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An keiner medikamentösen Therapie schei- Doch wie sieht es bei Menschen aus, die noch
den sich die Geister so sehr wie bei der nie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall gehabt
Behandlung mit cholesterinsenkenden Sta- haben und auch nicht an einer kardiovaskulä-
tinen. Für Anhänger der Theorie der „Cho- ren Erkrankung leiden? Sollten diesen „noch
lesterinlüge“, nach der die Senkung eines gesunden“ Patienten Statine verordnet werden,
erhöhten Cholesterinspiegels mehr schadet um sie möglicherweise vor lebensbedrohli-
als nutzt, kommt eine Behandlung mit Sta- chen Komplikationen zu schützen (Primärprä-
tinen ohnehin nicht infrage. Für alle ande- vention)? Bei dieser Frage gehen nicht nur die
ren, die zumindest einräumen, dass erhöhte Meinungen der Experten, sondern auch die
Cholesterinwerte im Blut ein bedeutender Empfehlungen der verschiedenen Leitlinien
Risikofaktor sind und zum Entstehen der auseinander. Überraschend ist, wie groß diese
Arteriosklerose, der Arterienverkalkung, Unterschiede ausfallen.
und ihrer schweren Folgen (siehe Grafik Das hat eine dänische Studie (Mortensen M.
auf Seite 14 und 15) beitragen, stellt sich die et al., 2018) eindrucksvoll gezeigt: Die 45 750
Frage, ab welchem Cholesterinwert mit Sta- Dänen zwischen 40 und 75 Jahren, die an der
tinen behandelt werden soll. Studie teilnahmen, litten weder an einer kar-
diovaskulären Erkrankung noch waren sie mit
Wann also ist eine Behandlung mit Statinen Statinen vorbehandelt und fielen damit in die
gerechtfertigt? Die Antwort ist relativ einfach, Kategorie mit mäßigem Risiko. Die Wissen-
hat der Patient bereits einen Herzinfarkt oder schaftler gingen der Frage nach, ob eine medi-
Schlaganfall durchgemacht, leidet er an einer zinisch begründete Notwendigkeit bestün-
Koronaren Herzerkrankung (KHK) oder an de, die Teilnehmer der Studie mit Statinen zu
einer durch Arteriosklerose bedingten kar- behandeln. Die dänische Studie verglich insge-
diovaskulären Erkrankung, beispielsweise samt fünf unterschiedliche Leitlinien, die alle
auch mit Durchblutungsstörungen der Beine zum Ziel haben, eine kardiovaskuläre Erkran-
(pAVK). Bei diesen Patienten sollte nach den kung zu verhindern.
derzeit gültigen Leitlinien der LDL-Cholesterin- Das Ergebnis: Nach der US-amerikanischen
wert möglichst unter 70 Milligramm pro Dezili- Leitlinie (ACC/AHA-Guideline, 2013) hätten
ter Blut (mg/dl) beziehungsweise 1,8 Millimol 42 Prozent der Studienteilnehmer Statine ein-
pro Liter (mmol/l) gesenkt werden. Für alle nehmen müssen, nach der britischen Leitlinie
diese Patienten gilt: Je niedriger der LDL-Wert, (Prevention of Cardiovascular Disease Clinical
umso besser. Auf diese Weise können sie dazu Guideline, 2014) 40 Prozent – nach den euro-
beitragen, sich vor einem erneuten Herzinfarkt päischen Leitlinien (ESC-/EAS-Guidelines,
und Schlaganfall zu schützen (Sekundärprä- 2016) gerade einmal 15 Prozent.
vention). Das ist durch viele wissenschaftliche Wie lassen sich diese erheblichen Abweichun-
Studien nachgewiesen. Dass dieses Ziel nicht gen erklären? Sie kommen zustande, weil die
immer erreichbar ist, steht auf einem anderen wissenschaftlichen Studien unterschiedlich
Blatt. Häufige Gründe hierfür sind tatsächliche interpretiert werden und das Risiko des Patien-
oder vermeintliche Nebenwirkungen der Sta- ten in den einzelnen Leitlinien unterschiedlich
tine. Hinzu kommt, dass viele Patienten nicht eingeschätzt wird.
gewillt sind, Statine lebenslang einzunehmen. Nach welcher Leitlinie soll sich der behan-
delnde Arzt richten? In Deutschland werden