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Originalarbeit

Z Gerontol Geriat 2010 · 43:120–124 P. Kottusch1 · K. Püschel1 · W. von Renteln-Kruse2


DOI 10.1007/s00391-009-0076-y 1 Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Eingegangen: 3. Februar 2009 2 Medizinisch-Geriatrische Klinik, Albertinen-Haus, Zentrum für Geriatrie
Akzeptiert: 25. August 2009
Online publiziert: 7. Oktober 2009 und Gerontologie, Wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg
© Springer-Verlag 2009

Untergewicht älterer
Menschen zum
Sterbezeitpunkt
Eine retrospektive Analyse 3821
rechtsmedizinischer Sektionen in Hamburg

Bei jedem verstorbenen Menschen muss teressierte die Häufigkeit von Unterge- betrug die dann errechnete Anzahl gül-
eine ärztliche Leichenschau durchge- wicht bei pflegebedürftigen Personen be- tiger, d. h. einzuschließender Fälle 3638,
führt werden. Kommt diese zu dem Er- sonders. Trotz begrenzt verfügbarer Da- die zum Sterbezeitpunkt nicht im Pflege-
gebnis eines nicht natürlichen oder un- ten aus Deutschland [27, 28] und wegen system waren, sowie 360 mit Sterbezeit-
klaren Todes, wird staatsanwaltschaftlich indirekter Hinweise auf mögliche Pro- punkt im Pflegesystem. Um dies zu errei-
entschieden, ob eine rechtsmedizinische blemlagen [11] wurde Untergewicht häu- chen, wurden insgesamt 10 Jahrgänge des
Sektion durchgeführt werden muss. Dar- figer bei älteren Personen vermutet, die Zeitraumes 1996 bis 2005 bearbeitet.
über hinaus unterliegen in der Freien und ambulanter oder stationärer pflegerischer Es wurden insgesamt 12.027 Fälle er-
Hansestadt Hamburg alle Verstorbenen Unterstützung bedürfen. fasst. Ausgeschlossen wurden Verstorbene
vor Durchführung einer Feuerbestattung mit Sterbealter unter 50 Jahren (3808;
der obligatorischen rechtsmedizinischen Methodik 31,7%). Ein weiteres Ausschlusskriterium
Leichenschau. Systematische Auswer- war Fäulnis/Autolyse (1193; 9,9%). Es be-
tungen der Krematoriumsleichenschau Datengrundlage waren die Sektionspro- trifft die Leichen, die sich durch zeitliche
als epidemiologischer Ansatz haben bei- tokolle des Instituts für Rechtsmedizin bzw. thermische Einflüsse verändern (lan-
spielhaft das Wissen zu Vorkommen so- des Universitätsklinikums Hamburg-Ep- ge Liegezeiten und/oder warme Tempera-
wie Risikokonstellationen der Entstehung pendorf. Verstorbene mit Sterbeort Kran- turen). Hierzu zählen auch Wasserleichen,
von Dekubitalulzera vertieft, weiterfüh- kenhaus, Alten- und Pflegeheim sowie je- Verstorbene mit starken Verbrennungen,
rende Untersuchungen angeregt und Ver- ne mit dokumentiertem Einsatz profes- Skelette sowie einbalsamierte Leichen. Die-
besserungen in Prävention und Versor- sioneller Pflege mit häuslichem Sterbe- se Einflüsse verändern das Gewicht. Wei-
gung initiiert [6, 7, 8, 9, 18]. ort wurden als Verstorbene „im Pflege- ter wurde angenommen, dass der Aufent-
Ziel der vorliegenden Untersuchung system“ definiert. Angaben zu Pflegestu- halt in intensivmedizinischer Behandlung
war die Ermittlung der Häufigkeit von fen und somit zur Intensität von Pflege- kurzfristig zu Gewichtsveränderungen
Untergewicht bei älteren Menschen zum bedürftigkeit lagen nicht vor. führen kann, weshalb Verstorbene aus
Zeitpunkt ihres Todes. Hierzu diente Zur Bestimmung des erforderlichen Intensivstationen (471; 3,9%) auch aus-
die retrospektive Analyse von Datensät- Stichprobenumfangs wurde zunächst ein geschlossen wurden. Personen mit Poly-
zen und Informationen des rechtsmedi- einzelner Jahrgang von gerichtsmedizi- traumen haben ggf. erhebliche Blutverlus-
zinischen Instituts des Universitätsklini- nischen Sektionsberichten untersucht. te erlitten und Personen, denen Gliedma-
kums Hamburg-Eppendorf. Wegen der Nach Berücksichtigung der Ausschluss- ßen amputiert wurden, haben ein geringe-
engen Verknüpfung zwischen der Häu- kriterien (s. u.) zeigte die Auswertung res Körpergewicht, weshalb diese Verstor-
fung von Risikofaktoren hilfs- und pfle- von 466 gültigen Fällen in 15,6% der Fälle benen ebenfalls nicht berücksichtigt wur-
gebedürftiger älterer Menschen für Unter- Untergewicht bei jenen Personen, die sich den (259; 2,2% bzw. 85; 0,7%). Ein weiteres
gewicht und Mangelernährung [2, 5, 10, 11, zu ihrem Sterbezeitpunkt nicht im Pfle- Ausschlusskriterium waren unvollständi-
12, 14, 24, 26] sowie der klinischen Bedeu- gesystem befanden. Für eine 95%-Pow- ge oder fehlende Angaben zu Alter, Ge-
tung des Ernährungszustandes [4, 16] in- er mit einem Signifikanzniveau von 5% schlecht, Größe und Gewicht in den ge-

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Zusammenfassung · Abstract

richtsmedizinischen Akten und Sektions- Z Gerontol Geriat 2010 · 43:120–124 DOI 10.1007/s00391-009-0076-y
berichten (2390; 19,9%). © Springer-Verlag 2009
Das Gewicht (geeichte Bodenwaa-
P. Kottusch · K. Püschel · W. von Renteln-Kruse
ge) und die Größe wurden vom Personal
Untergewicht älterer Menschen zum Sterbezeitpunkt.
des gerichtsmedizinischen Instituts direkt
Eine retrospektive Analyse 3821 rechtsmedizinischer Sektionen
bei Einlieferung ins gerichtsmedizinische
in Hamburg
Institut bzw. im Krematorium gemessen.
Bei der gerichtsmedizinischen Leichen-
schau festgestellte Dekubitalulzera wur- Zusammenfassung
Fragestellung und Methodik. Anhand der ter Dekubitalulzera betrug 1,8%. Verstorbene
den ebenfalls erfasst und bei der Analy-
Sektionsprotokolle eines 10-jährigen Zeit- Personen mit Dekubitus bedurften zum Ster-
se berücksichtigt. raums des Instituts für Rechtsmedizin am bezeitpunkt häufiger der Pflege. Unterge-
Retrospektiv wurden für die 3821 ein- Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wichtige Verstorbene im Pflegesystem wie-
geschlossenen Fälle die Sektionsdiagno- wurde retrospektiv die Häufigkeit von Unter- sen häufiger Dekubitalulzera auf.
sen, Leichenschau- und Polizeiberichte gewicht älterer Menschen zum Sterbezeit- Schlussfolgerung. Untergewicht zum Ster-
minuziös ausgewertet. In einer digitalen punkt ermittelt. Als Indikator wurden Body- bezeitpunkt wird im sehr hohen Alter häu-
Mass-Index- (BMI-)Werte <20 kg/m2 verwen- figer. Es ist assoziiert mit Bedarf für pflege-
Datenbank (Microsoft Access 2003) wur-
det und die Daten von 1551 verstorbenen rische Versorgung sowie dem Nachweis von
den erfasst: Geschlecht, Alter, Todesjahr, Frauen und 2270 Männern mit mittlerem Al- Dekubitalulzera. Die Selektion der Stichpro-
dokumentierte Diagnose, Todesursache ter von 69 Jahren (51–101 Jahre) analysiert. be mit weniger als 5% Tumorpatienten muss
und Sterbeort (Krankenhaus, Pflegeheim, Ergebnisse. Die Häufigkeit von Unterge- berücksichtigt werden. Die Ergebnisse unter-
zu Hause mit/ohne ambulantem Pflege- wicht betrug insgesamt 15,4%. Niedrige BMI- streichen die notwendige Früherkennung der
dienst). Als vergleichbares Maß wurde der Werte wurden bei Frauen häufiger als bei Gefährdung älter werdender Menschen für
Männern ermittelt (18,8 vs. 13,1%) und mit die Entwicklung von Mangelernährung.
Body-Mass-Index (BMI) als Indikator für 28,9% häufiger bei Personen in pflegerischer
den Ernährungszustand berechnet [29]. Versorgung zum Sterbezeitpunkt. Die Häu- Schlüsselwörter
Zur Definition von Untergewicht wur- figkeit stieg ab dem Alter 70–79 Jahre von Untergewicht · Mangelernährung ·
de nicht die WHO-Bemessungsgrundla- ca. 15 auf über 38% bei 90 Jahre alten und Pflegebedürftigkeit · Ältere Menschen
ge (BMI <18,5 kg/m2), sondern ein BMI- älteren Verstorbenen. Die Rate festgestell-
Wert <20 kg/m2 gewählt [1].
Die Datenbank wurde mit einer Tabel- Underweight in elderly persons. A retrospective analysis
lenkalkulation (Microsoft Excel 2002) be- of 3821 forensic autopsies in Hamburg
arbeitet. Zur Berechnung von Gruppen-
unterschieden wurde der χ2-Vierfeldertest Abstract
verwendet. Als Signifikanzniveau wurde Aim and method. Based on the systemat- sure sores were documented in 1.8% of cases.
ic analyses of a 10-year period at the Institute Persons in need of professional nursing care
α=0,05 angenommen.
of Forensic Medicine at the University Clin- more often had pressure sores at their time of
ic Hamburg-Eppendorf, the frequency of un- death. Furthermore, pressure sores were ob-
Ergebnisse derweight in elderly persons at their time of served more often in underweight elderly in
death was retrospectively calculated. Body need of professional nursing care.
Von den 3821 eingeschlossenen, gültigen mass index (BMI) values <20 kg/m² were tak- Conclusion. Underweight at the time of
Fällen waren 2270 (59,4%) männlich (51– en as indicative of underweight and the da- death is observed more often in the very old.
ta of 1,551 women and 2,270 men, mean age This is associated with the need for profes-
97, Median 64 Jahre) und 1551 (40,6%) 69 years (51-101 years) were analyzed. sional nursing care and also the occurrence of
weiblich (51–101, Median 75 Jahre). Die Results. The prevalence of underweight was pressure sores. Less than 5% of persons with
Häufigkeitsverteilung der 342 Verstor- 15.4%. Low BMI values were more frequent in tumors were included. The results underscore
benen, die sich zum Sterbezeitpunkt am- women than men (18.8 vs. 13.1%) and more the need of early detection of people at risk
bulant oder stationär im Pflegesystem frequent in persons needing professional of malnutrition when growing older.
nursing care at the time of death (28.9%). Un-
befanden, zeigte einen altersassoziier-
derweight increased for the age range 70– Keywords
ten Anstieg. Die Anzahl zu Hause ohne 79 from about 15% to over 38% for those Underweight · Malnutrition · Need of nursing
ambulanten Pflegedienst oder im Kran- 90 years and older at the time of death. Pres- care · Elderly people
kenhaus Verstorbener war über dem Al-
ter von 79 Jahren zunehmend geringer
(. Abb. 1).

Untergewicht

Ein BMI-Wert von <20 kg/m2 wurde bei


589 Verstorbenen (15,4%) errechnet, häu-
figer bei Frauen (292/1551) als bei Män-
nern (297/2270; p<0,0001). Neunund-

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Originalarbeit
1.200
1.086 Rest (n=3.479) Pflegesystem (n=342) Dekubitalulzera
1.000
893 870
800 Siebzig der insgesamt 3821 untersuchten
Verstorbene

Leichen (1,8%) wiesen Dekubitalulzera


600 513 auf. Verstorbene Personen mit festgestell-
tem Dekubitus befanden sich zum Ster-
400
bezeitpunkt häufiger ambulant oder sta-
200
101 115 tionär im Pflegesystem, 20/342 (5,8%) vs.
64 87 56
34 2 0 50/3479 (1,4%; p=0,0001). Über die Hälfte
0
50 - 59 60 - 69 70 - 79 80 - 89 90 - 99 100 - 109 der verstorbenen Personen mit festgestell-
Jahre tem Dekubitus (n=42) waren auch unter-
gewichtig. Verstorbene im Pflegesystem
Abb. 1 8 Verstorbene, Altersverteilung und Pflegesystem mit einem BMI-Wert <20 kg/m2 wiesen
häufiger Dekubitalulzera auf, 15/99 (15,2%)
40 vs. 27/490 (5,5%; p=0,0004).
Männer
Frauen
Diskussion
35
Die Häufigkeit von Untergewicht zum To-
deszeitpunkt älterer Hamburger(innen)
30
aus der rechtsmedizinischen Sektionssta-
tistik betrug insgesamt 15,4% und bei Ver-
25 storbenen im Pflegesystem knapp 29%.
%

Untergewicht wurde häufiger bei Frauen


als bei Männern sowie zunehmend häu-
20 figer bei Hochbetagten gemessen. Der Al-
tersunterschied zwischen Verstorbenen
im Pflegesystem mit BMI-Werten <20 kg/
15
m2 in der Häuslichkeit und in Institutio-
nen betrug durchschnittlich etwa 2,5 Jah-
10 re. Bestätigt wurde die Assoziation zwi-
Abb. 2 9 Unterge- schen Untergewicht und dem Vorkom-
50 60 70 80 90 100
wicht (BMI <20 kg/m2),
men dokumentierter Dekubitalulzera:
Jahre Häufigkeit, Alter und
Geschlecht Untergewichtige wiesen häufiger Dekubi-
talulzera auf als nichtuntergewichtige Per-
sonen im Pflegesystem.
neunzig der 342 Verstorbenen im Pfle- Das Durchschnittsalter aller untergewich- Bei der Interpretation dieser Ergeb-
gesystem (28,9%) wiesen einen BMI- tigen, einer ambulanten und stationären nisse ist die Selektion zu berücksichtigen,
Wert <20 kg/m2 auf; 99/342 vs. 490/3479 professionellen Pflege bedürftigen Frau- da rechtsmedizinische Sektionen deutlich
(p=0,0001; . Tab. 1). en und Männer war 8,5 bzw. 8,3 Jahre hö- häufiger bei männlichen Verstorbenen
Der Anteil Untergewichtiger zeigte für her als das Durchschnittsalter aller ausge- wegen ungeklärter und nicht natürlicher
Frauen und Männer gleichermaßen einen werteten Sterbefälle. Todesursachen durchgeführt werden. Dies
deutlichen Anstieg ab der Mitte der 8. De- entspricht nicht der Geschlechtsvertei-
kade (. Tab. 2, . Abb. 2). Das Durch- Todesursachen lung der älteren Gesamtbevölkerung in
schnittsalter zu Hause Verstorbener oh- Deutschland und nicht dem Spektrum der
ne professionelle Pflege betrug 67,5 Jahre, Die häufigsten Todesursachen waren Todesursachen, da Tumorpatienten i.d.R.
das derjenigen mit professioneller Pfle- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (63,2%), ge- nicht als ungeklärte Todesfälle zur rechts-
ge 76,1 Jahre und das Durchschnittsalter folgt von Erkrankungen der Lunge (7,5%), medizinischen Sektion gelangen. Der hier
der Personen aus Pflegeheimen 77,2 Jah- Suizid (4,3%), Tumorleiden (4,2%) und festgestellte Geschlechtsunterschied der
re. Professioneller Pflege Bedürftige zu gastrointestinalen Erkrankungen (3,8%; Prävalenz ist zunächst durch das höhere
Hause mit BMI-Werten <20 kg/m2 waren . Tab. 3). Alle anderen Todesursachen Lebensalter der Frauen erklärt.
durchschnittlich ca. 2,5 Jahre älter als je- (17%) wurden zusammengefasst. Bezüg- Die ermittelte Prävalenz von Unterge-
ne mit BMI-Werten ≥20 kg/m2 (76,1 bzw. lich der Häufigkeit von Untergewicht be- wicht bei älteren Menschen im Pflegesys-
78,6 Jahre). Die entsprechende Altersdif- standen zwischen den Diagnosegruppen tem ist plausibel und liegt im Bereich ver-
ferenz der Alten- und Pflegeheimbewoh- keine signifikanten Unterschiede. gleichbarer Größenordnung internationa-
ner betrug 2,4 Jahre (77,1 bzw. 79,5 Jahre). ler Studien aus dem Pflegeheimbereich,

122 | Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2 · 2010


Tab. 1 Sterbeort, Verstorbene, Verstorbene mit BMI <20 kg/m2
Sterbeort Verstorbene
n BMI <20 kg/m2 BMI <20 kg/m2 (%)
Zu Hause ohne Pflegedienst 2983 (78,1%) 403 (68,4%) 13,5
Zu Hause mit Pflegedienst 127 (3,3%) 44 (7,5%) 34,6
Alten- und Pflegeheim 215 (5,6%) 55 (9,3%) 25,6
Krankenhaus 496 (13,0%) 87 (14,8%) 17,5
Gesamt 3821 (100%) 589 (100%) 15,4

Tab. 2 BMI <20 kg/m2 zum Sterbezeitpunkt, Alter und Geschlecht


Alter (Jahre)
50–59 60–69 70–79 80–89 ≥90
Frauen (n=1551) 28/234 48/329 72/470 95/391 49/127
BMI <20 kg/m2 (n=292) (12,0%) (14,6%) (15,3%) (24,3%) (38,6%)
Männer (n=2270) 82/693 91/821 61/487 47/223 16/46 (34,8%)
BMI <20 kg/m2 (n=297) (11,8%) (11,1%) (12,5%) (21,1%)
Gesamt 927 1150 957 614 173

Tab. 3 Todesursachen und Sterbeort


Sterbeort Herz/Kreislauf Lunge Tumor Gastrointestinal
n (%) n (%) n (%) n (%)
Zu Hause, ambulanter Pflegedienst 77 (60,6) 15 (11,8) 9 (7,1) 1 (0,8)
Alten- und Pflegeheim 146 (67,9) 35 (16,3) 1 (0,5) 3 (1,4)
Zu Hause (ohne ambulanten Pfle- 2191 (63,0) 237 (6,8) 150 (4,3) 142 (4,1)
gedienst) und Krankenhaus

über die Pauly et al. berichteten [15]. Be- der zugrunde gelegten Definition. Wird
merkenswert hierzu ist die merklich höhere das Risiko für Mangelernährung berück-
Fallzahl derer, die zum Sterbezeitpunkt in sichtigt, ist die Zahl älterer Menschen, die
ambulanter pflegerischer Versorgung wa- gefährdet sind, jedenfalls höher zu veran-
ren. Dieser lediglich beschreibende Be- schlagen. Für geeignete und zeitgerechte
fund könnte vielleicht ein besonderes Au- Interventionen ist deshalb die Identifika-
genmerk auf spezifische Probleme der Le- tion der Gefährdung essenziell.
bensumstände allein lebender oder in be- Im SENECA-Survey betrug die Ra-
sonderer Weise unterstützungsbedürftiger te an Untergewicht (BMI-Wert <20 kg/
älterer Menschen mit Pflegebedarf hinwei- m2) initial lediglich 3% für Männer und
sen. Unsere Daten erlauben aufgrund der 5% für Frauen im Durchschnittsalter von
begrenzten Informationslage aus dieser ca. 73 Jahren. Während eines 10-jährigen
Untersuchung selbstverständlich keiner- Verlaufs hatten allerdings 23% der Männer
lei Annahmen zu Kausalität und zeitlicher und 27% der Frauen mindestens 5 kg oder
Entwicklung von Untergewicht. Ebenfalls mehr an Körpergewicht verloren und po-
gab es keine Informationen zu Dauer von tenzielle Risikofaktoren für Mangelernäh-
Pflegebedürftigkeit und Inanspruchnahme rung waren häufig vorhanden [5]. Ent-
ambulanter oder stationärer professioneller sprechende Indikatoren bzw. Fragen ge-
pflegerischer Versorgung in Altenheimen hören deshalb zum festen Bestandteil von
oder der Aufenthaltsdauer in Pflegeheimen umfassendem geriatrischen Assessment
sowie deren Zusammenhänge. sowie von Screeningverfahren altersme-
Der spezifische Studienansatz könnte dizinischer Prävention [1, 21].
die Prävalenz von Untergewicht älterer Angestrebte Verbesserungen der Struk-
und hochaltriger Menschen zum Ster- turen und Qualität pflegerischer Versor-
bezeitpunkt möglicherweise eher unter- gung allgemein und besonders der Pfle-
als überschätzen. Aufgrund der Selektion ge hochaltriger Menschen müssen Ernäh-
sind Tumorpatienten unterrepräsentiert. rungsfragen inhaltlich und praktisch un-
Der Vorteil unserer Untersuchung ist ih- bedingt berücksichtigen [22, 23]. Speziell
re große Fallzahl. Die Raten zum Vorkom- die Ernährung älterer pflegebedürftiger
men von Untergewicht sind abhängig von Menschen und Bedingungen zu deren Si-
Originalarbeit

cherstellung sind u. a. Gegenstand eines Literatur 19. Renteln-Kruse von W (2008) Verbundprojekt Lon-
gitudinale Urbane Cohorten-Alters-Studie (LU-
Teilprojektes im Hamburger LUCAS-Ver- CAS). Z Gerontol Geriatr 41 (Suppl I):46
bund [19]. 1. Bauer JM, Volkert D, Wirth R et al (2006) Diagnos- 20. Schmiedl S, Szymanski J, Rottenkolber M et al
tik der Mangelernährung des älteren Menschen. (2007) Fingerhut – ein alter Hut? Eine Analyse sta-
Klinische Implikationen von Unter- Ergebnisse eines internationalen Experten-Mee- tionärer Aufnahmen durch digitalisassoziierte un-
gewicht sind zahlreich und können hier tings der BANSS-Stiftung. Dtsch Med Wochenschr erwünschte Arzneimittelwirkungen. Med Klinik
nicht ausführlich erwähnt werden [1, 10, 131:223–227 102:603–611
2. Becker C, Eichner B, Lindemann B et al (2003) Fä- 21. Sandholzer H, Hellenbrand W, Renteln-Kruse von
16, 24, 25]. Die Assoziation zwischen Un- higkeiten und Einschränkungen von Heimbewoh- W et al (2004) STEP – Europäische Leitlinie für das
tergewicht und Dekubitalulzera bestä- nern. Eine Querschnittserhebung mit dem Mini- standardisierte evidenzbasierte präventive As-
tigt die bereits früher dokumentierten mum Data Set des Resident Assessment Instru- sessment älterer Menschen in der medizinischen
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an der Universität Hamburg, telanwendung bei Alten- und Pflegeheimbewoh-
Sellhopsweg 18–22, 22459 Hamburg nern im Vergleich zu Patienten in ambulanter Pfle-
ge bzw. ohne Pflegebedarf. Dtsch Med Wochen-
w.renteln-kruse@albertinen.de
schr 127:1995–2000
18. Renteln-Kruse von W, Krause T, Anders J et al
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor (2004) Höhergradige Dekubitalulzera bei betagten
gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. pflegebedürftigen Hochrisiko-Personen. Eine post
mortem Fall-Kontroll-Studie. Z Gerontol Geriatr
37:81–85

124 | Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2 · 2010

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