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Table of Contents

Montana
Vorstellungsrunde
Der tote Briefkasten
Der Sturz
Detektiv Greyfield
Aufwärts
Der Bellingham-Vorfall, Teil 1
Der leuchtende Wald
Angriff!
Pilze und Blaubeerpudding
Der Herr der Wildnis
Gefangen
Das Versteck in den Weiden
Peeeteeer!
Der Kolibri
Der Bellingham-Vorfall, Teil 2
Ernies Tagebuch
Ein Mann namens Thomas
Ich war’s nicht!
Im Wald der Gefahren
erzählt von André Marx
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von der Peter Schmidt Group, Hamburg,
auf der Grundlage der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
weitere Informationen zu unseren Büchern,
Spielen, Experimentierkästen, Autoren und
Aktivitäten findest du unter kosmos.de
© 2022, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG,
Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten


Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-50484-0
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Montana
»Bobs Reisetagebuch, Montana, dreißigster Mai. Berge, Wälder, Seen
und hinter jeder Kurve ein neuer atemberaubender Blick – so
präsentiert sich uns der Bundesstaat Montana, seit wir die Interstate 90
vor zwei Stunden verlassen haben. Die drei ??? sind endlich wieder
unterwegs.
Es ist eigentlich Peters Reise. Sein Opa wollte mit ihm eine Wanderung
in den Bergen von Montana machen, nachdem ihm die Gegend bei
unserem gemeinsamen Trip durch die Staaten so gut gefallen hatte.
Aber dann hat er sich den Zeh gebrochen. Also Peters Opa. Nicht Peter.
Deshalb sind jetzt Justus und ich mit dabei. Just war zwar nur
mittelmäßig begeistert, weil er spätestens seit unserer letzten
Rucksack-Tour weiß, wie anstrengend so was sein kann, aber ich freue
mich drauf. Vier Tage lang wandern in einer kleinen geführten Gruppe
weit weg von der Zivilisation. Das wird toll.
Heute Morgen hat Peters Dad uns zum Flughafen Los Angeles
gefahren, dann sind wir nach Billings, Montana geflogen und haben
unseren Mietwagen abgeholt. Seitdem sitzt Peter am Steuer und fährt
ein bisschen halsbrecherisch die Serpentinen rauf und runter. Um sechs
Uhr werden wir in einem kleinen Kaff namens Two Creeks erwartet.
Justus schläft. Wie kann er das bei diesen Kurven? Mir ist so schon
leicht schwummrig.«
»Sag mal, was murmelst du da eigentlich vor dich hin?« Peter Shaw
warf seinem Freund Bob Andrews einen fragenden Blick durch den
Rückspiegel zu.
»Ach, ich dachte, du könntest mich gar nicht hören, so wie du rast«,
gab Bob zurück.
»Ich rase nicht. Ich fahre lediglich sportlich. Also: Mit wem sprichst
du?«
»Mit meinem Reisetagebuch.«
»Mit dem kann man sprechen? Ich dachte, da schreibt man rein.«
»Ich wollte das Buch nicht mitschleppen. Also diktiere ich in mein
Handy. Vielleicht schreibe ich es zu Hause ab und –«
»Wow, seht euch das an!«, rief Peter, sodass Justus aus dem Schlaf
aufschreckte.
Sie hatten die Passhöhe erreicht und der Zweite Detektiv lenkte den
Wagen gerade zwischen zwei haushohen Felsen hindurch, die den
Berggipfel bildeten. Die letzten Meilen war es stetig aufwärtsgegangen
und die Sicht nach Norden war von hohen Felswänden versperrt
gewesen. Nun breitete sich vor der Windschutzscheibe ein
atemberaubendes Panorama aus. Hinter einem abrupt abfallenden
Felssturz erstreckte sich ein weites grünes Tal. Auf der anderen Seite,
viele Meilen entfernt, kletterte der Wald den Hang empor, bis die
Bäume keinen Halt mehr fanden und vor den steil aufragenden
Felswänden kapitulierten. Dahinter erstreckten sich endlose
Bergketten. Auf den höchsten Gipfeln lag Schnee. Hier und da hingen
Wolkenfelder fest und spielten mit dem Sonnenlicht. In weiter Ferne
regnete es sogar. Nirgendwo war ein Haus zu sehen, die Natur schien
beinahe unberührt. Lediglich die schmale Straße wand sich hier und da
aus den Wäldern hervor.
»Die endlosen Weiten Montanas«, sagte Bob andächtig.
»Hier wohnt wirklich niemand, oder?« Peter war fasziniert von der
menschenleeren Landschaft um ihn herum. Zu Hause an der Küste
Kaliforniens gab es das nicht. Da sah man immer irgendwo ein Haus
oder ein Auto oder einen Strommast herumstehen.
»Das ist natürlich nicht korrekt«, belehrte Justus den Zweiten
Detektiv, »aber Montana ist in der Tat einer der am dünnsten
besiedelten Bundesstaaten. Mit nur etwa sieben Einwohnern pro
Quadratmeile steht er an –«
»So genau wollte ich es nicht wissen«, winkte Peter ab. Es war besser,
Justus so früh wie möglich zu unterbrechen, wenn man keinen
mehrminütigen Vortrag über ein vollkommen uninteressantes Thema
hören wollte. »Außerdem nehme ich alles zurück. Da kommt ein
Wagen.«
Von hinten kam ein Buick Cabrio näher, und zwar ziemlich schnell.
Am Steuer saß ein Mann mit dunklen Haaren, Sonnenbrille und
fingerlosen Lederhandschuhen. In einem riskanten Manöver überholte
er die drei ??? kurz vor einer Kurve und brauste davon.
Peter schaute ihm kopfschüttelnd hinterher. »So ein Armleuchter.«
Von nun an ging es nur noch bergab. Zehn Minuten nachdem die
Straße in das bewaldete Tal eingetaucht war, wurden sie von einem
großen Schild mit den Worten Willkommen in Two Creeks begrüßt.
Darunter war ein Bär gemalt, der an einem Berghang zwischen zwei
Bächen stand.
Two Creeks bestand aus kaum mehr als einer Straße mit einer
Tankstelle und einem kleinen Diner, vor dem ausschließlich
Geländewagen und Pick-ups parkten. Zwei bärtige Männer in fleckigen
Overalls und mit Cowboyhüten auf dem Kopf schauten dem weißen
Mietwagen ausdruckslos hinterher. Dreihundert Meter hinter dem
Ortseingangsschild kam bereits das Ortsausgangsschild.
»Das kann nicht richtig sein«, murmelte Peter. »Das Green House, in
dem wir uns mit Ralph und den anderen treffen sollen, ist in Two
Creeks. Nicht dahinter. Wir müssen eine Abzweigung übersehen
haben.« Er wendete das Auto mitten auf der Straße und fuhr zurück.
»Wir sollten jemanden fragen«, schlug Bob vor.
Auf der Veranda eines kleinen grauen Holzhauses unweit des Diners
saß ein älterer Mann auf einem abgenutzten Küchenstuhl. Seine Hände
waren auf den Knauf eines Gehstocks gestützt, die Basecap hatte er tief
ins Gesicht gezogen.
Peter fuhr rechts ran. »Frag den mal«, bat er Justus.
Der Erste Detektiv drehte das Fenster herunter. »Entschuldigen Sie,
Sir. Kennen Sie das Green House?«
Der Mann schob die Mütze ein paar Zentimeter aus dem Gesicht und
musterte die drei Jungen. »Da seid ihr hier falsch. Ein Green House
gibt es hier nicht.«
Die Verandatür wurde aufgestoßen und eine stämmige Frau in
Gummistiefeln trat heraus. Ihre Hände steckten in
Gartenhandschuhen. »Was redest du denn da, Bill Greyfield? Natürlich
gibt es hier ein Green House.«
»Halt dich da raus, Karen«, knurrte der Mann wütend.
»Willst du jetzt etwa auch noch diese unschuldigen Kinder
verdächtigen? Mach dich nicht lächerlich.«
»Unschuldige Kinder, pah! Niemand, der in den Bergen seinen Müll
durch die Gegend schmeißt und Wildfallen baut, ist unschuldig!«
»Ich bin sicher, diese Jugendlichen haben nichts dergleichen vor, nicht
wahr?« Karen nickte den drei ??? lächelnd zu.
»Was weißt du denn schon! Ihr trefft euch gleich mit Ralph Sanders,
stimmt’s?«
»Äh, ja«, bestätigte Justus. »Mr Sanders ist unser Wanderführer und
–«
»Ich kann euch sagen, was Mr Sanders ist! Ein Verbrecher!«
Vorstellungsrunde
»Nun reiß dich aber mal zusammen, Bill Greyfield! Nur, weil Ralph
letztes Jahr ein Reh vors Auto gelaufen ist, ist er noch lange kein
Verbrecher.«
»Es ist ihm nicht vors Auto gelaufen. Ich glaube ihm kein Wort. Er ist
ein Wilderer. Seit drei Wochen ist die Wintersaison vorbei, seit drei
Wochen bietet Ralph wieder seine Wandertouren an – und prompt
werden auf dem Capricorn Peak Wildtierfallen gebaut. Da!«
Anklagend reckte er den drei ??? seinen linken Fuß entgegen, der in
einer Art Stützschuh steckte. »Ich habe mir den Knöchel gebrochen,
weil ich in so ein Loch gefallen bin. Stundenlang musste ich unter
Schmerzen zurück nach Two Creeks humpeln. Das kann nur Ralph
gewesen sein. Oder einer seiner sogenannten Naturfreunde. Gören wie
ihr.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht vorhaben, Tierfallen zu
bauen, Sir«, sagte Justus so höflich wie möglich.
Karen schüttelte entschuldigend den Kopf. »Bill meint es nicht so.«
»Bill meint es sehr wohl so.«
»Jetzt ist aber mal gut. Du hast selbst gesagt, dass es bloß ein Loch
gewesen ist. Gar keine richtige Falle. Es war wahrscheinlich nichts
weiter als ein Kaninchenbau.«
»Blödsinn, Karen! Ich war vierzig Jahre lang Ranger. Ich weiß ja wohl,
wie ein Kaninchenbau aussieht.«
»Verzeihen Sie, aber wenn Sie uns vielleicht einfach den Weg zum
Green House –«
»Außerdem ist dein Knöchel nur verstaucht«, fuhr Karen fort, als hätte
sie Justus gar nicht gehört.
»Konservendosen und Plastikmüll liegen da auch herum. Wer soll die
denn in den Wald geworfen haben, wenn nicht Ralph und seine
Wandertruppe? Und was ist mit diesem Kerl, der jetzt schon zwei Mal
aus dem Wald zum Green House heruntergeschlichen ist, um da im
Gartenschuppen herumzumachen? Den habe ich hier noch nie
gesehen. Garantiert einer von Ralphs kriminellen Freunden. Der treibt
auf dem Berg sein Unwesen, Ralph versorgt ihn mit Dosenravioli und
die Dosen fliegen dann in der Gegend herum. Einsperren sollte man
solche Leute.«
Karen seufzte. »Es wird immer schlimmer mit dir, Bill Greyfield. Jeder,
der nicht dein Freund ist, ist ein Verbrecher.«
»Ich hätte längst Beweise! Aber mit dem Fuß kann ich ja niemanden
verfolgen.«
»Und viele Freunde sind dir nicht geblieben.«
»Du hörst mir überhaupt nicht zu.«
Justus räusperte sich. »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber wir
werden in wenigen Minuten im Green House erwartet. Ist es Ihnen
lieber, wenn wir jemand anderen nach dem Weg fragen?«
»Ja!«, schnappte Bill.
»Ein Stück geradeaus, dann die erste rechts«, sagte Karen. »Da steht
auch ein Schild.«
»Danke, Madam«, sagte Justus.
»Und du komm jetzt rein, Bill Greyfield, anstatt harmlose Besucher
unseres schönen Städtchens zu belästigen.« Damit verschwand Karen
im Haus. Ein quietschender Federmechanismus ließ die Verandatür
zuknallen.
»Harmlos!«, echote Bill. Was er sonst noch von sich gab, bekamen die
Jungen nicht mehr mit, denn Peter gab Gas.
»Netter Mann«, sagte der Zweite Detektiv. »Reizende Gegend.« Er
fuhr bis zum ersten Abzweig. Den kleinen selbst gemalten Wegweiser,
auf dem Green House stand, hatten sie vorher nicht bemerkt. Der Weg
war ungeteert und matschig und endete nach zwei engen Kurven vor
einem großen alten Holzhaus, das im Schatten einer riesigen Tanne
stand.
Das Green House war ein ehemaliges Hotel, von dessen Fassade
verschiedene Schichten grüner Farbe abblätterten. Da für eine
Renovierung anscheinend das Geld fehlte, hatte man es in eine
Selbstversorger-Unterkunft ohne die üblichen Hotel-Standards
umgewandelt. Das Verandadach war ein wenig schief und am Geländer
der Treppe hing ein Schild: Vorsicht! Wackelt! Vor einer Hausecke
stapelten sich ausrangierte verwitterte Möbel neben einem kaputten
Trampolin. Ein schlapper Basketball lag unter einem zerfetzten Korb.
Peter stellte den Wagen in einer Ecke des Vorplatzes ab, wo schon ein
paar andere Autos parkten.
»Seht mal, das ist doch das Cabrio von vorhin«, bemerkte Bob. »Der
lebensmüde Fahrer.«
»Na, das geht ja gut los«, murmelte Peter.
Da die Jungen spät dran waren, ließen sie ihr Gepäck zunächst im
Kofferraum und betraten das Green House durch eine knarrende
Holztür. Dahinter lag ein langer Flur mit einem verlassenen
Empfangstresen. Ratlos sahen sie sich um.
»Hallo?«, rief Peter zaghaft.
Am Ende des Flurs öffnete sich eine Tür und ein junger Mann streckte
den Kopf heraus. »Seid ihr die drei Jungs aus Kalifornien? Kommt rein,
wir sind alle im Gemeinschaftsraum.«
Der Gemeinschaftsraum des Green House war ein uriger Ort, der nach
Holz und Kerzenwachs roch. Von der Decke hingen altmodische
Messinglampen, die warmes Licht verbreiteten. Der wuchtige Esstisch
war voller Risse, Kaffeeränder und Brandflecken. Die Kartons der
Gesellschaftsspiele, die sich in einem Regal an der Wand stapelten,
fielen schon halb auseinander. Der Geruch eines deftigen Eintopfs
drang durch eine Schwingtür, hinter der wohl die Küche lag. Vier
Leute drehten gleichzeitig ihre Köpfe zur Tür, als die drei Detektive
eintraten.
»Herzlich willkommen«, sagte der junge Mann, der sie hereingerufen
hatte. Er hatte einen Drei-Tage-Bart und trug eine Wollmütze auf dem
Kopf. »Ich bin Ralph. Ihr kommt genau richtig, es gibt gleich
Abendessen und vorher können wir noch eine kleine
Vorstellungsrunde machen.«
»Sorry, dass wir ein bisschen zu spät sind«, sagte Peter mit einem
schüchternen Blick in die Runde. Die drei ??? waren mit Abstand die
jüngsten Tourteilnehmer. Einer von ihnen war der Fahrer des Cabrios.
Er war einen Hauch zu braungebrannt, trug eine schwarze Cargo-Hose
und ein T-Shirt, das er wohl absichtlich eine Nummer zu klein gekauft
hatte. Darunter zeichneten sich seine Muskeln ab. Er ließ sich nicht
anmerken, ob er die drei Jungen wiedererkannte oder nicht.
»Kein Problem«, meinte Ralph und warf einen Blick auf eine Liste mit
Namen in seiner Hand. »Ihr seid nicht die Letzten, es fehlt noch
jemand, aber auf den warten wir jetzt nicht mehr. Setzt euch doch!«
Die Aufforderung war an alle gerichtet und die Gruppe kam
zusammen. Stuhlbeine schleiften über den Dielenboden und bald saßen
alle in einem Kreis.
Ralph nahm auf der Tischkante Platz, legte lässig den Fußknöchel auf
seinem Oberschenkel ab und lächelte in die Runde. »Schön, dass ihr
alle da seid. Ich werde euch in den nächsten Tagen durch das wilde
Montana begleiten.« Er grinste wie ein kleiner Junge, der es kaum
erwarten konnte. »Ich bin in Two Creeks aufgewachsen und kenne die
Gegend wie meine Westentasche. Wir werden über den Capricorn
Peak zum Bear’s Prey Lake wandern und vier Tage miteinander
verbringen. Damit wir alle wissen, mit wem wir es zu tun haben, stellt
euch doch bitte kurz vor und erzählt den anderen, was euch hergeführt
hat.« Ralph zwinkerte der jungen blonden Frau zu seiner Linken zu.
»Hi. Ich heiße Zoe. Ich bin Ralphs Freundin und begleite die Tour seit
letztem Jahr. Wenn es ums Feuermachen und das Errichten eines
Nachtlagers geht, kenne ich mich also mindestens so gut aus wie
Ralph.«
Der Cabrio-Fahrer gab ein amüsiertes Schnauben von sich. Als ihn
deswegen alle ansahen, räusperte er sich schnell. »Hi. Ich bin Dylan
Reid, Sportlehrer aus Iowa und Trainer der Davenport Silver Knights,
die letztes Jahr die Footballmeisterschaften in Iowa gewonnen haben.«
Den Sportlehrer kaufte Peter ihm sofort ab. Es fehlte eigentlich nur die
Trillerpfeife um seinen Hals. »Die Wanderung ist für mich ein kleiner
Entspannungsurlaub vor der neuen Trainingssaison. Und da es in Iowa
keine Berge gibt, bin ich eben nach Two Creeks gefahren.«
»Eher gerast«, murmelte Peter so leise, dass nur Bob und Justus ihn
verstehen konnten.
»Ich hoffe, das wird nicht bloß ein Sonntagsspaziergang.« Dylan
streifte den etwas pummeligen Justus mit einem leicht abfälligen
Seitenblick.
Neben Dylan saß ein Mann in den Dreißigern. Er war mittelblond, trug
eine unscheinbare Brille, einen unscheinbaren lichten Kinnbart und
war auch ansonsten ganz und gar unscheinbar. »Mein Name ist
Simon«, sagte er leise. »Ich komme aus Wyoming, arbeite in der
Buchhaltung und … ja. Das war’s.«
Alle waren irritiert davon, dass Simon nicht mehr preisgab.
»Ich bin die Angela«, sagte die Dame links von Simon schnell, als
wollte sie die Situation retten. »Angela Van Limbeek.« Die Frau
erinnerte Justus sofort an seine Tante Mathilda. Angela war etwa im
gleichen Alter, ein wenig beleibt und hatte etwas sehr Mütterliches, als
sie durch ihre orangefarbene Brille in die Runde blickte und allen ein
herzliches Lächeln schenkte. Ihr Haar war dunkelrot mit deutlichem
grauen Ansatz. »Ich freue mich riesig, euch alle kennenzulernen und
gemeinsam mit euch durch die unberührte Natur zu wandern. Nur der
Wind und das Wetter und die Vögel … Das wird bestimmt eine ganz
tolle Erfahrung.«
Nun war Peter an der Reihe. »Ich bin Peter aus Rocky Beach in
Kalifornien. Mein Opa hat mir die Wanderung geschenkt, aber er hat
sich verletzt. Da habe ich meine beiden besten Freunde
mitgenommen.«
»Bob«, sagte Bob. »Ich bin der eine von den beiden.«
»Und ich der andere«, sagte Justus. »Justus.« Er wollte noch ein paar
Worte sagen, doch er kam nicht mehr dazu, denn draußen näherte sich
ein Wagen.
»Das wird unser Nachzügler sein«, sagte Ralph mit einem Blick aus
dem Fenster. Schon hörte man eine Autotür schlagen und kurz darauf
Schritte im Flur. Die Tür zum Gemeinschaftsraum wurde geöffnet und
ein hagerer, blasser Mann lugte herein. Er war etwa Ende dreißig und
sah in seiner abgewetzten Lederjacke aus wie ein vergessener Rockstar.
Sein schwarzes Haar hatte er zu einer stacheligen Frisur hochgegelt.
An den leicht nikotingelben Fingern, die den Türrahmen umfassten,
prangten große silberne Ringe.
»Sorry, ich suche Ralph Sanders«, murmelte er undeutlich.
»Das bin ich. Du willst zu uns. Komm rein. Ich habe leider deinen
Namen vergessen.«
»Addington.«
»Setz dich doch, Addington.«
»Das ist mein Nachname«, sagte der Mann, Ungeduld in den Augen.
»Wir sind verabredet, Mr Sanders.«
»Ja. Zu unserem Kennenlerntreffen. Wir haben gerade erst
angefangen.«
»Nein, ich bin mit Ihnen verabredet. Allein.«
Ralph schien ehrlich überrascht. »Es geht um die Gruppenwanderung,
richtig?«
»Gruppenwanderung«, wiederholte Addington. »Ganz sicher nicht.
Sehe ich aus wie ein Pfadfinder? Ich habe Sie als Führer gebucht.«
Ralph schüttelte den Kopf. »Das tut mir leid, aber das muss ein
Missverständnis sein. Ich habe nicht mit Ihnen persönlich telefoniert,
stimmt’s? Sondern mit …«
»Mit meinem Assistenten George.« Mr Addington seufzte. »Könnte ich
Sie einen Augenblick unter vier Augen sprechen, Mr Sanders?«
»Aber klar. Zoe, machst du weiter?« Die beiden Männer traten auf den
Flur.
»Also schön, wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Zoe.
Justus räusperte sich. »Entschuldigung, wo ist denn hier die Toilette?«
»Den Gang runter, an der Rezeption vorbei und dann rechts.«
Justus nickte und erhob sich von seinem Stuhl. Bob und Peter warfen
ihm vielsagende Blicke zu. Die beiden kannten ihn gut genug, um zu
wissen, dass er nicht wirklich zur Toilette musste.
Ralph und Mr Addington standen ein paar Meter entfernt mitten im
engen Flur. Addington kniff die Augen zusammen, als er Justus sah,
doch dieser ließ sich nichts anmerken, murmelte eine Entschuldigung,
als er sich an den beiden vorbeischob, und suchte die Waschräume auf.
Dort ließ er die Tür nicht hinter sich zufallen, sondern stellte einen Fuß
dazwischen und spitzte die Ohren. Das Gespräch der beiden war gut zu
verstehen.
»Ich mache es kurz. Ich will keine Gruppenwanderung. Was ich
brauche, ist lediglich ein Führer, der mich zum Bear’s Prey Lake
bringt.«
»Das tut mir sehr leid, Mr Addington, aber in den nächsten vier Tagen
wandere ich mit dieser Gruppe zum See. Und gleich danach mit einer
weiteren. Ich könnte Ihnen übernächste Woche eine Privatführung
anbieten.«
»Das ist viel zu spät.«
»Dann tut es mir leid.«
Addington seufzte genervt. »Wie viel wollen Sie? Ich zahle das, was
Ihnen die Gruppentour einbringt, und lege noch was obendrauf.«
»Das geht nicht, Mr Addington. Ich kann diese Leute nicht einfach so
nach Hause schicken, das sehen Sie hoffentlich ein. Und würden Sie
bitte hier drinnen nicht rauchen?«
»Das Doppelte?«
Ralphs Stimme wurde kühler. »Unser Missverständnis tut mir wirklich
sehr leid. Sie können sich der Gruppe anschließen. Das ist das einzige
Angebot, das ich Ihnen machen kann.«
»Aber das ist … George hat das doch mit Ihnen geklärt!«
»Ein Missverständnis, wie gesagt.«
Addington gab auf. »Also schön. Es geht ja wohl nicht anders. Gibt es
im Ort ein Hotel?«
»Sie können hier übernachten, das tun die anderen auch. Ich hatte
sowieso ein Zimmer für Sie vorgesehen.«
»In dieser Bruchbude?«
»Dafür ist es im Preis inbegriffen. Betrachten Sie es als Teil des
Abenteuers.«
Mr Addington seufzte. »Ich hole meine Sachen.«
Die Eingangstür knarrte und schlug zu. Justus wartete, bis Ralph in den
Gemeinschaftsraum zurückgekehrt war, bevor er die Toilette verließ.
Durch die schmutzigen Flurfenster sah er Addington an seinem Wagen
stehen und telefonieren, während er mit hektischen Zügen rauchte.
Eines der Fenster war ein Stück weit hochgeschoben. Justus ging in die
Hocke, hielt sein Ohr so nahe wie möglich an den Spalt und lauschte.
»Ich weiß nicht, was da schiefgelaufen ist, George, aber wahrscheinlich
war dieser Sanders einfach nur zu blöd, zu verstehen, was du von ihm
wolltest, als du mit ihm telefoniert hast. Dämliche Hinterwäldler. Was?
Nein, wieso sollte ich abreisen? Den ganzen Weg umsonst, das wäre
jetzt echt bescheuert. Ich bin nun mal hier. Und diese Pfadfindertruppe
wird mich bestimmt nicht von meiner halben Million abhalten. Was
sagst du? Nein, ich weiß nicht, wer da mitlatscht, aber glaub mir: Die
werde ich schon los.«
Der tote Briefkasten
»Oh, hast du was verloren?«
Justus zuckte zusammen. Angela Van Limbeek war aus dem
Gemeinschaftsraum getreten und sah Justus auf dem Boden hocken.
»Ja, meinen Schlüssel«, behauptete der Erste Detektiv. »Hab ihn
schon!« Wie zum Beweis hielt er ihr seine gewölbte Hand hin. Angela
war zu weit entfernt, um zu sehen, dass gar nichts drin war. Justus
stemmte sich hoch und nickte Angela zu, die nun ihrerseits in den
Waschraum verschwand. Addington hatte sein Telefonat beendet und
kramte in seinem Wagen herum.
Als Justus in den Gemeinschaftsraum zurückkehrte, begann Ralph
damit, der Gruppe zu erzählen, worauf es in den nächsten Tagen
ankam.
»Ein paar Worte zum Gepäck. Was ihr braucht, sind Wandersocken,
Wanderschuhe, euren Rucksack, euer Zelt, warme, leichte Kleidung,
Campingbesteck und -geschirr und eine Zahnbürste. Was ihr nicht
braucht, ist alles andere. Wir werden tagelang in der Wildnis sein und
alles, was wir essen, mitnehmen müssen. Wasser können wir
unterwegs nachfüllen. Aber von den Beeren und Pilzen, die wir
zwischendurch sammeln, werden wir nicht satt. Lasst also bitte eure
Spiegelreflexkameras und eure tausendseitige Urlaubslektüre hier, die
Rucksäcke werden schwer werden. Die gute Nachricht ist: Das Gepäck
wird von Tag zu Tag leichter. Gibt es noch Fragen? Nein? Gut. Die
letzten Einzelheiten klären wir morgen früh.« Ralph stand auf. »Zoe
und ich zeigen euch jetzt eure Zimmer. Richtet euch in Ruhe ein und
packt schon mal eure Rucksäcke. Ihr könnt alles, was ihr morgen nicht
mitnehmt, im Green House lassen, hier klaut keiner was. In einer
Stunde gibt es ein letztes warmes Abendessen am Tisch, bevor wir ab
morgen am Lagerfeuer sitzen werden.«
Die Zimmer lagen alle im ersten Stockwerk und die Holztreppe, die
nach oben führte, krachte und knarrte unter dem abgewetzten
Sisalteppich bei jedem Schritt. »Vorsicht, der Läufer wirft Wellen, da
kann man leicht stolpern«, warnte Ralph.
Peter dachte an das wacklige Geländer draußen. »Schon die zweite
Todesfalle hier«, murmelte er.
Dylan, der Sportlehrer aus Iowa, schob sich neben Justus. »Was war
denn da draußen los?«, fragte er gut gelaunt.
»Wie bitte?«
»Du warst doch auf der Toilette. Hast du nicht mitbekommen, was
dieser abgehalfterte Rockstar von Ralph wollte?«
Mr Addington, der gerade wieder das Haus betreten hatte, war noch
am Fuß der Treppe und konnte sie daher nicht hören.
»Er hätte Ralph gern als Privatführer gehabt«, sagte Justus.
»Das war alles?«
Justus zuckte nur mit den Schultern. Im oberen Korridor trennten sich
ihre Wege. Jeder bekam seine eigene kleine Kammer. Nur den drei ???
wies Ralph ein einfach eingerichtetes Vierbettzimmer zu. An den
Wänden waren mit Heftzwecken vergilbte Fotografien befestigt. Es
roch leicht muffig. Sie losten aus, wer welches Bett bekam, und gingen
dann wieder hinunter, um das Gepäck aus dem Wagen zu holen.
»Und?«, fragte Bob, als sie am Kofferraum standen. »Was hast du
belauscht?«
»Belauscht? Ich?«
»Tu nicht so. Wir kennen dich, Erster.«
»Sagen wir so: Das Vortäuschen eines menschlichen Bedürfnisses war
der Situation durchaus angemessen. Ich konnte das eine oder andere
Geheimnis unseres Last-minute-Neuzugangs lüften.«
»Geheimnis lüften«, wiederholte Peter und wuchtete seinen Rucksack
aus dem Wagen. »Du klingst so, als hätten wir einen Fall in Arbeit,
Just. Was wir nicht haben, wenn ich dich daran erinnern darf. Wir
haben Urlaub. Ich habe euch dazu eingeladen. Ich bestehe darauf, dass
wir Urlaub haben.«
Der Erste Detektiv berichtete von dem belauschten Telefonat.
»Eine halbe Million?«, fragte Bob. »Eine halbe Million was? Sterne am
Himmel? Blätter an den Bäumen? Walderdbeeren?«
»Dollar?«, schlug Justus vor.
»Aber doch nicht im Wald«, warf Peter ein.
»Wer weiß, Zweiter«, sagte Justus nachdenklich. »Bill Greyfield, der
ehemalige Ranger von Two Creeks, ist der Meinung, dass es im Wald
nicht mit rechten Dingen zugeht.«
»In seinem Kopf geht es allerdings auch nicht mit rechten Dingen zu,
wenn du mich fragst.«
»Mag sein«, gab Justus zu. »Aber ein Teil seiner wirren Erzählung lässt
sich zum Glück leicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen.« Er zeigte
auf einen Schuppen, der am Rand des verwilderten Gartens hinterm
Haus stand. »Der Schuppen, von dem Mr Greyfield sprach. Da ist er.«
»Was hat er darüber gesagt?«, fragte Peter. »Ich habe bei dem Gezeter
nicht so genau hingehört.«
»Er sprach von einem Kerl, der aus dem Wald kam und dort
herumgekramt hat«, sagte Bob.
»Herumgemacht«, korrigierte Justus. »Was immer das heißt.«
»Und Mr Greyfield hat das ganz zufällig beobachtet?« Peter kratzte
sich zweifelnd die Nase. »Glaube ich nicht.«
»Wir können trotzdem kurz nachsehen«, schlug der dritte Detektiv
vor. Sie gingen zum Schuppen. Er war nicht abgeschlossen. Drinnen
war alles voller rostiger und spinnwebverhangener Gartengeräte.
»Keine Raviolidosen«, stellte Peter fest. »Und auch sonst nichts
Auffälliges. Dahinten müssen wir gar nicht herummachen, da war seit
Jahren niemand mehr. Es ist alles voller Staub.«
Sie schlossen die Tür und wollten schon ins Haus zurückkehren, da fiel
Bobs Blick auf ein Vogelhäuschen, das an der Außenseite des
Schuppens hing. Etwas Weißes lugte aus der Öffnung heraus. Bob
stellte sich auf die Zehenspitzen und fingerte einen
zusammengefalteten Zettel heraus. Es war ein liniertes, mit
Kugelschreiber beschriebenes Stück Papier, anscheinend aus einem
Notizbuch herausgerissen.
Thomas,
brauche dringend Medikamente gegen den Husten! Möglicherweise
Lungenentzündung. Und etwas, womit ich Bären vertreiben kann.
Dringend!
Ernie
»Bären?«, fragte Bob und zeigte seinen Freunden den Zettel. »Thomas?
Ernie? Was hat das zu bedeuten?«
»Zunächst bedeutet es, dass es in Bill Greyfields Kopf möglicherweise
mit rechteren Dingen zugeht, als man annehmen möchte. Dieses
Vogelhaus ist ein toter Briefkasten. Ein Versteck, das man zum
Austausch geheimer Botschaften verwendet. Vielleicht hat der Fremde,
den Mr Greyfield aus dem Wald kommen sah, es genutzt. Ernie oder
Thomas.«
»Heißt Mr Addington vielleicht Thomas?«, überlegte Peter.
»Wieso ausgerechnet Mr Addington?«, fragte Justus.
»Na ja, geheimnisvolles Verhalten und so. Geheimnisvolle Botschaften.
Zusammenhänge. Was weiß ich.«
»Das finden wir leicht heraus. Aber erst mal sollten wir den Zettel
zurücklegen, um niemanden aufzuschrecken.«
»Aufschrecken«, sagte Peter. »Das klingt schon wieder nach einem
neuen Fall.«
»Du sprachst doch gerade von Geheimnissen und Zusammenhängen«,
sagte Justus. »Keine Panik, Zweiter. Ich rate lediglich zu erhöhter
Aufmerksamkeit.«
»Immer, wenn du so etwas sagst, ist Gefahr im Anmarsch.« Peter
seufzte schicksalsergeben. »Gehen wir lieber zurück ins Haus und
packen unsere Sachen. Vielleicht verzieht sich der neue Fall, wenn wir
so tun, als hätten wir ihn nicht bemerkt.«
Bis zum Abendessen waren sie mit dem Umpacken fertig. Die Gruppe
traf sich erneut unten im Gemeinschaftsraum. Der Eintopf, dessen
würziger Duft schon die ganze Zeit in der Luft gehangen hatte, stand
dampfend auf dem Tisch.
»Greift ordentlich zu«, riet Zoe. »Ab morgen gibt es nur noch Reis und
Bohnen!«
Justus zuckte innerlich zusammen. »In der Beschreibung der
Wanderung hieß es, für die Verpflegung unterwegs sei gesorgt.«
»Ist es ja auch. Reis und Bohnen.« Zoes Lachen ließ offen, ob sie das
ernst meinte oder nicht.
Beim Essen erzählten Ralph und seine Freundin viel über die Gegend,
in der sie groß geworden waren, über die harten Winter in Montana,
die Einsamkeit in den Bergen und die Schwarzbären, die hin und
wieder den Wald verließen, um in den Mülltonnen von Two Creeks
nach Essbarem zu suchen.
Angela war besorgt. »Bären? Sind die nicht gefährlich?«
»Keine Sorge«, sagte Zoe. »Grundsätzlich sind Schwarzbären zwar
Allesfresser, doch sie mögen Beeren und Honig deutlich lieber als
Menschenfleisch.«
»Aber wir sind mitten im Wald.«
»Die Bären werden sich von uns fernhalten, solange wir uns an ein
paar Regeln halten. Die Tiere haben eine sehr feine Nase und lassen
sich leicht durch verführerische Düfte anlocken. Deshalb werden wir
alle Vorräte in luftdicht verschließbaren Kanistern verstauen. Es ist
wichtig, dass wir wirklich alles, was verzehrbar ist, sofort wieder
einpacken. Nicht nur wegen der Bären. Wir wollen schließlich auch
eine saubere Umwelt haben und nichts hinterlassen außer unseren
Fußabdrücken.«
»Keine Sorge, wir zertreten schon keine Gänseblümchen«, sagte Dylan
und lachte über seinen eigenen Witz – allerdings als Einziger.
»Aber was machen wir, wenn trotzdem ein Bär auftaucht?«, fragte
Angela.
»Auf jeden Fall nicht in Panik ausbrechen«, sagte Zoe. »Wenn man
wegläuft, könnte der Bär einen für Beute halten und die Verfolgung
aufnehmen.«
»Dann bekommt er halt eine Ladung Schrot verpasst«, meinte Dylan
gut gelaunt. »Sie nehmen ja sicher ein Gewehr mit.«
Zoe hob zu einer Antwort an, aber Dylan kam ihr zuvor: »Mich würde
die Meinung des Fachmanns interessieren.« Er wandte sich an Ralph.
»Der Fachmann ist der gleichen Meinung wie die Fachfrau«, stellte
Ralph klar und nickte Zoe zu.
»Kein Gewehr«, sagte Zoe. »Ein Abwehrspray. Es ist im Prinzip ein
starkes Pfefferspray. Das benutzen wir aber nur im Notfall. Bislang
kam es auf unseren Touren noch kein einziges Mal zum Einsatz.«
»Ich werde mich dann in der Nähe dieses Pfeffersprays aufhalten.«
Angela lachte unsicher, während Dylan durch ein Schnauben deutlich
machte, dass er ein Gewehr für die bessere Idee hielt. Simon wiederum
war blass geworden und starrte angestrengt auf seinen Teller, während
Mr Addington den Anschein erweckte, als würde ihn das alles
überhaupt nichts angehen und er säße nur zufällig hier.
»Solange wir den Bären nicht mit unserer Nahrung oder unserem
Abfall anlocken, sind wir auf der sicheren Seite, versprochen«, sagte
Zoe.
»Auf dem Weg hierher sind wir einem Einwohner von Two Creeks
begegnet, der sich darüber beschwerte, dass die Wandergruppen am
Capricorn Peak Müll herumliegen lassen«, sagte Justus so beiläufig wie
möglich.
»Ihr habt mit Bill Greyfield gesprochen«, vermutete Ralph. »Den dürft
er nicht so ernst nehmen. Er mag mich nicht und hält mich für einen
Wilderer. Er ist der Meinung, dass nur er als ehemaliger Ranger in den
Wald darf, und findet, dass Wanderer dort nichts zu suchen haben. Das
hat aber nichts zu bedeuten. Ich habe den Müll auch gesehen, mich
über ihn geärgert, ihn eingesammelt und mitgenommen. Von meinen
Wandergruppen war das niemand. Aber es sind ja auch andere
Menschen da oben unterwegs.«
Justus glaubte, ein leichtes Zucken im Gesicht von Mr Addington
wahrzunehmen, der gerade aufstand, um draußen eine Zigarette zu
rauchen.
Nach einer Portion Blaubeerpudding, die Angelas gute Laune schnell
wiederherstellte, kündigte Ralph an, dass sie am nächsten Morgen früh
aufbrechen würden. Die drei ??? halfen den beiden Wanderführern
noch beim Abräumen des Tisches, während der Rest der Gruppe sich
zerstreute. Peter trug das Geschirr in die Küche, Bob befüllte die
Spülmaschine und Justus stellte die Essensreste in den Kühlschrank.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer fiel der Blick des Ersten Detektivs auf
ein Blatt Papier, das auf dem alten Tresen im Eingangsbereich des
Green House lag. Es war Ralphs Teilnehmerliste. Angela Van Limbeek,
Simon Cobby, Peter Shaw, Bob Andrews, Justus Jonas, Dylan Reid und
Addington & Sons. Stirnrunzelnd stieg Justus die Treppe hinauf.
»Habt ihr Addington gerade gesehen?«, raunte Bob. »Er saß auf der
Veranda, rauchte im Dunkeln und hatte eine Flasche Wein in der Hand,
die schon halb leer war.«
»Was ja nicht verboten ist«, sagte Peter, während er im Gepäck nach
seiner Zahnbürste kramte. »Bitte keine Detektivdiskussionen jetzt. Ich
bin total müde. Und wir müssen morgen früh raus. Ich gehe gleich
schlafen.«
»Ich auch«, murmelte Justus, griff zum Handy und tippte einen Namen
in das Suchfeld.
»Addington & Sons«, las Peter mit einem Blick über die Schulter seines
Freundes. »Du kannst es nicht lassen, oder?«
»Ich weiß einfach gern, mit wem ich es zu tun habe«, verteidigte sich
Justus. »Ist doch komisch, dass Mr Addingtons Assistent für ihn die
Wanderung gebucht hat und es zu einem solchen Missverständnis kam.
Und dann dieses seltsame Telefonat mit der halben Million …«
»Mit wem haben wir es denn zu tun?«, fragte Bob.
»Mit John Addington, einem der Söhne von Addington & Sons. Die
Firma wurde vor hundert Jahren von Gerald Addington gegründet. Sie
stellen Werkzeug her. Der Firmensitz ist in Seattle.«
»John Addington, der Erbe eines Bohrmaschinenimperiums«, sagte
Peter. »Wie geheimnisvoll.«
»Es ist immerhin ein millionenschweres Unternehmen. Und was John
angeht … Augenblick …« Justus überflog einen kurzen Artikel aus
einem Wirtschaftsmagazin. »Seine Geschwister, mit denen er die Firma
geführt hatte, haben ihn vor drei Jahren aus dem Vorstand
geschmissen.« Der Erste Detektiv tippte eine neue Suche ein. »Über die
Gründe lässt sich nur mutmaßen, aber es gibt ein paar saftige
Schlagzeilen zu John Addington. Er wurde mal wegen Trunkenheit am
Steuer festgenommen. Und weil er in einem Hotelzimmer randaliert
hat. Außerdem wegen einer Prügelei auf offener Straße. Und wegen
Steuerhinterziehung. Immer wieder heißt es, er sei pleite.«
»Da ist aber einiges im Argen«, stellte Bob fest. »Kein Wunder, dass
seine Familie ihn nicht mehr an der Spitze des Unternehmens wollte.«
»Sie haben ihn ausgezahlt. Seitdem spielt er Bass in einer erfolglosen
Rockband und hat weiterhin ab und zu Ärger mit der Polizei.«
»Er ist also das schwarze Schaf«, fasste Peter zusammen. »Aber das ist
ja nicht verboten. Und es ist erst recht kein Fall für die drei Detektive.«
»Und was ist mit der halben Million?«, hielt Justus dagegen.
»Vielleicht hast du dich verhört und er träumte von seinen
Plattenverkäufen. Können wir jetzt schlafen gehen?«
Justus nickte und schaltete das Handy aus. Sie machten sich bettfertig.
Zehn Minuten später war das Licht gelöscht und Peter und Bob
schliefen fast augenblicklich ein. Justus lag wach. Er hatte auf der Fahrt
im Auto geschlafen und fühlte sich noch gar nicht müde. Eine halbe
Stunde lang lauschte er Peters und Bobs ruhigen Atemzügen. Auf dem
Flur herrschte noch einiges Geschlurfe zu den
Gemeinschaftswaschräumen und die Treppe rauf und runter. Doch
irgendwann wurde es ruhig im Green House, bis auf ein gelegentliches
Knacken im Gebälk.
Der Erste Detektiv dachte über John Addington nach. Vielleicht
würden die nächsten Tage Aufschluss darüber bringen, ob er den
Mann zu Recht mit einem Fragezeichen versehen hatte. Seine
Gedanken wanderten zu den Strapazen, die auf sie zukommen würden.
Tagelanges Rucksackschleppen, wahrscheinlich ständig bergauf … Er
hoffte, nicht wieder als Langsamster der Gruppe zu enden. Auch die
Aussicht auf Reis und Bohnen beunruhigte ihn. Würde er satt werden?
Oder sollte er sich vielleicht einen heimlichen Notvorrat anlegen? Wie
zur Antwort begann sein Magen zu knurren. Justus seufzte, schlug die
Decke zurück und verließ in Trainingshose und T-Shirt das Zimmer.
Die Treppe knarrte fürchterlich. Der Gemeinschaftsraum lag im
Dunkeln. Durch die Fenster fiel nur das schwache Licht der einzigen
Laterne, die vor dem Green House stand. Als Justus die Küche betrat,
drang sofort der leckere Eintopfgeruch in seine Nase. Davon war noch
etwas übrig und so einen Eintopf konnte man auch kalt essen. Im
weißen Licht der offenen Kühlschranktür löffelte der Erste Detektiv
den Topf aus.
Auf der Arbeitsfläche neben dem Kühlschrank stand bereits die
Verpflegung für die Wanderung bereit. Reis und Bohnen, wie Zoe
gesagt hatte. Dazu ein paar Packungen Nudeln, frisches Gemüse,
Gewürze und ein ganzer Karton voller Energieriegel, ein
kalorienreiches Nahrungskonzentrat für Sportler. Der Karton war
bereits angebrochen. Von den einst hundert Stück fehlten schon
etliche. Das war doch die perfekte Notration. Es würde nicht weiter
auffallen, wenn er jetzt ein oder zwei …
Plötzlich bemerkte Justus etwas aus dem Augenwinkel. Vor dem
Fenster, das nach hinten rausging, bewegte sich ein Schatten. Draußen
schien der Mond silbrig auf den verwilderten Garten. Eine Gestalt
schlich an der Rückseite des Hauses entlang Richtung Schuppen. Es
war zu dunkel, um mehr zu erkennen, und bald war die Gestalt aus
Justus’ Sichtfeld verschwunden. Gab es draußen im Gang vielleicht ein
Fenster, von dem aus er die Person weiter beobachten konnte? Nur
nicht die Energieriegel vergessen! Justus fasste in den Karton. In dieser
Sekunde heulte ein Alarm los.
Der Sturz
Justus erstarrte wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht. Es dauerte
zwei, drei Sekunden, bis er seinen Irrtum begriff. Der durchdringende
Hupton hatte nichts mit seinem Griff in den Energieriegelkarton zu
tun. Draußen war ein Autoalarm angesprungen. Das Licht eines
blinkenden Scheinwerfers fiel in die Küche.
Der Erste Detektiv eilte ans Fenster. Es war ein schlammbespritzter
schwarzer Pick-up, dessen Scheinwerfer rhythmisch aufleuchteten. Das
Hupen hallte durch die Nacht. Im oberen Stockwerk des Green House
wurde eine Tür aufgerissen. Jemand eilte die Treppe hinunter. Dann
ein Schrei und ein Poltern. Justus vergaß die Energieriegel und hastete
in den Flur. Am Fußende der Treppe lag eine Gestalt und krümmte sich
vor Schmerz.
»Ralph!« Justus lief zu dem jungen Mann, der sich mit
zusammengebissenen Zähnen das Schienbein hielt. Blut rann ihm über
die Stirn. »Du bist verletzt. Bleib ganz ruhig liegen.«
Zoe erschien am oberen Ende der Treppe. Sie sog erschrocken die Luft
ein, schaltete das Licht an und kam die Stufen heruntergerannt.
»Pass auf, Zoe!«, stöhnte Ralph. »Ich bin über irgendetwas gestolpert.«
Zoe reduzierte ihr Tempo, entdeckte aber keine Stolperfalle.
»Du hast eine kleine Platzwunde am Kopf, aber das sieht schlimmer
aus, als es ist«, meinte Justus. »Da reicht ein Pflaster, würde ich
sagen.«
»Mein Bein …«
»Lass mal sehen.« Zoe hockte sich neben Justus. Vorsichtig schob sie
Ralphs rechtes Hosenbein hoch. Was darunter zum Vorschein kam,
jagte Justus eine Welle des eingebildeten Schmerzes durch den Körper.
Großflächig abgeschürfte Haut, Blut … Er wandte den Kopf ab.
»Verdammt«, murmelte Zoe. »Da sollte unbedingt der Doc einen Blick
drauf werfen. Justus, an der Rezeption steht ein Telefon. Darüber hängt
eine kleine Liste mit Notfallnummern. Kannst du bitte Doktor Williams
anrufen und ihm sagen, was passiert ist? Er wohnt hier in Two
Creeks.«
Justus nickte und lief zur Rezeption. Inzwischen waren durch den
anhaltenden Alarmton auch die anderen Bewohner des Green House
wach geworden. Angela, Dylan und Simon standen an der Brüstung
des oberen Flurs und schauten erschrocken hinab. Nur John Addington
fehlte. Bob und Peter kamen Zoe zu Hilfe. Gemeinsam hievten sie
Ralph in eine bequemere Position.
Peter entdeckte den Autoschlüssel, den Ralph bei seinem Sturz fallen
gelassen hatte. »Ich kümmere mich um den Alarm.« Er nahm den
Schlüssel, ging nach draußen und schaltete die Alarmanlage aus. Die
plötzliche Stille war unwirklich. Einen Moment lang sah Peter sich um.
Die Nacht war neblig. Die Laterne ließ die Luft leuchten. Die hohe
Tanne warf ihren tiefschwarzen Schatten auf den alten Basketball
neben dem Sperrmüllhaufen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ging
Peter zur Hausecke und schaute zum Gartenschuppen. Er lag verlassen
da.
»Und?«, fragte Bob hinter ihm.
Peter zuckte zusammen, denn er hatte ihn nicht kommen hören.
»Niemand zu sehen. Wer den Alarm ausgelöst hat, ist längst über alle
Berge.«
»Jetzt klingst du, als hätten wir einen Fall«, meinte Bob. »Es kann auch
eine Katze gewesen sein oder ein Marder oder eine Fehlfunktion.«
»Da siehst du, wie weit es mit mir gekommen ist.« Peter ging zum
Schuppen und langte in das Vogelhäuschen.
»Und?«
»Der Zettel ist verschwunden.«
Justus hatte Doktor Williams erreicht und ihm die Situation
geschildert. Fünf Minuten später war der Arzt da und untersuchte
Ralphs Bein.
»Die gute Nachricht: Gebrochen ist nichts«, sagte Doktor Williams in
ruhigem Ton und nahm seine Brille ab. »Aber an der Prellung wirst du
noch deinen Spaß haben, Ralph. Am besten legst du dein Bein hoch
und belastest es ein paar Tage lang nicht.«
»Das geht nicht. Ich habe morgen eine Tour zum Bear’s Prey Lake«,
protestierte Ralph, während er sich unter Schmerzen von Zoe
hochhelfen ließ.
Doktor Williams lachte. »Das kannst du vergessen.«
»Aber –« Ralph verlagerte sein Gewicht auf das verletzte Bein und
zuckte sofort vor Schmerz zusammen. Betroffen ließ er den Kopf
hängen. »Okay. Ich kann es vergessen.«
Der Arzt klebte ihm noch ein Pflaster auf die kleine Wunde an der
Stirn, dann klopfte er Ralph aufmunternd auf die Schulter. »Keine
Sorge, in ein paar Tagen bist du wieder wie neu. Und dann sorgst du
dafür, dass dieser Teppich auf der Treppe rausfliegt. Sonst bricht sich
als Nächstes noch jemand den Hals.« Doktor Williams verabschiedete
sich und verließ das Green House.
»Das war es dann wohl«, sagte Dylan vom oberen Ende der Treppe.
»Ich nehme an, die Wanderung fällt aus.«
Alle blickten erwartungsvoll zu Ralph.
»Müssen wir jetzt etwa wieder nach Hause fahren?«, fragte Angela.
Ralph seufzte. »Ich fürchte –«
»Natürlich nicht«, fiel Zoe ihm ins Wort. »Ich werde die Tour
übernehmen.«
»Wie bitte?« Dylan hob die Augenbrauen.
»Wieso denn nicht? Schau nicht so ungläubig, Ralph. Ich habe dich oft
genug begleitet. Ich kenne den Weg, ich weiß, wie man Feuer macht,
ich weiß, wo Pilze und Beeren wachsen.«
»Die Brücke über den Bergbach ist eingestürzt«, sagte Ralph. »Ihr
müsst die neue Route nehmen.« Er klang besorgt.
»Auch das weiß ich. Wir haben die Route gemeinsam erarbeitet.« Zoe
schaute nach oben zu Dylan, Simon und Angela. »Keine Sorge, die
Tour wird stattfinden.«
»Großartig.« Dylan schnaufte und ließ damit alle wissen, dass er es gar
nicht großartig fand. Er drehte sich um und ging in sein Zimmer
zurück.
»Also dann.« Zoe ließ sich nicht von Dylans Gebaren verunsichern.
»Marsch zurück in die Betten! Es wird ein anstrengender Tag
morgen.«
Auch Angela und Simon kehrten in ihre Zimmer zurück.
»Könntet ihr Ralph die Treppe hinaufhelfen?«, bat Zoe die drei ???.
»Das kriegen wir hin«, sagte Peter und nickte Justus zu. Sie reichten
einander über Kreuz die Hände und formten damit einen Sitz für
Ralph. Dieser hielt sich an ihren Schultern fest und die beiden trugen
den jungen Mann die Treppe hinauf.
»Danke euch, Jungs.«
»Kein Problem«, winkte Peter ab. »Gute Nacht und gute Besserung!«
Sie verabschiedeten sich an Ralphs und Zoes Zimmertür. Nachdem
diese sich geschlossen hatte, wollten Peter und Bob in ihr eigenes
Zimmer zurückkehren. Doch Justus hielt die beiden fest und legte den
Finger an die Lippen.
»Was ist los?«, flüsterte Bob.
»Ich will sehen, worüber Ralph gestolpert ist. Aber möglichst, ohne
dass es alle mitbekommen.«
»Worüber soll er schon gestolpert sein?«, raunte Peter. »Den Teppich
natürlich. Sieh ihn dir doch mal an.«
»Das hatte ich ja gerade vor.«
Justus ging in die Hocke. Der Läufer aus Sisal war total zerschlissen.
An mehreren Stellen baumelten dicke lose Fasern von den Kanten der
Stufen herab. »Mich wundert, dass es ausgerechnet Ralph war, der
gestolpert ist. Er kennt das Green House schließlich gut und hat uns
sogar noch vor dem Teppich gewarnt.«
»Na ja, er war halt unvorsichtig wegen des Alarms«, vermutete Peter.
Der Erste Detektiv hob einen besonders langen und durchhängenden
Sisalfaden auf der dritten Treppenstufe hoch. An der linken Seite war
er noch mit dem Teppich verbunden, rechts bereits herausgerissen.
Doch als Justus genauer hinsah, entdeckte er eine einzelne Faser, dünn
und stabil wie ein Zwirn, die aus dem abgerissenen Ende herausführte.
Justus untersuchte an dieser Stelle die Streben des Treppengeländers.
»Seht euch das an! Dieser Faden war an das Geländer geknotet und ist
durchgerissen, als Ralph darüber stolperte. Die andere Hälfte hängt
noch hier.« Als Justus die beiden losen Enden versuchsweise
zusammenführte, spannte sich der durchhängende Faden, und die
Sisalfaser wurde auf diese Weise zur gefährlichen Stolperfalle.
Bob hob staunend die Augenbrauen. »Jemand hat Ralph eine Falle
gestellt! Deswegen auch der Autoalarm.«
»Du meinst, es war jemand aus dem Haus?«, fragte Peter ein wenig zu
laut.
Justus legte den Finger an die Lippen und bedeutete seinen Freunden,
den Rückzug anzutreten.
Als sie die Zimmertür hinter sich geschlossen hatten, fuhr Peter fort:
»Aber dann hätte der Täter erst die Stolperfalle legen, dann
hinausgehen und den Autoalarm auslösen und innerhalb von drei
Sekunden wieder ins Haus und die Treppe hinauflaufen müssen. Es
waren schließlich alle in ihren Zimmern.«
»Alle?«, fragte Justus.
»Wir haben Mr Addington nicht gesehen«, stellte Bob fest. »Ist es etwa
möglich, dass er das ganze Durcheinander verschlafen hat?«
Peter schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es ist möglich, dass es ihm egal
war.«
»Oder dass er gar nicht auf seinem Zimmer war.« Justus berichtete von
der dunklen Gestalt, die er im verwilderten Garten beobachtet hatte.
»Meinst du, dass könnte John Addington gewesen sein?«, fragte Peter.
»Möglich. Es war sehr dunkel. Schwer zu sagen.«
»Die Eingangstür zum Green House war nicht abgeschlossen, als ich
rausgegangen bin«, erinnerte sich Peter. »Es könnte also auch eine
fremde Person gewesen sein. Der Täter kam rein, richtete die
Stolperfalle ein, ging wieder raus und löste den Alarm aus. Das ergibt
auf jeden Fall Sinn. Vielleicht war es der verrückte Ranger. Dieser Bill
Greyfield. Er will verhindern, dass wir morgen Raviolidosen in den
Wald schmeißen.«
»Möglich. Aber uns fehlen die Indizien.«
»Und die Raviolidosen.« Der Zweite Detektiv lachte über seinen
eigenen Witz.
Justus wandte sich zurück zur Tür.
»Wo willst du denn jetzt wieder hin?«
»Mich nur kurz nach Indizien umsehen«, antwortete Justus und verließ
ohne weitere Erklärung den Raum. Er schlich zu John Addingtons
Zimmer und lauschte mit angehaltenem Atem. Durch die Tür drang ein
gleichmäßiges Schnarchen.
Der Erste Detektiv wollte schon umkehren, als er ein weiteres
Geräusch vernahm: das Knurren seines Magens. Stimmt, da war ja
noch etwas gewesen. Er ging hinunter in die Küche, steckte sich vier
Energieriegel in die Taschen seiner Trainingshose und nahm nach
kurzem Zögern noch einen fünften. Jetzt vielleicht noch einen kleinen
Nachtisch? Da war doch noch etwas Blaubeerpudding im Becher
gewesen. Er öffnete die Kühlschranktür. Der Becher mit dem Pudding
war nicht mehr da.
Detektiv Greyfield
»Uff!« Justus keuchte unwillkürlich, als er den Rucksack schulterte.
Der war schwerer als erwartet. »Worauf habe ich mich bloß
eingelassen?«
»Ach, ein junger Mann wie du!« Dylan Reid klopfte dem Ersten
Detektiv lachend auf die Schulter und sah dann prüfend an ihm
herunter. »Du schleppst doch sonst auch nicht gerade wenig mit dir
rum.«
Justus war eine Sekunde lang sprachlos, und das geschah nicht oft. Als
ihm eine Erwiderung einfiel, hatte Dylan sich schon abgewandt.
Zoe, die Dylans Bemerkung mitbekommen hatte, schüttelte den Kopf.
»Dieser Kerl ist wirklich feinfühlig wie ein –«
»Sportlehrer«, sagte Justus.
»Mach dir nichts draus.«
»Das tue ich nicht.«
Es war früher Morgen. Die ganze Gruppe stand auf der Veranda. Die
Vorräte waren bereits in geruchsdichten Kunststoffbehältern, die
aussahen wie kleine Fässer, auf alle Teilnehmer verteilt worden. Jeder
hatte einen dieser Container bekommen. Allerletzte Vorbereitungen
wurden getroffen, die Schulter- und Hüftgurte verstellt, bis nichts mehr
drückte, die Wasserflaschen aufgefüllt und die Schnürsenkel fester
gebunden.
»Ich bin dafür, dass wir die Hälfte der Vorräte schon am ersten Tag
essen«, sagte Angela und stöhnte unter der Last ihres Rucksacks.
Ralph war zu ihnen gehumpelt und sprach allen sein Bedauern aus,
nicht dabei sein zu können. Doch sein Schienbein war inzwischen stark
geschwollen und niemand bezweifelte, dass er unbedingt zu Hause
bleiben sollte.
»Sind alle so weit?«, rief Zoe schließlich in die Runde.
»Mr Addington fehlt noch«, bemerkte Angela, während sie die Länge
ihrer Wanderstäbe einstellte. »Er fehlte schon beim Frühstück.«
»Ich habe ihn gerade im Waschraum getroffen«, sagte Ralph. »Er hat
verschlafen und kommt gleich nach. Ihr sollt schon mal vorgehen.«
»Dann los!«
Mit einem letzten Winken in Ralphs Richtung setzte sich die Gruppe in
Bewegung.
Der Wanderweg begann gleich beim Haus und war zunächst ein
bergauf führender Forstweg. Über eine Holzbrücke überquerten sie
einen der beiden Bäche, die Two Creeks seinen Namen gegeben hatten.
Dahinter führte der Weg an einigen am Hang gelegenen Gärten vorbei.
»Seht mal!« Peter zeigte auf ein verwildertes Stück Land, das ebenfalls
einmal ein Garten gewesen war, bevor jemand aufgehört hatte, sich
darum zu kümmern. Auf einer weißen Bank unter einer Weide saß Bill
Greyfield, die Hände auf seinen Gehstock gestützt, und schaute finster
zu ihnen herüber.
»Der sieht nicht sehr glücklich aus«, sagte Bob.
»Meinst du, er ist sauer, weil er die Wandertour letzte Nacht vereiteln
wollte und es nicht geklappt hat?«
»Dafür fehlen uns immer noch die Indizien«, sagte Justus.
»Wisst ihr was, ich werde mal mit ihm reden«, meinte Bob.
»Was hast du vor?«, wollte der Erste Detektiv wissen. »Sollten wir
nicht zu dritt …?«
»Dann fühlt er sich nur in die Ecke gedrängt. Mich hat er gestern auf
dem Rücksitz kaum wahrgenommen. Nun geht schon!«
Widerstrebend setzten Justus und Peter ihren Weg fort, während Bob
an die Hecke trat, die Mr Greyfields Garten vom Forstweg trennte.
»Verzeihung, Sir?«
»Was willst du?«, schnauzte Greyfield ihn an.
»Nur kurz mit Ihnen reden.«
»Worüber? Du bist doch einer von den drei Jungs, die gestern den Weg
zum Green House nicht gefunden haben.«
Bob nickte. »Mir geht nicht mehr aus dem Kopf, was Sie zu uns gesagt
haben. Dass da oben Müll herumliegt und so. Ich bin nämlich Mitglied
einer Schüler-Umweltschutz-Organisation, wissen Sie, und ich setze
mich für den Wald ein. Ich könnte für Sie die Augen offen halten,
wenn Sie wollen.«
Bill Greyfield brummte etwas Unverständliches. Er schien sich zu
fragen, ob er Bob trauen konnte oder nicht. Schließlich stemmte er sich
von seiner Bank hoch und humpelte näher. »Wenn du den Wald
wirklich schützen willst, betrittst du ihn am besten gar nicht. Der
kommt nämlich sehr gut ohne dich zurecht, der Wald.«
»Sie haben ihn doch auch betreten«, erinnerte Bob ihn.
»Nun werd mal nicht frech! Ich war Ranger, das war mein Beruf.«
»Ich meine, letzte Woche. Als Sie sich Ihren Fuß verstaucht haben.«
»Da habe ich versucht, einen Wilderer zu stellen.«
»Glauben Sie wirklich, Ralph Sanders ist ein Wilderer?«
»Ich weiß nicht, was er ist. Aber irgendwas treibt er da im Wald. Er
und sein Kumpan. Löcher graben zum Beispiel.« Anklagend deutete er
auf seinen Stützschuh. »Aber ich brauche natürlich einen Beweis,
wenn ich ihn überführen will.«
»Wenn er ein Wilderer ist, muss er die toten Tiere ja irgendwo
unterbringen. Haben Sie sich schon mal bei ihm umgesehen?«, fragte
Bob so unschuldig wie möglich.
»Das habe ich in der Tat, du Schlauberger. In dem Schuppen, wo ich
diesen Kerl gesehen habe, gucke ich regelmäßig nach. Gestern Abend
erst. Aber Sanders ist nicht blöd. Im Schuppen ist nichts, nur
Raviolidosen und Toastbrot. Und auch nur manchmal, nicht immer.
Dieses ekelhafte Zeug ist für die Wanderungen, habe ich recht? Wie
kann man das nur essen.« Er schüttelte den Kopf.
Bob ließ Mr Greyfield in seinem Irrglauben. Er wollte auf etwas
anderes hinaus. »Gestern Abend gab es doch plötzlich diesen Alarm.«
»Ja, von Ralphs spritfressender Karre. Ich hätte fast einen Herzinfarkt
bekommen.«
»Das heißt, Sie waren da gerade im Garten?«
»Was soll das werden, ein Verhör? Sanders ist der Verbrecher! Wo ist
der überhaupt? Ich habe eben nur Zoe gesehen.«
»Er ist verhindert. Zoe führt die Gruppe an.«
»Ach, ist ja interessant.« Plötzlich schaute Greyfield an Bob vorbei
Richtung Green House. Von dort kam gerade Mr Addington näher. Er
trug eine schwarze Jeans, Bikerstiefel und einen Armeerucksack. In
einer Hand hielt er eine Zigarette, in der anderen sein Handy, auf
dessen Display er starrte.
»Wenn ich diese Leute schon sehe.« Bill Greyfield schüttelte den Kopf.
»Entweder sie tragen sündhaft teure Outdoor-Klamotten, nagelneu
natürlich – einmal und nie wieder –, oder sie latschen in verdammten
Cowboystiefeln durch den Wald, rauchen dabei und schmeißen ihre
Kippen durch die Gegend. Aber Hauptsache, das Handy ist dabei.«
Addington nahm Bob kaum wahr, als er an ihm vorbeiging, da er mit
seinem Telefon beschäftigt war. »Ah, George, endlich gehst du ran.
Dachte schon, ich erwische dich nicht mehr.« Dann war er außer
Hörweite.
»Ich glaube, ich muss los, Mr Greyfield«, sagte Bob. »Sonst verliere ich
noch den Anschluss.«
»Ja, ja«, brummte Greyfield. »Beeil dich besser. Bei euch Leuten aus
der Stadt besteht immer die Gefahr, dass ihr euch einmal umdreht und
nicht mehr wisst, wo ihr seid. Aber ich warne dich: Bald kann ich
wieder laufen. Und wehe, ich finde wieder Raviolidosen auf dem
Capricorn Peak. Dann mache ich dich dafür verantwortlich. Dich ganz
allein!«
Bob ließ Greyfield stehen und folgte Addington so leise wie möglich,
indem er auf der Grasnarbe in der Mitte des Forstwegs lief. Er hoffte,
etwas von dem Telefonat mitzubekommen, ohne dass Addington ihn
gleich bemerkte. Als er in Hörweite war, holte er sein Handy aus der
Tasche, steckte sich zur Tarnung seine Kopfhörer in die Ohren und
startete eine Aufnahme.
»… und ich weiß, dass das alles nicht nach Plan verläuft, aber es ist
jetzt auch kein Drama. Ich muss den Kolibri finden, der Rest ist mir
egal, und daran hindert mich auch diese dämliche Wandergruppe
nicht! Was? Ich sagte, daran hindert mich auch die Wandergruppe
nicht. Ja, die Verbindung ist schlecht. Sie wird noch schlechter werden,
sobald ich im Wald bin. Wahrscheinlich ist der Empfang gleich weg.
Wundere dich also nicht. In ein paar Tagen bin ich zurück. Ja, George,
ich weiß, dass das riskant ist. Aber es ist ja nicht so, dass die Polizei
jeden Tag vor meiner Tür steht. Nach der Sache am Hafen von
Bellingham waren sie nur zwei Mal bei mir. Das Risiko gehe ich ein.
Notfalls zahle ich eben eine Strafe. Wenn ich das Gold erst mal
gefunden habe, ist mir das egal. Ich sagte, das ist mir egahal! George?
Hörst du mich noch? George? Verdammt. He, Moment mal. Sag mal,
gehst du schon die ganze Zeit hinter mir her? Hast du mich etwa
belauscht?«
Aufwärts
Addington hatte sein Telefon weggesteckt und dabei bemerkt, dass Bob
nur wenige Meter hinter ihm gewesen war.
Der dritte Detektiv blickte von seinem Handydisplay auf, sah
Addington fragend an und zog die Kopfhörer aus den Ohren. »Sorry,
haben Sie was gesagt?«
Der Mann winkte ab. »Schon gut.«
Bob nickte, steckte sich die Stöpsel wieder in die Ohren und tat so, als
würde er Musik hören.
Der Weg mündete bald in einen grasbewachsenen Wendeplatz für
Forstfahrzeuge. Dort holten sie die anderen wieder ein und der
Wanderweg führte in den Wald hinein, der sie mit kühler, feuchter
Luft empfing. Hier und da schwebte noch der Morgendunst über dem
Boden.
Es bildeten sich kleine Grüppchen. Vorneweg ging Zoe und unterhielt
sich mit Angela Van Limbeek. Dahinter kam Dylan Reid, der versuchte,
dem Schweigsamen Simon, wie Peter ihn getauft hatte, ein Gespräch
abzuringen. Simon antwortete so einsilbig, dass Dylan es schließlich
aufgab und ebenfalls schweigend neben ihm entlangwanderte. Als
Nächstes kam John Addington, der allein ging. Die drei ??? bildeten mit
einigem Abstand das Schlusslicht, um ungestört miteinander reden zu
können.
Bob erzählte seinen Freunden von seinem Gespräch mit Mr Greyfield.
»Ich glaube nicht, dass er etwas mit der Stolperfalle zu tun hat. Dafür
hat er viel zu bereitwillig von seinem nächtlichen Besuch im Garten
berichtet. Außerdem war er ehrlich überrascht, dass Ralph die Tour
nicht leitet. Ich denke, wir können ihn von der Liste der Verdächtigen
streichen.«
»Zumindest einklammern«, sagte Justus.
»Viel wichtiger ist, dass ich Addington belauschen konnte, als er
telefoniert hat. Hört euch das an!« Bob reichte Peter und Justus je
einen Ohrstöpsel und spielte die Aufnahme ab.
»Sehr gute Detektivarbeit, Bob«, lobte Justus, nachdem sie alles gehört
hatten.
»Kolibri?«, fragte Peter. »Gold? Was soll das bedeuten? Gibt es in
dieser Gegend vielleicht seltene Kolibris? So selten, dass sie eine halbe
Million Dollar wert sind?«
»Goldene Kolibris?«, schlug Bob vor.
»Abwegig«, meinte Justus. »Aber es klingt so, als wäre Addington bei
einem Vorfall in Bellingham in einen Konflikt mit der Polizei geraten.
Über ein solches Geschehnis lässt sich doch bestimmt etwas
herausfinden.« Er nickte Bob zu, der sogleich sein Handy einschaltete
und die Suchbegriffe Hafen, Bellingham, Kolibri, Polizei, Gold und
Addington eingab.
»Bellingham … wo liegt das überhaupt?«, fragte Peter.
»Nördlich von Seattle«, wusste Justus. »Es ist ein kleines Städtchen.«
Bob bekam keinen einzigen Treffer angezeigt, was jedoch nicht an den
Suchbegriffen lag. »Verflixt, kein Netz mehr.« Er steckte das Handy
wieder ein.
»Dann sind wir ab jetzt auf unsere Beobachtungsgabe angewiesen«,
stellte der Erste Detektiv klar. »Behalten wir Mr Addington im Auge.«
Peter seufzte. »Also doch ein Fall.«
»Wir würden sogar auf dem Mond über einen Fall stolpern«, war Bob
überzeugt. »Wir sind nun mal die drei Detektive.«
Schweigend gingen sie weiter, durch einen dichten Mischwald, der
dunkler und dunkler zu werden schien, je weiter sie sich von der
Zivilisation entfernten. Der Weg führte durchs moosige Grün wie in
eine andere Welt. Zwischen Felsen voller bunter Flechten gluckerten
hier und da kleine Wasserläufe. Über ihren Köpfen klopfte ein Specht.
Als die Sonne herauskam, schillerte das dichte Blätterdach, als wäre es
lebendig.
Der Pfad wurde so schmal, dass die drei nicht mehr nebeneinander
gehen konnten, und war von dickem Wurzelwerk überzogen. Sie
mussten aufpassen, wohin sie traten. Gleichzeitig ging es immer steiler
hinauf.
»Und?«, erkundigte sich Peter beim Ersten Detektiv, der vor ihm
keuchend einen Schritt vor den anderen setzte.
»Die Reize der Natur … werden die nicht unerheblichen
Anstrengungen … hoffentlich aufwiegen und … vergessen machen«,
brachte Justus hervor. »Wahlweise die Reize … einer neuen
detektivischen … Ermittlung.« Er quälte sich. Jeder Schritt brannte in
den Oberschenkeln. Die Hüftgurte seines Rucksacks schnitten tief in
die Seiten. Sein Schnaufen erschien ihm lauter als das einer Dampflok.
Bob und Peter überholten ihn. Justus hielt den Blick gesenkt und
studierte seine eigens mitgebrachte Wanderkarte, um sich abzulenken.
Als er schließlich doch den Kopf hob, um zu sehen, ob schon das Ende
des Aufstiegs in Sicht war, stellte er erleichtert fest, dass der Weg für
alle anstrengend war, sogar für Dylan und Peter. Lediglich Zoe schien
das alles nichts auszumachen. Sie machte die Wanderung schließlich
regelmäßig.
Endlose eineinhalb Stunden lang ging es ununterbrochen bergauf.
Nach und nach verschwanden die anderen aus Justus’ Blickfeld. Nur
Angela, die Zweitletzte, sah er immer mal wieder zwischen den
Bäumen. Als der Erste Detektiv endlich den Bergkamm erreichte,
hatten alle anderen bereits ihre Rucksäcke abgesetzt und sich erschöpft
auf den Moosflächen niedergelassen, die hier auf einer kleinen
Lichtung wuchsen.
»Na, da bist du ja«, sagte Peter ohne jeden Spott in seiner Stimme.
Justus warf den Rucksack von sich. Sein Rücken war schweißnass, sein
Kopf glühte wie bei Fieber. Aber das Moosbett, auf das er sich fallen
ließ, war herrlich weich. Einen Moment lang lag er einfach nur da,
lauschte dem Wind in den Bäumen und dem leisen Gemurmel seiner
Mitwanderer und nahm wahr, wie sein Atem sich langsam beruhigte.
Dann trank er seine Wasserflasche halb leer und machte sich über
eines der Sandwichbrote her, die sie am Morgen vorbereitet hatten. Der
Wald war lichter geworden und die hohen Bäume gaben den Blick frei
auf steil abfallende Hänge und hohe Berge in der Ferne. Nahe den
Gipfeln leuchteten Schneefelder in der Sonne.
»Wenn ihr mit dem Essen fertig seid, verstaut bitte allen Müll und alle
Reste in eurem bärensicheren Container«, erinnerte Zoe sie.
Sofort packte Angela ihr restliches Sandwich ein und schloss den
Deckel. »Und wenn trotzdem ein Bär auftaucht?«, fragte sie
beunruhigt. »Ich weiß nicht, was dann zu tun ist.«
»Na, dann zeigt man ihm, wer das Sagen hat«, mischte Dylan sich ein.
»Dann merkt der Bär schon, dass er es mit einem Alphatier zu tun hat,
und verdrückt sich.«
Zoe räusperte sich. »Nun ja, Bären sind keine Wölfe. Sie sind
Einzelgänger. Da gibt es keine Alphatiere.«
»Trotzdem wird ein Bär ein Alphatier erkennen«, verteidigte Dylan
seine Idee. »Einen Wolf – oder einen Menschen. Und er wird Reißaus
nehmen, wenn ihm klar wird, dass sein Gegenüber ihm überlegen ist.«
»Kein Mensch ist einem Bären überlegen, Dylan«, sagte Zoe kühl.
»Trotzdem ist es nicht ganz falsch, was Sie sagen. Bären gehen
Begegnungen mit Menschen normalerweise aus dem Weg. Meistens
sind Zusammenstöße eher ein Versehen. Im Grunde gibt es nur zwei
Situationen, in denen ein Bär unangenehm werden kann: Wenn er
seine Jungen schützen will oder wenn er hungrig ist und etwas zu
fressen vermutet. Deshalb sollten wir uns – bei aller Liebe zur Ruhe in
der Natur – nicht zu leise verhalten. Damit zeigen wir einem Bären an,
dass wir da sind, und meistens wird er dann gar nicht erst näher
kommen.«
Angela schien nicht überzeugt. »Aber wenn doch …?«
»Dann verhält man sich am besten ruhig und besonnen. Je weniger
Unsicherheit man sich anmerken lässt, desto besser.«
»Genau wie ich gesagt habe«, fügte Dylan selbstzufrieden hinzu.
»Zeigt dem Vieh, wo der Hammer hängt.« Er lachte, aber niemand
lachte mit ihm.
Simon hatte die ganze Zeit schweigend sein Mittagessen verzehrt und
dabei auf den Boden geblickt, während Addington abseits saß und
rauchte. Seine Beine wippten unruhig in einem Takt, den nur er hörte.
Er starrte auf eine Wanderkarte, die er einer blauen Mappe aus seinem
Rucksack entnommen hatte, und verhielt sich, als gehörte er gar nicht
zur Gruppe. Umso überraschender war es, als er plötzlich etwas sagte.
»Wann erreichen wir denn den See?«
»Wir haben noch ein paar Stunden Wanderung vor uns, bevor wir bei
unserem ersten Nachtlager ankommen. Zum See schaffen wir es erst
übermorgen.«
»Übermorgen?« Addington schüttelte den Kopf und zeigte auf seine
Karte. »Es sind doch nur noch wenige Meilen.«
»Das stimmt. Aber wir nehmen nicht den direkten Weg. Ich zeig’s
Ihnen.« Sie beugte sich über die Karte. »Dies ist unsere Route. Den
Capricorn Peak rauf und wieder runter und dann zum See.«
»Aber das ist ein Riesenumweg. Warum gehen wir nicht einfach an
diesem Fluss entlang? Dem …« Er schaute auf seine Karte. »Nitsi…
imihh…«
»Nitsíímiihkaa«, korrigierte Zoe. »Erstens ist der direkte Weg zurzeit
unpassierbar, weil eine Brücke über einen Gebirgsbach eingestürzt ist.
Aber es geht ja ohnehin nicht darum, so schnell wie möglich den See
zu erreichen, sondern dabei etwas von der Landschaft zu sehen.
Morgen werden wir den Capricorn Peak bezwingen und einige
fantastische Ausblicke haben.«
»Die Ausblicke interessieren mich nicht.«
»Das tut mir leid, Mr Addington, aber deshalb sind wir nun einmal
hier.«
Wütend stopfte Addington die Karte zurück in seinen Rucksack und
stand auf. »Dann verlieren wir besser keine Zeit.«
Der Bellingham-Vorfall, Teil 1
Nach der Rast wanderten sie noch drei Stunden und machten in dieser
Zeit nur eine kurze Pause, um ihre Wasserflaschen an einem Bach
aufzufüllen. Es ging nun abwechselnd bergauf und bergab, was vor
allem Justus nervte. Jeder mühsam erklommene Höhenmeter wurde
gleich wieder hergegeben. Die Schuhe drückten und die Knie
schmerzten. Aufgewogen wurden die Strapazen lediglich durch die
schöne Natur. Sie begegneten einigen Rehen, durchquerten
Farnwälder, sahen riesige, uralte Zedernbäume und jede Menge kleiner
Wasserfälle.
Die Erlösung kam ganz unerwartet. Der Pfad bog um einen Felsen und
vor ihnen breitete sich eine Lichtung aus. Die Bäume standen weit
auseinander und grünes Licht fiel auf den weichen Waldboden. Nicht
weit entfernt rauschte ein Fluss.
»Da wären wir«, rief Zoe. »Unser erstes Camp!« Sie breitete die Arme
aus. »Platz genug für alle Zelte. Die Feuerstelle ist da vorn und der
Nitsíímiihkaa gleich dort unten am Ende des Weges. Baut in Ruhe alles
auf, haltet eure Füße ins kalte Wasser, entspannt euch. Die Sonne geht
erst in drei Stunden unter. Bis dahin sollten wir allerdings Feuerholz
gesammelt haben. Und Steinpilze, wenn ihr mögt. Ein Stück den Hang
hinauf wachsen welche. Äußerst nahrhaft. Ich zeige sie euch gleich.
Alle anderen Pilze, die ihr findet, lasst bitte stehen, bei Pilzen weiß man
nie. Aber keine Sorge, ich werde sie noch mal kontrollieren, bevor sie
in der Pfanne landen.«
Die drei ??? setzten ihre Rucksäcke ab. Justus streckte seinen Rücken
und seufzte erleichtert. Der Lagerplatz war wirklich schön. Frühere
Wandergruppen hatten für das Lagerfeuer einen Steinkreis
zusammengetragen und zwei Baumstämme als Sitzbänke drapiert. Ein
Rest Feuerholz war auch noch da.
»Füße im Wasser klingt gut«, sagte Bob. »Kommt jemand mit?« Sie
gingen alle drei. Der Pfad zum Fluss war ein trockenes Bachbett, an
dessen Flanken sich der Boden aufwölbte und so einen Hohlweg
bildete. Die links und rechts wachsenden Buchen formten ein
natürliches Dach. Bis zum Ufer waren es nur fünfzig Meter. Das
Wasser rauschte über glatt geschliffene Felsen, bevor das Flussbett zur
Mitte hin tiefer wurde. Wasserwirbel erzeugten sich ständig
verändernde Muster, und über der Oberfläche tanzten Insekten in der
Nachmittagssonne.
»Das ist der Nitsíímiihkaa«, erklärte Justus, der sich den komplizierten
Namen natürlich gemerkt hatte. »Nicht weit von hier mündet er in den
Bear’s Prey Lake.«
Das Ufer war auf beiden Seiten dicht bewachsen. Der winzige
Kieselstrand, auf dem sie standen, war der einzige Zugang zum Wasser.
Auch hier hatten Wanderer dafür gesorgt, dass sie sich bequem auf
einige große flache Steine in die Sonne setzen konnten. Nachdem Bob
seine Schuhe ausgezogen und seine nackten Füße in das eisige Wasser
eingetaucht hatte, spürte er die Kraft, die an seinen Knöcheln zerrte.
»Seid vorsichtig, der Fluss hat eine ganz schöne Wucht!«
Auch Justus und Peter ließen ihre Füße umspülen und der Erste
Detektiv beschloss, so lange dort zu bleiben, bis seine Zehen taub
geworden waren.
Bob wollte erneut einen kurzen Tagebucheintrag aufnehmen und
bemerkte eine Meldung auf seinem Handy. »Nanu? Anscheinend
hatten wir zwischendurch mal kurz Empfang.«
»Hat jemand angerufen?«, fragte Peter.
»Nein. Aber die Treffer für meine Suchanfrage von heute Morgen
wurden aufgelistet.«
»Die Sache in Bellingham?«, fragte Justus. »Lass hören!«
»Das sind nur die Vorschauen auf die Treffer, die meine Anfrage hatte.
Die Artikel selbst kann ich nicht aufrufen, weil das Netz schon wieder
weg ist.« Bob scrollte sich durch die bruchstückhaften Texte, die er
angezeigt bekam, und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen.
»Hört euch das an, Kollegen! Es gibt mehrere Zeitungsartikel, in denen
von einer Schießerei am Hafen von Bellingham die Rede ist.«
»Eine Schießerei?« Peter rückte näher.
»Ja. Es ist erst drei Wochen her. In den frühen Morgenstunden gab es
dort eine bewaffnete Auseinandersetzung. Die Polizei rückte an. Eine
tatverdächtige Person wurde festgenommen, ein gewisser John A., aber
…«
»Addington!«
»Die anderen Beteiligten konnten fliehen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Da steht natürlich noch mehr, aber die kompletten
Artikel kann ich leider nicht aufrufen.«
»Eine Schießerei«, murmelte Peter. »Dieser Addington verhält sich
schon die ganze Zeit so verdächtig. Jetzt wissen wir auch, warum. Er
ist ein schießwütiger Verbrecher.«
»Nun übertreib mal nicht«, sagte Bob. »Die Polizei hat ihn schließlich
wieder laufen lassen. Das bedeutet doch, dass er unschuldig ist, oder?«
»Wie kann jemand, der in eine Schießerei verwickelt ist, unschuldig
sein?«, hielt Peter dagegen.
»Ich nehme an, dass er zwar auf freiem Fuß ist, aber noch gegen ihn
ermittelt wird«, überlegte Justus. »Erinnert euch daran, was er am
Telefon gesagt hat: dass er ein Risiko eingeht, nicht zu Hause zu sein,
weil die Polizei jederzeit bei ihm vor der Tür stehen könnte.«
Nachdenklich schaute Justus auf die Wasserwirbel des Flusses. Die
Sonne war inzwischen weitergewandert und der Kieselstrand lag nun
im Schatten. Es wurde kühl. Die drei ??? kehrten ins Camp zurück, um
ihr Zelt aufzubauen.
Die Zelte von Angela und dem Schweigsamen Simon standen schon.
Die beiden waren nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie sich
auf Pilzsuche begeben. Zoe war damit beschäftigt, die Essensvorräte zu
sortieren. Dylan brachte das Lagerfeuer in Gang. Nur John Addington
beteiligte sich nicht an den Arbeiten. Er hockte auf einem Felsen,
rauchte und blätterte dabei in seiner blauen Mappe. Sein Zelt hatte er
noch nicht einmal ausgepackt. Argwöhnisch schaute er den drei ???
hinterher und griff dabei geistesabwesend nach seiner Wasserflasche.
Er wollte einen Schluck nehmen, doch die Flasche war leer.
»Habt ihr gesehen, wie der geguckt hat?«, raunte Peter. »Als würden
wir irgendwas im Schilde führen.«
»Lass dir nichts anmerken, Peter«, raunte Justus zurück.
»Tue ich ja nicht. Da, jetzt geht er zum Fluss. Die blaue Mappe hat er
unter seinen Rucksack geschoben. Er glaubt, wir hätten das nicht
bemerkt.«
Justus zögerte keine Sekunde. »Bob, halt Wache am Hohlweg und
warn mich, wenn Addington zurückkommt! Peter, fang du mit dem
Zelt an, damit Dylan und Zoe nicht misstrauisch werden!« Zügig ging
er zu Addingtons Rucksack. Er schaute unauffällig zu allen Seiten, hob
ihn an und schnappte sich die blaue Mappe. Im Sichtschutz des Felsens
schlug er sie auf. In der Mappe lagen einige Papiere, zuoberst
Addingtons Wanderkarte. Er hatte kleine Zeichen hineingemalt: Ein
Kreuz markierte ihr Camp, am Bear’s Prey Lake war eine Stelle am
Ufer eingekreist. Unter der Karte lagen Hochglanz-Ausdrucke von
Satellitenfotos, die ebenfalls das Seeufer zeigten. Auch hier war eine
Stelle eingekreist. Justus betrachtete sie genauer.
Der Ruf des Rotbauchfliegenschnäppers schreckte ihn auf. Das war ein
Geheimzeichen, das die drei ??? einmal vereinbart hatten, um sich in
Situationen wie diesen unauffällig warnen zu können. Sofort schloss
Justus die Mappe, legte sie zurück unter den Rucksack und ging zu
Peter. Keine Sekunde zu früh, denn schon kam Addington aus dem
Hohlweg. Er ging wieder zu seinem Zelt, kramte die Mappe hervor und
stutzte.
Hatte Justus etwas nicht richtig zurückgelegt? Der Erste Detektiv
konzentrierte sich auf das Auseinanderfalten des Zeltes.
Auch Bob kehrte zurück und gesellte sich zu seinen Freunden. »Na,
was war in der Mappe?«, flüsterte er.
Justus erzählte es ebenso leise. »Wir wissen ja, dass Addington so
schnell wie möglich den Bear’s Prey Lake erreichen will. Jetzt kennen
wir auch sein genaues Ziel.«
»Die eingekreiste Stelle«, sagte Peter. »Was war denn da?«
»Irgendwas«, antwortete Justus zögerlich. »Ich konnte es auf dem Foto
nicht genau erkennen. Aber es sah so aus, als wäre unter den Bäumen
am Ufer etwas verborgen. Ein Bootshaus vielleicht? Es war nicht
auszumachen.«
»Hm.« Bob warf einen Blick auf ihre eigene Karte. »Theoretisch
könnte man den See in weniger als einer Stunde erreichen. Allerdings
hat Zoe ja von einer eingestürzten Brücke über den Gebirgsbach
erzählt. Das muss diese hier sein. Einen kleinen Umweg muss man in
jedem Fall in Kauf nehmen.«
»Mist, ich glaube, Addington hat was gemerkt«, raunte Peter. »Der
guckt schon wieder so komisch.«
Plötzlich hallten Rufe durch den Wald. Angela und der Schweigsame
Simon stolperten in das Camp. Simon humpelte und ließ sich von
Angela stützen. Er hatte offenbar Schmerzen.
Der leuchtende Wald
»Was ist passiert?«, fragte der Zweite Detektiv.
»Ich bin gestolpert und habe mir den Fuß verknackst«, jammerte
Simon.
Peter und Bob lösten Angela ab und stützten Simon bis zum
Baumstamm an der Feuerstelle.
Zoe kam hinzu. »Darf ich mir das mal ansehen?« Sie machte Anstalten,
Simon von seinem rechten Schuh zu befreien.
Er zuckte zurück und schnürte sich selbst den Schuh auf, langsam und
vorsichtig.
»Wo tut es denn weh?«
Simon deutete auf seinen Knöchel.
»Hm. Geschwollen ist nichts. Können Sie den Fuß bewegen?«
Simon versuchte es, verzog aber den Mund vor Schmerz. »Lieber
nicht.«
Zoe seufzte.
»Was machen wir denn jetzt?«, wollte Angela wissen. »So kann er ja
nicht weiter.«
»Ach was«, sagte Dylan verächtlich. »Einfach die Zähne
zusammenbeißen. Sie sind doch keine Memme, Simon!«
»Wir warten erst mal ab«, sagte Zoe. »Vielleicht geht es bald schon
wieder. Brauchen Sie irgendetwas, Simon?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dann legen Sie das Bein hoch und entspannen sich.«
»Sie können die Pilze putzen«, schlug Angela vor. »Das lenkt ab.« Die
beiden hatten zwei ganze Taschen voller handtellergroßer Steinpilze
gefunden.
»Wir brauchen langsam Feuerholz«, sagte Dylan und wandte sich an
die drei ???. »He, Jungs, ihr wollt euch doch wohl nicht vor der Arbeit
drücken?«
»Dylan hat recht«, sagte Bob. »Wir haben noch gar nichts gemacht.«
»Dann gehen wir mal Holz sammeln«, stimmte Peter zu.
Was nach einer Sache von fünf Minuten klang, erwies sich als
unerwartet schwierig. Wegen des vielen Regens, der hier bis vor
Kurzem gefallen war, waren viele der abgebrochenen Äste und Zweige
auf dem Waldboden noch feucht. Erst nach einer halben Stunde
kehrten die Jungen mit einer dürftigen Ausbeute zurück.
Dylan war nicht begeistert. »Ist das alles? Was habt ihr getrieben,
Verstecken gespielt?«
Peter wollte zum Protest ansetzen, brachte aber keine Energie dafür
auf. Schließlich behalf Dylan sich mit der Flasche Brennspiritus, die
Zoe mitgenommen hatte. Im Nu fing auch das feuchte Holz Feuer.
Als Nächstes schafften die Jungen Wasser in einem großen
Aluminiumtopf herbei, während Dylan aus Steinen eine Art Herdplatte
baute. Nun hatten sie Zeit, ihr Zelt zu Ende aufzubauen und sich
einzurichten. Zoe setzte derweil den Reis auf und stellte den Topf
beiseite, nachdem das Wasser gekocht hatte. Der Reis würde auch ohne
Hitzezufuhr gar werden.
Addington war der Einzige, der sich nicht an den Vorbereitungen
beteiligte. Nachdem er sein winziges Zelt aufgebaut hatte, begab er sich
wieder auf seinen Felsen und schaute den anderen misstrauisch bei der
Arbeit zu. Dabei rauchte er, hörte Musik über Kopfhörer, wippte mit
den Knien und trommelte mit der freien Hand auf seinen
Oberschenkeln.
»He, Mister!«, rief Dylan ihm ungehalten zu. »Wir brauchen noch
mehr Wasser.«
Addington reagierte nicht. Schließlich war es Angela, die zum Fluss
ging.
Der Abend brach herein. Während die Dunkelheit aus dem Wald näher
kroch, versammelte sich die kleine Gruppe um das Feuer und Angela
verteilte das Essen auf Aluminiumteller, die reihum weitergereicht
wurden. Es gab Reis mit angeschmorten Zwiebeln und Pilzen, die
erstaunlich schmackhaft waren – und sättigender, als Justus zu hoffen
gewagt hatte. Zoe hatte nicht zu viel versprochen.
»Pilze«, sagte Addington, als er seinen Teller entgegennahm, und
verzog das Gesicht.
»Kommen Sie schon«, sagte Angela aufmunternd. »Probieren Sie
wenigstens. Sie können den Reis ja nicht pur essen.«
»Ich hasse Pilze«, sagte Addington und reichte den Teller an Peter
weiter, der noch keinen hatte. Anschließend nahm er sich eine Portion
Reis ohne alles.
Während des Essens bemühten sich besonders Zoe und Angela um
gute Stimmung. Die drei Detektive gingen darauf ein, während Simon
und Addington schwiegen und Dylan nur überhebliche Kommentare
beisteuerte. Bald wurde es still am Lagerfeuer. Dem Ersten Detektiv
war das ganz recht. Der Tag hatte ihn erschöpft. Sogar sein
detektivischer Eifer lief nur auf Sparflamme. Und Addington waren
ohnehin keine Geheimnisse zu entlocken. Der nervöse Mann brütete
verschlossen vor sich hin.
Auch Peter war müde. Außerdem lagen ihm die Pilze schwer im
Magen. Er schaffte nicht einmal seinen ganzen Teller. »Es wäre nicht
so schlimm, wenn es morgen etwas anderes gäbe«, raunte er Bob zu.
»So richtig lecker fand ich das nicht.«
Bob konnte sich nicht beschweren. Er genoss es, ins Feuer zu starren
und den Geräuschen der Nacht zu lauschen; dem Knistern des Holzes
und dem leisen Rascheln von Mäusen im Laub. In der Ferne schrie eine
Eule. Minutenlang beobachtete Bob wie hypnotisiert die
orangefarbenen Funken, die in den Nachthimmel aufstiegen und
verglühten.
Nachdem alle mit dem Essen fertig waren, sammelten die drei ???
Geschirr und Besteck ein. Sie hatten sich bereit erklärt, den Abwasch
zu übernehmen.
»Macht alles gründlich sauber«, mahnte Zoe. »Ihr wisst schon: Bären.
Und passt auf, dass euch die Teller nicht wegschwimmen!« Im Schein
ihrer Taschenlampen gingen sie an den Fluss, der im Dunkeln schwarz
und geheimnisvoll glänzte. Zum Glück gab es am Ufer zwischen den
Steinen ein kleines natürliches Becken, sonst hätte das Wasser die
Teller direkt fortgerissen. Bob tauchte sie ein, spülte Peters Essensreste
fort und schrubbte anschließend den Topf gründlich aus.
Als sie zum Lagerfeuer zurückkehrten, waren die anderen schon dabei,
sich in ihre Zelte zu verkriechen.
»Ich gehe auch schlafen«, sagte Peter und gähnte herzhaft. »Ich bin
völlig fertig.«
»Du?«, wunderte sich Justus. »Für dich war das heute doch ein
entspannter Spaziergang.«
»Hätte ich auch gedacht«, sagte Peter einsilbig. »Ist aber nicht so. Gute
Nacht!«
Da der Waldboden feucht war und die Bäume weit genug entfernt
standen, hielt Zoe es für sicher, das Feuer einfach ausgehen zu lassen,
anstatt es zu löschen. Auf diese Weise konnten sie es am nächsten
Morgen einfacher wieder entzünden. Sie stellte jedoch
sicherheitshalber noch einen Topf mit Wasser in die Nähe.
Als Bob und Justus ins Zelt krabbelten, bemühten sie sich, leise zu sein.
Bis sie sich in der Enge des Zelts umgezogen hatten und endlich in
ihren Schlafsäcken lagen, dauerte es eine Weile. Peter schlief die ganze
Zeit so tief und fest, als läge er im Koma.
»Unser Zweiter ist komplett ausgeknipst«, flüsterte Bob belustigt.
»Ungewöhnlich«, fand Justus. Dann überkam ihn ebenfalls eine Welle
der Müdigkeit. Er lauschte dem Fluss nur noch wenige Minuten, bevor
auch er eingeschlafen war.
Peter erwachte mit einem Schlag. Als hätte ihn etwas geweckt. Ein
Geräusch? Der Zweite Detektiv lauschte. Nur Bobs und Justus’
gleichmäßiges Atmen, das das Zelt ausfüllte wie eine pulsierende
Wolke, war zu hören. Eine nicht besonders wohlriechende Wolke. Die
Luft im Zelt kitzelte Peters Gaumen. Ihm wurde flau im Magen und er
hatte plötzlich das Gefühl, schnellstens das Zelt verlassen zu müssen,
bevor ein Unglück geschah. Er wühlte sich aus seinem Schlafsack,
schnappte sich seine Jacke, öffnete die Zelttür, schlüpfte barfuß in die
Wanderschuhe und stolperte nach draußen. Er schaffte es noch bis zum
übernächsten Baum. Dort ging er auf die Knie und übergab sich. Sein
Mageninhalt schwappte in einem sauren Schwall auf den Waldboden.
Und gleich noch einmal. Peter würgte, bis es nichts mehr zu würgen
gab. Stöhnend legte er seine schweißnasse Stirn an die raue
Kiefernrinde, die sich warm und tröstlich anfühlte. Der Baum stand
ihm bei.
Was war nur los mit ihm? War er krank geworden? Ein Virus
vielleicht? Oder war es die Erschöpfung? Aber er hatte schon
Anstrengenderes erlebt. Nein, es musste das Essen gewesen sein. Eine
Lebensmittelvergiftung. Die Pilze wahrscheinlich. Die waren ihm von
Anfang an komisch vorgekommen. Hoffentlich war er nun alles, was
ihm auf den Magen geschlagen war, losgeworden.
Peter wusste nicht, wie lange er mit geschlossenen Augen dahockte
und darauf wartete, dass es ihm besser ging. Aber als sich sein Atem
beruhigt hatte und er die Augen wieder öffnete, war die Welt eine
andere.
Der Mond ist aufgegangen. Peter kann den Wald sehen. Die borkigen
Stämme, die Baumkronen, den weichen Nadelteppich und die Steine –
alles um ihn herum glüht in fluoreszierenden Farben. Als hätte jemand
die Umgebung mit Leuchtfarbe angemalt. Peter blinzelt. Ist das eine
optische Täuschung? Er wagt kaum, sich zu bewegen, um das
Leuchtbild nicht zu zerreißen. »Justus«, flüstert er. Seine Stimme klingt
in seinen Ohren so laut, als hätte er in ein Megafon gesprochen.
Erschrocken zieht er die Luft ein. Auch dieses Geräusch hallt in seinem
Kopf wie in einer Kathedrale. Peter erhebt sich und wagt einen Schritt.
Das leise Rascheln unter seinen Füßen klingt wie Meeresrauschen. Wie
Musik. Wie etwas Lebendiges. Als er seine Hand nach einem Baum
ausstreckt, wölbt sich die Rinde seinen Fingern entgegen. Die
Berührung ist warm, als sei der Baum ein Tier. Peter sieht ihn atmen,
langsam und gleichmäßig und unendlich beruhigend. Peter schaut sich
um. Alle Bäume atmen. Sie sind alle im Einklang. Natürlich. Warum
hat Peter das bisher nie bemerkt?
Eine leise Stimme meldet sich in seinem Kopf. Hier stimmt etwas nicht.
Ganz und gar nicht. Bäume atmen nicht und Wälder leuchten auch
nicht in der Dunkelheit. Das weiß Peter. Aber seine Sinne sagen ihm
etwas anderes.
Vielleicht bin ich krank, denkt er. Vielleicht träume ich.
Aber wenn es so ist, dann wird er früher oder später aufwachen. Bis
dahin will er alles sehen, was es zu sehen, alles hören, was es zu hören,
und alles fühlen, was es zu fühlen gibt.
Er ruft nicht noch einmal nach Justus. Der wird ihn womöglich bloß
aufwecken und ihm erklären, dass das alles nur eine Illusion ist. Darauf
kann Peter verzichten. Eine Brise streicht durch die Baumkronen. Die
Zweige erzittern. Es klingt wie das Klirren von Eiskristallen.
Der Zweite Detektiv sieht sich ein letztes Mal um. Im Camp ist es
ruhig. Vom erloschenen Lagerfeuer steigt eine dünne Rauchfahne
empor. Niemand wird bemerken, wenn er einen kleinen
Nachtspaziergang macht.
Jeder seiner Schritte knackt und raschelt und zischt und rauscht. Hinter
jedem Baum überrascht ihn eine neue Farbe. Der Farn schimmert in
einem tiefen Blau. Eine neugierige Eule starrt ihn aus dem Geäst mit
feuerroten Augen an. Selbst das Drehen ihres Kopfes kann Peter hören.
Der Wald zeigt ihm den Weg. Überall dort, wohin er seinen Fuß setzt,
ist der Boden warm und einladend. So steigt Peter Schritt für Schritt
den Hang hinauf. Er spürt weder Kälte noch Schwäche.
Plötzlich ein lautes Schnauben rechts von ihm. Ein tiefschwarz
leuchtender Schatten steht auf vier Beinen zwischen den Bäumen. Ein
Bär. Er schleckt eine lila schimmernde Baumwurzel ab. Er hebt den
Kopf, brummt und macht zwei Schritte auf Peter zu. Schimmernde
Wellen laufen durch seinen Pelz. Er bleibt stehen. Seine triefenden
Augen blicken unsicher.
Peter verspürt keine Angst. Es ist ja bloß ein Bär. Ein weiteres
atmendes Wesen in diesem Wald. Wie die Bäume, wie er selbst. Er
zeigt dem Bären seine Handflächen. Ich habe nichts für dich. Ich trage
auch keine Waffe. Ich bin harmlos.
Der Bär macht noch zwei Schritte. Bleibt wieder stehen. Jetzt ist er nur
noch zwei Armlängen von Peter entfernt. Der Zweite Detektiv kann
die Wärme spüren, die der Bär ausstrahlt. Peter schüttelt langsam den
Kopf. Nein, komm nicht näher, so ist es gut.
Das Tier wankt unschlüssig hin und her. Dann dreht es sich
schnaubend weg, geht hangabwärts Richtung Camp, schaut noch
einmal zu Peter und verschwindet schließlich zwischen den Bäumen.
Ein Bär, denkt Peter, Sachen gibt’s. Und geht weiter.
Justus wurde wach. Er musste mal. Peter lag nicht in seinem
Schlafsack. Anscheinend hatte er den gleichen Drang verspürt. Der
Zelteingang stand offen. Der Erste Detektiv schälte sich aus seinem
Schlafsack, zog sich etwas über und krabbelte nach draußen.
Der Mond war aufgegangen und tauchte den Wald in kaltes,
unwirkliches Licht. Im Camp war alles still. Der Erste Detektiv ging
zum übernächsten Baum. Während er sich erleichterte, hielt er nach
Peter Ausschau. Nichts zu sehen. Auf dem Weg zurück zum Zelt
merkte er, dass er in etwas hineingetreten war. Im blassen Mondlicht
nahm er seine Schuhe genauer in Augenschein. Reis und Pilze und …
»Oh, nein«, murmelte Justus und streifte seine Schuhe im Laub ab. Das
reichte nicht, also machte er sich auf den Weg zum Fluss.
Wahrscheinlich würde er dort auch Peter antreffen. Aber als er das
Ufer erreichte, lag es verlassen da. Justus reinigte seine Schuhsohlen.
Da hörte er Schritte hinter sich. »Peter?«
Es war Bob. »Hi, Erster. Was ist denn los? Ich bin aufgewacht –
niemand da. Wo ist Peter?«
»Keine Ahnung. Er ist verschwunden. Ich wundere mich auch. Ihm
scheint schlecht geworden zu sein.« Justus berichtete von seiner
Entdeckung.
»Iiih«, sagte Bob. »Da sind ihm wohl die Pilze nicht bekommen. Aber
er muss ja trotzdem irgendwo sein. Komm, wir gehen noch mal
nachsehen.«
Sie kehrten ins Camp zurück. Immer noch keine Spur vom Zweiten
Detektiv.
»Rätselhaft«, murmelte Justus. »Wo steckt er denn bloß?«
»Wenn wir nach ihm rufen, wecken wir alle auf«, flüsterte Bob. »Was
sollen wir tun?« Da vernahm er aus dem Wald ein Knacken.
»Das wird er sein«, vermutete Justus.
Das Knacken und Krachen näherte sich. Es war ungewöhnlich laut.
»Was trampelt der denn so durchs Unterholz?«, murmelte Bob
verständnislos.
Dann trat Peter zwischen den Bäumen hervor auf die Lichtung. Doch
es war gar nicht Peter.
Bob stockte der Atem. »Ein Bär«, brachte er hervor. Auch Justus neben
ihm erstarrte.
Das riesige Tier war schwarz und hatte eine graue Schnauze. Es hob
schnaubend den Kopf, sah sich um und wiegte seinen Körper dabei hin
und her.
Hundert Gedanken gleichzeitig schossen Bob durch den Kopf.
Verstecken? Aber der Bär hatte sie längst bemerkt. Langsam trottete er
in die Mitte des Camps. Was jetzt? Auf einen Baum steigen? Bären
waren gute Kletterer. Die anderen warnen? Die lagen alle in ihren
Zelten und schliefen. Was, wenn der Bär die Zelte angriff? Wenn er sie
zertrampelte? Wenn er hungrig war? Wenn er etwas zu essen witterte?
Was hatte Zoe über Begegnungen mit Bären gesagt? Irgendwas mit
Lärm?
»Ein Bär«, hörte Bob sich sagen. Es hatte ein Schrei werden sollen.
Herausgekommen war nur ein Krächzen. Nicht einmal der Bär hatte es
gehört. Der dritte Detektiv holte tief Luft und schrie aus Leibeskräften:
»Ein Bär!«
Angriff!
Der Bär hob den Kopf und brummte.
»Ein Bär!«, rief auch Justus und eilte zur Feuerstelle. Dort stand der
Topf mit dem Wasser fürs Lagerfeuer. Justus kippte ihn aus und schlug
damit auf die Steine. Er machte so viel Lärm, wie er konnte. Der Bär
drehte sich halb weg und tat ein paar irritierte Schritte.
In den Zelten regte sich etwas. Addington streckte seinen Kopf heraus.
»Spinnt ihr?«
»Passen Sie auf, Mr Addington!«, rief Bob.
»Ihr wollt mich wohl –« Addington sah den Bären und verstummte
vor Schreck.
Plötzlich waren alle draußen. Zoe rief etwas, das Bob nicht verstand,
weil Angela schrie wie am Spieß. Dylan hielt einen Stock mit beiden
Händen vor sich wie ein Schwertkämpfer. Er fing an, damit
herumzufuchteln, was dem Bären nicht zu gefallen schien. Er machte
hektische Bewegungen. Aber weil er schon mitten im Camp stand,
waren überall Menschen um ihn herum. Er riss sein Maul auf und
brummte wieder. Dylan wich zurück, stolperte über eine Wurzel und
stürzte. Das interessierte den Bären. Er machte ein paar Schritte auf
Dylan zu. Dabei kam er auch Angelas Zelt immer näher.
»Rennen Sie bloß nicht weg, Dylan!«, rief Zoe.
Dylan rannte nicht weg. Aber Angela. Sie lief quer durch das Camp.
Der Bär ruckte herum und setzte ihr nach.
Angela spurtete am Lagerfeuer vorbei Richtung Fluss. Plötzlich
stolperte sie. Ihre Brille flog von der Nase. Im letzten Moment konnte
sie sich abfangen. Der Bär nahm die Verfolgung auf und galoppierte
nun genau in Justus’ Richtung. Der Erste Detektiv wurde von seinem
Fluchtreflex übermannt. Er sprang auf und lief los. Schon nach zwei
Schritten war ihm klar: ein Fehler! Doch nun war es zu spät.
»Just!«, hörte er noch Bobs entsetzte Stimme, bevor der Hohlweg alle
Geräusche schluckte außer seinem eigenen Keuchen und dem
Trampeln des Bären.
Bären können mit einer Geschwindigkeit von dreißig Meilen pro
Stunde laufen. Menschen schaffen nur zwanzig. Wie lange dauert es
auf einer Strecke von fünfzig Metern und mit einem Vorsprung von
zehn, bis der Bär den Menschen eingeholt hat? Und würde das Letzte,
was Justus Jonas in seinem Leben tat, tatsächlich das Lösen einer
Kopfrechenaufgabe sein?
Der Fluss kam in Sicht. Der Bär schnaufte. Justus hielt immer noch den
Topf in der Hand. In wilder Panik schleuderte er ihn dem Bären
entgegen. Ob er ihn traf, bekam er nicht mehr mit, denn da öffnete sich
der Hohlweg und er saß in der Falle. Vor ihm der Fluss, hinter ihm der
Bär und links und rechts des winzigen Kieselstrandes
undurchdringliches Gestrüpp, das ihm den Weg versperrte.
Angela stand bis zu den Knien im Wasser und schrie.
»Weiter!«, rief Justus und rannte in den Fluss, ohne darüber
nachzudenken. Die Kälte spürte er gar nicht. Er packte Angela und zog
sie mit sich. Kaum hatten sie den flachen Uferbereich hinter sich
gelassen, riss ihnen die Gewalt des Wassers die Füße weg. Justus
stürzte, schlug hart mit der Hüfte auf einen Stein und wurde von einer
eisigen Welle überspült. Er ruderte wild mit den Armen und versuchte,
an der Oberfläche zu bleiben. Als er den Kopf endlich wieder über
Wasser hatte, sah er den Bären hinter sich am Ufer. Er stand bis zum
Bauch im Fluss, doch weiter ging er nicht. So groß der Bär auch war –
die Strömung würde auch ihn mitreißen. Dann sah der Erste Detektiv
ihn nicht mehr.
»Hilfe!« Angela schwamm ein Stück vor ihm. Verzweifelt reckte sie
den Kopf und streckte ihm die Hände entgegen.
»Bleiben Sie ruhig!«, mahnte Justus. »Tief atmen! Dann können Sie
auch nicht untergehen.« Er hörte sich selbst zu wie einem Fremden.
Wie brachte er es fertig, so gefasst zu klingen, während sein Herz fast
zersprang?
Angela schien ihn aber gar nicht zu hören. In Todesangst versuchte sie
jetzt, sich an Justus zu krallen.
»Halten Sie sich von hinten an meinen Schultern fest! Und ruhig
atmen.« So hatte er es beim Rettungsschwimmerkurs in der Schule
gelernt. Zum Glück hielt Angela sich an seine Anweisungen. Jetzt
musste er nur noch über Wasser bleiben. Der Fluss trieb sie mit einer
Geschwindigkeit fort, die Justus nicht für möglich gehalten hatte.
Irgendwo in der Ferne knallte etwas. Ein Schuss! Doch Justus hatte
andere Sorgen. »Angela, hören Sie mich?«, rief er über das Rauschen
des Wassers hinweg. »Angela!«
»Ja, ja, ich bin da.«
»Hören Sie, wir müssen ans Ufer. Ich schwimme und Sie paddeln mit
den Füßen, okay? Keine Hektik, Stück für Stück. Wir müssen nicht
gegen das Wasser ankämpfen. Wir lassen uns treiben und schwimmen
einfach senkrecht zur Strömung. In Ordnung?«
»Ja, gut«, japste sie.
Justus steuerte das gegenüberliegende Ufer an. Dort wären sie vor dem
Bären sicher. Zunächst schien es, als kämen sie überhaupt nicht voran.
Die Strömung schob sie immer wieder in die Mitte des Flusses zurück.
Der Erste Detektiv versuchte, so kraftvolle Schwimmzüge wie möglich
zu machen. Stück für Stück kam das Ufer näher. Gleichzeitig wurde der
Fluss lauter. Justus wusste, was das bedeutete. Er hatte die Karte
ausreichend studiert. Sie näherten sich gefährlichen Stromschnellen!
»Just!«, rief Bob entsetzt, nachdem der Erste Detektiv in den Hohlweg
gerannt war – und der Bär hinterher. Bob machte ein paar Schritte und
blieb wieder stehen. Er konnte den Bären unmöglich aufhalten. Aber
irgendwas musste er tun! Hilfe suchend sah er sich um.
Zoe riss ihren Rucksack aus dem Zelt und kippte den Inhalt auf den
Waldboden. »Wo ist das verdammte Bärenspray?«
Dylan hatte sich aufgerappelt und stand da wie zur Salzsäule erstarrt.
Den Knüppel hielt er immer noch in den Händen.
»Kommen Sie!«, forderte Bob ihn auf. »Wir müssen den beiden
helfen!« Doch Dylan starrte ihn nur an wie unter Schock.
Wo war eigentlich Addington? Und Simon?
Bobs Blick fiel auf das noch glimmende Lagerfeuer und er dachte an
das Dschungelbuch: wie der Menschenjunge Mogli den Tiger Shir
Khan mit Feuer in die Flucht schlägt. Der dritte Detektiv riss Dylan den
Knüppel aus der Hand, lief zur Feuerstelle und ging in die Hocke. Hier
und da glomm noch schwach ein Stück Holz. Bob pustete. Ein
Flämmchen züngelte empor. Es war jämmerlich. Damit konnte er eine
Kerze anzünden, aber keinen Bären vertreiben.
Der Brennspiritus! Die Flasche stand hinter dem Baumstamm, um sie
vor dem Feuer zu schützen. Bob tränkte die Spitze des Knüppels mit
der Flüssigkeit und hielt sie ins Feuer. Die Flammen loderten hoch. Mit
dieser Fackel in der Hand rannte Bob in den Hohlweg zum Fluss.
Der Schwarzbär stand bis zum Bauch im Wasser und sah im Silberlicht
des Mondes aus wie ein Wesen aus uralter Zeit. Von Justus und Angela
keine Spur. Der Bär wandte sich dem Feuer zu, reckte den Kopf, zeigte
die Zähne und brummte Furcht einflößend.
»Ganz ruhig«, murmelte Bob und wusste nicht, ob er den Bären meinte
oder sich selbst. Er wich zurück, um dem Tier den Weg an Land nicht
zu versperren. Tatsächlich kam es aus dem Wasser heraus und wankte
unschlüssig hin und her.
»Geh beiseite«, sagte eine herrische Stimme. Addington stand in
Shorts und T-Shirt hinter Bob. In einer Hand sein Handy, dessen
Taschenlampenlicht er auf den Bären richtete. In der anderen Hand
eine Pistole.
»Mr Addington! Was haben Sie vor? Nicht auf den Bären schießen!
Wenn Sie ihn verletzen, macht ihn das nur wild.«
Der Bär schüttelte sich, als hätte er Bobs Worte verstanden, und trabte
aus dem Wasser auf sie zu.
Addington entsicherte seine Waffe.
»Nein!«
Ein Schuss zerriss die Nacht.
Der Bär zuckte zusammen, wirbelte herum und lief flussabwärts ins
Unterholz. Addington leuchtete ihm nach. Wo der Bär sich seinen Weg
bahnte, erzitterten die kleinen Birken. Dann bewegte sich nichts mehr
und das Rauschen des Flusses übertönte jedes Knacken und Rascheln.
Der Bär war weg.
»Haben Sie ihn getroffen?«, fragte Bob erschrocken.
»Ich habe in die Luft geschossen.«
»Das hätte schiefgehen können.« Bob war wütend. »Er hätte aggressiv
werden können.«
»Gern geschehen.«
Bob schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Moment, sich über
Addington aufzuregen. »Justus!«, rief der dritte Detektiv über den
Fluss hinweg. »Juuuustuuuus!«
Es kam keine Antwort.
Addington leuchtete das andere Flussufer ab, aber sein Handylicht ließ
nur Schatten tanzen.
Zoe kam aus dem Hohlweg angerannt. »Was ist passiert?«
»Der Bär ist weg«, berichtete Bob. »Mr Addington hat ihn mit einem
Schreckschuss vertrieben. Er ist da entlanggelaufen.«
»Wieso haben Sie eine Pistole dabei, Mr Addington?«
»Um mich zu verteidigen«, antwortete er. »Zum Beispiel gegen
Bären.«
»So verteidigt man sich aber nicht gegen Bären«, sagte Zoe.
»Offensichtlich doch.«
Zoe schüttelte verärgert den Kopf. »Wo sind Justus und Angela?«
»Sie konnten wohl fliehen, aber wir wissen nicht, wohin. Am anderen
Ufer sind sie nicht, zumindest nicht auf dieser Höhe.«
»Am Fluss entlang können sie auch nicht gelaufen sein. Das Unterholz
ist zu dicht. Das schafft nur ein Bär.«
Bob nickte. »Sie müssen in den Fluss gesprungen und abgetrieben
worden sein. Solange es dunkel ist, können wir sie nicht suchen gehen.
Zum Glück kann Justus gut schwimmen.« Bob schluckte und fügte
etwas leiser hinzu: »Und Angela hoffentlich auch. Ist Peter inzwischen
aufgetaucht?«
Zoe sah ihn fragend an. »Aufgetaucht?«
»Er ist verschwunden. Schon bevor der Bär kam. Wir haben nicht
mitbekommen, wie er das Zelt verlassen hat. Aber ihm war wohl
schlecht. Er hat sich hinter einem Baum übergeben. Justus ist
reingetreten. Wahrscheinlich die Pilze.«
Zoe runzelte die Stirn. »Die Pilze?«
»Ich weiß es nicht. Er ist jedenfalls weg.«
»Er wird ja nicht weit gelaufen sein, wenn ihm nicht wohl ist. Gehen
wir zurück ins Camp. Vielleicht ist Peter inzwischen wieder da.«
Doch als sie aus dem Hohlweg traten, war der Zweite Detektiv
nirgendwo zu entdecken. Auch Simon fehlte. Nur Dylan trat ihnen
aufgeregt entgegen. »Ich wollte euch gerade zu Hilfe kommen. Aber du
hast mir meinen Knüppel geklaut, Junge.«
»Sie müssen sich nicht erklären, Dylan«, sagte Zoe. »Der Bär ist weg.«
»Ich habe den Schuss gehört. Sie haben also auf meinen Rat gehört?«
»Das war nicht meine Pistole, sondern Mr Addingtons.«
»Ach ja? Sie gehen also bewaffnet auf eine Wanderung?« Dylan sah
Addington fragend an, doch der ignorierte den Sportlehrer einfach.
»Peter!«, rief Bob. »Peeeter! Das gibt’s doch nicht, er muss doch
irgendwo stecken. Wenn der Bär ihn erwischt hat …«
»Wo ist eigentlich Simon?«, fragte Zoe. »Vielleicht haben sich die
beiden irgendwo gemeinsam vor dem Bären versteckt.« Sie ging zu
Simons Zelt und zog den Reißverschluss hoch.
Der Schweigsame Simon hockte im Schneidersitz auf seinem
Schlafsack und schaute ängstlich zu Zoe hinauf. In der rechten Hand
hatte er das Bärenspray.
Pilze und Blaubeerpudding
Justus und Angela kämpften mit den Fluten. Das Rauschen der
Stromschnellen kam näher und näher. Verzweifelt versuchten sie, das
Ufer zu erreichen.
»Der Fluss wird immer wilder!«, rief Angela, die sich noch immer von
hinten an Justus’ Schultern krallte.
Der Erste Detektiv wollte antworten, doch in diesem Moment prallte er
schmerzhaft mit dem Knie gegen einen Stein, der knapp unter der
Wasseroberfläche gelauert hatte. Überall waren jetzt Felsen und Strudel
und kleine Wasserstürze. Man wurde mitgerissen wie auf einer
Rutsche. Wann immer Justus versuchte, sich festzuhalten, glitt er ab.
»Schwimmen Sie, Angela!«, japste Justus. »Wir müssen hier raus!
Schwimmen Sie!«
Vor ihnen hatten sich nahe am Ufer abgebrochene Baumstämme in den
Felsen verfangen. Eine Chance!
Der Erste Detektiv legte seine letzte Kraft in die Schwimmzüge und
bekam mit der linken Hand einen Ast zu fassen. Das Holz brach, doch
da schnellte schon Justus’ rechter Arm vor und krallte sich um den
rutschigen Baumstamm dahinter. Das Wasser zog und zerrte an seinem
vollgesogenen T-Shirt.
Dann ließ Angela seine Schultern los und klammerte sich ebenfalls an
den Stamm.
Der Griff des Ersten Detektivs wurde fester. »Wir können uns an dem
Baum bis zu diesem Felsen da ziehen!«, rief er über das Brüllen der
Fluten hinweg. Durch das eisige Wasser hatte er das Gefühl in den
Füßen verloren. Er wusste kaum noch, ob sich sein Körper so bewegte,
wie er es wollte. Doch irgendwie kam er dem Felsen Stück für Stück
näher und hatte ihn schließlich erreicht. Hier war die Strömung
deutlich schwächer. Ein weiterer verfangener Baumstamm brachte
Justus und Angela noch näher ans Ufer heran. Endlich fanden sie Halt
auf dem steinigen Flussbett. Erschöpft kletterte der Erste Detektiv an
Land, half Angela die kleine Böschung hinauf und sackte dann an
einem schlammigen Stück Flussufer zu Boden. Zusammengekrümmt
lag er da, lauschte seinem brennenden, keuchenden Atem und glaubte,
sich nie wieder bewegen zu können. Er begann zu zittern.
»Justus?« Angela beugte sich über ihn und strich ihm mütterlich über
die Stirn. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, brachte er hervor. »Ich glaube schon.«
»Pass auf, du liegst fast in den Brennnesseln.«
Justus lachte. Brennnesseln! Wenn es weiter nichts war. Er hatte
gerade einen Bärenangriff und den Zusammenprall mit einem halben
Dutzend Felsen überlebt. Er war Superman. Brennnesseln konnten ihm
nichts anhaben. Trotzdem rückte er ein Stück zur Seite, richtete sich
auf und zog sein T-Shirt über den Kopf. Er versuchte, es auszuwringen.
Seine steif gefrorenen Finger machten ihm einen Strich durch die
Rechnung. Also rieb er stattdessen seinen Oberkörper mit dem Stoff ab.
Der kühle Wind trocknete den Rest. Die Hüfte schmerzte.
Angela, die ein dünnes Nachthemd trug, beließ es dabei, es an ihrem
Körper auszuwringen. Justus reichte ihr sein Shirt und sie trocknete
damit ein wenig ihre Haare.
Schließlich zog Justus sein schmerzendes Knie an, das ein wenig
blutete, legte sich das T-Shirt über die Schultern, starrte auf den Fluss
und versuchte, sich auf das weiße Schäumen zu konzentrieren, um sein
Zittern loszuwerden.
»Du hast uns gerettet«, sagte Angela. »Ohne dich hätten mich die
Felsen früher oder später zermalmt.«
»Schon gut. Sie hätten es sicher auch allein geschafft.«
»Ich bin so dumm. Ich hätte nicht weglaufen dürfen. Zoe hat es uns ja
ausdrücklich gesagt. Ich war nur so erschrocken, als plötzlich der Bär
… Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich getan habe. Totaler
Blackout. Ich bin erst wieder zu mir gekommen, als ich schon knietief
im Wasser stand und es mich von den Füßen gerissen hat. Es tut mir so
leid.«
»Wir haben ja überlebt.«
»Aber wir hätten sterben können!« Sie begann zu schluchzen.
Justus seufzte leise. Ihm wäre es lieber gewesen, Angela hätte sich die
Selbstvorwürfe für später aufgehoben oder ganz darauf verzichtet. Er
ließ sie schluchzen. Er hatte einfach keine Kraft mehr. Minutenlang
starrte er nur aufs Wasser und sah den wirbelnden Schaumkronen zu.
Was war zu tun? Im Moment nichts. Es war mitten in der Nacht. Das
Mondlicht reichte nie im Leben, um einen Weg zurück zum Camp zu
finden. Hoffentlich waren die anderen in Sicherheit.
Bob hielt das Handy dicht vor den Mund und sprach leise hinein. »Zoe
schaute im Zelt nach, und wer sitzt da? Simon. Mit dem Bärenspray in
der Hand. Erst dachte ich, er wollte uns veralbern. Er hockte da wie ein
kleiner Junge, den man mit der Hand in der Keksdose erwischt hat. Zoe
flippte aus und stellte ihn zur Rede. Simon gab gleich alles zu. Dass er
die ganze Zeit Angst vor so einem Bärenangriff hatte. Dass er sich
deshalb am Abend das Bärenspray stibitzte, um sich im Notfall
verteidigen zu können. Schließlich wäre er ja verletzt und könnte nicht
so einfach weglaufen wie alle anderen. Der Mann hat Nerven! Zum
Glück hat Zoe ihn zusammengefaltet. Aber ich werde nicht schlau aus
Simon. Und ich traue ihm nicht.
Na ja, jetzt sitzen jedenfalls alle am Lagerfeuer und starren in die
Flammen. Nur ich tigere am Waldrand herum, quatsche in mein Handy
und lausche. Bei jedem Knacken denke ich, das ist jetzt entweder Peter
oder Justus oder der Bär. Aber bislang ist es beim Knacken geblieben.
Ich habe mir schon die Kehle heiser gerufen und würde am liebsten
sofort auf die Suche gehen. Blöderweise ist es stockfinster. Ich muss auf
den Tagesanbruch warten, vorher kann ich gar nichts unternehmen.
Justus ist bestimmt in Sicherheit. Er ist ein guter Schwimmer und wird
sich irgendwie gerettet haben. Angela hoffentlich auch. Sie hat ihre
Brille verloren. Aber es ist ja sowieso dunkel. Und Peter … Es ist mir
ein absolutes Rätsel, was mit ihm passiert ist. Er war schon nach dem
Essen so komisch. Er mochte die Pilze nicht und hat nicht mal seinen
Teller leer gegessen. Moment mal … die Pilze. Ich habe doch seinen
Teller im Fluss gespült. Da waren noch zwei Pilze drauf. Ganz kleine
braune. Ich dachte, das wären Mini-Steinpilze. Aber vielleicht waren es
gar keine. Hat Zoe nicht gesagt, dass man alle anderen am besten
stehen lassen soll?«
Bob unterbrach die Aufnahme und ging zu dem Hangstück, an dem die
Pilze wuchsen. Mit dem Handy leuchtete er den Waldboden ab und
fand direkt einige Steinpilze. In der Nähe der Zedern wuchsen
außerdem kleine braune Pilze mit gewölbten Köpfen. Bob knickte
einen davon ab.
»Ich glaube, ich habe die Pilze gefunden, von denen Peter welche auf
dem Teller hatte. Mal sehen, was Zoe dazu sagt. Ich werde sie gleich …
Iiih, was ist das denn? Ich bin in irgendwas reingelatscht. Was
Schleimiges. Es riecht süß. Ist das etwa … Blaubeerpudding? Wie
kommt der denn hierher?«
Bob unterbrach die Aufnahme erneut und schaltete sein Handylicht
ein. Er hatte sich nicht getäuscht. Auf dem Stein war Blaubeerpudding.
Daneben lag ein Ast, an dem ebenfalls Pudding klebte. Als hätte
jemand den Ast als Löffel verwendet, um ein Glas auszukratzen. Bob
leuchtete auf den Boden. Ein Stück entfernt waren im weichen
Erdreich deutlich Spuren zu erkennen. Keine menschlichen, sondern
die des Bären. Der dritte Detektiv folgte der Spur ein Stück in den
Wald hinein und entdeckte noch mehr Pudding. Diesmal hatte jemand
ihn in Schulterhöhe an einen Baum geschmiert. Es war allerdings nicht
mehr viel übrig. Dafür waren die Reste mit etwas vermischt, das wie
Schneckenschleim aussah. Weiter in den Wald traute sich Bob nicht,
also folgte er der Spur in die andere Richtung und fand direkt am Rand
der Lichtung, auf der die Zelte standen, einen dritten ehemaligen
Pudding-Flatschen auf einem großen Farn, erneut mit Schleim
vermischt.
Bob schaute Richtung Camp. Zoe, Dylan, Simon und Addington saßen
immer noch um das Lagerfeuer herum. Leise fuhr Bob mit seiner
Tagebuch-Aufnahme fort.
»Ich habe noch mehr Blaubeerpudding gefunden. Jemand hat ihn auf
Steine und auf Pflanzen geschmiert und damit eine Spur gelegt, die aus
dem Wald ins Camp führt. Und da war noch etwas, das ich zuerst für
Schneckenschleim gehalten habe, aber ich weiß jetzt, was es wirklich
ist: Bärenspeichel. Der Bär hat das Zeug aufgeleckt. Nur eine Stelle hat
er übersehen. Jemand hat den Bären absichtlich angelockt! Und wenn
das so ist, dann sind vielleicht auch die falschen Pilze nicht aus
Versehen auf Peters Teller gelandet. Wir haben einen Saboteur im
Camp.«
Der Herr der Wildnis
Mit klopfendem Herzen ging Bob zurück zu den anderen. Zoe und
Dylan blickten auf, Simon und Addington nicht.
»Hast du eine Spur von Peter gefunden?«, fragte Zoe.
»Nein. Das heißt ja. Indirekt.« Bob zeigte ihr den kleinen braunen Pilz.
»Kennst du den?«
Zoe besah sich den Pilz genauer. »Sieht aus wie ein Düngerling.
Vorsicht damit. Ich hoffe, du hast keinen gegessen.«
»Ich nicht. Aber Peter vielleicht.« Unauffällig sah Bob in die Runde.
Keiner der Anwesenden ließ sich etwas anmerken.
»Was meinst du damit?«
»Er mochte die Pilze nicht. Und ich habe beim Abwaschen welche von
denen auf seinem Teller gesehen.«
Zoes Blick verdüsterte sich. »Das wäre nicht gut. Aber es würde Peters
Übelkeit erklären.«
»Sind die etwa giftig?«
»Ja. Nicht tödlich, keine Sorge. Aber der Verzehr kann abgesehen von
Übelkeit und Erbrechen noch andere unschöne Nebenwirkungen
haben. Düngerlinge haben psychoaktive Wirkstoffe. Das bedeutet, dass
sie Halluzinationen auslösen können. Wer sie zu sich nimmt, hört und
sieht unter Umständen Dinge, die gar nicht da sind.«
»Dinge, die gar nicht da sind?«
»Farben und Geräusche werden intensiver wahrgenommen,
Größenverhältnisse falsch eingeschätzt und so weiter. Das könnte
erklären, warum Peter mitten in der Nacht das Camp verlassen hat.«
»Aber er hat sie doch wieder ausge… ich meine, er hat sich erbrochen.«
»Der Körper kann trotzdem bereits etwas von den Wirkstoffen
aufgenommen haben.«
John Addington, der offenbar sehr wohl zugehört hatte, klatschte in die
Hände und lachte laut auf. »Herrlich! Dein Freund hat bestimmt eine
gute Zeit da draußen!«
»Das ist nicht lustig, Mr Addington«, sagte Zoe wütend. »Wenn Peter
wirklich irgendwo herumläuft und halluziniert, kann wer weiß was
passieren! Womöglich stürzt er sich in eine Schlucht, weil er glaubt, er
könne fliegen. Aber ich frage mich etwas ganz anderes. Ich habe mir
die Pilze angesehen, die im Topf gelandet sind. Es waren Steinpilze. Ein
Düngerling war sicher nicht dabei. Wie ist der da reingekommen?«
»Das Ding ist ja winzig«, meinte Dylan. »Wahrscheinlich haben Sie
ihn übersehen.«
Zoe fixierte den Mann einige Sekunden lang, bevor sie sagte: »Ja.
Wahrscheinlich.«
Der Wald leuchtet und atmet. Und Peter leuchtet und atmet mit ihm.
Die Erde glimmt bei jedem Schritt unter seinen Füßen auf. Jeden Pilz,
jeden Farn, jeden Baum sieht er wie unter einem Mikroskop. Jedes
Geräusch hört er wie über Kopfhörer. Blätter blühen wie Blumen. Äste
knacken knochengleich. Über allem ein rundes Rauschen, das lauter
wird. Ein Bergbach. Das Wasser ist von kristallener Klarheit.
Peter erreicht eine Brücke. Das, was von ihr übrig ist. Auf dieser Seite
des Bachs sind die Stützbalken fest zwischen Felsen verankert. Auf der
anderen hat der Regen sie weggerissen. Hier kommt er nicht weiter. Er
läuft den Bach entlang bergauf, die Tannen säumen das Ufer wie
Säulen, es sollte anstrengend sein, doch Peter kommt es vor, als
schwebe er.
Ein Stückchen weiter – oder vielleicht sind es auch ein paar Meilen –
ist der Bach nicht mehr gefährlich. Er plätschert jetzt gemütlich in
seinem flachen felsigen Becken. Peter könnte ihn überqueren. An
einem großen Felsen macht er halt und streicht über dessen kalte,
uralte Oberfläche. Er bekommt eine Gänsehaut davon. Sein Blick fällt
auf einen kleinen weißen Stein zu seinen Füßen, der wahrscheinlich
gerade vom Mond gefallen ist. Er leuchtet noch. Peter hebt ihn auf.
Man kann mit dem Stein malen. Peter malt ein Fragezeichen. Das
erscheint ihm überaus logisch.
Und jetzt? Hinüber auf die andere Seite? Oder weiter nach oben? Peter
lauscht in die Stille. Ein unhörbarer Ruf. Da oben ist etwas, das ihn
anzieht. Nach oben also. Er malt noch einen kleinen Pfeil ans
Fragezeichen und setzt seinen Weg fort.
Er kommt nicht weit. Mit einem Mal sackt der Boden unter Peters
Füßen weg. Erschrocken springt er zurück. Wo gerade noch Laub
gewesen ist, hat sich ein Loch aufgetan. Beinahe wäre Peter
hineingestürzt. Seine nächsten Schritte macht er sehr aufmerksam und
vorsichtig. Etwas hat sich verändert. Der Wald, der ihm so vertraut
und freundlich vorgekommen ist, hat sich verwandelt. Kalt und
abweisend ist er geworden. Der Boden leuchtet nicht mehr. Die
schönen Farben sind einem eisigen Grau gewichen. Panik steigt in
Peter auf wie bitterer Magensaft. Er muss fort von hier. Peter wird
schneller. Der Wald will ihn festhalten. Dornige Sträucher greifen nach
ihm. Er stürzt. Auf allen vieren kriecht er weiter, die Kälte lähmt ihn.
Hilfe suchend sieht er zu den Bäumen hinauf. Die Baumstämme
wachsen wie im Zeitraffer in den Himmel, bis die Baumkronen die
Sterne verschlingen und kein Mondlicht mehr hindurchlassen. Die
Dunkelheit drückt ihn wie eine Bleidecke in den Morast.
Der Zweite Detektiv bietet seine letzten Kräfte auf, stemmt sich in die
Höhe und stolpert vorwärts. Doch die Bäume rücken dichter und
dichter zusammen, sie sind wie Gitterstäbe in einem Käfig und es gibt
kaum noch einen Ausweg. Da, da ist noch eine Lücke! Peter quetscht
sich hindurch und landet auf einer Lichtung.
In ihrer Mitte steht eine windschiefe Hütte. Sie wächst aus der Erde,
umrankt von Efeu und Farn, in denen Leuchtkäfer leben. Hinter dem
einzigen Fenster brennt ein kleines Licht. Es ist die Rettung! Peter
stolpert durch dorniges Gestrüpp und erreicht das schmutzige Fenster.
Er späht durch die Scheibe. Innen ist die Hütte ähnlich
heruntergekommen wie außen. Aus den Zwischenräumen der
Dielenbretter wachsen Gräser und kleine Bäume. An der Wand steht
eine Pritsche, auf der eine braune Decke liegt. Davor steht ein Tisch
mit einer flackernden Kerze.
An dem Tisch sitzt ein Mann.
Peter sieht ihn im Profil. Er hat langes zottiges Haar, das in einen
struppigen Bart übergeht. Er sitzt gebeugt. Sein Haar verdeckt sein
Gesicht. Er schreibt in ein Buch, das vor ihm auf dem Tisch liegt.
Der Herr der Wildnis. Hüter des Lebens. Bewahrer des alten Weges.
Sein Haus ist Teil des Waldes, es wächst aus ihm empor. Und er ist ein
uraltes Wesen, das schon seit tausenden von Jahren hier lebt.
Was nun? Gegen die Scheibe klopfen? Durch die Tür treten? Oder ist
es ein schlimmes Vergehen, den Herrn der Wildnis bei seiner Arbeit
am Magischen Buch der Uralten Weisheit zu stören?
Peter tritt unschlüssig von einem Bein aufs andere. Dabei knackt ein
Ast unter seinen Füßen und die Entscheidung wird ihm abgenommen.
Der Herr der Wildnis blickt auf. Sein Gesicht ist wie ein Klumpen Erde
mit Raubtierzähnen. Seine Augen strahlen giftgrün wie ein
Regenwaldfrosch.
Peter weicht zurück. Er stolpert und stürzt. Die Tür zur Hütte fliegt
auf. Der Herr der Wildnis stapft heraus. Er ist ein Riese. Sein Gesicht
verschmilzt mit den Baumkronen. Nur die grünen Augen leuchten
daraus hervor. »Wer da?«, knurrt das grauenhafte Wesen und kommt
mit donnernden Schritten näher.
Peter hat sich getäuscht. Die Hütte ist nicht die Rettung. Sie ist das
Herz der Finsternis.
Gefangen
Das Feuer knackte. Zoe, Simon, Dylan und Addington starrten
schweigend in die Flammen. Auch Bob sah dem Flackern zu und
lauschte dabei auf jedes Geräusch. Hin und wieder raschelte eine Maus.
Eine Eule schrie. Aber nichts kündigte die Rückkehr von Justus oder
Peter an – oder dem Bären. Verstohlen schaute der dritte Detektiv
immer wieder in die Runde, auf der Suche nach etwas Verräterischem
in den Gesichtern seiner Mitwanderer. Jawohl, jemand hatte Sabotage
betrieben. Er musste herausfinden, wer. Aber wie?
»Die Dämmerung bricht an«, sagte Dylan. »Endlich.«
Bob hob den Kopf. Die nachtschwarzen Baumkronen hoben sich klar
vom anthrazitfarbenen Himmel ab.
»Es ist noch zu dunkel«, sagte Zoe. »Wir können frühestens in einer
halben Stunde los, um die anderen zu suchen.«
»Los?«, wiederholte Simon. »Aber ich kann nicht laufen.«
»Dann bleiben Sie eben hier«, sagte Dylan.
»Und der Bär?«
»Den vertreiben Sie mit Spray. Das war doch sowieso Ihr Plan. Zoe
kann bei Ihnen bleiben und Ihnen das Händchen halten.«
»Wem ich das Händchen halte, überlassen Sie doch bitte mir«, sagte
Zoe.
Simon senkte den Kopf und sagte nichts mehr.
»Bob sollte auch hier bleiben«, fuhr Dylan ungerührt fort. »Das ist
Männersache. John und ich machen uns allein auf die Suche.«
John Addington schnaufte leise, ohne den Kopf zu heben, was alles
Mögliche bedeuten konnte.
»Ich komme auf jeden Fall mit«, sagte Bob. »Es sind schließlich meine
Freunde, die verschwunden sind. Wir sollten uns schon mal stärken
und etwas essen. Wer weiß, wie lange wir suchen müssen. Es sind ja
noch genügend Vorräte da. Haben wir eigentlich aus dem Kühlschrank
im Green House den Pudding mitgenommen?« Bob wusste, dass die
Frage total unvermittelt kam und albern klang. Er hoffte auf eine
entlarvende Reaktion.
Simon und Addington schienen ihn gar nicht gehört zu haben.
Addington ließ schon die ganze Zeit seine Knie wippen und kam auch
jetzt nicht aus dem Takt. Nur Dylan hob den Blick. »Was für
Pudding?« Er schien aufrichtig irritiert.
»Der, den wir zum Nachtisch hatten.«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
Bob zuckte mit den Schultern.
»Den haben wir nicht mitgenommen«, sagte Zoe.
Plötzlich klingelte etwas. Alle zuckten zusammen. Addington griff in
seine Hosentasche und holte sein Handy hervor. »Mein Wecker. Den
hatte ich gestellt, bevor ich wusste, dass mich ein Bär am Schlafen
hindern würde.«
»Warum wollten Sie denn so früh wach sein?«, wunderte sich Zoe.
»Um rechtzeitig aufbrechen zu können.« Addington erhob sich und
ging zu seinem Zelt. Im schwachen Dämmerlicht räumte er es aus und
begann unter den staunenden Blicken der anderen, seinen Rucksack zu
packen.
»Was soll denn das werden, Mr Addington?«, fragte Zoe, während
dieser die Stangen aus seinem Zelt zog und zusah, wie es in sich
zusammenfiel.
Dylan ging zu ihm. »Was haben Sie vor, Addington?«
»Ich gehe.«
»Wohin? Zum See?«
»Geht Sie das was an?«
»Wenn Sie unsere Vermissten suchen wollen, wäre es klug, sich mit
uns abzusprechen.«
Addington lachte kurz auf. »Es sind Ihre Vermissten, nicht meine.«
»Was soll das? Sie können hier nicht alleine durch die Gegend
spazieren. Da draußen läuft ein Bär herum.«
»Und ich bin bewaffnet.« Ungerührt fuhr Addington mit dem Packen
fort. Wie beiläufig nahm er dabei seine Pistole aus dem Rucksack und
schob sie sich in den Hosenbund. Anschließend ging er zur Kiste mit
den Vorräten, öffnete sie und nahm ein paar Energieriegel heraus.
»Den Rest meiner Ration können Sie unter sich aufteilen.« Er
schulterte seinen Rucksack, nickte in die Runde und hob lässig die
Hand. »Viel Spaß dann noch allerseits.«
»Nicht so schnell, mein Freund.« Dylan wollte sich ihm in den Weg
stellen, aber da ging Zoe dazwischen.
»Lassen Sie ihn. Reisende soll man nicht aufhalten. Mr Addington ist
ein erwachsener Mann. Er kann machen, was er will.«
»Da haben Sie’s.« Addington umrundete Dylan wie einen Baum, der
im Weg stand, und verließ das Camp Richtung Bear’s Prey Lake, ohne
sich noch einmal umzusehen.
»Sie lassen ihn gehen?«
»Was soll ich tun, ihn festbinden?«
»Der Mann hat doch irgendetwas vor! Er fand es witzig, dass Peter sich
vergiftet hat. Womöglich hat er die Pilze ins Essen gemischt.«
»Ja, womöglich. Aber darum können wir uns jetzt nicht auch noch
kümmern. Wir müssen Justus, Peter und Angela suchen. Auf
jemanden, der sich kein Stück für die drei interessiert, kann ich dabei
gut verzichten.«
Bob sah sich um. Es war inzwischen hell genug, dass aus dem Schwarz
und Grau um ihn herum blasse Farben geworden waren. »Zoe hat
recht. Wir sollten jetzt aufbrechen.«
»Wer ist wir?«, meldete sich der Schweigsame Simon ängstlich zu
Wort. »Ich bleibe auf keinen Fall allein im Camp.«
»Auch nicht, wenn Sie das Bärenspray –«
»Nein! Sie sind die Reiseleitung. Sie dürfen mich hier nicht
zurücklassen. Sonst machen Sie sich strafbar.«
Zoe seufzte.
»Dann werde ich Bob eben doch mitnehmen«, sagte Dylan. »Ich war
jahrelang bei den Pfadfindern und bin ein geübter Spurensucher. Wir
werden sie finden.«
Zoe zögerte und rang mit sich. »Na schön. Aber lassen Sie mich Ihnen
vorher noch etwas zeigen.« Sie breitete ihre Wanderkarte auf dem
Boden aus und beleuchtete sie mit ihrer Taschenlampe. »Sollte Peter
zurückgegangen sein, ist er inzwischen vielleicht schon wohlbehalten
im Green House angekommen. Falls nicht, gibt es von hier aus
eigentlich nur einen Weg, nämlich den Wanderpfad zum See. Er führt
über einen Gebirgsbach, aber die Brücke ist vor Kurzem eingestürzt.
Bergab ist die Vegetation zu dicht, da ist kein Durchkommen. Also
müsste er bergauf gegangen sein, am Bach entlang. Dort kommt nach
einer Weile eine Stelle, an der man den Bach überqueren kann. Ihr
erkennt die Furt leicht an einem großen Felsen direkt am Ufer. Ralph
und ich sind den Weg erst zwei Mal gegangen. Sie als geübter
Fährtenleser werden ihn bestimmt finden.«
Bob schmunzelte in sich hinein, während Dylan Zoes Spott entgangen
zu sein schien.
Dylan schlug Bob auf die Schulter. »Auf geht’s, junger Freund! Ich
fülle nur rasch meine Wasserflasche auf.«
Als er im Hohlweg verschwunden war, zog Zoe Bob beiseite. »Ich lasse
dich ungern mit ihm allein, Bob. Ich mache das nur, weil es nicht
anders geht. Simon würde sonst durchdrehen. Aber sei wachsam.
Dylan ist ein seltsamer Typ.«
Bob nickte. »Ich passe schon auf mich auf.«
»Viel Glück!«
Peter erwachte zitternd. War er eingeschlafen? Ohnmächtig geworden?
Er öffnete die Augen. Und sah immer noch nichts. Seine Lider waren
von etwas bedeckt. Es fühlte sich an wie eine Augenbinde.
Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück. Der leuchtende Wald, der
sich in etwas Böses verwandelt hatte. Die Hütte und der Herr der
Wildnis. Was war danach geschehen? Der Riese war auf ihn zugestürzt
und …
Ein unheimliches Stöhnen erklang. Erschrocken begriff Peter, dass es
aus seiner eigenen Kehle gekommen war. Er wollte die Augenbinde
beiseiteschieben. Es ging nicht. Seine Hände waren gefesselt. Als er
dagegen ankämpfen wollte, hustete jemand. Peter erstarrte vor Angst.
Er musste sehen, wer da war! Millimeter für Millimeter bewegte der
Zweite Detektiv den Kopf. Die Augenbinde verschob sich. Bald war sie
weit genug nach oben gerutscht, dass er darunter hindurchschauen
konnte.
Er lag auf der Pritsche, die er durchs Fenster gesehen hatte, und blickte
Richtung Tisch. Der Herr der Wildnis saß auf seinem Stuhl, nun mit
dem Rücken zu ihm. Sein Atem klang rasselnd, während der breite
Rücken sich hob und senkte. Ein Bleistift kratzte über Papier. Der
Mann hatte nicht bemerkt, dass Peter wach geworden war. Der Zweite
Detektiv rührte sich nicht und versuchte, so viel wie möglich im
schwachen Schein der Kerze zu erkennen. In einer Ecke lag ein
dunkelgrüner Armeerucksack. Daneben standen einige
Konservendosen. Am Ende des Tisches sah Peter einen kleinen
Gaskocher neben einem verbeulten Topf. In der Tischplatte steckte ein
Jagdmesser.
Peter war so konzentriert, dass er einen Augenblick brauchte, bis er das
Offensichtliche bemerkte: Das Gestrüpp, das aus dem Boden wuchs,
leuchtete nicht mehr. Der Herr der Wildnis erschien ihm nicht mehr
riesenhaft, sondern ganz normal groß. Und sein Atem klang zwar
ungesund und rasselnd, aber das Geräusch hallte nicht mehr in seinem
Kopf nach wie in einer Kathedrale. Peters Sinne funktionierten wieder
ganz normal.
Bevor er darüber nachdenken konnte, was das bedeutete, hustete der
Herr der Wildnis erneut. Er legte seinen Stift weg und stand auf.
Schwere Schritte ließen den Dielenboden vibrieren. Peter hörte, wie die
Tür geöffnet wurde und wieder zuschlug. Draußen entfernten sich
Schritte.
Der Zweite Detektiv wartete einige Sekunden, dann schwang er seine
Beine von der Pritsche. Das heißt, er wollte sie schwingen, doch auch
seine Beine waren gefesselt. Es klappte erst beim dritten Anlauf. Die
Pritsche quietschte. Schon war Peter aus der Puste. Er fühlte sich
schlapp. Nach ein paar tiefen Atemzügen stand er mit Schwung auf.
Nur nicht umfallen jetzt! Aber die gefesselten Beine machten ihm
einen Strich durch die Rechnung. Er geriet ins Wanken. Mehr panisch
als planvoll machte er einen Sprung nach vorn. Noch einen. Noch
einen. Bis er endlich den Tisch erreichte. Bunte Sterne tanzten vor
seinen Augen. Er musste sich setzen! Unbeholfen ließ er sich auf den
Stuhl plumpsen. Das Messer, auf das er es abgesehen hatte, steckte auf
der anderen Seite des Tisches in der Platte. Nur drei Meter entfernt,
aber in diesem Augenblick unerreichbar. Erst musste sich sein
Kreislauf stabilisieren, sonst würde er ohnmächtig werden. Einatmen,
ausatmen. Einatmen, ausatmen. Währenddessen hörte er, wie es
draußen nicht weit entfernt plätscherte. Der Herr der Wildnis pinkelte.
Peters Blick fiel auf das aufgeschlagene Buch. Was ihm vorhin wie ein
riesiges und uraltes Zauberbuch vorgekommen war, entpuppte sich bei
näherem Hinsehen als einfaches Schreibheft. Die Schrift war klein, aber
leserlich. Peter konnte nicht umblättern, also las er, was auf der
aufgeschlagenen Seite stand:
Junge ist aufgetaucht. Er stand plötzlich am Fenster. Ich ging raus und
er brach zusammen. Ich konnte ihn nicht draußen liegen lassen, also
schleppte ich ihn rein. Er ist fiebrig und schläft. Ich habe ihm eine
Augenbinde verpasst, falls er aufwacht. Er darf mich nicht sehen.
Woher kommt er? Was stimmt nicht mit ihm? Hoffentlich hat er nichts
Ansteckendes. Das wäre dann sicherlich mein Ende. Wenn ich eine
Lungenentzündung bekomme, ist alles vorbei. Thomas muss mir bald
Medikamente bringen, sonst sterbe ich hier draußen. Ich brauche eine
Lösung, und zwar bald, und dieser Junge hat mir gerade noch gefehlt.
Ich muss ihn loswerden.
Draußen knackte und raschelte es. Schritte näherten sich. Der Herr der
Wildnis kam zurück!
Peter stand auf. Es war zu spät für die Fesseln. Selbst wenn es ihm
gelungen wäre, sie durchzuschneiden – er war viel zu schwach, um
sich gegen den Mann zur Wehr zu setzen. Eilig hüpfte er zurück zur
Pritsche, ließ sich darauffallen und versuchte, sich in die gleiche
Position wie zuvor zu legen und gleichzeitig die Binde zurück auf die
Augen zu schieben. Es gelang nur halb. Die Tür öffnete sich und der
Mann betrat die Hütte. Für einen Moment stand er so, dass Peter unter
dem Stoff hindurch sein Gesicht erkennen konnte. Seine Augen hatten
einen gelblichen Glanz und lagen tief in den Höhlen. Die Wangen
waren eingefallen, der Bart war zottig und von grauen Strähnen
durchzogen. Er unterdrückte ein Husten und trat aus Peters Sichtfeld.
Der Zweite Detektiv stellte sich schlafend und zwang seinen Atem zur
Ruhe. Hatte der Mann bemerkt, dass er auf gewesen war? Stand er
gerade grinsend vor ihm und lachte ihn aus? Schweißtropfen perlten
von Peters Stirn.
Ein Stuhl wurde verschoben. Der Zweite Detektiv ahnte, was das
bedeutete: Der Fremde saß nicht mehr mit dem Rücken zu ihm,
sondern hatte die Pritsche ab jetzt im Blick. Nun konnte Peter nicht
einmal mehr die Augenbinde verrücken, ohne aufzufliegen. Schlagartig
wurde er panisch und hatte das Gefühl, keine drei Sekunden lang
bewegungslos liegen bleiben zu können. Seine Nase juckte. Der
Schweiß rann. Sein linker Arm schlief langsam ein. Am liebsten hätte
er geschrien.
Der Bleistift kratzte wieder auf dem Papier. Das beruhigte Peter ein
wenig. Er zwang sich, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren: Wer
war dieser Mann? Peter hatte eine Ahnung. Das Schreibheft hatte das
gleiche Papier wie die Notiz, die Bob in dem Vogelhäuschen beim
Green House gefunden hatte. In beiden Schriftstücken war von einem
Thomas die Rede. Und in den Konserven auf dem Boden waren Ravioli.
Der Herr der Wildnis war also Ernie. Ernie, der Medikamente brauchte.
Ernie, der vom Capricorn Peak nach Two Creeks marschiert war, um
Thomas diese Botschaft zu hinterlassen, und dabei von Bill Greyfield
gesehen worden war. Ernie, der Müll in den Wald geworfen hatte.
Aber wer war Ernie? Und wie half Peter dieses ganze Wissen dabei,
hier herauszukommen?
Das Versteck in den Weiden
»Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist? Hier ist doch kein
Durchkommen. Alles voller Gestrüpp. Und alles voller Dornen. Die ich
nicht mal sehen kann, weil meine Brille weg ist. Meine Beine sind
schon ganz zerkratzt. So kommen wir nie zum Camp.«
Justus verdrehte die Augen. Seit sie vor zwanzig Minuten mit Beginn
der Dämmerung aufgebrochen waren, ging Angela ihm auf die Nerven.
Sie quengelte, weil sie kaum vorwärtskamen, und sie hatte auch noch
recht damit. Es gab keinen Weg, nur undurchdringliche Wildnis. Sie
hatten weder eine Machete dabei, noch waren sie angemessen
gekleidet, um durch die Felder aus hüfthohen Brennnesseln und
dornigen Brombeersträuchern hindurchzumarschieren. Bereits drei
Mal hatten sie große Bögen geschlagen, um bei ihrer Rückkehr zum
Flussufer bestürzt festzustellen, dass sie noch keine fünfzig Meter weit
gekommen waren.
Der Plan des Ersten Detektivs, am Fluss entlang Richtung Camp
zurückzugehen, geriet ins Wanken. Zumal er noch keine Idee hatte,
wie es dann weitergehen sollte. Wenn sie es bis zur Höhe des Camps
geschafft hätten – was dann? Sie würden den Nitsíímiihkaa nicht
überqueren können, und womöglich gäbe es auch weiter flussaufwärts
keine geeignete Stelle.
»Die Kratzer an meinen Beinen schwellen schon an. Wer weiß,
vielleicht habe ich eine Brombeerallergie. Wenn ich jetzt einen
allergischen Schock bekomme …«
Justus blieb stehen. »Sie haben recht, Angela. Es hat keinen Zweck.«
»Das sage ich ja die ganze Zeit. Und was machen wir jetzt?«
»Umkehren. Nicht weit von hier mündet der Nitsíímiihkaa in den See.
Den können wir durchschwimmen und auf der anderen Seite
zurückgehen. Wir bräuchten dann vielleicht noch eine Stunde bis zum
Camp.«
Frischen Mutes machten sie sich auf den Weg flussabwärts und hatten
Glück. Das Flussufer wurde immer steiniger und damit leichter zu
begehen. Schließlich mündete der Fluss in den Bear’s Prey Lake. Lang
gestreckt, spiegelglatt und dunkel wie Blei breitete sich der See vor
ihnen aus. Die Sonne kündigte sich in goldenen Wolkenstreifen über
dem bewaldeten Horizont an. Zwei Gänse flogen auf. Nicht weit
entfernt sprang ein Fisch und kräuselte das Wasser.
Justus suchte das gegenüberliegende Ufer ab. Dort, nicht weit von der
Mündung des Nitsíímiihkaa, hatte Addington auf seinen
Satellitenbildern eine Stelle markiert. Von hier aus konnte Justus
jedoch nichts Verdächtiges entdecken. »Wir verlieren am besten keine
Zeit«, sagte er und stieg ins Wasser.
Angela folgte ihm und schnappte nach Luft. »Eiskalt! Das schaffe ich
nie im Leben.«
»Natürlich schaffen Sie das. So wie heute Nacht. Kommen Sie schon!«
Angela überwand sich und tauchte ganz ein. In ruhigen Zügen
schwammen sie los. Auch auf dem See spürten sie eine starke
Strömung. Der Bear’s Prey Lake war ein fließendes Gewässer. Er
wurde vom Nitsíímiihkaa gespeist und floss etwa eine Meile entfernt
über einen Wasserfall wieder ab. Dadurch wurden sie immer weiter
abgetrieben. Zehn Minuten später erreichten sie ein gutes Stück
unterhalb das andere Ufer und gingen an Land. Nach dem eisigen
Wasser kam Justus die Morgenluft geradezu warm vor.
»Ich verschwinde mal kurz, um mich umzuziehen«, sagte Angela und
meinte damit vermutlich, dass sie ihr Nachthemd ausziehen,
auswringen und wieder anziehen wollte. Sie verließ die Uferböschung
und verschwand in den Wald.
Justus schüttete das Wasser aus seinen Schuhen und genoss für einen
Moment die absolute Stille. Es war wirklich nur ein Moment. Schon
nach wenigen Sekunden hörte er jemanden pfeifen. War Angela schon
zurück? Justus lugte hinter dem Baumstamm hervor.
In dreißig Metern Entfernung ging John Addington durch den Wald.
Justus’ Herz machte einen Satz. Sie waren gerettet! Er wollte schon
aufspringen und rufen. Doch da fiel ihm auf, dass Addington nicht den
Eindruck machte, als würde er nach jemandem Ausschau halten. Im
Gegenteil – er marschierte schnurstracks über den Wanderweg, pfiff
vor sich hin und blickte dabei in seine blaue Mappe. In seinem
Hosenbund erspähte der Erste Detektiv eine Pistole.
Justus’ Detektivinstinkt erwachte und er blieb in Deckung. Addington
hatte sich anscheinend von der Gruppe abgesetzt, um so schnell wie
möglich sein Ziel zu erreichen. Dies war die Gelegenheit,
herauszubekommen, was seine geheime Mission war. Justus musste
Angela warnen.
Der Erste Detektiv ließ den Mann vorbeigehen und eilte geduckt in
Angelas Richtung. Sie kam ihm bereits entgegen. Sofort legte Justus
den Zeigefinger auf die Lippen.
»Der Bär?«, flüsterte Angela erschrocken.
»Nein«, flüsterte Justus zurück. »Addington ist aufgetaucht.«
Angela seufzte erleichtert und holte tief Luft.
Justus schnellte vor und legte ihr die flache Hand auf den Mund.
»Keinen Mucks, Angela!«
Sie blickte ihn schockiert an. »Aber er ist doch unsere Rettung! Oder
nicht?«
»Nein. Er sucht überhaupt nicht nach uns.«
»Das ist doch Unsinn, Justus, was sollte er sonst –«
»Bitte, Angela, ich kann Ihnen das jetzt nicht erklären. Aber Addington
ist nicht zu trauen.«
»Was meinst du damit?«
»Peter, Bob und ich sind Detektive. Und wir haben herausgefunden,
dass er etwas im Schilde führt. Wir wissen nur noch nicht, was. Aber
er ist bewaffnet!«
»Bewaffnet? Detektive?«
Justus nickte: »Ich würde Ihnen gern unsere Visitenkarte geben, aber
–«
»Ich verstehe überhaupt nicht, wovon du redest. John Addington führt
etwas im Schilde? Er ist vielleicht ein bisschen komisch, aber darum
geht es doch jetzt überhaupt nicht. Wir brauchen seine Hilfe!«
»Nein, brauchen wir nicht. Wir können auch allein zurückgehen. Bitte
vertrauen Sie mir, Angela. Da drüben ist der Wanderweg. Folgen Sie
ihm und Sie kommen problemlos ins Camp.«
»Aber da ist doch eine eingestürzte Brücke.«
»Sie werden die andere Route finden, ich bin ganz sicher.«
»Ohne meine Brille finde ich nicht mal den nächsten Baum!«
»Das schaffen Sie schon.«
»Und was ist mit dir?«
»Ich finde heraus, was Addington vorhat. Sobald ich das weiß, komme
ich zurück. Es geht bestimmt ganz schnell. Wahrscheinlich hole ich Sie
bald ein.«
»Und der Bär?«
»Bären sind nachtaktiv und schlafen tagsüber«, log Justus. »Der
träumt also gerade friedlich.« Das war Unsinn, aber er musste Angela
jetzt sofort loswerden, wenn er Addington nicht verlieren wollte.
»Also gut.« Sie nickte beherzt. »Ich gehe. Viel Glück.«
»Ihnen auch.«
Gemeinsam schlugen sie sich bis zum nahen Wanderweg durch.
Angela wandte sich nach links, Justus nach rechts.
Nach wenigen Minuten tauchte John Addington vor ihm auf. Der Erste
Detektiv hielt Abstand, um nicht entdeckt zu werden. Der Mann
blickte immer wieder zum See. Schließlich blieb er stehen. Das Ufer
war hier dicht mit Weiden bewachsen, deren üppiges Grün den Blick
aufs Wasser versperrte. Addington schlug sich durchs Unterholz und
war bald zwischen den Bäumen verschwunden.
Justus musste näher heran. Er folgte dem Weg noch ein Stück bis zu
einer Stelle, an der vornehmlich Farne und Moose wuchsen. Lautlos
erreichte der Erste Detektiv das Seeufer. »Da gibt es nur eins«,
murmelte er und stieg ein weiteres Mal in das eisige Wasser. Er hatte
sich schon beinahe dran gewöhnt und schnappte nur ganz kurz nach
Luft. So leise wie möglich schwamm er zu den Bäumen, bei denen
Addington verschwunden war. Die Weidenzweige reichten bis zur
Wasseroberfläche. Als Justus näher kam, bemerkte er, dass etliche Äste
und Zweige mit einer Schnur zusammengebunden worden waren, um
den natürlichen Sichtschutz noch dichter zu machen. Jemand hatte
etwas vor neugierigen Blicken zu verbergen versucht. Nur hier und da
schimmerte es hell hinter dem dichten Grün hervor. Endlich war er
nahe genug, um den Vorhang aus Zweigen beiseiteschieben zu können.
Peeeteeer!
Seit einer Viertelstunde marschierten Bob und Dylan den Wanderweg
entlang Richtung See und hielten Ausschau nach Peter, Justus und
Angela. Vielmehr hielt Bob Ausschau. Dylan beschränkte sich darauf,
Bob wortreich zu erklären, dass er in der vergangenen Nacht in
Wirklichkeit gar keine Angst vor dem Bären gehabt hätte. Dass er nur
deshalb nicht sofort nachgekommen sei, weil Bob ja so dumm gewesen
war, ihm den Knüppel wegzunehmen. Nach drei Minuten hörte der
dritte Detektiv nicht mehr zu und ließ Dylan einfach reden.
Die Sonne ging auf und tastete mit blassen Lichtfingern durch die
feuchte Luft. Immer wieder rief Bob nach den Verschwundenen, aber
es kam keine Antwort. Nur die Vögel veranstalteten ein großes
Spektakel.
Der Weg stieg mehr und mehr an und der Hang, an dem sie sich
entlangbewegten, wurde immer steiler, bis es rechts von ihnen fast
senkrecht in die Tiefe ging. Weit unter ihnen schimmerte der
aufgewühlte Nitsíímiihkaa.
Sie gingen ein Stück landeinwärts und erreichten schließlich den
Gebirgsbach, der ihnen den Weg versperrte. Er war zwar nicht sehr
breit, aber wegen des steilen Geländes erschien er auf den ersten Blick
unüberwindbar.
»Da ist die Brücke«, sagte Bob. »Oder das, was von ihr übrig geblieben
ist.«
Der Regen hatte am anderen Ufer die Verankerung zweier Pfosten im
Boden freigespült, woraufhin die Brücke halb zusammengebrochen
war. Jetzt schwebten nur noch einige Balken und Bretter über dem
Bach.
Links ab vom Weg bemerkte Bob einen Trampelpfad. »Das muss die
Alternativroute sein. Also los.«
»Komm zurück, Bob«, sagte Dylan. »Wir schaffen es auch hier auf die
andere Seite. Dann sind wir viel schneller am See.«
»Wie denn? Die Brücke ist doch kaputt.«
»Aber nicht vollständig. Wir kommen da schon irgendwie rüber.
Addington hat das schließlich auch geschafft.«
»Addington? Wie kommen Sie darauf?«
Dylan deutete auf den matschigen Boden. »Fußabdrücke. Das sind
seine albernen Bikerstiefel. Und da drüben geht die Spur weiter. Ich
war mal Pfadfinder, musst du wissen.«
»Sie erwähnten es. Addington war eben sehr leichtsinnig. Das heißt
nicht, dass wir es auch sein müssen. Wir sollten wirklich besser den
Weg nehmen, den Zoe uns gesagt hat.«
»Sei doch keine Memme. Dieses kleine Bächlein! Jetzt hör mir mal zu:
Wo Peter ist, wissen wir nicht. Aber wir haben eine Ahnung, wo Justus
und Angela sein könnten, nämlich irgendwo unten am Fluss oder am
See. Je schneller wir das Ufer erreichen, desto besser. Komm jetzt!«
Bob hatte keine Ahnung, wie er es auf die andere Seite des Baches
schaffen sollte. Viel wichtiger war aber, dass er Dylan nicht traute. Der
argumentierte so vehement gegen jede Vernunft, als wollte er Bob um
jeden Preis davon abhalten, den anderen Weg zu nehmen.
Augenblick – war vielleicht genau das der Punkt? Ging es womöglich
die ganze Zeit nur darum, dass die Wandergruppe dem Geheimnis
dieses Waldes nicht zu nahe kam? Hatte es deshalb die ganzen
Sabotageakte gegeben? Wenn Dylan tatsächlich hinter der Stolperfalle
im Green House, den Giftpilzen und dem Bärenangriff steckte, dann
war dies vielleicht der Moment, an dem Bob es herausfinden konnte.
Das Zögern des dritten Detektivs strapazierte Dylans Geduld. Der
Sportlehrer rüttelte an den verbliebenen Brückenpfeilern, packte
entschlossen zu und machte, die Hände über dem Kopf um einen
Balken geklammert, einen großen Schritt in die Mitte des Bachbetts.
»Was tun Sie denn da?«, rief Bob erschrocken.
»Rübergehen!« Dylan grinste. Auf Zehenspitzen balancierte er auf
rutschigem Gestein, während das Wasser seine Schuhe überspülte.
Bald reichte es ihm bis zum Knöchel, dann bis zur Wade. Mit den
Händen hangelte er sich vorwärts wie an einem Klettergerüst. Bis der
Balken mit einem Mal nachgab. Dylan glitt aus.
»Vorsicht!«
Dylan drohte in die Tiefe zu stürzen. In letzter Sekunde konnte er sich
in den krautigen Untergrund am anderen Ufer krallen und an Land
ziehen. Keuchend und zitternd stemmte er sich hoch und lachte nervös.
»Das war … ein bisschen knapp.«
»Sie wären fast weggerissen worden!«, rief Bob empört. »Haben Sie
gesehen, wie steil es hier bergab geht? Sie hätten sich den Hals brechen
können!«
»Ach, Unsinn. So steil ist es gar nicht. Warte, ich suche nach einem
Ast. Den kann ich dir zuwerfen und dich daran rüberziehen. Oder
vielleicht findest du einen auf deiner Seite.«
Bob schüttelte heftig den Kopf. »Ich komme ganz bestimmt nicht nach.
Das ist lebensgefährlich.«
»Aber ich kann dich halten, wenn du ausrutschst.«
»Nein.«
»Du kannst doch nicht allein durch den Wald laufen, Junge«, beschwor
Dylan ihn. »Komm schon, ich helfe dir.«
»Nein«, wiederholte Bob entschieden. »Das war großer und unnötiger
Leichtsinn. Ich nehme den Umweg. Wir treffen uns am See.«
»Aber –«
Bob drehte sich um und stapfte durch den Farn bergauf.
»Bob, hier läuft ein Bär herum. Wir sollten besser zu zweit unterwegs
sein. Begeh jetzt keine Dummheit! Bob!«
Der dritte Detektiv winkte, ohne sich noch einmal nach Dylan
umzudrehen. Schon nach ein paar Metern hörte er ihn nicht mehr.
Erbost zog Bob sein Handy aus der Tasche.
»Bobs Reisetagebuch. Dylan ist so ein Idiot! Wir sind gerade knapp
einer Katastrophe entkommen. Die eingestürzte Brücke, vor der Zoe
uns gewarnt hatte – Dylan meinte, er als alter Pfadfinder-Haudegen
könnte da irgendwie drüberfliegen. Er wäre beinahe abgestürzt und
wollte dann trotzdem, dass ich nachkomme. Er hat mich geradezu
beschworen. Ich habe trotzdem den anderen Weg genommen und bin
jetzt allein unterwegs. Aber was ich mich frage: Hat Dylan sich
wirklich um mich gesorgt – oder wollte er nur verhindern, dass ich auf
dem Trampelpfad weiterlaufe?«
Eine Viertelstunde lang ging der dritte Detektiv steil bergauf, bevor das
Gelände abflachte. Ein großer Felsen tauchte auf. Der Gebirgsbach
plätscherte hier nur noch gemütlich dahin. Das musste die Stelle sein,
von der Zoe gesprochen hatte. Bob hielt an und nahm einen tiefen
Schluck aus seiner Trinkflasche. Dann legte er die Hände an den Mund
und rief aus vollem Halse: »Peter! Peeeteeer!«
Die Sonne war aufgegangen. In der Waldhütte wurde es langsam
wärmer. Peter lag noch immer auf der Pritsche und tat so, als würde er
schlafen.
Der Herr der Wildnis hatte seine Schreibarbeit beendet und atmete
schwer. War er am Tisch eingeschlafen? Oder brütete er vor sich hin?
Plötzlich drang ein entfernter Ruf durch den Wald. Der Herr der
Wildnis schreckte hoch. Peter hielt die Luft an. Hatte da jemand seinen
Namen gerufen?
»Peeeteeer!« Das war Bobs Stimme!
Der Zweite Detektiv zögerte ein, zwei Augenblicke. Dann schob er die
Augenbinde mit einer schnellen Bewegung des Kopfes beiseite, richtete
sich mit Schwung auf und holte tief Luft.
Er kam nicht mehr dazu, zu schreien. Der Herr der Wildnis war in
einer Sekunde bei ihm und presste ihm seine schwere, schwitzige Hand
auf den Mund. »Nichts da, Junge, schön den Mund halten!«
Peter blickte in die blassblauen Augen des Mannes, die unter buschigen
Augenbrauen funkelten. Sein Atem roch säuerlich. Der Zweite
Detektiv versuchte, ihm in die Hand zu beißen, da traf ihn eine
schallende Ohrfeige. Er brauchte zwei Sekunden, um sich davon zu
erholen. Zeit genug für den Herrn der Wildnis, nach einer Rolle
Klebeband zu greifen und einen dicken Streifen abzureißen. Peter wand
sich, aber er war nach wie vor gefesselt. »Hilfe!«, brachte er noch
hervor. Seine Stimme hatte kaum Kraft. Dann landete der Klebestreifen
auf seinem Mund.
Bob lauschte. Die Vögel waren kurz verstummt. Jetzt zwitscherten sie
wieder. Sonst rührte sich nichts. Nur der Wind strich leise durch die
Bäume.
»Peeeeteeeeer!« Stille. Bob seufzte und setzte mit drei großen Sätzen
über den Bach, der an dieser Stelle wirklich einfach zu überqueren war.
Nach ein paar Schritten spürte er, wie Wasser über seine Hand
schwappte. Die Trinkflasche. Er hatte vergessen, den Deckel
draufzuschrauben. Wo war der? Da fiel es ihm ein. Er hatte ihn auf den
Felsen gelegt. Seufzend kehrte Bob um, durchquerte ein zweites Mal
den Bach, fand den Deckel – und erstarrte.
Jemand hatte ein Fragezeichen auf den Felsen gemalt. Bob hatte es
zuvor nicht bemerkt. Am oberen Ende des Fragezeichens war ein
kleiner Pfeil, der bachaufwärts zeigte.
Peter oder Justus war hier gewesen! Der Stein, der als Malwerkzeug
gedient hatte, lag auf dem Boden. Bob hob ihn auf und kratzte
sicherheitshalber ein zweites Fragezeichen auf den Felsen. Er schaute
in die Richtung, in die der Pfeil zeigte. Da waren einige Pflanzen
umgeknickt und zertrampelt. Und ein Stück weiter schimmerte etwas
zwischen Ästen und dichtem Blattwerk hindurch. War das … ein
Gebäude?
Irritiert trat er näher. Das mit Zweigen und Blättern zugedeckte Loch
im Boden bemerkte er nicht. Sein nächster Schritt ging ins Leere.
Der Kolibri
Es war eine Meisterleistung gewesen, die Äste und Zweige der Bäume
am Ufer auf eine Weise zu verbiegen und zusammenzubinden, dass sie
ein so großes Versteck direkt am Seeufer bildeten. Und groß musste es
sein, denn es verbarg ein Wasserflugzeug.
Fasziniert betrachtete Justus die ausladenden Schwimmer, mit denen
das Flugzeug auf dem Wasser »stand«, den weißen Rumpf und die
stumpfen Flügel, die bis an den Vorhang aus Weidenzweigen
heranreichten. Jemand hatte die Maschine mit einem Seil an den
Baumstamm gebunden, damit sie nicht abgetrieben wurde. Das Seil
knarrte leise. Unter den Tragflächen war in einer Abfolge von
Buchstaben und Ziffern die Kennzeichnung zu lesen, ebenso am
seitlichen Rumpf. Daneben hatte jemand in etwas ungelenken
Buchstaben einen Namen geschrieben: Kolibri. John Addington war
nirgendwo zu sehen, die Tür zur Pilotenkanzel stand jedoch offen.
Plötzlich rumpelte es im Innern der Maschine. Jemand stöhnte vor
Schmerz. Dann war es still. Was war passiert? Hatte Addington sich da
drinnen verletzt? Justus lauschte und hörte minutenlang nur das leise
Plätschern des Wassers und das Knarren des Seils. Der Erste Detektiv
glitt zu einem der beiden Schwimmer, fand mit den Füßen Halt auf
dem Seegrund und drückte sich nach oben. An den Streben, die zum
Flügel führten, konnte er sich festhalten und zur Tür hangeln.
Vorsichtig blickte er in das Flugzeug hinein. Hinter den beiden
Pilotensitzen befand sich ein kleiner dunkler Laderaum. John
Addington lag mit abgewandtem Gesicht auf dem Boden und rührte
sich nicht.
Justus kletterte ins Flugzeug und stieg über die Sitze nach hinten. Im
Laderaum war es sehr eng. Als der Erste Detektiv sich über Addingtons
Gesicht beugte, schaute er auf ein triumphierendes Lächeln. Erst jetzt
entdeckte er die Pistole in Addingtons Hand.
»Hallo, Justus. Habe ich’s mir doch gedacht.«
Der Erste Detektiv ließ die Schultern sinken. »Sie haben mir eine Falle
gestellt.«
»Ich hörte es plätschern und sah dich durchs Fenster.« Addington
rappelte sich hoch, ohne Justus dabei aus den Augen zu lassen. »Du
und deine Freunde wart also die ganze Zeit hinter mir her. Ich wollte es
erst nicht glauben. Drei so Lausebengel. Aber dein Kumpel Bob hat
mich schon gestern beim Telefonieren belauscht, stimmt’s? Und dann
so getan, als würde er Musik hören. Clever. Und einer von euch war an
meinen Sachen.« Er hielt die blaue Mappe hoch. »Wart ihr das etwa
auch mit dem Bären?«
»Mir ist durchaus aufgefallen, dass Sie sich beobachtet und verfolgt
fühlen, Mr Addington. Aber von welchen Annahmen auch immer Sie
ausgehen, Sie liegen falsch.«
»Ha! Als ob ihr mir nicht nachspioniert hättet.«
»Ich gebe zu, dass wir Ihnen gegenüber eine erhöhte Aufmerksamkeit
an den Tag gelegt haben.«
Addington lachte. »Erhöhte Aufmerksamkeit. Wer hat euch
engagiert?«
»Niemand.«
»Hör zu, Junge, mir ist schon klar, dass ihr nicht die Drahtzieher seid.
Aber ich will einen Namen. Wer steckt hinter der Sache am Hafen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber du weißt, wovon ich rede. Also, raus mit der Sprache!«
»Ich weiß, wovon Sie reden, weil Bob Ihr Telefonat belauscht hat. Mir
ist aber nicht bekannt, was genau sich am Hafen von Bellingham
abgespielt hat.«
Etwas Fiebriges flackerte in Addingtons Augen. »Das Gold gehört mir,
verstanden? Wer hat mich verraten? Du sagst mir jetzt sofort alles, was
du weißt!« Die Pistole in Addingtons Hand zitterte. Justus bekam es
mit der Angst zu tun. Der Mann war in diesem Moment
unberechenbar. »Los, raus mit der Sprache!«
»Mr Addington, ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich
versichere Ihnen, wir führen nichts Böses im Schilde.«
»Warum schleicht ihr mir dann hinterher?«
»Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Wir machen einfach bloß eine
Wanderung. Aber seit wir vorgestern in Two Creeks ankamen, sind
einige seltsame Dinge geschehen, die unsere Aufmerksamkeit erregt
haben. Bill Greyfield, ein Einwohner von Two Creeks, berichtete uns
von seltsamen Geschehnissen rund um den Capricorn Peak, für die er
Ralph Sanders verantwortlich machte.«
»Was für Geschehnisse?«
»Jemand scheint hier oben irgendein Unwesen zu treiben. Mr Greyfield
glaubt an Wilderei, aber vielleicht ist es etwas ganz anderes. Dann gab
es den nächtlichen Autoalarm und Ralphs Sturz von der Treppe. Uns
kam das sonderbar vor. Als würde jemand die Tour sabotieren wollen.
Und dann Sie. Sie wollten Ralph als Privatführer engagieren, haben
sich nur widerwillig der Gruppe angeschlossen und geheimnisvolle
Telefonate geführt, in denen es um eine halbe Million, um Gold und
um einen Kolibri ging. Unser Interesse war geweckt. Und ja, es stimmt,
wir haben Sie fortan im Auge behalten. Wir wollten Ihrem Geheimnis
auf den Grund gehen.«
Addington lachte auf. »Als Privatdetektive, oder was?«
»Ganz recht. Wir haben zu Hause in Kalifornien ein kleines
Detektivunternehmen und konnten in der Vergangenheit schon eine
Reihe verzwickter Fälle aufklären.«
John Addington lachte auf. »Gute Geschichte. Aber mich könnt ihr
nicht täuschen. Den Bären habt ihr auch angelockt, stimmt’s?«
»Jetzt hören Sie mal zu, Mr Addington. Der Bär hat mich verfolgt und
ich konnte mich nur in letzter Sekunde in den Fluss retten. Wo ich fast
ertrunken wäre. Und ich soll ihn angelockt haben? Ist das Ihr –« Ein
Geräusch ließ Justus innehalten. Etwas schabte und kratzte über die
Außenhülle des Flugzeugs. Die Weidenzweige wischten über die
Frontscheibe und es wurde heller vor den kleinen Fenstern.
»Was geht hier vor?«, fragte Addington alarmiert. »Wieso bewegen
wir uns? Der Kolibri ist doch festgebunden.«
»Ich sehe mal nach«, schlug Justus vor.
»Nichts da!« Addington drängte ihn beiseite und kletterte zwischen
den Sitzen hindurch nach vorn, wobei er sich den Kopf stieß und
fluchte. Er lehnte sich durch die Tür nach draußen und blickte sich um.
Langsam entfernte sich das Flugzeug von seinem Versteck unter der
Weide und glitt auf den See hinaus. »Wir treiben wirklich ab! Aber es
ist niemand zu sehen. Hast du uns etwa losgebunden?«
»Ganz sicher nicht.«
»Dein Freund Bob? Oder Peter? War das alles nur Theater, dass er
heute Nacht angeblich verschwunden ist? Hat er sich heimlich auf die
Suche nach dem Kolibri gemacht? Hat er das Gold etwa geborgen?
Antworte!«
»Ich verspreche Ihnen, dass wir unsere Unterhaltung fortsetzen
werden, aber wir sollten uns zunächst in Sicherheit bringen. Wie Sie
wissen, fließt der Bear’s Prey Lake über einen Wasserfall ab. Je weiter
wir auf den See hinaustreiben, desto stärker wird die Strömung.
Vielleicht können wir das Flugzeug mit vereinten Kräften
zurückziehen.«
»Zurückziehen? Bist du irre?« Addington wurde blass.
»Wollen Sie, dass es den Wasserfall runterrauscht?«
»Das ist mir völlig egal. Es ist nicht mein Flugzeug. Aber ich kann
nicht schwimmen!«
»Sie können nicht … Dann sollten wir das Flugzeug umgehend
verlassen. Ich kann Sie sicher an Land bringen. Sie halten sich einfach
an meinen Schultern fest und –«
»Du lässt mich ertrinken!«
»Das ist doch Unsinn, Mr Addington. Wir sollten uns beeilen, wir
werden immer weiter abgetrieben.«
Addington schien gar nicht zuzuhören. Er begann, die
Cockpitkontrollen zu untersuchen. Alles war voller Knöpfe und Hebel
und Anzeigen und Schalter. »Wie startet man dieses Ding?«
»Wie bitte?«
»Wir werfen den Motor an und fahren zurück an Land. Ich habe es mir
anders überlegt. Womöglich sind hier noch irgendwelche Spuren, die
mir verraten, wo das Gold ist.«
»Sind Sie Pilot?«
»Sehe ich so aus?«
»Dann halte ich dieses Vorgehen für hochgradig –«
Addington drückte auf einen Knopf. Nichts passierte. Er drückte einen
anderen, zog an einem Hebel und legte einen Schalter um.
»Was machen Sie denn da?« Justus kletterte über die Rückenlehne,
setzte sich auf den Platz des Copiloten und machte alles, was
Addington getan hatte, wieder rückgängig.
»Finger weg!«
»Sie wissen doch gar nicht, was Sie tun.«
»Du etwa?«
»Ich stelle nur alles zurück auf null.«
»So kriegen wir den Motor sicher nicht zum Laufen.«
»Aber auch nicht, indem wir planlos auf irgendwelche Knöpfe
drücken.«
»Hast du eine bessere Idee?« Addington schrie fast. Er war nahe einer
Panik.
»Ja. Tun Sie mir nur den Gefallen und lassen Sie die Kontrollen in
Ruhe.« Justus sah sich um. Es war unglaublich eng. Gab es hier ein
Handschuhfach? Nein. Eine Seitentasche in der Tür? Nein.
»Was soll denn das werden?«
»Ich suche … Ah, hier!« Unter dem Sitz befand sich eine kleine
Kunststoffmappe mit Papieren. Darunter war ein Handbuch für das
Flugzeug. Justus blätterte bis zum Kapitel Startvorbereitungen.
Addington war entsetzt. »Du willst nach einem Handbuch fliegen?«
»Ich will gar nicht fliegen. Ich will den Motor starten und uns zurück
ans Ufer lenken.« Justus schaute aus dem Fenster. »Verflixt, die
Strömung wird stärker. Wir bewegen uns immer schneller. Uns bleiben
schätzungsweise noch etwa fünf bis zehn Minuten.«
»Das wird doch im Leben nichts!«
»Nicht, wenn Sie mich weiter ablenken.«
Addington hielt tatsächlich den Mund und zündete sich mit zitternden
Fingern eine Zigarette an. Justus war ziemlich sicher, dass das im
Cockpit eines Sportflugzeugs keine gute Idee war, aber er sagte nichts.
Sie hatten keine Zeit zu verlieren.
Vier Minuten später sagte er: »Okay, versuchen wir es mal.«
»Das wurde aber auch Zeit. Ich kann schon den Wasserfall sehen. Nun
mach!«
»Achtung, los geht’s.« Justus langte über Addingtons Schoß und zog
an einem roten Hebel. »Das müsste die Kraftstoffzufuhr sein. Und da es
bei einem Wasserflugzeug weder Bremse noch Handbremse gibt, muss
man eigentlich erst mal nichts weiter tun, als den Startknopf zu
betätigen.« Triumphierend drückte Justus auf den dicken roten Knopf
schräg unter dem Steuerknüppel.
Nichts geschah.
Er drückte noch mal.
Das Entsetzen stand Addington ins Gesicht geschrieben. »Willst du
mich auf den Arm nehmen?« Eine Welle ließ das Flugzeug schaukeln.
»Das sind schon die ersten Stromschnellen. Alles voller Steine hier.
Der Wasserfall!«
»Ich muss irgendetwas übersehen haben«, murmelte Justus und
blätterte im Handbuch zurück.
»Lass dir ruhig Zeit.« Addingtons Stimme kippte. Eine zweite Welle
erfasste das Flugzeug und es begann sich zu drehen. Nun zeigte es mit
der Schnauze direkt auf den Wasserfall. Und auf das Ende ihres Lebens,
sollte es Justus nicht gelingen, diesen verfluchten Motor in Gang zu
bekommen.
Der Bellingham-Vorfall, Teil 2
»Tu was!«, schrie Addington und drückte unkontrolliert auf Knöpfen
herum.
»Ich flehe Sie an, Mr Addington, lassen Sie das! Wer weiß, was das für
Folgen hat, wenn Sie –«
Plötzlich flammten Lichter auf und Nadeln auf tachoartigen Anzeigen
schnellten in die Höhe. Addington hielt inne. »Was habe ich getan?«
»Der Master-Schalter! Sie haben den Master-Schalter betätigt, der
dafür da ist, dass überhaupt irgendwas passiert.« Justus seufzte
erleichtert. »Den hatte ich vergessen. Tut mir leid. Gut gemacht, Mr
Addington. Jetzt müsste es funktionieren.« Er drückte erneut auf den
Startknopf und mit einem kräftigen Rattern und Röhren erwachte das
Flugzeug zum Leben. Ein Zittern ging durch die Maschine, als sich der
Propeller zu drehen begann.
»Du hast es geschafft!« Addington schrie vor Begeisterung. »Jetzt
lenken, lenken, lenken!«
Er griff selbst nach dem Steuer. Die Seitenruder bewegten sich, aber
das Flugzeug trieb immer noch auf den Wasserfall zu.
»Sie müssen mehr Gas geben, sonst haben wir nicht genug Schub.«
Addington versuchte es. Der Motor heulte auf. Und das Flugzeug
bewegte sich. Es glitt nach rechts. Unendlich langsam, wie es schien.
Aber dann stand es endlich quer zum Wasserfall und kurz darauf
bewegte es sich von dort weg und in einem weiten Bogen hinaus aus
der stärksten Strömung. Von nun an ließ sich der Kolibri ganz leicht
steuern. Innerhalb weniger Minuten hatten sie es zurück zur Weide
geschafft. Das Anlegen ging etwas unsanft vonstatten, da sie noch zu
viel Schwung hatten. Mit einem hässlichen Knirschen schabten die
Schwimmer über die ufernahen Steine, aber das war Addington und
Justus egal. Als sich das Flugzeug nicht mehr bewegte, knipste der
Erste Detektiv mit dem Master-Schalter alles aus, beide kletterten aus
der Maschine und balancierten über die Schwimmer an Land.
Justus vertäute das Flugzeug und ließ sich erschöpft ins hohe Gras an
der Böschung fallen. »Ich bin fix und fertig.«
Addington lachte erleichtert. »Detektive, ja?«, fragte er keuchend, als
hätte er einen Sprint hinter sich.
Justus nickte. »Glauben Sie mir jetzt?«
»Wenn du mir glaubst, dass ich hier nicht der Bösewicht bin.«
Der Erste Detektiv richtete sich wieder auf. »Ich glaube Ihnen, wenn
Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Was tun Sie hier? Woher wussten Sie
von dem Flugzeug? Warum haben Sie es gesucht?«
»Ich habe es gesucht, weil ich bestohlen wurde. Vor drei Wochen am
Hafen von Bellingham.«
»Die Schießerei«, sagte Justus. »Wir haben davon gelesen.«
»Dann weißt du ja schon alles.«
»Ich kenne nur die Überschriften.«
»Na schön. Dann eben ganz von vorne.« John Addington steckte sich
eine Zigarette an und begann zu erzählen. »Vor drei Wochen wollte
ich etwas sehr Wertvolles von einer Insel vor Bellingham zum Festland
transportieren, um es in der Stadt zu verkaufen.«
»Gold«, vermutete Justus.
»Richtig. Es gehörte meinem Großvater. Er ist der Gründer von
Addington & Sons. Hast du vielleicht schon mal gehört. Mein
Großvater war ein ziemlich eigenwilliger Mensch und hat gern nach
seinen eigenen Regeln gespielt. Das hab ich von ihm geerbt. Zum
Beispiel hatte er kein großes Vertrauen in Banken. Einen Teil seines
Vermögens legte er deshalb in Gold an. Heimlich.«
»Weil privater Goldbesitz in den Vereinigten Staaten für einige
Jahrzehnte aus wirtschaftlichen Gründen verboten war.«
Addington nickte. »Deswegen hat er es auch versteckt. Mein
Großvater verstarb vor ein paar Jahren. Niemand wusste von dem
Gold. Weshalb ich es erst vor wenigen Wochen entdeckte. Es lag in
einem Versteck auf einer kleinen Insel vor der Küste von Bellingham,
wo meine Familie seit Jahrzehnten ein Wochenendhaus hat. Das war
eine willkommene Überraschung, kann ich dir sagen.«
»Weil Sie Geldprobleme haben«, vermutete Justus. Er bemerkte
Addingtons misstrauischen Blick. »Sie haben es häufig genug in die
Schlagzeilen geschafft mit Ihrem unangepassten Lebensstil und sollten
sich nicht darüber wundern, dass ich zu dieser Schlussfolgerung
komme.«
Addington entspannte sich ein wenig. »Da hast du wohl recht. Ich
wollte die Goldbarren zu Geld machen und so ein paar … dringliche
Probleme lösen. Also vereinbarte ich einen Termin mit einem Händler,
lud das Gold in mein kleines Boot und fuhr damit nach Bellingham. Im
Hafen passierte es. Aus dem Nichts tauchten zwei maskierte Kerle auf.
Sie konnten mich am Pier überwältigen und fesseln und mir die Augen
verbinden. Und dann räumten sie in aller Seelenruhe mein Boot aus.«
»Wer waren die beiden?«
»Wie gesagt: Sie waren maskiert.«
»Aber Sie haben doch bestimmt eine Ahnung. Der Überfall war ja kein
Zufall. Jemand muss von dem Goldtransport gewusst haben.«
Addington zog die Augenbrauen hoch und stieß eine große
Rauchwolke aus. »Na ja, wie soll ich sagen … Da kämen so einige
Menschen infrage. Ich habe mir nicht nur Freunde gemacht im Leben,
weißt du. Da wären zum einen meine habgierigen Geschwister, die
mich aus dem Firmenvorstand geworfen haben. Und ein paar alte
Bekannte aus der Musikszene, mit denen es nicht so gut lief … Ich
musste Schulden machen und, na ja … sagen wir so … Es gibt ein paar
Kandidaten, die mich vielleicht auf dem Kieker hatten. Es ist
kompliziert. Um diese Frage werde ich mich kümmern, wenn ich das
Gold gefunden habe.«
»Na schön. Zurück zum Überfall. War denn sonst niemand am Hafen?
Wieso gab es keine Zeugen?«
»Weil ich das Gold mitten in der Nacht abgeholt habe. Es sollte ja
niemand mitbekommen. Aber so war ich den Ganoven natürlich
ausgeliefert. Na ja, fast. Ich habe mich nämlich gewehrt. Damit haben
sie nicht gerechnet. Ich konnte die Fesseln an der rostigen Kante eines
Frachtcontainers durchscheuern. Die Gangster waren schon dabei, die
beiden Kisten mit dem Gold zu ihrem Wasserflugzeug zu schleppen.
Aber hundertzwanzig Kilo schleppen sich nicht so leicht. Ich rief sofort
die Polizei. Und dann kam es zu einer Schießerei.«
»Mit der Polizei? War die so schnell zur Stelle?«
»Nein. Es kam zur Schießerei mit mir. Mit so einer Fracht an Bord
hatte ich natürlich meine Pistole dabei. Die holte ich von meinem Boot.
Die Kerle gingen in Deckung. Sie waren ebenfalls bewaffnet. Wir
belauerten uns gegenseitig zwischen den Lagerhallen und Containern.
Es war wie im Western. Endlich kam die Polizei. Aber da war es zu
spät. Das Wasserflugzeug bewegte sich schon aufs offene Meer hinaus.
Ich lief hinterher und schoss.«
»Haben Sie getroffen?«
»Ja. Dazu komme ich gleich. Der Kolibri hob ab und plötzlich waren
überall Polizisten. Aber die Idioten richteten ihre Waffen auf mich! Als
wäre ich der Bösewicht!«
»Nachvollziehbar. Woher hätten sie wissen sollen, was vor sich ging?
Ganz abgesehen davon, dass Sie auch leicht jemanden hätten verletzen
können oder Schlimmeres.«
»Ich habe mich nur verteidigt. Und dafür wurde ich festgenommen.
Dann tauchte auch noch eine Zeugin auf, eine Arbeiterin auf dem Weg
zu ihrem Job am Hafen, die behauptete, alles beobachtet zu haben. Gar
nichts hat sie gesehen, die blöde Kuh. Sie hat lauter dummes Zeug
erzählt. Ich hätte angefangen zu schießen und so weiter.«
»Das haben Sie ja auch«, bemerkte Justus.
Addington warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich wollte mein Gold
retten! Die Polizei glaubte mir nur so halb und verdonnerte mich dazu,
dass ich den Staat Washington nicht verlassen darf, solange die
Untersuchungen laufen. Und dann kam auch noch die Presse. Die
belagerte mich tagelang. Aber ich habe diesen Aasgeiern nichts gesagt.
Sonst wären jetzt tausende von Leuten auf der Suche nach dem Gold.
Na, vielen Dank auch.«
»Woher wussten Sie denn, wo Sie suchen müssen?«
»Die Polizei fahndete nach dem Flugzeug. Über das Kennzeichen
konnte der Eigentümer ermittelt werden, ein gewisser Ernie Botnick.
Mir sagt der Name nichts, wahrscheinlich wurde der Mann nur als
Pilot engagiert. Sie konnten die Flugroute etliche hundert Meilen nach
Osten verfolgen. Aber über Montana verlor sich die Spur. Die
Fahndung war an alle offiziellen Wasserlandeplätze rausgegangen,
ohne Erfolg. Also musste der Kolibri unbemerkt in der Wildnis
gelandet sein. Und ich weiß auch, warum.« Addington zeigte auf ein
Einschussloch im Rumpf des Flugzeugs. »Weil ich den Tank getroffen
habe. Normalerweise hat so eine Maschine eine größere Reichweite.
Aber weil sie Treibstoff verlor, war über Montana Schluss. Der Kolibri
musste notlanden.«
»Und woher wussten Sie, wo genau?«
»Ich wusste es nicht. Aber es ist nun mal ein Wasserflugzeug. Also
habe ich mir alle Seen in Montana angesehen, die groß genug für eine
Landung sind und einsam genug, dass niemand die Landung bemerkt.«
Er warf Justus die blaue Mappe mit den Ausdrucken der
Satellitenbilder hin. Dann fiel ihm ein: »Ach, die kennst du ja schon.«
»Ja. Tut mir leid. Woher haben Sie die Bilder?«
Addington zuckte mit den Schultern. »Beziehungen. Ich habe ältere
Bilder mit aktuellen verglichen und bin dabei auf das hier gestoßen.«
Er zeigte dem Ersten Detektiv die eingekreiste Stelle. Nun, da Justus
wusste, was es war, erkannte er die vage Form eines Flugzeugs unter
dem Blätterdach. »Das war auf den älteren Aufnahmen noch nicht zu
sehen.«
»Eine beeindruckende detektivische Leistung, John«, sagte Justus
anerkennend.
Addington lachte. »Das ist wahrscheinlich ein Riesenkompliment aus
deinem Mund. Woher kennst du überhaupt meinen Vornamen? Ich
habe ihn niemandem gesagt.«
Justus runzelte die Stirn. »Eine kleine Routine-Recherche zu Ihrer
Person«, murmelte er abwesend, während er über etwas nachdachte.
Dann kehrte er zum Thema zurück: »Sie entdeckten also das Flugzeug
auf den Satellitenbildern und suchten daraufhin jemanden, der Sie zu
diesem See führt.«
»Ich habe suchen lassen. Mein Assistent George hat das übernommen.
So kam es zu dem Missverständnis mit Ralph Sanders. Ich hätte es
besser selbst gemacht. Aber wozu hat man schließlich einen
Assistenten? Eigentlich managt er meine Band.«
»Okay, Sie haben sich also widerstrebend der Wandergruppe
angeschlossen und nun haben Sie endlich Ihr Ziel erreicht. Aber wo ist
das Gold?«
John Addington schaute zum Flugzeug und seufzte. »Weg.«
»Damit war aber zu rechnen, oder? Wenn man mit einem Flugzeug
voller Gold abhaut und dann notlanden und das Flugzeug verstecken
muss, nimmt man das Gold ja trotzdem mit.«
»So ein Barren wiegt mehr als zwölf Kilo. Zu Fuß transportiert man
davon höchstens einen über eine weitere Strecke. Ich dachte, ich finde
einen Hinweis im Flugzeug. Aber da ist nichts.«
»Es gibt Hinweise«, widersprach Justus und begann unbewusst, seine
Unterlippe zu kneten. »Jede Menge Hinweise sogar, je länger ich
darüber nachdenke. Da wäre zunächst der Name des Piloten: Ernie
Botnick. Wir haben vorgestern in einem Vogelhäuschen beim Green
House einen toten Briefkasten entdeckt. Darin befand sich eine
geheime Botschaft an einen gewissen Thomas. Absender: Ernie.«
Addington horchte auf. »Tatsächlich?«
»Ernie bat um Versorgung mit Medikamenten und um ein
Abwehrmittel gegen Bären. Nach Ralphs Sturz von der Treppe hat
Peter noch einmal nachgesehen: Die Botschaft war verschwunden. Das
bedeutet vermutlich, dass Thomas sie in Empfang genommen hat.«
»Wer ist Thomas?«
»Das ist die große Frage. Vermutlich ist er unser Saboteur. Der Mann,
der die Treppe in eine gefährliche Stolperfalle verwandelt hat, um zu
verhindern, dass die Wanderung stattfindet. Und der womöglich auch
den Bären anlockte, damit wir seinem Geheimnis nicht zu nahe
kommen. Dem Goldversteck.«
»Und jemand muss vorhin das Flugzeug losgebunden haben. Aber es
gibt doch gar keinen Thomas in der Wandertruppe.«
»Er könnte sich unter falschem Namen angemeldet haben.«
Addington legte die Stirn in Falten. »Wer immer es war … wenn er die
Wanderung sabotieren wollte, damit wir das Goldversteck nicht finden
… dann heißt das ja, dass die Wanderroute direkt am Goldversteck
vorbeiführt.«
»Die geänderte Wanderroute.« Justus’ Augen blitzten. »Wenn ich
Ihnen meine Theorie präsentieren darf: Ernie, der Pilot, hält sich seit
der Notlandung in den Bergen versteckt. Wir können mutmaßen, dass
er das Gold bewacht. Vielleicht hat er auch Angst vor der Polizei, die
nach ihm sucht, und will abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen
ist. Das ist zunächst auch kein Problem. Aber dann ändern Ralph und
Zoe wegen des Brückeneinsturzes die Route. Jetzt besteht die Gefahr,
dass die Wandertruppe Ernies Versteck entdeckt. Und Thomas, sein
Kumpan und damit vermutlich der zweite Mann, der an dem Überfall
in Bellingham beteiligt war, will das verhindern.«
»Dann hoffen wir, dass niemand aus Versehen darüber stolpert. Denn
ich weiß von der Polizei, dass Ernie dort kein Unbekannter ist. Er saß
wegen einiger Verbrechen schon im Gefängnis. Mit Ernie Botnick ist
nicht zu spaßen.«
Ernies Tagebuch
Bob fiel. Das glaubte er zumindest für einen Sekundenbruchteil, als
sein Schritt plötzlich ins Leere ging. Aber es war kein bodenloser
Abgrund, in den er stürzte, sondern nur ein etwa ein Meter tiefes Loch.
Er konnte sich mit den Händen abfangen. Sein Schienbein schrammte
schmerzhaft an der Kante entlang. »Autsch! Verdammt!« Er biss die
Zähne zusammen und tastete das Bein ab. Zum Glück war nur ein
bisschen Haut abgeschürft. Bob kletterte aus dem Loch heraus und
wischte sich das Laub und die Zweige, mit denen es abgedeckt gewesen
war, von der Hose. Wer hatte diese Falle gegraben? Und für wen?
Kaninchen? Bären? Oder Menschen? War es dieses Loch gewesen, in
das Bill Greyfield gestürzt war und sich den Fuß verstaucht hatte?
Bob schaute zu dem Gebäude, das ein Stück entfernt auf der kleinen
Lichtung stand. Jetzt bemerkte er, dass die umgebenden Pflanzen nicht
aus dem Boden wuchsen, sondern absichtlich dort drapiert worden
waren. Jemand hatte versucht, die Hütte vor neugierigen Blicken zu
verbergen. Es war nur halb geglückt. In der Hütte würde Bob
Antworten finden, da war er ganz sicher. Je näher er kam, desto mehr
Abdrücke entdeckte er, die zur Tür und von ihr wegführten.
Schuhabdrücke.
»Peter?«, rief Bob ein weiteres Mal.
War da ein Geräusch gewesen? Er ging zum Fenster. Drinnen standen
eine Pritsche, ein Tisch, ein Stuhl, ein Rucksack und einige
Campingsachen. Jemand hatte sich hier häuslich eingerichtet. Aber
dieser Jemand war anscheinend gerade nicht zu Hause. Die Tür knarrte
vernehmlich, als Bob sie öffnete.
Plötzlich schnellte eine Hand hinter der Tür hervor, packte den dritten
Detektiv am Ärmel und zerrte ihn in die Hütte. Überrumpelt stolperte
Bob in die Raummitte, drehte sich um und blickte in das panikerfüllte
Gesicht seines Freundes.
»Peter!«
Der Zweite Detektiv war gefesselt. Sein Mund zugeklebt. Ein Mann mit
wildem Bart und noch wilderem Blick hielt ihn von hinten
umklammert. Die rechte Hand krampfte sich um ein großes
Jagdmesser. »Verhalt dich ruhig und ihm passiert nichts«, keuchte er
und unterdrückte ein Husten.
»Wer sind Sie?«, brachte Bob hervor.
»Niemand. Sieh mich nicht an. Du sollst wegsehen, habe ich gesagt!«
Das Messer in der Hand des Fremden zitterte.
Bob zuckte und drehte den Kopf weg. Er blickte jetzt aus dem Fenster.
»Ich will Ihnen nichts Böses. Aber lassen Sie meinen Freund frei.«
»Das kann ich nicht.«
»Was haben Sie vor? Sie können ihn doch nicht ewig festhalten.«
Der Mann schien mit sich zu ringen. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Sein Atem ging keuchend. »Ihr werdet mich verraten. Ihr werdet die
Polizei rufen und dann …« Er hustete. So stark, dass er sich
krampfartig vorbeugen musste. Dabei lockerte sich sein Griff. Peter
entwand sich und sprang mit ein paar Sätzen zu Bob, der ihm sofort
das Klebeband vom Mund riss und sich schützend vor ihn stellte.
Als der Mann sich aufrichtete, keuchend, schweißüberströmt und mit
tränenden Augen, sahen sie die Verzweiflung in seinem Gesicht. Er
tastete nach der Tür, riss sie auf und stolperte nach draußen. Bob warf
die Tür zu und versperrte sie behelfsmäßig mit der Stuhllehne.
Peter atmete hörbar aus. »Bin ich froh, dass du da bist!«
»Warte, ich befreie dich.« Der dritte Detektiv zog das Klebeband von
den Hand- und Fußgelenken seines Freundes. »Ist alles in Ordnung mit
dir?«
»Ja, ich glaube schon. Einigermaßen. Wo ist Justus?«
»Ich weiß es nicht. Lange Geschichte. Was machst du hier?«
»Auch eine lange Geschichte.«
»Wer ist dieser Kerl?«
»Ernie.«
»Ernie?«
»Später. Ich will erst wissen, ob er wirklich weg ist.« Peter humpelte
zum Fenster und sah hinaus. »Er rennt zum Waldrand. Nein, er taumelt
eher. Ach, du meine Güte!«
»Was ist?« Bob kam ebenfalls zum Fenster. Aus dem Wald traten zwei
Gestalten. John Addington. Und Justus Jonas. In dieser Sekunde
entdeckten sie Ernie. Auch er hatte die beiden Neuankömmlinge
bemerkt und war erstarrt.
»Wir müssen raus!«, drängte Peter.
Sie verließen die Hütte. Ernie hörte die Tür knarren und wirbelte
herum.
»Bob! Peter!«, rief Justus erleichtert.
»Haut ab!«, schrie Ernie. Ohne dass sie es vorgehabt hatten, hatten sie
ihn auf der Lichtung quasi eingekesselt. »Haut ab, oder ich …« Erneut
ging das, was er sagen wollte, in einem Hustenanfall unter. Diesmal
hörte der Anfall nicht auf. Ernie hustete und hustete, ging in die Knie
und fiel zur Seite.
Justus und Addington kamen näher.
»Vorsicht, er hat ein Messer!«, warnte Bob.
Sie erreichten Ernie gleichzeitig. Er hatte das Messer tatsächlich
gezückt, aber er bedrohte sie nicht damit. Stattdessen richtete er die
zitternde Klinge auf sich selbst.
»Lasst mich«, röchelte er. »Es ist vorbei.«
Addington trat auf Ernie zu.
»Passen Sie auf!«, rief Justus, aber da hatte Addington dem Mann
schon mit einer schnellen Bewegung das Messer entwunden. Ernie
leistete keinen Widerstand mehr. Er brach zusammen und blieb
keuchend liegen. Seine Stirn glühte und war nass vor Schweiß.
»Bob! Peter!«, wiederholte Justus. »Bin ich froh, euch zu sehen.«
»Gleichfalls, Erster«, sagte Bob. »Angela …?«
»Ist wohlauf, keine Sorge. Ist das Ernie Botnick?«
Peter schüttelte ungläubig den Kopf. »Woher weißt du das denn schon
wieder? Egal, erklär’s mir später. Wir sollten ihn erst mal reinbringen.
Er ist krank.«
Mit vereinten Kräften schleppten sie den Mann in die Hütte und legten
ihn auf die Pritsche. Er verfiel in einen halb wachen, halb
ohnmächtigen Zustand, aber sein Atem beruhigte sich langsam. Peter
befeuchtete ein in der Ecke liegendes schmutziges T-Shirt mit Wasser
und legte es behutsam auf Ernies Stirn.
»Okay«, sagte Bob. »Wer fängt an?« Fragend sah er zu Justus.
Justus sah zu Peter.
Peter sah zu Ernie Botnick. »Er«, sagte der Zweite Detektiv. »Ich will
zuerst seine Geschichte erfahren.«
»Ich glaube nicht, dass der so bald wieder beisammen ist«, meinte
Addington.
»Das braucht er auch nicht zu sein.« Peter nahm das Schreibheft vom
Tisch. »Das ist sein Tagebuch. Eine halbe Seite habe ich schon gelesen.
Ich bin gespannt auf den Rest.« Er blätterte zurück zur ersten Seite und
las laut vor.
12. Mai
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe die dramatischsten Tage
meines Lebens hinter mir. Ich wurde verraten und bin mitten in eine
Katastrophe geschlittert. Ich schreibe jetzt alles auf, weil ich keine
Ahnung habe, wie es mit mir weitergeht. Vielleicht sterbe ich hier oben
auf dem Berg und dann weiß womöglich niemand, wer ich bin.
Aber der Reihe nach.
Mein Name ist Ernie Botnick. Ich bin ein Mann, der in seinem Leben eine
Menge falscher Entscheidungen getroffen hat. Falsche Entscheidungen,
die mich für einige Jahre ins Gefängnis brachten. Als ich wieder
rauskam, wollte ich mein Leben ändern. Ich bin Hobbypilot und besitze
ein kleines Wasserflugzeug. Ich hatte gehofft, mit der Fliegerei
irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Es klappte
nicht richtig. Ich hatte ständig Geldprobleme.
Vor zwei Wochen rief Thomas mich an. Wir hatten einige Zeit
zusammen im Gefängnis gesessen. Er bat mich um einen Gefallen.
Thomas war mir nie ganz geheuer gewesen und ich wollte eigentlich
nichts mehr mit krummen Geschäften zu tun haben. Aber ich brauchte
Geld und er versicherte mir, dass alles ganz harmlos und ungefährlich
wäre. Ich sollte mit meinem Kolibri im Hafen von Bellingham eine Fracht
abholen und nach Wyoming fliegen. Mehr nicht. Ich sagte zu.
Thomas erwartete mich nachts am Hafen. Er zog mich in ein Versteck
und erklärte mir, dass bald ein kleines Boot mit einer Menge Gold an
Bord anlegen würde. Wir würden den Bootsführer überfallen, das Gold
stehlen und ich sollte es mit dem Flugzeug in Sicherheit bringen. Ich
rastete aus. Von einem Transportflug war die Rede gewesen, nicht von
einem Raubüberfall! Ich wollte aussteigen. Wir stritten uns. Das Boot
kam. Thomas geriet unter Druck. Er versprach mir die Hälfte der Beute,
wenn ich mitmachte. Eine Menge Gold. Und ich Idiot knickte ein und
sagte zu.
Thomas hatte für alles gesorgt, er hatte sogar eine Waffe für mich. Wir
maskierten uns und überwältigten und fesselten den Mann, nachdem er
an Land gegangen war. Das Gold befand sich in Holzkisten. Wir trugen
sie gerade vom Boot über den Pier zum Flugzeug, da befreite sich der
Kerl plötzlich irgendwie und schoss auf uns. Wir gingen in Deckung und
schossen zurück. Ich wollte niemanden verletzen, sondern es nur sicher
zum Kolibri schaffen und verschwinden. Da tauchte die Polizei auf,
stürmte den Hafen und alles ging drunter und drüber. Thomas war
plötzlich verschwunden. Ich rettete mich ins Flugzeug, fuhr aus dem
Hafenbecken hinaus und hob ab.
Ich hatte mit Thomas verabredet, zu einem kleinen Privatflugplatz in
Wyoming zu fliegen. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, blieb
ich bei dem Plan. Aber irgendwann merkte ich, dass der Tank sich
schneller leerte, als er sollte. Eine Kugel hatte ihn getroffen. Über
Montana war die Situation zu heikel, um weiterzufliegen. Ich musste
auf einem einsamen Bergsee notlanden. Ich versteckte das Flugzeug am
Ufer, fand einen Wanderweg und marschierte in den nächstgelegenen
Ort, Two Creeks. Mein Handyakku war längst leer, also ging ich in einen
Diner. Die Eigentümerin ließ mich telefonieren und ich konnte endlich
Kontakt zu Thomas aufnehmen. Der hatte gerade noch vor der Polizei
fliehen können. Doch es war etwas geschehen.
Es fällt mir schwer, es niederzuschreiben. Aber ich muss der Wahrheit
ins Auge sehen. Einer der Polizisten ist bei der Schießerei ums Leben
gekommen. Seitdem sind sie auf der Suche nach seinem Mörder. Nach
mir. Denn die tödliche Kugel stammte aus meiner Pistole, die ich bei der
Flucht im Hafen verloren hatte.
Ich habe jemanden erschossen. Ich habe einen Menschen getötet. Gott,
vergib mir!
Thomas beschwor mich, mich zu verstecken. Schockiert kehrte ich
zurück in den Wald und fand ein Stück vom See entfernt eine alte
verlassene Rangerhütte, die nicht mehr benutzt wird. Und hier sitze ich
nun. Es gibt eine Pritsche, einen Tisch, vergessenen Krempel und
frisches Wasser aus einem kleinen Gebirgsbach. Doch was nützt es? Ich
kann nicht ewig hierbleiben. Oder?
Ich habe dieses kleine Schreibheft gefunden. Es hat nur noch wenige
Seiten. Sie reichen aus, um meine Geschichte zu erzählen. Sie reichen
nicht, um festzuhalten, was in mir vorgeht. Ich habe einen Menschen
getötet. Zehntausend Seiten würden nicht reichen.
15. Mai
Ich war noch einmal in Two Creeks. Ich wollte mich der Polizei stellen.
Unterwegs verließ mich der Mut. Am Ende habe ich nur die
Lebensmittel geholt, die Thomas in einem Gartenschuppen für mich
deponiert hatte. Ich bin ein elender Feigling. Andererseits – würde es
etwas ändern, wenn sie mich verurteilen und einsperren? Ich kann nicht
zurück ins Gefängnis. Ich kann nicht.
18. Mai
Es regnet in Strömen und ein Bär ist aufgetaucht. Ich habe ihn gestern
und heute gesehen. Er schnüffelte an meinen leer gekratzten
Raviolidosen herum, die draußen lagen. Zum Glück waren sie nicht mehr
in der Hütte, sonst hätte er womöglich die Tür zertrümmert. Ich werde
die leeren Dosen in Zukunft etwas weiter weg bringen. Ich habe großen
Respekt vor dem Bären. Er interessiert sich nicht nur für meine
Essensreste, sondern auch für die Hütte. Vermutlich kann er mich
wittern. Ich brauche mehr Vorräte und habe eine Liste angefangen, die
ich in einem Vogelhäuschen beim Gartenschuppen verstecken werde,
wenn ich das nächste Mal runtergehe. So bleiben Thomas und ich in
Kontakt, ohne dass er ständig in Two Creeks sein muss.
22. Mai
Wie soll es weitergehen? Ich kann doch nicht ewig auf dem Berg
bleiben. Thomas schrieb mir einen Brief. Er vertröstet mich. Im Moment
wird überall nach mir gefahndet. Und auch Thomas hat Angst, von der
Polizei beobachtet zu werden. Ich muss mich noch gedulden. Aber ich
bin krank geworden. Kein Wunder bei dem Wetter. Tagelang hat es
geregnet. Der kleine Bach war reißend und hat eine Brücke zerstört.
Außerdem wird der Bär zu einem Problem. Heute tauchte er plötzlich
direkt vor mir auf, als ich vom Wasserholen kam. Ich konnte mich in
einem großen Bogen in die Hütte flüchten. Er kommt immer über den
gleichen Weg. Vielleicht kann ich ihn irgendwie fernhalten, wenn ich ein
Loch grabe? Eine Bärenfalle? Viel mehr Möglichkeiten habe ich hier oben
nicht.
24. Mai
Ich gebe es auf mit der Falle. Mein Grabwerkzeug ist die Rückenlehne
eines kaputten Klappstuhls, der in der Hütte stand. Ich habe Blasen an
den Händen und das Loch ist erst einen Meter tief. Ich werde es
trotzdem tarnen, aber ich glaube nicht, dass der Bär sich davon
beeindrucken lässt.
Mein Husten wird schlimmer.
26. Mai
Ich wäre fast entdeckt worden. Wanderer kamen an der Hütte vorbei.
Es war purer Zufall, dass sie weder meine Bärenfalle noch meine Spuren
entdeckt haben. Ich werde versuchen, die Hütte vor Blicken zu
verbergen, wie ich es auch schon mit dem Flugzeug am See gemacht
habe.
27. Mai
Jemand ist in meine Falle gelaufen. Ich habe es nicht gesehen, aber die
Abdeckung war kaputt. Ich glaube nicht, dass es der Bär war.
Irgendjemand war hier. Schon wieder. Es geht so nicht weiter. Früher
oder später werde ich entdeckt werden. Ich kann die Hütte nicht
verlassen. Wegen des Bären brauche ich einen sicheren Unterschlupf.
Außerdem geht es mir immer schlechter. Ich habe mich noch einmal
runter nach Two Creeks und wieder raufgeschleppt. Das sind jedes Mal
acht Stunden strammer Marsch. Meine Lunge rasselt. Ich huste. Es steht
gerade nicht gut um mich. Aber ich muss das hier irgendwie
überstehen. Ich muss. Oder ist dies meine gerechte Strafe?
2. Juni
Ich habe seit zwei Tagen Fieber und schlafe fast den ganzen Tag. Ob ich
es überhaupt noch mal nach Two Creeks schaffen würde, ohne
zusammenzubrechen? Habe ich den Zeitpunkt verpasst, um mein
eigenes Leben zu retten?
Verdammt. Es ist etwas passiert. Jetzt gerade. Es ist so bizarr, dass ich
nicht einmal weiß, ob ich nicht vielleicht träume. Ein Junge ist
aufgetaucht. Er stand plötzlich am Fenster. Ich ging raus und er brach
zusammen. Ich konnte ihn nicht draußen liegen lassen, also schleppte
ich ihn rein. Er ist fiebrig und schläft. Ich habe ihm eine Augenbinde
verpasst, falls er aufwacht. Er darf mich nicht sehen. Woher kommt er?
Was stimmt nicht mit ihm? Hoffentlich hat er nichts Ansteckendes. Das
wäre dann sicherlich mein Ende. Wenn ich eine Lungenentzündung
bekomme, ist alles vorbei. Thomas muss mir bald Medikamente
bringen, sonst sterbe ich hier draußen. Ich brauche eine Lösung, und
zwar bald, und dieser Junge hat mir gerade noch gefehlt. Ich muss ihn
loswerden. Aber vielleicht ist sein Auftauchen auch nur das letzte
Zeichen. Ein Tritt in den Hintern, den ich brauche, um mich endlich der
Polizei zu stellen.
Ich bin hier nicht sicher vor der Entdeckung. Ich brauche ärztliche Hilfe.
Und ich ersticke an meiner Schuld. Ich bin verzweifelt. Was soll ich nur
tun?
Peter ließ das Schreibheft sinken und bemerkte, dass Ernie Botnick in
der Zwischenzeit sein Bewusstsein wiedererlangt hatte. Schweigend
hatte er Peters Vortrag gelauscht.
»Jetzt ist es endlich raus«, flüsterte er.
Bob warf Ernie einen mitfühlenden Blick zu. »So ist das also.«
»Nein«, widersprach Justus und schaute langsam in die Runde. »So ist
es ganz und gar nicht.«
Ein Mann namens Thomas
»Was meinst du damit, Justus?«, fragte Peter irritiert.
»Mr Botnicks Bericht deckt sich nicht mit dem, was Mr Addington mir
erzählt hat«, sagte der Erste Detektiv. »Wir haben über die Schießerei
am Hafen gesprochen. Seine Version unterscheidet sich in einem
wesentlichen Punkt von Mr Botnicks Schilderungen.«
Addington schmunzelte und wandte sich an Ernie Botnick. »Ich bin
John Addington. Der Mann, den Sie überfallen haben. Der auf das
Flugzeug geschossen hat. Was Justus sagen will, ist: Alles hat sich
genau so zugetragen, wie Sie es aufgeschrieben haben – abgesehen
davon, dass bei der Schießerei niemand ums Leben gekommen ist.«
Ernies Blick flackerte. »Wie bitte?«
»Die Polizei kam, eine Zeugin sagte aus, ich wurde vorläufig
festgenommen, die Fahndung nach dem Flugzeug wurde eingeleitet,
aber es wurde niemand erschossen. Auch nicht angeschossen. Es
stimmt ganz einfach nicht.«
Ernie unterdrückte ein Husten. »Aber Thomas hat doch gesagt –«
»Thomas hat gelogen«, sagte Justus. »Und mir wird auch langsam klar,
warum. Ja, natürlich. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Das Gold. Es ist gar
nicht hier, nicht wahr?«
»Hier? Was meinst du damit? Nein. Natürlich nicht.«
»Augenblick mal.« John Addington schaute alarmiert von Justus zu
Ernie und wieder zurück. »Wieso ist es nicht hier?«
Der Erste Detektiv antwortete ihm. »Es wurde nie ins Flugzeug
verladen. Ich nehme an, Sie selbst haben das verhindert, Mr Addington,
indem Sie das Feuer eröffneten. Oder haben Sie tatsächlich gesehen,
wie die Kisten an Bord des Kolibris gebracht wurden?«
»Nein«, gestand Addington. »Aber am Hafen war es nicht. Also muss
es doch ins Flugzeug verladen worden sein.«
»Nein«, sagte Ernie. »Dazu blieb keine Zeit. Als die Polizei kam, wollte
ich nur so schnell wie möglich abheben.«
Justus nickte langsam und zupfte dabei an seiner Unterlippe. »Wie ich
bereits sagte, alles ergibt einen Sinn. Thomas hat gelogen. Und zwar,
um die Beute nicht mit Ihnen teilen zu müssen, Mr Botnick. Die Polizei
glaubt, das Gold wurde an Bord des Flugzeugs geladen. Der Einzige,
der diesen Irrtum aufklären könnte, sind Sie. Aber Ihnen wurde
weisgemacht, Sie hätten jemanden erschossen, daher verstecken Sie
sich im Wald. Während Thomas so tat, als kümmere er sich um Ihr
Wohlergehen und wolle Sie vor größerem Übel bewahren, verfolgte er
in Wahrheit genau das gegenteilige Ziel: Sie loszuwerden. Und wenn
ich Ihren Gesundheitszustand korrekt beurteile, wäre ihm das auch fast
gelungen.«
Ernies Augen füllten sich langsam mit Tränen, während er mehr und
mehr verstand, was in den letzten Wochen geschehen war. »Ich … ich
habe niemanden umgebracht.«
»Nein«, bekräftigte der Erste Detektiv. »Das haben Sie nicht.«
Der Mann seufzte tief auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er wieder
sprechen konnte. »Ich werde mich der Polizei stellen und alles
zugeben, was ich getan habe«, versprach er. »Wenn ich es von diesem
Berg hinunterschaffe.«
»Wir helfen Ihnen«, versprach Justus. »Ich hätte da allerdings noch
eine Frage. Dieser Thomas … der Mann, der Sie verraten hat – wie sieht
der aus?«
Eine halbe Stunde später machten sich die drei ???, John Addington
und Ernie Botnick auf den Weg. Mithilfe des restlichen
Textilklebebands hatten sie Trageschlaufen konstruiert und an die
Liege geklebt. So konnten sie Ernie transportieren, der den Abstieg auf
seinen eigenen Beinen niemals geschafft hätte. Es war schweißtreibend
und auf den steilen und rutschigen Etappen nicht ganz ungefährlich.
Ernie fiel bald in einen fiebrigen Schlaf, aus dem ihn immer wieder
kurz sein bedrohlicher Husten riss.
Unterwegs hatten die Jungen genügend Zeit, einander ihre Abenteuer
in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Bob und Peter erlebten Justus’
dramatischen Kampf, um dem reißenden Fluss zu entkommen, noch
einmal mit. Und Justus, Bob und Mr Addington staunten über Peters
nächtliche Irrwanderung. Bob klärte seinen Freund darüber auf, dass
die giftigen Pilze für seinen traumartigen Zustand verantwortlich
gewesen waren, deren Wirkung zum Glück nach einigen Stunden
nachgelassen hatte.
»Und ich dachte schon, mit mir stimmt was nicht«, sagte der Zweite
Detektiv erleichtert. »Es war, als wäre ich auf einem fremden Planeten
unterwegs. Und dieser Planet schwebte in meinem eigenen Kopf. Der
so groß war wie ein Flugzeughangar.«
Bob hob die Augenbrauen.
»Besser kann ich es nicht erklären. Es war irgendetwas zwischen
Träumen und Wachsein.«
»Immerhin warst du so geistesgegenwärtig, ein Fragezeichen auf dem
Felsen zu hinterlassen«, sagte Bob.
»Das muss eine Art Reflex gewesen sein. Auch nicht normal, wenn du
mich fragst. «
»Aber nützlich. Sonst hätte ich dich nicht gefunden.«
»Ich schon«, meinte Justus. »Als mir klar wurde, dass wir nach etwas
suchen, das in der Nähe der Wanderroute liegen muss, sahen Mr
Addington und ich uns die Satellitenfotos genauer an und entdeckten
die alte Rangerhütte.«
Ernie schreckte hustend aus seinem Schlaf auf. »Peter«, röchelte er
leise. »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht gefangen halten. Aber ich
wusste nicht, was ich tun soll. Ich war … Ich wusste einfach nicht …«
»Schon gut, Mr Botnick. Ruhen Sie sich aus. Wir klären das alles
später.«
Ernie nickte schwach und war kurz darauf schon wieder eingeschlafen.
Eine halbe Stunde später erreichten sie das Camp. Zoe, Simon und
Angela saßen um das Lagerfeuer herum, das fast heruntergebrannt
war. Dylan war nirgendwo zu sehen.
Zoe sprang auf und lief ihnen entgegen. »Dem Himmel sei Dank! Ihr
seid gesund und munter! Ich wollte euch gerade suchen gehen! Was ist
passiert? Wer ist dieser Mann?«
»Eine lange Geschichte«, antwortete Justus. »Wir brauchen etwas
kaltes Wasser für unseren Patienten. Und etwas zu essen für uns. Ich
verhungere.«
Ohne weitere Fragen zu stellen, holte Zoe Wasser aus dem Fluss,
während Ernie die letzten Meter ins Camp getragen wurde. Sie stellten
die Liege ab und verschnauften.
»Angela«, sagte Justus. »Gut, Sie zu sehen. Sie haben den Weg also
auch ohne Brille gefunden.«
»Ja.« Angela rückte das Gestell auf ihrer Nase zurecht. Die Brille war
etwas schief geworden. »Ich habe den Umweg gefunden, aber … Was
ist denn nur passiert? Wer ist das? Und wo hast du gesteckt, Peter?«
»Der Reihe nach«, bat Justus. »Wo ist denn Dylan?«
»Er ist noch nicht wieder aufgetaucht«, antwortete Angela.
»Wahrscheinlich sucht er uns noch.«
»Okay. Irgendwann wird er ja zurückkommen.«
»Kehren wir um, wenn alle wieder da sind?«, fragte Simon
hoffnungsvoll.
Justus nickte. »Mr Botnick muss ärztlich versorgt werden. Er hat hohes
Fieber. Nach Two Creeks können wir ihn nur gemeinsam bringen. Die
Wandertour ist beendet.«
Simon entfuhr ein Seufzer der Erleichterung.
»Ich könnte schon mal aufbrechen und in Two Creeks Doktor Williams
Bescheid geben«, schlug Angela vor. »Dann kann er euch mit
fiebersenkenden Mitteln entgegenkommen. Und ich bringe eine Krücke
für Simon mit.«
»Das ist eine sehr gute Idee, Angela«, sagte Justus. »Aber warten Sie
doch bitte noch einen Augenblick. Ich möchte nur rasch etwas
aufklären, solange wir auf Dylan warten.«
Sie versammelten sich ums Lagerfeuer und Justus erzählte in ruhigen
und knappen Worten, wer Ernie Botnick war und warum John
Addington an der Wanderung teilgenommen hatte. Zoe, Simon und
Angela kamen aus dem Staunen kaum heraus.
»Die Wanderung war von einer Reihe von Zwischenfällen
überschattet. Ralphs Sturz von der Treppe. Peters spurloses
Verschwinden. Der Angriff des Bären. Und das Abdriften des
Flugzeugs, mit dem wir fast den Wasserfall hinabgestürzt wären.
Nichts davon war ein Zufall. Jemand wollte die Wanderung sabotieren,
damit niemand Mr Botnick entdeckt und auf diese Weise
herauskommt, dass er Mr Addingtons Gold gar nicht bei sich hat.«
»Wer?«, fragte Zoe gespannt.
»Ein Mann namens Thomas. Aufgrund der gesammelten Indizien
erhärtete sich für uns der Verdacht, dass dieser Thomas unter einem
anderen Namen ein Teilnehmer unserer Wandergruppe ist.«
Zoe schlug die Hand vor den Mund, Angela lauschte mit
zusammengepresstem Kiefer.
Simon schnappte erschrocken nach Luft und rief: »Ich war’s nicht!«
»Richtig. Sie waren es nicht. Mr Botnick konnte uns Thomas’ Äußeres
nämlich beschreiben. Und die Beschreibung passt genau auf –«
»George.« John Addington schnaubte zornig. »George, mein Assistent.
Wir sind seit Jahren befreundet. Aber ich hatte keine Ahnung von
seiner Vergangenheit oder davon, dass er seinen Namen geändert
hatte. Ich habe ihm von meinem Goldfund auf der Insel erzählt. Er
wusste von meinen Plänen, das Gold von der Insel zu holen, und hat
mich verraten. Er hat den Überfall nicht nur arrangiert, sondern war
auch höchstpersönlich dabei! Ich fasse es immer noch nicht. Aber nun
verstehe ich endlich, warum er in den letzten Wochen immer so
beschäftigt gewesen ist. Er musste nämlich alle paar Tage nach Two
Creeks, um sich um Ernie zu kümmern. Jetzt weiß ich Bescheid.
George alias Thomas wird noch sein blaues Wunder erleben, sobald ich
wieder in Seattle bin. Ich kann es kaum erwarten.« Grimmig warf
Addington seine Zigarettenkippe in die letzte Glut des Lagerfeuers und
sah zu, wie sie verbrannte.
»Ich verstehe das nicht«, meinte Zoe. »Thomas … oder George … ist
doch gar nicht hier. Wie kann er dann für den Bären oder das Flugzeug
verantwortlich sein?«
»Er konnte selbstverständlich nicht persönlich auftauchen, sonst wären
John und er sich ja begegnet«, erklärte Bob. »Also hat er jemanden
geschickt.«
»Ich gestehe, wir hatten zunächst Dylan und Sie in Verdacht, Simon«,
fuhr Justus fort.
»Ich war’s nicht!«, beteuerte Simon erneut.
»Nein. Und nachdem wir wussten, dass Thomas überhaupt nicht hier
ist, haben wir den Kreis der Verdächtigen erweitert und festgestellt: Es
kommt noch eine weitere Person für die Sabotageakte infrage.«
Zoe schluckte.
»Bloß einen bestimmten Vorfall können wir uns nicht erklären«, sagte
Bob.
»Vielleicht können Sie uns erhellen«, schlug Justus vor und drehte den
Kopf, »Angela.«
Ich war’s nicht!
»Ich!?« Angela lachte. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Keineswegs. Fassen wir mal zusammen: Sie konnten leicht die
Stolperfalle auf der Treppe installieren. Sie waren ebenfalls in der Lage,
den Alarm von Ralphs Auto auszulösen, ohne das Haus dafür verlassen
zu müssen. Ihr Zimmer im Green House geht nämlich nach vorne raus.
Ich nehme an, Sie haben etwas von oben aus dem Fenster auf das Auto
geworfen. Den Basketball vielleicht, der draußen lag. Außerdem haben
Sie Mr Addington gestern Abend seinen Teller gereicht, den er dann
Peter gab. Sie konnten ohne Weiteres die giftigen Pilze ins Essen
mischen. Zuletzt: Sie waren noch in der Nähe, als ich das Versteck
unter der Weide entdeckte. Also kehrten Sie kurzerhand zurück und
lösten die Flugzeugvertäuung.«
»Aber das ist doch Unsinn, Justus!«, empörte sich Angela. »Auch das
Badezimmer hat ein Fenster nach vorne raus. Und das war für jeden
zugänglich. Die Pilze hätte ja wohl genauso gut jeder andere in den
Topf fallen lassen können. Und das Flugzeug? Vielleicht hat sich das
Tau von allein gelöst. Oder es war Dylan. Der immer noch
verschwunden ist, wie ihr vielleicht bemerkt habt.«
»Das ist korrekt, Angela. Aber darüber hinaus haben Sie sich
verraten.«
Angela verzog den Mund. »Da bin ich aber mal gespannt.«
»Nachdem wir den See durchschwommen und ich Ihnen von unserem
Verdacht bezüglich Mr Addington erzählt hatte, fragten Sie skeptisch,
ob John Addington etwas im Schilde führe? Doch zu diesem Zeitpunkt
kannte niemand außer uns seinen Vornamen.«
»Er hat ihn mir gesagt.«
»Das habe ich nicht«, stellte Addington klar.
»Ich …« Angela verstummte.
»Verraten Sie uns bitte, was wir uns nicht erklären können: Warum
sind Sie Hals über Kopf vor dem Bären geflohen, nachdem Sie ihn doch
extra angelockt hatten?«
Es ging so schnell, dass niemand reagieren konnte. Angela sprang vom
Baumstamm auf und riss John Addington die Pistole aus dem
Hosenbund.
Simon und Zoe stießen gleichzeitig einen kurzen Schrei aus.
»Legen Sie die Waffe weg«, bat der Erste Detektiv. »Ich glaube nicht,
dass Sie uns alle erschießen wollen.«
»Es würde sowieso nicht funktionieren«, fügte Addington hinzu. »Und
außerdem ist das meine.«
»Bleiben Sie sitzen, Addington!«, herrschte Angela ihn an, als dieser
aufstehen wollte. »Ihr bleibt alle sitzen!«
»Was haben Sie denn jetzt vor?«, fragte Bob.
»Ich kündige diesen Scheißjob! Bären, Flüsse, Brombeersträucher – das
nächste Mal kann Thomas seinen Mist alleine machen! Ich haue ab.
Und keiner folgt mir, verstanden?« Schritt für Schritt ging sie
rückwärts, die Gruppe fest im Blick.
Peter sah die Bewegung als Erster und riss die Augen auf. Die
Sträucher hinter Angela erzitterten. Eine graue pelzige Schnauze schob
die Zweige beiseite. Der Bär trat wankend auf die Lichtung.
Angela wirbelte herum. Das Tier zuckte erschrocken.
Bob holte tief Luft, um es durch Schreie zu vertreiben. Dann besann er
sich eines Besseren und ließ die Luft leise entweichen.
Angela war wie erstarrt. Der Bär war keine zehn Meter von ihr
entfernt und wiegte langsam den Kopf hin und her. Dann trottete er
auf ein Zelt zu. Angelas Zelt. Es stand offen. Der Bär steckte erst seinen
Kopf hinein und riss es dann beim Versuch, weiterzugehen, wie ein
Kartenhaus ein. Unwillig schüttelte er die Plane von seinem wuchtigen
Körper, wühlte in den Fetzen herum und hatte schließlich gefunden,
was er wollte: einen Plastikbecher, in dem ein Rest Blaubeerpudding
klebte. Zufrieden grunzend machte er sich darüber her.
Fasziniert schauten alle zu, wie das große Tier sein Mahl beendete und
sich danach zu Angela drehte.
»Angela«, sagte Justus ruhig. »Er wird Sie nicht angreifen. Bleiben Sie
einfach ganz ruhig.«
Doch der Bär kam immer näher. Langsam hob Angela die Pistole.
Da stand Peter auf, ganz behutsam, und ging auf den Bären zu. »Hallo,
Großer. Erinnerst du dich?« Der Bär schnaubte und schnupperte in
Peters Richtung. »Hier gibt es nichts mehr für dich. Du kannst jetzt
wieder gehen.« Das Tier legte den Kopf schief und gab einen
brummenden Laut von sich. »Nein, wirklich nicht. Alles aufgegessen.
Auf Wiedersehen.«
Der Bär schnaubte kurz, bevor er sich umwandte und davontrottete.
Am Waldrand drehte er sich noch einmal um und sah Peter aus seinen
triefenden Augen an. Sein Blick war unergründlich. Dann verschwand
er zwischen den Bäumen.
Alle atmeten auf. John Addington war inzwischen zu Angela getreten,
ohne dass sie es bemerkt hatte. Er nahm ihr die Waffe aus der Hand,
Angela leistete keinen Widerstand. »Die Pistole war sowieso nicht
entsichert.«
Bob ging zum Zweiten Detektiv und klopfte ihm auf die Schulter. »Ist
das jetzt deine geheime Superkraft? Dass du mit Bären sprechen
kannst?«
»Ja«, sagte Peter. »Seit der Nummer mit den Pilzen kann ich auch
fliegen. Das war ein Scherz.«
Plötzlich raschelte es im Gestrüpp. Alle drehten die Köpfe. Doch es war
nicht der Bär, der zurückkehrte. Es war Dylan. Er blickte in die Runde,
sah die Pistole in Addingtons Hand, den immer noch schlafenden Ernie
Botnick auf seiner Liege und schüttelte verständnislos den Kopf. »Was
ist denn hier los?«
»Da hat er nicht schlecht gestaunt, unser Sportlehrer. Hat eine Weile
gedauert, ihm alles zu erklären. In Gedanken entschuldige ich mich bei
ihm, schließlich war ich eine Zeit lang davon überzeugt, dass er der
Bösewicht ist. Ein rechthaberischer Idiot ist er natürlich immer noch,
aber ich bin trotzdem froh, dass er da ist. Wir brauchen nämlich seine
Muskeln, um Ernie nach Two Creeks zu tragen. Simon fällt ja aus.
Obwohl er wieder erstaunlich gut laufen kann. Na ja. Die Hälfte des
Weges haben wir schon geschafft. Das Gepäck ist im Camp geblieben.
Das werden wir in den nächsten Tagen holen, sonst regt Mr Greyfield
sich wieder über den Müll auf, den die Wanderer überall herumliegen
lassen.
Zoe bewacht Angela mit Addingtons Pistole und sorgt dafür, dass sie
nicht abhaut. Immerhin hat sie jetzt ausgepackt. Sie dachte, sie würde
cool bleiben, wenn der Bär tatsächlich ins Camp kommt. Aber als das
Vieh dann auf sie zukam, verlor sie die Nerven und rannte einfach los.
Nichts von dem, was sie getan hat, war richtig durchdacht. Sie hatte
letzte Nacht auch vergessen, den Pudding wieder in ihren
bärensicheren Container zu verpacken, weil Peter sie nämlich auf
seinem Weg zum, äh, Klo aufgeschreckt hat, als sie gerade mit dem
Legen der Lockspur fertig geworden war. Außerdem hat sie ein
weiteres Detail gestanden: Sie war die Zeugin am Hafen, die Mr
Addington angeschwärzt und für seine Festnahme gesorgt hat. Als
Thomas’ Komplizin sollte sie in jener Nacht eigentlich bloß Schmiere
stehen, aber gegen das große Polizeiaufgebot konnte sie natürlich
nichts ausrichten. Hm, habe ich was vergessen?«
»Ja«, sagte John Addington und trat zu den drei ???. Auf dem Weg ins
Tal hatten sie gerade eine Pause eingelegt und ruhten sich auf einem
Baumstamm aus. »Du kannst deinem Tagebuch noch verraten, was
Angela gerade mir verraten hat. Nämlich, wo das Gold ist.«
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte der Zweite Detektiv und beugte
sich neugierig vor.
»Im Hafenbecken von Bellingham. Als die Polizei auftauchte, schubste
Thomas die beiden Kisten kurzerhand ins Wasser, um sie später zu
bergen. Und da liegen sie vermutlich immer noch.«
»Sie bekommen das Gold also zurück?«, fragte Peter.
»Sieht ganz so aus. Nicht zuletzt dank der Hilfe dreier sehr kluger
Detektive.«
»Gern geschehen«, sagte Justus. »Eigentlich müssten wir Ihnen nun
unsere Visitenkarte geben. Leider haben wir keine dabei.«
»Augenblick!«
Bob suchte in den Bildern auf seinem Handy. Und tatsächlich fand er
ein Foto der Karte:

»Schick sie mir zu«, bat Addington.


»Sobald wir wieder Empfang haben«, versprach Bob und zwinkerte.
»Und dann werde ich mir erst mal in aller Ruhe die Presseberichte über
Sie durchlesen.«
John Addington riss erschrocken die Augen auf. »Ich war’s nicht!«
Ihr gemeinsames Gelächter sorgte bei dem etwas entfernt sitzenden
Simon für einen fragenden Blick, aber sie klärten ihn nicht auf.

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