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F.A.Z. - Politik Dienstag, 16.05.

2023

Der König des Schrotts


Ermittler haben in München ein mutmaßliches Geldwäschenetzwerk
zerschlagen. Der Fall zeigt, wie Kriminelle die fehlende
Bargeldobergrenze in Deutschland nutzen.
Von David Klaubert

Die Spur des Geldes verliert sich in den Filialen zweier Münchner Banken. Regel-
mäßig hob der italienische Geschäftsmann Maurizio Rullo bei der Stadtsparkasse
und bei der Hypovereinsbank hohe Summen von Firmenkonten ab. An manchen
Tagen nahmen er und seine Geschäftspartner 900.000 Euro auf einmal mit. In
welcher Stückelung ist nicht bekannt; in 100-Euro-Scheinen wäre es ein Aktenkof-
fer voll Geld. Innerhalb von dreieinhalb Jahren verließen Rullo und seine Partner
die Münchner Banken mit 68,9 Millionen Euro. Wohin sie damit gingen und was
sie damit machten, können die Ermittler nicht nachvollziehen.

Offiziell handelte Rullo mit Schrott. Seine Firma TM Commodities, Sitz in der
Münchner Innenstadt, nicht weit vom Viktualienmarkt, kaufte tonnenweise Altme-
tall in Slowenien. Dutzende Lastwagen voll fuhren jeden Monat zu einem Lager im
oberbayerischen Eglharting. So jedenfalls stand es in Frachtpapieren. Nachbarn
dort sagen: „Nie gesehen.“

Mitte Februar hat die Polizei Maurizio Rullo und mit ihm ein gutes Dutzend
mutmaßlicher Komplizen festgenommen. Italienische und deutsche Ermittler
gehen davon aus, dass sie ein ganzes Geflecht aus Scheinfirmen aufgebaut hatten,
von Kroatien über Bulgarien, Ungarn bis Italien und Deutschland. Mit Schrott
handelte die TM Commodities demnach nur auf dem Papier. Die Millionen, die
über ihre Konten flossen, aber waren echt. München als Firmensitz hatte Rullo
dafür mit Bedacht gewählt, das zeigen gemeinsame Recherchen von „Report
München“, dem ARD-Studio Rom, dem MDR und der F.A.Z. Der große Standort-
vorteil: Anders als in den meisten europäischen Ländern gibt es in Deutschland so
gut wie keine Beschränkungen beim Umgang mit Bargeld. Und kaum Kontrollen.

Auf Rullos Spur kamen die deutschen Ermittler erst über Umwege. Das Bundeskri-
minalamt wertete 2019 die „Paradise Papers“ aus, einen Leak mit Millionen
Dokumenten aus Steueroasen. Sie stießen auf zwei Holdings auf Malta. Einer der
Eigentümer hatte auch Firmen in München und, das erfuhren die BKA-Beamten
:
von ihren italienischen Kollegen, er stand im Verdacht, Verbindungen zur ’ndran-
gheta zu haben, der kalabrischen Mafia. Sie analysierten die Firmenkonten und
entdeckten auffällige Überweisungen, die sie schließlich zur TM Commodities und
dem Geflecht drum herum führten.

Als die Ermittler sahen, dass von den Konten Millionen Euro abgehoben wurden,
wunderten sie sich. Meist funktioniert Geldwäsche andersherum: Bargeld aus
kriminellen Geschäften, etwa dem Drogenhandel, wird über Restaurants, Autosa-
lons oder Immobiliengeschäfte in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust.
Die illegale Herkunft wird so verschleiert. Rullo und seine Komplizen, so der
Verdacht, taten das Gegenteil: Sie nahmen das Geld, das durch die Scheingeschäfte
mit dem Schrott auf dem Papier ja schon sauber war, und ließen es verschwinden.

Unter dem Decknamen „Black Steel“ ermittelte auch die Polizei in Mailand gegen
Rullo. Die Abteilung für Umweltkriminalität hörte Gespräche ab, observierte
Verdächtige und versteckte Überwachungskameras vor einer Anlage zur Aufberei-
tung von Altmetall. In Italien handelte Rullo tatsächlich mit Schrott. Er kaufte auf,
was er auf dem Schwarzmarkt bekommen konnte: Autoteile, Kupferkabel, Indus-
trie- und Bauschrott. Dann verkaufte er das Material, das rechtlich als Müll galt,
mit großem Gewinn weiter an Gießereien und Stahlwerke – als aufbereitetes
Altmetall. Dank der Überwachungskameras an seiner Anlage aber sahen die
Ermittler: Obwohl dort laut den Geschäftsunterlagen Tausende Tonnen Metallmüll
aufbereitet wurden, also etwa von Schadstoffen befreit, fuhren kaum Lastwagen
vor. Rullo deklarierte den Schrott offenbar nur um.

Schon kurz nach seiner Festnahme entschied sich Rullo, mit den Ermittlern zu
kooperieren und auszusagen. Er durfte das Gefängnis verlassen und steht jetzt
unter Hausarrest. Er wohnt bei seiner Tochter, trägt ein elektronisches Armband,
mit dem ihn die Carabinieri orten können, darf das Haus nicht verlassen und auch
nicht telefonieren oder chatten. Sein Anwalt aber ist zum Gespräch bereit und
bestätigt: Sein Mandant habe gestanden, dass das Firmengeflecht um die TM
Commodities in München nur dazu diente, dem schwarz eingekauften Schrott
legale Herkunftspapiere zu verschaffen. Und: um an Bargeld zu kommen.

In Italien gibt es schon lange eine Obergrenze für Barzahlungen. Zeitweise lag sie
bei 1000 Euro, die Regierung von Giorgia Meloni hat sie zuletzt wieder auf 5000
Euro angehoben. Für Abhebungen gibt es kein Limit, jeder kann sich von seinen
Privat- oder Firmenkonten so viel Bargeld auszahlen lassen, wie er möchte. Weil
man aber mit mehr als 5000 Euro nirgends legal zahlen kann, sind hohe Abhebun-
gen schnell verdächtig – und müssen gemeldet werden. Außerdem sind Banken
auch unabhängig von einem Verdacht verpflichtet, Einzahlungen oder Abhebungen
von mehr als 10.000 Euro in einem Monat an die zuständige Aufsichtsbehörde
weiterzuleiten. In Italien, sagt der leitende Ermittler der Carabinieri, wären Rullos
:
Geldschiebereien „absolut unmöglich“ gewesen.

In Deutschland schien sich über Jahre niemand daran zu stören. Das BKA und die
Staatsanwaltschaft München leiteten ihr Ermittlungsverfahren nach den Hinwei-
sen aus Malta und Italien ein. Erst dann zeigte sich nach Informationen von
„Report München“, dem ARD-Studio Rom, dem MDR und der F.A.Z., dass auch
die Münchner Banken irgendwann Verdachtsmeldungen abgegeben hatten. Die
aber lagen, mehr als drei Jahre nach Rullos ersten Bargeldabhebungen, noch bei
der Financial Intelligence Unit (FIU) in Köln zur Bearbeitung. Schon lange steht
die Behörde in der Kritik, mit der Menge der eingehenden Verdachtsmeldungen
vollkommen überfordert zu sein. Ende 2022 trat ihr Chef zurück.

Trotz einiger Fortschritte in den vergangenen Jahren gilt Deutschland im interna-


tionalen Vergleich weiterhin als Geldwäscheparadies – das hat auch die Anti-
Mafia-Operation „Eureka“ Anfang des Monats wieder gezeigt. Das liegt auch an der
fehlenden Obergrenze für Bargeldgeschäfte, die von vielen Fachleuten als dringend
notwendige und einfach umzusetzende Maßnahme bewertet wird. Florian Köbler,
der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, etwa kritisiert: „Bankentech-
nisch“ und „bargeldmäßig“ sei Deutschland immer wieder der „Hauptspielplatz“
organisierter Kriminalität. „Wenn ich fast 69 Millionen Cash abhebe, dann ist die
Wahrscheinlichkeit, dass damit legale Sachen gemacht werden, gleich null“, sagt
er. Seine Gewerkschaft, die Steuerfahnder und andere Mitarbeiter der Finanzbe-
hörden vertritt, fordert eine Obergrenze von 1000 Euro.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist – wie sein Amtsvorgänger Olaf Scholz
(SPD) auch schon – dagegen. Bei einem Besuch in Rom vor einigen Wochen darauf
angesprochen, antwortete Lindner: „Ich habe mir sagen lassen, dass auch die
Länder mit einer sehr restriktiven Bargeldobergrenze oder einer restriktiven
Barzahlungsobergrenze trotzdem noch nicht alle Probleme der finanziellen Krimi-
nalität gelöst haben. Es kommt also auf einen systemischen Zugang an.“ Der Minis-
ter setzt auf den „großen Wurf“. Er hat die Schaffung einer neuen Bundesbehörde
gegen Finanzkriminalität und eines neuen Bundesfinanzkriminalamts angekün-
digt; Details dazu hat er noch nicht vorgestellt. Innenministerin Nancy Faeser
(SPD), die sich im Kampf gegen die organisierte Kriminalität für eine Obergrenze
von 10.000 Euro ausgesprochen hat, scheint darauf zu hoffen, dass diese früher
oder später über den Umweg EU umgesetzt wird.

Maurizio Rullo kaufte sich von den Gewinnen aus dem illegalen Schrotthandel
einen Fußballverein: Novara Calcio, gegründet 1908, lange Serie-A-Tradition. TM
Commodities übernahm 80 Prozent des Klubs, der damals in der dritten Liga spiel-
te. Rullo erhielt einen Thron in den Vereinsfarben Blau-Weiß-Rot. Der von ihm
eingesetzte Präsident versprach die Rückkehr in die erste Liga. Doch daraus wurde
nichts. Nach einem guten Jahr wurde der Präsident in Kalabrien von der Polizei
:
kontrolliert. Er hatte 200.000 Euro Bargeld im Auto und keine Erklärung, wo es
herkam. Er wurde angeklagt, Rullo übernahm das Amt kurzzeitig selbst. Die Fans
aber versammelten sich im strömenden Regen vor dem Stadion und protestierten.
„Rullo, verpiss dich! Rullo, verpiss dich!“, sangen sie. „Eins, zwei, drei: Mafioso!“
TM Commodities verkaufte seine Anteile wieder. Und bald darauf war Novara
Calcio pleite.

Von den Gewinnen aus dem Schrotthandel, behauptet Rullos Anwalt, sei nun
nichts mehr übrig. Die 68,9 Millionen Euro in bar seien in neuen Schrott investiert
worden, dazu die Kosten für Gehälter, Lastwagen, Treibstoff. Alles weg. Der Polizei
gelang es im Lauf der Ermittlungen offenbar noch, einen Teil des Bargeldes weiter-
zuverfolgen, aus den Bankfilialen in München bis nach Sterzing in Südtirol. Dort
aber haben sie die Spur der Millionen endgültig verloren.

Und noch eine weitere Frage ist offen: Woher hatte Rullo überhaupt das Geld, um
so groß in den Schrotthandel einzusteigen? Er habe klein und mit Krediten
angefangen, sagt sein Anwalt. Die Ermittler in Italien gehen einem anderen
Verdacht nach: dass über Rullos Firmengeflecht auch Gelder der ’ndrangheta
gewaschen worden sein könnten.

Als die „Black Steel“-Ermittler zuschlugen, waren zwei von Rullos Geschäftspart-
nern, denen mehrere der Strohfirmen gehörten, schon angeklagt. Sie waren bei der
Anti-Mafia-Operation „Petrol-Mafie Spa“ festgenommen worden. In dem Verfah-
ren, auf Deutsch „Ölmafia AG“, geht es um Steuerbetrug mit Mineralölprodukten
in Höhe von Hunderten Millionen Euro. Mutmaßliche Mitglieder der drei großen
Mafiaorganisationen ’ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra sollen dabei mit
Ölunternehmern zusammengearbeitet haben – um einerseits Gelder aus dem
Drogenhandel zu waschen und andererseits durch Steuerbetrügereien mit Kraft-
stoffen weitere Millionen zu verdienen. Ein Teil dieses Geldes wiederum, vermuten
Ermittler, könnte dann über Rullos Schrottgeschäfte und das Firmengeflecht in
München gewaschen worden sein.

Müll, sagt ein Ermittler, sei grundsätzlich sehr beliebt, um Mafiagelder zu waschen.
Denn Müll geht niemals aus.
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