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Z Gerontol Geriat 37:81–85 (2004)

DOI 10.1007/s00391-004-0218-1 BEITRAG ZUM THEMENSCHWERPUNKT

W. von Renteln-Kruse Höhergradige Dekubitalulzera bei betagten


T. Krause
J. Anders pflegebedürftigen Hochrisiko-Personen
M. Kühl
A. Heinemann Eine post mortem Fall-Kontroll-Studie
K. Püschel

High-grade pressure sores n Zusammenfassung Einige ältere diazepine, zentral wirksame Anal-
in frail older high-risk persons – Personen entwickeln einen Deku- getika) verordnet. Eingeschränkte
a retrospective post mortem bitus, andere mit vergleichbar ho- Möglichkeit oder Intention zur
case-control-study hem Risiko für Dekubitalulzera Kooperation/Compliance für prä-
entwickeln jedoch keinen Dekubi- ventive bzw. therapeutische Maß-
tus. Wir führten eine post mor- nahmen war häufiger bei Perso-
tem Fall-Kontroll-Studie bei alten nen der Fall- als der Kontroll-
Menschen durch, die während ei- gruppe dokumentiert.
nes Zeitraums von sechs Monaten Ein hoher Grad funktioneller
bis 14 Tage vor ihrem Tod höher- Einschränkung, insbesondere der
gradige Dekuitalulzera erlitten Mobilität ist ein Risikofaktor für
hatten, mit der Frage spezieller höhergradige Dekubitalulzera bei
Risikofaktoren. Nach schriftli- alten pflegebedürftigen Hochrisi-
Eingegangen: 27. Januar 2004 chem Einverständnis durch die ko-Personen. Sedierende Arznei-
Akzeptiert: 23. Februar 2004 nächsten Angehörigen der Ver- mittelwirkungen und einge-
storbenen wurden sämtliche ver- schränkte Möglichkeit/Intention
fügbaren Krankenunterlagen und zur Kooperation der Betroffenen
Diese Untersuchung wurde durchgeführt Pflegedokumente evaluiert. Perso- bei präventiven bzw. therapeuti-
mit finanzieller Unterstützung durch das nen der Fall- und der Kontroll- schen Maßnahmen der Dekubi-
Bundesministerium für Familie, Senioren, gruppe wurden zugeordnet ge- tusversorgung stehen möglicher-
Frauen und Jugend, Berlin und die mäß Lebensalter, Geschlecht, Im- weise mit der Entwicklung von
Robert-Bosch-Stiftung GmbH, Stuttgart
mobilität und Kachexie. höhergradigen Dekubitalulzera
100 Fälle mit 71 Dekubitalulze- bei älteren Hochrisiko-Personen
ra Grad 3 und 29 Dekubitalulzera im Zusammenhang.
Prof. Dr. med. W. von Renteln-Kruse ()) Grad 4 wurden mit 100 Kontrol-
T. Krause (Qualitätsmanager)
Dr. med. J. Anders · Cand. med. M. Kühl len verglichen, die 27 Dekubital- n Schlüsselwörter
Medizinisch-Geriatrische Klinik ulzera Grad ≥ 2 bzw. ein maxima- Höhergradige Dekubitalulzera –
Albertinen-Haus les Dekubitusrisiko gem. Norton- Ältere pflegebedürftige
Zentrum für Geriatrie und Gerontologie Skala aufwiesen. Das Durch- Hochrisiko-Personen –
Wissenschaftliche Einrichtung
an der Universität Hamburg
schnittsalter betrug 86 Jahre, 60% Post mortem Fall-Kontroll-Studie
Sellhopswegs 18–22 waren weiblich, 86% waren bett-
22459 Hamburg, Germany lägerig und 66% kachektisch. Die n Summary Some old persons at
E-Mail: w.renteln-kruse@albertinen.de Personen der Fallgruppe waren risk do develop, but others, at
Dr. med. A. Heinemann häufiger schwerpflegebedürftig, comparable risk, do not develop
Prof. Dr. med. K. Püschel hatten häufiger Gelenkkontraktu- high-grade pressure sores. To
Institut für Rechtsmedizin ren, und ihnen waren häufiger evaluate potentially different risk
Universitäts-Krankenhaus
Hamburg-Eppendorf
Medikamente mit sedierender factors, we performed a post
ZGG 218

Butenfeld 34 Wirkung, erwünscht oder uner- mortem case-control study in old


22529 Hamburg, Germany wünscht, (Neuroleptika, Benzo- persons who developed high-grade
82 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 37, Heft 2 (2004)
© Steinkopff Verlag 2004

pressure sores within six months compared to 100 controls with in cases than controls.
until 14 days before death. Conse- 27 pressure sores grade ≤ 2 and A high degree of disablement
cutive cases with pressure sores maximal risk as assessed by the and immobility, in particular, are
grade ≥ 3 and potential controls at Norton scale. The mean age was risk factors for high-grade pressure
comparably high risk for pressure 86 years, 80% were females, 86% sores in frail older high-risk per-
sores were examined before cre- were bedridden, and cachexia was sons. Sedative drug effects and
mation. After written informed found in 66%. The cases were more impaired patient compliance with
consent had been obtained by the often seriously disabled, had more preventive and therapeutic mea-
next relatives, all available nursing often contractions of joints, and sures may also be associated with
and medical records of the de- were on more drugs with intended the development of high-grade
ceased were thoroughly evaluated. or unwanted depressive/sedative pressure sores in old persons at
Cases and controls were matched effects (neuroleptics, benzodiaze- high risk.
according to age, gender, immo- pines, centrally acting analgesics).
bility, and cachexia. Patient’s impaired ability or low n Key words
A total of 100 cases with intention to comply/cooperate with High-grade pressure sores –
71 pressure sores grade 3 and preventive and/or therapeutic high-risk frail old pesons –
29 pressure sores grade 4 were measures was more often recorded post mortem case-control-study

ambulanten Pflegedienste wurden kontaktiert, um


Einleitung die schriftliche Einverständniserklärung zu einem
persönlichen Interview sowie zur Einsicht in sämtliche
Einige ältere Patienten und pflegebedürftige Men- verfügbaren Krankenunterlagen und Pflegedokumen-
schen erleiden Dekubitalulzera, während andere Per- tationen zu erhalten. Das schriftliche Einverständnis
sonen mit vergleichbar hohem Risiko keinen Dekubi- wurde bei fünf Fällen und neun Kontrollen verweigert.
tus entwickeln. Diese klinische Beobachtung und die Es wurden insgesamt 94 Verstorbene ausgeschlossen.
damit verbundene Frage nach besonderen Risikofak- Bei 19 von ihnen lagen keine plausiblen bzw. keine aus-
toren veranlasste uns zur Durchführung einer Fall- reichenden Dokumentationen vor, bei drei Verstorbe-
Kontroll-Studie. Als kontrollierter Studienansatz eig- nen handelte es sich nicht um Dekubitalulzera, son-
nen sich hierfür postmortale Untersuchungen mit ei- dern um chronisch venöse Hautläsionen. Nach Evalua-
nem retrospektiven Follow-up. Zusammen mit der tion der Krankenunterlagen wurden weitere 58 Per-
systematischen Evaluation von Krankenunterlagen sonen ausgeschlossen. Sechsundzwanzig von ihnen
dienten postmortale Untersuchungen zur Bestimmung waren zum Zeitpunkt der Entstehung des Dekubitus
der Häufigkeit sowie Erfassung von Riskofaktoren für bzw. des maximalen Dekubitusrisikos (gem. Norton-
Dekubitalulzera [6, 19]. Ergebnisse derartiger Unter- Skala [12]) nicht immobil im Sinne der Definition ge-
suchungen waren u. a. Ausgangspunkt für erfolgreiche wesen. Bei 10 Personen hatte sich der Dekubitus nicht
lokale Qualitätssicherungs-Programme [7]. innerhalb des definierten Zeitraumes von sechs Mona-
ten bis 14 Tage vor Tod entwickelt.
Vorteile dieses Untersuchungsdesigns mit retro-
Methoden spektivem Follow-Up sind, dass mit Tod ein definier-
ter Endpunkt gegeben war, Dekubituspatienten ein-
n Rekrutierung deutig identifiziert wurden, die Dokumentation bis
zum Endpunkt Tod vorlag und retrospektiv keine
Konsekutive Fälle und Kontrollen wurden untersucht diesbezüglichen Interventionen mehr möglich waren.
und vor der Kremation für den Einschluss in die Studie Durch die Zuordnung von Kontrollen zu Fällen ist
rekrutiert. In der Freien und Hansestadt Hamburg ist die sichere Kontrolle für wichtige Risikofaktoren ge-
die zweite Leichenschau durch Gerichtsmediziner vor währleistet. Nachteile sind, dass die erhobenen Daten
Kremation im Zentralkrematorium der Stadt gesetzlich von der Qualität der Dokumentation und die Infor-
vorgeschrieben. Während des 14-monatigen Zeitrau- mationen aus den durchgeführten Interviews z. T.
mes der Rekrutierungsphase wurden unter 11 412 er- von der Erinnerung abhängig sind.
fassten Sterbefällen mit zweiter Leichenschau 1119 Es verblieben 105 mögliche Fälle und 217 mögli-
als potenziell für die Studie in frage kommende iden- che Kontrollen, von denen dann 100 sorgfältig
tifiziert. Insgesamt fanden sich 121 Fälle mit einem De- 100 Fällen zugeordnet wurden. Die Zuordnungskrite-
kubitus Grad ≥ 3 und 273 mögliche Kontrollen mit De- rien waren das Lebensalter, Geschlecht, Immobilität
kubitalulzera Grad ≤ 2 [17]. Die nächsten Angehörigen (bettlägerig) sowie Kachexie, um wichtige bekannte
der Verstorbenen, Krankenhäuser, Pflegeheime sowie Risikofaktoren zu kontrollieren [9, 10].
W. von Renteln-Kruse 83
Höhergradige Dekubitalulzera bei betagten pflegebedürftigen Hochrisiko-Personen

n Datensammlung und Auswertung gen und Verhalten (V) 9,6%, Stoffwechselerkrankun-


gen (IV) 7,5% sowie den Urogenitaltrakt (XIV) 7,5%.
Die Krankenunterlagen wurden systematisch bezüg- Abgesehen von der einzigen Ausnahme, der periphe-
lich folgender Dokumentationen evaluiert: Dekubital- ren arteriellen Verschlusskrankheit, ergab sich für
ulkus, Risiko-Assessment gem. Norton-Skala, Harn- keine andere distinkte Diagnose ein Häufigkeits-
und Stuhl-Inkontinenz, Infektionen, Gelenkkontrak- unterschied zwischen den Personen der Fall- bzw.
turen, Maßnahmen zur Verbesserung des Hydratati- der Kontrollgruppe.
onszustandes, Gabe von Ernährungssupplementen, Die bedingte logistische Regression ermittelte ein
präventive Maßnahmen inkl. Nutzung spezieller nahezu sechsfach erhöhtes relatives Risiko bei peri-
Hilfsmittel (z. B. Matratzen), Lagerungspläne und La- pherer arterieller Verschlusskrankheit einen höher-
gerungsintervalle während des Tages und während gradigen Dekubitus zu erleiden, adjustiert für die
der Nacht, spezifische Behandlungen der Dekubital- Pflegestufe III.
ulzera, Dokumentation zur Patienten-Kooperation/ Die Anzahl der durchschnittlich verordneten Me-
Compliance bezüglich präventiver und/oder thera- dikamente betrug 6,0 ± 3,0 (0–18) für die Fälle und
peutischer Maßnahmen, Grad der Pflegebedürftigkeit 6,7 ± 3,2 (0–17) für die Kontrollen, von denen jeweils
(Pflegestufe gem. MDK-Gutachten [4], medizinische 70 bzw. 78% fünf oder mehr Arzneimittel verschrie-
Diagnose (ICD-10), ärztlich verordnete Medikamente ben erhalten hatten. Kardiovaskuläre Medikamente
zum regelmäßigen Gebrauch sowie auch verbrauchte inkl. Diuretika, Analgetika inkl. nichtsteroidale An-
Bedarfsmedikation, sofern dies im Einzelfall auch tiphlogistika, Psychopharmaka, Medikamente für
eindeutig dokumentiert worden war. gastrointestinale Indikationen und Supplemente (Mi-
Sämtliche auf diese Weise dokumentierten Arznei- neralien, Vitamine, Hormone) waren dieser Rangfol-
mittel wurden dahingehend überprüft, ob in irgend- ge nach am häufigsten dokumentiert. Insgesamt
einer Weise eine Beeinflussung der Dekubitusentste- 69 Personen hatten Ernährungssupplemente erhalten,
hung oder auch der Wundheilung möglich war [1- 3, und zwar 31 Fälle vs. 38 Kontrollen (p = 0,298).
5, 8, 11, 13, 15, 18]. Für den Zweck unserer Studie Es fanden sich 71 Dekubitalulzera Grad 3 und
konnte auch nach intensiver Literaturrecherche nicht 29 Dekubitalulzera Grad 4 bei den Fällen und 27 De-
auf eine Klassifizierung von Medikamenten zurück- kubitalulzera Grad ≤ 2 bei den Kontrollen (Tab. 1).
gegriffen werden. Selbst Studien zum Dekubitus, in Die Rangfolge der Lokalisationen war Sakrum 70%,
denen Medikamente erwähnt sind, enthalten keiner- Glutealregion 7%, Hüften 5%, Fersen 6%, Ilium 6%,
lei spezifizierte Angaben. Deshalb wurden alle gene- Trochanter 5% und andere 1%. Die Hälfte der Deku-
rischen Inhaltsstoffe aus sämtlichen dokumentierten bitalulzera der Fälle und 80% derjenigen der Kon-
Arzneimitteln extrahiert und dann folgendermaßen trollen waren innerhalb der letzten acht Wochen vor
kategorisiert: Substanzen mit potenzieller Beeinflus- Tod entstanden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich
sung der Wundheilung, Substanzen ohne Hinweis 55% der Personen im Pflegeheim, 24% waren zu
für eine Beeinflussung der Dekubitusentstehung, Hause, 7% im Krankenhaus, und bei 14% wechselte
Substanzen mit Wirkung auf das ZNS aktivierend vs. der Aufenthaltsort während dieser Zeit.
dämpfend/sedierend, Substanzen mit irgendeiner Nur wenige der erhobenen Parameter mit mögli-
möglichen unerwünschten Wirkung auf das ZNS. chem Einfluss auf die Dekubitusentstehung erwiesen
Die Datenanalyse erfolgte unter Anwendung von sich unterschiedlich häufig bei den Personen der
SPSS, Version 11.0. Für univariate Vergleiche wurden Fall- bzw. Kontrollgruppe (Tab. 2). Die Fälle mit
der McNemar- bzw. der Chi-Quadrat-Test, für die höhergradigem Dekubitus waren häufiger schwer
multivariate Analyse eine bedingte logistische Re- pflegebedürftig, wiesen häufiger Gelenkkontrakturen
gression angewendet. Die Studie war von der Ethik- auf und hatten häufiger Arzneimittel mit sedierender
Kommission der Ärztekammer Hamburg genehmigt.

Tab. 1 Dekubitalulzera bei 100 Personen der Fall- und 100 Personen der Kon-
trollgruppe, Grad und Stadium a
Ergebnisse
Grad N Stadium 1 Stadium 2 Stadium 3
Es handelte sich um 100 Fälle und 100 Kontrollen 4 29 – 1 28
im mittleren Alter von 85,7 ± 8,3 Jahren, 80% Frauen, 3 71 9 24 33
86% waren bettlägerig und 66% kachektisch. Die 2 23 18 4 –
häufigsten medizinischen Diagnosen in absteigender <2 73 – – –
200 27 29 61
Häufigkeit betrafen kardiovaskuläre Diagnosen (IX)
23,7%, das Nervensystem (VI) 13,9%, muskuloskelet- a
Einteilung nach Seiler (1993); in 10 Fällen waren der Dokumentation keine
tales System (XII) 13,9%, psychiatrische Erkrankun- Angaben über das Stadium zu entnehmen
84 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 37, Heft 2 (2004)
© Steinkopff Verlag 2004

Tab. 2 Risikofaktoren für höhergradige Dekubitalulzera bei 100 Personen der Die eingeschränkte Möglichkeit zur Kooperation
Fall- und 100 Personen der Kontrollgruppe (Matching-Variablen: Alter, Ge- oder geringe Intention zur Compliance mit präventi-
schlecht, Immobilität und Kachexie)
ven und/oder therapeutischen Maßnahmen der De-
Faktor Fallgruppe % Kontrollgruppe % p-Wert kubitusversorgung ist unseres Wissens bislang noch
nicht speziell untersucht worden. Neben der Compli-
Pflegestufe III 1 51,0 33,0 0,010 ance professionell Pflegender mit Evidenz basierten
(n = 198) Prinzipien der Prävention und Behandlung von De-
Gelenkkontrakturen 44,0 28,0 0,018 kubitus sind jedoch bei einer Gesamtbetrachtung
Periphere arterielle 19,0 7,0 0,012 Aspekte der Patienten-Kooperation ebenfalls bedeut-
Verschlusskrankheit sam [16]. Dies sollte u. E. Berücksichtigung finden,
Eingeschränkte 89,0 76,0 0,016 wenn es um die Frage der generellen Vermeidbarkeit
Patienten-Kooperation/ von Dekubitalulzera geht.
Compliance Die Exposition der Untersuchten mit Arzneimit-
Medikamente mit 71,0 56,0 0,028 teln, gekennzeichnet durch hohe Prävalenz von Mul-
sedierender Wirkung timedikation, war vergleichsweise mit kürzlich veröf-
Lagerungs-Intervall fentlichten Daten bemerkenswert ausgeprägt [14, 20].
Tags > 4 h (n = 192) 21,0 34,0 0,035 Die mögliche Bedeutung medikamentöser Einflüsse
Nachts > 4 h (n = 191) 36,0 48,0 n. s. auf die Entstehung von Dekubitalulzera ist erstaunli-
1
Gemäß MDK-Gutachten cherweise bislang kaum untersucht worden [13, 18],
und publizierte Daten sind widersprüchlich. Die Er-
gebnisse unserer Untersuchung schließen einen
Wirkung erhalten, insbesondere Neuroleptika, Ben- möglichen Einfluss von Arzneimitteln mit zentral-
zodiazepine und zentral wirkende Analgetika. Außer- nervös sedierender Wirkung, erwünscht oder un-
dem fanden sich bei diesen häufiger dokumentierte erwünscht, zumindest nicht aus. Die von uns zusätz-
Hinweise auf beeinträchtigte Kooperation bzw. Com- lich durchgeführte Analyse erbrachte keinen Hinweis
pliance für präventive/therapeutische Maßnahmen. für einen denkbaren Zusammenhang zwischen der
Unterschiede bezüglich Maßnahmen zur Verbes- Applikation dieser Medikamente und eingeschränk-
serung der Flüssigkeitszufuhr und der Gabe von ter Patienten-Kooperation/Compliance.
Nahrungssupplementen fanden sich nicht. Der Ein- Der Befund, dass für die Kontrollpersonen und
satz von Hilfsmitteln sowie die Häufigkeit dokumen- nicht, wie vielleicht zu vermuten, für die Personen
tierter Lagerungspläne unterschied sich nicht. Tat- der Fallgruppe häufiger Lagerungsintervalle von
sächlich waren bei mehr Personen der Kontrollgrup- über vier Stunden Dauer dokumentiert waren, ist
pe Lagerungsintervalle von über vier Stunden Dauer keineswegs unplausibel. Er könnte hingegen die An-
während des Tages dokumentiert als bei den Per- nahme stützen, dass trotz adäquater Versorgung bei
sonen der Fallgruppe. Hochrisiko-Personen höhergradige Dekubitalulzera
auftreten können. Freilich ist zu bedenken, dass es
sich um eine retrospektive Untersuchung handelt, als
Diskussion deren bedeutsamer Vorteil gegenüber vielen Studien
allerdings die Kontrolle wichtiger Risikofaktoren an-
Nicht völlig unerwartet erwiesen sich nur wenige geführt werden kann.
der erhobenen klinischen Merkmale und Versor- Als Schlussfolgerungen regen wir an, dass in
gungsparameter als signifikant unterschiedlich zwi- zukünftigen prospektiven Untersuchungen zur Häu-
schen Personen der Fall- und Kontrollgruppe, da es figkeit bzw. dem Neuauftreten und zur Prävention
sich bei allen Untersuchten um Hochrisiko-Patienten sowie Behandlung von Dekubitus mögliche Einflüsse
handelte. Es bestätigte sich jedoch, dass Schwerst- medikamentöser Behandlung als auch Aspekte der
pflegebedürftigkeit, also ausgeprägteste funktionelle Fähigkeit zur Kooperation bzw. der Betroffenen-
Einschränkung, insbesondere der Mobilität, ein ent- Compliance speziell mit präventiven und therapeuti-
scheidender Risikofaktor für höhergradigen Dekubi- schen Maßnahmen berücksichtigt werden sollten.
tus ist. Als Zeichen des höchsten Grades von Immo-
bilität (Bettlägerigkeit) fanden sich bei den Betroffe-
nen häufiger Gelenkkontrakturen. Die einzige medi-
n Danksagung Wir danken den Mitarbeitern des Instituts für
zinische Diagnose, periphere arterielle Verschluss- Medizinische Biometrie und Epidemiologie (Direktor: Prof. Dr. J.
krankheit, insgesamt selten, war ebenfalls häufiger Berger) am Universitäts-Krankenhaus Hamburg-Eppendorf für
bei Fällen dokumentiert. ihre Unterstützung.
W. von Renteln-Kruse 85
Höhergradige Dekubitalulzera bei betagten pflegebedürftigen Hochrisiko-Personen

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