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Goudz 2020, Einleitung Was Ist Jüdische Kunst
Goudz 2020, Einleitung Was Ist Jüdische Kunst
Goudz 2020, Einleitung Was Ist Jüdische Kunst
Inna Goudz
74
LH
65940
G688
Der Begriff der Jüdischen Kunst
in der Kunstgeschichte
UB Augsbu rg
08800435940895
lnna Goudz
DE GRUYTER
Die vorliegende Studie wurde als lnaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie
(Dr. phil.) im April 2017 an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
angenommen. Die Promotionsschrift wurde von Univ.- Prof. Dr. Andrea von Hülsen-Esch und
Prof. Dr. Jürgen Wiener begutachtet. Für den Druck wurde die tudie geringfügig überarbeitet.
Das dieser Publikation zugrunde liegende Forschungsvorhaben wurde von der Gerhard C. Starck tiftung
gefördert.
1 B 97 -3-11-061506-7
e-ISB ( PDf) 97 -3-11-06939 -0
www.dcgru_ t •r. om
IN HALT
Dank 9
Die Bedeutung der Jüdischen Kunst für die Disziplin der Kunstgeschichte 15
Historische Einordnung 16
Forschungsstand 22
Quellen 22
. Judenbilder" 92
Der Weg zum Realismus 94
Jüdische Kunst in Osteuropa: Marc Chagall als „der" jüdische Künstler 100
Die Diaspora und die Suche nach einer eigenen Identität 113
Schlussbetrachtung 151
Jüdische Kunst als politisches Instrument 152
Künstlerische Perspektiven 154
Kunsthistorische Definition 154
Anhang 157
Literaturverzeichnis 157
Bildnachweis 168
Personenregister 170
EINLEITUNG: WAS IST JÜDISCHE KUNST?
Der Begriff .Jüdische Kunst" gehört zum festen Vokabular der kunsthistorischen For-
schungsliteratur. Untersuchungen einer Kunst der Juden reichen bis ins 18. Jahrhundert
zurück. Doch es sind insbesondere die Abhandlungen über die klassische Modeme und
die avantgardistischen Bewegungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, die diesen Ter-
minus benutzen, um Künstler zu systematisieren und einzuord nen. Auf den ersten Blick
mag der Ausdruck .Jüdische Kunst" nichts Außergewöhnliches implizieren, bis man sich
fragt, was genau eigentlich unter diesem Begriff zusammengefasst ist: Was genau soll
Jüdische Kunst sein? Die vorliegende Arbeit versucht, dem Terminus auf den Grund zu
gehen, und widmet sich dem Wandel der Definition und Bedeutung des Begriffs .Jüdi-
sche" Kunst im kunsthistorischen Zusammenhang am Beispiel von zwei Künstlerbio-
grafien.
Um sich dem Thema der Jüdischen Kunst zu nähern, ist die Betrachtung der Forschungs-
literatur verschiedener Disziplinen unumgänglich. Obwohl es sich hierbei um eine Ent-
wicklung in der bildenden Kunst handelt, bezeichnet der Begriff ein soziokulturelles
Phänomen, das aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden muss. So wird die
Bezeichnung aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft, Archäologie, Religions-
und Sozialwissenschaft, Kulturwissenschaft, Judaistik und nicht zuletzt der Kunstge-
schichte untersucht. Die sogenannten Jüdischen Studien oder Jewish Studies vereinen in
sich oft alle diese Disziplinen und noch weitere mehr, wie z. B. Rechtswissenschaften, um
der Vielschichtigkeit einer .Kultur der Juden" gerecht zu werden. 1 So stammt der Groß-
teil der Forschung zu dem Begriff aus diesem letztgenannten Bereich. Da die Forschung
selbst bereits seit langer Zeit im Gange ist, erfährt die Jüdische Kunst auch in ihrem
Christina von Braun ist der Meinung, dass die Jüdischen Studien mit der Vereinigung verschiedens-
ter Disziplinen der Komplexität der .jüdischen Identität' folgen, die sich im Zuge der Säkularisie-
rung von einer reinen Religionsgemeinschaft zu einer . kulturellen Gemeinschaft" wandelte, siehe
von Braun, Christina, Vorwort: .Jüdische Identität"?, in: Sucker, Juliane; Wohl von Haselberg, Lea
(Hg.), Bilder des Jüdischen. Selbst- und fremdzuschreibungen im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin
2013, S. 1-9, hier S. 8.
12 Einleitung: Was ist Jüdische Kunst?
Verständnis und in ihrer Interpretation je nach Epoche und Zeitgeist ei ne andere Defini-
tion. Anhand der forschungsentwicklungwird auch der Wandel des Begriffs erkennbar.
Als ein nationale Grenzen i.ibersch reitendes Phänomen wird der Diskurs durch Literatur
in verschiedenen Sprachen bereichert, die jede für sich einen weiteren zu beleuchtenden
geografischen Raum eröffnet. So findet man sich im laufe der eigenen Untersuchung
mit einer seh r g roßen Menge an Information konfrontiert, die auf unterschiedliche Art
und Weise zu dem großen Puzzle der Jüdischen Kunst beiträgt. Kein Werk, kein Aufsatz,
kei ne Datenbank scheint zu unbedeutend, um vernachlässigt werden zu können. Spä-
testens an dieser Stelle wird das generelle Problem des Themas deutlich: Das Vorhaben,
die Jüdische Kunst in deren gesamtem Umfang beleuchten z u wollen, ist vergleichbar
mit dem Versuch, eine künstlerische Epoche wie die Renaissance oder den Expressio-
nismus mit allen dazugehörigen Ideen, Akteuren, Ausdrucksformen, Interpretationen
und Auswirkungen zusa mmenzufassen. Man würde aufgrund der Vielfältigkeit der
bereits in der Forschung untersuchten Fragestellungen ein dermaßen kleinteiliges Bild
erhalten, dass ei ne übergeordnete, all diese Aspekte zusammenfassende These keinen
Si nn ergäbe. Über dem Begriff der Jüdischen Kunst hängt außerdem stets der Zweifel
an der Existenz derselbigen . Dabei würde niemand die Existenz des Expressionismus
infrage s tellen - immerhin beschäftigen sich die Kunst- und Literaturwissenschaften
unter Berufung auf zahlreiche Ergebnisse der Geschichts- und Sozialwissenschaften seit
nunmehr fast hundert Jahren unermüdlich mit dieser rastlosen und für die Kunst hoch
fruchtbaren Zeit. Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen im Hinblick auf die
kunsthistorische Forschung liegt darin, dass niemand die Existenz expressionistischer
Werke in der Kunst anzweifelt; die Bezeichnung .expressionistisch" ergab sich in erster
Linie aus der Beschäftigung mit den vorhandenen literarischen und künstlerischen
Werken. Eine Jüdi sche Kunst lässt allerdings eindeutig als solche zu identifizierende
Kun stwerke vermissen. Oder etwa doch nicht? Von einem Kunstwerk ausgehend kann
die kunsthistorische Forschung als einzige wissenschaftliche Disziplin das künstleri-
sche Schaffen als solches bes timmen, entsprechend analysieren und solch starke Epo-
chenbegriffe begründen. Dieser Herausforderung, ei ne Jüdische Kunst zu bestimmen,
s tellte sich die Kunstgeschichte bereits seit der Zeit ihrer Entstehung im 18. Jahrhun-
dert. Eine Verbindung zw ischen Künstler, Kunstwerk und Judentum nachzuweisen,
konnte sie als Stilgeschichte allein allerdings nicht leisten. Dazu fehlten ihr schlicht-
weg die notwendigen Methoden. Die Jüdische Kunst entfernte sich zunehmend stärker
von ihrem religiösen Bezug, je mehr sich die Juden von einer rein religiösen zu einer
kulturellen Gemeinschaft entwickelten. Die Frage nach einer jüdischen Identität jen-
seits der Relig ion beschäftigt seitdem Wi ssenschaftler und Intellektuelle, Künstler und
Philosophen, Juden und Nichtjuden g leichermaßen. 2 Auch die Frage nach der Herkunft
2 [ine Zusammenstellung aktueller interdisziplinärer Perspektiven stellen Sucker und Wohl von
llaselberg (20 13) vor. Besonders zum Kontext von jüdischer Identität und modernem Kunstver-
ständnis sei unter zahlreichen weiteren Werken auf Brechenmacher, Thomas (Hg.), Identität und
Problemstellung: das Fehlen .jüdischer• Kunstwerke 13
des Künstlers zur Zuordnung seines chaffen zur Jüdisch n Kunst war für die Kunst-
geschichte ungewöhnlich. Denn ationalität, Religion oder geografische Herkunft eines
Künstlers gehörten zu Beginn nicht zu den wesentlichen Interessen bei der Betrachtung
künstleri scher Werke. Erst mit dem Wegfall kirchlicher und höfischer Auftraggeber und
damit gesellschaftlicher Verflechtungen sowie materieller Absicherung für Künstler
kam es parallel zu einer bürgerlichen • manzipation des Künstlers". 3 Die Abkopplung
vom Adel und Klerus, die im 19. Jahrhundert begonnen hatte, resultierte im 20. Jahr-
hundert in einer kritischen, kämpferischen und fortschrittlichen Kunstbetrachtung, die
den Künstler als Schöpfer, Individuum und Denker akzeptierte. In Verbindung mit dem
nationalistischen Gedanken der Zeit spielte plötzlich auch der kulturelle . Background"
eine besondere Rolle für die Betrachtung der Kunstwerke. Zwangsläufig wurde dadurch
der Künstler mehr in Augenschein genommen als das Werk selbst. Das Ergebnis waren
verschiedentliche Selbst- und Fremdzuschreibungen über Bedeutung und Qualität der
Kunst. Die jahrhundertelange christliche Prägung der Kunst machte Juden in der Kunst
- egal, ob als Künstler, Kritiker oder Händler - stets zu einem sensiblen Thema, das
meist zur Betonung bestimmter Eigenschaften oder als Argument zur Ablehnung über-
haupt erst Erwähnung fand.
Die Beschäftigung mit dem Künstler als Juden hatte also weniger mit der Kunst
und den Kunstwerken zu tun als mit der kulturellen und gesellschaftlichen Einordnung
seiner Person. Die kulturelle Zugehörigkeit des Künstlers war damit wichtig - und
gelegentlich gar ausschlaggebend - für die Rezeption seiner Kunst. Die Betonung der
nationalen Prägung eines Künstlers, die sich angeblich ungetrübt in dessen Werken nie-
derschlage, war nicht nur jüdischen Künstlern vorbehalten. Die Unterschiede zwischen
deutschen und französischen Impressionisten versuchte man ebenfalls kulturell-natio-
nalistisch zu begründen. och knapp hundert Jahre nach der jüdischen Emanzipation
wurden die Juden auch von Intelektuellen nicht unbedingt als zu einer Nation gehörig,
sondern hauptsächlich als isolierte Religionsgemeinschaft wahrgenommen. Somit wur-
den Werke von kulturell als .j üdisch " eingeordneten Künstlern auch als jüdische Kunst-
werke verstanden.
Der ationalismus in der Kunst hatte dann die Aufgabe, eine künstlerische Tradition
zu konstruieren, die bestimmte der jeweiligen ation zugeschriebene Eigenschaften
bestätigt. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts zogen Gelehrte in die Welt hinaus, um die
übrig gebliebenen Kunstwerke antiker Völker zu sammeln, zu skizzieren, zu beschrei-
ben und entsprechend zu sortieren. Auch für die Jüdische Kunst hat man diesen Versuch
unternommen .
Eine der frühesten Erwähnungen des Begriffs .Jüdische Kunst" findet man in den
Aufzeichnungen von Johann Joachim Winckelmann. In seinem Werk Geschichte der
Kunst des Altertums zeichnete Winckelmann in den Jahren 1762-68 die Entwick lung
der Kun ! altertümlicher Völker anhand der noch erhaltenen Kuns t- und Bauwerke nach.
In dem Abs hnitt . Die Kunst der Ägypter, Phönizier und Perser· geht der Autor kurz auf
die . Kun t unter den Juden· ein. 4 Darin stellt er fest, dass es eine Kunst der Juden gegeben
haben mü se, da der babylonische König Nebukadnezar bei der Plünderung des Tempels
in Jerusalem zahlreiche Kunstwerke mitgenommen haben soll.s Zu der Zeit Winckel-
mann war allerdings so gut wie n.ichts spezifisch .Jüdisches" an Kunstwerken mehr in
der Reg ion übrig geblieben. 6 o hält der Autor fest, dass die Juden womöglich durcha us
einen inn für Ästhetik und Kun t gehabt hätten, dafür aber Fremde mit der Fertigung
beauftragten. 7 ach nur wenigen Worten schließt Winckelmann seine Beobachtungen
mit dem Hinweis auf das biblische Bilderverbot und folgert daraus, seiner Zeit ent-
spre hend, das die Juden selbst keine nennenswerte Kunst herges tellt haben dürfte n.
Winckelmanns Zusammenfassung der Jüdischen Kunst ist so kurz wie bemerkenswert
für die Kunstgeschichtsschreibung, da diese sich in ihren Grundzügen bis heute nicht
verändert hat. harakteristisch für die Betrachtung der Kunst der Juden ist:
1. der Blick auf das zweite Gebot . Du sollst dir kein Bild machen· (2. Buch Mose 2,4-5;
5. Buch Mose 5,8-9)
2. die Frage nach dem Auftraggeber bzw. Urheber der Kunst und
3. die Positionierung der Juden in einen ästhetischen und künstleri schen Zusammen-
hang mit anderen Völkern / Nationen/ Gemeinschaften.
Die oben genannten Kriterien gelten nicht für das Kunstwerk, sondern für den Künst-
ler. Der Rückschluss vom Künstler/ Urheber als Juden auf das Kunstwerk gestattete die
Definition eines .j üdi schen" Kuns twerks. Dieser religiös konnotierte Ansatz erlaubte
den Kunsthistorikern der ersten Stunde das Einbeziehen des Tempelbau s aus dem Alten
Testament in den Werkekanon, obwohl der Bau selbst nicht mehr existierte. Ein literari-
Winckelmann, Johann Joachim, Geschichte der Kunst des Alterthums, Erster Theil, Dresden 1764,
. 72 (. (On line-Ausgabe, Heidelberger historische Bestände - digital: Quellen zur Geschichte
der Kunstgeschichte, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit / winckelmannl 764 0122, Stand
17.04.2017 ).
5 2. Buch der Könige, 25,8-21., siehe Zunz, Leopold (Red .), Thora. Die vier und zwanzig [sie] Bücher
der lleiligen chrift. ach dem masoretischen Texte, übers. v. Hermann Arnheim, Julius Fürst,
1. achs, Berlin 1 3 , . 373- 374 (digitale Ausgabe der Österreichischen ationalbibliothek,
http: 'data .onb.ac.at BO %2BZ20692270X, tand 17.04.2017).
6 [dward Robin on identifizierte erstmals 1852 auf seinen Reisen durch Palästina einige Ruinen als
nagogen. gl. Robinson , [dward, euere biblische Forschungen in Palästina und angrenzenden
Ländern. Tagebuch einer Reise l 52, Berlin 1857, . 91 f. und 95 f. (Hathi Trust Digital Library,
https bab ·l.hath11ru t.org cg1 pt?id nncl.002 l 772 l 77;view=Lup; eq=5, Stand 17.04.2017); Künzl,
l lannclorc, Jüdt ehe Kunst. on der biblt ·chen Zeit bis in die Gegenwart, München 1992, S. 8.
7 \! inckl!lmann (1764 ), . 72.
Die Bedeutung der Jüdischen Kunst für die Disziplin der Kunstgeschichte 1S
ches Werk, also das Alte Testament, konnte damit das ä lteste und wichtigste Werk der
bildenden Kunst der Juden werden. Der gemeinsame und für die Einordnung wichtigste
enner der nationalen ZL1gehörigkeit war damit erfüllt.
Die Bedeutung der Jüdischen Kunst für die Disziplin der Kunstgeschichte
üblichen jüd1s hen iedlung gebiete in Ost- und We teuropa und unter geringer Betei li-
gungJüdi - her elehrter selbs t tatl . Das 19. Jahrhu nd rt war dennoch e ntscheidend für
di' Kunst und Kultur der europäi hen Juden. eit dieser Zeil la sse n sich Künstlerbio-
grafien ausma hen, die ich nicht nur aufZuschreibungen Dritter bez iehe n. Es existieren
Quellen, 111 denen i h Küns tler zu ihrer Kun t und ihrer Positionierung zur Jüdischen
Kunst äußern. Die Auseinandersetzung der Kün tler mit de m Einfluss ihrer Herkunft
auf ihre Werke gilt al ab olute Vorau etzung und Rechtfertigung für die Zulassung
des Begriff· .Jüdi he Kun t" in der Kun tge chichtsschreibung. lm 20. Ja hrhundert fand
die e ntwicklung unter dem Eindru k der europäischen Avantgarde ihren Höhepunkt.
Historische Einordnung
8 Vgl. rae1z, Michael, Renais ance des Judenlums im 19. Jahrhunderl - . Der Verein für Cultur und
Wis ens haf1 der Juden· von 1 19 bt 1 24, in: Jersch-Wenzel, lefi; werbuch, Marianne, Bild und
elb 1b1ld der Juden Berlin zwischen ufklärung und Romanlik. Beiträge zu einer Tagung [die
19 in Berlin slaltfand, nm. d. erf.L Berlin 1992, S. 211-227, hier . 215, 226 f.
9 ähcre · zur [1hnographisch-his1onschen Gesellschafl und deren berühm1es1em Mitglied
. n-sk und einen Ideen und Expeditionen in den nsiedlungsra on zur Sammlung folkloristi-
scher Kun,tgcgcnständc, fotografischer Dokumcntat1onen der Lebensweise der os teuropäischen Ju-
den 'owie .iltcr Denkmäler, friedhöfe und ynagogcn findet sich u. a. bei afrnn, Gabriela; Zipper-
lein tcvcn J. (llg.), The orlds of n-sky. Rus ian jewish lntellectual al the Turn of the
cntur , Stanford 2006, und vrutin, Eugcnc 1. et al. (1 1 .), Photographing thc Jewish ation.
Pictun?s from \n -~k ' [thnograph1C hpcd1tions, Wallham 2009.
Zielsetzung der Untersuchung 17
auf direktem Wege das Verständnis für die Kunst. Die Gründung des Verei11sfiir Cu//11r
1111d Wissen schaft der Juden legte den Grundstein für den Versu h einer Verbürgerli-
chung der Juden in Deutschland. Die er Verein kümmerte sich hauptsächlich um die
Aufarbeitung literari eher Quellen aus dem Hebräischen, die nun - er tmals nicht aus
religiöser icht - als Kunstwerke definiert und untersucht wurden. Man bemühte sich
um ein europäisches Kunstverständnis innerhalb des Judentum . Die Kunstwerke e ines
Maurycy Gottlieb, eines Max Liebermann, eines Marc hagall, EI Lissitzky oder haim
outine wären ohne diese kulturellen Entwicklungen nicht möglich gewesen.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur und Kunst wurde
nicht zuletzt als Folge der Schoah in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um eine
emotionale Komponente ergänzt. eben der eschichtsschreibung, die zunächst eine
deutliche Fokussierung auf die Aufarbeitung der Vernichtung der europäischen Juden
unter Vernachlässigung der Erforschung ihrer jahrhundertelangen Leben weise erlebte,
erfuhr auch die Kunstgeschichte eine Wende. Die Disziplin der Kunstgeschichte wurde
in den USA im 20. Jahrhundert besonders von Exil-Forschern aus Europa geprägt, von
denen viele Deutschland, Österreich und Frankreich bereits Anfang der 1930er-Jahre
verlassen hatten . Diese, oft selbst Juden, betrachteten sich in vielerlei Hinsicht als Erben
der europäischen Intellektuellen, die dem Nazi-Regime zum Opfer gefallen oder knapp
entkommen waren. 10 Nach dem Zweiten Weltkrieg wandten sie sich in ihren Forschun-
gen auch der sogenannten Jüdischen Kunst der Modeme zu. ach einer Bestandsauf-
nahme der Kunstwerke, die den Zweiten Weltkrieg in Europa überstanden hatten, sowie
ihrer Interpretation nahm sich auch die westeuropäische und israelische Forschung in
Jüdischen Museen und Universitäten dieser Aufgabe an. 11 Die Gründe für solch eine
Hinwendung mögen unterschiedlich gewesen sein und zwischen dem Wunsch nach
Konservierung einer verlorenen Welt und einer Suche nach den Gründen für das Gesche-
hene variieren. Die Kunstgeschichte wurde dadurch jedenfalls genauso beeinflusst wie
die Disziplin der Geschichte. Es gilt heute, diese Wendungen zu berücksichtigen und zu
hinterfragen.
Neben der Untersuchung der Definition und Bedeutung des Begriffs .Jüdische Kunst"
im kunsthistorischen Kontext verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, jene kulturellen
Errungenschaften innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu beleuchten, die zur Entwick-
lung eines selbstbewus ten, explizit jüdischen Künstlers beitrugen. An die Wissenschaft
des Judentums im 19. Jahrhundert schließt sich die Bewegung der jiidi chen Renaissance,
angeführt von Martin Buher, zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, die die durchaus
10 oussloff, Catherine M., lntroducingjewish ldentity to Art Hislory, in: Dies. (1999), S. 1-12, hier
. 2, 9 (.
11 Künzl (1992), . 13.
18 Einleitung: Was ist Jüdische Kunst?
chwierige politische und ge ellschaftliche Lage der europäischen Juden zu Beginn des
20. Jahrhunderts zu einem fruchtbaren Boden für ein neues kulturelles Selbstverständ-
ni · machte. Dazu in trumentali ierte und knechtete Buber regelrecht Künstler und
Werke der ergangenheit und Gegenwart für einen politischen Zweck. pätestens dann,
wenn Kunst und Politik aufeinandertreffen, wird der Begriff .Jüdische Kunst" mit einem
weiteren, neuen, nämlich politisch wirksamen inn aufgeladen. icht zuletzt deswegen
spielt dieser Terminu auch in der Au einandersetzung der beiden politischen Lager des
Zioni mu und des Jiddischismu eine tragende Rolle. Beide Lager beanspruchten eine
Jüdi he Kunst zur Bildung vermittlung und als kulturellen Ausdruck, eine Kunst, die
die jüdische Gemeinschaft zur Weiterentwicklung und zum Überleben benötigte. Wäh-
rend die Zioni ten jedoch einen eigenen nationalen Boden als Voraussetzung für die
[xistenz einer Jüdischen Kunst betrachteten, bestanden die Jiddischisten auf den Erhalt
und die Pflege einer in der Diaspora gewachsenen Kultur. Den Kampf, den die beiden
Lager um ihre Anhänger führten, lässt sich in den Werken der bildenden Kunst der Zeit
und der beteiligten Künstler nicht verfolgen. Es war kein Diskurs um einen künstleri-
chcn til, Ästhetik oder Formen, sondern eine politische und gesellschaftliche Ausein-
andersetzung, die in der Kunst selbst eine nachrangige Rolle spielte.
uch die Kunstgeschichtsschreibung trug zur nationalen Bildung bei. Obwohl zah l-
reiche Überbl ickswerke über jüdische Künstler im laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hundert ent tanden sind, ist darin nur selten von moderner oder zeitgenössischer Jüdi-
cher Kunst die Rede. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gründung des
taates 1 rael im Jahre 1948 wird der Begriff in der Beschreibung und Interpretation der
Werke durch die Betrachtung im Zusammenhang mit einer neuen israelischen Kunst
verdrängt. Man ist verleitet zu denken, dass hier im Buber'schen Sinne die alte, isolierte
Jüdische Kunst durch eine neue, blühende und starke . Israelische Kunst• ersetzt wird.
Die Vernachlässigung des Begriffs .Jüdische Kunst" in der Betrachtung der modernen
Kunstisraeli eher Ki.in tler ist jedoch weniger ein Zeichen einer zionistisch-nationalen
Identität, andern zeigt vielmehr die Schwäche des Begriffs für eine wissenschaftlich
innvolle Kunstbetrachtung einer aufgeklärten modernen Gesellschaft auf.
Bei der Untersuchung Jüdischer Kunst sind daher beide eiten, die historische wie
die moderne, in der Beziehung zwischen Künstler und Werk zu betrachten. Es ist nicht
nur wichtig, nach einer ikonografi chen und ikonologischen Interpretation, der thema-
ti chen Au richtung oder einem kulturellen Einflus der jeweiligen Kunstwerke zu fra-
gen. Es ist überdie nicht zu vernachlä sigen, dass der Künstler auch einen Teil seiner
Identität in den Werken abbildet. Künstlerbiografien, die in den Kanon der europäischen
Kun tges hichte auf enommen wurden, bilden die Entwicklung und die Beziehung zu
ihren nichtjüdi chen Kollegen genau ab. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher
auf die uche nach dem .Jüdi chen· in der Kun t und stellt das eine Element, das die Kunst
JÜd1 eher Künstler vermeintlich von Werken, die nicht als solche eingeordnet werden,
unter che1den oll, infrage. Die The e die er Arbeit ist, da s Jüdi ehe Kunst ein konstru-
iert 'r Begriff der kun th1stori chen, aber auch gei le wis enschaftlichen Forschung ist,
Methode der Untersuchung - Kunstwerke und Künstlerbiografien 19
der dazu dient, von Juden ge chaffene Kunstwerke vor allem im Zeitraum zwischen den
1880er- und 1930er-Jahren als solche zu klassifizieren. Der Begriff hat sich seit Johann
Joachim Winckelmanns Unter uchungen antiker Kunstwerke nicht verändert. Doch der
Inhalt und die übertragene Botschaft des Begriff entwickelten sich weiter. Was früher
zur Isolation und Ablehnung diente, wird im 20. Jahrhundert zur späten Anerkennung
und Identitätsbildung benutzt. Der Methode und ystematik der Zuschreibung dieses
Begriffs durch Dritte ver u ht die e Arbeit eben fall nachzuspüren.
Die erliegende Unter uchung wird aufzeigen, dass der Begriff „Jüdische Kunst" kein
Genre und keine ki.instleri ehe Gattung, sondern eher eine bestimmte zeitliche Epoche
europäischer Kunstgeschichtsschreibung bezeichnet. Ihm i t auch keine bestimmte
Ikon grafie zuzuordnen, die ich nicht auch in Werken nichtjüdischer Künstler wieder-
finden ließe. E wird allerdings deutlich, dass der Terminus ein Erbe der europäischen
Kulturgeschichte ist und die Au einandersetzung der christlichen, später aufgeklärten
und akademisch geprägten esellschaft mit dem Judentum im Allgemeinen wider-
piegelt.1 2 Jüdi ehe Kun t i tim kla sischen kunsthistorischen inne ikonologisch: Ein
Werk wird nur im Zu ammenhang mit außenstehenden Elementen wie der Biografie
eines Künstlers, einem Aus tellung thema oder zum Zwecke einer historischen oder
oziologi chen Zuordnung dieser zugewie en. Die Betrachtung einzelner Schlüssel-
werke v n Max Liebermann und Marc hagall zeigt auf, da s zwei Blickrichtungen
auf da chaffen der Kün tler existieren. Ein .innerer· Blick aus der Perspektive des
Kün tler und einer Umgebung erlaubt unter Berücksichtigung biografischer Angaben,
'rke der gleichen chaffen periode und ussagen der Maler eine Einschätzung über
12 Jth ·nne ou toff chre1bt in der Einleitung zu dem von ihr 1999 herausgegebenen Band Jewish
ldenllt in lodern rt ll1>tory, das 1e mit dem Werk auf der uche nach der Position des ;üdi-
~c hen 1hemas in der Kunstgeschichte und de en 1anifestation im kunsthistorischen Diskurs sei,
d · nn die ;udi, he ldent1t;1t könne in der Kunstgeschichte gespiegelt worden sein, oussloff (1999),
. 3.
Ausblick auf die Untersuchungsergebnisse 21
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Printausgaben
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pn>Jl'ktcs der Russ1s hen NJt1onalb1blmthck online abrufbar und Jurd1;ouchbar Der Link ruft je·
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