Sie sind auf Seite 1von 6

Textverständnis 2

Auftrag: Lies den folgenden Text mit der SQ3R-Methode. Da er die


Grundlage für einige weitere Übungen bildet, ist eine sorgfältige Lektüre wichtig.

Formel für ein besseres Leben


Die Menschen müssen erst noch lernen, was sie glücklich macht, sagen
Verhaltensforscher. Dann ändert sich auch die Gesellschaft.
5 Angenommen, wir hätten einen Hedonimeter, wie ihn sich der Ökonom Francis
Edgeworth schon vor 130 Jahren erträumte – einen Rekorder des Glücks, der in einem
fort den aktuellen Grad unserer Zufriedenheit quantifiziert. Edgeworths Erben könnten
endlich sehen, was all unsere Entscheidungen und Käufe in uns auslösen. Aber würden
wir uns selbst auch freuen? Was würden wir über uns lernen?
10 Heute versuchen Glücksforscher, Edgeworths Traum zu erfüllen. Sie geben Menschen in
ihrem Alltag Minicomputer an die Hand, die mehrmals täglich piepsen und eine doppelte
Eintragung verlangen: ob man sich gerade glücklich oder unglücklich fühlt und was man
eben gemacht hat. Oder sie bitten diese Menschen, ihren Tagesablauf in einem
speziellen Tagebuch zu bewerten.
15 909 Frauen nahmen zum Beispiel an einer Studie in Texas teil. Besonders positiv auf ihr
Befinden wirkte sich Sex aus, gefolgt vom gemeinsamen Ausgehen nach der Arbeit, dem
Abendessen, der Entspannung, dem Lunch, Sport und Beten. Die guten Dinge des Lebens
eben. Als höchst unangenehm erwies sich das Pendeln zur Arbeit. Vielen gefiel auch das
Arbeiten selbst nicht, wohl aber die soziale Beziehung zu Kollegen. Und so glücklich sie
20 über ihre Kinder waren, so belastete sie deren Betreuung oft, ebenso wie Hausarbeit
oder Einkaufen.
Das Besondere an all dem: Die momentane Zufriedenheit hängt anscheinend viel stärker
an Aktivitäten als von Dingen ab. Ob man morgens in einem teuren Mercedes im Stau
steht oder in einem billigen Fiat, ist gar nicht so wichtig. An den Auto-Typ gewöhnt man
25 sich, an das Erlebnis, egal ob negativ oder positiv, nicht. Oder wie es der Psychologie-
Guru Daniel Kahneman aus Princeton sagt: »Glück erlebt man in Momenten, in denen
man seine Aufmerksamkeit auf etwas Angenehmes richtet. Ich kann mir zwar ein tolles
neues Auto kaufen, aber ich kann mich nicht über lange Zeit darauf
konzentrieren.«
30 Psychokram, schimpfen manche Wirtschaftsexperten, während andere glauben, mit
den Erkenntnissen zum Glück liessen sich ganze Gesellschaften verändern.
Die ersten Ökonomen hielten vor rund 250 Jahren «das grösste Glück der grössten Zahl»
als wirtschaftliches Ziel hoch. Ihre Glücksbesessenheit machte den britischen Historiker
Thomas Carlyle sogar so wütend, dass er ihre Forschung später als «trostlose
35 Wissenschaft» brandmarkte. Doch weil die Ökonomen das Erlebte nicht messen
konnten, hörten sie selbst auf, vom Glück zu reden, und erklärten das Geld zum Mass
aller Dinge. Mehr Einkommen ist seither per se besser als weniger, und das, was die
Menschen kaufen, wird einfach gleichgesetzt mit dem, was ihnen am meisten nutzt. Der
Vorteil: Nun musste man nicht mehr in die Menschen hineinschauen, um zu bestimmen,
40 was sie zufrieden macht. Es liess sich schlicht an ihrem Einkommen und an ihrem
Konsum messen. In sich war das ein perfektes Konzept – bis jetzt, da eine explosionsartig
wachsende Zahl von Wirtschafts- und Psychologieforschern aufbegehrt. Ihre These:
Sollte Ökonomie tatsächlich die Kunst sein, das Beste aus dem Leben zu machen, dann
sind die Menschen erstaunlich schlecht darin. Oft zielten sie mit ihren Entscheidungen
45 an der eigenen Zufriedenheit vorbei. Studien zufolge überschätzen die meisten von uns
hoffnungslos das Glück, das uns ein Lottogewinn oder ein neues Haus oder auch ein
Umzug ans Mittelmeer eintrüge. Das Neue nutze sich eben ab, anders als viele kleine
Konsumfreuden und sozialen Erlebnisse, erklärt Daniel Kahneman.
Aber Menschen nach ihrer Zufriedenheit zu fragen, ist das überhaupt verlässlich? Ja,
50 sagen Verhaltens- und Gehirnforscher mehrheitlich. Das grosse Problem der
Glücksforschung ergibt sich erst auf der nächsten Stufe. Dort, wo gefragt wird, welche
Gesellschaft uns glücklich macht.

Mechanismen des Glücks sind kulturabhängig


55
Schon seit Jahrzehnten werden die Menschen der Erde repräsentativ gefragt, wie
zufrieden sie sind. Doch die Ergebnisse geben weniger Aufschluss über Alternativen zum
Kapitalismus als vielmehr Anlass zum Ideologiestreit: Wo der Einzelne nicht das Beste
für sich selbst erreiche, müsse der Staat einspringen, fordern linke Denker wie der Brite
60 Richard Layard und sehen schon neue Steuern und Paragrafen entstehen.
Bloss keine Glücksdiktatur, kontern liberale Fachleute wie der Schweizer Bruno Frey. So
geht es hin und her, denn während die Linken aus den Zahlen herauslesen, dass
Ungleichheit ein Glückskiller sei, kommen die Liberalen zum Schluss, dass wirtschaftliche
Freiheit und Individualität die höchste Zufriedenheit auf der Welt garantierten.
65 Beide Seiten finden ihre Belege im globalen Datenwust, und das aus einem guten Grund.
Die Mechanismen des Glücks sind kulturabhängig. Amerikaner halten mehr Ungleichheit
aus als Europäer, aber wenn man ihre Entscheidungsfreiheit begrenzen will, reagieren
sie empfindlicher als Deutsche oder Franzosen. Während ein Schwede sich in einer
korrupten Gesellschaft unwohl fühlt, leidet ein leidgeprüfter Grieche weniger darunter.
70 Und dem deutschen Glück schadet Inflation bekanntermassen mehr als dem
französischen. Daher sind die allgemeingültigen Resultate dünn. Reiche Völker sind im
Schnitt glücklicher als Arme, ein Staat, der nichts verschwendet und dessen Regeln
nachvollziehbar sind, hebt die Zufriedenheit ebenso. So viel Freiheit muss sein, dass der
Bürger das Gefühl hat, er habe sein Leben selbst in der Hand – und die Politik das
75 Schicksal des Landes. Wo ausserdem die Wirtschaft wächst und wenig Menschen
arbeitslos sind, stellt sich Zufriedenheit eher ein als in stagnierenden Gesellschaften.
Ehrlich gesagt, eine Revolution lässt sich damit nicht gerade anzetteln.
Schön für die Inselgruppe Vanuatu im Südpazifik, dass sie bei globalen Glücksvergleichen
so gut abschneidet. Das Einkommen ist gering, aber in der lange von der Globalisierung
80 verschonten Region entstand eine Kultur gegenseitiger Hilfe und sozialer Gemeinschaft.
Bloss ist Vanuatu wie auch andere kleinere Inseln und homogene Gesellschaften, die
hohe Glücksraten melden, kein Vorbild für die grossen Industrieländer. Die Europäer
würden schön sauer reagieren, wollte man ihnen die gewohnten Konsum- und
Reisefreiheiten zugunsten von mehr lokaler Gemeinschaft streitig machen. Denn auch
85 das haben Verhaltensforscher über die Menschen gelernt: Sie bewerten das Ihre stark
danach, was sie früher hatten und was andere haben. Ob Menschen also nie etwas
besassen oder man es ihnen wegnehmen will, sind zwei ganz verschiedene Dinge.
Weil das grosse Glücksmodell schwer zu finden ist, versuchen es die Forscher im Kleinen.
Warum, so fragen sie, soll man Altersheime nicht danach beurteilen, wie sie die
90 Zufriedenheit ihrer Bewohner verändern? Oder eine Stadtteilplanung? Oder neue
Sozialwohnungen? Und können Glücksstudien nicht auch die Streitfrage beantworten,
ob eine Gesellschaft mehr prekäre Jobs oder mehr Arbeitslosigkeit besser verkraftet?
Wohl nirgendwo kann die Zufriedenheit alles sein, aber zur Entscheidung beitragen kann
sie in vielen Fällen. Ob nun die neue Brücke gebaut wird, der Fluss sauberer werden
95 muss oder der Fluglärm Überhand nimmt – oft könnten die modernen Glücksmesser
etwas über Kosten und Nutzen sagen. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass die Bewohner
ganzer Länder schon deshalb glücklicher sind, weil sie sich mit dem Nationenglück
befassen. Sie versuchen demnach eher als andere, das Wohlergehen ihrer Bürger und
die Nachhaltigkeit der öffentlichen Entscheidungen zu erfassen und sicherzustellen.
100 Die Gesellschaft aus sich heraus zu verwandeln, das ist für Glücksexperten vielleicht die
grösste Hoffnung nach dem Motto: Sind die Menschen erst einmal glücksaufgeklärt,
entscheiden sie eventuell anders. Dann, und da sind sich linke und liberale Forscher
ausnahmsweise einmal einig, würden sie mehr Wert aufs Erleben als aufs Haben legen.
105 Darin liegt auch eine Hoffnung fürs Weltklima, weil die Wirtschaft auf diese Weise mit
Dienstleistungen für die erlebnishungrigen Bürger weiterwachsen könnte, ohne jährlich
noch mehr Rohstoffe aus der Erde zu zerren und mit hohem Energieaufwand in Produkte
zu verwandeln.
Auch sonst habe das Gemeinwesen etwas davon, wenn seine Bürger zufriedener
110 würden, sagen einige Forscher. Im Schnitt sparen sie dann mehr und dauerhafter, statt
sich im Konsumrausch zu überschulden. Sie sind zum Beispiel auch eher bereit, Energie
zu sparen und sich in der Gesellschaft zu engagieren, ob nun im Sportverein oder in der
Seniorengenossenschaft. Wenn das stimmt, könnte mit der Einsicht in die Quellen des
Glücks tatsächlich eine Lawine der Veränderung in Gang kommen.
115
Kann also sein, dass die britische Vorzeigeschule, die als erste den Glücksunterricht in
den Lehrplan aufgenommen hat, mehr auslöst als so manche Utopie von der besseren
Gesellschaft.

Aus: Uwe Jean Heuser: «Formel für ein besseres Leben», in: DIE ZEIT, 1. Dezember 2017
Fragen zum Text

Aufgabe 1: Löse zum Text «Formel für ein besseres Leben» die folgenden Aufgaben zu
Synonymen. (Wichtig ist bei diesen Aufgaben, dass du nur jeweils ein Wort schreibst, das
zur selben Wortart gehört und das in die Textstelle passt. Schreibst du in Prüfungen mehr als
ein Wort, so wird nur das erste korrigiert.)

• Nenne ein Synonym für das Wort «nächsten» (Z. 51) ________________________________
• Welches Fremdwort aus dem Text ist ein Synonym für «messen» (Z.35)? ________________
• Nenne ein Synonym für «eventuell» (Z. 103) _______________________________________
• Nenne ein Synonym für «momentane» (Z. 22) _____________________________________
• Nenne ein Synonym für «anzetteln» (Z. 77) ________________________________________
• Nenne ein Synonym für «kontern» (Z. 61) _________________________________________
• Nenne ein Synonym für «brandmarken» (Z. 35) _____________________________________
• Nenne ein Synonym für «korrupt» (Z. 69) __________________________________________

Aufgabe 2: Löse zum Text «Formel für ein besseres Leben» die folgenden Aufgaben zu
Antonymen, also gegenteiligen Bedeutungen. (Wichtig ist bei dieser Aufgabenstellung, dass
du wiederum nur jeweils ein Wort schreibst, das zur selben Wortart gehört und das in die
Textstelle passt. Schreibst du in Prüfungen mehr als ein Wort, so wird nur das erste korrigiert.)

• Nenne ein Antonym für das Wort «meisten» (Z. 38) ___________________________________
• Nenne ein Antonym für das Wort «messen» (Z. 35) ___________________________________
• Nenne ein Antonym für «verschont» (Z. 80) _________________________________________
• Nenne ein Antonym für «belasten» (Z. 20) __________________________________________
• Nenne ein Antonym für «explosionsartig» (Z. 41) ____________________________________

Aufgabe 3: Löse zum Text «Formel für ein besseres Leben» die folgenden Aufgaben zu
Wortbedeutungen. (Wichtig ist bei dieser Aufgabenstellung, dass du die Bedeutung
erklärst, und zwar in ganzen Sätzen, die auch sprachlich korrekt formuliert sind.)

• Was ist mit der Wendung «per se» gemeint (Z. 37)?

• Welche Bedeutung hat das Wort «Guru» im Textzusammenhang (Z. 26)?

• Was bedeutet der Begriff «Wust» im Ausdruck «globaler Datenwust» (Z. 65)?

• Erkläre in einem vollständigen Satz, was der Ausdruck «homogene Gesellschaften» im


Textzusammenhang bedeutet (Z. 81).
Aufgabe 4: Löse die folgenden Aufgaben zum Textverständnis, indem du ankreuzt, welche
Aussagen laut Text korrekt sind. (Falsche Kreuze ergeben dabei in Prüfungen Minuspunkte,
wobei man jedoch nicht unter den Wert Null fallen kann.)

Die Glücksforscher sind auf tragbare Minicomputer angewiesen, um zu den benötigten Daten
zu kommen.
Obwohl Kinder grundsätzlich glücklicher machen, stellt ihre Betreuung eine Belastung dar.
Wer ein teures Auto fahren darf, ist glücklicher als eine Person in einem Kleinwagen.
Lange Zeit glaubte man, dass die Menschen umso glücklicher sind, je mehr sie konsumieren
können.
Wenn sie die Wahl haben, treffen Menschen Entscheidungen, die sie glücklich machen.
Bei der Glücksforschung ist das Erheben der Daten einfacher als die Interpretation der
Ergebnisse.

Aufgabe 5: Ordne zu! Im Text wird erwähnt, dass Linke ganz andere Vorstellungen davon
haben, was Menschen zufrieden macht, als Liberale. Welche Meinungen entsprechen den
Linken, welche den Liberalen?

• Der Staat ist mitverantwortlich für das Glück des Einzelnen. _________________
• Die Freiheit des Einzelnen fordert das Glücksempfinden. _________________
• Staatliche Regeln und Steuern verhindern das Glück. _________________
• Die Ungleichheit der Chancen verhindert das Glück. _________________

Aufgabe 6: Kreuze an, welcher Satz den Inhalt von Zeile 61 bis Zeile 76 am genauesten
zusammenfasst.

Des einen Freud, des anderen Leid.


Glück ist kulturabhängig, aber Stabilität und Wohlstand machen alle glücklicher.
Mehr Reichtum bedeutet auch mehr Glück.

Aufgabe 7: Kreuze an, welche Aussage die Haltung und die Schreibabsicht des Autors Uwe
Jean Heuser am besten wiedergibt.

Der Autor macht sich über die Glücksforschung lustig.


Der Autor zeigt auf, dass die Glücksforschung bereits viele nützliche Ergebnisse erzielt hat.
Der Autor stellt die Möglichkeiten und die Grenzen der Glücksforschung dar.
Aufgabe 8: Erkläre die folgenden Textaussagen und nimm Stellung dazu (wichtig:
mehrteiligen Fragen alle in dieser Reihenfolge gründlich beantworten, vollständige Sätze und
korrekte sprachliche Form verwenden à auch Gegenstand der Bewertung)

1) Erkläre die Bedeutung dieses Satzes in eigenen Worten und beurteile, ob die Aus-
sage deiner Meinung nach stimmt:

«Die Europäer würden schön sauer reagieren, wollte man ihnen die gewohnten
Konsum- und Reisefreiheiten zugunsten von mehr lokaler Gemeinschaft streitig
machen.» (Z. 82/84)

2) Worin liegt der Unterschied zwischen «Erleben» und «Haben»? Veranschauliche mit
konkreten Beispielen und nimm Stellung zur Aussage.

Glücksbewusste Menschen würden «mehr Wert aufs Erleben als aufs Haben legen».
(Z. 104)

3) Was hältst du von der Idee, an Schulen das Fach «Glücksunterricht» (Z. 116)
einzuführen?

Aufgabe 9: Kreuze an, welches deutsche Synonym am besten zum Begriff (Fremdwort)
passt.

a) Synonym gleichklingend gegenteilig gleichbedeutend


b) Privileg Sonderrecht Glück Persönlichkeit
c) Relation Bedingung Beziehung Rückstellung
d) Ressort Hotelanlage Geschäftsbereich Rückzug
e) manierlich gesittet handlich umständlich
f) implizieren folgern anwenden einschliessen
g) opportun zweckmässig widerstrebend aufsässig
h) genetisch grosszügig erblich bedingt allgemein
i) Cargo Kleidungsstück Viehherde (Schiffs-)Ladung
j) taxieren Taxi fahren den Wert schätzen besteuern

Das könnte Ihnen auch gefallen