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Muttersprache

Vierteljahresschrift
für deutsche Sprache

Vincent Balnat
Klima als Schlüsselwort
in deutschsprachigen Medien
Teil II: Bedeutungsentwicklung und diskursiver Kontext
Britta Juska-Bacher, Ladina Brugger,
Rahel Korthus und Christoph Zangger
Definitionskompetenzen von Erst- und Zweitklässlern
Mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung
Federica Masiero
Dabei-Konstruktionen in geisteswissenschaftlichen
Texten der deutschen Gegenwartssprache
und ihre Übersetzung ins Italienische

2
Martin Stegu
Queere Linguistik
Potenzial, Probleme, Grenzen
Ronja A. Löhr
Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0
Wie nichtbinäre Personen den Genderstern und
andere Bezeichnungsvarianten beurteilen
Rezensionen

Juni

Jahrgang 131 (2021)

Gesellschaft für deutsche Sprache [GfdS]


INHALTSVERZEICHNIS
Aufsätze Rezensionen
Vincent Balnat Armin Burkhardt (Hg.):
Klima als Schlüsselwort in deutschsprachigen Handbuch Politische Rhetorik
Medien. Teil II: Bedeutungsentwicklung Christophe Fricker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
und diskursiver Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Ingo H. Warnke (Hg.): Handbuch Diskurs
Shasha Li und Xiong Zhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Britta Juska-Bacher, Ladina Brugger, Rahel Korthus
und Christoph Zangger
Definitionskompetenzen von Erst- und Simon Pickl/Stephan Elspaß (Hgg.):
Historische Soziolinguistik der Stadtsprachen
Zweitklässlern. Mit einem Ausblick
Kontakt – Variation – Wandel
auf die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Rosa Kohlheim und Volker Kohlheim . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Federica Masiero Thorsten Roelcke: Fachsprachen
Dabei-Konstruktionen in geisteswissenschaftlichen Yu Zheng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Texten der deutschen Gegenwartssprache
und ihre Übersetzung ins Italienische . . . . . . . . . . . . 138 Gabriele Graefen/Martina Lieke-Göbel:
Germanistische Sprachwissenschaft
Martin Stegu Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache
Queere Linguistik. Roman Beljutin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194
Potenzial, Probleme, Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Günter Schade/Sandra Drumm/Ute Henning/
Britta Hufeisen: Einführung in die deutsche
Sprache der Wissenschaften. Ein Lehrbuch
Forum für Deutsch als Fremdsprache
Christoph Frilling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Ronja A. Löhr
Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0 Lívia Adamcová/Silvia Adamcová: Linguistische
Wie nichtbinäre Personen den Genderstern und Charakteristik der deutschen Sprache
andere Bezeichnungsvarianten beurteilen . . . . . . . . .172 Suzana Vezjak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

MUTTERSPRACHE
Vierteljahresschrift für deutsche Sprache

Herausgegeben von der Gesellschaft für deutsche Die Muttersprache erscheint in vier Ausgaben jährlich.
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Internet: www.gfds.de Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages.
Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0
Wie nichtbinäre Personen den Genderstern und
andere Bezeichnungsvarianten beurteilen

Von RONJA A. LÖHR

Abstract
Die Frage, inwieweit sich nichtbinäre Menschen durch verschiedene Varianten von Personenbe-
zeichnungen repräsentiert sehen, steht im Zentrum der queerfeministischen Sprachkritik. Die-
ser Beitrag präsentiert Ergebnisse einer Online-Umfrage, an der 324 Personen, die sich nicht
(vollständig) in den Kategorien Mann oder Frau repräsentiert sehen, teilgenommen haben. Aus
ihrer Beurteilung verschiedener Formen von Personenbezeichnungen geht hervor, dass sich die
Befragten am ehesten durch neutrale Varianten (z. B. Studierende) repräsentiert sehen. Insbe-
sondere der Genderstern (z. B. Student*innen), aber auch der Gap (z. B. Student_innen) schnei-
den insgesamt besser ab als Alternativen wie die Schreibung mit Binnen-I oder Beidnennungen,
durch die sich die Teilnehmenden am wenigsten repräsentiert sehen.
Schlagwörter: gendergerechte Sprache, queerfeministische Sprachkritik, Umfrage, nichtbinär
The question in how far non-binary people see themselves represented by different variants
of personal designations is central to queerfeministic language criticism. This article presents
results of an online survey with 324 participants, who do not solely identify as either male or fe-
male. Their evaluation of different variants of personal designations shows that participants most
likely see themselves represented by neutral versions (e. g. Studierende). Especially the gender
star (e. g. Student*innen), but also the gender gap (e. g. Student_innen) generally scored higher
than alternatives such as spellings with a capital I or forms of the type Studenten und Studentin-
nen. These two options reached the lowest perceived representation.
Keywords: linguistic gender equality, queerfeministic language criticism, survey, non-binary

1 Einleitung
Wie sich Personenbezeichnungen am besten gendergerecht ausdrücken lassen, wird heute
von vielen Seiten diskutiert. Die Frage, welche Bezeichnungsvarianten sich eignen, stellen
sich etwa Universitäten, Zeitungen, Parteien, Unternehmen, Schulen und Behörden. Es
gibt inzwischen viele unterschiedliche Vorschläge für gendergerechte Formulierungen.
Neben der bereits verbreiteten Doppelform (Kundinnen und Kunden) finden sich immer
häufiger Schreibweisen mit Sonderzeichen. Personenbezeichnungen mit Genderstern oder
-gap sollen der queerfeministischen Forderung gerecht werden, mit Sprache nicht nur
Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen, sondern auch Personen, die sich nicht
(vollständig) in diesen beiden Geschlechterkategorien repräsentiert sehen. Diese Varian-
ten haben sich im schriftlichen Sprachgebrauch im Verlauf der letzten Jahre bereits ver-
breitet, wobei ihre Eignung als gendergerechte Ausdrucksmittel bis heute umstritten ist.
Während die Anregungen der AG Feministisch Sprachhandeln (2014/2015)1 oder die Partei
Bündnis 90/Die Grünen2 eine Verwendung des Sterns befürworten, verweisen der Rat
für deutsche Rechtschreibung,3 die Leitlinien der GfdS,4 die die Schreibweise mit Stern

1 Im Impressum sind tatsächlich beide Jahreszahlen angegeben.


2 https://cms.gruene.de/uploads/documents/BDK15_Geschlechtergerechte_Sprache.pdf.
3 https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2021-03-26_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf.
4 https://gfds.de/standpunkt-­der-gfds-zu-einer-geschlechtergerechten-sprache/.

172 Muttersprache 2/2021 Ronja A. Löhr


als ungeeignet einstufen, und der Gender-Duden (Diewald/Steinhauer 2019) u. a. auf den
einhergehenden Verstoß gegen Rechtschreibregeln.
Queerfeministische, auch nichtlinguistische Vorschläge haben bereits Einfluss auf die
Debatte und die Verwendung von gendergerechter Sprache genommen. Ob bestimmte
Formulierungen das Ziel queerfeministischer Sprachkritik, »die Realität von mehr als nur
zwei kleinlich eingegrenzten Geschlechtern Mann/Frau« (Baumgartinger 2008) sprach-
lich auszudrücken, erfüllen, wurde allerdings noch nicht ausreichend erforscht, und es ist
bislang nicht bekannt, inwiefern sich sog. nichtbinäre Menschen durch unterschiedliche
Bezeichnungsvarianten repräsentiert fühlen. Die Ergebnisse einer Online-Umfrage, an
der 324 Personen, die sich nicht (vollständig) in den binären Geschlechterkategorien reprä-
sentiert sehen, teilgenommen haben, bieten Einsichten in Bezug auf diese Frage. Bei den
Einschätzungen der Befragten schneiden neutrale Formen gefolgt von der Schreibweise
mit Genderstern insgesamt gut ab, während sich die Teilnehmenden am wenigsten durch
Beidnennungen und die Variante mit Binnen-I repräsentiert fühlen. Bei der Diskussion
der Ergebnisse und um die Eignung verschiedener Bezeichnungsvarianten werden sowohl
häufig vorgebrachte Argumente der traditionellen feministischen Sprachkritik als auch
queerfeministische Anforderungen an gendergerechte Sprache berücksichtigt.

2 Unterschiedliche Bezeichnungsvarianten
Personen, die studieren, werden heutzutage auf verschiedene Weise bezeichnet. Während
früher im Plural meist von Studenten die Rede war, hören und lesen wir inzwischen häufi-
ger von Studentinnen und Studenten oder Studierenden. Darüber hinaus finden sich Kurz-
formen, etwa mit Binnen-I, Gap oder Stern. Der Wandel, den diese Schreibweisen durch-
leben, hat seinen Ursprung in der feministischen Sprachkritik, die in Deutschland Anfang
der 1980er-Jahre aufgekommen ist und darauf hinweist, dass Personenbezeichnungen mit
maskulinem Genus nicht problemlos generisch, d. h. mit Bezug auf beide Geschlechter
genutzt werden können. Wie psycholinguistische Studien (z. B. Rothmund/Scheele 2003;
Kusterle 2011) nahelegen, rufen maskuline Personenbezeichnungen überwiegend Vorstel-
lungen von Männern hervor, während alternative Bezeichnungsvarianten wie die Doppel-
form zu einem stärkeren gedanklichen Einbezug von Frauen beitragen. Selbst wenn mas-
kuline Ausdrücke in bestimmten Situationen auch auf Frauen bezogen zu sein scheinen,
reicht das Wissen darüber nicht aus, um Vorstellungen von weiblichen und männlichen
Personen im ausgeglichenen Maße hervorzurufen (vgl. Braun 2000: 7).
Durch die Forderung nach einem nichtsexistischen Sprachgebrauch haben sich alterna-
tive Formen verbreitet, zu denen neutrale Bezeichnungen wie Studierende und die Dop-
pelform zählen. Letztere gilt als besonders geeignet, weil Frauen in Ausdrücken wie Bür-
ger und Bürgerinnen explizit genannt werden (vgl. ibid.: 20). Aus ökonomischen Gründen
sind mit der Zeit Kürzungen entstanden, etwa die Schreibweise mit Schrägstrich wie in
Leser/-innen. Inzwischen existieren darüber hinaus diverse andere Bezeichnungsvarian-
ten. Das liegt daran, dass sich die Vorstellungen von einem geschlechtergerechten Sprach-
gebrauch mit der in den 1990er-Jahren aufkommenden post- bzw. queerfeministischen
Sprachkritik gewandelt haben. Die Kritik an der binären Unterscheidung von Geschlech-
tern spielt dabei eine zentrale Rolle (vgl. Motschenbacher 2012). Die queerfeministische
Linguistik macht darauf aufmerksam, dass Sprache nicht nur für Frauen, sondern auch
und vor allem für Personen, die sich nicht innerhalb der binären Kategorien verorten,
diskriminierend ist. Laut Baumgartinger (2008) ergibt sich ein Dilemma für TransInter­

Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0 Muttersprache 2/2021 173


Queer-Personen, wenn sie eine Sprache nutzen, die nur zwei Geschlechter kennt.5 De Syl-
vain/Balzer (2008: 40) gehen so weit, dass diese durch die deutsche Grammatik ausge-
grenzt und sogar unsichtbar gemacht würden.
Die queerfeministische Sprachkritik hat eine Suche nach inklusiveren sprachlichen
Mitteln angeregt. Schreibweisen mit Genderstern (z. B. Pilot*innen) oder Gendergap (z. B.
Wähler_innen) »irritieren und befördern somit ein Anhalten und Nachdenken über die
Wörter und Sprachhandlungen« sowie darüber, dass mehr als nur zwei Geschlechteriden-
titäten existieren (AG Feministisch Sprachhandeln 2014/2015: 25). Laut Hermann (2003)
sollen durch den Unterstrich »die beengenden Schranken der Zweigeschlechtlichkeit – du
Leser auf der einen, und du Leserin auf der anderen – auseinander geschoben [sic] werden,
um den verleugneten Anderen Platz zu machen«. Eine ähnliche Intention verbirgt sich
hinter dem Vorschlag, Personenbezeichnungen mit der Endung -x oder -ecs zu versehen,
wie etwa in Studierecs (Hornscheidt 2012: 294). Inwiefern sich Personen, die sich weder in
der Kategorie »Mann« noch in der Kategorie »Frau« vollständig vertreten sehen, tatsäch-
lich durch diese Schreibweisen repräsentiert fühlen und welche Bezeichnungsvarianten
sie bevorzugen, wurde bis hierhin noch kaum erforscht.

3 Ergebnisse der Online-Umfrage


Um die Sichtweise nichtbinärer Personen auf gendergerechte Sprache und ihre Einschät-
zung verschiedener Bezeichnungsvarianten zu untersuchen, wurde eine Online-Umfrage
erstellt, an der 324 Personen teilgenommen haben, die sich laut eigener Angabe nicht oder
nicht vollständig in den Kategorien »Mann« und »Frau« repräsentiert sehen. Die Stu-
die konzentriert sich auf die Schriftsprache. Um die Zielgruppe zu erreichen, wurde die
Einladung zur Teilnahme an der Studie über verschiedene Online-Foren, Netzwerke und
Gruppen in sozialen Medien, die der angesprochenen Community nahestehen, verbreitet.
Einschränkend ist anzumerken, dass sich die Repräsentativität der Teilnehmenden für
die Zielgruppe der Umfrage nur schwer einschätzen lässt. Wie die Genderangaben auf­
decken, bezeichnen sich nicht alle Befragten selbst als »nichtbinär«, auch wenn sie sich
nicht eindeutig einem binären Geschlecht zuordnen möchten. Unter der Berücksichtigung,
dass die queere Community eindeutigen Labels kritisch gegenübersteht, wurden diese
Fälle nicht zwangsläufig ausgeschlossen. Stattdessen wurde anhand der ausformulierten
Genderangaben der Befragten geprüft, ob diese Personen sich womöglich nicht doch (voll-
ständig) in einer der Kategorien »Mann« und »Frau« repräsentiert sehen. Dieses Krite-
rium wurde im Anschreiben des Fragebogens betont und beim Einbezug von Fällen als
wichtig erachtet. Daraus ergibt sich, dass einige Teilnehmende, die insgesamt einen Anteil
von ca. 12 % ausmachen, nur in diesem weiteren Sinne zu der Zielgruppe zählen.
Aus den abgefragten soziodemografischen Eigenschaften geht hervor, dass ein Großteil
der befragten Personen eher jung (87 % geben an, unter 35 Jahre alt zu sein) und gebildet
ist. Außerdem ordnen ca. 95 % der Teilnehmenden ihre politische Einstellung als links
oder eher links ein. Der geringe Altersdurchschnitt könnte mit der Verbreitung über spe-
zifische soziale Medien zusammenhängen.

5 Problematisch ist, dass hier Genus und Sexus nicht sauber getrennt werden; die deutsche Grammatik
kennt drei Geschlechter (= Genera; vgl. das Kind/Mädchen/Männlein).

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In Bezug auf die Repräsentativität spielt die Selbstrekrutierung der Befragten eine we-
sentliche Rolle; da sie nicht zufällig ausgesucht wurden, sondern selbst entscheiden konn-
ten, ob sie an der Studie teilnehmen möchten, ist davon auszugehen, dass hauptsächlich
Personen befragt wurden, die das Thema gendergerechte Sprache wichtig oder interessant
finden. Dieser Umstand kann die Ergebnisse der Umfrage beeinflusst haben, denn Perso-
nen, die gendergerechte Sprache wichtig finden, dürften eher dazu geneigt sein, bestimm-
te Formen wie das generische Maskulinum abzulehnen oder Widerstandsstrategien wie
die Schreibweise mit Genderstern zu schätzen, als Personen, die aus Desinteresse an dem
Thema oder wegen Befürwortung traditionellen Sprachgebrauchs nicht teilgenommen ha-
ben.
Abbildung 1 bildet die Einschätzungen der Teilnehmenden in Bezug auf die Eignung
verschiedener Bezeichnungsvarianten für die Repräsentation von nichtbinären Personen
ab. Bei dieser Frage mit möglicher Mehrfachauswahl, für die in Klammern Beispiele ge-
geben waren, wurden neutrale Formen am häufigsten – von ca. 92 % der Befragten – als
geeignet betrachtet. Mit knappen 74 % folgt der Genderstern, der von 239 Personen ge-
wählt wurde. Die Schreibweise mit Gendergap erfuhr von gut der Hälfte (55,6 %) Zustim-
mung. Die maskuline Form wurde von 17 % als geeignet betrachtet, was der Darstellung in
Abschnitt 2 zuwiderläuft. Dabei muss zudem berücksichtigt werden, dass diese Variante
laienbezogen als »männliche Form« bezeichnet wurde. Dieser Ausdruck impliziert eine
einseitige Lesart, die zu einer geringeren Zustimmung geführt haben sollte. Dass alle
Beispiele im Plural angegeben wurden, könnte noch einmal zu einer höheren Zustimmung
zu neuartigen Bezeichnungen geführt haben, da Nachteile, die sich nur im Singular erge-
ben (Genusmarkierung), in den Hintergrund rückten (ein Studierender/eine Studierende).
Unter den Varianten, die von Teilnehmenden unter »Sonstige« ergänzt wurden, dominiert
die Schreibweise mit Doppelpunkt (z. B. Student:innen),6 wobei mehrfach der Vorteil an-
geführt wurde, dass dieses Zeichen für Screenreader geeignet und somit barrierefrei sei.
Das Binnen-I wurde von 6,5 % der Teilnehmenden und somit am seltensten als geeignete
Variante eingestuft.

6 Vgl. hierzu den Beitrag von Martin Stegu ab S. 159.

Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0 Muttersprache 2/2021 175


Frage: Welche Schreibweisen eignen sich deiner Meinung nach
für die Repräsentation von nichtbinären Personen?
91,7%
297
300
73,8%
Anzahl der Teilnehmenden

250 239

55,6%
200 180

150 33,3%
108
100
17,0%
55 12,0%
50 39 6,5%
21

0
Neutrale Genderstern Gendergap Endung -x bzw. - männliche Form Sonstige Binnen-I
Bezeichnungen (Student*innen) (Student_innen) ecs (Studierx) (Studenten) (StudentInnen)
(Studierende)

Abb. 1: Eignung von Schreibweisen7 (N = 324)

Um zu ermitteln, inwiefern sich nichtbinäre Personen durch bestimmte Bezeichnungs-


varianten repräsentiert fühlen, wurden den Befragten Aussagen der Form »Durch die
Schreibweise XY fühle ich mich repräsentiert« vorgelegt. Ihre Zustimmung konnten sie
auf einer 6-Punkte-Skala einordnen. Abbildung 2 vergleicht, wie die empfundene Reprä-
sentation durch verschiedene Schreibweisen bewertet wurde.

Aussage: Durch die Schreibweise XY fühle ich mich repräsentiert.


73%
250 235

200
53%
173
48%
154
150
36%
34%
116 32%
110
105
27%26%
100 25%
86 83
82 22%
72
17% 16%
14% 14% 15% 14%13% 56 15%
53 13% 49
11% 46 12% 11% 46 11%11% 12% 47 11% 45 41 12%12%
50 8% 9% 37 39 9% 36 36 37 38 36 7% 8% 38 40 42
6% 7%
26 28 28
20 23 3% 23 5% 25
3% 4% 3%
2% 1% 15 12 10
11 9
5 2
0
1 (stimme überhaupt 2 3 4 5 6 (stimme voll und ganz
nicht zu) zu)
Genderstern Gendergap Binnen-I Beidnennungen Neutrale Bezeichnungen Männliche Form Endung -x oder -ecs

Abb. 2: Empfundene Repräsentation (N = 324)

Aus einem Vergleich der Einstufungen geht hervor, dass sich die meisten Teilnehmenden
durch neutrale Bezeichnungen repräsentiert fühlen. Durch Schreibweisen mit Stern oder
Gap sieht sich ebenfalls eine Mehrheit der Teilnehmenden repräsentiert, wobei die zustim-

7 Bei dieser Frage wurden nur Varianten angegeben, deren Eignung für die Repräsentation nichtbi-
närer Personen bisher in Betracht gezogen wurde. Daher wurde die Option »Beidnennung« nicht
mit angeführt. Hierbei ist zu beachten, dass die Vorgabe von Auswahlmöglichkeiten die Ergebnisse
beeinflusst. Durch Einbezug und Ausschluss werden bestimmte Varianten von vornherein als poten-
ziell (ir)relevant dargestellt. Bei den Einschätzungen der verschiedenen Schreibweisen gab es zwar
immer die Möglichkeit, weitere Strategien zu nennen, aber dadurch, dass die Optionen Genderstern,
Gendergap, maskuline Form, Binnen-I, x- bzw. ecs-Form und neutrale Bezeichnungen immer vorge-
geben waren, wurde ihnen von vornherein eine besondere Relevanz zugeschrieben.

176 Muttersprache 2/2021 Ronja A. Löhr


mende Tendenz für den Genderstern eindeutiger ausfällt. Für die Variante mit der Endung
-x oder -ecs ergibt sich ein heterogenes Bild: Einige sehen sich dadurch repräsentiert, ein
Viertel der Teilnehmenden stimmen der vorgegebenen Aussage hingegen überhaupt nicht
zu. Bei der maskulinen Form fällt die Tendenz zur Ablehnung deutlicher aus als bei der
-x-Form. Durch die Schreibweise mit Binnen-I fühlt sich ein Großteil der Befragten nicht
oder nur in geringem Maße repräsentiert. Die Aussage »Durch Beidnennungen wie in
Studenten und Studentinnen fühle ich mich repräsentiert« erfährt insgesamt am wenigs-
ten Zustimmung. Obwohl eine eindeutige Mehrheit angibt, sich durch Schreibweisen mit
Binnen-I und Beidnennungen nicht repräsentiert zu fühlen, ergibt sich auch in Bezug auf
die schlecht abschneidenden Optionen kein einheitliches Bild.
Die Teilnehmenden wurden zusätzlich gefragt, inwiefern sie sich durch Schreibweisen
mit Genderstern oder -gap eher repräsentiert fühlen als bei anderen Varianten, die keine
Lücke zwischen den binären Kategorien andeuten. Abbildung 3 bildet die Einschätzungen
ab und macht deutlich, dass die Verwendung dieser Schreibweisen in den Augen von vie-
len Teilnehmenden zu einer erhöhten Repräsentation beiträgt.

Aussage: Durch Schreibweisen mit Gendersternchen oder Gendergap


fühle ich mich eher repräsentiert als bei anderen Schreibweisen,
die keine Lücke zwischen den binären Kategorien Mann und Frau andeuten. 54.6%
177
180

160
Anzahl der Teilnehmenden

140

120

100

80 19.4%
63
60

40 6.5% 5.9% 6.5%


21 19 3.1% 21
20 10
0
1 (stimme überhaupt 2 3 4 5 6 (stimme voll und
nicht zu) ganz zu)
Zustimmungsskala

Abb. 3: Empfundene Repräsentation durch Stern und Gap (N = 324)

Insgesamt zeigt sich, dass die Wahl einer Bezeichnungsvariante einen wesentlichen Ein-
fluss auf die empfundene Repräsentation der Befragten nimmt, wobei sich neutrale Be-
griffe gefolgt von der Form mit Genderstern und -gap am ehesten positiv darauf auswir-
ken, während sich nur sehr wenige Befragte durch Beidnennungen berücksichtigt sehen.
Allerdings liegt mit nur knapp über 50 % vollständiger Zustimmung einer Gruppe, für die
die Symbole speziell eingeführt worden sind, ein äußerst überraschendes Ergebnis vor,
das eine Tendenz zeigt, aber kaum überzeugt, dass mit dem Stern ein geeignetes Symbol
gefunden worden ist.
Die Teilnehmenden hatten an vielen Stellen der Umfrage die Möglichkeit, ihre Einschät-
zungen frei zu erläutern. Aus zahlreichen Beiträgen geht hervor, dass die Verwendung von
gendergerechter Sprache im Sinne eines Einbezugs von nichtbinären Personen wertge-
schätzt wird und den Befragten viel daran liegt, auch in der Sprache berücksichtigt zu
werden. Mehrere Teilnehmende erhoffen sich positive Auswirkungen von gendergerechter
Sprache auf die Realität. Eine Person erklärt, »dass soziale Verhältnisse und Sprache eng
miteinander verwoben sind und große Auswirkungen haben für In- und Exklusion und

Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0 Muttersprache 2/2021 177


gesellschaftliche Positionierungen und Freiheiten«. Eine größere Sichtbarkeit führe, wie
eine andere befragte Person erläutert, »zu einem anderen Sprachhandeln und damit auch
zu anderen Denkstrukturen«.
Obwohl der Eindruck, dass die Befragten großen Wert auf ein Bemühen um die sprach-
liche Repräsentation von nichtbinären Personen legen und dass neutrale Ausdrücke gefolgt
von der Variante mit Genderstern und -gap am ehesten geschätzt werden, von den erhobe-
nen Rückmeldungen immer wieder bestärkt wird, gibt es auch abweichende Meinungen.
Vereinzelt gaben Teilnehmende an, gendergerechte Sprache als nervig oder die Kom-
munikation dadurch als erschwert zu empfinden. Mehrere Befragte äußerten Einwände
gegen den Einsatz von Sonderzeichen und erklärten beispielsweise, die binäre Struktur
rücke in Bezeichnungen wie Leser*innen nicht in den Hintergrund, sondern könne durch
das Zeichen vor der movierten Endung sogar betont werden.

4 Bedeutung der Ergebnisse für die Beurteilung der Bezeichnungsvarianten


Wie die Ergebnisse zeigen, fühlen sich die Befragten am ehesten durch neutrale Begriffe
repräsentiert und ein Großteil der Teilnehmenden (knapp 92 %) stuft diese Variante als
geeignet für die sprachliche Berücksichtigung nichtbinärer Personen ein. Nicht alle teilen
diese Einschätzung. Hornscheidt (2012, S. 320 f.) nimmt eine queerfeministische Position
ein, sucht nach sprachlichen Mitteln, die Menschen abseits der binären Kategorien ein-
schließen, und spricht sich gegen vermeintlich neutrale Formulierungen aus, um einen
männlichen Bias zu vermeiden. Tatsächlich weisen mehrere psycholinguistische Studien
(vgl. z. B. Braun et al. 1998; Kusterle 2011; Heise 2000) darauf hin, dass durch Bezeich-
nungen wie Studierende überwiegend männliche Vorstellungen hervorgerufen werden. Es
ist zu vermuten, dass Formen, die Frauen und weitere Geschlechter nicht explizit nennen,
eher männlich gelesen werden, wobei das sog. Male-as-norm-Prinzip wirkt – durch das
die Vorstellung eines prototypischen Menschen häufig einen Mann abbildet (vgl. Kott-
hoff/Nübling 2018: 104). Obwohl die fehlende Sichtbarmachung nichtmännlicher Personen
Probleme mit sich bringt, überwiegen für die Teilnehmenden dieser Studie offenbar die
Vorteile der Bezeichnungsform oder dieser Umstand ist ihnen nicht bekannt. Eine Person
erklärt, sie konzentriere sich auf »genderneutrale Sprache […] aufgrund des Umgehens
der Reproduktion der Geschlechterbinarität«. Das positive Abschneiden neutraler Formen
steht im Einklang mit der Einschätzung von Gautherot (2017: 51), die in Neutralisierungen
eine respektvolle Variante sieht, weil sie das Umgehen von Diskriminierung durch Bi-Ka-
tegorisierung ermöglichen.
Eine interessante Einsicht bieten die Ergebnisse im Hinblick auf das vergleichsweise
positive Abschneiden der Schreibweise mit Genderstern, da diese Variante umstritten ist
und von vielen Seiten nicht empfohlen wird (vgl. z. B. Zifonun 2018). In den Augen von
vielen Befragten bringt diese Form jedoch Vorteile mit sich. So sehen einige Teilnehmen-
de im Stern bzw. in den in alle Richtungen strahlenden Zacken eine Symbolik für Vielfalt,
die auch ohne Vorkenntnisse erschließbar sei, auch weil der Stern in vielen Kontexten im
Sinne einer Fußnote für zusätzliche Anmerkungen steht, in der Informatik als Wildcard
für eine beliebige Sequenz von Zeichen und darüber hinaus in anderen Verwendungen,
etwa LGBTQ*, weitere Vielfalt andeutet. Die Tatsache, dass sich durch die Schreibwei-
se mit Stern deutlich mehr Befragte repräsentiert sehen als durch die meisten anderen
vorgestellten Optionen, widerspricht den Einwänden mehrerer Sprachkritikerinnen (vgl.
etwa Pusch 2014; Kotthoff 2017), der Einsatz von Sonderzeichen könne den erzielten Effekt

178 Muttersprache 2/2021 Ronja A. Löhr


nicht erbringen. Zwar bleibt weiterhin unklar, ob Formulierungen wie Zuschauer*innen
oder Schauspieler*innen tatsächlich dazu beitragen, dass wir uns etwa einen Theatersaal
vorstellen, in dem nicht nur Frauen und Männer, sondern auch nichtbinäre Personen an-
wesend sind, denn um das herauszufinden, wären psycholinguistische Experimente not-
wendig. Aber allein die Erkenntnis, dass sich viele Menschen, die sich nicht (vollständig)
in den binären Geschlechterkategorien »Mann« und »Frau« verorten, eher angesprochen
fühlen, wenn wir, anstatt von Leser und Leserinnen zu schreiben, die Bezeichnungsvari-
ante Leser*innen wählen, ist weitrechend. Allerdings wäre auch zu prüfen, ob sich durch
Formen wie Zuschauer*innen Männer nicht weniger repräsentiert sehen.
Die Bevorzugung des Sterns innerhalb der befragten Personengruppe legt nahe, dass
diese Variante sich in Zukunft eher durchsetzen könnte als der Gap. Während Ausdrü-
cke wie Sportler_in trotzdem noch gute Chancen haben, genutzt zu werden, erscheint
es in Anbetracht der geringeren Zustimmung zur x-Form unwahrscheinlicher, dass wir
in Zukunft häufig von Lehrecs oder Studierx lesen werden. Laut Reisigl/Spieß (2017: 23)
wird die Verbreitung dieser Variante durch eine komplizierte Les- und Sprechbarkeit er-
schwert. Kotthoff/Nübling (2018: 221) halten eine Durchsetzung der x-Form wegen des
tiefen Eingriffs in Grammatik, Aussprache und Schriftbild ebenfalls für unwahrschein-
lich. Hinzu kommt, dass diese Variante weniger häufig thematisiert wird als andere Mög-
lichkeiten, queerfeministische Forderungen umzusetzen. In vielen Empfehlungen über
gendergerechte Ausdrucksmittel wird sie nicht einmal vorgestellt (vgl. etwa Diewald/
Stein­hauer 2019), weshalb die Bedeutung der x-Form vielen Personen unbekannt und
fremd sein dürfte.
Dass sich die Befragten zum Großteil nicht oder nur in geringem Maße durch Beidnen-
nungen repräsentiert sehen, ist in mehrerer Hinsicht nicht verwunderlich. Die Kritik an
der Eignung dieser Variante prägt die queere, postfeministische Sichtweise auf Sprache.
Hermann (2003) stellt Beidnennungen als sprachliche Schranken dar, die keinen Platz
für Geschlechtervielfalt eröffnen. In den Anregungen der AG Feministisch Sprachhan-
deln (2014/2015: 28) wird erklärt, dass sowohl die Doppelform als auch Schreibweisen mit
Binnen-I mit der Vorstellung von ausschließlich zwei Geschlechtern verknüpft sind. Die
ausführliche Doppelform rückt die Binarität laut Motschenbacher (2014: 255) besonders
deutlich in den Vordergrund, weil die Trennung der Wörter als Ausdruck der Unverein-
barkeit von den zwei Geschlechterkategorien verstanden werden könne. Die Kritik an der
Doppelform für die sprachliche Repräsentation von nichtbinären Menschen spiegelt sich
in den Einschätzungen der Teilnehmenden, die in den Augen einer befragten Person als
»explizite Nicht-Nennung nicht-binärer Identitäten« verstanden werden kann. Es wurde
von mehreren Befragten angemerkt, dass die Schreibweise mit ­Binnen-I als Kurzform
der Doppelform gelesen werden kann. Das könnte erklären, warum diese Form nur von
wenigen Teilnehmenden als geeignet erachtet wird.
Die Einsicht, dass sich eine Mehrheit der Personen durch die Doppelform und das Bin-
nen-I nicht oder nur in geringem Maße repräsentiert fühlt, bestätigt einen Konfliktpunkt
zwischen den zwei Strömungen der feministischen Sprachkritik. Für die sprachliche Be-
rücksichtigung von Frauen gelten eben diese beiden Formen als besonders geeignet, weil
sie – anders als bei vermeintlich neutralen Ausdrücken – explizit sichtbar gemacht wer-
den. Darüber hinaus haben sich diese beiden Varianten in psycholinguistischen Studien
(Braun et al. 1998) als besonders hilfreich für einen erhöhten gedanklichen Einbezug von
Frauen erwiesen. Somit stehen wir vor einem Dilemma: Die Lieblingsstrategien der ur-

Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0 Muttersprache 2/2021 179


sprünglichen feministischen Sprachkritik werden vonseiten der queerfeministischen Po-
sition kritisiert, weil sie die sprachliche Repräsentation von nichtbinären Geschlechtern
außer Acht lassen. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen diesen Punkt.
Ein schneller Untergang von den bereits stark verbreiteten Beidnennungen erscheint
trotz post­feministischen Einwänden unwahrscheinlich. Die Kritik am Binnen-I zeigt hin-
gegen Diewald/Steinhauer (2019: 29) zufolge schon eine Wirkung, da das große I in ver-
schiedenen Kontexten bereits häufig durch den mit Geschlechtervielfalt assoziierten Stern
ersetzt wird.
Insgesamt wird deutlich, dass es schwierig ist, auszumachen, welche Form von Perso-
nenbezeichnung sich am besten eignet, um allen Forderungen gleichermaßen gerecht zu
werden. Schreiben wir etwa von Gewinnerinnen und Gewinnern riskieren wir, dass sich
Personen, die sich nicht (vollständig) in den binären Kategorien vertreten sehen, nicht re-
präsentiert fühlen. In Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse wäre es angemessener von
Gewinnenden zu sprechen, aber dabei besteht die Gefahr, dass uns überwiegend männ-
liche gewinnende Personen in den Sinn kommen. Genau dagegen ist die feministische
Sprachkritik der zweiten Welle vorgegangen und hat die vielversprechende Schreibung
mit Binnen-I hervorgebracht, die jedoch von den Betroffenen nicht akzeptiert wird – da-
rauf deuten die Ergebnisse der vorgestellten Umfrage hin. Um herauszufinden, inwieweit
sich die Stern- und Gap-Varianten eignen, alle Geschlechter anzusprechen, wäre es auf-
schlussreich zu erforschen, in welchem Maße sich Frauen und Männer, die sich eindeutig
einem Geschlecht zuordnen können, hierdurch repräsentiert fühlen.
Bei zukünftigen Umfragen sollten allerdings Repräsentanz- und Realisierungspotenzial
getrennt erhoben werden, da es hier zu Überschneidungen kommen kann: Womöglich
wird die Form Studierende (den Studierenden) auch befürwortet, weil sie nicht mit gram-
matischen Problemen und hochkomplexen Formen (*den*der Student*innen)8 verbunden
wird. Notwendig wäre also auch die Wahl repräsentativer Wortformen und nicht die Be-
schränkung auf die meist unkomplizierten Nominativ-Plural-Formen. Zudem muss klar
von »maskulinen« und nicht von »männlichen« Formen gesprochen werden, um Manipu-
lationen auszuschließen.

5 Fazit und Ausblick


Die Online-Befragung von 324 Personen, die sich nicht (vollständig) in den Kategorien
»Mann« oder »Frau« vertreten sehen, deckt auf, dass sich die Teilnehmenden durch die
vorgestellten Bezeichnungsvarianten in sehr unterschiedlichem Maße repräsentiert sehen.
Neutrale Formen tragen, gefolgt von Schreibweisen mit Genderstern und -gap, am ehesten
– wenn auch nicht so stark, wie sich vermuten ließe – zur gefühlten Repräsentation der
Befragten bei. Es erfahren also sowohl Neutralisierungsmaßnahmen als auch Strategien
der Sichtbarmachung Zustimmung. Bei der x-Form und maskulinen Bezeichnungen ist die
empfundene Repräsentation insgesamt deutlich geringer, wenngleich die maskulinen For-
men weitaus besser als vermutet abschneiden. Durch die Doppelform und Schreibweisen
mit Binnen-I fühlen sich die wenigsten Befragten repräsentiert. Die Ergebnisse der Studie
bestätigen somit die queerfeministische These, dass es einen Unterschied macht, ob wir
etwa von Leserinnen und Lesern schreiben oder stattdessen alternative Formen wählen,
die nicht als Ausdruck binärer Strukturen verstanden werden. Die Einschätzungen der

8 Der erste Stern ist linguistisch zu interpretieren (ungrammatisch) – im Dativ Plural häufig.

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Teilnehmenden deuten an, dass die im Zuge der traditionellen feministischen Sprachkri-
tik entstandenen Forderungen und Mittel tatsächlich nicht ausreichen, um alle, d. h. auch
nichtbinäre Geschlechter, sprachlich zu berücksichtigen.
Die gewonnenen Einblicke bieten eine empirische Grundlage für queerfeministische
Überlegungen zur Sprachgestaltung und können zukünftig in die Debatte um die Eignung
von verschiedenen Strategien einfließen. Die Frage, welche Bezeichnungsvarianten am
geeignetsten sind, um alle Geschlechter sprachlich zu berücksichtigen, kann hingegen
nicht abschließend beantwortet werden, da keine der vorgestellten Optionen eine idea-
le Lösung darstellt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die befragte Personengruppe
nicht repräsentativ ist. Zukünftige Studien könnten sprachliche Mittel mit aufnehmen, die
in der vorliegenden Umfrage nicht untersucht wurden, etwa die Variante mit Doppelpunkt
wie in Wähler:innen, die aktuell vermehrt Aufmerksamkeit erfährt (vgl. Kaspar 2020).

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Ronja A. Löhr
Mainz
ronja.loehr@t-online.de

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