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Musik als Medium der Lebensbewältigung für

Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen


Ein Plädoyer für musikalisch-kreative Elemente in der
Sozialen Arbeit

Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts
an der Karl-Franzens-Universität Graz

Vorgelegt von:

Stefanie Waldner, BA

01510672

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft

Begutachter: Mag.rer.soc.oec. Dr.phil. Michael Wrentschur

Graz, Oktober 2020


Eidesstaatliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als angegebene Quellen nicht benützt, sowie die daraus wörtlich
oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Graz, im September 2020 Stefanie Waldner

I
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich beim Verfassen meiner
Masterarbeit unterstützt und motiviert haben.

Mein besonderer Dank gilt…

…Herrn Prof. Mag. Dr. Wrentschur für die vielen konstruktiven Vorschläge.

…den Interviewteilnehmer*innen und den Teilnehmer*innen bei der


Beobachtung. Ohne ihr Mitwirken hätte ich diese Arbeit nicht verfassen können.

…Dr. med. Monika Glawischnig-Goschnik, Mag. Janina Kropfitsch und Dipl.-


Musikth. Christian Münzberg für die vielen hilfreichen Anregungen.

…meiner Familie, die mich bei jedem Vorhaben unterstützt.

II
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Fragestellung, inwiefern musikalische
Angebote als Hilfe zur Lebensbewältigung für Menschen mit psychischen Erkrankungen
fungieren können. Der theoretische Teil der Forschungsarbeit widmet sich vor allem der
Funktion der Sozialen Arbeit im psychiatrischen Bereich, der Musiktherapie und der
Rolle von Musik in der Sozialen Arbeit.

Das Ziel der Arbeit besteht darin, kreative Formen der Lebensbewältigung aufzuzeigen
und zu begründen. Hierfür wurden leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit
Musiktherapeut*innen und eine teilnehmende Beobachtung in einer kinder- und
jugendpsychiatrischen Einrichtung durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchung
lassen darauf schließen, dass Musik als nonverbales Medium einen Spielraum eröffnen
kann, in dem sich Klient*innen ausprobieren, ausdrücken und erfahren können. Durch
musikalische Aktivitäten können subtile Prozesse und Unbewusstes greifbar gemacht
werden und somit eine Ebene der Reflexion anregen. Dabei werden Ressourcen aktiviert
und in weiterer Folge neue, kreative Bewältigungsstrategien erarbeitet. Als
Schlussfolgerung kann festgehalten werden, dass musikalisch-kreative Ansätze den
Methodenkanon der Sozialen Arbeit bereichern können.

III
Abstract
This thesis examines to what extent the use of music may help people with mental
disorders to cope with life. The theoretical part of the research work focuses mainly on
the function of social work in the psychiatric field, music therapy and the role of music
in social work.

The goal of this work is to present and justify creative forms of life management.
Therefore, guideline-based expert interviews with music therapists and a participant
observation in a child and youth psychiatric institution were conducted. The results of the
study indicate that music as a non-verbal medium can open up a creative scope in which
clients can experiment, express and experience themselves. With the help of musical
activities, subtle processes and the unconscious can be made tangible and thus, a level of
reflection is stimulated. At the same time, resources are activated and new, creative
coping strategies are developed. In conclusion, it can be said that musical-creative
approaches can enrich the methodological canon of social work.

IV
Inhalt

Eidesstaatliche Erklärung ............................................................................... I

Danksagung .................................................................................................. II

Zusammenfassung ....................................................................................... III

Abstract ....................................................................................................... IV

Einleitung ...................................................................................................... 1

1. Psychiatrie und Soziale Arbeit ............................................................... 4


1.1. Aufgaben der Sozialen Arbeit im psychiatrischen Kontext ............................... 8

1.2. Kinder- und Jugendpsychiatrie .......................................................................... 9

1.3. Sozialpsychiatrie .............................................................................................. 11

1.4. Über die Entstehung von Gesundheit und Krankheit ...................................... 11

1.4.1. Bio-psycho-soziales Verständnis.............................................................. 14

1.4.2. Zusammenhäng von Krankheiten und sozialen Gegebenheiten ............... 14

1.4.3. Stressmodell nach Lazarus ....................................................................... 15

1.5. Bewältigungslagen für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen ............ 16

1.6. Konzepte der Sozialen Arbeit im psychiatrischen Kontext ............................. 17

1.6.1. Lebensbewältigung ................................................................................... 18

1.6.2. Tiefenpsychologische Aspekte ................................................................. 20

1.6.3. Destruktives Bewältigungsverhalten ........................................................ 20

1.6.4. Konstruktives Bewältigungsverhalten ...................................................... 21

2. Musiktherapie ....................................................................................... 24
2.1. Überblick über die Praxisfelder ....................................................................... 26

2.2. Wie Musik auf den Menschen wirkt ................................................................ 28

2.3. Ansätze der Musiktherapie .............................................................................. 32

2.4. Aktive Methoden ............................................................................................. 34

V
2.4.1. Exkurs: Die Stimme in der Musiktherapie ............................................... 35

2.5. Rezeptive Methoden ........................................................................................ 37

2.6. Das Setting ....................................................................................................... 39

2.7. Beispiel aus der klinischen Praxis.................................................................... 40

3. Musikpädagogik ................................................................................... 42
3.1. Musik im schulischen Kontext ........................................................................ 43

4. Schnittfeld ‚Soziale Arbeit‘ und ‚Therapie‘ ......................................... 45


4.1. Musikpädagogik und Musiktherapie ............................................................... 47

4.2. Die Rolle der Musik in der Sozialen Arbeit .................................................... 48

5. Musik als Hilfe zur Bewältigung im Kontext der Sozialen Arbeit ...... 50
5.1. Biografiearbeit als Zugang für musikalische Angebote................................... 50

5.1.1. Rezeption von Musik ................................................................................ 51

5.2. Singen .............................................................................................................. 53

5.3. Rocken statt Ritzen .......................................................................................... 55

6. Zusammenfassung ................................................................................ 58

7. Forschungsdesign ................................................................................. 61
7.1. Ausgangspunkt, Forschungsfragen und Ziel ................................................... 62

7.2. Beschreibung des Vorgehens ........................................................................... 62

7.2.1. Interviews ................................................................................................. 63

7.2.2. Teilnehmende Beobachtung ..................................................................... 64

7.2.3. Beschreibung der Kodierleitfäden ............................................................ 65

7.3. Datenauswertung ............................................................................................. 67

8. Ergebnisse der empirischen Untersuchung .......................................... 69


8.1. Ergebnisse der Interviews ................................................................................ 69

8.2. Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung ................................................... 76

VI
9. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse ............................. 82
9.1. Musiktherapie .................................................................................................. 82

9.2. Die Wirkung von Musik .................................................................................. 83

9.2.1. Aktives Musizieren ................................................................................... 84

9.2.2. Musik hören .............................................................................................. 84

9.3. Musik und Bewegung ...................................................................................... 85

9.4. Musik in der Sozialen Arbeit ........................................................................... 86

10. Fazit ...................................................................................................... 88

11. Quellen ................................................................................................. 90

12. Abbildungsverzeichnis ....................................................................... 100

13. Tabellenverzeichnis ............................................................................ 100

14. Anhang ............................................................................................... 101

VII
Abkürzungsverzeichnis
ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitätsstörung
AIDS Acquired Immune Deficiency Syndrome
CED Chronisch entzündliche Darmerkrankung
COPD Chronic Obstructive Pulmonary Disease
HIV Human Immunodeficiency Virus
EMP Elementare Musikpädagogik
ICD Internationale statistische Klassifikation
der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme
NSSV Nichtsuizidales selbstverletzendes
Verhalten
PTBS Posttraumatische Belastungsstörung
u.U. unter Umständen

VIII
Einleitung
„Musik berührt die Seele, weckt Gefühle und Erinnerungen, wühlt auf oder beruhigt“
(Decker-Voigt 2000, o.S). Kaum jemand würde diesem Zitat widersprechen, denn
beinahe jeder Mensch kennt die vielseitige und intensive Wirkung von Musik. Sie
begleitet die Menschen von der pränatalen Phase bis zum Sterbebett – ein Leben ohne
Musik wäre für die meisten wohl undenkbar. Musik hat auch gegenwärtig eine starke
kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung, da sie in allen Altersgruppen, Schichten und
Kulturen präsent ist. Musik wurde immer schon zur Tröstung, Beruhigung und Erholung
von Menschen eingesetzt (vgl. Kraus 2016, S. 13f.). Dabei handelt es sich jedoch um
Erzählungen, die kritisch zu hinterfragen sind, denn es gibt keine seriösen
wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass Musik selbst als Heilmittel angesehen werden
kann.

Diese Ausarbeitung fokussiert sich auf musikalische Angebote der Sozialen Arbeit im
psychiatrischen Kontext. Als Medium des Ausdrucks kann die Musik in der Sozialen
Arbeit verschiedenartig eingesetzt werden. Durch ihren non-verbalen Charakter bringt
die Musik eine besondere Eigenschaft mit sich (vgl. Hartogh/Hermann-Wickel 2004, S.
5). Ziel dieser Masterarbeit ist es, Erkenntnisse über Musik aufzuzeigen, die für die
Soziale Arbeit von Bedeutung sind. Im Fokus steht folgende Fragestellung: Inwiefern
können musikalische Interventionen und Angebote für die Soziale Arbeit im
psychiatrischen Kontext hilfreich sein?

Gerade in psychiatrischen Arbeitsfeldern ist es bedeutsam, den Klient*innen Angebote


abseits der konventionellen Interventionen zu ermöglichen, da unterschiedliche
Verarbeitungs- und Bewältigungsprozesse eine Vielfalt von Angeboten verlangen.
Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nach wie vor mit strukturbedingten
Barrieren konfrontiert, die ihnen die gesellschaftliche Teilhabe erschweren. Symptome
und Stigmatisierung bestimmen das alltägliche Leben. Zudem führt eine psychische
Erkrankung oft zum Verlust des Arbeitsplatzes und somit stehen erkrankte Menschen
unter dem enormen Druck, sich wieder in ins soziale und gesellschaftliche Leben
eingliedern zu müssen. Solche Lebenslagen erfordern Bewältigungsstrategien, die zu
einer gelingenden Lebensführung beitragen. Die Soziale Arbeit verfolgt das Ziel
konstruktive Bewältigungsstrategien zu fördern. Die einzelnen Strategien ergeben sich

1
aus den Ressourcen der Menschen und können demnach sehr unterschiedlich erscheinen.
Neue und kreative Bewältigungsstrategien könnten beispielsweise durch musikalisch-
kreative Angebote entstehen (vgl. Kraus 2016, S. 17).

Im Allgemeinen gibt es bereits wissenschaftliche Literatur über die Schnittstelle von


Sozialer Arbeit und Musiktherapie. Der Bereich der Musik in der Sozialen Arbeit lässt
sich trotzdem eher selten in der Praxis finden. Deshalb stützt sich die vorliegende
Ausarbeitung auf Erkenntnisse der Sozialen Arbeit und der Musikwirkungsforschung.
Die Musiktherapie und die Musikwirkungsforschung sind darum bemüht
wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf die Wirkung von Musik zu erlangen.
Letztere steht in enger Verbindung mit psychotherapeutischen, psychologischen und
medizinischen Erkenntnissen. Der Einsatz von differentiellen Forschungsmethoden ist in
der Musikwirkungsforschung noch neu, deshalb stehen momentan vor allem
Forschungstechnologien aus der Neurobiologie im Vordergrund (Wiener Zentrum für
Musiktherapieforschung 2019, o.S.). Bei der empirischen Untersuchung im Rahmen
dieser Masterarbeit handelt es sich um ein qualitatives Vorgehen mit teilnehmender
Beobachtung und Expert*inneninterviews.

Die Trennung von Sozialpädagogik und Sozialarbeit wird in dieser Masterarbeit


terminologisch aufgehoben. Beide Begriffe werden unter dem Begriff der ‚Sozialen
Arbeit‘ subsummiert. Soziale Arbeit meint in dieser Arbeit also alle sozialpädagogischen
und sozialarbeiterischen Aspekte.

Das erste Kapitel dieser Arbeit widmet sich der terminologischen Klärung der
grundlegenden Begriffe. Es werden sozialpsychiatrische Handlungsfelder und Konzepte
beschrieben. Die Grundlagen der Musikwirkungsforschung und die Ansätze der
Musiktherapie lassen sich im zweiten Kapitel finden. Im dritten Kapitel wird Musik im
Kontext der Pädagogik bearbeitet. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den Schnittfeld
von Therapie und Sozialer Arbeit. Dabei liegt der Fokus auf den Gemeinsamkeiten und
Unterschieden zwischen psychotherapeutischen und sozialpädagogischen Angeboten. Im
fünften Kapitel werden Ansätze für musikalische Interventionen und Angebote in der
Sozialen Arbeit beschrieben. Die Ergebnisse der Literaturbearbeitung werden im
sechsten Kapitel zusammengefasst, bevor sich das siebte Kapitel dem
Forschungsdesign widmet. Im achten Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen

2
Untersuchung dargestellt. Darauf aufbauend werden im neunten Kapitel die
Forschungsergebnisse mit der bearbeiteten Literatur verglichen und diskutiert. Das Fazit
im zehnten Kapitel beschließt die Arbeit.

3
Für die Verständlichkeit dieser Arbeit ist es essenziell, zunächst grundlegende
Begrifflichkeiten zu thematisieren. Deshalb wird nachfolgend Soziale Arbeit im
Handlungsfeld der Psychiatrie dargestellt.

1. Psychiatrie und Soziale Arbeit


Psychische Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit, denn psychische oder
psychosomatische Erkrankungen können jeden Menschen treffen und in jedem
Lebensalter auftreten (vgl. Schmidt/Stegemann/Spitzer 2020, S. 3). Die Psychiatrie
bezieht sich nicht nur auf die ärztliche Behandlung seelischer Störungen (Clausen/Dresler
et al. 1997, S. 15). Unterschiedliche therapeutische Ansätze und die Erforschung von
psychischen Erkrankungen spielen dabei eine ebenso bedeutende Rolle (vgl.
Möller/Laux/Deister 2005, S. 1).

Der ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter


Gesundheitsprobleme) ist das grundlegende Instrument für die Klassifikation
unterschiedlicher Erkrankungen. Die Kategorisierung psychischer Erkrankungen bildet
die Basis für die Erforschung multifaktorieller Entstehungszusammenhänge, denn
Ursprünge und Ursachen psychischer Erkrankungen können vielfältig sein: Genetik, prä-
, peri- und postnatale Schäden, die Umstände des Aufwachsens, Belastungen und
Traumata, organische Erkrankungen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch
und weitere Faktoren können die Entstehung von psychischen Erkrankungen beeinflussen
(vgl. Bschor/Grüner 2019, S. 9).

Psychische Erkrankungen treten grundsätzlich häufig auf. Dies zeichnet sich auch in einer
Untersuchung der Medizinische Universität Wien ab. Bei einer Stichprobe von 1000
Personen litten im Laufe eines Jahres 22,7 Prozent an irgendeiner diagnostizierten
psychischen Erkrankung (vgl. Wancata 2017, S. 17). Bschor und Grüner (2019) sprechen
bei einigen psychiatrischen Erkrankungen sogar von Volkskrankheiten, die sich
epidemiologisch mit den internistischen Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-
Erkrankungen oder Diabetes mellitus vergleichen lassen (vgl. Bschor/Grüner 2019, S. 9).
Zu den Erkrankungen, die im ICD 10 beschrieben werden, gehören:

4
• körperlich begründbare Störungen (z. B. traumatische Hirnschäden, Demenz)
• psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (z. B.
Verhaltensstörungen durch Alkohol, Opioide, Cannabinoide etc.)
• Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen (z. B. Schizophrenie,
psychotische Störungen etc.)
• Affektive Störungen (z. B. Depression, Manie, bipolare affektive Störung etc.)
• Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen (z. B. Angststörungen,
Zwangsstörungen etc.)
• Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (z. B.
Essstörungen, nicht organische Schlafstörungen etc.)
• Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (z. B. Borderline-
Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung etc.)
• Intelligenzminderung (z. B. leichte, mittelgradige oder schwere
Intelligenzminderung etc.)
• Entwicklungsstörungen (z. B. Lese- und Rechtsschreibstörung, frühkindlicher
Autismus, Artikulationsstörung etc.)
• Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (z.
B. hyperkinetische Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, emotionale
Störungen des Kinderalters etc.) (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt 2015, S. 5)

5
Therapeutische Interventionen und Angebote orientieren sich im psychiatrischen Kontext
an den drei Hauptsäulen, die in Abbildung 1 aufgeführt sind.

Abbildung 1: Behandlungsspektrum psychischer Störungen (Gühne/Fricke/Schliebener/Becker/Riedel-Heller 2018, S.


6)

Hier wird ersichtlich, dass sich therapeutische Angebote an unterschiedlichen Aspekten


und Methoden orientieren. Um eine möglichst umfassende und ganzheitliche Behandlung
zu gewährleisten, sind alle therapeutischen Interventionen von Bedeutung. Die Soziale
Arbeit lässt sich dabei im Bereich der psychosozialen Therapien verorten. Psychosoziale
Therapien zielen auf eine Änderung der sozialen Interaktionen ab. Zum einen sollen die
Fähigkeiten und Möglichkeiten der Klient*innen hervorgehoben werden und zum
anderen werden Ressourcen der Umgebung mobilisiert. Psychosoziale Therapien nehmen
Klient*innen in ihrem sozialen Umfeld wahr, während sich die Psychotherapie auf die
innerpsychischen Prozessen fokussiert. Das Ziel von Psychosozialen Therapien ist es,
Klient*innen dahingehend zu unterstützen, ihre Ressourcen maximal auszuschöpfen und
dadurch Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit zu erlangen. Kennzeichnend für die
Durchführung von Psychosozialen Therapien ist die Multiprofessionalität. Dabei
kooperieren beispielsweise Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen,
Ergotherapeut*innen und Psycholog*innen (vgl. Becker/Reker/Weig 2005, S. 9-12).
Gerade bei schweren oder chronischen Erkrankungen ist aber ein multiprofessionelles
Handeln unabdinglich. Dabei trifft interdisziplinäres Wissen zusammen und somit kann

6
eine ganzheitliche Betrachtungsweise gewährleistet werden (vgl. Schmeck/Schlüter-
Müller 2012, S. 84).

Wie viele andere Tätigkeitsbereiche trägt auch das psychiatrische Handlungsfeld zur
professionellen Identitätsbildung der Sozialen Arbeit bei (vgl. Homfeldt 2012, S. 1f.).
Damit ist gemeint, dass durch die praktische und wissenschaftliche Arbeit im
psychiatrischen Kontext die Rolle und die Wichtigkeit der Sozialen Arbeit begründet
werden kann. Dadurch lässt sich die Soziale Arbeit inmitten von traditionell verwurzelten
Professionen, wie der Medizin behaupten.

In den 1980er Jahren bildete sich die Psychiatriebezogene Sozialpädagogik heraus:

„Bei Psychiatriebezogener Sozialpädagogik handelt es sich um eine Sozialpädagogik, die


mit sozialpädagogischen Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Solidarität mit
Benachteiligten, Armut und abweichendem Verhalten konfrontiert und an den
Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten von Personen orientiert bleibt, die aber
zugleich psychiatrisches Fachwissen in eine sozialpädagogische Betrachtungsweise
sozialer Probleme integriert“ (Schmid/Tetzer et al. 2012, S. 11).

Die Sozialpädagogik im psychiatrischen Kontext will demnach niederschwellige


psychosoziale Hilfen anbieten, da viele Menschen mit psychischen Erkrankungen keine
angemessene psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung erhalten. Die
Gründe dafür können unterschiedlich sein, denn einerseits sind psychotherapeutische
Behandlungen oft mit einem hohen finanziellen Aufwand verknüpft und andererseits sind
die Ressourcen der Psychotherapeut*innen begrenzt. Wirkungsvolle
Unterstützungsangebote sind meist interdisziplinär angedacht, da neben
Krankenhausaufenthalten in vielen Fällen Bedarf nach psychosozialer Unterstützung
besteht (vgl. ebd.).

7
1.1. Aufgaben der Sozialen Arbeit im psychiatrischen Kontext

Grundsätzlich richtet sich die Soziale Arbeit im psychiatrischen Kontext an Menschen


jedes Alters. Im Allgemeinen beschäftigt sich die Soziale Arbeit im psychiatrischen
Kontext mit psychosozialen Prozessen bei der Lebensbewältigung. Ziel ist es,
Klient*innen dabei zu helfen, ihre Erkrankung ins Leben zu integrieren (vgl. Homfeldt
2012, S. 13). Dabei sollte aber nicht nur die Erkrankung im Vordergrund stehen, sondern
vor allem der Prozess der Genesung. Gesundheitsförderung soll

„allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit (…)
ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit (…) befähigen. Um ein
umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es
notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre
Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern
bzw. verändern zu können. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher
Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie
die körperlichen Fähigkeiten“ (Witteriede 2005, S. 132ff.).

Um die Gesundheit der Klient*innen im psychiatrischen Kontext zu fördern, gilt es sich


an den Ressourcen der einzelnen Klient*innen zu orientieren. Im folgenden Absatz
werden die konkreten Aufgabenbereiche von Sozialarbeiter*innen und
Sozialpädagog*innen thematisiert.

Sozialarbeiter*innen lassen sich im Kontext der Psychiatrie als Netzwerker*innen


beschreiben. Sie beschäftigen sich beispielsweise mit der Vermittlung von Plätzen im
Betreuten Wohnen oder in Tagesstrukturen (vgl. Bock/Kluge 2019, S. 72).
Sozialarbeiter*innen sind hautsächlich im Sozialdienst der Kliniken zu finden, wo sie
sich hauptsächlich mit der Vernetzungsarbeit mit Diensten außerhalb der Klinik und mit
der Klärung von rechtlichen Ansprüchen beschäftigen. Im Allgemeinen kann gesagt
werden, dass der Kliniksozialdienst sozialpädagogische und umfeldbezogene
Maßnahmen vernetzt und koordiniert (vgl. Denner 2008, S. 58).

Im Gegensatz dazu sind Sozialpädagog*innen mit anderen pädagogischen Fachkräften


und Pflegekräften oft als pädagogisch-pflegerische Teams auf den Stationen tätig. Das
auf den Stationen tätige pädagogisch-pflegerische Team entwickelt gemeinsam
Erziehungskonzepte, die sich auf das therapeutische Gesamtkonzept der Klinik stützen.
Sie strukturieren Tagesabläufe, gestalten Freizeitaktivitäten, unterstützen

8
Therapeut*innen bei den Aufnahmen sowie bei Elterngesprächen und organisieren die
pädagogische Familienarbeit. Das Führen eines Dokumentationssystems und die
pädagogische Eingangsdiagnostik gehören ebenfalls zu den Aufgaben der
Sozialpädagog*innen (vgl. Denner 2008, S. 58). Außerhalb der Klinik sind
Sozialpädagog*innen außerdem bei sozialpsychiatrischen Diensten, im Betreuten
Wohnen und in Tagesstrukturen tätig (vgl. Bock/Kluge 2019, S. 72).

Besonders im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist die Soziale Arbeit essenziell,
da durch sozialarbeiterische und sozialpädagogische Interventionen in Kombination mit
therapeutischen Angeboten große Veränderungen herbeigeführt werden können (vgl.
Schmid/Tetzer et al. 2012, S. 12). Folglich widmet sich das nächste Kapitel auch der
Kinder- und Jugendpsychiatrie.

1.2. Kinder- und Jugendpsychiatrie

Die Kinder und Jugendpsychiatrie (KJP) ist eine medizinische Fachdisziplin, die sich mit
der Behandlung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen befasst (vgl. Denner
2008, S. 58). Sie „umfasst die Erkennung, nicht-operative Behandlung, Prävention und
Rehabilitation bei psychischen, psychosomatischen, entwicklungsbedingten und
neurologischen Erkrankungen oder Störungen sowie bei psychischen und sozialen
Verhaltensauffälligkeiten des Kinder- und Jugendalters“ (Warnke/Lehmkuhl 2003, S. 1).

Im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt es für die Soziale Arbeit, nach den
sozialen Einflüssen der Kinder und Jugendlichen zu fragen. Soziale Strukturen haben
einen enormen Einfluss auf Kinder und Jugendliche. Diesen Einfluss zeigen die
Ergebnisse der KIGGS-Studie aus dem Jahr 2007 deutlich: Kinder, die in instabilen
Familienverhältnissen aufwachsen, beginnen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu rauchen
und sind für psychische Auffälligkeiten anfälliger. Zusätzlich zeigte sich, dass Kinder
Alleinerziehender mit größerer Wahrscheinlichkeit an einem schlechteren
gesundheitlichen Zustand leiden (vgl. ebd., S. 5). Die Soziale Arbeit wird vor allem
benötigt, um chronisch kranken Kinder und Jugendlichen Lebensperspektiven zu
ermöglichen. Laut der HBSC-Studie (2006) weisen 20 Prozent der 11- bis 15-Jährigen in
Österreich eine chronische Krankheit auf. Zu den am häufigsten diagnostizierten

9
chronischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zählt beispielsweise die
Aufmerksamkeitsdefizit-Störung. Die Störung wird, da von körperlichen Ursachen
ausgegangen wird, zu den Körperbehinderungen gezählt. Diese Erkrankung muss jedoch
klar von anderen Formen hyperaktiven Verhaltens abgegrenzt werden, da Hyperaktivität
durchaus entwicklungsbedingt bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auftreten
kann. In diesem Fall würde die Hyperaktivität aber nicht als Störung gesehen werden
(vgl. Bernitzke 2015, S. 176f.). Aber auch andere Störungsbilder können für Kinder und
Jugendliche und deren Familien zu einer Herausforderung werden. Zu den wichtigsten
Störungsbildern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gehören:

• überdauernde Entwicklungsstörungen (Autistische Störung, Hyperkinetische


Störung des Sozialverhaltens, Lese- und Rechtschreib-Störung, Bindungsstörung
etc.)
• reifungsabhängige Störungen (Enuresis1, Enkopresis2, Alterstypische Phobien,
Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung, Parasomnien3 etc.)
• entwicklungsabhängige Interaktionsstörungen (Schulbezogene Angststörung,
Trennungsangststörung, Induzierte Schlafstörung etc.)
• alterstypisch beginnende Störungen (Anorexie und Bulimie, chronisch-
motorische Ticstörung, Zwangsstörung, Soziale Phobie, Depressive Störung etc.)
• früh beginnende Störungen des Erwachsenenalters (Angststörung, Schizophrene
Störung, Somatoforme Störung, Substanzabhängigkeit etc.)
• altersübergreifende Störungen (psychosomatische und somatopsychische
Störungen, Symptomatische Störungen bei körperlichen Erkrankungen etc.) (vgl.
Warnke/Lehmkuhl 2003, S. 15)

Neben der Kinder- und Jugendpsychiatrie kann auch die Sozialpsychiatrie als
Unterdisziplin der allgemeinen Psychiatrie betrachtet werden.

1
Einnässen
2
Einkoten
3
Verhaltensauffälligkeiten, die aus dem Schlaf heraus auftreten

10
1.3. Sozialpsychiatrie

Die Sozialpsychiatrie befasst sich vor allem mit den Umständen des alltäglichen Lebens
und dessen Auswirkungen auf das Entstehen und den Verlauf von psychischen
Erkrankungen (vgl. Gruber et al. 2018, S. 6). Nach Ciompi (1995) wird die
Sozialpsychiatrie wie folgt definiert:

„Sozialpsychiatrie ist derjenige Bereich der Psychiatrie, der psychisch kranke Menschen in
und mit ihrem sozialen Umfeld zu verstehen und zu behandeln sucht. Sie studiert die
Wechselwirkungen zwischen sozialen, psychologischen und biologischen Faktoren und
bezieht Familie, Wohn- oder Arbeitssituation gezielt in die Prävention und Behandlung
psychischer Störungen mit ein“ (Ciompi 1995, S. 205f.).

Bezugnehmend auf Ciompi lässt sich festhalten, dass die Sozialpsychiatrie die
Zusammenhänge zwischen sozialer Umwelt und psychischen Erkrankungen genauer
betrachtet. Anders als in der allgemeinen Psychiatrie gehört auch die Prävention von
psychischen Erkrankungen zu den Aufgaben der Sozialpsychiatrie. Sie beschäftigt sich
unter anderem mit der Pathogenese, also den Ursachen einer Erkrankung. Die
Salutogenese hingegen fragt nach den Umständen, die Gesundheit fördern und
aufrechterhalten. Das folgende Kapitel widmet sich dem Konzept der Salutogenese und
dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit im psychiatrischen Kontext.

1.4. Über die Entstehung von Gesundheit und Krankheit

Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky gilt als Begründer des Salutogenese-Konzepts.


Seine ersten Überlegungen basierten auf der Annahme, dass Stressoren nicht unbedingt
jeden Menschen erkranken lassen. Vielmehr vertrat er die Theorie, dass Stressoren zwar
Spannungszustände herbeiführen können, aber nicht unabdingbar zu negativem Stress
(Distress) und in weiterer Folge zu Krankheit führen. Auf Basis dieser Beobachtungen
entwickelte Antonovsky das Konzept der Salutogenese (vgl.
Bengel/Strittmatter/Willmann 2001, S. 20ff.).

Die Salutogenese beschäftigt sich also mit der Frage, warum Menschen in manchen
Fällen gesund bleiben, obwohl sie potenziell gesundheitsgefährdenden Einflüssen
ausgesetzt sind und wie sich Menschen wieder von Erkrankungen erholen (vgl. ebd., S.

11
24). Antonovsky beschreibt Stressoren als eine Anforderung an den Organismus, die
bewältigt werden soll. Gelingt es nicht, diese Anforderung zu bewältigen, entsteht
Distress, der sich negativ auf den gesundheitlichen Zustand der Person auswirken kann.
Im Gegensatz dazu folgt bei erfolgreicher Anspannungsbewältigung eine
gesundheitsfördernde Wirkung, da die Person positive Bestätigung erhält (vgl. ebd., S.
32f.). Um diese Anspannung erfolgreich bewältigen zu können, müssen Ressourcen
aktiviert werden, die der Person dabei helfen, Anforderungen zu bewältigen, aus denen
diese Anspannungen resultieren. Die Ressourcen beziehen sich dabei auf individuelle,
soziale und kulturelle Faktoren. Dazu zählen beispielsweise finanzielle Sicherheit, Ich-
Stärke, genetisch geprägte oder organische Faktoren, Intelligenz und praktische
Bewältigungsstrategien (vgl. ebd., S. 144). Von enormer Wichtigkeit ist die
Schlussfolgerung, dass der Mensch seiner Erkrankung nicht schutzlos ausgeliefert und
nicht von Mediziner*innen und Therapeut*innen abhängig ist. Vielmehr wird er als
aktives Subjekt betrachtet, das über Widerstandsressourcen verfügt und diese zur
Krankheitsbewältigung einsetzen kann (Höfer 2010, S. 58).

Gesundheit und Krankheit werden bei Antonovsky als natürliche Bestandteile des
menschlichen Lebens betrachtet. Die in der Psychiatrie gängigen Modelle von
Gesundheit und Krankheit berücksichtigen, wie bereits erwähnt, ebenfalls individuelle,
soziale und biologische Faktoren. Scharfetter (2017) forderte eine Reformation der
älteren Gesundheits- und Krankheitsbegriffe, die noch stark an Normvorstellungen
gebunden waren. Die folgende Definition versucht, dem Gesundheitsbegriff nahe zu
kommen.

„Gesund ist der Mensch, dem u. U. auch trotz des Leidensdrucks einer Körperkrankheit
und/oder gegen den Normendruck seiner Gesellschaft – sein Leben gelingt
(Selbstverwirklichung), der den Forderungen seines Wesens (Echtheit) und der Welt
entsprechen und ihre Aufgaben bestehen kann (Adaptation, Coping) – einer, der sich im
Leben bewährt“ (Scharfetter 2017, S. 12).

Diese Definition von Gesundheit wird dem salutogenetischen Begriff am ehesten gerecht,
da der Mensch als aktives Subjekt in Bezug auf die Bewältigung einer krankheitswertigen
Situation betrachtet wird. Der im psychiatrischen Bereich gebrauchte Krankheitsbegriff
wird wie folgt definiert:

„Krank ist im Selbstverständnis des ‚Patienten‘ und im Urteil seiner Umwelt, wer, aus
welchem Grund immer, an sich und der Welt über das landes- und gruppenübliche

12
Ausmaß hinaus (sic) qualitativ oder/und quantitativ leidet (…), wer mit den gegebenen
nicht allzu extremen Verhältnissen bis zu einem lebensbeeinträchtigenden Maß nicht
zurechtkommt, wer in der Lebens- und Weltbewährung versagt (…), wer infolge seines
hochgradigen Andersseins nicht in lebendige Verbindung zu anderen Menschen treten
kann (..)“ (Scharfetter 2017, S. 13).

Krankheit wird in diesem Sinne mit dem Scheitern eines gelingenden Lebens – ohne die
Gründe dafür zu beurteilen – in Verbindung gebracht. Außerdem werden in dieser
Definition die Aspekte des Befremdlichen, dem aus der Realität heraus Gerückten,
erwähnt. Damit sind beispielsweise schwere Anpassungs- oder Persönlichkeitsstörungen
gemeint (vgl. ebd.). Ergänzend dazu wird der Begriff ‚Krise‘ gebraucht.

„Krise meint eine zugespitzte, angespannte, Besorgnis, oft Angst weckende


Lebenssituation. Jede Krise ist eine Zeit der Unsicherheit, des Ringens um Bestand und
gleichzeitig Neuorientierung. Krise ist ein Abschnitt in einem biographischen Prozess, in
welchem noch nicht klar ist, in welche Richtung dieser sich entwickeln wird. Jedenfalls
enthält die Krise Wandlungsmöglichkeiten sowohl zum Guten (Weiterentwicklung,
Kraft, Mut, Ich-Relativierung, Loslassen im Sinne von Nichthaften, Gewinn an
Autonomie, Reifung, Überblick) als auch zum Schlechten (Entmutigung, Selbstzweifel,
Selbstaufgabe, Bedrohung von Chaos und Bodenlosigkeit, Zusammenbruch im Sinne der
Ich-Desintegration)“ (Scharfetter 2017, S. 13f.).

Übersteigt eine solche krisenhafte Situation das Bewältigungsvermögen eines Menschen,


der an der Krise in weiterer Folge daran scheitert und zerbricht, werden einige Kriterien
des Krankheitsbegriffes erfüllt (vgl. ebd., S. 14). Im Sinne der Prävention wäre es wichtig,
dass Menschen, die mit nicht bewältigbaren Krisen zu kämpfen haben, früh genug
Unterstützung erhalten, um gar nicht erst zu erkranken.

Zentral für die Entstehung von Krankheit sind demnach unterschiedliche Gegebenheiten.
Die Psychiatrie als Wissenschaft bemüht sich darum, herauszufinden, welche Faktoren
und Gegebenheiten für die Entstehung psychiatrischer Erkrankungen förderlich sind. Ein
Erklärungsmodell dafür ist das bio-psycho-soziale Modell. Dabei wird der Fokus vor
allem das Zusammenwirken von biologischen und psychosozialen Aspekten und deren
Auswirkungen gelegt (vgl. Möller/Laux/Deister 2005, S. 1).

13
1.4.1. Bio-psycho-soziales Verständnis

Bereits die Bezeichnung dieses Modells macht deutlich, dass die Betrachtungsweise auf
Menschen und deren Erkrankungen mehrere Perspektiven integriert. Menschen und ihre
Erkrankungen sind als aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. „Der Grundgedanke
dieses Modells besteht demnach darin, dass alle drei Bedingungen – die biologisch-
organische, die psychische und die soziale – in sich kontinuierlich ändernden
Wechselbeziehung unterstehen und aus diesen Faktoren und deren Veränderungen sich
Entwicklungen und Verlauf von Störungen erklären lassen“ (Jungnitsch 2009, S. 33f.).
Um also effiziente Hilfen anbieten zu können, ist es unabdinglich, interdisziplinär
zusammenzuarbeiten. Bezugnehmend auf Jungnitsch (2009) lässt sich ableiten, dass
dieses Modell von Krankheit und Gesundheit mehrere Ebenen integriert und so auch
soziale Dimensionen bei der Entstehung von Krankheiten berücksichtigt. Daraus ergibt
sich, dass sich soziale Probleme belastend auf die psychische Gesundheit auswirken
können und umgekehrt kann eine psychische Erkrankung soziale Probleme auslösen
sowie beeinflussen.

Das folgende Kapitel widmet sich den sozialen Aspekten bei der Entstehung von
Krankheit.

1.4.2. Zusammenhäng von Krankheiten und sozialen Gegebenheiten

Der Zusammenhang von Krankheit und sozialem Status ist schon lange bekannt.
Konkrete Zusammenhänge mit der sozialen Situation zeigten sich in Bezug auf
Herzkrankheiten, Schlaganfälle sowie Krebs- und Lebererkrankungen. Ausgegrenzte
Menschen leiden oft an psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Auch für
Kinder und Jugendliche gilt, dass Armut psychisch und körperlich krank macht.
Chronische Krankheiten treten häufiger und früher auf als bei Kindern und Jugendlichen,
die nicht in sozial bedenklichen Kontexten aufwachsen. Speziell bei minderjährigen
Migrant*innen und Asylant*innen fördern die psychischen und physischen Belastungen
der Flucht sowie Traumatisierungen das Erkrankungsrisiko (vgl. Trabert 1999, o.S.).

14
Weiters beeinflusst der sozioökonomische Status in der Kindheit die psychosoziale
Entwicklung und Gesundheit im Jugendalter. Im Kindes- und Jugendalter lassen sich oft
noch keine signifikanten Zusammenhänge erkennen. Erst im Erwachsenenalter werden
die Unterschiede in Bezug auf den gesundheitlichen Zustand erkannt (vgl. Homfeldt
2012, S. 5). Dies lässt sich unter anderem mit der Pufferhypothese erklären. Diese besagt,
dass bei Jugendlichen der Einfluss der Familie abnimmt, da sekundäre und tertiäre
Sozialisationsinstanzen (Schule, Peergroup) mehr an Bedeutung gewinnen. Diese
Tatsache schwächt den Einfluss des sozioökonomischen Status auf die Gesundheit. Erst
im Erwachsenenalter gewinnen soziale Strukturen aus der Kindheit tendenziell wieder an
Bedeutung und ab diesem Zeitpunkt lassen sich auch wieder schlechtere gesundheitliche
Zustände der Betroffenen festmachen (vgl. ebd., S. 6).

Zusammenhänge zwischen depressiven Störungen und sozialen Konflikten,


Arbeitsumgebung, Diskriminierung, Hygienebedingungen, baulicher Umgebung oder
Arbeitslosigkeit sind bereits empirisch belegt. Einschränkende Lebensbedingungen, die
aus unzureichenden sozioökonomischen Ressourcen entstehen scheinen das
Depressionsrisiko deutlich zu erhöhen. (vgl. Spini/Pin le Corre/Klaas 2016, S. 32f.).
Verfügt eine Person über zu wenig Ressourcen, können belastende Ereignisse und
Situationen schlechter bewältigt werden. Ergänzend soll nachfolgend das Stressmodell
von Lazarus dargestellt werden, denn es bezieht sich ebenfalls auf die Entstehung von
Erkrankungen.

1.4.3. Stressmodell nach Lazarus

Anforderungen und herausfordernde Situationen bedingen in vielen Fällen eine


Stressreaktion, die in weiterer Folge mit der Bewältigung dieser Situation in Verbindung
steht. Das transaktionale Stressmodell geht, wie das Konzept der Salutogenese, davon
aus, dass Stress dann entsteht, wenn eine herausfordernde Situation die Möglichkeiten
und Ressourcen eines Menschen übersteigt. Das bedeutet, dass die persönlichen
Bewältigungsmöglichkeiten nicht mehr ausreichen, um eine Situation bewältigen zu
können. Dabei soll darauf hingewiesen werden, dass das Stressempfinden einzelner
Personen höchst subjektiv ist. Wie stark die Stressreaktion ausfällt, wird also nicht nur

15
von den objektiven Stressoren beeinflusst, sondern vor allem von der subjektiven
Bewertung (vgl. Knoll 2014, S. 1503). Dabei unterscheidet Lazarus drei Ebenen der
Bewertung:

In der ersten Ebene der Bewertung (primäre Bewertung) beschäftigen sich Betroffene mit
der Frage, ob eine Situation relevant oder irrelevant ist. Trifft Zweiteres zu, erfolgt keine
weitere Bewertung. In weiterer Folge erfolgt bei relevanten Ereignissen die Einschätzung
(sekundäre Bewertung), ob die persönlichen Ressourcen und Möglichkeiten ausreichen,
um die Situation bewältigen zu können. Im letzten Schritt entscheiden die Ergebnisse der
primären und sekundären Bewertung in Kombination, ob Stress entsteht (vgl. ebd.). Das
Resultat der Bewertungen beeinflusst in weiterer Folge auch das Bewältigungsverhalten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Situationsbewertungen höchst individuell


sind und von den Ressourcen der Person abhängen. Nachfolgend werden soziale
Bewältigungslagen angeführt, die psychische Erkrankungen mit sich bringen.

1.5. Bewältigungslagen für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen

Im Alltag werden Menschen mit psychischen Erkrankungen meist ausgegrenzt und auf
eine Weise stigmatisiert, wie es bei organisch Erkrankten nicht der Fall ist (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004, S. 698). Die Symptome einer psychischen Erkrankung sind für
viele Menschen nicht nachvollziehbar und werden dabei oft abgelehnt oder gar als
gefährlich angesehen. Solche Prozesse führen dazu, dass nur wenige Betroffene
professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die Inanspruchnahme einer ärztlichen
Beratung wegen einer organischen Erkrankung fällt vielen Menschen leichter als die
Suche nach professioneller Hilfe bei psychischen Erkrankungen. Dies führt wiederum
dazu, dass viele Betroffene über einen langen Zeitraum keine Hilfsangebote annehmen.
Die Unwissenheit der Allgemeingesellschaft über psychische Erkrankungen führt dazu,
dass Menschen mit psychischen Erkrankungen mit dem Vorurteil eines Defizitwesens
konfrontiert sind. Oft liegt der Fokus bei Menschen mit psychischen Erkrankungen
ausschließlich auf der Erkrankung. Dabei werden die Ressourcen der Menschen oft außer
Acht gelassen. Diese Perspektive kann sich auch auf die Klient*innen selbst übertragen.

16
Sie nehmen sich selbst nur mehr als krank, gestört und abhängig war (vgl.
Möller/Laux/Deister 2005, S. 6f.).

Weiters haben viele Menschen mit psychischen Erkrankungen den Verlust ihrer
Arbeitsstelle zu beklagen und stehen somit neben sozialen, gesundheitlichen und
gesellschaftlichen Herausforderungen auch vor finanziellen Unsicherheiten (vgl. ebd.).
Psychische Erkrankungen gehen oft mit Langzeitarbeitslosigkeit einher und dadurch
werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in vielen Fällen nicht erreicht.
Entweder kann krankheitsbedingt kein Beruf ausgeübt werden oder das Herausfallen aus
einem bestehenden Arbeitsverhältnis führt zu längerfristiger Arbeitslosigkeit.
Arbeitslosigkeit bringt viel freie Zeit mit sich und somit entfällt auch eine Strukturierung
des Tagesablaufes. Fehlender Kontakt zu anderen Menschen, Scham- und Schuldgefühle
sind oft Begleiterscheinungen, die den Alltag bestimmen. Daraus resultieren Isolierung
und Vereinsamung. Es lässt sich ableiten, dass die Wechselwirkung zwischen
Symptomen der Erkrankung und den Auswirkungen langfristiger Arbeitslosigkeit die
Lebenslage in eine negative Richtung beeinflussen (vgl. Obert 2001, S. 36f.).

Auch wenn bereits viel Aufklärungsarbeit in Bezug auf psychische Erkrankungen und die
Psychiatrie geleistet wurde, werden Menschen mit psychischen Erkrankungen in vielen
Fällen immer noch mit gesellschaftsbedingten Barrieren konfrontiert. Das Ziel und der
Fokus der Sozialen Arbeit im psychiatrischen Kontext ist es, für Betroffene ein
‚normales‘ Leben als Teil der Gesellschaft zu realisieren. Um Ressourcen zu fördern,
werden in der Sozialen Arbeit unterschiedliche Konzepte angewendet.

1.6. Konzepte der Sozialen Arbeit im psychiatrischen Kontext

Im Fokus der Sozialen Arbeit steht in diesem Handlungsfeld unter anderem der Einfluss
der Umwelt. Aus diesem Grund ist es bedeutsam, das Konzept der
Lebensweltorientierung zu berücksichtigen. Das Konzept der Lebensweltorientierung ist
für das professionelle Arbeiten in psychiatrischen Kontexten unabdinglich. Die
Lebenswelt, also der Alltag der Adressat*innen, steht im Fokus des Konzepts. Durch die
Analyse der Lebenswelt sollen behindernde Rahmenbedingungen verändert werden und
dadurch wird Selbstbestimmtheit, Freiheit sowie ein menschlicheres Leben erlangt (vgl.

17
Engelke 1993, S. 274). Die Lebensweltorientierung setzt in der Praxis bei den
Alltagsressourcen an und versucht, gemeinsam mit den Adressat*innen neue Räume und
Ressourcen für ein gelingenderes Leben zu entwerfen.

In Bezug auf das Konzept der Lebensweltorientierung sind einige Aspekte besonders
bedeutsam. Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen in Bezug auf unaufhebbare
Ungleichheiten unterstützt werden um somit in das gesellschaftliche Leben integriert
werden. Unterstützende Interventionen und Angebote sollen am Alltag der Klient*innen
orientiert sein. Das bedeutet, dass Klient*innen in den gegebenen Verhältnissen
unterstützt werden sollen. Ressourcen, die für den Alltag von Bedeutung sind, sollen
gefördert und stabilisiert werden (vgl. Obert 2001, S. 131f.). Unabhängig davon sollen
Adressat*innen im Sinne der Partizipation ihre Lebenswelt in ihrer Eigensinnigkeit
selbstbestimmt gestalten können (vgl. Lauermann 2016, S. 9). Weiters soll eine regionale
Präsenz niederschwelliger, flexibler Hilfen gewährleistet sein. Dadurch kann eine
stationäre Aufnahme in ein Krankenhaus vermieden werden und Betroffene können in
ihrer Umgebung betreut werden (vgl. Obert 2001, S. 131). Durch präventive Angebote
sollen Klient*innen auch über die Gegenwart hinaus dazu befähigt werden,
problematische Ereignisse zu bewältigen (vgl. Lauermann 2016, S. 8).

Neben dem Konzept der Lebensweltorientierung ist auch das Konzept der
Lebensbewältigung von großer Bedeutung. Gerade bei Menschen mit psychischen
Erkrankungen ist dieses Konzept hilfreich, da es durch den tiefenpsychologischen
Argumentationskern eine nützliche Perspektive auf die Bewältigungslagen und die
Bewältigungsstrategien der Klient*innen geben kann.

1.6.1. Lebensbewältigung

Im Kontext der Sozialen Arbeit bedeutet Bewältigung, dass sich einzelne Menschen oder
Gruppen mit gesellschaftlichen, milieubezogenen oder individuellen Anforderungen
beschäftigen, diese lösen und Handlungsfähigkeit erlangen (vgl. Wedel 2020, S. 1). Wie
bereits erwähnt treffen Menschen psychischen Erkrankungen auf unerwartete
Herausforderungen und Anforderungen, die ihr alltägliches Leben betreffen.

18
Abgesehen von den psychischen Strukturen beeinflusst das soziale Milieu die
Bewältigungsform. „Unter Milieu verstehen wir (…) ein sozialwissenschaftliches
Konstrukt, in dem die besondere Bedeutung persönlich überschaubarer, sozialräumlicher
Gegenseitigkeits- und Bindungsstrukturen – als Rückhalte für soziale Orientierung und
soziales Handeln – auf den Begriff gebracht ist“ (Böhnisch 2016, S. 13). Dieses Milieu
ist einen wichtiger Einflussfaktor auf die Entstehung und Entwicklung von psychischen
Erkrankungen. Aber auch die Bewältigung wird von den ökonomischen und sozialen
Lebensverhältnissen beeinflusst (vgl. Böhnisch 2016, S. 13f.). Je mehr Ressourcen einem
Menschen zur Verfügung stehen, desto eher kann dieser kritische Lebensereignisse
produktiv bewältigen.

Das Konzept der Bewältigungslage erscheint geeignet, um zu überprüfen, ob in


bestimmten Bewältigungslagen Handlungsbedarf für die Soziale Arbeit besteht. Dieses
ist durch vier Dimensionen definiert:
• Ausdruck (Soziale Betroffenheit öffentlich mitteilen können): Dabei stellt sich
die Frage, ob Betroffene ihre kritische Situation zur Sprache bringen und sich
somit Hilfe holen können.
• Anerkennung (politisch-gesellschaftliche Berechtigung erhalten): Wird den
Betroffenen ihre kritische Lebenslage angelastet oder wird sie als soziales
Problem angesehen?
• Abhängigkeit (ökonomische Unselbstständigkeit und soziokulturelle
Eigenkompetenz regulieren): Haben Betroffene negative und defizitäre
Zuschreibungen übernommen?
• Aneignung (die Möglichkeit, soziokulturelle Räume eigenständig zu
erschließen): Werden den Betroffenen gewisse Räume verwehrt? (vgl. Drack-
Mayer 2016, S. 73).
Das Konzept der Lebensbewältigung berücksichtigt das Streben nach biografischer
Handlungsfähigkeit, welche in allen Lebenslagen besonders wichtig ist (vgl.
Böhnisch/Schröer 2010, S. 201). Das bedeutet, dass dieses Konzept die
Handlungsfähigkeit in allen Lebenslagen zu fördern und zu erhalten versucht. Wenn nicht
genügend Ressourcen vorhanden sind, können diese negativen Ereignisse nicht adäquat
verarbeitet werden und dabei besteht die Gefahr, dass sich diese Hilflosigkeit abspaltet
und sich gegen andere oder sich selbst richtet (vgl. Böhnisch 2016, S. 13ff.).

19
1.6.2. Tiefenpsychologische Aspekte

Grundlage für das Konzept der Lebensbewältigung ist die Annahme, dass jeder Mensch
eine innere Kraft besitzt. Wenn diese innere Kraft (das Selbst) auf starken Widerstand
durch die Umwelt trifft, beginnen Menschen möglicherweise, diese Kraft (ihre
Bedürfnisse) zu unterdrücken. Der innere Trieb trifft also auf gesellschaftlich bedingte
Anpassungserwartungen. Dadurch können Spannungen und innere Konflikte bereits im
Kindesalter entstehen (vgl. Böhnisch 2016, S. 12).

Konflikt bedeutet übersetzt ‚auseinanderschlagen‘ oder ‚zusammenstoßen‘. In den


Sozialwissenschaften oder der Psychologie wird erst dann von einem Konflikt
gesprochen, wenn zwei oder mehrere gleichzeitig auftretende Handlungsideen, -
motivationen oder Antriebe gegensätzlich oder unvereinbar sind. Ein Konflikt kann sich
auf

• eine einzelne Person (intrapersonell),


• mehrere Personen (interpersonell) oder
• Organisationssysteme beziehen (vgl. Stangl 2019, o.S.).

Durch massive Konflikte entwickeln sich oft Selbstwert- und Anerkennungsstörungen,


die sich häufig hinter antisozialem oder (auto-)aggressivem Verhalten verbergen.
Entscheidend dafür ist die Weise, wie auf diese Bedürfnisse und Triebe eingegangen
wird. Je stärker die persönlichen Bedürfnisse aus dem Selbst abgewehrt werden, desto
eher beginnen sich Menschen, vor den eigenen Bedürfnissen zu fürchten und diese als
abnormal wahrzunehmen. Durch diesen tiefenpsychologischen Zugang kann auch das
Bewältigungsverhalten genauer betrachtet werden, denn das Verhalten baut auf der
individuellen psychologischen Grundstruktur auf (vgl. Böhnisch 2016, S. 12).

1.6.3. Destruktives Bewältigungsverhalten

Grundsätzlich kann Bewältigungsverhalten konstruktiv oder destruktiv sein. Das


konstruktive Bewältigungsverhalten zielt auf langfristige Lösungen eines Problems,
während destruktives Bewältigungsverhalten dadurch charakterisiert ist, dass die
Ablenkung vom Problem im Vordergrund steht. Beispiele für destruktives

20
Bewältigungsverhalten wären beispielsweise Drogenkonsum oder selbstverletzendes
Verhalten (vgl. Deutsche Gesellschaft für bipolare Störungen 2017, o.S.).

Wenn dieses Bewältigungsverhalten schädlich für die Betroffenen oder für andere
Personen ist, kann von einer ‚Spaltung‘ gesprochen werden. Zur Abspaltung muss gesagt
werden, dass dieser Begriff vom griechischen ‚schizein‘ stammt. Das bedeutet, dass die
Sprachwurzeln für das ‚Schizoide‘, das innere Gespaltensein des Menschen, dieselben
sind. Der Historiker Christopher Lasch spricht dabei an, dass sich eine Abspaltung
dadurch bemerkbar macht, „dass sich der einzelne Mensch in infantiler Selbstbezogenheit
gegen jede tiefere emotionale, moralische und soziale Bindung sperrt“ (Decker-Voigt
2000, S. 38). Das Abspalten kennzeichnet sich häufig durch aggressives und
selbstzerstörerisches Verhalten. Ob eine Person Konflikte und problematische
Situationen bearbeiten kann, ohne sich abzuspalten, kommt in vielen Fällen auf die
Fähigkeiten und Ressourcen an, die jeder Einzelne durch seinen biographischen
Hintergrund erworben hat (vgl. Böhnisch 2016, S. 12f.).

Um eine Veränderung von destruktivem Bewältigungsverhalten herbeizuführen, müssen


demnach die tiefenpsychologischen Prozesse und Zusammenhänge erkannt werden, denn
dadurch kann gemeinsam erarbeitet werden, wodurch sich das (auto)aggressive oder
antisoziale Verhalten (Bewältigungsverhalten) entwickelt hat.

1.6.4. Konstruktives Bewältigungsverhalten

Sich Hilfe zu suchen oder Entspannungstechniken anzuwenden, sind im Gegensatz dazu


Beispiele für konstruktives Bewältigungsverhalten. Der Begriff ‚Coping‘ (engl. to cope
= handeln oder kämpfen) ist mit dem Begriff des Bewältigungsverhaltens gleichzusetzen
und meint alle Möglichkeiten des Umgangs mit oder der Thematisierung von belastenden
psychischen oder physischen Situationen. Ziel des Bewältigungsverhaltens ist es,
Anforderungen zu meistern, Konflikte aufzufangen und das Wohlbefinden
wiederherzustellen (vgl. Faltermaier/Lessing 2014, S. 340).

„In der Psychologie versteht man unter Coping die Gesamtheit aller Bemühungen und
Anstrengungen einer Person, die sich in einer wichtigen und auch überfordernden sowie
belastenden Situation befindet, in der sie nicht über entsprechende individuelle
Anpassungsmöglichkeiten verfügt“ (Stangl 2020, o.S.).

21
Der Begriff ‚Coping‘ ist auf den amerikanischen Psychologen Richard Lazarus
zurückzuführen. Unter ‚Copingstrategien‘ sind nicht nur konkrete Handlungsweisen zu
verstehen, sondern auch kognitive Prozesse. Die aktive Suche nach professioneller Hilfe
gehört beispielsweise zu den Verhaltensweisen im Rahmen von Bewältigungsstrategien,
während das Umdeuten von Situationen (Reframing) zu den kognitiven Prozessen gehört.
Lazarus teilt Bewältigungsversuche in folgende vier Bereiche ein:

• Informationen suchen: Dabei werden Informationen über das Problem selbst und
mögliche Lösungen gesucht.
• Direkte Handlungen unternehmen: Beispielsweise können die
problemverursachenden Umstände beeinflusst oder verändert werden.
• Handlungen unterlassen: Um krisenhafte Zustände subjektiv zu verbessern,
werden gewisse Verhaltensweisen vermieden.
• Intrapsychische Bewältigung: Darunter ist die Veränderung der Bewertung der
Situation zu verstehen (vgl. Faltermaier/Lessing 2014, S. 340).

Es lässt sich also zusammenfassen, dass sich die individuelle psychologische


Grundstruktur und die sozialen Ressourcen vor allem auf die Bewertung einer Situation
auswirken. Sie sind entscheidend dafür, wie Menschen mit herausfordernden Situationen
umgehen. Die Soziale Arbeit sollte es sich also zur Aufgabe machen, konstruktives
Bewältigungsverhalten zu fördern, um destruktives Bewältigungsverhalten obsolet zu
machen. Denn wenn durch konstruktives Verhalten Lösungen gefunden werden können,
wird destruktives Verhalten automatisch vermieden. Zentral für die Soziale Arbeit ist also
die Zurverfügungstellung, Erarbeitung und Förderung der individuellen Ressourcen.
Voraussetzung für diese Ressourcenförderung sind Raum, Zeit, Sprache und Beziehung
(vgl. Böhnisch 2016, S. 13ff.). Soziale Arbeit soll neue Spielräume eröffnen, in denen
Menschen Anerkennung finden und Distanz zu ihrer gegenwärtigen oder vergangenen
Lebenssituation gewinnen. Dadurch können das Verhalten und die Situation reflektiert
werden. Klient*innen können dabei die Erfahrung machen, dass sie nicht hilflos sind und
nicht auf antisoziales oder (auto)aggressives Bewältigungsverhalten angewiesen sind
(vgl. Böhnisch 2016, S. 15).

Im folgenden Kapitel wird eine Möglichkeit der Ressourcenerarbeitung und -förderung


thematisiert. Es wird dargestellt, inwiefern Musik für die Lebens- und

22
Problembewältigung förderlich sein und musikalische Elemente in der Sozialen Arbeit
hilfreich sein können.

23
2. Musiktherapie
Oft wird von der vielseitigen und förderlichen Wirkung von Musik geschwärmt.
Entsprechende Aussagen beziehen sich jedoch in vielen Fällen lediglich auf persönliche
Erfahrungen und nicht auf evidenzbasierten Forschungsergebnissen. Die Musiktherapie
hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Phänomen zu untersuchen und in der praktischen
Tätigkeit anzuwenden. Im österreichischen Musiktherapiegesetz wird Musiktherapie wie
folgt definiert:

„Die Musiktherapie ist eine eigenständige, wissenschaftlich-künstlerisch-kreative und


ausdrucksfördernde Therapieform. Sie umfasst die bewusste und geplante Behandlung von
Menschen, insbesondere mit emotional, somatisch, intellektuell oder sozial bedingten
Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, durch den Einsatz musikalischer Mittel in einer
therapeutischen Beziehung zwischen einem (einer) oder mehreren Behandelten und einem
(einer) oder mehreren Behandelnden mit dem Ziel

• Symptomen vorzubeugen, diese zu mildern oder zu beseitigen oder


• behandlungsbedürftige Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern oder
• die Entwicklung, Reifung und Gesundheit des (der) Behandelten zu fördern und zu
erhalten oder wiederherzustellen.

Die Ausübung des musiktherapeutischen Berufes besteht in der berufsmäßigen Ausführung


der im Abs. 1 umschriebenen Tätigkeiten, insbesondere zum Zweck der

• Prävention einschließlich Gesundheitsförderung,


• Behandlung von akuten und chronischen Erkrankungen,
• Rehabilitation,
• Förderung von sozialen Kompetenzen einschließlich Supervision sowie
• Lehre und Forschung.

Die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie ist den Musiktherapeuten


(Musiktherapeutinnen) vorbehalten. Anderen Personen als Musiktherapeuten
(Musiktherapeutinnen) ist die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie verboten.
Berufsmäßige Ausübung (Berufsausübung) der Musiktherapie liegt vor, wenn Musiktherapie
regelmäßig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen
Vorteil zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage einschließlich einer
nebenberuflichen Einkommensquelle zu erzielen.

Die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie ist im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur
zu einem Träger einer Krankenanstalt, einem Pflegeheim, einer Behinderteneinrichtung oder
einer vergleichbaren Einrichtung zulässig.“ (Bundesgesetz über die berufsmäßige Ausübung
der Musiktherapie 2019, o.S.)

Im deutschsprachigen Raum versteht sich die Musiktherapie als eine eigenständige


Behandlungsmethode, die medizinisch und psychotherapeutisch begründet ist. Musik

24
wird dabei als Medium der Psychotherapie verwendet, um innerpsychische Phänomene,
die nicht sprachlich ausgedrückt werden können, durch Musik auszudrücken und zu
symbolisieren. Das Ziel der Musiktherapie ist es, eine Problemlage zu erfassen und zu
behandeln (vgl. Hartogh/Wickel 2004, S. 54).

Im Mittelpunkt steht immer „der Musik erlebende und sich durch Musik ausdrückende
Mensch sowie die Resonanz, die bei anderen Beteiligten auslöst, mithin das
Beziehungsgeschehen in all seinen Aspekten“ (Oberegelsbacher 2012, S. 18). Das
bedeutet, dass Musiktherapie nicht nur den Symptomen, Mängeln oder Krankheiten auf
den Grund gehen will. Vielmehr ist es ihr Ziel, einen Spielraum zu eröffnen.
Bedeutungsvoll und essenziell ist das ressourcenorientierte Arbeiten, bei dem das
Hauptaugenmerk auf Wachstum und Kreativität gelegt wird (vgl. Decker-Voigt 2000, S.
29). Im Fokus der Musiktherapie steht nicht nur die Musik, sondern auch die
therapeutische Beziehung zwischen Therapeut*in und Klient*in. Dabei werden
sprachliche und nicht sprachliche Kommunikationsformen verwendet. Die Stärke der
Musiktherapie liegt darin, dass sie Menschen nicht nur verbal, sondern auch präverbal
beziehungsweise extraverbal erreichen kann. In der musiktherapeutischen Arbeit werden
psychologische und psychotherapeutische Mittel sowie Techniken angewendet (vgl.
Oberegelsbacher 2012, S. 18). Vor allem bei der Arbeit mit psychisch erkrankten
Menschen ist der oben bereits erwähnte Aspekt der Beziehung zwischen Therapeut*in
und Klient*in nicht zu vernachlässigen. Dieses Beziehungsgeschehen muss als zentraler
Faktor betrachtet werden, da auch dieser Aspekt den Entwicklungsprozess der
Klient*innen beeinflussen kann (vgl. Oberegelsbacher/Timmermann 2012, S. 29). Der
Einsatz von Musik in psychiatrischen Kontexten verfolgt folgende Ziele:

• Die Kommunikation und Beziehung,


• Die Nachreifung von krankheitswertigen Defiziten,
• Die Darstellung intrapsychischer Zustände,
• Das Freilegen verschütteter Emotionen und Traumata,
• Die Bewusstmachung von krank machenden Verhaltensweisen und
• Die Offenlegung und Veränderung sozialer Interaktionsmuster (Hartogh/Wickel
2004, S. 18f.)

25
Musiktherapeutische Angebote lassen sich nicht nur im Bereich der Psychiatrie finden,
sondern auch in anderen Bereichen der Medizin. Das folgende Kapitel widmet sich den
unterschiedlichen Praxisfeldern der Musiktherapie

2.1. Überblick über die Praxisfelder

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Musiktherapie in verschiedenen Praxisfeldern


etabliert – in den meisten Fällen dort, wo psychotherapeutische Behandlungen mit dem
Medium ‚Musik‘ für psychohygienische und krankheitsbedingte Aspekte angewendet
werden können. Bereits in der Neonatologie kann eine musiktherapeutische Behandlung
sinnvoll und hilfreich sein, vor allem bei frühgeborenen Kindern, um eine adäquate
Entwicklung zu fördern. Weiters lässt sich die Musiktherapie im Bereich der Kinder- und
Jugendpsychiatrie finden, wo sie sie sich mit allen Krankheitsbilden beschäftigt. In der
Erwachsenenpsychiatrie spielt eine große Bandbreite an Erkrankungen und Störungen
eine Rolle. Durch die Möglichkeit einer nicht sprachlichen Kommunikation zählen
daneben auch Menschen mit Beeinträchtigung zur Zielgruppe der Musiktherapie.
Ansonsten lässt sich die Musiktherapie noch in den Bereichen neurologische
Rehabilitation, Innere Medizin, Onkologie, Geriatrie, Palliativmedizin und Hospiz finden
(vgl. Timmermann/Oberegelsbacher 2012, S. 21).

Tabelle 1 zeigt die Anwendungsbereiche der Musiktherapie in der klinischen Praxis.

Tabelle 1: Anwendungsbereiche der Musiktherapie in der Schulmedizin (vgl. Schroder 2016, S. 3)

Fachgebiet Indikation
Dermatologie Neurodermitis
Psoriasis
Geriatrie Aphasie
Demenz
Depression
Schizophrenie
Gynäkologie Geburtsvorbereitung
HNO Tinnitus
Innere Medizin Asthma

26
Arterielle Hypertonie
CED
COPD
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Palliativmedizin
Kinder- und Jugendpsychiatrie Adoleszenzstörung
ADHS
Angststörung
Autismus
Depression
Misshandlung
Vernachlässigung
Neurologie Frührehabilitation
Koma
Morbus Alzheimer
Morbus Parkinson
Multiple Sklerose
Schädel-Hirn-Trauma
Schlaganfall
Pädiatrie Kindliche Frührehabilitation
Kindliche Migräne
Kinderonkologie
Neonatologie
Psychiatrie Gerontopsychiatrie
Psychotische Erkrankungen
PTBS/Traumatherapie
Suchterkrankungen
Psychosomatik Angststörung
Borderlinestörung
Coping mit HIV/Aids
Depression
Essstörung

27
Emotionales Coping
Schmerztherapie Chronische nicht maligne Schmerzen
Rücken- und Phantomschmerzen
Schmerzreduktion bei Operation
Somatisierungsstörung

Der Tabelle kann entnommen werden, dass die die Musiktherapie in vielen
schulmedizinischen Bereiche Einzug gefunden hat. Musiktherapeutische Angebote haben
ein großes Potential, da sie in unterschiedlichsten Bereichen unterstützend bei der
Lebens-, Krankheits- und Problembewältigung wirken können.

Die Musikwirkungsforschung beschäftigt sich mit der Frage welche


musikpsychologischen Prozesse bei der Problembewältigung eine Rolle spielen. Um die
Effekte der Musik auf den Menschen verstehen zu können, werden im folgenden Kapitel
musikpsychologische Grundlagen thematisiert.

2.2. Wie Musik auf den Menschen wirkt

Die Wirkung von Musik kann nur schwer erfasst werden, da sie individuell
unterschiedlich und subjektiv wahrgenommen wird. Alle Musik hat aber als Grundlage,
dass Schwingung produziert wird und sich durch Schallwellen ausbreitet, also einen
physikalischen Vorgang. Zu betonen ist aber, dass Musik ohne Menschen nicht existieren
könnte. Vor diesem Hintergrund spricht der rumänische Dirigent Sergui Celibidache von
der doppelten Wirklichkeit der Musik: Die erste Wirklichkeit erlangt Musik durch ihren
physikalischen Aspekt. Die zweite Wirklichkeit entsteht, sobald diese Wirkung auf den
Menschen trifft. Klänge und Rhythmen werden wahrgenommen und erst durch die
Verarbeitung der Zuhörer*innen werden Zusammenhänge zwischen den Klängen
generiert und einzelne Töne und Klänge werden zu einer zusammenhängenden Melodie.
Der physikalische Aspekt ist zwar die Voraussetzung für die Entstehung von Musik, ihre
Wirkung entfaltet sie aber „nur als Gegenstand in der Vorstellung oder im Bewusstsein
des Menschen, woraus sich erklärt, warum sie so unterschiedlich gehört wird“ (Bruhn

28
2004, S. 57). Mit diesem Phänomen beschäftigen sich vor allem die Musikpsychologie
und die Musikmedizin.

Unter Musikpsychologie versteht man die „(…) Wissenschaft der Wahrnehmung von
Musik, der Herstellung und Reproduktion von Musik und der Wirkung von Musik“
(Bruhn 2009, S. 317). Die Musikpsychologie und die Musikmedizin sind sehr eng
miteinander verbunden. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass sich die
Musikmedizin im Gegensatz zur Musikpsychologie mit der Miteinbeziehung von Musik
in schulmedizinische Behandlungsformen beschäftigt (vgl. Decker-Voigt 2012, S. 39).
Trotz der Bemühungen der Musikwirkungsforschung lassen sich nur begrenzt
Verallgemeinerungen über die Wirkung von Musik feststellen (vgl.
Oberegelsbacher/Timmermann 2012, S. 27f.). Daraus lässt sich schießen, dass die
Wirkung von Musik auf den Einzelnen stark von individuellen Faktoren abhängig ist, wie
beispielsweise dem biografischen Hintergrund des Menschen.

Hegi (1998) arbeitete fünf Wirkfaktoren von Musik heraus, zu denen Klang, Rhythmus,
Melodie, Dynamik und Form zählen. Diese Elemente werden in musiktherapeutischen
Methoden gezielt eingesetzt, wobei immer bedacht werden muss, dass die Musikwirkung
von der Wirkung der Umstände beeinflusst wird. Zu den beeinflussenden Faktoren zählen
beispielsweise persönliche Erlebnisse mit der Musik, die aktuelle Stimmung und die
Atmosphäre der Situation. Die Wirkung der Musik kann im Gesamtwirkungsgeschehen
allerdings unter zwei unterschiedlichen Aspekten betrachtet werden:

• der sich aktuell ereignende Hintergrund und


• der biografische Hintergrund (vgl. ebd., S. 27ff.).

Einige Ergebnisse kann die Musikwirkungsforschung aber trotzdem in Bezug auf die
Wirkung von angenehm empfundener Musik feststellen. Abbildung 2 zeigt die Wirkung
von angenehm empfundener Musik im Vergleich zur Wirkung von Stress auf
verschiedene Organsysteme des Menschen.

29
Abbildung 2: Gegenüberstellung von Körperreaktionen auf Stress und angenehm empfundene Musik (Stegemann
2018, S. 75)

Bezugnehmend darauf kann festgestellt werden, dass sich angenehm empfundene Musik
beruhigend (trophotrop) auf Menschen auswirken kann. Trotzdem kann Musik aber auch
aktivierend und stimulierend (ergotrop) wirken. Dies hängt aber, wie bereits erwähnt, von
unterschiedlichen Faktoren ab. Beispielsweise berichten Jugendlichen von einer
entspannenden Wirkung von lauter, schneller, also ‚harter‘ Musik (Stegemann 2018, S.
74).

Trotz der Ergebnisse der Musikwirkungsforschung muss bedacht werden, dass Musik
kein Medikament ist, deren Wirkung kausal dargestellt werden kann. Musik beinhaltet
das soziale, kulturelle, biologische und akustische Erleben eines Menschen. Daher kann
die eine Wirkung der Musik auf den Menschen nicht existieren. Das Zusammenwirken
von Musik und Mensch ist komplex, da diese in Wechselwirkung zueinander stehen.
Dabei ist nochmals zu erwähnen, dass die Wirkung der Musik stark von der Lebenswelt,
den Erfahrungen und der aktuellen Situation von Menschen abhängt. So unterschiedlich
die Lebenswelten sind, so verschieden ist auch die Wirkung von Musik: Beispielsweise
gilt die Musik von Mozart und Bach als beruhigend und heilend. Das beforschte der Arzt
Hans-Joachim Trappe mit 60 Proband*innen und kam zu den Ergebnissen, dass
klassische Musik einen positiven Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System habe.
Interessanterweise gab es denselben Effekt auch bei der Rezeption von Heavy-Metal-
Musik (vgl. Klinkhammer 2013, o.S.).

30
Die Wirkung von Musik beeinflusst das Denken und die Gefühle und umgekehrt wirken
sich Gefühle auf die Auswahl der Musik aus. Es gilt zu bedenken, dass Musik immer
psychologische und physiologische Reaktionen hervorruft. Gerade Menschen, die
physisch oder psychisch instabil sind, können extreme Reaktionen zeigen, wie
beispielsweise nicht zu stoppendes Weinen oder Hyperventilation. Deshalb gilt es,
feinfühlig und sensibel in Bezug auf den Einsatz von Musik zu sein (vgl. Frank-
Bleckwedel 2004, S. 221). Dabei ist es ausschlaggebend für Klient*innen, eine
Verbindung zum emotionalen Erleben herzustellen. Manchmal ist Musik sogar die
einzige Möglichkeit, um mit Klient*innen in Kontakt zu treten. Durch die Musik fällt es
in vielen Fällen leichter, sich mit Problemen oder Aspekten des eigenen Lebens zu
beschäftigen (vgl. Bruhn 2004, S. 67ff.). Es wird deutlich, dass der musiktherapeutische
Ansatz, der in dieser Arbeit thematisiert wird in jedem Fall psychotherapeutisch-
pädagogisch anzusiedeln ist. Zu erwähnen ist aber, dass es weitere musiktherapeutische
Richtungen gibt.

31
2.3. Ansätze der Musiktherapie

Es gibt diverse musiktherapeutische Orientierungen und Ansätze. Daher werden im


vorliegenden Kapitel die wichtigsten thematisiert. In Abbildung 3 sind die drei
wichtigsten Ansätze der Musiktherapie angeführt.

psycho-
therapeutische
Orientierung

pädagogische funktionelle
Orientierung Orientierung

Musiktherapie

Abbildung 3: Ansätze der Musiktherapie

Die psychotherapeutisch orientierte Musiktherapie grenzt sich von anderen Ansätzen


ab, indem sie den Fokus auf die therapeutische Beziehung als primärer Wirkfaktor der
Therapie legt. Dabei werden die Vorgehensweisen von tiefenpsychologischen,
verhaltenstherapeutisch-lerntheoretischen, systemischen, anthroposophischen und
humanistischen Konzepten herangezogen (vgl. Oberegelsbacher 2012, S. 20). Die
psychotherapeutisch orientierte Musiktherapie kann dabei als Methode der
Psychotherapie verstanden werden.

Smejsters fasst folgende psychotherapeutisch orientierte Ansätze zusammen:

„An der verbalen Psychotherapie orientiert

• analytische Musiktherapie
• gestalttherapeutische Musiktherapie
• verhaltenstherapeutische Musiktherapie
• paradoxale Musiktherapie

32
• kognitive Musiktherapie

An der Musik orientiert

• musikorientierte Psychotherapie

An der Identität psychischer und musikalischer Prozesse orientiert

• morphologische Musiktherapie
• analoge Musiktherapie“ (Smeijesters 1996, S. 200 zit.n. Deutsche Musiktherapeutische
Gesellschaft 2003, S. 3).

Im Gegensatz zur psychotherapeutisch orientierten Musiktherapie legt die pädagogisch


orientierte Musiktherapie ihr Hauptaugenmerk auf die individuellen Hilfestellungen für
Kinder und Jugendliche. In manchen Fällen wird Musiktherapie auch in
(heilpädagogischen) Schulen unter den Aspekten der Integration und Inklusion
praktiziert. Der Schnittpunkt zwischen Therapie und Pädagogik bildet dabei das
Arbeitsfeld. Musiktherapeut*innen lassen sich in pädagogisch-therapeutischen Ansätzen
vor allem in Schulen, heilpädagogischen Zentren, Frühförderstellen und Musikschulen
finden (vgl. Lutz-Hohreutener 2018, S. 15f.). Die pädagogisch orientierte Musiktherapie
unterscheidet sich jedoch nochmals deutlich von der funktionell orientierten
Musiktherapie, indem die funktionell orientierte Musiktherapie nicht die therapeutische
Beziehung zwischen Klient*in und Therapeut*in den Mittelpunkt stellt, sondern die
Funktionen und Wirkfaktoren der Musik. Beispielsweise werden mit Hilfe von Musik in
der neurologischen Rehabilitation essenzielle Funktionen wie Grob- und Feinmotorik,
Sprache, Gedächtnis und Aufmerksamkeit trainiert (vgl. Deutsche Musiktherapeutische
Gesellschaft o.J., o.S.).

Alle diese Schulen machen sich die Wirkung von Musik zunutze. Dennoch unterscheiden
sie sich in Bezug auf ihre Perspektiven und Menschenbilder. Die unterschiedlichen
Schwerpunkte der musiktherapeutischen Ansätze haben großen Einfluss auf die
therapeutische Arbeit und Zielsetzungen.

Weiters kann nicht nur zwischen den unterschiedlichen Ansätzen differenziert werden,
sondern auch zwischen den Methoden. Im folgenden Kapitel werden nun die wichtigsten
Methoden der Musiktherapie beschrieben.

33
2.4. Aktive Methoden

In Theorie und Praxis wird zwischen aktiver und rezeptiver Musiktherapie unterschieden.
Bei der aktiven Musiktherapie sind die Klient*innen selbst mit ihrer Stimme oder
Instrumenten musikalisch tätig. Eine der wichtigsten Methode der aktiven Musiktherapie
ist die Improvisation.

Im Grunde genommen ist der Ursprung allen Musizierens die Improvisation, die durch
das spontane und ‚naive‘ Experimentieren mit der Stimme und unterschiedlichen
Materialien gekennzeichnet ist (vgl. Timmermann 2012, S. 66).

„Eine musikalische Improvisation ist ein vielschichtiger, spontaner und impulsiver


Prozess der Erfindung und gleichzeitig formenden Realisierung von Musik. Das
Improvisieren ist einer Handlung, die im Moment ihres Vollzuges teilweise
unvorhersehbar beziehungsweise unerwartet ist. Sie entwickelt sich im Spannungsfeld
von subjektiven Ausdruckswünschen und gegebenem idiomatischen Hintergrund, von
musikalischem Material und gegenwärtiger (Beziehungs-)Situation“ (Weymann 2004, S.
38).

Die Improvisation zielt darauf ab, dass Therapeut*in und Klient*in gemeinsam mit Hilfe
von improvisierter Musik das Innenleben der Klient*innen erforschen können. Dabei
wird davon ausgegangen, dass die Improvisation von der bio-psycho-sozialen Geschichte
der Person beeinflusst sowie geformt wird und diese einmalig und einzigartig macht. Das
Innere, also die psychischen Strukturen und die dazugehörigen Verhaltensmuster der
Menschen, können in der Improvisation musikalisch dargestellt werden. Dies kann aber
nur dann geschehen, wenn sich Klient*innen durch das Gegenüber sicher, gehalten und
geschützt fühlen (vgl. Timmermann 2012, S. 66f.). Aus diesem Grund wird, wie bereits
wiederholt erwähnt wurde, die therapeutische Beziehung in der Musiktherapie als
besonders bedeutsam empfunden.

Die Improvisation kann sich in der Praxis unterschiedlich gestalten, denn Klient*innen
öffnen sich im Laufe des musikalischen Dialogs mehr oder weniger. Im musikalischen
Dialog mit dem/der Therapeut*in findet ein ständiger Austausch auf musikalischer Ebene
statt. Nach Ende der gemeinsamen Improvisation wird der/die Klient*in aufgefordert, das
Erlebte, seine Gedanken und Gefühle mitzuteilen. Der musikalische Ausdruck ermöglicht
dem/der Klient*in, die wahrgenommenen Emotionen zusammen mit inneren Bildern und
Erinnerungen intensiv zu erleben. Musiktherapeut*innen beschreiben, dass Menschen

34
Angst haben, Unbewusstes oder Verdrängtes freizulassen. Dabei ist in vielen Fällen nicht
bekannt, dass diese verdrängten und unbewussten Impulse viel unangenehmere
Auswirkungen haben. Laut Freuds Psychoanalyse entzieht die Unterdrückung der
Impulse Energie und bei Freilassen wird die Energie wieder freigesetzt (vgl. Priestley
1980, S. 19).

Befindet sich ein Mensch in einer Krise, kann dieser Zustand musikalisch ausgedrückt
werden und, wenn möglich, kann dieser Prozess nach der Improvisation verbal
besprochen werden. Durch diese kognitive Reflexion lässt sich in weiterer Folge die
Wachstumsbereitschaft fördern. Infolgedessen dient die Improvisation in der
Musiktherapie nicht der Vermittlung angenehmer Ereignisse, sondern der Beseitigung
von Gegebenheiten, die einer weiteren Entwicklung entgegenstehen könnten (vgl. ebd.,
S. 18).

In der Musiktherapie wird zwischen der freien und der strukturierten Improvisation
unterschieden. Vorgegebene Strukturen können beispielsweise unterschiedliche Themen,
Rollenspiele oder Rhythmen sein. Im Gegensatz dazu entsteht die freie Improvisation im
Hier und Jetzt der improvisierenden Person (vgl. ebd.). Eine besondere Rolle in
musiktherapeutischen Improvisationen nimmt die menschliche Stimme ein, denn diese
ist höchst individuell, da es keine zwei Menschen mit derselben Stimme gibt.

2.4.1. Exkurs: Die Stimme in der Musiktherapie

Es könnte sein, dass extrovertierte Menschen dazu neigen, die Stimme lauter und härter
einzusetzen als Menschen, die eher introvertiert veranlagt sind. Introvertierte Menschen
sprechen eher mit wenig Modulation und Lautstärke in der Stimme. Dabei muss jedoch
bedacht werden, dass stimmliche Eigenschaften nicht auf einzelne
Persönlichkeitsmerkmale zurückgeführt werden können, da die Stimme vielen Einflüssen
ausgesetzt ist (vgl. Hammer 2003, S. 44f.).

Allein in den unterschiedlichen Kulturen bestehen Differenzen bezüglich der Wort- und
Lautbildung, Modulation, Akzentuierung und Sprechlautstärke. Beispielsweise ist die
italienische Sprache für Lautstärke und starke Modulation bekannt. Aber auch im
deutschen Sprachraum bestehen große regionale Unterschiede aufgrund der

35
verschiedenen Einfärbungen der Sprache. Es kann auch beobachtet werden, dass Kinder
stimmliche Verhaltensweise ihrer Eltern übernehmen. Das bedeutet, Eltern fungieren
auch als eine Art stimmliches Vorbild. Auch Modeströmungen beeinflussen den Klang
der Stimme. Beispielsweise galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine leicht näselnde
Sprechweise als besonders vornehm (vgl. ebd., S. 45). Die Stimme hat aber auch einen
situativen Anteil: Sie passt sich allgemeinen Lebenssituationen sowie konkreten
Sprechsituationen an. Zu den allgemeinen Lebenssituationen zählen Veränderungen,
denen jeder Mensch ausgesetzt ist, wie Erkrankungen, positive und negative Ereignisse
sowie Stress- und Erholungszustände. Nicht nur Erkrankungen des Vokalstraktes oder
des Rachenraumen beeinflussen die Stimme. Auch andere somatische oder psychische
Erkrankungen beeinflussen die Stimme. Emotionen beeinflussen weniger die individuelle
Klangfarbe, sondern eher Lautstärke, Modulation, Stimmsitz, Helligkeit und
Sprechtempo. Erkrankungen, die den Körper schwächen, machen sich auch durch eine
kraftlose Stimme bemerkbar. Weiters beeinflussen Gemütszustände wie Freude, Trauer,
Wut und Stress den Klang der Stimme, da die Stimme besonders sensibel auf Zustände
reagiert, die den Menschen aus der Balance bringen. Die direkte Verbindung zwischen
Psyche und Stimme werden auch durch Begriffe und Redensarten wie ‚Stimmung‘, ‚mit
sich im Einklang sein‘, ‚verstimmt sein‘ oder ‚es schnürt einem vor Angst den Hals zu‘
unterstrichen (vgl. ebd., S. 45f.).

Der Kehlkopf wird zum Großteil vom vegetativen Nervensystem gesteuert und kann nur
bedingt bewusst gesteuert werden. Das limbische System (Sitz der Emotionen) gehört
zum vegetativen Nervensystem und steht in Verbindung mit dem Hirnstamm. Deshalb
sind emotionale Zustände mit vegetativen Reaktionen wie Erröten, schnellem Herzschlag
und der Schweißproduktion verbunden. Auch der Kehlkopf wird nach demselben Prinzip
beeinflusst. Demnach verändern sich stimmliche Aspekte durch den Einfluss des
vegetativen Nervensystems aufgrund von emotionalen Zuständen. Während in unseren
Kulturkreisen viel Aufmerksamkeit auf äußerliche Gegebenheiten gelegt wird, ist kaum
bekannt, wie viel Aussagekraft und Wirkung im Klang der Stimme liegen (vgl. ebd., S.
46).

Wie bereits erwähnt, kann sich die Stimme auch in konkreten Situationen verändern.
Modulation, Lautstärke und Sprechtempo dienen in konkreten Situationen vor allem der
adäquaten Präsentation des Gesprächsinhaltes. Beispielsweise wird die Spannung eines

36
Sportereignisses durch die Lautstärke und Modulation der Stimme des
Sportkommentators deutlich. Im Alltag transportiert der Klang der Stimme meist
unbewusst die eigentliche Intention. Beispielsweise kann ‚sehr schön‘ je nach
Stimmklang bedeuten: ‚das ist toll‘ oder ‚das hat mir gerade noch gefehlt‘. Weiters
beeinflussen der/die Gesprächspartner*in sowie die Beziehung zu ihm/ihr den Klang der
Stimme. Anspannungen und Unsicherheiten äußern sich durch weniger Stabilität (vgl.
ebd., S. 46f.). Im Gegensatz zur aktiven Musiktherapie sind die Klient*innen bei der
rezeptiven Musiktherapie nicht mit Musikinstrumenten, der Stimme oder dem Körper
aktiv.

2.5. Rezeptive Methoden

Das Hören von Musikstücken dient der Wahrnehmungsförderung. Klient*innen


konzentrieren sich dabei gleichzeitig auf die Musik und auf ihre Gedanken, Gefühle und
ihren Körper (vgl. Kraus 2016, o.S.). Dadurch wird die Fähigkeit zur Introspektion
gefördert und es kann dienlich für Verarbeitung von Konflikten oder Trauer sein (vgl.
Frohne-Hagemann 2019, S. 48).

Die Rezeptive Musiktherapie wird von Bruscia (1988) folgendermaßen beschrieben:

„In receptive experiences, the client listens to music and responds to the experience
silently, verbally or in another modality. The music may be recorded improvisations,
performances or compositions by the client or the therapist, or commercial recordings of
music literature in various styles (e.g. classical, rock, jazz, country, spiritual, new age).
The listening experience may be focused on physical, emotional, intellectual, aesthetic
aspects of the music and the clients responses are designed according to the therapeutic
purpose of the experience“ (Bruscia 1988, S. 120f.).

Dabei wird den Klient*innen entweder live oder über einen Tonträger Musik vorgespielt.
Diese kann körperliche und psychische Reaktionen bei den Klient*innen auslösen. Die
Musikmedizin geht davon aus, dass die rezipierte Musik subjektiv bedeutsame
Erinnerungen und Assoziationen wachrufen kann. Dabei werden psychotherapeutische
Prozesse ins Rollen gebracht, indem über wahrgenommene Gefühle, innere Bilder und
Körperwahrnehmungen reflektiert wird (vgl. Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft
o.J., o.S.). Beispielsweise sollen Schmerzpatient*innen dadurch auf physischen und

37
psychische ‚Fehlanspannungen‘ geführt werden, um diese in weiterer Folge wahrnehmen
und regulieren zu können (vgl. Kraus 2016, o.S.).

Das Hören von Musik muss in der Therapie adäquat vorbereitet, begleitet und
aufgearbeitet werden. Dazu sind eine Musikanamnese und sorgfältige Indikationsstellung
für das therapeutischen Vorgehen unabdingbar. Zur Musikanamnese verwenden
Musiktherapeut*innen beispielsweise den Fragebogen zum musikalischen
Lebenspanorama, der Hörgewohnheiten, negativ besetzte Hörerfahrungen und Musik
erhebt, die die Qualität besonderer Lebensphasen widerspiegelt. Die Wahl der Musik ist
zusätzlich von der Einschätzung der Stabilität des psychischen Strukturniveaus der
Klient*innen abhängig (vgl. Frohne-Hagemann 2019, S. 49f.).

Zu den Zielen und Ansätzen der Rezeptiven Musiktherapie gehören:

• die Förderung der Wahrnehmungsfähigkeit, der Mentalisierungsfähigkeit, der


Kreativität,
• die Entwicklung sensorischer Systeme von Frühgeborenen mit der Mutterstimme,
• die Herstellung emotionalen Kontakts zu Menschen, die in ihrem Bewusstsein
oder ihrer Wahrnehmung gestört sind,
• die Tiefenentspannung und Schmerzbehandlung,
• die Erinnerungsarbeit,
• die Begleitung Sterbender und
• das Erforschen von unterschiedlichen Bewusstseinszuständen (vgl. Frohne-
Hagemann 2019, S. 49f.).

Musiktherapeut*innen verwenden bei rezeptiven Ansätzen unterschiedlichste Methoden.


Als Beispiel wird die Methode Guidet Imagery and Music (GIM) angeführt. Es handelt
sich dabei um eine Therapieform, die zu den imaginativen psychotherapeutischen
Verfahren zählt, bei der den Klient*innen meist klassische Musikstücke vorgespielt
werden. „Die durch Musik stimulierten Imaginationen und damit verknüpften Emotionen
werden im Hier und Jetzt handelnd erkundet und durchlebt, indem zwischen dem
Beteiligten während der Musikhörphase ein Dialog stattfindet“ (Frohne-Hagemann 2019,
S. 50f.).

38
Die Musiktherapie verwendet nicht nur unterschiedliche Verfahren, sondern findet auch
in unterschiedlichen Settings statt. Unterschiedlichen Rahmenbedingungen bringen
unterschiedliche Aspekte mit sich. Sie werden im folgenden Kapitel thematisiert.

2.6. Das Setting

Musiktherapeutische Angebote können in Einzel- oder Gruppentherapien angeboten


werden. Grundsätzlich ist es vom Krankheitsbild und von den institutionellen
Gegebenheiten abhängig, ob Patient*innen eine Einzel- oder eine Gruppentherapie
erhalten. Für Menschen mit starken Beziehungs- und Kontaktstörungen (z. B. Autismus)
kann eine Einzeltherapie im geschützten Rahmen von Vorteil sein. Dabei steht die
Förderung der Kommunikation und die Beziehungsgestaltung zwischen Therapeut*in
und Klient*in im Vordergrund. Für die Gruppentherapie ist ein gewisses Maß an
Gruppenfähigkeit nötig, da im gruppentherapeutischen Setting soziale und
kommunikative Aspekte thematisiert werden (vgl. Deutsche Musiktherapeutische
Gesellschaft o.J., o.S.). Im Gruppensetting sind gruppendynamische Aspekte von großer
Bedeutung, denn Gruppendynamik entsteht immer dann, wenn Menschen miteinander in
Kontakt treten. Gemeinsame Handlungen und Prozesse haben Einfluss auf die
persönliche Entwicklung jedes Einzelnen (vgl. Liebetrau 1979, S. 46).
Gruppendynamische Prozesse können beim gemeinsamen Musizieren verstärkt werden.
Sie entstehen nicht nur in der Musiktherapie, sondern auch beispielsweise beim Singen
im Chor oder beim Musizieren im Orchester. Das bedeutet, dass beim gemeinsamen
Musizieren ein Wir- Gefühl entsteht (vgl. Kreusch-Jacob 1999, S. 86). Zu den Zielen
musikalischer Angebote in der Gruppe zählen unter anderem die Fähigkeit, sich in der
Gruppe zu bewähren, miteinander zu kommunizieren und miteinander Dinge
auszuprobieren (vgl. Küntzel-Hansen 1979, S. 81)

Ein weiterer Aspekt von Musik ist, dass auch in der Gruppe viele Prozesse durch
nonverbale Kommunikationsformen beeinflusst werden. Gerade in therapeutischen
Prozessen sind Sprache und sprachpraktische Fähigkeiten weniger zentral. Stattdessen
werden teilweise auch nonverbale Kommunikationsformen gewählt (Musik, Mimik,
Gestik, Lebensstil und Tanz). Das bedeutet, dass in Gruppenprozessen die Musik selbst

39
zum zentralen Transmitter der Kommunikation werden kann (vgl. Bastian 2007, S. 48).
Genau dieses Phänomen kann in Gruppenimprovisationen beobachtet werden. Das
Sprichwort ‚Musik verbindet‘ ist in diesem Kontext treffend. Folglich werden soziale
Fähigkeiten trainiert, durch die sich die Klient*innen einerseits in der Gruppe behaupten
und andererseits ihre Handlungen auf das Befinden anderer abstimmen.

Um der bisher nur theoretisch beschriebenen Musiktherapie mit eine Beispiel aus der
Praxis zu untermauern, wird im folgenden Kapitel exemplarisch der Verlauf eines
musiktherapeutischen Prozesses eines 16-jährigen verhaltensauffälligen Jungen
beschrieben. Der Ansatz, der in diesem Beispiel zum Tragen kommt, ist eindeutig als
psychotherapeutisch zu charakterisieren.

2.7. Beispiel aus der klinischen Praxis

Das folgende Praxisbeispiel stammt aus dem Lehrbuch für Musiktherapie von Hans-
Helmuth Decker-Voigt, Dorothea Oberegelsbacher und Tonius Timmermann. Dabei wird
von dem 16-jährigen Sasha berichtet, der als schwer narzisstisch und gewalttätig
beschrieben wird. Schon durch sein Auftreten und seinen Habitus macht er sich als
Mitglied einer bestimmten Jugendszene erkenntlich. Seine Springerstiefel und sein kahl-
rasierter Kopf weisen auf eine rechtsradikale Gesinnung hin. Die Musiktherapie steht
dazu im Gegensatz, da sie auf die Verfeinerung der sozialen Wahrnehmung, auf kreative
Ausdrucksmöglichkeiten und die Bereitschaft zur Empathie abzielt (vgl. Timmermann
2012, S. 213f.).

In der ersten Einzelsitzungsstunde begrüßt Sasha die Musiktherapeutin mit den Worten:
‚Ey, haben Sie einen Bastelkurs gemacht?‘ Sasha soll einige Musikinstrumente mit
geschlossenen Augen abtasten, sich ein inneres Bild dazu bilden und dieses beschreiben.
Danach öffnet er die Augen und prüft, inwiefern das innere Bild mit der Realität
übereinstimmt. Schon dabei wird deutlich, wie sehr sich das innere Bild von der Realität
unterscheidet und dass es Sasha sehr schwerfällt, sich sprachlich genau auszudrücken. In
der nächsten Einheit werden verschiedene Instrumente gehört und der Klang beschrieben.
Dabei staunt Sasha darüber, wie unterschiedlich Klänge wahrgenommen werden können.
In der dritten Einheit soll von Sasha und der Therapeutin eine Improvisation über frei

40
erfundene Geschichten mit einem Instrument gespielt werden. Im Nachhinein werden die
zwei Improvisationen verglichen und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten geprüft.
Dabei entsteht ein dialogischer Kommunikationsprozess. Diese Erfahrung hat für Sasha
einen besonders großen Wert, da er sich sonst Erwachsenen gegenüber konsequent
schweigsam gibt. Die Musikinstrumente bildeten dabei eine Art Übergangsobjekte. In der
vierten Stunde spielen Sasha und die Therapeutin gemeinsam auf unterschiedlichen
Instrumenten. Beide beobachten das Spiel und äußern sich in weiterer Folge dazu. Der
Therapeutin fällt auf, dass Sasha sein eigenes Spiel (sich) entwertet. Als das thematisiert
wird, kann er erstmals von seinem Leben und seiner ständigen, vergeblichen Suche nach
Anerkennung berichten. Nach der letzten Sitzung fragt die Musiktherapeutin Sasha, was
sie ihm wünschen sollte. Sasha antwortet darauf: ‚dass mich Leute ohne Vorurteil
angucken, und dass ich es schaffe, dass sie auch keine kriegen müssen‘ (vgl. ebd., S. 214).
Die Musiktherapeutin bemerkt dabei Gefühle von Scham und Sehnsucht und bemerkt,
dass diese Gefühle typisch für Patient*innen dieser Altersgruppe sind. Der Scham stellt
sich dabei als Funktion einer Selbstwertregulierungsstörung heraus. In der Musiktherapie
könnte beide Gefühle sozial verträglich zum Ausdruck kommen und thematisiert werden
(vgl. ebd., S. 214f.).

Durch dieses Beispiel werden psychotherapeutische Vorgehensweisen ersichtlich. Die


vorliegende Arbeit beschäftigt sich aber nicht ausschließlich mit psychotherapeutischen
Aspekten der Musiktherapie, sondern vor allem mit pädagogisch-therapeutischen.
Deshalb wird im nächsten Kapitel die Musik aus pädagogischer Perspektive beschrieben.

41
3. Musikpädagogik
Im Gegensatz zur Musiktherapie beschäftigt sich die Musikpädagogik im klassischen
Sinne mit Bildung und Erziehung auf musikalischer Ebene. In der Musikpädagogik wird
primär produktorientiert gearbeitet, da das Ziel eine Veränderung des musikalischen
Handelns ist. Die Elementare Musikpädagogik als neuerer Ansatz hat nicht den
Anspruch, ausschließlich produktorientiert zu arbeiten.

Die Herausforderung bei der Begriffserklärung von EMP liegt darin, dass das Wort
‚elementar‘ unterschiedlich gedeutet werden kann.

„Was ist elementar; Elementar, lateinisch elementarius, heißt ‚zu den Elementen gehörig,
urstofflich, uranfänglich, anfangsmäßig‘. Was ist weiterhin elementare Musik?
Elementare Musik ist nie Musik allein, sie ist mit Bewegung, Tanz und Sprache
verbunden, sie ist eine Musik, die man selbst tun muss, in die man nicht als Hörer, sondern
als Mitspieler einbezogen ist. Sie ist vorgeistig, kennt keine große Form, keine
Architektonik, sie bringt kleine Reihenformen, Ostinati und kleine Rondoformen.
Elementare Musik ist erdnah, naturhaft, körperlich, für jeden erlern- und erlebbar, dem
Kinde gemäß“ (Orff 1963/1964, S. 16).

Dieses Zitat von Carl Orff zeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Musik
und Bewegung gibt. Vor allem das aktive Musizieren und Bewegen stehen im
Vordergrund der EMP. Musik ist demnach etwas Naturgemäßes und Menschliches,
weshalb sie für jede Person erlern- und erfahrbar ist.

Bildung in der EMP bedeutet nicht nur das Erlernen von praktischen Fähigkeiten, sondern
auch die Entstehung und Förderung von emotionaler und sozialer Kompetenz, die
Persönlichkeitsentwicklung und Ausreifung von sensorisch-motorischen Fähigkeiten.
Der Begriff ‚Bildung‘ bedeutet in diesem Zusammenhang also eine zweckfreie
Entwicklung verschiedener Fähigkeiten (vgl. Hirler 2005, S. 17). Diese Tatsache macht
die EMP für alle Altersgruppen bedeutend, weshalb sich die Altersspanne der
Gruppenteilnehmer*innen von der Geburt bis ins hohe Alter erstreckt.

Zu betonen ist, dass der Grundgedanke, auf dem die EMP aufbaut, für das Verständnis
von Musik in der Sozialen Arbeit essenziell ist. Dabei sollten Ziele vor allem auf
prozessorientierter Ebene angesiedelt werden. Das bedeutet, dass der Fokus nicht nur auf
dem Erlernen musikalischer Fertigkeiten und Fähigkeiten liegt, sondern auf weiteren
Aspekten, die durch das (gemeinsame) Musizieren beeinflusst werden, wie

42
beispielsweise soziale Kompetenzen (vgl. Hartogh/Wickel 2004, S. 52). Hans Günther
Bastian machte sich es zur Aufgabe, dieses Themengebiet zu untersuchen. Eine seiner
Studie wird im folgenden Kapitel beschrieben.

3.1. Musik im schulischen Kontext

Unter der Leitung von Hans Günther Bastian wurde die sogenannte ‚Berliner
Langzeitstudie‘ durchgeführt. Sie beschäftigt sich mit der Entwicklung von Kindern an
Grundschulen mit erweitertem Musikunterricht im Vergleich zu Kindern ohne
erweiterten Musikunterricht (vgl. Bastian 2007, S. 101). Es wurden dafür eigene
Verfahren entwickelt, um sozial-emotionale Strukturen wie die Intensität gegenseitiger
Zu- und Abneigung der Mitglieder der Kontroll- (Schüler*innen ohne erweiterte
Musikerziehung) und Modellgruppe (Schüler*innen mit erweiterter Musikerziehung) zu
erfassen. Dazu wird von den Schüler*innen ein Testbogen ausgefüllt, auf dem sich eine
Gesichterskala befindet. Diese zeigt die Gesichter der Klassenkolleg*innen. Aufgabe ist
es, die Schüler*innen anhand von Urteilsalternativen (‚mag ich besonders gern‘ bis ‚mag
ich nicht so gern‘) bewerten. Auch die Beweggründe, warum es zu dieser Beurteilung
kommt, müssen angeführt werden (vgl. Bastian 2007, S. 52).

Die Studienergebnisse sind wie folgt zusammenzufassen:

• Am Ende des 4. Schuljahres erhielten 66 Prozent in der Modellgruppe eine


Positivwertung (in der Kontrollgruppe nur 33 Prozent)
• Am Ende des 5. Schuljahres erhielten 62 Prozent in der Modellgruppe eine
Positivwertung (in der Kontrollgruppe 36 Prozent)
• Am Ende des 6. Schuljahres erhielten in der Modellgruppe 76 Prozent eine
Positivwertung (in der Kontrollgruppe 53 Prozent) (vgl. Bastian 2007, S. 53)

Durch das Ergebnis wird die Hypothese bestätigt, dass Musizieren das Klassenklima bzw.
das Klima in der ganzen Schule verbessern kann. In der musizierenden Klasse werden
signifikant weniger Personen abgelehnt. Bezugnehmend auf Bastian (2007) kann daher
bestätigt werden, dass sich erweiterter Musikunterricht positiv auf das Klassenklima
auswirken kann. Des Weiteren haben die Schüler*innen ein verbessertes Verhältnis
zueinander.

43
Die Studienergebnisse wurden kontrovers diskutiert, da es natürlich weitere
Einflussfaktoren gibt, die sich auf das Klassenklima auswirken können. Trotzdem
fungiert die Studie als Indiz dafür, dass das gemeinsame Musizieren einen positiven
Effekt auf das Sozialverhalten haben kann.

Musikalische Angebote an Schulen können auch direkt an Konflikte anknüpfen, die mit
der Schule in Verbindung stehen (z. B. Schulangst). Ein weiteres Beispiel aus dem
deutschsprachigen Raum wäre das Projekt ‚Trommelpower‘. Hier zeigten sich als Effekte
eine Abnahme von Aggression, positives soziales Verhalten und eine verbesserte
Atmosphäre in der Klasse (vgl. Jordan 2017, S. 2f.).

Im schulischen Kontext zielen musikalische Angebote darauf ab, die Integration und
Inklusion zu fördern. Die „volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie die
Anerkennung der Autonomie und der sozialen Wertschätzung behinderter Menschen“
soll ermöglicht werden (Jordan 2017, S. 1).

44
4. Schnittfeld ‚Soziale Arbeit‘ und ‚Therapie‘
Grundsätzlich sind sozialpädagogische Methoden keine therapeutischen Methoden und
sozialpädagogische Methoden können auch nicht durch therapeutische Methoden ersetzt
werden (vgl. Hartogh/Wickel 2004, S. 51). Dennoch lassen sich Gemeinsamkeiten und
Unterschiede feststellen.

Abbildung 4 veranschaulicht die Differenzen und Gemeinsamkeiten nach Galuske


(2013).

Abbildung 4: Strukturmerkmale sozialpädagogischer und therapeutischer Interventionen (Galuske 2013, S. 142)

45
Sowohl Sozialpädagogik als auch Therapie sind Hilfsangebote für eine gelingende
Lebensbewältigung. Die Zugänge unterscheiden sich aber maßgeblich, denn „während
die Soziale Arbeit generalistisch, dabei sachfunktional und personalintentional die
Komplexität von Alltagsproblemen zu berücksichtigen versucht, reduziert sich die
Therapie in einem sehr spezifischen Zuschnitt auf Schlüsselprobleme“ (Galuske 2002, S.
132ff. zit.n. Hartogh/Wickel 2004, S. 51) Abgesehen davon kann in Bezug auf die
Abbildung 4 gesagt werden, dass die Soziale Arbeit im Gegensatz zur Therapie nicht an
gewisse Settings gebunden ist. Das bedeutet auch, dass sich die Soziale Arbeit besonders
auf die Lebenswelten der Klient*innen einlassen kann. Abschließend lässt sich noch eine
letzte Unterscheidung festmachen: Durch die Alltagsnähe der Sozialen Arbeit kann
potenziell jeder Mensch als Adressat*in gelten. Im Gegensatz dazu gehören zur
Zielgruppe einer Therapie primär Personen, die an einer Erkrankung leiden. Die Soziale
Arbeit versucht, präventive Faktoren zu stärken und zu fördern, um Erkrankungen
entgegenzuwirken.

In Abbildung 5 werden die Zuständigkeitsbereiche nochmals hervorgehoben.

Abbildung 5: Erlebnisorientierter Umgang mit Musik im Schnittfeld von Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie
(Tischler 1983, S. 13)

Mit Bezug auf Abbildung 5 kann zusammengefasst werden, dass pädagogische Angebote
und Interventionen im Bereich der Ermöglichung von Bildungsprozessen ansetzen. Je

46
höher das Ausmaß einer Erkrankung ist, desto eher kommen sonderpädagogische,
sozialpädagogische oder sozialarbeiterische Maßnahmen zum Einsatz. In diesem Bereich
würden auch pädagogisch-therapeutische Angebote mit Musik verortet werden. Schwere
Erkrankungen erfordern jedoch vor allem klinisch-therapeutische und medizinische
Interventionen.

Neben der Unterscheidung zwischen Sozialpädagogik und Therapie muss auch das
Verhältnis zwischen Musiktherapie und Musikpädagogik thematisiert werden Das
folgende Kapitel setzt bei dieser Unterscheidung an.

4.1. Musikpädagogik und Musiktherapie

Abbildung 6 zeigt die wesentlichen Unterscheidungspunkte zwischen Musiktherapie und


Musikpädagogik.

Abbildung 6: Musikpädagogik und Musiktherapie (Hartogh/Wickel 2004, S. 52)

Dazu kann festgehalten werden, dass der Fokus der Musiktherapie auf
außermusikalischen Zielen liegt. Im Mittelpunkt der Musiktherapie steht sicherlich die
Behandlung. Im Gegensatz dazu liegt das Hauptaugenmerk der Musikpädagogik auf der

47
Bildung und Erziehung durch musikalische Mittel. Auch Goditsch (2020) beschreibt die
Unterscheidungen zwischen Musiktherapie und Musikpädagogik ähnlich: Die
Musiktherapie sei dadurch charakterisiert, dass sie im therapeutischen Rahmen einen
leistungsfreien Raum ermöglicht. Die Musikpädagogik habe hingegen als Ziel eine
musikbezogene Kompetenzentwicklung (vgl. Goditsch 2020, S. 39f.). Diese Erkenntnisse
werfen die Frage auf, wo sich musikalische Angebote in der Sozialen Arbeit verorten
lassen. Deshalb thematisiert das folgende Kapitel die Positionierung der Musik in der
Sozialen Arbeit.

4.2. Die Rolle der Musik in der Sozialen Arbeit

In Bezug auf die Rolle der Musik in der Soziale Arbeit kann die Musik unter anderem als
Substitute der Sprache verstanden werden. Grundsätzlich fungiert die Sprache als
zentrales Medium in der Sozialen Arbeit. Musik kann eingesetzt werden, um
Kommunikationsalternativen anzubieten (vgl. Wickel 2018, S. 13). Musik in der Sozialen
Arbeit integriert auch die kulturelle Bildung. Denn die Musik bleibt ein kulturelles Gut
und künstlerisches Ausdrucksphänomen, das letzten Endes nur individuell erfasst werden
kann (vgl. Hartogh/Hermann-Wickel 2004, S. 5). Dabei liegt der Fokus nicht auf der
Behebung persönlicher Probleme, sondern auf der Gestaltung künstlerischer Prozesse.
Fördernde Effekte ergeben sich dabei oft als positive Nebenwirkung (vgl. Hübner 2016,
S. 32 zit.n. Wickel 2018, S. 27).

Hartogh und Wickel (2004) betonen, dass musikalische Angebote in der Sozialen Arbeit
weder produkt- noch prozessorientierte Aspekte ausnehmen. Beide Aspekte sind für die
Zielsetzungen der Sozialen Arbeit von Bedeutung.

„Zwischen der medizinisch orientierten Musiktherapieform und der Musikpädagogik in


der Schule und Musikschule sind musiktherapeutische Ansätze anzusiedeln, die in einem
pädagogisch-therapeutischen Ergänzungsverhältnis stehen und damit an die Soziale
Arbeit heranrücken“ (Hartogh/Wickel 2004, S. 54).

Hartogh und Wickel (2004) sind sogar der Meinung, dass sich produkt- und
prozessorientierte Ansätze nicht nur keinesfalls ausschließen, sondern einander sogar
ergänzen können. Die therapeutische Intention sollte also auch im pädagogischen Kontext
mitgedacht werden. Das bedeutet, dass sich die Soziale Arbeit genau zwischen

48
Musiktherapie und Musikpädagogik positionieren kann. Mit diesem pädagogisch-
therapeutischen Ansatz arbeitet die Soziale Arbeit nicht diagnosespezifisch und
behandlungsorientiert. Vielmehr richtet sie sich an die Lebenswelt der Klient*innen und
ist als Ergänzung zur Sozialen Arbeit zu verstehen, nicht als konkurrierende Disziplin
(vgl. ebd.). Im Gegensatz zur Sozialen Arbeit beginnen (musik)therapeutische
Zuständigkeiten bei bestimmten Krankheitsbildern, bei denen eine spezifische
therapeutische Behandlung angewendet werden sollte. Musikalische Interventionen in
der Sozialen Arbeit sind nicht behandlungsorientiert, sondern zielen auf die
Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung ab. Jeder Mensch hat das Recht, für seine
persönliche Entwicklung und Entfaltung Unterstützung zu erhalten (vgl. ebd.).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass musikalische Angebote durch die Soziale Arbeit
weder als rein therapeutische noch als rein pädagogische Prozesse angesehen werden
können, sondern als Mischform der genannten Prozesse. Dieses pädagogisch-
therapeutische Setting richtet sich im Gegensatz zur Musiktherapie nicht nur an Personen
mit Erkrankungen oder Behinderungen, sondern an alle Menschen, da das Ziel dieser
Angebote die Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit ist. Das bedeutet, dass die
Soziale Arbeit durch alltagsnahe und niederschwellige Angebote musikalische Projekte
anbieten kann. Somit können sich musikalische Interventionen der Sozialen Arbeit von
musiktherapeutischen Interventionen abgrenzen. An dieser Stelle muss betont werden,
dass sich die Musik in der Sozialen Arbeit an keinerlei Leistungsansprüchen bezüglich
Stilrichtung und Können orientiert (vgl. Vogel 2011, S. 13). Musik in der Sozialen Arbeit
ist also von einem wertefreien Verständnis sowie einer Vielfalt an Musikrichtungen und
-stilen geprägt (vgl. ebd., S. 16).

Das folgende Kapitel bezieht sich auf die vorangegangenen theoretischen Ausführungen
und behandelt die Frage, wie sich Musik in die Praxis der Sozialen Arbeit integrieren
lässt.

49
5. Musik als Hilfe zur Bewältigung im Kontext der Sozialen Arbeit
Neue Räume und Ressourcen können in vielen Fällen durch sozialpädagogische Projekte,
wie beispielsweise Band-, Chor- und theaterpädagogische Projekte, gefördert werden.
Durch die Erfahrungen, die Betroffene dabei machen, wird eine Reflexion intendiert –
und dadurch sollen gemeinsam Hilfestellungen für mehr Handlungsfähigkeit im Alltag
generiert werden. Die Musik in der Sozialen Arbeit soll den Klient*innen grundsätzlich
zu einer gelingenden Lebensbewältigung verhelfen. Dabei können unterschiedliche
Ansätze zum Einsatz kommen, welche in den folgenden Kapiteln beschrieben werden.
Ein gängiges Konzept der Sozialen Arbeit ist beispielsweise die Biografiearbeit. Sie kann
als Ausgangsbasis für musikalische Interventionen und Angebote dienen.

5.1. Biografiearbeit als Zugang für musikalische Angebote

Biografie und Lebenslauf sind Begriffe, die sich im alltäglichen Sprachgebrauch oft mit
derselben Bedeutung versehen. Allerdings unterscheidet sich die Bedeutung aus
wissenschaftlicher Sichtweise. „Während ein Lebenslauf nur die äußeren Daten eines
Lebens in ihrer zeitlichen Abfolge erfasst, erfasst eine Biografie zusätzlich noch die
subjektive Bedeutung, die diese Fakten für die jeweilige Person haben“ (Miethe 2017, S.
13). Im Laufe des Lebens machen Menschen eine Vielzahl an Erfahrungen. Einige
bleiben in Erinnerung, andere werden schnell vergessen. Biografien sind also subjektive
Konstruktionen und diese beeinflussen die persönliche Sicht auf die Welt (vgl. ebd., S.
14f.).

„Biografiearbeit ist eine strukturierte Methode in der pädagogischen und psychosozialen


Arbeit, die Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen ermöglicht, frühere
Erfahrungen, Fakten, Ereignisse des Lebens zusammen mit einer Person ihres Vertrauens,
zu erinnern, zu dokumentieren, zu bewältigen und zu bewahren“ (Lattschar/Wiemann
2017, S. 13).

Biografische Ansätze in der Sozialen Arbeit sind in allen Bereichen zu finden. Die
musikalische Biografiearbeit bietet die Möglichkeit, durch persönliche Musikstücke, die
den Klient*innen wichtig sind oder die sie sogar selbst geschrieben haben, einen Zugang
zu lebensgeschichtlichen Aspekten zu erschließen. Die Musik hat durch ihren
emotionalen Anteil gegenüber der Sprache einen deutlichen Vorteil: Beispielsweise

50
können narrative Interviews, die den Fokus auf musikalische Vorlieben in Kombination
mit der Biografie haben, wertvolle Anhaltspunkte sein, um Ressourcen für die
Bewältigung von Problemlagen zu erschließen. Durch das Hören von Musik oder das
aktive Musizieren können lebhafte Erinnerungsprozesse ausgelöst werden. Solche
Erinnerungsprozesse regen zur Reflexion und Neubewertung von Erinnerungen an und
schaffen somit die Möglichkeit einer Verhaltensreflexion (Hartogh/Wickel 2004, S. 228).
In der Praxis kann musikalische Biografiearbeit so gestaltet werden, dass Klient*innen
Musikstücke einbringen, die in einem gewissen Lebensabschnitt für sie von großer
Bedeutung waren. Durch das gemeinsame Anhören in der Gruppe und im Einzelsetting
wird das Erlebte geteilt und in der anschließenden Reflexion wird die Bedeutung des
Stückes für den/die Klient*in besprochen. Die musikalische Biografiearbeit kann als
problemzentrierte, erlebniszentrierte oder ressourcenorientierte Intervention verstanden
werden (vgl. Moreau/Wormit/Hillecke 2013, S. 237).

Aufgrund ihrer teils starken Wirkung muss die musikalische Biografiearbeit sorgsam und
bewusst eingesetzt werden: Bei Menschen mit Suchterkrankungen kann Musik einerseits
als Rückfallprävention dienen und andererseits den Suchtdruck aktivieren, wenn erinnerte
Stimmungen wachgerufen werden, die ursprünglich für den Drogenkonsum bedeutend
waren. Deshalb erscheint Discomusik vor diesem Hintergrund als problematisch (vgl.
Hartogh/Wickel 2004, S. 228).

5.1.1. Rezeption von Musik

Durch das gemeinsame Hören von persönlich bedeutsamen Musikstücken der


Klient*innen ergibt sich die wertvolle Gelegenheit, die Lebenswelten der Klient*innen
gemeinsam zu erkunden. Weiters besagen Erkenntnisse aus der Musiktherapie, dass das
gemeinsame Rezipieren von Musik das Beziehungsgeschehen zwischen zwei oder
mehreren Menschen positiv beeinflussen kann.

Beim Hören von Musik ist zwischen der assoziativen und der kognitiven Ebene zu
unterscheiden: Die assoziative Ebene bezieht sich auf außermusikalische Inhalte, wie
zum Beispiel das Tanzen, Malen oder Bewegen zu einer bestimmten Musik. Das Erfassen
und Umsetzen musikalischer Inhalte, wie beispielweise das Nachspielen von

51
rhythmischen Strukturen, zählt dagegen zur kognitiven Ebene (vgl. Frank-Bleckwedel
2004, S. 211). Ungeachtet dessen hat Musik einen enormen Einfluss auf Psyche und
Physis eines Individuums. Es besteht kein Zweifel daran, dass Musik die Gefühle
beeinflusst. Manche Musik macht Menschen fröhlich und während eine andere zu Tränen
rührt. Diese Verbindung zwischen Emotionen und Musik konnte bereits neurologisch
nachgewiesen werden. Vorlieben, biografische Ereignisse, die aktuelle psychische und
physische Verfassung, der Kontext und viele weitere Faktoren wirken auf diesen höchst
komplexen Vorgang ein (vgl. ebd., S. 212f.).

Besonders interessant sind die Hörweisen von Musik, die auf empirische Untersuchungen
basieren:

• motorisches Hören meint das Hören in Kombination mit Bewegung


• kompensatorisches Hören wird dadurch beschrieben, dass das aktive Hören von
Musik kompensierend wirkt (‚Wenn ich Musik höre, fühle ich mich weniger
einsam.‘)
• vegetatives Hören meint die physische Reaktion auf Musik (z. B. eine schnelle
oder langsame Herzfrequenz)
• emotionales Hören meint die Emotionen, die durch Musik hervorgerufen werden
• assoziatives Hören umfasst Assoziationen, die durch die Musik entstehen, wie
beispielsweise innere Bilder
• distanziertes Hören wird durch das Analysieren eines Musikstückes
charakterisiert; es tritt ein, wenn der Fokus auf dem Erkennen des Formaufbaus
eines Musikstückes liegt (vgl. Behne 1986, S. 126ff.)

Beim Musikhören in der Sozialen Arbeit verlangen unterschiedliche Zielgruppen


unterschiedliche Vorgangsweisen. In der Arbeit mit Kindern steht vor allem die
Bewegung in Kombination mit dem Hören von Musik im Fokus. In Gruppen kann es aber
auch sinnstiftend sein, die Gruppe durch Musik zur Entspannung und Ruhe zu bringen
(vgl. ebd., S. 218). Meyberg (2003) sieht dabei aber auch die Möglichkeit, durch Musik
das allgemeine aktive Hören zu üben (vgl. Meyberg 2003, S. 39). Bei Jugendlichen ist
die persönlich präferierte Musik von großer Bedeutung, da sie nicht nur zur
Identitätsfindung, sondern auch zur Abgrenzung von der Erwachsenenwelt dient. Die
Thematisierung des Gehörten kann im Einzel- und Gruppensetting förderlich für die

52
Kommunikation und den Kontakt sein (vgl. Frank-Bleckwedel 2004, S. 218f.). Auch für
Erwachsene eignet sich das Hören von Musik, um Entspannung, Kontakt und
Kommunikation zu fördern. Bei betagten oder dementen Menschen ist Musik oftmals der
letzte Zugang zur bewussten Wahrnehmung. Im besten Fall kann die allgemeine
Wahrnehmung durch das Hören von Musik auch im hohen Alter verbessert werden (vgl.
ebd., S. 221f.).

Musikalische Angebote in der Sozialen Arbeit können auch durch aktives Musizieren
gestaltet werden. Beispielsweise wäre das Singen durch seinen niederschwelligen
Charakter gut einzusetzen.

5.2. Singen

Dem Singen kommt in der Sozialen Arbeit eine besondere Rolle zu, denn das Instrument
‚Stimme‘ kann jederzeit genutzt werden. Gesang oder Sprechgesang können aufgrund
ihres niederschwelligen Charakters in beinahe allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit
eingesetzt werden (vgl. Minkenberg 2004, S. 106f.).

Lieder vereinen Sprache mit Musik. Kommunikation erfolgt beim Singen von Liedern
direkt über die Stimme. Deshalb wird Gesang von einigen Wissenschaftler*innen als Ur-
oder Vorform der Sprache bezeichnet (vgl. Zaiser 2005, S. 17). Musik und Sprache
werden ganzheitlich wahrgenommen. Beide Systeme definieren sich durch Regeln,
Melodie und Rhythmus. Beim Singen überlappen sich die beiden Systeme – Musik und
Sprache sind also gleichzeitig aktiv (vgl. Spitzer 2014, S. 181).

Lieder können in verschiedensten Formen und Methoden eingesetzt werden und sowohl
festgelegte als auch freie Spielformen beinhalten. Sie können mit

• Finger- und Handgestenspielen,


• Bodypercussion und
• Instrumentalbegleitung kombiniert werden (vgl. Hirler 2005, S. 27f.).

Es ist jedoch von großer Wichtigkeit die Methode der jeweiligen Zielgruppe anzupassen.
Mit Kindern im Kindergarten- und Volkschulalter können beispielsweise bekannte
Kinderlieder oder Fantasiegesänge gesungen werden (vgl. Minkenberg 2004, S. 106f.).

53
Als Singformen in der Altersgruppe der Jugendlichen bieten sich beispielweise Hits aus
den Charts, Sologesang mit Bandbegleitung, Karaoke oder Rap an. Beim Singen mit
Erwachsenen steht die Körperarbeit im Mittelpunkt, denn durch den Gebrauch der
Stimme kann die möglicherweise vernachlässigte Körperwahrnehmung wieder
sensibilisiert werden. Dabei spielt die Atmung eine entscheidende Rolle, da beim Singen
der Atem bewusst spürbar gemacht wird. Das Singen mit Erwachsenen kann in
vielfältigster Weise durch Volkslieder, Karaoke, stimmlicher Improvisation oder
Gospelgesängen gestaltet werden. Das Singen mit Menschen mit Beeinträchtigung ist
bezüglich des Repertoires nicht von dem der anderen Zielgruppen zu unterscheiden.
Dennoch liegt dabei der Schwerpunkt meist auf der Körperarbeit (vgl. Minkenberg 2004,
S. 108-111).

In Abbildung 7 wird dargestellt, dass das Singen nicht nur positive Auswirkungen auf
Stimme und Atmung hat, sondern auch eine Transferwirkung auf andere Bereiche
aufweist.

Abbildung 7: Soziale und individuelle Auswirkungen des Singens (Minkenberg 2004, S. 107)

54
Stimme und Atmung gehen miteinander einher und durch das bewusste Wahrnehmen der
Atmung sowie der eigenen Stimme wird die Körperwahrnehmung positiv beeinflusst. Der
Gesang ist eine kreative Form des Ausdrucks und soll möglichst wertfrei wahrgenommen
werden. Das gemeinsame Erleben und Erschaffen von Musik sind Phänomene, die für
viele Menschen sehr berührend und emotional sein können. Das Gemeinschaftsgefühl,
das durch den sozialen Kontakt und geteilte Erlebnisse entsteht, ist einzigartig. Gerade
für Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, sind diese Erlebnisse wichtige
Erfahrungen.

Da die Soziale Arbeit definitiv eine Affinität zur Kinder- und Jugendpsychiatrie aufweist,
wird folglich die Zielgruppe der Jugendlichen und Kinder genauer ins Blickfeld
genommen. Musik hat in vielen Fällen auf Jugendliche eine besondere Wirkung.
Einerseits werden Spaß, Spontanität, Ästhetik und Körperlichkeit erfahren und
andererseits werden tiefgreifende Funktionen, wie Denken, Fühlen und Handeln,
thematisiert. Abgesehen davon produziert die Musikindustrie Leitfiguren, die vor allem
Jugendliche in ihrer Identitätsentwicklung beeinflussen (vgl. Wickel 1998, S. 41).

5.3. Rocken statt Ritzen

Mit dem Projekt ‚Rocken statt Ritzen‘ wurde in Deutschland ein Bandprojekt entwickelt,
das Jugendlichen helfen soll, selbstverletzendes Verhalten zu bewältigen. Dieses Projekt
wurde als Gruppenangebot für Kinder und Jugendliche mit nichtsuizidalem
selbstverletzenden Verhalten konzeptioniert. Ergänzend dazu werden auch
therapeutische Einzelgespräche angeboten. Im Mittelpunkt des Angebots steht jedoch die
Bandarbeit, bei der in Kooperation mit professionellen Musiker*innen unterschiedliche
Musikstücke erarbeitet werden. Vor allem das Gesangscoaching hat einen großen Effekt
auf den Selbstwert der Jugendlichen. Weiters werden in der Gruppe persönlich
bedeutsame Stücke gemeinsam angehört und angeleitete Entspannungsübungen
durchgeführt, um den Jugendlichen den Unterschied zwischen Anspannung und
Entspannung zu vermitteln. Um auch das familiäre Umfeld miteinzubeziehen, finden
Elternabende statt, an denen das Thema ‚Selbstverletzendes Verhalten‘ besprochen wird
(vgl. Plener/Sukale 2020, S. 310f.). Mithilfe von Tagebucheinträgen wird die Häufigkeit

55
des Nichtsuizidalen selbstverletzenden Verhaltens (NSSV) über den Zeitraum des
Projektes erhoben. Dabei zeigt sich ein positiver Trend hinsichtlich der Abnahme des
NSSV (Abbildung 8) (vgl. Pavlic 2016, S. 45).

Abbildung 8: Wöchentliche Frequenz des nichtsuizidalen selbstverletzenden Verhaltens (NSSV) im Projekt ‚Rocken
statt Ritzen‘ unter Angabe der genauen Mittelwerte (Rauten) und der näherungsweise linearen Mittelwertentwicklung
(Gerade) (Pavlic 2016, S. 45)

Weiters reduzierte sich die Depressionssummenwerte des BDI-II signifikant im Laufe des
Bandprojektes. Vor der Intervention lag der Mittelwert bei 36,00 (SD = +/- 14,85) und
danach bei 27,45 (SD = +/- 17,27) (vgl. ebd., S. 46). Diese Entwicklung ist in Abbildung
9 veranschaulicht.

Abbildung 9: Mittelwerte der Summenwerte (Scores) aus dem Becks Depressionsinventar, 2. Ausgabe (BDI-II-Score)
aller Teilnehmer*innen zu Beginn und im 3-Monats-Follow-up; Darstellung als näherungsweise lineare
Mittelwertentwicklung über die Zeit (Pavlic 2016, S. 46)

56
Bei einigen Klient*innen konnte postinterventionell die Schweregrad-Einstufung in eine
positive Richtung verändert werden (vgl. ebd.). Außerdem kann in weiterer Folge ein
erfolgreicher Bandauftritt bei Jugendlichen das Selbstbewusstsein und die damit
zusammenhängende Persönlichkeitsbildung positiv beeinflussen (vgl. Platz 2017, S.
83f.). Durch die Ergebnisse des Projektes ‚Rocken statt Ritzen‘ kann geschlossen werden,
dass musikalische Angebote in Kombination mit therapeutischen Gesprächen im Bereich
der Kinder- und Jugendpsychiatrie definitiv eine positive Veränderung herbeiführen
können.

57
6. Zusammenfassung
Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Literaturrecherche dargelegt.

Das bio-psycho-soziale Modell der Medizin verlangt nach einer ganzheitlichen


Betrachtung von Menschen und deren Erkrankungen. Diese Ansicht begründet auch, dass
die Soziale Arbeit im klinischen Kontext präsent sein sollte. Die Zielsetzung dabei ist es,
Lebens- und Problembewältigung, Soziale Teilhabe, Partizipation, Selbstbestimmung
und autonome Praxen eigener Lebensgestaltung zu fördern. Ein gängiges Konzept, das in
der Sozialen Arbeit in diesem Bereich verwendet wird, ist das Konzept der
Lebensbewältigung. In diesem Kontext bedeutet das, dass Menschen mit psychischen
Erkrankungen bei der Bewältigung von Problemen des täglichen Lebens unterstützt
werden sollen. Praktisch kann diese Hilfestellung unterschiedlich ausgeübt werden. Eine
kreative Möglichkeit wären beispielsweise musikalische Angebote.

Musik in der Sozialen Arbeit kann sich dabei an den Grundlagen und Verfahren der
Musiktherapie orientieren. Die Musiktherapie als eigenständige, wissenschaftlich-
künstlerisch-kreative und ausdrucksfördernde Therapieform bietet vielfältige
Möglichkeiten zur Lebensbewältigung. Dabei wird Musik als Mittel der Psychotherapie
verwendet, um innerpsychische Phänomene auszudrücken und zu symbolisieren, die
nicht verbalisiert werden können. Es kommen unterschiedlichste Methoden zum Einsatz,
wobei grundsätzlich zwischen aktiven und rezeptiven Methoden unterschieden werden
kann. Im Gegensatz dazu liegt die Zielsetzung musikalischer Angebote in der Pädagogik
auf der Wissensvermittlung musikalischer Inhalte. Musik in der Sozialen Arbeit sollte
genau zwischen der medizinisch orientierten Musiktherapie und der Musikpädagogik
positioniert werden.

Aus der Literatur geht hervor, dass Musik in die Sozialen Arbeit auf unterschiedliche Art
eingebaut werden kann. Das gemeinsame Hören von persönlich bedeutsamer Musik der
Klient*innen und das Reflektieren kann bereits eine wirksame Intervention darstellen.
Der voraussetzungslose Einsatz der Stimme spielt in der Sozialen Arbeit eine besondere
Rolle, da die eigene Stimme jederzeit genutzt werden kann. Es lassen sich auch mehrere
Gründe für das Musizieren mit Menschen in der Sozialen Arbeit festhalten: Der
musikalische Ausdruck und das musikalische Ausleben stehen im Vordergrund. Alle

58
Gefühle und Lebenssituationen finden beim Musizieren Platz und somit können auch
Aggressivität, Frustration, Wut oder Trauer auf eine sozial verträgliche Weise zum
Ausdruck gebracht werden.

Einerseits beinhaltet die Musik in der Sozialen Arbeit Erfahrungen auf körperlicher
Ebene. Andererseits werden tiefgreifende Aspekte wie Denken, Fühlen und Handeln
intensiv thematisiert. Daher eignet sich die Musik in der Sozialen Arbeit, um auf
unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Zielgruppen zu arbeiten. Als
künstlerisch-kreatives Medium schließt sie kulturelle und ästhetische Aspekte mit ein.
Musik im psychiatrischen Bereich der Sozialen Arbeit stellt eine Form der Intervention
abseits von konventionellen Behandlungsmethoden und Therapiekonzepten dar. Im
Fokus liegen nicht defizitorientierte Behandlungskonzepte, sondern das Hauptaugenmerk
liegt auf der Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung der Klient*innen.

59
EMPIRISCHE
UNTERSUCHUNG

60
7. Forschungsdesign
Der empirische Teil dieser Masterarbeit beschäftigt sich vorrangig mit der Frage,
inwiefern musikalische Interventionen und Angebote im psychiatrischen Kontext für die
Soziale Arbeit hilfreich sein können. Im ersten Schritt wird das Forschungsdesign
dargelegt. Durch dieses wird die Herangehensweise der Datenerhebung und -auswertung
beschrieben. Dabei ist es das Ziel, den Forschungsablauf transparent zu machen. Weiters
dient das Forschungsdesign als Leitlinie, auf die im Verlauf des Forschungsprozesses
zurückgegriffen werden kann (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, S. 118).

Für das Forschungsdesign wurde auf die qualitative Sozialforschung zurückgegriffen,


denn sie zielt darauf ab, Phänomene zu verstehen. Für die vorliegende Untersuchung
kommt ausschließlich ein qualitatives Forschungsdesign in Frage, denn nur dadurch
können subtile Prozesse, die durch musikalische Angebote angeregt werden, erforscht
werden.

Die zwei Kernpunkte der qualitativen Sozialforschung sind einerseits die Wissenschaft,
die sich mit den Menschen auseinandersetzt, und andererseits die Erforschung
menschlichen Handelns (vgl. Reichertz 2014, S. 68f.). Die Ausgangspunkte von
qualitativer Sozialforschung sind in den meisten Fällen soziale oder gesellschaftliche
Probleme sowie Missstände (vgl. Diekmann 2005, S. 29). Es ist von großer Bedeutung,
Gütekriterien wie Objektivität, Validität und Reliabilität (vgl. Krebs/Menold 2014) auch
in der qualitativen Sozialforschung zu bedenken. Diese Gütekriterien lassen sich jedoch
schwer mit der qualitativen Sozialforschung vereinbaren, da Interpretationen der Daten
durch Forscher*innen nie gänzlich objektiv sein können. Deshalb ist es umso
bedeutender, die Verfahrensweisen der Datenerhebung und der Datenauswertung
transparent und nachvollziehbar darzulegen und zu beschreiben. Es gilt also, subjektive
Sichtweisen verlässlich zu ermitteln (vgl. Flick 2014, S. 412).

61
7.1. Ausgangspunkt, Forschungsfragen und Ziel

Im Allgemeinen gibt es bereits einige Untersuchungen über musikalische Methoden im


sozialpädagogisch-therapeutischen Kontext. Im Mittelpunkt dieser Masterarbeit steht
folgende Fragestellung:

• Inwiefern können musikalische Interventionen und Angebote für die Soziale


Arbeit im psychiatrischen Kontext hilfreich sein?

Weiters ergibt sich in Bezug auf das Thema folgende Unterfrage:

• Wie lässt sich die Musik in der Sozialen Arbeit von der Musiktherapie abgrenzen?

Anhand einer teilnehmenden Beobachtung und Expert*inneninterviews sollen diese


Fragestellungen beantwortet werden. Dabei sollen einerseits Bewältigungsprozesse
betrachtet werden, die durch musikalische Angebote herbeigeführt werden und
andererseits soll die Rolle der Musik in der Sozialen Arbeit thematisiert werden. Die
Vorgehensweise bei der Erhebung und Auswertung der Daten wird im folgenden
Abschnitt beschrieben.

7.2. Beschreibung des Vorgehens

Es handelt sich bei diesem Vorgehen um eine Methodentriangulation, bei der bewusst
unterschiedliche Erhebungsverfahren angewendet werden. Um Daten für die vorliegende
Untersuchung zu generieren, wurden eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt und
leitfadengestützte Expert*inneninterviews geführt. Die Interviews und die teilnehmende
Beobachtung wurden anschließend mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring
(2010) ausgewertet. In den folgenden Kapiteln wird das Vorgehen bei den Interviews und
der teilnehmenden Beobachtung genau erklärt.

62
7.2.1. Interviews

Es wurden zwei Expert*inneninterviews mit Musiktherapeut*innen geführt. Mithilfe von


Interviews werden unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Personen erhoben
(vgl. Diekmann 2005, S. 201). Beim Expert*inneninterview steht das Wissen und die
Expertise der interviewten Person im Mittelpunkt, denn Expert*innen repräsentieren eine
allgemeine Meinung über eine bestimmte Thematik (vgl. ebd., S. 214ff.). Die
Interviewpartner*innen wurden persönlich um eine Kooperation gebeten. Anschließend
wurde per E-Mail ein Termin vereinbart. Da die Expert*inneninterviews in der Zeit der
COVID-19-Pandemie stattfanden, wurden sie online über ZOOM abgehalten. Trotz der
Einschränkungen, die über dieses Medium vorhanden sind, gestaltete sich das Gespräch
unkompliziert. Das nachfolgende Kapitel beschreibt den Leitfaden für das Gespräch mit
den Expert*innen.

7.2.1.1. Leitfaden

Der Leitfaden fungiert als Erhebungsinstrument und beinhaltet im Vorhinein erarbeitete


Fragen, die den Interviewpartner*innen gestellt werden sollen. Während des Interviews
muss sich der/die Interviewer*in aber nicht zwingend an den Ablauf oder an die Fragen
des Leitfadens halten, denn der Leitfaden stellt lediglich ein gedankliches Gerüst dar. Er
dient als Unterstützung für Interviewer*innen und versichert, dass in mehreren Interviews
gleichartige Informationen erfasst werden (vgl. Gläser/Laudel 2010, S. 142f.).

Der Leitfaden für die vorliegende Erhebung basiert auf der gelesenen Literatur zum
Thema Musiktherapie und Musik in der Sozialen Arbeit. Ziel der Interviews war es, einen
praxisnahen Einblick in die Musiktherapie zu erhalten und die Position von
musiktherapeutischen Elementen in der Sozialen Arbeit zu verorten. Den Beginn des
Leitfadens bilden allgemeine Fragen zur Musiktherapie. Ergänzend dazu folgt eine
Kategorie, die die Wirkung von Musik thematisiert. Die darauffolgende Kategorie nennt
sich ‚Musik und Soziale Arbeit‘ und beinhaltet vor allem Fragen zu musiktherapeutisch-
sozialpädagogischen Angeboten und Interventionen. Im Fokus des abschließenden
Themenbereichs stehen Fragen zu den Verknüpfungen und Grenzen zwischen
Musiktherapie und Sozialpädagogik. Am Ende des Interviewleitfadens ist eine

63
Abschlussfrage angeführt, die nicht direkt an die Forschungsfrage anknüpft. Dennoch
kann die Abschlussfrage für die Beantwortung der Forschungsfrage von Bedeutung sein,
da diese noch weitere wichtige Informationen enthalten könnte.

7.2.2. Teilnehmende Beobachtung

Als zweiter Teil der empirischen Forschung wurde eine teilnehmende Beobachtung in der
kinder- und jugendpsychiatrischen Station einer Klinik vorgenommen.

Die teilnehmende Beobachtung zeichnet sich dadurch aus, dass Forscher*innen direkt an
der zu beforschenden Situation teilnehmen. Die Datenerhebung findet also direkt in der
Lebenswelt der Menschen statt. Vor der teilnehmenden Beobachtung muss entschieden
werden, ob es sich um eine aktive oder passive beziehungsweise strukturierte oder
unstrukturierte Beobachtung handelt (vgl. Girtler 2001, S. 63f.). Im vorliegenden Fall
wurden die Daten durch eine aktive und unstrukturierte teilnehmende Beobachtung
erhoben. Da die unstrukturierte Beobachtung größtenteils auf strenge, zuvor festgelegte
Regeln verzichtet, eignet sie sich besonders gut für wenig erforschte Felder. Strikte
Strukturierungen wären dabei möglicherweise hinderlich, da sie den Fokus der
forschenden Person in eine Richtung lenken und dies von wesentlichen Ereignissen
ablenken kann (vgl. Bortz/Döring 2006, S. 267). Dennoch fokussierte ich mich bei der
Beobachtung auf einige wesentliche Aspekte:

• Therapeutische Methoden (Übungen, Spiele)


• Interaktionen zwischen der Musiktherapeutin und den Klient*innen,
• Äußerungen der Klient*innen

Das bedeutet in diesem Kontext, dass ich in einer Klinik auf einer kinder- und
jugendpsychiatrischen Station aktiv bei der Musiktherapie dabei sein durfte. Die
teilnehmende Beobachtung fand ausschließlich in Einzeltherapie-Einheiten statt. Die
Kinder und Jugendlichen mussten zuvor bekannt geben, ob es für sie in Ordnung ist, wenn
ich in der Einheit dabei bin. Die teilnehmende Beobachtung gestaltete sich so, dass ich
die Möglichkeit hatte, bei Improvisationen, Gesprächen und weiteren Geschehnissen in
der musiktherapeutischen Einheit teilzunehmen. Überdies durfte ich bei Teamsitzungen
dabei sein, in denen im multiprofessionellen Team mit Psychotherapeut*innen,

64
Ergotherapeut*innen, Psycholog*innen, Logopäd*innen, Musiktherapeut*innen,
Ärzt*innen und Pfleger*innen die aktuellen Ereignisse rund um die Klient*innen
besprochen wurden.

Für das Dokumentieren und Verfassen des Beobachtungsprotokolls bot sich folgende
Vorgehensweise an: Zuerst wurden die bloßen Geschehnisse aufgeschrieben und
dokumentiert und später wurden diese Notizen in eine elektronische Textdatei übertragen.

7.2.3. Beschreibung der Kodierleitfäden

Der Kodierleitfaden, der sich im Anhang befindet, beinhaltet Definitionen, Beispiele und
Kodierregeln, die für jede einzelne Kategorie ausgearbeitet wurden. Er stellt ein wichtiges
Hilfsmittel für die qualitative Inhaltsanalyse dar, da sich anhand des Kodierleitfadens
Textstellen einer Kategorie zuordnen lassen (vgl. Mayring/Fenzl 2014, S. 548).
Um den Prozess der Datenauswertung transparent zu gestalten, werden im Folgenden die
Kategorien des Kodierleitfadens beschrieben.

7.2.3.1. Interview

Das Kategoriensystem für die Auswertung der Interviews wurde bereits im Vorhinein auf
Grundlage der gelesenen Literatur und der Forschungsfrage erarbeitet.

K1: Musiktherapie

In dieser Kategorie werden die Besonderheiten der Musiktherapie erfragt. Die Frage, ob
und inwiefern die Musik zur Lebensbewältigung beitragen kann, steht im Mittelpunkt
dieser Kategorie.

K2: Wirkung der Musik

Das Hauptaugenmerk dieser Kategorie liegt auf der Wirkung von Musik auf Menschen.

K3: Musik und Soziale Arbeit

Diese Kategorie beinhaltet Aussagen in Bezug auf musikalische Angebote in der Sozialen
Arbeit.

65
K4: Verknüpfungen und Grenzen zwischen Musiktherapie und Sozialer Arbeit

Die Sichtweisen auf das Schnittfeld von Pädagogik und Therapie werden in dieser
Kategorie erfragt.

7.2.3.2. Teilnehmende Beobachtung

Für die teilnehmende Beobachtung wurden erst im Nachhinein Kategorien gebildet, um


die Ergebnisse möglichst strukturiert und nachvollziehbar darzustellen.

K1: Atmosphäre

Im Mittelpunkt diese Kategorie stehen Wahrnehmungen über die Bedürfnisse der


Klient*innen und inwiefern die Therapeutin auf diese eingeht.

K2: Therapeutisches Vorgehen

Im Fokus dieser Kategorie steht musiktherapeutisches Vorgehen in Bezug auf die


Angebote und Interventionen und die in der Therapie verwendeten Instrumente.

K2.1. Fallbeispiel: Klang- und Fantasiereise

In dieser Kategorie liegt der Fokus auf einer therapeutischen Einheit, in der eine Klang-
und Fantasiereise stattgefunden hat.

K2.2. Fallbeispiel: Improvisation

Die Unterkategorie ‚Improvisation‘ konzentriert sich auf die Analyse einer musikalischen
Improvisation.

K2.3. Fallbeispiel: Erlernen von musikalischen Fähigkeiten

Diese Kategorie befasst sich mit dem Aspekt des Erlernens musikalischer Fähigkeiten in
der Musiktherapie.

K2.4. Fallbeispiel: Rezeption von Musik

Die genannte Kategorie beschreibt ein Fallbeispiel, in dem es um das gemeinsame Hören
von Musik geht.

66
K2.5. Fallbeispiel: Musik und Regulation

Hier liegt der Fokus auf der Förderung selbstregulierender Fähigkeiten durch Musik.

7.3. Datenauswertung

Die erhobenen Daten der teilnehmenden Beobachtung und der Expert*inneninterviews


wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Die qualitative
Datenauswertung ist eine interpretative Textanalyse, die große Datenmengen verarbeiten
kann. Dabei können verborgene Sinngehalte trotz großer Datenmengen erfasst werden.
Das Vorgehen bei der qualitativen Inhaltsanalyse ist systematisch, regel- und
theoriegeleitet (vgl. Mayring/Fenzl 2014, S. 543).

Im Rahmen der Masterarbeit wurden die erhobenen Daten zunächst aufbereitet. Bei den
Expert*inneninterviews wurden im ersten Schritt anhand der Audiodateien wortgetreue
Transkripte erstellt. Bei der Transkription wurden folgende Regeln beachtet:

• Dialekte wurden eingedeutscht.


• Wortlaute wie <ähm> wurden weggelassen.
• Nonverbale Merkmale wie der Wortlaut <mhm> (zustimmend), die für die
Auswertung wichtig sind, wurden in Klammern angegeben.
• Auffälligkeiten wie Lächeln wurden in Klammern angegeben.
• Bei Pausen wurden Gedankenstriche angegeben. Je länger die Pause, umso länger
ist der Gedankenstrich (vgl. Mayring 2010, S. 55).

Es gibt unterschiedliche Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse, die sich an den


Grundvorgängen der Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung orientieren. Für
die vorliegende Forschungsarbeit wurde die strukturierende Inhaltsanalyse herangezogen
(vgl. Mayring/Fenzl 2014, S. 548). Dabei werden die Kategorien betrachtet und die
Textstellen auf das Inhaltsreichste heruntergebrochen. Anschließend wird analysiert,
welche Textstellen sich welchen Kategorien zuordnen lassen. Danach werden die
Kategorien und deren zugeordnete Textstellen genauer betrachtet, bearbeitet und
interpretiert (vgl. ebd.).

67
Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ist es, die Ergebnisse trotz deren
Interpretationsbedürftigkeit intersubjektiv überprüfbar zu machen (vgl. Mayring 2010, S.
12f.).

Auf Grundlage der bereits beschriebenen Prozesse der Datenerhebung und -auswertung
werden im nächsten Kapitel die Ergebnisse der Interviews und der teilnehmenden
Beobachtung dargestellt.

68
8. Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Dieses Kapitel behandelt die Ergebnisse der empirischen Untersuchung, die sich auf die
Transkripte der Interviews und das Beobachtungsprotokoll der teilnehmenden
Beobachtung beziehen.

8.1. Ergebnisse der Interviews

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Interviews, die auf Basis der qualitativen
Inhaltsanalyse generiert wurden, dargestellt.

Aus den Interviews geht hervor, dass die Musiktherapie auf unterschiedlichen Ebenen
ansetzt, indem sie kommunikative Aspekte und das Handeln auf Symbolebene sichtbar
macht (vgl. T1, Z. 6-11). Das bedeutet einerseits, dass Musik als
Kommunikationsmedium betrachtet werden kann und andererseits bietet Musik die
Möglichkeit, Situationen, Gefühle oder Wahrnehmungen symbolisch darzustellen.
Abgesehen davon ist es möglich, durch Musik nicht bewusstseinszugängliche Aspekte,
die jenseits der sprachlichen Kommunikation liegen, therapeutisch zu bearbeiten. Dabei
erwähnt ein Interviewpartner, dass diese Form der Kommunikation weit über die
alltägliche Kommunikationsebene hinausgeht, weshalb sogar Menschen im Wachkoma
durch Musik erreicht werden können, obwohl sie kein aktives Bewusstsein haben (vgl.
T1, Z. 18-35).

„Das ganz Spezielle an der Musiktherapie ist, dass man mit nonverbalen Mitteln, nämlich
musikalischen Mitteln in Kontakt tritt mit Patient*innen. Also das ist auch die Definition
im Grunde genommen der Musiktherapie und das was wirklich das (…) Besondere ist im
Vergleich zu anderen Therapieformen ist das Nonverbale“ (T2, Z. 4-8).

Alle Interviewpartner*innen unterstreichen den nonverbalen Aspekt der Musiktherapie


als Besonderheit. Mit musikalischen Mitteln ist es möglich, mit jedem Menschen in
Kontakt zu treten. Dies kann beispielsweise auf niederschwellige Art geschehen, durch
Klänge, Rhythmen oder Vibration. Selbst wenn Menschen gehörlos oder blind sind, ist
es möglich, durch Vibration mit ihnen in Kontakt zu treten (vgl. T2, Z. 4-21).

Auch das Musikverständnis in der Musiktherapie wurde in den Interviews thematisiert.


In vielen Fällen wird Musik mit Begriffen wie Geige, Mozart oder Klavier assoziiert.

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Musik als Form der Lebensbewältigung beschreibt den Musikbegriff jedoch viel offener.
Dabei wird von den Interviewpartner*innen betont, dass Phänomene wie Wahrnehmung,
Ausdruck, Resonanz, Bewegung und Schwingung im Mittelpunkt stehen (vgl. T2, Z. 27-
33). Das folgende Zitat bringt den Stellenwert von Musik in der Musiktherapie zum
Ausdruck.

„(…) wir legen in der Therapie – hätte ich jetzt gesagt – viel mehr Wert auf die Beziehung
als auf die Musik. Das klingt ein bisschen arg eigentlich aber das Wichtigste ist die
therapeutische Beziehung und da tun wir halt musikalische Mittel hinein. Da ist im
Grunde genommen egal was es ist und es ist egal ob der Patient etwas kann oder nicht
oder ob es richtig oder falsch ist, weil wir das alles nutzen eigentlich“ (T2, Z. 61-66).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Besonderheiten der Musiktherapie vor allem
durch die Möglichkeit der nonverbalen Kommunikation begründet werden. In der
psychotherapeutisch orientierten Musiktherapie steht die therapeutische Beziehung an
erster Stelle. Der Musik an sich wird dabei keinerlei heilende Wirkung zugesprochen. Sie
wird auf der Grundlage der therapeutischen Beziehung als Medium eingesetzt. Trotzdem
ist die Wirkung von Musik nicht außer Acht zu lassen. Deshalb wurde auch die Wirkung
der Musik in den Interviews thematisiert.

Musik ist Teil der menschlichen Natur, weshalb wahrscheinlich jeder Mensch auf seine
Weise von Musik berührt werden kann (vgl. T2, Z. 446-452). In den Interviews wird
erwähnt, dass Musik grundsätzlich ergotrop (anregend) und trophotrop (beruhigend) auf
Menschen wirken kann, denn durch die Musik werden bestimmte körperliche und
psychische Aspekte angeregt oder abgeschwächt. Neben dieser allgemeinen Wirkung
spielen Erinnerungen und biografische Aspekte, die Menschen mit einem gewissen
Musikstück oder Musikstil verbinden, eine bedeutende Rolle (vgl. T1., Z. 44-51). „In
vielen Fällen sind das bestimmte (…) Musikstile, die sich über die Jahre sozusagen
entwickeln, die irgendwie in irgendeiner Form etwas widerspiegeln, wo wir uns selbst
referentiell wiedererkennen können“ (T1, Z. 51-55). Bezugnehmend auf diese
Bemerkung wird ersichtlich, dass das Hören von Musik eine Reflexionsebene aktivieren
kann, die Selbsterfahrung möglich macht.

Ein Interviewpartner betont, dass das Hören von Musik oder das aktive Musizieren in
vielen Fällen gute Methode sind, um „Lebensereignisse von früher nochmal
wiederzubeleben oder auch sub-klanglich zu

70
symbolisieren. (…) wir nehmen die emotionalen Informationen und nutzen sozusagen
das Medium als eine Stellvertretersprache sozusagen oder als eine andere Sprache“ (T1,
Z. 122-125).

Von einem Interviewpartner wird erwähnt, dass Musik außerdem unterschiedliche


Atmosphären schaffen oder aufrechterhalten kann. „Es ist (…) möglich, durch
musikalische Mittel vergangene Situationen auf musikalischer Ebene wieder zu erleben“
(vgl. T1, Z. 101-109). Diese Erfahrungen können eine Verarbeitungsebene anregen und
dadurch zur Bewältigung beitragen (vgl. ebd.).

In den Interviews wird ebenso erwähnt, dass in krisenhaften Lebenssituationen Musik zur
Lebenshilfe werden kann, denn das aktive Musizieren, das Rezipieren von Musik aber
auch das Komponieren von Liedern kann Menschen dabei helfen, ihre Themen zu
verarbeiten (T2, Z. 77-91). Musik, Klänge und Geräusche sind nicht nur starke Träger
von Emotionen und Erinnerungen, sondern auch von subtilen Prozessen. Das bedeutet,
dass durch das Hören von Musik oder durch das aktive Muszieren und therapeutische
Bearbeiten unbewusste und intuitive Prozesse auf musikalischer Ebene sichtbar gemacht
werden können (vgl. T1, Z. 11-17).

„Es kann auch Negatives natürlich triggern, also wenn diese Erinnerungen mit stark
traumatisierenden Dingen verbunden sind, dann kann der Klang auf einmal wirklich auch
ein Trauma wiederbeleben oder erkennbar machen. Deswegen muss man vorsichtig sein,
aber es heißt nicht, dass es dadurch verboten ist. (…) manche Leute sagen, dass
Musiktherapie bei Trauma Schaden anrichten könnte. Das glaube ich nicht, sondern wir
nutzen es verantwortungsvoll“ (T1, Z. 110-116).

Diese Aussage weist darauf hin, dass Musik nicht nur förderlich sein kann: Durch ihre
starke Wirkung kann sie beispielsweise auch Retraumatisierungen auslösen. Deshalb ist
der verantwortungsvolle und adäquate Einsatz von Musik essenziell. Dabei ist wichtig zu
wissen, dass es keine einheitliche Wirkung von Musik gibt, weshalb es immer notwendig
ist, sehr feinfühlig vorzugehen (vgl. T2, Z. 116-118). Die Vermutung, dass das Hören von
Musik die Introspektion und die Regulation fördern kann wird durch das folgende Zitat
verdeutlicht.

„Musik ist für viele Leute offensichtlich (…) etwas, womit sie ihre eigenen Emotionen
regulieren können oder besser regulieren können und sie sich steuern können. Sonst
würde jeder heutzutage mit irgendeiner Klammer auf dem Kopf herumlaufen. Offenbar
ist das Bedürfnis, sich einerseits durch Musik zu stimulieren und andererseits auch

71
möglicherweise von der Umwelt abzugrenzen mithilfe von Musik, sehr gewachsen“ (vgl.
T1, Z. 70-75).

Ein Interviewpartner weist darauf hin, dass dies positive Aspekte mit sich bringen kann,
wie beispielsweise die Rückbesinnung auf sich selbst. Andererseits kann es auch zu
völliger Abschottung von der Umwelt führen (vgl. T1, Z. 75-81).

Durch die angeführten Aspekte lässt sich sagen, dass Musik zur Lebenshilfe werden kann,
indem sie beispielweise Emotionalität eröffnet oder Reflexionsprozesse anregt. Musik als
Form des Ausdrucks beinhaltet auch die Möglichkeit, sich auszudrücken und
infolgedessen abzureagieren und zu regulieren.

Nicht nur die Musiktherapie, sondern auch die Soziale Arbeit kann sich die Wirkung der
Musik zunutze machen. Ein Interviewpartner nennt einige Beispiele für musikalische
Angebote in der Sozialen Arbeit:

„Also da gibts ganz viele Anregungen. (…) Das gemeinsame Trommeln oder irgendwie
solche Sachen oder miteinander singen und Stimme entdecken. Das kann man alles im
sozialpädagogischen Bereich ansiedeln. Da muss man doch nicht in eine [therapeutische]
Ebene geraten, wenn man es im Hier und Jetzt lässt. (…) Im Sinne von Aktivierung,
Selbstaktivierung, Ressourcenaktivierung, Gemeinschaftserleben “ (T1, Z. 143-148).

Weiters wird erwähnt, dass das gemeinsame Hören von Musik mit Jugendlichen kann
Peer-Group-Erfahrungen stärken und soziale Aspekte von Kommunikation,
Gemeinschaftserleben und Kontaktaufnahme fördern. In den Interviews wird erwähnt,
dass es dabei nicht um das therapeutische Aufarbeiten von gewissen Inhalten geht,
sondern um das Anlegen von kreativen Umgangsformen, die der Lebensbewältigung
dienen. Im Fokus der Musik in der Sozialen Arbeit stehen Selbstaktivierung,
Ressourcenaktivierung und Gemeinschaftserleben (vgl. T1, Z. 137-172).

Entscheidend für die Qualität der Angebote ist die Intention dahinter, denn musikalisch-
sozialpädagogische Angebote sind mehr als nur Freizeitgestaltung. Ein Interviewpartner
berichtet von einem Projekt, bei dem ein Sozialpädagoge mit Jugendlichen Instrumente
aus alten Blechen von einem Schrottplatz baut und dann gemeinsam musiziert (vgl. T1,
Z. 178-181).

„Ich habe Schrott-Musik gemacht mit Jungs, mit Kindern in der Sozialen Arbeit
beziehungsweise in der Jugendarbeit oder irgendwas. Da sind wir auf den Schrottplatz
gegangen, haben irgendwelche Bleche geholt zum Musik machen oder irgendwelche
Sachen. Man kann das mit ganz verschiedensten Dingen verbinden“ (vgl. T1, Z.182-186).

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Musikalische Angebote in der Sozialen Arbeit können mit unterschiedlichen Themen
kombiniert werden. Dabei könnte in diesem Fall neben musikalischen Aspekten auch das
Thema ‚Umwelt‘ miteinbezogen werden.

Für das gemeinsame Erkunden der Lebenswelten kann Musik eine Hilfestellung sein,
denn das Hören von persönlich bedeutsamer Musik kann durch die nonverbalen Aspekte
von Musik als Verbindungsstück zwischen Lebenswelt und Betreuungssituation
fungieren.

„[W]o stehen denn die Leute? Was ist denn ihr Geschmack? Was ist denn ihre
Lebenswelt? Welche Lebenswirklichkeit haben sie? Also was ist deren Vorstellung von
einer Lebenswirklichkeit, die sie mögen, oder die ihnen was gibt? Das kann man
wiederum nutzen, wenn man eine Einzelbetreuung macht. Da kann man schauen, was
hören sie denn für Musik an“ (T1, Z. 197-201).

Dabei wird von den Interviewpartner*innen erwähnt, dass es den Klient*innen in weiterer
Folge möglicherweise leichter fällt, über persönliche Erfahrungen zu sprechen. Eine
Interviewpartnerin weist darauf hin, dass es wesentlich bei Angeboten oder
Interventionen mit Musik ist, den persönlichen Geschmack der Klient*innen zu
integrieren und den biografischen Kontext zu bedenken (vgl. T2, Z. 170-195). Bei
Gruppenangeboten bespielweise kann jedes Gruppenmitglied ein Musikstück, das ihm
gefällt, vorspielen und die Gruppe hört das Musikstück gemeinsam an. Dabei muss jedoch
bedacht werden, dass das Vorspielen von persönlich bedeutsamen Musikstücken sehr
intim sein kann. Der verantwortungsvolle Umgang damit ist deshalb bedeutsam (T2, Z.
197-204).

Im sozialpsychiatrischen Bereich können unterschiedliche Angebote hilfreich sein. Als


Beispiele werden in den Interviews gemeinschaftliches Singen oder Trommeln in einer
Gruppe im Sinne der Aktivierung und Kommunikation genannt. Dabei ist es erforderlich,
die Angebote dem Klientel anzupassen. Der Schweregrad der Erkrankung und der
Einschränkung sowie die Gruppenzusammenstellung sind wichtige Aspekte, die bedacht
werden müssen (vgl. T1, Z. 225-264). Sozialpädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen
können natürlich auch aktiv mit Klient*innen Musik machen, indem sie Band- oder
Chorprojekte anbieten. Dabei ist es hilfreich, wenn sie über grundlegende musikalische
Fähigkeiten verfügen (vgl. T1, Z. 222-230).

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Ausschlaggebend für musikalische Angebote in der Sozialen Arbeit ist es,
sozialpädagogische oder sozialarbeiterische Zielsetzungen mit musikalischen Mitteln zu
erreichen (vgl. T2, Z. 406-410). Musik kann also auch in der Sozialen Arbeit effizient
eingesetzt werden. Dabei stehen Aspekte wie Erlebnisaktivierung und
Ressourcenaktivierung im Mittelpunkt der Angebote.

Ob es sich um Musik in der Sozialen Arbeit oder um eine musiktherapeutische


Intervention handelt, lässt sich auf den ersten Blick schwer feststellen.

„Also das ist eher so der Kontext, der das unterscheidet als sozusagen die Aktion. (…)
Die Aktion könnte sehr ähnlich ausschauen. Zwei Menschen spielen Klavier, zwei
Menschen hören Musik, eine Gruppe tanzt. Weiß man eigentlich nicht, ist das
Musiktherapie“ (T2, Z. 265-268).

Entscheidend für die Unterscheidung zwischen musiktherapeutischen Angeboten und


Musik in der Sozialen Arbeit ist vor allem auch die professionelle Identität der Person,
die sie anbietet. Eine Interviewpartnerin berichtet von ihren persönlichen Erfahrungen:

„Ich bin Ärztin und Psychotherapeutin und Musiktherapeutin (…) ja, ich weiß auch nicht,
ist das jetzt Musiktherapie oder ist das Psychotherapie oder ist das doch irgendetwas
Ärztliches (…). Das kann man jetzt so mit der Aktion oft vielleicht gar nicht so erkennen
gleich. Aber es gibt so bestimmte Variablen, die sind – also die Setting-Variablen sind
nicht diskutabel“ (vgl. T2, Z. 304-311).

„Therapie ist Therapie und Sozialarbeit ist Sozialarbeit und Sozialpädagogik ist
Sozialpädagogik, auch wenn wir immer Musik verwenden“ (vgl. T2, Z. 256f.). Die
Interviewpartnerin betont, dass Kontext, institutionelle Rahmenbedingungen,
Finanzierung, Intensität der Begegnung, die Ausbildung und die professionelle
Kompetenz für die Beantwortung der Frage essenziell sind, ob es sich um Musik in der
Sozialen Arbeit oder um musiktherapeutische Angebote handelt (vgl. T2, Z. 298-302).
Vor allem im Bereich der Prävention gibt es sehr viele Schnittstellen (vgl. T1, Z. 194-
195).

Trotzdem gibt es wichtige inhaltliche Aspekte, die musiktherapeutische Angebote von


Musik in der Sozialen Arbeit unterscheiden.

„Es hängt davon ab, ob man sozusagen weitergeht, weiterfrägt und das zum Anlass
nimmt, in eine Tiefe zu gehen, oder ob man es bei dem Erlebensaspekt belässt. Wir haben
jetzt ein Erlebnis (…), aber es bleibt sozusagen im Hier und Jetzt dieses Erlebens“ (T1,
Z. 274-279).

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Musik in der Sozialen Arbeit fokussiert sich auf den Aspekt des Erlebens, während
therapeutische Vorgehensweisen gezielt tiefere Schichten der menschlichen Psyche
anregen. „Es hängt davon ab, (…) ob man das eher so im Austausch anlegt, oder ob man
sagt: ‚Jetzt schauen wir mal genau in ihre Tiefen, was wir da gehört haben.‘ (…) Dann
geht’s ins Therapeutische (…)“ (T1, Z. 214-216). Weiters enthält auch das österreichische
Musiktherapiegesetz eine konkrete Definition für musiktherapeutische Angebote.

„Ich glaube, dass unsere Gesetzgebung für die Musiktherapeuten [und


Musiktherapeutinnen; Anm. d. Verf.] einerseits ein Vorteil ist, weil es klare Grenzen
setzt. Auf der anderen Seite wird es (…) für andere Berufsgruppen etwas schwerer, sich
darüber zu definieren. Was dürfen sie und was dürfen sie nicht? Ist das dann schon
therapeutisch oder ist das noch nicht therapeutisch? (…) Ich habe damals auch immer
gesagt: ‚Traut euch ein bisschen mehr zu‘. Also Sozialpädagoginnen (..) erkennen, wenn
Krisen auftauchen und holen dann ja auch den Arzt, die Ärztin, die Therapeutin dazu.
(…) Sie können schon auch im Sinne von (…) eigenständigem Handeln mit Musik auch
mit Klienten (…) in sozialpsychiatrischer Betreuung mehr machen, als es möglicherweise
das Gesetz für die Musiktherapeuten limitiert. Es gibt (…) Schnittstellen und diese
Schnittstellen darf man auch besetzten “ (T1, Z. 286-300).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass musikalische Angebote und Interventionen auch im
psychiatrischen Kontext durchaus von Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen
angeboten werden können.

Im anschließenden Kapitel wird anhand der Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung


thematisiert, wie sich musikalische Angebote in der Praxis gestalten können.

75
8.2. Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung

Der folgende Teil der Masterarbeit widmet sich der Ergebnisdarstellung der
teilnehmenden Beobachtung.

Insgesamt wird durch die teilnehmende Beobachtung sichtbar, dass alle Klient*innen sehr
gerne in die Musiktherapie kommen. Der Beginn der musiktherapeutischen Einheiten
gestaltet sich unterschiedlich, da die Klient*innen mit unterschiedlichen Bedürfnissen
und Gemütszuständen in die Musiktherapie kommen. Der folgende Auszug aus dem
Beobachtungsprotokoll beschreibt den Beginn einer Einheit:

„Die Klientin kommt sehr aufgedreht zur Therapie. Sie betritt den Raum und sucht sich
gleich unterschiedliche Instrumente heraus, legt diese aber dann wieder weg. Sie findet
kein Instrument, dass für sie gerade passt. Dann hilft die Therapeutin und gibt ihr eine
Mundharmonika“ (BP, Z. 34-37).

Im Allgemeinen kommen Klient*innen in unterschiedlichen emotionalen Verfassungen


zur Musiktherapie. Der Therapeutin gelingt es immer, die aktuelle emotionale Verfassung
der Klient*innen wahrzunehmen und dadurch einen adäquaten Therapiebeginn
anzubieten. Die Klient*innen bekommen die Möglichkeit, in aller Ruhe im
Musiktherapieraum anzukommen.

Auch der Abschluss der therapeutischen Einheiten ist nicht zu vernachlässigen: Anhand
der folgenden Textstelle aus dem Beobachtungsprotokoll wird klar, dass die Therapeutin
einen guten Abschluss für das Ende jeder therapeutischen Einheit zu finden versucht:

„Die Klanggeschichte kann vor dem Ende der Therapie-Einheit abgeschlossen und
beendet werden. Während die Klientin die Instrumente wegräumt, wird sie von der
Therapeutin mit der Gitarre und der Stimme begleitet. Sie gestaltet gemeinsam mit der
Therapeutin ein Situationslied, in dem es darum geht, dass die Einheit jetzt aus ist“ (BP,
Z. 21-23).

An dieser Stelle soll betont werden, dass Interventionen und Angebote nicht von der
Therapeutin allein ausgewählt werden. Die Wünsche der Klient*innen werden stets
berücksichtigt und somit stehen die Bedürfnisse der Klient*innen im Mittelpunkt aller
Interventionen und Angebote. Im Zuge der teilnehmenden Beobachtung wurde sichtbar,
dass in der Musiktherapie unterschiedlichste Methoden zum Einsatz kommen. Insgesamt
wird beobachtet, dass musiktherapeutische Angebote bei Kindern und Jugendlichen in
vielen Fällen mit Bewegung einhergehen. Den Klient*innen stehen unterschiedlichste

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Instrumente zur Verfügung, wobei die meisten ohne Vorkenntnisse verwendet werden
können. Vor allem Orff-Instrumente, Trommeln, ein Klavier, aber auch
Saiteninstrumente lassen sich im Musiktherapie-Raum finden. Die musiktherapeutischen
Einheiten gestalten sich grundsätzlich unterschiedlich, da sich auch die Angebote und
Interventionen am Individuum orientieren. Um einen tieferen Einblick zu erlangen
werden nun einige Fallbeispiele beschrieben.

Fallbeispiel: Klang und Fantasiereise

Eine Klientin im Volksschulalter äußerst gleich zu Beginn der Einheit den Wunsch, eine
Klang- und Fantasiereise zu machen. Sie leidet an einer Impulskontrollstörung, weshalb
soziale Interaktionen für sie zu einer Herausforderung werden. Die Therapeutin erzählt
mir, dass die Klient*in im Gruppensetting besonders fordernd sein kann, da sie teilweise
sehr bestimmt und impulsiv auftritt.

Die Klang- und Fantasiereise gehört in diesem Fall zu den Methoden der Improvisation,
da die Klientin selbst aktiv musiziert. Die Therapeutin bietet der Klientin einige
Instrumente für die Klang- und Fantasiereise an. Diese gestaltet sich kreativ, denn sie
wird nicht von der Therapeutin angeleitet, sondern die Klientin wird – während sie ihre
Fantasiegeschichte frei erzählt – von der Therapeutin mit dem Klavier oder mit der
Gitarre begleitet:

„Während die Klientin frei erzählt, spielt auch sie selbst mit unterschiedlichsten
Instrumenten. Alle Aktionen und Ereignisse der Fantasiegeschichte werden gleichzeitig
vertont. Die Instrumente der Klientin symbolisieren die fiktiven Freunde der Klientin.
Dabei passen die unterschiedlichen Qualitäten der Instrumente zu den Eigenschaften ihrer
fiktiven Freunde. Sie verwendet beispielsweise Bongos (Freund Tarzan), Shaker (Freund
Schlange), Woodblock (Freund Pferd) und Trommeln (Freund Bär). Gleich zu Beginn
bietet auch mir die Klientin den Shaker an, um ihren Freund die Schlange zu spielen. In
der Fantasiegeschichte geht es darum, dass alle Freunde gemeinsam zu einem
Rummelplatz gehen wollen. Die Klientin schlägt einen Weg vor, um zum Rummelplatz
zu gelangen. Die Therapeutin sagt, dass sie lieber einen anderen Weg gehen möchte, da
er viel schöner ist. Die Klientin und die Therapeutin einigen sich, dass sie den schöneren
Weg gehen wollen. Schlussendlich treffen sie dort auch ein und unternehmen gemeinsam
abenteuerliche Dinge wie beispielsweise eine Achterbahnfahrt. Danach wollen alle
Freunde (…) zum Meer gehen aber die Schlange muss hierbleiben, da sie nicht so weit
kriechen kann. Da entscheidet sich die Klientin dafür, dass das Pferd die Schlange tragen
könnte. Als alle am Meer angekommen sind, beginnen sie (…) Häuser zu bauen, damit
alle gemeinsam dort wohnen können“ (BP, Z. 8-27).

77
Zunächst fällt auf, dass die Therapeutin in die Geschichte absichtlich Situationen mit
Konfliktpotential einbaut, indem sie für einen der fiktiven Freunde spricht und einen
anderen Weg zum Rummelplatz vorschlägt. Die Klientin ist in diesem Fall in der Lage,
die Situation gut zu lösen. Es fällt auch auf, dass die Klient*in darum bemüht ist, keinen
ihrer Freunde zu vernachlässigen. Sie versucht, alle Instrumente, die sie sich ausgesucht
hat, in gleichem Maße in die Klanggeschichte einzubauen. Abgesehen davon entsteht im
Laufe der Geschichte durch die Kommunikation zwischen Klientin und Therapeutin eine
immer stärker werdende Interaktion, wodurch ein spielerisches Erfahren von sozialen
Interaktionen möglich wird. Durch dieses Probehandeln in den Fantasie- und
Klanggeschichten hat die Klientin die Möglichkeit, sich in sozialen Situationen zu
erproben.

Fallbeispiel: Improvisation

In diesem Fallbeispiel hat die Klientin musikalische Vorkenntnisse und bringt ihr
Instrument in die Therapie mit. Die Jugendliche, die unter Anorexia nervosa und einer
Sozialphobie leidet, kommt mit ihrer Geige in die Musiktherapie. Sie wirkt besonders
schüchtern und ängstlich.

„Die Frage der Therapeutin an die Klientin, ob sie Lust habe, gemeinsam ein Stück zu
spielen, wird von der Klient*in bejaht. Die Stimme der Klientin klingt sehr leise und zart.
Die Therapeutin setzt sich an das Klavier und ich nehme mir ein Xylophon. Die
Therapeutin beginnt, mit der Klient*in über die Jahreszeiten zu sprechen und schlägt vor,
dass wir gemeinsam den Frühling musikalisch zum Ausdruck bringen. Wir beginnen
gemeinsam mit der freien Improvisation. Die Klientin wirkt beim Musizieren
ausgesprochen selbstbewusst. Der Ton, den sie mit der Geige produziert, ist sehr
kraftvoll. Die Therapeutin und ich begleiten die Improvisation der Klientin mit gängigen
Akkordfolgen“ (BP Z. 94-102).

Sofort fällt auf, dass die Klientin beim Musizieren viel selbstbewusster und
unerschrockener wirkt als beim Sprechen. Beim Musizieren scheint es der Klientin
möglich zu sein, sich ausdrucksstark und selbstsicher zu zeigen. Die nonverbalen Aspekte
der Musik kommen in diesem Fall stark zum Tragen. Nach den Improvisationen der
Jahreszeiten erfolgt ein Reflexion über die Wahrnehmungen während des Musizierens.

„Die Klientin beschreibt die Improvisationen mit inneren Bildern. In Bezug auf den
Frühling beschreibt die Klientin, dass durch die Nässe draußen Blumen zu wachsen
beginnen. Die Improvisation des Sommers beschreibt sie mit einen Tag am Meer, wo sie
Sandburgen baut. Sie beschreibt auch, dass viele Leute am Strand sind und das sehr

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unangenehm für sie ist. Sie sagt, dass sie immer Angst bekommt, wenn so viele Menschen
in ihrer Nähe sind. Die Therapeutin bespricht mit ihr eine Strategie, um die Situation
möglicherweise besser bewältigen zu können. Sie gibt ihr den Tipp, dass sie in solchen
Situationen versuchen könnte, an ein ruhiges und langsames Lied zu denken und im
Rhythmus des Liedes zu atmen. Die Therapeutin erklärt, dass die Atmung zur Beruhigung
beitragen kann“ (BP, Z. 104-116)

In der Improvisation spielen auch nichtmusikalische Inhalte eine bedeutende Rolle. In


diesem Fall ist bei der Reflexion der Improvisation des Sommers das Thema ‚Ängste der
Klientin in sozialen Situationen‘ präsent. Einerseits bietet sich die Möglichkeit, das
Erlebte und die damit verbundenen Emotionen zu besprechen und andererseits kann die
Therapeutin gemeinsam mit der Klientin Strategien zur Bewältigung der Situation
erarbeiten.

Die unterschiedlichen Qualitäten der Musik ermöglichen auch Erfahrungen einer


Interaktion, die über das hinausgehen, wie wir sie alltäglich praktizieren. Exemplarisch
für nonverbale Kommunikation durch Musik wird ein Ausschnitt aus dem
Beobachtungsprotokoll zitiert:

„Im Allgemeinen habe ich während allen Improvisationen das Gefühl, dass eine sehr
differenzierte Dynamik zwischen allen Musizierenden und ein Verbundenheitsgefühl
entsteht. Alle Beteiligten reagieren sehr feinfühlig auf das Spiel der anderen, indem
beispielsweise der Charakter und die Lautstärke des Spiels immer aufeinander
abgestimmt werden. Ich habe auch den Eindruck, dass das ‚in Kontakt treten‘ mit der
Klientin auf musikalischer Ebene sehr gut möglich ist“ (BP, Z. 122-128).

Das musikalische Spiel ermöglicht ein Beziehungsgeschehen und eine


Resonanzerfahrung auf musikalischer Ebene. Dabei ist zu unterstreichen, dass durch das
Agieren in der Improvisation Erfahrungen auf einer subtilen Ebene möglich gemacht
werden. Dadurch erlebt die Klientin möglicherweise in dieser Situation ein
Gemeinschafts- und Verbundenheitsgefühl. Solche Erfahrungen können als Basis für die
Erarbeitung von Ressourcen fungieren.

Fallbeispiel: Erlernen von musikalischen Fähigkeiten

Eine Klientin äußert den Wunsch, ein Musikstück auf dem Klavier zu erlernen. Die
Therapeutin versucht, durch Unterstützung dieses Vorhaben möglich zu machen.

„Die Therapeutin zeigt der Jugendlichen die Akkordfolgen auf dem Klavier und beklebt
die benötigten Tasten des Klaviers mit verschiedenfarbigen Papierstreifen. So kann sie
sich schon nach kurzer Zeit einige Akkorde merken. Die Therapeutin erzählt der Klientin,

79
dass es auf der Station auch ein Keyboard gibt. Sie sagt, dass sie gerne darauf üben
möchte“ (BP, Z. 63-67).

Somit bietet sich für die Kinder und Jugendlichen auch die Möglichkeit, auf der Station
aktiv Musik zu machen. Ein Mädchen berichtet davon, dass sie gerne abends auf der
Station mit dem Keyboard spielen, um sich vom Klinikalltag abzulenken (vgl. BP, Z.
164f.).

Fallbeispiel: Rezeption von Musik

Das gemeinsame Hören von Musik bietet sich an, wenn Klient*innen ihre Lieblingslieder
gerne vorspielen möchten. Das gemeinsame Hören und anschließende Reflektieren über
Musik bieten einerseits eine gute Gesprächsgrundlage und andererseits hängen mit
Musikstücken oft lebensgeschichtliche Ereignisse zusammen, die dadurch besprochen
werden können. Der folgende Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll beschreibt eine
Situation, in der sich die Klientin und die Therapeutin über Musik unterhalten:

„Die Therapeutin fragt die Klientin, welche Musik sie gerne hört. Sie sagt, dass sie gerne
Metal hört und dass für sie Musik eine unglaubliche Ressource sei. Die Klientin spielt
uns eines ihrer Lieblingslieder vor. Die Jugendliche erzählt, dass ihre ganze Familie gerne
Musik hört oder sogar aktiv musiziert. Sie erzählt, dass sie oft Musik zur Ablenkung hört.
Sie hört nie traurige Musik, aber wenn sie traurig ist, hört sie gerne Metal, um wieder
Energie zu gewinnen“ (BP, Z. 176-181).

Im Laufe der Einheit kommen die Klientin und die Therapeutin immer intensiver ins
Gespräch über Musik und den familiären Kontext der Klientin. Somit kann über die
Musik die Lebenswelt der Klientin erforscht werden. Durch die wertschätzende Haltung
der Therapeutin gegenüber der Klientin und ihrer Musik scheint es so, als ob die Basis
für die therapeutische Beziehung durch das Teilen und gemeinsame Erleben der Musik
geschaffen wird.

Dies zeigt sich auch im folgenden Ausschnitt des Beobachtungsprotokolls:

„Die Klientin betritt den Therapieraum und wirkt etwas distanziert. Die Therapeutin fragt
sie, wie sie die Einheit gerne gestalten möchte. Sie sagt, dass sie keine Ahnung hat. Die
Therapeutin fragt sie, ob sie ein Lied mit uns gemeinsam anhören möchte. Sie bejaht und
zeigt der Therapeutin auf YouTube ein Cover des Liedes Rewrite the Stars. Wir hören
uns das Lied gemeinsam an und die Klientin sagt, dass sie das Lied oft bei Stress oder
Langeweile hört. Die Therapeutin schlägt vor, einmal das Original zu hören. Ich frage die
Klientin, welche Version ihr besser gefällt. Sie sagt, dass ihr das Cover besser gefällt, da
die Sänger schönere Stimmen haben. Die Therapeutin und die Klientin kommen über den

80
Vergleich zwischen den beiden Versionen in ein Gespräch und meines Erachtens beteiligt
sie sich sehr intensiv an dieser Konversation. Die Klientin äußerst zum Schluss noch den
Wunsch, dass sie das nächste Mal gerne etwas auf dem Klavier spielen möchte“ (BP, Z.
160-173).

Fallbeispiel: Musik und Regulation

In einer musiktherapeutischen Einheit mit einem Mädchen, das an einem


hyperkinetischen Syndrom leidet, wird die regulierende Wirkung von Musik deutlich:

„Die Klientin ist sehr aufgebracht, was durch ihre deutlich beschleunigte Atmung sichtbar
wird. Sie beginnt mit der Mundharmonika zu spielen. Der Luftstrom lässt die
Mundharmonika immer beim Ausatmen erklingen. Sobald sie spielt, verlangsamt sich ihr
sehr schneller Atemrhythmus und sie wird allgemein ruhiger. Danach nimmt die Klientin
die Oceandrum, setzt sich hin und beginnt die kleinen Kügelchen in der Trommel bei
ihren Bewegungen zu beobachten“ (BP, Z. 44-50).

Durch diese Beobachtung wird deutlich, dass in diesem Fall die Mundharmonika und die
Oceandrum zu Objekten der Ko-Regulation werden. Das Spiel auf diesen Instrumenten
fungiert als Hilfestellung zur Selbstregulation.

Die genannten Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung und der


Expert*inneninterviews werden im folgenden Kapitel zusammengefasst und mit den
Ergebnissen der Literaturrecherche diskutiert.

81
9. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung mit
theoretischen Perspektiven verglichen.

9.1. Musiktherapie

Die Musiktherapeut*innen unterstreichen den nonverbalen Aspekt der Musiktherapie.


Auch aus der Literatur geht hervor, dass Musik als Medium der Therapie auf nonverbaler
Ebene zu einem Symbolträger werden kann. Der nonverbale Aspekt beim Musizieren,
wurde während der teilnehmenden Beobachtung vor allem in den Improvisationen
deutlich. Den Interviews zufolge darf das Musikverständnis in der Therapie nicht
eingeengt werden. Im Mittelpunkt der Therapie stehen Phänomene wie Schwingung,
Resonanz, Wahrnehmung und Ausdruck. Auch Oberegelsbacher (2012) vertritt den
Standpunkt, dass in der Musiktherapie „der Musik erlebende und sich durch Musik
ausdrückende Mensch sowie die Resonanz, die er bei anderen Beteiligten auslöst“ im
Mittelpunkt steht (vgl. Oberegelsbacher 2012, S. 18). Beziehungserleben und
Resonanzerfahrungen können gerade für Menschen, die an psychischen Erkrankungen
leiden, durchaus bedeutend sein. Ein Musikverständnis, dass diese Aspekte ausschließen
würde, wäre also für die Therapie und die Soziale Arbeit nicht brauchbar.

Weiters kann in Bezug auf die Ergebnisse der Interviews und die Literatur gesagt werden,
dass in der psychotherapeutisch orientierten Musiktherapie der Fokus auf der
therapeutischen Beziehung liegt. In diesem Fall orientiert sich die Musiktherapie an den
psychotherapeutischen Wirkfaktoren, bei welchen das Beziehungsgeschehen als zentraler
Wirkfaktor nachgewiesen werden konnte (vgl. Oberegelsbacher/Timmermann 2012, S.
29).

„Es geht in der Musiktherapie (…) nicht um den gezielten Einsatz von Musik. Ein solches
Verständnis von Musik und von Therapie suggeriert die Vorstellung des Vorgangs von
Medikamentierung oder operativen Eingriffen. Es geht vielmehr um die Bereitstellung
eines Feldes für symbolische Handlungen, in dem starre Grenzen wieder zu fließenden
werden“ (Mahns 1999, S. 362).

82
Mahns (1999) unterstreicht damit die so wichtige Bedeutung der Musik in der Therapie.
Das Zitat beschreibt zusammenfassend die wichtigsten Ziele und Aspekte der
Musiktherapie, nämlich einen Raum zu eröffnen, um in einem sicheren Rahmen
Erfahrungen zu machen.

Die Selbsterfahrung wird in der Musiktherapie durch unterschiedliche Methoden


gefördert. Eine davon wäre beispielsweise die Improvisation. Aus den Interviews geht
hervor, dass die Musik neben Emotionen und Erinnerungen vor allem durch
Improvisation subtile Prozesse sichtbar machen kann. Das bedeutet, dass beispielsweise
durch Rollenspiele in der musikalischen Improvisation unbewusste Zustände oder
Verhaltensweisen ersichtlich gemacht werden können. Das Innere, also die psychischen
Strukturen und die dazugehörigen Verhaltensmuster der Menschen können in der
Improvisation musikalisch dargestellt werden (vgl. Timmermann 2012, S. 66f.). Wenn
diese in weiterer Folge thematisiert werden, kann das zur Lebens- und
Problembewältigung beitragen. Auch durch die teilnehmende Beobachtung wurde
ersichtlich, dass in der Improvisation nichtmusikalische Inhalte vorkommen, die von
großer Bedeutung sind. Die Klang- und Fantasiereise ermöglichte der Klientin, dass sie
sich in einem geschützten Rahmen in sozialen Situationen ausprobieren kann. Wie bereits
erwähnt, leidet die Klientin an einer Störung der Impulskontrolle, die dadurch
charakterisiert ist, dass Betroffene von unkontrollierbaren Impulsen berichten, die die
eigenen Interessen oder jene anderer Personen schädigen (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt
2015, S. 289). Dabei werden im Gruppensetting vor allem soziale Situationen zur
Herausforderung. Deshalb ist die Improvisation eine gute Möglichkeit, um Interaktionen
und soziale Situationen in einem geschützten Rahmen erfahrbar zu machen.

9.2. Die Wirkung von Musik

Die Musik als Wirkfaktor ist natürlich auch existent, jedoch gibt es keine generalistische
Wirkung. Die bearbeitete Literatur und die Ergebnisse der Interviews besagen, dass
Musik tendenziell ergotrop (anregend) und trophotrop (beruhigend) wirken kann. Die
Wirkung von Musik ist stark von subjektiven Erfahrungen abhängig.

83
9.2.1. Aktives Musizieren

In den Interviews wird die regulierende Wirkung von Musik erwähnt, die zu einer
Rückbesinnung auf sich selbst beitragen kann. Auch die Ergebnisse der teilnehmenden
Beobachtung lassen vermuten, dass das aktive Musizieren eine regulierende Wirkung
haben könnte.

„Es geht allerdings nicht um ein blindes Ausagieren der Affekte, sondern um Gestaltung
und dient dazu, die eigene Kraft zu spüren und sinnvoll zu phrasieren. Spannungsauf- und
-abbau in der Musik mit den eigenen Seelenbewegungen verbinden und entsprechend
regulieren lernen“ (Laas, o.J., S. 3).

Frohne-Hagemann und Pleß-Adamczyk (2004) nennen in Bezug auf die


Einsatzmöglichkeiten von Musik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie den Aspekt der
Musik als Vehikel bzw. als Katalysator. Damit ist gemeint, dass durch musikalische
Parameter wie Dynamik, Tempo, Tondauer, Rhythmus und Tonhöhe die emotionale
Verfassung der Klient*innen erlebbar gemacht werden kann. Dadurch fungiert Musik als
Hilfsmittel, um den Emotionen eine Form zu geben und sie somit zu differenzieren und
zu regulieren.

9.2.2. Musik hören

Überdies existiert die Musik unter anderem auch als soziokulturelles Medium, wodurch
sie soziale und kulturelle Inhalte vermittelt. Sie spiegelt die Lebenswelten der
Klient*innen wider (vgl. Plener/Sukale 2020). Gerade weil Musik mit
lebensgeschichtlichen Aspekten verknüpft sein kann, regt sie zur Reflexion an. Die
Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung zeigen, dass das Hören von persönlich
bedeutsamer Musik auch tatsächlich auf unterschiedlichen Ebenen wirken kann. Mehrere
Klient*innen weisen darauf hin, dass sie Musik dann hören, wenn sie das Gefühl von
Traurigkeit verspüren. Ziel ist es, durch das Hören von Musik wieder Energie zu
gewinnen. Dieses Hörverhalten kann am ehesten dem im theoretischen Teil erwähnten
kompensatorischen Hören zugeordnet werden, das dadurch beschrieben wird, dass das
aktive Hören von Musik kompensierend wirkt.

84
Eine eher schüchterne Klientin kommt mit der Therapeutin in eine intensive
Kommunikation über den Vergleich zweier Musikstücke. Dabei ließ sich beobachten,
dass diese Kommunikation erst durch den Austausch über die Musikstücke möglich
gemacht wurde. Das in der Theorie beschriebene distanzierte Hören wird durch das
Analysieren eines Musikstückes charakterisiert. Der Klientin fiel es dadurch wesentlich
leichter, in einen Austausch mit der Therapeutin zu kommen.

Auch bei biografischen Ansätzen in der Sozialen Arbeit wird die Musik in Kombination
mit der Biografie als wichtiger Anhaltspunkt gesehen, um Ressourcen zu erkennen und
zu fördern (Hartogh/Wickel 2004, S. 228). Unabhängig davon erwähnt Frank-Bleckwedel
(2004), dass das gemeinsame Hören von Musik mit Kindern sinnvoll sei, um
Entspannung herbeizuführen oder beispielsweise als Anregung zum Malen (vgl. Frank-
Bleckwedel 2004, S. 218). Dabei wird das Hören der Musik auf der Ebene des bereits
erwähnten assoziativen Hörens aktiv. Damit sind Assoziationen gemeint, die durch die
Musik entstehen, wie beispielsweise innere Bilder, die beim Hören von Musik entstehen.

Man darf nicht unerwähnt lassen, dass Musik auch zu einer (Re-)Traumatisierung
beitragen kann. Decker-Voigt (2012) beschreibt, dass neben der Posttraumatischen
Belastungsstörung auch gemäßigte Formen der Traumatisierung, die jeder Mensch in sich
hat, bedacht werden müssen. Als Beispiel lässt sich hier die kindliche Angst vor
Dunkelheit oder Gespenstern anführen. Es ist nicht das Ziel, diese Ängste und
Traumatisierungen wiederzubeleben, sondern sie zu transformieren. Im musikalischen
Spiel können hier viele struktur- und haltgebende Spielregeln Sicherheit geben (vgl.
Decker-Voigt 2012, S. 154). Wie bereits im theoretischen Teil erwähnt, kann das Hören
von bestimmter Musik bei Klient*innen mit einer Suchterkrankung den Suchtdruck
aktivieren (vgl. Hartogh/Wickel 2004, S. 228). Der verantwortungsvolle und feinfühlige
Umgang mit Musik ist dabei ein essenzieller Faktor.

9.3. Musik und Bewegung

Durch die Beobachtungen zeichnet sich ab, dass Bewegung in vielen Fällen ein wichtiger
Bestandteil musiktherapeutischer Angebote ist. Auch in der Elementaren
Musikpädagogik ist Bewegung ein grundlegendes Element. Dabei kommen verschiedene

85
Fortbewegungsarten zum Einsatz, darunter Schreiten, Laufen, Gehen, Hüpfen oder
Galoppieren (vgl. Hirler 2005, S. 29). Bewegung ist also ebenso ein elementares
Ausdrucksmittel des Menschen wie Musik. Auf Bewegung basierende Inhalte sind
beispielsweise Tänze, Improvisation und kreatives Gestalten, Inhalte darstellen und das
Umsetzen von Klang und Ausdruck in Bewegung (vgl. Komu 2007, S. 6). Auch in den
Interviews wird erwähnt, dass der Musikbegriff in der Musiktherapie mehrere Aspekte,
wie beispielsweise die Bewegung miteinbezieht. Bewegung und Musik haben auch
grundsätzlich viel gemeinsam: Rhythmus ist nicht nur ein musikalisches Element,
sondern wird auch im Alltag unbewusst produziert. Beim Gehen bewegen sich die Beine
rhythmisch und auch das Herz schlägt rhythmisch. Unser Körper ist aber nicht nur in der
Lage, eine Reihe von Rhythmen zu produzieren, sondern er kann auch einen
vorgegebenen Rhythmus erkennen und diesen begleiten (vgl. Spitzer 2014, S. 200).
Amrhein (2004) beschreibt den Zusammenhang und die Gemeinsamkeiten von Musik
und Bewegung durch verschiedene Aspekte: Einerseits ist der Ursprung jeder Musik und
jeder Bewegung der Körper und andererseits können durch Musik und Bewegung
Empfindungen, Gefühle, Stimmungen und Affekte ausgedrückt werden. Zu erwähnen ist
auch, dass Musik und Bewegung sich gegenseitig beeinflussen können. Musik kann
stimulierend auf gewisse Bewegungen wirken und umgekehrt können gewisse
Bewegungen Musik provozieren (vgl. Amrhein 2004, S. 237f.). Durch diese
Erläuterungen wird nun sichtbar, wie weit der Musikbegriff in der Musiktherapie
verstanden wird.

9.4. Musik in der Sozialen Arbeit

Im Gegensatz zur Therapie versucht die Soziale Arbeit, dabei nicht tief in die menschliche
Psyche vorzudringen und durch therapeutisches Bearbeiten Probleme zu bewältigen. Ihr
Ziel ist vielmehr, durch Erfahrungen auf musikalischer Ebene neue Formen der
Bewältigung anzulegen. Die Zielsetzungen von therapeutischen und sozialpädagogischen
Angeboten und Interventionen unterscheiden sich dabei nicht, denn beide Professionen
wollen zu einer gelingenden Lebensbewältigung beitragen (vgl. Galuske 2013, S. 142).
Weiters lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass sich die beiden Verfahren auf den
ersten Blick sehr ähnlich sind. Die Musiktherapie und die Musik in der Sozialen Arbeit

86
unterscheiden sich hauptsächlich durch die Rahmenbedingungen und die professionelle
Identität der Anbieter*innen.

Anhand der Ergebnisse der Interviews kann festgehalten werden, dass vor allem soziale
Aspekte und Erlebnisaktivierung und Ressourcenaktivierung im Fokus musikalischer
Angebote in der Sozialen Arbeit liegen. Auch aus der Literatur geht hervor, dass
musikalische Angebote der Sozialen Arbeit problemzentriert, erlebniszentriert und
ressourcenorientiert sein können (Moreau/Wormit/Hillecke 2013, S. 237). In Bezug auf
das in den Interviews genannte Beispiel Schrott-Musik kann gesagt werden, dass dieses
Angebot durch das gemeinsame Bauen von Instrumenten und das gemeinsame
Musizieren eindeutig einen erlebniszentrierten und ressourcenorientierten Charakter
erhält.

Im theoretischen Teil wurde bereits das Projekt ‚Rocken statt Ritzen‘ beschrieben.
Ergänzend dazu beschreiben Plener und Sukale (2010) Zielsetzungen für die Bandarbeit.
Dabei sollen unter anderem

• Emotionen aktiviert, wahrgenommen und ausgedrückt werden,


• soziale und musikalische Kompetenzen, das Körperbild, die Konzentration und
Gruppenkohäsion gefördert werden und
• Selbstwert, Kreativität und gesunde Anteile gestärkt werden (vgl. Plener/Sukale
2010, S. 310).

Die Bandarbeit beinhaltet demnach unterschiedliche Aspekte, die sich auf


ressourcenorientierte Persönlichkeitsentwicklung, Wahrnehmung und Kreativität
konzentrieren. Solche Angebote wirken sowohl produkt- als auch prozessorientiert.
Einerseits legen sie Wert auf die Vermittlung musikalischer Kompetenzen und
andererseits stehen genauso Aspekte im Mittelpunkt der Angebote, die auf
Selbsterfahrung und Ressourcenerarbeitung aufbauen. Dies gilt auch unabhängig davon,
ob es sich nun um Bandprojekte oder andere musikalische Angebote handelt.

Im Allgemeinen kann zusammengefasst werden, dass sich die in der Literatur


beschriebenen Themen in ihren Thesen und theoretischen Annahmen mit den
Ergebnissen der empirischen Untersuchung vereinbaren lassen. Ein Fazit der Ergebnisse
ist im folgenden, abschließenden Kapitel zu finden.

87
10. Fazit
Bezugnehmend auf die Ergebnisse der Literaturbearbeitung, der Interviews und der
teilnehmenden Beobachtung kann resümiert werden, dass musikalische Interventionen
und Angebote auf musiktherapeutischer Ebene oder in der Sozialen Arbeit zur
Lebensbewältigung beitragen können.

In Bezug auf die teilnehmende Beobachtung lässt sich festhalten, dass musikalische
Angebote in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr gerne von den Kindern und
Jugendlichen wahrgenommen werden. Dort fungieren die musiktherapeutischen
Angebote als geschützter Raum, indem die Klient*innen die Möglichkeit haben,
Erfahrungen zu machen, die sie in Bezug auf die Lebensbewältigung unterstützen sollen.
Die musiktherapeutischen Verfahren gliedern sich auch hier in rezeptive und aktive
Angebote. Die Improvisation, bei der Klient*innen selbst aktiv musizieren, beinhaltet die
Möglichkeit, auf musikalischer Ebene Gefühle hörbar zu machen und nonverbal in
Kontakt mit den anderen Teilnehmern der Improvisation zu treten. Das Vertonen von
Gemütszuständen bringt mit sich, dass diese erlebbar und fassbar für die Klient*innen
werden und somit konnte die Beobachtung gemacht werden, dass Musik die
Selbstregulation fördern kann. Die Musik, die die Kinder und Jugendlichen in ihrer
Freizeit hören, kann als Verbindungstück für musikalische Angebote im therapeutischen
Kontext dienen. Unabhängig davon werden musikalische Angebote von den Kindern und
Jugendlichen als willkommene Abwechslung vom Klinikalltag wahrgenommen.

Durch die Interviews wurde ersichtlich, dass die Besonderheit der Musiktherapie vor
allem durch die Möglichkeit der nonverbalen Kommunikation und des nonverbalen
Ausdrucks begründet wird. Im Bereich der Prävention gibt es große Schnittstellen
zwischen Musiktherapie und Musik in der Sozialen Arbeit. Die Gemeinsamkeit von
musiktherapeutischen Angeboten und Musik in der Sozialen Arbeit liegt darin, dass
Musik als leistungsfreier Spielraum betrachtet wird.

Ausschlaggebend für die Abgrenzung der Angebote sind oft die Rahmenbedingungen,
denn die Angebote sind sich in vielen Fällen sehr ähnlich. Dennoch dringt die
Musiktherapie aktiv in tiefere Schichten der menschlichen Psyche vor, um durch
therapeutisches Bearbeiten Probleme zu bewältigen. In der Musiktherapie liegt der Fokus

88
auf der therapeutischen Bearbeitung von Erkrankungen und ihren Symptomatiken. Ein
besonders wichtiges Element der Musiktherapie ist die therapeutische Beziehung, die –
wie in der Psychotherapie – als Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige
Therapie gilt. Im Gegensatz dazu will die Musik in der Sozialen Arbeit neue, kreative
Formen der Bewältigung anlegen, um bestehende Krisen zu überwinden. Die Förderung
von Gemeinschaftserleben, die Ressourcenaktivierung und Erlebnisaktivierung stehen im
Fokus. Es steht außer Zweifel, dass die Musik zu einer Lebenshilfe werden kann.
Dennoch muss erwähnt werden, dass der Einsatz von Musik stets verantwortungsvoll
gehandhabt werden muss, denn die Musik als wirkungsstarkes Medium kann
beispielsweise bei traumatisierten Menschen auch zu einer Re-Traumatisierung
beitragen.

Die Musik, Klänge und Geräusche sind nicht nur Träger von Erinnerungen und
Emotionen, sondern auch von subtilen Prozessen, die auf musikalischer Ebene sichtbar
gemacht werden können. Dadurch, dass Unbewusstes erlebbar gemacht wird, wird eine
Ebene der Reflexion angeregt und das kann sich in weiterer Folge positiv auf die Lebens-
und Problembewältigung auswirken. Der verantwortungsvolle und bedachte Umgang mit
dem Medium ‚Musik‘ ist Voraussetzung für jegliches musikalische Angebot in der
Therapie und in der Sozialen Arbeit.

Musik als Medium der Bewältigung eignet sich demnach auch für die Soziale Arbeit als
passgenaues und niederschwelliges Angebot. Die musikalische Arbeit im psychiatrischen
Kontext beinhaltet im Gegensatz zu vielen konventionellen therapeutischen Methoden
kreative Elemente. Klient*innen können auf Basis von Erfahrungen auf musikalischer
Ebene zu Selbsterkenntnissen gelangen, die der Anstoß für Persönlichkeitsentfaltung und
-entwicklung sein können.

89
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99
12. Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 1: BEHANDLUNGSSPEKTRUM PSYCHISCHER STÖRUNGEN 6
ABBILDUNG 2: GEGENÜBERSTELLUNG VON KÖRPERREAKTIONEN AUF
STRESS UND ANGENEHM EMPFUNDENE MUSIK 30
ABBILDUNG 3: ANSÄTZE DER MUSIKTHERAPIE 32
ABBILDUNG 4: STRUKTURMERKMALE SOZIALPÄDAGOGISCHER UND
THERAPEUTISCHER INTERVENTIONEN 45
ABBILDUNG 5: ERLEBNISORIENTIERTER UMGANG MIT MUSIK IM
SCHNITTFELD VON PÄDAGOGIK, SONDERPÄDAGOGIK UND THERAPIE
46
ABBILDUNG 6: MUSIKPÄDAGOGIK UND MUSIKTHERAPIE 47
ABBILDUNG 7: SOZIALE UND INDIVIDUELLE AUSWIRKUNGEN DES
SINGENS 54
ABBILDUNG 8: WÖCHENTLICHE FREQUENZ DES NICHTSUIZIDALEN
SELBSTVERLETZENDEN VERHALTENS (NSSV) IM PROJEKT ‚ROCKEN
STATT RITZEN‘ UNTER ANGABE DER GENAUEN MITTELWERTE
(RAUTEN) UND DER NÄHERUNGSWEISE LINEAREN
MITTELWERTENTWICKLUNG (GERADE) 56
ABBILDUNG 9: MITTELWERTE DER SUMMENWERTE (SCORES) AUS DEM
BECKS DEPRESSIONSINVENTAR, 2. AUSGABE (BDI-II-SCORE) ALLER
TEILNEHMER*INNEN ZU BEGINN UND IM 3-MONATS-FOLLOW-UP;
DARSTELLUNG ALS NÄHERUNGSWEISE LINEARE
MITTELWERTENTWICKLUNG ÜBER DIE ZEIT 56

13. Tabellenverzeichnis
TABELLE 1: ANWENDUNGSBEREICHE DER MUSIKTHERAPIE IN DER
SCHULMEDIZIN 26

100
14. Anhang
Interviewleitfaden

Musiktherapie

1. Was zeichnet für Sie die Musiktherapie aus?


2. Welche Wirkungen kann die Musik in der Therapie auf Menschen haben?
3. Inwiefern kann Ihrer Meinung nach Musik zur Lebensbewältigung beitragen?
• In welchen kritischen Lebenssituationen könnte Musik hilfreich sein?

Musik und Sozialpädagogik

4. Musik spielt in den unterschiedlichen Lebenswelten von Menschen eine sehr


große Rolle. Wie kann sich das die Sozialpädagogik zu Nutze machen?
• Inwiefern können musikalische Elemente in der Sozialpädagogik hilfreich
sein?
• Welchen Methoden oder Übungen könnten für sozialpädagogische
Zielsetzungen nützlich sein?
• Welche musikalischen Kenntnisse sollten Sozialpädagog*innen haben,
um mit den Klient*innen musikalisch arbeiten zu können?
5. Inwiefern könnten Klient*innen in sozialpsychiatrischen Einrichtungen (z.B. in
Tagesstätten, betreutes Wohnen, etc.) von musikalisch-sozialpädagogischen
angeboten profitieren?

Verknüpfung und Grenzen zwischen Musiktherapie und Sozialpädagogik

6. Wo sehen Sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der


musiktherapeutischen und musikalischen sozialpädagogischen Arbeit?
7. Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

101
Kodierleitfaden Interviews

Kategorie Definition Beispiel Kodierregel


Musiktherapie In dieser Kategorie „(…) es ist eine Nur Aspekte in
werden die Therapieform, die Bezug auf die
Besonderheiten der verschiedene Besonderheiten der
Musiktherapie Ebenen integriert. Musiktherapie und
erfragt. Die einerseits Ja die
sozusagen Lebensbewältigung
diesen äußeren
kommunikativen
Aspekt integriert,
die das Handeln auf
einer
symbolebene
integriert, die aber
auch sozusagen
Kanäle nutzt, die
vom
frühkindlichen bis
zum späteren Leben
subtil genutzt
werden von uns.
Also Klang
als Medium für
Beziehung nutzen
wir subtil, ohne es
immer
mitzukriegen“ (T1,
Z. 6-11).

Wirkung der Das „Ein Lieblingslied, Nur Aussagen über


Musik Hauptaugenmerk überhaupt eine die Wirkung der
dieser Kategorie Musik. Ich höre mir Musik auf
liegt auf der was Menschen
Wirkung der Musik an, ich Spiele was,
auf Menschen. Die ich singe, ich
Frage ob und schreie, ich übe
inwiefern die Gitarre, kann extrem
Musik zur hilfreich sein“ (T2,
Lebensbewältigung Z. 80-82).

102
beitragen kann
steht im
Mittelpunkt dieser
Kategorie

Musik und Diese Kategorie „(…) also natürlich Nur Äußerungen


Soziale Arbeit beinhaltet kann sich die über musikalische
Aussagen in Bezug Sozialpädagogik das Angebote in der
auf musikalische sehr gut zu Nutze Sozialen Arbeit
Angebote in der machen. Sie
Sozialen Arbeit kann diese Peer
Group Erfahrungen
Zum Beispiel
nutzen“ (T1, Z.
139f.).

Verknüpfungen Die Sichtweisen „(…) sie können Nur Aussagen über


und Grenzen auf das Schnittfeld schon das Schnittfeld
zwischen von Pädagogik, auch im Sinne von zwischen
Musiktherapie Sozialpädagogik eben eigenständigen Pädagogik,
und Sozialer und Therapie Handeln mit Musik Therapie und
Arbeit werden in dieser auch mit Klienten Sozialpädagogik
Kategorie erfragt. im
Sinne von
sozialpsychiatrischer
Betreuung mehr
machen als es
möglicherweise das
Gesetz für die
Musiktherapeuten
limitiert (T1, Z.295-
298).

103
Kodierleitfaden teilnehmende Beobachtung

Kategorie Definition Beispiel Kodierregel


K1: Atmosphäre Wahrnehmungen „Die Klientin ist das Nur Aspekte in
über die Bedürfnisse erste Mal in der Bezug auf die
der Klient*innen und Musiktherapie. Sie wahrgenommenen
inwiefern die betritt den Raum Bedürfnisse
Therapeutin auf und wirkt
diese eingeht. sehr aufgeregt“ (BP,
Z. 176f.).

K2: Im Fokus dieser „Die Therapeutin Nur


Therapeutisches Kategorie sind beginnt mit ihr zu Beobachtungen in
Angebot musiktherapeutisches sprechen und fragt Bezug auf das
Vorgehen in Bezug sie, was sie gerne Vorgehen der
auf die Angebote machen Therapeutin und
und Interventionen möchte. Daraufhin die verwendeten
und die in der antwortet die Instrumente
Therapie Klientin: „keine
verwendeten Ahnung“. Die
Instrumente. Therapeutin schlägt
ihr vor, dass wir uns
gemeinsam ein Lied
anhören (…)“ (BP,
Z. 70ff.).

K2.1. In dieser Kategorie „In der Nur


Fallbeispiel liegt der Fokus auf Fantasiegeschichte Beobachtungen
Klang- und einer therapeutischen geht es darum, dass hinsichtlich dieses
Fantasiereise Einheit, in der eine alle Freunde konkreten
Klang- und gemeinsam zu Fallbeispiels
Fantasiereise einem
stattgefunden hat. Rummelplatz gehen
wollen“ (BP, Z.
45ff.).

K2.2. Diese Unterkategorie „Der Ton, den sie Nur


Fallbeispiel konzentriert sich auf mit der Geige Beobachtungen
Improvisation die Analyse einer produziert, ist sehr hinsichtlich dieses

104
musikalischen kraftvoll. Die konkreten
Improvisation. Therapeutin Fallbeispiels
und ich begleiten
die Improvisation
der Klientin mit
gängigen
Akkordfolgen“ (BP,
Z. 102f.).

K2.3. Diese Kategorie „Die Therapeutin Nur


Fallbeispiel befasst sich mit dem zeigt der Klientin Beobachtungen
Erlernen von Aspekt des Erlernens die Akkordfolgen hinsichtlich dieses
musikalischen musikalischer auf dem Klavier konkreten
Fähigkeiten Fähigkeiten in der und beklebt die Fallbeispiels
Musiktherapie. benötigten Tasten
des Klaviers mit
verschiedenfarbigen
Papierstreifen“ (BP,
Z. 78ff.).

K2.4. Die genannte „Die Therapeutin Nur


Fallbeispiel Kategorie beschreibt fragt sie, welche Beobachtungen
Rezeption von ein Fallbeispiel, in Musik sie gerne hinsichtlich dieses
Musik dem es um das hört. Sie sagt, konkreten
gemeinsame Hören dass sie gerne Fallbeispiels
von Musik geht. Metall hört und dass
für sie Musik eine
unglaubliche
Ressource
sei“ (BP, Z. 177ff.).

K2.5. Hier liegt der Fokus „Der Luftstrom Nur


Fallbeispiel auf der Förderung lässt die Beobachtungen
Musik und selbstregulierender Mundharmonika hinsichtlich dieses
Regulation Fähigkeiten durch immer beim konkreten
die Musik. Ausatmen Fallbeispiels
erklingen. Sobald
sie spielt

105
verlangsamt sich ihr
sehr schneller
Atemrhythmus und
sie wird allgemein
ruhiger“ (vgl. BP,
Z. 61ff.)

106

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