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Hormonanwendungen so häufig Akutereignisse wie Myo-

Beruf + Politik
kardinfarkt, CIHK, Apoplexie oder

Hormontherapie: venöse Thromboembolie sowie Dia-


betes mellitus und ein 50 % höheres

Wie geht es weiter?


Risiko für Adipositas, Gefäßschäden,
Hypertonie sowie spätere Demenz
und Morbus Parkinson. Die Mamma-
Michael Wetzig karzinominzidenz bei Östrogenmono-
therapie war niedriger als bei Frauen
Für die Zukunft der ambulanten frauenärztlichen Tätigkeit ohne Substitution. Bei kombinierter
zeichnen sich grundlegende Veränderungen ab. Gleichzeitig Östradiol-MPA-Therapie war sie nach
wird die Hormontherapie im Rahmen der Kontrazeption und 5 Jahren 1,2-fach erhöht (3 von
Hormonersatztherapie (HRT) durch gezielte Desinformation 1.000 Frauen). Das Osteoporoserisiko
der Patientinnen massiv diskreditiert. Diese Entwicklung gilt halbierte sich unter Hormonersatzbe-
es durch endokrinologische Kompetenz und eine durch sie be- handlung. Damit wurde deutlich, wie
gründete individuelle Therapie sowie eine begleitende, für die viele positive Wirkungen des Östro-
Patientin nachvollziehbare Argumentation zu konterkarieren. gens (osteoprotektiv, antidepressiv,
karzinoprotektiv, neuroprotektiv, kar-
Die hormonelle Behandlung klimak- aufgefordert wurde, ihn über diese diovaskulär präventiv, antidiabeto-
terischer Beschwerden ist auch heu- Tatsache zu informieren, konnte der gen) den Frauen durch Nichtbehand-
te noch ein von großer Emotionalität dadurch verursachte Rechtfertigungs- lung vorenthalten wurden.
bestimmtes Reizthema im Gegensatz druck die letzten Impulse fachlich qua-
zur leider oft nur partiell vorhande- lifizierter gynäkologisch-endokrinolo- Als Konsequenz stellt sich angesichts
nen Sachkenntnis der Akteure (Ärzte, gischer Therapie nivellieren und zum dieser komplexen Vorteile für Frauen
Patientinnen, Medien, Politiker therapeutischen Nihilismus führen. nach den Wechseljahren die Frage, ob
usw.). Mit der WHI-Studienauswer- eine HRT unter Beachtung individu-
tung 2002 begann wegen der vielen Diese Entwicklung hatte sowohl po- eller Besonderheiten und Indikatio-
beschriebenen Risiken für die Anwen- sitive als auch negative Folgen. Po- nen immer noch als risikoreiche Lu-
derinnen der HRT eine maßlose Ver- sitiv war die Einsparung der Thera- xustherapie angesehen werden darf,
unsicherung, die teilweise zur kom- piekosten für die Krankenkassen um oder ob sie nicht eher der zivilisato-
pletten Therapieverweigerung führte. etwa 80 %, die bis heute die „gefähr- risch bedingten und demografisch
liche“ Hormontherapie immer unbe- sichtbaren Tatsache Rechnung tragen
Gefährliche HRT? anstandet in ihrem Leistungskatalog sollte, dass Frauen heute im Mittel 86
führen. Negativ war die Disqualifizie- Jahre alt werden, also mehr als 30
Nicht nur bei Frauenärzten kam es rung teilweise erheblicher klimakte- Jahre im Zustand eines hormonellen
wegen der bis heute im Vordergrund rischer Beschwerden zum „Luxuspro- Mangels leben, der weder bei der Sub-
stehenden Angst der Patientinnen, blem“ der betroffenen Frauen, Be- stitution von Thyroxin, Insulin oder
eine Hormontherapie könne Brust- schwerden, die „natürlich sind, schon anderen krankheitsbedingt ausgefal-
krebs verursachen (laut WHI-Studie wieder weggehen und besser ausge- lenen Hormonen niemals auch nur in
8 Fälle mehr pro 10.000 Anwendungs- halten werden sollten“. Ebenso ergab Erwägung gezogen würde. Dem Dik-
jahre!) und ungewisse, möglicherwei- sich eine schleichende Erosion endo- tum des „sozialverträglichen Frühab-
se mit der Therapie verbundene haf- krinologischer Kompetenz bei den lebens“ zu entsprechen, sind heute
tungsrechtliche Konsequenzen zu Frauenärzten, die die Hormonersatz- nur noch wenige Frauen bereit, und
einer Verlagerung der therapeutischen behandlung nicht mehr durchführten es ist originäre frauenärztliche Auf-
Bemühungen hin zu pflanzlichen oder und an den weiteren Entwicklungen gabe, unseren Patientinnen die ver-
anderen Alternativen. Der mit einer auf diesem Gebiet trotz der Proble- längerte Lebenszeit nach dem Ende
Hormonersatzbehandlung verbundene matik nicht teilnahmen. der ovariellen Hormonproduktion mit
Zeitaufwand wegen des erhöhten Be- ihren Bedürfnissen nach Aktivität und
ratungsbedarfs entfiel damit ebenso Die Nachauswertung der WHI-Studie Gesundheit bis ins Alter so gut wie
wie die Belastung des individuellen 2012 ergab dann neue Erkenntnisse, möglich zu erhalten.
Arzneimittelbudgets für die Patientin. die die bis dahin bestehenden mas-
Und spätestens, wenn eine Patientin siven Bedenken wieder relativierten Ein weiteres Krisengebiet stellt der
ein Schreiben ihrer Krankenkasse vor- und zu einem objektiveren Umgang Bereich der hormonellen Kontrazep-
legte, worin sie informiert wurde, mit der HRT führten (1). Frauen mit tion dar. In der Laienpresse und di-
dass ihr Frauenarzt ihr Hormone ver- prämenopausaler Adnektomie ohne versen Internetforen wird das Thema
schreibe, die gefährlich seien, und sie Hormonsubstitution hatten doppelt oft mit erhöhten Risiken für Throm-

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bose, Depressionen, Brustkrebs und tungsstudien basieren!) in die Risiko- logische Therapie eher Notwendigkeit

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einer verminderten Libido wegen der bewertung einbezieht. Andererseits als Bedürfnis darstellt.
mit sicherer Verhütung einhergehen- ist dieses Risiko, falls es real exis-
den ständigen sexuellen Verfügbar- tiert, im Vergleich zu den umfangrei- Was also ist zu tun?
keit der Anwenderinnen verbunden. chen klinisch gesicherten Vorteilen
Hinweise auf gesicherte Vorteile wie einschließlich des nicht-kontrazepti- Die hormonelle Therapie im Rahmen
dem Schutz vor Endometrium- und ven Zusatznutzens einer hormonellen der Kontrazeption und HRT ist einer
Ovarialkarzinomen, der mit zuneh- Kontrazeption so gering, dass es bei der wesentlichen Stützpfeiler der am-
mender Anwendungsdauer steigt, der der Verordnung hormoneller Kontra- bulanten frauenärztlichen Tätigkeit.
Vermeidung ungewollter Schwanger- zeptiva keine Rolle spielen sollte. Deshalb sollte die endokrinologische
schaften bei selbstbestimmter Sexua­ Insofern ist die Publikation solcher Kompetenz aller Frauenärzte, auch
lität sowie der Reduktion menstrua- Studien, die einen direkten Kausalzu- mit Hilfe der vielfältigen Aktivitäten
tionsbedingter Anämien und Regel- sammenhang von hormoneller Kon- von BVF, DMG und der Deutschen Ge-
beschwerden sucht man vergeblich. trazeption und erhöhtem Brustkrebs- sellschaft für gynäkologische Endo-
risiko darstellen, problematisch, krinologie und Fortpflanzungsmedizin
Risiken hormoneller wenn nicht sogar fragwürdig. weiter qualifiziert und mit rationalen
­Kontrazeption? Argumenten unterlegt werden, um ein
Über sechzig Jahre Forschung zur hor- sachgerechtes und ideologiefreies Ar-
In der Folge steigt die Zahl der Pa­ monellen Kontrazeption werden in beiten zu gewährleisten. Durch eine
tientinnen, die eine hormonelle Kon- Frage gestellt und die die Studie wahr- effektive und angemessene Lösung
trazeption entweder generell ablehnt nehmenden Kollegen massiv verunsi- der hormonellen Fragestellungen und
oder beenden möchte wegen der darin chert, weil nun die Frage besteht, Probleme unserer Patientinnen, ver-
enthaltenen „gefährlichen Hormone“. ähnlich wie früher bei der HRT, ob die bunden mit verständlicher und nach-
Statt dessen wird die monatliche Re- Verordnung hormoneller Kontrazeptiva vollziehbarer Information, ist es am
gelblutung als ein natürliches und mit juristischen Sanktionen belegt besten möglich, Zufriedenheit zu er-
also hinzunehmendes Ereignis bewer- werden kann und einer noch dezidier- reichen und die irrationalen Vorbehal-
tet, obwohl sie eigentlich nicht dem teren Aufklärungspflicht unterliegt. te gegenüber der Hormontherapie in
natürlichen Zustand der Frau ent- jedem Einzelfall ad absurdum zu füh-
spricht, sondern einen Zivilisa­ Die derzeitige Situation stellt nur ein ren. Das sind wir unseren hilfe- und
tionseffekt darstellt, der darin besteht, Problem der zukünftigen frauenärzt- ratsuchenden, verunsicherten, teil-
dass Frauen in unserer Gesellschaft lichen ambulanten Tätigkeit dar. Es weise desinformierten, fordernden
heute nicht in erster Linie für ihre bio- ist notwendig, Strategien zu finden, und kritischen Patientinnen schuldig.
logische Funktion leben, regelmäßig um den absehbaren strukturellen Ver-
Kinder zu gebären, sondern ein Kind änderungen in unserem Fachgebiet Literatur
meist einer individuellen Lebenspla- begegnen zu können. Die Krebsvor-
1. http://www.nhlbi.nih.gov/whi/index.
nung folgt. Manchmal spielen auch sorge als ein wichtiger Pfeiler der html
mit der Einnahme der Pille verbundene niedergelassenen Tätigkeit wird in 2. Morch LS et al.: Contemporary hormonal
Probleme wie Blutungsstörungen, Ge- Zukunft neu geregelt und wesentlich contraception and risk of breast cancer.
NEJM 2017; 377: 2228–39
wichtszunahme oder andere körperli- verändert, sowohl was die Kontroll-
che Veränderungen eine Rolle, die aber intervalle als auch den Modus der zu
bei individueller adäquater Korrektur erbringenden Tätigkeiten betrifft. Die
schnell behoben werden können. Aufwertung des Hebammenberufs
durch Masterstudiengänge mit der
Aber spätestens seit der kommentar- Möglichkeit der freien Niederlassung
losen Veröffentlichung einer däni- stellt auch den bisherigen Ablauf und
schen epidemiologischen Studie (2) Umfang der Schwangerenberatung in
in verschiedenen ärztlichen Zeit- frauenärztlichen Praxen zukünftig in Autor
schriften, die ohne Einbeziehung von Frage. Die inzwischen immer häufiger
wesentlichen Risikofaktoren für erfolgende Umwandlung von Frauen- Dr. med.
Brustkrebs eine Risikoerhöhung unter arztpraxen in MVZ-Praxen, wo in der Michael Wetzig
hormoneller Kontrazeption errechnet, Klinik angestellte Kollegen arbeiten, Praxis für Frauenheilkunde
ist der Gipfel der Konfusion erreicht. führt zu einer weiteren Ausdünnung Lauchstädter Straße 47
Einerseits kann ein erhöhtes Risiko endokrinologischer Kompetenz, weil 06179 Teutschenthal
nicht ausgeschlossen werden, wenn die dort tätigen Ärzte aus klinischer OT Angersdorf
man bestehende evidente Erkenntnis- Sicht meist operative Problemlösun- dr.michael_wetzig@web.de
se (die ausschließlich auf Beobach- gen favorisieren und die endokrino-

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