganze Mensch ist, muss dieser
Abweichler entweder nur ein Kieselstein oder ein Ich sein“
(Sartre 1983, zit. n. BAHRS 2015, S. 268)
Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis...........................................................................................................3

1 Einleitung............................................................................................................................4

2 Begriffsbestimmungen........................................................................................................8

2.1 Behinderung.................................................................................................................8

2.2 Wortbedeutungen um den Begriff der Selbstbestimmung.........................................10

2.2.1 Freiheit.................................................................................................................11

2.2.2 Selbstbestimmung................................................................................................11

2.2.3 Autonomie...........................................................................................................12

2.2.4 Selbstständigkeit..................................................................................................12

2.2.5 Identität................................................................................................................13

3 Verortung des Selbstbestimmungsgedankens in der Sonderpädagogik............................14

3.1 Geschichte des Leitbilds der Selbstbestimmung........................................................14

3.2 Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in der heutigen Praxis..............17

3.3 Theoretische Fundierung des Selbstbestimmungsgedankens.....................................24

3.3.1 Die anthropologische Position von Hahn............................................................25

3.3.2 Der anthropologische Dreischritt von Walther....................................................34

3.3.3 Kritische Positionen zum Leitbild der Selbstbestimmung von Waldschmidt und
Stinkes...........................................................................................................................36

4 Die existenzialistische Philosophie von Jean-Paul Sartre.................................................40

4.1 Der Grundsatz: ‚Beim Menschen geht die Existenz der Essenz voraus‘...................40

4.2 Die Bedeutung der Situation......................................................................................43

4.3 (Schluss-)Folgen des Grundsatzes..............................................................................46

4.3.1 Leben als engagierter Entwurf.............................................................................46

4.3.2 Verurteilung zur Freiheit.....................................................................................48

1
5 Betrachtung des Selbstbestimmungsgedankens bei Menschen mit Behinderung aus
existenzphilosophischer Perspektive....................................................................................50

5.1 Sartres ontologischer und Hahns anthropologischer Ansatz..................................50

5.2 Unterscheidung zwischen Handlungsfreiheit und Wahlfreiheit.............................54

5.3 Existenzialismus im Zeichen der Postmoderne und des Neoliberalismus..............56

5.4 Normen und Normalität..........................................................................................59

5.5 Freiheit, Selbstbestimmung und schwere Behinderung..........................................62

5.6 Die Bedeutung subjektiver Sinnhaftigkeit..............................................................65

5.7 Identität und Selbstbestimmung..............................................................................69

5.8 Selbstbestimmung und Pädagogik..........................................................................73

6 Fazit...................................................................................................................................81

7 Quellenverzeichnis............................................................................................................89

8 Schriftliche Erklärung.....................................................................................................101

2
Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: „Das bio-psycho-soziale Modell der ICF“ (WEINGÄRTNER 2005, S. 44).. 8


Abbildung 2: „Alters- und krankheitsbedingte Abhängigkeit im menschlichen Leben“
(HAHN 1999, S. 25)............................................................................................................27
Abbildung 3: „Abhängigkeit und ihre Verursacher“ (WÄSCHER 2012, S. 48).................29
Abbildung 4: „Teufelskreis der Produktion von Abhängigkeit bei Menschen mit
Behinderung“ (WEINGÄRTNER 2005, S. 78)...................................................................31
Abbildung 5: Das Verhältnis von Existenz und Essenz bei den Seinsformen des An-sich
und Für-sich (eigene Darstellung)........................................................................................41
Abbildung 6: Die existenzialistische Situation des Menschen in der Welt (eigene
Darstellung)..........................................................................................................................44

3
1 Einleitung
„Der Mensch ist nichts anderes als sein Entwurf,
er existiert nur in dem Maße, in dem er sich verwirklicht.“
(SARTRE 2018, S. 161)

Die vorliegende Arbeit widmet sich der Selbstbestimmung bei Menschen mit Behinderung
und versucht, sie aus einer existenzialistischen Perspektive zu betrachten. Dazu wird die
Existenzphilosophie Jean-Paul Sartres herangezogen.
Hier treffen auf den ersten Blick zwei verschiedene Welten aufeinander: Auf der einen
Seite Jean-Paul Sartre als radikaler Atheist, der jegliche a priori bestehenden Werte ab-
lehnt, auf der anderen Seite die sonderpädagogische Umgebung, deren Hilfesysteme oft
christlich geprägt sind, und deren Werte der Nächstenliebe, Wohltätigkeit und Barmherzig-
keit als unantastbar gelten (vgl. WÜLLENWEBER 2011, S. 257). Umso interessanter
erscheint es, diese ungewöhnliche Verbindung einmal einzugehen und sich im Kontext der
Selbstbestimmung damit auseinanderzusetzen.
Zu Beginn sollen in Kapitel 2 grundlegende Begriffe und Definitionen geklärt werden, die
für das Verständnis der Arbeit von Bedeutung sind. Diese Arbeit betrachtet insbesondere
die Situation von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Da die Bezeich-
nung ‚geistige Behinderung‘ nicht unbelastet ist, ist es notwendig, sich mit dieser genauer
zu beschäftigen. Daneben sollen Begriffe rund um den Diskurs der Selbstbestimmung
geklärt werden.
Kapitel 3 widmet sich der Selbstbestimmung im Blickfeld der Sonderpädagogik. Es wird
ein Abriss gegeben über die Entwicklung des Selbstbestimmungsgedankens zu einem
Leitbild der Sonderpädagogik. Die Debatte und Forderung nach mehr Selbstbestimmung
für Menschen mit Behinderung ist seit mehreren Jahren in Gang und hält bis heute an.
Verschiedene Maßnahmen wie die ‚persönliche Assistenz‘ oder das ‚persönliche Budget‘
versuchen, den Menschen mehr Freiheit in ihrem Handeln zu ermöglichen. Es lässt sich
hier jedoch eine Differenzierung innerhalb unterschiedlicher Formen von Behinderung
erkennen. Der Grad an Selbstbestimmung scheint sich an der Vernunftbegabung von
Menschen zu orientieren, sodass die Unterstützungsmaßnahmen für ein selbstbestimmtes
Leben vor allem Menschen mit körperlicher Behinderung zugutekommen (vgl.
WALDSCHMIDT 2012, S. 27-30). Menschen mit einer geistigen Behinderung unterliegen
bis heute, insbesondere im Bereich des Wohnens und der Arbeit, einem großen Maß an
Fremdbestimmung. Hier lässt sich ein enormer Entwicklungsbedarf verzeichnen, wenn
4
auch Menschen mit einer geistigen Behinderung das Recht auf Selbstbestimmung zu-
gestanden werden soll. Aufgrund dessen beschäftigt sich diese Arbeit insbesondere mit der
Situation von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung.
Neben den praktischen Umsetzungen hin zu mehr Selbstbestimmung setzt man sich in der
Sonderpädagogik auch wissenschaftlich mit dem Konstrukt auseinander und versucht,
diese Forderung nach einem selbstbestimmen Leben theoretisch zu begründen. Hier hat
Martin Hahn durch sein Werk Behinderung als soziale Abhängigkeit maßgeblich den
wissenschaftlichen Diskurs um Selbstbestimmung angestoßen und zur Etablierung der
Selbstbestimmung als pädagogischem Leitprinzip beigetragen (vgl.
SCHALLENKAMMER 2016, S. 32). Er bietet eine anthropologisch orientierte Be-
gründung, indem er Selbstbestimmung als für den Menschen wesenhaft herausstellt. Neben
Hahns bedeutendem Hauptwerk hat auch Helmut Walther mit seinem anthropologischen
Dreischritt der Selbstbestimmung eine Theorie für die Selbstbestimmung von Menschen
mit Behinderung geliefert (vgl. OSBAHR 2003, S. 195). Wissenschaftliche Hintergründe
und Kritiken werden unter Punkt 3.3 erläutert.
Nimmt man Begriffe wie Selbstbestimmung oder Freiheit und betrachtet, was die moderne
Philosophie hierzu anbietet, so wird man u.a. bei Jean Paul Sartres „Philosophie der
Freiheit“ (HANA 1965, S. 45/ WROBLEWSKY 2015, S. 50) fündig. Bei ihm kommt die
Vorstellung vom Menschen als einem freiheitlichen Wesen besonders zur Geltung, wie
wohl in kaum einer anderen Philosophie. Trotzdem hat dessen Name in den Diskurs der
wissenschaftlichen Sonderpädagogik noch keinen Eingang gefunden. Dies scheint insofern
überraschend, als Gedanken anderer phänomenologischer Philosophien Frankreichs aus
dem 20. Jahrhundert durchaus bereits in Theorien der Sonderpädagogik rezipiert werden.
Hier sind vor allem Emmanuel Levinas mit seiner Ethik der Verantwortung gegenüber dem
Anderen, sowie Maurice Merleau-Ponty mit seiner Phänomenologie des Leibes zu nennen
(vgl. STINKES 2016, S. 66-69) 1. Es stellt sich die Frage, warum Sartres Philosophie
bisher keine Erwähnung gefunden hat und ob sie möglicherweise keine Anknüpfungs-
punkte für die wissenschaftliche Sonderpädagogik bietet.
Um dies genauer zu ergründen, scheint es geeignet, Sartres ‚Philosophie der Freiheit‘ und
das gegenwärtige sonderpädagogische Leitbild der Selbstbestimmung, das eng mit der Idee
1
Zwischen Sartre und Levinas sowie Merleau-Ponty besteht nicht nur zeitgeschichtlich ein Zusammenhang.
Tatsächlich war Levinas Philosophie Sartre durchaus bekannt (vgl. SCHREIBER 2006) und zu Merleau-
Ponty verband Sartre lange Zeit eine enge Freundschaft (vgl DANZER 2003, S. 4.). In dessen
philosophischem Werk sind Einflüsse Sartres unverkennbar (vgl. MACHO, 1995, S. 408). Eine genauere
Analyse dieser Wirkungen und Entsprechungen kann diese Arbeit nicht liefern. Eingehende Rezeption in der
Sonderpädagogik finden die Gedanken Levinas und Merleau-Pontys u.a. bei Ursula Stinkes (vgl. STINKES
1993).
5
der Freiheit zusammenhängt, miteinander bekannt zu machen. So stellt diese Arbeit einen
Versuch dar, die Gedanken von Sartres Philosophie auf die Thematik der Selbstbestim-
mung bei Menschen mit Behinderung zu beziehen und diesen Kontext aus dieser
existenzialistischen Perspektive zu betrachten. Darüber hinaus soll erörtert werden, inwie-
weit diese Philosophie Potenziale bietet, die Forderung nach mehr Selbstbestimmung aus
einer existenzialistischen Perspektive zu begründen. Dazu wird das Essay Der
Existenzialismus ist ein Humanismus von Jean-Paul Sartre aus dem Jahre 1945 als primäre
Literaturquelle herangezogen. Neben Jean-Paul Sartres philosophischem Hauptwerk Das
Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie ist das Essay eine
seiner heute bekanntesten Schriften. Sartre versucht hier, seine Philosophie für die
Allgemeinheit verständlich zu erläutern (vgl. BOLLNOW 1947, S. 662). Sie stellt nur
einen Abriss der umfassenden Gedanken von Sartres Hauptwerk Das Sein und das Nichts
dar, die grundlegenden Ideen sind jedoch enthalten.
Nach dem Erscheinen von Das Sein und das Nichts war Sartre viel Kritik an seiner
Philosophie ausgesetzt. Im Jahre 1946 hat Sartre daraufhin einen Vortrag gehalten, in dem
er sich gegen die Vorwürfe, seine Philosophie führe zur Verzweiflung, zu rechtfertigen
versuchte (vgl. ebd., S. 654). Das Essay ist auf Grundlage dieses Vortrags entstanden.
Wenn es auch nicht Sartres Intention war, diesen Vortrag zu drucken, so nahm er trotz
Kritik dessen Aussagen nicht zurück, sondern hielt an dem Inhalt fest (vgl. SUHR 2015, S.
66). In einer anschließenden Diskussion an den Vortrag Der Existenzialismus ist ein
Humanismus erklärt Sartre, er werde „die Diskussion auf der Ebene der Popularisierung
akzeptieren […] denn wenn man vor einer Philosophieklasse Theorien darstellt, akzeptiert
man es im Grunde auch, einen Gedanken abzuschwächen, um ihn verständlich zu machen,
und das ist gar nicht so schlecht. […] Entweder belässt man die Lehre auf rein philoso-
phischer Ebene und überlässt es dem Zufall, daß sie etwas bewirkt, oder man akzeptiert
[…] sie zu popularisieren, unter der Bedingung, daß sie dadurch nicht entstellt wird“
(SARTRE 2018, S. 177f).
An manchen Stellen wird auch auf Sartres Hauptwerk Rückgriff genommen werden, um
seine Ausführungen deutlicher zu machen. Sartres Argumentationen im Stil des
französischen Existenzialismus unterliegen bisweilen nicht einer stringenten Systematik
und Argumentationslogik. Eine umfassende Analyse dieser kann und soll diese Arbeit
jedoch nicht leisten, da dies einer eigenständigen Untersuchung bedürfe. Sartres Philoso-
phie soll unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, welche Anknüpfpunkte sie für die
Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung bereithält. Dementsprechend werden
nur die dafür als relevant angesehenen Aspekte seiner Philosophie behandelt werden. Im
6
Kapitel 4 wird die Philosophie von Jean-Paul Sartre erläutert, wie sie für das Verständnis
dieser Arbeit notwendig ist. Dabei wird versucht, die Gedankengänge grundlegend und
präzise darzustellen. Eine fragmentarische Darlegung von Sartres komplexer Philosophie
kann jedoch nicht ausgeschlossen werden und sollte dem Leser dieser Arbeit bewusst sein.
Kern der Arbeit stellt Kapitel 5 dar, in dem die erarbeitete Philosophie Jean-Paul Sartres
auf verschiedene Aspekte des Selbstbestimmungsdiskurses in der Sonderpädagogik be-
zogen wird. Was bedeuten Sartres Annahmen über den Menschen für die
Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und für die Bedingungen, denen sie
unterliegt?
Ein Fazit soll die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit nochmals darstellen, einen Aus-
blick bieten und die Frage beantworten, inwieweit sich eine existenzphilosophische
Perspektive, wie sie Jean-Paul Sartre bereithält, für die Selbstbestimmung von Menschen
mit Behinderung eignet.

7
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Behinderung
In der Entwicklung der fachwissenschaftlichen Sonderpädagogik bis heute haben sich
unterschiedliche Objekttheorien von Behinderung herausgebildet: „So kann Behinderung
beispielsweise als Merkmal einer Person, als Merkmal der Austauschprozesse zwischen
Person und Umwelt oder auch als Isolation in Folge konkreter gesellschaftlicher Verhält-
nisse definiert werden“ (SASSE 2016, S. 140). Die vorliegende Arbeit orientiert sich an
dem aktuellen Verständnis von Behinderung des ICF ‚Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit‘ von 2001 (vgl. Abb. 1), das eine
Behinderung nicht als ein dem Individuum zugehöriges Merkmal betrachtet, sondern als
ein Resultat aus einer Interaktion zwischen dem Individuum und seiner Umwelt. Die ICF
ist ein mehrdimensionales bio-psycho-soziales Modell. Es nimmt biologische, psychische,
sowie soziale Kontextfaktoren in den Blick und versucht damit ein umfassendes Bild der
dinglichen und sozialen Situation des Menschen zu skizzieren, aufgrund der er behindert
wird. Die biomedizinische Sicht von Behinderung als einem spezifischen Sein weicht hier
dem Verständnis von Behinderung als einem sozialen Konstrukt im Sinne eines
‚Behindertwerdens‘ (vgl. HOLLENWEGER 2016, S. 161ff).

Abbildung 1: „Das bio-psycho-soziale Modell der ICF“ (WEINGÄRTNER 2005, S. 44).

Dementsprechend soll in dieser Arbeit nicht von ‚Behinderten‘ oder ‚behinderten


Menschen‘ gesprochen werden, da diese Ausdrucksweise auf eine Eigenschaft des
Menschen verweist und die soziale Dimension außer Acht lässt. Statt des Adjektivs soll die
Suffixkonstruktion ‚Menschen mit Behinderung‘ genutzt werden (vgl. GOLL 1989, S. 16).
Auch dieser Ausdruck ist keineswegs frei von negativen Konnotationen (vgl. JELTSCH

8
2008, S. 7), löst jedoch die Zuschreibung ‚behindert‘ sprachlich etwas vom Mensch selbst.
Treffender wäre der Ausdruck ‚behindert werden‘, der auf die Bedeutung der Umwelt für
die Behinderung eines Menschen verweist. Die Passivform erschwert aber die sprachliche
Verständlichkeit der Aussagen. Aus pragmatischen Gründen scheint die Bezeichnung
‚Menschen mit Behinderung‘ für diese wissenschaftliche Arbeit deshalb am geeignetsten.

Geistige Behinderung

Der Personenkreis von Menschen mit Behinderung stellt sich als extrem heterogen dar.
Behinderungen können sich so vielfältig ausdrücken, wie der bio-psycho-soziale Kontext
einer jeden Person individuell ist. Diese Arbeit widmet sich im Besonderen Menschen mit
einer sogenannten geistigen Behinderung. Auch innerhalb dieser Personengruppe besteht
immer noch eine große Heterogenität, die geistige Behinderung wirkt sich in unter-
schiedlichem Grad und auf unterschiedlichste Weise auf das Leben der Menschen aus. Für
Speck stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt von einer Behinderung des Geistes ge-
sprochen werden kann (vgl. OSBAHR 2003, S. 111). Nach dem ICD-10 ‚International
Classification of Diseases‘ wird eine geistige Behinderung als eine Intelligenzstörung
beschrieben, die sich in einer Intelligenzminderung von unter 70 Punkten ausdrückt (vgl.
SCHALLENKAMMER 2016, S. 19f). „Mit der Zuschreibung der Bezeichnung ‚geistig
behindert‘ im Hinblick auf einen Menschen kommt zum Ausdruck, dass es sich hierbei um
jemanden handelt, der in der Beurteilung durch seine Umwelt insbesondere hinsichtlich
seiner kognitiven Möglichkeiten von der Durchschnittsnorm sehr deutlich negativ
abweicht“ (WAGNER 2000, S. 123). Der Ausdruck verweist vor allem auf die neuronale
Schädigung der Person, Behinderung umfasst jedoch im Verständnis der ICF weitaus mehr
als das.
Feuser nimmt mit seiner Aussage „Geistig Behindert gibt es nicht!“ (FEUSER 1996) eine
konstruktivistische Perspektive auf das Phänomen der geistigen Behinderung ein. Er
plädiert für einen Verzicht auf jegliche Bezeichnungen, da diese immer mit Selektierung
und Verbesonderung einhergingen (GOLL 1989, S. 16f). Nach ihm verweist die Bezeich-
nung nicht auf ein den Personen innewohnendes gemeinsames Merkmal – die Gruppe sei
viel zu heterogen, um sie unter einen Begriff zusammenzufassen - , sondern ist vielmehr
eine von außen herangetragene Etikettierung: „Geistig behinderte gibt es nicht, sondern es
gibt Menschen, die wir aufgrund unserer Wahrnehmung ihrer menschlichen Tätigkeit, im
Spiegel der Normen, in dem wir sie sehen, einem Personenkreis zuordnen, den wir als
geistig behindert bezeichnen“ (FEUSER 1996, S. 4). Er kritisiert, dass durch den Begriff

9
‚Geistige Behinderung‘ bereits eine Etikettierung vorgenommen werde, die mit negativen
Eigenschaften assoziiert sei, wodurch das Individuum auf seine intellektuellen Fähigkeiten
reduziert werde. Der Begriff verweist somit mehr auf gesellschaftliche Gegebenheiten, als
auf das individuelle Subjekt hinter dem Begriff.
In den Personenkreis ‚Menschen mit geistiger Behinderung‘ können auch Menschen mit
einer sogenannten schweren Behinderung fallen. Diese haben i.d.R. eine schwere
Intelligenzminderung einhergehend mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Das Leben
der Menschen ist von einer extremen Abhängigkeit in allen Lebensbereichen gekenn-
zeichnet (vgl. WEINGÄRTNER 2000, S. 64). Wenn im Folgenden von Menschen mit
Behinderung gesprochen wird, so sind damit, wenn nicht anders angegeben, Menschen mit
einer geistigen Behinderung gemeint, die noch über ein Mindestmaß an Unabhängigkeit
verfügen, die grundlegende Handlungen selbstständig ausführen können oder die über
grundlegende konventionelle kommunikative Fähigkeiten verfügen, mit denen sie sich
verständlich machen können. Der von Menschen mit einer geistigen Behinderung befür-
wortete Begriff ‚Menschen mit Lernschwierigkeiten‘ ist „für einen fachlichen Gebrauch
[…] zu pauschal und damit irreführend“ (BIEWER 2000, S. 241). In Ermangelung ge-
eigneter Alternativen wird deshalb auf den Begriff ‚geistige Behinderung‘ rückgegriffen,
im Bewusstsein, dass dieser nicht unproblematisch ist. An ausgeschriebenen Stellen wird
auch auf Menschen mit schwerer Behinderung eingegangen werden.

2.2 Wortbedeutungen um den Begriff der Selbstbestimmung


Im pädagogischen Diskurs um Selbstbestimmung tauchen in der Fachliteratur häufig
bedeutungsähnliche Begriffe wie Autonomie und Unabhängigkeit auf, die meist synonym
verwendet werden (vgl. WALDSCHMIDT 2012, S.18). So werden in den Schriften von
Martin Hahn die Begriffe Selbstbestimmung, Autonomie, Freiheit und Unabhängigkeit
nicht unterschieden (vgl. HAHN 1994, S. 81). Diese Undifferenziertheit innerhalb des
Begriffsspektrums kann jedoch zu Unklarheiten führen (vgl. BIEWER 2000, S. 241). Da
diese Arbeit einen stark philosophischen Bezug auf das Thema Selbstbestimmung nimmt,
und in der Philosophie der definitionsgenaue Gebrauch von Begriffen als wichtig gilt,
erscheint es für diese Arbeit als sinnvoll, die Begriffe nicht wie Hahn gleichbedeutend zu
verwendet, sondern, trotz großer Überschneidungen und Verbindungen untereinander, ihre
individuellen Facetten herauszuarbeiten.

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2.2.1 Freiheit
Freiheit soll als philosophischer Begriff im Sinne einer anthropologischen bzw. ontolo-
gischen Kategorie verstanden werden. Sie stellt eine Wesenseigenschaft des Menschen dar.
Der Mensch ist nicht bestimmt, bestimmbar oder auf ein bestimmtes Wesen festgelegt (vgl.
Kapitel 4). Er besitzt einen freien Willen sowie die Freiheit der Gedanken, durch die er
sich frei zu seiner Situation positionieren kann. Im Gegensatz dazu betrachtet der
Determinismus den Willen des Menschen als kausal bestimmt (vgl. SCHUMACHER 2014
a, S. 8).

2.2.2 Selbstbestimmung
Aus der Freiheit des Menschen erwächst seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung. In ihr
drückt sich die Freiheit des Menschen aus (vgl. SPECK 2007, S. 300). Der Begriff ver-
weist bereits auf seine Bedeutung, nämlich dem Bestimmen über sich selbst. Dabei kann
‚Bestimmen‘ den „ ‚Befehl über etwas‘ [oder] ‚Benennung von etwas‘ “
(WALDSCHMIDT 2012, S. 20) meinen. In der Selbstbestimmung bestimmt der Mensch
über sich selbst. Der Mensch hat Kraft seiner Freiheit das Potenzial, frei zu wählen und zu
entscheiden. Er hat die Fähigkeit, selbst über die Gestaltung seines Lebens zu entscheiden
und seine Identität selbst zu bestimmen. Er definiert sich selbst. Er setzt sich Ziele, auf die
er sich hin entwirft (vgl. FRÖHLICH 2000, S. 8). In der Selbstbestimmung findet die
Freiheit des Menschen ihre konkrete Verwirklichung. Wie der Mensch seine Freiheit in
Handlungen verwirklichen kann, ist allerdings abhängig von äußeren Bedingungen, seiner
gegenständlichen und sozialen Umwelt. Hier kommt zur Willensfreiheit die Kategorie der
Handlungsfreiheit hinzu, die in Abhängigkeit von den äußeren Umständen das individuell
mögliche Maß an Selbstbestimmung begrenzt (vgl. WEINGÄRTNER 2009, S. 33). Durch
eine Veränderung der Umwelt kann dieses Maß erweitert oder auch eingeschränkt werden
(vgl. Kapitel 2.2.4). In der Sonderpädagogik wird der Begriff Selbstbestimmung oft
negativ über sein Antonym definiert als „größtmögliche Unabhängigkeit von
Fremdbestimmung“ (SCHUPPENER 2016, S. 108). Fremdbestimmung schränkt die
Handlungsfreiheit eines Individuums so ein, dass unter Umständen keine oder nur noch
geringe Möglichkeiten der freien Willensäußerung möglich sind. Fremdbestimmung
„bezeichnet ein soziales Verhältnis von Über- und Unterordnung, das häufig mit Macht-
gefälle und Abhängigkeit verbunden ist. Möglichkeiten der Lebensgestaltung und
Bewegungsspielraum einer abhängigen Person werden von Außenstehenden festgelegt“
(MATTKE 2004, S. 302).

11
2.2.3 Autonomie
Der Begriff Autonomie wird in der sonderpädagogischen Literatur meist gleichbedeutend
mit Selbstbestimmung verwendet. Ethymologisch leitet sich der Begriff aus den
griechischen Worten ‚autos‘ = selbst und ‚nomos‘ = Gesetz (vgl. WAGNER 2007, S. 24f)
ab. Autonomie kann demnach als das Leben nach eigenen (moralischen) Gesetzen, als
Eigengesetzlichkeit oder Selbstgesetzgebung definiert werden, während Selbstbestimmung
mehr auf die Gestaltung seiner selbst verweist. Der Mensch ist in der Lage, eigene Regeln
für seine Handlungen zu entwerfen und nach diesen zu agieren (vgl. FRÖHLICH 2000, S.
8). Speck versteht „moralische Autonomiebildung als Selbsteinbindung in ein rechtes und
gutes Zusammenleben“ (SPECK 1997, S. 15). Unter Autonomie kann also die Fähigkeit
des Menschen verstanden werden, sich Kraft seiner Freiheit und durch sein eigenes Han-
deln zu einem moralischen Wesen zu machen (vgl. ebd., S. 15). So wie die Selbstbe-
stimmung, kann auch die Autonomie durch die Umwelt eingeschränkt werden, wenn dem
Menschen die Fähigkeit oder das Recht abgesprochen wird, nach eigenen Werten und
Normen zu leben.

2.2.4 Selbstständigkeit
Durch die Selbstständigkeit, d.h. die Fähigkeit, Handlungen oder Tätigkeiten selbst auszu-
führen, wird der Grad der Unabhängigkeit entscheidend bestimmt. Im Bereich der
Handlungsfreiheit soll Unabhängigkeit den Zustand bezeichnen, in dem ein Mensch zur
Verwirklichung seines Willens nicht von dem Willen anderer Menschen abhängt. Dies ist
dann der Fall, wenn Selbstbestimmung und Selbstständigkeit zusammenfallen (vgl.
WEINGÄRTNER 2009, S. 32f). In dem Umfang, in dem ich selbst meinen freien Willen
verwirklichen kann, bin ich unabhängig von dem Willen anderer. Selbstständigkeit kann
somit vor Fremdbestimmung durch fremden Willen schützen. Wo ich zur Verwirklichung
meines Willens Handlungen durch andere benötige, bin ich von ihnen abhängig.
Unabhängigkeit kann als ein Zustand begriffen werden, der nie vollkommen erreicht
werden kann. Jeder Mensch ist als soziales Wesen i.d.R. in irgendeiner Form abhängig von
seinen Mitmenschen. Menschen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten in ihrer Selbstständigkeit
eingeschränkt sind, haben deshalb ein ‚Mehr‘ an Abhängigkeit (vgl. Kapitel 3.3.1). Hier
liegt es an der Umwelt, sie so zu unterstützen, dass auch sie ihr Selbstbestimmungs-
potenzial ausschöpfen können. Jedoch setzt Selbstbestimmung Selbstständigkeit nicht
voraus und Abhängigkeit bedeutet nicht, dass ein Mensch nicht selbstbestimmt sein kann.
(vgl. Kapitel 3.3.2). Mit einer nach seinen Bedürfnissen gestalteten Umwelt und mit Hilfe

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seiner Mitwelt kann auch ein abhängiger Mensch selbstbestimmt leben (vgl. WAGNER
2007, S. 25). Selbstständigkeit erleichtert zwar die unmittelbare Umsetzung des eigenen
Willens (vgl. ROCK 2001, S. 14), jedoch ist für die Selbstbestimmung nur die Freiheit des
Menschen an sich Voraussetzung. Und andererseits gewährleistet Selbstständigkeit nicht
unbedingt Selbstbestimmung, wenn der Wille, der ausgeführt wird, nicht dem eigenen
entspricht (vgl. KLAUß 2005, S. 4).

2.2.5 Identität
Der Begriff Identität scheint auf den ersten Blick nicht unmittelbar mit dem der Selbstbe-
stimmung verbunden zu sein. Wie sich noch zeigen wird, kann die Selbstbestimmung von
Menschen mit Behinderung allerdings konstitutiv sein für deren Identitätserleben und
Fremdbestimmung kann einer Behinderung der Identitätsarbeit gleichkommen (vgl.
LANGNER 2009). Auch bei Sartre hat die Identität, bei ihm die nicht vorbestimmte
Essenz eines Menschen, die er sich durch seinen individuellen Entwurf aneignet, große
Relevanz in seiner Freiheitsphilosophie.
In Anlehnung an Krappmann konstruiert sich Identität aus einer ‚vertikalen‘
Zeitdimension, die die Ereignisse der Biographie eines Menschen umfasst, sowie aus einer
‚horizontalen‘ Dimension als „die gleichzeitig aktualisierbaren Rollen“ (JELTSCH 2008,
S. 21ff) eines Individuums. Sie beruht auf der Auslotung dieser Dimensionen der
persönlichen und sozialen Identität durch das Individuum, sowie durch die
Selbstinterpretation, wie auch Fremdwahrnehmung in Form von Rollenerwartungen bis hin
zu Etikettierungen. Zu unterscheiden sind die Begriffe Identität und Identitätserleben.
Während jeder Mensch gleichermaßen eine individuelle Identität besitzt bzw. ist, die er
sich über Selbsterfahrungen aneignet, ist mit Identitätserleben „die bewusste Erfahrbarkeit
und Auseinandersetzung mit dem Selbst gemeint, die ihrerseits abhängig ist von
persönlichen Voraussetzungen und Interessen an einer Auseinandersetzung mit sich selbst“
(SCHUPPENER 2011, S. 211).

13
3 Verortung des Selbstbestimmungsgedankens in der Sonderpädagogik
3.1 Geschichte des Leitbilds der Selbstbestimmung
Im Folgenden soll die Entwicklungsgeschichte der Selbstbestimmung hin zu einem
„Schlüsselbegriff der Gegenwart“ (WALDSCHMIDT 2012, S. 11) erläutert werden.
Nachdem die Sonderpädagogik nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur neu
aufgebaut werden musste, war das Hilfesystem zunächst auf das Verwahren und die Für-
sorge von Menschen mit Behinderung ausgerichtet. Die Institutionen für Menschen mit
Behinderung hatten Anstaltscharakter und haben die Betroffenen von der übrigen Gesell-
schaft segregiert (vgl. FRANZ/BECK 2016, S. 103). Im Laufe der Weiterentwicklung der
Sonderpädagogik hat sich dieses Fürsorgeprinzip jedoch immer mehr gewandelt, und die
Bedeutung von Selbstbestimmung ist in den Vordergrund gerückt.
Als Vorreiter der Selbstbestimmungsbewegung kann die Idee der Normalisierung der
Lebenslage von Menschen mit Behinderung gesehen werden (vgl. ROCK 2001, S. 14). Im
sogenannten ‚Normalisierungsprinzip‘ sind bereits grundlegende Gedanken der Selbstbe-
stimmung angelegt, jedoch noch unter der Leitidee der Normalisierung formuliert (vgl.
NIRJE 1997, S. 40). In diesem Sinne wurde ein „Leben so normal wie möglich“
(GRÖSCHKE 2007 b, S. 242) für Menschen mit Behinderung angestrebt. Ziel war die
Verbesserung der Lebensqualität durch die Angleichung der Lebensbedingungen dieser an
die der übrigen Bevölkerung. Im Zuge des Normalisierungsprinzips haben Menschen mit
Behinderung durch die Deinstitutionalisierung sowie Dezentralisierung deutlich mehr
Freiheitsräume erhalten, in denen sie ihr Leben nicht außerhalb, sondern innerhalb der
Gesellschaft gestalten können. Neben der Ausweitung von Freiheitsräumen kann der
Selbstbestimmungsgedanke auch insofern im Normalisierungsprinzip mitgedacht werden,
als es in modernen Gesellschaften normal ist, über sich selbst bestimmen zu dürfen (vgl.
NIEHOFF 1994, S. 186).
Die ‚Independent-Living‘-Bewegung in den USA der 60er und 70er Jahre kann als
Ursprung für die Selbstbestimmungsbewegung in der Sonderpädagogik gelten (vgl.
SCHUPPENER 2016, S. 109). Unter dieser haben sich Selbsthilfegruppen von Menschen
mit Behinderung formiert und gegen ihre entmündigenden Lebensbedingungen
demonstriert (vgl. WALDSCHMIDT 2012, S. 22). In Deutschland hat der Appell An-
schluss unter der ‚Selbstbestimmt-Leben‘-Bewegung in den 80er Jahren gefunden (vgl.
SCHÖNWIESE 2016, S. 46). Dabei haben vor allem Selbsthilfegruppen den Weg bereitet
für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Sie haben eine Abkehr vom
fremdbestimmenden Fürsorgeprinzip der Sonderpädagogik gefordert und sich für ein

14
Hilfesystem eingesetzt, das sich an ihren individuellen Lebenslagen orientiert (vgl.
SCHUPPENER 2016, S. 109f). Zunächst wurde die Forderung nach einem selbstbe-
stimmten Leben vorwiegend von Menschen mit körperlicher Behinderung laut. Sie haben
sich in den 70er Jahren zu einer Vereinigung mit dem provokativen Namen
‚Krüppelbewegung‘ formiert (vgl. WALDSCHMIDT 2012, S. 22), zu der ausschließlich
Menschen mit Behinderung Zugang haben sollten (vgl. SCHÖNWIESE 2016, S. 46). Sie
haben die fremdbestimmten Hilfeleistungen kritisiert, die sie erhalten haben, und haben
mehr Unterstützung und Assistenz in ihrer individuellen Lebensgestaltung und in der
Teilhabe in der Gesellschaft verlangt, die sie selbst bestimmen konnten. Als Meilenstein in
der Entwicklung der Selbstbestimmung hin zu einem Leitbild kann auch der Selbsthilfe-
kurs ‚Bewältigung der Umwelt‘ von Klee und Steiner gelten, in dem erwachsene
Menschen mit Behinderung durch einen freiwilligen Besuch Kompetenzen an die Hand
gegeben werden sollten, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten (vgl. ebd., S. 46). In den
90er Jahren hat der Begriff der Selbstbestimmung erstmals explizit auch Eingang in die
Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung gefunden (vgl. SCHUPPENER 2016,
S. 109). Hier hat sich die Internationale Liga von Vereinigungen für Menschen mit
geistiger Behinderung (ILSMH), in Deutschland die Interessenvertretung Selbstbestimmt-
Leben (ISL) maßgeblich für das Recht auf Selbstbestimmung eingesetzt (vgl. ROCK 2001,
S. 16). Unter dem Verband People First (dt. Mensch zuerst) haben sich Menschen mit
geistiger Behinderung zusammengeschlossen und damit eine Organisation eigens für ihren
Personenkreis geschaffen. Dort stehen Menschen mit geistiger Behinderung selbst für ihr
Recht auf Selbstbestimmung ein (vgl. STRÖBL 2006, S. 44f). Der Name ‚People First‘
verweist auf die Forderung von Menschen mit Behinderung, zuerst als Menschen und nicht
nur als ‚Behinderte‘ anerkannt zu werden und kritisiert damit die etikettierenden und
stigmatisierenden Mechanismen, mit denen diese in der Gesellschaft und im heilpädagogi-
schen Hilfesystem konfrontiert werden. Sie verlangen eine Abkehr von der Bezeichnung
als ‚Behinderte‘, sondern wollen sich vielmehr als ‚Menschen mit Lernschwierigkeiten‘
bezeichnet wissen (vgl. SCHÖNWIESE 2016, S. 47). In sogenannten ‚Self-advocacy‘-
Gruppen organisieren sich Menschen mit geistiger Behinderung, um sich gegenseitig zu
unterstützen, ihre eigenen Interessen zu vertreten und für sich selbst sprechen zu können
(vgl. SCHIRBORT 2007 a, S. 304/ ROCK 2001, S. 25-30).
Schließlich hat der Duisburger Kongress der Lebenshilfe von 1994 unter dem Titel Ich
weiß doch selbst, was ich will! Menschen mit geistiger Behinderung auf dem Weg zu mehr
Selbstbestimmung entscheidend zur Etablierung der Selbstbestimmung als Leitidee in
Deutschland beigetragen (vgl. KATZENBACH 2004, S. 127). Dort haben sich Profes-
15
sionelle, Angehörige und Betroffene erstmals offiziell über die Thematik der Selbstbe-
stimmung ausgetauscht. Die Erklärung der Betroffenen dabei lautete:
„Wir möchten mehr als bisher unser Leben selbst bestimmen. Dazu brauchen wir andere
Menschen. Wir wollen aber nicht nur sagen, was andere tun sollen. Auch wir können etwas
tun! Wir wollen Verantwortung übernehmen. Wir wollen uns auch um schwächere Leute
kümmern. Auch schwer behinderte Menschen können sagen, was sie wollen. Vielleicht nicht
durch Sprache, aber man kann es im Gesicht sehen oder am Verhalten. Niemand darf wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden. Alle haben das Recht, am Leben der Gemeinschaft
teilzunehmen. Jeder Mensch muss als Mensch behandelt werden!“ (Duisburger Erklärung des
Kongresses ‚Ich weiß doch selbst was ich will‘ 1994, zit. n. OSBAHR 2003, S. 175)

Selbstbestimmung hat sich inzwischen auch in der Pädagogik bei geistiger Behinderung
zum dominierenden Thema entwickelt (vgl. LINDMEIER 1999, 209) und gilt als
handlungsleitend für sonderpädagogische Unterstützungsmaßnahmen (vgl.
WALDSCHMIDT 2012, S. 11).
In Anlehnung an das Leitbild der Selbstbestimmung hat sich auch das Leitbild des
‚Empowerment‘ entwickelt. Empowerment hat die Selbstermächtigung oder Selbst-
befähigung von Menschen mit Behinderung als Leitziel (vgl. THEUNISSEN 2006, S.
103). Als ersten Grundwert wird dabei die Selbstbestimmung artikuliert. Zentral ist die
Abkehr von einer Defizitorientierung hin zur Stärkenperspektive. Es wird angenommen,
dass jeder Mensch die grundlegende Fähigkeit zur Selbstbestimmung besitzt und
Potenziale hat, sich selbst zu helfen. Im Sinn der Stärkenperspektive sollen diese Kompe-
tenzen und Ressourcen bewusst gemacht und nutzbar werden, sowie die Freiheitsräume
erweitert werden, um so Selbstbestimmung zu ermöglichen. Es sollen die
Selbstverfügungskräfte des Einzelnen aktiviert werden, damit Menschen die Fähigkeit
zurückerlangen, ihre Lebenswelt selbst zu gestalten (vgl. THEUNISSEN 2009, S. 42f).
Empowerment geht aber inhaltlich über Selbstbestimmung hinaus, indem als zweiter
Grundwert eine demokratische und kollaborative Partizipation und als dritter Grundwert
Verteilungsgerechtigkeit gefordert wird (vgl. KULIG/THEUNISSEN 2016, S. 115).
Theunissen beschreibt das Verhältnis der Leitbilder insofern, dass Selbstbestimmung das
Wollen von Menschen mit Behinderung thematisiert, während Empowerment auch das
Können miteinbezieht (vgl. THEUNISSEN 2006, S. 108). Während das Leitbild der
Selbstbestimmung mehr das Individuum in den Blick nimmt, bezieht sich Empowerment
auch auf die gesellschaftliche Ebene.

16
3.2 Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in der heutigen Praxis
Die Selbstbestimmungsbewegung hat auch zu entsprechenden Veränderungen in der
Gesetzeslage geführt. In den letzten 20 Jahren sind die Bürgerrechte von Menschen mit
Behinderung deutlich gestärkt worden, sodass sie gesetzlich das Recht auf Gleich-
berechtigung und Teilhabe in der Gesellschaft haben (vgl. SCHÄDLER 2011, S. 26).
Neben dem Bundesgleichstellungsgesetz sowie dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-
gesetz (vgl. ebd. 2011, S. 24) kann das 9. Sozialgesetzbuch zur ‚Rehabilitation und Teil-
habe von Menschen mit Behinderungen‘ als ein Meilenstein auf dem Weg zur Selbstbe-
stimmung von Menschen mit Behinderung betrachtet werden. Dort ist das Recht auf
Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung mittlerweile explizit festgelegt. Hier
heißt es im § 1 SGB IX ‚Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft‘:
„Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen
nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre
Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken […].“
(§ 1 Abs. 1 SGB IX)

Auch die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 hat entscheidend zur Verbesserung


der Situation von Menschen mit Behinderung auf rechtlicher Ebene beigetragen, indem sie
die Selbstbestimmung als ein Menschenrecht formuliert (vgl. HÄHNER/STAMPEHL
2016, S. 121). Dort heißt es, dass jeder Mensch mit Behinderung ein Recht hat auf „die
Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie,
einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner
Unabhängigkeit“ (Art. 3a UN-BRK). Hier wird auch explizit festgeschrieben, „dass das
Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt“ (Art. 14
(1)b UN-BRK). Menschen dürfen also nicht aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Freiheit
eingeschränkt werden, sondern ihnen muss in gleichberechtigter Weise ein selbstbe-
stimmtes Leben gewährt werden. Dies muss in allen Bereichen des Lebens ermöglicht
werden, wie beispielsweise in Fragen des Wohnens, in denen sie „gleichberechtigt die
Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem
sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben“ (Art. 19b, UN-
BRK).
Geht man davon aus, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung als Spiegel des
gesellschaftlichen Bildes von Behinderung aufgefasst werden können, so scheint sich der
gesellschaftliche Blick auf Menschen mit Behinderung in den letzten 20 Jahren gewandelt
zu haben, sodass auch sie als autonome Individuen anerkannt werden. Das Recht auf

17
Selbstbestimmung ist mittlerweile gesetzlich fest implementiert. Der Entzug von Freiheit
ist nur dann legitim, wenn der Tatbestand der Selbst- oder Fremdgefährdung gegeben ist
(vgl. NIEHOFF 1994, S. 187).

Die rechtliche Verankerung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung findet
in der Praxis jedoch unterschiedliche Umsetzung. 2001 wurde durch die Einführung des
Konzepts des persönlichen Budgets in das heilpädagogische Hilfesystem ein
entscheidender Schritt in Richtung Selbstbestimmung unternommen. Durch dieses soll
dem rechtlichen Anspruch von Menschen mit Behinderung auf ein selbstbestimmtes Leben
Rechnung getragen werden. „Bei dem Persönlichen Budget handelt es sich um einen
(pauschalen) Geldbetrag, den Menschen mit Behinderung entsprechend ihres individuellen
Unterstützungsbedarfes erhalten, um hiervon erforderliche Unterstützungsleistungen zur
Teilnahme an der Gesellschaft in eigener Verantwortung auszusuchen, einzukaufen bzw.
zu organisieren“ (SCHIRBORT 2007 b, S. 255). Die Leistungen sollen sich dadurch mehr
an den individuellen Bedürfnissen und Bedarfen der Menschen mit Behinderung
orientieren und so zu mehr selbstbestimmter Alltagsgestaltung beitragen. Indem Hilfe-
leistungen nicht mehr an institutionelle Bedingungen geknüpft sind, soll mehr Individuali-
sierung in der Unterstützung von Menschen mit Behinderung bewirkt werden (vgl.
GAEDT 1997, S. 90). Menschen mit Behinderung können mit dem persönlichen Budget
selbstbestimmt und selbstverantwortlich persönliche Assistenzdienste einkaufen (vgl.
ROCK 2001, S. 58). Unter persönlicher Assistenz „wird jede Form der persönlichen Hilfe
verstanden, die einen ‚Assistenznehmer‘ in die Lage versetzt, sein Leben selbstbestimmt
zu gestalten“ (NIEHOFF 2016 a, S. 46). Das Besondere bei diesem Verhältnis ist, dass hier
der Mensch mit Behinderung, der i.d.R. die untergeordnete Rolle in sozialen Beziehungen
einnehmen muss, zum Bestimmer wird, und sich so das asymmetrische Verhältnis umkehrt
(vgl. THEUNISSEN 2009, S. 72). Als ArbeitgeberIn entscheidet er/sie und ist dafür
verantwortlich, welche Aktivitäten der/die AssistenzgeberIn ausführen soll (vgl. ROCK
2001, S. 58).
Der Umfang des persönlichen Budgets richtet sich dabei allerdings nach den Kosten
vergleichbarer institutioneller Leistungen. Dies führt in der Umsetzung oft zu Problemen
der Finanzierung ambulanter Unterstützungsleistungen (vgl. SCHALLENKAMMER 2016,
S. 46ff). Vor allem Leistungen in Form von persönlicher Assistenz, die aus dem
persönlichen Budget bezahlt werden sollen, übersteigen finanziell meist die Zahlungen, die
das Sozialamt zu leisten hat (vgl. ROCK 2001, S. 56).

18
Im Bereich Bildung wird es unter dem Leitbild der Selbstbestimmung zur Aufgabe der
Schule, Kinder und Jugendliche zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen.
Anknüpfend an die Behindertenrechtskonvention hat die Kultusministerkonferenz in einem
Beschluss von 2010 „Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Überein-
kommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention - VN-BRK) in der schulischen Bildung“
(KMK) formuliert. Zweck von Bildung soll es sein, die SchülerInnen zu einem selbstbe-
stimmten Leben zu befähigen:
„Bildung ist ein elementarer Bestandteil der Behindertenrechtskonvention. Der Artikel 24 des
Übereinkommens bezieht sich auf das gesamte Bildungswesen und schließt das lebenslange
Lernen ein. Bildung eröffnet individuelle Lebenschancen, sie ist der Schlüssel zur
Selbstbestimmung und aktiven Teilhabe. Bildung ist eine Voraussetzung, um
eigenverantwortlich an Gesellschaft, Kultur, Erwerbsleben und Demokratie teilzuhaben.“
(KMK 2010, S. 3)

Auch die Leitbilder der Integration und Inklusion, die bisher vor allem im Bildungssystem
umgesetzt werden, tragen durch ihre Zielvorstellung einer gleichberechtigten Teilhabe und
Partizipation von Menschen mit Behinderung zur deren Chancen auf ein selbstbestimmtes
Leben bei (vgl. BIEWER 2016, S. 126). Durch die Öffnung der Regelschule werden
Freiheitsräume ausgeweitet und zugänglich gemacht, was wiederum zu einer Vergrößerung
der Selbstbestimmungsmöglichkeiten führt (vgl. SCHUPPENER 2016, S. 111). Auch die
KMK von 2011 sieht Inklusion im Zeichen der Selbstbestimmung von Menschen mit
Behinderung:
„Menschen mit Behinderungen gehören selbstverständlich zu einer Gesellschaft, die die
gleichberechtigte Teilhabe, Selbstbestimmung und Entfaltung aller anstrebt und verwirklicht.
[…] Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen dienen der
vollen Entfaltung der Persönlichkeit sowie dem Erwerb von Voraussetzungen für ein
selbstbestimmtes Leben und für eine aktive Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen.“
(KMK 2011, S. 2f)

In der Praxis kann jedoch allenfalls von einer zielgleichen Integration gesprochen werden.
Integration wird vor allem dann ermöglicht, wenn der entsprechende Bildungsabschluss
erreicht werden kann oder zumindest kognitive und soziale Voraussetzungen erfüllt sind,
am Unterricht teilzuhaben (vgl. HEIMLICH 2016, S. 121). Wagner macht darauf
aufmerksam, dass sich im Zuge der Inklusion lediglich die Trennlinie der Schülerschaft
verschoben hat, welche auf einer Regelschule unterrichtet werden. So werden vor allem
Kinder mit schwerer Behinderung bisher nicht in der Inklusion mitgedacht (vgl. WAGNER
2013, S. 497f). Integriert wird, wer in das System der Regelschule passt und unter ihren

19
Bedingungen lernen kann. Veränderungen der Rahmenbedingungen und Strukturen des
Schulsystems, die für eine wirkliche, zieldifferente Inklusion, die alle SchülerInnen ein-
schließt, nötig wären, werden von der Bildungspolitik bisher nicht genügend angegangen
(vgl. BIEWER 2016, S. 125). Auch funktioniert das deutsche Integrationsmodell bisher
nicht ohne das Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma2.
Es lässt sich feststellen, dass in der derzeitigen Schullandschaft durch mangelnde Rahmen-
bedingungen und Etikettierungsmaßnahmen nicht uneingeschränkt von einer gleich-
berechtigten Teilhabe gesprochen werden kann.

Während Bildung und Erziehung Bereiche sind, in denen Integration bisher am meisten
umgesetzt und damit dem Recht auf Selbstbestimmung Rechnung getragen wird, hat im
Bereich von Arbeit und Beruf die Integrationsdebatte deutlich weniger Eingang gefunden.
Während sich für Menschen mit Behinderung in ihrer Kindheit und Adoleszenz viele
Modelle und Institutionen für eine gleichberechtigte Teilhabe entwickelt haben, scheint es,
als würde der Arbeitsmarkt politisch außen vor gelassen. Hier dominieren weiterhin
separierende Systemstrukturen die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung (vgl.
GREVING 2016, S. 40ff). Die Mehrheit der Menschen mit Behinderung arbeitet auf dem
zweiten Arbeitsmarkt in Werkstätten. Diese sind seit 1996 dazu verpflichtet, einen
Beschäftigtenbeirat aufzustellen, sodass die Menschen mit Behinderung als Arbeitnehmer
dort mehr mitbestimmen können (vgl. ROCK 2001, S. 44). Der Zugang zum ersten
Arbeitsmarkt wird Menschen mit Behinderung erheblich erschwert. Da in der Wirtschaft
das Prinzip der Leistungsfähigkeit besonders präsent ist, stehen Behinderte hier vor beson-
ders großen Widerständen (vgl. THEUNISSEN 2009, S. 307)

Osbahr zufolge spiegeln sich die Leitbilder der Sonderpädagogik insbesondere in deren
entsprechenden Wohnkonzepten wider, weshalb es von besonderem Interesse ist, wie weit
das Leitbild der Selbstbestimmung in diesen Lebensbereich vorgedrungen ist. (vgl.
OSBAHR 2003, S. 168). Wohnen als Ort der Privatheit, Intimität und Geborgenheit hat
entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität von Menschen und ist deshalb für die
Selbstbestimmung besonders bedeutsam. Dem Wohnen als menschlichem Grundbedürfnis
kommt auch eine identitätsstiftende Seite zu: „die Art, wie du bist und ich bin, die Weise,
nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt:
2
Dem sogenannten ‚Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma‘ zufolge können im derzeitigen heilpädagogischen
System nur Hilfemaßnahmen bereitgestellt werden, wenn eine Etikettierung als behindert bzw.
förderbedürftig erfolgt. Diese Etikettierung kann allerdings in sich wiederum eine soziale Benachteiligung
bedeuten und ist damit Teil des Problems (vgl. HEIMLICH 2016, S. 121).
20
als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen“ (Heidegger 1954, zit. n.
SCHALLENKAMMER 2016, S. 41).
Die Mehrheit der Menschen mit Behinderung ist auch heute noch in Wohnheimen unter-
gebracht. 2006 lebten fast 60 Prozent in Institutionen, die mehr als 50 Plätze umfassen
(vgl. THEUNISSEN 2009, S. 377). Diese Form des Wohnens entspricht in der Regel nicht
einem selbstbestimmten Leben und ist meist nicht die von den BewohnerInnen bevorzugte
Wahl. Insgesamt bieten die engen und durchgeplanten Abläufe kaum Möglichkeiten einer
selbstbestimmten Lebensgestaltung. Paternalistische Strukturen prägen auch heute noch
den Alltag von vielen HeimbewohnerInnen (vgl. SCHALLENKAMMER 2016, S: 43, 53).
Wenn auch der Anstaltscharakter von Wohnheimen für Menschen mit Behinderung sich
mittlerweile hin zu einem offeneren Lebensraum gewandelt hat, bei dessen Gestaltung sie
mit einbezogen werden (BewohnerInnen haben Anspruch auf ein Einzelzimmer und sind
im Heimbeirat vertreten (vgl. ROCK 2001, S. 40ff), so lassen sich immer noch Strukturen
erkennen, die ihren BewohnerInnen wenig Raum für Freizügigkeit lassen, und Züge von
„totalen Institutionen“ (GOFFMAN 2016, S. 15), wie sie Goffman beschreibt, annehmen
können. Als totale Institutionen bezeichnet Goffman solche Einrichtungen, die in das
Leben eines Individuums umfassend eingreifen, es fremdbestimmt strukturieren und so
dem Individuum kaum Raum für Freizügigkeit lassen. Das Individuum muss sich den
Betriebsstrukturen der Institution unterordnen. Individuelle Bedürfnisse müssen sich an die
vorgeplanten Strukturen und Abläufe der Institution anpassen (vgl. ebd., S. 17-21).
BewohnerInnen von Wohnheimen haben sich z.B. an die vorgegebenen Essenszeiten zu
halten. Darüber hinaus ist es immer noch üblich, dass Wohnheime Nachtruhe haben, an die
sich die BewohnerInnen halten müssen. Für individuelle Wünsche in der Tagesgestaltung
bieten Wohnheime meist weder die Rahmenbedingungen, noch haben die MitarbeiterInnen
Kapazitäten, diese zu ermöglichen. Speck kritisiert dies: „Geht man im Sinne des
Autonomieprinzips von den Grundbedürfnissen aus, so sind alle Wohnformen abzulehnen,
die die Möglichkeiten des Selbstseins und der – relativen – Selbstbestimmung
einschränken“ (SPECK 1985, S. 167)
Projekte des betreuten Wohnens, in denen Menschen mit geistiger Behinderung in Wohn-
gemeinschaften mit assistierender Betreuung leben können und die dem Gedanken der
Selbstbestimmung eher entsprächen, sind nur vereinzelt zu finden. 2006 hatten nur 10
Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit, in einer solchen Form
des Wohnens zu leben (vgl. THEUNISSEN 2009, S. 377).

21
Durch die zuvor erläuterten Entwicklungen in der Sonderpädagogik hat sich die Situation
von Menschen mit Behinderung seit der Nachkriegszeit durch zunehmende Rechte und
Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung positiv hin zu mehr Selbstbestimmung
und Lebensqualität entwickelt. Barrieren für die Teilhabe an der Gesellschaft sind abge-
baut und Unterstützungssysteme gebildet worden. Es lässt sich festhalten, dass in der
Geschichte der Sonderpädagogik der Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung
immer mehr Bedeutung beigemessen worden ist und wird und mittlerweile als ein Para-
digma der Sonderpädagogik gelten kann (vgl. SCHUPPENER 2016, S. 109).
Trotzdem spielt sich das Leben von Menschen mit einer geistigen Behinderung meist
innerhalb sonderpädagogischer Institutionen ab, die von deutlichen Fremdbestimmungs-
strukturen und fremdgesteuerten Prozessen geprägt sind. Entwicklungsbedarfe sind vor
allem im Bereich der Arbeit und des Wohnens zu verzeichnen. Die pädagogischen
MitarbeiterInnen, auch wenn sie den Leitgedanken der Selbstbestimmung in ihrer
professionellen Haltung verfolgen, haben oft keine Möglichkeit, ihre Tätigkeit nachhaltig
darauf auszurichten, weil die institutionellen Rahmenbedingungen es nicht ermöglichen.
Es lässt sich verzeichnen, dass die sozialpolitischen Maßnahmen, die die Selbstbestim-
mung von Menschen mit Behinderung stärken sollten, vor allem für das Leben von
Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung Verbesserungen gebracht haben. Persönliche
Assistenz, die ein selbstbestimmtes Leben gestatten soll, hat die Lebenswelt von Menschen
mit geistiger Behinderung kaum erreicht. Durch das hohe Maß an Kontrolle und Verant-
wortung seitens des Menschen mit Behinderung stellt persönliche Assistenz kein voraus-
setzungsloses Verhältnis dar (vgl. ROCK 2001, S. 53ff). Zum Wahrnehmen von Assistenz
benötigt der Mensch mit Behinderung ein Mindestmaß an Regiekompetenz (vgl.
NIEHOFF 2016 a, S. 50). Darunter fallen Fähigkeiten wie Personalkompetenzen,
Anleitungskompetenzen, Raum- und Finanzkompetenz, sowie Kontrollkompetenz.
Der/Die AssistenznehmerIn muss seinen/ihren Willen dem/der Assistenten/in verständlich
mitteilen können und über eine gewisse Handlungskompetenz verfügen. Solche Maß-
nahmen stehen bei Menschen mit geistiger Behinderung deshalb vor besonderen Anforde-
rungen und Schwierigkeiten, wenn die Handlungs- und Kommunikationsfähigkeiten
des/der Assistenznehmers/in etwa nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Auch ist als
KäuferIn von Dienstleistungen ein kritisches und reflektiertes Konsumverhalten von
Belang (vgl. ROCK 2001, S. 59). Es stellt sich die Frage nach der Mitverantwortung für
den/die Assistenten/in, und ob der Mensch mit geistiger Behinderung bei bestimmten
Aktivitäten die alleinige Verantwortung auf sich nehmen kann. Hier verschwimmen die
Grenzen zwischen AssistenznehmerIn und AssistenzgeberIn, wenn der/die AssistentIn
22
bestimmte Regiekompetenzen für den Menschen mit geistiger Behinderung übernehmen
muss. Der/Die AssistentIn muss hier u.U. mehr kompensieren als bei Menschen mit einer
körperlichen Behinderung.
Georg Theunissen hat in diesem Zuge acht spezielle Assistenzen 3 formuliert, die mehr
Formen annehmen können als nur das stellvertretende Ausführen (vgl. THEUNISSEN,
2009, S. 74-78). Ohne inhaltlich näher auf diese Assistenzformen einzugehen, soll durch
diesen erweiterten Assistenzbegriff diese Art der Hilfeleistung auch für Menschen mit
geistiger Behinderung wahrnehmbar werden. Wenn auch der Versuch, persönliche
Assistenz für diese Menschen zugänglicher zu machen, generell positiv zu bewerten ist, so
birgt dieses Unterfangen die Gefahr, den Assistenzbegriff undeutlich werden zu lassen.
Soll Assistenz im eigentlichen Sinne durch das Bestimmen seitens des Menschen mit
Behinderung gekennzeichnet sein, stellt sich vor allem bei der faciliatorischen und inter-
venierenden Assistenz die Frage, inwieweit dies hier noch gegeben ist. Die Kritik eines
inflationären Gerbrauchs der Bezeichnung für alle möglichen sonderpädagogischen
Dienste und damit einhergehende Verschleierung von Machtverhältnissen und asym-
metrischen Rollenverteilungen erscheint als berechtigt. Aufgrund dieser Kritik bewertet
Niehoff den Begriff der Begleitung als geeigneter für die Arbeit mit Menschen mit
geistiger Behinderung (vgl. NIEHOFF 2016 a, S. 45ff). Begleitung geht dabei über das
klassische Assistenzverhältnis hinaus, indem sie mehr als nur funktionale Kompensation
einschließt. Der Begleiter ist kein Instrument für die Kompensation von Selbständigkeit,
sondern eine Beziehungsperson, die auch auf persönlicher Ebene interagiert (vgl. ROCK
2001, S. 60): „Bei Menschen mit einer geistigen Behinderung zeigt sich, dass sich die
Rolle der Fachpersonen nicht auf praktische Dienstleistungen beschränkt, sondern auch
den Bereich einer wichtigen Bezugsperson für persönliche Lebensgestaltung und Kommu-
nikation beinhaltet. Damit zeigt sich, dass das Konzept der persönlichen Assistenz für
diesen Personenkreis um den Aspekt einer dialogischen Begleitung zu erweitern ist“
(OSBAHR 2003, S. 162). Begleitung soll nicht im Sinne von Betreuung missverstanden
werden. Der/Die BegleiterIn soll trotz des persönlicheren Verhältnisses nicht mit einer
bevormundenden Haltung in den Dialog treten, sondern als pädagogisches Ziel das Er-
möglichen, Befähigen und Ausweiten der Selbstbestimmung des Menschen mit
Behinderung haben. Um nicht in alte paternalistische Verhaltensmuster zu rutschen, bedarf
es einem hohen Grad an Selbstreflexion. Er muss sensibel sein für die (Willens-)
Äußerungen des Menschen mit Behinderung (vgl. NIEHOFF 2016 a, S. 54). Neben den
3
Diese sind: lebenspraktische Assistenz, dialogische Assistenz, konsultative Assistenz, advokatorische
Assistenz, sozialintegrierende Assistenz, lernzielorientierte Assistenz, faciliatorische Assistenzen, sowie
intervenierende Assistenz (vgl. THEUNISSEN 2009, S. 74-78)
23
sozialen und pädagogischen Kompetenzen, die der/die BegleiterIn mitbringen muss,
sollten auch Menschen mit Behinderung bereits früh Fähigkeiten, die für ein Assistenz-
verhältnis notwendig sind, erlernen. Um Menschen mit geistiger Behinderung für ein
Assistenzverhältnis, das der eigentlichen Idee davon möglichst nahe kommt, zu befähigen,
erscheint es wichtig, dass sie sich die dafür nötigen Kompetenzen nach ihren Möglich-
keiten aneignen. Neben dem Erlernen von Handlungskompetenz ist dabei das Aneignen
von Kommunikationsfähigkeiten besonders bedeutsam. Hier kommt der Schule eine zent-
rale Bedeutung in der Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes Leben zu. (vgl. OSBAHR
2003, S. 162ff).
Trotz der erläuterten Schwierigkeiten und Ambivalenzen, denen Konzepte zur Selbstbe-
stimmung bei Menschen mit geistiger Behinderung in der Praxis begegnen, ist der Mangel
an Selbstbestimmung bei Menschen mit geistiger Behinderung laut Osbahr nicht allein auf
diese zurückzuführen (vgl. ebd., S. 24, 183). Menschen mit geistiger Behinderung werden
auch im heutigen Hilfesystem oft mit paternalistischen Fürsorgetendenzen behandelt, die
über ein notwendiges betreuendes oder begleitendes Maß hinausgehen (vgl.
WALDSCHMIDT 2012, S. 28ff). Waldschmidt spricht hier von einer „internen
Selektivität“ (ebd., S. 29), die sich nach dem Grad des (vermeintlichen) Vermögens zur
rationalen Einsicht und Entscheidung abstuft 4. Selbstbestimmt und verantwortlich könne
demnach nur sein, wer über eine Vernunftbegabung verfügt, die der Norm entspricht (vgl.
WEINGÄRTNER 2000, S. 70f).

3.3 Theoretische Fundierung des Selbstbestimmungsgedankens


Nachdem die gesellschaftliche sowie politische Entwicklung des Selbstbestimmungs-
gedankens bei Menschen mit Behinderung dargelegt worden ist, soll im Folgenden die
wissenschaftliche Perspektive zum Leitbild der Selbstbestimmung erläutert werden.

3.3.1 Die anthropologische Position von Hahn


Als Grundlage für seine Argumentation zur Selbstbestimmung definiert Hahn
„Behinderung als soziale Abhängigkeit“ (HAHN 1981), so auch der Titel seines Haupt-
4
Nach Waldschmidt findet diese Orientierung an der Vernunft als Bedingung für menschliche Freiheit ihren
Ursprung in der Aufklärung. Hier definiert Kant den Menschen als ein vernunftbegabtes Wesen, das dank
seiner praktischen Vernunft unabhängig von der Sinnenwelt handeln kann. Er fordert den Menschen zur
Mündigkeit auf. Freiheit und Gleichheit werden in diesem Zeitalter zu universalen Kategorien. Menschen mit
einer geistigen Behinderung können Kants Aufruf, aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit
herauszutreten, jedoch nicht folgen, da sie sie nicht selbstverschuldet haben (vgl. WALDSCHMIDT 2012, S.
38). So wird der Mensch mit Behinderung von Kant nicht als ein vernünftiges, sondern mehr als „ein
bedürftiges Wesen, sofern er zur Sinnenwelt gehört“ (Kant 1993, zit. n. WALDSCHMIDT 2003, S. 13)
betrachtet.
24
werks. Damit hat er die Auffassung von Behinderung als gesteigerte Abhängigkeit
entscheidend geprägt (vgl. FRÖHLICH 2000, S. 5).
Soziale Abhängigkeit definiert Hahn wie folgend: „Soziale Abhängigkeit heißt, eigene
Intentionen nur mit Hilfe anderer verwirklichen zu können – oder passiv dem Aktivsein
anderer als Handlungsobjekt ausgeliefert zu sein“ (HAHN 1981, S. 22). Menschen befin-
den sich in sozialer Abhängigkeit, wenn sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auf die
Unterstützung anderer angewiesen sind (vgl. MATTKE 2004, S. 302).

Der Mensch als Wesen zwischen Abhängigkeit und Freiheit


Hahn legt seiner Argumentation einen anthropologischen Ansatz zugrunde. Dabei bezieht
er sich auf die Anthropologie Arnold Gehlens: „Der Mangel an instinktsicherer Einpassung
in ein Ausschnittsmilieu ist nach Gehlen die Ursache für die ‚Weltoffenheit‘ des
Menschen, seine Fähigkeit zu handeln – und damit auch für seine Freiheit, d.h. für seine
Unabhängigkeit“ (HAHN 1981, S. 29). Gehlen beschreibt den Menschen, im Gegensatz
zum Tier, als ein Mängelwesen. Es mangelt ihm an Instinkten, die sein Überleben sichern.
„Alle Lebewesen, Pflanzen, Tiere und Menschen, streben in ihren Lebensvollzügen ihre
artgemäße optimale Entfaltung und ihre Existenz- bzw. Artsicherung an. Im Pflanzen- und
Tierreich werden diese Vollzüge vorwiegend durch biologisch vorgegebene
Steuerungsmechanismen gewährleistet. Diese, der Bedürfnisbefriedigung dienenden,
biologisch gesteuerten Abläufe, sichern die Lebensvollzüge - z. B. der Tiere - und sorgen unter
gegebenen Lebensbedingungen für deren bestmögliches Wohlbefinden. Im Unterschied dazu
kann sich der Mensch bei von ihm ebenfalls angestrebten Zuständen des Wohlbefindens nicht
auf Instinkte verlassen. Er gilt als instinktarmes Mängelwesen. GEHLEN (1974) spricht von
einem Hiatus, einem Graben, der beim Menschen den ‚Instinktkreislauf‘ zwischen
aufkommendem Bedürfnis und seiner Befriedigung unterbricht.“ (HAHN 1999, S. 19)

Das Tier als instinktgeleitetes Wesen muss in seinem Leben keine Entscheidungen treffen,
da die Instinkte ihm sagen, was es zu tun hat. Der Mensch jedoch ist von seinen Instinkten
losgelöst. Wegen dieser Instinktreduktion, dem fehlenden Wissen, wie er sich in seiner
Umwelt einzurichten hat, steht der Mensch in seinem Leben vor der Aufgabe, selbst Ent-
scheidungen zu treffen und sich Verhaltensformen selbst anzueignen (vgl. HAHN 1998, S.
113). Hieraus schließt Hahn: „Das heißt: Sein Wohlbefinden wird nicht automatisch
biologisch erzeugt. Er ist gezwungen, am Hiatus innezuhalten und sich auf dem Hinter-
grund seiner Möglichkeiten für einen von mehreren Wegen zu entscheiden, wie sein Be-
dürfnis bestmöglich befriedigt werden kann - und diesen Weg dann zu beschreiten“
(HAHN 1999, S. 19). Mit diesem anthropologischen Fundament begründet er die Aussage,
dass Freiheit ein Wesensmerkmal des Menschen sei. Er definiert den Menschen als das
25
Wesen, das wegen seines Instinktmangels frei ist und deshalb auf natürliche Weise die
eigene Selbstbestimmung sucht: „Das Streben nach Freiheit, nach Nicht-Abhängigkeit, das
selbstbestimmte, eigenverantwortliche Handeln innerhalb eines Freiheitsraumes, der durch
Abwesenheit von Abhängigkeit gekennzeichnet ist, macht wesenhaft Menschsein aus“
(HAHN 1981, S. 24). Selbstbestimmung liegt in der Natur des Menschen und ist damit ein
Grundbedürfnis.
Gleichzeitig ist der Mensch nach Hahn aber auch ein soziales Wesen, das wegen seiner
Sozialität und Bedürfnisbefriedigung auf natürliche Weise abhängig von seinen
Mitmenschen und dadurch in seiner Selbstbestimmung eingeschränkt ist: „Der Mensch
kann als Wesen angesehen werden, das auf komplizierte und vielfältige Weise ständig in
Abhängigkeiten verflochten ist. Sein Leben als Mensch ist gekennzeichnet durch ein
Nebeneinander von mehr oder weniger dauerhaften, sich lösenden und sich neu anbahnen-
den Abhängigkeitsverhältnissen“ (HAHN 1981, S. 21f). Abhängigkeit und Freiheit stellen
damit zwei einander entgegengesetzte Pole dar, nach denen sich das Leben von Menschen
auslotet: „Die Wirkung von Abhängigkeit wird stets im Gegensatz zu Unabhängigkeit,
Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Freiheit gesehen“ (ebd., S. 14).
Zentraler Begriff ist bei Hahn auch das Wohlbefinden, durch das Verhalten und Handeln
des Menschen motiviert sind. Dieses müsse der Mensch durch seine Selbstbestimmung
selbst erzeugen (vgl. HAHN 1998, S. 113). Wohlbefinden stellt bei Hahn zudem ein
ethisches Richtmaß dar. Damit für das Wohlbefinden eines Menschen gesorgt ist, sollten
sich Freiheit und Abhängigkeit in einer „oszillierenden Balance“ (HAHN 1994, S. 86)
befinden. Für das Wohlbefinden ist der Mensch auf die Befriedigung von Bedürfnissen
angewiesen. Als soziales Wesen ist er im Hinblick auf seine Bedürfnisbefriedigung und
damit auf sein Wohlbefinden auch von seinen Mitmenschen abhängig (vgl. HAHN 1999,
S. 21). Es werden absichtlich Abhängigkeitsverhältnisse eingegangen oder geschaffen, um
Bedürfnisse zu befriedigen. So ist die soziale Abhängigkeit für Hahn an sich nichts Nega-
tives, sondern eine Bedingung für das Wohlbefinden des Menschen. Sie ist für die Ent-
wicklung eines Menschen in dem Maße förderlich, wie sie das individuell mögliche Maß
an Selbstbestimmung nicht überschreitet: „Der Mensch bejaht diese Abhängigkeit aber
nur, wenn sie seiner Bedürfnisbefriedigung dient. Überschreitet sie das bedürfnis-
befriedigende Maß, bekämpft er sie, weil sie seine Selbstbestimmungsmöglichkeiten be-
schneiden und Wohlbefinden verhindern“ (HAHN 1994, S. 85). Einerseits sind soziale
Abhängigkeitsverhältnisse für die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse notwendig,
andererseits ist nur durch ein ausreichendes Maß an Selbstbestimmung gewährleistet, dass
sich Entscheidungen und Handlungen nach den Bedürfnissen des Individuums richten (vgl.
26
ebd., S. 83). Die dynamische Ausgewogenheit der beiden Pole macht für ihn „Identität, ein
sinnerfülltes menschliches Leben, menschliches Glück“ (HAHN 1983, S. 133) aus.
Diese oszillierende Balance, die er auch Identitätsbalance nennt, richtet sich dabei nach
dem subjektiven Empfinden des Menschen und seiner individuellen Lebenssituation. Sie
orientiert sich an „größtmöglicher Unabhängigkeit einerseits, die der eigenen Verantwort-
lichkeit angemessen sein muß und sozialer Abhängigkeit andererseits, die über die
Befriedigung von Bedürfnissen hinaus nicht ausgedehnt werden darf“ (HAHN 1999, S.
23). Sie lässt sich nicht alleine durch objektiv feststellbare Tatsachen bemessen, sondern
wird entscheidend durch das subjektive Erleben dieser beeinflusst. So kann ein bewusst
und freiwillig eingegangenes Abhängigkeitsverhältnis für ein Individuum subjektiv kaum
Bedeutung für dessen Freiheitsempfinden haben (HAHN 1981, S. 25, 33). Abhängigkeit ist
immer innerhalb von Interaktionsprozessen und in konkreten Situationen zu betrachten und
kann sich auf drei Ebenen ausdrücken: individuell, interpersonell sowie gesellschaftlich
(vgl. ebd., S. 22).
Die Abhängigkeit wird auch durch das Lebensalter eines Menschen beeinflusst. Der
Mensch ist im Verlauf seines Lebens auf natürliche Weise immer wieder von Abhängigkeit
betroffen (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2: „Alters- und krankheitsbedingte Abhängigkeit im menschlichen Leben“ (HAHN 1999, S. 25)

Zu Beginn seines Lebens, in der Kindheit, ist das Dasein des Menschen von einer hohen
Abhängigkeit geprägt, die mit dem Erwachsenwerden abnimmt. In der Kindheit ist er als
„physiologische Frühgeburt“ (HAHN 1981, S. 28) viel mehr von der Pflege durch die
Eltern abhängig als andere Kinder im Tierreich. Das Erwachsensein zeichnet sich durch
ein Maximum an individueller Unabhängigkeit aus (vgl. HAHN 1994, S. 81). Bis auf
27
Phasen der Krankheit verfügen erwachsene Menschen i.d.R. über ein hohes Maß an Unab-
hängigkeit, bis sie im hohen Alter für die Bewältigung ihres Lebens wieder mehr von
anderen Menschen abhängig werden (vgl. HAHN 1981, S. 25).

Behinderung als ein Mehr an Abhängigkeit


Innerhalb dieses Menschenbildes entwirft Hahn ein „Verständnis von Behinderung, das
durch erschwerte Realisierung der humanen Autonomiepotentiale gekennzeichnet ist“
(HAHN 1999, S. 26). Das ‚Weniger‘ an Unabhängigkeit, das durch die Behinderung verur-
sacht wird, führt zu einem ‚Mehr‘ an Abhängigkeit, das über die reguläre soziale
Abhängigkeit hinaus geht (vgl. ebd., S. 25).
Darüber hinaus besteht in jeder Gesellschaft oder Kultur eine Unabhängigkeitsnorm, die
von den Menschen Unabhängigkeit auf einem bestimmten Niveau erwartet (vgl. HAHN
1981, S. 38f). Dem Menschen mit Behinderung gelingt es nicht, das Niveau der
Unabhängigkeitsnorm zu erreichen. Er verbleibt dauerhaft in einer im Vergleich zur Norm
erhöhten Abhängigkeit (vgl. gestrichelte Linie in Abb. 2): „Behinderte Menschen sind
aufgrund von Beeinträchtigungen ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit
nicht in der Lage, während der Dauer ihres Behindertseins die Unabhängigkeitsnormen der
Gesellschaft zu erfüllen, in der sie leben“ (ebd., S. 44).
Kennzeichnend für die Lebenssituation eines Menschen mit Behinderung ist folglich, dass
er ein ‚Mehr‘ an sozialer Abhängigkeit in seiner Lebenswirklichkeit vorfindet, das im
Kontrast zur sozial erwarteten Unabhängigkeit steht. Behinderung ist demnach etwas, das
keine Eigenschaft der Person selbst ist, sondern sich in der Auseinandersetzung mit den
Unabhängigkeitsanforderungen einer Gesellschaft ergibt. Das Mehr an Abhängigkeit bei
Menschen mit Behinderung wird nach Hahn interaktionistisch verursacht durch die Schä-
digung, die soziale Umwelt sowie dem Individuum mit Behinderung selbst (vgl. Abb. 3).

28
Abbildung 3: „Abhängigkeit und ihre Verursacher“ (WÄSCHER 2012, S. 48)

Die Schädigung stellt dabei einen meist unveränderlichen Teil der Abhängigkeit dar. Die
soziale Umwelt wirkt sich durch ihre Normorientierung auf die Abhängigkeit aus sowie
dadurch, dass sie der Abhängigkeit mit Fremdbestimmung begegnet. Auch begünstigen
bestimmte (pädagogische) Praktiken die Abhängigkeit oder verhindern ein Ausbrechen aus
dieser, z.B. durch erlernte Hilflosigkeit (vgl. HAHN 1981, S. 47ff). Abhängigkeit wird
auch dadurch reproduziert, dass Menschen mit Behinderung von ihrer sozialen Umwelt als
abhängig definiert werden. So ist es angesichts der „Fremddefinition [dem Menschen mit
Behinderung] kaum möglich, seine Rolle auf Dauer davon abweichend zu definieren“
(ebd., S. 51) Schließlich verursacht nach Hahn auch der Mensch mit Behinderung selbst
einen Teil seiner Abhängigkeit, indem er vermeintlich deterministische Verhaltensmuster
nicht aufgibt: „Die Möglichkeit, selbst Abhängigkeit zu verursachen, gründet auf der Frei-
heit des Menschen, vorstellbare Reiz-Reaktions-Modelle zu verlassen und sich gegen ihren
Determinismus zu stellen. Dieser anthropologisch bedeutsame Sachverhalt muß prinzipiell
auch bei Menschen mit schwerer Behinderung gesehen und beachtet werden“ (ebd., S. 49).
Hahn betont die Bedeutung innerer Unabhängigkeit, die Menschen erlangen können, wenn
sie sich mit ihrer Abhängigkeitssituation auseinandersetzen und so ihr subjektives Erleben
dieser verändern: „Nur dem Menschen ist es möglich, sich trotz erkennbarer äußerer Ab-
hängigkeit geistige Freiräume zu erschließen und sich auf diese Weise Unabhängigkeit zu
sichern. Dem abhängigen Menschen gelingt dies aber nur, wenn er das Handeln seines
Gegenübers im Abhängigkeitsverhältnis in dessen begrenzter menschlicher Verantwort-
lichkeit sieht und das so Erkannte in die Begegnungssituation antizipierend einbringt“
(ebd., S. 36).

29
Das Mehr an Abhängigkeit bei Menschen mit Behinderung zeigt sich sowohl quantitativ
als auch qualitativ: Menschen mit Behinderung sind häufiger auf die Hilfe und das Wohl-
wollen anderer Menschen angewiesen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und werden
dabei häufiger zum Handlungsobjekt anderer, aber auch qualitativ in andersgearteten und
vielfältigeren Lebensbereichen, in denen andere Menschen unabhängig sind, auch in dem
subjektiven Erleben der eigenen Abhängigkeit (vgl. HAHN 1981, S. 46, 50).
Qualitativ unterscheidet Hahn zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Abhängigkeit.
Bedürfnisse im Bereich primärer Abhängigkeit können Menschen potenziell unabhängig
von anderen befriedigen. Hierzu gehören die körpernahen Grundbedürfnisse wie Pflege.
Handlungen sekundärer Abhängigkeit sind mehr oder weniger indirekt mit denen anderer
Personen verflochten. Sie beziehen sich nicht mehr auf die reine Selbsterhaltung. Die
Handlungen sind komplexer und oft nur mithilfe eines Symbolverständnisses zu bewälti-
gen. Die tertiären Abhängigkeiten sind stark gesellschaftlich geprägt und werden von den
vorherrschenden Strukturen der Gesellschaft bedingt. Sie sind nicht immer direkt als
Abhängigkeitsverhältnisse erkennbar, da das Individuum in sie hineinwächst und sich von
diesen distanzieren muss, um sie als solche zu erkennen (vgl. ebd., S. 41ff). Die Abhängig-
keiten bedingen sich gegenseitig, so kann eine primäre Abhängigkeit zu einer sekundären
führen usw. (vgl. ebd., S. 50).
Das Mehr an Abhängigkeit stellt sich nach Hahn als problematisch heraus, weil in
Abhängigkeitsverhältnissen die Gefahr besteht, dass individuelle Bedürfnisse nicht
beachtet oder befriedigt werden. „Da menschliches Wohlbefinden von der Befriedigung
von Bedürfnissen abhängt, stellt Fremdbestimmung – mit anderen Worten versagte Selbst-
bestimmung – eine grundsätzliche Gefährdung menschlichen Wohlbefindens dar“ (HAHN
1994, S. 83). Da auch die Selbstbestimmung an sich ein Grundbedürfnis ist, weil sie
wesenhaft zum Menschen dazugehört, wird bei übermäßiger Fremdbestimmung an sich
bereits dieses Grundbedürfnis übergangen (vgl. HAHN 1998, S. 117). Da bei Menschen
mit Behinderung das Mehr an Abhängigkeit oft über ihren bedürfnisbefriedigenden Grad
hinausgeht, ist ihr Wohlbefinden gefährdet (vgl. HAHN 1983, S. 134).

Teufelskreis der Produktion von Abhängigkeit


Die Umwelt setzt sich mit dem Mehr an Abhängigkeit durch die Behinderung über zwei
Aspekte auseinander: Aktivitäten zum Lebenserhalt und Aktivitäten, die die Störmomente
der Abhängigkeit verringern. Nicht berücksichtigt wird dabei das anthropologische
Bedürfnis nach Freiheit. Vorgänge, die sich im Umgang mit der Abhängigkeit als prakti-

30
kabel erweisen, führen dazu, dass die Umwelt, anstatt das Mehr an Abhängigkeit zu redu-
zieren oder so klein wie möglich zu halten, dieses noch verstärkt: „Vermehrte soziale
Abhängigkeit führt zu Reaktionen der sozialen Umwelt, die noch mehr Abhängigkeit
erzeugen“ (HAHN 1981, S. 177). Hahn erkennt diesen Zusammenhang als einen Teufels-
kreis sich reproduzierender Abhängigkeit (vgl. Abb. 4). „Je größer die soziale Abhängig-
keit, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß die betroffenen Menschen Maßnahmen
ausgesetzt werden, welche die vorhandene Abhängigkeit festigen, ausdehnen oder zusätz-
lich neu produzieren“ (ebd., S. 177).

Abbildung 4: „Teufelskreis der Produktion von Abhängigkeit bei Menschen mit Behinderung“
(WEINGÄRTNER 2005, S. 78)

Menschen mit Behinderung haben durch ihre Abhängigkeit weniger Möglichkeiten, selbst
zu bestimmen. Statt sie in ihrer Selbstbestimmung zu fördern, wendet die Umwelt
fremdbestimmende Praktiken an, die diese Abhängigkeit noch erhöhen, indem sie die
Menschen mit Behinderung bevormundet und ihnen keine Verantwortung zugetraut wird,
sodass sie selbstbestimmtes und selbstständiges Handeln nicht erlernen können (vgl. Abb.
4). Diese fehlende Kompetenz ist aber eben nicht dem Unvermögen dieser Menschen
zuzuschreiben, sondern der sozialen Umwelt, die ihnen nicht die Gelegenheit gegeben hat,
die zur Selbstbestimmung erforderlichen Kompetenzen zu erlernen. Sie sind in
Abhängigkeitsverhältnissen verblieben und haben ihre Hilflosigkeit erlernt. Unter anderem
erfasst Hahn Desintegration und Isolation sowie bestimmte Erziehungspraktiken als solche

31
abhängigkeitsfördernden Maßnahmen: „Desintegration bewirkt, daß man zur Integration
von anderen abhängig wird“ (HAHN 1981, S. 181). Sie führt dazu, dass die Freiheitsräume
von Menschen eingeschränkt werden und sie weniger Möglichkeiten haben, diese
eigenverantwortlich zu erproben. Weiterhin bewirkt dies, dass sich Menschen mit
Behinderung neuen Freiheitsräumen gegenüber unsicher fühlen, weil sie keine Kom-
petenzen erworben haben, mit dieser erweiterten Verantwortlichkeit umzugehen. Durch ihr
beschränktes soziales Umfeld haben sie auch nicht die Möglichkeit, sich genügend
Kontaktfähigkeiten anzueignen. Das macht sie wiederum für die Integration von der Unter-
stützung anderer abhängig (vgl. ebd., S. 181).
In der Erziehung herrscht oftmals eine paternalistische Haltung vor (vgl. MATTKE 2004,
S. 305ff). Diese hemmt die Selbstständigkeitsentwicklung von Kindern, indem sie
beispielsweise durch Überbefürsorgung besonders intensiv beaufsichtigt werden. Solche
abhängigkeitsfördernden Erziehungspraktiken stellen ein übermäßiges Verwöhnen von
Kindern mit Behinderung dar, wie auch das Gewähren von wenig Freiraum für die Erpro-
bung von Selbstständigkeit, indem ErzieherInnen alles mitdenken oder mitentscheiden.
Auch wird in der Erziehung oft der Wille des/der Erziehers/in vor dem des Kindes durch-
gesetzt und die abhängigen Kinder tendieren dazu, sich diesen anzupassen. (vgl. HAHN
1981, S. 219-227).

Erziehung zur Selbstbestimmung


Der Erziehung wird in Hahns Theorie eine zentrale Rolle beigemessen, da sie den
Menschen aus seiner altersbedingten Abhängigkeit herauszuführen vermag. Die wesent-
liche Aufgabe von Erziehung sieht Hahn demnach darin, den Menschen zu möglichst viel
Selbstbestimmung zu ermächtigen, ihm Fähigkeiten anzueignen, Abhängigkeit zu
erkennen und verantwortlich mit gewonnenen Freiheitsräumen umzugehen (vgl. HAHN
1999, S. 29): „Von der Erziehung wird erwartet, daß sie den heranwachsenden Menschen
aus seinen altersbedingten Abhängigkeiten heraus in die Selbstständigkeitsnormen
(Unabhängigkeitsnormen) des Erwachsenenalters hineinführt“ (HAHN 1981, S. 38). Sie
soll dem Kind zu einer eigenen Identität verhelfen im Sinne einer Identitätsbalance zwi-
schen Autonomie und Abhängigkeit (vgl. HAHN 1983 S. 134). Die Erziehung, die zu-
nächst eine Einschränkung von Selbstbestimmung bedeutet und somit dem Freiheitsstreben
des Menschen entgegengesetzt scheint, ist also Bedingung für seine spätere Freiheit: „Und
sofern der Mensch nur Mensch wird durch Erziehung […], liegt seinem Menschsein (zu
dem wesenhaft Unabhängigkeit, Freiheit gehört) Abhängigkeit von anderen Menschen

32
zugrunde“ (HAHN 1981, S. 31). Für das Erlangen von Unabhängigkeit ist das menschliche
Kind von der Zuwendung durch die Erwachsenen abhängig, denn Lernen erfolgt immer in
sozialen Kontexten (vgl. ebd., S. 31). Damit wird die größere natürliche Abhängigkeit, in
die ein Mensch hineingeboren wird, im Laufe seiner Entwicklung zur Bedingung für seine
spätere Freiheit: „Abhängigkeit erscheint hier – paradox anmutend – als notwendige
Voraussetzung für Unabhängigkeit“ (ebd., S. 29).
Behinderung stellt sich nach Hahn im pädagogischen Kontext als „eine Erschwerung der
Erziehung d.h. eine erschwerte Hinführung zu Eigenverantwortlichkeit im Erwachsenen-
alter und damit eine Erschwerung der Identitätsgewinnung“ (ebd., S. 20) dar. Das ur-
sprüngliche Ziel von Erziehung, das Erreichen der Unabhängigkeitsnorm, erscheint
den/der Pädagogen/in als unmöglich: „Die Antizipation von Erziehungszielen wird gestört
oder ganz vereitelt und damit pädagogisches Handeln im eigentlichen Sinne unmöglich
gemacht“ (ebd., S. 284). Dies führt zu Unsicherheit in der Sonderpädagogik und zu Fehl-
verhalten im erzieherischen Prozess. Es kommt zu Besonderheiten in der erzieherischen
Interaktion. (vgl. ebd., S. 280). Die Beziehung zwischen ErzieherIn und Kind wird durch
ein Mehr an Macht bei dem/der ErzieherIn bestimmt, das sich aus dem Mehr an Abhängig-
keit des Kindes ergibt (vgl. ebd., S. 281). Daraus verursachte Störungen im Erziehungs-
prozess werden oft dadurch kompensiert, dass Maßnahmen eingesetzt werden, die diese
Abhängigkeit noch verstärken (vgl. ebd., S. 246). So kann der Fokus der Erziehung von
Menschen mit Behinderung in der versorgenden Pflege liegen, die sich zum primären
Inhalt der Pädagogik entwickelt. Neben vermehrter Machtausübung kann es zu Infantili-
sierung kommen, indem erwachsenen Menschen mit Behinderung begegnet wird, als seien
sie Kinder (vgl. ebd., S. 270). Kinder werden aufgrund ihrer Behinderung überbehütet, es
wird ihnen nichts zugetraut und damit die Entwicklung von Selbstständigkeit verhindert,
was wiederum die Ausbildung eines Leistungsmotivs beeinträchtigt. Durch das Gefühl, die
Kinder vor der Welt beschützen zu müssen, werden ihnen keine Freiheitsräume zugetraut,
es kommt zu einem Mangel an Erleben. Die Kinder können sich selbst nicht in
Auseinandersetzung mit der Welt entdecken, ihre Fähigkeiten und Grenzen kennenlernen.
Dies kann wiederum zu Sinn- und Identitätskrisen in der Adoleszenz führen (vgl. HAHN
1981, S. 283 – 287). So kommt zu ihrer primären Schädigung noch eine sekundäre durch
die beeinträchtigende Erziehung hinzu.
Um nicht in einen Teufelskreis der Produktion von Abhängigkeit zu geraten, der durch
fehlerhafte Erziehung verursacht wird, sollten sich die PädagogInnen mit der Dialektik von
Abhängigkeit und Macht verantwortungsvoll auseinandersetzen. Es bedarf einer
„Sensibilisierung für Machtmißbrauch“ (HAHN, 1998, S. 119). Damit Erziehung gelingen
33
kann, sollten die anthropologischen Voraussetzungen eines Lebens zwischen Autonomie
und Abhängigkeit sowie die grundlegende Bildbarkeit und Erziehungsbedürftigkeit unein-
geschränkt für alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, anerkannt werden,
unabhängig von gesellschaftlichen Normerfüllungen (vgl. HAHN 1981, S. 237ff).
Unter dem Begriff des ‚Erlebensaspekt‘ legt Hahn den PädagogInnen nahe, sich in die
Situation von Menschen mit Behinderung einzufühlen und sich mit ihnen zu identifizieren
und so für die Situation des Mehr an Abhängigkeit zu sensibilisieren: „Erlebensaspekt
meint: Behinderung approximativ so verstehen und definieren, wie sie behinderte
Menschen selbst erleben – als ein Stück Unfreiheit – und nicht danach verstehen und
definieren, wie die Gesellschaft mit diesem Stück Unfreiheit ihrer behinderten Mitglieder
umgeht“ (ebd., S. 300).
Die Pädagogik bei Kindern mit Behinderung ist trotz erschwerter Bedingungen dazu ange-
halten, das Mehr an Abhängigkeit möglichst klein zu halten, während die Freiheitsräume,
in denen Menschen mit Behinderung selbstständig handeln und frei entscheiden können,
möglichst groß gestaltet sein sollten. „Das Mehr an sozialer Abhängigkeit muß als Konse-
quenz ein Mehr an Bemühungen haben, die bei allen Menschen mit - auch schwerer
geistiger - Behinderung vorhandenen Autonomiepotentiale über Freiheitsräume, Förderung
der Selbständigkeit und Assistenz zu realisieren, damit auch ihre Lebenswirklichkeit durch
Wohlbefinden gekennzeichnet wird.“ (HAHN 1999, S. 26). Um Wohlbefinden zu bewah-
ren und dem Teufelskreis der Produktion von Abhängigkeit entgegenzuwirken, formuliert
Hahn bestimmte Erziehungsgrundsätze (vgl. HAHN 1981, S. 236), auf die hier nicht näher
eingegangen werden soll.

3.3.2 Der anthropologische Dreischritt von Walther


Betrachtet man den Diskurs um die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, so
kommt dort auch immer wieder die Frage nach der Verantwortlichkeit auf. Inwieweit kann
ein Mensch für seine Handlungen Verantwortung übernehmen, wenn er die Konsequenzen
dieser möglicherweise nicht vollkommen überblicken kann? Und darf ihm angesichts
dieser Schwierigkeit seine Selbstbestimmung eingeschränkt werden? Diese Unsicherheiten
führen in der Praxis häufig dazu, dass PädagogInnen in eine paternalistische Haltung ver-
fallen, und für den Menschen mit Behinderung zwar das Beste zu wollen, ihm dabei aller-
dings einen fremden Willen aufzwingen. Walther hat in diesem Zusammenhang einen
„anthropologischen Dreischritt der Selbstbestimmung“ (WALTHER 2016, S. 76) aufge-
stellt, der sich aufeinander aufbauenden biophysischen Regulationsmechanismen bedient

34
(vgl. KATZENBACH 2004, S. 135), in dem er Selbstbestimmung nicht an die Bedingung
von Wissen und Können einer Person knüpft, sondern an das Wollen einer Person. Nach
diesem anthropologischen Dreischritt ist allein der Wille eines Menschen Voraussetzung
dafür, dass er über sich selbst bestimmen kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass
jede Person einen Willen hat, sei es nur die einfache Befriedigung von Bedürfnissen. Des-
halb muss auch Menschen mit Behinderung die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zugestan-
den werden.
Walther teilt Selbstbestimmung in die Teiltätigkeiten Selbstverantwortung, Selbstleitung
und Selbstständigkeit auf. Grundlegend für Selbstbestimmung ist demnach nur die Selbst-
verantwortung, die alleine an das Wollen einer Person geknüpft ist. Sie ist der Kern der
Selbstbestimmung und muss allen Menschen zugesprochen werden. Nur durch die Entfal-
tung des freien Willens kann die Person sich selbst verwirklichen. Selbstbestimmung
bedeutet in diesem Sinne, sich selbst zu wählen, und so seine Identität zu bilden. Eine
Behinderung dieser Selbstbestimmung würde eine Behinderung der Person selbst be-
deuten. Demnach kommen wir nicht umhin, jedem Menschen eine Verantwortung für sich
einzuräumen, wenn wir ihn nicht in seinem Sein und Werden behindern wollen (vgl.
WALTHER 2016, S. 76ff).
Die zweite Teiltätigkeit der Selbstbestimmung ist die Selbstleitung. Hier kommen Aspekte
des Wissens ins Spiel. Um meinen Willen umzusetzen, benötige ich das Wissen darum,
wie dies gelingen kann. Die Selbstleitung ist ich-ferner als das Wollen und kann durch
äußere Hilfe stellvertretend ermöglicht werden. Die Selbstständigkeit wiederum setzt das
Können voraus. Ich muss nicht nur wissen, wie ich meinen Willen umsetzen kann, sondern
muss auch die Mittel und Möglichkeiten dazu haben. Hier kommt neben der Willens-
freiheit die Handlungsfreiheit ins Spiel, die sich bei jedem Menschen anders gestaltet. Bei
Menschen mit Behinderung erscheint sie zunächst deutlich eingeschränkt, was jedoch vor
allem äußeren Barrieren geschuldet ist und durch Assistenz stellvertretend übernommen
werden kann (vgl. ebd., S. 78ff).
Wie bereits erläutert, ist nach Walther alleine die Willensfreiheit, die jedem Menschen mit
einem Willen zugestanden werden sollte, Voraussetzung dafür, dass Menschen über sich
selbst bestimmen. Auch die Selbstverantwortung ist damit nicht direkt an das Wissen und
Können geknüpft, sondern sollte jedem Menschen mit einem Willen zuerkannt werden, da
sonst die Freiheit zur Entfaltung seines Selbst bedroht ist (vgl. ebd., S. 70-75). Das Wissen
und das Können sind zwar mit dem Willen verknüpft, weil er durch sie realisiert werden

35
kann, jedoch stellen sie immer nur relative Hürden dar, die durch die Veränderung äußerer
Umstände oder das Ermöglichen von Assistenz ausgeweitet werden können.
Jedoch ist bei der Frage nach der Verantwortung zu unterscheiden zwischen Selbst-
betroffenheit und Mitbetroffenheit. Bei Angelegenheiten der Selbstbetroffenheit sollte
jedem Menschen uneingeschränkte Handlungsfreiheit ermöglicht werden, solange sein
Streben nach Lebenserhaltung, und damit sein Wille selbst, nicht gefährdet sind. Auch
Menschen mit Behinderung sollten die „Würde des Risikos“ (WALTHER 2016, S. 70) auf
sich nehmen dürfen, um lebensauthentische Erfahrungen machen zu können und dadurch
die Möglichkeit zur Entwicklung zu bekommen. Auch Scheitern oder die Erfahrung von
Fehlern gehören zum Menschsein dazu und sind identitätsstiftend, weshalb Menschen mit
Behinderung nicht davor behütet werden sollten (vgl. ebd., S. 80.).
Bei Handlungen, bei denen dritte Menschen involviert sind oder die Auswirkungen auf
diese haben, darf die Selbstbestimmung eingeschränkt werden, da diese dann außerhalb der
Grenzen der Selbstverantwortung liegen (vgl. ebd., S. 81f). Hier kommen Interessen von
anderen Menschen hinzu, denen selbst daran gelegen ist, dass ihr Wille unversehrt bleibt.
Im Sinne der Mitverantwortung darf nach Walther dann die Selbstbestimmung von
Menschen beschränkt werden.

3.3.3 Kritische Positionen zum Leitbild der Selbstbestimmung von Waldschmidt und
Stinkes
Im wissenschaftlichen Diskurs um das Leitbild Selbstbestimmung werden kritische
Stimmen zumeist durch die Deutung desselben im Sinne eines neoliberalen Gedankenguts
getragen. So sehen Stinkes, wie auch Waldschmidt, die Absolutsetzung der Selbstbe-
stimmung in der Sonderpädagogik im Zeichen der neoliberalen Bestrebungen der post-
modernen Gesamtgesellschaft. Die Individualisierung und die Freiheit des Individuums
werden als höchstes Gut angesehen, einhergehend mit dem Abbau von sozialen
Unterstützungsstrukturen. So werde die Freiheit unter dem „Deckmantel der Ökonomi-
sierung zum Pflichtprogramm“ (STINKES 2000 b, S. 182). Dies berge die Gefahr eines
„subtilen Diktats des Neoliberalismus“ (ebd., S. 182). Das Individuum wird für sein Leben
und seine (Miss-)Erfolge alleine verantwortlich gemacht und ihm wird die vollkommene
Verantwortung für das Gelingen seines Lebens auferlegt. Jedoch haben in einer neo-
liberalen Gesellschaft nur diejenigen eine reale Chance auf Erfolg, die über ausreichend
Ressourcen verfügen:

36
„Selbstbestimmung als neoliberales Pflichtprogramm ist deshalb höchst problematisch, weil
ein selbstbestimmtes Leben nur möglich ist, wenn Menschen über ein Mindestmaß an
ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen verfügen. Genau diese aber werden durch
neoliberale Tendenzen zurückgeschnitten und immer größeren Teilen der Bevölkerung
vorenthalten. Anders gesagt: Von Pflichtprogramm spreche ich hier deshalb, weil der
Neoliberalismus dem Individuum das Gelingen des eigenen Lebens auferlegt, während
zugleich die für das Gelingen notwendigen Ressourcen ungleich verteilt sind und Teilen der
Bevölkerung vorenthalten werden. Anders gesagt: Während die Freiheiten und damit im
Prinzip die Möglichkeiten der einzelnen Menschen zunehmen, können viele von ihnen diese
gar nicht wahrnehmen, weil ihnen die nötigen Ressourcen fehlen.“ (DEDERICH 2003, S. 3)

Der Neoliberalismus orientiert sich an dem Ideal eines Bürgers als einem unabhängigen
und selbstständigen Subjekt. Die Bedingungen der Lebensführung in einer neoliberalen
Gesellschaft entsprechen damit nicht den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung
(vgl. STINKES 2000 b, S. 177-183). Durch die Absolutsetzung der Freiheit des Individu-
ums wird die Gesellschaft von der Verantwortung für ihre Mitmenschen befreit. Es droht
ein Abbau von sozialen Hilfeleistungen, auf die Menschen mit Behinderung für die Be-
wältigung ihres Lebens in besonderem Maße angewiesen sind. Durch den Versuch,
Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, distanziere man
sich von dem Fürsorgeprinzip, ohne ausreichend neue Unterstützungssysteme, die dafür
notwendig wären, aufzubauen (vgl. WALDSCHMIDT 2012, S. 49). Gerade in Zeiten der
Postmoderne, die von einer solchen Pluralität gekennzeichnet ist, dass keine allgemein-
gültigen Werte mehr bestehen, und die zu Orientierungslosigkeit führt, kann eine solch
individualistische Sichtweise schnell zu Überforderung führen.
Die Bürger der Gesellschaft sind dazu aufgefordert mit der zunehmenden Geschwindigkeit
des Lebensalltags, die Globalisierung und Digitalisierung vorgeben, schrittzuhalten,
während ihnen gleichzeitig dafür notwendige Ressourcen vorenthalten werden: „In der
gegenwärtigen Zeit stillzustehen, immobil zu sein, an einem Ort zu verharren, in einem
Wort: ‚behindert‘ zu sein, kann den sozialen Tod bedeuten“ (ebd., S. 46). Dies führt dazu,
dass Menschen mit Behinderung trotz oder gerade durch Individualisierung und Liberali-
sierung sozial benachteiligt werden. So kann das persönliche Budget unter dieser
„Ökonomisierung des Sozialen“ (SCHALLENKAMMER 2016, S. 47) gedeutet werden.
Durch das Dienstleistungskonzept werden soziale Leistungen den Prinzipien des freien
Marktes überlassen (vgl. GAEDT 1997, S. 91f): „Die zuständigen politischen und sozialen
Stellen entledigen sich zu einem nicht unerheblichen Teil der Fürsorgepflicht, was nicht
zuletzt auch auf eine angespannte Haushaltslage zurückzuführen ist. In gleichem Maße

37
wird der Druck auf die Betroffenen erhöht, indem Kompetenzen vorausgesetzt werden, die
nicht oder nur unzureichend vorhanden sind“ (KRUSSEK 2011, S. 202).
Diese Gefahr besteht, wenn Selbstbestimmung gleichbedeutend mit Eigenständigkeit oder
Unabhängigkeit missverstanden wird. Ein selbstbestimmtes Leben meint nicht den Wegfall
von Hilfeleistungen, sondern dass der Hilfeempfänger über Art und Form der Unter-
stützung bestimmt. In modernen Dienstleistungsgesellschaften, die durch eine große
Spezialisierung der Arbeit geprägt sind, ist es Alltag, in bestimmten Lebensbereichen auf
die Unterstützung anderer Gesellschaftsmitglieder angewiesen zu sein. Unterstützungs-
bedarf muss nicht bedeuten, dass man fremdbestimmt lebt (vgl. NIEHOFF 1994, S. 190f/
ROCK 2001, S. 54). Es geht im Leitbild der Selbstbestimmung nicht um die Beseitigung
von Unterstützungsbedürfnissen, sondern mehr um die Umgestaltung der Beziehung
zwischen Menschen mit Behinderung und Helfern weg vom Fürsorgeprinzip (vgl.
FRÜHAUF 1997, S. 300). Dieser Haltungswandel drückt sich auch in der begrifflichen
Unterscheidung „vom Betreuer zum Begleiter“ (HÄHNER 2016) aus.
Um den neoliberalen Tendenzen der Selbstbestimmungsbewegung entgegenzuwirken, zielt
man in der Empowermentströmung deshalb neben der Selbstbestimmung auch auf eine
demokratische und kollaborative Teilhabe, sowie eine gerechte Ressourcenverteilung in
der Gesellschaft ab (vgl. THEUNISSEN 2009, S. 44-57). Einer einseitigen Orientierung an
der Selbstbestimmung und der damit einhergehenden Gefahr, den Menschen nur noch als
autonomes und nicht als soziales Wesen zu betrachten, soll dadurch entgegengewirkt
werden, dass auch die Mitbestimmung ein zentrales Element des Empowerment darstellt.
„Während der Kern des Selbstbestimmungsgedankens letztlich darin liegt, das Subjekt –
verstanden als freier Bürger, d.h. ausgestattet mit unveräußerlichen Rechten – vor den
Übergriffen des Staates und seiner Institutionen zu schützen, so wird aus der Empower-
ment-Perspektive gerade die Einbindung des Subjektes in das Gemeinwesen thematisiert“
(KATZENBACH 2004, S. 138). Es wird für ein kommunitaristisches Gesellschaftsmodell
plädiert (vgl. STINKES 2000, S. 183). Die nutzenorientierte Gesellschaft soll sich zu einer
solidarischen Gemeinschaft entwickeln (vgl. KATZENBACH 2004, S. 138).
Neben diesen sozialpolitischen Argumentationen wird auch die grundlegende Vorstellung
kritisiert, Selbstbestimmung sei eine „anthropologische Konstante“ (WALDSCHMIDT
2012, S. 32). Waldschmidt und Stinkes ordnen sie als ein gesellschaftliches Konstrukt und
eine historisch gewachsene Kategorie ein (vgl. STINKES 2000 b, S. 170f/
WALDSCHMIDT 2012, S. 32-50). Selbstbestimmung und Autonomie werde erst für das
Selbstverständnis des Bürgers der Moderne relevant, unterliege also einem gesellschaft-

38
lichen und kulturellen Wandel. Sie sei – im Gegensatz zur These von Hahn – keine anthro-
pologische Kategorie und nicht wesenhaft menschlich. Im sonderpädagogischen
Selbstbestimmungsdiskurs sieht Waldschmidt eine „nachholende Befreiung“ (ebd., S. 48)
von Menschen mit Behinderung.
Daneben lässt sich auch Kritik dahingehend äußern, dass in dem Leitbild der Selbstbe-
stimmung das für sich alleinstehende Individuum zum zentralen Punkt der Aufmerksam-
keit geworden ist, während das Bild des Menschen als soziales Wesen dort keinen Platz
mehr findet (vgl. LINDMEIER 1999, S. 221). Der Andere werde als negative Kategorie
verstanden: „Der Andere taucht hier nämlich allenfalls als Störenfried auf, weil an seinen
Selbstbestimmungsrechten nämlich meine Interessen ihre Grenze finden oder als
Erfüllungsgehilfe, den ich benötige, um meine Interessen zu realisieren. Das Verhältnis
zum Gegenüber kann allenfalls als ein instrumentelles gedacht werden“ (KATZENBACH
2004, S. 136). Die Bedeutung von sozialen Beziehungen auch für die Identitätsbildung
eines Menschen werde vernachlässigt. Allerdings besteht in Hahns Theorie der sozialen
Abhängigkeit die Identitätsbalance eines Individuums gerade aus einer Oszillation
zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Er denkt die soziale Seite des Menschen durchaus
mit. Gleichwohl schwingt bei ihm im Bereich der Abhängigkeit immer eine gewisse nega-
tive Beurteilung dieser mit, die es zu reduzieren gilt, und die nur dann gerechtfertigt ist,
wenn sie der eigenen Bedürfnisbefriedigung dient.

39
4 Die existenzialistische Philosophie von Jean-Paul Sartre
Im Folgenden soll die Philosophie von Sartre, wie er sie in Der Existenzialismus ist ein
Humanismus darstellt, erläutert werden, da sie die Grundzüge seines philosophischen
Gedankenguts enthält (vgl. UKEN 2001, S. 68), wodurch sich „die Möglichkeiten wie die
Grenzen dieser Philosophie besonders klar übersehen lassen“ (BOLLNOW 1947, S: 662).
Wenn es das Verständnis erfordert, wird auch Rückgriff auf sein Hauptwerk Das Sein und
das Nichts genommen werden, da sich das Essay auf ebendieses bezieht (vgl. KAMPITS
2004, S. 34f).

4.1 Der Grundsatz: ‚Beim Menschen geht die Existenz der Essenz voraus‘
Grundlage der phänomenologischen Ontologie von Jean-Paul Sartre ist die Unterscheidung
der zwei Seinsformen des An-sich und des Für-sich. Diese unterscheiden sich in ihrem
Verhältnis von Essenz und Existenz (vgl. Abb. 5). Unter Essenz kann bei Sartre eine
bestimmte Wesenheit der Seinserscheinungen, die sie in ihren Eigenschaften festlegt,
verstanden werden. Existenz wiederum ist das einfache Da-Sein in der Welt (vgl.
BOLLNOW 1947, S. 656). Bei der Seinsform des An-sich geht die Essenz der Existenz
voraus. Es existiert als das, was es ist; es ist an sich (vgl. SARTRE, 2017, S. 44/
STRELLER 1952, S. 1/ HENGELBROCK 1989, S. 57). Seine Essenz ist festgeschrieben,
es ist reine Positivität. Dies zeichnet die gegenständliche Welt aus. Ihr Zweck oder ihr
Wesen sind bereits festgelegt, bevor sie existieren (vgl. STÖCKLIN 2015, S. 13). Sartre
gibt in Der Existenzialismus ist ein Humanismus das Beispiel eines Brieföffners an:
„Wenn man einen produzierten Gegenstand betrachtet, zum Beispiel ein Buch oder einen
Brieföffner, so wurde dieser Gegenstand von einem Handwerker hergestellt, der sich von
einem Begriff hat anregen lassen; er hat sich auf den Begriff Brieföffner bezogen und auch auf
ein bereits bestehendes Herstellungsverfahren, das Teil des Begriffs ist - im Grunde ein Rezept.
So ist der Brieföffner zugleich ein Gegenstand, der auf eine bestimmte Weise hergestellt wird
und der andererseits einen bestimmten Nutzen hat; man kann sich keinen Menschen vorstellen,
der einen Brieföffner herstellte, ohne zu wissen, wozu der Gegenstand dienen wird. Wir sagen
also, daß beim Brieföffner die Essenz, das Wesen - das heißt die Gesamtheit der Rezepte und
der Eigenschaften, die es gestatten, ihn zu produzieren und zu definieren - der Existenz
vorausgeht; in dieser Weise ist die Gegenwart dieses Brieföffners oder jenes Buches hier vor
mir determiniert. Wir haben es hier mit einer technischen Betrachtung der Welt zu tun, bei der
die Produktion der Existenz vorausgeht.“ (SARTRE 2018, S. 148)

Ganz anders verhält es sich bei der Seinsform des Für-sich, der Sartre den Menschen zu-
ordnet. Hier gilt der Grundsatz, dass die Existenz der Essenz vorangeht: „Was bedeutet

40
hier, daß die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, daß der Mensch erst existiert,
auf sich trifft, in die Welt eintritt, und sich erst dann definiert“ (SARTRE 2018, S. 149).

Abbildung 5: Das Verhältnis von Existenz und Essenz bei den Seinsformen des An-sich und Für-sich (eigene
Darstellung)

Wie in Abb. 5 dargestellt, legt die Idee des Brieföffners bereits vor seiner Existenz seine
Bestimmung, das Öffnen von Briefen, fest und determiniert ihn so in seinen Eigenschaften,
während der Mensch ohne eine solche Bestimmung zur Existenz kommt. Da der Mensch
vor seiner Essenz in die Welt tritt, ist er vorerst nichts: „Der Mensch, wie ihn der Existen-
tialist versteht, ist nicht definierbar, weil er zunächst nichts ist“ (SARTRE 2018, S. 149f).
Erst im Vollzug seines Lebens, durch seine Entscheidungen und Handlungen erarbeitet er
sich eine Essenz. Er entwirft sich selbst (vgl. Kapitel 4.3.1).
Dieser ontologische Unterschied stellt sich für Sartre aufgrund seines Atheismus so dar
(vgl. BERLINGER 1982, S. 20), denn „wenn Gott nicht existiert, so gibt es zumindest ein
Wesen, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es
durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dieses Wesen ist der Mensch“
(SARTRE 2018., S. 149). Die Nichtexistenz Gottes ist der Grundpfeiler, auf dem all seine
folgenden Gedankengänge zur Freiheit aufbauen, den Sartre als gegeben nehmen muss
41
(vgl. KAMPITS 2004, S. 30), sie ist bei ihm die Bedingung der Möglichkeit der Freiheit
des Menschen (vgl. STÖCKLIN 2015, S. 13). Da der Mensch eben keine Idee eines
höheren Wesens ist, gibt es auch nichts, was ihn vor seiner Existenz determiniert. Es gibt
keine Eigenschaften oder Wesenheiten, die den Menschen vor dem Vollzug seines Lebens
definieren. Der Mensch tritt ohne Essenz in die Welt. Das Christentum und andere
Religionen, die einen Schöpfergott annehmen, verkennen nach Sartre diesen ontologischen
Sachverhalt: Bei ihnen ist der Mensch nicht von den anderen Seinsformen in der Welt
unterschieden: „So ist der Begriff des Menschen im Geiste Gottes dem Begriff des
Brieföffners im Geiste des Produzenten vergleichbar“ (SARTRE 2018, S. 148). In der
Religion wird angenommen, dass das Leben des Menschen einem vorherbestimmen Zweck
folgt und es die Aufgabe des Menschen ist, diesen zu erfüllen. Erst durch die Verneinung
eines solchen Gottes im Sinne des Atheismus kann für Sartre ein Mensch also wirklich frei
sein. Deshalb wird bei Sartre „die Einbettungen des Menschen in metaphysische
Vororientierungen, religiös abgeleitete Wesensbestimmungen und entsprechende
Festschreibungen seiner Aufgaben, Ziele und Möglichkeiten preisgegeben und annulliert.
Vor diesem ‚leergeräumten‘ Hintergrund findet, als das zentrale Anliegen Sartres, die
Freisetzung des Subjekts statt“ (GALLE 2009, S. 18).
Mit dem Menschen als Für-sich tritt Bewusstsein und Subjektivität in die Welt. Die objek-
tiven Dinge in der Welt erscheinen mir nicht an sich, sondern für mich (vgl. UKEN 2001,
S. 71). Die Objektwelt erschließt sich dem menschlichen Bewusstsein immer nur in Rela-
tion zu seiner Subjektivität (vgl. SUHR 2015, S. 135). Das Für-sich als bewusste Seins-
form konstituiert sich durch seine Fähigkeit zu nichten. Das Bewusstsein hat an sich keine
Essenz, sondern die Nichtung des An-sich macht „das Sein des Bewusstseins“ (GALLE
2009, S. 20) aus. Es konstituiert sich durch das Nichts, „das das ist, was es nicht ist, und
das nicht das ist, was es ist“ (SARTRE 2017, S. 1055). Indem es das An-sich verneint,
erhebt es sich über ein festgeschriebenes Dasein. Neben seiner Undeterminiertheit zeichnet
sich das Nichts des Menschen auch durch die Kluft aus, zwischen dem, der er ist, und dem,
auf den er sich hin entwirft (vgl. SUHR 2015, S. 151). Er kann von seinem gegenwärtigen
Zustand Abstand nehmen, ihn nichten und sein Sein auf ein zukünftiges Sein transzen-
dieren (vgl. Abb. 6). Die Überschreitung hin zu einem unbestimmten zukünftigen Zustand
bezeichnet Sartre als Transzendenz (vgl. STRELLER 1959, S. 1, 6). Diese Transzen-
dierung ist ein wesentliches Merkmal, das den Menschen ausmacht, denn „indem der
Mensch diese Überschreitung ist und er die Objekte nur im Verhältnis zu dieser Über-
schreitung erfaßt, befindet er sich im Herzen, im Mittelpunkt dieser Überschreitung“
(SARTRE 2018, S. 175).
42
Aufgrund seiner Essenzlosigkeit, seiner Fähigkeit zur Nichtung sowie zur Transzendenz ist
der Mensch für Sartre vollkommen frei. Die Seinsform des Für-sich, die den Menschen
auszeichnet, und die Freiheit können sozusagen als ein und dasselbe gedacht werden: „[…]
der Mensch ist die Freiheit“ (SARTRE 2018, S. 155/ vgl. HANA 1965, S. 46). Die Freiheit
ist dem Menschen wesenhaft, jedoch nicht im Sinne einer Wesenseigenschaft, sondern
indem er eine ebensolche nicht besitzt.

4.2 Die Bedeutung der Situation


Da der Mensch zwar frei, aber durch seinen Leib auch in-der-Welt ist, befindet er sich stets
innerhalb kontingenter Situationen, in denen er seinen freien Entwurf zu verwirklichen hat
(vgl. WROBLEWSKY 2015, S. 62). Sartre versteht unter Situation das Gegebene, die
Faktizitäten, die der Mensch in der Welt vorfindet und zu denen er sich in Beziehung setzt
(vgl. Abb.6). Sie ist nicht rein objektiv, also nicht nur das An-sich, sondern zeichnet sich
durch die Beziehung zwischen An-sich und Für-sich aus (vgl. ebd., S. 64).
Situationen sind geprägt durch äußere Umstände, deren Beschaffenheit oft außerhalb des
Menschen selbst liegen. So scheint es, als würde dadurch die Freiheit des Menschen be-
schränkt (vgl. FLEISCHER 2012, S. 85). In der Tat werden die Möglichkeiten des
Menschen in nicht unerheblichem Maße durch Faktizitäten geprägt (GALLE 2009, S. 26).
Die Freiheit der Handlung kann durch die Faktizität der Situation, in der sich Menschen
befinden, durchaus begrenzt sein: „durch die Faktizität ist eine Situation vorgeprägt, die
die Formen und Möglichkeiten der Transzendierung konturiert und einschränkt“ (ebd., S.
26). Trotzdem bleiben für Sartre dem Mensch stets mehrere Handlungsmöglichkeiten, die
nicht bestimmbar sind und zwischen denen er entscheiden kann.
Die Begrenzungen, die die faktischen Gegenebenheiten vornehmen, stehen der Freiheit
nicht entgegen, sondern sind sowohl Bedingung der Erkenntnis von Freiheit als auch
Material derselben. Freiheit kann nur erkannt werden innerhalb einer Subjekt-Objekt-
Beziehung (Für-sich und An-sich). Um ein Konzept von Freiheit überhaupt erst erlangen
zu können, braucht der Mensch etwas, was seine Freiheit eingrenzen könnte und sie ihm so
bewusst macht. Transzendenz kann es nur mit Faktizität geben, denn ich kann nur etwas
überschreiten, wenn etwas gegeben ist (vgl. KAMPITS 2014, S. 212). Erst innerhalb
Situationen hat der Mensch die Möglichkeit und sieht sich dazu aufgefordert, sich zu ent-
werfen: „Für uns dagegen befindet sich der Mensch in einer organisierten Situation, in die
er selbst engagiert ist. […] der Druck der Umstände ist derart, daß er nicht umhinkann,
eine zu wählen“ (SARTRE 2018, S. 170). Das Leben des Menschen kann so als eine

43
Aneinanderreihung von Situationen gedacht werden, innerhalb derer er seine Freiheit
vollziehen muss.

Abbildung 6: Die existenzialistische Situation des Menschen in der Welt (eigene Darstellung)

Wie in Abb. 6 dargestellt, setzt sich der Mensch immer innerhalb konkreter Situationen mit
dem Gegebenen auseinander, das er durch seinen Entwurf zu überschreiten versucht. Er
wählt immer angesichts faktischer Bedingungen, die er auf unterschiedliche Weise
transzendieren kann: „Ein Felsblock, der einen erheblichen Widerstand darstellt, wenn ich
ihn wegrücken will, ist dagegen eine wertvolle Hilfe, wenn ich ihn besteigen will, um die
Landschaft zu betrachten“ (SARTRE 2017, S. 834). Er hat die Freiheit, durch seinen
Entwurf eine Position zu dem Felsblock einzunehmen, die er gewählt hat. Der Mensch
kann seine Beziehung zum vermeintlich einschränkenden Objekt frei gestalten. Folglich
bestimmt er selbst die an sich neutrale Gegebenheit durch seine Bezugnahme hin zum
Positiven oder Negativen und gibt ihr so ihre Bedeutsamkeit (vgl. UKEN 2001, S. 92f).
Die Feindseligkeit einer Situation ergibt sich erst im Kontrast zu den vom Menschen
entworfenen Zielen (vgl. FLEISCHER 2012, S. 82ff). Er kann seine Einstellung zu den
Gegebenheiten selbst bestimmen: „Besonders der Widrigkeitskoeffizient der Dinge kann

44
kein Argument gegen unsere Freiheit sein, denn durch uns, das heißt durch die vorherige
Setzung eines Zwecks, taucht dieser Widrigkeitskoeffizient auf“ (SARTRE 2017, S. 834).
Die Gegebenheiten an sich erscheinen dem Menschen nie objektiv, sondern stets subjektiv
in Bezug zu seinem Lebensentwurf (vgl. KAMPITS 2014, S. 212). Sie sind „subjektiv,
weil sie gelebt werden und nichts sind, wenn der Mensch sie nicht lebt, das heißt, wenn er
sich nicht in seiner Existenz frei im Verhältnis zu ihnen bestimmt“ (SARTRE 2018, S.
166).
Wenn auch die Handlungsmöglichkeiten durch Situationen gerahmt sind, so ist es auf der
Ebene der Entscheidung trotzdem uneingeschränkt möglich, frei zu sein. Jede Situation
bietet dem Menschen die Freiheit des Wählens. Auch wenn die Motive eines Menschen in
Auseinandersetzung mit äußeren Bedingungen entstehen, so ist dies kein kausales
Verhältnis (vgl. UKEN 2001, S. 87). Ein Motiv ist keine lineare Wirkung einer Ursache.
Keine Handlung wird notwendigerweise verursacht, sondern von dem Menschen, der sich
mit seiner Situation selbstbestimmt auseinandersetzt, gebildet (vgl. STÖCKLIN 2015, S.
21). Handlungen sind nicht die Folge einer Kausalkette, sondern der Mensch selbst
entscheidet sich zu ihnen (vgl. ebd. S. 31). Die Situation begrenzt, aber determiniert nicht
(vgl. WROBLEWSKY 2015, S. 63). Sie veranlasst den Menschen lediglich dazu,
angesichts der Umstände eine Wahl zu treffen. Welche Wahl er trifft, bestimmt jedoch
allein dieser (vgl. FLEISCHER 2012, S. 74f).
Sartre lehnt zwar eine Natur des Menschen ab, erkennt aber eine conditio humana, die die
grundlegende Situation des Menschen in der Welt umfasst (vgl. SUHR 2015, S. 71):
„Wenn es auch unmöglich ist, in jedem Menschen ein allgemeines Wesen zu finden, das
die menschliche Natur wäre, gibt es dennoch eine menschliche Allgemeinheit der conditio.
[…] Unter Bedingung - conditio - verstehen sie mehr oder weniger klar die Gesamtheit der
Grenzen a priori, die seine grundlegende Situation im Universum umreißen. […] Was
nicht variiert, ist die Notwendigkeit, in der Welt zu sein, in ihr zu arbeiten, inmitten
anderer und sterblich zu sein“ (SARTRE 2018, S. 166). Jeder Mensch ist an eine leibliche
Existenz gebunden (vgl. JELTSCH 2008, S. 24). Um sein Leben zu bestreiten, muss er
arbeiten. Zudem finden sich alle Menschen in eine Vielzahl von zwischenmenschlichen
Beziehungen eingebunden. Und schließlich muss jeder Mensch sterben. Dies sind die
grundlegenden Bedingungen menschlichen Daseins (vgl. STRELLER 1952, S. 70). Es ist
sozusagen die Spielfläche des Lebens des Menschen, innerhalb derer er seine Freiheit
verwirklichen kann. Durch diese Grundbedingungen menschlichen Lebens, die allen
Menschen gemein sind, werden die individuellen Lebensentwürfe, so unterschiedlich sie

45
auch sein mögen, intersubjektiv verstehbar. Kein Entwurf kann so fremd sein, dass er nicht
nachvollziehbar sei (vgl. SARTRE 2018, S. 166f).

4.3 (Schluss-)Folgen des Grundsatzes


4.3.1 Leben als engagierter Entwurf
Aus dem Umstand, dass es keinen Gott gibt und dem daraus folgenden Grundsatz, dass die
Existenz des Menschen seiner Essenz vorausgeht, ergeben sich für Sartre weitere
fundamentale Gegebenheiten. Die Freiheit, etwas nicht zu sein und zu transzendieren, gibt
dem Menschen die Möglichkeit, seine Existenz mit einer von ihm gewählten Essenz zu
füllen. Da er zunächst nichts ist, steht er vor der Aufgabe, sein Wesen selbst zu erfinden.
Er muss sich ständig selbst entwerfen: „der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein
entworfen haben wird“ (SARTRE 2018, S. 150). Im Entwurf transzendiert sich der
Mensch, er nimmt von seinem derzeitigen Zustand Abstand und entwirft sich auf eine
zukünftige Situation hin, er verneint seine aktuelle Situation und überschreitet so sein
aktuelles Sein (vgl. STÖCKLIN 2015, S. 18). Erst durch diesen Entwurf, die Ideen und
Vorstellungen des Menschen, wer er sein will und wie er leben will, erarbeitet sich der
Mensch eine eigene Essenz, eine individuelle Identität. Er ist Gestalter seiner selbst und
muss seine eigene Identität aus sich selbst heraus konstruieren. Der Mensch muss sich für
diesen Entwurf in jeder Situation erneut entscheiden, oder ihn erneuern (vgl. FLEISCHER
2012, S. 77ff). Die selbstgewählte Essenz ist nie absolut, sondern wird in jeder Situation
von Neuem erschaffen (vgl. SUHR 2015, S. 68).
Die Momente der Wahl bzw. Entscheidung, sowie Handlung sind dabei zentral für Sartres
Philosophie. Indem der Mensch wählt, entscheidet er, wer er sein will. In jeder Situation
sieht sich der Mensch abermals dazu aufgefordert, sich für sich selbst, so wie er sich selbst
haben will, zu entscheiden. Durch seine Entscheidungen zu einer bestimmten Handlung
erschafft er sich selbst im der Verwirklichung seines Lebens: Dabei kann der Mensch
seinen subjektiven Entwurf nur verwirklichen, indem er handelt. Gute Vorsätze sind
nichtig, wenn sie nicht zur Ausführung kommen. Erst durch seine aktiven Handlungen
beweist der Mensch, wozu er sich wahrhaft gewählt hat: „Wirklichkeit ist nur im Handeln“
(SARTRE 2018, S. 14), und der Existenzialismus „definiert den Menschen durch sein
Handeln“ (ebd., S. 164). Der Mensch bringt sich erst durch seine Handlungen hervor (vgl.
BOLLNOW 1947, S. 657). „Menschliches Sein kann somit als Entwurf verstanden
werden, als Überschreitung des Gegebenen durch Handeln“ (UKEN 2001, S. 101). Der

46
Mensch ist ein sich selbst transzendierender subjektiver Entwurf (vgl. KAMPITS 2004, S.
34).
Die Notwendigkeit zur Wahl und Handlung fasst Sartre unter den Begriff des
‚Engagements‘. Da der Mensch als reine Existenz nichts ist, kommt er nicht umhin,
handeln zu müssen. Erst dadurch erarbeitet er sich eine Essenz: „Wir definieren den
Menschen nur im Verhältnis zu einem Engagement“ (SARTRE 2018, S. 170). Nur durch
sein absolutes Engagement, also die Hingabe zu leben und damit seinen Entwurf zu
verwirklichen, wird der Mensch wirklich und zu dem, den er zu sein gewählt hat: „Er wird
erst dann, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird. […] der Mensch ist
nichts anderes als das, wozu er sich macht“ (ebd., S. 149f). Dabei strebt der Mensch immer
nach mehr als dem, was er ist, und überschreitet so sein eigenes Sein.
Nach Sartre lässt sich kein moralisches Urteil über den Entwurf eines Menschen fällen,
„solange [die Wahl] auf der Ebene des freien Engagements geschieht“ (ebd., S. 174).
Neben der Freiheit des Menschen hat die Nichtexistenz Gottes auch zur Folge, dass vor der
konkreten Wahl und Handlung des Menschen keine Werte bestehenden können (vgl.
STÖCKLIN 2015, S. 12). „[E]s kann kein a priori Gutes mehr geben, da es kein unend-
liches und vollkommenes Bewußtsein gibt, es zu denken“ (SARTRE 2018, S. 154). Erst
der Mensch erschafft die Werte durch seine eigenen Entscheidungen, wie er zu handeln
hat. Indem er handelt, entscheidet er auf subjektive Weise, was als gut gelten kann (vgl.
ebd., S. 153). Im Gegensatz zu Kant können für Sartre moralische Werte immer nur in
konkreten Situationen geschaffen werden: „Wir denken hingegen, daß zu abstrakte Prinzi-
pien unfähig sind, ein Handeln zu definieren“ (ebd. 2018, S. 173). Sie können nicht über-
dauernd und allgemeingültig sein, sondern sind situationsabhängig und subjektiv (vgl
SUHR 2015, S. 69). Wenn bestimmte Passagen von Sartres Schriften bisweilen auch den
Anklang von Kants kategorischen Imperativs annehmen, wenn er schreibt, dass „der
Mensch, der sich engagiert und sich bewußt wird, daß er nicht nur jener ist, der zu sein er
wählt, sondern auch ein Gesetzgeber, der mit sich die gesamte Menschheit wählt“
(SARTRE 2018, S. 152), so ist dies trotzdem nicht im Sinne Kants als ein universales
Sittengesetz zu verstehen, sondern mehr in Bezug auf die Unentrinnbarkeit menschlicher
Verantwortung (vgl. LINSENBARD 2007, S. 65ff). Sartre vergleicht die moralische Wahl
mit der Erschaffung eines Kunstwerks in dem Sinne, dass beides kreiert und erfunden
werde (vgl. SARTRE 2018, S. 169). Erst durch seinen engagierten Entwurf setzt der
Mensch Werte. Diese und sogar ganze Gesellschaftssysteme sind historisch gewachsen.
Sie unterliegen keinen allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, sondern können als vom Menschen
geschaffen gelten (vgl. ebd., S. 161).
47
4.3.2 Verurteilung zur Freiheit
Sartre diagnostiziert den Menschen als verlassen. Verlassenheit bedeutet bei Sartre nichts
anderes als die Nichtexistenz eines Gottvaters und die damit einhergehende Grundlosigkeit
und Orientierungslosigkeit des Menschen: „er findet weder in sich noch außer sich einen
Halt“ (SARTRE 2018, S. 155). Es gibt nichts außerhalb des Menschen, das seine Existenz
begründen könnte, er ist zufällig in die Welt geworfen. Gäbe es für das Dasein des
Menschen einen Grund außerhalb seiner selbst, so bräuchte er nicht nach dem Sinn seines
Daseins suchen, wäre allerdings auch nicht frei. Erst dadurch, dass es keinen transzenden-
talen Grund für die Existenz des Menschen gibt, stellt sich ihm überhaupt die Frage nach
dem Sinn seines Seins (vgl. STRELLER 1952, S. 4, 19). Da dem aber nicht so ist und der
Mensch zunächst nichts ist, muss er den Sinn seines Lebens selbst erfinden: „[D]as Leben
hat a priori keinen Sinn. Bevor Sie leben, ist das Leben nichts, es ist an Ihnen, ihm einen
Sinn zu geben, und der Wert ist nichts anderes als dieser Sinn, den Sie wählen“ (SARTRE
2018, S. 174) Der Mensch ist dazu angehalten, durch sein Engagement in der Welt selbst
seinem Leben einen Sinn zu geben. Es kann keinen allgemeinen Sinn des Lebens geben,
der über das Individuum hinausgeht. Sinn gibt es nicht an sich, sondern nur für mich (vgl.
MÖBUß 2004, S. 76). Der Mensch muss sich selbst gründen, Ursache seiner selbst sein,
d.h. so werden, wie er sich selbst will (vgl. HENGELBROCK 1989, S. 62-69, 87).
Außerdem findet er, wie bereits erläutert, keine übergeordneten Handlungsrichtlinien, die
ihm sagen könnten, wie er zu leben hat. Diese Verlassenheit, einhergehend mit der Sinn-
losigkeit und Orientierungslosigkeit, führt beim Menschen zu Angst: „Die Verlassenheit
schließt ein, daß wir selbst unser Sein wählen. Die Verlassenheit geht einher mit der
Angst“ (SARTRE 2018, S. 159). Der Mensch, der sich seiner totalen Freiheit bewusst
wird, verspürt eine existenzielle Angst. Die absolute Freiheit ist damit zugleich auch seine
Bürde, die er tragen muss. Die Angst erfasst ihn im Gewahrwerden seiner vollkommenen
Verantwortung für seine Entscheidungen und Handlungen (vgl. SARTRE 2018, S. 13/
SUHR 2015, S. 68). Er kann sich weder auf eine ihm innewohnende Natur berufen noch
auf eine höhere Moral, die ihm sagt, wie er zu leben hat: „Wenn zum anderen Gott nicht
existiert, haben wir keine Werte oder Anweisungen vor uns, die unser Verhalten recht-
fertigen könnten. So finden wir weder hinter noch vor uns im Lichtreich der Werte Recht-
fertigungen oder Entschuldigungen“ (SARTRE 2018, S. 155). Der Mensch ist damit in
seinen Lebensentscheidungen voll und ganz auf sich selbst zurückgeworfen (vgl.
RIEFENTHALER 2015, S. 229). „Wenn jedoch die Existenz wirklich dem Wesen voraus-
geht, ist der Mensch für das, was er ist, verantwortlich. So besteht die erste Absicht des
Existentialismus darin, jeden Menschen in den Besitz seiner selbst zu bringen und ihm die
48
totale Verantwortung für seine Existenz aufzubürden“ (SARTRE 2018, S. 150). Es gibt
keine Entschuldigungen für Fehlentscheidungen außerhalb der eigenen Person. Damit
kommt Sartre zu dem Schluss: „der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein“ (ebd., S. 155)
Mit diesem berühmt gewordenen Zitat bringt Sartre die Situation des existenzialistischen
Menschen in der Welt auf den Punkt: Er ist „[v]erurteilt, weil er sich nicht selbst er-
schaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verant-
wortlich ist, was er tut“ (ebd., S. 155).
Die Angst vor der totalen Verantwortung angesichts absoluter Freiheit verleitet nach Sartre
viele Menschen zur Unaufrichtigkeit (vgl. STÖCKLIN 2015, S. 31). Sie belügen sich
selbst, indem sie vorgeben, keine andere Wahl gehabt zu haben, da ihre menschliche Natur
oder ihre Konstitution, für die sie nichts könnten, oder die Situation und die Umstände sie
zu dieser Handlung gezwungen hätten (vgl. SCHUMACHER 2014 a, S. 12f). Da jedoch
der Mensch absolut frei ist und äußere Umstände ihn nicht bestimmen können, „ist jeder
Mensch, der seine Leidenschaften vorschiebt und sich mit ihnen entschuldigt, jeder
Mensch, der einen Determinismus erfindet, unaufrichtig“ (SARTRE 2018, S. 171). Wer
unaufrichtig lebt, verleugnet seine Seinsform des Für-sich. „Wenn tatsächlich die Existenz
dem Wesen vorausgeht, ist nichts durch Verweis auf eine gegebene und unwandelbare
menschliche Natur erklärbar“ (ebd., S. 155). Für Sartre ist deshalb die Authentizität eines
Menschen von großer Bedeutung. Um sich nicht selbst zu verleugnen, soll der Mensch
authentisch leben, also seinen ihm eigenen Willen erkennen und diesen als von ihm selbst
verursacht annehmen (vgl. SCHUMACHER 2014 a, S. 15). „Während die Dinge in ihrer
Konkretheit, Abgeschlossenheit und Festigkeit in der Tat das sind, was sie sind, und die
stets drohende Selbstverfehlung des Menschen darin besteht, sich sowie seinen Tätigkeiten
und Emanationen eine dinghafte Wesenheit zuzusprechen und solcherart der ‚mauvaise
foi‘ zu verfallen, liegt die Aufgabe des Subjekts darin, die ihm gegebene Existenz zu
realisieren“ (GALLE 2009, S. 18f).

49
5 Betrachtung des Selbstbestimmungsgedankens bei Menschen mit Behinderung aus
existenzphilosophischer Perspektive
Nachdem in Kapitel 3 der Diskurs um die Selbstbestimmung in der Sonderpädagogik
erläutert worden ist und in Kapitel 4 die Grundzüge von Sartres Existenzphilosophie dar-
gelegt worden sind, sollen nun verschiedene Aspekte des Selbstbestimmungsgedankens
aus existenzialistischer Perspektive beleuchtet werden. Es werden solche Bezüge herge-
stellt, die als besonders passend und ergiebig für diese Arbeit eingeschätzt worden sind.
Sie stellen damit nur eine Auswahl innerhalb der Möglichkeiten dar, die das Thema bietet,
und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es können lediglich einzelne Aspekte
existenzialistisch beleuchtet werden. Dabei ist nicht auszuschließen, dass eine Reduktion
der Komplexität der existenzialistischen Philosophie vorgenommen werden muss. Die
Schlüsse, die aus der Verbindung von Sonderpädagogik und Existenzialismus gezogen
werden, sind lediglich als mögliche Deutung und Interpretation derselben zu betrachten.

5.1 Sartres ontologischer und Hahns anthropologischer Ansatz


Obwohl Sartre seine Philosophie als eine Ontologie charakterisiert, lassen sich bei ihm
deutliche Ansätze einer Anthropologie erkennen. Auch er beschäftigt sich eingehend mit
dem Menschen als Seinsform des Für-sich, die er von anderen Lebensformen abgrenzt:
„Der Mensch ist zunächst ein sich subjektiv erlebender Entwurf, anstatt Schaum, Fäulnis
oder ein Blumenkohl zu sein“ (SARTRE 2018, S. 150). Anders als gängige Anthropo-
logien beschreibt er allerdings nicht, was das Wesen des Menschen sei, sondern streitet
eine solche Wesenheit gänzlich ab (vgl. BERLINGER 1982, S. 18, 31). Aufgrund dessen
kommt er zu einem weitaus radikaleren Freiheitsverständnis, als es in Hahns Anthropo-
logie zu finden ist. Auch dieser charakterisiert den Menschen im Kontrast zu anderen
Lebensformen, da diese im Gegensatz zum Menschen vorgegebene Instinkte und
Verhaltensmuster haben. Hahn macht seine anthropologische Begründung an der Idee der
Instinktreduktion nach Gehlen fest. So wie Hahn den Menschen als vom Tier unter-
schieden betrachtet, versteht auch Sartre den Menschen als von der Natur gelöst (vgl.
SUHR 2015, S. 70). Der Mensch, der bei Hahn ohne Instinkte in der Welt ist, wird bei
Sartre gänzlich ohne eine Essenz in die Welt geworfen.
Trotz dieses deutlichen graduellen Unterschieds lassen sich durchaus auch Parallelen
erkennen. Sowohl Hahn als auch Sartre sagen, dass der Mensch Handlungen aus sich selbst
heraus vollziehen muss, um sein Leben zu gestalten. Und bei beiden spielen Entschei-
dungen die wesentliche Rolle. Die Entscheidung stellt das ausschlaggebende Moment dar,

50
über das sich Freiheit ausdrückt (vgl. HAHN 1983, S. 140). Für Hahn wird Selbstbe-
stimmung essentiell über Entscheidungen realisiert und für Sartre entwirft sich der Mensch
über seine freien Entscheidungen: „Sartre vertritt die These, dass menschliche Realität qua
In-der-Welt-sein durch und durch Wahl ist – und nichts außerdem“ (PIEPER 2014, S.
201). Nach Hahn soll dem Menschen mit Behinderung über das „Prinzip
Entscheidenlassen“ (HAHN 1981, S. 296) möglichst oft die Gelegenheit zur Wahl und
Entscheidung gegeben werden: „Mit dem Prinzip Entscheidenlassen wird der Mensch im
abhängigen ‚Gegenüber‘ als Wesen respektiert, das tatsächlich zwischen Abhängigkeit und
Unabhängigkeit steht, Bedürfnisse in eigene Entscheidungen einbringen und selbst Ver-
antwortung tragen kann. Im Erleben eigener Verantwortung konstituiert sich sehr real Sinn
in unserem Dasein.“ (ebd., S. 297). Das Prinzip der Entscheidung befriedigt also das Sinn-
bedürfnis des Menschen und verhilft so zu einer intakten Identitätsbalance. Die Bedeutung
einer Wahl ist dabei nicht objektiv, sondern subjektiv. Entscheidungen, die für Außen-
stehende nicht gewichtig erscheinen, können für Menschen mit Behinderung ausschlag-
gebend für das Erleben von Unabhängigkeit und Sinn sein. Diese Subjektivität der Wahl ist
auch in Sartres Philosophie zu finden (vgl. SARTRE 2018, S. 148), und ihr kommt noch
ein identitätsstiftender Charakter hinzu: „Weil der Mensch sich in jeder Situation, in jeder
einzelnen Handlung zu seiner Existenz machen muß, ist er das, was er wählt“ (HANA
1965, S. 50).
Während es bei Sartre jedoch in Bezug auf den Menschen nichts als Freiheit gibt, lässt
Hahn daneben auch eine soziale Dimension zu, die das Wohlbefinden des Menschen als
von anderen abhängig erklärt. Hahns Argumentation zur Selbstbestimmung gründet auf der
These, dass der Mensch nach Wohlbefinden strebt und dieses teilweise nur durch andere
Menschen erhalten kann. Dieses Streben nach Wohlbefinden gibt es bei Sartre so nicht. Er
stellt das Streben nach Transzendierung in den Mittelpunkt menschlicher Aktion. Es lässt
sich zwar annehmen, dass das Erweitern des Lebensentwurfs für den Menschen einen
positiven erstrebenswerten Zustand darstellt (dessen Vervollkommnung jedoch nie ganz
erreicht werden kann). Jedoch muss bei aller Individualität und Subjektivität eines jeden
Lebensentwurfs Wohlbefinden im herkömmlichen Sinn nicht für jeden Menschen
zwingend Teil seines Entwurfs sein. Diese Subjektivität ist auch bei Hahn zu lesen, jedoch
nimmt sie bei Sartre ein nahezu unabwägbares Maß ein.
Insgesamt bleibt jedoch bei beiden Ansätzen die soziale Dimension weniger beachtet oder
zumindest zweitrangig. Bei beiden Ansätzen lässt sich einwenden, dass die starke
Betonung der individuellen Freiheit des Menschen wenig Platz für das menschliche Mit-
einander lässt. In Sartres Intersubjektivitätstheorie wird der Andere in ein pessimistisches
51
Licht gerückt als die Freiheit, die mich objektiviert und damit meiner eigenen Freiheit
beraubt (vgl. HONNETH 2014, S. 151f); bei Hahn dient der Andere lediglich der Er-
füllung eigener Bedürfnisse.
Beiden Ansätzen gemein ist auch die Bedeutung von Sinn und Identität im Zusammenhang
mit der Freiheit des Menschen. Für Hahn stellt Freiheit und Selbstbestimmung (in Balance
mit sozialer Abhängigkeit) eine Grundlage für das Gelingen von Identität dar. Indem der
Mensch selbstbestimmt handelt, erfährt und erlebt er sich selbst. (vgl. HAHN 1999, S. 24).
„Der Gewinnung von menschlicher Identität liegt Selbstbestimmung zugrunde: Ohne sie
kommt ein Mensch nicht zu einem zutreffenden Bild von dem, was er selbst ist, von seinen
Grenzen und Möglichkeiten. Er lernt seine Bedürfnisse nur begrenzt kennen, ebenso die
Möglichkeiten ihrer Realisierung durch Selbstbestimmung in sozialer Abhängigkeit von
anderen. Er akzeptiert Fremddefinitionen, weil er nicht weiß, wer er selbst ist“ (HAHN
1994, S. 86). Das Mehr an Abhängigkeit stellt sich somit als eine Gefährdung für die
Identitätsbildung von Menschen mit Behinderung heraus (vgl. HAHN 1981, S. 61). Diese
Beeinträchtigung in der Identitätsentwicklung ergibt sich nicht nur aus der Schädigung,
sondern insbesondere gibt die „immer wieder neue Zufuhr von Abhängigkeit im Rahmen
ihrer Generalisierung Anlaß zu Ungleichgewichtigkeiten, die Identität nur schwer er-
reichen lassen“ (HAHN 1981, S. 61). Die Bildung von Identität umfasst unter dem Begriff
der Essenz auch in Sartres Ansatz einen Schwerpunkt menschlichen Lebens. Der Mensch
erschafft seine Identität erst, indem er in seinem Leben eine Wahl trifft. Allerdings ergibt
sich diese für ihn nicht aus einer oszillierenden Balance, sondern aus der selbstbestimmten
Auseinandersetzung der Person mit ihrer Situation und ihren daraus folgenden Ent-
scheidungen und Handlungen. Aufgrund der absoluten Subjektivität kann es so etwas wie
eine ‚behinderte‘ Identität nicht geben. Auch wenn die Person unter ungünstigen Be-
dingungen lebt, so kommt sie trotzdem nicht umhin, sich daraus eine individuelle Identität
zu erschaffen (vgl. Kapitel 5.7). Die Verantwortung für die eigene Identität sieht auch
Hahn nicht ausschließlich im Einflussbereich der Umwelt, sondern er gibt dem Individuum
zu einem ausschlaggebenden Teil Selbstermächtigung in die Hand: „Das Erschließen von
Freiheitsräumen trotz Abhängigkeit und das Gelingen von Identität hängt wesentlich von
diesem Teil ab“ (HAHN 1981, S. 49).
Neben der Gefährdung der Identität bedroht Fremdbestimmung für Hahn auch das Er-
fahren von Sinnhaftigkeit im Leben (vgl. HAHN 1994a, S. 84). Sinn konstituiert sich nach
Hahn für Menschen dann, wenn ihren Entscheidungen oder ihrem Tun ihre eigenen Inten-
tionen und Bestrebungen zugrunde liegen, die immer auf Wohlbefinden ausgerichtet sind
(vgl. HAHN 1994, S. 83f/ HAHN 1998, S. 116). Dies ist nur bei Selbstbestimmung ge-
52
sichert. Fremdbestimmung läuft immer Gefahr, den Willen und die Ziele des Individuums
zu unterlaufen und den Akten so Sinn zu entziehen. Deshalb „ist die Sinnhaftigkeit
menschlichen Wirkens wesenhaft an Selbstbestimmung gebunden. Menschliches Dasein
ist aus diesem Grund durch das Streben nach größtmöglicher Freiheit gekennzeichnet, weil
sich darauf die subjektiv erkennbare Sinnhaftigkeit des Lebens gründet“ (HAHN 1994, S.
84). Das Erleben von Freiheit und Sinn kommt dabei „aufgrund subjektiver Interpretations-
leistungen der erfahrbaren Welt des Individuums zustande. Sie sind deshalb nicht
zwingend an objektivierbare äußere Lebensbedingungen gebunden“ (HAHN 1998, S. 115).
Dieses Streben nach und Erschaffen von Sinn legt auch Sartre menschlichem Dasein zu-
grunde, ist hier aber noch deutlicher an Bewusstseinsleistungen des Subjekts gebunden. Es
ist die Aufgabe und Fähigkeit des Menschen, in potenziell jeder Situation durch sein
Agieren subjektive Sinnhaftigkeit zu erzeugen (vgl. Kapitel 5.6).
Auch das Moment der Verantwortung stellt Hahn als elementar für das Gefühl von Sinn-
haftigkeit eigener Handlungen bei Menschen heraus: „Die selbst wahrnehmbare
Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ist an erlebte eigene Freiheit und Verantwortung ge-
bunden“ (HAHN 1983, S. 132). Hier spielt das Moment der Selbstwirksamkeitserfahrung
eine entscheidende Rolle. Erst durch das Erleben der Konsequenzen selbstinitiierter
Aktivitäten erkennt der Mensch Sinn und Zweck von Handlungen. Selbstbestimmte
Handlungen ermöglichen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, die für das Sinngefühl von
Menschen von großer Bedeutung ist. Indem Menschen spüren, dass ihre Aktionen etwas
bewirken, erkennen sie einen Sinn in ihrem Dasein. Dieses Vermitteln und Erfassen von
Sinn sieht Hahn als zentrale Aufgabe der Pädagogik an (vgl. HAHN 1981, S. 243). Erst
indem er in der Welt wirkt, erkennt der Mensch einen Sinn in seinem Dasein. „Nicht un-
erwähnt bleiben kann in diesem Zusammenhang, dass das Nichterschließen ‚innerer’
Freiheitsräume für das ausweglos schwer abhängige Individuum einen Verlust an eigener
Verantwortlichkeit bedeuten kann, der als Sinndefizit des eigenen Lebens angesehen wird
und – ‚reflexiv empfunden’ – zur eigenen Existenzverneinung (mangels erkennbarem
Sinn) führen kann“ (ebd., S. 37). Erst durch Selbstbestimmung ist es dem Menschen mög-
lich, sich selbst als Verursacher zu erleben und nicht umhin zukommen, Verantwortung für
sein Tun zu übernehmen (vgl. HAHN 1994, S. 84). Während jedoch bei Sartre die Verant-
wortlichkeit eines jeden Menschen für sich selbst unbegrenzt ist und ein Mangel an Selbst-
ständigkeit oder Selbstbestimmung für ihn darauf keinen berechtigten Einfluss hat (vgl.
Kapitel 5.3) - dem Menschen ist es „in jedem Fall unmöglich, nicht die totale Verantwor-
tung angesichts dieses Problems auf sich zu nehmen“ (SARTRE 2018, S. 169) - , räumt
Hahn ein, dass der „Freiheitsraum für Entscheidungen der Verantwortlichkeit des
53
behinderten Menschen angemessen sein [muss], wenn Überforderungssituationen
vermieden werden sollen, die genauso identitätsgefährdend sein können, wie ein Zu Wenig
an Freiheit“ (HAHN 1983, S. 140).
Beiden Ansätzen gemein bleibt, wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung und Aus-
maß, die Betrachtung der Freiheit als wesenhaft menschlich. Diese anthropologisch gege-
bene Freiheit ist es, mit der Hahn seine Argumentation in Bezug auf die Selbstbestimmung
von Menschen mit Behinderung gründet: „Hier scheint mir die Mitte des Problems
‚Behindertsein‘ zu liegen. Gezwungen sein in eine Situation, die etwas vom eigentlichen
Menschen ausschließt: nämlich in bestimmten Dingen und Situationen frei sein, entschei-
den und einen Willen haben zu können“ (HAHN 1981, S. 5). Diese Grundlage lässt sich
auch Sartres Philosophie entnehmen und wiegt hier vielleicht sogar noch stärker als in
Hahns Argumentation. Dem ‚Mehr‘ an Abhängigkeit, das Hahn postuliert, lässt sich in
Sartres Philosophie stets ein „unbestimmbare[s] ‚Mehr‘ an Freiheit [entgegenhalten], das
trotz aller Bedingungen, aller Unterdrückungen, allem ‚Practico-inerten‘ zum Trotz ver-
bleibt, nie vollständig ausgelotet werden kann“ (KAMPITS 2004, S. 141). So be-
schränkend die Situation von Menschen mit Behinderung auch sein mag, ihre Freiheit
bleibt: In Sartres Worten: „Niemand kann sich leben ohne sich zu schaffen, das heißt, ohne
auf das Konkrete hin zu überschreiten, was man aus ihm gemacht hat“ (vgl. SARTRE
2018, S. 164f). Genauso stellen auch Identität und Subjektivität, die in beiden Ansätzen zu
finden sind, bei Sartre noch eminentere Kategorien dar. Umso schwerwiegender stellen
sich allerdings auch die potenziell belastenden Konsequenzen für das Leben dar, wie die
der bedingungslosen Verantwortlichkeit.

5.2 Unterscheidung zwischen Handlungsfreiheit und Wahlfreiheit


Für das Verständnis von Sartres Freiheitsbegriff ist es wichtig, zwischen Wahlfreiheit und
Handlungsfreiheit zu unterscheiden. Sartres Idee von Freiheit bezieht sich mehr auf die
Ebene der Wahl, also die Fähigkeit, unabhängige Entscheidungen zu treffen, die nicht
durch äußere Ursachen determiniert sind (vgl. HENGELBROCK 1989, S. 119):
„Außerdem muß man gegen den gesunden Menschenverstand präzisieren, daß die Formel ‚frei
sein‘ nicht meint ‚erreichen, was man gewollt hat‘, sondern ‚sich dazu bestimmen, durch sich
selbst zu wollen‘ (im umfassenden Sinn von wählen). Anders gesagt, der Erfolg ist für die
Freiheit in keiner Weise wichtig. Die Diskussion, die den Philosophen den gesunden
Menschenverstand entgegenhält, kommt hier von einem Mißverständnis: der empirische und
volkstümliche Begriff ‚Freiheit‘ als Produkt historischer, politischer und moralischer Umstände
ist gleichbedeutend mit ‚Fähigkeit, die gewählten Zwecke zu erreichen‘. Der technische und

54
philosophische Freiheitsbegriff, den wir hier allein meinten, bedeutet nur: Autonomie der
Wahl.“ (SARTRE 2017, S. 836)

Dieses Verständnis kann analog zu der Unterscheidung zwischen Selbstbestimmung und


Selbstständigkeit in der Sonderpädagogik betrachtet werden. Menschen können aufgrund
ihrer Behinderung in ihrer Selbstständigkeit bzw. Handlungsfreiheit stärker eingeschränkt
sein. „[K]ein Gott und keine Absicht kann die Welt und ihre Möglichkeiten meinem
Willen anpassen“ (SARTRE 2018, S. 160). Die Freiheit, wie sie Sartre versteht, ist aber
jedem Menschen, unabhängig seiner Handlungskompetenzen, zu eigen (vgl. FLEISCHER
2012, S. 80). So auch Speck: „Die Ausführung einer bestimmten Handlung ist zwar
behindert, aber die Entscheidung an sich, das Wollen, die Unterscheidung dessen, was sein
soll oder nicht sein soll, ist da, ist existent.“ (SPECK 1985, S. 166). Diese „ontologische
Freiheit“ (SARTRE 2017, S. 785) stellt auch in dem anthropologischen Dreischritt der
Selbstbestimmung von Walther die einzige Bedingung für die Möglichkeit eines selbstbe-
stimmten Lebens dar (vgl. Kapitel 3.3.2). Bei ihm ist nur der Wille Voraussetzung für
Selbstbestimmung. Aller Selbstständigkeit voran geht die willentliche Entscheidung. Sie
ist konstitutives Moment der Freiheit des Menschen. „Sartre sieht die Absolutheit der
Freiheit in der Wahlfreiheit: eine Wahlfreiheit, die nichts ist, wenn sie nicht wählt, und die
wählt, weil sie Freiheit ist, und außer in dieser ihrer Bestimmung durch sich nicht sein
kann“ (HANA 1965, S. 50).
Wenn auch für Sartre ein minimierter Handlungsspielraum der ontologischen Freiheit des
Menschen nichts anhaben kann, so ist das Handeln des Menschen für ihn trotzdem nicht
unerheblich. Im Gegenteil: Erst durch Handeln realisiert der Mensch seine Freiheit und
erschafft sich selbst (vgl. STRELLER 1952, S. 13). Sartre schreibt, „daß ein Mensch nichts
anderes ist als eine Reihe Unternehmungen, daß er die Summe, die Gestaltung, die
Gesamtheit der Beziehungen ist, die diese Unternehmungen ausmachen“ (SARTRE 2018,
S. 163). Denn Identität erschafft sich durch das, was ein Mensch tut oder wie er handelt.
Der Mensch „ist also nichts anderes als die Gesamtheit seiner Handlungen, nichts anderes
als sein Leben“ (ebd., S. 14). Damit auch Menschen mit Behinderung die Möglichkeit
haben, ihre Wahl zu realisieren, kann eine eingeschränkte Selbstleitung oder Selbst-
ständigkeit, die die Handlungsfreiheit begrenzt, durch assistierende Hilfe kompensiert
werden. Die Entscheidungen können von Menschen mit Behinderung unter Umständen
zwar nicht unmittelbar in Handlungen umgesetzt werden, jedoch mittelbar über stell-
vertretende Hilfe. Selbstbestimmung „kann sich als Wahl- und Entscheidungsautonomie
zeigen und ist nicht gleichzusetzen mit selbstständigem Handeln“ (OSBAHR 2003, S. 24).
PädagogInnen können Menschen mit Behinderung bei der Realisierung ihrer
55
Selbstbestimmungspotenziale unterstützen, indem sie ihren Willen stellvertretend aus-
führen.

5.3 Existenzialismus im Zeichen der Postmoderne und des Neoliberalismus


Auch wenn Jean-Paul Sartre selbst zu Lebzeiten überzeugter Sozialist war (vgl. DANZER
2003, S. 5,9), lassen sich aus seinem philosophischen Gedankengut dennoch neoliberale
Tendenzen ziehen. Mit der Freiheit des Menschen als oberstem Gebot, sowie einer Absage
an allgemeingültige Werte steht Sartres Philosophie im Zeichen postmoderner und neoli-
beraler Bestrebungen, die durchaus auch Gefahren für das selbstbestimmte Leben von
Menschen mit Behinderung bergen, wie in Kapitel 3.3.3 beschrieben. Themen der Post-
moderne wie Orientierungslosigkeit und Eigenverantwortlichkeit spiegeln sich deutlich in
Sartres Überlegungen wider (vgl. GALLE 2009, S. 7ff). Wie der Neoliberalismus die
Freiheit des Individuums zum obersten Gebot erhebt, so erklärt auch Sartre, „daß die Frei-
heit unter jedem konkreten Umstand kein anderes Ziel haben kann, als sich selbst zu
wollen, und wenn der Mensch anerkannt hat, daß er, in der Verlassenheit, Werte setzt,
kann er nur noch eins wollen: die Freiheit als Grundlage aller Werte“ (SARTRE 2018, S.
171f). Da bestehende Werte nicht mehr als Orientierung für die individuelle Lebens-
führung gelten können, ist es die alleinige Aufgabe des Individuums, sich selbst Hand-
lungsleitlinien zu erschaffen, die jedoch in jeder Situation erneut erprobt werden müssen.
Dieser Werteverlust und die damit einhergehende Anforderung an das Individuum, sich
selbst zu leiten, ist auch Merkmal neoliberaler Gesellschaftsordnungen: „Das bisher be-
stehende gemeinsame und verbindliche Sinnsystem zwischen den Individuen, auf das das
Handeln bezogen wurde, verschwindet. Der Verlust des Sinnsystems zwingt das Indivi-
duum, eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen, ohne sich auf Regeln beziehen zu
können, verbunden mit der Erschwernis, dass die Entscheidungen durch Sachzwänge
gerahmt und die Folgen der Entscheidung für das zukünftige Handeln nicht eindeutig
absehbar sind“ (LANGNER 2009, S. 20). So wie für Sartre der Mensch sich in seinem
Entwurf verwirklichen und diesen immerzu aktualisieren muss, ist auch in der Post-
moderne die Hauptaufgabe des Individuums, sich Identität anzueignen (vgl. JELTSCH
2008, S. 30). Seinem Leben Sinn zu geben wird zur Herausforderung, die das Individuum
allein bewältigen muss, und auch potenziell daran scheitern kann (vgl. WILKEN 1999, S.
41). Der Mensch ist auf sich allein gestellt und für das Gelingen seines Lebens verant-
wortlich: „Weil der Mensch als wesensmäßig autonom gedacht wird, müssen Zwangsmaß-
nahmen und gesellschaftliche Abhängigkeiten von ihm ferngehalten werden. Da das

56
Individuum seine Welt selbst erschafft und hierfür verantwortlich ist, kommen in dieser
Perspektive dem Staat und der Gesellschaft keine Verantwortung zu“ (DEDERICH 2003,
S. 3) zu. Diese Position einer totalen Verantwortung für sein Leben lässt sich auch in der
existenzialistischen Philosophie einnehmen (vgl. KAMPITS 2001, S. 34). An einzelnen
Stellen seines Essays verweist Sartre zwar auch auf eine Mitverantwortung, die zwischen
den Menschen besteht: „So ist unsere Verantwortung viel größer, als wir vermuten können,
denn sie betrifft die gesamte Menschheit“ (SARTRE 2018, S. 151). Diese Mitverant-
wortung konkretisiert und begründet er allerdings in seinem Essay nie genauer, sodass sie
schlussendlich vor dem Hintergrund der oft betonten Eigenverantwortlichkeit wenig Aus-
sagekraft hat.
Es ist nicht klar, ob Menschen wirklich in der Lage sind, ihr Leben zu meistern, ohne auf
jegliche vorgegebenen Normen und Werte vertrauen zu können. Die permanenten
Orientierungs- wie Identitätsleistungen können das Individuum schnell überfordern. Der
Neoliberalismus „konfrontiert [es] mit der schlichtweg unerfüllbaren Anforderung, ganz
allein auf sich gestellt zu sein“ (WALDSCHMIDT 2012, S. 49). Auch Sartres Philosophie
kann zu einer existenziellen Verunsicherung führen. Die Freiheit als ein Urteil, das den
Menschen vor die objektive Sinnlosigkeit seines Daseins stellt, ihn zum Solitär seines
Daseins macht und ihm die Verantwortung dafür gibt, aus dieser Sinnlosigkeit sich selbst
zu entwerfen und Sinn zu erschaffen, führen nach Sartre zu einer existenziellen Angst. Er
meint, der Mensch müsse diese Angst überwinden. Es ist jedoch ungewiss, inwieweit dies
für den einzelnen Menschen möglich ist, ohne durch andere Menschen oder eine Gemein-
schaft Halt zu finden.
Es stellt sich die Frage, ob der Mensch wirklich so autonom ist, wie es Sartre und auch der
Neoliberalismus postulieren (vgl. KLAUß 2005, S. 7). So sehr Sartre den Menschen als ein
freies Wesen definiert, so sehr verkennt er, dass der Mensch auch ein soziales Wesen ist.
Gröschke diagnostiziert in diesem Sinne dem Neoliberalismus eine „anthropologische
Deregulierung“ (GRÖSCHKE 2000, S. 137), die auch Sartre vorzuwerfen wäre. Besonders
für Menschen mit geringen Ressourcen kann das Bild eines absolut autonomen Menschen
gefährlich sein, wenn auch sie für das Gelingen ihres Lebens alleine verantwortlich ge-
macht werden (vgl. KATZENBACH 2004, S. 135f). Wenn Menschen mit Behinderung im
Zuge des Empowerments auch gezeigt haben, dass sie nicht die Opferrolle tragen müssen,
die ihnen oft zugeschrieben wird, so ist es trotzdem als höchst problematisch anzusehen,
Menschen mit Behinderung die Aufgabe zu übertragen, sich aus fremdbestimmten Um-
ständen zu befreien, wenn ihnen nicht die entsprechenden Ressourcen und Hilfsmittel zur
Verfügung gestellt werden. Dass nach Sartre jede Situation, sei sie noch so unterdrückend,
57
dem Individuum trotzdem noch eine Fülle von Möglichkeiten bereithält, sich zu ihr zu
positionieren, kann vor dem Hintergrund einer Behinderung als extrem zynisch erscheinen.
So behauptet Sartre, dass selbst ein Sklave als frei bezeichnet werden kann, da dieser die
Freiheit hat, anstelle seines Lebens den Tod zu wählen. Seiner Meinung nach bietet jede
Situation eine nicht kalkulierbare Summe an Möglichkeiten, sich zu dieser zu verhalten
(vgl. STÖCKLIN 2015, S. 34f). Da für ihn die Freiheit a priori gegeben ist, untrennbar mit
menschlichem Sein verbunden, kann sie dem Menschen nicht genommen werden. Wenn
ich den Anderen als Menschen erkenne, erkenne ich ihn im selben Moment als Seinsform
der Freiheit an. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Freiheit des Menschen wirklich so
unabhängig von äußeren Bedingungen gedacht werden kann (vgl. KAMPITS 2014, S.
220ff). Auch Menschen mit Behinderung leben oft in Lebensbedingungen, die ihre
Freiheitsräume derart minimieren, dass – zumindest auf der Handlungsebene – kaum von
freiem Lebensvollzug gesprochen werden kann. Es kann zwar durchaus wahr sein, dass
jede Situation, in der sich Menschen befinden können, so beschränkend sie auch sein mag,
noch Spielraum für Ausdrucksformen individueller Freiheit lässt, wie angesichts kreativer
Verhaltensweise, die Menschen mit Behinderung in stark fremdbestimmten Umständen
entwickeln und die von außenstehenden meist als auffällig und störend interpretiert wer-
den, deutlich wird (vgl. Kapitel 5.6). Es ist jedoch zu bezweifeln, ob hier noch von einem
würdigen Menschendasein gesprochen werden kann. Sartre leugnet zwar nicht den Ein-
fluss der gesellschaftlichen und kulturellen Lage, in die ein Individuum hineingeboren
wird, auf dessen Entwurf. Die Faktizität bestimmt das Repertoire an Wahlmöglichkeiten
eines Individuums (vgl. SUHR 2015, S. 71). Diese Bedeutung der Faktizität für den Ent-
wurf bleibt in Sartres Philosophie jedoch zweitrangig vor der ontologischen Freiheit des
Menschen (vgl. GALLE 2009, S. 47). Insgesamt misst er den nicht beeinflussbaren
Umweltbedingungen wenig Bedeutung für die Freiheit des Individuums, das von diesen
abhängig ist, bei (vgl. PIEPER 2014, S. 206). Hier verkennt Sartre die Bedeutung von
gesellschaftlichen Umständen und die Macht von Systemen, denen ein Individuum ausge-
liefert sein kann, für die Möglichkeiten freier Selbstgestaltung eines Individuums und
dessen Freiheitserleben.
Die Gefährdung, die neoliberale Strömungen für Menschen mit geringen Ressourcen dar-
stellen kann, lässt sich nach diesen Ausführungen auch innerhalb Sartres Denken finden.
Wenn es keine allgemeingültige Moral gibt, kann der Wert der Solidarität hilfsbedürftigen
Menschen in postmodernen Zeiten keinen Schutz bieten. Dieser Mangel an Solidarität war
Sartre bereits zu Lebzeiten vorgeworfen worden (vgl. SUHR 2015, S. 66).

58
Das Mehr an sozialer Abhängigkeit macht Menschen mit Behinderung auch abhängiger
von gesellschaftlichen und historischen Kontexten. Die Autonomie des Menschen, wie sie
der Neoliberalismus auffasst, darf nicht unabhängig von situativen Bedingungen des
Individuums gedacht werden. Das Leitbild der Selbstbestimmung sollte Menschen mit
Behinderung nicht nur das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zugestehen, sondern es
muss ihnen auch ermöglicht werden, die neu gewonnen Freiräume wahrzunehmen und
nutzen zu können. „Gerade für die Selbstbestimmung gilt, dass es nicht ausreicht, sie zu
postulieren und zuzulassen. Es muss auch gefragt werden, wie die individuelle Kompetenz
des selbst Bestimmens ausgebildet werden kann, und ob die Rahmenbedingungen
Selbstbestimmung tatsächlich ermöglichen“ (KLAUß 2005, S. 8).
Aufgrund ihrer sozialen Abhängigkeit ist es insbesondere für Menschen mit Behinderung
von äußerster Wichtigkeit, neben dem freien Menschen auch den sozialen Menschen zu
erfassen: „Selbstbestimmung ist nicht mit einem Autonomiekonzept gleichzusetzen, wel-
ches lediglich auf Eigeninteresse und Selbstbezüglichkeit begrenzt ist und den autonomen
Menschen als ‚Gegenstück zum ‚sozialen Menschen‘ definiert, sondern den
Selbstbestimmungsgedanken auf dem Hintergrund der unauflösbaren Du-Bezogenheit des
Individuums zu begründen versucht“ (THEUNISSEN 1999 zit n. SCHUPPENER 2016, S.
108).

5.4 Normen und Normalität


Wie bereits erläutert, lehnt Sartre absolute Normen und Werte ab. Da es keine höhere
Instanz gibt und alles Subjektivität ist, kann es für ihn keine objektiven Werte geben. Sie
müssen immer relativ zu jeder Situation durch den Menschen neu gewählt und erschaffen
werden. Dies hat einerseits zur Folge, dass es für den Menschen keine Werte gibt, die ihm
Sicherheit in seinen Entscheidungen geben können und er sich für sein Handeln selbst
verantworten muss. Wer die Notwendigkeit leugnet, im Lebensvollzug eigene Werte ent-
wickeln zu müssen, und sich in seinem Handeln auf scheinbar allgemeingültige Werte
beruft, lebt für Sartre unaufrichtig (vgl. HONNETH 2014, S. 155). Der Mensch kann seine
Wahl nicht rechtfertigen, da es keine a priori bestehenden Werte und Normen gibt, was
viele Menschen als eine Last empfinden. Andererseits muss der Mensch sich in einer
optimistischen Sichtweise aber auch nicht rechtfertigen, da ihm keiner vorwerfen kann,
nicht nach gültigen Maßstäben zu leben; und das gestattet ihm, eine Vielfalt von Entwürfen
zu leben (vgl. PIEPER S. 208). Normen und Normalität stellen im Sinne Sartres keine
Bezugsgrößen dar, nach der ein Leben als gut oder recht bewertet werden kann. Kein

59
Mensch kann die Lebensführung eines anderen verurteilen, wenn dieser authentisch lebt.
Diese Verneinung von Normalität als Bezugsgröße für ein gutes Leben hat zur Folge, dass
Menschen, die nicht wie die Mehrheit leben können oder wollen, deshalb nicht abgelehnt
und diskriminiert werden dürfen. So bietet dieser Ansatz die Gelegenheit, Normalität nicht
mehr als einen anzustrebenden Zustand zu verstehen.
Normalitätsabweichung ist oft Ursache für die Ausgrenzung von Menschen mit Behin-
derung, die bei zu starker Abweichung zu Diskriminierung führt (vgl. SASSE 2016, S.
138). Erst im Vergleich mit vorherrschenden Normen wird eine Eigenschaft einer Person
zu einer Behinderung, die als anders, abweichend oder fremd wahrgenommen wird (vgl.
FEUSER 1996, S. 4). Die Normen der Nützlichkeit, Verantwortung sowie Kontakt-
fähigkeit haben in unserer modernen Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Viele
Menschen mit Behinderung können diesen Erwartungen allerdings nur teilweise oder gar
nicht entsprechen. Eine Orientierung an diesen Normen kann damit den Ausschluss dieser
Menschen bedeuten (vgl. BECK 1996, S. 25). Da für Menschen mit Behinderung die
Normalitätsnorm der Gesellschaft oft ein nahezu unerreichbare Anforderung darstellt (vgl.
Hahns Unabhängigkeitsnorm), führt dies zu ihrer sozialen Ausgrenzung: „Denn erst der
Vergleich mit anderen ermöglicht die Erfahrung des Individuellen, Abweichenden. Das
Bewußtsein dieser Abweichung bedeutet für Flaubert 5 die Bewußtwerdung seiner Anoma-
lie, seines Minderseins“ (SCHULTEN 1989, S. 67). Eine Orientierung an Normen für ein
vermeintlich richtiges Leben impliziert, dass Menschen, die diesen Normen nicht ent-
sprechen, nicht richtig sind.
Aufgrund dessen kann das Normalitätsprinzip, dessen Theorie auf der Idee der Normalität
fußt, Menschen mit Behinderung nicht vor Ausgrenzung bewahren (vgl. SASSE 2016, S.
138). „Das Normalisierungsprinzip, das ohne Frage geeignet ist, um die Würde der behin-
derten Menschen zu schützen, birgt die Gefahr in sich, festzuschreiben, was es heißt, ein
normales Leben zu führen. Wer in dieses Raster nicht paßt, läuft Gefahr, auch im
Behindertenmilieu ausgegrenzt zu werden“ (ZÖLLER 1996 S. 73). Das Prinzip nimmt an,
dass Normalität als Maß für die Lebensqualität von Menschen gelten kann (vgl. ROCK
2001, S. 173). Das Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung durch eine
Angleichung an die Norm zu verbessern, befördert so ein „Abgleiten in eine Anpassungs-
pädagogik“ (FRÖHLICH 1996, S. 336). Damit läuft es Gefahr, die Individualität eines
jeden Lebensentwurfs zu verkennen: „Normalität als eine Bezugsgröße, nach der man sich

5
In seinem Werk Der Idiot der Familie legt Jean-Paul Sartre eine biographische Studie über den
Schriftsteller Gustave Flaubert dar. Anhand dieses Einzelfalls versucht er, die Bedingungen von Krankheit
und Gesundheit zu analysieren (vgl. BAHRS 2015, S. 244f). Sartres Überlegungen zu Flaubert werden im
Kapitel 5.6 näher aufgegriffen werden.
60
orientiert, kann auch Mittelmäßigkeit bedeuten und zu einer Nivellierung führen, die jede
Eigeninitiative und individuelle Lebensgestaltung im Keim erstickt“ (ZÖLLER 1006, S.
72). Eine Verbesserung der Lebensqualität, die das Normalisierungsprinzip beabsichtigt
hat, ist zwar durchaus ein wünschenswertes Ziel, die Annahme allgemeingültiger Normen
für diese entbehrt aber der Individualität, die jeder Lebensentwurf hat. Normalität bedingt
nicht immer ein glückliches Leben. Sie muss nicht immer ein wünschenswertes Lebensziel
sein, vor allem, wenn man sein So-sein verbiegen muss, um in die Norm zu passen. Ein
Leben, das den Zustand ‚so normal wie möglich‘ anstrebt, würde nach Sartre mit hoher
Wahrscheinlichkeit in einer unauthentischen Lebensweise resultieren. Normalität als Maß
für das Leben eines Menschen zu setzen, wäre seiner Vorstellung von Selbstbestimmung
entgegengesetzt. Da Normen prinzipiell vom Menschen gemacht sind, haben sie keinen
universellen Charakter und müssen nicht für alle gelten. Der Mensch muss sich aufgrund
seiner unbestimmten Essenz seine eigenen Werte und Normen für sein Leben erschaffen.
Bei Sartre soll sich der Mensch nicht durch äußere Vorstellungen eines guten und rechten
Lebens beeinflussen lassen, sondern seinen eigenen Lebensentwurf autonom gestalten.
Nicht die Orientierung an einem vermeintlich normalen Leben, sondern nur er selbst kann
das Maß für seinen Entwurf sein. Er ist dazu aufgefordert, eine authentische Daseinsform
zu finden.
Sartres Philosophie bietet durch das Überwinden von Normen die Gelegenheit, Menschen
mit Behinderung nicht mehr als unzulänglich und in der Normalität gestört zu sehen.
„Wenn man Menschen an einer vagen Vorstellung von Normalität mißt, egal in welchem
Bereich, kommt es immer zu einer Ausgrenzung derer, die nicht normal leben können oder
wollen. Es wäre besser, wenn man den Begriff Normalität gar nicht benutzen würde, um
Konzepte für behinderte Menschen zu beschreiben“ (ZÖLLER 1996, S. 77). Dadurch
können Menschen mit Behinderung in ihrer Individualität akzeptiert werden. Statt darauf
zu schauen, was sie brauchen, um normal leben zu können, kann der Blick darauf gewen-
det werden, was sie brauchen, um ihren individuellen Entwurf leben zu können. Anstatt zu
versuchen, Menschen mit Behinderung möglichst nah an gesellschaftliche Normen heran-
zuführen, sollte ihnen dazu verholfen werden, in der Auseinandersetzung mit ihrem
Anderssein gerade aus ihrer besonderen Individualität einen für sie passenden Entwurf zu
entwickeln (vgl. ebd., S. 75): „Phantasie im Sinne des ‚Erfindens‘ ist gleichfalls nur mög-
lich, wenn Eigenes gedacht, produziert werden kann, wenn Wege gesucht und gegangen
werden, die eben nicht vorgegeben und vorgeschrieben sind“ (Bach 1997, S. 66). Nicht
Anpassungsdruck, sondern die Pluralität von Lebensstilen wird in dieser Perspektive einem

61
selbstbestimmten und autonomen Leben gerecht. Da es keine übergeordneten Normen und
Werte gibt, stellt die einzige Norm, die für Sartre zulässig wäre, die der Freiheit dar.
„Sobald nicht mehr übergreifende Werteüberzeugungen zur moralischen Integration eines
politischen Gemeinwesens beitragen, besteht dessen höchste „Tugend“ darin, jedes seiner
Mitglieder mit den gleichen Rechten auf diejenigen elementaren Freiheiten und sozialen
Grundgüter auszustatten, die ihm die autonome Erkundung seiner eigenen Lebensziele
ermöglichen. Der Gerechtigkeit im Sinne eines Prinzips gleicher Rechte und Freiheiten
gebühren mithin nicht aus normativen Überlegungen ein Vorrang vor dem gemeinsamen
Guten, sondern nur in Erwägung des geschichtlichen Umstandes, dass zum einzigen Inhalt
eines solchen gemeinsamen Guten heute das Ziel der individuellen Selbstverwirklichung
geworden ist“ (KATZENBACH 2004, S. 139).

5.5 Freiheit, Selbstbestimmung und schwere Behinderung


Betrachtet man Sartres Philosophie, so scheint es auf den ersten Blick, als sei bei Sartre die
Fähigkeit zur bewussten Reflexion zentral für die Freiheit des Subjekts. Die Betonung des
Transzendierens auf einen zukünftigen Seinszustand durch die Distanzierung vom aktu-
ellen Zustand erweckt den Eindruck, die Fähigkeit zur Reflexion sei elementar für die
Freiheit des Menschen. So schreibt Hengelbrock: „Reflektierendes, bewußtes Leben ist das
eigentliche Kennzeichen der menschlichen Wirklichkeit, dies allein unterscheidet den
Menschen von dem, was sonst ist“ (HENGELBROCK 1989, S. 89) Und weiter: „Die
Reflexion, die Nichtung meines unmittelbar bewußten In-der-Welt-Seins hebt mich über
die Ebene der psychischen und sozialen Determinanten hinaus und erlaubt mir eine be-
wußte Einstellung zu mir selbst“ (ebd., S. 95). Wenn dem so ist, dann schließt diese Auf-
fassung von Freiheit Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung aus, da sie
aufgrund ihrer kognitiven Schädigung in der Regel nicht zu einer solchen Form bewusster
Reflexion fähig sind.
Es ist durchaus naheliegend, dass Sartre seine Philosophie mit der Vorstellung eines be-
wussten, zur Reflexion fähigen Subjekts entwickelt hat, trotzdem lässt sie sich auch für
Menschen mit schwerer Behinderung denken. In seiner Selbstbewusstseinstheorie unter-
scheidet Sartre nämlich zwischen einem setzenden und einem nicht-setzenden Bewusst-
sein, „das auf nicht kognitive Weise seiner selbst bewusst ist“ (SCHUMACHER 2014 a, S.
10). In Das sein und das Nichts stellt das nicht-setzende, präreflexive Bewusstsein die
Grundlage für die Seinsform des Für-sich dar (vgl. SARTRE 2017, S. 19-23). Sartre unter-
scheidet zwischen Bewusstsein und Erkenntnis in dem Sinne, dass Bewusstsein nicht nur
bzw. mehr als eine objekthafte Erkenntnis ist (vgl. UKEN 2001, S. 74). Er argumentiert,
dass es vor dem reflexiven Bewusstsein ein präreflexives geben muss, auf das jenes Bezug
62
nehmen kann. Vor jeglicher setzender Erkenntnis muss es also ein Bewusstsein geben, das
das Für-sich ist. Das präreflexive Bewusstsein ist die Bedingung der Möglichkeit jeder
Reflexion. Es setzt sich nicht in Relation zur Erfahrung, sondern es ist die unmittelbare
Erfahrung. So kann ein Mensch voll und ganz in einer Tätigkeit aufgehen, er ist mit seinem
Bewusstsein voll und ganz bei der Sache, sein Bewusstsein ist die Sache, ohne sich ihr in
einem reflexiven Sinn bewusst zu sein (vgl. STRELLER 1952, S. 16ff). Die Existenz
dieses prälogischen Bewusstseins stellt die Voraussetzung für ein Bewusstsein begriff-
licher objektsetzender Erkenntnis dar (vgl. HANA 1965, S. 6-25). So existieren auch
Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, die nicht über ein Selbstbewusstsein im
herkömmlichen Verständnis verfügen, als Seinsformen des Für-sich. „Wir haben davon
auszugehen, daß jeder Mensch die Erfahrung des Selbstseins hat, ohne die er nicht Mensch
wäre. Unser Problem liegt darin, den Vorgang dieser Erfahrung bei einer geistigen Behin-
derung nicht nachvollziehen zu können. Es wäre von vornherein verfehlt, diesen als einen
rein intellektuellen Vorgang zu verstehen“ (vgl. SPECK 1985, S. 163). Die unbedingte
Subjektivität auch von Menschen mit schwerer Behinderung entzieht sich jeder objektiven
Bewertung. „Der Mensch ist Subjekt, ist Selbst und deshalb ist seine prinzipielle Potenz
zur Selbstbestimmung oder Autonomie zu respektieren.“ (Speck 1987 zit. n. FRÜHAUF
1997, S. 299). Der Entwurf des Menschen entsteht für Sartre weniger aus einer bewussten
Willensentscheidung heraus als mehr aus seiner grundlegenden vor jeder Logik selbst-
gewählten Haltung zur Welt (vgl. FLEISCHER 2012, S. 79). Eine vernünftige Recht-
fertigung für das eigene Tun erfolgt meist erst nachträglich: „Denn was wir gewöhnlich
unter wollen verstehen ist eine bewußte Entscheidung, die bei den meisten von uns erst
später gefällt wird, von demjenigen, zu dem sie sich selbst gemacht haben“ (SARTRE
2018, S. 150).
Neben dem präreflexiven Bewusstsein stellt für Sartre die Vernunft generell kein für
Menschsein konstitutives Merkmal dar. Sie ist nur eine Weise, die eigene Freiheit zu reali-
sieren: „Der Wille setzt sich als reflektierten Entschluß in Bezug auf bestimmte Ziele. Aber
diese Ziele erschafft er nicht. Er ist vielmehr eine Seinsart in Bezug auf sie: er ordnet an,
daß die Verfolgung dieser Ziele reflektiert und überlegt sein muß“ (Sartre 1943 zit. n.
STRELLER 1952, S. 73). Neben dem Willen können für Sartre auch Affekte oder andere
Antriebe Modi von Freiheit sein (vgl. SARTRE 2017, S. 782-785). Diese stellen für ihn
ebenso gültige Freiheitsformen dar wie jener. Ihnen allen voran ist das nicht-setzende
Bewusstsein, aus dem heraus die Willensentscheidungen erst zu Bewusstsein kommen
müssen (vgl. FLEISCHER 2012, S. 76). Pieper interpretiert Sartres Vorstellung der ratio-
nalen Willensentscheidung wie folgend: „Was Sartre als Erwägung bezeichnet, ist somit
63
eine nachträgliche Reflexion auf die von der Freiheit bereits gefällte Entscheidung. Sie ist
daher kein vorhergehendes theoretisches Abwägen zwischen verschiedenen Möglichkeiten,
sondern ebenfalls ein Mittel, dessen die praktische Vernunft sich bedient, um sich für sich
selbst ihre Entscheidung transparent zu machen, indem sie dem Willen reflexive Kraft
verleiht und ihn dadurch auf den bereits gesetzten Zweck ausrichtet, ihn also gleichsam
intentionalisiert“ (PIEPER 2014, S. 200f).
Kant hingegen betrachtet die Vernunft als Bedingung für die Möglichkeit von Autonomie:
„Innerhalb der Philosophie bekommt der Terminus ‚Autonomie‘ in der Theorie Kants eine
besondere Bedeutung. Die Autonomie des Willens ist dabei das oberste Prinzip der
Sittlichkeit. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit moralischen Handelns und zugleich die
Bekundung der Freiheit des Menschen als eines Vernunftwesens. […] Der Mensch als
Vernunftwesen kann sich von der die Natur beherrschenden Kausalität lösen und aufgrund
der Autonomie seines Willens selbst bestimmen, was für ihn bezüglich seiner Handlungen
Gesetz sein soll und ist. Der Freiheitsbegriff Kants steht in direktem Zusammenhang mit
dem der Autonomie durch Vernunft“ (WAGNER 2007, S. 24). Im Gegensatz dazu können
für Sartre auch Emotionen Ausdruck der Freiheit eines Menschen sein. Affekte stellen eine
unreflektierte Form freier Wahl dar (vgl. STRELLER 1952, S. 73). Es gibt also sowohl
affektive, als auch rationale Wege, die Ziele in Freiheit zu verwirklichen. Allein das Wahr-
nehmen in einer Situation initiiert bereits Ziele, die die Freiheit sich setzt, ohne dass über
diese in einer reflektierenden Weise nachgedacht werden muss (vgl. MÖBUß 2004, S. 49).
Ochel zufolge kann die oft affektbetonte Handlungsweise von Menschen mit geistiger
Behinderung auch als Kompetenz dieser betrachtet werden: „Selbstbestimmt leben heißt,
im Fühlen und Denken frei zu sein. Fühlen, Denken und Handeln sind menschliche
Möglichkeiten, sich seiner selbst bewußt zu werden. Menschen mit geistiger Behinderung
haben im Zugang zu ihren Emotionen oft besondere Fähigkeiten und drücken diese spon-
tan aus. In unserer Gesellschaft jedoch wird dies nicht als Fähigkeit gewertet, im Gegen-
teil, Sachlichkeit hat einen hohen Stellenwert“ (OCHEL 1997, S. 86). In unserer auf Logik
und Rationalität ausgelegten Gesellschaft entspricht die Emotionalität von Menschen mit
Behinderung nicht unseren Normen, was nicht bedeutet, dass sie nicht ihre Berechtigung
hat. Für Sartre können solche basaleren Empfindungen unter Umständen sogar als
zuverlässigere Quelle für Entscheidungen dienen als wertgeleitete Überlegungen, da
Situationen oft einen zu komplexen und nicht überschaubaren Aktionsraum darstellen (vgl.
SARTRE 2018, S. 157). Eine solche Auffassung von Freiheit, wie sie auch Sartre vertritt,
„kann dazu veranlassen, ein kognitiv verengtes Verständnis von Selbstbestimmung zu
überwinden und damit niemandem die Fähigkeit zur Selbstbestimmung wegen kognitiver
64
Beeinträchtigungen abzusprechen“ (KLAUß 2005, S. 6). Jeder Mensch, der wahrnehmen,
erleben und erfahren kann, hat die Fähigkeit, selbstbestimmt zu handeln (vgl.
SCHALLENKAMMER 2016, S. 34).
Des Weiteren entfaltet sich ein Mensch nach Sartre nicht nur in komplexen, geplanten
Handlungen. Jede Entscheidung für oder gegen eine Handlung, sei sie noch so basal, wird
für ihn auf Grundlage der Freiheit getroffen. Da die Existenz des Menschen an seine
Leiblichkeit gebunden ist, sind auch einfachste körperliche Tätigkeiten bereits Ausdruck
der Freiheit des Menschen. So kann auch das Äußern von Bedürfnissen als ein
selbstbestimmter Akt interpretiert werden. Selbstentfaltung kann auch über die Entfaltung
der Sinne stattfinden (vgl. BIEWER 2000, S. 342). Weingärtner hat in diesem Kontext von
schwerer Behinderung das Konzept der ‚basalen Selbstbestimmung‘ entworfen (vgl.
WEINGÄRTNER 2009, S. 75ff). „Bereits auf dem Niveau der Ausbildung von
Bedürfnissen, der Aneignung von Bewegungen und der Wahrnehmung von inneren und
äußeren Effekten lassen sich elementare Selbstbestimmungsprozesse identifizieren“
(KLAUß 2007, S. 18). Auf basale Weise können auch Menschen mit schwerer
Behinderung selbstbestimmt sein. Wenn sich die PädagogInnen auf die subjektiven
Ausdrucksformen von Kindern und Menschen mit Behinderung einlassen und die
Interaktion davon bestimmen lassen, können in einem leiblich-kommunikativen Dialog
auch Kinder und Menschen mit schwerer Behinderung Selbstwirksamkeit, Sinn und
Kohärenz erleben (vgl. KLAUß 2005, S. 11). Indem sie in die Gestaltung solch
elementarer Situationen einbezogen werden und der/die Pädagoge/in sich von ihnen
bestimmen lässt, wird auf basale Weise Selbstbestimmung möglich (vgl.
WEINGÄRTNER 2000, S. 74). Resignation oder die Verweigerung von
Nahrungsaufnahme o.ä., die bei Menschen mit schwerer Behinderung zu beobachten ist,
kann in Sartres Philosophie als Akt der Nichtung gedeutet werden. Diese Fähigkeit zu
nichten, macht für Sartre die Seinsform des Für-sich aus.

5.6 Die Bedeutung subjektiver Sinnhaftigkeit


In der Sonderpädagogik der letzten Jahre hat sich der Blick, mit dem man auffällige
Verhaltensweisen betrachtet, gewandelt. (Auto-)aggressives oder stereotypes Verhalten
wird nicht mehr als sinnloses Verhalten begriffen, das es zu unterbinden gilt, sondern es
wird in jedem Verhalten grundsätzlich eine subjektive Sinnhaftigkeit gesehen, sei sie für
Außenstehende noch so schwer nachvollziehbar (vgl. WAGNER 2000, S. 145-148). So
können (für Beobachter) auffällige Verhaltensweisen als Reaktion auf extrem freiheits-

65
entziehende Maßnahmen interpretiert werden. „Die weit verbreiteten Verhaltens-
auffälligkeiten von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung können so als quasi-
sinnvolle Selbstbestimmung gedeutet werden bzw. als die Folge von Fremdbestimmung
und Identitätszerstörung“ (WEINGÄRTNER 2000, S. 75). Sie werden als Ausdruck eines
Mangels an Selbstbestimmungsmöglichkeiten verstanden. Freiheitsräume von Menschen
mit Behinderung können so sehr eingeschränkt sein, dass ihnen stereotype Bewegungen als
einzig verbleibende Nische für selbstbestimmte Handlungen bleiben. Resignation in Form
apathischer Zustände oder Rebellion durch aggressives Verhalten sind Antworten auf
zutiefst unterdrückende Lebensbedingungen: „[D]ie Öffnung eines Kindes für neue Erfah-
rungen oder das autistische Verschließen vor der umgebenden Wirklichkeit kann als
willentlicher Akt in der Auseinandersetzung mit der belebten und unbelebten Welt aufge-
faßt werden“ (FRÖHLICH 1996, S. 137). Angesichts dieser relativ jungen Auffassung von
auffälligem Verhalten als subjektiv sinnhaft in der Sonderpädagogik überrascht es, dass
sich diese Sichtweise bereits in Sartres Philosophie wiederfinden lässt. Andererseits sind
die Bedeutung von Subjektivität und Sinn zentrale Elemente in seiner Philosophie. So
deutet Sartre in seinem späteren Werk Der Idiot der Familie den Ausbruch einer Neurose
bei seinem Protagonisten Flaubert als eine kreative Verhaltensweise, auf seine bedrücken-
den Lebensumstände zu reagieren (vgl. SCHULTEN 1989, S. 61). So versteht er Flauberts
Krankheit als „eine intentionale Anpassung der ganzen Person an seine ganze Vergangen-
heit, an seine ganze Gegenwart und an die sichtbaren Gestalten seiner Zukunft“ (Sartre
1977, zit. n. BAHRS 2015, S. 262). Den Ausbruch der Krankheit Flauberts interpretiert
Sartre als eine Antwort angesichts widriger Lebensumstände. Sie ist nicht das Problem,
sondern die subjektive Lösung eines dahinterliegenden Problems.
Auch bei Menschen mit schwerer Behinderung muss angesichts der Freiheit und Subjek-
tivität, die das Für-sich umfasst, Sinn angenommen werden. Das Abstreiten von Sinnhaf-
tigkeit stellt für Langner eine grundlegende Behinderung menschlicher Existenz dar: „Das
Behindertwerden wird in erster Linie durch die Aberkennung sinnvollen Handelns vermit-
telt“ (LANGNER 2009, S. 251). Das Absprechen von Sinn kommt einem Aberkennen als
Menschen gleich.
Sartres Philosophie führt nochmals die Bedeutsamkeit von Subjektivität für menschliche
Existenz vor Augen. Jedes Verhalten muss angesichts der Subjektivität des menschlichen
Bewusstseins als sinnvoll gedacht werden: „Selbst das rudimentärste Verhalten muss sich
zugleich mit Bezug auf reale, vorliegende Faktoren, die es bedingen, und mit Bezug auf
ein bestimmtes zukünftiges Objekt, das es entstehen zu lassen sucht, bestimmen“ (Sartre
1964, zit. n. BAHRS 2015, S. 248). Auch (für Beobachter) auffällige Verhaltensweisen
66
von Menschen mit schwerer Behinderung stellen einen Versuch dar, ihre fremdbestimmte
Situation nach ihren Möglichkeiten zu überschreiten. „Was ich für mich bin, entscheide ich
allein, und damit bin ich immer schon ‚Transzendenz‘, Entwurf meiner selbst im Hinaus-
gehen über das Gegebene, zu dem ich mich so oder so verhalten kann“ (PIEPER 2014, S.
203). Verhalten muss immer in Bezug zum Subjekt und dessen Situation verstanden
werden, denn „jede Wahrheit und jede Handlung [impliziert] ein menschliches Milieu und
eine menschliche Subjektivität“ (SARTRE 2018, S.146). Jedes Verhalten, so eigen-sinnig
es auch sein mag, hat einen eigenen Sinn in Bezug auf das Subjekt, das es äußert. „Diese
Betrachtungsweise fordert dazu auf, das schwerstbehinderte Kind in seiner Ganzheit, aber
auch in seiner Fremdheit und Unbestimmbarkeit anzunehmen und seine Lebens-
äußerungen, so unverständlich sie auch erscheinen mögen, als subjektive Sinnstiftung zu
erkennen und anzuerkennen“ (BIEWER 2000, S. 337). Da Sinn stets etwas Subjektives ist,
das einer Person nicht von außen übergestülpt werden kann, stellt der Mensch mit Behin-
derung in Fragen des eigenen Lebens einen Experten in eigener Sache dar, da nur er über
einen für ihn subjektiv sinnvollen Lebensentwurf entscheiden kann (vgl. SCHUPPENER
2011, S. 209).
So sehr, wie für jedes Subjekt die Sinnhaftigkeit seines Tuns in Bezug zu seinem Entwurf
angenommen werden muss, so wenig kann es für Sartre einen übergreifenden, objektiven
Lebenssinn geben. Da es keinen Schöpfergott gibt, der bei der Erschaffung des Menschen
dessen Zweck mitgedacht hat, ist der Mensch kontingent, zufällig in die Welt geworfen.
Deshalb muss er selbst seinen Sinn im Vollzug seines Lebens finden. Dieser Gedanke steht
in direktem Gegensatz zu dem Standpunkt Specks, der die Religion als wichtigen Halt-
geber für Menschen sieht, wenn sie mit Leid konfrontiert werden, wie es unter Umständen
bei einer Behinderung gegeben ist:
„Was dem Menschen in der religiösen Dimension begegnet, geht in ‚unbedingt‘ an. Er hat es
mit einem Absoluten zu tun, in welchem er direkten Halt finden kann, z.B. wenn ihn die
Kontingenz, die Zufälligkeit oder ereignisabhängige Befindlichkeit seiner Existenz,
beunruhigt. Ohne diesen absoluten Halt drohen ihm trostlose Sinnlosigkeit und Verlassenheit.
Ohne absoluten Sinn wäre für ihn alles bedingt, alles relativ und aller Sinn ein von Menschen
gemachter, also ein total gesellschaftlich abhängiger. […] Wenn gerade das Geschehen einer
geistigen Behinderung die Sinnfrage in besonderer Weise herausfordert, so kann die Frage der
Erziehung nicht hinreichend ohne Religionsbezug beantwortet werden.“ (SPECK 1999, S.
192f)

Es macht fast den Eindruck, als kritisiere Speck hier explizit die Auffassung Sartres. Für
diesen ist der Mensch nämlich genau das, was Speck als untragbare Bürde einschätzt:
verlassen und objektiv sinnlos. Dem Bedürfnis nach etwas Absolutem, das dem Menschen
67
überdauernden Halt und Orientierung bieten kann, gibt Sartre eine klare Absage. Der
Mensch ist dazu aufgefordert, die Angst angesichts der Verlassenheit auszuhalten sowie
den Sinn des Lebens selbst zu entwerfen. Diese Aufgabe kann für den Menschen mit einer
Behinderung, wie Speck richtig feststellt, besonders herausfordernd sein. Angesichts einer
Behinderung, die der Mensch nicht selbst gewählt hat, kann sich die Sinnfrage in
besonderem Maße stellen. Doch „auch wenn das Für-sich die Situation, in die es geworfen
ist – also den Körper, den Ort und die Zeit, kurz, seine Beschaffenheit als Mensch -, nicht
selbst gewählt hat, ist es dennoch verantwortlich für den Sinn, den es den Tatsachen und
seinem Tun gibt. Im Rahmen einer bestimmten Situation und einer menschlichen
Beschaffenheit obliegt es dem Für-sich, dem, was es konstituiert, einen Sinn zu verleihen“
(SCHUMACHER 2014 a, S. 15). Auch für Menschen, die in ihrem Leben mit weniger
widrigen Umständen zu rechnen haben, kann diese Aufgabe bereits überwältigend sein.
Für Sartre schützen sie sich dann durch ihre Unaufrichtigkeit vor der Verzweiflung.
Zweifellos kann der Glaube auf den Menschen sinnstiftendende und vertrauensbildende
Wirkung haben und es stellt sich die Frage, wie viel existenzielle Angst für einen
Menschen (er)tragbar ist. Die Besorgnis Specks, ohne Religion sei der Mensch mit Behin-
derung der Sinnlosigkeit seines Daseins hilflos ausgeliefert, ist nachvollziehbar. Wenn er
aber schreibt, dass der Sinn und die Werte ohne eine absolute Bezugsgröße nur menschen-
gemacht sind, so vergisst er, dass auch die Religion in ihrer Auslegung einem gesellschaft-
lichem Wandel unterworfen ist. Angesichts der unbedingten Subjektivität stellt sich die
Frage, wie von außen herangetragener Sinn und Wert mit Absolutheitsanspruch, wie es bei
der Religion der Fall ist, jedem Subjekt gerecht werden kann. Wüllenweber merkt außer-
dem an, dass sich aus den auf Dauer ausgelegten Wertorientierungen der Kirche und der
stetigen Weiterentwicklung von sonderpädagogischer Professionalität komplizierte Span-
nungen ergeben können (vgl. WÜLLENWEBER 2011, S. 158).
Auch sollte Speck nicht die Fähigkeit des Menschen verkennen, aus sich selbst heraus Sinn
zu erschaffen. Diese Fähigkeit zur Sinnstiftung muss auch Menschen mit Behinderung
zugestanden werden (LANGNER 2009, S. 251). Statt sie vor einen vollendeten und unan-
tastbaren Sinn ihres Daseins zu stellen, könnte mit ihnen auch gemeinsam ein individueller
Sinn erarbeitet werden, z.B. durch Identitätsarbeit. Sie sollten zumindest im Sinne eines
nichtreduzierten Bildungsverständnisses die Gelegenheit bekommen, sich sowohl mit
religiösen als auch alternativen Antworten auf Fragen des Lebens auseinanderzusetzen, um
zu entscheiden, mit welchen Antworten sie sich identifizieren können und welche sie in
ihren Lebensentwurf integrieren wollen. Es stellt sich die Frage, inwieweit dies in den oft
kirchlich geprägten sonderpädagogischen Einrichtungen so gehandhabt wird.
68
5.7 Identität und Selbstbestimmung
Wie bereits erläutert, hat der Mensch in der existenzialistischen Philosophie keine Essenz,
kein Wesen inne. Deshalb hat er die Freiheit wie auch die Notwendigkeit, sich im Vollzug
seines Lebens selbst eine Essenz anzueignen. Indem er sich selbst entwirft und über-
schreitet, eignet er sich Identität an. Die Freiheit des Menschen hängt somit unmittelbar
mit dessen Notwendigkeit zusammen, seine Identität zu entwerfen. Der Inhalt mensch-
licher Existenz ist es, sich ständig auf die Zukunft hin entwerfen und zu verwirklichen.
Leben bedeutet Identitätsarbeit (vgl. SCHUMACHER 2014 a, S. 13). Jede Handlung, die
der Mensch in seinem Leben vollzieht, kann damit als identitätsstiftender Akt interpretiert
werden.
Diese Perspektive macht deutlich, welche Bedeutung Selbstbestimmung für die Identität
eines Menschen hat. Auch für Lindmeier bedeutet Selbstbestimmung die „Arbeit an sich
selbst“ (LINDMEIER 1999, S. 219f). Selbstbestimmung beeinflusst maßgeblich die
Möglichkeiten, die ein Mensch zur Konstruktion seiner Identität behält.
Die Essenz wird über die Auseinandersetzung mit der Faktizität geschaffen, indem der
Mensch versucht, diese zu transzendieren. So hat die faktische Situation zwar keine deter-
minierende Wirkung auf die Identität, da der Mensch innerhalb dieser frei wählen kann. Da
sie jedoch Grundlage für den Entwurf des Menschen ist, kann sie entscheidenden Einfluss
auf jene haben. „Das handelnde Wesen verinnerlicht seine Daseinsbedingungen, seine
Geschichte, seine Erfahrungen und seine biologischen Grenzen und es entäussert sie frei in
Form von Entwürfen, die diesen Bestimmungen Sinn verleihen“ (SCHUMACHER 2014 a,
S. 17). Der individuelle Lebensstil bildet sich im Verhältnis zu „historischen, gesellschaft-
lichen und naturgegebenen, physiologischen Bedingungen“ (STINKES 2000 a, S. 32)
heraus. Die Identität wird entsprechend den Möglichkeiten, die einem Individuum in
seinem Leben gegeben sind, aufgebaut. „Der Lebenslauf erweist sich somit als ein
Bildungsprozess, in dem das Individuum durch fortlaufende subjektive Verarbeitung dieser
Gegebenheiten sein Selbstverständnis als Verständnis seiner Möglichkeiten konzipiert und
seine Selbstverwirklichung als Verwirklichung jeweils einer dieser Möglichkeiten voll-
zieht“ (Kobi 1999, zit. n. JELTSCH 2008, S. 63).
Hier eröffnet der existenzialistische Ansatz eine neue Perspektive auf das Thema Selbstbe-
stimmung als dem Bestimmen über seine eigene Identität. Einzelne Autoren haben zwar
bereits die Bedeutung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung für eine
kohärent erlebte Identität erkannt (vgl. JELTSCH 2008/ LANGNER 2009/ SCHUPPENER
2007), insgesamt findet die Debatte um Selbstbestimmung jedoch vornehmlich in Bezug

69
auf die Handlungsfreiheit von Individuen statt. Angesichts der Umstände, in denen
Menschen mit geistiger Behinderung oft leben, sind hier die Möglichkeiten, vielfältige
Entscheidungen zu treffen, deutlich beschränkter als bei anderen Menschen. Da das
(Aus-)Wählen zwischen Möglichkeiten Einfluss auf die Identitätsfindung hat (vgl.
SEEWALD 2000, S. 307), kann dies als Behinderung der Entwicklung einer eigenen
Identität betrachtet werden. Freiheit zeigt sich aber nicht nur im selbstbestimmten
Gestalten von Lebensräumen, sondern maßgeblich auch durch individuelle Sinnstiftung.
Nicht nur jene können durch persönliche Assistenz oder Selbstständigkeitsförderung
eingerichtet und erweitert werden, sondern auch das Erleben von Sinn und Kohärenz kann
gefördert werden. Dieses Kohärenzgefühl ist gefährdet, wenn Menschen in ihrem Leben zu
sehr fremdbestimmt werden. Sie können dann keine Selbstwirksamkeitserfahrungen
machen und den Sinn ihrer Handlungen nicht erleben: „Für den Aufbau eines kohärenten
und kontinuierlichen Selbst ist ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung
unabdingbar“ (JELTSCH 2008, S. 230). Die Entwicklung eines intakten Identitätserlebens
kann nur dann gelingen, wenn Individuen über ein Mindestmaß an Selbstbestimmung
verfügen.
Wesentlich sind auch die subjektive Aufarbeitung von Erlebnissen, das Erarbeiten von
Sinnbezügen innerhalb der Biographie sowie das Ausbalancieren von Ambivalenzen und
Ambiguitäten. Andererseits drohen existenzielle Identitätskrisen, wenn das subjektive
Sinngefühl verloren geht (vgl. ebd., S. 31). Durch Identitätsarbeit kann das Identitäts-
erleben gefördert werden (vgl. SCHUPPENER 2011, S. 216ff). Nach Langner ist das Für-
sich zentrales Element der Arbeit an der Identität: „[D]as Für-sich-Sein, das mit dem
persönlichen Sinn als die ‚Engagiertheit des menschlichen Bewusstseins‘ möglich wird, ist
charakteristisch für die Arbeit an der eigenen Identität“ (LANGNER 2009, S. 54).
Dies hängt vornehmlich von der Person mit Behinderung selbst ab, sie kann aber durch
entsprechende Angebote in ihrer Identitätsarbeit unterstützt werden. In einem existenzia-
listischen Sinn bedeutete dies, gemeinsam mit dem Menschen mit Behinderung seinen
bisherigen Lebensentwurf nachzuvollziehen und in ihm den subjektiven Sinn, der sich
immer in Bezug zum individuellen Entwurf setzt (vgl. PIEPER 2014, S. 206), verstehbar
zu machen. Schließlich kann der bisherige Entwurf auf seine Aktualität hin erforscht
werden und eventuell mit dem Menschen mit Behinderung ein neuer Zukunftsentwurf
erarbeitet werden. Ziel der pädagogischen Identitätsarbeit ist die „Entwicklung und Wah-
rung eines befriedigenden individuellen Persönlichkeitsentwurfes“ (REUTHER-
DOMMER 1994, S. 309). So wie der Entwurf eines Menschen immer wieder aktuali-
sierbar ist, ist die Identitätsentwicklung ein lebenslanger, nicht abschließbarer Prozess (vgl.
70
SCHUPPENER 2011, S. 211). Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Identität nichts
ist, was an Menschen fremdbestimmt, wenn auch wohlwollend, herangetragen werden
kann, sondern wesentlich eine Aufgabe ist, die das Individuum sich selbst in Auseinander-
setzung mit der Um- und Mitwelt aneignen muss. „Denn Lebensstile sind im Sinne von
Selbst- und Lebensentwürfen unterschiedlich und bezeugen in ihrer Unterschiedlichkeit
das Recht auf Einzigkeit“ (STINKES 2000 a, S. 32).
So wie die Behinderung ergibt sich auch die Identität eines Menschen aus der Interaktion
des Individuums mit seiner Umwelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Behin-
derung eines Menschen ihn vor besondere Herausforderungen bezüglich seiner Identitäts-
arbeit stellt. Die Behinderung stellt ein Faktum dar, das für den Menschen nicht frei wähl-
bar ist: „[K]ann ich wählen, groß zu sein, wenn ich klein bin, zwei Arme zu haben, wenn
ich einarmig bin usw.? Diese Vorhaltungen erstrecken sich […] auf die ‚Grenzen‘, die von
meiner faktischen Situation meinem freien Michselbstwählen gesetzt werden“ (Sartre
1962, zit. n. FLEISCHER 2012, S. 82). Der Mensch mit Behinderung kommt nicht umhin,
dies auf seine Weise in seine Identität zu integrieren. „Die Behinderung eines Menschen
bedeutet nichts weniger als einen nicht wegzudenkenden Bestandteil seiner individuellen
Existenz. Unabschüttelbar gehört sie zu seiner persönlichen Identität“ (Fredi Saal 1995, zit.
n. OSBAHR 2003 S. 17). Die Art und Weise, wie der Mensch sich auch aufgrund seiner
Behinderung versteht und welche Bedeutung er ihr in Bezug auf seine Essenz zuspricht,
kann jedoch von dem Menschen selbst frei gewählt werden (vgl. JELTSCH 2008, S. 78).
Die Freiheit des Menschen bedeutet für Sartre nicht, dass es ihm freistünde, eine Behinde-
rung abzulegen, wenn er das will, sondern, dass er die Freiheit hat, diese Faktizität der
Behinderung zu transzendieren.
„So gibt es z.B. durchaus eine angeborene gesundheitlich schwache Konstitution (EH 24;60).
Daß der Mensch Freiheit ist, besagt nicht, daß er diese seine Konstitution willentlich aufheben
könnte bzw. daß sie nicht existiert, wenn er sie nicht will. Aber die Freiheit beinhaltet eine
Möglichkeit: sie bedeutet eine Nichtung dieser Schwäche, - nicht in dem Sinne, daß diese für
ihn nicht mehr existiert, sondern so, daß dieses Schwach-Sein das Nichts aus sich selbst heraus
vorbringt, und dieses Nichts dann die Möglichkeit der Distanz zu sich selber schafft. Es macht
sich die Schwäche bewußt und erzeugt eine bewußte Einstellung zu ihr. Folglich kann ich diese
Schwäche, wenn ich will, akzeptieren, bejahen, sie zum Prinzip und zu Rechtfertigung meiner
Lebenseinstellung machen. Dann und nur dann bin ich wirklich ein Schwächling, trage aber
dafür die volle Verantwortung, denn ich habe diese Schwäche gewählt und sie mir so zu eigen
gemacht (ebd.). Die Nichtung dieser Schwäche erlaubt es mir aber auch, sie als
Herausforderung anzunehmen und eine Einstellung zu wählen, die auf ihre Überwindung
ausgerichtet ist (die Tapferkeit z.B.). […] Damit ist die Schwäche als an sich seiende nicht
aufgehoben; die Freiheit als Nichtung dieses an sich Seienden (der Schwäche) wird sich stets
71
mit ihr auseinanderzusetzen haben, weil sie der Boden ist, auf dem ihre Nichtung (die
Tapferkeit) entspringt.“ (HENGELBROCK 1989, S. 74)

Wenn auch die Erarbeitung der eigenen Identität existenziell von dem Subjekt selbst vor-
zunehmen ist, kann die Pädagogik den Menschen mit Behinderung darin unterstützen,
indem sie ihm Zugänge zu seinem Identitätserleben ermöglicht. „Speziell im Hinblick auf
den Personenkreis von Menschen mit geistiger Behinderung ist zu vermuten, dass der
Anteil unbewusster oder teilbewusster Identitätsstrukturen eine elementare Größe darstellt“
(SCHUPPENER 2007, S. 167). Diese gilt es, für den Menschen verstehbar zu machen und
ihm so dazu zu verhelfen, über seine Identität zu bestimmen. Indem sich das Individuum
mit Behinderungserfahrungen wie Stigmatisierung auseinandersetzt und sie aufarbeitet,
kann es sich die Definitionsmacht über sich selbst zurückholen und Kontrolle über seine
Identität erleben (vgl. SCHUPPENER 2011, S. 218). PädagogInnen und TherapeutInnen
können diesen Prozess begleiten und Selbstgestaltungskräfte aktivieren (vgl. WILKEN
1997, S. 46).
Durch die Methode der ‚Biographiearbeit‘ kann bei dem Individuum im Nachhinein „die
Erfahrung der Bedeutsamkeit der eigenen Lebensgeschichte für das eigene Leben, das
Erlernen von Erinnerungsfähigkeit als aktiven Prozess der Aneignung lebens-
geschichtlicher Erfahrungen, die Arbeit an und mit der eigenen Lebensgeschichte als Sinn-
konstruktion lebensgeschichtlicher Zusammenhänge“ (LINDMEIER 2007 b, S. 55) ange-
regt werden. Der Menschen hat die Fähigkeit, seinem Leben – auch nachträglich -
subjektiv und individuell Bedeutung zu geben und Sinn zu verleihen (vgl. KAMPITS
2014, S. 214f). „Solange das Für-sich lebt, ist es in der Lage, die Bedeutung seines freien
Tuns in der Vergangenheit zu ändern und seinem vergangenen Tun immer wieder neu Sinn
zu verleihen“ (SCHUMACHER 2014 a, S. 13). Ergänzend zur Biographiearbeit, die mehr
auf die Vergangenheit gerichtet ist, kann die Methode der ‚persönlichen Zukunftsplanung‘
Gelegenheit geben, sein zukünftiges Leben imaginativ zu entwerfen und sich klar zu
werden, welche Dinge im Leben persönlich bedeutsam sind. Persönliche Zukunftsplanung
fragt „nach dem Lebensentwurf, nach dem Lebensziel und der zur Realisierung erforder-
lichen Unterstützung“ (NIEHOFF 2016 b, S. 185).
Bei Menschen mit schwerer Behinderung, denen Zugang zu Identität auf kognitiver Ebene
nur schwer möglich ist, kann Identitätsarbeit über den Körper stattfinden. Da auch für
Sartre menschliches Sein die eigene Leiblichkeit einschließt, kann über Wahrnehmen des
eigenen Körpers Selbstwahrnehmung bewirkt werden. Über Körperarbeit kann also auch
bei Menschen mit schwerer Behinderung Identitätserleben gefördert werden (vgl. Langer
2009, S. 61).
72
5.8 Selbstbestimmung und Pädagogik
Das Kind wird laut Sartre in eine faktische Situation hineingeboren und scheint dieser
zunächst ausgeliefert zu sein. In eine kontingente Welt hineingeworfen, wirkt der Mensch
zu Beginn seines Lebens mehr determiniert als frei. Die familiären und gesellschaftlichen
Umstände wirken auf ihn ein. Er kann sie nicht bestimmen, sondern wird durch sie be-
stimmt: „Anstatt ‚sich zu machen‘, scheint der Mensch, gemacht zu werden‘ “ (SARTRE
2017, S. 833). Jedoch sei Menschen die Fähigkeit zur Überschreitung der Faktizität wesen-
haft. Bereits Kinder setzen sich autonom mit ihrer Situation auseinander und entwerfen
sich. Die soziale und dingliche Umgebung stellt zwar die Grundlage für den Entwurf und
hat damit durchaus Einfluss auf das Kind. Das Kind kann diese allerdings nichtend über-
winden und frei bestimmen, wie es diese transzendiert. „Der Einfluss der Familie führt zu
einer Prägung, die vom Kind verinnerlicht wird, zugleich aber wird diese Verinnerlichung
oder Interiorisierung wieder veräußerlicht und damit überschritten“ (KAMPITS 2004, S.
134). Diesen Prozess, die faktisch auferlegten Bedingungen und Einflüsse aufzunehmen
und originell zu überformen, sie zu transzendieren und mit einem individuellen Entwurf zu
erwidern, bezeichnet Sartre als ‚Personalisation‘ (vgl. ebd., S. 133). „In jedem Fall ist die
Personalisation beim Individuum nichts anderes als die Überschreitung und Aufbewahrung
(Übernahme und innere Negation) dessen, was die Welt aus ihm gemacht hat – und immer
noch macht – innerhalb eines totalisierenden Entwurfes“ (Sartre 1980 zit. n. KAMPITS
2004, S. 134). Durch diese Reaktion auf die Konstitution entwickelt sich der Mensch zu
einer Person.
Dass dies bereits in frühen Jahren im Menschen angelegt ist, wird in der sogenannten
Trotzphase besonders deutlich. Über die Abgrenzung des eigenen Willens vom wider-
stehenden Willen anderer konstruiert das Kind sein Selbst, seine Identität (vgl. SEEWALD
2000, S. 295ff). Dieser Trotz des Kindes kann als erste ‚Nichtung‘ des Gegebenen, des
Vorgeschriebenen gedeutet werden. Erziehung zur Selbstbestimmung bedeutet damit nicht,
dass jede Willensregung des Kindes zugelassen werden muss und die entdeckte Willens-
freiheit keine Einschränkung erfahren darf. Im Gegenteil: Das Kind braucht Widerstände,
damit es sich widersetzen kann (vgl. ebd., S. 301). Nur wenn Begrenzungen vorhanden
sind, können diese vom Kind genichtet und überschritten werden.
Da der Mensch ein sich selbst transzendierendes Wesen ist, das immer danach strebt, sein
Sein zu überschreiten und sich so ständig zu aktualisieren, kann diese Transzendenz als
‚Motor der Entwicklung‘ gedeutet werden. Jeder Mensch, jedes Kind hat einen natürlichen
freiheitlichen Drang nach Entwicklung, die zu allererst durch das Subjekt selbst initiiert

73
wird. Entwicklung ist undeterminiert und unkalkulierbar (vgl. HERMANN 2000, S. 337).
Der Mensch ist bei Sartre kein Produkt der Umwelt, sondern ein Subjekt, das sich mit
dieser aktiv auseinandersetzt und sich selbst produziert (vgl. PIEPER 2014, S. 206f). Da
die Umwelt nie auf das Individuum in einem deterministischen Sinn einwirken kann, muss
in der Erziehung von Kindern von einer prinzipiellen Unmöglichkeit direkter Einfluss-
nahme ausgegangen werden. Kinder können nicht zweckmäßig und zielgerichtet zu einer
bestimmten Person hin erzogen werden. „Sein Selbst muß zustimmen oder es lehnt ab.
Selbst bei größtem Druck von außen ist dieses Selbst noch in Funktion: Es gibt nach oder
es sträubt oder widersetzt sich, u.U. mit größter Aggressivität“ (SPECK 1997, S. 17). Die
Umwelt wirkt zwar auf das Kind ein, jedoch bestimmt dieses die Art und Weise, wie sie
auf es einwirkt (vgl. PIEPER 2014, S. 200). Diese bietet die Möglichkeit, sich von einer
Sichtweise, die das Kind als Objekt sonderpädagogischer Interventionen wahrnimmt,
abzukehren und es stattdessen als Subjekt seiner eigenen Entwicklung zu begreifen.
Diese Auffassung von Entwicklung deckt sich mit der Feusers. Auch er geht, wie Sartre,
davon aus, dass jeder Mensch, ungeachtet seiner individuellen Voraussetzungen und
sozialen Bedingungen, viele Entwicklungsmöglichkeiten innehat, die nicht kalkulierbar
sind. „So kann Feuser sagen, dass das Werden jedes Menschen dessen Sein dominiert“
(OSBAHR 2003, S. 116). Feuser kritisiert, dass mit der Klassifikation ‚geistig behindert‘
ganz bestimmte Erwartungen einhergehen, wie eine solche Person ist, sein kann oder
werden wird. Dies bedeutet eine Reduktion auf das Gegenwärtige und Verkennung des
Möglichen: „Mithin ist wiederum primär die Veränderungsmöglichkeit, was aus einem
Menschen seiner Möglichkeit nach werden kann (was in keiner Weise exakt bestimmbar
und sicher vorhersagbar wäre) und demgegenüber seine momentane Situation sekundär“
(FEUSER 1996, S. 7). Wir erkennen den Menschen mit Behinderung nur in seiner gegen-
wärtigen Verfasstheit und verkennen dabei seine Möglichkeiten zukünftiger Entfaltung.
Dieses vielfältige Entwicklungspotenzial, das jedem Individuum eigen ist, wird Menschen
durch die Etikettierung ‚geistig behindert‘ abgesprochen. Ihnen wird im Sinne Sartres
durch die Anderen ein An-sich festgeschrieben, das sie in ihrer Subjektivität und ihrem
Werden missachtet (vgl. HONNETH 2014, S. 14). Auch bei Sartre ist der Mensch nicht als
ein Sein, sondern vielmehr in Bezug auf seine mögliche Zukunft zu betrachten. Aufgrund
der Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz gibt es „überhaupt kein aktuell Existieren-
des [, das] genau das bestimmen kann, was ich sein werde“ (Sartre 1991 zit. n.
SCHUMACHER 2014 a, S. 10). Das Subjekt ist grundsätzlich als ein Werdendes zu ver-
stehen. Bei keinem Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, lässt sich dieses Werden
genau bestimmen. Sartre meint, dass, „wer auch immer der in Erscheinung tretende
74
Mensch sei, [es] eine Zukunft zu gestalten gibt, eine jungfräuliche Zukunft, die auf ihn
wartet“ (SARTRE 2018, S. 155).
In Zusammenhang mit der Unhintergehbarkeit menschlicher Subjektivität kritisiert Wagner
die Aussage: „Der Pädagoge soll den Menschen so annehmen wie er ist“ (vgl. WAGNER
2000, S. 142). Aufgrund der unbedingten Subjektivität eines jeden Menschen haben wir
gar keinen Zugang zu einer objektiven Betrachtung des Anderen, zumal dieser Andere
selbst nicht An-sich, sondern Subjektivität ist. Ich erkenne den anderen immer nur im
Spiegel meiner eigenen Subjektivität. Es kann für PädagogInnen hilfreich sein, sich dessen
bewusst zu sein. So können sie versuchen, mit einer neugierigen Offenheit auf das Kind
zuzugehen und den Willen haben, sich überraschen zu lassen. Anstatt das Kind als ein So-
sein festzuschreiben, sollten sie das Kind als ein Werdendes begreifen und bereit sein, sich
pertubieren zu lassen, sodass ihr Bild vom Kind wandelbar bleibt und es sich ungehindert
entfalten kann. Ein Bewusstsein dessen hat zur
„Konsequenz, dass keine meiner Wahrnehmungen und Überzeugungen den Anspruch der
objektiven Wahrheit und Richtigkeit erheben kann, sondern jede grundsätzlich in Frage gestellt
werden kann, ja sogar muss. Pädagogische Kompetenz kommt also nicht darin zum Ausdruck,
dass man die Möglichkeit für sich in Anspruch nimmt, den anderen so wahrzunehmen, so zu
erkennen und so zu verstehen, wie er ist, sondern im Gegenteil, wird darin deutlich, dass man
sich diesbezüglich der grundsätzlichen und prinzipiellen subjektiven Konstruktivität und damit
auch der möglichen Fehlbarkeit von Wahrnehmungen und Erkenntnis bewusst ist und somit
die eigenen Wahrnehmungen und Erkenntnisse immer wieder einer selbstkritischen Reflexion
und Beurteilung unterzieht.“ (WAGNER 2000, S. 143).

Lindmeier versucht in seinen Überlegungen zur Erziehung und Bildung, das Dilemma
zwischen dem pädagogischen Ziel der Selbstbestimmung und den (meist)
fremdbestimmenden Mitteln dazu aufzulösen, indem er erklärt: „Bildung dient also nicht
der „Selbstbestätigung; es muss vielmehr ein Anreiz in der Bildung und Weiterbildung
stecken, der mich über den Stand meiner Bildung als Ausdruck meiner Daseins-
interpretation hinaushebt und zu Selbstgewinn und Selbstüberschreitung führt“
(LINDMEIER 1999, S. 216). Der/Die Pädagoge/in müsse durch „überholendes Vorlaufen“
(ebd., S. 216) das Vermögen des Kindes antizipieren, und Freiheit müsse provoziert
werden, um ihre Entfaltung anzuregen. Das führe beim Kind dann zu einer Selbstüber-
steigerung (vgl. ebd., S. 216ff). Bei Sartre jedoch ist diese Selbsttransgression dem Kind
bereits immanent. Es hat den natürlichen Willen und die Fähigkeit zur Transzendenz. Sie
muss nicht provoziert werden, da das Streben nach Freiheit dem Menschen bereits zueigen
ist. Hierzu auch Hoffmann: „Es gibt keinen Menschen ohne […] Willen: Jede Tätigkeit
setzt ein mehr oder weniger bewusstes Motiv voraus, das sie antreibt und ihren inneren
75
Beweggrund bildet. Die Eigenmotivation des Kindes ist daher nicht wirklich ein pädago-
gisches Problem: Sie muss nicht geweckt oder angeregt werden, sondern ist als gegeben
vorauszusetzen. Die eigentliche pädagogische Aufgabe besteht darin, das Denken und
Wollen des Kindes zu erkennen, es zu erweitern und zu kultivieren und mit den Bildungs-
und Erziehungszielen der Erwachsenenwelt in Einklang zu bringen“ (HOFFMANN 2013,
S. 21).
Was bleibt angesichts der absoluten Indeterminiertheit des Menschen dem/der
Pädagogen/in noch zu tun? Er/Sie kann lediglich einen günstigen Nährboden für die Ent-
faltung des freien Willens des Kindes bereiten. Er/Sie kann lediglich Situationen schaffen,
mit denen das Kind sich transzendierend auseinandersetzt und innerhalb derer es seine
Freiheit verwirklichen kann, eine Faktizität gestalten, die sinnstiftend genichtet werden
kann, und durch die die (bereits unzähligen) Möglichkeiten und so die Entwicklu-
ngspotenziale gefördert werden: „Letztlich steht die Freiheit des Anderen unvermittelt
neben meiner Freiheit, ich erreiche sie nicht, ich vermag der Freiheit des Anderen
allenfalls Situationen zu erstellen, ich kann sie weder lenken noch erreichen, weder
vermindern noch steigern“ (KAMPITS 2014, S: 223). So kann es in einem existenzia-
listischen Sinne in der Sonderpädagogik nur darum gehen, Situationen zu schaffen, die es
dem Menschen mit Behinderung ermöglichen, seine Freiheit zu (er)leben. Diese
Möglichkeiten bilden den „Stoff meines Seins“ (Sartre 1962 zit. n. HENGELBROCK
1989, S. 119), sie sind sozusagen der Stoff, mit dem der Mensch seine Freiheit realisieren
kann. Die Situation ist bei Sartre das zentrale Moment, innerhalb welchem sich Leben und
auch Freiheit artikuliert. Der Mensch wählt und handelt immer innerhalb konkreter
Situationen, die er transzendiert. Demnach lassen sich auch pädagogische Kontexte als
Situationen begreifen: „Erziehungsprozesse zeigen sich damit in einer spezifischen Weise
kontingent, indem das Spektrum der Möglichkeiten durch Gesellschaft und Kultur gegeben
ist, die einzelnen Situationen, in denen Entscheidungen getroffen werden und damit
Verengungen vorgenommen werden, mit der Biographie des einzelnen verbunden sind.
Die Situation wird so zur Nahtstelle zwischen Individuum und Gesellschaft“ (JELTSCH
2008, S. 62).
Die Aufgabe der Pädagogik ist es dann, situative Angebote zu gestalten, in denen das Kind
sich selbstbestimmt und selbstverantwortlich mit der Welt subjektiv auseinandersetzen
kann und die subjektiv sinnvolles Handeln und Tätigsein möglich machen. „Lebens- und
Lernräume erfordern es, dem Schüler in der Gestaltung seiner Lebenswelt (Mit-)
Verantwortung zuzusprechen auf der Grundlage seiner Subjektlogik und seiner grund-
sätzlichen Kompetenz im Hinblick auf Selbstorganisation. Pädagogisches Handeln kann
76
dabei Prozesse der Entfaltung anregen, aber nicht determinieren. Selbstentfaltung und
Entwicklung sind diesem Verständnis nach unbestimmbar“ (BIEWER 2000, S. 341). Das
Kind kann in die Gestaltung dieser Situationen mit einbezogen werden, „indem [es] über
seine Lebensäußerungen seinen Willen kundtut und dieser Wille zum Maßstab der Ausge-
staltung pädagogischer Situationen wird“ (FRÜHAUF 1997, S. 302). Indem Menschen mit
Behinderung in Situationen vielfältige Erfahrungen ermöglicht werden, durch die sie sich
selbstverantwortlich in Auseinandersetzung mit der Welt, dem An-sich, entdecken können,
kann ihre Personalisation gefördert werden. In der Beschäftigung mit den Objekten des
An-sich können sie Gelegenheit zur Nichtung erhalten, also erkennen, dass sie als Seins-
form des Für-sich die Freiheit haben, Zustände zu nichten und zu überschreiten. Durch
diese Erfahrungen können sie eine Identität aufbauen.
Genanntes gilt auch für Kinder mit schwerer Behinderung:
„Die Überlegungen zur subjektiven Sinnstiftung auf präreflexiver Ebene […] sind für die
Erziehung und Bildung schwerstbehinderter Kinder von großer Bedeutung. Sie fordern dazu
auf, in die im Kind angelegten Potenziale zur Selbstentfaltung zu vertrauen und demnach eher
Spielräume hierfür zu erschließen und zu erweitern, als eng gefasste Zielsetzungen zu
verfolgen. Selbstentfaltung kann demnach nicht ‚verordnet‘ werden und ist nur begrenzt in
Form von Angeboten bzw. in der Gestaltung der gemeinsamen Lebenswelt planbar. Dem
Determinismus durch die Umwelt setzt das Individuum seine Autonomie entgegen und wählt
damit aus, welche Einwirkungen es zulässt und welche es ablehnt. Autonomie bedeutet dabei
immer auch Mitverantwortung für die gemeinsame Gestaltung von Welt.“ (BIEWER 2000, S.
340)

Auch Menschen mit schwerer Behinderung können als Subjekt sich selbst präreflexiv in
ihrem Zur-Welt-Sein erleben (vgl. HERMANN 2000, S. 337).
Während Hahn als ausgewiesener Sonderpädagoge für die Erziehung von Kindern mit
Behinderung explizit Aussagen trifft und Richtlinien, wie dem ‚Prinzip Entscheinden-
lassen‘ angibt, kann es bei Sartre strenggenommen keine allgemeingültigen Handlungs-
leitlinien geben. Deshalb ist es wichtig anzumerken, dass mögliche pädagogische Ansatz-
punkte (wie die Identitätsarbeit) über die Philosophie Sartres hinausgehen. Sartres Gedan-
ken lassen nicht auf pädagogische Notwendigkeiten schließen. Die abgeleiteten Ideen für
die Pädagogik bei Menschen mit Behinderung können nicht als allgemeingültige Prinzi-
pien fungieren, da es nach Sartre keine solchen in einem absoluten Sinne geben kann.
Pädagogische Professionalität bedeutet, die Situation eines jeden Menschen als eine
individuelle zu erkennen und zu reflektieren und den Bedingungen entsprechend das
pädagogische Agieren anzupassen. Pädagogische Kontexte können als eine Aneinan-
derreihung vielfältiger Situationen gedacht werden, auf die es entsprechend den individu-
77
ellen Anforderungen zu reagieren gilt. „In einer Situation, in der das Subjekt seinen
Lebenslauf in Bausteinen individuell konstruieren muss, ohne sich an einem Bauplan (wie
etwa einer Normalbiographie) orientieren zu können, wird es für die Pädagogik schwierig,
Leitlinien zu entwickeln – von ausformulierten Erziehungszielen ganz zu schweigen. Sie
kann sich nicht als Aufgabe stellen, den ‚richtigen‘ Weg zu weisen“ (JELTSCH 2008, S.
63).
Die existenzialistische Philosophie lässt die PädagogInnen auf sich alleine gestellt. Es kann
keine überdauernden Werte geben, die die erzieherische Tätigkeit leiten. PädagogInnen
müssen sich ihrer vollen Verantwortung für ihre Handlungen gewahr werden. Da die
Arbeit mit Menschen immer mit einer hohen Verantwortung einhergeht, kann dies lohnend
sein, wenn PädagogInnen sich dieser Verantwortung bewusst werden und überlegt handeln
und Entscheidungen treffen. Es ist aber auch denkbar, dass diese totale Verantwortlichkeit
zu extremen Unsicherheiten in der pädagogischen Praxis führen kann. So kann es als
wünschenswert gelten, ein hohes Verantwortungsbewusstsein als Teil einer professionellen
pädagogischen Haltung zu verinnerlichen, sodass dies dann auf das Verhalten des/der
Pädagogen/in einwirkt. In der tätigen Praxis könnte es pädagogisches Handeln allerdings
auch blockieren, da Erziehung immer auch ein Wagnis darstellt, das zugetraut werden
muss. Ein gewisses Maß an Handlungssicherheit kann als notwendig erachtet werden,
damit Professionelle in ihrer ungewissen Arbeit, die auch immer das Potenzial des Schei-
terns in sich birgt, handlungsfähig bleiben.
Der Mangel an Handlungsrichtlinien kann aber auch positive Effekte haben, da dadurch
die Individualität und Subjektivität des Gegenübers mehr geachtet und auf sie eigegangen
werden kann:
„Eine Orientierung allein an Prinzipien verhindert oder zumindest erschwert in vielen Fällen
eine angemessene Wahrnehmung von Differenzen, Unterschiedlichkeit und Eigenheiten von
Individuen und Situationen und ihrer moralisch relevanten Aspekte. In konkreten
Handlungssituationen des Alltags orientieren wir uns auch eher selten an allgemeinen und
universellen Prinzipien als vielmehr an unserer unmittelbaren Wahrnehmung der Situation und
ihrem Aufforderungscharakter, inklusive unserer Selbstwahrnehmung. Wir fragen nicht, was
gebietet uns das Prinzip, sondern was verlangt die Situation, und wie soll ich handeln, um die
Person zu sein, die sich sein möchte.“ (GRÖSCHKE 2000, S. 136)

Wo leitende Prinzipien wegfallen, werden Kompetenzen der (Selbst-)Reflexion notwendig


und nehmen ihren Platz ein. Professionalität kann im Kontext von Selbstbestimmung
bedeuten, die unauflösbaren Handlungsdilemmata, die einen in der Praxis konfrontieren,
individuell zu reflektieren und auszubalancieren (vgl. SCHALLENKAMMER 2016, S.
54). Rock kommt zu dem Schluss, dass sonderpädagogische Professionalität eben dieses
78
reflektierte Austarieren zwischen Selbstbestimmung und anderen Handlungsanforderungen
wie Fürsorge, Förderung, Verantwortung, Sozialisation und auch pragmatischer Entlastung
darstellt (vgl. ROCK 2001, S. 168-179).
Schließlich stellt sich Erziehung, wie bereits angesprochen, auch immer als ein
risikobehaftetes Unterfangen dar. Selbstbestimmung kann nicht ohne Selbstverantwortung
gedacht werden, wie Walther herausstellt (vgl. WALTHER 2016, S. 76-80). Auch bei
Sartre gehen Freiheit und Verantwortung Hand in Hand. Erziehung muss den Mut haben,
ein Wagnis einzugehen, und bereit sein, einen Vertrauensvorschuss zu geben (vgl. ebd., S.
70). Auch Menschen mit Behinderung müssen Risiken eingehen dürfen. Sie sollten nicht in
einem Schonraum verwahrt werden, um sie vor negativen Erlebnissen zu bewahren. Auch
ihnen muss Verantwortlichkeit für sich zugestanden werden, denn ein Verzicht birgt die
„Depersonalisierung von Menschen zu Objekten“ (HAHN 1981, S. 298) in sich. Ebenso
stellen bei Sartre die Momente der Angst und Verantwortung Grundelemente des Lebens
eines Menschen dar, weshalb sie auch bei ihm universalen Charakter haben und jeden
Menschen betreffen.
Menschen mit Behinderung können nur lernen, mit ihren neu gewonnenen Freiräumen
umzugehen, wenn ihnen dies auch zugetraut und zugemutet wird. Ohne diese Heraus-
forderung, die mit Risiken des Scheiterns verbunden sein kann, können sie Selbstbe-
stimmung nicht erwerben, sondern erlernen Hilflosigkeit (vgl. SCHALLENKAMMER
2016, S. 30). Auch das Bewahren vor möglicherweise negativen Erfahrungen muss als
Behinderung der Identitätsentwicklung betrachtet werden, da Misserfolgserfahrungen
ebenso zum Menschsein dazugehören wie Selbstwirksamkeitserfahrungen (vgl.
FRÜHAUF 1997, S. 305). Nur in der Auseinandersetzung mit vielfältigen Erlebnissen
können sie erfahren, was sie wollen und was nicht, können sich selbst erfahren (vgl.
KLAUß 2005, S. 20).
Aufgabe der Pädagogik wäre es dann, das Risiko so zu kalkulieren, dass diese Misserfolge
kein entwicklungshemmendes Ausmaß annehmen, sowie das Bewahren von Menschen mit
Behinderung vor ernsthaft gefährlichen Situationen, die ihr Leben oder das Leben anderer
bedrohen könnten (vgl. Bach 1997, S. 67ff/ WALTHER 2016, S. 75-81). Die Kompetenz,
Risiken und Konsequenzen einer Handlung einzuschätzen, baut nicht rein auf intellek-
tuellen Fähigkeiten auf, sondern beruht vor allem auf Erfahrung. Der Mensch lernt vor
allem aus Erfahrungen, auf die er dann in zukünftigen Handlungen zurückgreifen kann
(vgl. OCHEL 1997, S. 88). So haben auch Menschen mit geistiger Behinderung die gene-
relle Fähigkeit, das Einschätzen der Folgen ihrer Handlungen sukzessive zu erlernen,

79
indem man sie nicht vor Erfahrungen schützt, sondern sie diese selbst machen lässt. Indem
sie Entscheidungen treffen, entscheiden sie sich auch für die daraus resultierenden Konse-
quenzen (vgl. OCHEL 1997, S. 87).
Diese Forderung nach Verantwortung wird auch von Betroffenen selbst gestellt:
„Es entscheiden zu oft andere für uns in Dingen, die unser eigenes Lebens betreffen.
Manchmal sogar, ohne uns in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen. Eltern und
HelferInnen meinen, wir müssten beschützt werden. Sie wagen es nicht, ein Risiko einzugehen
oder uns etwas riskieren zu lassen. Sie meinen, sie seien dafür verantwortlich. Deshalb nehmen
sie oft selbst die Sache in die Hand. Auf diese Weise halten sie uns davon ab, Dinge selbst zu
tun. Sie erlauben uns nicht, etwas zu versuchen… Wir bekommen keine Gelegenheit zum
Lernen. Das behindert die Entwicklung. Wir sind bereit, etwas zu lernen, selbst wenn das
bedeutet, dass etwas schiefläuft. Niemand ist vollkommen. Indem wir Fehler machen und
unsere Fähigkeiten verbessern, entwickeln wir uns weiter.“ (Committee Self Advocacy der
Internationalen Liga von Vereinigungen für Menschen mit geistiger Behinderung ILSMH
1993, zit. n. OSBAHR 2003, S. 176)

80
6 Fazit
In den vorangegangenen Erläuterungen ist deutlich geworden, dass einige Ansichten, die in
der Sonderpädagogik bereits vertreten werden, wie die der subjektiven Sinnhaftigkeit, auch
in Sartres Philosophie zu finden sind. Die existenzialistische Perspektive untermauert
nochmals deren Bedeutung für das menschliche Sein. Deutlich wird auch, dass jeder
Mensch, ob mit oder ohne Behinderung, unter den Bedingungen seiner Existenz sich selbst
entwirft. Bei jedem Menschen müssen Selbstgestaltungskräfte angenommen werden. Nicht
extrinsische Reize, sondern dieser transzendierende Selbstentwurf ist zentraler Motor für
Entwicklung. Deshalb ist es nicht erforderlich, Menschen mit Behinderung zu fremdzube-
stimmen, damit sie sich entfalten können. Vielmehr sollten sie darin unterstützt werden,
ihre Selbstgestaltungskräfte zu offenbaren. Dazu müssen sie Freiräume selbstbestimmten
Handelns erhalten.
Eine Bereicherung der existenzialistischen Betrachtung von Selbstbestimmung liegt wohl
in der Erkenntnis, dass Selbstbestimmung nicht nur das Ausweiten von Handlungsräumen
bedeutet, sondern maßgeblich Bedeutung für das Erleben sinnhafter Identität haben kann.
Neben dem Nutzbarmachen von Freiheitsräumen ist so auch die Unterstützung in der
Identitätsarbeit elementarer Teil einer Förderung im Kontext von Selbstbestimmung. Auch
Menschen mit Behinderung sind in der Lage, ihre Situation des Behindertwerdens zu
transzendieren. Die Behinderung und andere Faktizitäten sind Grundlage des transzen-
dierenden Entwurfs. Der Entwurf und die Identität eines Individuums gehen über diese
Gegebenheiten hinaus. „Ich kann mich also auch den anderen überlegen fühlen, selbst
wenn ich nach deren Maßstäben minderwertig bin. Die Möglichkeit, die zu sein ich unter
allen Möglichkeiten als die meine gewählt habe, bestimmt mein Selbstverständnis ‚wesent-
lich‘ “ (PIEPER 2014, S. 203). Durch das Ausweiten des Spielraums, den die Situation von
Menschen mit Behinderung zulässt, können sie aus vielfältigeren Wahlmöglichkeiten ihr
Selbstverständnis schöpfen.
Die Risiken neoliberaler Tendenzen lassen sich auch in einer existenzialistischen
Herangehensweise nicht aus dem Weg räumen. Eine ethische Begründung für die
Notwendigkeit moralischer Werte wie der Solidarität, wie sie von kommunitaristischen
Gegnern des Neoliberalismus eingefordert wird, bietet die existenzialistische Philosophie
nicht. Die vollkommene Eigenverantwortlichkeit birgt Risiken, die für Menschen mit
Behinderung besonders schwer sein können, wenn die Mitverantwortung der Gesellschaft
nicht mitgedacht wird. In dem herangezogenen Essay spricht Sartre zwar auch die Verant-
wortung für Mitmenschen an (vgl. SARTRE 2018, S. 168). Diese wird jedoch von ihm

81
nicht weiter konkretisiert und bleibt insgesamt im Hintergrund. Insgesamt findet die sozi-
ale Dimension menschlichen Daseins, wie bereits erläutert, wenig Raum in Sartres
Freiheitsphilosophie. Sartre ist und bleibt letztlich ein „Denker der Individualität“
(MÖBUß 2004, S. 62) und kann damit derselben Kritik ausgesetzt werden wie die
Selbstbestimmungsbewegung: „Das hinter dem independent living stehende Menschenbild
rückt zwar mit aller Entschiedenheit von einer Sonderanthropologie behinderter Menschen
ab; es beruht aber auf dem Idealbild des unabhängigen, kompetenten, gebildeten Indivi-
duums und vernachlässigt die Bedeutung von naturwüchsigen sozialen Bindungen für das
menschliche Leben“ (LINDMEIER 2000, S. 159). Der Mensch bei Sartre ist verlassen in
mehrfachem Sinne: Verlassen von Gott, von einer immanenten Wesenheit, von morali-
schen Prinzipien und auch in zwischenmenschlicher Hinsicht.
Diese soziale Verlassenheit wird in Sartres Intersubjektivitätstheorie umso deutlicher, die
in dieser Arbeit aufgrund des begrenzten Rahmens keinen Platz mehr finden konnte. Ohne
darauf genauer eingehen zu können, soll ein kleiner Ausblick auf die Thematik gegeben
werden, durch den zu einer näheren Beleuchtung dieser angeregt werden soll. Sartre stellt
in seinem Hauptwerk in dem Kapitel Der Blick die Beziehungen zwischen Menschen in
ein sehr pessimistisches Bild als einen immerwährenden ‚Kampf um Anerkennung‘. Sie
sind geprägt von der ständigen Bedrohung der eigenen Freiheit durch den Anderen (vgl.
HONNETH 2014, S. 155). Durch den Blick des Anderen erkennt das Subjekt zwar sich
selbst sowie die Anwesenheit des anderen, aber zum Preis der eigenen Freiheit. Für
Menschen mit Behinderung, die in ihrer Lebensführung von zwischenmenschlichen Bezie-
hungen in besonderem Maße abhängig sind, könnte sich der Kampf um die Anerkennung
der eigenen Freiheit als besonders heikel erweisen. Es stellt sich die Frage, ob ein solches
Bild von Intersubjektivität für die soziale Arbeit mit Menschen geeignet ist. Möglicher-
weise hält die Philosophie von Emmanuel Levinas, die in der Sonderpädagogik bereits
rezipiert wird, geeignetere Anknüpfpunkte bereit. Die Verletzlichkeit des Anderen bietet
mit ihrem appellativen Charakter eine ethische Grundlage für sonderpädagogisches
Agieren: „Diesseits meiner Freiheit und Autonomie als Subjekt stehe ich in der grenzen-
losen und nicht aufhebbaren Verantwortung gegenüber dem Anderen“ (DEDERICH 2003,
S. 3). Die Mitverantwortung für das Gegenüber wird bei Levinas mehr mitgedacht als bei
Sartre. Nicht nur die Autonomie, sondern auch die Abhängigkeit gegenüber dem Anderen
kommt hier in der menschlichen Intersubjektivität zum Ausdruck (vgl. STINKES 2012, S.
246ff). Trotzdem könnte es sich lohnen, die Intersubjektivitätstheorie von Sartre vor einem
sonderpädagogischen Hintergrund genauer zu beleuchten, um eine existenzialistische

82
Perspektive auf Stigmatisierungs- und Objektivierungsprozesse, denen Menschen mit
Behinderung in hohem Maße ausgesetzt sein können, zu erhalten.
In dieser Arbeit fand neben Jean-Paul Sartres Intersubjektivitätstheorie auch seine „Phäno-
menologie des menschlichen Körpers“ (SCHUMACHER 2014 b, S. 135) keine Betrach-
tung. Der Körper als Verleiblichung, als Faktizität des Für-sich spielt in Das Sein und das
Nichts eine wichtige Rolle, vor allem im Hinblick auf die Intersubjektivität (vgl.
STRELLER 1952, S. 67). Die Leibphänomenologie Merleau-Pontys konnte die Sicht auf
Menschen mit schwerer Behinderung bereits bereichern (vgl. GRÖSCHKE 2007 a, S.
209), so wäre es durchaus von Interesse, welche Ansatzpunkte sich aus Sartres Vorstellung
vom Körper für die Sonderpädagogik ergeben könnten.
So wenig die Philosophie Sartres sich für feste Handlungsleitlinien eignet, so bereichernd
kann sie für die Ausbildung einer pädagogischen Haltung sein, die bei der Individualität
und Subjektivität von Menschen mit Behinderung ansetzt. Überhaupt stellt die
Auseinandersetzung mit anthropologischen Fragen einen bedeutsamen Teil für die Aus-
bildung einer professionellen Haltung dar. (vgl. BIEWER 2000, S. 337). In Bezug auf die
Selbstbestimmung bei Menschen mit Behinderung kommt Rock zu der „Feststellung, daß
das Entscheidende eine Änderung der Haltung und Rolle des Professionellen sei“ (ROCK
2001, S. 179). Die existenzialistische Philosophie kann dazu dienen, das Bild vom
Menschen, auch mit Behinderung, als ein sich selbst bestimmendes Wesen zu betonen.
Dieses Menschenbild kann schließlich auch Einfluss auf die gesellschaftliche Praxis neh-
men (vgl. FEUSER 1996, S. 2)
Von Waldschmidt wird zwar die Selbstbestimmung als anthropologische Kategorie kriti-
siert, allerdings erhält die Freiheit erst auf dieser anthropologischen Ebene universellen
Charakter menschlichen Daseins und damit Selbstbestimmung ihre Legitimation und Not-
wendigkeit. Durch eine anthropologische Fundierung der Selbstbestimmung wird sie zur
Bedingung eines guten und gelingenden menschlichen Lebens und kann damit keinem
mehr verwehrt oder abgesprochen werden. Erst dadurch wird sie zu einem Grundzug
menschlicher Existenz und jedem garantiert. Anthropologische Argumentationen schließen
ihrer Bedeutung nach immer alle Menschen ein, ungeachtet individueller Unterschiede,
sodass dadurch Diskriminierungen des Andersseins, Fremdseins oder gar die Absprache
grundlegender menschlicher Eigenschaften oder Bedürfnisse gegengehalten werden kann.
Anthropologie kann damit Diskriminierung entgegenwirken, wenn sie entsprechend ihrem
Sinn nach verstanden und für alle Menschen gedacht wird. „Bildsamkeit als der zentrale
Begriff der Pädagogik zur Bezeichnung der Erziehbarkeit und Selbstbestimmungsfähigkeit

83
des Menschen schließt als Idee und aus anthropologischer Sicht alle Personen ein, also
auch Behinderte, sie gilt demnach universell“ (ELLGER- RÜTTGARDT 2016, S. 17). So
wie die Annahme der generellen Bildsamkeit in unserer Gesellschaft für alle Menschen
Zugang zu Bildung garantiert, so kann die Freiheit als Grundbedingung menschlicher
Existenz die Selbstbestimmung von allen Menschen rechtfertigen. Sowohl Sartres
ontologischer als auch Hahns anthropologischer Ansatz lassen beim Menschen mit
Behinderung erkennen, „daß auch in seiner Lebenswirklichkeit Selbstbestimmung ein
Wesensmerkmal des Menschseins ist und deshalb von einer Anthropologie nicht
ausgeschlossen werden kann, wenn sie sich als solche versteht“ (HAHN 1999, S. 14).
Für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung beinhaltet Sartres Philosophie
der Freiheit jedoch eine Grundproblematik. Ihm zufolge lässt sich der Mensch gar nicht
fremdbestimmen. Bei ihm ist der Mensch absolut frei, absolut undeterminiert und kann
deshalb überhaupt nicht fremdbestimmt werden. Wie soll sich die Sonderpädagogik von
einer fremdbestimmenden Praxis abkehren, wenn es diese überhaupt nicht geben kann?
Die Freiheit als anthropologische Konstante, die einerseits verspricht, dass jeder Mensch
als freies Wesen anerkannt wird, führt andererseits dazu, dass Situationen nicht mehr als
fremdbestimmend erfasst werden können. Diese Schwierigkeit ergibt sich, weil Sartre sein
radikales Freiheitsverständnis von der Handlungsfreiheit losgelöst konzipiert. Wenn
Menschen nur frei und nicht fremdbestimmt gedacht werden können, woraus ergibt sich
dann die Notwendigkeit zur Achtung individueller Selbstbestimmung?
Sartre versucht, diesen Sachverhalt zu retten, wenn er schreibt:
„Und die Freiheit wollend, entdecken wir, daß sie ganz von der Freiheit der anderen und daß
die der anderen von unserer Freiheit abhängt. Gewiß hängt die Freiheit als Definition des
Menschen nicht von anderswem ab, aber sobald ein Engagement vorliegt, bin ich gezwungen,
gleichzeitig mit meiner Freiheit die der anderen zu wollen, ich kann meine Freiheit nur zum
Ziel machen, indem ich auch die der anderen zum Ziel mache. Wenn ich also auf der Ebene
totaler Authentizität erkannt habe, daß der Mensch ein Wesen ist, bei dem die Existenz der
Essenz vorausgeht, daß er ein freies Wesen ist, das unter den verschiedensten Umständen nur
seine Freiheit wollen kann, habe ich gleichzeitig erkannt, daß ich nur die Freiheit der anderen
wollen kann.“ (SARTRE, 2018, S. 172)

Sartres Worte wirken auf den ersten Blick überzeugend. Bei genauerer Betrachtung erweist
sich seine Argumentation hier allerdings als inkonsistent. Er begeht einen naturalistischen
Fehlschluss, wenn er vom Sein der Freiheit auf ihr Sollen schließt. Aus naturalistischen
Gegebenheiten folgt nicht zwingend eine ethische Notwendigkeit, zumal es nicht schlüssig
ist, wieso ich angesichts des Blicks des Anderen, der mich durch seine Freiheit meiner
eigenen beraubt, seine Freiheit wollen kann (vgl. KAMPITS 2014, S. 223). Damit von der
84
ontologischen Freiheit auf das Recht zur Selbstbestimmung geschlossen werden kann,
muss eine ethische Dimension hinzugefügt werden, die gesellschaftlich konstruiert werden
muss. Hahn gelingt dies, indem er das Wohlbefinden von Menschen zum Ziel setzt (vgl.
HAHN 1999, S. 29). Bei Sartre fehlt dies. Da es für ihn keine Moral gibt, die inter-
individuell konstante Gültigkeit hat, gibt es auch nichts, was aus der Freiheit des Menschen
auch die Pflicht zur Wahrung der Freiheit des anderen garantieren würde. Hier zeigt sich in
Sartres Philosophie eine Schwachstelle.
Die vorangegangene Textstelle des Essays muss über Sartres Aussagen hinaus interpretiert
werden. So könnte man schließen, dass für Sartre authentische Autonomie bedeutet, dass
man seine eigenen entworfenen Grundsätze auch für andere denken muss, da man sonst
Gefahr läuft, unaufrichtig zu handeln. Dies wäre ein denkbarer Ausweg, da Sartre in der
soeben zitierten Textstelle selbst die Authentizität nochmals anspricht. Außerdem ließe
sich feststellen, dass die Freiheit, die dem Menschen essenziell anhaftet und ihm deshalb
nicht genommen werden kann, ihm wenig nützt, wenn sie aufgrund repressiver Umwelt-
bedingungen nicht verwirklicht werden kann. Da das Handeln in Sartres Philosophie ein
zentrales Moment darstellt, sollte die Bedeutung der Handlungsfreiheit für den Entwurf
eines Menschen hier nicht verkannt werden. Der Mensch kann sich nur durch sein Handeln
erzeugen. Beschränkt die Umwelt seine Handlungsmöglichkeiten, nimmt sie ihm einen
Teil seiner Seinsmöglichkeiten. Darüber hinaus benennt Sartre neben der Eigen-
verantwortung immer wieder auch die Mitverantwortung: „Und wenn wir sagen, der
Mensch ist für sich selbst verantwortlich, wollen wir nicht sagen, er sei verantwortlich für
seine strikte Individualität, sondern für alle Menschen“ (SARTRE 2018, S. 150). Diese
Mitverantwortung ist jedoch mehr als eine soziale Haltung zu verstehen, für die Sartre hier
appelliert, die sich aus seiner Philosophie aber, wie bereits erläutert, nicht zwingend ergibt.
Wenn es jedoch so ist, dass wir auch für unsere Mitmenschen Verantwortung tragen, kann
darüber die Anbindung der Freiheit des Anderen an mein Handeln stattfinden.
Letztlich müssen wir uns als Gesellschaft fragen, welches Leben wir uns für unsere Mit-
menschen wünschen, und uns dafür verantworten: „[I]n Wirklichkeit werden die Dinge so
sein, wie der Mensch beschlossen haben wird, daß sie sein sollen“ (ebd., S. 161). Der
Mensch, der sich in seiner Wahl engagiert, erschafft damit auch die gesellschaftlichen
Verhältnisse, in denen seine Mitmenschen leben (vgl. RIEFENTHALER 2015, S. 230).
Wenn der Mensch Freiheit ist, und diese Freiheit Grundlage seines Seins darstellt, aus der
er sich seine Essenz selbst erschafft, so kann man, wenn die Lebensqualität von Menschen
von deren Selbstbestimmung abhängt und man diese als ein Gut definiert, für das die Ge-
sellschaft Mitverantwortung trägt, für jeden nur die Möglichkeit wollen, diese Freiheit
85
auszuleben. Selbstbestimmung bedeutet die Entfaltung der Freiheit. Da die Freiheit als
ontologische Verfasstheit des Menschen bei Sartre universellen Charakter hat, muss sie
auch für Menschen mit geistiger Behinderung Geltung haben. „Denn man muss schon
wählen: wenn jeder Mensch der ganze Mensch ist, muss dieser Abweichler entweder nur
ein Kieselstein oder ein Ich sein“ (Sartre 1983, zit. n. BAHRS 2015, S. 268). Eine Ab-
sprache der Freiheit würde einer Verkennung des Menschseins bedeuten. Das Verwehren
der Freiheit käme einer Behinderung der Identitätsentwicklung gleich, da ebendiese den
Ursprung der Identität eines Menschen ausmacht. Wenn wir den Menschen mit Behin-
derung als ein freiheitliches Wesen anerkannt haben, müssen wir angesichts unserer totalen
Verantwortung ihm auch das Ausleben dieser Freiheit ermöglichen. Mit dieser Einsicht
muss jedem Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, auch das Recht zugestanden
werden, diese Freiheit individuell realisieren zu können. Wir tragen die Verantwortung
dafür, dass jedem Menschen nicht nur genug Freiräume, sondern auch Ressourcen zur
Verfügung stehen, sich selbstbestimmt eine Identität aufzubauen.
Wenn der Mensch, wie Sartre sagt, sich erst selbst erschaffen muss, so muss auch
Menschen mit Behinderung die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst zu erfinden und
eine Identität zu konstruieren. In seiner Selbstbestimmung entwirft der Mensch sich selbst.
„Jede Existenz steht unter dem Gesetz ihrer Selbstbestimmung als Wahl ihrer selbst.“
(HANA 1965, S. 50). Diese sollte nicht von außen durch Etikettierungsmechanismen wie
‚geistig behindert‘ und die damit oft vorbestimmten Lebenswege vorgegeben werden. Es
sollte den Menschen die Möglichkeit gegeben werden, selbstbestimmt lebensbedeutsame
Entscheidungen zu treffen. Dies kann beginnen bei einfachen Alltagshandlungen wie der
Wahl der Kleidung, die nach Sartre vor dem objektivierenden Blick des anderen schützen
kann und mich meine subjektive Identität wahren lässt: „Sich bekleiden heißt seine Objekt-
heit verbergen, heißt das Recht beanspruchen, zu sehen, ohne gesehen zu werden, heißt
reines Subjekt sein“ (SARTRE 2017, S. 516); bis hin zur bedeutsameren Entscheidung.
Menschen sollten in wichtigen Fragen des eigenen Lebens selbst entscheiden können.
Konkret kann Selbstbestimmung vor allem Bereiche der conditio humana umfassen. Sartre
definiert die grundlegenden Bedingungen menschlicher Existenz, innerhalb derer der
Mensch seine Freiheit zu verwirklichen hat (vgl. Kapitel 4.2). Selbstbestimmung betrifft
damit im Besonderen die Fragen, wo Menschen leben möchten, was sie arbeiten wollen
und mit welchen Personen sie persönliche oder intime Beziehungen führen wollen. Dabei
muss die Subjektivität eines jeden Menschen mitgedacht werden. Für Menschen mit
schwerer Behinderung können bedeutsame Entscheidungen basalere Bereiche umfassen.
Selbstbestimmung bedeutet, in persönlichen Belangen nach eigenen Vorstellungen ent-
86
scheiden zu können (vgl. OSBAHR 2003, S. 152). Dies ist für Menschen mit Behinderung,
deren Lebensweg oft institutionell vorgegeben ist, oft noch nicht in einem solchen Maße
möglich, dass von freier Entfaltung gesprochen werden kann.
Für diese Arbeit lässt sich feststellen, dass die existenzialistische Philosophie Sartres,
soweit sie hier bearbeitet worden ist, auf theoretischer Ebene viele gewinnbringende
Perspektiven auf die Selbstbestimmungsthematik von Menschen mit Behinderung bieten
kann, gleichzeitig aber auch die Gefahren eines postmodernen Menschenbilds in sich birgt:
„In pessimistischer Perspektive stellt sich der Existentialismus als eine Philosophie dar,
innerhalb derer die Situation des Menschen aus allen überkommenen Orientierungsrastern
herausgelöst und derart destabilisiert wird; in der von Sartre mitgetragenen optimistischen
Sicht wird auf die Möglichkeit und Notwendigkeit des Subjekts gesetzt, in einer perma-
nenten Wahl und Sequenz von Entscheidungen seine Authentizität in einem kontinuierlich
über das bloße Dasein hinausweisenden Entwurf zu realisieren“ (GALLE 2009, S. 19). Der
wesentliche Ertrag einer Auseinandersetzung mit der existenzialistischen Philosophie von
Jean-Paul Sartre kann darin bestehen, nochmals vor Augen zu führen, welche existenzielle
Bedeutung Freiheit, aber auch Subjektivität und Sinn für das menschliche Sein hat. Die
Betonung der Individualität des Menschen, sowie die Annahme einer generellen Sinn-
haftigkeit menschlichen Handelns verhelfen dazu, Menschen mit Behinderung in ihrem
Sosein zu akzeptieren und zu unterstützen, statt sie an die Normalität heranzuführen. Ins-
besondere im Bereich Sonderpädagogik stehen ErzieherInnen vor der Aufgabe, sich von
herkömmlichen Entwicklungsnormen zu lösen, außerhalb dieser Normen zu denken, und
sich stattdessen auf die Individualität des Kindes einzulassen. Statt das Kind als Förder-
objekt zu fremdbestimmten Entwicklungszielen zu bringen, stehen PädagogInnen vor der
umso herausfordernden Aufgabe, es in seinem subjektiven Selbstentwurf zu begleiten. Es
gilt, das Kind als autonomes Subjekt, das sich kontinuierlich transzendiert und selbst ge-
staltet, anzuerkennen.
„Doch auch die Relationalität des Behinderungsbegriffs, wie die Normativität überhaupt,
geraten an ihre Grenzen, wo es um die anthropologische Erhellung und die
fundamentalpädagogische Gestaltung der menschlichen Daseinsstruktur, in ihrer je eigenen
Profilation als ‚Eigenstruktur‘ geht. Denn wo der Mensch anthropologisch wie pädagogisch
unter das ‚eigene Maß‘ gestellt wird, kann es nicht mehr um die Verbindlichkeit allgemeiner
Normen gehen. Dies trifft auch für die Normdimension der ‚unbedingten Normen‘ zu, denn sie
erfüllen ihre Zweck gerade darin, daß sie, außer der Achtung wie der Selbstachtung der
menschlichen Freiheit und Selbstgestaltungsmöglichkeit und –fähigkeit, nichts vorschreiben.
Da, wo es also anthropologisch wie pädagogisch um die Herausbildung der ‚Eigenstruktur‘
geht, muß die Normativität zurückstehen, damit die ‚Norm‘ des Eigenen, die demgegenüber

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nicht anspruchsloser, sondern anspruchsvoller ist, gefunden werden kann. Bei diesem
Geschehen, bei dem Erziehung mit Menschwerdung koinzidiert, geht es aber um eine
existenzielle Problematik, die grundsätzlich ‚mißlingen‘ oder ‚gelingen‘ kann, denn sonst wäre
sie nicht erst noch zu leisten und dem Menschen aufgegeben.“ (LINDMEIER 1993, S. 249).

Der Existenzialismus bietet die Chance, Mensch mit Behinderung nicht als Objekte päda-
gogischer Behandlung, sondern als Subjekt der Selbstgestaltung und Gestaltung von Welt
zu begegnen. Sie stellt sich gegen fremdbestimmende Maßnahmen, durch die Menschen
mit Behinderung „als Objekte behandelt werden, das heißt als eine Gesamtheit determi-
nierter Reaktionen, die durch nichts unterschieden ist von einer Gesamtheit von Eigen-
schaften und Erscheinungen, die einen Tisch oder einen Stuhl oder einen Stein konstitu-
ieren“ (SARTRE 2018, S. 165).
Eine konsequente Übertragung auf die Praxis erweist sich allerdings durch die zuvor er-
läuterten Probleme, wie der totalen Verantwortung, als kompliziert bis prekär. Hier zeigt
sich das Dilemma zwischen Theorie und Praxis und die prinzipielle Schwierigkeit einer
generellen Übertragung von theoretischen Erkenntnissen in die Praxis. Sartres Grund-
aussage, dass der Mensch frei ist, bleibt jedoch als Fundament für die Selbstbestimmung
auch von Menschen mit geistiger Behinderung bestehen. Er gibt eine Sicht auf den
Menschen, die keine andere Möglichkeit bietet, als ihn als ein freies Wesen anzuerkennen.
Eine Beschäftigung mit der existenzialistischen Philosophie kann in der Sonderpädagogik
zu einer solchen Perspektive veranlassen.

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100
8 Schriftliche Erklärung

Hiermit bestätige ich, dass die vorliegende Arbeit von mir selbstständig verfasst wurde und
ich keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel – insbesondere keine im
Quellenverzeichnis nicht benannten Internet-Quellen - benutzt habe und die Arbeit von mir
vorher nicht in einem anderen Prüfungsverfahren eingereicht wurde. Die eingereichte
schriftliche Fassung entspricht der auf dem elektronischen Speichermedium (CD-ROM).

Landau, 07.06.19 _______________________


Unterschrift

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