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BRIAN L.

WEISS
Die
zahlreichen
Leben
er Seele
Die Chronik einer Reinkarnationstherapie

Vorwort von
Raymond Moody

GOLDMANN
Buch
Der Psychiater Brian Weiss war Chefarzt der psychiatrischen Abtei-
lung eines grogen Krankenhauses in Miami. Eine seiner Patientinnen
war Catherine. Sie litt unter schweren Angstsymptomen. 18 Monate
lang behandelte er sie mit konventionellen therapeutischen Metho-
den, doch nichts schien zu funktionieren. Schließlich versuchte er es
mit Hypnose. In Trance erinnerte sich Catherine an frühere Leben,
die sich als Ursache ihrer Symptome erwiesen, und sie wurde geheilt.
Parallel zur erfolgreichen Behandlung seiner Patientin entwickelt
sich Brian Weiss vom konventionellen Schulpsychiater zum Verfech-
ter der Seelenwanderung. Ein bahnbrechendes Buch zum Thema
Reinkarnation.

Autor

Brian Weiss machte nach dem Studium der Psychologie und Medizin
schnell Karriere als Leiter der psychologisch-pharmakologischen
Abteilung der Universitätsklinik Miami. Bereits wenige Jahre später
wurde er zum Chefarzt der psychiatrischen Abteilung eines grol~en
Krankenhauses berufen. In seiner Praxis hatte er Hunderte von
Patienten mit Psychopharmaka und konventionellen psychothera-
peutischen Methoden behandelt, bis der >>Fall Catherine« sein Welt-
bild von Grund auf veränderte.
Brian L. Weiss

Die zahlreichen
Leben der Seele
Die Chronik einer Reinkarnationstherapie

Aus dem Englischen


von Susanne Seiler

GOLDMANN
Die arnerikanische Originalausgabe dieses Buches erschien 1988
unter dem Titel »Many Lives, Many Masters« bei Sirnon & Schuster,
lnc., New York, USA.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1994 im Goldmann Verlag
als Taschenbuch mit der Titelnummer 12220.

DFSC
_...,.,
MIX
Papier aus verwntwor-
tungavollen Quellen

FSC" C014498

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100


Das FSC 00 -zertifizierte Papier München Super für dieses Buch
liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.

6. Auflage
Taschenbuch-Neuausgabe September 2005
© 1988 Brian L. Weiss
© 1994 der deutschsprachigen Ausgabe
Arkana, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagmotiv: Design Team München
Redaktion: Christine Schrödl
WL · Herstellung: CZ
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pögneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-442.-2.1751-9

www.goldmann-verlag.de
Für Carole, meine Frau,
deren Liebe mich länger nährt und unterstützt,
als ich mich erinnern kann.

Wir bleiben zusammen bis zum Ende der Zeit.


Mein Dank und meine Liebe gehen an meine Kinder Jordan
und Amy, die mir verziehen haben, dass ich ihnen so viel
Zeit stahl, um dieses Buch zu schreiben.
Dank auch an Nicole Paskow für die Transkription der
Tonbänder der Therapiesitzungen.
Julie Rubins Vorschläge nach der Lektüre des ersten Ent-
wurfs dieses Buchs haben mir sehr geholfen.
Ganz besonders danke ich Barbara Gess, meiner Lektorin
bei Sirnon & Schuster, für ihre Kompetenz und für ihren
Mut.
Auch allen anderen, die dieses Buch möglich gemacht
haben, bin ich herzlich verbunden.
VoRWORT

Dr. med. Brian Weiss' Karriere weist ihn als einen jener
Akademiker aus, der dem Neuen gegenüber stets Offenheit
bewahrt hat und der bereit ist, ehrwürdige und fest ver-
ankerte Lehren und Theorien in Frage zu stellen, wenn sie
zu Zweifeln Anlass geben oder nicht länger stichhaltig
erscheinen. Dr. Weiss hatte seine Kompetenz in der Psy-
chiatrie längst durch seine ausgezeichneten Studien und
wissenschaftlichen Veröffentlichungen bewiesen, als eine
schicksalhafte Begegnung mit einer Patientin, die eine
spontane »Rückführung« erlebte, als sie sich bei ihm in
Therapie befand, ihn in eine völlig neue Richtung drängte:
zum Studium von scheinbar »paranormalen« Erlebnissen
normaler Personen.
Im Anschluss an die kartesianische Revolution haben wir
im Westen uns an die Vorstellung gewöhnt, dass wir allein
durch ichbewusstes, reflektives, analytisches Denken Wis-
sen erlangen können. Dr. Weiss ist Teil einer wissenschaft-
lichen Vorhut in aller Welt, die dabei ist, dieses überholte
Muster aufzulösen, was unzähligen gesunden, verantwor-
tungsbewussten Menschen, die erweiterte Bewusstseinszu-
stände erfahren haben, erlauben wird, offen über ihre Erleb-
nisse zu sprechen. Sie werden nicht mehr befürchten müssen,
durch schlecht informierte Gegner, die solche Berichte alle-
samt als Unsinn abtun, lächerlich gemaehr zu werden.

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Es ist nach wie vor meine persönliche Überzeugung,
dass die wissenschaftliche Methode nicht dazu geeignet ist,
die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tode zu beweisen
oder zu verwerfen. Allerdings glaube ich, dass unsere mo-
derne Zivilisation durch Techniken wie die von Dr. Weiss
beschriebenen mit der Zeit die Existenz eines Lebens nach
dem Tode akzeptieren wird.
Viele Amerikaner haben den Fall der Berliner Mauer als
spirituelles und als historisches Ereignis erlebt, so dass es
mir ein besonderes Vergnügen ist, Dr. Weiss' Arbeit seinen
deutschsprachigen Lesern vorstellen zu dürfen. Es scheint
offensichtlich so zu sein, dass wir uns an einer kritischen
Weggabelung der Weltgeschichte befinden. Ich bin immer
mehr der Ansicht, dass die Welt die Entwicklung von si-
cheren Techniken zur Bewusstseinserweiterung fördern
muss, um einen Weg aus dem gegenwärtigen Sumpf der
politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Schrecken
und Bedrohungen zu finden. Nur mit Hilfe der Liebe für
alle Menschen auf dieser Erde vermögen wir die Probleme
zu lösen, mit denen unser Planet heute konfrontiert ist.
Vor dem Hintergrund dieser Hoffnung grüße ich mei-
nen lieben Freund Brian Weiss. Ich bin sicher, dass seine
Arbeit auch vielen Europäerinnen und Europäern Trost
und Verständnis bringen kann.
Dr. med. Raymond A. Moody
November 1992

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EINFÜHRUNG

Ich weiß, dass es für alles einen Grund gibt. Vielleicht ha-
ben wir in dem Augenblick, wenn ein Ereignis auftritt, we-
der die Einsicht noch die Voraussicht, die Ursache dafür zu
verstehen, doch mit Zeit und Geduld wird sie ans Licht
kommen.
So war es mit Catherine. Als ich sie 1980 zum ersten
Mal traf, war sie siebenundzwanzig Jahre alt. Sie war in
meine Praxis gekommen, weil sie wegen ihrer Angste,
Panikanfälle und Phobien Hilfe suchte. Auch wenn diese
Symptome sie schon seit ihrer Kindheit begleiteten, waren
sie doch seit kurzem viel schlimmer geworden. Jeden Tag
fühlte sie sich emotional mehr gelähmt und weniger in der
Lage zu funktionieren. Verständlicherweise war sie völlig
verängstigt und deprimiert.
Im Gegensatz zum Chaos, das in ihrem Leben zu jener
Zeit herrschte, floss mein Leben glatt dahin. Ich führte eine
gute, ausgeglichene Ehe, hatte zwei kleine Kinder, und
beruflich kam ich voran.
Mein Leben schien von Anfang an immer in geraden
Bahnen verlaufen zu sein. Ich war in einem liebevollen Zu-
hause aufgewachsen. Das Universitätsstudium war mir
leicht gefallen. Ich hatte mich in meinem dritten Jahr an
der Universität entschieden, Psychiater zu werden.
1966 schloss ich mein Studium an der Columbia-Uni-

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versität in New York mit Auszeichnung ab, schrieb mich
an der medizinischen Fakultät von Yale ein und machte
1970 meinen Doktor der Medizin. Nach einer Assistenzzeit
am Bellevue Medical Center der Universität New York
kehrte ich nach Yale zurück, um meine Fachausbildung als
Psychiater abzuschließen. Danach nahm ich eine Stelle an
der Universität Pittsburgh an. Zwei Jahre ging ich an die
Universität in Miami, wo ich die psychopharmakologische
Abteilung leitete. Ich erlangte dort nationale Anerkennung
auf dem Gebiet der biologischen Psychiatrie und der Er-
forschung des Drogenmissbrauchs. Nach vier Jahren wurde
ich zum Lehrbeauftragten der Psychiatrie an der medizini-
schen Fakultät befördert und zudem Chefarzt der Psychia-
trieabteilung eines großen Krankenhauses in Miami, das
unter der Obhut der Universität stand. Zu jener Zeit hatte
ich auf meinem Fachgebiet bereits siebenunddreißig wis-
senschaftliche Abhandlungen veröffentlicht.
Jahre des disziplinierten Lernens hatten meinen Ver-
stand darauf ausgerichtet, als Wissenschaftler und Arzt im
Rahmen der engen konservativen Leitlinien meines Berufs
zu denken. Ich misstraute allem, das nicht durch traditio-
nelle wissenschaftliche Methoden bewiesen werden konn-
te. Ich kannte einige der parapsychologischen Studien, die
an renommierten Universitäten im ganzen Land durchge-
führt wurden, doch sie fesselten meine Aufmerksamkeit
nicht. Es erschien mir alles zu weit hergeholt.
Dann begegnete ich Catherine. Achtzehn Monate lang
setzte ich konventionelle therapeutische Methoden ein, um
ihr bei der Überwindung ihrer Symptome zu helfen. Als
nichts zu funktionieren schien, versuchte ich es mit Hyp-

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nose. In einer Reihe von Trancezuständen erinnerte sich
Catherine an »frühere Leben«, die sich als die Ursachen
ihrer Symptome erwiesen. Sie war außerdem in der Lage,
als Medium für Informationen von hochentwickelten
»Geistwesen« zu dienen, und dadurch offenbarte sie viele
Geheimnisse über Leben und Tod. In nur wenigen Monaten
verschwanden ihre Symptome. Sie hatte wieder Freude am
Leben und war glücklicher und ausgeglichener als je zuvor.
Nichts in meiner Ausbildung hatte mich auf diesen Fall
vorbereitet. Ich war völlig überrascht, als diese Ereignisse
ihren Lauf nahmen.
Ich habe keine wissenschaftliche Erklärung für das, was
geschehen ist. Es gibt viel zu viel im Bereich des mensch-
lichen Bewusstseins, das sich unserem Verständnis ent-
zieht. Vielleicht war Catherine unter Hypnose in der Lage,
sich auf einen Teil ihres Unterbewussten zu konzentrieren,
der tatsächliche Erinnerungen aus früheren Leben enthielt,
oder vielleicht hatte sie das angezapft, was der Psycho-
analytiker C. G. Jung das kollektive Unbewusste nannte,
die Energiequelle, die uns umgibt und die Erinnerungen
der gesamten menschlichen Rasse enthält.
Oie Wissenschaft hat begonnen, nach Antworten auf
diese Fragen zu forschen. Wir können für unser Zusam-
menleben viel profitieren von den Untersuchungen der
Geheimnisse des Bewusstseins, der Seele, eines Lebens
nach dem Tode und des Einflusses unserer Erfahrungen
aus früheren Leben auf unser gegenwärtiges Verhalten.
Natürlich sind die Verzweigungen dieses Themas endlos,
besonders auf dem Gebiet der Medizin, der Psychiatrie,
der Theologie und der Philosophie.

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Allerdings befindet sich die systematische wissenschaft-
liche Erforschung dieser Gebiete noch in den Kinderschu-
hen, und obwohl große Schritte unternommen werden, um
dieses Wissen aufzudecken, ist es ein langwieriger Prozess,
dem sowohl seitens der Wissenschaft als auch von der
Öffentlichkeit viel Widerstand entgegengebracht wird.
Schon immer hat sich der Mensch Veränderungen und
neuen Ideen widersetzt. Die Geschichte ist voller Beispiele
für diesen Sachverhalt. Als Galilei die Jupitermonde ent-
deckte, weigerten sich die Astronomen seiner Zeit, sie zu
akzeptieren oder auch nur anzuschauen, weil die Existenz
dieser Trabanten mit ihrer Weltsicht kollidierte. So ist es
heute mit den Psychiatern und anderen Therapeuten, die
sich weigern, die beachtlichen Beweise zu untersuchen und
auszuwerten, die hinsichtlich des Weiterlebens nach dem
körperlichen Tod und über Erinnerungen an frühere Leben
zusammengetragen worden sind. Ihre Augen bleiben fest
geschlossen.
Dieses Buch ist mein kleiner Beitrag zu den aktuellen
Studien auf dem Gebiet der Parapsychologie und betrifft
vor allem jenen Zweig, der sich mit unseren Erfahrungen
vor der Geburt und nach dem Tod auseinander setzt. Jedes
Wort, das Sie lesen werden, ist wahr. Ich habe nichts
hinzugefügt und nur Wiederholungen gestrichen sowie
Catherines persönliche Daten leicht verändert, um die
Anonymität zu wahren.
Ich habe vier Jahre gebraucht, um über das zu schreiben,
was passiert ist, vier Jahre, um den Mut aufzubringen und
das berufliche Risiko auf mich zu nehmen, diese unortho-
doxen Informationen zu veröffentlichen.

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Als ich eines Abends unter der Dusche stand, fühlte ich
mich plötzlich gedrängt, meine Erfahrung zu Papier zu
bringen. Ich hatte das starke Gefühl, die Zeit sei reif und
ich solle diese Informationen nicht länger zurückhalten.
Die Lektionen, die ich gelernt hatte, waren dazu da, mit
anderen geteilt zu werden, und nicht, unter Verschluss zu
bleiben. Das Wissen war durch Catherine hereingekom-
men, jetzt musste es durch mich weitergehen. Ich wusste,
dass keine mögliche Konsequenz meines Bekenntnisses so
schrecklich sein könnte, als wenn ich das Wissen, das ich
über die Unsterblichkeit und die wahre Bedeutung des
Lebens erlangt hatte, nicht mit anderen teilen würde.
Ich eilte aus der Dusche und setzte mich an meinen
Schreibtisch mit dem Stapel von Tonbändern, die ich
während meiner Sitzungen mit Catherine aufgenommen
hatte. In den frühen Morgenstunden dachte ich an meinen
alten ungarischen Großvater, der in meiner Jugend gestor-
ben war. Immer wenn ich ihm erzählte, ich hätte Angst, ein
Risiko einzugehen, ermutigte er mich liebevoll und wie-
derholte mit seinem komischen Akzent seinen Lieblings-
spruch. »Zur Hölle damit«, sagte er, »zur Hölle damit!«
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Das erste Mal, als ich Catherine sah, trug sie ein feuerrotes
Kleid und blätterte in meinem Wartezimmer nervös in
einer Zeitschrift. Sie war sichtlich außer Atem. Die letzten
zwanzig Minuten war sie draußen auf dem Gang der Psy-
chiatrieabteilung auf und ab gelaufen und hatte versucht,
sich zu überzeugen, dass es richtig sei, ihren Termin mit
mir einzuhalten und nicht davonzulaufen.
Ich begab mich ins Wartezimmer, um sie zu begrüßen,
und wir schüttelten uns die Hand. Mir fiel auf, dass die
ihre kalt und feucht war, was ihre Angst dokumentierte.
Sie hatte tatsächlich zwei Monate gebraucht, um ihren
ganzen Mut zusammenzunehmen und einen Termin mit
mir zu vereinbaren, obwohl zwei hausinterne Ärzte, denen
sie vertraute, ihr dringend geraten hatten, meine Hilfe zu
suchen. Endlich hatte sie es nun geschafft.
Catherine ist eine außergewöhnlich attraktive Frau mit
mittellangem blondem Haar und hellbraunen Augen. Da-
mals arbeitete sie als Laboramin im Krankenhaus, wo ich
Chefpsychiater war, und sie verdiente sich noch etwas mit
dem Vorführen von Bademoden dazu.
Ich führte sie in mein Büro, an der Couch vorbei zu
einem großen LederfauteuiL Wir saßen einander gegen-
über und hatten meinen halbrunden Schreibtisch zwischen
uns. Catherine lehnte sich in ihren Sessel zurück und
schwieg, weil sie nicht wusste, wie sie beginnen sollte. Ich
wartete, weil ich sie einen Anfang finden lassen wollte,
doch nach einigen Minuten begann ich sie nach ihrer Ver-
gangenheit zu fragen. Bei diesem ersten Besuch fingen wir
an, daran zu arbeiten, wer sie war und warum sie mich auf-
gesucht hatte.
Als Antwort auf meine Fragen enthüllte Catherine ihre
Lebensgeschichte. Sie war das mittlere Kind einer konser-
vativen katholischen Familie und in einer kleinen Stadt in
Massachusetts aufgewachsen. Ihr Bruder, der drei Jahre
vor ihr auf die Welt gekommen war, war sehr sportlich und
genoss Freiheiten, die ihr verwehrt blieben. Ihre jüngere
Schwester war der Liebling der Eltern.
Als wir begannen, über ihre Symptome zu reden, wurde
sie zusehends verkrampfter und nervöser. Sie sprach
schnell, beugte sich vor und stützte ihre Ellbogen auf den
Schreibtisch. Ihr Leben war schon immer von Angsten
überschattet gewesen. Sie hatte Angst vor Wasser, fürchte-
te sich so sehr zu ersticken, dass sie keine Pillen schlucken
konnte, hatte Angst vorm Fliegen und vor der Dunkelheit
und fürchtete sich schrecklich vor dem Tod. Zuletzt waren
diese Angste immer schlimmer geworden. Um sich sicher
zu fühlen, schlief sie häufig im begehbaren Schrank ihrer
Wohnung. Jede Nacht brauchte sie zwei bis drei Stunden,
bis sie einschlafen konnte, und es war ein leichter, unruhi-
ger Schlaf, aus dem sie häufig aufschreckte. Die Albträume
und das Schlafwandeln, die sie in ihrer Kindheit geplagt
hatten, waren zurückgekehrt. Da ihre Angste und
Symptome sie immer mehr lähmten, wurde sie ständig
deprimierter.
Als ich Catherine sprechen hörte, konnte ich spüren,
wie sehr sie litt. Seit Jahren hatte ich vielen Patienten wie
Catherine geholfen, ihre schlimmen Angste zu überwin-
den, und ich war mir sicher, dass ich auch hier helfen
konnte. Ich beschloss, dass wir damit anfangen würden, in
ihre Kindheit einzutauchen, um nach den ursprünglichen
Quellen für ihre Probleme zu suchen. Im Allgemeinen ist
diese Art von Einsichten hilfreich, Angste zu beseitigen.
Wenn nötig und wenn sie es schaffen würde, Pillen zu
schlucken, würde ich ihr ein schwaches angsthemmendes
Mittel geben, damit sie sich besser fühlte. Das war gemäß
Lehrbuch die Standardbehandlung für Catherines Symp-
tome, und ich habe nie gezögert, Beruhigungsmittel oder
auch Stimmungsaufheller zu verschreiben, um chronische
schwere Angstzustände und Furcht zu behandeln. Heute
setze ich diese Mittel weitaus sparsamer ein und, wenn
überhaupt, nur vorübergehend. Keine Medizin kann die
wirklichen Wurzeln dieser Symptome erreichen. Meine Er-
fahrungen mit Catherine und ähnlichen Patienten haben
das bewiesen. Jetzt weiß ich, dass es möglich ist, wirklich
zu heilen und nicht nur Symptome zu unterdrücken oder
zu überlagern.
Während der ersten Sitzung versuchte ich immer wieder,
Catherine auf sanfte Weise in ihre Kindheit zurückzufüh-
ren. Weil sie sich an erstaunlich wenige Begebenheiten aus
ihren frühen Jahren erinnerte, nahm ich mir vor, als mög-
liche Abkürzung Hypnotherapie einzusetzen, um diese Ver-
drängung zu überwinden. Sie konnte sich an keine spezifi-
schen traumatischen Momente in ihrer Kindheit erinnern,
welche die Flut von Angsten in ihrem Leben erklärt hätten.
Als sie sich bemühte und ihr Gehirn anstrengte, um sich
zu besinnen, tauchten isolierte Erinnerungsfragmente auf.
Als sie etwa fünf Jahre alt war, war sie in Panik geraten, als
jemand sie von einem Sprungbrett in ein Schwimmbecken
gestoßen hatte. Sie meinte, dass sie sich jedoch auch be-
reits vor diesem Ereignis im Wasser nie wohl gefühlt habe.
Als Catherine elf war, begann ihre Mutter an schweren
Depressionen zu leiden. Der krankhafte Rückzug ihrer
Mutter von der Familie hatte einen Besuch beim Psychia-
ter erforderlich gemacht, der sie in der Folge mit Elektro-
schocks behandelte. Als Auswirkung davon fiel es der
Mutter schwer, sich an Dinge zu erinnern. Diese Erfah-
rung ängstigte Catherine. Doch als ihre Mutter sich erholte
und wieder »sie selbst« wurde, hätten diese Angste sich
verflüchtigt, berichtete Catherine. Ihr Vater hatte schon
seit vielen Jahren Probleme mit dem Alkohol, und manch-
mal musste Catherines Bruder ihn aus der nahen Kneipe
holen. Der zunehmende Alkoholkonsum ihres Vaters führte
häufig zu Streit, worauf ihre Mutter dann gereizt reagierte
und sich zurückzog. Für Catherine war das jedoch das
vertraute Familienleben.
Außer Hause standen die Dinge besser. Catherine ging
in der High-School-Zeit mit Jungen aus und fand leicht
Zugang zu ihren Freunden, von denen sie die meisten
schon seit vielen Jahren kannte. Allerdings hatte sie Mühe,
Menschen zu vertrauen, besonders wenn diese außerhalb
ihres kleinen Freundeskreises standen.
Ihre Religion war einfach und unhinterfragt. Sie wurde
entsprechend der traditionellen katholischen Lehre und
Praxis erzogen und hatte nie an der Wahrhaftigkeit oder

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Gültigkeit ihres Glaubens gezweifelt. Sie glaubte, dass ein
guter Katholik, der ein gerechtes Leben führt und sich an
die Gebote hält, in den Himmel kommt. Wenn nicht, kam
man ins Fegefeuer oder in die Hölle. Ein patriarchalischer
Gott und sein Sohn trafen darüber die endgültige Ent-
scheidung. Später erfuhr ich, dass Catherine nicht an die
Wiedergeburt glaubte, auch wenn sie ein wenig über den
Hinduismus gelesen hatte. Die Seelenwanderung war eine
Idee, die ihrer Erziehung und ihrem Verständnis entgegen-
lief. Sie hatte nie irgendwelche metaphysische oder okkulte
Literatur gelesen, und sie interessierte sich nicht dafür. Sie
fühlte sich in ihrem Glauben sehr sicher.
Nach der High-School machte Catherine eine zwei-
jährige technische Ausbildung als Laborantin. Ausgerüstet
mit einem Berufsabschluss und ermutigt durch den Umzug
ihres Bruders nach Tampa, bewarb sich Catherine um
einen Job an einem großen Lehrkrankenhaus in Miami,
das an die medizinische Fakultät der Universität Miami
angeschlossen war. Im Frühjahr 1974 zog sie im Alter von
einundzwanzig Jahren nach Miami.
Das Kleinstadtleben war ihr leichter gefallen als ihr
neues Leben in Miami, aber sie war glücklich, ihren Fami-
lienproblemen entronnen zu sein.
Während ihres ersten Jahres in Miami lernte Catherine
Stuart kennen, einen verheirateten Juden mit zwei Kin-
dern, der völlig anders war als jeder andere Mann, mit dem
sie je ausgegangen war. Er war ein erfolgreicher Arzt, stark
und bestimmt. Eine unwiderstehliche Anziehungskraft
herrschte zwischen ihnen, doch ihre Affäre war unstet und
stürmisch. Etwas an ihm entfachte ihre Leidenschaft, als

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wäre sie von ihm verzaubert. Catherine begann eine The-
rapie, als ihr Verhältnis mit Stuart bereits sechs Jahre dau-
erte und immer noch sehr lebendig war, wenn es ihr auch
nicht unbedingt gut dabei ging. Catherine konnte Stuart
nicht widerstehen, auch wenn er sie schlecht behandelte.
Sie war wütend wegen seiner Lügen, gebrochener Verspre-
chen und Manipulationen.
Mehrere Monate vor ihrem Termin mit mir hatte sich
Catherine wegen eines gutartigen Knötchens einer Stirnrn-
bandoperation unterziehen müssen. Vor dem Eingriffhatte
sie Angst gehabt, aber sie drehte völlig durch, als sie nach
der Operation zu sich kam. Das Pflegepersonal brauchte
Stunden, um sie zu beruhigen. Nach ihrer Genesung im
Krankenhaus suchte sie Dr. Edward Poole auf. Ed war ein
sympathischer Kinderarzt, den Catherine kennen gelernt
hatte, als sie im Krankenhaus arbeitete. Sie verstanden sich
auf Anhieb gut, und es entwickelte sich eine enge Freund-
schaft zwischen ihnen. Catherine sprach offen mit Ed und
berichtete ihm von ihren Angsten, ihrer Beziehung mit
Stuart und dass sie das Gefühl habe, die Kontrolle über ihr
Leben zu verlieren. Ed bestand darauf, dass sie einen Ter-
min mit mir und nur mit mir ausmachte und nicht mit
einem meiner Abteilungskollegen. Als Ed mich anrief, um
mir von dieser Empfehlung zu berichten, erklärte er, dass
er aus irgendeinem Grund das Gefühl habe, nur ich könne
Catherine wirklich verstehen, auch wenn es andere Psy-
chiater mit ausgezeichnetem Ruf gebe, die geschickte
Therapeuten wären. Catherine rief mich aber nicht an.
Acht Wochen verstrichen. Im Trubel meiner lebhaften
Praxis als Chefarzt der Psychiatrieabteilung hatte ich Eds
Anruf vergessen. Catherines Ängste und Phobien wurden
schlimmer. Dr. Frank Acker, der Chefchirurg, kannte
Catherine schon seit Jahren und scherzte gerne mit ihr,
wenn er das Labor aufsuchte, wo sie arbeitete. Ihm war
aufgefallen, dass sie seit einiger Zeit unglücklich und ver-
spannt aussah. Mehrere Male hatte er sie darauf anspre-
chen wollen, aber stets gezögert. Eines Nachmittags fuhr
Frank zu einem kleinen, entlegenen Krankenhaus, um
einen Vortrag zu halten. Unterwegs sah er Catherine, die
zu ihrer Wohnung fuhr, die in der Nähe des Krankenhau-
ses lag. Impulsiv winkte er sie an den Straßenrand. ))Ich
möchte, dass du Dr. Weiss jetzt aufsuchst«, schrie er durchs
Fenster. ))Keine Verzögerungen.« Auch wenn Chirurgen für
ihre Impulsivität bekannt sind, war Frank über sein Ver-
halten selbst überrascht.
Catherines Panikanfälle und Angstzustände wurden
häufiger und länger. Zwei Albträume kehrten immer wie-
der. Im einen brach eine Brücke zusammen, während sie
darüber hinwegfuhr. Ihr Auto fiel ins Wasser, sie war ge-
fangen und am Ertrinken. Im zweiten Traum war sie in
einem stockfinsteren Raum gefangen, stolperte und fiel
über Hindernisse, ohne den Ausgang zu finden. Schließlich
suchte sie mich auf.

Bei meiner ersten Sitzung mit Catherine hatte ich keine


Ahnung, dass mein Leben bald auf den Kopf gestellt wür-
de, dass die verängstigte, verwirrte Frau mir gegenüber als
Auslöser dafür dienen sollte und dass für mich nichts so
blieb, wie es war.

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Es folgten achtzehn Monate intensiver Therapie, wobei


Catherine mich ein- oder zweimal pro Woche aufsuchte.
Sie war eine gute Patientin: ausdrucksstark und einsichts-
voll und sehr darauf bedacht, gesund zu werden.
Während dieser Zeit untersuchten wir ihre Gefühle, Ge-
danken und Träume. Ihr Erkennen von wiederkehrenden
Verhaltensmustern brachte ihr Einsicht und Verständnis.
Sie erinnerte sich jetzt an viele wichtige Einzelheiten aus
ihrer Vergangenheit wie die häufige Abwesenheit ihres
Vaters, der in der Handelsmarine tätig war, und an seine
gelegentlichen Wutausbrüche, wenn er zu viel getrunken
hatte. Sie hatte größeren Einblick in ihre turbulente Bezie-
hung mit Stuart und verlieh ihrer Wut angemessener Aus-
druck. Ich erwartete, dass es ihr jetzt viel besser gehen
müsste. Bei den meisten Patienten ist das nämlich der Fall,
wenn sie sich an unangenehme Einflüsse ihrer Vergangen-
heit erinnern und angemessene Verhaltensmuster erken-
nen und korrigieren, weil sie ihre Probleme als Teil eines
größeren Ganzen und mit mehr Abstand sehen lernen.
Doch Catherine ging es nicht besser.
Angstzustände und Panikanfälle plagten sie nach wie
vor. Ihre äußerst lebhaften Albträume hielten an, und sie
hatte immer noch schreckliche Angst im I )unklcn, vor
Wasser und vor dem Eingeschlossensein. Ihr Schlaf war so

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unruhig und unerquickend wie eh und je. Sie litt noch
unter Herzklopfen, und immer noch weigerte sie sich,
Medikamente einzunehmen, weil sie Angst hatte, an den
Pillen zu ersticken. Ich hatte das Gefühl, auf eine Mauer
gestoßen zu sein. Gleich, was ich tat, diese Mauer blieb so
hoch, dass keiner von uns beiden über sie hinwegsteigen
konnte, doch gesellte sich zu meiner Frustration ein Ge-
fühl der Entschlossenheit. Auf irgendeine Weise würde ich
Catherine helfen.
Da geschah etwas Merkwürdiges. Auch wenn sie
schreckliche Angst vor dem Fliegen hatte und sich mit meh-
reren Drinks stärken musste, sobald sie im Flugzeug saß,
begleitete Catherine Stuart im Frühjahr 1982 zu einem
medizinischen Kongress nach Chicago. Während ihres Auf-
enthaltes drängte sie ihn, die ägyptische Ausstellung im
Kunstmuseum zu besuchen, wo sie sich einer Führung an-
schlossen.
Catherine hatte sich zwar immer schon für alte ägypti-
sche Kunstgegenstände und Reproduktionen von Relikten
aus dieser Zeit interessiert, aber sie hatte diese Periode der
Geschichte nie intensiv studiert. Doch irgendwie kamen
ihr damals die Stücke bekannt vor.
Als der Führer begann, Erläuterungen zu einigen der
Kunstgegenstände der Ausstellung zu geben, korrigierte sie
ihn spontan - und hatte Recht! Der Führer war überrascht
und Catherine wie vor den Kopf geschlagen. Woher wusste
sie diese Dinge? Woher war sie sich so sicher, dass sie den
Führer in aller Öffentlichkeit verbesserte? Vielleicht waren
es vergessene Erinnerungen aus ihrer Kindheit.
Bei unserer nächsten Sitzung erzählte sie mir von dem

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Erlebnis. Monate zuvor hatte ich Catherine den Einsatz
von Hypnose vorgeschlagen, aber weil sie Angst hatte,
lehnte sie ab. Auf Grund ihrer Erfahrung in der ägypti-
schen Ausstellung erklärte sie sich jetzt jedoch widerwillig
damit einverstanden.
Die Hypnose ist ein ausgezeichnetes Werkzeug, um
einem Patienten dabei zu helfen, sich an längst vergessene
Ereignisse zu erinnern. Es ist nichts Geheimnisvolles da-
ran. Die Hypnose entspricht lediglich einem Zustand kon-
zentrierter Aufmerksamkeit. Unter den Anweisungen eines
ausgebildeten Hypnotiseurs entspannt sich der Körper des
Patienten, was dazu führt, dass das Erinnerungsvermögen
sich erweitert. Ich hatte schon Hunderte von Patienten
hypnotisiert, und für mich hatte sich die Hypnose als nütz-
lich erwiesen, Ängste zu mindern, Phobien zu beheben,
schlechte Gewohnheiten zu verändern und beim Erinnern
von verdrängtem Material zu helfen. Gelegentlich hatte ich
Patienten erfolgreich in ihre Kindheit zurückversetzt, sogar
bis ins Alter von zwei oder drei Jahren, und hatte so längst
vergessene Traumata aufgedeckt, die ihr Leben beeinträch-
tigten. Ich war überzeugt, dass eine Hypnose Catherine
helfen würde.
Ich wies sie an, sich mit leicht geschlossenen Augen auf
die Couch zu legen, den Kopf auf ein kleines Kissen ge-
bettet. Zunächst konzentrierten wir uns auf ihre Atmung.
Bei jedem Ausatmen ließ sie angestaute Spannungen und
Ängste los, mit jedem Einatmen entspannte sie sich noch
mehr. Nach mehreren Minuten dieses Atmens bat ich sie,
sich vorzustellen, wie ihre Muskeln sich mehr und mehr
entspannten, angefangen beim Gesicht und dem Kiefer.

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Dann sollten sich ihr Hals und ihre Schultern, ihre Arme,
ihr Rücken und Magen und schließlich ihre Beine ent-
spannen. Sie spürte, wie ihr ganzer Körper tiefer und tiefer
in die Couch sank.
Dann wies ich sie an, sich ein hell~s weißes Licht oben
in ihrem Kopf vorzustellen. Dann ließ ich sie dieses Licht
langsam in ihrem ganzen Körper ausbreiten, bis jeder Mus-
kel, jeder Nerv und jedes Organ entspannt waren und sie
in einen immer tieferen Zustand der Entspannung und des
Friedens versank. Sie fühlte sich schläfriger und schläfriger,
ruhiger und ruhiger, bis auf meine Anweisungen hin das
Licht ihren Körper nicht nur füllte, sondern ihn auch ganz
einhüllte.
Langsam zählte ich von zehn bis eins zurück. Mit jeder
Zahl tauchte sie in einen tieferen Entspannungszustand
ein. Ihre Trance vertiefte sich. Es gelang ihr, sich auf meine
Stimme zu konzentrieren und alle Außengeräusche auszu-
blenden. Als ich bei eins angekommen war, befand sie sich
bereits in einer mittleren Trance. Der ganze Prozess hatte
etwa zwanzig Minuten erfordert.
Nach einer Weile begann ich mit der Rückführung, in-
dem ich sie bat, sich an immer frühere Begebenheiten aus
ihrer Kindheit zu erinnern. Sie konnte sprechen und meine
Fragen beantworten, während sie in tiefer Hypnose ver-
weilte. Sie entsann sich an eine traumatische Erfahrung
beim Zahnarzt, als sie sechs Jahre alt gewesen war. Lebhaft
erinnerte sie sich an ein beängstigendes Erlebnis im Alter
von fünf Jahren, als sie von einem Sprungbrett in ein
Schwimmbecken gestoßen worden war. Damals hatte sie
gewürgt und war halb erstickt, weil sie Wasser geschluckt
hatte, und während sie davon sprach, begann sie tatsäch-
lich zu würgen. Ich gab ihr zu verstehen, dass das Ereignis
vorbei sei und sie nicht länger im Wasser wäre. Sie hörte
mit dem Würgen auf und atmete wieder normal. Sie be-
fand sich immer noch in tiefer Trance.
Als sie drei war, hatte sie das schlimmste Erlebnis. Sie
erinnerte sich, dass sie im Dunkeln aufgewacht war und
gemerkt hatte, dass ihr Vater im Zimmer war. Er roch nach
Alkohol, und den konnte sie auch jetzt riechen. Er berühr-
te sie und streichelte sie, sogar »dort unten«. Sie hatte
schreckliche Angst und begann zu weinen, also hielt ihr
Vater ihren Mund mit seiner rauen Hand zu. Sie kriegte
keine Luft mehr! In meiner Praxis, auf meiner Couch, be-
gann Catherine fünfundzwanzig Jahre später zu schluchzen.
Mir war, als hätten wir jetzt die gesuchte Information, den
Schlüssel zum Schloss, und ich war überzeugt, dass ihre
Symptome jetzt schnell und drastisch nachlassen würden.
Sanft gab ich ihr zu verstehen, dass das Erlebnis vorbei war
und dass sie nicht länger in ihrem Bettehen lag, sondern
sich, immer noch in Trance, ausruhte. Das Schluchzen ließ
nach. Ich führte sie vorwärts in der Zeit bis zu ihrem ge-
genwärtigen Alter und weckte sie auf, nachdem ich sie
durch eine posthypnotische Suggestion angewiesen hatte,
sich an alles zu erinnern, was sie mir erzählt hatte. Wir ver-
brachten den Rest der Sitzung damit, ihre plötzlich so leb-
hafte Erinnerung des Traumas mit ihrem Vater zu bespre-
chen. Ich versuchte ihr zu helfen, ihr »neues« Wissen zu
akzeptieren und zu integrieren. Jetzt verstand sie ihre Be-
ziehung zu ihrem Vater, seine Reaktion auf sie, seine Dis-
tanz und ihre Angst vor ihm. Sie zitterte immer noch, als
sie mein Büro verließ, aber ich wusste, dass das Verständ-
nis, das sie erlangt hatte, den vorübergehenden Schmerz
wert war.
Wegen des Dramas der Entdeckung ihrer schmerzlichen
und tief verdrängten Erinnerungen hatte ich völlig verges-
sen, nach einer möglichen Verbindung zu ihrem Wissen
über die ägyptischen Kunstgegenstände zu fragen. Immer-
hin wusste sie nun mehr über ihre Vergangenheit. Sie hatte
sich an mehrere beängstigende Vorfälle erinnert, und ich
erwartete eine beachtliche Besserung ihrer Symptome.
Trotz dieser neuen Einsichten berichtete sie in der fol-
genden Woche, dass ihre Symptome die alten seien und sie
so schlimm wie eh und je quälten. Ich konnte nicht verste-
hen, was schief gelaufen war. Könnte etwas noch vor dem
Alter von drei Jahren geschehen sein? Wir hatten mehr als
hinreichende Gründe entdeckt, um ihre Angst vor dem Er-
sticken, vor Wasser, vor dem Dunkel und vor geschlosse-
nen Räumen zu erklären, und dennoch ließen die heftigen
Angste und die unkoutrollierte Furcht sie nicht los. Ihre
Albträume waren so beängstigend wie zuvor. Ich beschloss,
sie weiter zurückzuführen.
Unter Hypnose sprach Catherine mit einer langsamen
und betonten Flüsterstimme. Deswegen war es mir mög-
lich, wörtlich aufzuschreiben, was sie sagte, und ich zitiere
sie hier direkt. (Die Pünktchen stellen Sprechpausen dar,
keine Auslassung von Worten oder Streichungen meiner-
seits. Wiederholungen habe ich jedoch fortgelassen.)
Langsam führte ich Catherine zurück bis zum Alter von
zwei Jahren, aber es kamen keine wichtigen Erinnerungen
hoch. Laut und deutlich schlug ich vor: »Gehen Sie zurück
zu der Zeit, aus der Ihre Symptome stammen.« Und ich
war völlig unvorbereitet auf das, was als Nächstes kam.
»Ich sehe weiße Stufen, die zu einem Gebäude führen,
einem großen weißen Gebäude mit Säulen, vorne offen. Es
gibt keine Türen. Ich trage ein langes Kleid ... , einen Sack
aus grobem Material. Ich habe langes blondes Haar, das zu
einem Zopf geflochten ist.«
Ich war verwirrt und unsicher, was vorging. Ich fragte
sie, welches Jahr wir schrieben und wie sie heiße. »Aronda
... Ich bin achtzehn. Ich sehe einen Marktplatz vor dem
Gebäude. Es gibt Körbe dort ... Sie tragen die Körbe auf
ihren Schultern. Wir leben in einem Tal ... Es gibt kein
Wasser. Es ist 1863 vor Christi Geburt. Die Gegend ist un-
fruchtbar, heiß und sandig. Es gibt einen Brunnen, keine
Flüsse. Wasser kommt ins Tal von den Bergen.«
Als sie weitere topographische Einzelheiten berichtet
hatte, bat ich sie, mehrere Jahre in der Zeit voranzuschrei-
ten und mir zu sagen, was sie sah.
»Ich sehe Bäume und eine gepflasterte Straße. Ich sehe
ein Feuer mit Essen darauf. Mein Haar ist blond. Ich trage
ein langes, grobes braunes Kleid und Sandalen. Ich bin
fünfundzwanzig. Ich habe eine Tochter, deren Name
Claestra ist ... Es ist Rachel. [Rachel ist in ihrem jetzigen
Leben ihre Nichte; die beiden haben sich immer außer-
ordentlich gut verstanden.] Es ist sehr heiß.«
Ich war überrascht. Mein Magen zog sich zusammen.
Mir war kalt. Ihre Visionen und Erinnerungen schienen so
eindeutig zu sein. Sie war kein bisschen unsicher. Namen,
Daten, Kleider, Bäume - alles wurde so lebhaft geschil-
dert. Was ging vor? Wie konnte ein Kind, das sie damals
hatte, heute ihre Nichte sein? Meine Verwirrung nahm zu.
Ich hatte Tausende von Psychiatriepatienten untersucht,
davon viele unter Hypnose, und nie zuvor waren mir Fan-
tasien begegnet wie diese - nicht einmal in Träumen. Ich
hieß sie, vorwärtszugehen bis zur Zeit ihres Todes. Ich war
mir nicht sicher, wie ich jemanden befragen sollte, der sich
inmitten einer solch starken Fantasie (oder Erinnerung?)
befand, aber ich war auf der Suche nach traumatischen Er-
fahrungen, die gegenwärtigen Angsten oder Symptomen
zugrunde lagen. Die Ereignisse rund um den Todesaugen-
blick könnten sich als besonders traumatisch erweisen.
Offenbar hatte eine Überschwemmung oder Sturmflut das
Dorf zerstört.
))Große Wellen werfen Bäume um. Es gibt keinen Ort,
wo man hinrennen könnte. Es ist kalt, das Wasser ist kalt.
Ich muss mein Baby retten, aber ich kann es nicht ... , muss
sie einfach festhalten. Ich ertrinke, das Wasser erstickt
mich. Ich kann nicht atmen, nicht schlucken ... Salzwasser.
Mein Kind wird mir aus den Armen gerissen.« Plötzlich
entspannte sich ihr Körper vollkommen, und ihr Atem
ging leicht und gleichmäßig.
))Ich sehe Wolken ... Mein Baby ist bei mir. Und andere
aus meinem Dorf. Ich sehe meinen Bruder.«
Sie ruhte sich aus; dieses Leben war zu Ende. Sie war
immer noch in tiefer Trance. Ich war völlig vor den Kopf
gestoßen! Frühere Leben? Wiedergeburten? Mein ärzt-
licher Verstand sagte mir, dass sie nicht bloß fantasierte
und dieses Material nicht einfach erfand. Ihre Gedanken,
ihr Ausdruck, die Hervorhebung besonderer Einzelheiten
- alles hob sich von ihrem Wachzustand ab. Die ganze
Palette psychiatrischer Diagnosen ging mir durch den
Kopf, doch ihr psychischer Zustand und ihre Charakter-
struktur erklärten diese Enthüllungen keineswegs. Schizo-
phrenie? Nein, sie hatte nie Anzeichen eines kognitiven
oder mentalen Fehlverhaltens gezeigt. Sie hatte im Wach-
zustand nie auditive Halluzinationen oder Visionen oder
irgendeine andere Art von psychotischen Schüben gehabt.
Sie war weder verwirrt, noch hatte sie den Kontakt zur
Wirklichkeit verloren. Sie hatte keine multiple oder ge-
spaltene Persönlichkeit. Es gab nur eine wahre Catherine,
und ihr bewusster Verstand war sich dessen völlig gewahr.
Sie hatte keine soziapathischen oder asozialen Neigungen.
Sie war keine Schauspielerin. Sie nahm weder Drogen
noch Halluzinogene. Ihr Alkoholkonsum war minimal. Sie
hatte keine neurologischen oder psychischen Krankheiten,
die ihre lebhaften und unmittelbaren Hypnoseerlebnisse
hätten erklären können.
Es waren eindeutig Erinnerungen, doch woher kamen
sie? Mein Bauch sagte mir, dass ich auf etwas gestoßen
war, von dem ich nur wenig wusste: Seelenwanderung und
Erinnerungen aus früheren Leben. Gleichzeitig sagte ich
mir, dass das unmöglich sei; mein wissenschaftlich aus-
gebildeter Verstand widersetzte sich. Doch es war wirklich
und geschah hier vor meinen Augen. Ich konnte es nicht
erklären, aber das Geschehen auch nicht leugnen.
»Machen Sie weiter«, sagte ich, etwas entnervt, doch
fasziniert von dem, was vor sich ging. »Können Sie sich
noch an etwas anderes erinnern?« Sie besann sich auf Frag-
mente aus zwei weiteren Leben.
»Ich trage ein Kleid mit schwarzen Spitzen und schwarze
Spitzen auf dem Kopf. Ich habe graumeliertes, dunkles
Haar. Es ist im Jahr 1756. Ich bin Spanierin. Mein Name
ist Louisa, und ich bin fünfundsechzig Jahre alt. Ich tanze,
andere tanzen auch. Lange Pause. Ich bin krank. Ich habe
Fieber und kalte Schweißausbrüche ... Viele Leute sind
krank, sie sterben. Die Arzte wissen nicht, dass es vorn
Wasser kommt.« Ich führte sie etwas in der Zeit voraus.
»Ich erhole mich, aber mein Kopf tut immer noch weh;
meine Augen und mein Kopf schmerzen immer noch vorn
Fieber, vorn Wasser ... Viele sterben.«
Später erzählte sie mir, sie sei in jenem Leben eine Pros-
tituierte gewesen, doch hätte sie mir das nicht sofort mit-
geteilt, weil sie sich deswegen schämte. Scheinbar konnte
Catherine unter Hypnose gewisse Erinnerungen zensieren,
ehe sie sie mir mitteilte.
Da Catherine in einem früheren Leben ihre Nichte
wieder erkannt hatte, fragte ich sie impulsiv, ob auch ich
in irgendeinem Leben gegenwärtig sei. Ich war neugierig
zu erfahren, ob ich in ihren Erinnerungen eine Rolle
spielte. Sie antwortete schnell im Vergleich zu den vorhe-
rigen, sehr langsam und betont vorgebrachten Erinne-
rungen.
»Sie sind mein Lehrer und sitzen auf einem Mauer-
vorsprung. Sie lehren uns aus Büchern. Sie sind alt und
haben graues Haar. Sie tragen ein weißes Kleid [Toga] mit
einer goldenen Borte ... Ihr Name ist Diogenes. Sie lehren
uns Symbole, Dreiecke. Wir schreiben 1568 vor Christus.«
(Das war ungefähr zwölfhundert Jahre, ehe der berühmte
griechische Philosoph Diogenes lebte. Der Name war
ziemlich verbreitet.)

30
Die erste Sitzung war zu Ende. Es sollten noch viel er-
staunlichere folgen.

Als Catherine gegangen war und während der nächsten


Tage dachte ich über die Einzelheiten der Rückführung
unter Hypnose nach. Sogar von einer »normalen« Thera-
piestunde entgingen meiner strengen geistigen Analyse nur
sehr wenige Details, und diese Sitzung war kaum »normal«
gewesen. Zudem war ich sehr skeptisch, was das Leben
nach dem Tod, die Wiedergeburt, außerkörperliche Erfah-
rungen und verwandte Phänomene anbelangte. Meine
logische Seite gab zu bedenken, sie könnte sich das alles
nur eingebildet haben. Ich würde kaum je in der Lage sein,
ihre Behauptungen oder Visionen nachzuprüfen. Doch ich
war mir ebenfalls eines weiteren und weit weniger emotio-
nalen Gedankens bewusst, wenn auch viel dunkler. »Im-
mer schön offen bleiben«, flüsterte diese Stimme. »Wahre
Wissenschaft beginnt mit der Beobachtung.« Ihre »Erin-
nerungen« konnten auch nicht ihrer Fantasie oder Einbil-
dung entsprungen sein. Vielleicht war da mehr, als das Auge
- oder irgendein anderer Sinn - wahrnehmen konnte.
»Bleibe offen und verschaffe dir zusätzliches Material«,
sagte ich mir.
Noch ein weiterer Gedanke beschäftigte mich: Würde
Catherine, die sich schnell fürchtete und sich sowieso
schon allerlei Angstzuständen ausgesetzt sah, nicht zu ver-
ängstigt sein, um sich nochmals einer Hypnose zu unter-
ziehen? Ich beschloss, sie nicht anzurufen und sie das Er-
lebnis ebenfalls verdauen zu lassen. Ich würde bis zur
nächsten Woche warten.

Jl
3

Eine Woche später kam Catherine voller Schwung zu ihrer


nächsten Hypnosesitzung in meine Praxis. Sie war von
Natur aus schön, doch sie sah besser aus denn je zuvor. Sie
verkündete glücklich, dass ihre lebenslange Angst vor dem
Ertrinken verschwunden sei. Ihre Angst zu ersticken hatte
etwas nachgelassen. Ihr Schlaf wurde nicht länger unter-
brochen durch den Albtraum einer einstürzenden Brücke.
Auch wenn sie sich an die Einzelheiten ihrer Rückführung
erinnerte, hatte sie dieses Material aber noch nicht wirklich
integriert.
Die Konzepte der Seelenwanderung und der Wieder-
geburt schienen ihrem Weltbild fremd zu sein. Doch ihre
Erinnerungen waren so lebendig, das Geschaute, Gehörte
und Gerochene so klar, und das Wissen, dort gewesen zu
sein, war so heftig und unmittelbar, dass sie das Gefühl
hatte, das alles müsse einfach stattgefunden haben. Sie
zweifelte nicht daran: Die Erfahrung war so überwältigend
gewesen. Dennoch fragte sie sich bang, wie das alles zu
ihrer Erziehung und ihrem Glauben passte.
Während der vergangenen Woche hatte ich mein Text-
buch eines Kurses in vergleichender Religionswissenschaft
durchgesehen, den ich im ersten Jahr an der Columbia-
Universität belegt hatte. Es gab tatsächlich Hinweise auf
die Wiedergeburt im Alten und im Neuen Testament. Im

32
Jahr 325 nach Christus hatte der römische Kaiser Kons-
tantinder Große zusammen mit seiner Mutter Helena alle
Anspielungen auf die Reinkarnation im Neuen Testament
gestrichen. Beim Zweiten Konzil von Konstantinopel, das
553 stattfand, wurde dieses Vorgehen abgesegnet und der
Begriff der Seelenwanderung zur Häresie erklärt. Schein-
bar dachte man, dieser Gedanke würde die wachsende
Macht der Kirche schwächen, da er dem Menschen zu viel
Zeit gab, sein Heil zu suchen. Doch die ursprünglichen
Erwähnungen hatte es gegeben; die älteren Kirchenväter
hatten das Konzept der Wiedergeburt akzeptiert. Frühe
Gnostiker wie Klemens von Alexandria, Origenes, der hei-
lige Hieronymus und viele andere hatten geglaubt, dass sie
schon einmal gelebt hätten und wieder geboren werden
würden.
Ich hingegen hatte noch nie an die Wiedergeburt ge-
glaubt. Um ehrlich zu sein, hatte ich mir kaum je Gedan-
ken darüber gemacht. Auch wenn meine frühe religiöse Er-
ziehung von einer nebulösen Existenz der »Seele« nach
dem Tode sprach, war ich nicht davon überzeugt.

Ich war das älteste von vier Kindern, die jeweils im Ab-
stand von drei Jahren zur Welt kamen. Wir gehörten einer
konservativen jüdischen Synagoge in Red Bank an, einer
kleinen Stadt unweit der Küste New Jerseys. Ich war der
Schlichter und Diplomat der Familie. Mein Vater machte
sich mehr aus Religion als der Rest der Familie. Wie alles
andere nahm er auch seinen Glauben sehr ernst. Die aka-
demischen Erfolge seiner Kinder waren das größte Glück
seines Lebens. Er geriet leicht aus der Fassung, wenn zu

33
Hause nicht alles friedlich verlief, zog sich dann zurück
und überließ mir die Vermittlung. Auch wenn sich das als
ausgezeichnete Vorbereitung für eine psychiatrische Kar-
riere erwies, war meine Kindheit schwerer und verantwor-
tungsbeladener, als ich es mir rückblickend gewünscht hät-
te. Ich ging als sehr ernsthafter junger Mann daraus hervor,
jemand, der sich früh daran gewöhnt haue, zu viel Verant-
wortung zu übernehmen.
Meine Mutter brachte stets ihre Liebe zum Ausdruck. Es
gab nichts, das sie hätte bremsen können. Sie war ein ein-
facherer Mensch als mein Vater und setzte Schuld, Mär-
tyrertum, Schamgefühle und eine lebhafte Identifikation
mit ihren Kindern als manipulative Werkzeuge ein, ohne
sich etwas dabei zu denken. Sie war selten bedrückt, und
wir konnten immer mit ihrer Liebe und Unterstützung
rechnen.
Mein Vater hatte eine gute Anstellung als Industriefoto-
graf, doch auch wenn wir mehr als genug zu essen hatten,
war das Geld immer knapp. Mein jüngster Bruder, Peter,
wurde geboren, als ich neun Jahre alt war. Jetzt mussten
sechs Leute in einer kleinen Dreizimmerwohnung mit
Garten Platz finden.
Das Leben in dieser kleinen Wohnung war hektisch und
laut, so dass ich bei meinen Büchern Zuflucht suchte. Ich
las viel, wenn ich nicht Baseball oder Basketball spielte,
zwei weitere Leidenschaften meiner Kindheit. Mir war be-
wusst, dass ein Studium mich aus der Kleinstadt erlösen
würde, so bequem es dort war, deshalb war ich immer
Klassenbester oder -zweiter.
Als ich ein volles Stipendium für die Columbia-Univer-

34
sität erhielt, war ich ein ernsthafter und gelehriger junger
Mann. Der akademische Erfolg fiel mir nach wie vor leicht.
Ich wählte Chemie als Hauptfach und bestand mein Exa-
men mit Erfolg. Ich beschloss, Psychiater zu werden, weil
dieses Gebiet sowohl mein wissenschaftliches Interesse als
auch meine Faszination für die Funktionen des mensch-
lichen Gehirns berührte. Außerdem würde eine medizini-
sche Laufbahn mir erlauben, meiner Sorge und meinem
Mitgefühl für meine Mitmenschen Ausdruck zu verleihen.
Inzwischen hatte ich in den Semesterferien in einem Hotel
in den Catskill-Bergen, wo ich als Hausboy arbeitete und
sie Gast war, Carole kennen gelernt. Wir fühlten uns sofort
zueinander hingezogen und hatten ein starkes Gefühl von
Verwandtschaft und Vertrautheit. Wir korrespondierten,
verliebten uns und waren verlobt, ehe mein erstes Jahr in
Columbia zu Ende ging. Sie war sowohl klug als auch
schön. Alles schien sich optimal zu entwickeln. Wenige
junge Männer machen sich Gedanken über den Tod und
das Leben danach, vor allem, wenn die Dinge reibungslos
laufen. Ich war keine Ausnahme. Ich war dabei, Wissen-
schaftler zu werden und zu lernen, auf logische, leiden-
schaftslose, rationale Art zu denken.
Mein Studium an der medizinischen Fakultät und mei-
ne Fachausbildung an der Universität Yale verstärkten
diese wissenschaftliche Art zu denken noch mehr. Meine
Diplomarbeit befasste sich mit Gehirnchemie und der Rol-
le von Neurotransmittern, den chemischen Botenstoffen
im Gehirn.
Ich schloss mich der neuen Schule der biologisch orien-
tierten Psychiatrie an, wo traditionelle psychiatrische

35
Theorien und Techniken eine Ehe mit der neuen Wissen-
schaft der Gehirnchemie eingingen. Ich schrieb viele wis-
senschaftliche Arbeiten, hielt Vorträge bei Konferenzen
und wurde ein ziemliches Ass auf meinem Gebiet. Ich war
von meiner Arbeit fast besessen und unflexibel, aber das
waren nützliche Eigenschaften für einen Arzt. Ich fühlte
mich absolut in der Lage, jeden Menschen zu behandeln,
der für eine Therapie in meine Praxis kam.
Dann wurde aus Catherine plötzlich Aronda, ein junges
Mädchen, das 1863 vor Christi Geburt gelebt hatte. Oder
war es umgekehrt?
Und da kam sie wieder zur Praxistür herein, glücklicher,
als ich sie je gesehen hatte. Erneut machte ich mir Sorgen,
Catherine würde sich vielleicht vor einer Fortführung der
Sitzungen fürchten, doch sie bereitete sich begierig auf die
Hypnose vor und war schnell eingetaucht:
»Ich werfe Blumenkränze aufs Wasser. Es ist eine Zere-
monie. Ich habe blonde Zöpfe und trage ein braunes Kleid
mit Gold und dazu Sandalen. Jemand ist gestorben,
jemand im Königshaus ... die Mutter. Ich bin eine Dienerin
im Königshaus, ich helfe mit dem Essen. Wir legen die
Körper der Toten dreißig Tage lang in Salzwasser. Sie
trocknen aus, und die Organe werden herausgenommen.
Ich rieche sie, ich rieche diese Körper.«
Sie war spontan in ihr Leben als Aronda zurückgekehrt,
doch zu einem anderen Zeitpunkt, als es ihre Aufgabe war,
die Körper der Verstorbenen für ihre letzte Reise vorzu-
bereiten.
»In einem anderen Gebäude«, fuhr Catherine fort, »kann
ich die Leichen sehen. Wir wickeln sie ein. Die Seele geht
weiter. Du nimmst deine Besitztümer mit dir, um für das
nächste, größere Leben vorbereitet zu sein.« Sie vertrat
scheinbar eine ägyptische Auffassung des Lebens und des
Jenseits, die sich sehr stark von unserem Glauben abhebt.
In dieser Religion konnte man alles mitnehmen.
Sie verließ dieses Leben, ruhte sich aus und wartete
mehrere Minuten, bis sie offenbar in eine uralte Zeit ein-
ging.
))Ich sehe Eis, das in einer Höhle hängt ... Steine ... « Vage
beschrieb sie einen dunklen und schrecklichen Ort. Ihr
war jetzt sichtlich unwohl. Später beschrieb sie, was sie
von sich selbst wahrgenommen hatte: ))Ich war hässlich,
schmutzig und stank.« Sie machte sich auf die Suche nach
einem anderen Leben.
))Ich sehe mehrere Gebäude und einen Wagen mit stei-
nernen Rädern. Meine Hand ist braun und von einem
Tuch bedeckt. Im Wagen ist Stroh. Ich bin glücklich. Mein
Vater ist bei mir ... Er umarmt mich ... Es ist ... , es ist Ed-
ward [der Kinderarzt, der darauf bestand, dass sie mich
aufsuchte]. Er ist mein Vater. Wir leben in einem Tal mit
Bäumen. Im Hof sind Oliven- und Feigenbäume. Die Leu-
te schreiben auf Papier. Es stehen komische Zeichen da-
rauf, wie Buchstaben. Manche Leute schreiben den ganzen
Tag und stellen eine Bibliothek her. Es ist 1536 vor Chris-
tus. Das Land ist unfruchtbar. Mein Vater heißt Perseus.«
Das Jahr stimmte nicht überein, aber ich war überzeugt,
dass sie sich in demselben Leben befand wie anlässlich der
Sitzung in der vorangegangenen Woche. Ich führte sie zeit-
lich voraus, blieb aber im selben Leben.
))Mein Vater kennt Sie. [Sie meinte mich.l Sie und er

37
sprechen von Ernten, Gesetzen und Regierungsgeschäften.
Er sagt, Sie seien sehr klug, und ich solle auf Sie hören.«
Ich führte sie weiter in der Zeit. »Er [Vater] liegt in einem
dunklen Zimmer. Er ist alt und krank. Es ist kalt ... Ich füh-
le mich so leer.« Sie reiste in der Zeit voraus bis zu ihrem
eigenen Tod. »Jetzt bin ich alt und schwach. Meine Toch-
ter ist da, neben meinem Bett. Mein Mann ist bereits ge-
storben. Der Mann meiner Tochter und ihre Kinder sind
auch da. Es sind viele Leute anwesend.«
Dieses Mal starb sie einen friedlichen Tod. Sie schwebte
dahin. Schweben? Das erinnerte mich an Dr. Raymond
Moodys Studien von Menschen mit Nahtoderlebnissen.
Seine Versuchspersonen waren geschwebt und dann in
ihren Körper zurückgezogen worden. Ich hatte dieses Buch
einige Jahre zuvor gelesen und nahm mir vor, diese Lektüre
zu wiederholen. Ich fragte, ob Catherine nach diesem Tod
noch mehr sehen könne, aber sie sagte nur: »Ich schwebe
einfach.« Ich weckte sie auf und beendete die Sitzung.
Mit einem neuen, unersättlichen Hunger nach wissen-
schaftlichen Abhandlungen zum Thema Wiedergeburt
machte ich mich in verschiedenen Bibliotheken auf die
Suche. Ich studierte die Arbeiten von Dr. lan Stevenson,
einem angesehenen Professor für Psychiatrie an der Uni-
versität Virginia, der auf seinem Fachgebiet sehr viel ver-
öffentlicht hat. Dr. Stevenson sammelte über zweitausend
Fälle von Kindern mit wiedergeburtähnlichen Erinnerun-
gen und Erfahrungen. Viele von ihnen neigten zur Xeno-
glossie, der Fähigkeit, eine fremde Sprache zu sprechen, der
man nie ausgesetzt gewesen ist. Seine Fallstudien sind sehr
umfassend, gut recherchiert und überaus bemerkenswert.
Ich las eine ausgezeichnete wissenschaftliche Über-
blicksdarstellungvon Edgar Mitchell. Mit großem Interes-
se durchforstete ich die ASW-Daten (ASW = außersinn-
liche Wahrnehmung) der Duke-Universität und die
Schriften von Professor C.J. Ducasse der Brown-Univer-
sität, und ich analysierte die Studien von Dr. Martin Ebon,
Dr. Helen Wambach, Dr. Gertrude Schmeichler, Dr. Fre-
derick Lenz und Dr. Edith Fiore. Je mehr ich las, desto
mehr wollte ich wissen. Ich begann einzusehen, dass ich
nur eine sehr beschränkte Ausbildung genossen hatte, auch
wenn ich der Meinung gewesen war, ich sei über jede Di-
mension des Gehirns sehr gut informiert. Es gibt ganze
Bibliotheken voll von dieser Art Forschungsliteratur, und
nur wenige Menschen wissen davon. Viele von diesen
Untersuchungen wurden von namhaften Kliniken und
Wissenschaftlern durchgeführt, verifiziert und repliziert.
War es möglich, dass sie sich alle irrten oder täuschten?
Die Beweise schienen überwältigend zu sein, doch ich hat-
te immer noch meine Zweifel. Überwältigend oder nicht,
ich fand es schwer, daran zu glauben.
Sowohl Catherine als auch ich waren, jeder auf seine ei-
gene Weise, bereits tief von unserer Erfahrung beeinflusst
worden. Ihr ging es emotional besser, und ich erweiterte
den Horizont meines Bewusstseins. Catherine war viele
Jahre von ihren Ängsten geplagt worden und machte end-
lich Fortschritte. Ob durch tatsächliche Erinnerungen oder
lebhafte Fantasien, ich hatte einen Weg gefunden, um ihr
zu helfen, und ich würde jetzt nicht aufgeben.
Für einen kurzen Augenblick dachte ich über das alles
nach, als Catherine am Anfang der nächsten Sitzung in

39
ihre Trance glitt. Vor dem Beginn der Hypnose hatte sie
mir einen Traum erzählt, in dem auf alten Steinstufen ein
Spiel gespielt wurde, und zwar auf einem Schachbrett mit
Löchern. Dieser Traum war ihr besonders stark in Erinne-
rung geblieben. Jetzt hieß ich sie, sich über die normalen
Grenzen von Raum und Zeit hinauszubegeben und zu
sehen, ob der Traum Wurzeln in einem früheren Leben
hatte.
»Ich sehe Stufen, die zu einem Turm führen ... mit Aus-
blick auf die Berge und auch über das Meer. Ich bin ein
Knabe ... Mein Haar ist blond ... , eigenartiges Haar. Meine
Kleider sind kurz, braun und weiß und aus Tierhäuten ge-
fertigt. Es sind einige Männeroben auf dem Turm und hal-
ten Ausschau ... , Wachen. Sie sind schmutzig. Sie spielen
ein Spiel wie Schach, aber es ist nicht Schach. Das Brett ist
rund, nicht viereckig. Sie spielen mit spitzen, dolchartigen
Figuren, die in die Löcher passen. Die Figuren haben Tier-
köpfe. Kirustan [phonetische Schreibweise]? Aus den
Niederlanden, um 1473.«
Ich fragte sie nach dem Namen des Orts, wo sie lebte,
und ob sie eine Jahreszahl sehen oder hören könnte. »Ich
bin jetzt in einem Hafen; das Land neigt sich zum Meer.
Ich sehe eine Festung ... und Wasser, ich sehe eine Hütte ...
Meine Mutter kocht etwas in einem irdenen Topf. Mein
Name ist Johan.«
Sie schritt bis zum Augenblick ihres Sterbens vor. An
diesem Punkt in unseren Sitzungen suchte ich immer noch
nach dem überwältigenden traumatischen Einzelereignis,
das die Symptome in ihrem gegenwärtigen Leben verur-
sachte oder erklären würde. Sogar wenn diese bemerkens-
wert ausführlichen Visualisierungen Fantasien waren, und
dessen war ich mir nicht sicher, konnte auch das, was sie
glaubte, ihre Symptome auslösen. Schließlich hatte ich
Patienten gehabt, die unter ihren Träumen litten. Manche
konnten sich nicht erinnern, ob ein Kindheitstrauma tat-
sächlich geschehen war oder nur im Traum stattgefunden
hatte. Dennoch verfolgte sie die Erinnerung jenes Traumas
als Erwachsene immer noch.
Was ich noch nicht ganz begriffen hatte, war, dass die
ständige, tagtägliche Einwirkung von negativen Einflüs-
sen, wie zum Beispiel die beißende Kritik eines Elternteils,
viel mehr psychischen Schaden anrichten kann, als durch
einen einzigen traumatischen Anlass verursacht wird. Weil
sie sich im alltäglichen Hintergrund unseres Lebens verlie-
ren, ist es sogar noch viel schwieriger, sich an diese schäd-
lichen Einflüsse zu erinnern und sie auszutreiben. Ein
ständig kritisiertes Kind kann genauso viel Selbstvertrauen
und Selbstwertgefühl einbüßen wie eines, das sich daran
erinnert, an einem spezifischen, schrecklichen Tag ge-
demütigt worden zu sein. Ein Kind, dessen Familie wenig
Geld hat und täglich an der Nahrung sparen muss, wird
mit der Zeit vielleicht unter denselben psychischen Prob-
lemen leiden wie eines, das ein zufälliges Erlebnis hatte,
wo es beinahe verhungerte. Bald würde ich erkennen müs-
sen, dass die tagtäglichen Schläge negativer Kräfte mit der-
selben Aufmerksamkeit erkannt und aufgelöst werden
müssen, wie sie einzelnen traumatischen Ereignissen ein-
geräumt wird.
Catherine hob zu sprechen an.
»Es sind Boote da, wie Kanus, in leuchtenden Farben.
Die Gegend um Providence [Rhode Island - Anm. d.
Übers]. Wir haben Waffen, Speere, Schlingen, Pfeile und
Bogen, aber größer. Es sind große, eigenartige Ruder im
Boot ... Alle müssen rudern. Vielleicht sind wir verloren, es
ist dunkel. Es gibt keine Lichter. Ich habe Angst. Es sind
andere Boote bei uns [scheinbar Angreifer]. Ich habe Angst
vor Tieren. Wir schlafen auf dreckigen, übel riechenden
Tierhäuten. Wir sind Kundschafter. Meine Schuhe sehen
komisch aus ... Bänder um die Fesseln ... aus Tierhäuten.
[Lange Pause.] Mein Gesicht ist heiß wie Feuer. Meine
Leute töten die anderen, aber ich nicht. Ich will nicht
töten. Ich halte mein Messer in der Hand.«
Plötzlich begann sie zu würgen und nach Atem zu rin-
gen. Sie berichtete, dass ein feindlicher Kämpfer sie von
hinten an der Gurgel gepackt und ihr mit seinem Messer
die Kehle durchschnitten habe. Ehe sie starb, sah sie das
Gesicht ihres Mörders. Es war Stuart. Er sah damals anders
aus, aber sie wusste, dass er es war. Johan war im Alter von
einundzwanzig Jahren gestorben.
Als Nächstes fand sie sich über ihrem Körper schwebend
wieder und beobachtete das Geschehen unter ihr. Erstaunt
und verwirrt schwebte sie zu den Wolken hoch. Bald spür-
te sie, wie sie von einem »kleinen, warmen« Ort angezogen
wurde. Sie war dabei, geboren zu werden.
»Jemand hält mich«, flüsterte sie langsam und träume-
risch, »jemand, der bei der Geburt geholfen hat. Sie hat ein
grünes Kleid an und eine weiße Schürze. Sie trägt eine
weiße Haube, die an den Ecken zurückgefaltet ist. Das
Zimmer hat eigenartige Fenster ... , viele Unterteilungen.
Das Haus ist aus Stein. Meine Mutter hat langes, dunkles
Haar. Sie möchte mich halten. Sie hat ein komisches ...
raues Nachthemd an. Es tut weh, sich an ihm zu reiben. Es
ist schön, wieder im Licht und in der Wärme zu sein ...
Es ist ... , es ist dieselbe Mutter, die ich jetzt habe!«
Während der letzten Sitzung hatte ich sie angewiesen,
die bedeutsamen Menschen in ihren früheren Leben gut zu
beobachten, um zu sehen, ob sie für sie auch in ihrem jet-
zigen Leben als Catherine eine Rolle spielten. Die meisten
Autoren sind sich einig, dass Gruppen von Seelen dazu
neigen, über die Zeitspanne vieler Leben immer wieder ge-
meinsam auf die Welt zu kommen, um Karma abzutragen
(Schulden gegenüber anderen und sich selbst, Lektionen,
die zu lernen sind}.
Bei meinen Versuchen, dieses fremdartige, spektakuläre
Drama zu verstehen, das, ohne dass der Rest der Welt
davon wusste, in meinem ruhigen, schwach beleuchteten
Praxiszimmer vor meinen Augen abrollte, wollte ich diese
Informationen gleichzeitig auch prüfen. Es war mir ein Be-
dürfnis, die wissenschaftliche Methode anzuwenden, die
ich über die letzten fünfzehn Jahre in meinen Forschungen
eingesetzt hatte, um dieses höchst ungewöhnliche Material
auszuwerten, das von Catherines Lippen floss.
Zwischen den Sitzungen entwickelte Catherine ihre
medialen Fähigkeiten. Sie hatte Intuitionen über Leute
und Begebenheiten, die sich als wahr erwiesen. Unter
Hypnose hatte sie angefangen, meine Fragen vorwegzu-
nehmen, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, sie zu
stellen. Viele von ihren Träumen besaßen eine präkogni-
tive Komponente.
Bei einer Gelegenheit, als ihre Eltern zu Besuch kamen,

43
machte ihr Vater seinen grogen Zweifeln Luft über das,
was ihr geschah. Um ihm zu beweisen, dass sie die Wahr-
heit sprach, nahm sie ihn mit zum Pferderennen. Dort, vor
seinen Augen, begann sie den Gewinner eines jeden Ren-
nens vorherzusagen. Er war außer sich. Als ihr klar war,
dass sie ihn überzeugt hatte, nahm sie das ganze Geld, das
sie gewonnen hatte, und gab es dem erstbesten armen Teu-
fel, dem sie auf ihrem Heimweg auf der Straße begegnete.
Sie hatte das intuitive Gefühl, dass ihre neu entdeckten
spirituellen Kräfte nicht für finanzielle Zwecke eingesetzt
werden durften. Für sie hatten sie eine viel höhere Bedeu-
tung. Sie gestand, dass diese Erfahrung ihr ein bisschen
unheimlich war, aber sie fühlte sich so zufrieden mit den
Fortschritten, die sie gemacht hatte, dass sie begierig war,
mit den Rückführungen fortzufahren. Ich war sowohl
schockiert als auch fasziniert von ihren erwachenden me-
dialen Fähigkeiten, besonders von ihrem Erlebnis auf der
Rennbahn, für das sie handfeste Beweise mitbrachte. Sie
hatte die Gewinnkarten aller Rennen an diesem Nachmit-
tag aufbewahrt. Das konnte kein Zufall sein. Etwas sehr
Merkwürdiges ging in diesen wenigen letzten Wochen vor
sich. Ich rang mit mir und meiner bisherigen Sichtweise
der Dinge. Ich konnte ihre medialen Fähigkeiten nicht
leugnen. Und wenn diese Fähigkeiten real waren und
handfeste Beweise hervorbrachten, könnten dann ihre Be-
richte über frühere Leben nicht auch wahr sein?
Jetzt kehrte sie zu dem Leben zurück, in das sie in jener
Sitzung gerade hineingeboren worden war. Diese Inkarna-
tion schien weniger weit zurückzuliegen, aber sie konnte
mir kein Jahr nennen. Ihr Name war Elizabeth.

44
»Ich bin jetzt schon älter und habe einen Bruder und zwei
Schwestern. Das Abendessen steht auf dem Tisch ... Mein
Vater ist da ... , es ist Edward [der Kinderarzt, der ein zweites
Mal als ihr Vater auftritt]. Meine Mutter und mein Vater
streiten sich schon wieder. Das Essen besteht aus Kartoffeln
und Bohnen. Er ist wütend, weil sie kalt sind. Sie streiten
sich häufig. Dauernd trinkt er. Er schlägt meine Mutter.
[Catherines Stimme klang ängstlich, und sie zitterte merk-
lich.] Er schubst die Kinder. Er ist nicht der, der er früher
war, nicht derselbe Mensch. Ich mag ihn nicht. Wenn er
nur gehen würde.« Sie sprach wie ein kleines Kind.
Mein Vorgehen bei der Befragung war in diesem Fall
schon sehr verschieden von dem, was ich in der konven-
tionellen Psychiatrie anwandte. Mit Catherine verhielt ich
mich mehr wie ein Führer und versuchte, ein ganzes Leben
in ein oder zwei Stunden durchzugehen, auf der Suche
nach traumatischen Ereignissen und schädlichen Mustern,
die ihre gegenwärtigen Symptome erklären würden. Eine
konventionelle Therapie wird viel langsamer und detail-
lierter abgewickelt. Bei jedem Wort, das der Patient wählt,
wird nach Untertönen und verstecktem Sinn gesucht. Je-
der Gesichtsausdruck, jede Körperbewegung, jede Modu-
lation der Stimme wird in Betracht gezogen und ausge-
wertet. Jede emotionale Reaktion wird unter die Lupe
genommen. Verhaltensmuster werden mühsam zusam-
mengesetzt. Bei Catherine konnten Jahre innerhalb von
Minuten verstreichen. Catherines Sitzungen waren, als
würde man bei Höchstgeschwindigkeit in die Achterbahn
einsteigen und dann versuchen, in der Menge einzelne Ge-
sichter auszumachen.

45
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Catherine zu
und bat sie, in der Zeit vorwärts zu reisen.
))Jetzt bin ich verheiratet. Unser Haus besteht aus einem
einzigen großen Raum. Mein Mann hat blondes Haar. Ich
kenne ihn nicht. [Das heißt, dass er in Catherines gegen-
wärtigem Leben bisher nicht vorkommt.] Wir haben noch
keine Kinder ... Er ist sehr nett zu mir. Wir lieben einander
und sind glücklich.« Offenbar war es ihr gelungen, sich
von der Misere ihres Elternhauses zu befreien. Ich fragte
sie, ob sie die Gegend erkannte, in der sie lebte.
))Brennington?«, flüsterte Catherine zögernd. ))Ich sehe
Bücher mit komischen Einbänden. Die großen werden mit
einer Schnalle geschlossen. Es ist die Bibel. Es sind große
und schöne Buchstaben drin ... Gälisch.«
Dann sagte sie einige Worte, die ich nicht verstand. Ich
habe keine Ahnung, ob es Gälisch war oder nicht.
))Wir leben im Hinterland und nicht an der Küste. Be-
zirk ... Brennington? Ich sehe einen Bauernhof mit Schwei-
nen und Lämmern. Es ist unser Hof.« Sie war in der Zeit
fortgeschritten. ))Wir haben zwei Söhne ... Der ältere wird
heiraten. Ich kann den Kirchturm sehen ... , ein sehr altes
Steingebäude.« Plötzlich tat ihr Kopf weh. Catherine litt
Schmerzen und berührte ihre linke Schläfe. Sie berichtete,
sie sei auf den Steinstufen ausgerutscht, aber sie habe sich
erholt. Sie starb an Altersschwäche, zu Hause in ihrem Bett
und in Anwesenheit ihrer Familie.
Wieder schwebte sie nach dem Tode aus ihrem Körper,
doch diesmal war sie nicht überrascht oder verwirrt.
))Ich bin mir eines hellen Lichts bewusst. Es ist wunder-
bar, man kriegt Energie von diesem Licht.« Sie ruhte sich
zwischen zwei Leben aus. Minuten verstrichen in Ruhe.
Plötzlich sprach sie wieder, aber nicht im langsamen
Flüsterton, den sie zuvor immer angeschlagen hatte. Ihre
Stimme war jetzt tief, laut und bestimmt:
»Unsere Aufgabe ist es, zu lernen, durch Wissen gott-
ähnlich zu werden. Du bist hier, um mein Lehrer zu sein.
Ich habe so viel zu lernen. Durch Wissen nähern wir uns
Gott und können uns ausruhen. Dann kommen wir zu-
rück, um anderen zu helfen.«
Ich war sprachlos. Sie erteilte mir eine Lehre aus dem
Jenseits, dem Zwischenreich. Woher kam dieses Material?
Es klang überhaupt nicht wie Catherine. Sie hatte bislang
nie auf diese Weise gesprochen, noch hatte sie solche Wor-
te und einen solchen Satzbau benutzt. Sogar die Tonlage
ihrer Stimme war völlig anders.
In jenem Moment war mir nicht klar, dass diese Gedan-
ken nicht von Catherine stammten, auch wenn sie sie aus-
gesprochen hatte. Sie gab das weiter, was man ihr sagte.
Später identifizierte sie Meister, hochentwickelte Seelen,
die sich gegenwärtig nicht in einem Körper befanden, als
die Quelle. Durch Catherine vermochten sie mit mir zu
sprechen. Nicht nur konnte Catherine in frühere Leben
zurückgeführt werden, sondern sie war jetzt auch in der
Lage, Wissen aus dem Jenseits zu empfangen. Na wunder-
bar. Ich rang um Objektivität.
Eine neue Dimension war hinzugekommen. Catherine
hatte die Arbeiten von Dr. Elisabeth Kübler-Ross oder Dr.
Raymond Moody nicht gelesen, die beide über Nahtod-
erfahrungen berichtet haben. Sie hatte nie vom Tibetischen
Totenbuch gehört, doch schilderte sie ähnliche Erfahrun-

47
gen, wie sie in diesen Schriften beschrieben werden. Das
war eine Art Beweis. Wenn es nur mehr Fakten gäbe, mehr
handfeste Einzelheiten, die ich überprüfen könnte. Meine
Skepsis schwankte, aber sie blieb bestehen. Vielleicht hat-
te sie in einer Zeitschrift über Nahtoderfahrungen gelesen,
oder sie hatte im Fernsehen ein entsprechendes Interview
gesehen. Auch wenn sie leugnete, sich bewusst an einen
solchen Artikel oder eine solche Sendung zu erinnern, heg-
te sie vielleicht eine unbewusste Erinnerung daran. Aber
sie ging über diese Schriften hinaus und hatte eine Bot-
schaft aus dem Zwischenreich übermittelt. Wenn ich doch
nur mehr Fakten zur Verfügung hätte!
Als sie aufwachte, erinnerte sich Catherine, wie immer,
an die Einzelheiten ihrer vergangeneo Leben. Sie konnte
sich jedoch nicht an irgendetwas erinnern, das nach ihrem
Tod als Elizabeth stattgefunden hatte. In Zukunft würde
sie sich nie an Einzelheiten aus den Zwischenzuständen
erinnern. Sie erinnerte sich lediglich an frühere Leben.
))Durch Wissen nähern wir uns Gott.« Wir hatten uns
auf den Weg gemacht.
4

»Ich sehe ein viereckiges weißes Haus mit einer Sand-


straße davor. Menschen auf Pferden reiten hin und her.«
Catherine sprach in ihrem gewohnten träumerischen Flüs-
terton. »Es sind Bäume dort ... , eine Plantage, ein sehr gro-
ßes Haus mit einer Gruppe kleiner Häuser wie Sklaven-
hütten. Es ist sehr heiß. Wir sind im Süden ... Virginia?«
Sie meinte, das Datum sei 1873. Sie war ein Kind.
»Ich sehe Pferde und viele Felder ... , Mais, Tabak.« Sie
und die anderen Bediensteten aßen in der Küche des gro-
ßen Hauses. Sie war schwarz und hieß Abby. Dann hatte
sie eine Vorahnung, ihr Körper verkrampfte sich. Das
Haupthaus stand in Flammen, und sie schaute zu, wie es
abbrannte. Ich führte sie fünfzehn Jahre voraus bis ins Jahr
1888.
»Ich trage ein altes Kleid, reinige einen Spiegel im zwei-
ten Stock eines Hauses, ein Steinhaus mit Fenstern ... , mit
vielen Scheiben. Der Spiegel ist wellig, nicht flach, und hat
Knöpfe an den Enden. Der Mann, dem das Haus gehört,
heißt James Manson. Er trägt einen eigenartigen Mantel
mit drei Knöpfen und einem großen schwarzen Kragen. Er
hat einen Bart ... Ich erkenne ihn nicht [als jemand, der in
Catherines heutigem Leben vorkommt]. Er behandelt mich
gut. Ich lebe in einem Haus auf dem Besitz. Ich putze die

49
Zimmer. Es ist eine Schule auf dem Grundstück, aber ich
darf sie nicht betreten. Ich mache auch Butter!«
Catherine flüsterte langsam, gebrauchte einfache Worte
und achtete sehr auf Einzelheiten. Während der nächsten
fünf Minuten erfuhr ich, wie man Butter macht. Abbys
Wissen über das Buttern war Catherine ebenfalls neu. Ich
führte sie zeitlich voran.
»Ich bin mit jemandem zusammen, aber ich glaube
nicht, dass wir verheiratet sind. Wir schlafen zusammen ... ,
aber wir leben nicht immer zusammen. Ich habe ein gutes
Gefühl dabei, aber mehr nicht. Ich sehe keine Kinder, son-
dern Apfelbäume und Enten und andere Leute in der Feme.
Ich pflücke Apfel. Etwas macht, dass meine Augen
jucken.« Catherine schnitt eine Grimasse mit geschlosse-
nen Augen. »Es ist der Rauch. Der Wind bläst ihn in mei-
ne Richtung ... , Rauch von brennendem Holz. Sie verbren-
nen Holzfässer.« Jetzt hustete sie. »Das passiert häufig. Sie
schwärzen das Innere der Fässer ... Teer ... , um sie wasser-
dicht zu machen.«
Nach der Aufregung der Sitzung der vergangeneo Woche
war ich begierig, erneut in den Zwischenbereich zu gelan-
gen. Wir hatten bereits neunzig Minuten damit zugebracht,
ihr Leben als Dienstmagd zu untersuchen. Ich hatte von
Bettüberwürfen, Butter und Fässern gehört und war hung-
rig nach einer spirituelleren Lehre. Ich gab meine Geduld
auf und führte sie bis zum Augenblick ihres Todes.
>>Das Atmen fällt mir schwer. Meine Brust tut so weh.«
Catherine schnappte nach Luft und litt offensichtlich
Schmerzen. »Mein Herz tut mir weh, es schlägt ganz schnell.
Ich friere so sehr ... Mein Körper schüttelt sich.« Catherine
fing an zu zittern. »Es sind Leute im Zimmer, die mir Blät-
ter zu trinken geben [einen Tee]. Es riecht eigenartig. Sie
reiben mir ein Mittel auf die Brust. Fieber ... , aber mir ist
sehr kalt.« Still starb sie. Als sie zur Decke emporschweb-
te, konnte sie ihren Körper im Bett liegen sehen, eine
kleine, zusammengeschrumpfte Frau in den Sechzigern.
Sie glitt einfach dahin und wartete auf jemanden, der ihr
helfen würde. Dann wurde sie sich eines Lichts gewahr,
von dem sie sich angezogen fühlte. Das Licht wurde lang-
sam heller und leuchtete stärker. Wir warteten in Ruhe,
während die Minuten langsam verstrichen. Plötzlich
war sie in einem anderen Leben, Tausende von Jahren vor
Abby.
Catherine flüsterte leise: »Ich sehe ganz viel Knoblauch,
der in einem offenen Raum hängt. Ich kann ihn riechen.
Man glaubt, er würde viele Übel im Blut töten und den
Körper reinigen, doch man muss ihn jeden Tag nehmen.
Auch draußen ist Knoblauch, oben im Garten. Es gibt
auch andere Kräuter ... , Feigen, Datteln und andere Kräu-
ter. Diese Pflanzen helfen dir. Meine Mutter kauft Knob-
lauch und andere Kräuter. Jemand im Haus ist krank. Das
sind eigenartige Wurzeln, etwas, das man einfach im
Mund behält, in die Ohren oder andere Körperöffnungen
steckt. Man lässt sie einfach dort stecken.
Ich sehe einen alten Mann mit einem Bart. Er ist einer
der Heiler des Dorfes. Er sagt einem, was man tun soll. Es
herrscht eine Art Pest ... , die die Leute umbringt. Sie wer-
den nicht einbalsamiert, weil alle Angst vor der Krankheit
haben. Die Toten werden einfach nur begraben. Darüber
sind die Leute unglücklich. Sie meinen, die Seelen können
auf diese Weise nicht weiterreisen [im Gegensatz zu
Catherines Berichten über die Ereignisse nach dem Tod].
Doch so viele sind schon gestorben. Auch das Vieh stirbt.
Wasser ... , Überschwemmungen ... , die Menschen sind krank
wegen der Überschwemmungen. [Offenbar hatte sie ge-
rade dieses bisschen Epidemiologie verstanden.] Ich habe
auch irgendeine Krankheit vom Wasser, die macht, dass
mir der Magen schmerzt. Die Krankheit steckt in den Ein-
geweiden und im Magen. Der Körper verliert sehr viel Was-
ser. Ich gehe zum Wasser, um noch mehr davon zu holen,
aber das bringt uns um. Ich trage das Wasser zurück. Ich
sehe meine Mutter und meine Brüder. Mein Vater ist be-
reits gestorben. Meine Brüder sind sehr krank.«
Ich wartete, bis ich sie weiterführte. Es faszinierte mich,
wie ihre Konzepte vom Tod und dem Leben danach sich
von einem Leben zum nächsten so sehr veränderten. Den-
noch war ihre Erfahrung des eigentlichen Todes sehr gleich
bleibend und jedes Mal ganz ähnlich: Ein bewusster Teil
von ihr verließ den Körper im Augenblick des Todes,
schwebte über ihm und wurde dann von einem wunder-
schönen, energetisierenden Licht angezogen. Dann war-
tete sie darauf, dass jemand kommen und ihr helfen würde.
Die Seele wanderte automatisch weiter. Einbalsamierung,
Begräbnisse oder jeder andere Brauch rund um das Ster-
ben hatten nichts damit zu tun. Es geschah automatisch,
ohne erforderliche Vorbereitungen, als ginge man durch
eine sich öffnende Tür.
))Das Land ist unfruchtbar und trocken ... Ich sehe hier
keine Berge, nur die Ebene, sehr flach und trocken. Einer
meiner Brüder ist gestorben. Ich fühle mich besser, aber
der Schmerz ist immer noch da.« Sie lebte jedoch nicht viel
länger. »Ich liege auf einer Bahre mit irgendeiner Decke
über mir.« Sie war sehr krank, und weder Knoblauch noch
andere Kräuter konnten sie vor dem Tod retten. Bald
schwebte sie über ihrem Körper und wurde vom bekann-
ten Licht angezogen. Sie wartete geduldig, bis jemand sie
abholte.
Ihr Kopfbegann langsam von einer Seite zur anderen zu
rollen, als würde sie irgendeine Landschaft absuchen. Ihre
Stimme war wieder tief und laut:
»Man sagt mir, es gäbe viele Götter, denn Gott ist in
jedem von uns.«
Ich erkannte die Stimme der Zwischenlebenzustände
wieder an ihrer Tiefe und auch am entschieden spirituellen
Ton ihrer Botschaft. Was sie sagte, raubte mir den Atem
und presste mir die Luft aus den Lungen.
»Dein Vater ist hier und dein Sohn, der ein kleines Kind
ist. Dein Vater sagt, du wirst ihn erkennen, weil sein Name
Avrom ist und deine Tochter nach ihm benannt wurde.
Überdies kam sein Tod durch sein Herz. Bei diesem Sohn
war es auch das Herz, denn es lag verkehrt wie bei einem
Huhn. Aus Liebe zu dir hat er für dich ein großes Opfer
gebracht. Seine Seele ist sehr fortgeschritten. Sein Tod be-
glich die Schuld seiner Eltern. Auch wollte er dir zeigen,
dass die Medizin ihre Grenzen hat und ihr Spielraum sehr
eng ist.«
Catherine hörte auf zu sprechen, und ich verharrte in
ehrfurchtsvollem Schweigen, während mein betäubter Ver-
stand versuchte, Ordnung in die Dinge zu bringen. Das
Zimmer fühlte sich eiskalt an.

53
Catherine wusste sehr wenig über mein Privatleben. Auf
meinem Schreibtisch stand ein Bild von meiner Tochter
als Baby, auf dem sie glücklich mit ihren unteren zwei
Babyzähnen grinste, die sich in ihrem sonst leeren Mund
befanden. Das Bild meines Sohnes stand daneben. Abge-
sehen davon wusste Catherine praktisch nichts über meine
Familie oder meine persönliche Geschichte. Man hatte
mich gründlich in den traditionellen psychotherapeuti-
schen Techniken geschult. Der Therapeut hatte eine Tabu-
la rasa zu sein, eine leere Tafel, auf die der Patient seine
eigenen Gefühle, Gedanken und Einstellungen projizieren
konnte. Diese wurden daraufhin vom Therapeuten analy-
siert, um das Bewusstsein des Patienten zu erweitern. Ich
hatte bei Catherine diese therapeutische Distanz bewahrt.
Sie kannte mich wirklich nur als Psychiater und wusste
nichts von meiner Vergangenheit oder meinem Privat-
leben. Ich hatte nicht einmal meine Diplome in meinem
Büro aufgehängt.
Die größte Tragödie meines Lebens war der unerwartete
Tod meines Erstgeborenen gewesen, eines Sohnes namens
Adam, der nur dreiundzwanzig Tage alt war, als er Anfang
1971 starb. Etwa zehn Tage nachdem wir ihn aus der
Klinik nach Hause geholt hatten, hatte er Atemprobleme
bekommen und Blut erbrochen. Die Diagnose war äußerst
schwer zu stellen gewesen. »Völlig anormale Drainage des
Lungengewebes mit einem atrialen septalen Defekt«, sagte
man uns. ))Das kommt etwa einmal auf zehn Millionen Ge-
burten vor.« Die Lungenvenen, die sauerstoffangereicher-
tes Blut zurück zum Herzen führen sollten, lagen verkehrt
und traten auf der falschen Seite in das Herz ein. Es war,

54
als wäre sein Herz nach hinten umgestülpt worden. Sehr,
sehr selten kam so etwas vor.
Eine dramatische Operation am offenen Herzen konnte
Adam nicht retten, der einige Tage später starb. Wir trau-
erten monatelang; alle unsere Hoffnungen und Träume
schienen zerstört zu sein. Unser Sohn Jordan, der ein Jahr
später auf die Welt kam, war ein willkommener Balsam
für unsere Wunden.
Zu der Zeit, als Adam starb, hatte ich daran gezweifelt,
ob eine psychiatrische Karriere die richtige Wahl gewesen
war. Ich genoss meine Assistenzzeit in der Inneren Medi-
zin, und man hatte mir einen Posten als Arzt angeboten.
Nach Adams Tod entschloss ich mich endgültig, die Psy-
chiatrie zu meinem Beruf zu machen. Ich war voller Wut,
dass die moderne Medizin, mit all ihren fortgeschrittenen
Möglichkeiten und Technologien, meinen Sohn nicht hatte
retten können, dieses einfache, winzige Baby.
Mein Vater war bei ausgezeichneter Gesundheit gewe-
sen, bis er Anfang 1979 im Alter von einundsechzig Jahren
einen schweren Herzanfall erlitt. Er überlebte den ur-
sprünglichen Infarkt, doch seine Herzkammer war so an-
gegriffen, dass er drei Tage danach starb. Das war etwa
neun Monate vor Catherines erstem Termin geschehen.
Mein Vater war ein gläubiger Mensch gewesen, aber
mehr im Sinne der Rituale als spirituell. Sein hebräischer
Name, Avrom, passte besser zu ihm als das englische
Alvin. Vier Monate nach seinem Tod wurde unsere Toch-
ter Amy geboren und nach ihm benannt.
Hier, 1982, in meiner ruhigen abgedunkelten Praxis,
prasselte eine betäubende Flut von unbekannten, gehei-

55
men Wahrheiten auf mich nieder. Ich schwamm in einem
Meer der Spiritualität und war davon entzückt. Auf mei-
nem Arm fühlte ich eine Gänsehaut. Catherine konnte die-
se Dinge unmöglich wissen. Es gab nicht einmal einen Ort,
wo man sie hätte nachlesen können. Meines Vaters hebräi-
scher Name, dass ich einen Sohn gehabt hatte, der an einer
Säuglingskrankheit gestorben war, die einmal in zehn Mil-
lionen Fällen vorkam, mein Brüten über die Medizin, der
Tod meines Vaters und der Name meiner Tochter - das
war einfach zu viel, zu spezifisch und nur zu wahr. Diese
unbedarfte Laboramin war ein Kanal für transzendentales
Wissen. Und wenn sie diese Wahrheiten enthüllen konn-
te, was war denn da sonst noch? Ich musste es erfahren.
»Wer«, stotterte ich, »wer ist da? Wer erzählt Ihnen diese
Dinge?«
»Die Meister«, flüsterte sie, »die Meisterwesen sagen es
mir. Sie sagen mir, ich hätte sechsundachtzigmal in einem
physischen Körper gelebt.«
Catherine atmete langsamer, und ihr Kopf hörte auf,
von einer Seite zur anderen zu rollen. Sie ruhte sich aus.
Ich wollte weitermachen, aber die Implikationen dessen,
was sie gesagt hatte, lenkten mich ab. Hatte sie wirklich
sechsundachtzig frühere Leben gehabt? Und was war mit
den »Meistern«? War es möglich, dass unser Leben von
Wesen gelenkt wurde, die keinen physischen Körper, aber
großes Wissen zu besitzen schienen? Gab es Schritte auf
dem Weg zu Gott? War dies wirklich? Wegen der Dinge,
die sie mir gerade enthüllt hatte, fand ich es schwer, daran
zu zweifeln, doch rang ich immer noch um Glauben. Ich
hatte eine jahrzehntelange anders lautende Programmie-
rung zu überwinden, aber in meinem Herzen und in mei-
nem Bauch wusste ich, dass sie Recht hatte. Sie offenbarte
Wahrheiten.
Und was war mit meinem Vater und mit meinem Sohn?
Sie lebten gewissermaßen immer noch; sie waren nie wirk-
lich gestorben. Sie sprachen Jahre nach ihrem Tod zu mir
und bewiesen es, indem sie spezifische und sehr geheime
Informationen zur Verfügung stellten. Und wenn das alles
der Wahrheit entsprach, war mein Sohn dann wirklich
geistig so hoch entwickelt, wie Catherine gesagt hatte?
War er einverstanden gewesen, uns nur geboren zu wer-
den, um dreiundzwanzig Tage später zu sterben und uns
mit unseren karmischen Schulden zu helfen, mich darüber
hinaus etwas über die Medizin und die Menschheit zu leh-
ren und mich zurück in die Psychiatrie zu drängen? Diese
Gedanken ermutigten mich sehr. Unter meinem Erschau-
dern fühlte ich eine große Liebe aufsteigen, ein starkes
Gefühl von Einheit und Verbundenheit mit Himmel und
Erde. Mein Vater und mein Sohn hatten mir gefehlt. Es tat
gut, wieder von ihnen zu hören.

Mein Leben würde nie mehr dasselbe sein. Eine Hand hat-
te sich nach mir ausgestreckt und den Verlauf meines Le-
bens unwiderruflich verändert. Meine Literaturstudien, die
ich mit kritischer Vorsicht und skeptischer Distanz unter-
nommen hatte, kamen mir nun in den Sinn. Catherines
Erinnerungen und Botschaften waren also wahr. Meine
Intuitionen über die Richtigkeit ihrer Erfahrungen stimm-
ten. Ich hatte die Fakten und die Beweise.
Doch sogar in jenem Augenblick der Freude und des Er-

57
kennens, sogar im Augenblick der mystischen Erfahrung
brachte der altbekannte, logisch zweifelnde Teil meines
Verstands einen Einwand hervor. Vielleicht war es nur
ASW oder eine andere mediale Begabung. Zugegeben, es
war eine große Begabung, doch bewies sie noch keine
Wiedergeburt oder die Existenz von Meisterwesen. Doch
dieses Mal wusste ich es besser. Die Tausende von belegten
Fällen in der wissenschaftlichen Literatur, vor allem von
Kindern, die fremde Sprachen sprachen, denen sie nie aus-
gesetzt gewesen waren, von Körpermalen anstelle von
früheren tödlichen Wunden, wobei dieselben Kinder oft-
mals wussten, wo Wertgegenstände an Tausende von Mei-
len entfernten Plätzen Jahrzehnte oder Jahrhunderte zuvor
versteckt worden waren, bestätigten Catherines Botschaft.
Ich kannte ihren Charakter und ihren Geist. Sie wusste,
wer sie war und wer nicht. Nein, mein Verstand konnte
mich dieses Mal nicht täuschen. Die Beweise waren zu
stark und zu überwältigend. Ich hatte es mit realen Dingen
zu tun. Im Verlauf unserer Sitzungen würde sie mehr und
mehr an Informationen liefern.
Manchmal vergaß ich in den folgenden Wochen die
Macht und das Unmittelbare jener Sitzung. Gelegentlich
versank ich wieder in meiner Alltagsroutine und sorgte
mich wegen der üblichen Dinge. Zweifel tauchten auf. Es
war, als neigte mein Geist dazu, in alte Muster, alte Ansich-
ten und in die alte Skepsis abzurutschen, wenn ich mich
nicht konzentrierte. Dann hielt ich mir jeweils vor, dass es
wirklich passiert war! Ich erfuhr, wie schwierig es ist, an
diese Begriffe zu glauben, wenn man keine entsprechenden
persönlichen Erfahrungen gemacht hat. Es braucht die Er-
fahrung, um dem intellektuellen Begreifen gefühlsmäßiges
Verstehen an die Seite zu stellen. Doch auch tatsächliche
Erlebnisse verblassen immer bis zu einem gewissen Grad.
Zunächst war mir gar nicht bewusst, wie sehr ich mich
veränderte. Ich wusste, dass ich ruhiger und geduldiger ge-
worden war. Andere sagten mir, wie zufrieden ich aussähe
und dass ich ihnen ausgeruhter und glücklicher erschiene.
Ich empfand mehr Hoffnung, mehr Freude, mehr Sinn und
mehr Befriedigung in meinem Leben. Mir ging auf, dass
ich dabei war, die Angst vor dem Tod zu verlieren. Ich hat-
te keine Angst mehr vor meinem eigenen Tod oder vor
dem Nichts. Ich fürchtete mich weniger davor, andere zu
verlieren, auch wenn sie mir sicherlich fehlen würden. Wie
mächtig ist doch die Angst vor dem Tod! Die Menschen
unternehmen riesige Anstrengungen, um dieser Angst aus
dem Weg zu gehen: Midlife-Crisis, Liebesaffären mit
jüngeren Partnern, kosmetische Operationen, obsessives
Muskeltraining, Anhäufung von materiellem Besitz, Zeu-
gen von Kindern, um den Namen fortbestehen zu lassen,
Versuche, immer jünger auszusehen, und so weiter. Wir
sind schrecklich mit unserem eigenen Tod beschäftigt,
manchmal so sehr, dass wir den wirklichen Sinn unseres
Lebens vergessen.
Ich lebte auch weniger angespannt. Ich brauchte nicht
mehr ständig alles unter Kontrolle zu haben. Doch wenn
ich versuchte, weniger ernst zu sein, fiel mir diese Ver-
wandlung schwer. Ich hatte noch viel zu lernen.
Mein Verstand hatte sich der Möglichkeit und gar der
Wahrscheinlichkeit geöffnet, dass Catherines Äußerungen
der Wahrheit entsprachen. Die unglaublichen Tatsachen

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über meinen Vater und meinen Sohn konnten nicht durch
ihre gewöhnlichen Sinne empfangen worden sein. Ihr Wis-
sen und ihre Fähigkeiten zeugten zweifelsohne von einer
außergewöhnlichen medialen Begabung. Es ergab einen
Sinn, ihr zu glauben, doch ich war nach wie vor besorgt
und skeptisch wegen der Dinge, die ich in der populären
Literatur las. Wer waren diese Leute, die über übersinn-
liche Phänomene berichteten, über das Leben nach dem
Tod und andere erstaunliche paranormale Begebenheiten?
Waren sie überhaupt in der wissenschaftlichen Methode
der Beobachtung und Validierung geschult worden? Trotz
meiner überwältigenden und wunderbaren Erfahrung mit
Catherine wusste ich, dass mein von Natur aus kritischer
Verstand jeder neuen Tatsache und jeder neuen Informa-
tion nachgehen würde. Ich würde die Daten prüfen, um zu
sehen, ob sie in den Rahmen passten, der mit jeder Sitzung
aufgebaut wurde, und ich würde sie von jeder Seite unter
die wissenschaftliche Lupe nehmen. Dennoch konnte ich
nicht länger leugnen, dass dieser Rahmen bereits bestand.

6o
5

Wir befanden uns immer noch mitten in der Sitzung. Ca-


therine beendete ihre Pause und fing an, von einer grünen
Statue vor einem Tempel zu sprechen. Ich erwachte aus
meiner Träumerei und hörte zu. Sie befand sich in einem
altertümlichen Leben, irgendwo in Asien, aber ich war im-
mer noch bei den Meistern. ))Unglaublich«, sagte ich mir.
))Sie spricht von früheren Leben und über die Seelenwan-
derung, und dennoch kommt es mir vor, als sei es nichts im
Vergleich zu den Botschaften der Meister.« Ich hatte je-
doch bereits verstanden, dass sie ein Leben durchleben
musste, ehe sie ihren Körper verlassen und den Zwi-
schenzustand erreichen konnte. Es war ihr nicht möglich,
direkt in diesen Zustand zu treten. Und nur dort konnte sie
die Meister erreichen.
))Die grünen Statuen stehen vor einem großen Tempel-
gebäude«, flüsterte sie leise, ))in einem Gebäude mit Spit-
zen und braunen Kugeln. Es sind siebzehn Stufen davor,
und man kommt in einen Raum, wenn man die Stufen hi-
naufgestiegen ist. Räucherwerk brennt. Niemand trägt
Schuhe. Ihre Köpfe sind kahl geschoren. Sie haben runde
Gesichter, dunkle Augen und eine dunkle Hautfarbe. Ich
bin auch dort. Ich habe meinen Fuß verletzt und bin dort-
hin gegangen, um mir helfen zu lassen. Mein Fuß ist ge-
schwollen, ich kann nicht damit auftreten. Sie legen einige

61
Blätter auf meinen Fuß, unbekannte Blätter ... Tannis?
[Tannin oder Gerbsäure, das in der Natur in den Wurzeln,
im Holz, in der Rinde, den Blättern und Früchten vieler
Pflanzen vorkommt, ist seit uralten Zeiten benutzt worden
wegen seiner blutstillenden oder zusammenziehenden
Eigenschaften.] Erst wurde mein Fuß gereinigt. Das ist ein
Ritual vor den Göttern. Es ist ein Gift in meinem Fuß. Ich
war auf etwas getreten. Mein Knie ist geschwollen. Mein
Bein ist schwer und gestreift [Blutvergiftung?]. Sie schnei-
den ein Loch in meinen Fuß und gießen etwas sehr Heißes
darüber.«
Catherine wand sich jetzt vor Schmerz. Sie würgte auch
an einem sehr bitteren Getränk, das man ihr verabreicht
hatte. Dieser Trank war aus gelben Blumen gemacht. Sie
wurde wieder gesund, aber die Knochen in ihrem Fuß und
in ihrem Bein erholten sich nie mehr. Ich ließ sie in der
Zeit vorangehen. Sie sah nichts als ein blasses und arm-
seliges Leben. Sie lebte mit ihrer Familie in einer kleinen
Hütte mit nur einem Zimmer ohne Tisch-. Sie aßen irgend-
einen Reis, eine Art Getreide, aber sie waren ständig hung-
rig. Sie alterte schnell, wobei sie der Armut und dem Hun-
ger nie entrann. Dann starb sie. Ich wartete, konnte sehen,
wie erschöpft Catherine war, doch ehe ich sie wecken
konnte, sagte sie mir, Roben Jarrod brauche meine Hilfe.
Ich hatte weder eine Ahnung, wer Roben Jarrod war,
noch, wie ich ihm helfen konnte. Mehr kam nicht.
Als sie aus ihrer Trance erwachte, erinnerte sich Cathe-
rine wieder nur an ihre früheren Leben und wusste nichts
mehr von ihren Erfahrungen nach dem Tod, nichts von
den Zwischenreichen, nichts von den Meistern oder vom
unglaublichen Wissen, das enthüllt worden war. Ich stell-
te ihr eine Frage:
))Catherine, was bedeutet der Ausdruck >Meister< für
Sie?« Sie dachte, es ginge um ein Golfturnier! Sie machte
jetzt rapide Fortschritte, aber sie hatte immer noch Schwie-
rigkeiten, den Begriff der Wiedergeburt in ihre Glaubens-
vorstellungen zu integrieren. Deshalb beschloss ich, ihr
noch nichts von den Meistern zu erzählen. Abgesehen da-
von war ich mir nicht sicher, wie man jemandem beibringt,
dass er oder sie ein unheimlich begabtes Trancemedium
ist, das wundersames transzendentales Wissen von Meister-
wesen empfängt.
Catherine erklärte sich einverstanden, meine Frau an der
nächsten Sitzung teilnehmen zu lassen. Carole ist eine gut
ausgebildete, äußerst geschickte Sozialarbeiterin im Psy-
chiatriebereich, und mir war an ihrer Meinung über diese
unglaublichen Begebenheiten gelegen. Nachdem ich ihr
erzählt hatte, was Catherine über meinen Vater und unse-
ren Sohn Adam gesagt hatte, war sie begierig zu helfen. Es
bereitete mir keine Schwierigkeiten, jedes Wort zu notie-
ren, das Catherine in früheren Leben von sich gab, wenn
sie langsam flüsterte, aber die Meister sprachen viel schnel-
ler, weshalb ich beschloss, alles auf Tonband aufzuneh-
men.
Eine Woche später erschien Catherine zu ihrer nächsten
Sitzung. Sie machte ständig Fortschritte und litt jetzt we-
niger unter Angsten und Befürchtungen. Ihre gesundheit-
liche Besserung war eindeutig, aber ich war mir immer
noch nicht sicher, weshalb es ihr so viel besser ging. Sie
hatte sich daran erinnert, als Aronda ertrunken zu sein, als
Johan die Kehle aufgeschlitzt gekriegt zu haben und als
Louisa das Opfer einer durch Wasser ausgelösten Epide-
mie gewesen zu sein wie auch an andere traumatische Be-
gebenheiten. Sie hatte Leben in Armut und Knechtschaft
oder von Missbrauch innerhalb der Familie erfahren be-
ziehungsweise nochmals durchlebt. Letzteres ist ein Bei-
spiel für die tagtäglichen Minitraumata, die in unserer
Psyche ebenfalls eingegraben werden. Die Erinnerung an
beide Arten von Leben könnte zu ihrer Besserung beige-
tragen haben. Doch es gab auch eine andere Möglichkeit.
Konnte es sein, dass es die spirituelle Erfahrung war, die
Catherine half? Konnte das Wissen, dass der Tod nicht das
ist, was er zu sein scheint, zu einem Gefühl des Wohlbe-
findens und einer Minderung ihrer Angste beitragen?
Konnte der gesamte Prozess, und nicht nur die Erinnerun-
gen selbst, Teil der Heilung sein?
Catherines mediale Fähigkeiten nahmen zu, und sie
wurden sogar noch intuitiver. Sie hatte immer noch Prob-
leme mit Stuart, aber sie meinte, sie könne jetzt besser mit
ihnen umgehen. Ihre Augen strahlten, ihre Haut schimmer-
te. Sie hatte in der vergangenen Woche einen eigenartigen
Traum gehabt, doch sie konnte sich nur an ein Fragment
erinnern. Sie hatte geträumt, dass die rote Flosse eines
Fisches sich in ihrer Hand verfangen hatte.
Sie ging schnell und leicht in Trance und erreichte in-
nerhalb von Minuten einen tiefen hypnotischen Zustand.
»Ich sehe eine Art Klippen. Ich stehe auf diesen Klippen
und schaue nach unten. Ich habe nach Schiffen Ausschau
zu halten - das ist meine Aufgabe ... Ich trage etwas Blaues,
eine blaue Art Hose ... , eine kurze Hose und eigenartige
Schuhe ... , schwarze Schuhe ... mit einer Schnalle. Die
Schuhe haben Schnallen, sehr merkwürdige Schuhe ... Ich
sehe am Horizont, dass keine Schiffe da sind.« Catherine
Hüsterte leise. Ich führte sie in der Zeit voraus zum nächs-
ten bedeutungsvollen Ereignis in ihrem Leben.
»Wir trinken Bier, dunkles Bier. Es ist sehr dunkel. Die
Krüge sind dick. Sie sind alt und werden von Metallbän-
dern zusammengehalten. Es riecht sehr schlecht an diesem
Ort, und es sind viele Leute dort. Es ist sehr geräuschvoll.
Alle sprechen laut durcheinander.«
Ich fragte sie, ob sie hören könne, dass jemand ihren
Namen rufe.
»Christian ... Christian heiße ich.« Sie war erneut ein
Mann. »Wir sind gerade dabei, eine Art Fleisch zu essen,
und wir trinken Bier dazu. Es ist dunkel und schmeckt sehr
bitter. Sie salzen es.«
Sie konnte keine Jahreszahl sehen. »Sie sprechen von
einem Krieg, über Schiffe, die irgendwelche Häfen blo-
ckieren! Doch ich kann nicht hören, wo es ist. Wenn sie
ruhig sein würden, könnten wir es hören, aber alle reden
sie und machen Lärm.«
Ich fragte sie, wo sie sei. »Hamstead ... Hamstead [pho-
netische Schreibweise]. Es ist ein Hafen am Meer, ein
Hafen in Wales. Sie sprechen englisch.« Sie schritt zu dem
Zeitpunkt vor, als Christian auf seinem Schiff war. »Ich
rieche etwas, etwas brennt. Es ist ein schrecklicher Geruch.
Brennendes Holz, aber auch was anderes. Es brennt in der
Nase ... Etwas in der Ferne steht in Flammen, eine Art
Schiff, ein Segelschiff. Wir laden! Wir laden etwas mit
Schwarzpulver.« Catherine regte sich zusehends auf.
»Es hat etwas mit Schießpulver zu tun, sehr schwarz. Es
bleibt an den Händen kleben. Man muss sich schnell be-
wegen. Auf dem Schiff ist eine grüne Flagge. Die Flagge ist
dunkel ... Es ist eine grüngelbe Flagge. Ich sehe eine Art
Krone mit drei Punkten darauf.«
Plötzlich verzog sie das Gesicht vor Schmerz. Sie litt
große Qualen. »Au«, stöhnte sie, »meine Hand, meine
Hand tut weh! Es ist ein Stück Metall, ein Stück heißes
Metall in meiner Hand. Es brennt. Au! Au!«
Ich erinnerte mich an das Traumfragment und verstand
jetzt, was die rote Flosse in ihrer Hand zu bedeuten hatte.
Ich blockierte den Schmerz, aber sie stöhnte immer noch.
»Es sind Metallsplitter ... Das Schiff, auf dem wir uns
befanden, wurde zerstört ... Backbord. Sie haben das Feuer
unter Kontrolle. Viele Männer sind getötet worden ... ,
viele. Ich habe überlebt ... , nur meine Hand ist verletzt,
doch sie heilt mit der Zeit.<<
Wieder führte ich sie in der Zeit voran und bat sie, die
nächste wichtige Begebenheit auszusuchen.
»Ich sehe eine Art Druckerei, wo etwas mit Druck-
stöcken und Tinte gedruckt wird. Sie drucken und binden
Bücher ... Die Bücher haben lederne Einbände und Schnü-
re, die sie zusammenhalten, Lederschnüre. Ich sehe ein
rotes Buch ... Etwas über Geschichte. Ich kann den Titel
nicht lesen; sie sind noch nicht fertig mit dem Drucken.
Die Bücher sind wunderschön. Ihre Einbände sind so
glatt ... , das Leder. Es sind wunderbare Bücher,. sie lehren
dich.«
Offensichtlich sah und berührte Christian die Bücher
gern, und er hatte eine vage Ahnung dessen, was man auf

66
diese Weise lernen könnte, schien jedoch weitgehend un-
gebildet zu sein. Ich führte Christian zum letzten Tag sei-
nes Lebens.
»Ich sehe eine Brücke über einem Fluss. Ich bin ein alter
Mann ... , sehr alt. Das Gehen fällt mir schwer. Ich gehe
über die Brücke ... auf die andere Seite ... Ich fühle Schmer-
zen in meiner Brust - Druck, einen schrecklichen Druck.
Das Herz tut mir weh! Au!« Catherine gab gurgelnde
Geräusche von sich und durchlebte anscheinend den Herz-
infarkt, den Christian auf der Brücke erlitt. Sie atmete
schnell und oberflächlich, ihr Gesicht und ihr Hals waren
schweißgebadet. Sie fing an zu husten und nach Luft zu
schnappen. Ich war besorgt. War es gefährlich, einen Herz-
infarkt aus einem früheren Leben wiederzuerleben? Ich
betrat Neuland, niemand wusste die Antwort. Schließlich
starb Christian. Catherine lag jetzt friedlich auf der Couch
und atmete tief und regelmäßig. Erleichtert seufzte ich
auf.
»Ich fühle mich frei ... , frei«, flüsterte Catherine sanft.
»Ich schwebe einfach in der Dunkelheit ... , gleite einfach
dahin. Irgend wo ist ein Licht ... und Geistwesen, andere
Leute.«
Ich fragte sie, ob sie irgendwelche Gedanken zu ihrem
Leben als Christian habe, das gerade zu Ende gegangen sei.
»Ich hätte weniger nachtragend sein sollen, aber ich war
es nicht. Ich habe den Menschen das Leid nicht vergeben,
das sie mir angetan haben, und ich hätte es tun sollen. Ich
habe ihnen nicht verziehen, was sie mir angetan haben,
sondern habe es geschluckt und viele Jahre mit mir her-
umgetragen. Ich sehe Augen ... , Augen.«
))Augen?((, wiederholte ich, da ich den Kontakt spürte.
))Was für Augen sind das?((
))Die Augen der Meisterwesen((, flüsterte Catherine,
))aber ich muss warten. Es gibt Dinge, über die ich nach-
denken muss.(( Minuten verstrichen in angespannter Stille.
))Wann werden Sie wissen, wann jene bereit sind?((, frag-
te ich erwartungsvoll, um die lange Pause zu unterbrechen.
))Sie werden mich rufen((, antwortete sie. Es verstrichen
mehrere Minuten. Dann begann ihr Kopf plötzlich von
einer Seite zur anderen zu rollen, und ihre tiefe und feste
Stimme signalisierte die Veränderung.
))Es sind viele Seelen in dieser Dimension. Ich bin nicht
die einzige. Wir müssen uns gedulden. Das ist noch etwas,
das ich nie gelernt habe ... Es gibt viele Dimensionen ... ((
Ich fragte sie, ob sie schon einmal dort gewesen sei und ob
sie oft wiedergeboren worden sei.
))Ich bin zu verschiedenen Zeiten auf verschiedenen
Ebenen gewesen. Jede stellt eine höhere Bewusstseins-
ebene dar. Zu welcher Ebene wir gelangen, hängt davon
ab, wie weit fortgeschritten wir sind ... (( Sie war wieder
ruhig. Ich fragte sie, welche Dinge sie zu lernen habe, um
fortzuschreiten. Sie antwortete sofort.
))Dass wir unser Wissen mit anderen Menschen teilen
müssen. Dass wir alle Fähigkeiten haben, die weit über das
hinausgehen, was wir einsetzen. Manche von uns ent-
decken das früher als andere. Dass man seine Schwächen
unter Kontrolle haben sollte, ehe man hier ankommt.
Wenn nicht, nimmt man sie mit in ein anderes Leben.
Wenn wir uns nur befreien könnten ... von den schlechten
Angewohnheiten, die wir annehmen, wenn wir uns im

68
physischen Zustand befinden. Die Meister können das
nicht für uns übernehmen. Wählt man zu kämpfen und
sich nicht davon zu lösen, wird man sie in ein anderes Le-
ben hinübertragen. Nur wenn man beschließt, dass man
stark genug ist, um die äußeren Probleme zu bewältigen,
wird man sie im nächsten Leben nicht länger haben.
Wir müssen auch lernen, nicht nur auf die Menschen zu-
zugehen, deren Schwingungen den unseren entsprechen.
Es ist normal, sich zu jemandem hingezogen zu fühlen, der
sich auf derselben Ebene befindet wie man selbst. Doch
das ist verkehrt. Du sollst auch auf jene Menschen zuge-
hen, deren Schwingungen nicht übereinstimmen ... mit den
eigenen. Das ist wichtig ... , wenn man diesen Menschen ...
helfen will.
Es werden uns Intuitionen gegeben, denen wir folgen
sollten, anstatt sie zu blockieren. Jene, die blockieren, be-
geben sich in Gefahr. Wir werden nicht immer mit den
gleichen Kräften von einer Ebene zurückgeschickt. Man-
che von uns haben größere Kräfte als andere, weil sie sie zu
anderen Zeiten angesammelt haben; demnach wurden
nicht alle Menschen gleich geschaffen. Doch mit der Zeit
werden wir einen Punkt erreichen, wo wir alle gleich sein
werden.«
Catherine machte eine Pause. Ich wusste, dass diese Ge-
danken nicht die ihren waren. Sie hatte keine Ausbildung
in Physik oder Metaphysik und wusste nichts von Ebenen,
Dimensionen und Schwingungen. Darüber hinaus über-
stiegen die Schönheit der Worte und Gedanken und die
philosophischen Folgerungen dieser Aussagen Catherines
Möglichkeiten. Sie hatte nie auf solch knappe, poetische
Art gesprochen. Ich spürte, wie eine andere, höhere Kraft
mit ihrem Geist und ihren Stimmbändern rang, um diese
Gedanken in Worte umzusetzen, die ich verstehen konnte.
Nein, das war nicht Catherine.
Ihre Stimme hatte einen träumerischen Klang.
»Menschen, die in Koma liegen ... , befinden sich in
einem Zustand der Aufhebung. Sie sind noch nicht bereit,
in die andere Ebene einzugehen ... , bis sie entschieden ha-
ben, ob sie gehen wollen oder nicht. Nur sie können das
entscheiden. Wenn sie das Gefühl haben, sie hätten nichts
mehr zu lernen ... im physischen Zustand ... , erlaubt man
ihnen, den Übertritt zu vollziehen. Doch falls sie noch
mehr zu lernen haben, müssen sie zurückkommen, sogar
wenn sie nicht wollen. Das ist eine Ruheperiode für sie, in
der ihre geistigen Kräfte sich erholen können.«
Demnach können Menschen im Koma entscheiden, ob
sie zurückkehren wollen oder nicht, je nachdem, wie viel
sie auf der physischen Ebene noch zu lernen haben. Wenn
sie fühlen, sie hätten nichts mehr zu lernen, können sie
direkt in die geistige Ebene übergehen, trotzder modernen
Medizin. Diese Information stimmte mit den Forschungen
überein, die über todesnahe Erlebnisse veröffentlicht wor-
den waren, und mit den Gründen, weshalb manche Men-
schen gewählt hatten zurückzukehren. Andere wurden
nicht vor diese Wahl gestellt; sie mussten zurückkehren,
weil sie noch mehr zu lernen hatten. Natürlich sind alle
Menschen, die man über ihre todesnahen Erfahrungen be-
fragt hat, in ihren Körper zurückgekehrt. Es gibt eine auf-
fallende Übereinstimmung in ihren Berichten. Sie lösen
sich von ihrem Körper und »beobachten« die Wiederbele-
bungsversuche von oben. Mit der Zeit werden sie sich in
der Ferne eines hellen Lichts oder einer leuchtenden »spi-
rituellen« Gestalt gewahr, die manchmal am Ende eines
Tunnels steht. Sie empfinden keinen Schmerz. Wenn ihnen
bewusst wird, dass ihre Aufgaben auf Erden noch nicht
vollendet sind und sie zurückkehren müssen, sind sie
augenblicklich wieder mit ihrem Körper vereint und spü-
ren wieder den Schmerz oder haben andere physische
Empfindungen.
Ich habe mehrere Patienten mit Nahroderlebnissen ge-
habt. Der interessanteste Bericht stammte von einem süd-
amerikanischen Geschäftsmann, den ich anlässtich meh-
rerer konventioneller Psychotherapiesitzungen betreute.
Jacob war 1975 in Holland von einem Motorrad überfah-
ren worden und hatte das Bewusstsein verloren. Er erin-
nerte sich daran, über seinem Körper geschwebt und auf
den Unfallort hinabgesehen zu haben, wo er den Kranken-
wagen, den Arzt, der sich um seine Verletzungen kümmer-
te, und die wachsende Zuschauermenge sah. Er wurde sich
eines fernen goldenen Lichts gewahr, und als er sich ihm
näherte, sah er einen Mönch, der eine braune Kutte trug.
Der Mönch hatte zu Jacob gesagt, dass es für ihn nicht
Zeit zum Sterben sei und dass er in seinen Körper zurück-
kehren müsse. Jacob spürte die Weisheit und die Stärke
des Mönchs, der ihm auch mehrere zukünftige Ereignisse
seines Lebens vorhersagte, die später alle eintrafen. Jacob,
der dann in einem Krankenhausbett lag, wurde in seinen
Körper zurückgeschleudert, kam wieder zu Bewusstsein
und war sich zum ersten Mal seiner schrecklichen Schmer-
zen bewusst.
AlsJude besuchte er 1980 an lässlich einer Israelreise die
Höhle der Patriarchen in Hebron, die sowohl Juden als
auch Moslems heilig ist. Nach seiner Erfahrung in Holland
war er gläubiger geworden und hatte begonnen, häufiger
zu beten. Er sah die Moschee, die sich in der Nähe der
Höhle befand, und setzte sich dort zu den Moslems, um
mit ihnen zu beten. Nach einer Weile stand er auf, um zu
gehen. Ein alter Moslem kam zu ihm und sagte: »Du bist
anders als die anderen. Sie gesellen sich nur selten zu uns,
um mit uns zu beten.« Der alte Mann hielt einen Augen-
blick inne und sah Jacob prüfend an, ehe er fortfuhr: »Du
bist dem Mönch begegnet. Vergiss nicht, was er dir gesagt
hat.« Fünf Jahre nach dem Unfall und Tausende von Mei-
len entfernt wusste ein alter Mann von Jacobs Begegnung
mit dem Mönch, einer Begegnung, die stattgefunden hatte,
als Jacob bewusstlos gewesen war.

Als ich in meiner Praxis über Catherines neueste Offen-


barungen nachdachte, fragte ich mich, was unsere Kir-
chenväter von der Behauptung gehalten hätten, dass alle
Menschen nicht gleich geboren würden. Menschen wer-
den mit Talenten, Fähigkeiten und Kräften geboren, die
ihnen von früheren Leben zufließen. »Doch mit der Zeit
werden wir einen Punkt erreichen, wo wir alle gleich sein
werden.« Ich vermute, dass dieser Punkt viele, viele Leben
vor uns liegt.
Ich dachte an den jungen Mozart und an seine unglaub-
liche Begabung als Kind. War das auch ein Übertragen
seiner früheren Fähigkeiten? Anscheinend bringen wir
sowohl Fähigkeiten als auch Schulden mit.
Ich sann darüber nach, wie Menschen in homogenen
Gruppen zusammenfinden und Augenseiter oft meiden
und fürchten. Hier lag die Ursache für Vorurteile und
Gruppenhass. »Wir müssen auch lernen, nicht nur auf die
Menschen zuzugehen, deren Schwingungen den unseren
entsprechen.« Um diesen anderen Menschen zu helfen. Ich
spürte die spirituelle Wahrheit ihrer Worte.
>dch muss wiederkehren«, fuhr Catherine fort. >>Ich muss
zurückkommen.« Aber ich wollte mehr hören und fragte
sie, wer Robert Jarrod sei. Sie hatte seinen Namen wäh-
rend der letzten Sitzung erwähnt, und dass er meine Hilfe
brauche.
»Ich weiß es nicht ... Vielleicht befindet er sich auf einer
anderen Ebene, nicht auf dieser.« Offenbar konnte sie ihn
nicht finden.
))Nur wenn er will, nur wenn er beschließt, zu mir zu
kommen«, flüsterte sie. >>Er wird eine Botschaft schicken.
Er braucht Ihre Hilfe.«
Ich konnte immer noch nicht begreifen, wie ich helfen
könnte.
))Ich weiß es nicht«, antwortete Catherine. ))Aber Sie
sind derjenige, der belehrt werden soll, nicht ich.«
Das war interessant. War dieses Material für mich, oder
sollte ich Robert Jarrod helfen, indem ich belehrt wurde?
Wir haben nie etwas von ihm gehört.
>>Ich muss zurückkommen«, wiederholte sie. »Ich muss
zuerst zum Licht gehen.« Plötzlich war sie erschrocken.
))Oh, jetzt habe ich viel zu lange gezögert ... Und weil ich
gezögert habe, muss ich wieder warten.« Während sie war-
tete, fragte ich sie, was sie sehe und empfinde.

73
»Nur andere Geistwesen, andere Seelen. Sie warten
ebenfalls.« Ich fragte sie, ob wir belehrt werden könnten,
während sie wartete. »Können Sie sagen, was wir wissen
sollten?<<, fragte ich.
»Sie sind nicht hier, um es mir zu sagen«, erwiderte sie.
Faszinierend. Wenn die Meister nicht dort waren und sie
sie nicht hören konnte, vermochte Catherine das Wissen
nicht unabhängig zu vermitteln.
»Ich fühle mich hier sehr rastlos. Ich möchte gehen ...
Wenn die Zeit reif ist, werde ich gehen.« Wieder verstri-
chen Minuten in Ruhe. Schließlich muss es die richtige
Zeit gewesen sein. Sie war in ein anderes Leben verfallen.
»Ich sehe Apfelbäume ... und ein Haus, ein weißes Haus.
Ich lebe in dem Haus. Die Apfel sind verrottet ... Würmer,
nicht gut zum Essen. Es gibt eine Schaukel, eine Schaukel
am Baum.« Ich bat sie, sich selbst anzusehen.
»Ich habe helles Haar, blond; ich bin fünf Jahre alt.
Mein Name ist Catherine.« Ich war überrascht. Sie war in
ihr jetziges Leben geschlüpft, war Catherine im Alter von
fünf Jahren. Doch sie musste aus irgendeinem Grund dort
sein. »Ist damals etwas geschehen, Catherine?«
»Mein Vater ist böse auf uns ... , weil wir nicht draußen
sein sollten ... Er ... , er schlägt mich mit einem Stock. Es ist
ein großer Stock; es tut weh ... Ich habe Angst.« Sie sprach
wie ein weinerliches Kind. »Er hört nicht damit auf, bis es
schmerzt. Warum ist er so gemein?« Ich bat sie, ihr Leben
von einer höheren Warte aus zu betrachten und ihre Frage
selbst zu beantworten. Ich hatte kürzlich gelesen, dass
Menschen in der Lage seien, dies zu tun. Manche Autoren
nannten diese Perspektive das Höhere oder Größere

74
Selbst. Ich war neugierig, ob Catherine diesen Zustand er-
reichen konnte, wenn es ihn gab. Wenn sie es konnte, war
das eine machtvolle therapeutische Technik, eine Abkür-
zung zu Einsicht und Verständnis.
»Er hat uns nie gewollt«, flüsterte sie sehr leise. »Er hat
das Gefühl, wir seien Eindringlinge in seinem Leben ... Er
will uns nicht.«
»Auch nicht Ihren Bruder?« fragte ich.
»Ja, meinen Bruder sogar noch weniger. Er war nicht ge-
plant. Sie waren nicht verheiratet, als er ... gezeugt wurde.«
Das war eine überraschende neue Information für Cathe-
rine. Sie hatte nie etwas von dieser vorehelichen Schwan-
gerschaft gewusst. Ihre Mutter bestätigte später die Rich-
tigkeit von Catherines Enthüllungen.
Auch wenn sie ihr eigenes Leben nacherzählte, zeigte
Catherine jetzt eine Weisheit und eine Perspektive, die
sich bis dahin auf den spirituellen Zustand des Zwischen-
bereichs beschränkt hatten. Irgendwie gab es einen ))höhe-
ren« Teil ihres Geistes, eine Art Überbewusstsein. Viel-
leicht war das das Höhere Selbst, das andere beschrieben
hatten. Auch wenn sie nicht in Kontakt mit den Meistern
und deren spektakulärem Wissen war, hatte sie in ihrem
überbewussten Zustand Zugang zu tiefen Einsichten und
Informationen wie der Zeugung ihres Bruders. Die be-
wusste Catherine war im Wachzustand viel ängstlicher
und beschränkter, viel einfacher und relativ oberflächlich.
Sie konnte dann den überbewussten Zustand nicht anzap-
fen. Ich fragte mich, ob die Propheten und Weisen der öst-
lichen und westlichen Religionen, die man ))verwirklicht«
nennt, in der Lage waren, diesen überbewussten Zustand

75
einzusetzen, um ihre Weisheit und ihr Wissen zu erlangen.
Wenn ja, waren wir alle dazu fähig, denn wir müssten die-
ses Überbewusste alle besitzen. Der Psychoanalytiker C. G.
Jung wusste von der Existenz verschiedener Bewusstseins-
ebenen. Er schrieb über das kollektive Unbewusste, einen
Zustand, der Catherines Überbewusstsein glich.
Ich wurde immer frustrierter wegen der unüberbrück-
baren Kluft zwischen Catherines bewusstem Intellekt im
Wachzustand und ihrem unbewussten Geist auf der Trance-
ebene. Während sie hypnotisiert war, konnte ich auf der
überbewussten Ebene faszinierende philosophische Dia-
loge mit ihr führen. Aber wenn sie wach war, hatte Cathe-
rine kein Interesse an Philosophie und verwandten The-
men. Sie lebte in einer Welt des alltäglichen Kleinkrams
und wusste nichts von ihrem Genie.
Inzwischen plagte ihr Vater sie, und die Gründe dafür
wurden immer offensichtlicher. »Er hat wohl viel zu ler-
nen«, bemerkte ich.
»Ja ... , das stimmt.«
Ich fragte sie, ob sie wisse, was er zu lernen habe. »Die-
ses Wissen ist mir nicht gegeben.« Ihr Ton war losgelöst,
entrückt. »Was mir offenbart wird, ist das, was wichtig ist
für mich, was mich betrifft. Jeder Mensch muss sich auf
sich selbst konzentrieren ... und schauen, dass er ... ganz
wird. Es gibt Dinge, die wir lernen müssen ... , jeder von
uns. Sie müssen eins ums andere·erfasst werden ... , der Rei-
he nach. Nur dann können wir wissen, was unsere Nächs-
ten brauchen, was ihnen oder uns fehlt, um ganz zu wer-
den.« Sie sprach in einem leisen Flüstern, das ein Gefühl
liebevoller Losgelöstheit vermittelte.
Als Catherine erneut sprach, war die kindliche Stimme
zurückgekehrt. ))Er macht, dass mir schlecht wird! Er lässt
mich dieses Zeug essen, das ich nicht mag. Es ist Essen-
Salat, Zwiebeln, Zeug, das ich hasse. Er zwingt mich, es zu
essen, und er weiß, dass ich davon krank werde. Aber es ist
ihm gleich!« Catherine begann zu würgen. Sie schnappte
nach Luft. Wiederum schlug ich vor, dass sie diese Szene
von einer höheren Warte aus betrachtete, um zu verstehen,
warum ihr Vater sich so benahm.
Catherine sprach in einem tiefen Flüsterton: ))Wahr-
scheinlich füllt es irgendeine Leere in ihm. Er hasst mich
für das, was er getan hat. Er hasst mich deswegen, und
er hasst sich selbst.« Ich hatte fast vergessen, dass er sie
sexuell belästigt hatte, als sie drei Jahre alt war. ))Deshalb
muss er mich strafen ... Ich muss etwas getan haben, um
ihn dazu zu bringen.« Sie war drei Jahre alt, und ihr Vater
war betrunken gewesen. Dennoch hatte sie diese Schuld-
gefühle tief in ihrem Innern mit sich umhergetragen. Ich
erklärte das Offensichtliche.
))Sie waren nur ein Baby. Sie müssen sich jetzt von dieser
Schuld befreien. Sie haben nichts verbrochen. Was könnte
ein dreijähriges Kind schon tun. Das waren nicht Sie,
sondern Ihr Vater war es.«
))Damals muss er mich schon gehasst haben«, flüsterte
sie sanft. ))Ich habe ihn zuvor gekannt, aber ich kann jetzt
nicht auf diese Informationen zurückgreifen. Ich muss zu
jener Zeit zurückgehen.« Auch wenn schon mehrere
Stunden verstrichen waren, wollte ich zu ihrer früheren
Beziehung mit ihrem Vater zurückkehren. Ich gab ihr aus-
führliche Anweisungen.

77
>>Sie befinden sich in einer tiefen Trance. Gleich werde
ich rückwärts zählen, von drei bis eins. Sie werden in einer
tiefen Trance sein und sich völlig sicher fühlen. Ihr Geist
wird frei sein, um zurück zu der Zeit zu wandern, als die
Verbindung zu Ihrem gegenwärtigen Vater ihren Anfang
nahm, zurück zu der Zeit, die die wichtigste Auswirkung
auf das hatte, was in Ihrer Kindheit zwischen ihm und
Ihnen passiert ist. Wenn ich >eins< sage, werden Sie zu
jenem Leben zurückgehen und sich daran erinnern. Es ist
wichtig für Ihre Heilung. Sie können das. Drei ... , zwei ... ,
eins.« Es gab eine lange Pause.
»Ich sehe ihn nicht ... , aber ich sehe, wie Menschen ge-
tötet werden!« Ihre Stimme wurde laut und tief. »Wir
haben kein Recht, Menschenleben abrupt Einhalt zu ge-
bieten, ehe sie ihr Karma ausgelebt haben. Doch das tun
wir. Wir haben kein Recht. Sie werden eine größere Ver-
geltung erfahren, wenn wir sie leben lassen. Wenn sie ster-
ben und in die nächste Dimension eingehen, werden sie
dort leiden. Sie werden in einem sehr ruhelosen Zustand
zurückgelassen. Sie werden keinen Frieden finden, und sie
werden wiederkehren, aber ihr Leben wird sehr hart sein.
Und sie werden ihre Schuld bei den Menschen wieder gut-
machen müssen, die sie verletzt oder ungerecht behandelt
haben. Sie nehmen das Leben dieser Menschen, wozu sie
kein Recht haben. Nur Gott kann sie strafen, nicht wir. Sie
werden bestraft werden.«
Eine Minute verstrich in Schweigen. »Sie sind weg«,
flüsterte sie. Die Meisterwesen hatten uns heute laut und
deutlich eine weitere Botschaft übermittelt: Wir sollen
unter keinen Umständen töten. Nur Gott kann strafen.
Catherine war erschöpft. Ich beschloss, unsere Suche
nach der früheren Verbindung zu ihrem Vater zu verschie-
ben, und holte sie aus ihrer Trance. Sie erinnerte sich an
nichts außer ihrem Leben als Christian und als kleine
Catherine. Sie war müde, aber ruhig und entspannt, als
hätte man ein riesiges Gewicht von ihren Schultern ge-
nommen. Meine Augen trafen auf die Caroles. Wir waren
auch erschöpft. Wir hatten gefroren und geschwitzt und
uns an jedes Wort geklammert. Wir waren Teil einer
unglaublichen Erfahrung gewesen.

79
6

Von nun an setzte ich Catherines wöchentliche Sitzungen


am Ende des Tages an, weil sie mehrere Stunden dauerten.
Sie wirkte ebenso gelöst wie das letzte Mal, als sie in der
darauf folgenden Woche eintraf. Sie hatte mit ihrem Vater
telefoniert. Ohne ihn Einzelheiten wissen zu lassen, hatte
sie ihm, auf ihre Weise, verziehen. Ich staunte über die
Geschwindigkeit ihrer Fortschritte. Es war selten, dass ein
Patient mit ihren chronischen Angsten und Befürchtungen
sich so schnell erholte. Doch man konnte Catherine natür-
lich kaum eine gewöhnliche Patientin nennen. Der Ver-
lauf, den ihre Therapie genommen hatte, war bestimmt
einmalig.
))Ich sehe eine Porzellanpuppe, die auf einer Art Kamin-
sims sitzt.<< Sie war schnell in eine tiefe Trance gefallen.
))Auf beiden Seiten des Kamins sind Bücher. Es ist ein Zim-
mer in einem Haus. Neben der Puppe stehen zwei Kerzen-
stöcke. Und ein Gemälde ... des Gesichts, vom Gesicht des
Mannes. Er ist es ... « Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer
streifen. Ich fragte, was sie sehe.
))Es liegt so etwas wie ein Teppich auf dem Boden. Es ist
haarig, als wäre es ... , ja, es ist ein Tierfell, das auf dem
Boden liegt. Rechts befinden sich zwei Glastüren, die zur
Veranda führen. Es sind vier Stufen mit Säulen vor dem
Haus - vier Stufen führen nach unten zu einem Pfad.

8o
Überall stehen große Bäume ... Draußen sehe ich mehrere
Pferde. Die Pferde sind an irgendwelche ... rfosten gebun-
den, die dort draußen stehen.«
>>Wissen Sie, wo das ist?« erkundigte ich mich. Cathe-
rine atmete tief ein.
»Ich sehe keinen Namen«, flüsterte sie, »aber das Jahr,
die Jahreszahl muss irgendwo stehen. Wir sind im acht-
zehnten Jahrhundert, doch ich weiß nicht - es gibt Bäume
dort und gelbe Blumen, wirklich hübsche gelbe Blumen.«
Die Blumen lenkten sie ab. »Sie riechen wunderbar süß,
diese Blumen ... , eigenartige Blumen, große Blumen ... ,
gelbe Blumen mit runden schwarzen Mittelpunkten.« Sie
hörte zu sprechen auf und war mit den Blumen beschäftigt.
Mich erinnerte es an ein Sonnenblumenfeld in Südfrank-
reich. Ich fragte sie nach dem Klima.
»Es ist sehr mild, aber nicht windig. Es ist weder heiß
noch kalt.« Wir kamen nicht voran mit der Erkundung der
Örtlichkeit. Ich führte sie ins Haus zurück, weg von den
faszinierenden gelben Blumen und fragte sie, wessen Bild-
nis über dem Kamin hinge.
»Ich weiß es nicht ... ich höre immer wieder Aaron ...
Sein Name ist Aaron.« Ich fragte, ob ihm das Haus gehöre.
»Nein, es gehört seinem Sohn. Ich arbeite dort.« Wieder
trat sie als Dienstmagd auf. Sie war dem Status einer Kleo-
patra oder eines Napoleons nie auch nur entfernt nahe ge-
kommen. Leute, die an der Wiedergeburt zweifeln, mich
selbst als Wissenschaftler bis vor zwei Monaten einge-
schlossen, weisen oft auf die unrealistische Häufigkeit von
Inkarnationen als Berühmtheiten hin. Jetzt befand ich
mich in der höchst ungewöhnlichen Situation, dass die

81
Reinkarnation mir in meinem eigenen Sprechzimmer in
der Psychiatrieabteilung enthüllt wurde.
»Mein Bein ist sehr ... , schwer«, fuhr Catherine fort,
»sehr schwer. Es schmerzt. Es fühlt sich fast so an, als wäre
es nicht da ... Mein Bein ist verletzt. Die Pferde haben mich
getreten.«
Ich sagte ihr, sie solle sich ansehen.
»Ich habe braunes Haar, braunes gelocktes Haar. Ich
habe eine Art Haube auf, irgendeine weiße Haube ... , trage
ein blaues Kleid mit irgendeinem Latz davor ... , eine
Schürze. Ich bin jung, aber ich bin kein Kind mehr. Aber
mein Bein tut weh. Es ist gerade passiert. Es tut schrecklich
weh.« Sie litt sichtlich unter großen Schmerzen. »Das Huf-
eisen ... , Hufeisen. Es hat mich mit seinem Huf getreten. Es
ist ein sehr böses Pferd.« Ihr Gesicht wurde weicher, als der
Schmerz schließlich nachließ. »Ich rieche Heu, das Futter
in der Scheune. Es arbeiten noch andere Leute in den
Ställen.« Ich fragte nach ihren Pflichten.
»Ich war für die Bedienung zuständig ... , um im Haupt-
haus aufzuwarten. Ich hatte auch etwas mit dem Melken
der Kühe zu tun.« Ich wollte mehr über die Besitzer wis-
sen.
»Die Frau ist ziemlich dick und sieht sehr schlampig aus.
Und es gibt zwei Töchter ... Ich kenne sie nicht«, fügte sie
hinzu, indem sie meine nächste Frage vorwegnahm, ob sie
schon in Catherines gegenwärtigem Leben aufgetaucht
wären. Ich fragte nach ihrer eigenen Familie im achtzehn-
ten Jahrhundert.
»Ich weiß es nicht; ich sehe sie nicht. Ich sehe nieman-
den bei mir.« Ich fragte sie, ob sie dort lebe. »Ja, ich habe
dort gelebt, aber nicht im Haupthaus. Sehr klein ... Das
Haus wird uns zur Verfügung gestellt. Es gibt Hühner dort.
Wir sammeln die Eier ein. Es sind braune Eier. Mein Haus
ist sehr klein ... und weiß ... , ein Zimmer. Ich sehe einen
Mann. Ich lebe mit ihm. Er hat sehr lockiges Haar und
blaue Augen.« Ich fragte sie, ob sie verheiratet seien.
»Nicht deren Verständnis der Ehe, nein.« War sie dort
geboren? »Nein. Ich wurde auf das Gut gebracht, als ich
noch sehr jung war. Meine Familie war sehr arm.« Ihr Ge-
fährte kam ihr nicht bekannt vor. Ich wies sie an, vorwärts
in der Zeit zu reisen, bis zum nächsten wichtigen Ereignis
in diesem Leben.
»Ich sehe etwas Weißes, weiß mit vielen Bändern drauf.
Das muss ein Hut sein. Eine Art Haube mit Federn und
weißen Bändern.«
»Wer trägt diesen Hut? Ist es ... « Sie schnitt mir das
Wort ab.
»Die Dame des Hauses natürlich.« Ich kam mir ein biss-
chen blöd vor. »Eine ihrer beiden Töchter heiratet. Die
ganze Gegend feiert mit.« Ich fragte sie, ob etwas über die
Heirat in der Zeitung gestanden habe. Wenn ja, hätte ich
sie das Datum nachsehen lassen.
»Nein, ich glaube nicht, dass es hier Zeitungen gibt. Ich
sehe nichts dergleichen.« Handfeste Hinweise waren in
diesem Leben schwer zu finden. »Sehen Sie sich auf der
Hochzeit?«, fragte ich sie. Sie antwortete schnell und in
einem lauten Flüsterton.
»Wir sind nicht auf der Hochzeit: Wir dürfen lediglich
zuschauen, wie die Leute kommen und gehen. Die Be-
diensteten dürfen nicht hin.«
»Was empfinden Sie?«
»Hass.«
»Warum? Werden Sie schlecht behandelt?«
»Weil wir arm sind«, antwortete sie leise, »und wir sind
von ihnen abhängig. Wir haben so wenig im Vergleich zu
dem, was sie haben.«
»Verlassen Sie das Gut überhaupt jemals? Oder verbrin-
gen Sie Ihr Leben dort?«
Versonnen antwortete sie: »Ich verbringe mein ganzes
Leben dort.« Ich konnte ihre Traurigkeit spüren. Ihr Leben
war schwer und hoffnungslos. Ich führte sie bis zu ihrem
Todestag.
»Ich sehe ein Haus. Ich liege im Bett ... , auf dem Bett.
Sie flößen mir etwas zu trinken ein, etwas Warmes. Es
riecht wie Pfefferminze. Meine Brust ist schwer. Das
Atmen fällt mir schwer ... Ich habe Schmerzen in der Brust
und im Rücken ... Es ist ein schlimmer Schmerz ... Mühe
beim Sprechen.« Sie atmete schnell und oberflächlich und
litt große Schmerzen. Nach ein paar Minuten des Todes-
kampfs wurde ihr Gesicht weicher, ihr Körper entspannte
sich, und ihr Atem ging wieder normal.
»Ich habe meinen Körper verlassen.« Ihre Stimme klang
lauter und tiefer. »Ich sehe ein wunderbares Licht ... Es
kommen Leute auf mich zu. Sie kommen, um mir zu
helfen. Wunderbare Leute. Sie haben keine Angst ... Ich
fühle mich sehr leicht ... « Es gab eine lange Pause.
»Haben Sie irgendwelche Gedanken zum Leben, das Sie
gerade durchlebt haben?«
»Das kommt später. Im Augenblick spüre ich einfach
den Frieden. Es ist eine Zeit des Trostes. Der Betroffene
muss getröstet werden. Die Seele ... findet hier Frieden.
Man lässt alle seine Körperschmerzen hinter sich. Die
Seele ist zufrieden und ruhig ... Es ist ein wunderbares
Gefühl, als würde die Sonne auf dich scheinen. Das Licht
ist so hell! Alles kommt vom Licht! Energie kommt aus
diesem Licht. Unsere Seele geht sofort dorthin. Es ist bei-
nahe wie eine magnetische Kraft, von der wir angezogen
werden. Es ist wunderbar. Es ist wie eine Kraftquelle. Es
versteht zu heilen.«
»Hat es eine Farbe?«
»Es besteht aus vielen Farben.« Sie hielt inne und ruhte
sich in diesem Licht aus.
»Was empfinden Sie?«, wagte ich zu fragen.
»Nichts ... , nur Frieden. Man ist bei seinen Freunden.
Sie sind alle dort. Ich sehe viele Leute. Manche sind mir
bekannt, andere nicht. Aber sie sind dort und warten.« Sie
fuhr fort zu warten, während die Minuten langsam ver-
strichen. Ich beschloss, das Tempo voranzutreiben.
»Ich habe eine Frage.«
»An wen?«, fragte Catherine.
»lrgendwen - Sie oder die Meister«, wich ich aus. »>ch
denke, es wird uns helfen, wenn wir das verstehen. Die
Frage lautet: Wählen wir die Zeiten und Arten unserer
Geburt und unseres Todes? Können wir unsere Lage aus-
wählen? Können wir den Augenblick bestimmen, wenn
wir wieder sterben? Ich glaube, es würde uns viel von
unseren Angsten nehmen, wenn wir das verstehen könn-
ten. Gibt es dort jemanden, der diese Frage beantworten
kann?« Das Zimmer fühlte sich kalt an. Als Catherine
wieder sprach, war ihre Stimme tiefer und voller. Es war
eine Stimme, die ich nie zuvor gehört hatte, die Stimme
eines Dichters.
»Ja, wir wählen, wann wir in die physische Ebene ein-
treten und wann wir sie wieder verlassen werden. Wir
wissen, wann wir das erreicht haben, weswegen wir hier-
hergesandt wurden. Wir wissen, wann unsere Zeit abge-
laufen ist. Auch du wirst deinen Tod akzeptieren. Denn du
weißt, dass es nichts mehr aus diesem Leben herauszu-
holen gibt. Wenn du Zeit hast, wenn du die Zeit gehabt
hast, dich auszuruhen und deine Seele mit neuer Energie
zu füllen, wird dir erlaubt, deinen Wiedereintritt in den
physischen Zustand auszusuchen. Die, die zögern und sich
ihrer Rückkehr dorthin nicht sicher sind, könnten die
Gelegenheit verpassen, die ihnen gegeben wurde: die
Chance zu erfüllen, was sie erfüllen müssen, wenn sie sich
auf der physischen Ebene befinden.«
Ich wusste sofort mit aller Sicherheit, dass es nicht
Catherine war, die da sprach. )) Wer spricht zu mir«, flehte
ich, »wer spricht?«
Catherine antwortete mit ihrem üblichen leisen Flüs-
tern: »Ich weiß es nicht. Die Stimme von jemand sehr ... ,
jemand, der die Dinge kontrolliert, aber ich weiß nicht,
wer es ist. Ich kann lediglich seine Stimme hören und ver-
suche, Ihnen zu erzählen, was er sagt.«
Sie wusste auch, dass dieses Wissen nicht von ihr kam,
weder vom Unterbewussten noch vom Unbewussten.
Nicht einmal vom überbewussten Selbst. Sie hörte irgend-
wie auf die Worte und Gedanken von jemand sehr Beson-
derem, die sie dann an mich weitergab, von einem Wesen,
das »die Dinge kontrolliert«. Es war ein weiterer Meister

86
aufgetaucht, verschieden von dem - oder denen -, von
dem die vorherigen weisen Botschaften gekommen waren.
Dies war ein neuer Geist, mit einer charakteristischen
Stimme und einem eigenen Stil, poetisch und gelassen. Es
war ein Meister, der ohne zu zögern über den Tod sprach,
dessen Stimme und Gedanken jedoch voller Liebe waren.
Diese Liebe fühlte sich warm und wirklich an und den-
noch losgelöst und universal. Es fühlte sich glückselig an,
ohne erdrückend, emotional oder einschränkend zu
wirken. Es vermittelte ein Gefühl warmer Losgelöstheit
oder objektiver liebevoller Güte, und es fühlte sich durch-
aus vertraut an.
Catherines Flüstern wurde lauter: »Ich habe kein Ver-
trauen in diese Leute.«
»Kein Vertrauen in welche Leute?«, forschte ich.
»In die Meister.«
»Kein Vertrauen?«
»Nein, mir fehlt es an Vertrauen. Deshalb ist mein Leben
so schwierig gewesen. Ich hatte in diesem Leben kein Ver-
trauen.« Ruhig beurteilte sie ihr Leben im achtzehnten
Jahrhundert. Ich fragte sie, was sie in diesem Leben ge-
lernt habe.
»Ich lernte Wut und Ärger kennen und wie man seine
Gefühle vor anderen Menschen verschließt. Ich musste
ebenfalls lernen, dass ich keine Kontrolle über mein Leben
habe. Ich wollte Kontrolle, aber ich habe keine. Ich muss-
te den Meistern vertrauen. Sie werden mich immer führen.
Aber ich hatte dieses Vertrauen nicht. Ich hatte von An-
fang an das Gefühl, verdammt zu sein. Ich betrachtete die
Dinge nie von der angenehmen Seite. Wir müssen Ver-
trauen haben ... , wir müssen Vertrauen haben. Und ich
zweifle. Ich wählte zu zweifeln, anstatt zu glauben.« Sie
schwieg.
»Was sollten Sie und ich tun, um besser zu werden? Sind
unsere Wege dieselben?« Die Antwort kam von dem Meis-
ter, der in der vergangeneo Woche von intuitiven Kräften
und von der Rückkehr aus dem Koma gesprochen hatte.
Stimme, Stil und Ton unterschieden sich sowohl von
Catherines als auch von denen des poetischen Meisters,
der gerade gesprochen hatte.
»Wir haben alle grundsätzlich denselben Weg und müs-
sen alle bestimmte Einstellungen lernen, wenn wir uns auf
der physischen Ebene befinden. Manche von uns können
sie schneller akzeptieren als andere. Dienen, Hoffnung,
Glaube, Liebe ... wir müssen alle diese Dinge wissen und
gut kennen. Es gibt nicht nur eine Hoffnung, einen Glau-
ben oder eine Liebe - so viele Dinge hängen daran. Es gibt
so viele Wege, um sie auszudrücken. Dennoch haben wir
nur ein kleines bisschen von allen dreien berührt ...
Menschen in religiösen Orden sind ihnen näher gekom-
men als wir alle, weil sie diese Gelübde von Keuschheit
und Gehorsam abgelegt haben. Sie geben so viel, ohne
etwas zurückzuverlangen. Der Rest von uns verlangt
weiterhin nach Belohnungen - Belohnungen und Recht-
fertigungen für unser Verhalten ... , wenn es doch keine
Belohnungen gibt, die wir wollen. Oie Belohnung liegt in
der Tat selbst, ohne etwas dafür zu erwarten ... , in selbst-
losem Handeln. - Das hatte ich nicht begriffen«, fügte
Catherine in ihrem leisen Flüstern hinzu.
Das Wort »Keuschheit« verwirrte mich einen Augen-

88
blick, doch dann erinnerte ich mich, dass dessen Wurzel
»rein« bedeutet, was auf einen ganz anderen Zustand hin-
wies als lediglich den der sexuellen Enthaltsamkeit.
»... Maß zu halten(<, fuhr sie fort. »Alles, was im Über-
maß getan wird ... , im Übermaß. Sie werden es verstehen.
Sie verstehen es wirklich.(( Wieder machte sie eine Pause.
»Ich versuche es«, fügte ich hinzu. Dann beschloss ich,
mich auf Catherine zu konzentrieren. Vielleicht waren die
Meister noch nicht fortgegangen. >>Was kann ich tun, um
Catherine am besten zu helfen, ihre Angste und Befürch-
tungen zu überwinden? Ist dies der beste Weg, oder sollte
ich etwas ändern? Oder in einem bestimmten Bereich
nachfragen? Wie kann ich ihr am besten helfen?«
Die Antwort kam in der tiefen Stimme des poetischen
Meisters. »Was du tust, ist korrekt. Aber du tust es für dich,
nicht für sie.« Wieder lautete die Botschaft, dass es mehr
zu meinem Nutzen als für Catherine geschah.
»Für mich?«
»Ja. Was wir sagen, gilt dir.« Nicht nur sprach er von
Catherine in der dritten Person, sondern er sagte »wir«. Es
waren tatsächlich mehrere Meisterwesen zugegen.
»Darf ich erfahren, wie ihr heißt?(<, fragte ich und schrak
sofort vor der Oberflächlichkeit meiner Frage zurück. >>Ich
brauche Führung. Ich habe so viel zu lernen.«
Die Antwort war ein Liebesgedicht, ein Gedicht über
mein Leben und meinen Tod. Die Stimme war sanft und
zärtlich, und ich spürte die liebevolle Objektivität eines
universalen Geistes. Ehrfurchtsvoll hörte ich zu.
»Du wirst durch die Zeit geführt, wirst geführt werden ...
durch die Zeit. Und wenn du erreichst, wozu du aus-
gesandt wurdest, es zu erreichen, wird dein Leben zu Ende
sein. Doch nicht davor. Du hast viel Zeit vor dir ... viel
Zeit.<<
Ich war gleichzeitig verängstigt und erleichtert. Ich war
froh, dass er nicht spezifischer wurde. Catherine war ruhe-
los und sagte mit einer kleinen Stimme:
»Ich falle, falle ... , versuche mein Leben zu finden ... ,
falle.« Sie seufzte und ich auch. Die Meister waren fort. Ich
dachte über die wunderbaren Botschaften nach. Sehr per-
sönliche Botschaften aus einer sehr spirituellen Quelle.
Die Folgerungen waren überwältigend. Das Licht nach
dem Tode und das Leben nach dem Tode, unsere Wahl,
wann wir geboren werden und wann wir sterben, die
sichere und unbeirrbare Führung der Meister, Leben, die
nicht in Jahren gemessen wurden, sondern auf Grund von
gelernten Lehren und erfüllten Aufgaben, an Wohltätig-
keit, Hoffnung, Glaube und Liebe, an Tun, ohne etwas
dafür zu erwarten- dieses Wissen war für mich übermittelt
worden. Doch zu welchem Zweck? Wozu war ich hierher
geschickt worden?

Die dramatischen Botschaften und Ereignisse, die in mei-


nem Arbeitszimmer auf mich niederprasselten, spiegelten
sich in tiefen Veränderungen in meinem persönlichen und
familiären Leben. Die Transformation schlich sich allmäh-
lich in mein Bewusstsein. Zum Beispiel landete ich eines
Tages in einem riesigen Stau, als ich mit meinem Sohn zum
Baseballmatch einer College-Mannschaft fuhr. Ich hatte
mich sonst immer über Verkehrsstaus aufgeregt, und jetzt
würden wir die ersten ein oder zwei Spielzüge verpassen.
Mir war bewusst, dass ich diesmal nicht verärgert war. Ich
schrieb die Schuld nicht irgendeinem inkompetenten
Fahrer zu. Mein Nacken und meine Schultern waren ent-
spannt. Ich ließ meine Verärgerung nicht an meinem Sohn
aus, und wir verbrachten die Zeit damit, miteinander zu
reden. Mir wurde bewusst, dass ich einfach nur einen
glücklichen Nachmittag mit Jordan verbringen und ein
Spiel sehen wollte, das wir beide mögen. Das Ziel des
Nachmittags war, Zeit miteinander zu verbringen. Wenn
ich mich aufgeregt hätte und wütend geworden wäre, wäre
der ganze Ausflug verdorben gewesen.
Ich sah meine Frau und meine Kinder an und fragte
mich, ob wir schon früher zusammen gewesen waren.
Hatten wir gewählt, die Prüfungen, Freuden und Leiden
dieses Lebens miteinander zu teilen? Waren wir alterslos?
Ich empfand ein starkes Gefühl von Liebe und Zärtlichkeit
ihnen gegenüber. Ich erkannte, dass ihre Schwächen und
Fehler unwichtig waren, dass allein Liebe wichtig ist.
Es geschah sogar, dass ich aus den gleichen Gründen
über meine eigenen Fehler hinwegsah. Ich brauchte nicht
zu versuchen, perfekt zu sein oder die Kontrolle zu be-
halten. Es gab wirklich keinen Grund, irgendwen beein-
drucken zu wollen.
Ich war sehr glücklich, dass ich diese Erfahrung mit
Carole teilen konnte. Oft sprachen wir über alles nach dem
Abendessen und entwirrten dabei meine Gefühle und
Reaktionen auf Catherines Sitzungen. Carole hat einen
analytischen Verstand und steht mit beiden Füßen auf dem
Boden. Sie wusste, wie sehr ich getrieben war, die Erfah-
rung mit Catherine in einen wissenschaftlichen Rahmen zu
stellen, und sie spielte die Rolle des Advocatus Diaboli,
um mir zu helfen, diese Daten objektiv einzuordnen. Als
die Beweise zunahmen, dass Catherine tatsächlich höchs-
te Wahrheiten offenbarte, spürte und teilte Carole meine
Zweifel und meine Freuden.
7

Als Catherine eine Woche später zu ihrer nächsten Sitzung


kam, war ich bereit, ihr das Band von dem erstaunlichen
Dialog der letzten Wochen vorzuspielen. Schließlich lie-
ferte sie mir nicht nur Erinnerungen an frühere Leben, son-
dern auch himmlische Poesie. Ich erklärte ihr, sie habe
Zugang zu Wissen, das sich auf Erfahrungen nach dem
Tode beziehe, auch wenn sie keinerlei Erinnerung an die-
sen jenseitigen oder spirituellen Zustand hätte. Sie hörte
mir nur widerstrebend zu. Da es ihr überwältigend besser
ging und sie viel glücklicher war, brauchte sie dieses Mate-
rial vielleicht nicht zu hören. Überdies war ihr das alles ein
bisschen ))unheimlich«. Ich bewegte sie trotzdem zum
Zuhören. Die Botschaft war wunderbar und erhebend und
wurde durch sie vermittelt. Ich wollte sie mit ihr teilen. Sie
hörte ihrem leisen Flüstern nur ein paar Minuten zu und
hieß mich dann, das Band abzustellen. Sie sagte, es sei ein-
fach zu seltsam, und ihr sei nicht wohl dabei. Ohne es aus-
zusprechen, erinnerte ich mich: ))Dieses Material ist für
dich. Es ist nicht für sie.«
Ich fragte mich, wie lange diese Sitzungen fortdauern
würden, denn es ging ihr jede Woche besser. Jetzt blieben
nur ein paar kleine Wellen auf dem einst stürmischen See.
Sie fürchtete sich immer noch vor geschlossenen Räumen,
und ihre Beziehung zu Stuart war nach wie vor ein stän-

93
diges Auf und Ab. Abgesehen davon, waren ihre Fort-
schritte bemerkenswert.
Wir hatten seit Monaten keine traditionellen psycho-
therapeutischen Sitzungen mehr durchgeführt. Es war
nicht nötig. Wir plauderten jeweils ein paar Minuten, um
die Ereignisse der Woche zu rekapitulieren, und gingen
dann schnell zur hypnotischen Rückführung über. Ob es
an den tatsächlichen Erinnerungen wichtiger Traumata
oder täglicher Minitraumata oder am Prozess des Wieder-
erlebens dieser Erfahrungen lag, Catherine war praktisch
geheilt. Ihre Phobien und Panikanfälle waren beinahe ver-
schwunden. Sie fürchtete sich nicht länger vor dem Tod
oder dem Sterben. Psychiater setzen gegenwärtig hoch-
dosierte Beruhigungsmittel und Antidepressiva ein, um
Menschen mit Catherines Symptomen zu behandeln.
Zusätzlich zu den Medikamenten befinden sich die Patien-
ten auch oft in intensiver Psychotherapie oder begleiten-
den Gruppensitzungen gegen die Angst. Viele Psychiater
glauben, dass Symptome wie die von Catherine eine bio-
logische Ursache haben, dass es Mängel an einer oder
mehreren Gehirnsubstanzen sind.
Als ich Catherine in einen tiefen Trancezustand hypno-
tisierte, dachte ich darüber nach, wie bemerkenswert und
wunderbar es war, dass sie innerhalb von Wochen, ohne
Einsatz von Medikamenten, traditioneller Therapie oder
Gruppentherapie beinahe geheilt war. Dies geschah weder
durch eine Unterdrückung der Symptome noch durch ein
Zusammenbeißen der Zähne, um es auszuhalten und dann
ein von Angsten gequältes Leben zu führen. Es war eine
Heilung, die Abwesenheit von Symptomen. Ihr Strahlen,

94
ihre Ausgeglichenheit und ihre Zufriedenheit übertrafen
meine kühnsten Hoffnungen.
Ihre Stimme war wieder ein leises Flüstern: »Ich befinde
mich in einem Gebäude, etwas mit einer Kuppel. Die
Decke ist blau und golden. Es sind andere Menschen bei
mir. Sie tragen ... alte ... eine Art Roben, sehr alt und
schmutzig. Ich weiß nicht, wie wir dort hingekommen
sind. Es sind so viele Gestalten in dem Raum. Es gibt auch
einige Figuren, einige Figuren, die auf irgendwelchen
Steinsockeln stehen. Am Ende des Raums ist eine große
goldene Gestalt. Sie erscheint ... Sie ist sehr groß und hat
Flügel. Sie ist sehr böse. Es ist sehr heiß in diesem Raum,
sehr heiß. Es ist heiß, weil es in diesem Raum keine Öff-
nungen gibt. Wir müssen uns vorn Dorf fern halten, denn
mit uns stimmt etwas nicht.«
»Sind Sie krank?«
»Ja, wir sind alle krank. Ich weiß nicht, was wir haben,
aber unsere Haut stirbt. Sie wird ganz schwach. Mir ist
sehr kalt. Die Luft ist sehr trocken, sehr abgestanden. Wir
können nicht in das Dorf zurückkehren, müssen draußen
bleiben. Manche Gesichter sind entstellt.«
Diese Krankheit klang schrecklich, sie erinnerte an
Lepra. Wenn Catherine jemals ein schönes Leben gehabt
hatte, so waren wir noch nicht darauf gestoßen. »Wie
lange müssen Sie dort bleiben?«
»Auf immer und ewig«, antwortete sie düster, »bis wir
sterben. Es gibt kein Mittel gegen diese Krankheit.«
»Kennen Sie den Namen der Krankheit? Wie nennt man
sie?«
»Nein. Die Haut ist sehr trocken und schrumpft ein. Ich

95
bin schon seit Jahren hier. Es gibt andere, die gerade erst
angekommen sind. Es gibt keinen Weg zurück. Wir sind
ausgestoßen worden ... , um zu sterben.«
Sie führte ein trauriges Leben in einer Höhle.
»Wir müssen unser Essen selbst suchen. Ich sehe irgend-
ein wildes Tier, dem wir nachjagen ... mit Hörnern. Es ist
braun und hat große Hörner.«
»Kümmert sich irgendwer um Sie?«
»Nein, sie dürfen nicht in unsere Nähe kommen, oder
sie werden an derselben Seuche leiden. Wir sind ver-
dammt ... wegen irgendwelcher Sünden, die wir begangen
haben. Und dies ist unsere Strafe.« Im Stundenglas ihres
Lebens rieselte der Sand ihrer Glaubensvorstellungen
ständig von einer Seite zur anderen. Nur nach dem Tode
gab es freudiges Willkommen und beruhigendes Gleich-
maß.
»Wissen Sie, welches Jahr es ist?«
»Wir haben unser Zeitgefühl verloren. Wir sind krank
und warten nur auf unseren Tod.«
»Gibt es keine Hoffnung?« Ich spürte die ansteckende
Verzweiflung.
»Nein, es gibt keine Hoffnung. Wir werden alle sterben.
Und meine Hand tut sehr weh. Mein ganzer Körper ist
schwach. Ich bin alt. Es ist schwer für mich, mich zu be-
wegen.«
»Was passiert, wenn Sie sich nicht mehr bewegen kön-
nen?«
»Man wird in eine andere Höhle gebracht und dort ge-
lassen, um zu sterben.«
»Was machen sie mit den Toten?«
»Sie versiegeln den Eingang zur Höhle.«
»Haben sie je eine Höhle versiegelt, ehe der Betreffende
tot war?« Ich suchte nach einem Hinweis für ihre Angst
vor geschlossenen Räumen.
»Ich weiß es nicht. Ich bin nie dort gewesen. Ich bin in
dem Raum, wo auch alle anderen sind. Es ist sehr heiß. Ich
liege an der Wand, liege einfach nur dort.«
»Wofür wird dieser Raum gebraucht?«
»Er ist für die Andacht ... viele Götter. Es ist sehr
heiß.«
Ich führte sie in der Zeit voraus. »Ich sehe etwas Weißes.
Ich sehe etwas Weißes, irgendeine Bahre. Sie transportie-
ren jemanden ab.«
»Sind Sie es?«
»>ch weiß es nicht. Ich werde meinen Tod willkommen
heißen. Mein Körper leidet so sehr.« Catherines Lippen
waren vor Schmerz nur noch dünne Striche, und sie keuch-
te wegen der Hitze in der Höhle. Ich führte sie zu ihrem
Todestag. Sie keuchte immer noch.
»Fällt Ihnen das Atmen schwer?«, fragte ich.
»Ja, so heiß hier ... Es ist ... , so heiß, sehr dunkel. Ich
kann nichts sehen ... , und ich kann mich nicht bewegen.«
Die Öffnung der Höhle war bereits versiegelt worden. Sie
hatte Angst und fühlte sich schrecklich. Ihr Atem ging
schneller und unregelmäßiger. Zum Glück konnte sie ster-
ben und ihr angsterfülltes Leben beenden.
»Ich fühle mich sehr leicht ... , als würde ich schweben.
Es ist sehr hell hier. Es ist wunderbar!«
»Leiden Sie Schmerzen?«
»Nein!« Ich machte eine Pause, denn ich erwartete die

97
Meister. Stattdessen wurde sie fortgetragen. »Ich falle sehr
schnell. Ich gehe in einen Körper zurück!« Sie schien eben-
so überrascht zu sein wie ich.
»Ich sehe Gebäude, Gebäude mit runden Säulen. Es sind
viele Gebäude. Wir stehen draußen. Es gibt Bäume dort -
Olivenbäume. Es ist sehr schön. Wir sehen uns etwas an ...
Die Leute tragen eigenartige Masken, die ihr Gesicht be-
decken. Es ist irgendeine Feier. Sie tragen lange Gewänder
und Masken, die ihr Gesicht bedecken. Sie geben vor,
etwas zu sein, was sie nicht sind. Sie stehen auf einer
Bühne ... über unseren Sitzplätzen.«
»Sehen Sie ein Theaterstück?«
»Ja.«
»Wie sehen Sie aus? Schauen Sie sich an.«
»Ich habe braunes Haar. Mein Haar ist geflochten.« Sie
wartete. Ihre Beschreibung von sich und die Gegenwart
von Olivenbäumen erinnerte mich an Catherines griechi-
sches Lehen fünfzehnhundert Jahre vor Christus, als ich
ihr Lehrer war, Diogenes. Ich entschloss mich zu einer
Untersuchung.
»Wissen Sie das Datum?«
»Nein.«
»Sind Leute bei Ihnen, die Sie kennen?«
»Ja, mein Mann sitzt neben mir. Ich kenne ihn nicht [in
ihrem jetzigen Leben].«
»Haben Sie Kinder?«
»Ich trage eine Frucht in mir.« Ihre Wortwahl war inte-
ressant, irgendwie altertümlich und gar nicht wie Cathe-
rines bewusster Stil.
»Ist Ihr Vater dort?«
))Ich sehe ihn nicht. Sie sind irgendwo dort ... , aber nicht
bei mir.« Also hatte ich Recht. Es war vor fünfunddreißig
Jahrhunderten.
)) Was machen Sie dort?«
)) Wir sehen nur zu, aber Sie lehren. Sie lehren ... Wir
haben Dinge von Ihnen gelernt ... , Vierecke und Kreise,
witzige Dinge. Diogenes heißen Sie dort.«
))Was wissen Sie sonst noch von mir?«
))Sie sind alt. Wir sind irgendwie verwandt ... Sie sind
der Bruder meiner Mutter.«
))Kennen Sie auch andere Mitglieder meiner Familie?«
))Ich kenne Ihre Frau ... und Ihre Kinder. Sie haben
Söhne. Zwei von ihnen sind älter als ich. Meine Mutter ist
gestorben. Sie starb sehr jung.«
))Sind Sie bei Ihrem Vater aufgewachsen?«
)) Ja, aber jetzt bin ich verheiratet.«
))Und Sie erwarten ein Kind?«
))Ja. Ich habe Angst. Ich möchte nicht sterben, wenn das
Baby geboren wird.«
))Ist das Ihrer Mutter passiert?«
))Ja.«
))Und Sie haben Angst, es würde Ihnen auch so gehen?«
))Es geschieht sehr oft.«
))Ist es Ihr erstes Kind?«
))Ja, ich habe Angst. Ich erwarte es bald. Ich bin hoch-
schwanger. Es ist sehr unbequem für mich, wenn ich mich
bewege ... Es ist kalt.« Sie war zeitlich etwas fortgeschrit-
ten. Das Baby wurde gerade geboren. Catherine hatte nie
ein Kind geboren, und ich hatte in den vierzehn Jahren,
seit ich an der medizinischen Fakultät meinen Pflichtauf-

99
enthalt in der gynäkologischen Abteilung hinter mich ge-
bracht hatte, keines entbunden.
»Wo sind Sie?«, erkundigte ich mich.
»Ich liege auf etwas sehr Kaltem. Es ist sehr kalt. Ich
habe Schmerzen ... Jemand muss mir helfen. Jemand muss
mir helfen.« Ich sagte ihr, sie solle tief atmen und dass das
Kind ohne Schmerzen geboren würde. Sie keuchte und
stöhnte. Ihre Wehen dauerten noch einige qualvolle Minu-
ten, dann wurde ihr Kind geboren. Es war eine Tochter.
»Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Sehr schwach ... , so viel Blut!«
»Wissen Sie, wie Sie sie nennen werden?«
»Nein, ich bin zu müde ... Ich will mein Baby.«
»Ihr Baby ist bei Ihnen«, improvisierte ich, »ein kleines
Mädchen.«
»Ja, mein Mann ist erfreut.« Sie war erschöpft. Ich wies
sie an, ein kleines Schläfchen zu machen und erfrischt zu
erwachen. Nach ein oder zwei Minuten weckte ich sie.
»Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Ja ... Ich sehe Tiere. Sie tragen etwas auf dem Rücken.
Sie haben Körbe auf dem Rücken. Es sind viele Dinge in
den Körben ... Essen ... , irgendwelche roten Früchte ... «
»Ist es ein schönes Land?«
»Ja, mit viel Nahrung.«
»Kennen Sie den Namen dieses Landes? Wie nennen Sie
das Dorf, wenn ein Fremder Sie danach fragt?«
»Cathenia ... , Cathenia.«
»Es klingt wie eine griechische Stadt«, hakte ich nach.
»Das weiß ich nicht. Aber Sie wissen es. Sie haben das
Dorf verlassen und sind wieder zurückgekehrt. Ich nicht.«

100
Das war ziemlich heikel. Da ich in diesem Leben ihr alter
und weiser Onkel war, fragte sie mich, ob ich nicht die
Antwort auf meine eigene Frage wüsste. Leider war mir
dieses Wissen nicht zugänglich.
»Haben Sie Ihr ganzes Leben in diesem Dorf gelebt?«,
fragte ich. »Ja«, flüsterte sie, »aber Sie reisen, damit Sie das
lernen können, was Sie lehren. Sie reisen, um zu lernen,
um das Land kennenzulernen ... , die verschiedenen Han-
delsstraßen, damit Sie sie festhalten und Karten herstellen
können ... Sie sind alt. Sie gehen mit den jüngeren Leuten,
weil Sie etwas von Karten verstehen. Sie sind sehr weise.«
»Was für Karten meinen Sie, Sternkarten?«
>>Ja. Sie verstehen die Symbole. Sie können ihnen dabei
helfen ... , die Karten anzufertigen.«
»Erkennen Sie andere Leute aus dem Dorf?«
»Ich kenne sie nicht ... , aber ich kenne Sie.«
»ln Ordnung. Wie ist unsere Beziehung?«
»Sehr gut. Sie sind sehr gütig. Ich sitze gerne einfach nur
neben Ihnen, es ist sehr tröstlich ... Sie haben uns geholfen.
Sie haben meinen Schwestern geholfen ... «
»Es wird aber eine Zeit kommen, da ich Sie verlassen
muss, denn ich bin alt.«
»Nein.« Sie war nicht bereit, sich mit meinem Tod aus-
einander zu setzen. »Ich sehe Brot, Fladenbrot, sehr flach
und dünn.«
»Wird dieses Brot gegessen?«
»Ja, von meinem Vater, meinem Mann und mir. Und von
anderen Leuten im Dorf.«
»Zu welchem Anlass?«
»Es ist eine Art ... , eine Art Fest.«

101
»Ist Ihr Vater dort?«
»Ja.«
»Ist Ihr Baby dort?«
»Ja, aber es ist nicht bei mir. Es ist bei meiner Schwes-
ter.«
»Schauen Sie sich Ihre Schwester genau an«, schlug ich
vor, auf der Suche nach dem Erkennen einer wichtigen
Person in Catherines gegenwärtigem Leben.
»Ja, aber ich kenne sie nicht.«
»Erkennen Sie Ihren Vater?«
»Ja ... , ja ... , Edward. Es gibt Feigen, Feigen und Oliven
... und rote Früchte. Und Fladenbrot. Sie haben einige
Schafe geschlachtet. Sie rösten die Schafe.« Es gab eine
lange Pause. »Ich sehe etwas Weißes.« Wieder hatte sie
einige Zeit verstreichen lassen. »Es ist eine weiße, vier-
eckige Schachtel. Dort hinein legen sie die Leute, wenn sie
sterben.«
»Dann ist also jemand gestorben?«
»Ja ... , mein Vater. Ich möchte ihn nicht anschauen. Ich
will ihn nicht sehen.«
»Müssen Sie hinsehen?«
»Ja. Sie werden ihn mitnehmen, um ihn zu begraben.
Ich bin sehr traurig.«
»Ja, ich weiß. Wie viele Kinder haben Sie?« Der Bericht-
erstatter in mir wollte sie nicht trauern lassen.
»Drei, zwei Knaben und ein Mädchen.« Als sie meine
Frage gehorsam beantwortet hatte, kehrte sie zu ihrer
Trauer zurück. »Sie haben etwas über seinen Körper gelegt,
eine Art Decke ... «
Sie schien sehr traurig zu sein.

102
»Bin ich inzwischen auch schon gestorben?«
»Nein. Wir trinken, Trauben, Trauben in einer Tasse.«
»Wie sehe ich jetzt aus?«
»Sie sind alt, sehr alt.«
»Fühlen Sie sich schon besser?«
»Nein! Wenn Sie sterben, werde ich allein sein.«
»Haben Sie Ihre Kinder überlebt? Sie werden sich um
Sie kümmern.«
»Aber Sie wissen so viel.« Sie klang wie ein kleines
Mädchen.
»Sie werden zurechtkommen. Sie wissen auch viel. Sie
werden in Sicherheit sein.« Ich tröstete sie, und sie schien
friedlich zu ruhen.
»Fühlen Sie sich jetzt ruhiger? Wo befinden Sie sich
jetzt?«
»Ich weiß es nicht.« Sie war scheinbar in einen geistigen
Zustand übergegangen, auch wenn sie das Ende jenes
Lebens nicht erfahren hatte. Diese Woche waren wir zwei
Leben in vielen Einzelheiten durchgegangen. Ich erwartete
die Meister, aber Catherine ruhte sich weiterhin aus. Nach
einigen weiteren Minuten fragte ich sie, ob sie mit den
Meisterwesen sprechen könne.
»Ich habe diese Ebene noch nicht erreicht«, erklärte sie.
»Ich kann nicht sprechen, bis ich dort bin.«
Doch sie kam nicht dort an. Nach langem Warten führ-
te ich sie aus ihrer Trance.

103
8

Bis zu unserer nächsten Sitzung vergingen drei Wochen.


Als ich während meines Urlaubs an einem tropischen
Strand lag, hatte ich die Zeit und den Abstand, um über
das nachzudenken, was mit Catherine geschehen war: eine
hypnotische Rückführung in frühere Leben mit detaillier-
ten Beobachtungen und Erklärungen von Gegenständen,
Prozessen und Tatsachen - von denen sie in ihrem nor-
malen, wachen Zustand keine Ahnung hatte; Besserung
ihrer Symptome durch die Rückführungen - Besserungen,
die durch die konventionelle Psychotherapie in den ersten
achtzehn Monaten der Behandlung nicht einmal entfernt
erreicht wurden; bestürzend genaue Enthüllungen aus dem
jenseitigen, geistigen Zustand, die Wissen vermittelten, zu
denen sie keinen bewussten Zugang hatte; spirituelle
Poesie und Lehren über die Dimensionen nach dem Tode,
über Leben und Tod, Geburt und Wiedergeburt, von Meis-
tern, die mit einer Weisheit und in einem Stil sprachen, der
Catherines Fähigkeiten bei weitem überstieg. Es gab wirk-
lich einiges zu betrachten.
Über die Jahre hatte ich viele Hunderte, vielleicht sogar
Tausende von Psychiatriepatienten behandelt, die das ge-
samte Spektrum von emotionalen Störungen aufgewiesen
hatten. Ich hatte an vier großen medizinischen Fakultäten
stationäre psychiatrische Abteilungen geführt. Ich hatte

104
Jahre in psychiatrischen Notaufnahmestationen, ambulan-
ten Kliniken und verschiedenen anderen Einrichtungen
zugebracht, wo ich ambulante Patienten untersuchte und
behandelte. Ich wusste genau Bescheid über die auditiven
und visuellen Halluzinationen und Wahnvorstellungen der
Schizophrenie. Ich hatte viele Patienten mit BorderBne-
syndromen und hysterischen Charakterstörungen behan-
delt, darunter auch solche mit gespaltenen oder multiplen
Persönlichkeiten. Ich war Dozent für Drogen- und Alko-
holmissbrauch gewesen. Die Auswirkungen von Drogen
auf das Gehirn hatte ich intensiv studiert.
Catherine wies keine dieser Symptome oder Syndrome
auf. Was geschehen war, war kein Ausdruck psychischer
Krankheit. Sie war nicht psychotisch oder außer Kontakt
mit der Wirklichkeit, und sie hatte nie an Halluzinationen
(Dinge sehen oder hören, die nicht wirklich sind) oder
Täuschungen (Irrglauben) gelitten.
Sie nahm keine Drogen und hatte keine soziapathischen
Züge. Das heißt, sie war sich im Allgemeinen dessen be-
wusst, was sie tat oder dachte, sie funktionierte nicht
»automatisch« und hatte nie unter einer gespaltenen oder
multiplen Persönlichkeit gelitten. Das Material, das sie
hervorbrachte, ging sowohl hinsichtlich des Stils als auch
des Inhalts oft über ihre bewussten Möglichkeiten hinaus.
Manches davon war besonders medial, wie die Anspie-
lungen auf spezifische Ereignisse und Tatsachen aus mei-
ner eigenen Vergangenheit (zum Beispiel das Wissen über
meinen Vater und über meinen Sohn) wie auch aus der
ihren. Sie verfügte über Wissen, zu dem sie in ihrem jetzi-
gen Leben nie Zugang gehabt hatte oder dort hätte sam-

105
mein können. Dieses Wissen wie auch die gesamte Erfah-
rung waren ihrer Kultur und Erziehung fremd und wider-
sprachen vielen von ihren Überzeugungen.
Catherine ist ein relativ einfacher und aufrichtiger
Mensch. Sie ist keine Gelehrte, und sie hätte diese Tat-
sachen, Einzelheiten, geschichtlichen Ereignisse, Beschrei-
bungen und poetischen Formulierungen nicht erfinden
können, die sich durch sie manifestierten. Als Psychiater
und Wissenschaftler war ich sicher, dass dieses Material
einem Teil ihres unbewussten Denkens entsprang. Für
mich stand fest, dass es echt war. Sogar wenn Catherine
eine erfahrene Schauspielerin gewesen wäre, hätte sie diese
Vorkommnisse nicht inszenieren können. Die Informatio-
nen waren zu genau und zu spezifisch. Es überstieg ihre
Möglichkeiten, in der Weise zu lügen.
Ich erwog den therapeutischen Sinn und Zweck der
Untersuchung von Catherines früheren Leben. Nachdem
wir einmal in diesen neuen Bereich hineingestolpert
waren, machte sie, ohne jegliche Medikamente, dramatisch
schnelle Fortschritte. Hier kommt eine große Heilkraft
zum Tragen, eine Kraft, die offenbar viel wirksamer ist als
konventionelle Therapie oder moderne Medikamente.
Diese Kraft umfasst nicht nur das Erinnern und Wieder-
erleben von traumatischen Ereignissen, sondern auch die
täglichen Verletzungen unseres Körpers, Verstands und
Ego. Beim Durchgehen früherer Leben suchte ich mit
meinen Fragen nach den Mustern dieser Verletzungen wie
zum Beispiel chronische seelische oder körperliche Miss-
handlung, Armut und Hunger, Krankheit und Gebrechen,
anhaltende Verfolgung und Vorurteile, wiederhohes Ver-

106
sagen und so weiter. Ich hielt ebenfalls Ausschau nach
Tragödien wie traumatischem Tod, Vergewaltigung oder
Naturkatastrophen und nach anderen entsetzlichen Ereig-
nissen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen könn-
ten. Die Technik glich jener der Aufarbeitung der Kindheit
in der konventionellen Therapie, nur dass der Zeitrahmen
mehrere tausend Jahre umspannte anstatt die üblichen
zehn oder fünfzehn. Deshalb waren meine Fragen direkter
und direktiver als in der konventionellen Therapie. Doch
der Erfolg unserer unorthodoxen Untersuchung war unbe-
streitbar. Sie (und andere, die ich später mittels hypnoti-
scher Rückführung behandelte) wurde mit unglaublicher
Geschwindigkeit gesund.
Gab es noch weitere Erklärungen für Catherines Erin-
nerungen aus früheren Leben? Konnten diese Erinnerun-
gen in ihren Genen angelegt sein? Diese Möglichkeit ist
von sehr geringer wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit.
Ein genetisches Gedächtnis bedingt die ungebrochene
physische Weitergabe von genetischem Material von einer
Generation an die nächste. Catherine hatte auf der ganzen
Welt gelebt, ihre genetische Linie war wiederholt unter-
brochen worden. Sie starb mit ihren Nachkommen bei
einer Überschwemmung oder war kinderlos, oder sie starb
in ihrer Jugend. Ihr Genpool endete und wurde nicht über-
tragen. Und was war mit ihrem Leben nach dem Tod in
den Zwischenbereichen? Es gab dort keinen physischen
Körper und bestimmt kein genetisches Material, dennoch
waren ihre Erinnerungen ungebrochen. Nein, eine gene-
tische Erklärung musste verworfen werden.
Was war mit Jungs Gedanken eines kollektiven Unbe-

107
wussten, einem Reservoir aller menschlichen Erinnerun-
gen und Erfahrungen, das irgendwie angezapft werden
konnte? Verschiedene Kulturen zeigen oft ähnliche Sym-
bole, sogar in Träumen. Laut Jung wird das kollektive
Unbewusste nicht persönlich erworben, sondern der Ge-
hirnstruktur irgendwie »vererbt«. Es umfasst Motive und
Bilder, die in jeder Kultur neu auftreten, ohne sich auf his-
torische Überlieferungen zu stützen. Ich war der Meinung,
Catherines Erinnerungen seien zu spezifisch, um durch
den Jung'schen Begriff des kollektiven Unbewussten er-
klärt zu werden. Sie enthüllte keine Symbole und univer-
sellen Bilder oder Motive, sondern vermittelte detaillierte
Beschreibungen von spezifischen Menschen und Örtlich-
keiten. Jungs Ideen erschienen hier zu ungenau. Und dann
war da immer noch das Zwischenreich, das es einzube-
ziehen galt. Alles in allem ergab die Wiedergeburt den
größten Sinn.
Catherines Wissen war nicht nur detailliert und spezi-
fisch, sondern lag ebenfalls jenseits ihrer bewussten Mög-
lichkeiten. Sie wusste Dinge, die man nicht in einem Buch
nachlesen und dann vorübergehend vergessen konnte. Ihr
Wissen konnte nicht in ihrer Kindheit erworben und dann
auf ähnliche Weise aus ihrem Bewusstsein verdrängt oder
unterdrückt worden sein. Und was war mit den Meistern
und ihren Botschaften? Diese kamen durch Catherine,
waren aber nicht Teil von ihr. Aber ihre Weisheit spiegelte
sich auch in Catherines Erinnerungen an frühere Leben.
Ich wusste dies nicht nur anband vieler Jahre eines sorg-
fältigen Studiums des Menschen, seines Bewusstseins,
seines Gehirns und seiner Persönlichkeit, sondern ich

108
wusste es auch intuitiv, sogar schon vor dem lksud•
meines Vaters und meines Sohnes. Mein Gehirn mit seinen
vielen Jahren sorgfältiger wissenschaftlicher Ausbildung
wusste es, und mein Bauch wusste es auch.

»Ich sehe Töpfe mit irgendwelchem ÖL« Trotz der drei-


wöchigen Unterbrechung war Catherine schnell in Trance
gefallen. Sie ging in einen anderen Körper und in eine
andere Zeit ein. ))Es müssen verschiedene Öle in den
Töpfen sein. Es scheint eine Art Lager zu sein oder ein Ort,
wo man Dinge aufbewahrt. Sie sind rot ... , rot, aus irgend-
einer Art roter Erde gemacht. Sie sind mit blauen Bändern
umwickelt, blaue Bänder an den Deckeln. Ich sehe Männer
dort ... Es sind Männer in diesem Keller. Sie tragen die
Krüge und Töpfe umher, stapeln sie und stellen sie an be-
stimmte Orte. Ihre Köpfe sind geschoren ... Sie haben kein
Haar auf dem Kopf. Ihre Haut ist braun ... , braune Haut.«
))Sind Sie dort?«
))Ja ... Ich versiegle einige Krüge ... mit einer Art Wachs ...
Ich versiegle die Deckel der Krüge mit dem Wachs.«
))Wissen Sie, wozu die Öle gebraucht werden?«
))Ich weiß es nicht.«
))Sehen Sie sich? Schauen Sie sich an, und sagen Sie mir,
wie Sie aussehen.« Sie schwieg, während sie sich betrach-
tete.
))Ich trage einen Zopf. Es ist ein Zopf in meinem Haar.
Ich habe eine Art ... langes Kleid an. Es wird von einer
goldenen Borte eingefasst.«
))Arbeiten Sie für diese Priester, für die Männer mit den
geschorenen Köpfen?«
»Es isl meine Aufgabe, die Krüge mit dem Wachs zu ver-
siegeln. Uas ist meine Arbeit.«
»Aber Sie wissen nicht, wofür die Krüge verwendet
werden?«
»Sie scheinen in irgendeinem religiösen Ritual Verwen-
dung zu finden. Aber ich bin nicht sicher ... , was für eines.
Es wird gesalbt, etwas auf den Köpfen ... , etwas auf deinen
Kopf und deine Hände, deine Hände. Ich sehe einen
Vogel, einen goldenen Vogel, der sich um meinen Hals
befindet. Er ist flach. Er hat einen flachen Schweif, einen
sehr dicken Schweif, und sein Kopf zeigt nach unten ... auf
meine Füße.«
»Auf Ihre Füße?«
»Ja, so muss er getragen werden. Ich sehe eine schwar-
ze ... klebrige Masse. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Wo ist sie?«
»Sie befindet sich in einem Marmorbehälter. Das benut-
zen sie auch. Aber ich weiß nicht, wozu.«
»Gibt es etwas in diesem Keller, das Sie lesen können,
um mir zu sagen, in welchem Land Sie sind - den Ort, wo
Sie leben, oder das Datum.«
»Es steht nicht an den Wänden; sie sind leer. Ich weiß
den Namen nicht.« Ich führte sie in der Zeit weiter.
»Ich sehe einen weißen Krug, irgendeinen weißen Krug.
Der Griff auf dem Deckel ist aus Gold, es ist irgendeine
goldene Verzierung darauf.«
>>Was ist in dem Krug?«
»Eine Art Salbe. Es hat etwas zu tun mit dem Übergang
in die andere Welt.«
»Sind Sie die Person, die jetzt hinübertreten wird?«

110
»Nein! Es ist niemand, den ich kenne.«
»Gehört das auch zu Ihrer Aufgabe? Menschen auf
diesen Übergang vorzubereiten?«
»Nein, das müssen die Priester tun, nicht wir. Wir be-
liefern sie nur mit den Salben, dem Räucherwerk ... «
»Wie alt scheinen Sie jetzt zu sein?«
»Sechzehn.«
»Leben Sie bei Ihren Eltern?«
»Ja, in einem Steinbaus, irgendeine steinerne Behau-
sung. Sie ist nicht sehr groß. Es ist sehr heiß und trocken.
Das Klima ist sehr heiß.«
»Gehen Sie zu Ihrern Haus.«
»Ich bin dort.«
»Sehen Sie andere Menschen in Ihrer Familie?«
»Ich sehe einen Bruder, meine Mutter ist dort und ein
Baby, irgendein Baby.«
»Ist das Ihr Baby?«
»Nein.«
»Was ist jetzt wichtig? Gehen Sie zu etwas Wichtigem,
das Ihre Symptome in Ihrern jetzigen Leben erklärt. Wir
müssen es verstehen. Es kann Ihnen nichts passieren, wenn
Sie es erfahren. Gehen Sie zu diesen Ereignissen.«
Sie antwortete in einem sehr leisen Flüsterton: >>Alles zu
seiner Zeit ... Ich sehe Menschen sterben.«
»Menschen sterben?«
»Ja ... Sie wissen nicht, was es ist.«
»Eine Krankheit?« Plötzlich ging mir auf, dass sie wieder
Kontakt zu einem uralten Leben aufgenommen hatte,
eines, zu dem sie zuvor schon zurückgegangen war. In
jenem Leben hatte eine vorn Wasser übertragene Seuche

111
Catherines Vater und einen ihrer Brüder getötet. Catherine
hatte die Krankheit auch gehabt, aber sie war nicht daran
gestorben. Diese Menschen hatten beim Versuch, die
Seuche abzuwenden, Knoblauch und andere Kräuter ver-
wendet. Catherine war betroffen gewesen, weil die Toten
nicht einbalsamiert wurden.
Doch jetzt hatten wir uns diesem Leben von einer ande-
ren Seite genähert. ))Hat es etwas mit dem Wasser zu tun?«,
fragte ich.
))Sie glauben es. Es sterben viele Menschen.« Ich kannte
den Schluss schon.
))Aber Sie sterben nicht daran, nicht wahr?«
))Nein, ich sterbe nicht.«
))Doch Sie werden krank.«
))Ja. Mir ist sehr kalt ... , sehr kalt. Ich brauche Wasser ...
Sie meinen, es käme vorn Wasser ... Und etwas Schwarzes
... Jemand stirbt.«
)) Wer stirbt?«
))Mein Vater stirbt, und einer meiner Brüder stirbt auch.
Meiner Mutter geht es besser, sie erholt sich. Sie ist sehr
schwach. Sie müssen die Toten begraben. Sie müssen sie
begraben, und die Leute sind verstört, weil es gegen die
religiösen Sitten ist.«
))Welche Sitten?« Ich bewunderte ihre gleich bleibende
Erinnerung, die Tatsache um Tatsache genau dem ent-
sprach, wie sie das Leben mehrere Monate zuvor erzählt
hatte. Wieder war sie sehr verstört wegen dieser Abwei-
chung von den üblichen Begräbnissitten.
))Die Menschen wurden in Höhlen gebracht. Die Körper
wurden in Höhlen aufbewahrt. Doch zuerst mussten sie

112
von den Priestern vorbereitet werden. Sie mussten banda-
giert und gesalbt werden. Sie wurden in Höhlen aufbe-
wahrt, aber das Land wird überschwemmt. Sie sagen, das
Wasser sei schlecht. Ich trinke es nicht.«
»Gibt es etwas, womit man es behandeln kann? Hat
irgendetwas funktioniert?«
»Man gab uns Kräuter, verschiedene Kräuter. Die Ge-
rüche ... , die Kräuter ... , der Duft. Ich kann ihn riechen!«
»Erkennen Sie den Geruch?<<
»Es ist weiß. Sie hängen es an der Decke auf.<<
»Ist es wie Knoblauch?<<
»Es hängt von den ... Ja, es hat ähnliche Eigenschaften.
Seine Eigenschaften ... Man stopft es in den Mund, in die
Ohren, die Nase, überallhin. Der Geruch war scharf.
Man glaubte, er würde die bösen Geister davon abhalten,
in deinen Körper einzutreten. Violette ... Früchte oder
etwas Rundes, das außen violett ist, mit einer violetten
Haut ... <<
»Erkennen Sie die Kultur, in der Sie sich befinden?
Kommt Sie Ihnen bekannt vor?<<
»Ich weiß es nicht.<<
»Ist das Violette eine Art Frucht?<<
»Tannis.<<
»Könnte es Ihnen helfen? Ist es gegen Ihre Krankheit?<<
>>Das war es damals.<<
»Tannis«, wiederholte ich, wiederum um zu sehen, ob sie
von dem sprach, das wir Tannin oder Gerbsäure nennen.
»Nannten sie es Tannis?«
»Ich höre ... Ich höre immer wieder >Tannis<.«
>>Was von diesem Leben hat sich in Ihr gegenwärtiges

113
Leben eingenistet? Warum kehren Sie dorthin zurück?
Was ist es, das daran so unangenehm war?«
»Die Religion«, flüsterte Catherine schnell, »die Re-
ligion jener Zeit. Es war eine Religion der Angst ...
Angst. Es gab so viele Dinge zu fürchten ... und so viele
Götter.«
>>Erinnern Sie sich an die Namen dieser Götter?«
»Ich sehe Augen. Ich sehe eine Art ... schwarzes ... Es
sieht aus wie ein Schakal. Er ist in einer Statue. Es ist der
Wärter irgendeines ... Ich sehe eine Frau, eine Göttin mit
irgendeinem Kopfschmuck.«
»Kennen Sie den Namen der Göttin?«
Ȇsiris ... Sirus ... ,so etwas. Ich sehe ein Auge. Ein Auge,
nur ein Auge an einer Kette. Es ist aus Gold.«
»Ein Auge ... Wer ist Hathor?«
»Was?«
»Hathor. Wer ist das?«
Ich hatte nie von Hatbor gehört, auch wenn ich wusste,
dass Osiris, wenn die Aussprache stimmte, der Bruder-
gemahl von lsis war, einer ägyptischen Hauptgottheit. Wie
ich später erfuhr, war Hatbor die ägyptische Göttin der
Liebe, der Fröhlichkeit und der Freude. »Ist es einer der
Götter?«
»Hathor! Hathor.« Es gab eine lange Pause. »Vogel ... Er
ist flach ... , flach, ein Phönix ... « Sie war still.
»Gehen Sie zu Ihrem letzten Lebenstag, dem Tag, bevor
Sie starben. Sagen Sie mir, was Sie sehen.«
Sie antwortete mit einem sehr leisen Flüstern. »Ich sehe
Leute und Gebäude. Ich sehe Sandalen, Sandalen und ein
grobes Tuch, irgendein grobes Tuch.«
»Was geschieht? Gehen Sie jetzt zum Augenblick Ihres
Todes. Was passiert mit Ihnen? Können Sie es sehen?«
»Ich sehe es nicht ... Ich sehe mich nicht mehr.<<
»Wo sind Sie? Was sehen Sie?«
»Nichts ... , nur Dunkelheit ... Ich sehe ein Licht, ein
warmes Licht.«
Sie war bereits gestorben, war bereits in den geistigen
Zustand übergegangen. Offenbar brauchte sie ihren eigent-
lichen Tod nicht wiederzuerleben.
»Können Sie zum Licht gehen?«, fragte ich.
»Ich gehe.« Sie ruhte friedlich und wartete wieder. »Kön-
nen Sie jetzt zurückschauen auf die Lehren dieses Lebens?
Sind Sie sich ihrer schon bewusst?«
»Nein«, flüsterte sie. Sie wartete weiter. Plötzlich schien
sie wach zu sein, auch wenn ihre Augen geschlossen
blieben, wie sie es immer waren, wenn sie sich in einer
hypnotischen Trance befand. Ihr Kopf drehte sich von
einer Seite auf die andere.
»Was sehen Sie jetzt? Was geschieht?«
Ihre Stimme klang lauter. »Ich habe das Gefühl ... ,
jemand spricht zu mir!«
»Was sagen sie?«
»Sie sprechen von Geduld. Man muss Geduld haben ... «
»Ja, weiter.«
Die Antwort kam vom poetischen Meister. »Geduld und
Zeitgefühl ... , alles kommt, wenn es muss. Ein Leben kann
nicht vorangetrieben werden, kann nicht nach einem Zeit-
plan gelebt werden, wie so viele Menschen das möchten.
Wir müssen das, was zu einer gegebenen Zeit zu uns
kommt, akzeptieren und nicht nach mehr fragen. Aber das
Leben ist endlos, also sterben wir nie, und wir werden nie
wirklich geboren. Wir bewegen uns nur durch verschie-
dene Phasen. Es gibt kein Ende. Menschen haben viele
Dimensionen. Doch die Zeit ist nicht, wie wir Zeit sehen,
sondern sie besteht vielmehr aus gelernten Lektionen.«
Es gab eine lange Pause. Der Meister fuhr fort.
»Alles wird dir mit der Zeit klar werden. Doch du musst
die Gelegenheit haben, das Wissen zu verdauen, das wir
dir bereits gegeben haben.« Catherine war ruhig.
»Gibt es mehr, das ich lernen sollte?«, fragte ich.
»Sie sind weg«, flüsterte sie leise. »Ich höre niemanden.«

116
9

Jede Woche fiel eine weitere Schicht neurotischer Angste


und Befürchtungen von Catherine ab. Jede Woche schien
sie ein bisschen heiterer, ein bisschen weicher und ge-
duldiger zu werden. Sie hatte mehr Selbstvertrauen. Die
Menschen fühlten sich von ihr angezogen. Catherine
spürte mehr Liebe, und andere gaben ihr diese Liebe zu-
rück. Der innere Diamant, der ihre wahre Persönlichkeit
war, leuchtete vor aller Augen.
Catherines Regressionen umspannten Jahrtausende. Je-
des Mal, wenn sie in eine hypnotische Trance fiel, hatte ich
keine Ahnung, welche Fäden ihres Lebens sie zeigen wür-
de. Von prähistorischen Höhlen über das alte Agypten bis
zur Moderne- sie war dort gewesen. Und alle ihre Leben
waren irgendwo jenseits der Zeit von den Meistern liebe-
voll überwacht worden. In der heutigen Sitzung tauchte sie
im zwanzigsten Jahrhundert auf, aber nicht als Catherine.
»Ich sehe einen Flugzeugrumpf und eine Landebahn,
irgendeine Landebahn«, flüsterte sie leise.
»Wissen Sie, wo es ist?«
»Ich kann nichts sehen ... Elsässisch?« Dann, bestimm-
ter: »Elsässisch.«
»ln Frankreich?«
»Ich weiß es nicht, einfach elsässisch ... Ich sehe den
Namen von Marks, von Marks [phonetisch]. Irgendein

117
lnauun I leim oder eine Mütze, eine Mütze mit einer
Schutt.l>rillc. I )ic Truppe ist zerstört worden. Es scheint
eine sehr cmlcgcnc Gegend zu sein. Ich glaube nicht, dass
es in der Nähe eine Stadt gibt.«
))Was sehen Sie?«
))Ich sehe zerstörte Gebäude. Ich sehe Gebäude ... Das
Land ist aufgerissen von ... Bomben. Es ist eine sehr gut
versteckte Gegend.«
>>Was machen Sie dort?«
))Ich helfe ihnen mit den Verwundeten. Sie tragen sie
weg.«
))Schauen Sie sich an. Beschreiben Sie sich. Schauen Sie
an sich herab, und sagen Sie mir, was Sie anhaben.«
))Ich trage irgendeine Jacke. Ich habe blondes Haar und
blaue Augen. Meine Jacke ist sehr schmutzig. Es gibt viele
Verwundete.«
))Sind Sie darin ausgebildet, den Verwundeten zu helfen?<<
))Nein.«
))Leben Sie dort, oder wurden Sie dort hingebracht? Wo
wohnen Sie?«
))Ich weiß es nicht.«
))Wie alt sind Sie etwa?«
))Fünfunddreißig.« Catherine selbst war neunundzwan-
zig, und sie hat braune und nicht blaue Augen. Ich be-
fragte sie weiter.
))Haben Sie einen Namen? Steht er auf ihrer Jacke?«
))Es sind Flügel auf der Jacke. Ich bin ein Pilot ... , irgend-
ein Pilot«
))Fliegen Sie die Flugzeuge?«
))Ja, ich muss.«

118
))Für wen müssen Sie fliegen?«
))Ich bin da, um zu fliegen, das ist meine Aufgabe.<<
))Werfen Sie auch die Bomben ab?«
))Wir haben einen Schützen an Bord. Und es gibt einen
Navigator.«
))Welche Art Flugzeug fliegen Sie?«
))lrgendein Kampfflugzeug. Es hat vier Propeller. Die
Flügel befinden sich direkt am Rumpf.<< Ich war belustigt,
weil Catherine nichts von Flugzeugen verstand, und fragte
mich, was ))Flügel direkt am Rumpf« wohl für sie bedeu-
tete. Doch wie das Herstellen von Butter oder das Ein-
balsamieren von Leichen: unter Hypnose verfügte sie über
ein großes Reservoir an Wissen. Doch nur ein Bruchteil
dieses Wissens stand ihrem Alltagsbewusstsein zur Ver-
fügung. Ich drängte weiter.
))Haben Sie eine Familie?«
))Sie ist nicht bei mir.«
))Ist sie in Sicherheit?«
))Ich weiß es nicht. Ich habe Angst ... , Angst, dass sie zu-
rückkommen werden. Meine Freunde sterben!«
))Vor wem haben Sie Angst, dass sie zurückkommen
werden?«
))Der Feind.«
))Wer ist es?«
))Die Engländer ... , die amerikanischen Streitkräfte ... , die
Engländer.«
))Ja. Erinnern Sie sich an Ihre Familie?«
))Mich erinnern? Es herrscht ein zu großes Durcheinan-
der.«
))Lassen Sie uns zu einer früheren Zeit in diesem Leben
zurückkehren, vor dem Krieg, zu einer Zeit mit Ihrer
Familie, in Ihrem Zuhause. Sie können es sehen. Ich weiß,
dass es schwer ist, aber ich möchte, dass Sie sich entspan-
nen. Versuchen Sie sich zu erinnern.«
Catherine war kurze Zeit ruhig, dann flüsterte sie: »Ich
höre den Namen Erich ... , Erich. Ich sehe ein blondes
Kind, ein Mädchen.«
»Ist das Ihre Tochter?«
»Ja, das muss ... Margot sein.«
»Ist sie in Ihrer Nähe?«
»Sie ist bei mir. Wir machen einen Ausflug. Es ist ein
wunderschöner Tag.«
»Ist noch jemand anders bei Ihnen? Außer Margot?«
»Ich sehe eine Frau mit braunem Haar auf dem Gras
sitzen.«
»Ist es Ihre Frau?«
»Ja ... Ich kenne sie nicht«, fügte sie hinzu und meinte
ein Erkennen von jemandem in ihrem jetzigen Leben.
»Kennen Sie Margot? Schauen Sie sich Margot genau
an. Kennen Sie sie?«
»Ja, aber ich bin mir nicht sicher, woher ... Ich kenne sie
von irgendwo.«
»Es wird Ihnen gefallen. Schauen Sie ihr in die Augen.«
»Es ist Judy«, antwortete sie. Judy war gegenwärtig ihre
beste Freundin. Sie hatten bei ihrer ersten Begegnung
sofort Kontakt zueinander gefunden und waren dicke
Freundinnen geworden, die einander vorbehaltlos ver-
trauten und die gegenseitig ihre Gedanken und Bedürf-
nisse errieten.
»Judy?«, wiederholte ich.

120
»Ja, Judy. Sie sieht ihr ähnlich ... Sie hat dasselbe
Lächeln.«
»Schön, sehr schön. Sind Sie glücklich zu Hause, oder
gibt es Probleme?«
»Es gibt keine Probleme.« [Lange Pause.] »Doch! Doch!
Es ist die Zeit der Unruhen. Es gibt ein Problem mit der
deutschen Regierung, der politischen Struktur. Zu viele
Leute wollen sich in zu viele Richtungen bewegen. Mit der
Zeit wird es uns zerreißen. Aber ich muss für mein Land
kämpfen.«
»Hegen Sie starke Gefühle für Ihr Land?«
»Ich mag den Krieg nicht. Ich glaube, dass es falsch ist,
zu töten, aber ich muss meine Pflicht tun.«
>>Gehen Sie jetzt zurück, dorthin, wo Sie waren, zum
Flugzeug auf dem Boden und den Bomben. Es ist später,
der Krieg hat begonnen. Die Engländer und die Amerika-
ner werfen in Ihrer Nähe Bomben ab. Gehen Sie zurück.
Sehen Sie das Flugzeug jetzt wieder?«
»Ja.«
»Hegen Sie immer noch dieselben Gefühle, was Ihre
Pflicht, das Töten und den Krieg anbelangt?«
»Ja, wir werden umsonst sterben.«
>>Was?«
»Wir werden umsonst sterben«, wiederholte sie in einem
lauteren Flüsterton.
»Für nichts? Warum für nichts? Ist daran nichts Ruhm-
reiches? An der Verteidigung Ihres Landes und der Men-
schen, die Sie lieben?«
»Wir werden sterben, um die Ideen einiger weniger zu
verteidigen.«

121
.. 1\udl Wl'llll l'.' die l'iiluer Ihres Landes waren? Sie kön-
nen sich irren ... « Sie fielmir ganz schnell ins Wort.
»Es sind keine l;ührer. Wenn sie Führer wären, gäbe es
in der Regierung nicht so viele ... innere Auseinander-
setzungen. Manche Leute sagen, sie seien verrückt. Ver-
stehen Sie, was ich meine? Machthungrig. Wir müssen alle
verrückt sein, uns von ihnen aufhetzen zu lassen ... ,
Menschen zu töten. Und uns selbst umzubringen ... «
»Ist von Ihren Freunden noch irgendwer übrig?«
»Ja, einige leben noch.«
»Ist jemand darunter, der Ihnen besonders nahe steht?
In Ihrer Flugzeugmannschaft? Leben Ihr Schütze und Ihr
Navigator noch?«
»Ich sehe sie nicht, aber mein Flugzeug ist nicht abge-
schossen worden.«
»Fliegen Sie wieder mit dem Flugzeug?«
»Ja. Wir müssen uns beeilen, um das einzige verbleiben-
de Flugzeug vom Landeplatz zu fliegen ... , ehe sie zurück-
kommen.«
»Aber Sie müssen es vom Boden kriegen!«
»Es ist so sinnlos ... «
»Welcher Tätigkeit sind Sie vor dem Krieg nachge-
gangen? Können Sie sich erinnern? Was hat Erich ge-
macht?«
»Ich war stellvertretender Kapitän ... auf einem kleinen
Flugzeug, ein Frachtflugzeug.«
»Also waren Sie damals schon Pilot?«
»Ja.«
»Hat Sie das oft von daheim weggeführt?«
»Ja«, antwortete sie leise und sehnsüchtig.

122
»Gehen Sie in die Zeit voraus bis zum nächsten Flug«,
wies ich sie an. »Können Sie das tun?«
»Es gibt keinen nächsten Flug.«
»Ist Ihnen etwas passiert?«
»Ja.« Ihr Atem ging schneller, und sie war ganz auf-
geregt. Sie war zu ihrem Todestag fortgeschritten.
»Ich renne vor dem Feuer davon. Meine Partei wird
durch das Feuer auseinander gerissen.«
»Überleben Sie es?«
»Niemand überlebt ... , niemand überlebt einen Krieg.
Ich sterbe!« Ihr Atem ging schwer. »Blut, überall ist Blut!
Meine Brust tut weh. Ich bin in die Brust getroffen worden
... und in mein Bein ... und im Nacken.<< Sie lag im Todes-
kampf, aber bald wurde ihr Atem langsamer und regel-
mäßiger, ihre Gesichtsmuskeln entspannten sich, und ein
Ausdruck von Frieden kam über sie. Ich erkannte die Ruhe
der Übergangsphase.
»Sie sehen zufriedener aus. Ist es vorbei?<< Sie wartete
einen Augenblick und antwortete dann sehr leise.
»Ich gleite von meinem Körper weg. Ich habe keinen
Körper. Ich befinde mich wieder im Geist.<<
»Gut. Ruhen Sie sich aus. Sie haben ein schweres Leben
hinter sich und sind einen schweren Tod gestorben. Sie
müssen sich ausruhen. Erholen Sie sich. Was haben Sie
von diesem Leben gelernt?«
»Ich habe über Hass gelernt ... , sinnloses Töten ... , irre-
geführten Hass ... , Menschen, die hassen und nicht wissen,
warum. Wir werden dazu getrieben ... durch das Böse,
wenn wir uns im physischen Zustand befinden ... «
»Gibt es eine höhere Pflicht als die gegenüber dem

123
Vaterland? Etwas, das Sie davon hätte abhalten können zu
töten? Sogar wenn man es Ihnen befahl? Eine Pflicht ge-
genüber sich selbst?«
»Ja ... « Aber sie ging nicht weiter darauf ein.
»Warten Sie jetzt auf etwas Neues?«
»Ja ... Ich warte darauf, in einen Zustand der Erneue-
rung überzugehen. Sie werden mich holen ... Sie werden
kommen ... «
»Gut. Ich möchte mit ihnen sprechen, wenn sie kom-
men.« Wir warteten noch mehrere Minuten. Dann war
ihre Stimme plötzlich laut und tief, und der ursprüngliche
Meister, nicht der poetische Meister, sprach.
»Du hattest Recht damit, dass dies die richtige Behand-
lung ist für jene, die sich im physischen Bereich aufhalten
[gemeint war meine Therapie für Catherine]. Sie müssen
die Ängste aus ihrem Bewusstsein auslöschen. Es kommt
zum Energieverschleiß, wenn Angst da ist. Sie lähmt sie
bei der Erfüllung dessen, wozu sie ausgeschickt wurden.
Ziehe deine Schlüsse aus dem, was du um dich herum
siehst. Sie müssen erst auf eine sehr, sehr tiefe Ebene
zurückgeführt werden ... , wo sie ihren Körper nicht länger
spüren können. Dann kannst du sie belehren. Die Prob-
leme liegen bloß ... an der Oberfläche. Tief in ihrer Seele,
wo ihre Gedanken entstehen, musst du sie erreichen.
Energie ... , alles besteht aus Energie. So viel wird ver-
schwendet. Die Berge ... In den Bergen ist es ruhig, es ist
ruhig in ihrem Innersten. Doch draußen liegen die Prob-
leme. Die Menschen können nur das Äußere sehen, aber
man kann viel weiter gehen. Du musst den Vulkan sehen.
Um das zu sehen, musst du tiefer eindringen.

124
Es ist abnormal, sich in einem Körpt:r zu h~:findcn.
Wenn du in einem geistigen Zustand bist, ist das für dich
natürlich. Wenn wir zurückgesandt werden, ist es, als wür-
den wir zu etwas zurückkehren, das wir nicht kennen. Wir
werden länger brauchen. In der geistigen Welt musst du
warten, bis du wieder erneuert wirst. Es gibt einen Zustand
der Erneuerung. Es ist eine Dimension wie die anderen
Dimensionen, und es ist dir beinahe gelungen, diesen Zu-
stand zuerreichen ... «
Das überraschte mich. Wie konnte ich mich diesem Zu-
stand der Erneuerung genähert haben? »Ich habe ihn bei-
nahe erreicht?«, fragte ich ungläubig.
»Ja. Du weißt so viel mehr als die anderen. Du verstehst
so viel mehr. Sei geduldig mit ihnen. Sie haben nicht das
Wissen, das du hast. Es werden dir Geistwesen geschickt,
um dir zu helfen. Aber was du tust, ist richtig ... , mach
weiter. Diese Energie darf nicht verschwendet werden. Du
musst die Angst beseitigen. Das wird deine größte Waffe
sein ... «
Der Meister schwieg. Ich dachte über die Bedeutung
dieser unglaublichen Botschaft nach. Ich wusste, dass ich
dabei war, Catherines Angste erfolgreich zu beseitigen,
aber diese Botschaft hatte eine umfassendere Bedeutung.
Es war mehr als nur eine Bestätigung der Effektivität der
Hypnose als therapeutisches Instrument. Es beinhaltete
sogar mehr als die Rückführung in frühere Leben, die
schwerlich auf jeden einzelnen Menschen anzuwenden
war. Nein, ich war der Meinung, es betraf die Angst vor
dem Tod, diese verborgene ständige Angst, die weder
durch Geld noch durch Macht neutralisiert werden kann-

125
das war der Kern. »Das Leben ist endlos, also sterben wir
nie, und wir werden nie wirklich geboren« - wenn die
Menschen das wüssten, würde diese Angst sich auflösen.
Wenn sie wüssten, dass sie bereits zahllose Male zuvor ge-
lebt haben und noch unzählige Male leben werden, wie
getröstet würden sie sich fühlen. Wenn sie wüssten, dass
Geistwesen da sind, um ihnen beizustehen, während sie
sich im physischen Körper und in dem Nahtodesbereich
befinden, im geistigen Zustand, sie würden sich diesen
Geistwesen, zu denen auch ihre verstorbenen Verwandten
gehören, anschließen. Wie gut würde ihnen das tun. Wenn
sie wüssten, dass es die Schutzengel wirklich gibt, wie viel
sicherer würden sie sich fühlen. Wenn sie wüssten, dass
Gewalttaten und Ungerechtigkeiten gegenüber den Men-
schen nicht unbemerkt bleiben, sondern in anderen Leben
abgegolten werden müssen, wie viel weniger Wut und
Rachsucht würden sie hegen. Und wenn es stimmte, dass
wir »durch Wissen Gott näher kommen«, was nützten uns
dann materielle Güter oder Macht, die kein Mittel zu
diesem Zweck sind? Gierig oder machthungrig zu sein hat
überhaupt keinen Sinn.
Doch wie könnte man die Menschen mit diesem Wissen
erreichen? Die meisten Menschen sprechen Gebete in
ihren Kirchen, Synagogen, Moscheen oder Tempeln - Ge-
bete, welche die Unsterblichkeit der Seele verkünden. Aber
wenn die Andacht vorbei ist, kehren sie zu ihren Kämpfen
des Alltags zurück und sind gierig, verschlagen und ichbe-
zogen. Diese Charaktereigenschaften behindern den Fort-
schritt der Seele. Wo der Glaube nicht ausreicht, kann die
Wissenschaft vielleicht helfen. Vielleicht müssten Erfah-

126
rungen wie die von Catherine und mir vermehrt von
Verhaltens- und Naturwissenschaftlern untersucht, ana-
lysiert und publiziert werden. Doch zu jener Zeit war
das Verfassen einer wissenschaftlichen Abhandlung oder
eines Buchs das Letzte, woran ich dachte; für mich war es
eine entfernte und sehr unwahrscheinliche Möglichkeit.
Ich wunderte mich wegen der Geistwesen, die mir ge-
schickt werden sollten, um mir zu helfen. Mir wobei zu
helfen?
Catherine bewegte sich und begann zu flüstern. »Je-
mand namens Gideon, jemand namens Gideon ... , Gideon.
Er versucht, mit mir zu sprechen.«
>>Was sagt er?«
»Er ist überall um mich und wird es immer sein. Er ist
eine Art Beschützer ... oder so etwas. Aber jetzt spielt er
mit mir.«
»Ist er einer Ihrer Schutzgeister?«
»Ja, aber er spielt ... und springt überall umher. Ich
glaube, er möchte, dass ich weiß, dass er überall um mich
ist ... , überall.«
»Gideon«, wiederholte ich.
»Er ist da.«
»Macht er, dass Sie sich besser fühlen?«
»Ja. Er wird zurückkommen, wenn ich ihn brauche.«
»Gut. Sind diese Geistwesen um uns?«
Sie antwortete in einem Flüstern aus der Warte ihres
Überbewussten. »0 ja ... , viele Geistwesen. Sie kommen
nur ... , wenn sie wollen. Wir sind alle Geistwesen. Doch
andere ... Manche befinden sich auf der physischen Ebene
und andere in einer Phase der Erneuerung. Wieder andere

127
sind Wächter. Doch wir werden alle dort hingelangen. Wir
sind auch Wächter gewesen.«
))Warum kommen wir zurück, um zu lernen? Warum
können wir nicht als Geistwesen lernen?«
))Das sind andere Lernebenen, und wir müssen manche
von ihnen in der Inkarnation lernen. Wir müssen den
Schmerz spüren. Wenn du ein Geistwesen bist, spürst du
keinen Schmerz. Es ist eine Zeit der Erneuerung. Deine
Seele wird erneuert. Wenn du dich im physischen Zustand
in deinem Körper befindest, kannst du leiden. In der geis-
tigen Form spürst du nichts ... Es gibt nur Glück und
Wohlgefühl. Aber es ist eine Zeit der Erneuerung ... für
uns. Der Umgang miteinander in der spirituellen Form ist
anders. Wenn Menschen sich in einem körperlichen Zu-
stand befinden ... , können sie Beziehungen erfahren.«
))Ich verstehe. Es wird in Ordnung sein.« Sie schwieg
wieder. Minuten verstrichen.
))Ich sehe einen Wagen«, begann sie, »einen blauen
Wagen.«
>>Einen Kinderwagen?«
))Nein, eine Kutsche, in der man fährt ... Etwas Blaues!
Oben sind blaue Fransen, außen blau ... «
))Ziehen Pferde die Kutsche?«
))Sie hat große Räder. Ich sehe niemanden darin, nur
zwei Pferde, die davorgespannt sind ... , ein graues und ein
braunes. Das eine Pferd heißt A.pple, das graue, weil es
Apfel mag. Das andere Pferd heißt Duke. Es sind nette
Pferde, sie beißen nicht. Sie haben große Hufe ... große
Hufe.«
))Gibt es auch ein böses Pferd? Ein anderes Pferd?«

128
»Nein. Sie sind sehr gutmütig.«
»Sind Sie dort?«
»Ja. Ich kann ihre Nüstern sehen. Sie sind viel größer als
ich.«
»Sitzt du in der Kutsche?« Wegen ihrer Art zu antworten
wusste ich, dass sie ein Kind war.
»Es sind Pferde dort und auch ein Junge.«
»Wie alt bist du?«
»Sehr klein. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich
weiß, wie alt ich bin.«
»Kennst du den Jungen? Ist er dein Freund? Dein
Bruder?«
»Er ist ein Nachbar. Er ist wegen ... eines Festes hierher
gekommen. Jemand heiratet oder so etwas.«
»Weißt du, wer heiraten wird?«
»Nein. Man sagte uns, wir sollten uns nicht schmutzig
macheiL Ich habe braunes Haar ... , Schuhe, die du entlang
der ganzen Seite zuknöpfen kannst.«
»Ist dein Haus in der Nähe?«
»Es ist ein großes Haus«, antwortete das Kind.
»Und dort wohnst du?«
»Ja.«
»Gut. Du darfst jetzt ins Haus schauen, wenn du willst,
es ist in Ordnung. Heute ist ein wichtiger Tag. Die anderen
Leute werden sicher auch gut angezogen sein und beson-
dere Kleider tragen.«
»Sie kochen Essen, viel Essen.«
»Kannst du es riechen?«
»Ja. Sie machen eine Art Brot ... , Fleisch ... Man schickt
uns wieder hinaus.« Das belustigte mich. Ich hatte ihr ge-
sagt, es sei schon in Ordnung hineinzugehen, und jetzt
hatte man sie wieder hinausgeschickt.
))Rufen sie deinen Namen?« ...
)) ... Mandy ... , Mandy und Edward.«
))Ist das der Junge?«
))Ja.«
))Ihr dürft nicht drinnen bleiben?«
))Nein, sie haben zu viel zu tun.«
))Was meinst du dazu?«
))Uns ist es egal. Aber es ist sehr schwer, sauber zu blei-
ben. Wir können nichts machen.«
))Bist du auch auf der Hochzeit? Später am Tag?«
))Ja. Ich sehe viele Leute. Das Zimmer ist ganz voll. Es ist
heiß, ein heißer Tag. Es ist ein Pfarrer dort; der Pfarrer ist
da ... mit einem komischen Hut, ein großer ... schwarzer
Hut. Er reicht bis über sein Gesicht ... , ein ganzes Stück.«
))Ist es ein freudiger Anlass für deine Familie?«
))Ja.«
))Weißt du, wer heiraten wird?«
))Meine Schwester.«
))Ist sie viel älter?«
))Ja.«
))Ist sie hübsch?«
))Ja. Sie hat viele Blumen in ihrem Haar.«
))Schau sie dir gut an. Kennst du sie aus einer anderen
Zeit? Schau dir ihre Augen, ihren Mund ... «
))Ja. Ich glaube, es ist Becky ... ,aber kleiner, viel kleiner.«
Becky war Catherines Freundin und Mitarbeiterin. Sie
standen sich nahe, aber Catherine verübelte Becky ihre
verurteilende Art und ihre Einmischung in Catherines

130
Leben und Entscheidungen. Schließlich war sie eine
Freundin und nicht ihre Familie. Aber vielleicht war der
Unterschied jetzt nicht mehr so klar. ))Sie ... , sie mag
mich ... , und ich darf ganz vorne stehen, weil sie dort ist.«
))Gut. Schau dich um. Sind deine Eltern dort?«
))Ja.«
))Mögen sie dich ebenso sehr?«
))Ja.«
))Das ist gut. Schau sie dir genau an. Zuerst deine
Mutter. Schau, ob du dich an sie erinnerst. Schau in ihr
Gesicht.«
Catherine atmete mehrere Male tief ein. ))Ich kenne sie
nicht.«
))Schau dir deinen Vater an. Schau ihn genau an. Schau
dir seinen Ausdruck an ... , seine Augen. Kennst du ihn?«
))Es ist Stuart«, antwortete sie schnell. Also war Stuart
wieder einmal aufgetaucht. Das war es wert, dass man ihm
nachging.
))Wie ist deine Beziehung zu ihm?«
))Ich liebe ihn sehr ... , er ist sehr gut zu mir. Aber er
denkt, ich sei eine Last. Er denkt, Kinder seien eine Last.«
))Ist er zu ernsthaft?«
))Nein, er spielt gerne mit uns. Aber wir stellen zu viele
Fragen. Aber er ist sehr gut zu uns, außer dass wir zu viele
Fragen stellen.«
))Ist er deswegen manchmal ungehalten?«
))Ja, wir sollen vom Lehrer lernen, nicht von ihm. Des-
halb gehen wir in die Schule ... , um zu lernen.«
))Das klingt so, als würde er sprechen. Sagt er das zu
dir?«

131
»Ja, er hat wichtigere Dinge zu tun. Er muss sich um die
Farm kümmern.«
»Ist es eine große Farm?«
»Ja.«
»Weißt du, wo sie liegt?«
»Nein.«
»Erwähnen sie je die Stadt oder den Staat? Den Namen
des Orts?«
Sie wartete und hörte genau hin. »Das höre ich nicht.<<
Dann war sie wieder still.
»Okay, möchtest du in diesem Leben noch mehr unter-
suchen? In der Zeit vorausgehen oder in dieser ... <<
»Das reichv<, unterbrach sie mich.

Während des ganzen Prozesses mit Catherine hatte es mir


widerstrebt, ihre Enthüllungen mit anderen Fachleuten zu
diskutieren. Außer Carole und ein paar anderen, die
»sicher« waren, hatte ich dieses bemerkenswerte Wissen
überhaupt niemandem mitgeteilt. Ich wusste, dass die
Informationen aus unseren Sitzungen sowohl wahr als
auch äußerst wichtig waren, doch die Angst vor den Reak-
tionen meiner psychiatrischen und wissenschaftlichen
Kollegen hatte mich schweigen lassen. Ich machte mir
immer noch Sorgen um meinen Ruf, meine Karriere und
über das, was andere von mir hielten.
Meine berufliche Skepsis war untergraben worden
durch Beweise, die Woche um Woche von Catherines
Lippen kamen. Ich hörte mir die Tonbänder oft an und er-
lebte die Sitzungen wieder, mit all ihrem Drama und ihrer
Direktheit. Doch die anderen mussten sich auf meine Er-

1J2
fahrungen verlassen, die zwar stark, aber nicht ihre eigenen
waren. Ich sah mich gezwungen, sogar noch mehr Daten
zu sammeln.
Als ich die Botschaften schrittweise akzeptierte und
glaubte, wurde mein Leben einfacher und befriedigender.
Es hatte keinen Sinn, Spielchen zu spielen, vorzutäuschen,
Rollen auszuagieren oder etwas anderes zu sein als man
selbst. Meine Beziehungen wurden ehrlicher und direkter.
Mein Familienleben war weniger verwirrend und ent-
spannter. Mein Widerwillen, die Weisheit, die mir durch
Catherine gegeben war, mit anderen zu teilen, nahm lang-
sam ab. Erstaunlicherweise waren die meisten Leute sehr
interessiert und wollten mehr wissen. Viele erzählten mehr
von ihren sehr privaten Erfahrungen parapsychologischer
Begebenheiten, seien es nun ASW, Deja-vu, außerkörper-
liche Erfahrungen, Träume von vergangenen Leben oder
anderes. Diese Menschen hatten beinahe alle die gleiche
Angst, dass andere, sogar ihre eigenen Familien und Thera-
peuten, sie sonderbar oder eigenartig finden würden, wenn
sie ihnen ihre Erfahrungen mitteilten. Dennoch kommen
diese parapsychologischen Erscheinungen ziemlich häufig
vor, viel häufiger, als die meisten Menschen realisieren. Es
ist nur das Widerstreben, anderen von medialen Ereig-
nissen zu erzählen, die sie so selten scheinen lässt. Und je
gebildeter die Menschen sind, um so unbehaglicher ist es
ihnen, darüber zu sprechen.
Der geachtete Chef einer der größten Abteilungen in
meinem Krankenhaus ist ein Mann, der wegen seines
Fachwissens international bewundert wird. Er steht in
Kontakt mit seinem verstorbenen Vater, der ihn mehrmals

133
vor ernsthaften Gefahren bewahrt hat. Ein anderer Profes-
sor hat Träume, die die fehlenden Schritte oder Lösungen
für seine komplexen wissenschaftlichen Untersuchungen
liefern. Ein anderer bekannter Arzt weiß meistens, ehe er
den Hörer abnimmt, wer ihn am Telefon verlangt. Die
Frau des Dekans der psychiatrischen Fakultät einer Uni-
versität im Mittleren Westen ist promovierte Psychologin.
Sie hatte nie jemandem erzählt, dass sie, als sie das erste
Mal in Rom war, in der Stadt umherspazierte, als hätte sie
eine Straßenkarte in ihrem Kopf. Sie wusste unweigerlich,
was sich hinter der nächsten Straßenbiegung befand. Auch
wenn sie zuvor nie in Italien gewesen war und die Sprache
nicht kannte, sprachen Italiener sie wiederholt auf Ita-
lienisch an, weil sie sie irrtümlicherweise immer wieder für
eine Einheimische hielten. Ihr Verstand hatte Mühe, ihre
Erfahrungen in Rom zu verarbeiten.
Ich begriff, warum diese hochgebildeten Fachleute ihr
Wissen versteckten. Ich war einer von ihnen. Wir konnten
zwar unsere Erfahrungen und Sinneswahrnehmungen
nicht leugnen. Aber unsere Erziehung war auf vielerlei
Arten den Informationen, Erfahrungen und Annahmen,
die wir erworben hatten, diametral entgegengesetzt. Also
schwiegen wir.

1 34
10

Die Woche war schnell vergangen. Ich hatte die Ton-


bänder der letzten Sitzung immer wieder abgehört. Wie
näherte ich mich dem Zustand der Erneuerung? Ich fühlte
mich nicht besonders erleuchtet. Und jetzt würden mir
Geistwesen gesandt werden, um mir zu helfen. Doch was
verlangte man von mir? Wann würde ich es herausfinden?
Würde ich dieser Aufgabe gewachsen sein? Ich wusste,
dass ich warten und mich gedulden musste. Ich erinnerte
mich an die Worte des poetischen Meisters.
»Geduld und Zeitgefühl ... , alles kommt, wenn es kom-
men muss ... Alles wird dir mit der Zeit klar werden. Aber
du musst erst die Gelegenheit haben, das Wissen zu ver-
dauen, das wir dir bereits gegeben haben.« Also würde ich
warten.
Am Anfang der Sitzung erzählte Catherine mir ein
Bruchstück aus einem Traum, den sie mehrere Nächte zu-
vor gehabt hatte. In diesem Traum lebte sie im Haus ihrer
Eltern, und in der Nacht war ein Feuer ausgebrochen. Sie
hatte die Dinge unter Kontrolle und half, das Haus zu eva-
kuieren, aber ihr Vater trödelte herum, scheinbar gleich-
gültig gegenüber dem Ernst der Lage. Sie drängte ihn aus
dem Haus. Dann erinnerte er sich an etwas, das er im Haus
vergessen hatte, und schickte Catherine zurück in das
wütende Peuer, um den Gegenstand zu retten. Sie konnte

1 35
sich nicht erinnern, was es war. Ich beschloss, den Traum
noch nicht zu interpretieren, sondern zu warten und zu
sehen, ob die Gelegenheit sich bieten würde, während sie
hypnotisiert war.
Sie fiel schnell in eine tiefe hypnotische Trance. »Ich
sehe eine Frau mit einer Kapuze auf dem Kopf, die nicht
ihr Gesicht bedeckt, sondern nur ihr Haar.« Dann war sie
ruhig.
»Können Sie sie jetzt sehen? Die Kapuze?«
»Ich habe sie verloren ... Ich sehe irgendein schwarzes
Material, einen Brokatstoff mit einem goldenen Muster
darauf ... Ich sehe ein Gebäude mit irgendwelchen erhabe-
nen Punkten darauf ... , weißen Punkten.«
»Erkennen Sie das Gebäude?«
»Nein.«
»Ist es ein großes Gebäude?«
»Nein. Es gibt einen Berg im Hintergrund mit etwas
Schnee darauf. Doch das Gras ist grün ... im Tal, wo wir
sind.«
»Können Sie in das Gebäude hineingehen?«
»Ja. Es ist aus irgendeinem Marmor gebaut ... , fühlt sich
sehr kalt an.«
»Ist es eine Art Tempel oder religiöses Gebäude?«
»Ich weiß es nicht. Ich dachte, es könnte ein Gefängnis
sein.«
»Ein Gefängnis«, wiederholte ich. »Sind Leute in diesem
Gebäude und darum herum?«
»Ja, einige Soldaten. Sie tragen schwarze Uniformen,
schwarz mit goldenen Epauletten ... Goldene Quasten
hängen von ihnen herunter. Schwarze Helme mit einer Art
Gold ... , etwas Spitzes und Goldenes oben ... auf den
Helmen. Und eine rote Schärpe, eine rote Schärpe um die
Taille.«
))Sind Soldaten um Sie herum?«
>>Vielleicht zwei oder drei.«
))Sind Sie dort?«
>>Ich bin irgendwo, aber ich bin nicht in dem Gebäude.
Aber ich bin in der Nähe.«
))Schauen Sie sich um. Sehen Sie, ob Sie sich entdecken
können ... Die Berge sind dort und das Gras ... und die
weißen Gebäude. Gibt es auch andere Gebäude?«
))Wenn es andere Gebäude gibt, liegen sie nicht in der
Nähe von diesem. Ich sehe ein ... abgelegenes Gebäude mit
irgendeiner Mauer dahinter, einer Mauer.<<
))Meinen Sie, es sei ein Fort oder ein Gefängnis oder so
etwas?<<
))Vielleicht ... , aber es ist sehr abgelegen.<<
)) Warum ist das wichtig für Sie?<< [Lange Pause.]
))Wissen Sie den Namen der Stadt oder des Bezirks, in dem
Sie sich befinden? Wo die Soldaten sind?<<
>>Ich sehe immer wieder >Ukraine<.<<
>>Ukraine?«, wiederholte ich, fasziniert von der Verschie-
denheit ihrer Leben. ))Sehen Sie ein Jahr? Fällt es Ihnen
ein? Oder einen Zeitraum?«
))Siebzehn-siebzehn«, antwortete sie zögernd und korri-
gierte sich dann. ))Siebzehnachtundfünfzig ... , siebzehnacht-
undfünfzig. Es sind viele Soldaten dort. Ich weiß nicht,
was sie vorhaben. Mit langen krummen Schwertern.«
))Was sehen oder hören Sie sonst noch?«, erkundigte ich
mich.

137
))Ich sehe einen Brunnen, einen Brunnen, wo sie die
Pferde tränken.«
))Reiten die Soldaten auf den Pferden?«
))Ja.«
))Kennt man diese Soldaten auch unter einem anderen
Namen? Wie nennen sie sich?« Sie hörte hin.
))Das höre ich nicht.«
))Befinden Sie sich unter ihnen?«
))Nein.« Wieder antwortete sie wie ein Kind, kurz und
oft einsilbig. Ich musste ein sehr aktiver Befrager sein.
))Aber du siehst sie in deiner Nähe?«
))Ja.«
))Bist du in der Stadt?«
))Ja.«
>>Wohnst du dort?«
))Ich glaube schon.«
>>Gut. Schau mal, ob du dich entdecken kannst und wo
du lebst.«
))Ich sehe einige sehr zerlumpte Kleider. Ich sehe ein
Kind, einen Jungen. Seine Kleider sind zerlumpt. Ihm ist
kalt ... «
))Hat er ein Zuhause in dieser Stadt?« Es gab eine lange
Pause.
))Das sehe ich nicht«, fuhr sie fort. Sie schien einige Mühe
zu haben, mit diesem Leben Verbindung aufzunehmen. Sie
war vage in ihren Antworten, irgendwie unsicher.
>>Schon gut. Kennst du den Namen des Jungen?«
))Nein.«
))Was passiert mit dem Jungen? Begleite ihn. Schau, was
passiert.«
»lrgendwie weiß er, dass er im Gefängnis ist.«
»Ein Freund? Ein Verwandter?«
»Ich glaube, es ist sein Vater.« Ihre Antworten waren
kurz.
»Bist du der Junge?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Weißt du, was er empfindet, weil sein Vater im Gefäng-
nis ist?«
»Ja ... , er hat Angst, dass sie ihn töten werden.«
»Was hat der Vater getan?«
»Er hat etwas von den Soldaten gestohlen, irgendwelche
Papiere oder so etwas.«
»Der Junge versteht es nicht ganz?«
»Nein. Vielleicht sieht er seinen Vater nie wieder.«
»Darf er seinen Vater überhaupt besuchen?«
»Nein.«
»Weißt du, wie lange sein Vater im Gefängnis bleiben
muss? Und ob er leben wird?«
»Nein!«, antwortete sie. Ihre Stimme zitterte. Sie war
sehr verstört, sehr traurig. Sie lieferte nicht viele Einzel-
heiten, aber sie war sichtlich erregt durch die Zustände,
die sie miterlebte und erfuhr.
»Ja, Sie können spüren, was der Junge spürt«, fuhr ich
fort, »diese Furcht und Angst. Spüren Sie sie?«
»Ja.« Wieder war sie still.
»Was geschieht? Gehen Sie in der Zeit voraus. Ich weiß,
dass es schwierig ist. Gehen Sie in der Zeit voraus. Etwas
passiert.«
»Sein Vater wird hingerichtet.«
»Wie fühlt er sich jetzt?«

1 39
»Es war wegen etwas, das er nicht einmal getan hatte.
Doch sie richten Leute hin, ohne irgendeinen Grund zu
haben.«
»Der Junge muss deswegen sehr verstört sein.«
»Ich glaube nicht, dass er alles versteht ... , was geschehen
ist.«
»Hat er andere Menschen, an die er sich wenden kann?«
»Ja, aber sein Leben wird sehr schwer sein.«
»Was wird aus dem Jungen?«
>>Ich weiß es nicht. Er wird wahrscheinlich sterben ... «
Sie klang so traurig. Sie schwieg wieder, dann schien sie
um sich zu schauen.
»Was sehen Sie?«
»Ich sehe eine Hand ... , eine Hand schließt sich um
etwas ... Weißes. Ich weiß nicht, was es ist ... « Sie war still.
Minuten vergingen.
»Was sehen Sie sonst noch?«, fragte ich.
»Nichts ... , Dunkelheit.« Sie war entweder gestorben
oder abgeschnitten vom traurigen Jungen, der vor mehr
als zweihundert Jahren in der Ukraine lebte.
»Haben Sie den Jungen verlassen?«
»Ja«, flüsterte sie. Sie ruhte sich aus.
»Was haben Sie von diesem Leben gelernt? Warum war
es wichtig?«
»Leute können nicht schnell beurteilt werden. Man muss
ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Viele Leben wur-
den ruiniert, weil wir voreilig in unserer Verurteilung
waren.«
»Das Leben des Jungen war kurz und hart wegen dieser
Verurteilung ... seines Vaters?«
»Ja.« Wieder schwieg sie.
»Sehen Sie jetzt etwas anderes? Hören Sie etwas?«
»Nein.« Wieder diese kurze Antwort und dann das
Schweigen. Aus irgendeinem Grund war dieses kurze
Leben besonders entsetzlich gewesen. Ich wies sie an, sich
auszuruhen.
»Ruhen Sie sich aus. Fühlen Sie den Frieden. Ihr Körper
erholt sich, Ihre Seele ruht sich aus ... Fühlen Sie sich bes-
ser? Ausgeruht? Es war schwer für den kleinen Jungen.
Sehr schwer. Doch jetzt ruhen Sie wieder. Ihr Geist kann
zu anderen Orten gehen, zu anderen Zeiten ... , anderen
Erinnerungen. Ruhen Sie sich aus?«
»Ja.« Ich beschloss, das Traumfragment über das bren-
nende Haus zu verfolgen, das unbeteiligte Trödeln ihres
Vaters und dass er sie in die Feuersbrunst zurückgeschickt
hatte, um etwas zu holen, das ihm gehörte.
»Ich habe eine Frage zum Traum, den Sie hatten ... mit
Ihrem Vater. Sie erinnern sich jetzt; es kann Ihnen nichts
passieren. Sie befinden sich in einer tiefen Trance. Erin-
nern Sie sich?«
»Ja.«
»Sie gingen in das Haus zurück, um etwas zu holen.
Erinnern Sie sich daran?«
»Ja ... Es war eine Metallschachtel.«
»Was befand sich darin, das er so sehr wollte, dass er Sie
zurück in ein brennendes Haus schickte?«
»Seine Briefmarken und die Münzen ... , die er sammelt«,
antwortete sie. Ihre detaillierte Erinnerung des Traum-
inhalts unter Hypnose hob sich dramatisch von ihrer
bruchstückhaften wachen Erinnerung ab. Die Hypnose ist
ein m;ichtigcs Instrument, das nicht nur Zugang zu den
entferntesten und verstecktesten Bereichen des Bewusst-
seins bietet, sondern auch eine detaillierte Erinnerung er-
möglicht.
»Waren die Briefmarken und Münzen sehr wichtig für
ihn?((
»Ja.((
»Aber sein Leben zu riskieren und in ein brennendes
Haus zurückzukehren, nur um Briefmarken und Münzen ... ((
Sie unterbrach mich: »Er dachte nicht, dass es ein Risiko
sei.((
»Er dachte, es sei sicher?((
»Ja.((
>>Warum ist er dann nicht selbst zurückgegangen?((
>>Weil er dachte, ich sei schneller.((
»Aha. War es aber riskant für Sie?((
>>Ja, aber das wusste er nicht.((
»Hatte dieser Traum eine größere Bedeutung für Sie?
Was Ihre Beziehung zu Ihrem Vater angeht?((
»Ich weiß es nicht.((
»Er schien es nicht sehr eilig zu haben, aus dem bren-
nenden Haus zu kommen.((
»Warum ließ er sich so viel Zeit? Sie waren schnell und
sahen die Gefahr.((
»Weil er versucht, sich vor Dingen zu verstecken.((
Ich benutzte diesen Augenblick, um einen Teil des
Traums zu interpretieren: »Ja, es ist ein altes Muster von
ihm. Sie tun Dinge für ihn, wie diese Schachtel holen. Ich
hoffe, er kann von Ihnen lernen. Ich habe das Gefühl, dass
das Feuer die Zeit darstellt, die abläuft, dass Sie die Gefahr
sehen, aber er nicht. Während er trödelt und Sie wegen
materieller Gegenstände zurückschickt, wissen Sie viel
mehr ... , und haben ihn viel zu lehren, aber er scheint es
nicht wissen zu wollen.«
»Nein«, bestätigte sie. »Das will er nicht.«
»So sehe ich den Traum. Aber Sie können ihn nicht
zwingen. Er muss es selbst begreifen.«
»Ja«, bestätigte sie wieder, und ihre Stimme wurde tiefer
und laut, »es ist unwichtig, wenn unser Körper im Feuer
verbrennt, da wir ihn nicht brauchen ... « Ein Meisterwesen
hatte dem Traum eine völlig neue Perspektive verliehen.
Ich war überrascht durch diesen plötzlichen Einwurf und
konnte den Gedanken nur nachplappern wie ein Papagei.
»Wir brauchen unseren Körper nicht?«
»Nein. Wir gehen durch so viele Stufen, wenn wir hier
sind. Wir lassen unseren Säuglingskörper hinter uns, wer-
den zum Kind, vom Kind zum Erwachsenen, vom Erwach-
senen zum Greis. Warum sollten wir nicht einen Schritt
darüber hinausgehen und den erwachsenen Körper hinter
uns lassen, um in einen geistigen Bereich überzugehen?
Das ist es, was wir tun. Wir hören nicht einfach auf, uns zu
entwickeln, wir entwickeln uns weiter. Wenn wir auf der
geistigen Ebene ankommen, entwickeln wir uns auch dort
weiter. Wir machen verschiedene Entwicklungsstufen
durch. Wenn wir ankommen, sind wir ausgebrannt. Wir
müssen durch eine Erneuerungsphase. Wir beschließen,
wann wir zurückkehren wollen, wohin und aus welchen
Gründen. Manche wählen, nicht zurückzukehren. Sie
wählen, auf eine andere Entwicklungsstufe überzugehen.
Manche bleiben länger, manche weniger lang in der geis-
tigen Welt ... , ehe sie zurückkehren. Alles ist Entwicklung
und Lernen ... , fortwährendes Lernen. Es sind unsere Seele
und unser Geist, die ewig bestehen.«
Ich erkannte weder die Stimme noch den Stil. Ein
»neuer« Meister sprach und vermittelte bedeutsames
Wissen. Ich verlangte mehr über diese geistigen Gefilde zu
erfahren.
»Lernt man auf der physischen Ebene schneller? Gibt es
Gründe dafür, dass Menschen nicht im geistigen Zustand
bleiben?«
»Nein. Auf der geistigen Ebene lernt man viel schneller,
viel geschwinder als auf der physischen Ebene. Doch wir
wählen, was wir lernen sollen. Wenn wir zurückkehren
sollen, um an einer Beziehung zu arbeiten, so tun wir das.
Wenn wir das beendet haben, gehen wir weiter. In dein~r
geistigen Form kannst du, wenn du willst, immer Kontakt
aufnehmen mit denen, die sich im physischen Bereich be-
finden. Doch nur, wenn es für sie wichtig ist ... , wenn du
ihnen etwas zu sagen hast, das sie wissen müssen.«
»Wie nimmt man Verbindung auf? Wie kommt die Bot-
schaft durch?«
Zu meinem Erstaunen antwortete Catherine selbst. Ihr
Flüstern war schneller und steter. »Manchmal erscheinst du
vor dieser Person und ... siehst genau so aus wie damals, als
du hier warst. Andere Male nimmst du nur geistig Kontakt
auf. Manchmal sind die Botschaften verschlüsselt, doch oft
weiß die betreffende Person, worauf sie sich beziehen. Sie
versteht. Es ist ein Kontakt von Geist zu Geist.«
Ich sprach zu Catherine. »Das Wissen, das Sie jetzt
haben, diese Informationen, diese Einsichten, die so wich-

144
tig sind ... , warum sind sie Ihnen nicht zugänglich, wenn
Sie wach sind und sich im physischen Zustand befinden?«
»Ich denke, ich würde es nicht verstehen. Ich bin nicht
fähig, es zu verstehen.«
»Dann kann ich Sie vielleicht lehren, es zu verstehen,
damit es Ihnen keine Angst macht und Sie lernen kön-
nen?«
»Ja.«
»Wenn Sie die Stimmen der Meister hören, sagen Sie
Dinge, die denen gleichen, die Sie jetzt zu mir sagen. Sie
müssen einen Teil dieses Wissens mitbekommen haben.«
Mich interessierten die Einsichten, die sie besaß, wenn sie
sich in diesem Zustand befand.
»Ja«, antwortete sie einfach.
»Und es stammt aus Ihrem eigenen Geist?«
»Aber sie müssen es hineingeben.« Also schrieb sie es
den Meistern zu.
»Ja«, bestätigte ich. »Wie kann ich es Ihnen am besten
verständlich machen, damit Sie sich entwickeln und Ihre
Angste verlieren können?«
»Das haben Sie bereits getan«, antwortete sie leise. Sie
hatte Recht; ihre Angste waren beinahe verschwunden.
Nachdem die hypnotische Rückführung einmal begonnen
hatte, waren ihre gesundheitlichen Fortschritte unglaub-
lich schnell gewesen.
»Welche Lektionen müssen Sie jetzt lernen? Was ist das
Wichtigste, das Sie in diesem Leben lernen können, um
sich zu entwickeln und zu entfalten?«
»Vertrauen«, sagte sie sofort. Sie hatte gewusst, was ihre
wichtigste Aufgabe war.
»Vertrauen«, wiederholte ich, überrascht von der Ge-
schwindigkeit ihrer Antwort.
»Ja. Ich muss lernen, Vertrauen zu haben, aber auch an-
deren Menschen zu trauen. Ich vertraue ihnen nicht. Ich
denke, alle sind darauf aus, mir Böses anzutun. Das hält
mich von Menschen und Situationen fern, von denen ich
mich wahrscheinlich nicht fern halten sollte. Es bindet
mich an andere Leute, von denen ich mich trennen sollte.«
Ihre Einsicht war tief, wenn sie sich in diesem über-
bewussten Zustand befand. Sie kannte ihre Schwächen
und ihre Stärken. Sie kannte die Bereiche, die Aufmerk-
samkeit und Arbeit brauchten, und sie wusste, was sie
unternehmen musste, damit die Dinge besser wurden. Das
einzige Problem war, dass diese Einsichten ihren bewuss-
ten Verstand erreichen und auf ihr bewusstes Leben ange-
wandt werden mussten. Überbewusste Einsichten waren
faszinierend, aber für sich genommen waren sie nicht
genug, um ihr Leben zu verändern.
»Wer sind diese Leute, von denen Sie sich trennen soll-
ten?«
Sie wartete. »Ich habe Angst vor Becky. Ich habe
Angst vor Stuart ... , dass ich irgendwie Schaden nehmen
könnte ... , durch sie.«
»Können Sie sich von ihnen lösen?«
»Nicht völlig, aber von einigen ihrer Gedanken, ja.
Stuart versucht, mich gefangenzuhalten, und es gelingt
ihm. Er weiß, dass ich Angst habe. Er weiß, dass ich Angst
habe, ihn zu verlassen, und er benutzt dieses Wissen, um
mich für sich zu behalten.«
»Und Becky?«
»Sie versucht dauernd, meinen Glauben an die Men-
schen zu untergraben, denen ich vertraue. Wo ich etwas
Gutes sehe, sieht sie nur Schlechtes. Und sie versucht,
diese Samen in mein Bewusstsein einzupflanzen. Ich lerne,
Menschen zu vertrauen ... , denen ich vertrauen sollte, aber
sie füllt mich mit Zweifeln über sie. Und es ist ihr Problem.
Ich kann nicht zulassen, dass sie macht, dass ich so denke
wie sie.«
In ihrem überbewussten Zustand war Catherine in der
Lage, die wichtigsten Charakterschwächen von Stuart
und Becky genau einzukreisen. Die hypnotisierte Cathe-
rine gäbe einen ausgezeichneten Psychiater ab, einfühl-
sam und von unbeirrbarer Intuition. Die wache Catherine
besaß diese Eigenschaften nicht. Es war meine Aufgabe,
die Kluft zu überbrücken. Die dramatische Besserung
ihres Befindens bedeutete, dass einiges von den Bot-
schaften durchsickerte. Ich versuchte, weitere Brücken zu
schlagen.
»Wem können Sie vertrauen?«, fragte ich. »Denken Sie
darüber nach. Wer sind die Leute, denen Sie vertrauen
können, von denen Sie lernen können und deren Nähe Sie
suchen können? Welche Menschen sind das?«
»Ich kann Ihnen vertrauen«, flüsterte sie. Ich wusste das,
aber ich wusste auch, dass es für sie wichtiger war, Men-
schen aus ihrem Alltagsleben zu vertrauen.
»Ja, das können Sie. Sie stehen mir nahe, aber Sie müs-
sen anderen Menschen in Ihrem Leben auch näher kom-
men, und zwar den Menschen, die mehr Zeit mit Ihnen
verbringen können als ich.« Ich wollte, dass sie ganz unab-
hängig wurde, nicht abhängig von mir.

147
»Ich kann meiner Schwester vertrauen. Die anderen
kenne ich nicht. Auch Stuart kann ich trauen, aber nur bis
zu einem gewissen Punkt. Er macht sich wirklich etwas aus
mir, aber er ist verwirrt. In seiner Verwirrung fügt er mir
unbewusst Schaden zu.«
»Ja, das stimmt. Gibt es einen anderen Mann, dem Sie
vertrauen können?«
»Ich kann Roben vertrauen«, antwortete sie. Er war ein
anderer Arzt im Krankenhaus. Sie waren gute Freunde.
»Ja. Vielleicht gibt es noch weitere Menschen, denen Sie
vertrauen werden ... , in der Zukunft.«
»Ja((' räumte sie ein.
Der Gedanke an zukünftiges Wissen machte mich neu-
gierig und lenkte mich ab. Sie war so präzise gewesen, was
die Vergangenheit anbelangte. Durch die Meister hatte sie
spezifische, geheime Tatsachen gewusst. Konnte sie auch
Tatsachen aus der Zukunft wissen? Wenn ja, konnten wir
dieses Vorauswissen teilen? Tausend Fragen kamen mir in
den Sinn.
»Wenn Sie wie jetzt den Kontakt zu Ihrem überbewuss-
ten Geist finden und über sein Wissen verfügen, ent-
wickeln Sie dann auch Fähigkeiten im medialen Bereich?
Ist es Ihnen möglich, in die Zukunft zu schauen? Wir
haben viel in der Vergangenheit getan.((
»Es ist möglich((' räumte sie ein, »aber jetzt sehe ich
nichts.((
»Es ist möglich?((' wiederholte ich.
»Ich glaube schon.((
»Könnten Sie es tun, ohne Angst zu haben? Können Sie
in die Zukunft gehen und Informationen mit einem neu-
tralen Inhalt verlangen, der Sie nicht erschrecken wird?
Können Sie in die Zukunft sehen?«
Ihre Antwort kam schnell. »Das kann ich nicht sehen.
Sie werden es nicht erlauben.« Ich wusste, dass sie die
Meister meinte.
»Sind sie jetzt in Ihrer Nähe?«
»Ja.«
»Sprechen sie zu Ihnen?«
»Nein, sie überwachen alles.« Da sie überwacht wurde,
durfte sie also keinen Blick in die Zukunft werfen. Viel-
leicht konnten wir durch einen solchen Einblick persön-
lich nichts gewinnen. Catherine hatte zu große Angst.
Vielleicht waren wir noch nicht bereit, mit diesem Wissen
umzugehen. Ich drängte sie nicht weiter.
»Der Geist, der letztes Mal um Sie war, Gideon ... «
»Ja.«
»Was braucht er? Warum ist er in Ihrer Nähe? Kennen
Sie ihn?«
»Ich, ich glaube nicht.«
»Aber er schützt Sie vor Gefahr?«
»Ja.«
»Die Meister ... «
»Ich sehe sie nicht.«
»Manchmal haben sie Botschaften für mich, Botschaf-
ten, die Ihnen und mir helfen. Sind diese Botschaften
Ihnen zugänglich, auch wenn sie nicht sprechen? Geben
sie Ihnen Gedanken ein?«
»Ja.«
»Bestimmen sie, wie weit Sie gehen können? An was Sie
sich erinnern?«

149
»Ja.«
»Also dient diese Betrachtung früherer Leben einem
Zweck?«
»Ja.«
»Für Sie und für mich ... , um uns zu belehren. Um uns
Erlösung von der Angst zu bringen.«
»Es gibt viele Kommunikationsarten. Sie wählen viele ... ,
um zu zeigen, dass es sie gibt.« Ob Catherine ihre Stimme
hörte, Bilder und Landschaften aus der Vergangenheit
visualisierte, mediale Phänomene erfuhr oder ob ihr Ge-
danken und Ideen eingegeben wurden - das Ziel war das-
selbe: zu zeigen, dass es sie gibt und, darüber hinaus, dass
sie da sind, um uns zu helfen und uns beizustehen auf
unserem Weg, indem sie uns mit Einsichten und Wissen
versehen, das uns hilft, durch Weisheit gottähnlicher zu
werden.
»Wissen Sie, warum man Sie dazu ausersehen hat ... «
»Nein.«
»... ein Medium zu sein?«
Das war eine heikle Frage, da die wache Catherine nicht
einmal die Tonbänder hören konnte. »Nein«, antwortete
sie leise.
»Macht es Ihnen Angst?«
»Manchmal.«
»Und andere Male nicht?«
»Ja.«
»Es kann etwas Tröstendes haben«, fügte ich hinzu. »Wir
wissen jetzt, dass wir ewig leben, deshalb verlieren wir
unsere Angst vor dem Tod.«
»Ja«, bestätigte sie. Sie wartete. »Ich muss lernen zu ver-
trauen.« Sie war zu der wichtigsten Lektion ihres Lebens
zurückgekehrt. »Wenn man mir etwas sagt, muss ich glau-
ben, was man mir sagt ... , wenn die betreffende Person es
besser weiß.«
»Natürlich gibt es auch Leute, denen man nicht trauen
soll«, fügte ich hinzu.
»Ja, aber ich bin verwirrt. Und bei den Menschen, von
denen ich weiß, dass ich ihnen vertrauen sollte, kämpfe
ich dagegen an. Denn ich will niemandem trauen.« Sie war
wieder still, während ich ihre Einsicht bewunderte.
»Das letzte Mal haben wir über Sie als Kind gesprochen,
als Sie in einem Garten mit Pferden standen. Erinnern Sie
sich? Anlässtich der Hochzeit Ihrer Schwester.«
»Ein wenig.«
»Gab es aus dieser Zeit noch mehr zu lernen? Wissen Sie
es?«
»Ja.«
»Wäre es der Mühe wert, jetzt zurückzukehren und es zu
untersuchen?«
»Ich werde jetzt nicht dorthin zurückkehren. Es gibt
so viele Dinge in einem Leben ... , so viel Wissen zu erlan-
gen ... , in jedem Leben. Ja, wir müssen es untersuchen, aber
ich kehre jetzt nicht zurück.«
Also kam ich wieder auf ihre problematische Beziehung
zu ihrem Vater zu sprechen. »Ihre Beziehung zu Ihrem
Vater ist ein anderer Bereich, der Sie in diesem Leben sehr
beeinflusst hat.«
»Ja«, antwortete sie schlicht.
»Das ist ein anderer Bereich, den wir weiter untersuchen
müssen. Sie haben von dieser Beziehung viel zu lernen.
Vergleichen Sie sie mit der des kleinen Jungen in der
Ukraine, der seinen Vater schon früh verloren hat. Und
diesen Verlust haben Sie diesmal nicht erfahren. Und den-
noch, einen Vater zu haben, auch wenn gewisse Nöte eine
weniger ... «
»Eine größere Last waren«, meinte sie. »Gedanken<<,
fügte sie hinzu, »Gedanken ... «
»Was für Gedanken?« Ich spürte, dass sie in einem
neuen Bereich war.
Ȇber Narkose. Wenn man eine Narkose kriegt, kann
man dann immer noch hören? Man kann es!« Sie hatte ihre
eigene Frage beantwortet. Sie flüsterte jetzt schnell und
aufgeregt. »Ihr Bewusstsein weiß sehr wohl, was vorgeht.
Sie sprachen über mein Ersticken, über die Möglichkeit,
dass ich ersticken könnte, als sie die Operation an meiner
Kehle vornahmen.«
Ich erinnerte mich an Catherines Stimmbänderopera-
tion, die nur ein paar Monate vor ihrem ersten Termin mit
mir durchgeführt worden war. Vor der Operation hatte sie
ein bisschen Angst gehabt, aber sie war voller Entsetzen
gewesen, als sie aus der Narkose aufwachte. Das Pflege-
personal hatte Stunden gebraucht, um sie zu beruhigen.
Jetzt stellte sich heraus, dass das, was die Chirurgen wäh-
rend der Operation gesagt hatten, als sie sich in einer tiefen
Narkose befand, ihr Entsetzen hervorgerufen hatte. Meine
Gedanken kreisten auf einmal um die Klinik und meine
Zeit in der Chirurgieabteilung. Ich erinnerte mich an die
beiläufigen Gespräche während der Operationen, während
die Patienten unter Narkose waren. Ich erinnerte mich an
die Witze, das Fluchen, die Streitigkeiten und die Wut-

152
ausbrüche der Chirurgen. Was hatten die Patienten auf
einer unbewussten Ebene mitgekriegt? Wie viel davon be-
einflusste ihre Gedanken und Gefühle, ihre Befürchtungen
und Angste, wenn sie wieder aufwachten? Wurde der
postoperative Verlauf, die eigentliche Erholung des Patien-
ten vom Eingriff, positiv oder negativ beeinflusst von den
Bemerkungen, die während der Operation gemacht wur-
den? War jemand gestorben wegen negativer Prognosen,
die er während der Operation mitgehört hatte? Hatten
Patienten einfach aufgegeben, weil sie sich als hoffnungs-
loser Fall fühlten?
»Erinnern Sie sich an das, was sie sagten?«, fragte ich.
»Dass sie einen Schlauch einführen müssten. Wenn sie
den Schlauch herausnähmen, könnte meine Kehle an-
schwellen. Sie dachten nicht, dass ich sie hören konnte.«
»Aber Sie konnten es.«
»Ja. Deshalb hatte ich alle diese Probleme.« Nach der
heutigen Sitzung hatte Catherine keine Angst mehr vor
dem Schlucken oder Ersticken. So einfach war das. »Die
ganze Angst ... «, fuhr sie fort, »ich dachte, ich würde er-
sticken.«
»Fühlen Sie sich befreit?«, fragte ich.
»Ja. Sie können das, was die anderen getan haben, rück-
gängig machen.«
»Kann ich das?«
»Ja, das können Sie ... die anderen müssen sehr auf-
passen, was sie sagen. Ich erinnere mich jetzt. Sie steckten
einen Schlauch in meinen Hals. Und dann konnte ich
nicht mehr mit ihnen sprechen, um ihnen etwas mitzu-
teilen.«

153
»Jetzt sind Sie davon befreit ... Sie haben sie gehört?«
»Ja, ich habe sie sprechen gehört ... « Sie schwieg ein oder
zwei Minuten, dann begann sie, ihren Kopf von einer Seite
zur anderen zu drehen. Sie schien auf etwas zu hören.
»Sie scheinen Botschaften zu hören. Wissen Sie, wo die-
se Botschaften herkommen? Ich hatte gehofft, die Meister
würden zurückkehren.«
»Jemand hat es mir gesagt«, war ihre knappe Antwort.
»Jemand sprach mit Ihnen?«
»Aber sie sind weg.« Ich versuchte, sie zurückzuholen.
»Probieren Sie, ob Sie die Geistwesen zurückrufen
können mit den Botschaften für uns ... , um uns weiterzu-
helfen.«
»Sie kommen nur, wenn sie wollen, nicht, wenn ich es
will«, antwortete sie mit Bestimmtheit.
»Sie haben keine Kontrolle darüber?«
»Nein.«
»Einverstanden«, räumte ich ein, »aber die Botschaft
über die Narkose war sehr wichtig für Sie. Das war die
Ursache für Ihre Erstickungsanfälle.«
»Es war wichtig für Sie, nicht für mich«, erwiderte sie.
Ihre Antwort hallte in meinem Kopf nach. Catherine
würde von ihrer Angst vor dem Ersticken geheilt sein,
doch diese Enthüllung war trotzdem wichtiger für mich
als für sie. Ich war der Heiler. Ihre Antworten enthielten
viele Bedeutungsebenen. Ich hatte das Gefühl, dass ich,
wenn ich diese Ebenen wirklich verstand, einen Quanten-
sprung im Verständnis menschlicher Beziehungen machen
könnte. Vielleicht war Hilfe zu geben wichtiger als das
Kurierenwollen.

154
>>Damit ich Ihnen helfen kann?<<, fragte ich.
))Ja. Sie können das, was die anderen getan haben, unge-
schehen machen. Sie haben es ungeschehen gemacht ... <<
Sie ruhte sich aus. Wir hatten beide eine wichtige Lektion
gelernt.

Kurz nach ihrem dritten Geburtstag kam meine Tochter


Amy zu mir gerannt und umarmte meine Beine. Sie schau-
te zu mir auf und meinte: >>Ich liebe dich schon seit vierzig-
tausend Jahren.« Ich sah auf ihr kleines Gesicht hinunter
und war sehr, sehr glücklich.
11

Mehrere Nächte später wurde ich aus einem tiefen


Schlummer aufgeschreckt. Ich war sofort hellwach und
hatte eine Vision von Catherines Gesicht, das überdimen-
sional groß ~rschien. Sie sah verstört aus, als würde sie
meine Hilfe brauchen. Ich warf einen Blick auf den
Wecker. Es war 3· 36 Uhr. Draußen waren keine Geräu-
sche zu hören, die mich geweckt hätten. Carole schlief
friedlich neben mir. Ich schob das Ereignis beiseite und
schlief wieder ein.
Um etwa 3.30 Uhr an diesem Morgen war Catherine in
Panik aus einem Albtraum aufgewacht. Sie war schweiß-
gebadet, und ihr Herz raste. Um sich zu entspannen, be-
schloss sie zu meditieren und stellte sich dabei vor, ich
würde sie in meiner Praxis hypnotisieren. Sie sah mein
Gesicht, hörte meine Stimme und schlief allmählich wie-
der ein.
Catherine wurde zunehmend medialer und ich offen-
bar auch. Ich konnte meinen alten Psychiatrieprofessor
über das Thema Übertragung und Gegenübertragung in
therapeutischen Beziehungen dozieren hören. Die Über-
tragung ist die Projektion der Gefühle, Gedanken und
Wünsche des Patienten auf den Therapeuten, der eine
Gestalt aus dessen Vergangenheit darstellt. Eine Gegen-
übertragung ist das Gegenteil, das heißt die unbewussten
emotionalen Reaktionen des Therapeuten auf den Pa-
tienten. Doch diese Kommunikation um 3· 30 Uhr mor-
gens war weder das eine noch das andere. Es war eine
telepathische Verbindung auf einer Wellenlänge außer-
halb der normalen Kanäle. Auf irgendeine Weise öff-
nete die Hypnose diesen Kanal. Oder war es das Pub-
likum, eine Gruppe von verschiedenen Geistwesen - von
Meistern, Schutzengeln und anderen -, die für die neue
Wellenlänge verantwortlich waren? Ich war mehr als über-
rascht.
Bei der nächsten Sitzung erreichte Catherine schnell
eine tiefe hypnotische Ebene. Sie war sofort beunruhigt.
»Ich sehe eine große Wolke ... Sie machte mir Angst, Sie
war dort.« Sie atmete schnell.
»Ist sie immer noch dort?«
»Ich weiß es nicht. Sie kam und zog schnell vorüber ... ,
etwas hoch oben auf einem Berg.« Sie war immer noch
verstört und atmete schwer. Ich hatte Angst, sie würde eine
Bombe sehen. Konnte sie in die Zukunft blicken?
»Können Sie den Berg sehen? Ist er wie eine Bombe?<<
»Ich weiß es nicht.«
»Warum hat es Ihnen Angst gemacht?«
»Es geschah sehr plötzlich. Sie war einfach nur da. Es ist
sehr rauchig ... , sehr rauchig. Es ist groß. Es ist weit weg.
Oh ... «
»Sie sind in Sicherheit. Können Sie näher herangehen?«
»Ich will aber nicht näher herangehen!«, antwortete sie
schroff. Es war selten, dass sie so viel Widerstand leistete.
»Wovor haben Sie Angst?« fragte ich erneut.
»Ich denke, es sind irgendwelche Chemikalien oder so

1 57
etwas. Das Atmen fällt schwer, wenn man in der Nähe ist.«
Sie atmete mühsam.
»Ist es wie ein Gas? Kommt es aus dem Berg selbst ... wie
ein Vulkan?«
»Ich glaube schon. Es ist wie ein großer Pilz. So sieht es
aus ... wie ein weißer Pilz.«
»Aber keine Bombe? Es ist keine Atombombe oder so
etwas?« Sie wartete und fuhr dann fort.
»Es ist ein Vul ... , irgendeine Art Vulkan oder so etwas,
glaube ich. Es ist sehr beängstigend. Man kann kaum
atmen. Staub ist in der Luft. Ich will hier nicht sein.« Lang-
sam wurde ihr Atem wieder ruhig und gleichmäßig -
wie immer unter Hypnose. Sie hatte diese beängstigende
Szene hinter sich gelassen.
»Fällt das Atmen l~nen jetzt leichter?«
»Ja.«
»Gut. Was sehen Sie jetzt?«
»Nichts ... Ich sehe eine Halskette, eine Halskette um
einen Hals ... Sie ist blau ... , silbern mit einem blauen Stein
als Anhänger und kleineren Steinen unter ihm.«
»Ist etwas in dem Stein?«
»Nein, er ist durchsichtig. Man kann durch ihn hin-
durchsehen. Die Dame hat schwarzes Haar und einen
blauen Hut ... mit einer großen Feder, und ihr Kleid ist aus
Samt.«
»Kennen Sie diese Dame?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie sehen sie?«
»Ja. Ich bin nicht diese Dame.«
»Wie alt ist sie?«
»ln den Vierzigem. Aber sie sieht älter aus, als sie ist.<<
»Macht sie irgendetwas?«
>>Nein. Sie steht nur neben dem Tisch. Es ist eine Par-
fumflasche auf dem Tisch. Sie ist weiß mit grünen Blumen
darauf. Es liegen eine Bürste und ein Kamm dort mit
silbernen Griffen.« Ich war beeindruckt von ihrem Sinn
für Details.
»Ist es ihr Zimmer, oder ist es in einem Laden?«
»Es ist ihr Zimmer. Es steht ein Bett darin ... , mit vier
Bettpfosten. Es ist ein braunes Bett. Auf dem Tisch steht
ein Wasserkrug.«
»Ein Krug?«
>>Ja. Es sind keine Bilder im Zimmer. Es hat eigenartige,
dunkle Vorhänge.«
»Ist noch jemand anderes dort?«
»Nein.«
»Welche Beziehung hat diese Dame zu Ihnen?«
»Ich diene ihr.« Einmal mehr war sie eine Dienstmagd.
»Sind Sie schon lange bei ihr?«
»Nein ... , erst ein paar Monate.«
»Gefällt Ihnen die Halskette?«
»Ja, sie ist sehr schön.«
»Haben Sie sie je getragen?«
»Nein.« Ihre knappen Antworten verlangten eine aktive
Steuerung meinerseits, um grundsätzliche Einzelheiten zu
erfahren. Sie erinnerte mich an meinen vorpubertären
Sohn.
»Wie alt bist du jetzt?«
»Vielleicht dreizehn, vierzehn.« Etwa gleich alt wie mein
Sohn.
»Warum hast du deine Familie verlassen?« erkundigte
ich mich.
»Ich habe sie nicht verlassen«, verbesserte sie mich. »Ich
arbeite nur dort.«
»Ich verstehe. Gehst du hinterher nach Hause zu deiner
Familie?«
»Ja.« Ihre Antworten waren wenig aufschlussreich.
»Wohnst du in der Nähe?«
»Nahe genug ... Wir sind sehr arm. Wir müssen arbeiten
... dienen.«
»Weißt du den Namen der Dame?«
»Belinda.«
»Behandelt sie dich gut?«
»Ja.«
»Schön. Musst du hart arbeiten?«
»Es ist nicht sehr anstrengend.« Teenager zu befragen ist
noch nie leicht gewesen, sogar in früheren Leben. Zum
Glück hatte ich viel Übung.
»Gut. Siehst du sie jetzt immer noch?«
»Nein.«
»Wo bist du jetzt?«
»In einem anderen Zimmer. Es steht ein Tisch dort mit
einer schwarzen Decke darauf ... und Fransen. Es riecht
nach vielen Kräutern ... , schwüler Duft.«
»Gehört das alles deiner Herrin? Verwendet sie viel Par-
fum?«
»Nein, es ist ein anderes Zimmer. Ich bin in einem ande-
ren Zimmer.«
»Wessen Zimmer ist es?«
»Es gehört irgendeiner dunklen Dame.«

t6o
»Dunkel in welchem Sinn? Kannst du sie sehen?«
>>Sie hat viele Tücher auf dem Kopf«, flüsterte Catherine,
>>viele Schals. Sie ist alt und runzelig.«
>>Was ist deine Beziehung zu ihr?«
»Ich bin zu ihr gegangen.«
»Aus welchem Grund?«
»Damit sie mir die Karten legen kann.« Intuitiv wusste
ich, dass sie eine Wahrsagerin aufgesucht hatte, die wahr-
scheinlich aus den Tarotkarten las. Das war eine ironische
Wendung. Hier waren Catherine und ich in ein unglaub-
liches mediales Abenteuer involviert, das viele Leben und
Dimensionen umspannte und sogar noch darüber hinaus-
ging, und dennoch hatte sie vielleicht zweihundert Jahre
zuvor ein Medium aufgesucht, um sich von ihm die Zu-
kunft voraussagen zu lassen. Ich wusste, dass Catherine in
ihrem jetzigen Leben noch nie ein Medium konsultiert
hatte. Sie wusste nichts über Tarotkarten oder Wahrsagen.
Diese Dinge machten ihr Angst.
»Sagt sie die Zukunft voraus?«, fragte ich.
»Sie sieht Dinge.«
»Hast du eine Frage für sie? Was möchtest du sehen?
Was willst du wissen?«
»Wegen irgendeines Mannes ... , den ich vielleicht heira-
ten werde.«
»Was sagt sie, wenn sie die Karten liest?«
»Die Karte mit ... irgendwelchen Stangen darauf. Stan-
gen und Blumen ... , jedenfalls Stangen, Speere oder irgend-
eine Art Striche. Ich sehe eine andere Karte mit einem
Kelch darauf, einer Tasse ... Ich sehe eine Karte mit einem
Mann oder einem Jungen, der einen Schild trägt. Sie sagt,
dass ich heiraten werde, aber nicht diesen Mann ... , ich
sehe nichts anderes.«
>>Siehst du die Frau?«
))Ich sehe einige Münzen.«
))Bist du immer noch bei ihr, oder ist dies ein anderer
Ort?«
))Ich bin bei ihr.«
))Wie sehen die Münzen aus?«
. ))Sie sind aus Gold. Die Ränder sind nicht glatt. Sie sind
abgekantet. Auf einer Seite ist eine Krone.«
>>Schau, ob ein Jahr auf den Münzen geprägt ist. Etwas,
das du lesen kannst ... in Buchstaben.«
>>Irgendwelche fremden Zahlen«, antwortete sie. ))Mit
mehreren X.«
))Weißt du, welches Jahr das ist?«
))Siebzehn ... irgend was. Ich· weiß nicht, wann.« Sie war
wieder still.
))Warum ist diese Wahrsagerin wichtig für dich?«
))Ich weiß es nicht ..
))Treffen ihre Voraussagen ein?«
>> ... Aber sie ist weg«, flüsterte Catherine. ))Es ist weg. Ich
weiß es nicht mehr.«
>>Sehen Sie jetzt irgendetwas?«
))Nein.«
))Nein?« Ich war überrascht. Wo war sie? ))Wissen Sie
Ihren Namen in diesem Leben?«, fragte ich in der Hoff-
nung, den Faden ihres Lebens vor mehreren hundert
Jahren wieder aufzunehmen.
>>Ich bin weg von dort.« Sie hatte dieses Leben verlassen
und ruhte. Sie konnte das jetzt von sich aus tun. Es war
nicht nötig, dass sie erst starb, um es zu können. Wir war-
teten mehrere Minuten. Dieses Leben war nicht so spek-
takulär gewesen. Sie hatte sich nur an einige Höhepunkte
und an den interessanten Besuch bei der Wahrsagerin er-
innert.
»Sehen Sie jetzt etwas?«, fragte ich wieder.
»Nein«, flüsterte sie.
»Ruhen Sie?«
»Ja ... Juwelen in verschiedenen Farben ... «
>>Juwelen?«
»Ja, in Wirklichkeit sind es Lichter, aber sie sehen wie
Juwelen aus ... «
>>Was sonst?«
»Ich bin nur ... « Sie war still, doch dann klang ihr Fliis-
tern laut und bestimmt. »Viele Worte und Gedanken
fliegen umher ... Es geht um die Koexistenz und um Har-
monie ... , das Gleichgewicht der Dinge.« Ich wusste, dass
die Meister in der Nähe waren.
»Ja«, drängte ich. »Ich möchte über diese Dinge mehr
erfahren. Können Sie es mir sagen?«
»Im Moment sind es nur Worte«, antwortete sie.
»Koexistenz und Harmonie«, erinnerte ich sie. Als sie
wieder sprach, war es mit der Stimme des poetischen Meis-
ters. Ich war hocherfreut, wieder von ihm zu hören.
»Ja«, antwortete er. »Alles muss ausgewogen sein. Die
Natur ist ausgewogen. Die Tiere leben in Harmonie. Die
Menschen haben das nicht gelernt und zerstören sich
immer noch gegenseitig. Es gibt keine Harmonie, keinen
Plan in dem, was sie tun. In der Natur ist das ganz anders.
Die Natur ist ausgewogen. Sie ist Energie und Leben ...
und Erneuerung. Menschen zerstören nur. Sie zerstören
die Natur. Sie zerstören einander. Mit der Zeit werden sie
sich sogar selbst zerstören.«
Das war eine unheilvolle Vorhersage. In einer Welt, in
der ständig Chaos und Aufruhr herrschten, hoffte ich, dass
das nicht so bald eintreffen würde. ))Wann wird das sein?«,
fragte ich.
))Es wird schneller kommen, als sie denken. Die Natur
wird überleben. Oie Pflanzen werden überleben. Aber wir
nicht.«
))Können wir etwas tun, um diese Zerstörung zu verhin-
dern?«
))Nein, alles muss ausgeglichen werden ... «
)) Wird diese Zerstörung in unserer Zeit stattfinden?
Können wir sie abwenden?«
>>Es wird nicht in unserer Zeit sein. Wir werden uns auf
einer anderen Ebene befinden, in einer anderen Dimen-
sion, aber wir werden es sehen.«
))Gibt es keinen Weg, die Menschheit zu erreichen?« Ich
suchte ständig nach einem Ausweg, nach einer weniger
schlimmen Alternative.
))Es wird auf einer anderen Ebene stattfinden. Wir
werden davon lernen.«
Ich sah das Gute daran: ))Dann werden unsere Seelen
also zu anderen Orten gehen?«
))Ja. Wir werden nicht länger ... hier sein, so wie wir es
kennen. Wir werden es sehen.«
))Ja«, räumte ich ein. ))Ich habe das Bedürfnis, es den Leu-
ten beizubringen, aber ich weiß nicht, wie ich sie erreichen
soll. Gibt es einen Weg, oder müssen sie es selbst lernen?«
»Du kannst nicht alle erreichen. Um der Zerstörung Ein-
halt zu gebieten, musst du alle erreichen, und das kannst
du nicht. Man kann es nicht stoppen. Sie werden lernen.
Wenn sie fortschreiten, werden sie lernen. Es wird Frieden
herrschen, aber nicht hier, nicht in dieser Dimension.«
»Mit der Zeit wird Frieden sein?«
»Ja, auf einer anderen Ebene.«
»Das scheint aber sehr weit weg zu sein«, klagte ich.
»Die Leute kommen mir jetzt schon so kleinlich vor ... , so
gierig, machthungrig, ehrgeizig. Sie vergessen Liebe, Ver-
ständnis und Wissen. Es gibt so viel zu lernen.«
»Ja.«
»Kann ich etwas schreiben, um diesen Menschen zu
helfen? Wäre das ein Weg?«
»Du kennst den Weg. Wir brauchen es dir nicht zu
sagen. Es wird alles nichts nützen, denn wir werden alle
diese Ebene erreichen, und wir werden sehen. Wir sind
alle gleich. Niemand ist besser als der andere. Es sind alles
nur Lehren ... , und Strafen.«
»Ja«, bestätigte ich. Es war eine sehr tief schürfende
Lektion, und ich brauchte Zeit, um sie zu verdauen.
Catherine schwieg wieder. Wir warteten, während sie sich
ausruhte und ich die dramatischen Erklärungen der letzten
Stunden gedanklich in mir aufnahm. Dann durchbrach sie
den Zauber.
»Die Juwelen sind weg«, flüsterte sie. »Die Juwelen sind
weg. Die Lichter sind ... auch weg.«
»Die Stimmen auch? Die Worte?«
»Ja. Ich sehe nichts.« Während sie wartete, begann ihr
Kopf hin- und herzu rollen. »Ein Geistwesen ... schaut.«
»Schaut es Sie an?«
»Ja.«
»Erkennen Sie das Geistwesen?«
»Ich bin nicht sicher ... Ich glaube, es könnte Edward
sein.« Edward war im vergangenen Jahr gestorben. Er
war wirklich allgegenwärtig. Immer schien er um sie zu
sein.
>>Wie sah das Geistwesen aus?«
»Nur ein ... , nur weiß ... wie Lichter. Er hatte kein Ge-
sicht, nicht, wie wir es kennen, aber ich wusste, dass er es
war.«
»Kommunizierte er überhaupt mit Ihnen?«
»Nein, er sah nur zu.((
»Hörte er dem zu, was ich sagte?((
»Ja((, flüsterte sie. »Aber jetzt ist er weg. Er wollte nur
sicher sein, dass es mir gut geht.(( Ich dachte über den
populären Gedanken an Schutzengel nach. Edward in der
Rolle des wachenden, liebevollen Geistwesens, das auf sie
aufpasste, damit es ihr gut ging, kam einer solchen Rolle
nahe. Und Catherine hatte auch schon über Schutzengel
gesprochen. Ich fragte mich, wie viel von unseren Kinder-
märchen eigendich in einer dunkel erinnerten Vergangen-
heit wurzelte.
Ich machte mir auch Gedanken über die Hierarchie der
Geistwesen, wer ein Schutzgeist und wer ein Meister
wurde, und über die, die weder das eine noch das andere
waren und nur lernten. Es musste Abstufungen geben, die
aufWissen und Weisheit basierten, mit dem letztendlichen
Ziel, gottähnlich zu werden und sich Gott zu nähern oder
vielleicht irgendwie in ihn einzugehen. Das war das Ziel,

t66
das von Mystikern über die Jahrhunderte hinweg in eksta-
tischen Begriffen beschrieben worden war. Sie hatten
Momente einer solchen göttlichen Vereinigung erlebt. Wo
diese persönlichen Erfahrungen fehlten, bot ein Medium
wie Catherine mit ihrem außergewöhnlichen Talent einen
anderen Zugang.
Edward war weg, Catherine still geworden. Ihr Gesicht
war friedlich. Ruhe umhüllte sie. Was für ein wunderbares
Talent besaß sie doch - die Fähigkeit, über das Leben und
den Tod und alles, was uns nach dem Tod erwartete, hi-
nauszugehen, um mit den »Göttern« zu sprechen und an
ihrer Weisheit teilzuhaben. Wir aßen vom Baum der Er-
kenntnis, der nicht länger verboten war. Ich fragte mich,
wie viele Apfel übrig waren.

Caroles Mutter, Minette, starb an einem Krebsgeschwür,


das sich von ihrer Brust in ihre Knochen und Leber aus-
gebreitet hatte. Das Leiden dauerte schon vier Jahre und
konnte jetzt nicht mehr mit Chemotherapie behandelt
werden. Sie war eine tapfere Frau, die Schmerz und
Schwäche stoisch erduldete. Doch die Krankheit schritt
fort, und ich wusste, dass ihr Tod bevorstand.
Die Sitzungen mit Catherine fanden zur selben Zeit
statt, und ich hatte meine Erfahrungen und Catherines
Enthüllungen mit Minette besprochen. Ich war etwas
überrascht, dass sie, eine pragmatische Geschäftsfrau,
dieses Wissen ohne weiteres akzeptierte und mehr darüber
erfahren wollte. Ich gab ihr Bücher zu lesen, die sie gierig
verschlang. Sie fand und besuchte mit Carole und mir
einen Kurs über die Kabbala, die Sammlung uralter mysti-
scher jüdischer Schriften. Wiedergeburt und Zwischen-
welten sind Grundannahmen der kabbalistischen Weis-
heit, aber die meisten modernen Juden sind sich dessen
nicht bewusst. Während ihr Körper zerfiel, wurde Minettes
Geist stärker. Ihre Angst vor dem Tod nahm ab. Sie begann
sich darauf zu freuen, bald wieder mit Ben, ihrem geliebten
Mann, vereint zu sein. Sie glaubte an die Unsterblichkeit
ihrer Seele, und das half ihr, den Schmerz zu ertragen. Sie
klammerte sich nur an das Leben, um auf die Geburt eines
weiteren Enkels zu warten, das erste Kind ihrer Tochter
Donna. Sie war Catherine anlässtich einer ihrer Behand-
lungen im Krankenhaus begegnet, und sie hatten freund-
lich miteinander gesprochen. Catherines Aufrichtigkeit
und Ehrlichkeit halfen Minette.
Eine Woche bevor sie starb, ging Minette in die Onko-
logie-Abteilung des Krankenhauses. Carole und ich konn-
ten viel Zeit mit ihr verbringen und sprachen mit ihr über
Leben und Tod und über das, was nach dem Tod auf uns
alle wartete. Mit ihrem großen Sinn für Würde beschloss
sie, in einer Klinik zu sterben, wo die Krankenschwestern
sich um sie kümmern konnten. Donna, ihr Mann und ihre
sechs Wochen alte Tochter kamen, um sie zu besuchen und
Abschied zu nehmen. Wir waren beinahe ständig bei ihr.
An dem Abend, als Minette starb, empfanden Carole und
ich beide um sechs Uhr, als wir gerade aus dem Kranken-
haus nach Hause gekommen waren, einen starken Drang,
gleich wieder dorthin zu fahren. Die nächsten sechs oder
sieben Stunden waren voller Frieden und einer trans-
zendenten geistigen Energie. Auch wenn ihr Atem schwer
ging, empfand Minette keine Schmerzen mehr. Wir spra-

168
eben über den Übergang in die Zwischenwelt, vorn hellen
Licht und den spirituellen Wesen. Sie ließ ihr Leben,
hauptsächlich schweigend, Revue passieren und rang mit
sich, um dessen negative Teile zu akzeptieren. Sie schien zu
wissen, dass sie nicht loslassen konnte, bis dieser Prozess
vollendet war. Sie wartete auf einen ganz bestimmten
Moment, um zu sterben, arn frühen Morgen, und wurde
ungeduldig, bis es so weit war. Minette war der erste
Mensch, den ich je auf diese Weise bis zum Tod und durch
ihn hindurch begleitet hatte. Sie war gestärkt, und unser
Leid wurde durch diese Erfahrung gemindert.
Ich entdeckte, dass meine Fähigkeit, meine Patienten zu
heilen, bedeutend größer geworden war, nicht was Pho-
bien und A.ngste anbelangte, sondern was den Tod, Ster-
ben und Trauerarbeit betraf. Ich wusste intuitiv, was fehlte
und welche Richtung in der Therapie einzuschlagen war.
Ich war in der Lage, Gefühle von Frieden, Ruhe und Hoff-
nung zu vermitteln. Nach Minettes Tod suchten viele Ster-
benskranke oder Patienten, die den Tod eines geliebten
Menschen erlebt hatten, bei mir Hilfe. Viele von ihnen
wollten nichts über Catherine und die Literatur über das
Leben nach dem Tod hören. Doch auch ohne solch spezi-
fisches Wissen zu vermitteln, hatte ich das Gefühl, dass
ich die Botschaft trotzdem weitergeben konnte. Einen Ton
in der Stimme, ein ernpathisches Verständnis des Prozesses
und ihrer A.ngste und Gefühle, ein Blick, eine Berührung,
ein Wort - alles konnte auf einer gewissen Ebene durch-
kommen und eine Spur von Hoffnung, vergessener Spiri-
tualität, gerneinsamer Menschlichkeit oder sogar noch
mehr anklingen lassen. Denen, die für mehr bereit waren,
Lesestoff vorzuschlagen und meine Erfahrungen mit
Catherine und anderen zu teilen, war, als würde man ein
Fenster öffnen, um frische Luft einzulassen. Diejenigen,
die bereit waren, wurden wiederbelebt. Noch viel schneller
erlangten sie Einsichten.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Therapeuten einen
offenen Geist behalten müssen. So, wie mehr wissen-
schaftliche Forschung nötig ist, um Erfahrungen von Tod
und Sterben wie die von Catherine festzuhalten, bedarf es
auch auf diesem Gebiet mehr experimenteller Arbeit.
Therapeuten müssen die Möglichkeit eines Lebens nach
dem Tod in Betracht ziehen und in ihre Arbeit aufnehmen.
Sie brauchen nicht auf hypnotische Rückführungen
zurückzugreifen, aber sie sollten offenbleiben und ihr Wis-
sen mit ihren Patienten teilen, anstatt deren Erfahrungen
abzuwerten.
Viele Menschen sind heute verzweifelt, da sie mit ihrer
Sterblichkeit stark konfrontiert werden. Die Seuche Aids,
ein nuklearer Holocaust, Terrorismus, Krankheiten und
viele andere Katastrophen hängen über unseren Köpfen
und plagen uns täglich. Viele Teenager glauben, sie wür-
den keine dreißig werden. Das ist schlimm, und es reflek-
tiert den ungeheuren Druck, der auf unserer Gesellschaft
lastet.
Auf der individuellen Ebene war Minettes Reaktion auf
Catherines Botschaften ermutigend. Ihr Geist war gestärkt
worden, und sie hatte Hoffnung gespürt trotz großer
körperlicher Schmerzen und körperlichen Zerfalls. Doch
diese Botschaften gehen uns alle etwas an, nicht nur die
Sterbenden. Auch für uns gibt es Hoffnung. Wir brauchen

170
mehr Arzte und Wissenschaftler, die über andere Cathe-
rines berichten, um ihre Botschaften zu bestätigen und zu
erweitern. Die Antworten sind da. Wir sind unsterblich.
Wir werden immer zusammen sein.
12

Dreieinhalb Monate waren seit unserer ersten Hypnose-


sitzung verstrichen. Nicht nur waren Catherines Symp-
tome beinahe verschwunden: Sie hatte Fortschritte ge-
macht, die über eine bloße Heilung hinausgingen. Sie
strahlte und verbreitete eine friedvolle Energie. Die Men-
schen fühlten sich von ihr angezogen. Wenn sie im Kran-
kenhaus ihr Frühstück einnahm, eilten Männer und
Frauen herbei, um sich zu ihr zu setzen. ))Du siehst sehr gut
aus, das wollte ich dir nur sagen«, bemerkten sie. Wie ein
Fischer zog sie sie an einer unsichtbaren telepathischen
Schnur an Land. Dabei hatte sie jahrelang unbemerkt in
dieser Cafeteria gegessen.
Wie üblich versank sie in meinem Behandlungszimmer
schnell in eine tiefe hypnotische Trance, wobei ihr blondes
Haar in lockigen Strähnen auf das alte beige Kissen fiel.
))Ich sehe ein Gebäude ... Es ist aus Stein. Und oben-
drauf ist etwas Spitzes. Es ist in einer sehr bergigen
Gegend. Es ist sehr feucht ... , es ist sehr feucht draußen.
Ich sehe einen Wagen. Ich sehe einen Wagen ... vorne vor-
beifahren ... Auf dem Wagen ist Heu, irgendeine Art Stroh
oder Heu oder etwas, das die Tiere fressen. Es sind einige
Männer dort. Sie tragen eine Art Fahnen, etwas, das am
Ende eines Stocks fliegt. Sehr bunte Farben. Ich höre sie
über die Mauren sprechen ... , die Mauren. Und dass es
Krieg gibt. Eine Art Metall, etwas Metallisches bedeckt
ihren Kopf ... , irgendeine Kopfbedeckung aus Metall ...
Wir sind im Jahre 1483. Etwas über Dänen. Kämpfen wir
gegen die Dänen? Irgendein Krieg wird ausgetragen.«
»Sind Sie dort?«, fragte ich.
»Das sehe ich nicht«, entgegnete sie leise. »Ich sehe die
Wagen. Sie haben zwei Räder ... , zweirädrig sind sie und
hinten offen. Sie sind offen, an den Seiten sind offene
Bretter, eine Art Holzbretter hält sie zusammen. Ich sehe ...
etwas Metallisches, das sie um den Hals tragen ... , sehr
schweres Metall in Form eines Kreuzes. Aber die Enden
sind krumm, die Enden des Kreuzes ... sind rund. Es ist das
Fest irgendeines Heiligen ... Ich sehe Schwerter. Sie haben
eine Art Messer oder Schwert ... , sehr schwer, vorne sehr
stumpf. Sie bereiten sich auf irgendeinen Kampf vor.«
»Schauen Sie, ob Sie sich entdecken können«, wies ich
sie an. »Schauen Sie sich um. Vielleicht sind Sie ein Soldat.
Sie beobachten sie von irgendwoher.«
»Ich bin kein Soldat.« Darüber war sie sich klar.
»Schauen Sie sich um.«
»Ich habe einen Teil der Vorräte mitgebracht. Es ist ein
Dorf, irgendein Dorf.« Sie schwieg.
»Was sehen Sie jetzt?«
»Ich sehe ein Banner, eine Art Banner. Es ist rot und
weiß ... , weiß mit einem roten Kreuz.«
»Ist es das Banner Ihrer Leute?«, fragte ich.
»Das Banner der Soldaten des Königs«, erwiderte sie.
»Ist es Ihr König?«
»Ja.«
»Kennen Sie den Namen des Königs?«

1 73
»Das kann ich nicht hören. Er ist nicht hier.«
»Können Sie nachsehen, was Sie anhaben? Schauen Sie
an sich hinunter, um zu sehen, wie Sie gekleidet sind.«
»Irgendetwas Ledriges ... , eine Ledertunika über ... , über
einem sehr groben Hemd. Eine kurze ... Ledertunika.
Irgendwelche Schuhe aus Tierhäuten ... , nicht Schuhe,
mehr wie Stiefel oder Mokassins. Niemand spricht mit
mir.«
»Ich verstehe. Welche Haarfarbe haben Sie?«
»Mein Haar ist hell, aber ich bin alt, und es sind graue
Strähnen darin.«
»Was meinen Sie zu diesem Krieg?«
»Er ist zu meinem Leben geworden. Ich habe in einem
früheren Scharmützel ein Kind verloren.«
»Einen Sohn?«
»Ja.« Sie war traurig.
»Wen haben Sie noch? Wer von Ihrer Familie ist übrig
geblieben?«
>>Meine Frau ... und meine Tochter.«
»Wie hieß Ihr Sohn?«
»Ich sehe seinen Namen nicht. Ich erinnere mich an ihn.
Ich sehe meine Frau.« Catherine war in vielen Leben auch
ein Mann gewesen. Kinderlos in ihrem jetzigen Leben,
hatte sie in ihren anderen Existenzen viele Kinder gehabt.
»Wie sieht Ihre Frau aus?«
»Sie ist sehr müde, sehr müde. Sie ist alt. Wir haben ein
paar Ziegen.«
»Lebt Ihre Tochter noch bei Ihnen?«
»Nein, sie ist verheiratet und schon seit einiger Zeit
fort.«

174
»Also sind Sie mit Ihrer Frau allein?«
»Ja.«
»Wie ist Ihr Leben?«
»Wir sind müde. Wir sind sehr arme Leute. Es ist nicht
leicht gewesen.«
»Nein. Sie haben Ihren Sohn verloren. Vermissen Sie
ihn?«
»Ja«, antwortete sie schlicht, aber ihr Leid war spürbar.
»Waren Sie ein Bauer?« Ich wechselte das Thema.
»Ja. Ich sehe Weizen ... , Weizen, so etwas wie Weizen.«
»Hat es in Ihrem Land während Ihres Lebens viele
Kriege gegeben mit vielen Tragödien?«
»Ja.«
»Dennoch sind Sie alt geworden.«
»Aber sie kämpfen außerhalb des Dorfes, nicht im
Dorf«, erklärte sie. »Sie müssen dorthin reisen, wo sie
kämpfen ... , über viele Berge.«
»Kennen Sie den Namen des Lands, in dem Sie leben?
Oder des Dorfs?«
»Ich sehe ihn nicht, aber es muss einen Namen haben.
Ich sehe ihn nicht.«
»Leben Sie in einer sehr religiösen Zeit? Die Soldaten
tragen Kreuze.«
»Für andere ja. Nicht für mich.«
»Lebt noch jemand anderes von Ihren restlichen Ver-
wandten außer Ihrer Frau und Ihrer Tochter?«
»Nein.«
»Ihre Eltern sind gestorben?«
»Ja.«
»Keine Brüder und Schwestern?«

175
»Ich habe eine Schwester. Sie lebt. Ich kenne sie nicht(('
fügte sie hinzu und meinte ihr Leben als Catherine.
»ln Ordnung. Schauen Sie, ob Sie irgendjemand ande-
ren im Dorf oder in Ihrer Familie erkennen.(( Wenn Men-
schen in Gruppen wieder geboren wurden, war es wahr-
scheinlich, dass sie jemanden dort finden würde, der auch
in ihrem jetzigen Leben eine Bedeutung hatte.
»Ich sehe einen Steintisch ... Ich sehe Schüsseln.((
»Es ist Ihr Haus?((
»Ja. Etwas aus Ker ... , etwas Gelbes, etwas aus Mais ...
oder etwas ... Gelbes. Wir essen es ... ((
»Gut((' sagte ich in einem Versuch, das Tempo zu stei-
gern. »Dieses Leben ist schwer für Sie gewesen, ein sehr
schweres Leben. Woran denken Sie?((
»Pferde((' flüsterte sie.
»Halten Sie Pferde? Oder hat jemand anderes Pferde?((
»Nein, Soldaten ... , manche von ihnen. Vor allem gehen
sie zu Fuß. Aber es sind keine Pferde, es sind Esel oder
etwas Kleineres als Pferde. Sie sind vor allem wild.((
»Gehen Sie jetzt in der Zeit voraus((' wies ich sie an. »Sie
sind sehr alt. Versuchen Sie zum letzten Tag in Ihrem
Leben als alter Mann zu gehen.((
»Aber ich bin nicht sehr alt((' wandte sie ein. Sie war in
diesen früheren Leben nicht sehr offen für Suggestionen.
Was geschah, geschah. Ich konnte die tatsächlichen Erin-
nerungen nicht wegsuggerieren und konnte sie nicht dazu
bringen, die Einzelheiten dessen zu verändern, was ge-
schehen und erinnert worden war.
»Wird in diesem Leben viel passieren?((' fragte ich und
änderte meine Taktik. »Es ist wichtig, dass wir das wissen.((

q6
»Nichts von Bedeutung«, antwortete sie gleichmütig.
»Dann gehen Sie, gehen Sie in der Zeit weiter nach
vorne. Lassen Sie uns herausfinden, was Sie zu lernen
hatten. Wissen Sie es?«
»Nein. Ich bin immer noch dort.«
»Ja, ich weiß. Sehen Sie etwas?« Ein bis zwei Minuten
verstrichen, ehe sie antwortete.
»Ich schwebe einfach nur«, flüsterte sie leise.
»Haben Sie ihn jetzt verlassen?«
»Ja, ich schwebe.<< Sie war wieder in den geistigen Zu-
stand übergegangen.
»Wissen Sie jetzt, was Sie zu lernen hatten? Es war ein
weiteres schweres Leben für Sie.«
»Ich weiß es nicht. Ich schwebe einfach nur.«
»Einverstanden. Ruhen Sie ... , ruhen Sie sich aus.«
Weitere Minuten vergingen in Schweigen. Dann schien sie
auf etwas zu hören. Plötzlich sprach sie. Ihre Stimme war
laut und tief. Das war nicht Catherine.
»Es gibt im Ganzen sieben Ebenen, sieben Ebenen,
wobei jede aus vielen Stufen besteht, von denen eine die
Stufe der Erinnerung ist. Auf dieser Ebene wird dir erlaubt,
deine Gedanken zu sammeln. Man erlaubt dir, dein Leben
zu sehen, das gerade vergangen ist. Denen auf höheren
Ebenen wird erlaubt, den Verlauf der Geschichte zu sehen.
Sie haben die Möglichkeit, zurückzukehren und uns über
die Geschichte zu belehren. Doch wir auf den unteren
Stufen dürfen nur unser Leben sehen ... , das gerade ver-
gangen ist.
Wir haben Schulden, die bezahlt werden müssen. Wenn
wir diese Schulden nicht bezahlt haben, müssen wir sie in
ein anderes Leben hinübertragen ... , damit sie aufgearbeitet
werden können. Durch das Bezahlen deiner Schulden ent-
wickelst du dich. Manche Seelen machen schnellere Fort-
schritte als andere. Wenn du dich in einem Körper befin-
dest und du arbeitest deine Schulden auf, bewegst du dich
durch ein ganzes Leben ... Um diese Schuld abzugelten,
musst du zur Ebene der Erinnerung zurückkehren, und
dort musst du warten, bis die Seele, in deren Schuld du
stehst, dich aufgesucht hat. Erst wenn ihr beide gleichzeitig
zur körperlichen Form zurückkehren könnt, wird euch er-
laubt, euch wieder zu verkörpern. Aber du bestimmst,
wann du zurückkehrst. Du musst entscheiden, was zu tun
ist, um deine Schuld abzuzahlen. Du wirst dich nicht an
deine anderen Leben erinnern ... , nur an das, von dem du
gerade gekommen bist. Nur den Seelen auf der höheren
Ebene - den Weisen - ist es erlaubt, sich auf die Ge-
schichte und auf vergangene Ereignisse zu berufen ... , um
uns zu helfen und uns zu zeigen, was wir zu tun haben.
Es gibt sieben Ebenen ... , sieben, die wir durchwandern
müssen, ehe man uns zurückschickt. Eine von ihnen ist die
Ebene des Übergangs. Dort wartest du. Auf dieser Ebene
wird entschieden, was du in dein nächstes Leben mit-
nimmst. Wir haben alle eine ... Haupteigenschaft. Das kann
Gier oder auch Lust sein, doch was immer beschlossen
wird, du musst deine Schuld an den Menschen gutmachen.
Dann musst du sie in diesem Leben überwinden. Du musst
lernen, die Gier zu überwinden. Wenn dir das nicht gelingt,
musst du in deinem nächsten Leben nicht nur diese, son-
dern auch eine zusätzliche Eigenschaft auf dich nehmen.
Die Bürden werden schwerer. Für jedes Leben, das du

178
durchlebst, ohne diese Schulden abzugelten, wird das
nächste schwerer sein. Wenn du sie bezahlst, gibt man dir
ein leichtes Leben. Also wählst du, welches Leben du haben
wirst. In der nächsten Welt bist du verantwortlich für das
Leben, das du lebst. Du wählst es.« Catherine schwieg.
Das kam scheinbar nicht von einem Meister. Diese
Stimme sprach von sich selbst als »wir von den unteren
Ebenen« im Vergleich mit den Seelen der oberen Ebenen-
»den Weisen«. Doch das vermittelte Wissen war sowohl
klar als auch praktisch. Ich machte mir Gedanken über die
fünf anderen Ebenen und ihre Eigenschaften. War die
Ebene der Erneuerung eine von ihnen? Und was war mit
der Lern- und der Entscheidungsebene? Alles Wissen, das
durch diese Botschaften von Seelen in den verschiedensten
Dimensionen des geistigen Zustands offenbart wurde,
stimmte überein. Der Ton des Vortrags, die Satzstellung
und die Grammatik änderten sich, der Grad der Poesie
und die Wortwahl waren verschieden, aber der Inhalt blieb
kohärent. Ich war dabei, einen soliden Grundstock an
spirituellem Wissen zu erlangen. Dieses Wissen sprach
von Liebe, Hoffnung, Glaube und Klarheit. Es untersuchte
Tugenden und Laster und Schulden gegenüber anderen
und sich selbst. Es umfasste frühere Leben und spirituelle
Ebenen zwischen den Leben. Und es sprach vom Fort-
schritt der Seele durch Harmonie, Ausgeglichenheit, Liebe
und Weisheit, einem Fortschritt durch eine mystische und
ekstatische Vereinigung mit Gott.
Es gab viele praktische Ratschläge auf dem Weg: über
den Wert von Geduld und Warten, über die Weisheit in
der Ausgewogenheit der Natur, über das Auflösen von

179
Angsten, vor allem der Furcht vor dem Tod, über das Be-
dürfnis, Vertrauen und Vergebung zu lernen, und wie
wichtig es ist, zu lernen, andere nicht zu verurteilen oder
ein anderes Leben zu nehmen, über die Mehrung und Nut-
zung intuitiver Kräfte und, vielleicht mehr als alles andere,
über das unerschütterliche Wissen, dass wir unsterblich
sind. Wir sind jenseits von Leben und Tod, jenseits von
Raum und Zeit. Wir sind die Götter, und sie sind wir.
»Ich schwebe«, flüsterte Catherine leise.
»ln welchem Zustand befinden Sie sich?«, fragte ich.
»Nichts ... , ich schwebe. Edward schuldet mir etwas ... ,
er schuldet mir etwas.«
»Wissen Sie, was er Ihnen schuldet?«
»Nein ... irgendeine Information ... schuldet er mir. Er
hatte mir etwas zu sagen, vielleicht über das Kind meiner
Schwester.«
>>Das Kind Ihrer Schwester?«, wiederholte ich.
»Ja ... Es ist ein Mädchen. Sie heißt Stephanie.«
»Stephanie? Was müssen Sie über sie wissen?«
»Ich muss wissen, wie ich mit ihr Verbindung auf-
nehme«, antwortete sie. Catherine hatte diese Nichte mir
gegenüber nie zuvor erwähnt.
»Steht sie Ihnen sehr nahe?«, fragte ich.
»Nein, aber sie wird sie finden wollen.«
»Wen finden?«, fragte ich. Ich war verwirrt.
»Meine Schwester und ihren Mann. Das kann sie nur
durch mich tun. Ich bin die Verbindung. Edward weiß es.
Ihr Vater ist Arzt; er praktiziert irgendwo in Vermont, im
südlichen Teil von Vermont. Die Einzelheiten werden mir
kommen, wenn sie gebraucht werden.«

180
Später erfuhr ich, dass Catherines Schwester und deren
zukünftiger Mann ihre neu geborene Tochter zur Adoption
freigegeben hatten. Sie waren damals beide Teenager und
noch nicht verheiratet. Die Adoption wurde von einer
Kirche arrangiert. Danach war nichts mehr darüber zu er-
fahren.
))Ja«, pflichtete ich ihr bei, ))wenn die Zeit gekommen
ist.«
))Ja. Dann wird er es mir sagen. Er sagt es mir.«
))Welche anderen Informationen hat er für Sie?«
))Ich weiß es nicht, aber er hat mir Dinge zu sagen. Und
er ist mir etwas schuldig ... , irgendetwas. Ich weiß nicht,
was es ist. Er ist mir etwas schuldig.« Sie schwieg.
))Sind Sie müde?«, fragte ich.
))Ich sehe ein Zaumzeug«, lautete ihre geflüsterte Ant-
wort, ))einen Haken an der Wand. Ein Zaumzeug ... Ich
sehe draußen vor einem Stall eine Decke liegen.«
))Ist es ein Heuschober?«
))Sie haben Pferde dort. Viele Pferde.«
))Was sehen Sie noch?<<
))Ich sehe viele Bäume- mit gelben Blumen. Mein Vater
ist dort. Er kümmert sich um die Pferde.« Ich merkte, dass
ich mit einem Kind sprach.
))Wie sieht er aus?«
))Er ist sehr groß und hat graues Haar.«
))Siehst du dich selbst?«
))Ich bin ein Kind ... , ein Mädchen.«
))Gehören die Pferde deinem Vater, oder pflegt er sie
nur?«
))Er pflegt sie nur. Wir wohnen in der Nähe.«

181
>>Magst du Pferde?«
»Ja.«
»Hast du ein Lieblingspferd?«
»Ja. Mein Pferd. Es heißt Apple.« Ich erinnerte mich an
ihr Leben als Mandy, wo auch ein Pferd namens Apple
aufgetaucht war. Wiederholte sie ein Leben, das wir bereits
untersucht hatten? Vielleicht ging sie die Sache von einer
anderen Seite an.
»Apple ... genau. Lässt dein Vater dich auf Apple reiten?«
»Nein, aber ich darf ihm Dinge zu fressen geben. Er wird
benutzt, um den Wagen des Gutsherrn zu ziehen, um seine
Kutsche zu ziehen. Er ist sehr groß. Er hat große Hufe.
Wenn du nicht aufpasst, tritt er auf dich.«
»Wer sonst ist bei dir?«
»Meine Mutter ist da. Ich sehe eine Schwester ... Sie ist
größer als ich. Ich sehe niemand anderes.«
»Was siehst du jetzt?«
»Ich sehe nur die Pferde.«
»Ist es ein glücklicher Augenblick für dich?«
»Ja. Ich mag den Stallgeruch.« Sie war sehr spezifisch
und bezog sich auf jenen Moment in der Zeit, als sie im
Stall war.
»Riechst du die Pferde?«
»Ja.«
»Das Heu?«
»Ja ... , ihr Gesicht ist so weich. Es gibt auch Hunde
dort ... , schwarze, einige schwarze Hunde und einige
Katzen ... , viele Tiere. Die Hunde werden für die Jagd ge-
braucht. Wenn sie Vögel jagen, dürfen die Hunde mit.«
»Passiert etwas mit dir?«

182
»Nein.« Meine Frage war zu ungenau.
»Bist du auf diesem Bauernhof aufgewachsen?«
»Ja. Der Mann, der sich um die Pferde kümmert ... ist
nicht mein richtiger Vater, nein. Aber er ist wie ein Vater zu
mir. Er ist mein Stiefvater. Er ist sehr gut zu mir. Er hat
grüne Augen.<<
»Sieh ihm in die Augen - in seine grünen Augen -, und
schau, ob du ihn erkennen kannst. Er ist gut zu dir. Er liebt
dich.«
»Es ist mein Großvater, mein Großvater. Er hat mich
sehr geliebt. Er ist immer mit uns ausgegangen. Wir gingen
mit ihm dorthin, wo er gerne etwas trank. Uns kaufte er
Sprudelwasser. Er mochte uns.« Meine Frage hatte sie aus
diesem Leben in den beobachtenden, überbewussten Zu-
stand befördert.
»Vermissen Sie ihn immer noch?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete sie leise.
»Aber Sie sehen, dass er schon früher bei Ihnen war«, er-
klärte ich und versuchte, ihren Schmerz zu lindern.
»Er war sehr gut zu uns. Er liebte uns. Er hat uns nie
angeschrien. Er gab uns immer Geld und nahm uns die
ganze Zeit mit. Er mochte das. Aber er starb.«
»Ja. Aber Sie werden wieder bei ihm sein. Das wissen
Sie.«
»Ja. Ich bin schon früher bei ihm gewesen. Er war nicht
wie mein Vater. Sie sind so verschieden.«
»Warum liebt der eine Sie so sehr und behandelt Sie gut,
während der andere so ganz anders ist?«
»Weil der eine gelernt hat. Er hatte die Schuld bezahlt,
die noch offen war. Mein Vater hat seine Schuld nicht be-
zahlt. Er ist zurückgekehrt ... , ohne Verständnis. Er wird es
wiederholen müssen.«
»Ja«, bekräftigte ich. »Er muss lernen zu lieben, zu
nähren.<<
»Ja«, antwortete sie.
»Menschen, die das nicht verstehen«, fügte ich hinzu,
»behandeln ihre Kinder wie ihren Besitz anstatt wie jeman-
den, den man liebt.«
»}a«, bestätigte sie.
»Ihr Vater muss das noch lernen.«
»Ja.«
»Aber Ihr Großvater weiß es schon ... «
»Ich weiß«, warf sie ein. »Wir müssen durch so viele
Stufen gehen, wenn wir uns im Körper befinden ... , genau
wie die anderen Entwicklungsstufen. Wir müssen die
Säuglingsphase durchlaufen, das Babyalter, die Kinder-
stufe ... Wir müssen so weit gehen ... , bis wir unser Ziel er-
reichen. Oie Stufen im Körper sind schwer. Oie auf der
astralen Ebene sind leicht. Wir warten nur und ruhen uns
aus. Das sind die einfachen Stufen.«
»Wie viele Stufen gibt es auf der astralen Ebene?«
»Es sind sieben«, antwortete sie.
»Worin bestehen sie?«, fragte ich auf der Suche nach Be-
stätigung für die zwei, die zuvor in der Sitzung erwähnt
worden waren.
»Man hat mir nur zwei gesagt«, erklärte sie. »Die Über-
gangsphase und die Stufe der Erinnerung.«
»Das sind die beiden, die ich auch kenne.«
»Wir werden die anderen später erfahren.«
»Sie haben zur gleichen Zeit gelernt wie ich«, bemerkte
ich. »Wir haben heute über Schulden gelernt. Das ist sehr
wichtig.«
»Ich werde mich an das erinnern, an das ich mich erin-
nern sollte«, erwiderte sie geheimnisvoll.
»Werden Sie sich an diese Ebt;nen erinnern?«, erkundig-
te ich mich.
»Nein. Sie sind nicht wichtig für mich. Sie sind wichtig
für Sie.« Das hatte ich schon einmal gehört. Die Botschaft
war für mich gedacht. Damit ich ihr helfen konnte, aber
nicht nur das: um mir zu helfen, aber auch mehr als das.
Dennoch konnte ich nicht ganz fassen, worin dieser höhe-
re Sinn bestehen sollte.
»Es scheint Ihnen jetzt sehr viel besser zu gehen«, fuhr
ich fort. »Sie lernen so viel.«
»Ja«, bestätigte sie.
>>Warum fühlen sich so viele Menschen zu Ihnen hinge-
zogen?«
»Weil ich von vielen Ängsten befreit worden bin und
ihnen helfen kann. Sie fühlen sich seelisch von mir ange-
zogen.«
»Können Sie damit umgehen?«
»Ja.« Es bestand kein Zweifel daran. »Ich habe keine
Angst«, fügte sie hinzu.
»Gut. Ich werde Ihnen helfen.«
»>ch weiß«, sagte sie. >>Sie sind mein Lehrer.«
13

Catherine hatte sich ihrer quälenden Symptome entledigt.


Sie war mehr als nur gesund. Ihre früheren Leben began-
nen sich zu wiederholen. Ich wusste, dass wir uns einem
Endpunkt näherten, aber was ich an diesem Herbsttag
nicht wissen konnte, als sie wieder tief in ihre hypnotische
Trance versank, war, dass fünf Monate verstreichen wür-
den zwischen dieser Hypnosesitzung und der nächsten, die
ihre letzte sein würde.
»Ich sehe Schnitzereien«, hob sie an. »Manche von ihnen
sind vergoldet. Ich sehe Ton. Die Leute machen Töpfe. Sie
sind rot ... , irgendein rotes Material, das sie benutzen. Ich
sehe ein braunes Gebäude, irgendein brauner Bau. Dort
befinden wir uns.«
»Sind Sie im braunen Gebäude oder in der Nähe?«
»Ich bin drinnen. Wir arbeiten an verschiedenen Din-
gen.«
»Können Sie sehen, was Sie anhaben? Schauen Sie an
sich hinab. Wie sehen Sie aus?<<
»Ich habe eine Art roten ... , einen langen roten Stoff an.
Ich trage komische Schuhe, wie Sandalen. Ich habe brau-
nes Haar. Ich arbeite an irgendeiner Art Figur. Es ist die
Figur eines Mannes ... , eines Mannes. Er hat eine Art
Stock, einen Stab in der Hand. Die anderen Leute machen
Dinge aus ... , Dinge aus Metallen.«

186
»Sind Sie in einer Fabrik?«
»Es ist nur ein Gebäude. Ein Gebäude aus Stein.«
»Die Statue, an der Sie arbeiten, der Mann mit dem
Stab, wissen Sie, wer das ist?«
»Nein, es ist einfach nur ein Mann. Er kümmert sich um
das Vieh ... , die Kühe. Es stehen viele von ihnen [Statuen]
herum. Wir wissen einfach, wie sie aussehen. Es ist ein
sehr eigenartiges Material, schwer zu bearbeiten. Es zer-
bröckelt ständig.«
»Sehen Sie den Namen des Materials?«
»Das kann ich nicht sehen. Nur Rot, etwas Rotes.«
»Was passiert mit der Statue, wenn Sie damit fertig
sind?«
»Sie wird verkauft. Manche von ihnen werden auf dem
Markt verkauft. Manche werden den verschiedenen Ade-
ligen geschenkt. Der Rest wird verkauft.«
»Haben Sie je mit diesen Adeligen zu tun?«
»Nein.«
»Sind Sie bei der Arbeit?«
»Ja.«
»Arbeiten Sie schon lange dort?«
»Nein.«
>>Können Sie es gut?«
»Nicht sehr.«
»Brauchen Sie mehr Erfahrung?«
»Ja, ich lerne es erst.«
»Ich verstehe. Wohnen Sie immer noch bei Ihrer Fami-
lie?«
»Ich weiß es nicht, aber ich sehe braune Schachteln.«
»Braune Schachteln?«, wiederholte ich.
»Sie haben kleine Öffnungen. Es ist eine Tür in ihnen,
und manche Statuen sitzen im Eingang. Die Schachteln
sind aus Holz gemacht, irgendeinem Holz. Dafür müssen
wir die Statuen machen.«
»Was ist die Funktion der Statuen?«
»Sie sind religiös«, antwortete sie.
»Welche Religion gibt es dort- die der Statue?«
»Es gibt viele Götter, viele Beschützer ... , viele Götter.
Die Leute haben große Angst. Hier werden viele Dinge
hergestellt. Wir machen auch Spiele ... , Spielbretter mit
Löchern darin. Tierköpfe passen in die Löcher.«
»Sehen Sie noch etwas anderes?«
»Es ist sehr heiß, sehr heiß und staubig ... , sandig.«
»Gibt es Wasser in der Nähe?«
»Ja, es kommt von den Bergen herab.« Dieses Leben be-
gann ebenfalls, bekannt zu klingen.
>>Haben die Leute Angst?«, forschte ich. »Sind es aber-
gläubische Leute?«
»Ja«, antwortete sie. »Es gibt viel Angst. Alle haben
Angst. Ich habe auch Angst. Wir müssen uns schützen. Es
gibt eine Krankheit. Wir müssen uns schützen.«
»Was für eine Krankheit?«
»Etwas bringt alle um. Viele Leute sterben.«
>>Wegen des Wassers?«, erkundigte ich mich.
»Ja. Es ist sehr trocken ... , sehr heiß, weil die Götter böse
sind und uns strafen wollen.« Sie besuchte erneut das
Leben mit dem Tannis als Heilmittel. Ich erkannte diese
Religion der Furcht, die Religion von Osiris und Hathor.
»Warum sind die Götter böse?«, fragte ich, während ich
die Antwort bereits wusste.

t88
>>Weil wir die Gesetze nicht befolgt haben. Sie sind
böse.«
»Welche Gesetze haben sie nicht befolgt?«
»Die Gesetze, die von den Adeligen festgelegt worden
sind.«
»Wie können sie die Götter besänftigen?«
»Man muss gewisse Dinge tragen. Manche Leute tragen
Dinge um den Hals. Sie helfen dir gegen das Böse.«
»Gibt es einen bestimmten Gott, den die Leuteam meis-
ten fürchten?((
»Sie fürchten sie alle.((
»Kennen Sie die Namen dieser Götter?((
»Ich weiß ihre Namen nicht. Ich sehe sie nur. Einer hat
einen menschlichen Körper, aber den Kopf eines Tieres.
Ein anderer sieht wie die Sonne aus. Dann gibt es einen,
der wie ein Vogel aussieht; er ist schwarz. Sie legen ihm
eine Schnur um den Hals.((
Ȇberleben Sie das alles?((
»Ja, ich sterbe nicht.((
»Aber Mitglieder Ihrer Familie sterben((' erinnerte ich
sie.
»Ja ... , mein Vater. Meiner Mutter geht es gut.(<
»Ihr Bruder?«
»Mein Bruder ... ist tot«, entsann sie sich.
»Warum überleben Sie? Ist an Ihnen etwas Besonderes?
Etwas, das Sie getan haben?((
»Nein((' antwortete sie, dann verlagerte sie ihre Auf-
merksamkeit. »Ich sehe etwas mit Öl darauf.(<
»Was sehen Sie?<(
»Etwas Weißes. Es sieht beinahe wie Marmor aus. Es
ist ... Alabaster ... , eine Art Becken ... , es ist Öl darin. Es
wird benutzt, um die Köpfe zu salben.«
»... der Priester?«, fügte ich hinzu.
»Ja.«
>>Was für eine Aufgabe haben Sie jetzt? Helfen Sie mit
dem Öl?«
»Nein, ich mache die Statuen.«
»Sind Sie in demselben braunen Gebäude?«
»Nein ... Es ist später ... Ein Tempel.« Aus irgendeinem
Grund sah sie bekümmert aus.
»Gibt es dort ein Problem für Sie?«
»Jemand hat etwas im Tempel gemacht, das die Götter
erzürnt hat. Ich weiß es nicht ... «
>>Waren Sie es?«
»Nein, nein ... Ich sehe nur Priester. Sie bereiten irgend-
ein Opfer vor, ein Tier ... Es ist ein Lamm. Ihre Köpfe sind
kahl. Es ist überhaupt kein Haar auf ihnen, auch nicht auf
ihren Gesichtern ... « Sie schwieg. Die Minuten verstrichen
langsam. Plötzlich wurde sie aufmerksam, als würde sie auf
etwas hören. Als sie sprach, hatte sie eine tiefe Stimme.
Ein Meister war zugegen.
»Es ist auf dieser Ebene, dass es manchen Seelen erlaubt
ist, sich Menschen zu zeigen, die noch im Körper weilen.
Es ist ihnen erlaubt zurückzukehren ... , aber nur, wenn sie
noch irgendeine Vereinbarung nicht erfüllt haben. Auf
dieser Ebene ist eine Kommunikation gestattet. Aber die
anderen Ebenen ... Dort wird dir erlaubt, deine medialen
Fähigkeiten einzusetzen, um mit verkörperten Menschen
zu kommunizieren. Es gibt viele Arten, dies zu tun. Man-
chen wird die Macht des Gesichts verliehen. Sie können
sich Menschen zeigen, die in einem materiellen Körper
sind. Anderen wird die Macht der Bewegung gegeben. Sie
können Gegenstände telepathisch bewegen. Du gelangst
nur auf diese Ebene, wenn es dir etwas nutzt, dorthin zu
gehen. Wenn du ein Versprechen hinterlässt, das nicht ein-
gelöst wurde, kannst du wählen, hierher zu kommen, und
auf irgendeine Weise Kontakt aufnehmen. Aber das be-
zieht sich alles nur ... auf Versprechen, die eingelöst wer-
den müssen. Wenn dein Leben ein abruptes Ende fand,
wäre das ein Grund für dich, zu dieser Ebene zurückzu-
kehren. Viele Leute wählen, hierher zu kommen, weil
ihnen erlaubt wird, jene zu sehen, die sich noch in einem
Körper befinden und die ihnen nahe stehen. Doch nicht
jeder wählt, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Für manche
Leute kann es zu beängstigend sein.« Catherine schwieg
und schien sich auszuruhen. Dann begann sie sehr leise zu
flüstern.
»Ich sehe das Licht.«
»Gibt das Licht Ihnen Energie?«, fragte ich.
))Es ist wie ein Neuanfang ... ,eine Wiedergeburt.«
)) Wie können Menschen in physischer Form diesen Zu-
stand erreichen?«
»Sie müssen sehr entspannt sein. Man kann sich durch
Licht erneuern ... , durch Licht. Sie müssen sich entspan-
nen, damit Sie nicht länger Energie abgeben, sondern die
Ihre erneuern. Auch wenn Sie schlafen, werden Sie erneu-
ert.« Sie befand sich in ihrem überbewussten Zustand, und
ich beschloss, die Befragung auszudehnen.
»Wie viele Male sind Sie wiedergeboren wor-
den?«, fragte ich. »Fanden alle diese Wiedergeburten in
dieser Umgebung, auf der Erde statt oder auch anders-
wo?«
»Nein«, antwortete sie, »nicht alle hier.«
»Zu welchen anderen Ebenen, zu welchen anderen
Orten gehen Sie?«
»Ich bin noch nicht fertig mit dem, was ich hier zu tun
habe. Ich kann nicht weiterziehen, bis ich nicht das ganze
Leben erfahren habe, und das ist noch nicht der Fall. Es
wird noch viele Leben brauchen ... , um alle Versprechen
einzulösen und alle Schulden zu bezahlen, die noch offen
sind.«
»Aber Sie machen Fortschritte«, bemerkte ich.
»Wir machen immer Fortschritte.«
»Wie viele Male haben Sie auf der Erde gelebt?«
>>Sechsundachtzigmal.«
»Sechsundachtzig Leben?«
»Ja.«
»Erinnern Sie sich an alle von ihnen?«
»Ich werde mich an sie erinnern, wenn es wichtig für
mich ist.«
Wir hatten entweder Fragmente oder größere Teile von
zehn bis zwölf Leben erfahren, und diese hatten sich in
letzter Zeit wiederholt. Offenbar war es nicht nötig, dass
sie sich an die weiteren rund fünfundsiebzig erinnerte. Sie
hatte tatsächlich große Fortschritte gemacht, wenigstens,
was mich anbelangte. Welche Fortschritte sie von hier an
machte, von diesem Punkt an, hing vielleicht nicht von der
Erinnerung früherer Leben ab. Ihre zukünftigen Fort-
schritte hingen vielleicht nicht einmal von mir oder meiner
Hilfe ab. Sie begann wieder leise zu flüstern.
»Manche Menschen kontaktieren die Astralebene durch
das Einnehmen von Drogen, aber sie verstehen nicht, was
ihnen widerfährt. Ihnen ist erlaubt worden, die Schwelle
zu überschreiten.« Ich hatte sie nicht nach Drogen gefragt.
Sie belehrte mich und teilte ihr Wissen mit, ob ich speziell
danach fragte oder nicht.
»Können Sie Ihre medialen Kräfte nicht einsetzen, um
sich bei Ihren Fortschritten zu helfen?«, fragte ich. »Sie
scheinen sie immer mehr zu entwickeln.«
»Ja«, bestätigte sie. »Es ist wichtig, aber nicht so wichtig,
wie es auf den anderen Ebenen sein wird. Es ist ein Teil der
Entwicklung und des Wachstums.«
»Wichtig für Sie und für mich?«
»Wichtig für uns alle«, erwiderte sie.
»Wie entwickeln wir diese Kräfte?«
»Sie entwickeln sich durch Beziehungen. Es gibt
Menschen mit höheren Kräften, die mit vermehrtem
Wissen zurückgekehrt sind. Sie werden zu denen sprechen,
die diese Entwicklung brauchen, und ihnen helfen.« Sie
fiel in ein langes Schweigen. Dann verließ sie ihren
überbewussten Zustand und ging in ein anderes Leben
ein.
»Ich sehe das Meer. Ich sehe ein Haus am Meer. Es ist
weiß. Schiffe kommen und gehen vom Hafen. Ich kann
das Salzwasser riechen.«
»Sind Sie dort?«
»Ja.«
)) Was ist es für ein Haus?«
»Es ist klein und hat eine Art Turm obendrauf ... , ein
Fenster, von dem man auf das Meer hinausblicken kann.

193
Dort ist so etwas wie ein Teleskop. Es ist aus Messing, aus
Holz und Messing.<<
))Benutzen Sie dieses Teleskop?«
)) Ja, um nach Schiffen Ausschau zu halten.«
))Was machen Sie?«
))Ich melde die Frachtschiffe, wenn sie in den Hafen
kommen.« Ich erinnerte mich, dass sie dies in einem ande-
ren früheren Leben getan hatte, als sie Christian war, der
Matrose, dessen Hand während einer Seeschlacht verletzt
wurde.
))Sind Sie Matrose?«, fragte ich auf der Suche nach Be-
stätigung.
>>Ich weiß es nicht ... Vielleicht.«
>>Können Sie sehen, wie Sie gekleidet sind?«
))Ja. Irgendeine Art weißes Hemd, kurze braune Hose
und Schuhe mit großen Schnallen ... Später im Leben bin
ich Matrose, aber jetzt nicht.« Sie konnte ihre Zukunft
sehen, was allerdings dazu führte, dass sie sofort in der Zeit
sprang.
))Ich bin verletzt«, jammerte sie und wand sich vor
Schmerzen. ))Meine Hand ist verletzt.« Sie war tatsächlich
Christian und erlebte die Schlacht auf dem Wasser noch
einmal.
))Gab es eine Explosion?«
))Ja ... Ich rieche Schwarzpulver.«
))Sie werden sich erholen«, tröstete ich sie, da ich die
Fortsetzung bereits kannte.
))Viele Leute sterben!« Sie war immer noch erregt. >>Die
Segel sind zerfetzt ... Teile des Backbords sind weggefegt
worden.« Sie suchte das Schiff nach Beschädigungen ab.

1 94
>>Wir müssen die Segel reparieren. Sie müssen repariert
werden.«
»Erholen Sie sich?«, fragte ich.
»Ja. Es ist sehr schwer, das Segeltuch zu nähen.«
»Können Sie mit Ihren Händen arbeiten?«
»Nein, aber ich sehe den anderen zu ... Segel. Sie sind
aus Tuch, irgendeinem Wachstuch. Sie sind schwer zu
nähen ... Viele Leute sind gestorben. Sie leiden sehr.« Sie
zuckte zusammen.
»Was ist?<<
»Der Schmerz ... in meiner Hand.«
»Ihre Hand verheilt. Gehen Sie in der Zeit weiter voraus.
Fahren Sie wieder zur See?«
»Ja.« Sie wartete. »Wir sind in Südwales. Wir müssen die
Küste verteidigen.«
»Wer greift sie an?«
»Ich glaube, es sind Spanier ... , sie haben eine große
Flotte.«
»Was geschieht als Nächstes?«
»Ich sehe nur Schiffe. Ich sehe den Hafen. Dort gibt es
Laden. In manchen Läden machen sie Kerzen. Es gibt
Läden, wo sie Bücher kaufen.«
))Ja. Gehen Sie je in die Buchläden?«
»Ja. Ich mag sie sehr. Die Bücher sind wunderbar ... Ich
sehe viele Bücher. Das rote ist über Geschichte. Sie be-
schreiben die Städte ... , das Land. Es gibt Landkarten. Ich
mag dieses Buch ... Es gibt einen Laden, wo sie Hüte ver-
kaufen.«
))Gibt es einen Ort, wo Sie hingehen, um zu trinken?«
Ich erinnerte mich an Christians Beschreibung des Biers.

1 95
»Ja, es gibt viele Tavernen<<, antwortete sie. »Sie schen-
ken Bier aus ... , sehr dunkles Bier ... mit einer Art Fleisch ... ,
Lammfleisch und Brot, sehr großes Brot. Das Bier ist sehr
bitter, sehr bitter. Ich kann es schmecken. Sie haben auch
Wein und lange Holztische ... <<
Ich beschloss, sie namentlich anzusprechen, um ihre
Reaktion zu testen. »Christian!<<, rief ich nachdrücklich.
Sie antwortete laut und ohne zu zögern. »Ja! Was wollen
Sie?<<
>>Wo ist Ihre Familie, Christian?«
»Sie sind in einer benachbarten Stadt. Wir laufen aus
diesem Hafen aus.«
»Wen gibt es in Ihrer Familie?«
»Ich habe eine Schwester ... , eine Schwester, Mary.«
»Wo ist Ihre Freundin?«
»Ich habe keine. Nur die Frauen in der Stadt.«
»Niemand Besonderes?«
>>Nein, nur die Frauen ... Ich fahre wieder zur See. Ich
kämpfe in vielen Schlachten, aber ich bin in Sicherheit.«
»Sie werden alt ... «
»Ja.«
»Heiraten Sie je?«
»Ich glaube schon. Ich sehe einen Ring.«
»Haben Sie Kinder?«
»Doch. Mein Sohn wird auch zur See fahren ... Ich sehe
einen Ring, einen Ring mit einer Hand. Es ist eine Hand,
die etwas hält. Ich kann nicht sehen, was. Der Ring ist eine
Hand, eine Hand, die etwas festhält.« Catherine begann zu
würgen.
»Was fehlt Ihnen?«
»Die Leute auf dem Schiff sind krank ... Es kommt vom
Essen. Wir haben etwas gegessen, das schlecht war.
Gepökeltes Schweinefleisch«. Sie würgte weiter. Ich führte
sie in der Zeit voran, und das Würgen hörte auf. Ich be-
schloss, sie nicht wieder durch Christians Herzinfarkt zu
führen. Sie war schon erschöpft, also weckte ich sie aus
ihrer Trance.

1 97
Drei Wochen vergingen, ehe wir uns wieder sahen. Meine
kurze Krankheit und ihre Ferien hatten die Verzögerung
verursacht. Catherine ging es während dieser Zeit weiter-
hin gut, aber als wir mit der Sitzung anfingen, schien sie
nervös zu sein. Sie erklärte, es ginge ihr hervorragend und
sie fühle sich so viel besser, dass sie nicht glaube, die Hyp-
nose könne ihr noch mehr helfen, als sie es schon getan
hätte. Sie hatte natürlich Recht. Unter gewöhnlichen Um-
ständen hätten wir schon vor Wochen mit dem Abschluss
der Therapie begonnen. Wir hatten zum Teil wegen meines
Interesses an den Botschaften der Meister weitergemacht
und weil in Catherines jetzigem Leben einige kleine Prob-
leme bestehen blieben. Catherine war beinahe geheilt, die
früheren Leben wiederholten sich. Aber was war, wenn die
Meister mir noch mehr zu sagen hatten? Wie konnten wir
ohne Catherine kommunizieren? Ich wusste, dass sie mit
den Sitzungen weitermachen würde, wenn ich darauf be-
stand. Aber ich hatte kein gutes Gefühl dabei, sie zu über-
reden. Etwas traurig pflichtete ich ihr bei. Wir plauderten
über die Begebenheiten der letzten drei Wochen, aber ich
war mit den Gedanken woanders.
Fünf Monate zogen vorbei. Für Catherine blieb es bei
der Heilung ihrer Symptome. Ihre Befürchtungen und
Angste waren minimal, die Qualität ihres Lebens und ihrer
Beziehungen war eindeutig gesteigert. Auch wenn es
Stuart immer noch gab, ging sie jetzt auch mit anderen
Männern aus. Zum ersten Mal, seit sie ein kleines Kind
war, spürte sie in ihrem Leben Freude und echtes Glück.
Gelegentlich begegneten wir einander im Gang oder in der
Warteschlange in der Cafeteria, aber wir hatten keinen
formellen Kontakt von Arzt zu Patient.
Der Winter ging vorüber, und der Frühling kam. Cathe-
rine machte einen Termin in meiner Praxis aus. Sie hatte
einen wiederkehrenden Traum über eine Art religiöses
Opfer gehabt, das mit Schlangen in einer Grube zusam-
menhing. Menschen, auch sie selbst, wurden in die Grube
gestoßen. Sie war in der Grube und versuchte hinaus-
zuklettern, indem sie ihre Finger in die sandigen Wände
grub. Die Schlangen waren knapp unter ihr. An diesem
Punkt des Traums angelangt, wachte sie jeweils mit wild
klopfendem Herzen auf.
Trotz der langen Unterbrechung fiel sie schnell in einen
tiefen hypnotischen Zustand. Mich überraschte es nicht,
dass sie sofort wieder in einem alten Leben war.
»Es ist sehr heiß, wo ich bin«, fing sie an. »Ich sehe zwei
schwarze Männer neben kalten und feuchten steinernen
Mauern stehen. Sie tragen einen Kopfschmuck Es ist ein
Seil um ihren rechten Knöchel. Das Seil ist mit Perlen und
Quasten durchwirkt. Sie bauen ein Lagerhaus aus Stein
und Ton und bewahren Korn darin auf, eine Art zerstoße-
nes Korn. Das Korn wird auf einen Wagen mit eisernen
Rädern gebracht. Gewobene Matten liegen auf dem Wa-
gen oder bedecken einen Teil davon. Ich sehe Wasser. Es
ist sehr blau. Jemand hat die Aufsicht und gibt den ande-

1 99
ren Befehle. Es führen drei Stufen hinunter zum Speicher.
Draußen steht die Statue eines Gottes. Er hat den Kopf
eines Tieres, eines Vogels, und den Körper eines Mannes.
Er ist ein Gott der Jahreszeiten. Die Mauern werden mit
irgendeinem Teer versiegelt, damit der Wind nicht hinein-
bläst und das Korn frisch bleibt.
Mein Gesicht juckt ... Ich sehe blaue Perlen in meinem
Haar. Es sind Käfer oder Fliegen um mich, die mein Ge-
sicht und meine Hände zum Jucken bringen. Ich lege etwas
Klebriges auf mein Gesicht, um sie fernzuhalten ... , es
riecht schrecklich, der Saft eines Baums.
Ich habe Zöpfe und Perlen in den Zöpfen mit goldenen
Bändern. Mein Haar ist blauschwarz. Ich gehöre zum
königlichen Haushalt. Ich bin hier wegen eines Fests. Ich
bin gekommen, um eine Salbung der Priester zu sehen ... ,
ein Fest für die Götter wegen der kommenden Ernte. Es
werden nur Tiere geopfert, keine Menschen. Blut von den
geopferten Tieren rinnt von einer weißen Stele in ein
Becken ... , es fließt in den Rachen einer Schlange. Die
Männer tragen kleine goldene Hüte. Alle sind dunkel-
häutig. Wir halten Sklaven aus einem anderen Land, von
jenseits des Meeres ... «
Sie schwieg, und wir warteten, als hätte es nie eine
monatelange Unterbrechung gegeben. Dann wurde sie
munter und schien auf etwas zu hören.
»Alles ist so kompliziert und geht so schnell ... , was sie
mir sagen ... über Veränderung und Wachstum und ver-
schiedene Ebenen. Es gibt eine Ebene des Bewusstseins
und eine Ebene des Übergangs. Wir kommen aus einem
Leben, und wenn die Lektionen beendet sind, ziehen wir

200
in eine andere Dimension, in ein anderes Leben. Wir müs-
sen von allen Seiten Erfahrungen sammeln. Wir müssen
die Seite des Wollens kennen, aber wir müssen auch geben
können ... Es gibt so viel zu wissen, so viele Geistwesen
sind beteiligt. Deshalb sind wir hier. Die Meister ... , das ist
nur eine dieser Ebenen.«
Catherine wartete, dann sprach sie mit der Stimme des
poetischen Meisters. Er wandte sich an mich.
»Was wir sagen, ist für dich. Du musst durch deine
eigene Intuition lernen.«
Nach ein paar Minuten sprach Catherine in ihrem leisen
Flüstern. »Ich sehe eine schwarze Umfriedung ... , in ihr
sind Grabsteine, Ihrer ist dort.«
»Meiner?«, fragte ich, überrascht durch diese Vision.
»Ja.«
»Können Sie die Inschrift lesen?«
»Sie lautet: >Noble 1668-1724.< Es liegt eine Blume auf
dem Stein ... Es ist in Russland oder in Frankreich. Sie
trugen eine rote Uniform ... , wurden von Ihrem Pferd ge-
worfen ... Ich sehe einen goldenen Ring... mit einem
Löwenkopf ... , der als Siegel verwendet wurde.«
Das war alles. Ich interpretierte die Botschaft des Meis-
ters so, dass es keine weiteren Enthüllungen durch Cathe-
rines Hypnose geben würde, und das war tatsächlich der
Fall. Es folgten keine weiteren Sitzungen mehr. Ihre Hei-
lung war vollständig, und ich hatte alles gelernt, was ich
durch die Rückführungen lernen konnte. Den Rest, was in
der Zukunft lag, hatte ich durch meine eigene Intuition zu
lernen.

201
Zwei Monate nach unserer letzten Sitzung rief Catherine
an und machte einen Termin aus. Sie sagte, dass sie mir
etwas Interessantes zu berichten habe.
Als sie in meine Praxis kam, war ich schlichtweg über-
rascht von der neuen Catherine, die glücklich aussah, die
lächelte und inneren Frieden ausstrahlte. Ich dachte kurz
an die alte Catherine zurück und welche Fortschritte sie in
so kurzer Zeit gemacht hatte.
Catherine hatte Iris Saltzman aufgesucht, eine bekannte
mediale Astrologin, die auf die Deutung früherer Leben
spezialisiert ist. Ich war darüber ein wenig verblüfft, aber
ich verstand Catherines Neugier und ihr Bedürfnis nach
zusätzlicher Bestätigung dessen, was sie erlebt hatte. Ich
war erfreut, dass sie den Mut dafür aufbrachte.
Catherine hatte vor nicht langer Zeit über einen Freund
von Iris erfahren. Sie rief sie an und verabredete sich mit
ihr, ohne jedoch davon zu erzählen, was sie in den Sitzun-
gen mit mir erlebt hatte.
Iris hatte Catherine nach Tag, Stunde und Ort ihrer
Geburt gefragt. Auf Grund dieser Angaben, so erklärte sie,
würde sie eine Horoskopzeichnung anfertigen, anhand
derer sie - in Verbindung mit ihren übersinnlichen Fähig-
keiten - Einzelheiten aus Catherines früheren Leben he-
rausarbeiten könne.

202
Es war Catherines erste Begegnung mit einem Medium,
und sie wusste nicht genau, was sie erwarten würde. Zu
ihrer Verblüffung bestätigte Iris etliches von dem, das
Catherine unter Hypnose aufgedeckt hatte.
Iris brachte sich nach und nach durch ihr Sprechen und
ihre Notizen auf der rasch skizzierten Horoskopzeichnung
in einen anderen Bewusstseinszustand. Kurz nachdem sie
diese Ebene erreicht hatte, griff sich Iris an die Kehle und
verkündete, dass man Catherine in einem anderen Leben
gewürgt und ihr die Kehle durchgeschnitten habe. Der
Schnitt durch die Kehle sei in Kriegszeiten passiert, und
Iris sah das Abbrennen und Zerstören eines Dorfes vor
vielen Jahrhunderten. Sie sagte, dass Catherine ein junger
Mann gewesen sei, als sie diesen Tod erlitt.
Iris' Augen schienen glasig zu werden, als sie Catherine
dann als jungen Mann sah, der eine Marineuniform mit
kurzer schwarzer Hose trug, dazu Schuhe mit merkwürdi-
gen Spangen. Plötzlich griff sie nach ihrer linken Hand, da
sie dort einen hämmernden Schmerz fühlte, und rief aus,
dass etwas Scharfes in ihre Hand eingedrungen sei, sie ver-
letzt habe und später eine sichtbare Narbe hinterlassen
würde. Es gebe schwere Seegefechte, und das Geschehen
spiele sich vor der englischen Küste ab. Sie schilderte dann
ein Seefahrerleben.
Iris beschrieb weitere Fragmente früherer Leben. Da gab
es ein kurzes Leben in Paris, in dem Catherine wieder ein-
mal ein Junge war und in tiefer Armut starb. In einem an-
deren Leben war sie eine Indianerio an der Südwestküste
Floridas. Hier lebte sie als eine Heilerin, die barfuß um-
herwanderte. Sie war dunkelhäutig und hatte seltsame

203
Augen. Sie strich Heilsalben aufWunden und verabreichte
Kräutermedizin, und sie war sehr medial begabt. Sie trug
am liebsten blaue Edelsteine, jede Menge Lapislazuli mit
einem roten Stein in der Mitte.
In einem anderen Leben war Catherine eine Spanierin
und ging der Prostitution nach. Ihr Name begann mit dem
Buchstaben L. Sie lebte mit einem älteren Mann zusam-
men.
In einem weiteren Leben war sie die illegitime Tochter
eines reichen Vaters mit vielen Titeln. Iris sah das Fami-
lienwappen auf den Trinkbechern in dem Herrenhaus. Sie
sagte, Catherine sei sehr zart und habe lange, spitz zulau-
fende Finger, sie spiele Harfe.
Ihre Hochzeit stand in jenem Leben kurz bevor. Cathe-
rine liebte Tiere, vor allem Pferde, und sie behandelte die
Tiere besser als die Menschen ihrer Umgebung.
In einem kurzen Leben war sie ein kleiner marok-
kanischer Junge, der früh an einer Krankheit starb. Sie
lebte auch einst auf Haiti, machte Weissagungen und übte
magische Praktiken aus.
In einem ganz frühen Leben war sie eine Agypterin und
beschäftigte sich mit den Totenriten jener Kultur. Sie war
eine Frau, deren Haar zu Zöpfen geflochten war.
Catherine hatte mehrere Leben in Frankreich und Ita-
lien. In einem Leben war sie in Florenz und beschäftigte
sich mit Religion. Sie ging dann in die Schweiz, wo sie mit
einem Kloster in Berührung kam. Sie war eine Frau und
hatte zwei Söhne. Sie liebte Gold und goldene Statuen,
und sie trug ein Goldkreuz. In Frankreich war sie an einem
dunklen und kalten Ort eingekerkert.

204
In einem anderen Leben sah Iris Catherine als Mann
in einer Uniform zusammen mit Pferden und Sol-
daten. Die Uniform war rot und golden, womöglich
russisch. Im nächsten Leben war sie ein nubischer
Sklave im alten Agypten, der einmal festgenommen und
ins Gefängnis geworfen wurde. Ein weiteres Leben ver-
brachte Catherine als Mann in Japan und hatte mit
Büchern und Unterrichten zu tun - ein sehr gelehrtes
Dasein. Sie arbeitete an Schulen und erreichte ein hohes
Alter.
Schließlich gab es ein moderneres Leben als deutscher
Soldat, der im Kampf fiel.
Ich war fasziniert von der Schilderung der Details aus
früheren Leben, die von Iris gegeben wurde. Die Überein-
stimmung mit Catherines eigenen Berichten unter Hyp-
nose war bestürzend:
Christians Handverletzung in der Seeschlacht und die
Beschreibung seiner Kleidung und Schuhe, Louisas Leben
als spanische Prostituierte, Aronda und der ägyptische
Totenkult, Johan, der zu einem Stoßtrupp gehörte und
dessen Kehle durch eine frühere Inkarnation von Stuart
durchgeschnitten wurde, während Stuarts Dorf brannte,
Erich, der zum Scheitern verurteilte deutsche Pilot, und so
weiter.
Es gab auch Übereinstimmungen mit Catherines jetzi-
gem Leben. Zum Beispielliebt Catherine blauen Schmuck,
vor allem Lapislazuli. Allerdings trug sie keinen Schmuck
während ihrer Sitzung mit Iris. Sie mochte schon immer
Tiere, vor allem Pferde und Katzen, und fühlte sich in ihrer
Gesellschaft sicherer als mit Menschen. Und wenn sie sich
einen Ort auf der Welt aussuchen könnte, würde sie Flo-
renz besuchen.
Keinesfalls würde ich diese Erfahrung als gesichertes
wissenschaftliches Experiment bezeichnen; ich hatte keine
Gelegenheit, die Variablen zu kontrollieren. Aber es pas-
sierte einfach, und ich denke, dass es wichtig ist, es an
dieser Stelle einzubringen.
Ich bin mir nicht sicher, was an diesem Tag vor sich ging.
Vielleicht machte Iris unbewusst von telepathischen Fähig-
keiten Gebrauch und »las(( Catherines Gedanken, da die
Erinnerungen an frühere Leben bereits in Catherines
Unterbewusstsein gespeichert waren. Oder Iris war wirk-
lich in der Lage, Informationen über frühere Leben durch
ihre mediale Begabung zu gewinnen. Wie immer es auch
ablief - die beiden erhielten die gleichen Informationen
auf verschiedenen Wegen. Was Catherine durch eine
Rückführung unter Hypnose erreichte, erfuhr Iris durch
mediale Kanäle.
Nur wenige Menschen wären in der Lage, das zu tun,
was Iris gelang. Viele Leute, die sich medial nennen, nut-
zen lediglich menschliche Ängste wie auch die Neugier auf
das Unbekannte aus. Heute springt uns das angeblich
Übersinnliche an jeder Straßenecke entgegen. Die Popu-
larität von Büchern wie Shirley MacLaines Zwischenleben
hat eine Flut von neuen »Trancemedien(( hervorgebracht.
Viele von ihnen reisen herum, annoncieren für ihre Sitzun-
gen und geben dann in »Trance(( vor ihrem verzückten und
von Ehrfurcht ergriffenen Publikum Platitüden von sich
wie »Wenn du nicht in Harmonie mit der Natur bist, wird
die Natur nicht in Harmonie mit dir sein((. Diese Erklä-

206
rungen werden gewöhnlich in einer Tonlage vorgebracht,
die sich von der normalen Stimme des ))Mediums« unter-
scheidet, manchmal ist auch die Spur eines ausländischen
Akzents hineingemischt. Die Botschaften sind vage und
können auf eine Vielzahl von Menschen angewendet
werden. Meist beziehen sich die Botschaften auf die spiri-
tuellen Dimensionen, die schwer einzuschätzen sind. Es ist
wichtig, das Falsche vom Wahren zu trennen, so dass die-
ser ganze Bereich nicht in Verruf gerät. Seriöse Verhaltens-
forscher sind für diese wichtige Aufgabe gefragt. Psychiater
sind notwendig, um Diagnosen zu stellen, um Geistes-
krankheit, Simulation (Fälschung) und Schwindelei aus-
zuschließen. Statistiker, Psychologen und Physiker sind
ebenfalls für Auswertungen und weitere Untersuchungen
vonnöten.
Die zukünftigen wichtigen Schritte auf diesem Gebiet
sollten unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden
unternommen werden. In der Wissenschaft wird zunächst
eine Hypothese aufgestellt, das heißt eine erste Behaup-
tung über eine Reihe von Beobachtungen, um ein Phäno-
men zu erklären. Danach muss die Hypothese unter kon-
trollierten Bedingungen getestet werden. Die Resultate
dieser Tests sind zu bestätigen und zu wiederholen, bevor
eine Theorie aufgestellt werden kann. Sobald die Wissen-
schaftler etwas in Händen haben, von dem sie glauben,
dass es eine Theorie ist, muss diese wieder und wieder von
anderen Forschern getestet werden, und die Resultate soll-
ten dann identisch sein.
Die detaillierten, wissenschaftlich fundierten Studien
von Dr. Joseph B. Rhine der Duke-Universität, von Dr.
Ian Stevenson vorn Institut für Psychiatrie der Universität
von Virginia, von Dr. Gertrude Schrneidler vom New
Yorker College of the City und von vielen anderen seriö-
sen Forschern zeigen, dass dieses Vorgehen durchführbar
ist.

208
16

Beinahe vier Jahre sind vergangen, seit Catherine und ich


diese unglaubliche Erfahrung machten. Sie hat uns beide
tief greifend verändert.
Manchmal kommt Catherine in meinem Büro vorbei,
um hallo zu sagen oder ein Problem zu diskutieren, das sie
gerade hat. Sie hat weder jemals das Bedürfnis nach einer
Rückführung verspürt, noch wollte sie sich mit einem
Symptom auseinander setzen oder herausfinden, wie neue
Menschen in ihrem Leben in der Vergangenheit mit ihr
umgegangen sind. Unsere Arbeit ist getan. Catherine ist
jetzt frei, um ihr Leben voll zu genießen, ohne noch länger
durch ihre lähmenden Symptome behindert zu sein. Sie
hat einen Zustand von Glück und Zufriedenheit gefunden,
den sie nie für möglich gehalten hätte. Sie hat nicht länger
Angst vor Krankheit und Tod. Jetzt, da sie ausgeglichen ist
und sich in Harmonie mit sich selbst befindet, hat das
Leben einen Sinn und einen Zweck für sie. Sie strahlt
einen inneren Frieden aus, den sich viele wünschen, doch
nur wenige erreichen. Sie fühlt sich spiritueller. Für Cathe-
rine ist alles, was geschehen ist, sehr real. Sie zweifelt nicht
an der Wahrheit irgendeines Teils davon, und sie akzep-
tiert es alles als integralen Bestandteil dessen, wer sie ist.
Sie verspürt kein Interesse, sich dem Studium media-
ler Phänomene zu widmen, weil sie das Gefühl hat, sie

209
))wüsste« es auf eine Art, die nicht aus Büchern oder Vor-
lesungen gelernt werden kann. Sterbende Menschen oder
Menschen mit einem sterbenden Angehörigen suchen oft
ihre Nähe. Sie scheinen sich von ihr angezogen zu fühlen.
Sie setzt sich hin und spricht mit ihnen, und es geht ihnen
besser.
Mein Leben hat sich beinahe ebenso drastisch verändert
wie das von Catherine. Ich bin intuitiver geworden und
mir der versteckten, geheimen Anteile meiner Patienten,
Kollegen und Freunde mehr bewusst. Ich scheine viel im
Voraus über sie zu wissen. Meine Werte und Lebensziele
haben sich einer humanistischen und weniger materiellen
Orientierung zugewandt. Medien, Heiler und andere tau-
chen mit zunehmender Häufigkeit in meinem Leben auf,
und ich habe begonnen, ihre Fähigkeiten systematisch aus-
zuwerten. Carole hat sich zusammen mit mir entwickelt.
Sie ist eine besonders fähige Therapeutin in der Sterbehilfe
geworden und leitet heute unterstützende Gruppen für
Aidspatienten.
Ich habe angefangen zu meditieren, etwas, von dem ich
bis vor kurzem dachte, nur Hindus und Kalifornier täten
es. Die Lehren, die durch Catherine vermittelt wurden,
sind ein bewusster Teil meines Alltags geworden. Da ich
mich an den tieferen Sinn des Lebens und des Todes als
natürlichen Bestandteil des Lebens erinnere, bin ich ge-
duldiger, einfühlsamer und liebevoller geworden. Ich
fühle mich auch verantwortlicher für meine Handlungen,
ob negativ oder positiv. Ich weiß, dass immer ein Preis zu
zahlen sein wird. Wie du säst, so wirst du wahrhaftig ern-
ten.

210
Ich werde immer noch wissenschaftliche Abhandlungen
und Berichte veröffentlichen und der Psychiatrieabteilung
vorstehen, doch heute lebe ich in zwei Welten: in der phä-
nomenalen Welt der fünf Sinne, dargestellt durch unseren
Körper und dessen Bedürfnisse, und in der größeren Welt
immaterieller Ebenen, die durch unsere Seele und durch
unseren Geist in uns vertreten wird. Ich weiß, dass diese
Welten zusammengehören und dass alles Energie ist, den-
noch scheinen sie sehr weit voneinander entfernt zu sein.
Es ist meine Aufgabe, sie zu verbinden und ihre Einheit
sorgfältig und wissenschafdich zu dokumentieren.
Meine Familie lernt ebenfalls dazu. Es hat sich heraus-
gestellt, dass Carole und Amy überdurchschnittliche me-
diale Fähigkeiten haben, und wir alle ermutigen die wei-
tere Entwicklung dieser Gaben spielerisch. Jordan ist ein
kraftvoller und charismatischer Teenager geworden, eine
natürliche Führergestalt. Ich werde endlich lockerer und
weniger ernst. Und manchmal habe ich ungewöhnliche
Träume.
Während der ersten Monate nach Catherines letzter
Sitzung war ein besonderes Muster in meinem Schlaf
aufgetaucht. Manchmal hatte ich einen lebhaften Traum,
in welchem ich entweder einer Vorlesung zuhörte oder
dem Vortragenden Fragen stellte. Der Name des Lehrers
in meinem Traum war Philo. Wenn ich aufwachte, er-
innerte ich mich manchmal an einen Teil des diskutier-
ten Materials und schrieb es auf. Im Folgenden gebe ich
ein paar Beispiele. Das erste betrifft eine Belehrung, die
mich den Einfluss der Botschaften der Meister erkennen
ließ.

211
»... Weisheit wird sehr langsam erreicht. Das kommt
daher, dass intellektuelles Wissen, das leicht errungen
wird, in )emotionales< oder überbewusstes Wissen verwan-
delt werden muss. Einmal transformiert, ist der Eindruck
bleibend. Einüben des Verhaltens ist der notwendige Kata-
lysator dieser Reaktion. Ohne Handlung wird das Kon-
zept verblassen und verschwinden. Theoretisches Wissen
ohne praktische Anwendung reicht nicht aus.
Ausgewogenheit und Harmonie werden heute vernach-
lässigt, dennoch sind sie Quellen der Weisheit. Alles wird
bis zum Überdruss getan. Menschen sind zu übergewichtig,
weil sie zu viel essen. Sie trinken zu viel, rauchen zu viel,
feiern zu viel (oder zu wenig), reden zu viel ohne Inhalt und
sorgen sich zu viel. Es gibt zu viel Schwarzweißdenken.
Alles oder nichts. Das ist nicht der Weg der Natur.
In der Natur gibt es AusgewogenheiL Tiere sind nur be-
grenzt zerstörerisch. Ökologische Systeme werden nicht
massenhaft eliminiert. Pflanzen werden verzehrt und
wachsen nach. Die Nahrungsquellen werden nur leicht
angetastet und erholen sich wieder. Die Blume wird ge-
nossen, die Frucht gegessen, die Wurzel eingemacht.
Die Menschheit hat nicht gelernt, was Ausgewogenheit
ist, oder gar sie zu praktizieren. Sie wird von Gier und Ehr-
geiz getrieben und von Angst gesteuert. Auf diese Weise
wird sie sich mit der Zeit selbst zerstören. Aber die Natur
wird überleben, zumindest die Pflanzen.
Das Glück liegt in der Einfachheit. Die Tendenz zum
Exzess in Gedanken und Handlungen ist dem Glück ab-
träglich. Exzesse überschatten grundsätzliche Werte. Gläu-
bige Menschen sagen uns, dass Glück entsteht, wenn wir

212
unser Herz mit Liebe füllen, wenn Glaube und Hoffnung,
Wohltätigkeit und Freundlichkeit zur Anwendung kom-
men. Sie haben Recht. Bei dieser Einstellung stellen sich
Ausgewogenheit und Harmonie meist sofort ein. Es ist ein
kollektiver Seinszustand. Heute aber ist er einem erweiter-
ten Bewusstseinszustand zugeordnet. Es ist, als befände
sich die Menschheit nicht in ihrem natürlichen Zustand,
wenn sie auf Erden weilt. Sie muss einen anderen Zustand
erreichen, um sich mit Liebe, Wohltätigkeit und Einfach-
heit zu füllen, um die Reinheit zu spüren und sich von
ihren chronischen Angsten zu befreien.
Wie erreicht man diesen anderen Zustand, dieses andere
Wertsystem? Und wie kann man es aufrechterhalten, wenn
man es einmal erreicht hat? Die Antwort scheint einfach zu
sein. Sie ist der gemeinsame Nenner aller Religionen. Der
Mensch ist unsterblich, und wir sind hier, um zu lernen.
Wir sind alle in der Schule. Es ist so einfach, wenn wir an
die Unsterblichkeit glauben können.
Wenn ein Teil im Menschen unsterblich ist, und es gibt
genügend Beweise und Berichte, um es anzunehmen, wa-
rum tun wir uns dann solche schlimmen Dinge an? Warum
erniedrigen wir andere und gehen über sie hinweg zu un-
serem persönlichen >Gewinn<, wenn wir dabei die eigent-
liche Lektion verpassen? Wir scheinen alle letztlich an den-
selben Ort zu kommen, wenn auch mit unterschiedlicher
Geschwindigkeit. Kein Mensch ist größer als ein anderer.
Höre auf die Lehren. Intellektuell sind die Antworten
immer schon da gewesen, aber das Bedürfnis, das Wissen
anzuwenden, den unbewussten Eindruck bleibend zu ma-
chen durch >Emotionalisierung< und durch die Einübung

21J
des Konzepts, ist der Schlüssel. Es in der Sonntagsschule
auswendig zu lernen, reicht nicht aus. Ein Lippenbekennt-
nis ohne das entsprechende Verhalten hat keinen Wert.
Aber um es zu tun und zu fühlen, ist beinahe ein anderer
Bewusstseinszustand notwendig. Nicht der voriibergehen-
de Zustand, der von Drogen, Alkohol oder unerwarteten
Gefühlen hervorgerufen wird. Der permanente Zustand
wird durch Wissen und Verständnis erreicht. Er wird auf-
rechterhalten durch körperliches Verhalten, durch Tat und
Praxis. Man nimmt etwas beinahe Mystisches und ver-
wandelt es durch Übung bis zur alltäglichen Gewohnheit,
indem man eine Haltung daraus macht.
Verstehe, dass niemand größer ist als ein anderer. Spüre
es. Übt, einander zu helfen. Wir sitzen alle im selben Boot.
Wenn wir uns nicht zusammenraufen, werden unsere
Pflanzen schrecklich einsam sein.«
Während einer anderen Nacht, in einem anderen Traum
stellte ich eine Frage. »Wie kann es sein, dass du sagst, wir
seien alle gleich, und dennoch schlagen uns die offensicht-
lichen Unterschiede ins Gesicht: Ungleichheit, was Tugen-
den, Temperamente, Finanzen, Rechte, Begabungen und
Talente, Intelligenz, mathematisches Genie und so fort an-
geht?«
Die Antwort war eine Metapher. »Es ist, als wäre in je-
dem Menschen ein großer Diamant zu finden. Stell dir
einen ein Meter großen Diamanten vor. Dieser Diamant
hat Tausende Facetten, aber die Facetten sind mit Dreck
und Teer bedeckt. Es ist die Aufgabe der Seele, jede Facette
zu reinigen, bis die Oberfläche glänzt und in allen Farben
des Regenbogens leuchtet.

214
Nun haben manche viele Facetten gereinigt und strahlen
hell, während es anderen nur gelungen ist, einige wenige
zu säubern; sie leuchten nicht so. Dennoch besitzt jeder
Mensch unter dem Schmutz in seiner Brust einen leuch-
tenden Diamanten mit Tausenden blitzenden Facetten.
Der Diamant ist perfekt, ohne jeden Makel. Der einzige
Unterschied zwischen den Menschen ist die Anzahl der
gereinigten Facetten. Doch jeder Diamant ist gleich, und
jeder ist perfekt.
Wenn alle Facetten gereinigt sind und in allen Spektral-
farben leuchten, wird der Diamant wieder der reinen Ener-
gie zugeführt, aus der er ursprünglich entstand. Das Licht
bleibt. Es ist, als würde der Herstellungsprozess des Dia-
manten umgekehn und der ganze Druck gelöst. Es ist reine
Energie in den Regenbogenlichtern, und diese Lichter ver-
fügen über Bewusstsein und Wissen. Und alle diese Dia-
manten sind perfekt.«
Manchmal sind die Fragen kompliziert und die Antwor-
ten einfach.
»Was soll ich tun?«, fragte ich in einem Traum. »Ich
weiß, dass ich Menschen, die leiden, behandeln und heilen
kann. Es kommen mehr zu mir, als ich verkrafte. Ich bin so
müde. Doch kann ich nein sagen, wenn sie so bedürftig
sind und ich ihnen helfen kann? Ist es richtig zu sagen:
>Nein- es ist genug<?«
»Deine Rolle ist es, ein Lebenswächter zu sein«, war die
Antwort.
Das letzte Beispiel, das ich anführen möchte, war eine
Botschaft an andere Psychiater. Ich wurde um etwa
sechs Uhr in der Frühe wach aus einem Traum, in dem ich

215
vor einem großen Saal voller Psychiater einen Vortrag
hielt.
))Während wir in der Psychiatrie immer mehr Medika-
mente einsetzen, ist es wichtig, dass wir die traditionellen,
wenn auch zugegebenermaßen manchmal vagen Techniken
unseres Berufs nicht vergessen. Wir sind diejenigen, die
geduldig und mitfühlend mit unseren Patienten reden. Wir
können uns immer noch die Zeit nehmen, das zu tun. Wir
treten für ein Begreifen der Krankheit, ein Heilen durch
Verständnis und durch eine induzierte Selbsterkenntnis
ein, anstau mit Laserstrahlen zu operieren. Wir verwenden
immer noch das Prinzip Hoffnung, um zu heilen.
In der heutigen Zeit finden andere Zweige der Medizin
diese traditionellen Methoden viel zu ineffektiv, zu zeit-
raubend und zu substanzlos. Sie ziehen die Technologie
dem Gespräch und computergenerierte Blutchemikalien
der persönlichen Chemie zwischen Arzt und Patient vor,
die den Patienten heilt und den Arzt befriedigt. Idealis-
tische, ethische, persönlich befriedigende Methoden in der
Medizin verlieren an Grund gegenüber scheinbar wirt-
schaftlichen, effektiven, aber isolierenden und Befriedi-
gung zerstörenden Techniken. Als ein Resultat fühlen sich
unsere Kollegen zunehmend allein gelassen und depri-
miert, und ihre Patienten fühlen sich unter Druck gesetzt,
leer und nicht umsorgt.
Wir sollten uns nicht durch die Spitzentechnologie ver-
führen lassen. Vielmehr sollten wir unseren Kollegen ein
Vorbild sein. Wir sollten aufzeigen, was Geduld, Verständ-
nis und Mitgefühl sowohl den Patienten als auch uns lhz-
ten bringen. Sich mehr Zeit für ein Gespräch zu nehmen,

216
aufzuklären, Hoffnung und die Erwartung auf Genesung
zu wecken - diese Techniken müssen wir stets selbst an-
wenden und darin ein Beispiel für unsere Kollegen sein.
Die Spitzentechnologie ist etwas Wunderbares in der
Forschung und um das Verständnis menschlicher Erkran-
kungen und Leiden zu vertiefen. Sie kann ein unersetz-
liches klinisches Werkzeug sein, aber sie kann nie die an-
geborenen persönlichen Eigenschaften und Methoden des
wahren Arztes ersetzen. Wir sind die Lehrer. Wir sollten
diese Rolle nicht um der Anpassung willen aufgeben, be-
sonders heute nicht.«
Ich habe gelegentlich immer noch solche Träume, wenn
auch seltener. In der Meditation, während ich auf der
Autobahn fahre, oder auch beim Tagträumen fallen mir
Sätze, Gedanken und Bilder ein. Diese scheinen häufig
sehr verschieden von meiner bewussten und gewöhnlichen
Art, zu denken oder Begriffe zu erfassen, zu sein. Sie kom-
men oft zur rechten Zeit und lösen Fragen oder Probleme,
die ich habe. Ich verwende sie in der Therapie und in
meinem Alltagsleben. Ich betrachte diese Phänomene als
eine Erweiterung meiner intuitiven Fähigkeiten und fühle
mich durch sie gestärkt. Für mich sind es Zeichen, dass ich
mich auf dem richtigen Weg befinde, auch wenn es noch
ein langer Weg ist.
Ich höre auf meine Träume und Eingebungen. Mache
ich das, scheinen die Dinge sich von selbst zu lösen. Wenn
nicht, geht irgendetwas unweigerlich schief.
Ich spüre die Meister immer noch um mich. Ich bin mir
nicht sicher, ob meine Träume und Intuitionen von ihnen
beeinflusst werden, aber ich vermute es.

217
NACHWORT

Das Buch ist jetzt abgeschlossen, aber die Geschichte geht


weiter. Catherine ist weiterhin gesund, ohne dass ihre
ursprünglichen Symptome erneut aufgetreten wären. Ich
bin sehr vorsichtig mit der Rückführung anderer Patienten
gewesen. Ich lasse mich von der besonderen Konstellation
von Symptomen eines Patienten leiten, von seinem Wider-
stand gegenüber anderen Behandlungsformen, von seiner
Fähigkeit, sich leicht hypnotisieren zu lassen, von seiner
Offenheit gegenüber der Methode und von einem intui-
tiven Gefühl meinerseits, dass dies der richtige Weg ist.
Seit Catherine habe ich detaillierte Untersuchungen
über vielerlei frühere Leben eines weiteren Dutzends von
Patienten unternommen. Keiner dieser Patienten war psy-
chotisch, halluzinierte oder brachte mehrere Persönlich-
keiten zum Ausdruck. Alle machten dramatische Fort-
schritte.
Diese zwölf Patienten haben einen sehr unterschied-
lichen Hintergrund und äußerst verschiedene Persönlich-
keiten. Eine jüdische Hausfrau aus Miami Beach erinnerte
sich lebhaft daran, in Palästina kurz nach dem Tode Jesu
von einer Truppe römischer Soldaten vergewaltigt worden
zu sein. Sie führte ein Bordell im New Orleans des neun-
zehnten Jahrhunderts, lebte im Mittelalter in einem Klos-
ter in Frankreich und hatte ein schlimmes japanisches

219
Leben. Sie ist die einzige dieser Patienten, außer Cathe-
rine, die Botschaften aus dem Übergangszustand über-
mitteln kann. Sie hat eine sogar noch größere Begabung
für das Voraussagen zukünftiger Ereignisse. Ihre Botschaf-
ten kommen von einem bestimmten Geistwesen, und ich
bin gegenwärtig dabei, ihre Sitzungen sorgfältig zu kata-
logisieren. Ich bin immer noch ganz der Wissenschaftler.
Das gesamte Material muss untersucht, ausgewertet und
gewichtet werden.
Die anderen waren nicht in der Lage, sich an viel mehr
zu erinnern, als dass sie starben, ihren Körper verließen
und in ein helles Licht schwebten. Niemand konnte mir
Botschaften oder Gedanken übermitteln. Doch alle hatten
sie lebhafte Erinnerungen an frühere Leben. Ein brillanter
Börsenmakler lebte ein angenehmes, aber langweiliges
Leben im viktorianischen England. Ein Künstler wurde
während der spanischen Inquisition gemartert. Ein Wirt,
der nicht über Brücken oder durch Tunnel fahren konnte,
erinnerte sich daran, wie er in einer uralten nahöstlichen
Kultur lebendig begraben worden war. Ein junger Arzt be-
rief sich auf ein Trauma auf hoher See, als er ein Wikinger
war. Ein Fernsehproduzent wurde vor sechshundert Jahren
in Florenz gefoltert. Die Liste der Patienten ist noch
länger.
Diese Menschen erinnerten sich auch an zahlreiche an-
dere Leben. Symptome lösten sich in dem Maß auf, wie
ihre Leben sich vor ihren Augen entfalteten. Jeder von
ihnen glaubt heute fest daran, dass er bereits gelebt hat
und wieder leben wird. Ihre Angst vor dem Tod hat sich
verringert.

220
Es ist nicht nötig, dass jeder eine Reinkarnationsthera-
pie macht, Medien aufsucht oder auch nur meditiert. Men-
schen mit behindernden oder störenden Symptomen kön-
nen diese Lösungen wählen. Für den Rest besteht die
wichtigste Aufgabe darin, einen offenen Geist zu behalten
und zu erkennen, dass das Leben aus mehr besteht, als das
Auge sieht. Das Leben geht über unsere fünf Sinne hinaus.
Seien Sie empfänglich für neues Wissen und neue Erfah-
rungen. »Unsere Aufgabe ist, zu lernen, durch Wissen gott-
ähnlich zu werden.«
Ich mache mir nicht länger Sorgen wegen der Aus-
wirkungen, die dieses Buch auf meine Karriere haben
könnte. Die Informationen, über die ich verfüge, sind
weitaus wichtiger, und wenn darauf gehört wird, wird das
der Welt viel zuträglicher sein als alles, was ich auf indivi-
dueller Basis in meiner Praxis tun kann.
Ich hoffe, dass Ihnen das, was Sie hier gelesen haben,
helfen wird; dass Ihre eigene Angst vor dem Tode geringer
geworden ist und dass die Botschaften, die Ihnen über die
wahre Bedeutung des Lebens angeboten wurden, Sie be-
freien werden, damit Sie Ihr Leben voll ausschöpfen, Har-
monie und inneren Frieden finden und liebevoll auf Ihre
Mitmenschen zugehen können.

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