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Rupert Hierzer
Prozessoptimierung 4.0
Den digitalen Wandel als Chance nutzen
2. Auflage
DIGITALISIERUNG
EFFIZIENZMAXIMIERUNG
TAYLORISMUS
MECHANISIERUNG
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Prozessoptimierung 4.0
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Rupert Hierzer
Prozessoptimierung 4.0
Den digitalen Wandel als Chance nutzen
2. Auflage
Haufe Group
Freiburg · München · Stuttgart
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Rupert Hierzer
Prozessoptimierung 4.0
2. Auflage, August 2020
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Für Karin
Inhaltsverzeichnis
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Während ich die zweite Auflage dieses Buches fertigstelle, zwingt uns ein Virus, unse-
rer Arbeit im Homeoffice nachzugehen. Mit einem Schlag rückt die Digitalisierung aus
dem Schatten hipper Diskussionsrunden und einschlägiger Berater-Buzzwords ins
krisengeschüttelte Rampenlicht.
Vergleichbar einem Pokerspieler, für den die Zeit gekommen ist, sein Blatt zu zeigen,
muss nun auch die Digitalisierung beweisen, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen
erfüllen kann. Von einem Tag auf den anderen finden Meetings, Schulungen und Work-
shops nicht mehr in einem wohltemperierten Büro statt, sondern in virtuellen Bespre-
chungsräumen. Etablierte Abläufe wie Hauspost oder Stempeluhr sind mit einem Mal
hinfällig. Internet, Kommunikationsplattformen, digitale Prozesse und die techni-
schen Fähigkeiten von IT-Abteilungen weltweit sind die Protagonisten der Stunde.
Jetzt zeigen sich Versäumnisse sofort. Am Anfang sind es oft unerwartete Dinge – wie
eine zu niedrige Bandbreite im Internet, ein Mangel an Lizenzen beispielsweise für
VPN-Verbindungen oder Kommunikationstools bis hin zu Mitarbeitern, die zuhause
über keinen adäquaten Internetanschluss verfügen. Danach sind es Abläufe, die neu
und ungewohnt sind, die sich erst finden und etablieren müssen. All das schränkt die
gewohnte Art zu arbeiten ein und beeinträchtigt am Ende die Prozessleistung.
Die Wucht, mit der sich das Thema unserer Tagesordnung bemächtigt hat, verleiht
dem vorliegenden Buch eine neugewonnene und ungeahnte Aktualität.
Es hätte jedoch nicht einer Pandemie bedurft, um die zentrale Bedeutung der Pro-
zessdigitalisierung herauszustreichen. Seit Erscheinen der ersten Auflage habe ich
mich über zahlreiche Zuschriften gefreut, verbunden mit Fragen und Anregungen,
die schlussendlich zu einer Aktualisierung des Buches in seiner vorliegenden Form
geführt haben. Neben dem großen Zuspruch, den ich mit diesem Buch erfahren habe,
wurde ich gleichermaßen auch auf bewusste und weniger absichtliche Auslassungen
hingewiesen. Diese Lücken habe ich versucht, so gut wie möglich zu schließen, sodass
sich auch die neuen Themen organisch in das vorliegende Buch einfügen.
Insbesondere gilt dies für den Einfluss der Digitalisierung auf die umfangreiche Welt
der Business Process Management Systeme (BPMS). Hier findet seit einiger Zeit eine
zunehmende Integration von Robotic Process Automation- (RPA), Business Process
Management- (BPM) und Process Mining-Lösungen statt, die das Potenzial hat, das
Gesicht von BPM-Lösungen grundlegend zu verändern.
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Aufgrund seiner zunehmenden Aktualität verdient das Thema Robotic Process Auto-
mation (RPA) ebenso den Raum im Buch, den es auch mehr und mehr im Alltag von
Organisationen weltweit einnimmt.
Schlussendlich wollte ich auch mit dem Mythos aufräumen, dass Digitalisierung
immer disruptive Wirkungen entfalten muss. Mit der Vorstellung typischer Vertreter
disruptiver (autonomes Fahren) bzw. konservierender (Robotic Process Automa-
tion) Prozessdigitalisierung stelle ich das duale Wesen der Digitalisierung heraus, die
sowohl invasiv (disruptiv) als auch non-invasiv (konservierend) wirken kann.
Das Thema ist mit dem vorliegenden Buch sicher nicht erschöpfend abgehandelt. Zu
umfassend ist das Themengebiet, das durch viele aktuelle Entwicklungen stetig wei-
terwächst. Mein Bestreben war es, Ihnen mit diesem Buch einen verlässlichen und
zeitgemäßen Reisebegleiter an die Hand zu geben.
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Danksagung
Das vorliegende Buch bildet den Gipfelpunkt einer inneren Reise, die ich schon lange
vor Erscheinen der ersten Auflage angetreten bin. Mein Wunsch, intensiv mit Men-
schen zu arbeiten und als Trainer und Berater meine Erfahrungen weiterzutragen,
aber auch getrieben von Neugier und dem Bestreben, Neues zu lernen, hat letztend-
lich wesentlich zu diesem Buch beigetragen.
Von Anfang an war ich ein Lernender. Schon allein, dieses Projekt zu beginnen und
eine geeignete inhaltliche Struktur zu finden, war eine riesige Herausforderung. Selbst
das Schreiben musste gelernt sein. Ich habe lange experimentiert, bis sich meine bes-
ten Schreibergebnisse bei entspannter Jazz-Musik, mit Füllfeder auf Papier gebracht,
einzustellen begannen. Oft genug kam ich dabei noch an Stellen, an denen ich das
Ziel aus den Augen verlor und das Manuskript frustriert in eine Ecke flog. In solchen
Momenten braucht es Hilfe, die mir glücklicherweise in reichem Maße zuteilwurde.
Einen Riesenanteil an dem Umstand, dass dieses Projekt überhaupt den heimatlichen
Hafen verlassen konnte und allen Unwettern trotzte, hat mein Coach Jörg Achim Zoll,
der mir von Anfang an ein Leuchtturm im schriftstellerischen Nebel gewesen ist. Gro-
ßer Dank gebührt auch meiner Grafikerin Dorothea Lindenberg, die aus meinen Krit-
zeleien schlau wurde und mit vielen eigenen Ideen großartige Bilder entwarf. Ebenso
möchte ich meiner Kollegin Frau Ebru Alkin für die grafische Begleitung bei der Aktu-
alisierung dieses Buches danken. Meinem Freund und Geschäftspartner Alexander
Roeder danke ich dafür, dass er mir während meiner Schreibphasen und darüber hin-
aus stets den Rücken freigehalten hat.
Den wohl intimsten Anteil verdient meine Frau Karin, die mit mir den Stürmen trot-
zen musste und meine Stimmungsschwankungen geduldig ertragen hat. Ohne ihren
Zuspruch und ihr leuchtendes Wesen hätte ich diese Reise weder gewagt noch erfolg-
reich bestritten.
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Die Digitalisierung ist in aller Munde. Doch was wollen Sie im Unternehmen digitalisie-
ren, wenn nicht die Prozesse?
Prozesse sind die Arterien des Unternehmens. Hier fließt das Blut, hier geht es ums
(Über-)Leben. Genauer gesagt: um die Wertschöpfung, ohne die ein Unternehmen
keine Daseinsberechtigung hätte. Jedes Unternehmen möchte Dinge verändern, um
sie dadurch zu veredeln. Sämtliche Schritte dieser Veränderung, sämtliche Wert-
schöpfungsbeiträge, erzeugen Daten. Daten entstehen immer durch Bewegung,
durch eine Abfolge von Veränderungen. Je genauer Ihre Daten sind und je mehr Sie
mit den Daten anfangen können, desto smarter und effizienter können Sie mit diesem
Wissen Ihre Prozesse gestalten. Daten, beispielsweise über Kundenanforderungen,
Maschinenabnutzung oder Materialeinsatz, eröffnen Ihnen die Möglichkeit zu einer
kontinuierlichen Prozessoptimierung.
Das alles leuchtet vielen rasch ein, aber was bedeutet es in der Praxis? Welche Daten
im Prozess wollen Sie erfassen? Wie speichern, wie transportieren Sie Prozessdaten?
Und: Wollen Sie Prozesse 1:1 digitalisieren, die längst unvollkommen und ineffizient
geworden sind? Ja, über die Sie manchmal kaum mehr wissen, als dass sie irgendwie
funktionieren?
Die meisten Unternehmen in unseren Breiten sind auf das Zeitalter der Digitalisierung
und die damit verbundenen Umwälzungen miserabel vorbereitet. Das liegt nicht in
erster Linie an der mangelnden Bereitschaft, IT einzusetzen. Es mangelt auch in den
seltensten Fällen an der Einsicht des Managements, dass sich die Welt gerade rapide
verändert. Das hat sich herumgesprochen. Nein, was Unternehmen wirklich in größte
Gefahr bringt, ist ihr völlig unzureichender Umgang mit Geschäftsprozessen, den
Hauptdarstellern der Digitalisierung. Prozesse werden nicht richtig verstanden, selten
im Top-Management angesiedelt und wenig strategisch interpretiert. Jetzt können
Sie einwenden: Prozesse sind doch ein ganz großes Thema in Unternehmen! Das mag
sein – aber für wen? Kaum ein Unternehmens-Asset steht so im Fokus und wird gleich-
zeitig so vernachlässigt wie Prozesse. Mit Prozessen wird sich – wenn überhaupt –
irgendwo im Mittelbau beschäftigt, an vielen Stellen und in vielen Köpfen.
Hatte im Jahr 2010 nur jedes zehnte deutsche Unternehmen einen Chief Process
Officer (CPO) benannt, so war fünf Jahre später schon fast in jedem zweiten Unterneh-
men ein solcher zentraler Ansprechpartner für Prozesse installiert. Zunächst einmal
klingt das ermutigend. Dieser Trend relativiert sich jedoch bei näherer Betrachtung.
Denn weniger als ein Drittel der ernannten CPO hat zumindest sporadischen Zugang
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zur Geschäftsleitung. Noch ernüchternder wirkt der Umstand, dass nur in Einzelfäl-
len die leitende Prozess-Führungskraft auch tatsächlich eingebundenes Mitglied der
Geschäftsleitung ist. Somit ist das »C« in CPO oft kaum mehr als ein Fake, der eine
Zugehörigkeit zum »C-Level« suggeriert, die gar nicht existiert. Die Realität in den
meisten Unternehmen ist vielmehr so, als ob ein Staat seine Außenpolitik in die Hände
der Bürgermeister der größten Städte legen würde. Außenpolitik ist jedoch Chefsa-
che – und Prozesse sind es auch.
Wer den digitalen Wandel als Chance nutzen und sein Unternehmen robust und
zukunftsfähig machen will, der sollte dreierlei tun:
y Alle bestehenden »analogen« Tools nutzen, um seine Prozesse sauber zu beschrei-
ben, zu steuern und zu optimieren.
y Auf der Basis einer State-of-the-Art-Prozessoptimierung den digitalen Wandel ein-
leiten und neueste Formen der Datenbewirtschaftung nutzen.
y Den digitalen Wandel schließlich als Chance für einen kulturellen Wandel und eine
substanzielle Weiterentwicklung des Unternehmens begreifen.
Bei alledem gilt: »Analog« ist nicht tot! Das werde ich in diesem Buch immer wieder
betonen. Solange wir nicht alle zu Robotern mutiert sind, kommen Menschen in
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Unternehmen vor – und allein dadurch gibt es die Schnittstelle zum Analogen. Über-
haupt kann die Digitalisierung in einem Unternehmen immer nur so gut funktionieren,
wie das, was es zu digitalisieren gibt. Am Beispiel des Automobils lässt sich das sehr
gut verdeutlichen. Die am stärksten digital vernetzten Autos unserer Zeit – die (teil-)
autonom fahren, perfekt navigieren und über eine Armada von Assistenten verfügen –
sind in ihrer Basis allesamt sehr gute und ausgereifte Fahrzeuge. Jedoch: Eine vom
Computer eingeleitete Notbremsung nützt schließlich wenig, wenn die Bremsanlage
nichts taugt. In den Unternehmen ist es genauso: Die Vorreiter der Digitalisierung sind
in ihrer Basis erst einmal vorbildliche Unternehmen, mit hervorragend ausgebildeten
Mitarbeitern, hocheffizienten Prozessen und einer zeitgemäßen Unternehmenskultur.
Niemand sollte sich an »Prozessoptimierung 4.0« versuchen, der die vorherigen Stu-
fen – insbesondere die »klassische« Optimierung – nicht beherrscht oder dort große
Defizite hat. Auch davon handelt dieses Buch. Es ist mir ein zentrales Anliegen, dass
Unternehmen sich nicht blind in das Thema Digitalisierung stürzen, sondern erst ein-
mal konzentriert an dem arbeiten, was als Basis dafür nötig ist.
Auf den folgenden Seiten geht es deshalb nicht allein um digitale Prozesse. Es geht
vielmehr ums große Ganze. Deshalb habe ich mich auch entschieden, am Anfang nicht
gleich auf die Zukunft zu blicken, sondern erst einmal die Vergangenheit zu reflektie-
ren. Nur wer versteht, was war, kann verstehen, was ist und erkennen, was kommen
könnte. Nach den ersten drei Kapiteln werden Sie sehen, warum es nicht bloß eine
modische Floskel ist, von »Prozessoptimierung 4.0« zu sprechen. Wir erreichen hier
tatsächlich eine neue Stufe, die jedoch überraschend organisch auf den bisherigen
Stufen aufbaut. In insgesamt sechs Kapiteln nehme ich Sie dann mit auf eine »Berg-
tour« zum Gipfel nachhaltig effizienter Prozesse, die Unternehmen fit für das digitale
Zeitalter werden lassen. Sie lernen dabei alles kennen, was es braucht, um sicher und
mit Freude auf den Gipfel zu gelangen – darunter ganz praktische Tools für den Unter-
nehmensalltag, neue und bewährte gleichermaßen. Ich bin begeisterter Bergwande-
rer und Skibergsteiger und habe mir ein paar Metaphern aus dieser Welt ausgeliehen,
um deutlich zu machen, worauf es ankommt. In diesem Sinne freue ich mich, wenn Sie
sich nun mit mir gemeinsam auf den Weg zum Gipfelglück machen.
Rupert Hierzer
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Mechanische Hammerwerke hat es in Europa seit dem späten Mittelalter gegeben. Durch
ein Wasserrad an einem Mühlbach wurde der Hammer in Bewegung gesetzt. Doch seit
Erfindung der Dampfmaschine um 1750 sind neue Möglichkeiten der Produktion ent-
standen. Dienten die ersten Dampfmaschinen lediglich dazu, Wasser aus Bergwerken
abzupumpen, so waren sie hundert Jahre später der Motor einer beschleunigten Indus-
trialisierung, die das Leben der Menschen für immer verändern sollte. Das Leistungs-
vermögen des von James Nasmyth erfundenen mächtigen Dampfhammers ist um 1850
bereits so hoch, dass er in weniger als fünf Minuten erledigt, wofür ein mittelalterliches
Hammerwerk am Mühlbach zwölf Stunden gebraucht hätte.2
Der Schmied – und erst recht sein Chef, der Fabrikant – machten sich da so ihre Gedan-
ken: Wie ließe sich dieses starke Werkzeug optimal nutzen? Die Dampfmaschine lau-
fen zu lassen, ist aufwendig und teuer. Effizient wird es, wenn ein Werkstück nach dem
anderen bearbeitet werden kann. Dazu müssten die Arbeiter allerdings schnell genug
sein. Und sie müssen ihre Handgriffe gut aufeinander abstimmen.
Die Erfindung der Dampfmaschine und die folgende erste Welle der Industrialisierung
veränderten die Art und Weise menschlicher Arbeit grundlegend. Wofür Handwer-
ker in frühneuzeitlichen Manufakturen Stunden brauchten, ließ sich nun innerhalb
von Minuten erledigen. Die Fabriken »machten Dampf« – und das in jeder Hinsicht:
Muskelkraft und Pferdestärken wurden so in den Schatten gestellt. Erstmals ahnten
Menschen auch die Bedeutung der Prozesse für ihre Zusammenarbeit. Doch noch
immer blieb der Handwerker gefragt. Noch wurde auch nicht jede Arbeit in viele
kleine Schritte zerlegt. Eines wurde allerdings schon klar: Diejenige Fabrik ist am pro-
fitabelsten, der es gelingt, die Maschinen möglichst ununterbrochen mit Werkstücken
zu versehen und die bearbeiteten Teile dann möglichst rasch dem nächsten Verede-
lungsschritt zuzuführen oder an den Kunden zu liefern. So verbreitete sich langsam
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das Bewusstsein, dass Arbeit aus vielen einzelnen Schritten besteht. Diese Schritte
können ungelenk und zeitraubend oder perfekt aufeinander abgestimmt sein.
Aus heutiger Sicht ist die Erfindung der Dampfmaschine nur ein Baustein in einer Kette
dramatischer Verwerfungen, die unsere Art, zu denken und zu arbeiten für immer ver-
änderte. Diese Umwälzungen liefen seit 1750 in drei sehr unterschiedlichen Wellen-
bewegungen ab, die zusammengenommen als das »Industriezeitalter« Eingang in die
Menschheitsgeschichte fanden. Nun stehen wir mit der beginnenden Digitalisierung
noch einmal vor umwälzenden Veränderungen, deren wirtschaftliche und soziale Aus-
wirkungen noch nicht vollständig vorauszuahnen sind. Gerade weil wir nicht genau
wissen, wie es weitergehen wird, hilft uns der reflektierende Blick auf früher. Die Men-
schen ahnten damals auch (noch) nicht, was auf sie zukam. Kaum etwas ist so auf-
schlussreich wie der fragende Blick zurück auf die historische Entwicklung.
3 Schwab, Klaus (2016): Die Vierte Industrielle Revolution, Pantheon Verlag, München, S. 19: »In etwa 17
Prozent der Weltbevölkerung, d. h. rund 1,3 Milliarden Menschen, hat die Zweite Industrielle Revolution noch
immer nicht vollständig erreicht, da sie bis heute keinen Zugang zu Elektrizität haben. Mehr als die Hälfte
der Weltbevölkerung (4 Milliarden Menschen), die meisten davon in den Entwicklungsländern, hat keinen
Internetzugang.«
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1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann
Berücksichtigt man dies alles, so lässt sich der Rahmen, in dem die Digitalisierung
als nächste industrielle Revolution vermutlich ablaufen wird, abstecken. Dem Muster
vorhergehender Innovationszyklen folgend, wird diese Entwicklung Mitarbeiter und
Kunden in viel kürzerer Zeit erreichen als jemals eine Phase zuvor. Zahlreiche Unter-
nehmen werden große Widerstände gegen neue Prozesse und die notwendige neue
Art des Führens überwinden müssen. Ähnlich wie in vorangegangenen Evolutions-
phasen wird auch die Digitalisierung eine starke transformatorische Kraft auf Art, Ort
und Inhalt der Beschäftigung ausüben. Schließlich wird auch die Digitalisierung – aller
Vernetztheit zum Trotz – nicht grenzenlos verlaufen. Wie alle industriellen Revolutio-
nen zuvor, dürfte sie auch wieder zahlreiche Menschen zurücklassen. Die Frage nach
möglichen Gewinnern und Verlierern wird bereits jetzt breit diskutiert.
4 V. Gordon Childe (2003): Man Makes Himself. (New Thinker’s Library), Reprint von 1936, Spokesman Books,
Nottingham (UK): »Der australische Archäologe Gordon Childe bezeichnete diesen vor ca. 11.000 Jahren be-
ginnenden Wandel von Jäger- und Sammlerkultur zu Ackerbau- und Viehzucht als Neolithische Revolution.«
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In den letzten Jahren wurden, vor allem durch den Breitbandausbau und den drama-
tischen Preisverfall in der elektronischen Datenhaltung, die Voraussetzungen für eine
vierte industrielle Revolution geschaffen. Experten sprechen von dieser Entwicklung
als »Industrie 4.0« oder »Digitalisierung«. Stellen wir die Zeitdauer der Veränderungs-
phasen, von der neolithischen Revolution bis zur dritten industriellen Revolution, ein-
ander gegenüber, wird klar erkennbar, wie dramatisch sich diese Zeiträume verkürz-
ten (siehe Abbildung 1).
Dauer in
Jahren
ca. 5.000 Jahre
10000–5000 v.Chr.
5.000
120 Jahre
1750–1870
50 Jahre
1900–1950 30 Jahre
1970–2000 20 Jahre
2010–...
Innovations-
häufigkeit
(Industrie 4.0)
4. Industrielle
Revolution
3. Industrielle
Revolution
1. Industrielle
(Industrie 1.0)
Revolution
(Industrie 3.0)
Neolithische
Revolution
2. Industrielle
Revolution
(Industrie 2.0)
Hatte die Menschheit während der neolithischen Revolution einen Zeitraum von 5.000
Jahren, sich an neue Lebens- und Arbeitsweisen zu gewöhnen, waren es in der ersten
industriellen Revolution bereits nur rund 120 Jahre (oder 2,4 % des noch im Neolithi-
kum zur Verfügung stehenden Zeitraums), um sich anzupassen. Mit den darauffol-
genden Industrialisierungswellen der zweiten (ca. 50 Jahre) und dritten industriellen
Revolution (ca. 30 Jahre) wurden diese Entwicklungszeiträume weiter verkürzt. Die
heraufziehende Digitalisierung wird sich möglicherweise innerhalb einer Generation
(also ca. 25 Jahre) voll entfalten und für unseren Alltag unmittelbar erfahrbar werden.
Seitdem die Menschheit begonnen hat, sich Technologie nutzbar zu machen, ist insge-
samt eine exponentielle Entwicklung technologischen Fortschritts erkennbar. Gerade
in der Neuzeit haben Häufigkeit und Intensität technologischer Veränderungen auf
dramatische Weise zugenommen (siehe Abbildungen 2 und 3). Brauchten die ersten
nennenswerten technologischen Entwicklungen – wie das Feuer oder das Rad – noch
mehrere Zehntausende Jahre für ihre Entwicklung, so begann mit dem 14. Jahrhun-
dert ein technologischer Beschleunigungsprozess, der nun auch für den einzelnen
Menschen innerhalb seiner Lebensspanne spürbarer wurde.
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1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann
Zu dieser Zeit verdoppelte sich der technische Fortschritt etwa alle 200 Jahre. Bereits
in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts wurde ein größerer Fortschritt erreicht
als im gesamten 19. Jahrhundert. Heute, bald zwei Jahrzehnte nach Beginn des 21.
Jahrhunderts, verdoppelt die Menschheit ihre technologische Entwicklung in etwa
einer Dekade. Der technologische Fortschritt (siehe Abbildung 2) ist für uns nicht nur
besser sichtbar, sondern auch viel schneller erfahrbar geworden als je zuvor.
Innovations-
geschwindigkeit
Erster 3D
Googles -Chip
fahrerlos3D-Filme
es Auto
iP
Facebooakd
YouTube
Hybridfa Google
hrzeuge
M DVD
World oWbiltelefone
ide Web
Apple MWindows
acinto
Word ro MS DOsh
Mikroppro zessoS
zessorr
Ers
te
Mon
d land
ung
Dampfmaschine
Druckerpresse
Glühbirne
Telegraf
Telefon
Auto
Teleskop
Zeit
Ray Kurzweil, der umstrittene Google-Vordenker und Gründer der Singularity Univer-
sity in Kalifornien, spricht sogar davon, dass wir in absehbarer Zukunft eine »Singula-
rität« erreichen werden, in welcher der technologische Fortschritt schneller erfolgen
wird als die Entwicklung des menschlichen Verständnisses. 5 Dieser Punkt markiert
dann wohl eine Art »Ereignishorizont«, über den wir, zumindest mit unseren gegen-
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Verbreitung
in Deutschland
5% der
Bevölkerung
Zeit
Abb. 3: Verbreitungsgeschwindigkeit von Innovationen der letzten 150 Jahre; Quelle: Glanz/Nadler,
a. a. O. (Fn. 8)
6 Ranj, Brandt: Google’s chief futurist Ray Kurzweil thinks we could start living forever by 2029, Business
Insider, April 2016: http://www.businessinsider.de/googles-chief-futurist-thinks-we-could-start-living-
forever-by-2029-2016-4?r=US&IR=T (Zugriff: 07.05.2017).
7 Heetfeld, Steffen: Lexus Hoverboard: Warum der Mittelstand die Welt verändern kann, August 2015:
https://www.ebootis.de/lexus-hoverboard-aus-zurueck-in-die-zukunft-wird-real-warum-der-mittelstand-
die-welt-veraendern-kann/ (Zugriff: 12.09.2016).
8 Dr. Glanz, Axel, Nadler, Philipp (2011): Entscheiderstudie zur steigenden Innovationsgeschwindigkeit,
Frankfurt am Main, S. 2: http://www.innovationeninstitut.de/fileadmin/user_upload/Beispiel_Case_
Studie_-_InnovationWinner.pdf (Zugriff: 12.09.2016).
9 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/309656/umfrage/prognose-zur-anzahl-der-smartphone-
nutzer-weltweit/ (Zugriff: 30.09.2016).
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1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann
Auch wie wir mit dieser Beschleunigung umgehen, sie wahrnehmen und erleben, ver-
ändert sich rasant. Die Befürchtungen bei der Einführung der Eisenbahn illustrieren
diesen Wandel auf amüsante Weise. So kommentierte das Königlich-Bayerische Medi-
zinalkollegium im Jahr 1835 die vermeintlichen Gesundheitsrisiken dieses Transport-
systems folgendermaßen:
Heute sitzt unser Technologie-Tachometer im Silicon Valley. Was dort schon als über-
holt gilt, ist noch lange nicht überall auf der Welt angekommen.
10 Schivelbusch, Wolfgang (2000): Geschichte der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit
im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main.
11 Der Beginn der Frühgeschichte wird durch die Ankunft und den Abschluss des Neolithikums in Mitteleu-
ropa markiert: http://segu-geschichte.de/zeitleiste-epochen-der-geschichte/ (Zugriff: 30.09.2016).
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arbeitsteilige Fertigung
Mikroelektronik
Digitalisierung
Grad der
Arbeitsteilung
(Fließband)
(Spezialisierung)
komplette Berufsfelder
hoch
(Handwerk)
Generalisten
Zeit
niedrig
Frühgeschichte Antike und Industrialisierung heute
Mittelalter
Stufen der
Prozess-
orientierung
Digitalisierung
2010–...
Effizienzmaximierung
1970–2000
Taylorismus
1900–1950
Mechanisierung
1750–1870
Zeit
12 Genau genommen ist eine zeitlich so klar formulierte Abgrenzung der einzelnen Phasen wie in Abbildung 5
nicht ganz zutreffend, jedoch fand das Gros der Prozessentwicklungen innerhalb dieser Perioden statt.
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1.2 Stufe 1.0: Die »Spinning Jenny« läutet die Mechanisierung ein
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Grafschaft Lancashire im Nordwesten Englands.13 Dort hatte man sich, wie in weiten
Teilen von England, Wales und Schottland, auf die Textilherstellung spezialisiert. Die
Herstellung von Textilien aus dem Rohstoff Wolle war schwierig und in zahlreiche sehr
arbeitsintensive Fertigungsschritte (Kardieren, Kämmen, Spinnen, Weben) unterteilt.
Da vorwiegend manuell und in Heimarbeit gefertigt wurde, kam es in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts immer wieder zu massiven Produktionsengpässen. Die Art der
Fertigung konnte mit der im Vereinigten Königreich und in den englischen Kolonien
stetig wachsenden Nachfrage nicht ansatzweise Schritt halten. Die wirtschaftliche
Bedeutung der Textilindustrie war auf der Insel dennoch enorm. Nach vorsichtigen
Schätzungen waren um 1750 in England und Wales etwa 800.000 Menschen im Textil-
gewerbe tätig, was rund 27 % der Erwerbstätigen bzw. 12 % der Gesamtbevölkerung
entsprach. Anfang des 19. Jahrhunderts entfiel annähernd die Hälfte der britischen
Exporte auf Baumwollprodukte, während Rohbaumwolle ein Fünftel der Importe aus-
machte: »King Cotton« galt als Herrscher der englischen Wirtschaft.1415 Wir kennen sol-
che Einseitigkeiten heute noch, wenn auch weniger extrem. So hängen in Deutschland
Millionen Arbeitsplätze (die genaue Zahl ist umstritten) direkt oder indirekt mit dem
Automobilbau und -vertrieb zusammen. Eine plötzliche fundamentale Veränderung
des Automobilmarkts – etwa durch neue Basistechnologien, die Deutschland ver-
passt – hätte kaum abschätzbare Folgen.
13 Pierenkemper, Toni (1996): Umstrittene Revolutionen. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, Fischer
Verlag, Frankfurt am Main, S. 10; Osterhammel, Jürgen (2009): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte
des 19. Jahrhunderts, München, S. 910: »Zum anderen bestreitet keiner, dass Industrialisierung, zumindest
in ihren Anfängen, niemals ein nationales, sondern stets ein regionales Phänomen gewesen ist.«
14 1750 lebten etwa sechs Millionen Menschen in England (ohne Schottland).
15 Pierenkemper, a. a. O. (Fn. 13), S. 17/164.
16 1733 erfindet John Kay (1704–1779) das »fliegende Weberschiffchen«.
17 James Hargreaves (1721–1778) erfindet 1764 die »Spinning Jenny«. Namensgeberin ist vermutlich seine
Tochter »Jenny«.
18 Die Spinning Jenny konnte die Arbeit von 60 Handspinnern ersetzen. Eine Weiterentwicklung 1779 Samuel
Cromptons – die mit Wasserkraft betriebene »Mule Jenny« – erreichte sogar eine Produktivität, die der von
175 Handspinnern entsprach (Klaus-Dieter Röker [2012]: Chemische Zeitreisen, S. 174).
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1.2 Stufe 1.0: Die »Spinning Jenny« läutet die Mechanisierung ein
Zu Beginn der Industrialisierung mussten sich Menschen kaum Sorgen machen, aus
dem Produktionsprozess »wegrationalisiert« zu werden. Mit der in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts einsetzenden Mechanisierung erfuhr die menschliche Arbeits-
leistung vielmehr Unterstützung durch technische Hilfsmittel und erste Maschinen.
Die Arbeitsvorgänge selbst wurden nach wie vor ganzheitlich vom Menschen geleis-
tet. Hilfsmittel und Maschinen hatten lediglich die Aufgabe, Kraft, Geschwindigkeit
oder Drehzahl für den Arbeitsgang zur Verfügung zu stellen bzw. Werkzeuge in der
notwendigen Bearbeitungsposition zu halten. Oft wurden dabei nur die Bewegungen
der menschlichen Hand (wie beispielsweise Spinnen, Weben, Lastentransporte oder
das Schmieden von Eisen) imitiert. Diese Neuerungen konnten als technische Erwei-
terung bestehender Handwerke betrachtet werden. Das Beispiel vom Dampfhammer
in der Schmiede um 1850 zeigt jedoch, welches enorme Steigerungspotenzial an Out-
put allein durch die Mechanisierung zentraler Arbeitsschritte bereits gegeben war. Mit
der damit verbundenen Beschleunigung setzte ein Umdenken ein, das schließlich im
Prozessdenken mündete. Für den Visionär und Mitbegründer der Quantenmechanik,
Werner Heisenberg, bestand die bedeutendste Innovation der Industrialisierung des
18. und 19. Jahrhunderts letztlich in der Einführung mechanischer Prozesse und nicht
in der Mechanisierung als solcher.19
Die neuen Maschinen waren teilweise noch riesengroß und mit komplizierten, über die
ganze Produktionsstätte laufenden Riemenantrieben versehen. Oft waren sie zudem
noch auf besonders exponierte Standorte (z. B. an Flüssen, Kanälen und Häfen, später
entlang der Eisenbahnstrecken) beschränkt. Diese Maschinen für einzelne Fertigungs-
schritte ein- oder auszuschalten, um einem Arbeiter die Möglichkeit zu geben, meh-
rere Bearbeitungsschritte an verschiedenen Fertigungsplätzen auszuführen, machte
wirtschaftlich keinen Sinn. Es war bei mit Wasser- oder Dampf betriebenen Maschinen
oft auch nicht ohne Weiteres möglich. Somit lag es nahe, die mechanisierten Arbeits-
schritte und Maschinenkapazitäten so umfassend wie möglich auszulasten. Betrof-
fene Arbeiter konnten diesen Modernisierungen, und der daraus resultierenden Form
der Arbeitsteilung, jedoch wenig Sympathien abgewinnen. Ihre Arbeit wurde dadurch
schon bald eintöniger.
Mit der Mechanisierung der Produktion wurde die Einführung alternativer Organisa-
tionsformen in der Textilfertigung notwendig. Zentrale mechanisierte Produktions-
stätten übernahmen Aufgaben, welche vormals Hunderttausenden von Heimarbei-
terinnen20 vorbehalten waren. Neben den mit der Mechanisierung einhergehenden
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Ein besonderes Merkmal dieser Zeit war ihr Schöpfergeist. Der aufkommende Fort-
schrittsglaube erlaubte es den damaligen Entrepreneuren, schnell viel Kapital für ihre
Erfindungen aufzutreiben und diesen vom Reißbrett physische Gestalt zu verleihen.
Erfindungen aus völlig unterschiedlichen Disziplinen wurden in kürzester Zeit zusam-
mengeführt und schufen so neue Industriezweige. Will man eine Symbolfigur für diese
Zeit finden, so sollte man nicht im Reservoir der zahlreichen und vielzitierten Erfinder
dieser Epoche suchen, sondern nach Pionieren Ausschau halten, die es – wie in jünge-
rer Zeit Steve Jobs – verstanden haben, unterschiedliche Entwicklungen zusammen-
zuführen, um etwas gänzlich Neues zu erschaffen. Die wahren Revolutionäre dieser
Epoche waren Männer, wie der englisch-belgische Industrielle John Cockerill, die der
alten Welt den Kampf angesagt hatten.
John Cockerill wurde 1790 als Sohn eines aus England stammenden und in den
belgischen Städten Verviers und Lüttich (Liège) tätigen Maschinenfabrikanten
geboren. Er trat bereits im Alter von zwölf Jahren in einen väterlichen Textilma-
schinenbetrieb ein, den er acht Jahre später als Geschäftsführer übernehmen
sollte.
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Im Alter von 27 Jahren gehörten Cockerill bereits mehrere Eisenerz- und Stein-
kohlegruben sowie die größte Eisengießerei und Maschinenfabrik Europas, ein
Musterbetrieb mit bis zu 2.500 Mitarbeitern. Cockerill war zeitlebens ein ruhelo-
ser Unternehmer und Innovator, der zum Zeitpunkt seines Todes 1840 über etwa
60 verschiedene Betriebe in Belgien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Polen
und Russland verfügte. Cockerills Unternehmen waren im Bergbau, der Verhüt-
tung, Kohleproduktion und Verkoksung, der Dampf- und Schwermaschinenher-
stellung sowie in der Papier- und Glasverarbeitung tätig.
Erst Ende des 20. Jahrhunderts ging die von ihm gegründete Unternehmens-
gruppe in der heutigen indisch-französischen ArcelorMittal-Gruppe auf. Bis heute
wird der Name Cockerill mit Stolz von der »Cockerill Maintenance & Ingenierie«
(CMI Group), einem belgischen Maschinen- und Anlagenbaukonzern mit Haupt-
sitz in Seraing bei Lüttich, weitergeführt.
Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Der Tramp Charlie, gespielt
von Charlie Chaplin, arbeitet in einer Fabrik am Fließband. Die Nachmittagsschicht
hat gerade begonnen, das Fließband läuft mit irrwitziger Geschwindigkeit an. Char-
lies einzige Aufgabe besteht darin, mit Schraubenschlüsseln in beiden Händen simul-
tan jeweils zwei Schrauben auf vorbeirauschenden Metallplatten festzuziehen. Sein
Arbeitstempo ist bereits extrem, als ein Vorarbeiter ihn rüde anweist, gefälligst noch
schneller zu arbeiten. Wie besessen führt Charlie die immer gleichen Bewegungen
aus. An einem bestimmten Punkt dreht er schließlich durch. »He’s crazy!« wird als
Zwischentitel eingeblendet. Charlie fällt auf das Fließband – immer noch mit bei-
den Händen schraubend –, wird von diesem mitgerissen und gerät zwischen riesige
Zahnräder. Aus dem Getriebe befreit, versucht er nun überall, wo er Schrauben sieht
oder zu sehen meint, diese anzuziehen. Zwanghaft schraubt er immer weiter, wobei er
selbst an seinen Kollegen buchstäblich »herumschraubt« und ihnen mit dem Schrau-
benschlüssel die Nasen verdreht. Auf der Straße vor dem Fabrikgebäude kann Charlie
an den Schrauben eines Hydranten nicht vorübergehen. Dann verfolgt er eine panisch
vor ihm fliehende Frau, deren Kostümknöpfe wie Schrauben aussehen. Charlie hat
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seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle. Die Szene endet schließlich in einem
manischen Tanz durch die ganze Fabrik.
Charlie Chaplin rechnet in dem 1936 entstandenen Film »Modern Times«, bei dem er
auch das Drehbuch schrieb und Regie führte, mit dem Zeitalter des Taylorismus ab.
Während der Firmenchef in seinem Büro sitzt und kaum noch etwas zu tun hat, treibt
monotone Arbeit unter zunehmendem Zeitdruck die Arbeiter in den Wahnsinn.
Zwei Männer sollten sich mit dem Status quo nicht zufriedengeben und dem herauf-
dämmernden 20. Jahrhundert ihren Stempel aufdrücken: Frederick Winslow Taylor
(1856–1915) und Henry Ford (1863–1947). »Bisher stand die Persönlichkeit an erster
Stelle. In Zukunft wird die Organisation und das System an erste Stelle treten.« So lautet
eines der berühmtesten Zitate von Frederick Winslow Taylor. Durch seine Lehre als
Werkzeugmacher war sich Taylor der Möglichkeiten der Arbeiterschaft, den Produk-
tionsprozess zu verlangsamen, sehr wohl bewusst. Aus eigener Erfahrung kannte er
übliche Tricks und Spielereien der Beschäftigten, einen bestehenden Leistungsstan-
dard gegen höhere Anforderungen zu verteidigen. In seiner Rolle als Meister und spä-
ter leitender Ingenieur wollte Taylor dem Management die vollständige Kontrolle über
den Fertigungsprozess verschaffen. Im Grunde ging es um die Entscheidung einer
Machtfrage: Wer bestimmt, in welchem Tempo und auf welche Art und Weise gear-
beitet wird?23
22 Smith, Adam (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London. Reprint (2008).
23 Müller, Matthias: Taylorismus: Abschied oder Wiederkehr? In: Magazin Mitbestimmung 07/2000, Hans-
Böckler-Stiftung.
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Eine grundlegende Besonderheit des Fordschen Prozessmodells liegt in der fast abso-
luten Zwangsläufigkeit, mit der die einzelnen Prozessschritte aufeinander folgen.
Adressiert werden nicht allein die maschinellen Bearbeitungsschritte. Auch die Mon-
tage, die bei hergebrachter Arbeitsweise Pausen- und Leerzeiten verzehrt, wird opti-
miert. Trotz seiner Erfolgsgeschichte war der Taylorismus jedoch auch im Manage-
ment von Anfang an umstritten. Charlie Chaplin rannte deshalb mit seiner in »Modern
Times« artikulierten Kritik vielfach offene Türen ein. Der durch Zeitdruck und eintö-
nige, maschinell geprägte Arbeitsabläufe hervorgerufene Verlust von Individualität
bei den Arbeitern war die Schattenseite der gesteigerten Arbeitseffektivität.
In der Kritik stand und steht vor allem die stark monotone Arbeitsweise, welche dem
menschlichen Körper dauerhaft einseitige psychische und physische Belastungen
zumutet und sich letztlich in hohen Ausfallzeiten (Krankenstände), Resignation und
Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Arbeit niederschlägt. Weiter beeinträchtigend
wirkt das hohe Maß an Fremdbestimmung – Taktzeit und Arbeitsweise sind vorgege-
ben – und somit das Fehlen jeglicher Eigendisposition. Zudem führte die von Taylor
forcierte Aufteilung in körperliche und geistige Arbeit zu einer zunehmenden »Wis-
sensenteignung« der Arbeiter. Zeit seines Lebens war Taylor mit diesen Kritikpunk-
ten konfrontiert. Letztlich war es Henry Ford, der diesen arbeitsorganisatorischen
Defiziten durch kommerzielle Anreize entgegentrat und dem Taylorismus damit zum
Durchbruch verhalf. Wer heute ein iPhone kauft, der sollte wissen, dass es in der chine-
sischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen in einer Form monotoner Handarbeit her-
gestellt wird, die an Chaplins »Modern Times« mehr als nur vage erinnert. Durch eine
Suizidwelle in den dortigen Fabriken des Auftragsfertigers Foxconn wurde die inter-
nationale Öffentlichkeit auf diese Realität aufmerksam. Der amerikanische Autor Mike
Daisey machte die Produktionsverhältnisse in Shenzhen zum zentralen Thema seines
erfolgreichen Theaterstücks »Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs«.
Trotz all seiner Pathologien feiert der Taylorismus heute auch in manchen Dienstleis-
tungsbereichen Wiederauferstehung. Neo-tayloristische Tendenzen finden sich bei-
spielsweise in Callcenter-Bereichen, wo Beschäftigten durch Anrufskripte und stark
arbeitsteiligen Ablaufanweisungen fließbandähnliche Strukturen aufgezwungen wer-
den. Erst recht davon betroffen sind die »Clickarbeiter«, die in Schwellenländern sit-
zen und für Facebook und Co. im Akkordtempo Bilder freischalten oder löschen.
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Henry Ford wurde 1863 als Sohn irischer Einwanderer in einer Kleinstadt westlich
von Detroit geboren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend und als ältes-
tes von sechs Kindern war ihm eine umfassende formale Bildung verwehrt. Es
reichte lediglich für den Besuch der ländlichen Dorfschule. Von Anfang an zeigte
der junge Henry jedoch großes handwerkliches Geschick und ein hohes Interesse
an der Mechanik. Nach seinen Lehrjahren und seiner Arbeit als Chefingenieur
(unter anderem bei Thomas Alva Edison) gründete er 1899 sein eigenes Unterneh-
men, die »Detroit Automobile Company«, und bereits vier Jahre später die »Ford
Motor Company«.
Henry Ford erkannte früh die Vorteile der Taylorschen Arbeitslehre und verband
in seinen Fabriken tayloristische Prinzipien mit mechanischer Fließbandtechno-
logie. Das Fundament für industrielle Massenproduktion war gelegt und entfal-
tete in dieser Form eine erhebliche Breitenwirkung. Ford verfolgte daneben auch
sozialpolitische Ziele. Seine zwischen Arbeitern und Unternehmen angestrebte
Sozialpartnerschaft sollte den gewerkschaftlichen Einfluss zurückdrängen und
die Umsetzung seiner Arbeitsprinzipien unterstützen.
1908 brachte Ford das legendäre T-Modell auf den Markt, welches aufgrund der
in den Fordschen Fabriken gelebten Fließfertigung für jedermann erschwinglich
war. 1914 verdoppelte Ford den Tageslohn seiner Arbeiter auf 5 Dollar. Als der
Kaufpreis des T-Modells 1916 auf 345 Dollar gesenkt wurde, konnte auch jeder
Arbeiter dafür sparen. Ford machte daraus den Werbeslogan: »Ein Tag – ein Dol-
lar, ein Jahr – ein Ford«.
Als Ford 1947 im Alter von 83 Jahren starb, vererbte er nicht nur ein weltweit
agierendes Automobilunternehmen, sondern stand auch Pate für eine der tief
greifenden Umwälzungen in der industrialisierten Prozessgeschichte.
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Neben den Prinzipien des Taylorismus und der Einführung des Fließbandes durch
Henry Ford war auch die Erfindung und Verbreitung der Elektrizität ein elementarer
Treiber der zweiten industriellen Revolution. In einigen Regionen der Welt ist diese
Industrialisierungsphase nach wie vor nicht abgeschlossen. Rund 1,3 Milliarden Men-
schen, das entspricht ca. 17 % der Weltbevölkerung, haben heute noch keinen Zugang
zur Elektrizität.
Heute stehen wir an der Schwelle einer neuen Form von Arbeitsteilung. Es ist die
Arbeitsteilung zwischen menschlicher und digitaler Arbeit. Was ist daran aber wirklich
neu? Schließlich erleben wir bereits seit Jahren eine Teilung zwischen menschlicher
und Computer-Arbeit. In ihrem 2005 erschienenen Buch »Die neue Arbeitsteilung«
beschreiben Frank Levy und Richard Murnane diese Entwicklung.25 Ihre Unterschei-
dung von menschlicher und Computer-Arbeit orientiert sich an zwei gegenüberliegen-
den Enden eines Leistungsspektrums. Auf der einen Seite der Computer, der schneller
und genauer Regeln befolgt als der Mensch, ohne sie dabei zu interpretieren oder gar
ethisch zu hinterfragen. Auf der anderen Seite des Spektrums der Mensch mit sei-
ner Fähigkeit, intuitiv komplexe Muster zu erkennen oder aus großen Mengen über
die Sinne eingehender Informationen vorteilhafte Handlungsweisen abzuleiten, bei-
spielsweise bei der Steuerung eines Fahrzeugs im Straßenverkehr. Die zum Zeitpunkt
25 Levy/Murnane (2005): The New Division of Labor: How Computers Are Creating the Next Job Market,
Princeton.
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des Erscheinens des Buchs stichhaltige Argumentation beginnt jedoch, sich – gerade
einmal zwölf Jahre später – zusehends aufzulösen. Die Grenze der Arbeitsteilung zwi-
schen Mensch und digitaler Welt verschiebt sich längst. Mit Siri, Alexa und Watson hat
die Welt drei prominente Vertreter lernender und kommunikationsstarker Computer.
Die Grenzen der Kommunikationsfähigkeit oder Lernfähigkeit von Computern begin-
nen zusehends zu erodieren und eröffnen damit neue Möglichkeiten in der Arbeitsver-
teilung zwischen Mensch und Maschine.
New York, 1988. In einer der obersten Etagen eines Wolkenkratzers befindet sich ein
Eckbüro mit bodentiefen Fenstern, die einen spektakulären Ausblick über Manhattan
eröffnen. Die Einrichtung ist ebenso edel wie sparsam und unterkühlt: ein gläserner
Besprechungstisch in der Mitte, darum gruppiert Drehsessel mit Chromgestell und
schwarzem Lederbezug. Männer in dunklen Anzügen mit korrekt gebundenen Krawat-
ten betreten den Raum. Sie tragen schwarze Aktenkoffer, begrüßen sich knapp und
nehmen dann am Besprechungstisch Platz. Ihre Berufsbezeichnung lautet »Unterneh-
mensberater«. Sie unterhalten Büros nicht nur hier in New York, sondern auf der gan-
zen Welt. Überall dort, wo große Unternehmen zu finden sind. Große Unternehmen
haben große Probleme. Genau das ist das Geschäft der Berater. Sie helfen mit ihrem
Expertenwissen dabei, die Probleme zu lösen. Die Berater sprechen dabei ungern
von Problemen, sondern lieber von »Management-Aufgaben«. Für deren Bewältigung
sind sie – solange der Kunde zahlt – stets zu Diensten. Ihr Mantra lautet: Effizienz.
Jedes Unternehmen, das sie beauftragt, versprechen sie, effizienter zu machen. Mehr
Umsatz ist längst nicht mehr der alleinige Garant für mehr Gewinn, sondern auch und
gerade mehr Effizienz. Soeben ist ein Buch auf Englisch erschienen, das in Japan schon
vor zehn Jahren herauskam. Sein Titel: »Das Toyota-Produktionssystem.« Die Berater
sind elektrisiert. Der japanische Autohersteller scheint alles richtig zu machen. Nie-
mand auf der Welt ist so effizient wie Toyota.26
26 Ohno, Taiichi (1988): Toyota Production System: Beyond Large Scale Production, Portland.
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Auf Standards und Normen zu setzen, ist heute aktueller denn je. In einer Epoche, wo
Menschen in wenigen Stunden von einem Kontinent zum nächsten reisen können und
die Zeit zu einem immer restriktiveren Faktor wird, sinkt die Bereitschaft, sich auf ein
verändertes Umfeld, eine andere Kultur einzustellen. Der Wunsch, sich global in einem
gleichbleibenden Umfeld zu bewegen, hat uns u. a. das Franchising gebracht. Mittler-
weile kommt es immer häufiger zu Firmengründungen, die von Anfang an als Fran-
chise angelegt sind. Wir treffen dieses Konzept heute in zahlreichen Lebensbereichen
an: Fitnessstudios, Restaurantketten, Tankstellen, Dienstleistungen, Immobilienhan-
del. Kaum ein Lebensbereich existiert, in dem sich nicht Beispiele dafür finden lassen.
Ein Wegbereiter dieser Franchise-Bewegung ist McDonald’s, welches weltweit iden-
tische Produkte in gleichbleibender Qualität anbietet. Im deutschsprachigen Raum
sind u. a. Kieser Training und VAPIANO zwei sehr erfolgreiche Vertreter der Franchise-
Philosophie.
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»Körperliche Arbeit wird dadurch rationalisiert, dass man jede Arbeit unter opti-
malen Bedingungen ausführen lässt. Optimale Bedingungen liegen dann vor,
wenn für die Arbeit möglichst wenig Energie verbraucht wird.«
Folgt man diesem Gedanken, ist es dann auch ein recht kurzer Weg, um Rationali-
sierung mit Technisierung, Automatisierung und Änderung von Arbeitsabläufen zur
Effizienzsteigerung in Verbindung zu bringen. 31 Im Jahr 1924 veröffentlichte ein junger
amerikanischer Universitätsprofessor namens James Oscar McKinsey zwei wegwei-
sende Bücher »Managerial Accounting« und »Business Administration«, in denen er
Standardprozeduren (wie Dinge zu tun sind und wer zu informieren ist) sowie finanzi-
elle und operative Standards zur Unternehmenslenkung einführte. 32
James McKinsey erblickte 1889 in einem kleinen Ort nahe der mexikanischen
Grenze das Licht der Welt. Als Sohn eines Farmers in ärmlichen Verhältnissen
aufwachsend, erkannte er früh die Bedeutung einer guten Ausbildung. Sie war für
McKinsey, den seine Freunde und Kollegen meist »Mac« nannten, der Schlüssel
zu wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Aufstieg. Zeit seines Lebens strebte
er danach, zu den Besten zu gehören. Mit 27 hatte er bereits drei abgeschlossene
Studien in der Tasche. Etwas überraschend wirkt dann die Auswahl seiner Dip-
lome. Neben einem abgeschlossenen Jura-Studium besaß er noch Diplome in
Pädagogik und Philosophie. Das sollten jedoch nicht seine einzigen Interessenge-
biete bleiben. Sein Wissenshunger war immer noch nicht gestillt. Er begann ein
Promotionsstudium mit Wirtschaftsschwerpunkt, welches er mit dem Kriegsein-
tritt der Vereinigten Staaten im April 1917 unterbrechen musste.
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für den Lehrstuhl »Business Policy«. Der erste, der in den Vereinigten Staaten
überhaupt für dieses Fach eingerichtet wurde. Dieses Lehrgebiet förderte seine
strategisch ausgerichtete Sichtweise. Im selben Jahr gründete er, neben seiner
Hochschultätigkeit, sein eigenes Unternehmen – James O. McKinsey & Company.
Mit der Gründung seiner Firma traf McKinsey einen Nerv seiner Zeit und legte den
Grundstein für einen neuen Industriezweig, die Beratung. Als er 1937 unerwartet
im Alter von 47 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung starb, schickt sich
sein Unternehmen gerade an, Weltgeschichte zu schreiben. Heute beschäftigt
McKinsey 12.000 Mitarbeiter in über 200 Standorten weltweit und wird als das
führende Beratungsunternehmen anerkannt.
Aus heutiger Sicht erscheinen diese Ideen einfach dem gesunden Menschenverstand
zu entspringen und teilweise fast banal. Zur damaligen Zeit waren sie ein Novum und
bildeten innerhalb kürzester Zeit das Fundament modernen Managements. James
Oscar McKinsey wurde dessen Pionier. Sein Hauptaugenmerk galt stets der Suche
nach den effizientesten Unternehmensabläufen. Dabei beschränkte er sich nicht
allein auf Fertigungsprozesse, sondern hatte auch administrative und unterstützende
Prozesse im Blick.
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Ein riesiger Flachbau in Nordamerika, größer als alles, was Menschen bisher an Fab-
riken gebaut haben. In dieser Ecke des nordamerikanischen Kontinents ist es das
ganze Jahr über kühl, aber nie extrem kalt. Die Roboter und selbstfahrenden Fahr-
zeuge in dieser Halle lieben es kühl, aber nicht zu kalt. Als noch Menschen in den Fab-
rikhallen standen, wurde die Raumtemperatur den Bedürfnissen des menschlichen
Körpers angepasst. Damals gab es auch noch Licht in den Fabrikhallen. Jetzt ist die
Raumtemperatur die optimale Betriebstemperatur für die mit künstlicher Intelligenz
sich selbststeuernden Roboter und Fahrzeuge. Und es ist komplett dunkel. Roboter
müssen nichts »sehen«, sie folgen einfach ihren Steuerungsalgorithmen. Man muss
keine Energie und kein Geld mehr aufwenden, um Produktionshallen zu heizen oder
zu beleuchten. Was die Roboter hier produzieren, wird mit den selbstfahrenden Fahr-
zeugen zum nahe gelegenen Flughafen transportiert und von dort mit Drohnen oder
selbststeuernden, wasserstoffbetriebenen Flugzeugen zum Empfänger transportiert.
Ab und zu kommen noch Menschen. Aber nicht, um hier zu arbeiten. Sondern nur, um
zu staunen. Das Unternehmen lässt sie in kleinen Gruppen einfliegen. Ihre selbststeu-
ernden Passagierflugzeuge reihen sich in die Armada der ständig startenden und lan-
denden Drohnen und Frachtmaschinen ein. Die Bewegungen der Besucher auf dem
Werksgelände werden von der Unternehmenszentrale aus genau überwacht. Von dort
erhalten die Besucher auch ihre Werksführung auf das Kommunikations-Implantat
unter ihrer Kopfhaut eingespielt. Welches Jahr antizipieren wir? Vielleicht 2030. Viel-
leicht auch 2040 oder 2055.
»Das Flache wird immer wichtiger«, sagt der niederländische Architekt Rem Koolhaas,
einer der renommiertesten Vertreter zeitgenössischer Architektur. »Weil Flachbauch-
ten billig sind, ist in der Marktwirtschaft alles flach. Deswegen entstehen Riesenhallen
für Serverfarmen und Auslieferungslager.« Für den 1944 geborenen Architekten ist
das der sichtbare Ausdruck eines beginnenden Paradigmenwechsels: »Der Wolken-
kratzer war eine neue Typologie, aber er ist als solche schon wieder 160 Jahre alt. Die
neuen flachen Riesenbauformen auf dem Land sind auch nicht einfach Bauten, wie wir
sie kennen, es sind, trotz ihrer enormen Größe und Kostspieligkeit, temporäre Bauten,
schon weil die Technologien, die sie beherbergen und für die sie gebaut werden, sich so
schnell ändern.«34 Auch die von Frank Gehry entworfene neue Firmenzentrale im Face-
34 Niklas Maak: »Warum liegt die Zukunft auf dem Land, Rem Koolhaas?« In: Frankfurter Allgemeine Quar-
terly, Ausgabe 01, Winter 2016/17, S. 20 f.
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book-Firmendorf »Menlo Park«, im Silicon Valley, ist ein Flachbau. Von weitem ist das
Gebäude so gut wie unsichtbar, denn das Dach ist als Park gestaltet und die Fassa-
den sollen komplett mit Grün zuwachsen. Der Architekturkritiker und Kulturjourna-
list Niklas Maak spricht hier von einer »Ästhetik des Verschwindens«. 35 Wirtschaftliche
Macht sucht im 21. Jahrhundert nicht mehr die Repräsentation, sondern macht sich
ebenso unsichtbar wie der Einfluss, den sie in einer vollständig vernetzten Welt fast
unmerklich auf uns alle ausübt.
Zweifellos stehen wir heute an der Schwelle tiefgreifender wirtschaftlicher und gesell-
schaftlicher Umwälzungen, die – getrieben durch fortschreitende Automatisierung
und Digitalisierung – unsere Arbeits- und Lebenswelten völlig neu definieren werden.
Der Umfang und die Auswirkungen dieser Änderungen sind kaum absehbar. Automa-
tion und Digitalisierung stellen uns vor neue ökonomische, gesellschaftliche, soziale,
rechtliche und ethische Herausforderungen, für deren Bewältigung teilweise erst die
notwendigen Voraussetzungen und Normen geschaffen werden müssen. Arbeits- und
Lebenswelten werden so zu einer »Terra incognita«. Wir betreten Neuland. In diesem
Zusammenhang wird vielfach auch über eine »digitale Revolution« gesprochen. Der
Begriff scheint nicht zu weit hergeholt, bedeutet »Revolution« doch eine Verdrängung
und grundlegende Neuerung von bisher Gültigem und Bestehendem.
Mit der weiträumigen Verbreitung des PC, der Erfindung des Internets und dem Breit-
bandausbau wurden die wesentlichen Voraussetzungen für die digitale Revolution
geschaffen. Seit wir unserer analogen Kinderstube entwachsen sind, erzeugt fast
jeder unserer Schritte Daten – ob wir wollen oder nicht. Wir sind praktisch zu wan-
delnden Datenschleudern geworden, die mit jedem digitalen Gerät, das wir in Betrieb
nehmen, mit jeder Frage, die wir Google, Siri oder Alexa stellen und mit jeder Fahrt im
Auto mit ConnectedDrive, neue Daten erzeugen. Und die Datenmenge wächst weiter
unaufhörlich. Als Konsumenten, Computer-Anwender oder -Spieler produzieren wir
mittlerweile fast 70 % der jährlich weltweit generierten Datenmenge. 36
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2013 Total
Zettabytes
Zettabytes Zettabytes
Die Herstellung physikalischer Speichermedien kann dabei bei Weitem nicht mehr mit
der Datenproduktion mithalten. 2013 konnte die weltweit verfügbare Speicherkapazi-
tät gerade einmal 33 % der existierenden Daten aufnehmen. Das ungebremste Daten-
wachstum wird das Verhältnis weiter zuungunsten der weltweit verfügbaren Spei-
cherkapazität verschieben. Der Speicherhersteller EMC rechnet damit, dass im Jahre
2020 bereits weniger als 15 % der Datenmenge gespeichert werden kann. Glücklicher-
weise ist der Großteil der produzierten Daten vergänglich. Darunter fallen Musik- (z. B.
Spotify) und TV-Streams (z. B. Netflix), Spieleinformationen (z. B. Xbox, PlayStation)
ebenso wie Sensorensignale oder temporäre Routing-Informationen in Firmen- oder
Heimnetzwerken.
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Wohin wird die Reise noch gehen? Amazon-Gründer Jeff Bezos37 sieht es so: »Es gibt
noch so viel zu erfinden. Es wird noch so viel Neues passieren. Man macht sich keine Vor-
stellung, welchen Einfluss das Internet haben wird. Und dass dies in vieler Hinsicht der
erste Tag ist.«
Wie kein anderer, verkörpert Jeff Bezos den Geist des Digitalzeitalters. 1964 in
Albuquerque, New Mexico geboren, zeigte er als Kind bereits großes Interesse,
zu verstehen, wie Dinge funktionieren. Schon bald hatte er die Garage seiner
Eltern in ein einziges Labor verwandelt und das ganze Haus verkabelt und mit
technischen Spielereien versehen. Als Teenager entwickelte er eine zeitlebens
anhaltende Liebe zu Computern. Seine Leidenschaft sollte ihn nach Princeton
führen, wo er seine Informatikausbildung 1986 mit Summa cum laude abschloss.
Computer blieben sein Leitmotiv. Mitte der 1980er Jahre zwangen die rasante
Entwicklung der Informationstechnologie und der Einzug des PC die Wall Street
zu dramatischen Veränderungen. So auch in der renommierten Investment Firma
D.E. Shaw, die bereits auf Bezos herausragende Informatikkenntnisse aufmerk-
sam geworden war und ihn kurzerhand einstellte. Vier Jahre später, 1990, wurde
er zum jüngsten Vize-Präsidenten in der Firmengeschichte ernannt. Ihm stand
eine vielversprechende und lukrative Karriere an der Wall Street bevor.
Bezos verfolgte zu dieser Zeit aber bereits andere Ziele. Lange schon beobach-
tete er die über Staatsgrenzen hinweg erfolgende Vernetzung von Computern,
welche, Anfang der 1990er Jahre, in der Entstehung des World Wide Webs gip-
felte. Als Visionär erkannte er das im Internet noch vor sich hinschlummernde
Geschäftspotenzial. So beschloss er 1994 D.E. Shaw zu verlassen, um Online-
Buchhändler zu werden. Sein Start-up richtete er in seiner Garage in Seattle ein.
Zusammen mit einer Handvoll Mitarbeitern entwickelte er Software. 1995 öffnete
Amazon.com. Der Erfolg war kometenhaft. Bereits 30 Tage später verkaufte Ama-
zon, ohne irgendeine Form von Werbung, Bücher über das gesamte Bundesgebiet
der Vereinigten Staaten und 45 weiterer Länder. Nur zwei Monate nachdem Bezos
seine Webseite geöffnet hatte, betrug der Wochenumsatz von Amazon bereits
20.000 Dollar. Bezos verstand Amazon nie als Online-Buchhändler, vielmehr als
Plattform für Handelsartikel. Von Anfang an strebte er danach, Amazon zu diver-
sifizieren. Zuerst mit CD und Videos, später mit Bekleidung, Elektronik und Spiel-
zeug. Heute ist Amazon der größte Einzelhändler weltweit.
37 So lautet der bekannte Rufname von Jeffrey Preston Bezos, wie er mit vollem Namen heißt.
38 Siehe http://www.businessinsider.com/jeff-bezos-visionary-2011-4?IR=T (Zugriff: 27.08.2016);
https://www.biography.com/people/jeff-bezos-9542209 (Zugriff: 03.08.2016) und http://sz-magazin.
sueddeutsche.de/texte/anzeigen/44019/Capt (Zugriff: 27.08.2016).
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Zu weltweiten Schlagzeilen kam es, als Bezos 2013 das renommierte Zeitungs-
haus »The Washington Post« für 250 Millionen Dollar erwarb. Sein Ziel war, aus
einem Lokalblatt eine weltweit agierende digitale Nachrichtenplattform zu
erschaffen. Weitere Herzensprojekte von Bezos sind sein Raumfahrtunterneh-
men »Blue Origin«, welches Privatleute ins All schießen möchte und sein revoluti-
onäres Projekt »Amazon Air Prime«, mit dem zukünftig Drohnen Amazon-Pakete
ausliefern sollen.
Wer Prozesse digitalisieren will, der braucht Daten. Nicht irgendwelche Daten, son-
dern relevante und sinnvoll interpretierbare Daten. Das wirft als Erstes die Frage nach
den Datenquellen auf. In der analogen Welt beginnt Qualität meist bei der Quelle. Im
Zeitalter der Digitalisierung ist das kaum anders. Eine Vielzahl neuer Datenquellen
hält Einzug in unser Leben und unsere Arbeitswelt oder steht kurz davor. Womit genau
haben wir es hier zu tun? Die neuen Datenquellen lassen sich in drei relevante Grup-
pen unterteilen: Wearables, Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) und Sensoren
(Embedded Systems).
Als Wearable Computing oder kurz »Wearable« werden meist kleine, tragbare Com-
putersysteme bezeichnet, die während ihrer Verwendung am Körper der Anwender
befestigt sind. Sie unterscheiden sich von anderen mobilen Computersystemen
(z. B. Laptops, Smartphones, Tablets) dadurch, dass die hauptsächliche Tätigkeit des
Anwenders nicht die Benutzung des Computers selbst, sondern eine durch den Com-
puter unterstützte Tätigkeit in der realen Welt ist.39 Mit anderen Worten: Der Mensch
geht seiner normalen Arbeit oder Alltagstätigkeit nach und ein Computer hilft ihm
dabei, ohne ständige Aufmerksamkeit zu verlangen. In diese Kategorie fallen Activity
Tracker (z. B. Fitness- und Gesundheits-Armbänder), Smartbrillen (z. B. Google Glass),
Smartwatches, smarte Kleidungsstücke oder digitale Hörgeräte.
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Der Anwendungsbereich der Wearables ist groß und wird erst in Ansätzen erkennbar.
So setzt der US-Sportartikelhersteller Under Armour seit 2011 ein gemeinsam mit
dem US Medizintechnik-Unternehmen Zephyr Technology entwickeltes Trikot (E39)
mit integrierter Sensortechnik im Hochleistungssport ein. Kernstück des intelligenten
Sportshirts ist ein sogenannter »Bug« (Datenkäfer), der auf der Höhe des Solarplexus
angebracht ist. Das ist ein kleiner runder Behälter, in dem sich ein Computer mit einem
2 GB großen Speicher, einer Datenübertragungseinheit sowie einem Accelerometer
befindet. Die Sensoren messen verschiedene Daten des Sportlers, wie Körpertempe-
ratur, Atemrate oder Herzfrequenz. Hinzukommen Beschleunigung und Richtungsän-
derungen. Die Daten werden im Bug gespeichert und per Bluetooth an den Computer
oder das Smartphone des Trainers übertragen. Dieser kann anhand der Daten die
Leistungen des Sportlers analysieren und seine Bewegungsabläufe verbessern. In der
NFL (National Football League) verwenden bereits zahlreiche Teams diese Technik im
Training und Spiel, um die Leistungsdaten der Sportler aufzuzeichnen.40, 41
Noch Zukunftsmusik: Das Bordpersonal von Flugzeugen könnte über spezielle Daten-
brillen in Zukunft jeden Passagier automatisch erkennen, ihn mit Namen ansprechen
und über seine Vorlieben – Kaffee oder Tee, Sandwich mit Fleisch oder vegetarisch? –
automatisch informiert sein. Datenschützer sind von solchen Ideen allerdings wenig
begeistert.
2.2.2 Internet der Dinge: Wenn der Toaster mit dem Kühlschrank spricht
Das Internet der Dinge (Internet of Things) beschreibt die zusehende »Smartifizie-
rung« von Alltagsgegenständen. Kleine, in Toaster, Zahnbürsten, Türschlösser oder
Kühlschränke eingebettete Computer werden uns in Zukunft unterstützen. Ist der
Computer aktuell noch Gegenstand unserer ständigen Aufmerksamkeit – rund 80-mal
40 http://www.forbes.com/sites/parmyolson/2015/09/30/kevin-plank-under-armour-apps-
technology/#4eddeb714b25 (Zugriff: 26.09.2016).
41 http://www.golem.de/1102/81770.html (Zugriff: 25.09.2016).
42 https://my-trend.org/2012-01-02-ausblick-adizero-f50-micoach-der-intelligente-fusballschuh
(Zugriff: 30.06.2020).
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am Tag schauen Erwachsene auf ihr Smartphone und sind häufig abgelenkt 43 –, tritt
er zukünftig wahrscheinlich mehr und mehr in den Hintergrund und wird durch
intelligente Gegenstände ersetzt. Das »Internet der Dinge« hat mehr als 15 Jahre
gebraucht, um Realität zu werden. Heute steht es an der Schwelle zur selbstverständ-
lichen Integration in unseren Alltag. Die Idee für das IoT wurde in den 1990er Jahren
mit dem Aufkommen von RFID-Chips, verbesserter Sensortechnik und ersten Inno-
vationen drahtloser Übertragungstechnik geboren. Der zunehmende Preisverfall bei
RFID-Chips machte den Einsatz dieser Technologie auch außerhalb von Logistik und
Supply-Chain-Management interessant. Mittlerweile kommt RFID-Technik im öffent-
lichen Personentransport, der Identifikation und Lokalisierung von Mensch und Tier,
bei elektronischen Mautsystemen, der Zugangskontrolle, Verkehrsüberwachung und
dem Einzelhandel großzügig zur Anwendung.44 Die Möglichkeit, Dinge markieren, ver-
folgen, verbinden und »lesen« zu können, bildet gemeinsam mit einer verbesserten
Sensortechnik und flächendeckender Breitbandversorgung die Grundlage für das
Internet der Dinge.
Ich halte es an dieser Stelle für wesentlich, die Aufmerksamkeit weg von der Leis-
tungsfähigkeit physischer Gerätschaften auf den eigentlichen Charakter des Internets
der Dinge zu lenken. Das Wesen des IoT liegt in der Verbindung von Menschen, Dingen,
Daten und Prozessen (siehe Abbildung 7). Die daraus in einem bestimmten Kontext
gewonnenen Informationen haben vielfach eine neue Qualität. Beispielsweise liefert
uns der am Handgelenk mitgetragene Activity Tracker nicht nur die blanken Daten zu
Schrittanzahl, zurückgelegter Entfernung und Herzfrequenz, sondern veredelt diese
Daten durch Einbindung in entsprechende Software (Apps) und Verarbeitungspro-
zesse in Aussagen über unseren Fitness- und Gesundheitszustand, die wir mit ande-
ren teilen können.
43 https://www.swr.de/zur-sache-baden-wuerttemberg/smartphone-junkies-eltern-mit-smartphone-als-
schlechte-vorbilder/-/id=3477354/did=19067974/nid=3477354/1ke3g9r/index.html (Zugriff: 07.06.2017).
44 In Anlehnung an www.i-scoop.eu/internet-of-things (Zugriff: 27.09.2016).
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Abb. 7: Das Internet der Dinge verbindet Menschen, Dinge, Prozesse und Daten; Quelle: In Anlehnung
an http://blogs.cisco.com/digital/how-the-internet-of-everything-will-change-the-worldfor-the-
better-infographic (Zugriff: 27.09.2016)
Der Weg zu einem vollumfänglichen Internet der Dinge ist allerdings noch weit. Im
Jahr 2015 war gerade einmal 1 % der physischen Welt mit dem Internet verbunden.
Das sind zwar immerhin auch schon 15 Milliarden Geräte, vorwiegend jedoch Compu-
ter, Tablets und Smartphones. Allerdings ist das Wachstumspotenzial riesig, wenn wir
auf die noch verbleibenden 99 % unverbundener Dinge blicken. Das Wachstum dürfte
auch in diesem Bereich eine exponentielle Entwicklung nehmen. Genaue Vorhersa-
gen über das zu erwartende Wachstum schwanken naturgemäß, so prognostiziert
beispielsweise das Technologieunternehmen Ericsson45 ein Anwachsen auf 28 Milli-
arden Geräte, der Netzwerkspezialist Cisco hingegen hält sogar ein Wachstum auf 37
Milliarden bis zum Jahr 2020 für möglich. 46 Gemäß der 2016 von Ericsson publizierten
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Mobilitätsstudie wird bis 2020 das Internet der Dinge – mit einem durchschnittlichen
jährlichen Wachstum von 23 % – Mobiltelefone als größte Gruppe mit dem Internet
verbundener Geräte ablösen.
Sensoren sind als physische Gegenstände auch dem Internet der Dinge zurechen-
bar. Ihnen kommt aber gerade im Verlauf der Prozessdigitalisierung eine besondere
Bedeutung zu. Daher ist es aufschlussreich, sie als eigenständige Datenquelle heraus-
zustellen.
Sensoren werden in Zukunft mehr und mehr Lücken in der Produktion schließen.
Fertigungsschritte, die heute noch manuell ausgeführt werden, bilden in kurzer Zeit
den Gegenstand einer umgreifenden Automatisierung und »Sensorisierung«. Senso-
ren kommen vor allem in eingebetteten Systemen zum Einsatz. Unter eingebette-
ten Systemen (engl. Embedded Systems) versteht man Hard- und Softwaresysteme,
welche in ein umgebendes technisches System integriert komplexe Überwachungs-,
Steuerungs-, Regelungs- und Datenverarbeitungsaufgaben übernehmen. Dabei han-
delt es sich um softwaregesteuerte Mikrocomputer, die auf eine Aufgabe fixiert sind
(beispielsweise Temperaturmessung, -überwachung und -regelung). Diese Mikro-
computer unterscheiden sich grundlegend von normalen Computern und sind für
den Anwender nicht als separates Element erkennbar. Sensoren und eingebettete
Systeme verrichten bereits heute in einer Vielzahl von Anwendungsbereichen ihren
Dienst – in der Landwirtschaft und der Medizintechnik, in Flugzeugen, Kraftfahrzeu-
gen, Fernsehern, Mobiltelefonen, Routern, Spielekonsolen, Receivern oder ganz allge-
mein in Geräten der Unterhaltungselektronik.47, 48
47 Thaller/Brandt (2013): Embedded Systems, Vorlesung: »Medien zwischen Technologie und Gesellschaft«,
Universität Köln.
48 https://de.wikipedia.org/wiki/Eingebettetes_System (Zugriff: 28.09.2016).
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Eine andere interessante Anwendung stammt aus der Medizintechnik. Die Nieren eines
gesunden Erwachsenen reinigen pro Minute rund 100 Milliliter Blut. Schaffen sie diese
Leistung nicht mehr, müssen die Organfunktionen anhand von Urin- und Blutproben
im Labor untersucht werden. Dieses Diagnoseverfahren haben Forscher des Instituts
für Medizintechnologie der Universität Heidelberg und der Hochschule Mannheim nun
verkürzt: Ein Pflaster wird auf die Haut geklebt und misst die Nierenleistung mittels
eines zuvor injizierten Diagnostikums schnell und direkt. Damit hat es das Potenzial,
Erkrankungen in einem sehr frühen Stadium festzustellen.49
Zukünftig werden alle Arten von Sensoren, auch solche, die in den Körper implan-
tiert werden, biometrische Informationen liefern und die Effektivität medizinischer
Behandlungen überwachen, Körperaktivitäten mit der Entwicklung des Gesundheits-
zustands in Verbindung bringen oder den Ausbruch von Virenerkankungen erkennen.
All das wird in Echtzeit ablaufen.
49 http://www.land-der-ideen.de/365-orte/preistraeger/schlaues-pflaster-zur-nierenfunktionsbestimmung
(Zugriff: 22.05.2017).
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produzierte Datenmenge beträgt mittlerweile mehr als 2 % der Daten des digitalen
Universums. Bis ins Jahr 2020 soll der Beitrag von Sensordaten auf über 10 % des
Gesamtdatenvolumens anwachsen. 50
Neben dem bloßen Zählen von Datenbytes existiert noch eine weitere Betrachtungs-
möglichkeit, um die Bedeutung von Sensoren im digitalen Universum greifbar zu
machen: die »Last«, die sie im Internet der Dinge erzeugen. Computer müssen ja nicht
nur Datenbytes verarbeiten, sondern auch die »Container« (d. h. Dateien), in denen
diese Daten das System durchlaufen. Manche Dateien enthalten ein großes Datenvo-
lumen, wie beispielsweise Bilder von Digitalkameras oder Filmmaterial aus Überwa-
chungssystemen. Die überwiegende Mehrzahl der Dateien ist jedoch klein. RFID- und
Sensordaten enthalten oft weniger als 32 Bytes. Aufgrund dieser kleinen Signalgrö-
ßen wird die Anzahl der zu verarbeitenden Dateien weiter rasant anwachsen. 2020
könnten Signal- und Informationsdateien aus Sensoren rund 99 % des »Container-
volumens« im digitalen Universum ausmachen. Wurden 2010 bereits beachtliche 28
Billiarden Dateien weltweit verarbeitet, so dürften zehn Jahre später mehr als 4.200
Billiarden Dateien im digitalen Umlauf sein. 51
Jede Facette des digitalen Universums zeigt bis dato eine durchgängig exponentielle
Entwicklung. Dies ist eine große Herausforderung für den menschlichen Verstand,
denn im Erkennen und Beurteilen exponentiellen Wachstums liegen nicht gerade
unsere Stärken, wie uns schon diese Geschichte aus dem alten Indien lehrt:
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BEISPIEL
Es lebte einst in Indien ein Herrscher namens Shihram, der seine Untertanen
tyrannisierte und sein Land in Not und Elend stürzte. Um die Aufmerksamkeit
des Herrschers auf seine Fehler zu lenken, ohne seinen Zorn zu entfachen, schuf
der weise Brahmane Sissa ein Spiel, in welchem der König als wichtigste Figur
ohne die Hilfe anderer Figuren und Bauern nichts ausrichten kann. Der Unter-
richt im Schachspiel machte auf Shihram einen tiefen Eindruck. Er wurde milder
und ließ das Schachspiel in seinem Herrschaftsgebiet verbreiten, damit alle
davon Kenntnis nähmen.
Um sich für die anschauliche Lehre von Lebensweisheit und zugleich Unterhal-
tung zu bedanken, gewährte er dem Brahmanen einen freien Wunsch.
Sissa schwieg eine Weile und dachte nach. Der Herrscher ermunterte ihn und
sagte, er möge keine Scheu zeigen und einfach seinen Wunsch äußern. Der
Brahmane erbat sich jedoch Bedenkzeit bis zum nächsten Tag, um über seinen
Wunsch nachzudenken. Dann, so sagte er, wolle er Shihram seinen Herzens-
wunsch mitteilen.
Als der Brahmane am nächsten Tag abermals vor Shihram trat, bat er um ein
einziges Reiskorn auf dem ersten Feld des Schachbretts. Der Herrscher lachte
und fragte ihn, ob das wirklich alles sei, er könne sich doch mehr wünschen? Da
antwortete Sissa, er hätte gerne auf dem zweiten Feld zwei Reiskörner, auf dem
dritten vier, auf dem vierten acht, auf dem fünften Feld 16 Reiskörner und so fort
bis zum 64. Feld.
Die Berater des Königs begannen schallend zu lachen, weil sie diesen Wunsch
für äußerst dumm hielten. Schließlich hätte sich der Mann Gold, Edelsteine,
Land oder alles mögliche andere wünschen können. Der Herrscher war verär-
gert, weil er dachte, der Erfinder halte ihn für arm oder zu geizig. Shihram hielt
den Wunsch für dumm, weil er ihm viel mehr hätte geben können. Aber er hatte
dem Brahmanen sein Wort gegeben und er musste seinen Wunsch erfüllen,
wenn er es verlangte. Der Herrscher schickte Sissa hinaus und ließ ihn am Tor
warten. Dorthin würde man seinen Reis bringen.
Der weise Brahmane ging lächelnd hinaus. Am Tor setzte er sich und wartete
geduldig auf seine Belohnung.
Abends erinnerte sich Shihram an den seltsamen Wunsch und fragte, ob der
Erfinder seine Belohnung schon erhalten habe. Seine Berater wurden ganz
nervös und erklärten, dass sie Sissas Wunsch nicht entsprechen könnten. Alle
Getreidespeicher des ganzen Landes würden nicht annähernd genug Reiskörner
enthalten, um ihn auszuzahlen.
Da wurde der König wütend und schimpfte, sie sollten dem Brahmanen endlich
seine Belohnung geben, schließlich habe er es versprochen und das Wort des
Königs gelte.
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Da erklärte ihm sein Hofmathematiker, dass es auf der gesamten Welt nicht
genug Reis gäbe, um dem Wunsch des Mannes zu entsprechen. Der Herr-
scher schwieg verblüfft. Dann fragte er, wie viele Reiskörner es denn seien.
18.446.744.073.709.551.615 Reiskörner war die Antwort.
Da lachte der Herrscher schallend. Er ließ den Weisen zu sich rufen und machte
ihn zu seinem neuen Berater.53, 54
Der Hunger nach Bandbreite ist also nach wie vor nicht gestillt und zwingt uns, auch
die technische Infrastruktur auf diese Trends einzustellen. Um diesen Entwicklungen
Rechnung zu tragen, wird es neue Übertragungstechnologien, wie beispielsweise das
5G-Mobilfunknetz, brauchen, mit dem Spitzenübertragungsgeschwindigkeiten bis zu
10 Gigabit/Sekunde möglich sein werden. Der Inhalt einer DVD kann dann in weniger
als vier Sekunden aus dem Internet heruntergeladen werden. Schnellere Übertra-
gungsgeschwindigkeiten werden zwangsläufig zu einer weiteren Zunahme der Daten-
menge führen und die explosionsartige Entwicklung weiter verstärken. 55
53 http://www.kochmix.de/kochmagazin-reis-schach--der-weise-mann-der-koenig-das-schachbrett-203.html
(Zugriff: 22.05.2017).
54 https://de.wikipedia.org/wiki/Sissa_ibn_Dahir (Zugriff: 22.05.2017).
55 https://www.vodafone.de/featured/ueber-uns/der-weg-ins-gigabit-zeitalter-von-4g-ueber-45g-zu-5g/
(Zugriff: 22.05.2017).
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Im Mai 2017 ging in zahlreichen britischen Krankenhäusern plötzlich nichts mehr. Ope-
rationen mussten verschoben werden, auf Stationen brach Chaos aus. Eine weltweite
Cyber-Attacke hatte Computer des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS (National
Health Service) befallen. Betroffen waren Krankenhäuser in London, Blackpool, Hert-
fordshire und Derbyshire. Patientendaten sollen laut Angaben der britischen Regie-
rung jedoch nicht gefährdet gewesen sein. Doch eines ist sicher: Die Sicherheit von
Daten zu gewährleisten und Computersysteme vor Fremdzugriffen zu schützen, wird
in Zukunft eine immer zentralere Rolle spielen.
Unternehmen produzieren – wie bereits erwähnt – zwar nur ein Drittel der Daten, sind
aber für 85 % der Daten verantwortlich. Das bedeutet nicht nur, dass Geschäftspro-
zesse mittlerweile weit über Unternehmensgrenzen hinaus ablaufen, sondern auch,
dass der überwiegende Teil der Daten außerhalb der Unternehmensmauern produ-
ziert wird und damit jenseits jeder unmittelbaren Firmenkontrolle liegt. Der Bedarf,
die Informationssicherheit auch auf diese unternehmensfremden Bereiche auszudeh-
nen, wird zunehmen. Daten von Kunden, Lieferanten und Dritten (öffentlich zugängli-
che Daten, Daten von Fremdfirmen usw.) werden mehr und mehr Eingang in die Pro-
zesswelt finden.
Dies gilt im besonderen Maße für die steigende Anzahl von Daten, die für Prozessana-
lysen und Vorhersagemodelle herangezogen werden. Dabei stellen sich zahlreiche
Fragen. Sind die Daten sauber, d. h. frei von Schadsoftware? Können die Daten Kunden
zugeordnet werden, d. h., haben sich die Anwender im System angemeldet? Wie akku-
rat sind die Daten? Das alles sind Fragen, deren Beantwortung besondere Aufmerk-
samkeit verdient, speziell, wenn aus der Analyse dieser Daten zukünftige Handlungen
des Unternehmens resultieren (Prozessänderungen, Produktanpassungen usw.).
Natürlich sind nicht alle Daten gleichermaßen schützenswert. Nach aktuellen Schätzun-
gen benötigen ca. 40 % aller Daten irgendeine Form des Schutzes. Sicherungsmaßnah-
men variieren und reichen von passiven Schutzmaßnahmen der Privatsphäre über Voll-
verschlüsselung bis hin zur hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Datenhaltung.
Unglücklicherweise erfährt weniger als die Hälfte der schützenswerten Daten tatsäch-
lich Schutzmaßnahmen. Noch beunruhigender ist der Umstand, dass mit zunehmender
Digitalisierung der Anteil schützenswerter Daten insgesamt weiter zunimmt.
Die Optimierung und Digitalisierung von Prozessen sollte von Anfang an unter der Prä-
misse erfolgen, die Daten nach Schutzklassen zu klassifizieren, am besten ähnlich der
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56 https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrundschutz/ITGrundschutzKataloge/itgrundschutzkataloge_
node.html (Zugriff: 16.07.2017).
57 Topsch/Schlayer (2015): Cyber risk challenge and the role of insurance, München, Präsentation Munich Re:
https://de.slideshare.net/Munich_Re/cyber-risk-challenge-and-the-role-of-insurance (Zugriff: 22.05.2017).
58 Elsberg, Marc (2012): Blackout, Blanvalet Verlag, München.
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ten allein mehr als 25 % aller Cyber-Attacken auf Unternehmen auf IoT-Verbindungen
(siehe Abbildung 8) zurückzuführen sein. Dass Elsbergs Geschichte mehr ist als nur
gute Unterhaltung, beweist der Umstand, dass er seit Erscheinen seines Buches auch
außerhalb des Buchhandels ein gefragter Gast ist. So wurde er bereits vom deutschen
Bundesministerium des Innern, der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, dem
Präsidenten der Bundesnetzagentur und zahlreichen anderen Behörden und Verbän-
den eingeladen, um über dieses Thema zu referieren.
INFORMATIONSSICHERHEIT
(Wissen, Werte, Daten)
DIGITALE SICHERHEIT
(Identitäten, Online-Transaktionen)
Abb. 8: Aus Informationssicherheit (Cyber Security) wird digitale Sicherheit; Quelle: Eigene Darstel-
lung in Anlehnung an: Gartner Group: Special Report: Cyber Security at the Speed of Digital Business,
https://www.gartner.com/doc/3332117?refval=&pcp=mpe (Zugriff: 08.10.2016)
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(siehe Abbildung 8) ist es, der gesichert werden muss. Ich würde an dieser Stelle gerne
eine neue Kategorisierung der Sicherheitsmaßnahmen einführen und zwischen stati-
scher und dynamischer Datensicherheit unterscheiden. In den Bereich der statischen
Datensicherheit fallen demnach alle Maßnahmen, die den Schutz »ruhender»59 Daten
betreffen. Dazu zählen Sicherheitsmaßnahmen wie Datenverschlüsselung, Firewalls,
VPN-Zugänge, Authentifizierungsmaßnahmen, Virenscanner, RAID-Systeme, Schutz-
protokolle und dergleichen. Diese Maßnahmen zeichnen sich durch ihren durchweg
passiven Charakter aus. Ihre Intention ist es, zu verhindern und abzuwehren. Die
dynamische Datensicherheit wiederum hat den »bewegten« Datenstrom im Fokus,
also aktive Sicherheitsmaßnahmen, deren Aufgaben es sind, Angriffe möglichst in
Echtzeit zu entdecken und zu melden, Reaktionsmaßnahmen einzuleiten oder aber
auch merkwürdiges, d. h. von der Norm abweichendes Verhalten aufzudecken und
vorherzusagen. Dafür müssen entlang der Prozesskette entstehende Daten mit ent-
sprechenden Algorithmen in Echtzeit ausgewertet werden, um Verhaltensauffälligkei-
ten zu identifizieren. Simulationen unterstützen dabei, Schwachstellen aufzudecken
und auffälliges Prozessverhalten als Referenz- und Erkennungsmuster für Echtzeit-
überwachungen zu dokumentieren.
Seit wir begonnen haben, auf vielfältigste Art und Weise digitale Daten zu erzeugen,
stehen wir einer stetig wachsenden Datenmenge gegenüber. Sie ist für uns ohne tech-
nische Hilfsmittel nicht mehr handhabbar und interpretierbar. Daten sind überall im
Übermaß vorhanden, doch Wissen ist das noch lange nicht. Aus geeigneten Daten
letztlich Wissen entstehen zu lassen, wird zu einer Kunst, die zu den wesentlichen
Voraussetzungen der »Prozessoptimierung 4.0« zählt. Ob Daten überhaupt das Poten-
zial haben, Wissen entstehen zu lassen, entscheidet sich an ihrer Relevanz. Sei es das
Kaufverhalten von Kunden oder eine Prozessvorhersage: Die Unterscheidung in rele-
vante und nicht relevante Daten (siehe Abbildung 9) ist zur vordringlichsten Aufgabe
im Unternehmen geworden.
59 Ruhend im Sinne, dass sie an exakt lokalisierbaren Orten, z. B. Sender, Empfänger, Anwendung finden.
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Firmen, die nicht in der Lage sind, die für sie letztlich relevanten Daten zu identifi-
zieren, werden öfter Entscheidungen auf Basis irrelevanter Daten treffen und Gefahr
laufen, das Unternehmen in eine ungünstige oder sogar existenziell bedrohliche Rich-
tung zu entwickeln. Experten schätzen, dass gerade einmal 5 % der heute verfügbaren
Daten für inhaltliche Analysen und Auswertungen Relevanz besitzen.60
* Berichte, Reports
Ent- * Dashboards
schei-
dungen
* Integration
* Aggregierung
Informationen * Daten Dritter
* Soziale Medien
* Integrität
* Validierung
Daten * Komplettheit
* Daten-Management
Abb. 10: Digitales »Erdöl«: Von Daten zum »Wissen« Quelle: Cap Gemini (2012): Business Process
Analytics: Unlocking the Power of Data and Analytics: Transformin Insight into Income, S. 6
Der alltagssprachliche Umgang mit den Begriffen »Daten«, »Informationen« und »Wis-
sen« ist eher sorglos. In der Umgangssprache sind sie nur unscharf voneinander abge-
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grenzt und werden synonym verwendet. Was unterscheidet nun Daten von Informati-
onen und Wissen? Der österreichisch-amerikanische Schriftsteller Erwin Chargaff fand
für sich folgende recht eingängige Formulierung: »Wissen ist etwas, was man mit dem
Herzen sucht. Informationen kommen ungefragt.« Im Grunde besteht alles, was wir um
uns herum wahrnehmen, aus Daten. Egal, ob sie für uns eine Bedeutung haben oder
nicht, alles ist auf Daten zurückzuführen.
Betrachtet man die Inhalte an sich, haben sich die folgenden Definitionen als
zweckmäßig erwiesen:
Folgendes Beispiel soll illustrieren, was gemeint ist. Mein Abruf der Wetterinforma-
tionen am Oberstdorfer Nebelhorn über die Webcam https://www.das-hoechste.de/
service/webcams/livecam-nebelhorn.html brachte mir folgende Informationen ein:
BEISPIEL
Damit fand ich Folgendes an Daten, Informationen und Wissen für mich heraus (siehe
Tabelle 2):
Tab. 2: Aus Daten Informationen entwickeln und Wissen ableiten; Quelle: Eigene Darstellung
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schaftlich von Bedeutung und zeigt sich zudem an deutlich höheren Bewertungen am
Aktienmarkt.61
Zu den Indikatoren für den disruptiven Charakter der Digitalisierung zählt u. a. die
geringe Einstiegsschwelle für digitale Start-ups in etablierte Märkte. Beispiele für
aufstrebende Disruptoren finden sich in der neuesten Wirtschaftsgeschichte in Unter-
nehmen wie Uber, Alibaba, Facebook oder Airbnb. Das Geschäftsmodell, das diese
Firmen miteinander verbindet, ist im Kern die leichte und kostengünstige Zusammen-
führung von Angebot und Nachfrage über eine digitale Plattform. Im Wesentlichen
bieten Uber oder Airbnb die effiziente Nutzung nicht ausgelasteter Ressourcen an.
Dabei werden Menschen zu Anbietern von Dienstleistungen, die sich bislang nie als
Anbieter von Dienstleistungen verstanden haben. So macht ein freier Sitzplatz das
Privatauto zum Taxi oder ein ungenutztes Schlafzimmer das Eigenheim zum Hotel. Ein
entrümpelter Keller macht Privatleute zu Einzelhändlern, wenn sie ihre Fundstücke
über eBay verkaufen. Der Medienexperte Tom Goodwin drückt es in einem Artikel des
Nachrichtenportals TechCrunch (dem Veranstalter der Innovationskonferenz »Tech-
Crunch Disrupt«) so aus:
»Uber, das größte Taxiunternehmen der Welt, besitzt keine Fahrzeuge. Facebook,
Eigentümer des populärsten Mediums der Welt, erzeugt keine Inhalte. A libaba,
61 McAfee/Brynjolfsson: Besser entscheiden mit Big Data, in: Harvard Business Manager, November 2012, S. 23–30.
62 Keese, Christoph (2014): Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Knaus
Verlag, München, S. 107 f.
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der wertvollste Einzelhändler, hat keine Lagerbestände. Und Airbnb, der welt-
größte Anbieter von Unterkünften, besitzt keine Immobilien.«63
Digitale Plattformen haben ihre Prozesse fast vollständig digitalisiert und in der Platt-
form integriert. Prozesse verlaufen transaktionsbasiert und stellen in ausreichender
Menge Daten zur Verfügung, die es erlauben, die Nutzungsgewohnheiten ihrer Kunden
im Detail zu analysieren und dadurch die Attraktivität der Plattform weiter gezielt zu
steigern.
Bewohnbare Häuser aus dem 3D-Drucker sind bald Realität. Im April 2017 wurden
außerdem industrielle 3D-Drucker erstmals vorgestellt, die eine kostengünstige,
schnelle Massenproduktion von Kleingütern ermöglichen sollen.64 Mit der zuneh-
menden Verbreitung des 3D-Drucks wird eine dezentrale Fertigung und Ersatzteilbe-
schaffung einfacher und kostengünstiger. Diese Entwicklung wirkt sich nicht nur auf
Supply Chains (Lieferketten) und die Planung neuer Fertigungsstätten aus, sondern
auch auf die Art und Weise, wie Menschen innerhalb eines Unternehmens zukünftig
zusammenarbeiten werden. Anstelle riesiger zentraler Produktionsstätten werden
kleine regionale und hoch spezialisierte Fertigungsstätten entstehen, die von spezi-
alisierten Heimarbeitern (Designer, Konstrukteure, Ingenieure, Sachbearbeiter etc.)
unterstützt werden. Diese entstehende Flexibilisierung in der Zusammenarbeit von
Teams erfordert technische Unterstützung in den Kollaborationsbemühungen. Digi-
tale Werkzeuge, wie Messenger-Dienste, virtuelle Meeting-Räume, Video Conferen-
cing Tools, Cloud-Speicher, Chats und spieltypische Elemente (Gamification) werden
den Arbeitsalltag mehr und mehr bestimmen.
63 Goodwin, Tom: In the age of disintermediate the battle is all for the consumer interface, in: TechCrunch,
März 2015.
64 https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/bewohnbare-haeuser-aus-dem-3d-druck-sind-bald-
realitaet_84342_414006.html (Zugriff: 07.06.2017).
65 Cole, Tim (2015): Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft
verschläft und was jetzt getan werden muss! Vahlen Verlag, München.
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Bauteils an ihre Kunden. Diese »drucken« dann das Bauteil vor Ort in ihrer Fabrik aus.
Das senkt Logistikaufwände und vermeidet Stillstände von Anlagen und Fertigungs-
prozessen aufgrund fehlender Bauteile. Darüber hinaus werden Lagerkapazitäten bei
Lieferanten und Kunden geschont, da Bauteile nicht mehr vorgehalten werden müs-
sen, sondern im Bedarfsfall einfach am Einsatzort erzeugt werden. Daneben wirkt
sich additive Fertigung günstig auf Rohstoffbevorratung und Abfallentsorgung aus.
Im Gegensatz zur subtraktiven Fertigung, wo Dreh- und Fräsmaschinen Späne fliegen
lassen, entsteht kein Abfall und kaum Ausschuss. Dies ist effizienter und nebenbei
auch umweltfreundlich.
Auch der Charakter von Fertigungsprozessen wird sich mit dem Einsatz von 3D-Dru-
ckern wandeln. Im Prinzip sind 3D-Drucker der Gegenentwurf der Massenfertigung.
Im Vordergrund stehen vielmehr Individualität und Flexibilität anstelle hoher Stück-
zahlen und Skaleneffekte. Durch additive Fertigung werden die Voraussetzungen für
die Produktion kundenspezifischer Kleinstserien bis hin zur wahrhaft einzigartigen
»Losgröße 1« geschaffen. Damit läutet der 3D-Druck auch das Ende der Massenferti-
gung ein und erlaubt es Kunden, tief und spät in den Fertigungsprozess einzugreifen,
um ihr Wunschprodukt fertigen zu lassen.
»Disruptiver Wandel« – das ist ein dankbares Thema für Sachbuchautoren, Kolum-
nisten und Philosophen. Für Unternehmen und die in ihnen arbeitenden Menschen
bedeutet es jedoch eine harte Realität, ja, bisweilen eine existenzielle Herausforde-
rung. Das betrifft die Ebene der Prozesse in besonderem Maße. Viele, die sich trotz
ineffizienter Prozesse bisher noch über Wasser halten konnten, werden das im digita-
len Zeitalter nicht mehr können. Eine der Kernfragen, denen ich in diesem Buch nach-
gehe, ist auch die nach der Art und Weise der zu erwartenden Prozessveränderungen,
die eine Digitalisierung mit sich bringen wird. Dabei ist zunächst wichtig, zu erkennen:
Auch ohne »digitales« Zutun verändern sich Prozesse ständig. Sie bilden »lebendige«,
dynamische Objekte, die sich ab dem Moment ihrer Entstehung wandeln.
Prozesse durchziehen jede Organisation, wie die Blutbahnen unseren Körper. Sie sind
die »Arterien« des Unternehmens und schaffen einen lebendigen Organismus. Es han-
delt sich um einen von Menschen entwickelten, von Menschen getragenen und für
Menschen bestimmten wertschöpfenden Ablauf. Es ist essenziell, sich das einmal vor
Augen zu führen, da Digitalisierung (und die damit zwangsläufig einhergehende Auto-
matisierung) am Menschen ansetzt und versucht, »analoges« (Prozess-)Verhalten in
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eine Welt aus Nullen und Einsen, eben eine »digitale« Welt, zu überführen. Ohne allzu
pathetisch klingen zu wollen oder mich auf unsicheres ethisches Terrain zu begeben,
möchte ich doch behaupten, dass Digitalisierung – zumindest in Teilen – auf eine »Ent-
menschlichung« der Prozesse abzielt.
Dass die Digitalisierung bereits jetzt großen Einfluss auf unser Berufs- und Privatle-
ben hat, ist unbestritten. Wie groß dieser Einfluss zukünftig noch werden könnte, zeigt
eine Studie aus dem Jahr 2013 der beiden Wirtschaftsforscher Carl Benedikt Frey und
Michael A. Osborne.66 Eine Analyse von über 700 Berufsgruppen ließ sie zu dem Schluss
kommen, dass in den nächsten 15 bis 20 Jahren fast die Hälfte (ca. 47 %) der ameri-
kanischen Arbeitsplätze durch Digitalisierung akut bedroht sind. Und zwar mit einer
Wahrscheinlichkeit von über 70 %. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
in Mannheim hat die Studienergebnisse auf Deutschland übertragen. Eine tätigkeits-
basierte Betrachtung aller Berufsgruppen zeichnet ein für Deutschland weniger
bedrohliches Bild. In Deutschland sind demnach in den nächsten 15 bis 20 Jahren
rund 12 % der Arbeitsplätze durch Digitalisierung und Automatisierung gefährdet.
Immerhin betrifft dies aber auch noch rund fünf Millionen Beschäftigte. Wenig überra-
schend zeigen Arbeitnehmer mit geringem Bildungsabschluss die höchste Vulnerabi-
lität gegenüber der Prozessdigitalisierung (Digitalisierung von Tätigkeiten).
66 Frey/Osborne (2013): The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation, University
of Oxford.
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Die gute Nachricht ist, dass durch die zum Einsatz kommenden neuen Technologien,
das Entstehen einer datengetriebenen Prozesswirtschaft sowie intelligente Hard-
und Softwarelösungen eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze und neuer Berufsgruppen
geschaffen werden können. Allerdings sind das durchweg Berufe, die ein deutlich
höheres Ausbildungsniveau und ein höheres Maß an Spezialisierung erfordern, als es
viele heutige Beschäftigte vorweisen können. Hier rächen sich nun auch Fehler der
Vergangenheit. Als beispielsweise der Autohersteller Opel eines seiner deutschen
Werke dauerhaft schloss und die Beschäftigten bei den Arbeitsagenturen vorstellig
wurden, zeigte sich, dass einige von ihnen seit Jahrzehnten an keiner beruflichen Fort-
bildung mehr teilgenommen hatten. Diese Arbeitnehmer sind – trotz guter Konjunk-
tur – bereits heute kaum mehr in gleichwertige Jobs vermittelbar.
In der Diskussion um die Zukunft der Arbeitswelt halten sich optimistische und pessi-
mistische Prognosen die Waage. Kaum bestritten ist dabei, dass sich zahlreiche neue
Chancen ergeben werden. Die Frage ist mehr, wer die Chancen nutzen kann. Technolo-
gienahe Berufe befinden sich fraglos im Aufwind. Im Folgenden möchte ich einige die-
ser neuen Berufsbilder, die wir in Zukunft im Kontext digitaler Prozesse öfter antreffen
dürften, vorstellen.68
Dahinter verbirgt sich zukünftig eine der wichtigsten Rollen in einer digitalen, daten-
getriebenen Prozesswirtschaft. Analysen von Data Scientists werden mehr und mehr
Einfluss auf die Prozessoptimierung nehmen. Zu den Kernaufgaben eines Data Scien-
tists gehören der Umgang mit riesigen Datenmengen, die Entwicklung performanter
Analysealgorithmen, die Auswertung der Daten und die Entwicklung von Prozessop-
67 Roland Berger: Of Robots and Men – in Logistics, in: Think Act Magazin, April 2016.
68 In Anlehnung an WirtschaftsWoche: http://www.wiwo.de/erfolg/zukunftderarbeit/gefragte-digitaljobs-13-
berufe-mit-zukunft/10934804.html (Zugriff: 06.11.2016).
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Der Chief Digital Officer (CDO) ist der oberste Digitalisierungsbeauftragte eines
Unternehmens und vertritt seine Belange am vorteilhaftesten sogar als Mitglied des
Vorstands bzw. der Geschäftsführung. Da die Digitalisierung entlang der Wertschöp-
fungskette erfolgen muss, liegt die Zusammenlegung mit der Rolle des obersten
Prozessverantwortlichen (Chief Process Officer, CPO) nahe. Er gibt Leitlinien für die
Digitalisierung der Prozesse vor, entwickelt neue Wertschöpfungsketten (Geschäfts-
felder), führt innovative Technologien ein und fördert vernetztes Arbeiten.
Die Aufgabe eines Data Strategists ist die Vorgabe von Richtlinien für den Umgang mit
Daten. In sein Arbeitsportfolio fällt u. a. die Beantwortung der folgenden Fragen:
y Welche Informationen können bedenkenlos in welchem Zusammenhang verwen-
det werden?
y Wo liegen rechtliche Grenzen bei der Auswertung von Daten?
y Wo befinden sich ethische »Barrieren«?
Der Mobile Developer ist keine ganz neue Rolle, erfährt aber im Zuge des Internet of
Things und der korrespondierenden Digitalisierung sozusagen ein Upgrade. Als Ent-
wickler kümmert er sich um neue Programme für Smartphones, Tablets, Wearables
und alle Arten mobiler Sensoren (Embedded Systems). Bei kleinen Unternehmen ist
er nicht nur Architekt und Ideengeber, sondern programmiert Anwendungen selbst.
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Der Digital Supply Chain Manager stellt eine Weiterentwicklung des bisherigen Logis-
tik-Managers dar. Digital Supply Chain Manager sorgen nicht nur dafür, dass sie durch
digitale, vernetzte Logistikprozesse Echtzeitzugang zu den Lagerbeständen ihrer
Lieferanten haben und danach ihre eigene Lagerhaltung ausrichten (also schlanker
halten als ohne dieses Wissen), sondern dass sie die Digitalisierung und Vernetzung
der ihnen anvertrauten Prozesse vorantreiben und sie in Zusammenarbeit mit Data
Scientists aktiv analysieren und verbessern.
Der Feelgood Manager ist das digitale Upgrade des Personalmanagers. Er sorgt dafür,
dass Mitarbeiter ein Umfeld vorfinden, in dem sie sich wohlfühlen und ihre beste
Leistung abrufen können. Zu seinen Aufgaben gehört u. a. die Anpassung und Wei-
terentwicklung neuer Kollaborationsformen (Heimarbeit, virtuelle Teams, Crowd-
sourcing etc.), die durch Prozessdigitalisierung möglich werden. Er verschafft seinem
Unternehmen Wettbewerbsvorteile auf dem Arbeitsmarkt, da sich die besten Talente
zunehmend ihren Arbeitgeber aussuchen können.
Der Touchpoint Manager gibt Leitlinien und Inhalte für die Kommunikation mit dem
Kunden vor und strebt nach einer starken Vernetzung zwischen Kunden und Unter-
nehmensprozessen. Dabei ist es ihm wichtig, dem Kunden zahlreiche Kontakt- und
Interventionsmöglichkeiten (Touchpoints) entlang der Wertschöpfungskette anzu-
bieten. Die fortschreitende Integration des Kunden im Unternehmen liefert ihm wie-
derum eine starke Datengrundlage zur Analyse und Verbesserung der Kundenpro-
zesse und -beziehungen.
Auch das ist keine wirklich neue Unternehmensrolle, jedoch erfährt sie durch die
zunehmende Digitalisierung einen sprunghaften Bedeutungszuwachs. Neben der
Analyse, Prävention und Abwehr firmenfremder Bedrohungen entwickelt der Cyber
Security Manager Strategien zur Daten- und IT-Sicherheit. Darüber hinaus etabliert er
Sicherheitsstandards und -richtlinien für die Mitarbeiter.
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Die Rolle des Crowdsourcing Managers entwickelt sich als digitale Antwort auf die
zunehmende Projektarbeit in den Unternehmen. Erste Firmen greifen in stärkerem
Maße, in einer mit dem Unternehmen assoziierten Crowd, auf externe Mitarbeiter zu.
Die Aufgabe des Crowdsourcing Managers ist es, aus seinen Projektaufträgen kleine
oder sogar kleinste Arbeitspakete zu definieren und sie an die externen Mitarbeiter,
also die Crowd, weiterzugeben. Da alles elektronisch über eine integrierte IT-Platt-
form (z. B. der Crowdsourcing Dienst Mechanical Turk [MTurk]) läuft, kann der Arbeits-
fortschritt der Crowd jederzeit kontrolliert werden.
Die klassische Rolle des Wartungsingenieurs geht mehr und mehr in der digitalen
Rolle des Maintenance Managers auf. Mit zunehmendem Digitalisierungsgrad werden
Prozesse selbstständiger und melden Wartungsbedarfe eigenständig an. Der Mainte-
nance Manager stellt die Informationsfähigkeit der ihm anvertrauten Prozesse sicher
und sorgt dafür – durch Analyse und Auswertung der Prozessdaten, durch Vorher-
sagen des Prozessverhaltens –, dass in Zukunft notwendige Ersatzbetriebsmittel in
ausreichender Menge vorhanden sind und Wartungsarbeiten vor dem Eintritt eines
notwendigen Wartungsfalles (Verbrauch, Fehler) frühzeitig terminiert werden.
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Wie lange kann unsere gewohnte Welt der Industriegesellschaft mit ihren Fabriken
und Büros, ihren langjährigen abhängigen Beschäftigungsverhältnissen und ihren
zu festen Größen der Lebensplanung gewordenen Ritualen – wie Jahresurlaub oder
Renteneintritt – noch Bestand haben? Die Digitalisierung von Prozessschritten erfor-
dert jedenfalls eine durchdachte Zerlegung in präzise definierte und abgegrenzte
Tätigkeiten mit klar umrissenen Ergebnissen. Nicht nur lassen sich klar begrenzte und
wohldefinierte Prozessschritte leichter überwachen, sondern liefern auch mehr und
qualitativ hochwertigere Daten über die entsprechenden Tätigkeiten. Die dadurch
entstehende Datenbasis erlaubt wiederum die Entwicklung noch leistungsfähigerer
und aussagekräftigerer Algorithmen, die diese Prozessschritte ausfüllen, Echtzeitin-
formationen anbieten und Prozessvorhersagen treffen können.69
Mit all den unmittelbar vor der Haustür stehenden Entwicklungen wird wohl auch der
Veränderungsdruck auf Unternehmen und Mitarbeiter zusehends steigen. Firmen müs-
sen nun Wege finden, ihre Mitarbeiter auf diese Veränderungen vorzubereiten und sie
gleichsam befähigen, spezialisierte und höher qualifizierte Arbeitsplätze auszufüllen.
Mitarbeiter müssen lernen, in Prozessen zu arbeiten, die immer intelligenter, leistungsfä-
higer und stärker vernetzt werden. Dazu bedarf es gänzlich neuer Bildungsmodelle und
der Aufnahme digitaler Lerninhalte in die Personalentwicklung. Neue Bildungsmodelle
müssen zukünftig in wesentlich stärkerem Maße Job-Rotationen – vor allem für altein-
gesessene Spezialisten – vorsehen, um bestehendes Silo-Denken aufzubrechen und ein
69 Schwab, Klaus (2016): Die Vierte Industrielle Revolution, Pantheon Verlag, München.
70 Landmann/Herrmann (2016): Auf dem Weg zum Arbeitsmarkt 4.0? Mögliche Auswirkungen der Digitalisie-
rung auf Arbeit und Beschäftigung in Deutschland bis 2030, Berlin, Bertelsmann Stiftung.
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Transformationelle Führungssysteme
Transformationelle Führungssysteme setzen auf eine höhere Eigenverantwortung und -mo-
tivation der Mitarbeiter. Führungskräfte geben dem Team Visionen vor und ermöglichen den
Mitarbeitern, selbstständig eigene Ansätze zur Umsetzung dieser Visionen zu entwickeln.
Das Leben als eine Abfolge von Projekten zu betrachten, scheint zum postmodernen
Lebensgefühl zu gehören. Ob die Arbeitswelt hier Taktgeber oder Spiegel ist, lässt sich
schwer entscheiden. Fraglos ist bereits heute in Unternehmen der Anteil der Projektar-
beit im Vergleich zum Tagesgeschäft sehr hoch, und er dürfte in Zukunft weiter steigen.71, 72
71 Hofmann/Rollwagen/Schneider (2007): Deutschland im Jahr 2020: Neue Herausforderungen für ein Land
auf Expedition, Frankfurt, Deutsche Bank Research. Die Projektwirtschaft in Deutschland steigt rapide an.
2007 betrug ihr Wertschöpfungsbeitrag noch 2 %, in 2020 wird die Wertschöpfung aus projektwirtschaftli-
chen Abläufen auf über 15 % ansteigen.
72 Rump/Schnabel/Alich/Groh (2010): Betriebliche Projektwirtschaft: Eine Vermessung, Mannheim, S. 8.
Mittlerweile sind durchschnittlich rund 37 % aller Arbeitsabläufe in Unternehmen projektwirtschaftlich
organisiert.
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Der Vorgang einer Prozessdigitalisierung ist an vielen Stellen mit diesen Unwägbar-
keiten verknüpft und steht sehr oft vor der Frage, ob das Mögliche auch sinnvoll und
nachhaltig ist. Projektarbeit braucht hier Freiräume, um Entscheidungen kurzfristig
treffen zu können und gleichzeitig den Prozess behutsam zu entwickeln. Klassische
Projektmanagement-Modelle stoßen da recht schnell an ihre Grenzen. Traditionel-
les Projektmanagement geht davon aus, dass das Endergebnis bereits zu Beginn zur
Gänze bekannt und in einem Lastenheft beschreibbar ist. Danach erfolgt eine mehr
oder weniger stark wasserfallgetriebene Umsetzung der Anforderungen, ungeachtet
der möglichen destabilisierenden Wirkung auf die Prozesse, die ein derart lineares
Vorgehen mit sich bringt.
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bestimmt die Reihenfolge sowie die Art und Weise der Umsetzung daher selbst und
kann kurzfristig (d. h. im nächsten oder übernächsten Sprint) auf Änderungen (z. B.
verschlechterte Prozessleistung) reagieren.
2.10.4 Weitere Werkzeuge
Darüber hinaus existiert noch eine Vielzahl weiterer agiler Methoden, wie Rapid Pro-
totyping (schneller Modellbau), Lean Start-up (Unternehmensgründung bei schlan-
ker Prozessführung), Hackathon (Wortschöpfung aus Hack [technischer Begriff] und
Marathon für eine gemeinsame Software- und Hardwareentwicklungsveranstaltung)
oder der Business Model Canvas (Visualisierung und Test einer Geschäftsidee). Für
eine Prozessentwicklung halte ich aber Scrum, Kanban und Design Thinking für die
geeigneteren Werkzeuge. Zudem ist durch die zunehmende Verbreitung dieser Metho-
den auch entsprechend ausgebildetes Personal in immer größerer Zahl verfügbar,73
was einen nicht unerheblichen Faktor in der Projektarbeit mit Prozessen darstellt.
73 Komus, Ayelt et al. (2014): Studie »Status Quo Agile«, Hochschule Koblenz.
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Ich hoffe, mit diesem Kapitel einen ersten Überblick über die Auswirkungen des
Kontextes »Digitalisierung« auf Unternehmen, Prozesse und Mitarbeiter gegeben zu
haben, der es nunmehr ermöglicht, sich im Bewusstsein eines größeren Ganzen mit
einzelnen Aspekten der Prozessoptimierung und -digitalisierung zu befassen. Es ist
mir immer ein zentrales Anliegen, eine ganzheitliche, systemische, vernetzte Sicht
einzunehmen – nicht allein auf Prozesse, sondern auch auf die Menschen hinter den
Prozessen und auf das, was eine Veränderung der Arbeits- und Lebensverhältnisse für
Menschen bedeutet.
Prozesse sind der Spiegel des Unternehmens und seiner Kultur. Ohne veränderungs-
bereite Menschen ist echte Prozessoptimierung im Sinne einer Weiterentwicklung des
Unternehmens nicht möglich. Und ohne Berücksichtigung des größeren sozialen und
kulturellen Kontext werden Menschen wiederum kaum veränderungsbereit sein.
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Wenn die Weiden abgegrast sind, wenn alle Beeren und Pilze gesammelt sind und auch
kein Wildtier mehr freiwillig vorbeikommt, um sich erlegen zu lassen, dann ist es für die
Nomaden Zeit, aufzubrechen und weiterzuziehen. Vielleicht sind es die Ältesten, denen
als Erste die Einsicht kommt, dass der richtige Zeitpunkt da ist, sich auf den Weg zu
machen. Ihre Einsicht teilen sie dann abends am Lagerfeuer mit dem Rest der Gruppe.
Nomaden es gibt auch heute noch, in Südamerika z. B. oder in der asiatischen Steppe.
Trotz aller Einflüsse der modernen Zivilisation halten sie an ihrer Lebensweise fest und
haben anscheinend gar kein Interesse daran, ihr Leben gegen das von Großstadtbe-
wohnern einzutauschen. Doch warum sollte ein Mann vom Volk der Golok, ein extrem
geschickter Reiter, der auf seinem kräftigen und ausdauernden Pferd gemeinsam mit
der Yak-Herde über die weiten Grasebenen im Hochland von Tibet zieht, mit einem chi-
nesischen Fabrikarbeiter tauschen, der sich frühmorgens in einen Bus zwängt, um über
löchrige, schmutzige Straßen zur Fabrik zu gelangen, in der er zehn oder zwölf Stunden
lang die immer gleichen Handgriffe ausführt, tagein, tagaus dasselbe? Wir haben uns
so an unsere Sesshaftigkeit gewöhnt, dass wir angefangen haben, Unbeweglichkeit mit
Sicherheit zu verwechseln. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, in Bewegung zu
bleiben und sich zu verändern, wenn es an der Zeit ist.
Gerade in Deutschland haben es sich in den letzten Jahren viele bequem gemacht:
Sprudelnde Gewinne auf der einen Seite, weitreichende Arbeitnehmerrechte auf
der anderen Seite, dazu in zahllosen Unternehmen eine ausgeprägte Konsenskultur,
ließen eine Komfortzone wachsen, in der Veränderungen heute bisweilen mehr als
Bedrohung denn als Chance wahrgenommen werden. Lieber der chinesische Fab-
rikarbeiter sein, der weiß, was er hat, auch wenn sein Leben öde ist als der Golok-
Nomade, der ja hinter dem nächsten Berg weniger gute Bedingungen vorfinden
könnte als gewohnt. Je größer die Komfortzone der Menschen in einem Unternehmen
ist, desto problematischer droht eine Veränderung im Zuge der Digitalisierung zu wer-
den. Sich dem Veränderungsdruck zu entziehen, dürfte indes so gut wie niemandem
gelingen. Dafür sind die Treiber der Veränderung zu mächtig und treten zu geballt auf,
wie bereits ein kurzer Blick auf den aktuellen Stand der Entwicklung offenbart.
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sich online stundenweise einen Smart zu reservieren, dann muss das Branchengrößen
wie Audi, BMW und Daimler sicherlich zu denken geben. Ebenso sollte es den Maschi-
nenbau nachdenklich machen, wenn eines Tages nicht mehr jedes Bauteil eine eigene
Maschine braucht, sondern ein »Drucker« nur jeweils mit anderer Software gefüttert
werden muss. Auch hätten RTL und Sat.1 vor 15 Jahren wohl noch nicht für möglich
gehalten, dass sich ihre Zuschauer (die Zielgruppe ihrer Werbekunden) eines Tages
zwischen Fernsehserien und von Amazon selbst produzierten und über die eigene
Webseite gestreamten Serien entscheiden können.
Markteintrittsbarrieren fallen heute rasant, oft braucht man kaum mehr als ein paar Ser-
ver, um einer Branche das Fürchten zu lehren. Der Fahrdienst Uber, in Deutschland vom
Gesetzgeber noch erfolgreich eingebremst, hat jedenfalls schon an vielen Orten der Welt
Massenproteste von Taxifahrern provoziert. Neue Wertschöpfungsketten entstehen,
etwa, wenn Telekommunikationsunternehmen sich mit Medizintechnikfirmen zusam-
mentun und an Ferndiagnose-Tools für Patienten arbeiten. Digitalisierungspioniere sind
durch das Aufklappen einer Rendite- und Produktivitätsschere im Vorteil gegenüber
zögernden Mitbewerbern. So rufen die notleidenden deutschen Kaufhauskonzerne nach
der Freigabe der Sonntagsöffnung, um »Waffengleichheit« mit dem Online-Handel herzu-
stellen, vergessen darüber jedoch gern, dass sie es viele Jahre lang versäumt haben, selbst
auf mehr als nur symbolische Weise im E-Commerce tätig zu werden.
Die Digitalisierung ist eine Veränderung, die alle Teile eines Unternehmens berührt.
Firmen stehen vor der Herausforderung, Strategien im Umgang mit disruptiven Ent-
wicklungen zu erarbeiten. Es kann jedoch gar nicht genug betont werden, dass die Ein-
flüsse der Digitalisierung in den Unternehmensprozessen am spürbarsten sind. Hier
sind die Herausforderungen für Veränderungen schon heute enorm und dürften sich
in den nächsten Jahren weiter massiv verstärken.
Da ist zunächst die Sensorisierung der Prozesse, d. h. das digitale Nachrüsten analo-
ger Prozessketten, zu nennen. Sensorisierte Komponenten, die beispielsweise in den
Antriebssystemen von Maschinen und Anlagen ständig Daten erfassen, schaffen die
grundlegenden Voraussetzungen für neue digitale Services, wie etwa Ferndiagnose
und Fernwartung. Das geht einher mit einem weiteren Ausbau von Automatisierung
und Robotisierung der Prozesse. Noch ist etwa die umstrittene Auftragsfertigung in
Handarbeit für Hardware-Riesen, wie Apple, HP oder Sony, günstiger als eine Automa-
tisierung und Robotisierung.
Der Auftragsfertiger Foxconn mit seinen 1,3 Millionen Mitarbeitern und einem Jahres-
umsatz von über 130 Milliarden Dollar wurde so zum Hidden Superchampion eines
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globalen Neo-Taylorismus. Das dürfte jedoch nicht für immer so bleiben. Je mehr
Robotik zum billigen Massenprodukt werden wird, desto weniger kann sich die Fer-
tigung von Hand in fernen Ländern noch lohnen. Amerikanische und europäische
Unternehmen könnten dann wieder mehr »zu Hause« produzieren, allerdings mit ganz
neuen Prozessketten und nicht unbedingt so, dass viele neue Arbeitsplätze entste-
hen. Die Supply Chain dürfte schrumpfen, wobei Technologien wie 3D-Druck diesen
Trend weiter anheizen.
Hinzukommen als nächste Trends die Vernetzung der Prozesse und das Entstehen
neuer Prozessketten (z. B. selbstfahrende Fahrzeuge als Verbindung von Automotive-
und Telekommunikationsprozessen). Wer wird beim selbstfahrenden Automobil das
Rennen machen? Die Schwergewichte der alten Industrie, wie Toyota, VW, Daimler?
Oder eher Apple, Google und Co., weil es auf die IT- und Prozesskompetenz mehr
ankommen wird und ausgereifte Fahrwerke auf dem Markt für alle verfügbar sind?
Tesla z. B. stellte mit dem Model S innerhalb nur weniger Jahre ein Fahrzeug auf die
Räder, das in puncto Qualität und Komfort mit Limousinen, wie Audi A6 oder der
BMW 5er-Reihe, auf Augenhöhe mithalten kann, mit Fahrzeugen also, hinter denen
Jahrzehnte an Entwicklungshistorie stehen. Angesichts der nur noch geringen Ferti-
gungstiefe bei Automobilen konnte sich Tesla die entsprechenden Komponenten auf
dem Weltmarkt zusammenkaufen und sie geschickt kombinieren. Das kundige Auge
entdeckt auch beim Model S von Tesla schnell Schalter und Komponenten, die mit der
deutschen Oberklasse identisch sind.
Andere Unternehmen sind etwa Vorreiter bei der Individualisierung von Produkten
und Dienstleistungen bis hin zur »Losgröße 1«. Die Frage eines Kunden nach einer
Farbspraydose in Wunschfarbe hätte noch vor 30 Jahren einen Lackierermeister
schallend lachen lassen. Heute gibt es das Produkt online für 15 EUR. Im Back-End bie-
ten Echtzeitanalysen, Prozesssimulationen und datengetriebene Prozessverhaltens-
vorhersagen ganz neue Möglichkeiten der Prozessoptimierung. Und das alles dürfte
erst der Anfang sein.
Es ist leicht, über die Prozesse der Zukunft zu philosophieren und dabei die Mitarbeiter
zu vergessen. Technologie dürfte noch für lange Zeit an das Zusammenspiel mit dem
Menschen gekoppelt sein. Wer die Menschen nicht »mitnimmt«, wird seine Technik-
Visionen kaum verwirklichen können. Der demografische Wandel macht es nicht ein-
mal ohne Weiteres möglich, ältere gegen jüngere Mitarbeiter zu ersetzen. Das wird so
nicht funktionieren, ganz abgesehen von der Frage, ob es ethisch vertretbar wäre. Die
meisten Unternehmen werden sich also mit den Auswirkungen der (Prozess-)Digitali-
sierung für ihre heutigen Mitarbeiter befassen müssen.
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Was wird aus Hilfskräften, wenn die letzten manuellen Tätigkeiten wegfallen und auto-
matisiert werden? Saugroboter z. B. wirken heute noch skurill, doch die ersten Autos
wurden um 1880 auch belächelt. Wie lange es noch Reinigungskräfte geben wird, ist
nicht gesagt. Neue Aufgabenfelder und neue Berufsbilder in den Unternehmen rich-
ten sich fast ausschließlich an Hochqualifizierte. Eine veränderte Arbeitsweise, wie
die Zunahme agiler Projektsteuerungsmethoden in der Produkt- und Prozessentwick-
lung, setzt dabei nicht nur einen hohen Bildungs- und Ausbildungsgrad voraus, son-
dern verlangt auch im höchsten Maße »Soft Skills«, wie Kommunikations- und Team-
fähigkeit.
Mit all diesen Entwicklungen einhergehend steigt der Veränderungsdruck auf Füh-
rungskräfte und Mitarbeiter stetig. Digitalisierungsbemühungen müssen vor allem
diesem Druck Rechnung tragen und spezielle Programme zur Organisations- und Mit-
arbeiterentwicklung installieren, um den Erfolg der Prozessdigitalisierung gewährleis-
ten zu können. Wo das gelingt, eröffnen sich ganz neue Chancen und Möglichkeiten.
Wer die Prozessebene beherrscht, der hat die Chance, Wertschöpfungsketten beinahe
beliebig zu rekombinieren und ganz neue Geschäftsfelder zu erschließen. Warum ist
das so?
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Nach innen liefern Prozessdaten Aufschluss über Engpässe, lassen den exakten Mate-
rialbedarf ermitteln und Lagerkosten reduzieren, geben Auskunft über zukünftiges
Prozessverhalten, erlauben, die Ausfallsicherheit von Maschinen zu bestimmen oder
die Wartung von Prozessen zu automatisieren. Ihr volles Potenzial entfalten Prozess-
daten dann, wenn in Echtzeit ablaufende Analysen Zusammenhänge in Daten herstel-
len können und es so ermöglichen, neue Einsichten in Daten zu gewinnen. Mithilfe
von Prozessdaten können nicht nur Muster und Strukturen in den Geschäftsprozes-
sen erkannt werden, sondern auch Entwicklungen, die Prozesse positiv oder negativ
beeinflussen, vorhergesagt und gesteuert werden.
In Kapitel 2.5 hatte ich bereits erwähnt, dass Unternehmen mit klarer Digitalisie-
rungsstrategie einen deutlichen Wettbewerbsvorteil besitzen, eine höhere Produkti-
vität erzielen und höhere Erträge ausweisen. Im Schnitt erwirtschaften diese Firmen
ca. 6 % mehr Umsatz, bei einem Produktivitätszuwachs von etwa 5 % pro Jahr.74 Das
kleine Einmaleins der Zinseszinsrechnung: Diese Unternehmen haben bereits nach
drei Jahren ein Fünftel mehr Umsatz erwirtschaftet als ihre Mitbewerber. Und das bei
jährlich steigender Produktivität in vergleichbarer Größenordnung. Diese Digitalisie-
rungsschere trennt aktive und abwartende Firmen recht schnell und kann damit rasch
zu einem existenziellen Problem für Nachzügler werden.
Viele »Digitalisierungsopfer« gibt es bereits heute. Ein prominentes Beispiel ist sicher
der Fotografie-Pionier Kodak, der in den 1970er Jahren mit einem Marktanteil von
über 90 % noch den Standard für eine ganze Industrie vorgab. Steven J. Sasson, der als
Kodak-Ingenieur die erste Digitalkamera erfand, beschrieb die Reaktion der Kodak-
Führung auf seine Erfindung so: »Das ist süß, aber erzähl keinem davon.«75 Kodak
befürchtete, dass die Digitalfotografie seine beiden Cash-Kühe – die chemische Fil-
mentwicklung und die Fotopapierherstellung, die seit Jahrzehnten dicke Profite ein-
fuhren – gefährden würde. Zwar wurde das Problem erkannt, aber die vorherrschende
Strategie war lange Zeit, den Vertrieb von Analogkameras weiter voranzutreiben. Erst
2003, als Kodak endgültig die Felle wegschwammen, wurde eine erste »Digitalstrate-
gie« erarbeitet. Die kam jedoch zu spät. 132 Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1880
musste Kodak 2012 Insolvenz anmelden.
81
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Ist Ihr Unternehmen auf die Prozessdigitalisierung vorbereitet? Wenn Sie diese Frage
beantworten wollen, finden Sie nachfolgend eine umfassende Checkliste, die in sechs
Dimensionen (Themenbereiche) aufgeteilt ist. Jeder Punkt eines Themenfeldes trifft
eine Aussage über den Zustand bzw. das Umfeld der Prozesse. Sie beurteilen jeweils,
in welchem Umfang die Aussagen für Sie zutreffen. Dabei werden pro Aussage zwi-
schen null und fünf Punkte vergeben.
trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Es sind für alle Prozesse Ziele definiert.
Tab. 3: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Ziele«; Quelle: Eigene
Darstellung
trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Es existiert eine Prozessorganisation, die für die Ent-
wicklung, Führung, Überwachung und Verbesserung der
Prozesse verantwortlich ist.
Für jeden Prozess existiert ein Prozessverantwortlicher.
Die Stellenbeschreibungen sind aus den Prozess-
beschreibungen abgeleitet.
Ein Chief Process Officer (oder Chief Digital Officer) ist
für alle Unternehmensprozesse und deren Digitalisierung
verantwortlich und vertritt diese als Teil der Geschäfts-
führung.
Aus den Prozessbeschreibungen werden alle notwendigen
Kompetenzen für alle Prozessbeteiligten abgeleitet.
Prozessbeteiligte werden gemäß den erforderlichen
Kompetenzanforderungen fachlich weiterentwickelt.
Das Management trifft Entscheidungen auf Basis
sorgfältiger Datenanalysen.
Es existiert ein zentrales Data Center, in dem die
Experten für Datenanalysen zusammengeführt werden.
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trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Prozesskennzahlen zur Leistungsmessung sind durchgän-
gig über alle Prozesse definiert, z. B. Process Scorecard
(PSC) je Prozess.
Die Zufriedenheit der Prozessbeteiligten – interne und
externe Kunden – wird regelmäßig gemessen.
Die Prozesskennzahlen sind Teil eines unternehmensweiten
Kennzahlensystems und werden von Prozessverantwort-
lichen, Controllern und Managern zur Überprüfung der
Unternehmensleistung herangezogen.
Prozesskennzahlen sind so definiert, dass sie Schwach-
stellen im Prozess aufzeigen.
Definierte Prozesskennzahlen sind Bestandteil des
Prozess-Reportings.
Abweichungen der Kennzahlen von den vorgegebenen
Zielwerten führen automatisch zu Überprüfungen und –
falls erforderlich – zu Prozessanpassungen.
Tab. 5: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Kennzahlen und Leistungs-
kontrolle«; Quelle: Eigene Darstellung
trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Das Unternehmen plant, entwickelt und vertreibt
digitale Produkte und Dienstleisungen.
Es existiert eine Digitalisierungsstrategie.
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trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Es existiert ein unternehmensweites Daten-Management
mit einer durchgängigen, am Prozess orientierten Datenbasis.
Es sind Datenanalysen- und Datenmodellierungs-
Fachkräfte im Unternehmen vorhanden.
Der Prozess ist vollständig automatisiert.
Für jeden Prozessschritt werden aussagefähige Daten
(Bearbeitungszeit, Toleranzen etc.) erzeugt und in einer
prozessübergreifenden Datenbank abgelegt.
Die erzeugten Daten werden von Data-Analytics-Program-
men analysiert und ausgewertet.
Der Prozess liefert für jeden Arbeitsschritt Echtzeitdaten.
Echtzeitdaten stehen Mitarbeitern und Kunden für
ihre Arbeit einfach und unkompliziert zur Verfügung
(z. B. Online Cockpit).
Jeder Prozessschritt dokumentiert verschiedene Daten über
den Verlauf und Zustand des Vorgangs (z. B. Temperatur,
Spannung, Toleranz, Bearbeitungszeit, Anfangszustand,
Endzustand etc.).
Es werden regelmäßig Prozesssimulationen durchgeführt,
die Rückschlüsse auf zukünftiges Prozessverhalten zulassen.
Dokumentierte Prozessdaten stehen jedem Unternehmens-
bereich zur Verfügung und sind über integrierte IT-Systeme
jederzeit in Echtzeit abrufbar.
Tab. 7: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Analytics«; Quelle: Eigene
Darstellung
trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 4 5
Die internen Prozesse sind vollständig automatisiert.
Interne Prozesse sind miteinander vernetzt und
tauschen in Echtzeit Informationen aus.
Die Leistungsprozesse sind in Echtzeit mit
Lieferanten- und Kundenprozessen verbunden.
Die IT-Systeme sind vollständig miteinander ingegriert;
Datenübertragungen laufen automatisch ohne
manuelles Zutun ab.
Die IT-Infrastruktur ist in der Lage, riesige Daten-
mengen in Echtzeit zu verwalten und auszuwerten.
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Digitalisierungs-
strategie
Vernetzung
Analytics (Prozesse/IT)
Governance
Kennzahlen und
Leistungskontrolle
Ziele
Referenzfläche
Mindestentwicklungsgrad
für Digitalisierungsvorhaben
Abb. 11: Mindestentwicklungsgrad der Prozesse für eine anschließende Digitalisierung (Referenzmo-
dell); Quelle: Eigene Darstellung
Dem hier verwendeten Modell liegt eine Nord-Süd-Orientierung zugrunde. Der Süden
steht für die erforderlichen Digitalisierungsvoraussetzungen. Diese werden durch
klassische Führungsaspekte wie Governance, Zielentwicklung und regelmäßiger
Leistungskontrolle repräsentiert. Ein reifer, gut entwickelter Süden bildet das Fun-
dament für die Prozessdigitalisierung. Der Norden wiederum steht für die zukünftige
Entwicklung und verbindet die Digitalisierungsstrategie mit den Analysefähigkeiten
(Analytics) und der Vernetzung von Prozessen und IT innerhalb und außerhalb der
Organisation. Eine erfolgreiche Prozessdigitalisierungsstrategie muss der gleichzeiti-
gen Entwicklung aller sechs Dimensionen Rechnung tragen, um sich Digitalisierungs-
vorteile umfassend nutzbar zu machen.
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Unternehmensvorteile
Wettbewerbsvorteile
Prozess-
autonomie
Predictive
Analytics
Prozess- Prescriptive
Analytics Analytics
Traditionelle Drill-Down
Prozesssicht „Slice and Dice
Alerts“
Standard- Modell- Modell-
und Ad-hoc- verhalten verhalten selbstheilend
bloße, ungefil- Reporting beschreiben vorhersagen selbstlernend
terte Daten
Fähigkeiten
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Stufe 6: Prozessautonomie
Der letzte Schritt in der Entwicklung hin zu intelligenten Prozessen stellt die Prozes-
sautonomie dar. Erst wenn ein Prozess in der Lage ist, Abweichungen in der Prozes-
sausführung eigenständig zu korrigieren (»Heilung«) und darüber hinaus selbststän-
dig Prozessverbesserungen zu unterziehen (»maschinelles Lernen«), kann ein Prozess
als »autonom« betrachtet werden (siehe dazu auch Kapitel 3.6).
Von der letzten Stufe, der Prozessautonomie, sind fast alle Unternehmen noch ein
großes Stück entfernt. Es sollte jedoch klar sein, dass dies das vorläufige Zielbild
der Entwicklung für viele Prozesse, wie z. B. Fertigungsprozesse, sein dürfte. Auch
sollte deutlich geworden sein, wie die einzelnen Stufen aufeinander aufbauen und
dass es kaum möglich ist, auf dem Weg zur Prozessautonomie eine der vorherigen
Stufen auszulassen.
Seit einigen Jahren erleben wir ständig neue Technologien und Methoden oder die
wesentliche Weiterentwicklung der bestehenden Praxis. Einen wichtigen Evoluti-
onsschritt hin zu intelligenten Prozessen stellt mittlerweile das sogenannte Process
Mining dar. Process Mining ist eine junge Disziplin im Umfeld des Data Minings und
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beschäftigt sich vorwiegend mit der Auswertung und Analyse von »Event Logs« (zen-
trale Sammlungen von Ereignisdaten) heutiger Informationssysteme.76 Abbildung 13
skizziert den grundlegenden Aufbau des Process Minings.
IT-Systeme
Log Data
Ereignisprotokolldaten
Prozessmodell
Abb. 13: Aufbau und Arbeitsweise des Process Minings; Quelle: Eigene Darstellung
Die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiches Process Mining ist die – zumindest teil-
weise – Abbildung der Geschäftsprozesse in IT-Systemen. Unvollständigkeit lässt sich
dabei zunehmend besser ausgleichen. Bestehende Analysewerkzeuge können bereits
heute aus rudimentären oder lückenhaft elektronisch erfassten Prozessen komplette
Prozessabläufe rekonstruieren und so Prozessmodelle erstellen.
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Erkennung
Ereignisprotokoll Modell
Erkennung: Aus den vorhandenen Daten der Verlaufsprotokolle
werden die darin enthaltenen Prozesse (re-)konstruiert.
Konformitätsprüfung
Erweiterung
Abb. 14: Verfahren des Process Minings; Quelle: In Anlehnung an BDEW (2016): Die digitale Energie-
wirtschaft, Berlin, S. 47 f., 51
Die bekannteste Ausprägung des Process Minings stellt die Prozesserkennung dar.
Event-Log-Daten werden aus den am Prozess beteiligten IT-Systemen als Eingabe-
werte aufgenommen, um aus ihnen das Prozessmodell abzuleiten. Diese Methode
wird typischerweise von Firmen verwendet, die kein existierendes Prozessmodell
vorweisen können oder sich ihrer tatsächlichen Prozessverläufe unsicher sind. In
der Übereinstimmungsprüfung erfolgt ein Abgleich mit dem bestehenden Prozess-
modell. Das Vorgehen hat diagnostischen Charakter, da es Abweichungen zwischen
dem tatsächlichen Prozessverlauf und dem erwarteten Prozessverhalten aufzeigt.
Abweichungskorrekturen stellen in der Regel bereits erste Prozessoptimierungen dar.
Process Mining liefert als Diagnosewerkzeug die Grundlage und Voraussetzung für
eine umfassende Prozessoptimierung und Prozessaktualisierung. Beschränkt sich die
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Perspektive Beschreibung
Kontrollfluss- Betrachtet die Abfolge der Aktivitäten, mit dem Ziel, die passen-
perspektive de Beschreibung für alle Ausführungspfade zu finden.
Organisations- Das Ziel ist die Aufdeckung der Organisationsstruktur und die
perspektive Beziehung der am Prozess teilnehmenden Akteure untereinander.
Obwohl Process Mining ein wichtiges Instrument in der Rekonstruktion und Optimie-
rung von Prozessen sein kann, trifft man immer wieder auf ähnlich gelagerte Prob-
leme, die eine Anwendung erschweren. Die größte Herausforderung stellt dabei das
Auffinden, Zusammenführen und Aufbereiten von Ereignisdaten dar. Typischerweise
sind Ereignisdaten über eine Vielzahl von Quellen verteilt. Die Verbindungen der
unterschiedlichen Daten zueinander müssen identifiziert werden. Dies ist nicht immer
ganz einfach, da sehr oft unterschiedliche Schlüsselfelder in verschiedenen Systemen
genutzt werden. Eine Person könnte in einem IT-System beispielsweise über ihre Sozi-
alversicherungsnummer und in einem anderen System über Name und Geburtsdatum
identifiziert werden.
Ebenso oft sind Ereignisdaten eher an Objekten ausgerichtet, als einem bestimm-
ten Prozess zugeordnet. Erst die Zuordnung der Objekte zu einem Prozess erlaubt
die Ereignis-Prozess-Allokation. Ein ganz typisches Beispiel dafür stellen RFID-Tags
dar, die einem Objekt – beispielsweise einem Paket – zugeordnet sind. Diese Technik
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ermöglicht es, jeden Gegenstand, der mit einem RFID-Transponder ausgestattet ist,
kontaktlos und eindeutig zu identifizieren. Ein Chip, der als Datenspeicher dient, kom-
muniziert hierzu über Funk mit einer Basiseinheit.77 Durch das RFID-Tagging ist das
Paket jederzeit im Logistikprozess auffindbar: Jedoch werden alle erzeugten Ereig-
nisse immer dem Objekt, also dem Paket und nicht dem Prozess zugewiesen. Erst das
Zusammenführen der verschiedenen Ereignisgruppen liefert Aufschluss über den Pro-
zess. Problematisch sind ebenfalls die oft unvollständigen Ereignisdaten, welche erst
durch Anreicherung ergänzender Daten für das Process Mining herangezogen werden
können. Vielfach liegen Ereignisdaten auch in unterschiedlicher Granularität vor, wie
unterschiedliche Zeitabstände, in denen Ereignisdaten aufgezeichnet werden.
In allen Fällen steigt die Ergebnisqualität mit der Qualität der implementierten Software
und der Ausgabequalität der Softwareprogramme in Event Logs. Wer Process Mining als
Analyse- und Optimierungswerkzeug einsetzen möchte, ist gut beraten, dies nicht als
Einmalprojekt zu sehen, sondern Softwareentwicklung und Prozessanalyse aufeinan-
der abzustimmen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Zur Vertiefung des Themas
empfehle ich das wegweisende Buch »Process Mining« von Will van der Aalst.79
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Elektr. Induktivität
Akustisches Signal
Umgebungsdruck
Elektr. Kapazität
Luftfeuchtigkeit
Messgrößen
Thermografie
Stromstärke
Physikal.
Umsetzungs-
Vibration
temperatur
widerstand
Isolations-
.......
Ausrüstung
Pumpe X X X X X X X
Ventil X X X
Ventilator/Motor X X X X X X
Wärmetauscher X X X X
Dampfturbine X X X X X
Elektr. u. elektronische X X X X X X X
Bauteile
Kabel X X X X X X
Pumpendichtung X X X X
Rohrleitungen X X
Kompressor X X X X
.....
Tab. 9: Beispiele für mechanische Bauteile und ihre mit Sensoren messbaren physikalischen Werte;
Quelle: Jahnke, Patrick (2015): Machine Learning Approaches for Failure Type Detection and Predic-
tive Maintenance, Diplomarbeit TU Darmstadt, S. 12: https://www.ke.tu-darmstadt.de/lehre/arbeiten/
master/2015/Jahnke_Patrick.pdf (Zugriff: 09.10.2016)
Auf die beschriebene Weise lassen sich für einzelne Bauteile oft schon unzählige Daten
gewinnen, die den physikalischen Zustand der Komponenten zu einem bestimmten
Zeitpunkt umfassend abbilden. Damit bekommt auch der zu diesem Zeitpunkt existie-
rende Prozess ein Gesicht. Auf diese Weise wird für datengetriebene Prozessmodelle
ein Datenkorridor entworfen, in dem idealtypische Prozessinstanzen störungs- und
fehlerfrei ablaufen können. Abweichungen im Datenkorridor lassen nun auf zukünf-
tige zu erwartende Veränderungen im Prozessverlauf, wie Störungen, Fehlverhalten,
Wartungsbedarfe und Engpässe, schließen.
Beispielsweise sind in Windrädern bis zu 600 Sensoren verbaut, die alle erdenklichen
Parameter messen. Diese immensen Datenmengen werden mithilfe von Software-
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Prozessverbesserung
ein verbessertes
Prozessergebnis
passieren?
Vergangenheit Zukunft
Datenpunkte Lernen
(Verbessern)
Datenkorridor
(Toleranz) Richtlinie
Richtwert
Was ist Was Was sollte Richtergebnis
passiert? passiert passieren?
gerade
jetzt?
Prozessverschlechterung
Heilen
Was würde/könnte
passieren?
Vorhersage
Abb. 16: Zusammenspiel Vorhersage, Heilung und Lernen; Quelle: Eigene Darstellung
Innerhalb eines – wie in Abbildung 16 für einen beliebigen Prozess dargestellten – Daten-
korridors müssen für jede Prozessinstanz laufend (also zu jedem Zeitpunkt in Echtzeit)
fünf maßgebliche Fragen beantwortet werden, um darauf reagieren zu können:
y »Was ist passiert?« gestattet die Einordnung des bisherigen Prozessverlaufs.
y Gemeinsam mit der Beantwortung von »Was passiert gerade im Augenblick?« kris-
tallisiert sich ein Bild für das vermutete künftige Verhalten heraus.
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Vor wenigen Jahren hätte das alles noch als Science-Fiction gegolten. Heute brauchen
Sie bloß an die aktuelle Entwicklung im Automobilbau hin zum autonomen Fahren
zu denken. Längst glänzen moderne Automobile durch unzählige Fahrerassistenzsys-
teme – von der automatischen Abstandsregelung (Adaptive Cruise Control) bis zum
Lenkeingriff beim Verlassen der Fahrspur –, die den Fahrer entlasten und die Sicherheit
erhöhen. Google entwickelt bereits seit Jahren sein »fahrerloses Fahrzeug« (Google
Driverless Car). Bereits im Mai 2015 hatte die Testflotte von Google mehr als 2,7 Millio-
nen Kilometer, davon 1,5 Millionen Kilometer ohne Fahrereinwirkung, zurückgelegt. 81
In diesen Fahrzeugen entscheiden Computeralgorithmen über die optimale Wegstre-
cke anhand von Verkehrsaufkommen, Gefahrensituationen, Fahrbahnbeschaffenheit,
Umweltfreundlichkeit und unzähligen weiteren Einflussfaktoren. Der Prozess (den
Fahrgast von A nach B zu bringen) wird laufend unter Einbeziehung von Telekommu-
nikations-, Telematik- und Verkehrsdaten (und den Prozessen, die diese Daten erzeu-
gen) optimiert und angepasst. Die dadurch resultierenden »Superprozesse« sind auf
eine Vernetzung der vorgenannten Prozesse zurückzuführen. Unsere Automobile wer-
den zu »Prozessen auf Rädern«. Die Zukunft hat längst begonnen.
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Haben Sie schon einmal eine Bergtour unternommen? Wenn ja, dann wissen Sie, dass
man sich besser nicht völlig gedankenlos in eine solche Unternehmung stürzen sollte.
Im Gebirge kann einen vom plötzlichen Wetterumschwung bis hin zum Bergsturz,
dessen Geröll einem unvorhergesehen den Weg versperrt, so manche Überraschung
erwarten. Vor jeder Bergtour machen Sie sich deshalb in der Regel erst einmal grund-
sätzliche Gedanken. Es gilt, Ihre Wünsche und Ihre Möglichkeiten in Einklang zu brin-
gen: Welche Bergregion wäre reizvoll? Was für ein Schwierigkeitsgrad ist realistisch?
Und wozu haben Sie und Ihre Familie oder Ihre Freunde überhaupt Lust? Im Unterneh-
men ist das beim Thema Prozesse ganz ähnlich. Je nachdem, wo Sie heute stehen,
werden Sie sich überlegen, welche Art von Prozessoptimierung Sie anstreben und was
für Sie realistisch ist? Auch stellt sich die Frage, wohin Sie und Ihre Mitarbeiter über-
haupt wollen, d. h., wozu Sie motiviert sind? Ohne Motivation kein Erfolg, weder im
Gebirge noch im Business.
Wenn ich Kunden oder Schulungsteilnehmer neu kennenlerne und sie frage, wo sie
mit ihren Geschäftsprozessen hinwollen, dann höre ich immer wieder einen Wunsch
heraus: möglichst schnell so »digital« wie möglich werden, ja, am besten gleich mit
den Vorreitern der Digitalisierung aufschließen. Die Digitalisierung wird kommen und
die Welt verändern, das ist für mich keine Frage. Aber sie ist im Moment auch ein Hype,
ein Goldrausch, bei dem jeder dabei sein will und bei dem viele glauben, sie könnten
das schnelle Geld verdienen. Letzteres ist jedoch meist ein Irrtum. Sicherlich bietet
die Digitalisierung eine Fülle von Chancen. Sie als Heilsbringer zu bejubeln, macht
jedoch blind. Der naheliegende Wunsch, möglichst schnell »digital« zu werden, führt
leider viel zu oft zu überstürztem Aktionismus und nicht zu ruhiger Überlegung und
sachlicher Konzeption. Das ist dann manchmal so, als ob ein Bergsteiger-Neuling sich
als erstes die Eiger-Nordwand vornehmen würde. Mehr Realismus ist nötig. Prozess-
optimierung kann immer nur da ansetzen, wo Sie mit Ihren Prozessen in Ihrem Unter-
nehmen heute stehen. Die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen, bedeutet wohl
für die wenigsten Unternehmen, gleich mit der Digitalisierung der Prozesse zu begin-
nen. Sondern für sehr viele bedeutet es, erst einmal ihre »analogen Hausaufgaben«
zu machen.
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Thorsten Dirks, von Oktober 2014 bis Dezember 2016 Vorstandsvorsitzender der Tele-
fónica Deutschland Holding AG, umschrieb diesen Umstand lakonisch mit folgenden
Worten:
Diese zugegebenermaßen derbe, aber wie ich finde sehr treffende Formulierung
unterstreicht die Bedeutung klassischer, analoger Prozessoptimierung. Diese ist in
den meisten Unternehmen die Voraussetzung der Digitalisierung. Analog ist das neue
Schwarz – mag die neue, bunte Welt der Digitalisierung noch so verlockend sein, so
kommen Sie doch an der klassischen Optimierung nicht vorbei. Sehen Sie das im Ide-
alfall als eine Chance, besser zu werden oder Versäumtes nachzuholen. Vor der eigent-
lichen Digitalisierung lassen sich Prozesse optimieren, kürzen oder sogar komplett
hinterfragen.
Wichtig
Es gilt der Grundsatz:
Digitalisierung wirkt als Treiber analoger Prozessoptimierung.
82 Thorsten Dirks hat dies anlässlich des SZ-Wirtschaftsgipfels am 19.11.2015 im Hotel Adlon in Berlin so
pointiert geäußert.
83 BDEW (2016): Die digitale Energiewirtschaft, Berlin, S. 47 f., www.bdew.de.
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Daraus ergeben sich jeweils völlig unterschiedliche Sichtweisen, wie sich durch eine
einfache Illustration (Abbildung 17) verdeutlichen lässt.
funktions- bzw.
bereichsorientierter
Digitalisierungsansatz
prozessorientierter
Digitalisierungsansatz
Wenn Sie mit Ihrer Familie oder Ihren Freunden über eine Bergtour nachdenken, dann
stellen Sie sich wohl in den seltensten Fällen die Frage: Wozu das Ganze?
Das bleibt eher unausgesprochen. Es wird vorausgesetzt, dass dazu jeder Teilneh-
mende schon seine eigene Antwort hat, denn sonst hätte er ja kein Interesse an der
Bergtour. Dabei wäre die Frage nach dem Wozu durchaus sinnvoll: Geht es um Erho-
lung und Freude? Um das intensive Naturerlebnis? Geht es um Sport? Um Gesundheit?
Oder um Abenteuer, Grenzerfahrung und Nervenkitzel? Sie werden eine Bergtour
anders angehen, je nachdem, welche dieser Möglichkeiten Sie antreibt.
Und wie steht es mit Ihrem Unternehmen? Interessieren Sie sich für Prozessoptimie-
rung, weil diese – angeblich – zu den unabdingbaren betriebswirtschaftlichen Not-
wendigkeiten gehört? Oder haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, warum
Sie sich eigentlich intensiv um Ihre Prozesse kümmern sollten?
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Die Existenzberechtigung eines jeglichen Unternehmens liegt darin, einen Nutzen für
seine Kunden zu stiften. Dieser Nutzen kann sowohl durch ein Produkt als auch durch
eine Dienstleistung entstehen. Der Kunde erfährt durch die Unternehmensleistun-
gen eine Wertsteigerung für sich selbst. Ein etwas archaisches Beispiel dafür ist der
Bauer, der seinen Weizen vom Müller veredeln lässt. Jedwede Form der Veredelung
und Wertsteigerung kann jedoch als wertschöpfend bezeichnet werden. Wenn ich mit
meiner Familie ins Kino gehe, dann haben wir für zwei Stunden eine schönere Zeit als
ohne Kinobesuch.
Ein gutes Hilfsmittel für das Auffinden wertschöpfender Aktivitäten ist eine mone-
täre Betrachtung: Der Kunde ist bereit, für wertschöpfende, d. h. für ihn persönlich
wertsteigernde Tätigkeiten zu bezahlen, nicht jedoch für nicht wertschöpfende Leis-
tungen (wie z. B. unnötige Zwischenlagerungen, Sortiervorgänge, vermeidbare Trans-
portschritte etc.). Diese nimmt er solange billigend in Kauf, bis es einem anderen
Unternehmen gelingt, Produkte und Dienstleistungen zu einem verbesserten Wert-
schöpfungsverhältnis – dem Verhältnis wertschöpfender zu nicht wertschöpfender
Leistungen im Unternehmen – anzubieten. Deutlich wird das etwa an den heute fast
ausschließlich anzutreffenden SB-Tankstellen. Kaum ein Kunde ist mehr bereit, für
das Befüllen des Tanks durch einen Tankwart mehr Geld zu zahlen als bei der Selbst-
bedienung. Die vordringlichste Aufgabe eines Unternehmens muss es stets sein, nicht
wertschöpfende Aktivitäten aufzudecken und soweit wie möglich zu eliminieren.
Leider haben zahlreiche Unternehmen diese Form der »Selbstreinigung« aus den
Augen verloren. Anders ist es nicht zu erklären, warum im Schnitt über alle Branchen
und Unternehmen hinweg gerade einmal ein Viertel der Unternehmensaktivitäten
direkt wertsteigernd ist (Abbildung 18). 84
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100 %
aller
Aktivitäten
25 %
45 %
20 % 10 %
Wertschöpfung Stützleistung Blindleistung Fehlleistung
(wertsteigernd) (indirekt wertsteigernd) (wertneutral) (wertmindernd)
Die Wertschöpfung ist letztlich der Maßstab für alles. Folgen wir allein dem Wert-
schöpfungsgedanken, so wäre ein Prozess eine Folge von Aktivitäten, deren Ergebnis
(Output) aus Kundensicht einen höheren Wert darstellt als die zu Beginn des Prozes-
ses zur Verfügung gestellten Ressourcen (Input). Unglücklicherweise werden nicht
alle Prozesse dieser rein wertorientierten Sichtweise gerecht, sondern ausschließlich
Geschäftsprozesse. Abbildung 19 stellt die entsprechenden Definitionen gegenüber.
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Prozess:
Besteht aus einer Folge von Aktivitäten, die aus definierten Eingaben
(Inputs) definierte Ergebnisse (Outputs) erzeugen (I – A – O)
Geschäftsprozess:
Besteht aus einer funktions- und organisationsübergreifenden Folge wert-
schöpfender Aktivitäten, die vom Kunden erwartete Leistungen
(Produkte) erzeugen.
Der Zweck von Geschäftsprozessen ist stets der werthaltige Bezug von Produkten
und Dienstleistungen durch den Kunden. Geschäftsprozesse zeichnen sich durch eine
Abfolge von verschiedenen Unternehmensprozessen aus, die solcherart eine Wert-
schöpfungskette bilden. Ausgangs- und Endpunkt eines Geschäftsprozesses ist dabei
stets der (externe) Kunde. Ein für mich sehr plakatives Beispiel bildet die Kundenbe-
ziehung beim Mobilfunk (siehe Abbildung 20). Jeder kennt die Abfolge einer solchen
Wertschöpfungskette, von der Beratung über den Abschluss des Vertrags bis zur
Bezahlung per monatlicher Rechnung.
Wertschöpfungskette (Geschäftsprozess)
Abb. 20: Wertschöpfungskette Beratung, Abschluss eines Mobilfunkvertrags bis Bezahlung der Tele-
fonie; Quelle: Eigene Darstellung
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Ein Kunde wird für gewöhnlich zuerst eine Beratung (1) in Anspruch nehmen, bevor
er den Mobilfunkvertrag abschließt (2). Anschließend wird der Netzbetreiber für eine
Aktivierung des Kundenkontos (3) in seinem Netz sorgen, worauf der Kunde in die
Lage versetzt wird, Telefonie- und Datendienste (4) aktiv zu nutzen. Schließlich geht
ihm am Monatsende eine Rechnung (5) über die in Anspruch genommenen Leistungen
zu. Jeder dieser fünf Abschnitte stellt nun für sich genommen einen eigenständigen
Prozess dar. Die Verkettung dieser Prozesse führt zur Wertschöpfung, die das Unter-
nehmen seinen Kunden bietet und bildet somit einen Geschäftsprozess. Man spricht
hier auch von einem End-to-End- (E2E) oder Kunde-zu-Kunde- (C2C-)Prozess. Der
Kunde löst den Prozess (Beratung) aus, bevor er am Ende das Ergebnis des Prozesses
(Abrechnung) erhält.
101
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Eine kurze Definition der drei Prozessarten sieht wie folgt aus:
y Strategieprozesse beschreiben die für die strategische und betriebswirtschaft-
liche Steuerung relevanten Prozesse und dienen ausschließlich der Führung des
Unternehmens.
y Operative Prozesse umfassen alle Aktivitäten, die direkt an der Wertschöpfungs-
kette beteiligt sind. Diese Prozesse sind zumeist durch den direkten Kontakt zum
Kunden (in der Regel Endkunden) gekennzeichnet und prägen den externen Auf-
tritt des Unternehmens.
y Supportprozesse sind indirekt an der Wertschöpfung beteiligt und haben unter-
stützenden und vorwiegend intern orientierten Charakter.
So hilfreich solche Klassifizierungen sein können, so sehr verführen sie auf der anderen
Seite auch dazu, falsche Priorisierungen vorzunehmen. Fast jedes zweite Unternehmen
begeht den Kardinalfehler, sich vorwiegend auf das Management und die Verbesserung
wertschöpfender (operativer) Geschäftsprozesse zu konzentrieren.85 Diese Unterneh-
men handeln langfristig gesehen fahrlässig. Support- und Strategieprozesse benötigen
stets angemessene Berücksichtigung, decken sie doch für das Unternehmen überle-
benswichtige Funktionen ab. Beispielsweise führen operative Prozesse ohne pünkt-
liche Bereitstellung von Ressourcen zu höheren Kosten. So besteht das Risiko, hinter
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Die Prozessvielfalt nimmt mit der Unternehmensgröße rapide zu. Dass Unternehmen
mehrere hundert Prozesse verwalten müssen, ist keine Seltenheit. Ein Automobil-
konzern, wie z. B. Volkswagen, mit weltweit über einer halben Million Beschäftigten,
muss sich in seinem Betriebsalltag mit Zigtausenden Prozessen und Teilprozessen
herumschlagen. Kein Wunder also, dass Organisationen in diesem Prozessdschungel
leicht die Übersicht verlieren können. Abhilfe schafft hier die Einführung einer unter-
nehmensweiten Prozesslandkarte, in welcher alle im Unternehmen beheimateten
Prozesse kartografiert werden.
Um auch für große Unternehmen praktikabel zu sein und Hunderte von Prozessen
aufnehmen zu können, muss eine Prozesslandkarte in der Lage sein, Details zuguns-
ten einer verbesserten Übersicht zusammenzufassen bzw. notwendige Details zulas-
ten der Übersicht nach Bedarf preiszugeben (siehe Abbildung 22). Eine Straßenkarte –
egal, ob auf Papier oder auf dem Navi-Display – zeigt auch nicht jedes Haus, sondern
(nur) das, was Autofahrer zur Orientierung brauchen.
zunehmender Detaillierungsgrad
zunehmende Übersicht
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Geschäftsprozess
Prozesse
Teilprozesse
Aktivitäten
1. Führungsprozesse
Lieferant
Lieferant
Strategische Führungsprozesse
1.1 Strategie- 1.2 Organisations- 1.3 Unternehmens- 1.4 Investor 1.5 Partner-
entwicklung entwicklung planung Relations Management
Operative Führungsprozesse
|
1.6 Controlling 1.7 Budget- 1.8 Personal- 1.9 Qualität 1.10 Risiko- 1.11 Interne
Mitarbeiter
Mitarbeiter
2. Leistungsprozesse
Kundengewinnung / Kundenbindung
2.1 Akquise 2.2 Beratung 2.3 Angebot 2.4 Bestellung 2.5 After Sales
|
Management
Eigentümer
Eigentümer
Produkt- / Leistungsinnovation
2.6 Forschung 2.7 Produkt- 2.8 Individual- 2.9 Entwicklung
und Entwicklung entwicklung entwicklung Serviceprodukte
Leistungserbringung
2.13 Inbetrieb- 2.14 Reparatur 2.15 Dienst- &
|
2.10 Herstellung 2.11 Montage 2.12 Versand nahme und Wartung Serviceleistung
Markt
Markt
3. Unterstützungsprozesse
3.1 Marketing 3.2 Beschaffung 3.3 Personalakquise 3.4 Finanz- & 3.5 ITK-Support
|
Kunde
3.6 Interne Wartung 3.7 Arbeitsunterhalt 3.8 Facility 3.9 Legal Support / 3.10 Akademie
und Unterhalt & Gesundheitsschutz Management Patente
Abb. 24: Prozesslandkarte für ein imaginäres Maschinenbauunternehmen; Quelle: Eigene Darstellung
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Mittlerweile existiert eine Vielzahl mächtiger Prozesswerkzeuge, die bei der Erstellung
und Navigation einer Prozesslandkarte unterstützen. Bei großen Unternehmen kann
die Komplexität durch bereichsspezifische (anstelle unternehmensspezifischer) Pro-
zesslandkarten deutlich reduziert werden.
Wenn Sie eine Straße sich selbst überlassen, haben Sie dann für immer dieselbe
Straße? Nein, denn die Natur erobert sie sich zurück. Ganz langsam, Stück für Stück,
zunächst fast unmerklich, wächst die Straße zu, am Ende so, dass Sie den Asphalt
kaum mehr erkennen werden. Auch Prozesse entwickeln sich immer. Ab dem Moment
ihrer Inbetriebnahme verändern sie sich, auch ganz ohne bewusstes Zutun der Orga-
nisation. Mitarbeiter kommen und gehen, neue Software wird installiert, alte Gebäude
werden verlassen und neue bezogen – all das und noch vieles mehr bleibt nicht ohne
Auswirkung auf die Prozesse. Letztlich folgen auch Prozesse lediglich einem physika-
lischen Grundprinzip, dem Entropiegesetz: Die »Unordnung« (Entropie) in einem Sys-
tem nimmt mit der Zeit unaufhaltsam zu. Mit anderen Worten: Ohne kontinuierliche
Prozesspflege neigen Prozesse stets dazu, sich zu verschlechtern. Für den Alltagsver-
stand ist das eigentlich kaum überraschend. Denken sie nur einmal an Ihr Zuhause:
Wenn sie wochenlang nicht aufräumen und saubermachen, wird es Ihnen nur noch
wenig Freude bereiten, nach Hause zu kommen. Obwohl dieser Zusammenhang
eigentlich jedem klar ist, treffe ich in Organisationen immer wieder auf den Irrglau-
ben, dass einmal aufgesetzte Prozesse unverändert ablaufen und sozusagen stramm
»ihren Dienst tun«. Das genaue Gegenteil ist der Fall! Ohne institutionalisierte Prozess-
pflege verändern sich Prozesse auf vielschichtige Weise. Die Einflussfaktoren können
dabei in vier wesentliche Gruppen unterteilt werden: menschliche, technologische,
organisatorische und mechanische Einflüsse (siehe Abbildung 25).
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Prozesse
* Einführung neuer Produkte längere Wegzeiten *
* Änderungen in zuliefernden (z. B. Materialbeschaffung)
und nachfolgenden Prozessen Verschleiß *
* Zukäufe, Unternehmensfusionen, ... *
Harmonisierungsbestrebungen
* Neue Arbeitsanweisungen bzw.
Änderung von Arbeitsanweisungen
* ...
Abb. 25: Einfluss- und Veränderungsfaktoren für Prozesse; Quelle: Eigene Darstellung
Überlässt man Prozesse durch Nichtstun sich selbst, fehlen also sämtliche geplanten
Prozessverbesserungen, spricht man auch von der »Nulloption«. Die Nulloption bildet
die Ausgangsbasis, anhand derer andere Optionen qualifiziert werden können. Der
Unterschied zwischen der »Nulloption« und einer Verbesserungsmaßnahme ist dann
der Nutzen, den diese Investition erbringen kann (siehe Abbildung 26). 86
Prozesswertbeitrag
Verbesserungs-
maßnahme
Wertsteigerung
der Verbesserung „Nutzen“
Wertverlust
bei Nulloption
Nulloption
Zeit
Implementierungszeitpunkt
Abb. 26: Nulloption und Nutzenbewertung: Was bringt eine Prozessverbesserung?; Quelle: Eigene
Darstellung
86 In Anlehnung an OGC (2009): PRINCE2, Erfolgreiche Projekte managen mit PRINCE2, Norwich, S. 28.
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Abbildung 27 illustriert die Auswirkungen der unterschiedlichen Ansätze auf die Pro-
zessleistung und weist auf die für jede Methode empfehlenswerte Steuerungsoption
hin (Basis, Management, Vorstand).
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Kontinuierliche Process-
Prozessverbesserung Prozessoptimierung Reengineering
Prozessleistung
Prozessleistung
Prozessleistung
Zeit Zeit Zeit
Aufwand
Risiko
Abb. 27: Unterschiedliche Ansätze der Prozessentwicklung; Quelle: In Anlehnung an Becker, Torsten
(2008): Prozesse in Produktion und Supply Chain optimieren, Springer-Verlag, Heidelberg, S. 21
Je nachdem, ob Prozesse sanft, energisch oder radikal verändert werden, spricht man
von kontinuierlicher Prozessverbesserung, Prozessoptimierung oder Prozess-Reengi-
neering:
Kontinuierliche Prozessverbesserung
Im Rahmen kontinuierlicher Prozessverbesserungen werden zahlreiche kleine Ver-
besserungsmaßnahmen nacheinander angestoßen. Typischerweise sind viele der
am Prozess beteiligten Mitarbeiter, unabhängig von ihrer Rolle und Stellung im Unter-
nehmen, in die schrittweise Umsetzung der Verbesserungen eingebunden (z. B. Six-
Sigma-Teams). Getrieben werden diese schrittweisen Veränderungen oftmals durch
die Unternehmensbasis.
Prozessoptimierung
Meist handelt es sich dabei um größere Projektvorhaben, die eine intensivere Betreu-
ung und Beaufsichtigung durch das mittlere Management in Unternehmen notwendig
machen und oft zu sprunghaften Verbesserungen bestehender Prozesse führen. Die
Umsetzung der Maßnahmen erfolgt hierbei vielfach in Projektteams unter der Leitung
eines routinierten Prozessexperten.
Prozess-Reengineering
Das Reengineering der Prozesse stellt wohl die dramatischste und risikoreichste Form
der Prozessentwicklung dar. Am grünen Tisch87 werden die Prozesse mit dem Ziel neu
87 Der grüne Tisch ist in der Praxis ein geläufiges Synonym dafür, von vorn (neu) zu beginnen: https://
de.wikipedia.org/wiki/Grüner_Tisch (Zugriff: 09.11.2016).
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Auf den weiteren Seiten dieses Buches werde ich meine Aufmerksamkeit vorwiegend
einem universell anwendbaren Vorgehen zur Prozessoptimierung und der Vorberei-
tung zur Digitalisierung widmen.
Mein Beratungsalltag führt mich auch regelmäßig in Unternehmen, in denen ein eher
unglückliches Verständnis von Prozessmanagement vorherrscht. Diese Organisatio-
nen stellen die Ausführung, Verwaltung und Kontrolle von Prozessen in den Vorder-
grund und zeichnen sich meist durch eine formalistische Herangehensweise aus. Pro-
zessoptimierung genießt dort nachrangigen Stellenwert.
Für mich ist Prozessoptimierung jedoch der entscheidende Schlüssel zum erfolgrei-
chen Prozessmanagement. Ich halte es da wie die Kollegen Schmelzer und Sessel-
mann, die den Stellenwert der Prozessoptimierung in ihrem ausführlichen Werk zum
Prozessmanagement sehr treffend formulieren:
Mit anderen Worten: Es ist die Aufgabe des Prozessmanagements, den Rahmen und
die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Verbesserung und Optimierung der
Geschäftsprozesse zu schaffen. Dabei hat es sich bewährt, Prozessmanagement in
vier Kernbereiche zu organisieren: Prozessführung, Prozessorganisation, Prozess-
Controlling und Prozessoptimierung (siehe Abbildung 28).
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Geschäftsprozesse
Prozessoptimierung
Das Hauptaugenmerk des Prozess-Controllings liegt auf der Planung der Prozessziele
sowie der Kontrolle und Steuerung der Zielerreichung. Unterstützend fallen Informati-
onsbeschaffung und -verteilung in das Aufgabenportfolio des Prozess-Controllings. 89
Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen – leider gerne began-
genen – Kardinalfehler der Prozessoptimierung lenken. In der Beurteilung von Opti-
mierungsmaßnahmen werden vielfach Entscheidungen auf Basis reiner Maßnah-
meneffizienz getroffen. Diese einseitige Sichtweise führt meist nicht zu nachhaltigen
und somit zukunftsfähigen Prozessverbesserungen. Es ist entscheidend, die Optimie-
rungsmaßnahmen auch nach ihrer Effektivität zu beurteilen (siehe Abbildung 29).
Zum besseren Verständnis gebe ich ein einfaches Beispiel. Es ist möglich, die Prozess-
kosten durch Stellenabbau von Mitarbeitern zu reduzieren und so Einsparungsziele
zu realisieren. Jedoch könnte durch den Stellenabbau entscheidendes Prozess- und
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Fachwissen verloren gehen, welches zu einem späteren Zeitpunkt wieder extern ein-
gekauft werden müsste oder im schlimmsten Fall zu regelmäßigen Prozessbeeinträch-
tigungen führen könnte, die das Unternehmensergebnis nachteilig beeinflussen. Die
Maßnahme in diesem Beispiel wäre zwar effizient, da die finanziellen Ziele (Einspa-
rung) erreicht werden, aber nicht nachhaltig (also effektiv) wirksam.
effektiv
Fokusgebiet
Prozessergebnis
wirkt nachhaltig
und wird mit
minimal möglichem
Einsatz erzeugt
Zu jeder guten Reise gehört eine umsichtige Routenplanung. Führt die Route noch
dazu in unbekanntes Terrain, gewinnt eine gewissenhafte Vorbereitung umso mehr an
Bedeutung. Wir können digitale Werkzeuge nur dann für eine erfolgreiche Unterstüt-
zung der Prozessoptimierung einsetzen, wenn bereits während der Prozessdigitalisie-
rung die notwendigen Voraussetzungen dazu geschaffen werden.
Dafür ist es notwendig, sich neben der Transparenz über Prozessverläufe und Prozess-
verbesserungen ebenso über Art und Orte der Datengewinnung, die Schaffung von
Datenanalysefähigkeiten und neuen Berufsbildern (Rollen im Unternehmen) Gedan-
ken zu machen.
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1.1 1.2 1.3 1.4 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3
Datenauswertungsfähigkeiten
Datenbestand schaffen
Digitalisierungskonzept
Automatisierung &
Echtzeitergebnisse
Robotisierung
Vorhersagen
Transparenz
Analyse
Abb. 30: Schritte in die Entwicklung digitaler Prozesse; Quelle: Eigene Darstellung
Wenn auch auf den ersten Blick der Eindruck entstehen könnte, irgendwann den
Zustand einer 100-prozentigen Digitalisierung zu erreichen, so ist nicht davon auszu-
gehen, dass dies jemals der Fall sein wird. Bedenken Sie nur, was eine solch umfas-
sende Digitalisierung bedeuten würde: Prozesse, die lückenlos automatisiert ablau-
fen, autonome Entscheidungen treffen und sich selbstständig warten und verbessern,
keine Einbindung spärlich und lückenhaft datenproduzierender Menschen in den
Prozessablauf mehr, einschließlich der Entscheidungsträger in Unternehmen. Es ist
nach Expertenschätzungen davon auszugehen, dass die höchste Digitalisierungsrate
bei operativen Prozessen (mit bis zu 80 %) vor Unterstützungsprozessen (40–60 %)
erzielt werden können. Führungsprozesse werden auch zukünftig die höchste Digi-
talisierungsresistenz aufweisen. Zumeist handelt es sich bei Führungsprozessen um
strategische Entscheidungsprozesse, die mittels kreativer Lösungsfindungen auf eine
immer veränderliche Markt-, Wettbewerbs- und Unternehmenssituation reagieren
müssen und daher auch in Zukunft schwer (er-)fassbar bleiben.
Die analoge Prozessentwicklung (siehe Schritte 1.1–1.3 in Abbildung 30) bildet das
Fundament für die Digitalisierung und umfasst drei elementare Schritte. In Phase 2
wird mit der Erstellung eines Digitalisierungskonzepts der Übergang zu digitalen Pro-
zessen eingeleitet. Nach Schaffung der notwendigen Datenanalyse- und -verarbei-
tungsfähigkeiten beginnt mit Phase 3 eine stark durch datengetriebene Einsichten
gestützte digitale Prozessentwicklung, deren Ziel weitestgehende Prozessautonomie
sein sollte.
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Prozess-Triagen werden nicht nur für die Automatisierung von Prozessen heran-
gezogen. Immer dann, wenn wenige komplexere und zeitfressende Vorgänge die
Hauptmasse der Prozessbearbeitung verzögern, rechtfertigt sich der Einsatz einer
Prozess-Triage.
Die Fähigkeit, eine Vielzahl von verschiedensten Daten aus den unterschiedlichsten
Quellen mit geringstmöglichen Latenz-Zeiten (siehe Kapitel 8.3.1) zu erheben, verar-
beiten und auszuwerten, bildet die Grundlage für den nächsten Entwicklungsschritt,
Prozessvorhersagen auf Basis aktuell vorherrschender Prozesszustände zu entwickeln.
90 Für mehr Informationen siehe auch Davenport, Thomas (2014): big data @ work: Chancen erkennen,
Risiken verstehen, Vahlen Verlag, München.
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Bei einer Bergtour benötigt man, je nach Schwierigkeitsgrad, die passende Ausrüs-
tung. Schon wenn es nicht nur über Wanderwege, sondern auch über Klettersteige
geht, sollte man sich dazu vor dem Aufbruch Gedanken machen. Neben geeigneten
Schuhen gehören dann z. B. Helm, Klettergurt, Bandschlinge und Karabiner in den
Rucksack. Auch die Prozessanalyse kennt ihre üblichen und bewährten Werkzeuge.
Man hüte sich davor, nur nach dem »Neuesten« zu suchen. Für Bergsteiger ist ein Helm
auch nichts Neues – und dennoch unverzichtbar.
Die ABC-Analyse gehört zur Grundausstattung in der Prozessanalyse und hilft dabei,
die richtigen Prioritäten zu setzen. Eine ABC-Analyse zeigt, wo sich besonderes Enga-
gement lohnt und wo durchschnittliche Bemühungen ausreichen. Hinter der Methode
steckt der Grundgedanke, dass bereits ein relativ kleiner Ressourceneinsatz verhält-
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nismäßig hohen Anteil am Erfolg trägt. Die Methodik lässt sich auf alles Zählbare
anwenden. Darunter fallen u. a. Umsatz und Deckungsbeitrag genauso wie Stück-
zahl, Transaktionen, Bearbeitungszeit oder Arbeitsaufwand. Es existiert sicher vieles
mehr, was man noch zählen könnte. In den meisten Fällen reichen die vorgenannten
Zählgrößen jedoch völlig aus. Beispielsweise legt die Optimierung von Prozessdurch-
laufzeiten eine Segmentierung der verschiedenen Vorgänge (Prozessfälle) nach ihrer
Häufigkeit nahe (siehe Abbildung 31).
Prozent
100
95 C
B
80
50
Vorgangsarten
Abb. 31: ABC-Analyse (Prozessbeitrag nach Vorgangsart); Quelle: Eigene Darstellung
Die ABC-Analyse liefert nun die Möglichkeit, den Prozess auf den Standardfall anzu-
passen und komplizierte bzw. Sonderfälle in einem separaten Prozess mit ggf. ande-
ren Ablauforganisationen und Entscheidungswegen zusammenzufassen.
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Die Idee der Prozess-Triage stammt aus dem Werkzeugkasten des auf Hammer und
Champy zurückgehenden Prozess-Reengineerings.91 Zumeist hat ein Prozess die Auf-
gabe, eine bestimmte Variantenvielfalt abzudecken. Je größer die Vielfalt auftreten-
der Prozessvorgänge, desto unübersichtlicher wird der Prozess und umso schwieriger
gestaltet sich eine standardisierte Prozessausführung. Zur Vereinfachung solcher Pro-
zesse dient die Prozess-Triage. Ein Prozess kann nach drei Dimensionen segmentiert
werden: Funktion, Komplexität und Kundengruppe (siehe Abbildung 32).
funktionale
Vertrieb Produktion Lieferung Fakturierung
Triage
Standardfälle
Komplexitäts-
komplexe Fälle
Triage
Sonderfälle
Privatkunden
Kunden-
Triage
Geschäftskunden
Ein Beispiel ist der Kreditvergabeprozess bei Sparkassen oder kleinen Genossen-
schaftsbanken. Den Löwenanteil der Kreditanträge machen hier einfache Verbrau-
91 Hammer/Champy: Prozess Reengineering (2003): Die Radikalkur für das Unternehmen, Campus Verlag,
Frankfurt am Main.
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cherkredite als Standardfälle aus, bei denen der Antragsteller ein in Vollzeit beschäf-
tigter Arbeitnehmer ist. Deren Bearbeitung wird jedoch durch nicht dem Standard
entsprechende Kreditanträge – etwa von Freiberuflern oder Arbeitslosen – ausge-
bremst. Die Standardfälle können nun in einem dedizierten Prozess durch weisungs-
gebundene Sachbearbeiter bearbeitet werden, wobei diese heute bereits stark von
Software-Algorithmen unterstützt werden. Sonderfälle und komplexere Kreditan-
träge bekommen einen separaten Prozess, in welchem z. B. ein »Case-Team« mit gro-
ßer Weisungsfreiheit die Fälle abarbeitet.
Prozesse: Für jeden Prozess sind hier die geplanten Messpunkte und die dort erho-
benen Daten aufzulisten. Datenliefernde Messpunkte bilden Sensoren, Soft- und
Hardware (Server, Roboter, Maschinen etc.), Netzwerke und manuelle Eingaben. Als
hilfreich haben sich hier auch die Visualisierung und die Verortung der Messpunkte
herausgestellt. Ergänzend sollte für jeden Prozess noch die korrespondierende Ablau-
forganisation dargestellt werden.
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Datenschutz: Darunter fallen die Konzeption eines Rollen- und Rechtekonzepts sowie
erforderliche technische und organisatorische Maßnahmen.
IT-Sicherheit: Hier sind alle für die Sicherheit der Hard- und Software-Infrastrukturen
geplanten Maßnahmen zu dokumentieren.
Mit den oben genannten Punkten haben Sie nun praktisch bereits ein Inhaltsverzeich-
nis für Ihr Digitalisierungskonzept. Die eigentliche Prozessarbeit kann nun bald begin-
nen. Doch sie sollte gut vorbereitet sein.
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Egal, ob Sie nur eine leichte Wanderung im Gebirge planen oder richtig Bergsteigen
wollen – immer gibt es einiges vorzubereiten. Das fängt mit Banalitäten an, wie etwa
Urlaub zu nehmen oder auf Google Maps nach einem geeigneten Parkplatz zu suchen,
von dem aus Sie starten können. Es geht weiter damit, die Ausrüstung zusammenzu-
stellen und den Rucksack zu packen. Und es endet bei anspruchsvollen Touren viel-
leicht mit der Frage, ob Sie einen Bergführer mitnehmen wollen, sei es jemand aus
dem Bekanntenkreis oder ein Profi. Bei der Prozessarbeit ist es ähnlich. Die Vorberei-
tung fängt mit banalen Dingen an, die dennoch beachtet sein wollen.
Idealerweise rekrutieren sich Anwärter auf den Job des Prozessberaters nicht aus
dem Kader der an der Prozessausführung beteiligten Akteure (Sachbearbeiter, Fach-
experten, Prozessverantwortliche, Führungskräfte), obschon häufig reflexartig nach
Kandidaten mit ausgemachtem Prozessfachwissen gesucht wird. Da dieser Personen-
kreis jedoch in der Regel auch für den Zustand des Prozesses, seine Ergebnisse und
Leistungsfähigkeit mitverantwortlich ist, herrscht typischerweise eine Befangenheit
vor, die den weiteren Verlauf nachteilig beeinträchtigen kann. Einmal angenommen,
Sie und Ihre Mitarbeiter sind mit dem Gebäude, in dem Sie arbeiten, total unzufrieden.
Insbesondere die Raumaufteilung ist absolut unbefriedigend. Würden Sie mit einem
Umbau denselben Architekten beauftragen, der das Gebäude errichtet hat? Erst ein-
mal scheint das nahezuliegen, denn dieser Architekt kennt das Gebäude schließlich
am besten. Aber könnte er nicht seine ursprüngliche Planung insgeheim verteidigen
und deshalb vielleicht weniger radikal umbauen, als Sie sich das wünschen?
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In der Analysephase der Prozesse kann eine zu starke persönliche Einbindung in den
operativen Prozessalltag zu Voreingenommenheit führen, die bestimmte Sichtwei-
sen und Erkenntnisse bewusst oder unbewusst ausschließt. Darüber hinaus kann ich
bei Prozessbeteiligten immer wieder eine deutlich höhere Grundemotionalität fest-
stellen, die sich aus dem variierenden Grad der Betroffenheit bei unterschiedlichen
Verbesserungsmaßnahmen speist. Immer wieder neigen Teilnehmer dazu, sich in
für ihren Arbeitsalltag vermeintlich »bequemen« Lösungen festzubeißen und davon
abweichende Lösungsvorschläge (selbst wenn sie für den Prozess und dass Unterneh-
men die deutlich bessere Variante darstellen) vehement abzulehnen (und in manchen
Fällen sogar aktiv zu bekämpfen).
Hinzu kommt, dass die tagtägliche Prozessnähe nicht immer den notwendigen Abstand
für einen differenzierten Blick auf den Gesamtprozess bietet. Das kann dazu führen,
dass vertrautes Prozessverhalten nicht mehr hinterfragt wird. Häufig führt dies zu einer
gewissen Betriebsblindheit bzw. zu »blinden Flecken« in der Prozessanalyse.
Deshalb stellt für mich die Unbefangenheit bzw. das Fehlen einer gemeinsamen Vergan-
genheit in der Prozessausführung und -abwicklung das wichtigste Auswahlkriterium
für den Prozessberater dar und wiegt fehlende Fach- und Prozessexpertise am Ende
locker auf. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass gute Prozessberater ausschließlich
außerhalb des Unternehmens, also als Firmenfremde, zu finden sind. Vielmehr wären
interne Prozessberater, die im Rahmen ihrer Tätigkeit für eine zentral organisierte Pro-
zessorganisation regelmäßig die Weiterentwicklung und Optimierung von Prozessen
unterstützen, sicherlich als vorteilhafteste Lösung anzusehen. Existiert eine zentrale
Prozessorganisation nicht, würde die Abstellung eines Prozessberaters aus einem ande-
ren Unternehmensbereich für die notwendige Unbefangenheit sorgen.
Mittlerweile reicht fundiertes Fachwissen über die Analyse, Visualisierung und das
Management von Prozessen schon lange nicht mehr aus. Zur notwendigen Fachkunde
und zum Kommunikationsgeschick eines Prozessberaters gesellen sich die Anforde-
rungen, Veränderungsvorhaben in Projekte zu überführen und Verhaltensänderun-
gen zu begleiten. Neuerdings machen Anforderungen im Zuge der »Industrie 4.0« das
Prozessmanagement zu einem immer facettenreicheren interdisziplinären Feld. Nun
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analyse und
-visualisierung
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Dig ten-
Da
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Datens
Werkzeuge sind immer nur so gut wie der Mensch, der sie benutzt. Das hat schon man-
cher Heimwerker schmerzhaft erfahren müssen, der glaubte, mit den echten Profi-Werk-
zeugen aus dem Baumarkt würde die Renovierung zum Kinderspiel. Doch die teuerste
Bohrmaschine allein macht noch keinen guten Handwerker. Genauso wenig, wie Sie
ein besserer Autofahrer werden, wenn Sie sich einen Lamborghini kaufen. So gut oder
schlecht, wie Sie Ihren Kombi fahren, werden Sie auch den Supersportwagen fahren.
Regelmäßig wird mir in Unternehmen bereits lange vor Beginn der eigentlichen Pro-
zessanalyse die Frage nach dem besten Prozess-Tool gestellt. Dieser in Unternehmen
stark ausgeprägte Reflex entspringt einem Bedürfnis, vorherrschende Informations-,
Koordinations- und Führungsdefizite und die daraus resultierenden Probleme einfach
mittels Einsatz besserer Software auszugleichen. Software-Tools sind nur leider das
für die Lösung solcher Probleme denkbar ungeeignetste Medium.
In den meisten Fällen ist es die »DNA« des Unternehmens, seine Kultur und Historie,
die Defizite begünstigt und Probleme aufwirft. Wer hat schon in seinem Berufsleben
noch nie mit ausgeprägtem Bereichsdenken, tiefen Hierarchien, mangelnder Kommu-
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Das alles soll kein Plädoyer gegen Tools sein. Prozess-Tools können sehr hilfreich sein
und eine Organisation in ihrer täglichen Arbeit vielfältig unterstützen. Jedoch sollte
nicht vergessen werden, dass jede Prozessänderung Auswirkungen auf das Unterneh-
men hat und letztlich zu mehr oder weniger starken Verhaltensänderungen der betei-
ligten Protagonisten führen wird. Und Verhaltensänderungen zu unterstützen – auch
das kann ein Prozess-Tool nicht leisten.
Bereits in der Vorbereitung zur Prozessanalyse sollten mögliche Änderungen die Über-
legungen beherrschen. Der Umgang mit Veränderungen ist die Brille, durch die wir auf
die Prozessanalyse blicken müssen. Schon mit der Einladung der Beteiligten zu einem
Workshop beginnt das eigentliche Change Management, d. h. der Umgang des Unter-
nehmens mit Verhaltensänderungen und Widerständen. Mangelndes Einfühlungsver-
mögen kann in dieser Phase bereits enorme Widerstände bei den Betroffenen auslö-
sen und die Saat des Scheiterns der geplanten Prozessänderungen säen. Deshalb ist
es von zentraler Bedeutung, von Anfang an um Akzeptanz zu werben und die Betroffe-
nen von der Notwendigkeit der Prozessänderung zu überzeugen.
In der Argumentation kommen mir dabei oft die Auswirkungen der Nulloption (siehe
Kapitel 4.3.1) zu Hilfe: Was würde mit dem Prozess, den Mitarbeitern oder dem Unter-
nehmen geschehen, wenn es nicht zu Änderungen käme? Folgt man diesem Weg kon-
sequent weiter, so wird man während der Prozessanalyse auf alles verzichten, was
Akzeptanz erschwert und die Identifizierung mit dem Zielprozess beeinträchtigt.
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Prozessausführung
Implementierung
Überwachung
Modellierung
Workflow-
Simulation
Analyse
Prozesswerkzeug
ADONIS X X X X X
Aeneis X X X
AgilePoint X X X X
ARIS X X X X X X
AXON.IVY BPM Suite X X X X X X
BIC Platform X X X X X X
BPM inspire X X X X X
Business Process Navigator X X
ConSense IMS/QMS/PMS X X X X X
ConSol CM X X X X
DHC VISION Process Manager X X X X X
FireStart BPM Suite X X X X X
Fujitsu RunMyProcess X X X X
Horus Enterprise X X X X X
iGrafx Suite X X X X
Innovator for Business Analysts X X X
inubit BPM X X X X X X
Process Modeler for Microsoft Visio X X X
process .biz X X X X X
PROMOL X X X X
SemTalk X X X X X
Signavio Process Editor X X X X X
Stages X X X X X
sycat X X X X X
Symbio X X X
TopEase X X X X X
viflow X X
125
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Ebenfalls hohe Relevanz für die Auswahl des geeignetsten Prozess-Werkzeugs bieten
die unterstützenden Modellierungsnotationen (siehe Tabelle 12). Praktisch alle rele-
vanten Prozess-Tools unterstützen mit BPMN (Business Process Model and Notation)
die jüngste der drei Notationen. Allerdings ist in diesem Fall darauf zu achten, welche
der beiden existierenden BPMN-Notationen (BPMN 1.0, BPMN 2.0) unterstützt wer-
den. Nicht jedes Tool verwendet aktuell beide Ausprägungen.
93 Ebenda.
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Endlich ein paar Tage mit Freunden in der Natur. Handy aus – herrlich! Doch haben Sie
auch an alle gedacht? Wer ein paar Tage wandern geht, hat es nicht nur mit den unmit-
telbar an der Tour Beteiligten zu tun. Sondern da sind vielleicht auch kleine Kinder
oder ältere Angehörige, die nicht mitkommen können, aber für die Zeit eine Betreu-
ung brauchen. Oder Sie sollten Ihre Kunden vorher informieren, damit diese nicht die
ganze Zeit versuchen, Sie telefonisch zu erreichen. Die meisten Menschen sind heute
so vernetzt und vielfach eingebunden, dass ihre Handlungen auf viele andere Men-
schen Auswirkungen haben.
Bevor Sie an die Planung einer Prozessanalyse herantreten, kann es dienlich sein, sich
das Spannungsfeld zu vergegenwärtigen, in welchem Prozessoptimierungen (also
letztlich Änderungen im Unternehmen) ablaufen werden. Unter einem Spannungsfeld
(siehe Abbildung 34) sind die teilweise doch recht unterschiedlichen Prozessbezüge
(Interessen) der verschiedenen Prozess-Stakeholder-Gruppen zu verstehen.
Individuelle Ziele
der Prozessverantwortlichen
Individuelle Ziele
Individuelle Ziele der Kunden
der Lieferanten Prozessziele
Prozessänderung
Der Status quo eines Bestandsprozesses reflektiert auch eine Art Gleichgewicht der
Erwartungen, Interessen und Zielsetzungen von Menschen, die mit dem Prozess ver-
knüpft sind. Prozessänderungen stören das bestehende Interessengleichgewicht und
rufen verschiedene Kräfte auf den Plan, die auf das Optimierungsvorhaben mit teil-
weise grundverschiedenen Zielsetzungen hinwirken.
Jede Prozessänderung bewegt sich in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten
Spannungsfeld. Grundsätzlich gilt: Je massiver die Prozessveränderung ausfällt, desto
ausgeprägter wird das auftretende Spannungsfeld sein. In Situationen tief greifender
Prozessänderungen lohnt sich eine umfassende Stakeholder-Analyse, d. h. nicht nur
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die Identifikation der am Prozess Beteiligten und der durch den Prozess Betroffenen,
sondern eine darüberhinausgehende Bewertung der Optimierungsauswirkungen und
zu erwartenden Widerstände.
5.3.2 Stakeholder identifizieren
Die Identifikation der Stakeholder kann – gestützt durch die Beantwortung einiger
fundamentaler Kernfragen – so erfolgen:
y Wer ist direkt oder indirekt an der Prozessausführung beteiligt?
y Wer hat Interesse am Prozess?
y Wer hat konkrete Forderungen/Erwartungen an den Prozess bzw. seine Ergebnisse?
y Auf wen (bzw. wessen Mitarbeit) ist der Prozess angewiesen?
y In welchen Bereichen wird eine Prozessänderung voraussichtlich zu Veränderun-
gen führen?
Mit Ausnahme der letzten Frage, die sich oft erst nach erfolgter Analysephase vollständig
beantworten lässt, sind alle Fragen im Vorfeld der Prozessanalyse beantwortbar. Ergän-
zend können bestehende Prozessdokumentationen, Organigramme und Ergebnisse
vorausgegangener Prozessanalyse zur Stakeholder-Erfassung herangezogen werden.
5.3.3 Stakeholder bewerten
Tab. 13: Informationen zur Bewertung des sozialen Prozessumfelds; Quelle: Eigene Darstellung
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A
Prozessergebnis
Interessen-
H verband
B
Behörden
Prozessmitarbeit Aktionäre
Spezialisten
Mit-
arbeiter
Sach- Prozessführung
Banken bearbeiter sonstige
Prozess-
Führungs- CPO akteure
G kräfte Kunden
Prozess
Prozess- Prozess- C
verant- Analyst Anrainer
wortliche
Lieferanten Key User IT
1 Medien
Techniker Wett-
Gesellschaft Betreiber bewerb
F 2
D
Gewerkschaften Öffentlichkeit
E 3
Abb. 35: Zonenmodell der Prozess-Stakeholder; Quelle: Eigene Darstellung
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Für die Bestimmung, inwieweit einzelne Personen oder Gruppen von Stakeholdern
von den Prozessänderungen betroffen sind, eignet sich die in Tabelle 14 dargestellte
Checkliste als Grundlage zur Betroffenheitsanalyse.
Die Checkliste kann im persönlichen Gespräch oder im Nachgang dazu ausgefüllt wer-
den und bietet einen strukturierten Einblick in die Art und Form der Betroffenheit.
Checkliste Betroffenheitsanalyse
Prozess und Änderungsvorhaben
Datum:
Verfasser:
betroffener Mitarbeiter/betroffenes Team:
Art der
Grad der Betroffenheit Betroffenheit
Betroffenheitsaspekt nicht wenig stark positiv negativ
Aufgabenzuordnung
Arbeitsablauf
Handlungsspielraum
Verantwortung
Informationsstand
Qualität der
eigenen Arbeit
Arbeitsbelastung
Fremdkontrolle
persönl. Ansehen
Einfluss
Aufstiegschancen
Einkommen
Arbeitszufriedenheit
Projektprozess
.....
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hoch
B A
zufriedenstellen intensiv betreuen
Einfluss
D C
beobachten informieren
gering
gering Interesse hoch
hoch
B A
zufriedenstellen Schlüsselfiguren
Einfluss
D C
beobachten informieren
gering
gering Prozesskenntnisse hoch
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Im Mittelpunkt der Prozessanalyse steht die Erhebung des Ist-Prozesses mit all seinen
Stärken und Schwächen. Das macht in der Regel eine Zusammenkunft aus Prozess-
verantwortlichen, Führungskräften und Schlüsselressourcen erforderlich. In dieser
Runde wird der aktuelle Prozesszustand gemeinsam erarbeitet und visualisiert. Die-
ses Format bildet regelmäßig den Auftakt der Prozessanalyse und wird landläufig als
»Prozess-Workshop« bezeichnet. Es kommt nicht selten vor, dass die Analyse eines
einzigen Prozesses die Durchführung mehrerer Workshops (Aufnahme Ist-Prozess,
Identifikation von Verbesserungen, Erarbeitung Soll-Prozess, Feinabstimmung,
Abschlussdokumentation) notwendig macht. Deshalb kommt diesem Format auch
eine besondere Bedeutung in der Optimierung von Prozessen (digital oder analog) zu
und verdient besondere Aufmerksamkeit.
Jeder hat sicherlich seine eigene Herangehensweise an einen Workshop. Mit meiner
bin ich über die Jahre gut gefahren. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, einige,
das Workshop-Format begünstigende Prinzipien einzuhalten. Diese Philosophie
möchte ich gerne mit Ihnen teilen (siehe Abbildung 38).
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aktivierend
einfach
barrierefrei
Akzeptanz
schaffen
Technik nur
homöo-
Workshop pathisch
ist Change
Management offen
konse
visualisqieuent
ren
positive
Atmosphäre
Schon in Kapitel 5.2.1 hatte ich den Gedanken ausgeführt, dass bereits mit der Ein-
ladung zum Workshop das eigentliche Change Management beginnt. Umso mehr gilt
dies für den Workshop selbst. Teilnehmer gehen nie unvoreingenommen in einen
Analyse-Workshop, welcher letztendlich das Ziel verfolgt, den bestehenden Zustand
in irgendeiner Form zu verändern (auch wenn es eine Verbesserung für die tägliche
Arbeit der Teilnehmer darstellt). Neben ihrem Fachwissen und ihrer Führungskom-
petenz bringen Teilnehmer stets auch unterschwellige Ängste und Bedenken mit und
tragen Mutmaßungen über den zukünftigen Prozess in den Workshop hinein. Klarheit,
Transparenz und Aufrichtigkeit sind daher das oberste Gebot. Wenn Sie eine ver-
steckte Agenda verfolgen oder auch nur etwas – ohne böse Absicht – zurückhalten,
spüren Teilnehmer das und nehmen Sie als unaufrichtig war.
Den Teilnehmern vermittelt das zusehends ein Gefühl, dass ihr Input keinerlei Bedeu-
tung hat und am Ende keinen Unterschied machen wird. Das wertet den Workshop von
vornherein ab, beeinträchtigt die Mitarbeit der Teilnehmer und gefährdet die Errei-
chung der gesteckten Workshop-Ziele. Vor allem aber werden die Teilnehmer keinen
positiven Bezug zur Veränderung herstellen und in den meisten Fällen die Ergebnisse
sogar ablehnen. Die Gelegenheit, den Teilnehmern die Veränderungen schmackhaft
zu machen, wäre damit verschenkt, der Grundstein für Ablehnung und Widerstand
jedoch gelegt.
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Ein ebenso großer Sündenfall ist es, Vorkenntnisse über Prozessnotationen oder spe-
zielles Methodenwissen vorauszusetzen. Im Workshop begegnet man Teilnehmern
mit unterschiedlichstem Ausbildungshintergrund, welche teilweise grundverschie-
dene Berufsbilder im Unternehmen ausfüllen. Eine Grundvoraussetzung für einen
erfolgreichen Workshop stellt daher die Vermeidung formalistischer (z. B. Prozessno-
tation) oder fachlicher (z. B. komplexe Prozessanalysemethoden) Hindernisse dar. Ich
nenne das »Barrierefreiheit«. Jeder Teilnehmer kann so den Prozess sofort erfassen
und an der Gestaltung, Visualisierung und Verbesserung mitarbeiten.
Jeder Teilnehmer ist anders. Die Bandbreite reicht vom redseligen Meinungsführer bis
zum schüchternen Fachexperten. Keine einfache Aufgabe also, die unterschiedlichen
Charaktere gleichermaßen einzubinden und Schieflagen oder Einseitigkeit zu vermei-
den. Hierbei spielt die Aktivierung jedes einzelnen Teilnehmers zu Beginn des Work-
shops eine große Rolle. Wichtig ist, dass jeder Teilnehmer vorab ein paar Worte an die
Gruppe richtet. Dies kann durch eine persönliche Vorstellung oder die Formulierung
der an den Workshop gerichteten Erwartungen sein. Zum Aufwärmen lasse ich die
Teilnehmer fünf Minuten im Zweiergespräch Erwartungshaltungen austauschen, um
sie dann die Erwartungen des jeweils anderen vor der ganzen Gruppe zu präsentieren.
Mit diesem einfachen Kniff senke ich bei allen (auch den schüchternsten Teilnehmern)
die Hemmschwelle, vor der ganzen Gruppe zu sprechen. Denn es fällt den Allermeis-
ten leichter, über eine andere Person zu sprechen als über sich selbst.
Wird der Austausch im Verlauf des Workshops einseitiger, weil sich immer dieselben
zu Wort melden, sollten Sie mit einer erneuten Aktivierung reagieren. Beispielsweise
können Sie bei allen Teilnehmern ein kurzes Fazit (in Moderatorensprache ein »Blitz-
licht«) einfordern. Die Teilnehmeraktivität lässt sich auch durch Übungen in Teil-
gruppen, das Einfordern kurzer Fachbeiträge oder auch das Einstreuen spielerischer
Elemente, wie beispielsweise die »Simulation« (das Nachspielen) des bis zu diesem
Zeitpunkt beschriebenen Prozesses, steigern.
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Der Mensch ist ein »Augentier«. Wir nehmen 83 % aller Informationen über die Augen
(siehe Abbildung 39) auf.94 Damit drängt sich die prominente Nutzung unseres domi-
nantesten Sinnesorgans auch im Rahmen des Prozess-Workshops auf. Mit anderen
Worten: Selbst kleine, im Workshop erzielte Teilergebnisse sollten umgehend visua-
lisiert werden bzw. der Workshop so geplant werden, dass eine Visualisierung bereits
methodenimmanent ist.
optisch (Auge)
83,0
akustisch (Ohr)
11,0
olfaktorisch (Nase)
3,5
haptisch (Hände) 1,5
gustatorisch (Zunge) 1,0
Abb. 39: Prozentuale Verteilung der Sinneswahrnehmungen; Quelle: Kilian/Brexendorf, a. a. O. (Fn. 94)
Zudem verfolgt die Visualisierung noch einen anderen Zweck. Für jeden von uns
besitzt ein Prozess drei Zustände:
y wie wir glauben, dass er ist,
y wie er aktuell tatsächlich ist und
y wie wir meinen, dass er sein sollte (siehe Abbildung 40).
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Wie der Prozess Wie Sie glauben, Wie der Prozess aktuell
sein sollte dass der Prozess ist tatsächlich ist
Abb. 40: Jeder Prozess besitzt drei vermeintliche Zustände; Quelle: In Anlehnung an http://www.
sixsigmablackbelt.de/wertstromanalyse-value-stream-mapping/ (Zugriff: 28.05.2017)
Es ist daher wichtig, schnell ein gemeinsames Verständnis für den aktuellen und
zukünftigen Prozess zu finden. Der Weg dazu führt über die konsequente Visualisie-
rung des Prozesses im Workshop. Man sieht buchstäblich, was Sache ist.
Vieles was bisher gesagt wurde, soll Akzeptanz für die Veränderungen schaffen und
darüber hinaus bei den Workshop-Teilnehmern verstärkt das Gefühl hervorrufen,
dass dies »ihr« Prozess ist und es »ihre« Änderungen sind. Das erzeugt Identifika-
tion mit den erforderlichen Änderungsmaßnahmen, auch wenn das vielleicht zuerst
mal rauen Seegang verspricht, und dem zukünftigen Prozess (Zielbild, Soll-Prozess)
selbst. Je weniger Sie also Vorgaben (z. B. diese oder jene Maßnahme vorbereiten)
im Workshop machen, und je größer dadurch der Eigenanteil der Teilnehmer wird,
umso mehr Akzeptanz und Identität stiften Sie damit. Das beeinflusst nicht nur den
Workshop selbst, sondern Sie gewinnen in den Beteiligten auch Multiplikatoren im
Unternehmen, die ihre Maßnahmen vertreten und nach außen tragen. Man bezeich-
net Mitarbeiter, die sozusagen als »Botschafter« der Prozessänderungen auftreten, in
der Fachsprache auch als »Change Agents«. Nicht zuletzt unterstützt Sie eine offene
und positive Workshop-Atmosphäre dabei, die Herzen und Überzeugungen der Teil-
nehmer zu gewinnen.
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Je einfacher Sie den Workshop halten, desto besser. Doch was bedeutet hier über-
haupt »einfach«? Kann die Analyse von im Allgemeinen vielschichtigen, komplexen
Prozessen mit unzähligen Beteiligten überhaupt einfach sein? Sie kann es durchaus
sein, wenn man bereit ist, an den Erwartungen und Methoden zu arbeiten. Falsche
und/oder zu ambitionierte Erwartungen führen oft zu komplizierten Workshop-Situ-
ationen und zum Einsatz – für die Erstanalyse – ungeeigneter Methoden und Hilfsmit-
tel. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen:
y Versuch der vollständigen Analyse des Geschäftsprozesses im ersten oder in
einem einzigen Workshop
y Einrichtung eines zu kleinen Zeitfensters für den Workshop
y Einsatz komplizierter Analyse- oder Visualisierungstechniken
y Modellierung direkt im Computer (siehe Kapitel 5.4.2.7)
y Einladung zu vieler Teilnehmer
y Einsatz von Modellierungsnotationen wie BPMN oder ePK bereits im ersten Workshop
y Auflistung aller Prozessaktivitäten bereits im Detail.
Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig und könnte mit Leichtigkeit fortgeführt wer-
den, weist aber die Richtung zu vermeidenden Erwartungshaltungen.
Wenn Sie sich die Zeit einräumen, die Sie für eine Prozessanalyse tatsächlich brau-
chen (vertrauen Sie beim Schätzen auf Ihr Bauchgefühl), bereit sind, erst einmal auf
gewisse Details zugunsten des großen Ganzen zu verzichten und mit Moderationskof-
fer, Flipchart und Pinnwand auskommen, machen Sie bereits einen großen Schritt in
Richtung einer »einfachen« Workshop-Gestaltung.
Eigentlich habe ich es ja schon vorweggenommen, aber da der Einsatz von Beamer und
Computer für Prozess-Workshops scheinbar »en vogue« ist, lohnt es sich, noch ein paar
Worte darüber zu verlieren. Die direkte Erfassung im Computer führt dazu, dass häufig
nur zwei Personen im Workshop tatsächlich aktiv sind. Das ist zum einen derjenige, der
den Computer bedient und zum anderen ein Teilnehmer, der gerade den aktuellen Pro-
zessschritt beschreibt. Da bleibt wenig Raum für Kreativität und frische Ideen. Sie wollen
ja auch Verbesserungen ableiten. Zudem wird die Computereingabe meist in einer beste-
henden Prozessnotation (Flussdiagramm, ePK, BPMN, UML etc.) erfolgen, was alle der
jeweiligen Notation Unkundigen zu »Analphabeten« und damit Workshop-Teilnehmern
zweiter Klasse macht. Im Allgemeinen wird das Gros der Teilnehmer sich dann zurückleh-
nen und sich innerlich ausblenden. Am Ende laufen Sie Gefahr, einen Prozess zu beschrei-
ben, der von den meisten Teilnehmern nicht verstanden oder mitgetragen wird.
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Technische Hilfsmittel, wie Laptop oder Beamer, haben durchaus Berechtigung und
können zu Beginn des Workshops für die kurze Schilderung von Sachverhalten oder
der Ableitung der Workshop-Motivation herangezogen werden. Sie sollten aber für
den weiteren Verlauf des Workshops tunlichst wieder in der Tasche verschwinden
(siehe Abbildung 41).
Beamer
sparsam einsetzen
wenn überhaupt, nur zu Workshop-Beginn
zur inhaltlichen Vorbereitung
keine Datenerhebung oder Modellierung per
Beamer oder Overheadprojektor
Es ist nicht immer von Vorteil, einem zu strammen Workshop-Fahrplan (Agenda, Zielset-
zungen) zu folgen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein zu starres Konzept die Teil-
nehmer gelegentlich einengt und den Lösungsprozess behindern kann. In solchen Fäl-
len sollten Sie in der Lage sein, flexibel reagieren zu können und Ihre Planung auch mal
beiseiteschieben. Die Teilnehmer und Workshop-Ergebnisse werden es Ihnen danken.
Die Formulierung von Zielen stellt nicht nur für Prozess-Workshops, sondern gene-
rell für jede Art Workshop eine Herausforderung dar. Zielformulierungen neigen oft
zu einem von zwei Extremen. Ich staune immer wieder über die Bereitschaft von
Organisationen, sich mit vage formulierten Zielsetzungen in Workshop-Situationen
zu begeben. Einfach mal »ins Blaue« zu reisen, zeugt zwar von einer gewissen Unter-
nehmungslust, führt aber in den seltensten Fällen zu belastbaren Ergebnissen. Ich
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nenne diese Gattung von Zielen auch gerne »Nebel-Ziele«, da sie ähnlich wie ein Nebel
undurchsichtig und nicht greifbar sind. Das andere Extrem bilden für mich Zielvorga-
ben, die unrealistisch und nicht erreichbar sind. Diese »Wolken-Ziele« ziehen majestä-
tisch weit über uns ihre Kreise, wunderschön, doch unerreichbar.
Da ein Workshop auch immer eine gewisse nicht planbare Dynamik entwickelt, ist es
von Vorteil, mit einem Zielkorridor zu arbeiten, der die Bandbreite der erzielbaren und
akzeptablen Ergebnisse definiert.95 Dabei fragen Sie zuerst nach den erreichbaren
Maximalzielen. Diese definieren die Ideallösung und beschreiben die bei optimalem
Workshop-Verlauf zugänglichen Ergebnisse. Gleichermaßen stellen Sie die Frage nach
den Minimalzielen, deren Ergebnisse gerade noch die Fortführung der Prozessanalyse
gestatten. Minimal- und Maximalziele geben den Zielkorridor vor, der eine gewisse
Flexibilität einräumt, auf Unvorhergesehenes (z. B. etwas läuft schief, einige Teilneh-
mer pflegen Animositäten etc.) und Ungeplantes (z. B. Prozessarbeit nimmt mehr Zeit
in Anspruch etc.) zu reagieren.
Abb. 42: Prozess-Workshop und Zielkorridor (typische Zielsetzungen); Quelle: Eigene Darstellung
95 In Anlehnung an Lipp/Will (2008): Das große Workshop-Buch: Konzeption, Inszenierung und Moderation
von Klausuren, Besprechungen und Seminaren, Beltz Verlag, Weinheim, S. 165.
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Wer mehr über Workshops erfahren möchte, dem empfehle ich das lesenswerte Buch
von Ulrich Lipp und Hermann Will.96
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Endlich im Gebirge – die Wanderung geht los. Ihre Planung muss jetzt den Realitäts-
test bestehen: Haben Sie wirklich an alles gedacht? Selbst wenn, Sie werden nun mit
Bedingungen konfrontiert, die Sie unmöglich Wochen im Voraus planen konnten: Wie
ist das Wetter? Scheint die Sonne oder regnet es in Strömen? Sind alle Teilnehmer fit?
Sind die Wege begehbar? Gibt es aktuelle Warnungen vor Unwetter oder Lawinen? Sie
können noch so gut planen: Ein Aufbruch ist immer spannend. Theorie ist nun mal das
eine und Praxis das andere.
Eine Prozessanalyse kann man immer wieder wunderbar mit einer Bergtour verglei-
chen. So ist hier wie dort das Durchleuchten der Ausgangslage, ein Abwägen des
tatsächlich Machbaren und eine vorausschauende (weitere) Planung – kurz: eine
Standortbestimmung – notwendig. Diese Standortbestimmung liefert grundlegende
Auskünfte über kritische Faktoren und dient als Wegweiser für den weiteren Verlauf
der Analyse.
Die Standortbestimmung (siehe Abbildung 43) gestattet, einen zweiten Blick auf das
Analysevorgehen zu werfen. Anderenfalls würden Sie sich jetzt auf die Analyse des Pro-
zesses stürzen und dabei völlig außer Acht lassen, ob eine Prozessverbesserung im exis-
tierenden Unternehmensumfeld überhaupt möglich ist. Zuerst einmal ist es wichtig, ein
Bild limitierender Einflüsse zu zeichnen und die gangbaren Handlungsfelder abzuste-
cken. Dabei unterstützt Sie eine Bestimmung von Prozess- und Unternehmensumfeld.
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Know-how im Alpine
Unternehmen ermitteln Fähigkeiten
Priorisierung von
Handlungsfeldern
Route
Identifikation von
Handlungsfeldern
Management-Buy-in Wetter
Eine zentrale Frage lautet jetzt: Ist die derzeitige Organisation überhaupt in der Lage,
bestehende Prozesse zu optimieren und falls ja, in welchem Umfang? Die Antwort
bestimmt den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe und legt den grundlegenden Hand-
lungsspielraum fest.
So wie das Wetter bestimmt, ob eine geplante Bergtour am Ende überhaupt stattfin-
den kann, so entscheidet die Unterstützung durch das Management darüber, ob Pro-
zessoptimierung gelingen kann. Spielt Prozessdenken bei Unternehmensentschei-
dungen eine eher untergeordnete Rolle, so ist das ein klares Indiz für eine zusätzliche
Erschwernis. Bei komplett fehlender Management-Unterstützung sollte das Vorhaben
hinterfragt und möglicherweise aufgegeben werden. Die Prozessorientierung prägt
die Umgebung, in der Prozesse ablaufen und Prozessveränderungen stattfinden. Eine
schwach ausgeprägte Prozessorientierung macht ein hohes Maß an Überzeugungsar-
beit und den begleitenden Einsatz von Change-Management-Maßnahmen notwendig.
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Die Prozessvisualisierung mittels PEMMTM setze ich gerne zu Beginn der Prozessana-
lyse ein, um Themenfelder einzugrenzen und Handlungsprioritäten abzuleiten.
Das PEMMTM unterteilt die Prozessreife generell in fünf Entwicklungsstufen (siehe Tabelle
15). Auf der untersten Stufe (P-0) folgt der Prozess keinem klar vorgegebenen Muster. Ein-
zelne Arbeitsschritte erfolgen in eher zufälliger Reihenfolge, was zur Folge haben kann,
dass der günstigste Ablauf erst nach mehreren fruchtlosen Ansätzen identifiziert wird.
Der Prozess an sich ist völlig undokumentiert, Prozessrollen und Aufgaben sind nicht
formalisiert. Mit Erreichen der nächsten Stufe (P-1) hat sich der Prozess in einen stabilen
Zustand entwickelt, d. h., er ist vorhersagbar und wiederholbar geworden. Der Ablauf ist
den Prozessbeteiligten bekannt, Rollen und Aufgaben sind klar definiert. Prozesse, die
End-to-End (Kunde-zu-Kunde) definiert sind und dabei regelmäßig überdurchschnittli-
che Ergebnisse erzielen, fallen in die Entwicklungsstufe P-2. Typischerweise betreiben
Organisationen mit diesem Prozessreifegrad ein leistungsfähiges Prozessmanagement-
System, welches das Ziel verfolgt, Prozesse und Organisation stetig weiterzuentwi-
ckeln. Mit der Qualifikation für den zweithöchsten Prozessreifegrad (P-3) kommen hohe
Prozessleistung und die stete Optimierung der Unternehmensleistung als wesentliches
Charakteristikum hinzu. Der im PEMMTM höchste erreichbare Reifegrad (P-4) schließlich
beschreibt die gesamte, sich über die Grenzen des Unternehmens erstreckende Wert-
schöpfungskette (also einschließlich Lieferanten- und Kundenprozesse) und sorgt so für
außergewöhnliche Prozessergebnisse.
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P–2 überdurchschnittliche Der Prozess ist als E2E-Prozess definiert und implementiert,
Leistung er liefert überdurchschnittliche Ergebnisse.
Erwähnenswert ist beim PEMMTM noch der Umstand, dass mit der Erfüllung aller
Bewertungskriterien einer Stufe dieser Reifegrad auch formal erreicht ist. Wäre bei-
spielsweise ein Bewertungskriterium noch auf P-0-Niveau, alle weiteren haben bereits
P-2-Reife erreicht, wird der gesamte Prozess dennoch als P-0-Prozess gewertet. Ein
Blick auf die Bewertungskriterien98 macht schnell klar, dass die meisten Organisatio-
nen Prozesse mit Reifegraden zwischen P-0- und P-1-Niveau unterhalten und weisen
auf das hohe schlummernde Entwicklungspotenzial in Unternehmen hin.
Es ist nun nicht etwa so, dass Unternehmen nicht schon seit Jahr und Tag an Effizienz-
und Leistungssteigerungen arbeiten würden. Jedoch orientieren sich die meisten Fir-
men noch stark an Fachorganisationen. Wenn Optimierungsmaßnahmen zur Geltung
kommen, wirken sie deshalb zumeist innerhalb eines bestimmten Fachbereichs, nicht
aber zugunsten des Gesamtprozesses, der sich im Regelfall ohnehin über mehrere Fach-
bereiche erstreckt. Dies hat nicht nur lediglich eine Teiloptimierung zur Folge, sondern
kann die Prozessleistung insgesamt sogar verschlechtern (siehe auch Kapitel 10.3).
Die Bewertung der Kriterien in der Prozessmatrix gibt den Prozessreifegrad wieder.
Dabei werden alle Kriterien für jede Entwicklungsstufe nach ihrem Erfüllungsgrad
bewertet. Vollständig erfüllte Kriterien werden grün markiert, teilweise erfüllte gelb
und nicht erfüllte Kriterien rot. Insbesondere rote und gelbe Farbmuster zeigen die
Handlungsfelder für Prozessoptimierungen auf. Die Unternehmensmatrix folgt dem
gleichen Bewertungsschema und illustriert die Ausrichtung und den Umgang des
Unternehmens mit Prozessen. Konsequenterweise wirken Änderungen nicht nur am
Prozess selbst, sondern verlangen in den meisten Fällen auch Verhaltensänderungen
in der Organisation.
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Lassen Sie beide Bewertungsbögen von den Teilnehmern im Vorfeld der Analyse aus-
füllen und in den Prozess-Workshop mitbringen, finden sich in der Gegenüberstellung
bereits viele interessante Diskussionsansätze. Sie werden übrigens staunen, wie sehr
sich die Ergebnisse ähneln!
Die Prozessumfeldanalyse liefert ein gutes Bild über die notwendigen Durchführungs-
voraussetzungen, die Schnittstellenpartner des Prozesses, seine Abhängigkeiten und
an den Prozess gerichtete Erwartungshaltungen. Gerade ein fundiertes Verständnis
der Abhängigkeiten und Schnittstellen ist im Hinblick auf eine Veränderung (Optimie-
rung) des Prozesses von elementarer Bedeutung. Ändern sich die Beziehungsaspekte
der Prozesse untereinander, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte
Wertschöpfungskette.
Die SIPOC-Analyse stammt aus dem umfangreichen Werkzeugkasten der »Six Sigma«-
Methode. Six Sigma wurde 1987 in den USA von Motorola entwickelt, erlangte seine
große Popularität aber erst, nachdem Jack Welch die Methode 1996 bei General Elec-
tric (GE) eingeführt hatte und damit große Erfolge feierte.
Der Begriff »SIPOC« setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der fünf englischen Begriffe
Supplier (Lieferant), Input (Eingabe), Process (Prozess), Output (Ausgabe) und Customer
(Kunde) zusammen. Insbesondere bei der Aufnahme undokumentierter Bestands-
prozesse oder dem Entwurf von Neuprozessen kann die Methode ihr volles Potenzial
entfalten. Ihr Charme liegt in der einfachen Handhabung und ihrer übersichtlichen
gemischt-grafisch/tabellarischen Form der Prozessdarstellung. Die wesentlichen Pro-
zessschritte (siehe Beispiel in Abbildung 44) eines Prozesses werden in der »P«-Spalte
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99 Zuerst auf die Abfolge der Teilprozesse des Prozesses und der im Folgenden sukzessiven Anwendung der
SIPOC-Analyse auf jeden einzelnen Teilprozess und seiner Prozessschritte.
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Teilprozess 1 PS 1.1
Prozess A
PS 1.2
Teilprozess 2
PS 1.3
Teilprozess 3
PS 1.
Teilprozess PS 1.5
PS 1.6
Teilprozess 5
PS - Prozessschritt
Hat man die Prozesssituation in der P-Spalte erarbeitet, werden nun zeilenweise Lie-
feranteninformationen, Zulieferungen (Eingaben), Ergebnisse (Ausgaben) und die
Leistungsempfänger (Kunden) des jeweiligen Prozessschritts festgehalten. Die Beant-
wortung der in Abbildung 46 jeweils formulierten Fragen unterstützt bei der Informa-
tionsgewinnung.
S I P O C
Supplier Input Process Output Customer
Wer ist Was wird für Welche Was ist das Wer ist
Zulieferer für die Durchfüh- Aktivität wird Ergebnis der Empfänger
diese Aktivität / rung der Akti- ausgeführt? Aktivität? des Aktivitäts-
diesen Prozess- vität benötigt ergebnisses?
schritt? (zugeliefert)?
Mit einer SIPOC-Analyse gewinnt man ein grundlegendes Bild über das Umfeld des
Prozesses. Dies beinhaltet neben notwendigen Zuliefer- und Ergebnisinformatio-
nen sämtliche Prozess-Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Prozessschritt-Ausfüh-
rende) und eine gute Übersicht der Schnittstellen (zu anderen Bereichen in Unter-
nehmen, externen und internen Kunden, Lieferanten sowie anderen Prozessen)
und Abhängigkeiten.
Im alltäglichen Gebrauch meinen die Begriffe »Lieferant« und »Kunde« meist Externe.
Im Kontext der Prozess-Umfeldanalyse treffen wir auf einen deutlich erweiterten Kreis
der Lieferanten und Kunden. Dieser ist in Tabelle 16 dargestellt.
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Schnittstellen sind bei der Betrachtung von Prozessen ein Thema für sich. Hier wird
es schnell komplex, hier geht in der Praxis viel schief und hier häufen sich Reibungs-
verluste. Wenn es zu erheblichen Verzögerungen bei der Prozessentwicklung kommt,
dann sind ganz häufig Schnittstellen im Spiel. Deshalb verdienen Schnittstellen
erhöhte Aufmerksamkeit.
Das Spektrum der Prozessprobleme, die sich auf Schwierigkeiten mit Schnittstellen
zurückführen lassen, ist breit. Ob es nur fehlende Informationen, ein ungenügender
Leistungsaustausch, verspätete Bereitstellung von Arbeitsmitteln oder eine mangel-
hafte Qualität der Zulieferungen sind – die Liste möglicher Ursachen ist lang. Manche
Schnittstellendefizite sind dabei nicht sofort transparent und wirken sich erst einige
Prozessschritte später (nach der Schnittstellenübergabe) nachteilig auf den Prozess
aus. Dies betrifft in hohem Maße die Bereitstellung von Informationen, deren Fehlen
leider oft erst spät bemerkt wird, was dann zu Verzögerungen und anderen Problemen
in der weiteren Prozessausführung führt. Zu spät, d. h. nicht direkt an der Schnittstelle
zu erkennen, dass wichtige Informationen, Leistungen oder Ressourcen fehlen, hat
unglücklicherweise zur Folge, dass der Prozess weiter ausgeführt wird, obwohl eine
Weiterführung entweder gar nicht abschließend möglich ist oder das Prozessergebnis
nachteilig beeinflusst. Verzögerungen, Nacharbeiten und Ausschuss sind die Folge.
Auch kann sich dadurch eine Schuldzuweisungskultur unter Schnittstellenpartnern
entwickeln, die den Prozessablauf weiter beeinträchtigt. Dazu ein Beispiel.
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BEISPIEL
Der Vertrieb eines Herstellers von Großküchen tritt als Auftraggeber für die
Fertigung auf und übergibt die vom Kunden übermittelten Spezifikationen
nach Auftragserteilung. Die Fertigung mahnt das Fehlen zahlreicher Abmes-
sungen an, ohne die sie nicht in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen. Die resul-
tierenden Verzögerungen werden vom Vertrieb der langsamen, ineffizienten
Fertigung zugeschrieben. Aus Fertigungssicht hingegen werden sie dem
Vertrieb angelastet, der ja nicht alle notwendigen Informationen vom Kunden
erfragte und bereitstellte. Eine typische wechselseitige Schuldzuweisung. Es
haben sich beide Bereiche nach bestem Wissen und Gewissen an den beste-
henden Prozess gehalten und fühlen sich daher im Recht.
Das Beispiel offenbart das Dilemma vieler Organisationen und ist in Dienstleistungs-
oder Verwaltungsprozessen ebenfalls anzutreffen. Der Problemverursacher in die-
sem Beispiel ist der Kunde, der seine Betriebsstätte nicht umfassend und sorgfältig
genug ausgemessen hat, was aber erst später im Fertigungsprozess auffällt. Abhilfe
lässt sich in diesem Beispiel mit einer detaillierten Schnittstellenanalyse über den
gesamten Geschäftsprozess (also von der Auftragserteilung bis zur Lieferung an den
Kunden) schaffen. Durch Berücksichtigung aller Informationen an den Kunden/die
Vertriebsschnittstelle, und zwar auch aller erst zu wesentlich späteren Zeitpunkten
im Prozess erforderlichen Informationen, würde das Fehlen relevanter Spezifikati-
onsmerkmale bereits bei Auftragserteilung (und begleitenden Spezifikationsüber-
mittlung) sichtbar machen. Der Prozess würde in diesem Fall erst ab dem Vorliegen
aller Informationen weiter ablaufen und so die Gefahr des Stillstands von Ferti-
gungsressourcen vermeiden.
Deshalb sollte ein integraler Bestandteil jeder Prozessumfeldanalyse eine Analyse der
Prozessschnittstellen beinhalten. Ein gutes Stück des Weges übernimmt dabei die
SIPOC-Analyse, jedoch ist eine Vertiefung der Ergebnisse empfehlenswert und wird
nachfolgend beschrieben.
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Die Schnittstellenanalyse beinhaltet fünf zentrale Schritte (siehe Abbildung 47) und
kommt an den Stellen zur Anwendung, wo sich im Prozessverlauf die Verantwortlich-
keiten ändern (z. B. Bereichswechsel).
Schnittstelle
Verantwortung Verantwortung
vorgelagerter Prozess Folgeprozess
vorgelagerter Ergebnis- Ausgabe Eingabe Ergebnis- Prozess- Ergebnis-
Prozess- Ausgabe
schritt prüfung prüfung schritt prüfung
Funktionsbereich A Funktionsbereich B
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wer wem wo
liefert was wann wie womit
(wie lange) (wie viel)
Lieferant Eingabe Prüfung Kunde Schnittstelle Kunde Menge Medium
12:00 Uhr
Start
Ende
Team D E-Mail Prüfkriterien Team C 3 / BG jeden Di 1 E-Mail elektronisch
TG = Teamgrenze, BG = Bereichsgrenze
Abb. 49: Schnittstellenmatrix (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung
Als kleines, aber feines Nebenprodukt erhält man eine Schärfung der beteiligten Pro-
zessrollen. Zur Identifikation von Schnittstellen hilft auch die Gegenüberstellung von
Prozessschritten (Aufgaben, Tätigkeiten) und der am Prozess beteiligten Funktions-
einheiten (Organisationseinheiten, siehe Beispiel in Abbildung 50) in einem sogenann-
ten Prozess-/Funktionendiagramm.
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Team B 5 3,19
Team C 2 3,43
Team D 3 3,55
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2. Eintragen der Informationen: Im zweiten Schritt werden alle für den Prozess
bekannten bzw. benötigten Informationen (diese müssen nicht immer deckungsgleich
sein, wir konzentrieren uns in der Analyse immer auf die dem Prozess maximal zur
Verfügung stehenden Informationen) in derselben Tabelle erfasst. Die resultierende
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Information
Bedeckungsvorschlag
Anforderungsprofil
Bedarfsmeldungen
Bewerberevidenz
Personalbudget
(intern/extern)
(intern/extern)
Ausschreibung
Personalstand
Einstellungs-
Personalrekrutierung
Stellenplan
richtlinien
Total
Tätigkeiten
Personal planen B B E E E ...
Personal ausschreiben G G G
Personal suchen B B E E
Personal auswählen B B B B
Einstellung anfordern
Einstellungsanforderung prüfen
Einstellung verfügen
B 1 1 1 2 1 1 1 8
Zwischensumme E 1 1 1 1 1 5
G 1 1 1 3
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B-Analyse: Die Analyse der für die Durchführung der Prozessschritte benötigten Infor-
mationen liefert Aufschluss darüber, ob bestimmte Prozessschritte gleichzeitig aus-
führbar sind. Ein Indiz dafür wäre, wenn mehrere Prozessschritte zwischen Erzeugung
und Verwendung einer bestimmten Information liegen, diese Information aber nicht
nutzen bzw. benötigen. Die Parallelisierung dieser Prozessschritte sorgt für kürzere
Durchlaufzeiten.
E-Analyse: Finden sich in einer Spalte der Analysematrix mehrere E-Einträge, weist
dies auf eine Mehrfacherzeugung derselben Information hin. Daraus lässt sich Poten-
zial für die Optimierung des Prozessverlaufs ableiten. Prozessschritte können mögli-
cherweise eliminiert oder zusammengeführt werden, was sich sofort in einer verbes-
serten Prozesseffizienz niederschlägt.
R wie Responsible: Kennzeichnet den Bereich, die Rolle oder Person, die für die
Durchführung des Prozessschrittes verantwortlich ist.
A wie Accountable: Damit wird der für den Prozessschritt »rechenschaftspflichtige« Akteur
(Bereich, Rolle, Person) beschrieben. Zur Identifikation dieser Akteure kann es hilfreich
sein, nach dem Eigentümer der für diesen Prozessschritt verantwortlichen Kostenstelle
Ausschau zu halten. Typische Handlungsmerkmale eines »Accountable«-Akteurs sind das
Genehmigen, Unterschreiben, Bezahlen oder Freigeben eines Vorgangs.
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C wie Consulted: Bezeichnet Akteure, deren fachlicher Rat vor Ausführung eines Pro-
zessschrittes einzuholen ist. Dies betrifft nicht nur Fachfragen, sondern auch Informa-
tionen, etwa zu Lieferterminen oder juristischen Anforderungen.
I wie Informed: Damit werden alle Akteure gekennzeichnet, die über Ausführung und
Ergebnis des Prozessschrittes informiert werden müssen (d. h. nach dem Prozess-
schritt). Die Informationsweitergabe ist nicht als Höflichkeitsgeste zu verstehen, son-
dern als Prozessnotwendigkeit. Weitergegebene Informationen können ebenso den
weiteren Prozessverlauf markieren bzw. andere Prozesse auslösen und sind daher in
der Verantwortlichkeitsanalyse elementare Betrachtungsgrößen.
Bestellung aufgeben R, A I – – –
Vollständigkeit prüfen C A C R C
Kundenbonität prüfen – I A, R – –
Liefertermin ermitteln I A – R C
Auftragsbestätigung faxen I A, R I I I
Grundsätzlich sollte pro Prozessschritt nur ein Akteur »accountable« oder »respon-
sible« sein. Hingegen können mehrere Akteure bei einen Prozesschritt »informed«
oder »consulted« werden. Die deutschsprachige Entsprechung der RACI-Matrix wird
als DEBI-Matrix bezeichnet und steht für Durchführungsverantwortung (D), Ergebnis-
verantwortung (E), Beratung (B) und Information (I).
Das Fehlen einer »A«-Rolle in einem Prozessschritt weist typischerweise auf Verant-
wortungslücken hin, wohingegen das Vorkommen mehrerer »R«-Rollen in einem
Schritt auf Verantwortungsüberlappung hindeutet. Beides ist ungünstig und bedarf
eingehender Analyse. Oft liegt gerade hier Verbesserungspotenzial. Außerdem liefert
die strukturierte Erfassung des Prozesses mittels RACI-Matrix auch das Handwerkzeug
für die »Schwimmbahndarstellung« des Prozesses. Jede Schwimmbahn steht dabei
für einen »A«-Akteur (siehe Abbildung 53). Daneben unterstützt sie die Rollenbildung
für den Prozess und ist ein hilfreiches Instrument, die Aufgabenteiligkeit eines Prozes-
ses näher in Augenschein zu nehmen. Der Umstand, dass sich »A«- und »R«-Rollen über
mehrere Prozessschritte unverändert demselben Akteur zuweisen lassen, liefert bei-
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Bestellung
Kunde
aufgeben
Auftrags-
Produktion Finanzen Vertrieb
Vollständig- Liefertermin
prüfen bestätigung
keit prüfen faxen
Kundenboni-
tät prüfen
Logistik
Eine Variante der SIPOC-Analyse (siehe Kapitel 6.2.1) stellt die Modellierung uner-
wünschter Ergebniszustände (Outputs) je Prozessschritt dar. Dabei ist die Zulieferung
(bzw. Eingabe) je Prozessschritt abzuleiten, die dann wiederum zu einem unerwünsch-
ten Ergebnis führen kann. Aufgabe dieser »umgedrehten« Anwendung der SIPOC-Ana-
lyse ist es, herauszuarbeiten, was grundsätzlich im Prozess schieflaufen könnte, mit
dem Ziel, unliebsame Ergebnisse zu vermeiden. Sie kennen sicherlich Murphys Gesetz:
Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Diese Form der Präventionsstra-
tegie nenne ich deshalb auch Murphy-Simulation. Ein Beispiel, welches das Vorgehen
in einer Murphy-Simulation illustriert, findet sich in Abbildung 54.
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Telefonunternehmen, Kundenbetreuer
wählt falsche Kundenbetreuer Anruf geht an
Callcenter-Dienstleister Transferoption aus, transferiert Anruf falsche Person Kunde
interne Computer, Fehler im Telefon- an Techniker
Systeme, Telefone Anruf in Warteschleife
system
102 Hanschke/Lorenz (2012): Strategisches Prozessmanagement – Einfach und effektiv: Ein praktischer Leitfa-
den, Hanser Verlag, München, S. 109 ff.
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Produkt
DL Produkt A Produkt B Produkt C
OE
GP 1 GP 2
OE I GP
GP 2 GP 6
GP 3
OE II GP GP 1
GP 5
GP 3
OE III GP 7 GP 3
GP 8
GP 7
OE IV GP 9 GP
GP 8
Bebauungspläne (siehe Abbildung 55) helfen bei der Beantwortung einiger für die Pro-
zessanalyse zentraler Fragen:
y Welche Organisationseinheiten sind für die Ausführung der Geschäftsprozesse
verantwortlich?
y Welche Geschäftsprozesse sind für die Erbringung von Dienstleistungen bzw. Pro-
dukten verantwortlich?
y Welche IT-Systeme unterstützen die Geschäftsprozesse, und welche Organisati-
onseinheiten verwalten sie?
Im Umkehrschluss liefern die Antworten auf diese Fragen auch Aufschluss darüber,
welche Organisationseinheiten, IT-Systeme und Produkte (bzw. Dienstleistungen)
durch Veränderungen bestimmter Prozesse betroffen sind.
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IT-System A
OE I IT-System B
IT-System C
OE II IT-System D
IT-System E IT-System E
OE III
IT-System F
IT-System G
OE IV
IT-System H
OE = Organisationseinheit
Es empfiehlt sich bei der Erstellung von Bebauungsplänen mit einer groben Granulari-
tät zu beginnen, um Komplexität und Erstellungsaufwand in Grenzen zu halten.
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Ein starkes barrierefreies Medium – und für einen Workshop-Einsatz bestens geeig-
net – ist die Brown-Paper-Methode. Sie lässt den Teilnehmern völlig freie Hand bei der
Prozessgestaltung und rückt somit die fachliche Prozessarbeit in den Vordergrund.
Grundsätzlich können die Teilnehmer hier selbst über die Art und Weise entschei-
den, wie sie einen Prozess darstellen wollen, solange sie dabei nur ein »Brown Paper«
(braunes Moderationspapier) nutzen. Selbst die Wahl und Gestaltung der Symbole ist
den Teilnehmern überlassen.
Für alle, die ein wenig Anleitung schätzen, liefere ich mit Abbildung 57 ein paar Gestal-
tungsvorschläge.
Y Y P
Schnittstelle
zu anderem Original- Stärke Zusammenfassung
Autoren Legende Prozess dokument (grün) der Schwächen
Abb. 57: Gestaltungsvorschläge für die Brown-Paper-Methode; Quelle: In Anlehnung an Ortner, Wolf-
gang: Vorlesungsskript: Erhebungsmethoden für Geschäftsprozesse, FH Oberösterreich, Steyr
Ursprünglich aus der Beratungspraxis stammend, hat sich diese Methode zu einem
festen Bestandteil der Prozessanalysearbeit entwickelt. Sie fördert die aktive Ein-
beziehung der Teilnehmer in die Prozessgestaltung und unterstützt die teilweise oft
recht plastische Modellierung der Prozesse, beispielsweise auch durch die beliebte
Einbindung von Originaldokumenten. Verträge, Statistiken, Screenshots usw. werden
dann einfach auf das Papier geklebt bzw. mit Nadeln angeheftet.
Da keine Vorkenntnisse nötig sind und die Gestaltung völlig frei ist, gibt es in der Regel
einen hohen Partizipationsgrad der Teilnehmer und eine starke Identifikation mit der
Prozessanalyse und den gewonnenen Einsichten. Das Format gestattet auch über den
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Eine weitere sehr hilfreiche und barrierefreie Methode zur Prozessanalyse und -auf-
nahme ist die Bildkartenmethode.103 Auf verschiedenen Bildkarten (z. B. Moderati-
onskarten) werden hier die unterschiedlichen Objekte eines Prozesses festgehalten.
Betrachtet werden dabei die Elemente Prozessschritte, Bearbeiter, Ergebnisse, Hilfs-
mittel, Externe und Schwachstellen. Jeder Objektgruppe werden im Grunde willkürlich
einzelne Farben zugewiesen (z. B. grüne Bildkarten für Prozessschritte). Diese werden
dann aber während der gesamten Prozessanalyse konsequent beibehalten.
Abb. 58: Exemplarische Übersicht von Bildkarten bei der Bildkartenmethode; Quelle: Eigene Darstellung
103 Literaturempfehlung zu diesem Thema auch: Gappmaier/Gappmaier (2011): Alles Prozess?! Einfach wirk-
same Prozessoptimierung in jeder Situation mit der Bildkartenmethode.
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In der ersten Runde wird der Prozess in seine Aktivitäten (Prozessschritte) zerlegt.
Diese werden auf den Prozessschritt-Bildkarten dokumentiert und auf einem Tisch
(alternativ auf dem Boden, je nach Situation und Gruppengröße), in der Reihenfolge
ihrer Ausführung, festgehalten. Danach wird jedes Ergebnis eines Prozessschritts auf
den Ergebnis-Bildkarten vermerkt und seiner Herkunftsaktivität zugeordnet, d. h.
unter dem jeweiligen Prozessschritt auf der Pinnwand abgelegt.
Die zweite Runde beginnt mit der Festlegung des Hauptakteurs (Bearbeiters) für
jeden Prozessschritt. Manche Aktivitäten erfordern die Zusammenarbeit mehrerer
Akteure, was gelegentlich die Identifizierung des Hauptakteurs erschwert. Erleich-
tert wird das Aufspüren durch die Beantwortung der Frage, wer letztendlich für die
Durchführung des Gesamtprozessschritts verantwortlich ist (zur Unterscheidung von
Durchführungs- und Ergebnisverantwortung siehe Kapitel 6.2.4). Die Hauptakteure
werden auf den Bearbeiter-Bildkarten notiert und auf dem Tisch unter dem korres-
pondierenden Prozessschritt, und seinen jeweiligen Ergebnissen, angefügt. Anschlie-
ßend werden alle (falls vorhanden) externen Akteure auf den Externe-Bildkarten zu
Papier gebracht und den Prozessschritten zugewiesen, die bei ihrer Ausführung auf
diese externen Akteure angewiesen sind (z. B. Zulieferung von Bauteilen, Dienstleis-
tungen). Abschließend werden die für jede Aktivität benötigten Hilfsmittel auf den
Hilfsmittel-Bildkarten notiert und unter dem zugehörigen Prozessschritt abgelegt.
Nach den ersten beiden Runden ist der Ist-Prozess bereits bildhaft dargestellt. Die
organisatorische Verantwortung ist festgehalten und Ergebnisse und Hilfsmittel sind
beschrieben. In der dritten Runde werden nun die Schwachstellen peu à peu sichtbar
gemacht.
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Stellen- Stellen-
ausschreibung ausschreibung Inserat Bewerber- Bewerber Bewerber
formulieren genehmigen schalten profile prüfen einladen einstellen
E-Mail Telefon
MS-Word MS-Word Zeitung E-Mail Post
digitale Plattform
langwieriger
Genehmigungs-
prozess
Abb. 59: Bildkartenmethode nach allen drei Runden (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung
Die Bildkartenmethode lebt von ihrer Klarheit und übersichtlichen Struktur (siehe Bei-
spiel in Abbildung 59). Deshalb sollte bei ihrer Anwendung auf Verzweigungen (und/
oder) und eine Schwimmbahndarstellung komplett verzichtet werden, d. h., der Fokus
sollte auf dem Happy Path liegen.104 In einer optionalen vierten Runde kann es dann
durchaus sinnvoll sein, die enge Bildkartenstruktur zugunsten einer Annäherung an
den Gesamtprozessfluss aufzulösen und verzweigende Prozessverläufe sichtbar zu
machen. Wer mehr Informationen zur Bildkartenmethode sucht, dem sei das Buch
von Caroline und Markus Grappmaier ans Herz gelegt.105
Bereits die Ergebnisse der Prozessumfeldanalyse (siehe Kapitel 6.2) sind meist schon
sehr ergiebig und geben den Blick auf zahlreiche Handlungsfelder frei. Jedoch lässt
sich nicht immer die Problemursache (Schwachstelle) zweifelsfrei ermitteln. In diesen
Fällen ist es angebracht, die beobachteten Symptome weiter zu analysieren und auf
ihre Ursachen zurückzuführen. Für die Ursachenrückführung greife ich regelmäßig auf
ein bewährtes Instrument, die Ishikawa-Analyse, zurück. Die Rückführung auf die Pro-
blemursache ist auch der Versuch, die maßgeblichen Faktoren zu identifizieren, die
relevanten Einfluss auf die Prozessleistung ausüben (siehe Abbildung 60).
104 Der Happy Path bezeichnet den für das Gros der Vorgänge gültigen Prozessverlauf und kümmert sich nicht
um Nebenverläufe oder fehlerhafte Prozessverläufe.
105 Grappmaier/Grappmaier, a. a. O. (Fn. 103).
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Ursachen Wirkung
Abb. 60: Ursachen und Wirkung in der Ishikawa-Analyse; Quelle: In Anlehnung an Drews/Hillebrand
(2010): Lexikon der Projektmanagement-Methoden: Die wichtigsten Methoden im Projektmanage-
ment-Life-Cycle, Haufe, Freiburg, S. 148 ff.
Die Ishikawa-Analyse greift eine identifizierte Schwachstelle auf und leitet aus ver-
schiedenen Aspekten des Prozessumfelds Einflussursachen ab. Das Prozessumfeld
lässt sich dabei in sieben Ursachenklassen unterteilen: Mensch, Maschine, Messung,
Methode, Material, Mitwelt und Management (siehe Abbildung 61). Aufgrund sei-
ner »M«-Lastigkeit wird die Ishikawa-Analyse synonym auch gerne als 7M-Methode
(manchmal auch als 5M oder 6M, je nach Betrachtungswinkel) bezeichnet.
ungenaues Produktionslinie
Arbeiten läuft zu schnell
Qualitäts-
probleme in der
Fertigung
verlangt zu hohe
Stückzahlen
Nicht für jedes Problem sind immer alle Ursachenklassen (siehe Tabelle 18) relevant.
Diese können je nach Situation auch eingegrenzt werden.
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Auch die Ishikawa-Analyse ist ein für den Workshop konzipiertes Instrument. Das Vor-
gehen bei der Durchführung einer Ishikawa-Analyse folgt stets einem festgelegten
Prozedere und wird im Nachfolgenden (siehe Abbildung 62) beschrieben:
1. Das Problem beschreiben: Je genauer Sie das Problem beschreiben und eingren-
zen (vielleicht auch schon mit Zahlen hinterlegen), desto näher werden Sie den tat-
sächlichen Ursachen auf den Leib rücken.
3. Sammeln möglicher Ursachen: Das ist in der Regel der Schritt, der in der Analyse
die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Für jede Ursachenklasse werden im gemeinsamen
Brainstorming mögliche Einflussgrößen abgeleitet, aber zunächst noch ohne Wertung
festgehalten. Ergänzend kann hier die 5W-Technik (mehrmaliges, vertiefendes Nach-
bohren mit »Warum«-Fragen) zur Anwendung kommen. Hilfreiche Fragestellungen für
die Analyse finden sich u. a. unter www.sixsigmablackbelt.de/ishikawa-diagramm.
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an den für ihn relevantesten Einflussfaktoren. Damit werden lange und oft wenig ziel-
führende Diskussionen vermieden und der Einfluss zu dominanter Workshop-Teilneh-
mer in den Hintergrund gedrängt. Die Ursachen, die nun mit den meisten Punkten
versehen wurden, stellen die relevantesten Einflussfaktoren dar.
Problem
Schwäche Problem
Störung
Es ist im Workshop immer wieder schön, zu beobachten, dass die Analyse unter-
schiedlicher Problemsymptome des Prozesses sich sehr oft auf die gleichen Ursachen
zurückführen lässt.
Nach erfolgter Analyse von Prozessumfeld und Schwachstellen haben Sie Aufschluss
über die Prozesstransparenz (Wie und wo verläuft der Prozess?), Prozessleistungs-
transparenz (Wie ist es um die Leistungsfähigkeit und Skalierbarkeit des Prozesses
bestellt?) und leistungshemmende Faktoren (Was beeinträchtigt die Prozessleistung?)
gewonnen. Ebenso sind Sie an dieser Stelle bereits in der Lage, konkrete Maßnahmen
zur Prozessverbesserung zu entwickeln.
Gerade bei Prozessen mit auffällig langen Durchlaufzeiten und hoher Ressourcenbin-
dung kann sich eine Wertschöpfungsanalyse lohnen. Die Wertschöpfungsanalyse ist
unabhängig vom Prozesstyp (Steuerungs-, Leistungs- oder Unterstützungsprozess)
anwendbar. Es steht die Analyse der tatsächlich wertschöpfenden Zeit im Vorder-
grund. Diese wird zu Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten ins Verhältnis gesetzt. Auf
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Die Makigami-Technik (siehe Abbildung 63) greift dies auf. In einer Makigami-Analyse
wird jeder Prozessschritt dem verantwortlichen Akteur zugewiesen (Schwimmbahn)
und die Anzahl der Schwimmbahnwechsel eruiert, also, wie oft die betrachtete
Schwimmbahn verlassen wird? Die Anzahl der Schwimmbahntransfers stellt ein Maß
für die Prozesskomplexität dar und gibt Auskunft über Schnittstellen und Verantwor-
tungsteiligkeit. Ebenso werden alle im Prozess zur Anwendung kommenden Daten-
und Informationsträger (Formulare, Telefon, Hauspost, IT-Systeme etc.) erfasst und
gezählt. Dabei lässt die Verwendung zahlreicher unterschiedlicher Informationsträger
auf Medienbrüche, manuelle Schnittstellentätigkeiten und vermeidbare Zeitverluste
schließen. Neben der gründlichen Zeiterfassung werden auch die bei einzelnen Pro-
zessschritten beobachteten Probleme festgehalten.
Prozess
Person/ Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6 Summen
Abteilung
Stellenaus- Bewerber-
Fachbereich schreibung profile 2
formulieren prüfen
Transfer
Aktion
Stellenaus-
Personalleiter schreibung Bewerber 1
genehmigen einstellen
Sachbearbeiter Inserat Bewerber 2
Personalwesen schalten einladen
3 Formulare
Datenträger
Information
Wertschöpfungszeit 0,5 Std. 5 min. 1 Std. 6 Std. 0,5 Std. 1 Std. 545 Min.
Verlustzeit 1,5 Std. 55 min. 1 Std. 4 Std. 4,5 Std. 1 Std. 775 Min.
kein HR- kein HR- kein geregel- kein HR- keine stan-
41,3% Wert-
Probleme
Die Makigami-Analyse liefert ein umfassendes Bild des Prozesses. Sie setzt die
gemessenen Prozesszeiten mit der beobachteten Prozesskomplexität in Beziehung
(Arbeitsteilung, Verantwortlichkeitswechsel, Schnittstellen, Medienbrüche, Automa-
tisierungsgrad etc.) und liefert Hinweise zu den entlang des Prozesses auftretenden
Problemen bzw. existierenden Schwachstellen.
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e -
werd
Sim sc h
ula Be tem
tio - y s
ne ket s
n Tic
digitale Quellen
Prozess-
analoge Quellen analyse
Works
ho ps
gen
ebö
Frag
Beo essun
s
M
bach gen
iew
erv
tung
Int
en
Es ist empfehlenswert, sich zurzeit noch in überwiegendem Maße auf analoge Quel-
len – wie Workshop- oder Interview-Formate – zu verlassen. Dabei sollte jedem
bewusst sein, dass die neue digitale Welt uns mehr und mehr zu erzählen hat. Das
benötigt aber vielfach noch mehr Vorbereitung und Verständnis in den Organisatio-
nen, als heute anzutreffen ist.
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Neben Interviews und Workshops setze ich auch regelmäßig Messungen und Vor-
Ort-Begehungen als Analysewerkzeuge ein. Selbst IT-Systeme erlauben ein direktes
Maß an »Beobachtung«. Hier empfiehlt sich die Begleitung von Mitarbeitern in deren
Arbeitsalltag. Sie erhalten durch die Art und Weise, wie mit den IT-Systemen gearbei-
tet wird, Aufschlüsse über deren Einbindungsqualität in den Prozess und existierende
Mängel in der Prozessbearbeitung. Diese Form der Analyse nennt sich auch DILO-Ana-
lyse (»Day in the Life of« – ein Tag im Leben von …).
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Mit der Wahl unserer Route werden wir im Alltag immer wieder konfrontiert. Das
beginnt schon bei den gängigen Navigationssystemen im Auto, die nach Zieleingabe
typischerweise zwei oder drei alternative Routen vorschlagen. Wie praktisch, dass der
»beste« Vorschlag immer an erster Stelle steht. Schaut man genauer hin, statt gleich
»Zielführung starten« zu wählen, kann es jedoch sein, dass diese Route einen weiten
Umweg über Autobahnen beinhaltet (statt über Landstraßen direkt zum Ziel zu navi-
gieren), weil dies rein rechnerisch ein paar Minuten Fahrzeit spart. Dieser Umweg kos-
tet nun nicht nur zusätzlich Kraftstoff, sondern man steht vielleicht noch im späteren
Stau, der bei Fahrtantritt noch nicht existierte. Mit dem gesunden Menschenverstand
(über den ein Navi eben nicht verfügt) war der Stau aber absehbar, weil rund um Bal-
lungsräume nun einmal zu bestimmten Zeiten der Berufsverkehr einsetzt. So ent-
puppt sich die »schnelle« Route am Ende als die langsamere. Eine Routenwahl unter-
liegt also schon im Alltag zahlreichen Einflussfaktoren, die bei der Entscheidung zu
beachten sind. So kommt z. B. noch hinzu, wie viel man sich für einen Tag überhaupt
zumuten möchte. Irgendwann setzt unausweichlich Müdigkeit ein. Und überall gilt:
Flexibel sein ist besser, als sich zu früh festzulegen. Egal, wo wir unterwegs sind: Mit
unvorhergesehenen Situationen müssen wir stets rechnen.
In der Phase der Prozessanalyse wird in vielen Unternehmen gut und gründlich gear-
beitet. Bereits bei der Festlegung der geeigneten Route für die Lösung scheitern den-
noch zahlreiche Optimierungsvorhaben. Woran liegt das? Erstaunlicherweise begeg-
nen mir immer wieder drei ähnlich gelagerte Ursachen, die schließlich dazu führen,
dass Vorhaben entweder rundheraus scheitern oder nur ein enttäuschend geringer
Teil des möglichen Verbesserungspotenzials tatsächlich realisiert wird:
Fehlerhafte bzw. falsche Interpretation der Ergebnisse: Die wahre Natur der Prozess-
probleme wird manchmal nicht richtig verstanden oder ihre letztendliche Ursache wird
nicht vollständig ermittelt. Eine fehlerhafte bzw. rundheraus falsche Interpretation der
Analyseergebnisse ist die Folge. Dementsprechend fällt möglicherweise die Entschei-
dung für einen nicht optimalen oder sogar gänzlich ungeeigneten Lösungsweg.
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Selten werden die schädlichen Einflüsse bewusst wahrgenommen. Oft wird zielstre-
big weitergearbeitet, obwohl man längst vom »besten Weg« abgekommen ist. So wird
dann alles immer beschwerlicher. Die nachfolgenden Abschnitte sollen sie bei der
Routenwahl unterstützen und Ihnen helfen, für die erfolgreiche Umsetzung des ange-
strebten Lösungswegs zu sorgen.
Ein Zielbild oder auch »Zielfoto« ist eine bekannte Technik, die darauf zielt, gewünschte
Ergebnisse nicht nur abstrakt zu definieren, sondern sich im Detail vorzustellen, wie
das gewünschte Ergebnis ganz konkret aussieht. Zielbilder laden dazu ein, einen Pro-
zess »vom Ende her zu denken«, damit klarer wird, wie der Weg zum Ziel aussehen
könnte.
In der Analysephase konnten Sie tief greifende Einsichten in den untersuchten Pro-
zess, sein Umfeld, seine Abhängigkeiten und maßgeblichen Erfolgsfaktoren gewin-
nen. Sie sind jetzt in der Lage, fundierte Aussagen über die in Tabelle 19 dargestellten
Aspekte zu treffen.
ASPEKTE ERGEBNISSE
Die Prozessschritte, korrespondierende Verantwortlichkeiten und
der Verlauf des Prozesses innerhalb (und ggf. außerhalb) des
Prozesstransparenz Unternehmens sind mit Abschluss der Analysephase bekannt.
Darüber hinaus herrscht auch Klarheit über die aktuelle Ablauf-
organisation.
Es liegen belastbare Daten über das aktuelle Leistungsvermögen
Prozessleistungs- des Prozesses vor (Stückzahlen, Bearbeitungszeiten, Fehlerquoten
transparenz etc.)
Ebenso sind alle die Prozessleistung beeinträchtigenden Einflüsse
Leistungshemmende erfasst. Dies schließt Abhängigkeiten zu anderen Prozessen und
Faktoren eine Bewertung der Schnittstellen mit ein.
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Die in Tabelle 19 beschriebenen Informationen bilden nun die Grundlage für die Aus-
wahl des geeigneten Lösungswegs und die Ableitung geeigneter Arbeitspakete.
Bevor wir uns der optimalen Routenwahl zuwenden können, müssen wir die Umsetz-
barkeit der identifizierten Maßnahmen prüfen und den resultierenden Prozess her-
ausarbeiten.
Die identifizierten Maßnahmen sollten bis zu ihrer Überprüfung als Hypothese, d. h. als
lediglich mögliche Verbesserungsmaßnahme, betrachtet werden. Erst die Konfronta-
tion mit der Unternehmensrealität macht sie womöglich zu einer erstrebenswerten und
realisierbaren Verbesserungsoption. Oder eben alternativ zu einem Fall fürs Archiv.
Worauf also ist bei der Maßnahmenverifikation zu achten? Im Kern sind bei der Bewer-
tung einer Maßnahme (Hypothese) vier Aspekte wesentlich:
y Zunächst muss die Frage beantwortet werden, ob die Maßnahme per se überhaupt
realisiert werden kann. Beispielsweise muss ein Schraubenhersteller, der zukünf-
tig einen Korrosionsschutz seiner Schrauben anstrebt, zuerst einmal klären, ob
seine Räumlichkeiten für die Umsetzung eines zusätzlichen Fertigungsschrittes
überhaupt ausreichen.
y Im nächsten Schritt erfolgt die Aufwandsermittlung (Kosten, Personentage) und
die Bewertung des Verbesserungspotenzials (z. B. Durchlaufzeit, Ressourcenbin-
dung, Kosten etc.).
y Die Abwägung von Aufwand und erschließbarem Potenzial trennt schließlich die
Spreu vom Weizen. In der Regel wird man sich für Maßnahmen entscheiden, bei
denen das freigesetzte Potenzial den Erschließungsaufwand in absehbarer Zeit
(z. B. zwei bis drei Jahre) übersteigt.
y Der vierte Aspekt schließlich richtet den Blick bereits auf die Realisierungsdauer
und bietet eine erste Gliederungshilfe für die zeitliche Erschließung der Verbesse-
rungsmaßnahme in Form eines Projekts. Typische Zeithorizonte sind »kurzfristig«
(bis sechs Monate), »mittelfristig« (sechs bis zwölf Monate) und »langfristig« (län-
ger als zwölf Monate).
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Nachdem Sie alle Verbesserungsmaßnahmen auf Herz und Nieren überprüft haben,
steht Ihnen nun die wahre Kunst der Prozessoptimierung bevor. Aus all den guten
Ideen des Maßnahmenkatalogs, die einer kritischen Bewertung standhielten, gilt es,
jetzt den zukünftigen Prozess, also das Prozesszielbild (oder auch den Soll-Prozess)
abzuleiten. Dies geschieht durch die imaginäre nacheinander erfolgende Anwendung
der einzelnen Maßnahmen auf den aktuellen Ist-Prozess. Die Umsetzung jeder einzel-
nen Maßnahme hat mehr oder weniger starken Einfluss auf die Gestalt des Ist-Prozes-
ses. Der aktuelle Prozess wird verändert – und genau das wollen Sie ja auch erreichen:
einen verbesserten Prozess. Das ist das Zielbild.
Nachdem Sie die Auswirkungen der Maßnahmen auf den aktuellen Prozess evaluiert
haben, erhalten Sie nicht nur das Prozesszielbild, sondern vergegenwärtigen sich
auch mögliche Abhängigkeiten und Konflikte zwischen einzelnen Maßnahmen. Wer
von Ihnen schon einmal sein Wunschauto online konfiguriert hat, der weiß, wovon ich
spreche. Wollen Sie beispielsweise nicht nur sportliche Leichtmetallräder, sondern
auch Ganzjahresreifen, müssen sie vielleicht die größte Felgengröße abwählen und
mit kleineren Felgen vorlieb nehmen, da sonst Wunsch und Ist-Zustand nicht konfi-
gurierbar sind. Und wenn Sie ein besonderes Ausstattungspaket wählen, dann sind
möglicherweise nicht alle Stoff- oder Lederfarben lieferbar? Klingt kompliziert? Ist es
auch. Es gibt jedoch einen recht einfachen Kniff, um Abhängigkeiten und Konflikten
die Komplexität zu nehmen. Dazu visualisiert man den Ist-Prozess am besten auf einer
Pinnwand mit beweglichen Moderationskarten und nimmt die Auswirkungen – Maß-
nahme für Maßnahme – im Prozess auf. So können Sie stets die Auswirkungen ein-
zelner Maßnahmen erkennen und mit den Prozessbeteiligten diskutieren. Am Ende
haben sie den Zielprozess erarbeitet.
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Vorab muss man sich jedoch der Frage stellen: In welcher Form soll der Prozess visua-
lisiert werden? Es existieren zwei grundsätzlich unterschiedliche Darstellungsformen
eines Prozesses: vorgangsgesteuert und ereignisgesteuert.
Anfrage
Angebot
kalkulieren
Angebot Angebot
erstellen ablehnen
Ergebnis
„vorgangsgesteuert“
Anfrage
eingetroffen Startereignis
Angebotskalkulation
XOR
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Wichtig ist noch der Hinweis, dass die einzelnen Maßnahmen in der Regel unterschied-
liche Realisierungszeiträume in Anspruch nehmen, Deshalb wird der Zielprozess auch
selten an einem Stück erreicht, sondern über einen längeren Zeitraum entwickelt.
Die Wahl des richtigen Vorgehens bei der Prozessoptimierung ist durchaus nicht immer
einfach. Je nachdem, welchen Blickwinkel man bei der Betrachtung eines Problems
und seiner vermuteten Lösung einnimmt, lassen sich durchaus unterschiedliche
Optimierungsansätze ableiten. Das bedeutet stets eine besondere Herausforderung.
Denn ist der Blick nicht auf den gesamten Prozess gerichtet, kann das zu Teiloptimie-
rungen führen, die sich nachteilig auf den Gesamtprozess auswirken. Es kann auch
passieren, dass Sie so ein Problem bloß an eine andere Stelle im Prozess verlagern.
Dazu ein Beispiel.
BEISPIEL
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sich der Engpass im Prozess nach vorne verschob. Sondern am Ende war auch
die Prozessleistung deutlich unter das Ausgangsniveau gesunken.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung ist, und zwar auch
bei punktuellen Problemen. Es ist wie beim alten asiatischen Gleichnis »Die blinden
Männer und der Elefant«: Darin untersucht eine Gruppe von Blinden einen Elefanten,
um zu ertasten, worum es sich bei diesem Tier handelt. Jeder untersucht allerdings
jeweils nur einen einzigen Körperteil und macht sich deshalb ein falsches Bild vom
Ganzen. Abbildung 67 zeigt, welche eigenartigen Schlussfolgerungen möglich sind,
wenn man sich nicht die Mühe macht, den »ganzen Elefanten« zu betrachten. Gleiches
kann auch über Prozesse gesagt werden.
Es ist ein
Es ist ein Berg!
Blatt!
Abb. 67: Den ganzen Elefanten sehen; Quelle: In Anlehnung an Schnetzer, Ronald (2014): Achtsames
Prozessmanagement: Work-Life-Balance und Burnout-Prävention für Unternehmen und Mitarbei-
tende, Springer Gabler, Wiesbaden
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Ja Nein
„Neuanfang“,
Revolution
Ja Nein
Kontinuierlicher
Prozessoptimierung Verbesserungsprozess
(KVP), Kaizen
„Modernisierung“, „Entwicklung“,
Transformation Evolution
Bei Revolution denkt man sofort an einen einschneidenden und etablierte Strukturen
umstürzenden Vorgang. In diesem Sinne müssen auch die typischen Vertreter dieses
Prozessoptimierungsansatzes, das Prozess-Reengineering und die Restrukturierung
bzw. das Prozess-Design, verstanden werden.
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vorgestellten Prinzipien sind im Zeichen der Digitalisierung aktueller denn je und auch
als Leitlinie für weit weniger einschneidende Prozessoptimierungsvorhaben bestens
geeignet.
Management Management
Abb. 69: Prinzipien des Prozess-Reengineerings; Quelle: In Anlehnung an Hammer, Michael: Reengi-
neering Work: Don’t Automate, Obliterate, Harvard Business Review, August 1990, S. 104–112
Die Restrukturierung stellt den organisatorischen Wandel in den Vordergrund. Ziel ist ein
Neubau bzw. eine organisatorische Neuausrichtung des Unternehmens, mit der Maß-
gabe, Leistungen und Produkte deutlich effizienter erstellen zu können. Prozesse und
Technik werden an die Zielorganisation angepasst bzw. häufig daran neu ausgerichtet.
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Ein evolutiver Ansatz bedeutet, seine Prozesse langsam, aber beharrlich und Schritt
für Schritt weiterzuentwickeln. Darunter fallen alle Arten der Prozesspflege, ob Six
Sigma, Kaizen oder einfache Prozessinstandhaltung. Sie alle leisten ihren Beitrag zur
kontinuierlichen Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse. Unter einer kontinuier-
lichen Prozessverbesserung wird also die sanfte, aber stetige und meist punktuelle
Verbesserung einzelner Prozessschritte und Prozessteile verstanden. Der evolutive
Ansatz folgt keinem Gesamtkonzept und stellt im Unternehmen nichts grundsätzlich
infrage. Darin liegt auch oft seine Begrenzung.
7.3.4 Grundlegende Optimierungsbausteine
Abgesehen von der kompletten Neukonzeption (siehe Revolution, Kapitel 7.3.1) eines
Prozesses, greifen sämtliche Prozessentwicklungsmaßnahmen auf die in Abbildung
70 beschriebenen Optimierungsansätze zurück.
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Auf Ihrem Weg sind Sie bereits weit gekommen. Die Prozessanalyse ist abgeschlos-
sen. Inzwischen haben Sie das Prozessumfeld gründlich analysiert, maßgebliche
Schwachstellen identifiziert, Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet und ein optimier-
tes Zielbild entwickelt. Eines fehlt aber noch: die eigentliche Verbesserungsarbeit am
Prozess. Diese wird typischerweise in Form eines Projekts mit klar formulierter Auf-
gabenstellung eingeleitet. Was fehlt dazu noch? Zu diesem Zeitpunkt halten Sie eine
detaillierte Liste verifizierter Verbesserungsmaßnahmen und ein (Wunsch-)Zielbild in
Händen. Auf Basis dieser Informationen müssen Sie nun Anforderungen an das Pro-
jekt formulieren und Arbeitspakete ableiten. Dieses Kapitel ist deshalb der Vorberei-
tung und Initiierung des Projekts gewidmet.
Sollen Zielbilder zum Projekt werden, ist die Versuchung groß, die postulierten Maß-
nahmen gleich als Arbeitspakete zu definieren. Diese Sichtweise wird jedoch keines-
falls dem ungezügelten Informationshunger eines Umsetzungsprojekts gerecht und
ist letztlich auch nicht zielführend. Warum? Prozessverbesserungsmaßnahmen, wie
beispielsweise die Einführung eines neuen IT-Systems, die Modernisierung von Pro-
duktionsmaschinen oder die Reorganisation der Ablauf- und Aufbauorganisation
eines Prozesses, bestehen aus unzähligen Aufgaben und verschiedensten Handlungs-
strängen, die sehr schnell eine zeitliche und fachliche Komplexität erreichen, die ohne
entsprechende Struktur und detaillierte Anforderungen schwer handhabbar werden.
Zudem lässt eine Verbesserungsmaßnahme für sich einen noch viel zu großen und
letztlich optimierungsfeindlichen Interpretationsspielraum. Um also Unklarheiten zu
eliminieren und zu vermeiden, dass notwendige Aufgaben in der Umsetzung überse-
hen werden, ist es notwendig, aus den definierten Maßnahmen klar umrissene Anfor-
derungen abzuleiten und verwandte Aufgaben in Arbeitspaketen zusammenzufassen
(siehe Abbildung 71).
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Rechnungen sind
als PDF im Archiv- AP: Archivierung
system abzulegen
von Rechnungen
Rechnungsstatus:
Entwurf, Prüfung,
Freigabe, Versand
Zahlung
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Besteht darüber hinaus noch der Wunsch, die Auswirkungen einzelner oder aller Opti-
mierungsmaßnahmen auf das Unternehmen im Detail zu beleuchten, empfiehlt sich
die Durchführung einer Fit/Gap-Analyse. Dahinter verbirgt sich ein qualitatives Analy-
sewerkzeug, das es erlaubt, den Änderungseinfluss der Optimierungsmaßnahme auf
das Unternehmen einzuschätzen und die Größenordnung der zu erwartenden Reali-
sierungsaufwände zu bestimmen. Jede Anforderung wird auf ihre Auswirkungen auf
Prozesse, Technik und Organisation hin überprüft (siehe Abbildung 72).
Ist-Prozess Ziel-Prozess
Prozesse
An welchen Stellen
muss der Prozess angepasst werden?
Technik
Organisation
Welche Organisationsbereiche
müssen angepasst werden?
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Automatischer X
E-Mail-Versand
der Rechnungen
– – (0/1/1)
7 –/–
Die Dimension mit der höchsten Punktbewertung bestimmt die Einstufung, ob die
Anforderung einen Fit, Partial Fit oder einen Gap darstellt. So ist eine Bewertung von
(0/0/2) als Partial Fit einzuordnen, obwohl die Anforderung keine Auswirkungen auf
zwei der drei Dimensionen hat.
Im Grunde hat jede Prozessoptimierung mit zwei, vom Charakter her sehr unterschied-
lichen Phasen zu kämpfen. In der ersten Phase erfolgt die bereits ausführlich bespro-
chene Analyse- und Lösungsentwicklung. Die zweite Phase kreist um die Umsetzung
der in der Analysephase erarbeiteten Optimierungslösungen. Die Formulierung eines
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klar umrissenen Projektauftrags bildet den Abschluss der Analyse. Damit ist die
eigentliche Aufgabe des Prozessberaters abgeschlossen. Oft wird der Wechsel von der
Analyse- in die Umsetzungsphase durch einen Wechsel der verantwortlichen Person
markiert. Der Prozessberater übergibt die Änderungsanforderungen an einen für die
Umsetzung benannten Projektleiter. Parallel dazu kommen in der Realisierungsphase
auch neue bis dato nicht involvierte Unternehmensbereiche (z. B. Einkauf, HR, IT) und
neue Lieferanten zum Zug. Abbildung 73 zeigt einen Arbeitsplan für beide Phasen, der
ihre sehr unterschiedlichen Bedürfnisse nochmals herausstellt.
I. Projekt definiert II. System analysiert III. System gestaltet IV. Veränderung
implementiert
1. Kritische 1. Organisation 1. Organisation 1. Strategieumsetzung
Erfolgsfaktoren a. Aufbauorganisation a. Anforderungen an und Aktionsplan
identifiziert analysiert Organisation festgelegt entwickelt
2. Kritische Prozesse b. Kritische Erfolgs- b. Änderungen an 2. Empfehlungen
selektiert faktoren bestätigt Organisation entwickelt und
zusammengefasst genehmigt
3. Projektziel 2. Prozess
bestimmt 2. Prozess 3. Organisations-
a. Ist-Prozess a. Soll-Prozess änderung
. Projektsupport- aufgenommen aufgenommen durchgeführt
anforderungen b. Messgrößen entwickelt
festgelegt b. Schwachstellen . Prozessänderungen
analysiert c. Veränderungen bzw. Neuprozess
5. Projektrahmen- zusammengefasst implementiert
bedingungen
festgelegt 3. Rollen 3. Rollen 5. Prozesskontrollen
a. Kritische Rollen & a. Anforderungen an und Kennzahlen
6. Vorgehensmodell Verantwortlichkeiten Rollen festgelegt implementiert
entwickelt identifiziert b. Leistungssystem
7. Kick-off-Meeting b. Leistungssystem angepasst/entwickelt
für Projekt analysiert c. Rollenänderungen
vorbereitet zusammengefasst
Lösungsentwicklungsphase Umsetzungsphase
(Projekt) (Projekt)
Abb. 73: Arbeitsplan zur Prozessentwicklung; Quelle: In Anlehnung an Freidinger, Robert: Vorlesung
Geschäftsprozessmodellierung, Berufsakademie Stuttgart, Semester 2008/2009: http://slideplayer.
org/slide/669712/ (Zugriff: 28.01.2016)
Für einen sauberen Übergang empfiehlt sich die Erstellung eines Projektauftrags, in
dem die folgenden Punkte Berücksichtigung finden:
y klare und unzweifelhafte Beschreibung der Projektziele
y geschäftliche Notwendigkeit bzw. Motivation für die Prozessoptimierung
y möglichst detaillierte Beschreibung der Anforderungen und erwarteten Ergebnisse
y erwartete Vorteile des Projekts, idealerweise durch einen Business Case beschrieben
y Beschreibung der kritischen Erfolgsfaktoren
y Projektrahmen (Risiken, Arbeitsumfang, Projektorganisation, Stakeholder, Mei-
lensteine etc.).
Mit der Übergabe des Projektauftrags an den Projektleiter ist die Analyse abgeschlos-
sen. Jetzt geht es an die Umsetzung.
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Sie sind nun endlich im Gebirge unterwegs. Es ist ein herrlicher sonniger Tag. Den-
noch gilt es, sehr aufmerksam zu bleiben, denn Sie müssen sich überall orientieren
und auch immer wieder abgleichen, ob sich Ihre Pläne unter den vorgefundenen, im
Gebirge oft schnell wechselnden Bedingungen tatsächlich umsetzen lassen. Vielleicht
haben Sie sich entschieden, sich von einem professionellen, geprüften Bergführer
begleiten zu lassen. Sie werden dann ganz bestimmt nicht allein auf dessen theo-
retisches Wissen vertrauen, sondern auch und gerade auf seine Erfahrung und sein
Urteilsvermögen in kritischen Situationen. Die erbrachte Bergführerprüfung ist der
Nachweis, dass der Bergführer in der Lage ist, sich verantwortungsvoll und fachkun-
dig in einem alpinen Umfeld zu bewegen. Im Alltag muss er jedoch beweisen, dass
er mit verschiedensten Situationen (Wetterbedingungen, Routenwahl, Jahreszeiten
etc.) und mit in Größe, Können und Durchhaltevermögen unterschiedlichsten Grup-
pen zurechtkommt. Wählt er eine zu hohe Aufstiegsgeschwindigkeit, wird er mit der
Gruppe sehr schnell an die Grenzen seiner Fähigkeiten stoßen. Ähnlich verhält es sich
mit Prozessen, wenn Sie Änderungen an ihnen vornehmen. Was am grünen Tisch wie
die perfekte Lösung aussieht, muss in der Praxis noch lange nicht funktionieren.
Prozesse laufen nie unter Laborbedingungen ab. Sie unterliegen einer Vielzahl von
Einflüssen, welche die Prozessausführung beeinflussen und sich auf die Prozessleis-
tung und die Prozessergebnisse auswirken. Das Ziel der Prozess- und Ergebnisüber-
wachung ist es, in einer veränderlichen und dynamischen Umgebung nicht die Orien-
tierung zu verlieren. Das Unternehmen muss in der Lage sein, seine Prozesse innerhalb
gewisser Grenzen planbar, vorhersagbar und skalierbar beherrschen zu können. Es
gibt nun einmal einen deutlichen Unterschied zwischen der Zielprozessentwicklung
(dem Ergebnis Ihrer Prozessverbesserungsbemühungen) unter Laborbedingungen
und der Beherrschung des Prozesses im Unternehmensalltag. Deshalb muss die Über-
wachung von Prozessen neben der Ergebnisqualität auch immer den Leistungsstand
und die Beherrschbarkeit des Prozesses im Auge haben.
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Prozesse können niemals mit einer Kennzahl alleine überwacht werden. Zu stark sind
sie dem Spannungsfeld aus Qualität, Kosten, Menge und Zeit ausgeliefert.106 Erst der
kontinuierliche Ausgleich dieser divergierenden Erwartungen an den Prozessverlauf
und das Prozessergebnis definieren einen beherrschbaren Prozess und die Grenzen
seiner Beherrschbarkeit. Letztendlich ist ein Kennzahlensystem immer auch ein Kom-
promiss und stellt einen Interessenausgleich innerhalb der Organisation dar.
Abbildung 74 beantwortet die Frage nach dem Wie? Der auf Basis von Prozessverbes-
serungsvorschlägen formulierte Zielprozess wird in der Prozessplanung mit geeigne-
ten Leistungskennzahlen und Soll-Werten ausgestattet. Dabei berücksichtigt die Pro-
zessplanung die Bedeutung des Prozesses für das Unternehmen, d. h. seine Priorität,
ermittelt seine Ausführungshäufigkeit und bestimmt, innerhalb welchen Qualitäts-,
Zeit- und Kostengrenzen die Ausführung erfolgen darf.
Soll
Prozess- Prozess-
planung kontrolle
Änderungen Abweichungen
Rückmeldung
Vorgaben Ergebnisqualität
Prozesssteuerung
Soll (Lösungssuche, -bewertung, Ist
Korrekturen, Initiierung)
Korrekturmaßnahmen
Prozessentwicklung
Prozessausführung Prozessergebnis
Zielprozess definieren
106 Siehe auch Bünting, Frank (2006): Prozessorientierte Managementsysteme: Prozesse richtig definieren,
beschreiben und steuern, VDMA, Frankfurt, S. 65 ff.
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Kontrollgröße
(z. B. Genauigkeit,
Durchlaufzeit) unkontrollierter
Prozessverlauf
verspätete
Problemerkennung
rechtzeitige
100% Problemerkennung
optimales
Soll- Prozessergebnis
Verlauf
Verzögerung Verzögerung
Prozessverlauf
Prozessergebnis
Korrekturwirksamkeit
Korrekturwirksamkeit
Prozessende
Erkennungszeitpunkt
Erkennungszeitpunkt
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BEISPIEL
Dieses Beispiel zeigt auch, dass nicht nur direkte Ergebnismessungen, wie die Über-
prüfung des Bohrlochdurchmessers, als Kontrollgrößen Relevanz besitzen, sondern
auch Arbeitsmittel und Prozessumfeld aufschlussreich sein können. So steigt etwa
die Bohrertemperatur mit zunehmendem Verschleiß (aufgrund der Abstumpfung
des Bohrers) und wäre damit als Kontrollgröße durchaus geeignet. Hier könnte eine
sensorgesteuerte, digitalisierte Erfassung des Temperaturverlaufs als potentes Früh-
warnsystem ein bevorstehendes Wartungsereignis (Bohrerwechsel) anzeigen.
Und noch etwas vermittelt dieses Beispiel. Kontrollgrößen und Messpunkte müssen
an unterschiedlichen Stellen des Prozesses eingeplant und kontinuierlich ausgewer-
tet werden, um überhaupt Relevanz zu besitzen. Abbildung 76 liefert dazu einige
Ansatzpunkte für den Einsatz typischer Kontrollgrößen im Prozessverlauf.
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Kontrollgrößen
* Fehlerkosten/Fehlteile
* Termintreue
* Lieferzeit
Eingabe Ausgabe
Lieferant Prozess Kunde
Zulieferung Ergebnis
Kontrollgrößen Kontrollgrößen
* Reaktionszeit Kontrollgrößen * Kundenzufriedenheit
* Lieferzeit * Durchlaufzeit * FPY-Kunde
* Termintreue * Wertschöpfungszeit (Prozess + Logistik)
* Kosten
* FPY-Prozess*
Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen entweder noch immer
keine Prozesskennzahlen erheben oder – was ich noch fast bedenklicher finde – Kenn-
zahlen erheben, aber sie nicht in das Unternehmens-Controlling einbeziehen. Meist
geht das damit einher, dass Prozessverantwortliche zwar regelmäßig Kennzahlen
berichten, aber dies keinen Einfluss auf die Handlungen des Unternehmens hat.
Gestützt wird diese Beobachtung durch eine Untersuchung der renommierten Wirt-
schaftsprüfungsgesellschaft PwC (PricewaterhouseCoopers). In ihrer Studie kommen
sie zu dem Ergebnis, dass rund zwei Drittel der Unternehmen keine systematischen
Kennzahlen über ihre Geschäftsprozesse erheben. Besonders ausgeprägt scheint
der nachlässige Umgang der Prozessüberwachung bei mittelständischen Unterneh-
men zu sein. Nur jedes fünfte mittelständische Unternehmen erhebt systematisch
Prozesskennzahlen und nutzt diese als Instrument zur Unternehmenssteuerung. Ein
noch kläglicheres Bild zeigt sich, wenn man das Reaktionsverhalten von Firmen auf
Prozessabweichungen mit einbezieht. Lediglich jedes neunte Unternehmen reagiert
überhaupt auf eine Prozessabweichung (bzw. eine auffällige Kennzahlenabweichung)
mit einem dokumentierten Vorgehen.107
Diese Zahlen zeigen vor allem eines: Prozessmanagement ist noch nicht in den Vor-
standsetagen angekommen. Gerade aber der Wunsch nach einer umfassenden Digi-
talisierung, der Schaffung neuer Wertschöpfungsketten und die Unterstützung durch
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Wie aber können Sie sicherstellen, dass Prozesse die Unternehmensziele erfüllen und
dabei gleichzeitig mit den richtigen Kennzahlen gesteuert werden?
Eine Antwort auf die Frage nach einem prozessorientierten Steuerungsansatz der
Unternehmensziele liefert die Balanced Score Card (BSC).108 Die Balanced Score Card
arbeitet grundsätzlich mit vier Zielperspektiven:
y Kundenperspektive,
y Finanzperspektive,
y Entwicklungsperspektive (des Unternehmens) und
y Prozessperspektive.
108 Horváth, Péter (2011): Controlling, 12. Auflage, Vahlen, München, S. 232 ff.
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Prozessfinanzen
strategisches Mess- Ziel- Maß-
Ziel größen werte nahmen
Prozesskunden Prozessleistung
strategisches Mess- Ziel- Maß- strategisches Mess- Ziel- Maß-
Ziel größen werte nahmen Prozess- Ziel größen werte nahmen
strategie
Entwicklungsperspektiven
strategisches Mess- Ziel- Maß-
Ziel größen werte nahmen
Abb. 77: Process Scorecard (PSC); Quelle: Horváth, Péter, a. a. O. (Fn. 108)
Für jede dieser Prozesszielperspektiven sind Sie nun in der Lage, Kennzahlen zu defi-
nieren, die den Prozess ganzheitlich abbilden und dem in Kapitel 5.3.1 beschriebenen
Spannungsfeld gerecht werden. Abbildung 78 liefert Ihnen Beispiele von Zielgrößen je
Prozessperspektive.
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Prozessertrag Prozessproduktivität
Prozessfinanzen Prozessumsatz Prozessrendite
Prozesskosten
Prozesszeiten Prozesskostentreue
Prozess- Prozessqualität
leistung
Prozesstermintreue
Prozesskultur Prozesswissen Kernkompetenz
Entwicklungs- Kundenorientierung Organisationales Lernen Innovation
perspektive
Mitarbeiterzufriedenheit Prozessreifegrad
Kundenzufriedenheit Kundenbeschwerden
Prozesskunden Kundenbindung Liefertreue
Marktanteil
Zwar haben Sie nun einen probaten Weg gefunden, die Unternehmensziele direkt auf
die Prozesse umzulegen, allerdings besteht immer noch die Gefahr, zu viele und wenig
aussagekräftige Kennzahlen für die Prozesssteuerung zu identifizieren. Wie können
Sie sicherstellen, wenige, aber aussagekräftige Kennzahlen auszuwählen? Leiten Sie
für die in Abbildung 77 dargestellte PSC mögliche Kennzahlen für jede Ihrer Perspek-
tiven ab, so erhalten Sie die Möglichkeit, wirklich relevante Kennzahlen aufzudecken
und in Form konkreter Leistungsvorgaben zu operationalisieren. Abbildung 79 illust-
riert das Vorgehen.
196
PSC 1: Zielzusammenfassung PSC 1: Operationalisierung
Nr. Kennzahl Messgröße aktuell Vorgabe
Rendite
Umsatz Ertrag 1.1 Prozessumsatz EUR/Woche 123. 00 163.875
finanzen
1.2 Prozessertrag EUR/Woche 23. 00 19.23
1. Prozess-
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kunden
Produkt- 2.2 Beschwerdequote Prozent 1,2 0,05
Lieferzeit Betreuung
2. Prozess-
qualität
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Prozess-
3. Durchlaufzeit Minuten 326 250
.
.2 Reifegrad RG 1,78 2,00
Kern-
kompetenz .3 Anzahl Anzahl/ 2 5
perspektive
Verbesserungen Monat
Entwicklungs- 3. leistung
= prominente Kennzahl, PSC = Process Scorecard, NPS = Net Promoter Score, ESI = Employee Satisfaction Index, RG = Reifegrad
197
Kurshalten unter ungewissen Bedingungen
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Im ersten Schritt sind potenzielle Zielgrößen (Achtung, das sind noch keine Kenn-
zahlen!) Ihrer jeweiligen Perspektive zuzuordnen (z. B. Umsatz zur Perspektive Pro-
zessfinanzen). Danach wird das Zusammenspiel der Zielgrößen visualisiert (Hat eine
Zielgröße Einfluss auf eine andere?) und diese durch einen entsprechenden Verbin-
dungspfeil dargestellt. So ist beispielsweise ein hoher Prozessreifegrad erforderlich,
um ausgeprägte Termintreue zu gewährleisten (siehe Abbildung 79). Anschließend
werden in jeder Perspektive diejenigen Zielgrößen mit den meisten eingehenden
Verbindungspfeilen identifiziert. Sie bilden die für die Prozesssteuerung maßgebli-
chen Zielgrößen ab, da sie verschiedene Aspekte anderer Zielgrößen in sich vereinen
(und damit ein Zuviel an Kennzahlen vermeiden). Abbildung 79 weist als maßgebliche
Zielgröße für die Prozesskundenperspektive die Zufriedenheit aus. Sie wird von den
Zielgrößen Produktqualität, Lieferzeit, Betreuung und Preis-Leistungs-Verhältnis beein-
flusst. Aus den anderen Perspektiven kommen in unserem Beispiel noch Rendite,
Termintreue, Produktivität und Innovation als relevante Zielgrößen hinzu. Der letzte
Schritt dient der Ableitung der eigentlichen Kennzahlen, welche die identifizierten
Zielgrößen operativ am besten beschreiben. Fertig ist die PSC. In ihr sind die Unter-
nehmensziele in Form messbarer und aussagekräftiger Kennzahlen operationalisiert.
Es ist empfehlenswert, nicht nur einen Soll-Wert als Zielvorgabe zu definieren, son-
dern einen Zielkorridor zuzulassen, in welchem sich die Kennzahl im operativen
Betrieb bewegen darf, ohne sofort eine kritische Abweichung vom Soll-Wert zu mel-
den und Korrekturen auszulösen.
Wissen Sie eigentlich, wie viele Ausführungen Ihrer Prozesse beim ersten Mal fehler-
frei laufen? Damit meine ich ohne Nacharbeiten, ohne ungeplantes Nachfragen (oder
Informationsbeschaffung), ohne Stillstände, Verspätungen oder fehlerhafte Bereit-
stellungen? Einfach ohne Probleme beim ersten Mal? Wenn Sie darauf keine Antwort
haben, trösten sie sich. Sie sind in »guter« Gesellschaft. Die wenigsten Unternehmen
sind in der Lage, darüber belastbare Aussagen zu treffen. Dabei liefert die Antwort
auf diese Frage eine wesentliche Aussage darüber, wie gesund und zielgerichtet Pro-
zesse ablaufen. Diese als »First Time Right (FTR)« oder auch als »First Pass Yield (FPY)«
benannte Kennzahl gibt den Prozentsatz der Vorgänge (oder Produkte) an, die den
Prozess fehlerfrei durchlaufen konnten (siehe Abbildung 80).
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Bevor Sie gleich weiterlesen, überlegen Sie doch einmal kurz, wie Sie die First Pass
Yield der Prozesse in Ihrem Unternehmen einschätzen. Je mehr Ihre Einschätzung
vom deutschen Industrieschnitt abweicht, d. h. unter 99,0 % (siehe Abbildung 81) liegt,
desto mehr haben Sie noch zu tun. Selbst 99,0 % sind noch kein Grund zum Feiern.
Denn 99,0 % entsprechen gerade mal einem Six-Sigma-Wert von 3,8. Zum Vergleich:
Für Sie persönlich würde das bedeuten, dass sie im Haushalt sieben Stunden im Monat
ohne Strom auskommen müssten, Ihr Brief unter den 13.650 Briefen sein könnte, die
der Post pro Woche verloren gingen, Sie 15 Minuten am Tag unreinem Trinkwasser
ausgesetzt wären oder einen von 5.000 fehlerhaften medizinischen Eingriffen pro
Woche erleiden könnten. Alles keine sehr angenehmen Vorstellungen. Vor diesem
Hintergrund existiert auch kein Konzept einer festen Grenze für eine »akzeptable«
Erfolgsquote. Sie fällt je nach Industrie vielmehr sehr unterschiedlich aus. Je lebens-
wichtiger ein Prozess, desto geringer fällt unsere Toleranz gegenüber Abweichungen
vom Soll-Verhalten aus. Lebenskritische Prozesse (z. B. Operationen, Starts und Lan-
dungen von Flugzeugen) bewegen sich daher idealerweise in Bereichen jenseits von
Six Sigma (und das entspricht immerhin bereits einer Erfolgsquote von 99,9996 %).
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Fluglinien Sicher-
heits-Standards
FTR = 99,9996%
Sigma-Niveau
FTR = 99,0% (Deutscher Industrieschnitt)
(z. B. Operationen)
Gesundheitswesen
Automobilproduktion
6
FTR = 99,98%
lebenskritische
Prozesse
Halbleiterproduktion
5
Fertigungs-
Prozesse
Versicherungen und Banken
Service Logistik
FTR = 93,32%
4
transaktionale
Prozesse
3
Medizin: 5.000 fehlerhafte Eingriffe pro Woche
Wasser: 15 Min. unreines Trinkwasser am Tag
Flughafen: 2 zu kurze oder lange Landungen
Post: 13.650 verlorene Briefe pro Woche
Elektrizität: 7 h ohne Strom pro Monat
2
99,0% FTR (3,8) bedeutet:
1
100,0%
10,0%
1,0%
0,1%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
Fehler-Index
Abb. 81: FPY nach Industrie; Quelle: In Anlehnung an Töpfer, Armin (2007): Six Sigma: Konzeption und
Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität, Springer, Berlin Heidelberg New York, S. 140 f.
Nicht völlig überraschend finden sich die höchsten Standards im Bereich der Luft-
fahrt. Andererseits gehen transaktionsbasierte Industriezweige (Erfolgsquote von
durchschnittlich 93,32 %), wie beispielsweise Banken oder Versicherungen, nach-
sichtiger mit dem Fehlerverhalten ihrer Prozesse um. In diesen Industrien wird weit
weniger Aufwand betrieben, um Prozesssicherheit zu gewährleisten. Man erlaubt sich
mehr Raum für Fehler und Nacharbeiten, da diese Industrieprozesse nicht annähernd
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so kritisch sind wie ihre Vetter aus Medizin und Luftfahrt. Nichtsdestotrotz sind diese
Zahlen wenig ermutigend, bedeuten sie doch, dass beispielsweise die Verwaltung
unserer Konten und Versicherungen, aufgrund von Nacharbeiten und Korrekturen,
aufwendiger ausfällt, als es eigentlich der Fall sein müsste. Dies schlägt sich u. a. in
höheren Gebühren und teureren Versicherungspolicen nieder.
Verschärft wird dieses in weiten Teilen recht unbefriedigende Bild von der Tatsache,
dass wir es meist mit Wertschöpfungsketten, d. h. einer Aneinanderreihung von Pro-
zessen, zu tun haben. Abbildung 82 illustriert diesen Umstand eindringlich. Jeder der
vier betrachteten Prozesse weist für sich genommen eine Erfolgsquote von 90 % aus.
Über die gesamte Wertschöpfungskette sind es dann jedoch nur noch 65 %.109 Sind
nach dem Verkaufsprozess noch 90 % aller Abschlüsse fehlerfrei durchgelaufen, so
führt eine Erfolgsquote von 90 % in der Arbeitsvorbereitung bereits dazu, dass von
eingegangenen 90 Abschlüssen nur mehr 81 Vorgänge die Arbeitsvorbereitung feh-
lerfrei verlassen konnten. Jeder Prozess sorgt somit für eine Verschlechterung der
Gesamterfolgsquote. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur die einzelnen Prozesse auf
ihre möglichst fehlerfreie Ausführung hin zu optimieren, sondern die gesamte Wert-
schöpfungskette im Auge zu haben.
90 90 90 90 72,9 90 65,6 65
Betrachtet man das Prozessverhalten über einen längeren Zeitraum (siehe Abbil-
dung 83), wird es ohne regelmäßige Prozesspflege und rasches Gegensteuern bei
auftretenden Abweichungen im Soll-Verhalten schon bald zu spürbaren Effizienzver-
schlechterungen im Prozess kommen (Bild 2 in Abbildung 83). Erst durch eine stetige
Überwachung der Prozesse, die bei auftretenden Abweichungen des erlaubten Soll-
109 In der Fertigungsindustrie wird die Erfolgsquote auch als »Ausbringung« bezeichnet.
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Verhaltens mit einer dokumentierten Reaktion einhergeht, können Prozesse ihr Leis-
tungsvermögen (Bild 3 in Abbildung 83) erhalten.
Effizienz
Effizienz
Innovation
Innovation
Innovation Innovation
Zeit Zeit
3. Prozessoptimierung mit Erhaltung 4. Prozessoptimierung und Kaizen
Kaizen
Effizienz
Innovation
Effizienz
Erhaltung
Innovation
Kaizen
Erhaltung
Innovation Innovation
Zeit Zeit
Abb. 83: Prozessverhalten mit und ohne Prozesspflege; Quelle: Rießelmann, Julia (2011): Fakten-
blatt »Effizient mit Ressourcen umgehen: Wertstromdesign«, RKW-Kompetenzzentrum, S. 3: https://
www.rkw-kompetenzzentrum.de/innovation/2011/faktenblatt/effizient-mit-ressourcen-umgehen-
wertstromdesign/ (Zugriff: 21.01.2016)
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Prozess-
Controlling
Check Do
„Kleine“ Lösung
Funktioniert es? ausprobieren
* Umsetzung überprüfen * Probe, Test
* Ergebnisse prüfen * Pilot, Simulation etc.
Prozess- Prozess-
Design überwachung
Prozess-Management
Prozess- Prozess-
implementierung ausführung
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Diese Aufgabe fällt der Prozess-Governance zu. Sie bildet die Brücke zwischen Unter-
nehmensstrategie und Prozessführung (siehe Abbildung 86).
Vision, Unternehmensstrategie
Umfasst u. a. die Entscheidungs-
findung, Definition von Standards,
Setzen von Prioritäten, Personal-
identifikation, Rollendefinition und
Prozess-Governance übersetzt die Unternehmens-
strategie in Prozessziele.
Prozesse
Fehlt die zentrale Prozessorganisation, ist die Deutungshoheit über Prozessziele, Pro-
zessausgestaltung und Weiterentwicklung einzelnen Prozessverantwortlichen überlas-
sen, die naturgemäß eher bereichsorientiert (fachorientiert) handeln, da sie ja auch in
der Regel einem Fachbereich zugeordnet sind. Bereichsorientierung dominiert, Prozes-
sorientierung gibt es selten. An durchgängige und bereichsübergreifende strategische
Zielvorgaben entlang der Wertschöpfungsketten des Unternehmens ist so kaum zu den-
ken. So schwächt die vorherrschende Bereichssicht die Prozessführung und beeinträch-
tigt letztlich das mögliche Leistungsvermögen der Geschäftsprozesse.
Die Entwicklung einer Prozess-Governance ist keine triviale Sache. Hier gilt es, die
Prozessorganisation aufzubauen, Rollen und Gremien zu definieren und festzulegen,
in welchem Umfang eine Prozessorganisation eigenständige Entscheidungen treffen
darf. Nachdem die meisten Prozessorganisationen in einer Matrix-Organisation arbei-
ten, kommen noch Fragen nach der Steuerung, Incentivierung und der Freistellung
von Linienaufgaben hinzu. Daneben sind zahlreiche unterschiedliche Interessenlagen
der verschiedenen Bereiche zu berücksichtigen.
Das von den Prozessexperten Braganza und Lambert vorgeschlagene Modell zur Ent-
wicklung einer Prozess-Governance berücksichtigt nicht nur diese divergierenden
Erwartungen, sondern versucht, einen Ausgleich über die verschiedenen Governance-
Ebenen zu schaffen (siehe Abbildung 87).110
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Das Modell unterstützt drei für die Prozess-Governance relevante Sichtweisen: Pro-
zess-, Governance- und Rollenperspektive.
Dieses Vorgehen liefert neben der Grundstruktur der Prozessorganisation und der
Ableitung ihrer vordringlichsten Aufgaben auch den notwendigen Ausgleich zwischen
Bereichs- und Prozesssicht.
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Materialwirtschaft
Abb. 88: Geistige »Mauern« zwischen Bereichen; Quelle: In Anlehnung an Ehrlenspiel, Klaus (2009):
Integrierte Produktentwicklung: Denkabläufe, Methodeneinsatz, Zusammenarbeit, Hanser Verlag,
München, S. 187
Das schleichende Gift des Taylorismus wirkt nach und beeinträchtigt immer noch
zahlreiche vitale Wertschöpfungsketten. In Zeiten, in denen Geschwindigkeit, Wett-
bewerbsdruck sowie Produkt- und Leistungsindividualität immer mehr an Bedeutung
gewinnen, stoßen siloartige Strukturen mehr und mehr an ihre Grenzen.
Eine vordringliche Aufgabe der Digitalisierung muss es daher sein, die Unternehmens-
organisation entlang dominanter und flexibler Prozessketten auszurichten, die noch
dazu viel näher am Kunden verlaufen und von ihm beeinflusst werden. Zukünftig wird
der Kunde nicht nur am Beginn (beispielsweise als Auslöser einer Produktbestellung)
und am Ende (beispielsweise als Empfänger des Produktes) eines Geschäftsprozes-
ses stehen, sondern auch dazwischen immer mehr Möglichkeiten haben, Einfluss auf
Abläufe, Inhalte und die letztendliche Ausgestaltung seiner Wunschvorstellungen
zu nehmen (Stichwort »Losgröße 1«). Klassische bereichs- und funktionsorientierte
Organisationen werden das nicht mehr lange leisten können. Abbildung 89 stellt die
gängigsten Formen prozessorientierter Aufbauorganisationen vor.
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PV
PV
PV
Durchlaufzeit
Zielerreichung
Tendenzielle
Prozesskosten
Prozessqualität
Kundenzufriedenheit
Produktqualität
PV = Prozessverantwortlicher
Abb. 89: Formen prozessorientierter Aufbauorganisationen; Quelle: In Anlehnung an Fischermanns,
Guido, a. a. O. (Abbildung 21), S. 185
Die funktionale (Bereichs- oder Fach-)Organisation ist der manifeste Ausdruck taylo-
ristischer Aufgabenteilung und immer noch in zahlreichen Unternehmen anzutreffen.
Prozesse überschreiten Bereichsgrenzen. Eine bereichsübergreifende Prozessverant-
wortung ist dabei nicht vorgesehen. Nicht selten laufen Prozesse in funktionalen Orga-
nisationen völlig ungesteuert ab. Schwierigkeiten im Ablauf werden von Bereichsleitern
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Mit der Matrix-Organisation wird versucht, durch die Einsetzung von Prozessverant-
wortlichen, Nachteilen funktionaler Organisationen den Stachel zu ziehen. Das Kon-
zept der Matrix-Organisation ist nicht neu. Es wird schon seit Jahrzehnten eingesetzt,
um auf regionale Anforderungen, Produkt- oder Kundenbelange durch die Einführung
von Querschnittsverantwortungen effizienter zu reagieren. Neu ist nur, dass in den
letzten Jahren solche Strukturen für die Steuerung, Entwicklung und Verbesserung
von Prozessketten vermehrt Eingang in den Unternehmensalltag gefunden haben.
Insbesondere große Mittelständler und Konzerne setzen häufiger auf dieses Modell,
um Brücken zwischen den einzelnen Bereichen zu schlagen.
Marketing
Entwicklung
Produkt Produkt Produkt
Fertigung planen entwickeln liefern
Vertrieb
Service
Abb. 91: Schematische Darstellung einer reinen Prozessorganisation; Quelle: Eigene Darstellung
Besonders unter Unternehmen, die für ihre Produkte und Dienstleistungen vorwie-
gend eine digitale Plattform nutzen, sind Prozessorganisationen vermehrt anzutref-
fen. Prominentester Vertreter in dieser Gruppe ist einmal mehr Amazon. Ohne seine
stark prozessorientierte Ausrichtung wäre der Konzern wohl kaum in der Lage, die Lie-
ferung am selben Tag (»Same Day Delivery«) bzw. binnen eines Tages – zumindest für
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seine »Prime«-Kunden als Standardprodukt (also ohne Zusatzkosten wie bei anderen
Anbietern) – anzubieten. Das nächste Ziel von Amazon lautet sogar, Lieferzeiten tags-
über in Ballungsräumen unter zwei Stunden zu brechen. Doch wir reden nicht allein
über den Handel. Auch in jüngerer Zeit als Start-up gegründete Unternehmen, wie
Uber oder Airbnb, profitieren von starken Prozessorganisationen.
Woran aber liegt es, dass reine Prozessorganisationen häufig bei Unternehmen anzu-
treffen sind, die digitale Plattformen unterhalten? Dies hat vor allem zwei Gründe.
Zum einen verlaufen die relevanten Leistungsprozesse bereits zum überwiegenden
Teil in der Plattform digital ab und zwingen das Unternehmen förmlich dazu, sich nach
den Prozessen auszurichten. Vielfach geht das mit der Ausarbeitung sogenannter Cus-
tomer Journeys einher, in denen der Prozess aus dem Erlebnisblickwinkel des Kunden
betrachtet wird. Zum anderen wirkt sich die Tatsache sehr vorteilhaft aus, dass viele
dieser Unternehmen in den letzten Jahren neu in den Markt drängten und Plattfor-
men und Aufbauorganisation am grünen Tisch, ohne Bürde durch Altlasten wie einer
bereichsorientierten Bestandsorganisation oder vorwiegend analogen Prozessen,
planen und starten konnten.
209
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Management Management
funktionsorientiert prozessorientiert
Ziele: Ressourceneffizienz, Ziele: Kundenzufriedenheit,
Kosteneffizienz Prozesseffizienz
vertikale Ausrichtung horizontale Ausrichtung
abteilungs- und abteilungsübergreifend- und
stellenbezogen prozessbezogen
verrichtungsorientiert geschäftsfallorientiert
Spezialisierung, Arbeitsteilung Aufgabenintegration
Ressort-, Statusdenken unternehmerisches
Erfolgsdenken
Machtorientierung Kunden- und Teamorientierung
tiefe Hierarchien, viele flache Strukturen
Schnittstellen
hoher Koordinations- und Selbstbestimmung und
Steuerungsbedarf -steuerung
zentrales Fremdcontrolling dezentrales Selbstcontrolling
kontrollierte Informationen freie und offene Informationen
Rationalisierungsprojekte kontinuierliche Verbesserung
Ersatzprozesse, Redundanz Konzentration auf
Wertschöpfung
Komplexität Transparenz
Abb. 93: Merkmale von Funktions- und Prozessorganisationen; Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/
Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 205
Abschließend möchte ich noch die Effizienzunterschiede zwischen den beiden Orga-
nisationstypen anhand der sechs relevanten Effizienzausprägungen Anpassung, Res-
sourcen, Prozess, Delegation, Macht und Motivation herausstellen. Wie man Abbildung
94 entnehmen kann, schlägt die funktionale Aufbauorganisation die prozessorien-
tierte lediglich in einer Dimension: Ressourceneffizienz. Dies liegt vor allem daran,
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Anpassungseffizienz
Motivations- Ressourcen-
effizienz effizienz
Machteffizienz Prozess-
effizienz
Delegationseffizienz
funktionsorientierte Aufbauorganisation
prozessorientierte Aufbauorganisation
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Ergebnisse,
Ziele Probleme Steuerungs- und Kontroll-
Geschäftsprozesse gremium für das GPM-System
Control Board (CPO+CIO+COO+QM+Controlling)
Prozess- Kaizen-Spezialisten
Office Prozessanalysten
Prozessmodellierer
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Kennzahlen zu erheben und Prozesse mit deren Hilfe zu überwachen und zu steuern,
ist nicht neu, auch wenn viele Unternehmen, wie beschrieben, sich hier noch lange
nicht auf der Höhe der Zeit bewegen. Gerade mit den Möglichkeiten, welche die Digi-
talisierung von Prozessen eröffnet, lässt sich die klassische Ergebnisüberwachung
(das Steuern von Prozessen anhand gemessener Kennzahlen) nun noch um zwei sehr
interessante Navigationsinstrumente erweitern: Action Distance Management und
Prozesssimulation.
Ereignis-
information
Reaktion und
Wirkung
Abstand
Abb. 97: Konzept des Action Distance Managements (ADM); Quelle: Eigene Darstellung
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Der Abstand wird durch verschiedene Aspekte bestimmt, die am Ende als Summe ver-
schiedener zeitlicher Verzögerungen ihren Niederschlag finden. Darunter fallen die
folgenden:
y zeitlicher Abstand zwischen Informationsverfügbarkeit und der darauffolgenden
Reaktion
y räumlicher Abstand zwischen der Anzeige der Information und der Reaktionsan-
bahnung
y sozialer Abstand zwischen der informationsbeschaffenden Person und der Per-
son, die für die Reaktionsausführung verantwortlich ist bzw. über sie entscheidet
y informativer Abstand (Informationslücke) zwischen der Ereignisinformation und
der nächsten Information, die eine Interpretation der Ereignisdaten zulässt.
Alle diese Faktoren äußern sich letztlich in einer resultierenden zeitlichen Verzöge-
rung des korrigierenden Eingriffs auf ein wertschöpfungsrelevantes (gefährdendes)
Ereignis. Abbildung 98 illustriert die mit den beschriebenen Abstandsarten einherge-
henden Latenz-Zeiten.
Wert-
schöpfungs-
wert
wertschöpfungsrelevantes
Ereignis tritt auf
Wert-
schöpfungs- Ereignisdaten
minderung gespeichert
durch (und verfügbar)
Latenzzeiten Analyse-
Informationen Gegenmaßnahmen
geliefert (Lösung) Störung
eingeleitet behoben
Zeit
Daten- Analyse- Entscheidungs- Implementierungs-
Latenz Latenz Latenz Latenz
Reaktionszeit
Abb. 98: Wertminderung durch Latenz-Zeiten; Quelle: zur Muehlen/Shapiro: Business Process
Analytics, in: Rosemann/vom Brocke (2009): Handbook on Business Process Management, Vol. 2,
Springer Verlag, Berlin et al.
214
Latenz-Typ Beschreibung Vorherrschende Einflussfaktoren
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Aktionsdistanz
Zeit zwischen der Initiierung der Analyse, der sozialer Abstand > Datenqualität
Analyse-Latenz inhaltlichen Aufbereitung und der Lieferung an die räumlicher Abstand > Anlaufzeit für Analyse
Wertschöpfungsverlust des Prozesses aus.
Zeit vom Verständnisgewinn, was das Ereignis be- > Interpretation der Analyseergebnisse
8.3
Entscheidungs- deutet bis zur passenden Reaktion (Entscheidung) zeitlicher Abstand > Entwicklung der Lösungsstrategien
Latenz darauf sozialer Abstand > Entscheidungsfindungsprozess
> Freigabe- und Beschaffungsspielregeln
Tab. 22: Übersicht der verschiedenen Latenz-Typen; Quelle: In Anlehnung an: http://www.wi2015.
Gesamtlatenz-Zeit ist, desto stärker fällt die Wertminderung eines Produkts bzw. der
stanzen zurückzuführen sind (siehe Tabelle 22). Als Daumenregel gilt: Je größer die
215
aus verschiedenen Einzel-Latenzen zusammen, die auf unterschiedliche Aktionsdi-
und der abgeschlossenen Reaktion darauf vergeht. Die Gesamtlatenz-Zeit setzt sich
Unter Latenz oder Latenz-Zeit versteht man die Zeit, die zwischen einem Ereignis
Neue digitale Navigationsinstrumente
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Erst jahrzehntelange Erfahrung hat Flugzeugbauer dazu gebracht, Kontroll- und Steu-
erinstrumente ausschließlich im Cockpit eines Flugzeugs anzubringen. Diese erlauben
es den Piloten, in kürzester Zeit auf ungewöhnliche Situationen zu reagieren. Das ist
angewandtes »Action Distance Management«! Stellen Sie sich nun vor, der Pilot müsste
stattdessen zum Heck des Flugzeugs gehen, dort die Kontrollinstrumente ablesen und
anschließend wieder ins Cockpit zurückkehren, um dort entsprechende Korrekturmaß-
nahmen einzuleiten. Keiner von uns säße wohl gerne in so einem Flugzeug.
Aber genau das wird – um die Analogie auf Unternehmen zu übertragen – beim
Management von Geschäftsprozessen viel zu oft billigend in Kauf genommen. Regel-
mäßig werden Entscheidungen nicht dort getroffen, wo Know-how und Messinstru-
mente (Informationen) vorhanden sind, sondern an Stellen, die vom Prozess bzw. dem
entscheidungsrelevanten Ereignis weit entfernt sind. In einem Zeitalter, in dem Infor-
mationen innerhalb von Sekunden globale Bedeutung erlangen können, ist das ein
mitunter dramatischer Wettbewerbsnachteil.
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Kennzahlen-Ausgestaltung
* Identifikation und Definition der Kennzahlen
* Wahl der Baseline (Benchmark)
* Definition der Messpunkte
Analyse
Kennzahlen-Analyse Kennzahlen-Controlling
Steuerung & Geschäfts- Design/
* zeit- und ortsabhängige Überwachung prozess- Verbesserung * Überwachung der
Analyse der Prozess- simulation Kennzahlen
indikatoren * Protokollierung der Werte
* Festlegung der * Abgleich mit der
Abweichungen Umsetzung gewählten Baseline
von der Baseline * Alarmierung der
* Berücksichtigung der Verantwortlichen
Controlling-Erfahrungen Prozess-Warehouse * automatisches Auslösen
* Vorbereitung der von Korrekturmaßnahmen
Werkzeuge-Analyse Werkzeuge-Überwachung
Maßnahmenentwicklung
* Simulation * Cockpits
* Process Mining * Reports
* BI Werkzeuge * Alarme
* Activity Distance
Management
BI = Business Intelligence
Abb. 99: Ableitung von Baseline-Daten durch Prozesssimulation; Quelle: In Anlehnung an PwC,
a. a. O. (Fn. 85), S. 37
Neben einer regelmäßigen Pflege der Baseline-Daten sollten auch die in Abbildung 99
beschriebenen Analysewerkzeuge (Prozess Mining, Activity Distance Management, Simu-
lationsinstrumente) regelmäßig gepflegt und aktualisiert werden. Wenn dies unterbleibt,
relativieren sich die aus der Simulation gewonnenen Einsichten sehr schnell. Baseline
und Leitplankenwerte, die den Korridor gesunden Prozessverhaltens definieren, veralten
dann rasch und führen die angestrebte Prozessüberwachung letztlich ad absurdum.
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Jede Bergtour bringt Sie irgendwann einmal an einen Punkt, an dem Sie Ihren Blick
stolz über den zurückgelegten Weg schweifen lassen: zufrieden mit dem bisher
Erreichten. Gleichzeitig nehmen Sie den noch vor sich liegenden Weg in Augenschein.
Ein Moment der Klarheit stellt sich ein, in dem Sie mit sich im Reinen sind. Im selben
Augenblick jedoch denken Sie bereits an die Entscheidung, die Sie alsbald treffen
müssen. Auf demselben Weg zurückkehren oder den unbekannten Weg fortsetzen?
Vielleicht sind Sie an diesem Tag schon etwas müde oder nicht wagemutig genug, um
weiter zu marschieren, und ziehen die sichere Heimkehr einem ungewissen Weg vor,
wohl wissend, dass auch der Weg zurück noch einiges von Ihrer Zeit und Kraft bean-
spruchen wird. Vielleicht beugen Sie sich einem drohenden Gewitter und nehmen die
Rückkehr gerne in Kauf. Vielleicht aber ist der Reiz des neuen Weges so groß, dass Sie
Ihr Glück versuchen wollen und mit frischen Kräften weitermarschieren. Vielleicht gibt
es am Ende auch keinen Ort mehr, zu dem Sie zurückkehren wollen.
Ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, Sie sind am Ende weiter vorangeschritten,
haben neue Erfahrungen und gewiss auch die eine oder andere neue Einsicht gewon-
nen. Der Tag am Berg hat Sie und Ihr Handeln verändert.
Auf der anderen Seite stehen invasive Formen der Digitalisierung, die den Prozess an
sich radikal verändern oder sogar durch komplett neue Abläufe ersetzen. Das haben
wir beispielsweise mit der Einführung digitaler Plattformen wie Uber, Airbnb, Alibaba
oder Facebook sehr anschaulich erlebt. Invasive Digitalisierung geht sehr oft auch in
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Verbindung mit der Einführung neuer Technologien einher, die naturgemäß andere
Anforderungen an den Altprozess stellen. Ein sehr aktuelles und prägnantes Beispiel
bietet die Automobilindustrie. Sie steht in den nächsten Jahren vor der immensen
Herausforderung, Prozesse zu entwickeln, die mit der Bereitstellung vollautomati-
sierten Fahrens (siehe Kapitel 9.3) mithalten können. Insbesondere die Zulassung von
vollautomatisierten Fahrzeugreihen, bei denen es sich im Kern weniger um Fahrzeuge
als vielmehr um fahrende Computer handelt, stellt Automobilhersteller heute noch
vor große Hürden. Situationen, in denen ein Computer in Sekundenbruchteilen eigen-
ständige Entscheidungen ohne das Zutun eines Menschen trifft, bedürfen anderer
Freigabeprozesse (siehe Kapitel 9.3.2.2) als bisher. In den Planspielen der Automobil-
bauer spielen dabei neue Technologien wie Blockchain und Smart Contracts für die
Ausgestaltung neuer Prozesse eine zentrale Rolle.
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Abb. 100: Vernetzung von Anwendungen und Kommunikationsmitteln; Quelle: Eigene Darstellung
Ständig müssen Routineprozesse wie die Prüfung von Datensätzen, das Erstellen von
Berichten oder auch das Anlegen von Kunden- und Lieferantendaten durchgeführt
werden. Die zunehmende Vernetzung oftmals inkompatibler Anwendungen führt
dadurch zu hohen Transaktionsvolumina. An vielen Stellen geschieht diese Vernet-
zung nach wie vor manuell durch menschliche Bearbeiter (siehe Abbildung 101).
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Die Entwicklung, Pflege und Programmierung von Schnittstellen sind oft teuer. Skripte
oder Makros eignen sich meist nur für Einzelfälle. Das Outsourcing in Niedriglohnlän-
der wiederum wird durch erhöhte Koordination und Kommunikation erschwert und
bringt zudem das Problem der Zeitverschiebung mit sich. Darüber hinaus führt es
regelmäßig zu Know-how- und Reibungsverlusten (nicht nur in der einmaligen Transi-
tionsphase, sondern auch während des normalen Betriebs durch die sehr hohe Fluk-
tuation in den Outsourcing-Ländern). Dies fördert Fehler und beeinträchtigt die Qua-
lität der Prozessleistung und Prozessergebnisse.
Diese Ausgangssituation hat in letzter Zeit sehr stark das Aufkommen einer »neuen«
Technologie im Werkzeugkoffer der Prozessoptimierung begünstigt: Robotic Process
Automation. Im Kern handelt es sich um die Automatisierung von Vorgängen, die
sich durch ein sehr hohes Maß an wiederkehrenden manuellen Arbeitsschritten aus-
zeichnen. Roboter, sogenannte »Bots«, übernehmen eins zu eins die Tätigkeiten eines
menschlichen Bearbeiters.
Beispiele dafür sind der Eintrag von per E-Mail eingegangenen Bestellungen in ein
Bestellsystem oder das Ausfüllen von Formularen diverser Backoffice-Prozesse. Hier-
bei handelt es sich aber nur um eine scheinbare Prozessoptimierung. Der Prozess an
sich erfährt dabei keine Änderung, es findet lediglich eine Übertragung von Arbeit
auf einen Roboter statt, die zuvor ein Mensch geleistet hat. Diese Roboter sind weder
mit Sensoren noch mit Greifarmen ausgestattet. Sie sind für das Auge unsichtbar. Die
Roboter, die im Büro ihren Dienst versehen, sind ein mehr oder weniger intelligentes
Stück Software.
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Und wirklich neu sind sie auch nicht. Schon Anfang der 2000er Jahre kam bei der Soft-
wareentwicklung Automatisierungssoftware zum Einsatz. Die Qualität der Software
wurde dabei durch das systematische Ausführen von Testfällen sichergestellt, die in
Form von »Capture and Replay«-Makros aufgezeichnet und automatisiert (und damit
schneller und ressourcenschonender) ausgeführt wurden. Dasselbe Prinzip liegt RPA-
Lösungen zugrunde. Derzeit verfügen wenige RPA-Lösungen über intelligente Funkti-
onen und sie lassen sich nur für einzelne Prozessteile einsetzen. Einfache Software-
Roboter können oft unstrukturierte Daten (beispielsweise eine individuell verfasste
E-Mail-Bestellung) nicht verarbeiten und sind nicht flexibel genug, sich automatisch
an Änderungen anzupassen. Das macht den Einsatz von Software-Ingenieuren not-
wendig, welche die Bots warten und Änderungen an der Programmierung vornehmen
müssen. Dies kann unter Umständen den realisierten Zeitvorteil zunichtemachen,
zumal sich die Wartung typischerweise ja nicht auf einen Roboter beschränkt, son-
dern auf alle im Prozess zum Einsatz kommenden Roboter erstreckt.
Der Fairness halber sei erwähnt, dass dies jedoch nicht der ganzen Wahrheit ent-
spricht. So simpel kommen RPA-Lösungen schon lange nicht mehr daher. Derzeit
experimentieren Anbieter und einige wenige Kunden mit intelligenteren RPA-Lösun-
gen, die deutlich weitreichendere Funktionen anbieten. Dazu gehören beispielsweise
die Erfassung unstrukturierter Daten, intelligente Texterkennung (OCR), die Mög-
lichkeit zur Workflow-Orchestrierung, der Einsatz künstlicher Intelligenz (Machine
Learning), die Verfügbarkeit von Omni-Channel-Technologien sowie umfassende
Analysewerkzeuge. Der Einsatz dieser, unter dem Stichwort RPA zusammengefassten
Technologien beinhaltet fast immer auch eine Anpassung bzw. Änderung des beste-
henden Prozesses, sei es die Erweiterung der Aus- und Eingabemöglichkeiten eines
Softwareprogrammes, die Zusammenführung verschiedener Channel-Formate an
einen Analyseort oder die inhaltliche Anpassung von Schnittstellen.
Die Einführung von Robotic Process Automation in den Unternehmensalltag ist sehr
verführerisch. Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von RPA-Software
zurecht schnelle ökonomische Vorteile. Zu den Vorteilen zählen unter anderem die in
Abbildung 102 aufgeführten Vorzüge.
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Abb. 102: Typische Vorteile von Robotic Process Automation; Quelle: Eigene Darstellung
Noch ein kleiner Hinweis in eigener Sache. Da ja die Mehrzahl der RPA-Lösungsanbie-
ter aus dem anglophonen Sprachraum stammen, sind die gängigen Fachbegriffe in
der Regel englischsprachig und zumeist, wie auch bei anderen IT-Themen üblich, mehr
oder weniger leserfreundlich eingedeutscht. Diese schlechte Angewohnheit werde ich
im Folgenden auch übernehmen, damit sie RPA in ihrem Arbeitsalltag erkennen und
die Sprache von Beratern und Lösungsanbietern beherrschen.
RPA ist ideal für Aufgaben, die keine menschliche Intervention (RPA 1.0) benötigen.
Diese Aufgaben nennen wir »unbeaufsichtigt« oder »unattended« (Abbildung 103).
Das sind typischerweise stark regelbasierte Prozessschritte mit hohem Wiederho-
lungscharakter, die noch dazu sehr strukturiert und für Software-Augen (und unsere
»Bots« sind ja nichts anderes als eine mehr oder weniger intelligente Softwarelösung)
gut erkennbar und interpretierbar sind.
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Eine Vielzahl von Aufgaben benötigt jedoch immer noch menschliche Unterstützung
oder Interpretationsleistung. Diese Prozessschritte bezeichnen wir als beaufsichtigte
Aufgaben (RPA 2.0) oder »attended tasks« (Abbildung 103). Beispiele dafür sind dem
Kunden zugewandte Aktivitäten wie die IVR-Unterstützung112 bei Customer-Service-
Prozessen, unterstützende Chat-Bots auf Webseiten oder Handlungsvorschläge auf
Basis von Handlungen oder Datenbeschaffungsvorgängen, die in der Vergangenheit
getätigt wurden. Diese Aufgaben benötigen immer noch eine menschliche Führung.
RPA-Bots füllen hierbei nur eine unterstützende Rolle aus, die dem ausführenden
menschlichen Bearbeiter monotone und zeitraubende Routinevorgänge abnimmt.
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Untersuchungen113 zeigen, dass der Einsatz von RPA an den richtigen Stellen im Pro-
zess durchschnittliche Kostenersparnisse von 25 bis 65 % realisieren kann. Auch
die teilweise rasanten Amortisationszeiträume114 (oftmals hat sich eine RPA-Lösung
bereits nach sechs bis neun Monaten amortisiert) zaubern so manchem Manager ein
glückliches Lächeln ins Gesicht.
Natürlich sind diese Erfolgsgeschichten nur möglich in Prozessen, die ein hohes
Transaktionsvolumen und einen gut strukturierten Prozessverlauf aufweisen. Mit
»strukturiertem Prozessverlauf« sind Prozesse gemeint, die zwar alle Arten von Ein-
schränkungen wie Medienbrüche oder inkompatible, nicht integrierte Anwendungen
beheimaten können, aber immer wieder an denselben Stellen in Dokumenten, E-Mails
oder Systemen Informationen verarbeiten. Ist hier keine Einheitlichkeit in der Infor-
mationsstruktur gegeben, ist das selbst für menschliche Augen eine Herausforderung,
für »Roboteraugen« jedoch noch ein K.o.-Kriterium. Zwar experimentieren führende
RPA-Anbieter mit den bereits erwähnten KI-Softwarelösungen, um aus inkohärenten
Informationen Zusammenhänge abzuleiten und die Intention des Kunden festzustel-
len. Jedoch lassen sich diese »Piloten« aufgrund der recht hohen Fehlerquoten noch
nicht sinnvoll betriebswirtschaftlich nutzen.
Die Anwendungsgebiete für RPA sind dabei so vielfältig wie die Prozesse selbst. Überall
dort, wo strukturierte Prozesse stattfinden, kann RPA eingesetzt werden. Die Software-
Roboter können Daten extrahieren, verändern und Berichte erstellen, Formulare aus-
füllen, Daten kopieren, einfügen und verschieben, Informationen aus mehreren Syste-
men und aus strukturierten Dokumenten lesen und verarbeiten oder E-Mails öffnen und
Anhänge verarbeiten, um nur einige Anwendungsbeispiele zu nennen.
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Bei allem Reiz, den diese neue Technologie versprüht, so birgt sie doch auch die
Gefahr, uns träge zu machen und die eigentlichen Kernaufgaben kontinuierlicher
Prozessverbesserung vergessen zu lassen. Erinnern wir uns, dass es sich bei RPA um
eine non-invasive Technologie der Prozessoptimierung handelt. Der Prozess und alle
mit ihm verbundenen Informationsträger und Systeme bleiben beim Einsatz von Bots
unverändert. In anderen Worten, eine nachhaltige Verbesserung (Standardisierung
von Dokumenten, Behebung von Medienbrüchen, Eliminierung von Fehl- und Blind-
leistungen etc.) und damit eine echte Prozess-Weiterentwicklung findet nicht statt.
Ein etwas salopp formulierter Vergleich wäre das Bild eines Patienten, der sich auf
einer Krücke langsam vorwärtsbewegt und dem eine zweite Krücke an die Hand gege-
ben wird, sodass er schneller laufen kann. Eine echte »gesundheitliche« Verbesserung
wird man damit jedoch nicht erreichen.
Auf der Habenseite bewirkt RPA eine zusätzliche Digitalisierung der Prozesse, da
anstelle menschlicher Interaktion ein digitaler Bot waltet. Ein Bot vermerkt u. a. sehr
genau, zu welchem Zeitpunkt er einen Vorgang beginnt, welcher Art die von ihm aus-
geführte Tätigkeit ist, wohin er die Information übertragen hat, wie lange er für den
gesamten Vorgang gebraucht hat und welche Fehler dabei aufgetreten sind. Diese
Informationen sind wichtig, um Fehler zu finden, aber auch, um Betrug oder andere
Versuche, die Arbeit eines Roboters zu untergraben, zu erkennen. All diese Informa-
tionen werden in entsprechenden Bot-Logfiles dokumentiert und stehen für weitere
elektronische Auswertungen und Analysen zur Verfügung. Darüber hinaus finden diese
Daten Anwendung in der Modellierung und Vorhersage zukünftigen Prozessverhaltens
(beispielsweise auch durch Process Mining nutzbar, siehe Kapitel 3.5). Sie schließen
Prozesslücken, meist an den Stellen, an denen menschliche Bearbeiter zuvor deutlich
weniger Prozessdaten hinterlassen haben.
Eines ist ganz klar. Der Markt für Software-botgestützte Automatisierung von Prozes-
sen boomt. Waren es im Jahr 2016 noch ca. 250 Millionen US-Dollar, verzwölffacht sich
der Markt innerhalb von fünf Jahren auf 2,9 Milliarden115 US-Dollar in 2021. Zwei von
drei Unternehmen116 werden 2020 bereits RPA-Serviceleistungen in Anspruch neh-
men, Tendenz steigend. Noch sind dies überwiegend Großunternehmen mit »reifer
IT«, d. h. zahlreiche Prozesse laufen dort bereits weitgehend IT-gestützt (wenn auch
nicht frei von Medienbrüchen und manuellen Routineaufgaben) ab.
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Auch wenn sich der Prozess bei der Einführung von RPA-Lösungen nicht ändert,
bedeutet das jedoch oft massive Veränderungen für die betroffenen Mitarbeiter.
Stellenbeschreibungen ändern sich, Arbeitsplätze entfallen, Kompetenzen werden
geschmälert oder gehen gänzlich verloren. Die mit der Einführung von RPA verbunde-
nen neuen Herausforderungen und Ängste fördern interne Widerstände, die oftmals
das Zeug dazu haben, ganze Automatisierungsprojekte zu sabotieren. Mögliche Vor-
behalte beschränken sich jedoch nicht nur auf die Mitarbeiter. Auch Führungskräfte
sind bei RPA-Einführungen immer wieder verunsichert. Ob es die Fähigkeit der Soft-
ware-Bots betrifft, Datensicherheit zu gewährleisten, den Verlust von Einfallsreichtum
und Kreativität der Mitarbeiter oder die Abwanderung vitalen Prozesswissens. Diese
Vorbehalte müssen von Anfang an ernst genommen werden. Ihre Adressierung ist die
vordringlichste Aufgabe des Top-Managements und muss von Anfang an in einem ent-
sprechenden Steuerungsgremium verankert werden.
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Ebenso wichtig ist eine gute Geschichte. Stellen Sie von Anfang an die Vorteile einer
RPA-Einführung heraus. RPA vernichtet nicht einfach nur Arbeitsplätze, sondern
befreit Mitarbeiter von sich stetig wiederholenden, langweiligen Tätigkeiten. Befreit
von lästigen Routineaufgaben können sich diese Mitarbeiter anderen Aufgaben wid-
men, die menschliche Stärken erfordern, wie beispielsweise Urteilsvermögen, emoti-
onale Intelligenz oder einfach nur Instinkt. Vergessen wir dabei nicht, dass es nicht nur
darum geht, einfach nur die Prozesskosten zu senken, sondern vor allem auch darum,
Durchlaufzeiten zu beschleunigen, höhere Stückzahlen (mehr Vorgänge) zu produzie-
ren, Prozessfehler zu reduzieren und wertvollen Mitarbeitern anspruchsvollere Aufga-
ben anbieten zu können.
Gründe für das Outsourcing waren und sind für Firmen vor allem immer wieder die
Erzielung von Kosten-, Geschwindigkeits-, Transparenz-, Flexibilitäts- und Quali-
tätsvorteilen. Allerdings wurden seit jeher diese Vorteile u. a. durch deutlich höhere
Kommunikations- und Steuerungsaufwände, Kontrollverluste, gestiegene Abhängig-
keiten, ein verschlechtertes Betriebsklima und ungewollte vertrauliche Einblicke ins
Kerngeschäft mitunter doch recht teuer erkauft.
117 Zahlreiche Anbieter nennen diese Überwachungs- und Entwicklungsinstanz auch Center of Excellence.
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Daher verwundert es nicht, dass Firmen munter darüber nachdenken, vor Jahr und
Tag ausgelagerte Prozesse wieder in heimischere Regionen zurückzuführen. Neben
schrumpfenden Kostenvorteilen118 in asiatischen und osteuropäischen Outsourcing-
Zentren empfiehlt sich RPA als Treiber der aufkeimenden Insourcing-Bewegung.
Die Anwendung von RPA in den dafür geeigneten Prozessen egalisiert die Gründe für
komplizierte Outsourcing-Verfahren. Streng genommen ist RPA ja auch eine Form von
Outsourcing, aber eben an einen Roboter (oder eine Roboterfarm) anstatt eines exter-
nen Dienstleisters.
2021 werden bereits mehr als vier Millionen Roboter119 in der Prozessautomatisierung
ihren Dienst versehen. Auch diese digitalen »Mitarbeiter« brauchen eine Heimat. RPA-
Anbieter nennen diese Orte »Bot-Farms« oder Roboterfarmen. Bevor wir aber über
Bot-Farmen sprechen, müssen wir noch klären, was ein Bot überhaupt ist. Bots sind
Anwendungen, die menschliche Arbeitsweisen im Umgang mit Benutzerschnittstel-
len von Software-Applikationen nachahmen. Ein Beispiel dafür wäre das Übertragen
von Kundendaten aus einer Excel-Datei durch Eingabe über ein User-Interface in ein
CRM-System.
Zunächst einmal mag es hilfreich sein zu verstehen, wie ein Bot überhaupt entsteht.
Ein Bot entsteht, wenn eine Aufgabe, die typischerweise von einem Menschen ausge-
führt wird, durch ein Makro aufgenommen wird. Der produzierte »Bot« wird auf Feh-
ler und Falscheingaben getestet, angepasst und in den Kontrollraum, also die Farm,
hochgeladen. In diesen Farmen können unzählige Bots ihre Heimat finden, deren Ein-
satz und Arbeitsergebnisse im Kontrollraum durch Monitoring-Software und letzten
Endes menschliche RPA-Spezialisten überwacht werden.
Damit offenbart sich sofort ein wesentlicher Aspekt von RPA-Lösungen. Bots auto-
matisieren (noch) keine Ende-zu-Ende-Prozesse120, sondern sich mehrfach wiederho-
lende Tätigkeiten oder Tätigkeitsfolgen. Betrachten wir dazu ein Beispiel. Ein Kunde
möchte eine Auskunft zu einem Produkt erhalten. Im Unternehmen wird ein entspre-
chender Prozess ausgelöst der Tage oder Wochen brauchen kann, bis die Anfrage
abgeschlossen ist. Ein Bot kann den Mitarbeiter dabei durchaus unterstützen, indem
118 Buchter, Heike: »Schluss mit der Globalisierung«, in: Zeit Online, 18.10.2017, Zugriff: 10.11.2019.
119 The Forrester Wave™: Robotic Process Automation, Q1 2017, https://www.forrester.com/report/The+RPA+
Market+Will+Reach+29+Billion+By+2021/-/E-RES137229 (Zugriff: 27.04.2020).
120 https://www.bigdata-insider.de/6-typische-fehlannahmen-bei-der-robotic-processautomation-a-840555/
(Zugriff: 08.01.2020).
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er Daten zum Kunden abruft. Die Entscheidung, was zu tun ist, trifft in diesem Fall nach
wie vor der Mensch.
Eine BPM-Lösung wäre hier die bessere Wahl, da sie Mitarbeiter je nach Verfügbar-
keit und Know-how in den Prozess bedarfsgerecht einbinden kann. Erste Anbieter121
beschreiten dabei den Weg einer Kombination aus BPM- und RPA-Lösungen. Abbil-
dung 104 zeigt das mögliche Zusammenspiel von RPA und BPM auf.
Natürlich kann es immer wieder dazu kommen, dass einzelne Bots zeitweilig nicht
beschäftigt sind. Da traditionelle Lizenzsysteme die Anzahl der geschaffenen Bots
bepreisen (Kapazität) und damit letztendlich mit Ineffizienzen, in Form von Kosten-
nachteilen, wieder die Vorteile der Technologie schwächen, sind einige Anbieter mitt-
lerweile auch dazu übergegangen, bei Lizenzmodellen nur die tatsächlich genutzten
Ressourcen (beispielsweise tatsächlich genutzte Bots oder Verarbeitungszeiten)
abzurechnen.
Eine Bot-Farm fasst also alle in den diversen Prozessen zum Einsatz kommenden Bots
zusammen. Gleichzeitig bietet ein angeschlossener Kontrollraum eine Übersicht über
die aktuelle Leistung der Bot-Farm (siehe Abbildung 105).
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Abb. 105: Bot-Farm mit Kontrollraum, Betriebszentrale und Werkstätte; Quelle: Eigene Darstellung
Beim Übergang von kleineren zu größeren Bot-Farmen122 sind ebenfalls einige Aspekte
zu beachten. Probleme, die bei einer kleinen Bot-Farm noch kaum eine Rolle spielen,
können mit zunehmender Skalierung akut werden und erzielte Vorteile dadurch deut-
lich beeinträchtigen.
y Warteschlangen-Architektur (Aufgabenversorgung der Bots)
In kleineren Bot-Farmen mit einigen wenigen unterschiedlichen Arten von Tätig-
keitsfolgen (je nach Hersteller auch Tätigkeits- oder Prozesstypen genannt) wer-
den die Bots üblicherweise mit Aufgaben aus einem BPM-System, einer Excel-
oder csv-Datei versorgt. In großen Installationen mit Hunderten unterschiedlicher
Tätigkeitstypen begegnet man typischerweise zwei Arten von Problemen.
Bots sind in der Regel bestimmten Tätigkeitsfolgen fest zugeordnet. Infolgedes-
sen kann es immer wieder auch dazu kommen, dass Bots unterbeschäftigt sind.
Andererseits gibt es auch Tätigkeiten, deren Bearbeitung zu langsam vonstatten
geht, da nur einer oder wenige Bots mit der Bearbeitung betraut sind.
Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass einige Tätigkeitstypen wichtiger
sind als andere und vordringlich bearbeitet werden sollten. Üblicherweise führen
diese dringlicheren Tätigkeitsfolgen zu einer Überdimensionierung der Bot-Farm,
was die Zuordnung von Bots und Rechenleistung (Anzahl dedizierter Computer)
an eben diese dringlicheren Aufgaben betrifft.
In beiden Fällen führt dies zu einer verminderten Bot-Auslastung (utilization), wel-
che eine entscheidende Messgröße im Betrieb einer Roboter-Farm darstellt.
Natürlich ist es immer möglich, einem Roboter neue Tätigkeiten zuzuweisen, aller-
dings geht dieser Vorgang meist manuell vonstatten und bedarf vonseiten der
Betriebsmannschaft erhöhte Aufmerksamkeit, die wiederum zulasten der Pflege,
Entwicklung und Optimierung des Farmbestandes geht. In einer Bot-Farm strebt
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y Virtualisierung
Großunternehmen unterhalten typischerweise Hunderte von Software-Anwen-
dungen mit oft sehr unterschiedlichen End User Computer-Konfigurationen. Um
weiteren Problemen zu entgehen, werden Computer zu statischen Gruppen in
verschiedenen Anwendungsprofilen (beispielsweise Profil A, B, C etc.) zusammen-
gefasst und solchermaßen standardisiert. Dies führt wenig überraschend zu einer
reduzierten Farm-Auslastung als auch zu Konflikten mit zur Verfügung stehenden
Verarbeitungszeiten (Processing Time SLAs). Hier kann Virtualisierung Abhilfe
schaffen. Ab dem Erreichen einer bestimmten Farmgröße wird es daher schwierig,
ohne Virtualisierung auszukommen.
In letzter Zeit ist eine zunehmende Integration von RPA-, BPM- und Process-Mining-
Lösungen zu beobachten (siehe Abbildung 106). Beispielsweise arbeitet der RPA-Her-
steller UiPath mit dem Process-Mining-Anbieter Celonis123 bereits an Lösungen, um
Prozesse mit dem höchsten Automatisierungspotenzial zu identifizieren und zu visu-
alisieren, mit dem Ziel, entsprechende RPA-Bots zu entwickeln, zu testen und auf den
identifizierten Prozess anzuwenden. Andere RPA-Hersteller berichten von ähnlichen
Anwendungsfällen. Die technische Exhumierung von Prozessen – anhand von Spuren
im Datendschungel – hilft, die tatsächlichen Prozessverläufe zu rekonstruieren und
die für eine Automatisierung in Frage kommenden Teilprozesse bzw. Tätigkeitsfolgen
zu enthüllen.
123 W.M.P. van der Alst et al.: Robotic Process Automation, Business Information Systems Engineering 60(4):
269–272 (2018).
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Abb. 106: Zusammenspiel von BPM, RPA und Process Mining; Quelle: Eigene Darstellung
Auch von gänzlich anderer Seite wird ebenfalls eine stärkere Integration mit RPA-
Lösungen angestrebt. Der BPM-Hersteller Software AG bietet zu seinem Flagship-Pro-
dukt ARIS seit Kurzem nun auch eine RPA-Lösung 124 an.
In den nächsten Jahren bleibt die technologische Entwicklung also weiter spannend:
Eine deutlichere Integration dieser Prozesstechnologien ist zu erwarten.
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Abb. 107: Vorgehen bei Einführung von RPA-Technologien; Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 107 vermittelt ein schrittweises Vorgehen zur Einführung von RPA-Lösun-
gen. Das Vorgehen ist im Folgenden genauer beschrieben.
1. Bestandsaufnahme
Am besten beginnt man mit einer Bestandsaufnahme der für eine Automatisie-
rung in Frage kommenden Prozesse. Eine erste Auswertung basiert auf leicht
zugänglichen Prozessdaten. Interessant sind hier beispielsweise die Anzahl aller
innerhalb eines Jahres ausgeführten Prozesse oder die Anzahl aller an einem Pro-
zess beteiligten Mitarbeiter (FTEs). Diese Informationen erlauben es, die Prozesse
nach ihren Prioritäten zu reihen. Die Größe des Automatisierungspotenzials und
die Bedeutung für das Unternehmen bestimmen die Priorität des identifizierten
Prozesses.
Abbildung 108 enthält eine Übersicht von Bewertungskriterien125 zur Identifika-
tion RPA-geeigneter Prozesse.
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Das Ergebnis der Bestandsaufnahme bildet nun eine Reihung der größten Hoff-
nungsträger für eine Prozessautomatisierung durch RPA.
2. Prozessanalyse
Anschließend werden die priorisierten Geschäftsprozesse näher untersucht. Nun
geht es darum, den Prozessfluss im Zusammenhang mit den unterschiedlichen
Prozessvarianten zu analysieren, entweder manuell oder unter Zuhilfenahme von
Process-Mining-Lösungen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind wertvolle
Anhaltspunkte, um mögliche Entscheidungspunkte innerhalb des Prozesses zu
identifizieren und die Entscheidungslogik zu modellieren. Wir dürfen dabei nicht
vergessen, dass RPA-Lösungen eine stark regelbasierte Form der Automatisie-
rung darstellen. Die Software unterstützt die Automatisierung von regelbasierten
Ende-zu-Ende-Prozessen und programmübergreifenden Anwendungen durch
Interaktion mit dem User Interface (UI) oder über Standardschnittstellen (RFCs,
APIs). Wesentlich dafür ist die Identifikation von Übergabepunkten, an denen ein
Bot ein bestimmtes Arbeitsergebnis übernimmt und weiterverarbeitet, sowie
die damit einhergehenden Lösungsvarianten und Regeln, nach denen er diese
Arbeitsergebnisse erzielen kann.
Die Datenauswertung erfolgt mit Blick auf Transaktionsvolumina, Kosten, Zeit-
und Ressourcenaufwände. Sie bestimmt, für welche Prozesse eine RPA-Automa-
tisierung am besten geeignet ist.
Nur selten lässt sich ein kompletter Prozess, geschweige denn ein Ende-zu-Ende-
Prozess, durch RPA automatisieren. Deshalb ist es wichtig, in erster Linie alle Pro-
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Die Einsatzmöglichkeiten von RPA variieren nach Industrie und Fachgebiet teilweise
doch recht deutlich. Begünstigt sind vor allem Industrien mit hochvolumigen transak-
tionsorientierten Geschäftsmodellen. Eine gute Übersicht zur Frage, welche Industrien
für einen Robotik-Einsatz besonders empfänglich sind, demonstriert Abbildung 109.126
Neben einer Aufstellung nach Industrien sind beispielhaft begünstigte Fachbereiche
und Prozesse dargestellt.
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Betrachtet man das Feld branchenunabhängig, begegnen einem immer wieder die in
Abbildung 110 dargestellten Ende-zu-Ende-Prozesse.
Unabhängig von Industrie, Fachbereich und Prozess bilden Callcenter sehr oft eine
gute Anlaufstelle für den Einsatz von RPA-Technologie. Typische Callcenter arbeiten
stark regelbasiert, mit sehr strukturierten Daten und sind meist hochtransaktional.
In diesem Arbeitsumfeld wird gerne die in Abbildung 103 beschriebene beaufsichtigte
Automatisierung (RPA 1.0) zur Unterstützung der Callcenter Agents eingesetzt.
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Nun stellt sich die Frage, was denn nun digitale Prozesse mit autonomem Fahren über-
haupt zu tun haben. Was sich vielleicht nicht direkt auf den ersten Blick erschließt,
ergibt sich bei näherer Betrachtung ganz von allein. Auch wenn Automobilhersteller
momentan ihr Augenmerk noch überwiegend auf technische, juristische und ethische
Aspekte richten, bedeutet autonomes Fahren, Daten in Echtzeit empfangen, verar-
beiten und übertragen zu können. Diese Aufgabe übernehmen Prozesse, die gewähr-
leisten, dass ein Fahrzeug sicher und regelkonform vollautonom vom Ausgangs- zum
Zielpunkt bewegt werden kann. Diese elementare und einfache Wahrheit geht zurzeit
leider im Getöse rund um den Technik-Hype vollautomatisierten Fahrens unter. Wie
weit wir aktuell noch von vollautomatisierter Fortbewegung entfernt sind, zeigt uns
Abbildung 111.
Prozesse sind die Nabelschnur, die vollautonome Fahrzeuge mit dem Füttern, was sie
am dringendsten brauchen: Informationen. Vor allem anderen ist es deshalb notwen-
dig, dauerhaft stabil arbeitende und nonstop verfügbare Prozesse zu gewährleisten.
Nonstop-Verfügbarkeit bedeutet eine hundertprozentige Verfügbarkeit ohne eine
einzige Sekunde an Ausfallzeit. Dies gilt nicht nur für einen Prozessschritt, ein System,
einen Computer, sondern für eine Verkettung von Prozessen, die lebensnotwendige
Informationen bereitstellen. Zum Vergleich: Eine Verfügbarkeit von 99,99 % bedeu-
tet immer noch, auf ein Jahr gerechnet, eine Ausfallzeit von 52 Minuten. Zeit die wir,
für einen Prozess, der im Millisekunden Bereich existenzielle Entscheidungen treffen
muss, nicht haben. Natürlich können Systeme und Computer versagen. Sie werden
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von Menschen gebaut und sind damit per se fehlerbehaftet. Das bedeutet aber auch,
dass Systeme und Prozesse hochredundant (ausfallsicher) ausgelegt werden müs-
sen. Zudem müssen sie mit Katastrophen wie Gewittern, schweren Stürmen, Über-
schwemmungen oder Bränden einschränkungslos verfahren können.
Wenn wir nun unser Leben einem automatisiert fahrenden Fahrzeug anvertrauen,
machen wir uns also in hohem Maße von der eingesetzten Technik abhängig. Wir
vertrauen ihr unser Leben an. Und nicht nur das. Wir vertrauen uns darüber hinaus
Algorithmen an, die an unser statt, innerhalb eines Wimpernschlags, Entscheidungen
treffen. Womöglich auch über Leben und Tod. Der Algorithmus beurteilt Verkehrssitu-
ationen und »berechnet« die bestmögliche Entscheidung. Soll dem Kind ausgewichen
werden, das noch ein produktives Erwerbsleben vor sich hat, oder dem alten Mann,
der nichts mehr zur gesellschaftlichen Produktivität beiträgt? Eine hochrangige Mana-
gerin eines Automobilzulieferers brachte dieses moralische Dilemma in einem unserer
Gespräche auf den Punkt. »Wir wissen heute noch überhaupt nicht, wie wir damit umge-
hen sollen, einem Algorithmus eine Entscheidung über Leben und Tod anzuvertrauen.
Nach welchen Kriterien soll er die Situation bewerten? Wie bringen wir unsere Entwickler
moralisch dazu, einen solchen Algorithmus zu entwickeln?«
Vielleicht ist es nach diesen Ausführungen klarer geworden, warum ich gerade auto-
nomes Fahren als Beispiel digitaler Prozessoptimierung ausgewählt habe. Beim auto-
nomen Fahren kulminieren viele Aspekte (Vollautomatisierung von Prozessen, Echt-
zeit-Datenmanagement, Nonstop-Verfügbarkeit, Ermächtigung von Algorithmen) der
Digitalisierung und schärfen auf hervorragende Art und Weise die Anforderungen,
die an die nächste Generation der Prozessoptimierung gestellt werden. Klassische
Prozessoptimierung verliert in einem vollautomatisierten Prozess ihre Bedeutung.
Vielmehr stellt die Verlagerung von Prozessen in eine vollständig autark ablaufende
digitale Welt, außerhalb unserer Alltagserfahrungen und Beobachtungen, andere
Ansprüche an zukünftige Optimierungsansätze. Prozessoptimierung wird gezwun-
gen sein, zukünftig ebenfalls in digitaler Gestalt aufzutreten, um überhaupt Analysen
eines Prozesses durchführen zu können. Ansätze wie das Process Mining werden in
dieser Welt deutlich an Bedeutung gewinnen. Schlussendlich ist autonomes Fahren
aber auch ein Paradebeispiel für den Einsatz und Umgang mit Algorithmen.
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datenübertragung schließt jede Form von Latenz (siehe Kapitel 8.3.1) aus. Seien es
Latenzen in den Übertragungswegen, bei der Verarbeitung der Daten oder beim Spei-
chern auf den diversen Datenträgern (Datenbanken, Apps, embedded Speichern etc.).
Man kann diesem faszinierenden Thema mühelos ganze Bücher widmen. Ich möchte
mich dabei allerdings auf einen wesentlichen Aspekt des autonomen Fahrens konzen-
trieren. Das vorliegende Kapitel hat sich deshalb zur Aufgabe gesetzt, die Prozessper-
spektive im autonomen Fahren zu vermitteln.
Mit welchen Prozessen haben wir es nun zu tun? Das wiederum hängt ganz entschei-
dend von der Phase ab, in dem sich der Werdegang des Fahrzeugs befindet. So unter-
scheiden wir im Kern zwei unterschiedliche Phasen: die Homologationsphase (die
Zulassung, Prüfung des Fahrzeugs bzw. einer Baureihe) und die Betriebsphase. Im
Nachfolgenden sind beide Phasen und ihre Prozesse detailliert beschrieben.
Bevor ein Auto überhaupt auf der Straße fahren darf, muss es von den Behörden eine
Zulassung (»Homologation«) bekommen. Fahrzeuge müssen so konfiguriert werden,
dass sie den länderspezifischen Gesetzmäßigkeiten entsprechen. Für die Zertifizie-
rung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugkomponenten bestehen in Europa drei
Systeme nebeneinander: EU-Richtlinien, ECE-Verordnungen (der Wirtschaftskommis-
sion für Europa, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen), die sich auch auf
osteuropäische Länder erstrecken und die in der nationalen deutschen Straßenver-
kehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) zusammengefassten Vorschriften. Gegenwär-
tig fokussieren sich Homologationsprozesse auf Fahrzeug-Baugruppen (Bremsen,
Beleuchtung, Sitze, Gurte, Glas usw.) und immer komplexer werdende Abgasvor-
schriften. In einer Welt aber, die sich von einem, durch rein menschliche Entschei-
dungen fortbewegten Kraftfahrzeug in Richtung einer lernenden, eigenständige Ent-
scheidungen treffendenden Software-Intelligenz hin entwickelt, verlieren bisherige
Prüfverfahren ihre Existenzberechtigung. Folgt man den in Abbildung 112 skizzierten
Ebenen der Fahrzeugentwicklung,127 wird deutlich, dass bestehende Homologations-
verfahren sich noch vor allem auf Hardware- und, nur sehr bedingt, die Computer-
Ebene fokussieren.
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Das gilt erst recht, wenn ab 2021 soll eine Homologation der Software im Auto vor-
geschrieben wird.128 Dann müssen die Funktionalitäten der Software vor dem Einsatz
im Fahrzeug nach vorgegebenen Bestimmungen und Standards abgenommen und
freigegeben werden. Dies stellt an die Hersteller heute noch unübersehbare Anforde-
rungen an die Qualitätssicherung, das Versionsmanagement, die Dokumentation und
Nachweisführung, die bisher so nicht benötigt wurden.
Das Fahrzeug wird dabei zum rollenden Rechner.129 Ein durchschnittlicher Pkw enthält
bereits jetzt schon etwa 100 bis 150 Millionen Zeilen Software-Code. Zum Vergleich
(Abbildung 113): eine Boeing 878 bringt es auf etwa 7 Millionen, ein F-35 Kampfjet auf
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Uber oder Zoox 132 tun sich dabei naturgemäß leichter. Start-ups wie Zoox gehen sogar
den umgekehrten Weg. Dort bricht man mit herkömmlichen Strategien, Fahrzeuge zu
bauen. Zoox entwickelt zuerst die Technologie, die für autonomes Fahren notwendig
ist, danach das Fahrzeug selbst. Das physische Fahrzeug, also der Maschinenbau-
Anteil, wird quasi um die Software-Technik herumgebaut.
Traditionelle Automobilhersteller rüsten sich für diesen Schritt durch Schaffung neuer
Allianzen und Partnerschaften. Gerade in der letzten Zeit waren die Vorboten solcher
Konsolidierungsbemühungen zu beobachten (Fiat-Chrysler, Peugeot-Opel-Vauxhall).
Der Grundgedanke ist die Schaffung von zentralen Plattformkernen, die weitrei-
chende Synergien in der Produktion ermöglichen. Zusätzlich streben die Automobil-
bauer neue Partnerschaften mit Software-Herstellern an, um der neuen Komplexität
(Sicherheit, Compliance, Software-Aktualisierung und Verwaltung, Datenauswertun-
gen, künstliche Intelligenz etc.) sofort entsprechende Erfahrung und Infrastruktur
entgegensetzen zu können. Das verändert bestehende Prozesse und Abläufe signifi-
kant. Auch in diesem Fall ist der Einfluss der Digitalisierung (und das ist autonomes
Fahren letztendlich in Reinkultur) als disruptiv zu bewerten.
9.3.2.1 Testprozesse
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die schier unglaubliche Zahl von bis zu 650
Millionen Code-Zeilen zukünftiger Fahrzeug-Generationen. Gehen wir davon aus, dass
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ein Softwarefehler auf ca. 150.000 bis 200.000 Zeilen Quelltext 133 kommt, ergeben sich
bereits Tausende Angriffspunkte für Fahrbeeinträchtigungen und Sicherheitslücken.
Und nicht nur das. Mit herkömmlichen Testverfahren würde es praktisch ewig dau-
ern, die Sicherheit eines selbstfahrenden Fahrzeugs unter Beweis zu stellen. Laut dem
Darmstädter Professor Dr. Hermann Winner läge der Richtwert für die notwendigen
physikalische Testfahren bei 13,2 Milliarden Kilometern.134 Eine astronomische Zahl.
Aber es kommt noch schlimmer: Bei jeder Hardware- oder Softwareänderung müss-
ten die Testfahrten135 im gleichen Ausmaß wiederholt werden.
Ein Ziel muss daher die Entwicklung prozessorientierter Testmethoden sein, die
valide Ergebnisse mit endlichem Aufwand ermöglichen. Die Herausforderung dabei
ist unter anderem, dass nicht das Verhalten aller Akteure bekannt ist. So ist zwar die
Technik eine bekannte Größe, nicht aber das Verhalten von Fahrern und Algorithmen.
Über Unfälle beispielsweise gibt es ausreichend Aufzeichnungen, nicht jedoch über
kritische Verkehrssituationen, die nicht zu einem Unfall geführt haben. Im Gegensatz
dazu werden in der Luftfahrt wiederum gefährliche Situationen, die glimpflich ausge-
hen, sehr wohl gemeldet und dokumentiert. Vergleichbare Aufzeichnungen existieren
für den Straßenverkehr (noch) nicht.137
133 Heise Online: Fahrzeugsicherheit: Wenn das Auto ein Teil des Internets wird.
134 Heise Online: Selbstfahrende Autos: Aufwand für Testfahrten ist gigantisch.
135 Ludwig Goohsen: Master Thesis: User-Centered Design of a Web-Based Graphical Road Editor to Simplify
Scenario-Based Simulation Workflows, Berlin 2017.
136 Winner: Absicherung automatischen Fahrens, 6. FAS Tagung München, 29.11.2013.
137 Heise Online: Selbstfahrende Autos: Aufwand für Testfahrten ist gigantisch.
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Eine Hilfestellung für Absicherungstests bietet die Simulation mit Echtdaten. Dazu las-
sen Experten ganze Städte im Computer digital auferstehen,138 um Prozessabläufe
beim autonomen Fahren zu simulieren. Die Echtdaten dazu stammen aus vernetzen
Fahrzeugflotten,139, 140 die bereits heute auf den Straßen unterwegs sind. Tesla beispiels-
weise speichert alle Telematik-Protokolldaten. Das sind unter anderem Fahrzeugidenti-
fikationsnummer, Geschwindigkeitsinformationen, Kilometerstand, Batterieverbrauch,
Batterieladehistorie, Funktionen des elektrischen Systems, Informationen über die Soft-
wareversion, Daten des Infotainmentsystems, sicherheitsrelevante Daten und Kamera-
bilder (einschließlich Informationen über die SRS-Systeme, Bremsen und Beschleunigen,
Sicherheit, E-Bremse und Unfälle) sowie kurze Videoaufnahmen von Unfällen.
Doch das ist nicht alles: Tesla weiß ganz genau, wann man seine Hände am Lenkrad
hatte und wann nicht. Zudem werden Informationen über die Verwendung des Autopi-
loten gespeichert. Damit kann etwa festgestellt werden, ob jemand bei einem Unfall die
Hände am Lenkrad hatte, während der Autopilot aktiviert war, oder nicht.
138 Ludwig Goohsen: Master Thesis: User-Centered Design of a Web-Based Graphical Road Editor to Simplify
Scenario-Based Simulation Workflows, Berlin 2017.
139 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Autonome-Autos-Danke-dass-Sie-das-Auto-von-morgen-
testen-2760591.html (Zugriff: 02.02.2020).
140 https://www.futurezone.de/digital-life/article216654435/Traust-du-Tesla-wirklich-Das-weiss-das-
Unternehmen-ueber-dich.html (Zugriff: 02.02.2020).
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Diese Anforderungen sind derart radikal, dass traditionelle Prüfprozesse, die durch
einen von offizieller Stelle ernannten Prüfer (z. B. TÜV) die Einhaltung von Sicher-
heits- und Konformitätsstandards sicherstellen, die neuen Anforderungen nicht mehr
gewährleisten können. In Zukunft wird ein menschlicher Prüfer eher die korrekte
Funktionsweise des Prüfsystems sicherstellen, als die Fahrtauglichkeit eines Fahr-
zeugs abzunehmen bzw. die Baureihen diverser Hersteller freizugeben.
Eine Echtzeitprüfung müssen zukünftig andere Entitäten wahrnehmen. Dafür ist die
Blockchain-Technologie besonders gut geeignet. Ebenfalls ein Kind der Digitalisie-
rung, das im Nachfolgenden sehr kurz und einfach vorgestellt wird.
Eine Blockchain141 ist eine dezentrale Datenbank, in die Vorgänge durch kryptogra-
fische Datenblöcke (sogenannte Merkle-Trees) über viele Computer hinweg aufge-
zeichnet werden, sodass die Datensätze nicht mehr rückwirkend geändert werden
können, ohne die Aufzeichnung über alle Computer manipulieren zu müssen. Diese
sehr stark vereinfachte Definition beschreibt nun den Umstand, dass ein Prüfvorgang
an vielen unterschiedlichen Stellen aufgezeichnet und dokumentiert wird. Um Fäl-
schungssicherheit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, ist hier der Einsatz von
öffentlichen Blockchains (jeder von uns kann theoretisch ein Stück davon besitzen,
sie gehört der Gesellschaft und nicht einem einzelnen Unternehmen oder einer Insti-
tution) gefordert.
141 In Anlehnung an die Definition aus Blockchain 2.0, Dr. Julian Hosp, München 2018.
142 https://www.fit.fraunhofer.de/content/dam/fit/de/documents/Blockchain_WhitePaper_Grundlagen-
Anwendungen-Potentiale.pdf (Zugriff: 08.02.2020).
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Smart Contracts sind folglich Hilfsmittel, mit denen menschliche Interaktionen (bei-
spielsweise die Prüfung einer Änderung und deren Auswirkungen) automatisiert
werden, indem Verträge durch Algorithmen ausgeführt, durchgesetzt, verifiziert und
gehemmt werden können. Erfüllt also eine Änderung nicht das hinterlegte Prüfproto-
koll (also den Smart Contract), wird die Fahrzeugänderung abgelehnt und der ganze
Vorgang in der Blockchain gespeichert.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen entspannt im Fond Ihres neuen autonom fahrenden
Fahrzeuges und lesen ein Buch oder nehmen über Ihrer VR-Brille gerade an einem
Meeting teil. Plötzlich läuft ein Kind über die Straße. Gleichzeitig leuchtet auf dem
Computer-Display des Fahrzeugs der Hinweis auf ein Live-Softwareupdate des zent-
ralen Bordrechners auf. Wird der Wagen rechtzeitig bremsen? Beeinträchtigt der Ein-
spielvorgang neuer Software die Funktion des Bordrechners?
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Wie wir uns den Ausgang dieser Verkehrssituation wünschen, ist klar. Transparent
wird aber auch, dass wir beim vollautonomen Fahren nur noch Statisten sind, abhän-
gig von Technik und Prozessen. Welchen Prozessen wir uns in der Betriebsphase unse-
res Fahrzeuges anvertrauen, besprechen die nächsten Abschnitte.
9.3.3.1 Softwareaktualisierungsprozesse
Die Software und die damit verbundenen digitalen Funktionen werden zu einer
grundlegenden Voraussetzung für autonomes Fahren. Für die Autoindustrie besteht
die große Herausforderung darin, die Schnelllebigkeit der Digitalwelt möglichst eins
zu eins im Auto abzubilden. Dafür müssen die Fahrzeuge während des Lebenszyklus
updatefähig bleiben, vergleichbar einem Handy.
Tesla hat gezeigt, wie es geht; alle anderen müssen möglichst schnell nachziehen.
»Over the air« laden die Amerikaner neue Software und so neue Funktionen ins Fahr-
zeug. Tesla hat hier das Apple-Prinzip des iPhones übernommen. Produkt-Upgrades
wie zum Beispiel zusätzliche Ladeleistung erfordern keinen Werkstattbesuch mehr.
Die schrittweise Weiterentwicklung der Fahrzeuge sichert deren Werterhalt. Fahr-
zeuge nachträglich, einfach per Mausklick, mit Funktionen aufzurüsten, könnte sich
zudem zum einträglichen Zusatzgeschäft entwickeln.
Die Hersteller gewinnen dadurch auch die Möglichkeit, die Fahrzeugflotte ohne Aus-
tausch eines Fahrzeugs in eine autonom fahrende Flotte weiterzuentwickeln. Zudem
bahnt sich in der Fahrzeugentwicklung ein Strategiewechsel an: So ist es nicht mehr
notwendig, zum SOP (Start of Production) alle Leistungsmerkmale im Fahrzeug ver-
baut zu haben, sondern lediglich die ideale Software- und Kommunikations-Plattform
entwickelt zu haben, welche die Weiterentwicklung im laufenden Fahrzeugbetrieb
begünstigt.
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Abb. 116: Möglichkeiten der Softwareaktualisierung von Fahrzeugflotten; Quelle: Eigene Darstellung
»Over the air«-Updates von Fahrzeugen werden wie auch bei ihren digitalen Geschwis-
tern Smartphone und Computer über WLAN oder Mobilfunknetz (siehe Abbildung 116)
durchgeführt. Neben den steigenden Anforderungen an die Qualität der Software
steigen durch die Art der Übermittlung gleichzeitig auch die Anforderungen an die
Sicherheit der Software. Die Übermittlung von Softwarepaketen stellt die Hersteller
vor neue Herausforderungen: Es gilt, den Einsatz von Schadsoftware (Viren, Malware)
und die Möglichkeit von Softwareangriffe nachweislich zu verhindern. Die gesamte
Übertragungsstrecke (siehe Abbildung 117) stellt dabei ein nicht unerhebliches Gefah-
renpotenzial dar.143 Die Übertragung der Datenpakete ist unbedingt zu schützen, da
sonst Dritte möglicherweise Zugriff auf wichtige Fahrzeugfunktionen bekommen oder
Daten abgreifen können. So existieren bereits jetzt zahlreiche Bluetooth-Konnektoren
(beispielsweise On-Board-Diagnosesysteme, ODB) im Fahrzeug, die dem Fahrer erlau-
ben, sich auf seinem Smartphone den Zustand seines Fahrzeuges anzeigen zu lassen.
Gleichzeitig ist das aber auch ein Einfallstor für weniger wohlmeinende Akteure. Der
Universität Michigan144 ist es gelungen, bei einem versuchsweisen Softwareangriff die
Kontrolle über einen Lastwagen und einen Schulbus zu übernehmen. Die verzweifel-
ten Eingriffe der jeweiligen Fahrzeugführer wurden vom System einfach ignoriert.
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Abb. 117: Typische »Over the air«-Übertragungsstrecke vom OEM bis zum Einzelfahrzeug
(in Anlehnung an: https://www.next-mobility.news/was-es-bei-over-the-air-updates-im-automotive-
bereich-zu-beachten-gibt-a-783494/)
Safety und Security sind daher wesentliche Aspekte für den Erfolg von OTA. Security
beschreibt dabei die Sicherheit des Übertragungswegs, Safety die sichere Umset-
zung des Update-Prozesses. Zur Security gehört unter anderem die Sicherung des
Übertragungswegs durch verschiedene Mechanismen wie TLS (SSL-Übertragung),
HTTPS, Benutzeridentifikation, VPN und E2EE. Sind diese nicht ausreichend gesi-
chert, drohen Man-in-the-Middle-Angriffe, Bordnetz-Spoofing, Diebstahl von geis-
tigem Eigentum, das Ausspähen des Fahrers oder gar Stilllegung oder Manipulation
von Fahrzeugfunktionen.
9.3.3.2 Datenübertragungsprozesse
145 Hiermit ist explizit nicht die Übertragung von Software-Paketen gemeint.
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Eine weitere Hürde im IoT-Bereich (letztlich ist autonomes Fahren eine etwas kom-
plexere Ausdrucksform des Internets der Dinge) wird Konnektivität sein. Autonomes
Fahren erfordert eine flächendeckende Internetverbindung mit hoher Bandbreite. In
vielen IT-Umgebungen ist das bisher noch nicht gegeben.
Neben redundant ausgelegter Hard- und Software für eine schnellere und agilere
Datenverarbeitung gewinnt Edge Computing einen größeren Stellenwert. Der Vorteil
hierbei ist, dass Daten, anstatt ins Rechenzentrum zu gelangen, direkt am Rande der
Cloud verarbeitet werden, um einen Datenstau146 in der Cloud zu verhindern. Letztlich
dient die Vermeidung von Datenstaus der latenzfreien Datenverarbeitung. Edge Com-
puting ermöglicht eine weltweite Datenverarbeitung in Echtzeit, was Cloud Compu-
ting alleine in dieser Form nicht garantieren kann. Die fünfte Generation der mobilen
Datenverarbeitung (5G) ist ohne Edge Computing beispielsweise gar nicht erst mög-
lich. Umgekehrt ist autonomes Fahren ohne das Vorhandensein eines, zumindest der
Verkehrsinfrastruktur folgendem, flächendeckenden 5G-Netzes nicht möglich.
Simulationen mit künstlichen Daten und Daten aus Testfahrten reichen den Automo-
bilherstellern schon lange nicht mehr. Die Realität lässt sich nicht simulieren, dazu
ist sie einfach zu absurd. Ein amüsantes Bonmot stammt aus dem Munde von Chris
Urmson,147 der die Entwicklung autonomer Fahrzeuge bei Google X leitet: Bei einer
Testfahrt traf ein selbstfahrendes Google-Fahrzeug auf eine Ente, die mitten auf der
Straße im Kreis lief. Allerdings nicht freiwillig. Das Tier wurde von einer Frau in einem
elektronischen Rollstuhl herumgescheucht. Sie fand offenbar nichts dabei, quer über
die Fahrbahn ihre Kreise zu ziehen. Auch wenn die Beweggründe wohl auf immer ihr
Geheimnis bleiben werden, so muss ein autonom fahrendes Fahrzeug damit umgehen
können. »Das zu testen, wäre mir auch nach sehr langem Nachdenken nicht eingefal-
len«, gestand Urmson unlängst bei einer Veranstaltung.
146 Ein Datenstau ist hier als Indikator für steigende Verarbeitungszeiten zu verstehen.
147 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Autonome-Autos-Danke-dass-Sie-das-Auto-von-morgen-
testen-2760591.html (Zugriff: 02.02.2020).
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In der »dezentralen Variante« wird neben der aktuell gültigen Softwareversion eine
neue Beta-Version über eine Mobilfunkverbindung in der Fahrzeugflotte installiert.
Maßgeblich für den Fahrzeugbetrieb ist nach wie vor die alte Software-Version. Neue
und alte Version laufen parallel im Fahrzeug ab. Allerdings greift die Beta-Version nicht
in den Fahrzeugbetrieb ein (das macht weiterhin die alte Version), dokumentiert aber
die Ergebnisse ihres Eingreifens, wäre sie scharf geschaltet gewesen. Diese Erkennt-
nisse werden an den Hersteller übermittelt. Bewährt sich die neue Version, kann die
Software per Mobilfunk aktiviert werden. Das soll möglichst fehlerfreie Software-
Updates gewährleisten.
Bei allem lobenswerten Einsatz für die Fahrsicherheit ihrer Kunden erleben wir hier
einen ungezügelten Datenakquise-Feldzug der Automobilhersteller. Noch gibt es
kaum gesetzliche Vorschriften, die festlegen, welche Daten von den Herstellern
gesammelt werden dürfen und wer auf diese Daten Zugriff hat. Ein modernes Assis-
tenzsystem kann eine Fülle von Informationen bereitstellen, wie ein Mensch ein Fahr-
zeug bewegt hat. Beschleunigt der Fahrer sehr stark? Wie oft musste der Spurhalteas-
sistent eingreifen? Hat der Fahrer den Blinker gesetzt? Hat er eine Müdigkeitswarnung
ignoriert und ist er vor dem Unfall eingenickt? Vielmehr stellt sich die Frage, welche
Daten nicht erhoben werden.
148 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Autonome-Autos-Danke-dass-Sie-das-Auto-von-morgen-
testen-2760591.html (Zugriff: 02.02.2020).
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Diese Informationen dienen nicht nur der Zuleitung für Computersimulationen von
Alltagsszenarien, sondern sie dienen auch als Grundlage, um bei Unfällen den tatsäch-
lichen Unfallhergang zu rekonstruieren. Für den Fahrer ist es nahezu unmöglich her-
auszufinden, welche Daten zu seinem Fahrverhalten existieren. Die Hersteller machen
das Datensammeln auch recht geschickt. Sie holen sich die Einwilligung über Dienste
wie »MyPeugeot«, »MercedesMe« oder »BMW Connected-Drive«, indem sie ihren Kun-
den einen Mehrwert versprechen, beispielsweise einen schnelleren Abschleppservice
nach einem Unfall. Sobald der Kunde die Nutzungsbedingungen dieser Dienste akzep-
tiert hat, liefert das Fahrzeug auch schon fleißig Daten an den Hersteller.
149 https://www.futurezone.de/digital-life/article216654435/Traust-du-Tesla-wirklich-Das-weiss-das-
Unternehmen-ueber-dich.html (Zugriff: 02.02.2020).
150 https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/assistenzsysteme/daten-
modernes-auto/ (Zugriff: 09.02.2020).
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Anbieter wie Tesla machen auch noch Filmaufnahmen mit den Außenkameras des
Fahrzeugs, etwa um Straßenverläufe besser beurteilen zu können und um festzuhal-
ten, an welchen Positionen sich Verkehrsampeln und Straßenschilder befinden.
Aber nicht nur als Quelle von Computersimulationen und Unfallrückschlüssen dienen
die ermittelten Daten. Die Managementberatung McKinsey151 schätzt den Wert von
Fahrzeugdaten im Jahre 2030 auf über 750 Milliarden US-Dollar. Zu den Kundengrup-
pen zählen zunächst einmal die Fahrer selbst. Über 70 % der deutschen Autofahrer
wären bereit, für Serviceleistungen wie eine präzisere Stauwarnung, das automati-
sche Finden eines Parkplatzes oder einer vereinfachten Fahrzeugwartung zu bezah-
len. Autoversicherer sind schon heute bereit, die Übermittlung von Kundendaten zu
monetarisieren. Einzelne Versicherungen bieten mittlerweile günstigere Tarife an,
wenn man sein Fahrverhalten aufzeichnen lässt.
Der Umgang mit der Technologie selbstfahrender Fahrzeuge zeigt eines deutlich: Sie
kann Fluch und Segen, Verheißung und Versuchung sein. Viele Themen sind noch
ungeklärt. Da sind zum einen schwerwiegende ethische (»Welche Entscheidungen
sind wir bereit, an eine künstliche Intelligenz im Fahrzeug zu delegieren?«) und rechtli-
che (»Welche Daten müssen und wollen wir aufzeichnen? Wem ist der Zugang zu diesem
›Schatz‹ gestattet?«) Entscheidungen zu treffen. Zum anderen muss die Technikfor-
schung ein Bewusstsein für die ablaufenden Prozesse entwickeln, ohne die autono-
mes Fahren unmöglich ist.
151 McKinsey: Monetizing Car Data – new service business opportunities to create new customer benefits,
Advanced Industries 2016.
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Was ist das Ziel einer Bergtour? Ist es die Ankunft auf dem Berggipfel? Oder ist der
Weg das Ziel? Letztlich muss dies jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann einen
Berg »bezwingen« wollen, um mich mit dieser Leistung vor anderen zu brüsten. Dann
geht es mir mehr um mein Ego als darum, was ich unterwegs erlebt habe und für mich
persönlich »mitnehmen« kann. Oder es geht mir umgekehrt gerade darum, dass die
Erfahrung einer Bergtour – das Überwinden von Grenzen, die Konfrontation mit der
Macht der Natur – in meinem Inneren etwas verändert. Für mich persönlich liegt die
Faszination des Bergwanderns, Bergsteigens und Skibergsteigens ganz stark darin,
wie es mich innerlich verändern kann. Wer sich über Stunden oder Tage im Gebirge
bewegt, der lernt immer wieder neu, flexibel zu sein, sich selbst richtig einzuschätzen
und sich auf andere zu verlassen.
Immer wieder habe ich erleben dürfen, dass auch Prozessoptimierung im Unter-
nehmen für die Beteiligten ein Einstieg in eine neue Kultur der Offenheit, der Verän-
derungsbereitschaft und des Vertrauens war. Die Prozesse standen im Fokus, doch
irgendwann ging es um weit mehr als Prozesse, nämlich darum, wo man mit den Men-
schen im Unternehmen gemeinsam hinmöchte und was es braucht, um immer wieder
Widerstände zu überwinden und daran zu wachsen. Ich möchte Sie einladen, bei der
Beschäftigung mit Prozessen nicht allein das Technische zu sehen, sondern auch die
Möglichkeiten, die sich Ihnen eröffnen, gemeinsam mit anderen Menschen dauerhaft
mehr zu erreichen.
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weiterentwickeln und aus eigener Kraft immer wieder neue Richtungen einschlagen
können. Dafür müssen oft zunächst Fehlentwicklungen beendet werden. Das klingt
zunächst noch sehr abstrakt. Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Prozessoptimierung
konkret?
BEISPIEL
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lässt sich das Unternehmen von einem Marktvergleich leiten (z. B. 15 % der
Aufgaben der HR-Prozesse werden von vergleichbaren Industrieunternehmen
in einem Shared-Service Center ausgeführt). Am Ende verlieren am deut-
schen Standort 600 Mitarbeiter ihren Job. Die von ihnen betreuten Prozes-
saufgaben wandern in ein osteuropäisches Shared-Service-Center. Tabelle 23
bewertet Soll- und Ist-Ergebnis dieser Prozessoptimierungsmaßnahme durch
einen Nachhaltigkeitsindex (0 – nicht nachhaltig bis 10 – sehr nachhaltig).
Symptome:
* Kostenanstieg
* Preisverfall (Produkte und Leistungen)
Post-Symptom-
Betrachtung Ursachen: 1/10
(Wandel) * unnötige Produktvielfalt
* fehlende Prozesspflege (Optimierungen)
* komplexe IT-Infrastruktur wurde nicht
adressiert
Als Treiber dienten Shared-Services Benchmarks
E2E-Prozesssicht (Vergleich mit Industrie-Peers) je Fachbereich 2/10
(keine Prozessbetrachtung)
* Maßnahme: Abbau von über 600 Mitarbeitern
* Mitteleinsatz für Abfindungen: 150 Mio. EUR
* Personalkosteneinsparung p.a.: 6 Mio. EUR
Leistungsverbesserung * Amortisation (ohne Inflation): 25 Jahre
bei angemessenem * Amortisation (mit 2% Inflation): 41 Jahre 3/10
Mitteleinsatz * Beobachtete Probleme: Deutliche
Leistungsreduktion durch Erfahrungs- und
Know-how-Verlust
Harmonisierte * Gleiche Leistung bei gleicher Qualität
Zielhorizonte * Reduzierte Prozesskosten 2/10
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(Prozessfehlentwicklung)
E2E-Sicht
Harmonisierte Zielhorizonte
Post-Symptom-Betrachtung
(Fehlsteuerung)
(Wandel)
Optimierungs-
maßnahme
Sehr oft dreht es sich bei einer Prozessoptimierung um die einen einzelnen, mehrere
oder sogar sämtliche Geschäftsprozess(e) umfassende Neuausrichtung des Unterneh-
mens. In diesen Fällen hat sie strategische und grundlegende Bedeutung. Ziele einer
solchen Prozessoptimierung können der Ausbau oder die Wiedergewinnung einer
starken Leistungsfähigkeit, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit oder in kriti-
scher Lage die Sicherung der Überlebensfähigkeit sein.
Umso wichtiger ist es, Verbesserungen mit Blick auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfä-
higkeit zu formulieren und diese nach ihrer Realisierung regelmäßig zu überwachen
und falls notwendig anzupassen. Dabei darf man nicht aus den Augen verlieren, dass
notwendige Verhaltensänderungen, also der kulturelle Wandel im Unternehmen,
vielfach wesentlich länger brauchen als technische, fachliche oder organisatorische
Änderungen. Oft sind Projekte bereits formal abgeschlossen, während der Kulturwan-
del noch in vollem Gange ist. Warum das so ist und wie sich unter aller Veränderungs-
resistenz zum Trotz ein Wandel im Unternehmen einleiten lässt, darum geht es auf den
weiteren Seiten dieses Kapitels.
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Probleme im Unternehmen treten meist verdeckt auf und machen sich symptomhaft
oft an den am wenigsten erwarteten Stellen bemerkbar. Unternehmensfolklore152 hält
Einzug in die Prozesse. Im täglichen Geschäft schleichen sich Ineffizienzen ein, die mit-
unter gar nicht mehr als störend wahrgenommen oder hinterfragt werden. Menschen
gewöhnen sich an vieles. Qualitätsprobleme zeigen sich, es tauchen immer wieder
auch Schwierigkeiten im operativen Prozessverlauf auf. Aber nicht nur ein fachliches
oder technisches Stottern des Unternehmensmotors ist zu beobachten. Auch im zwi-
schenmenschlichen Bereich brechen vermehrt Konflikte auf. Das Arbeitsumfeld lädt
sich emotional auf und die Frustrationstoleranz der Mitarbeiter nimmt stetig ab. Kran-
kenstand und Fluktuation sind die Folgen.
152 Darunter verstehe ich Arbeiten, die nicht mehr notwendig sind, sich aber aus einer Tradition heraus (»Das
haben wir schon immer so gemacht«) gehalten haben.
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Organisationsentwicklung (Wandel)
Analysetiefe der Prozessoptimierung
Konflikte
Ineffizienzen
Qualitätsprobleme Symptome
operative Probleme
Krankenstand, Fluktuation
unmittelbare Ursache
»tief ansetzen,
um breit und
nachhaltig
organisatorische und kulturelle wirksame
Faktoren Veränderungen
zu erreichen«
Jede Veränderung, jedes Neue stößt bei den meisten Betroffenen zunächst auf
Zurückhaltung oder ruft sogar Ablehnung hervor. Nur ein sehr kleiner Kreis (im Durch-
schnitt rund 3 %, siehe Abbildung 120) steht der Veränderung sehr aufgeschlossen
gegenüber und zeigt Bereitschaft, die Änderung aktiv mitzutragen. Ich hoffe für Sie,
dass Ihr Gegenüber mit Ihnen Schritt geht. Eine Veränderung sollte von beiden Seiten
getragen werden: Wenn eine der Parteien einer Veränderung gegenüber gleichgültig
oder skeptisch auftritt, sollten Sie sich ernsthaft darüber Gedanken machen, ob Sie
unter diesen Voraussetzungen die Veränderungen überhaupt erfolgreich umsetzen
können. In dieser Situation kämen Sie aber aller Voraussicht nach ohnehin nicht dazu,
sich über Prozessoptimierungen Gedanken machen zu müssen. Ganz einfach, weil es
dann dieses Optimierungsvorhaben wahrscheinlich gar nicht gäbe.
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Anteil der
Betroffenen
50%
abwartende
Gleichgültige
Bremser aktiv Gläubige
Skeptiker bereitwille Passive
20%
Untergrundkämpfer Promotoren
5% offene Gegner Champions
3% 13% 34% 34% 13% 3%
Veränderungsbereitschaft
Ablehnung Skepsis Neutralität Zustimmung Begeisterung
aktiver Widerstand aktive Befürworter
Abb. 120: Typische Reaktionen auf Veränderungen; Quelle: In Anlehnung an Dr. Seibert, Siegfried
(2015): Vorlesung Grundlagen des Change-Managements, Hochschule Darmstadt
Sind Sie mit einem Veränderungsprojekt betraut, ist es zuallererst notwendig, zu ver-
stehen, wie ein Veränderungsprozess aus Sicht eines Betroffenen überhaupt abläuft
(siehe Abbildung 121). Im Großen und Ganzen kann der Prozess in sieben Phasen
unterteilt werden. Oft führt der erste Kontakt mit dem Veränderungsvorhaben zu
einer Art Schock, mit der Folge, dass der Betroffene die Problemursache ablehnt oder
gar verneint. Die Psychologie kennt in vielen Lebensbereichen das Phänomen der
»Leugnung«, das auftritt, wenn Betroffene nicht die innere Stärke besitzen, negative
Aspekte des Selbst oder der Umwelt anzunehmen und zu integrieren. In den beiden
genannten Phasen ist eine aktive Begleitung der Mitarbeiter unerlässlich. Erst die
aktive Auseinandersetzung mit dem Veränderungsvorhaben löst Einsicht und Akzep-
tanz bei den betroffenen Mitarbeitern aus. Abbildung 121 beschreibt den erstmals von
John P. Kotter vorgestellten Wahrnehmungsverlauf im Veränderungsprozess. Jede
Phase ist für die psychische Verarbeitung der Betroffenen von elementarer Bedeutung
und unterstützt die Bereitschaft, die resultierenden Veränderungen mitzutragen.
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7
3
1 6
5
2
4
Zeit
Abb. 121: Veränderungsprozess aus Sicht eines Betroffenen; Quelle: Kotter, John P. (1996): Leading
Change, Harvard und deutsche Übersetzung: Leading Change – Wie Sie Ihr Unternehmen in acht
Schritten erfolgreich verändern (2013)
Was passiert, wenn Angst, Widerstand oder Leugnung seitens einzelner Mitarbeiter
ignoriert werden, zeigen unzählige gescheiterte Veränderungsvorhaben in den Unter-
nehmen, die schlicht aufgrund nicht adressierter Widerstände und Ängste oder ein-
fach nur aus Gleichgültigkeit nicht zum Erfolg führten.
Wie aber bringt man durchschnittlich 97 % (siehe Abbildung 120) der Mitarbeiter dazu,
sich auf teilweise recht einschneidende Veränderungen einzulassen? Da der Großteil
des Unternehmens Veränderungen generell ablehnend, skeptisch oder bestenfalls
gleichgültig gegenübersteht, braucht es einen starken »Infektionsherd«, der für die
kontinuierliche Ausbreitung einer positiven Grundhaltung gegenüber der Verände-
rungsmaßnahme sorgt. Den Infektionsherd bildet ein führungsstarkes Steuerungs-
und Treiberteam (es »treibt« die Infektion), in dem auch der Auftraggeber vertreten
ist (siehe Abbildung 122). Unterstützt wird das Steuerungsteam durch einen von der
Notwendigkeit der Änderungen überzeugten »harten Kern«. In der Regel sind dies das
Projektteam und die für das Projekt mitverantwortlichen Führungskräfte. Gemeinsam
mit dem Steuerungsteam wird nun versucht, in den Reihen der Mitarbeiter Multipli-
katoren zu gewinnen und die Ausbreitung voranzutreiben. Multiplikatoren spielen für
den Erfolg oft eine große Rolle. Im Englischen werden sie manchmal auch metapho-
risch als Evangelists bezeichnet, weil sie – wie im Christentum die biblischen »Evan-
gelisten« – aktiv und leidenschaftlich dafür sorgen, dass eine »frohe Botschaft« sich
verbreitet.
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Entwicklung
Steuerungs- & als »Ausbreitung«
Treiberteam
Letztbetroffene
Multiplikatoren
Abb. 122: Wandel als Infektion; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119)
Warum fällt es uns aber immer wieder so schwer, uns auf Veränderungen einzulas-
sen? Was steckt dahinter? Ein Teil der Antwort ist biologischer Natur. Völlig Neues ist
im Gehirn nicht speicherbar. Sind Verhaltensweisen oder Informationen den bereits
abgespeicherten Inhalten sehr unähnlich, dann ist eine Vernetzung im Gehirn nicht
oder nur auf Umwegen möglich.153 Das liegt einfach an der Speicherstrategie unseres
Gehirns, die auf einer Vernetzung von Nervenzellen beruht.
Es fällt es uns deshalb beispielsweise auch schwer, uns Namen zu merken, die für unse-
ren Sprachgebrauch »fremd« klingen. Weichen die in unserem Sprachareal abgespei-
cherten Namen sehr vom neuen, zu merkenden Namen ab, können wir nämlich nicht
wie gewohnt eine entsprechende Verknüpfung herstellen. Wie hießen noch einmal
die beiden Kinderrechtler, die 2014 den Friedensnobelpreis erhielten? Es waren Kai-
lash Satyarthi und Malala Yousafzai. Das können wir Europäer uns nur schwer merken.
Mit einem Muhammad Yunus (Friedensnobelpreis 2006) tun wir uns da schon leichter.
»Muhammad« klingt wie »Mohammed, der Prophet«, und »Yunus« erinnert irgendwie
an »Juni«, »Junior« und den Jungennamen »Jonas«, dessen arabische Form es tat-
sächlich ist. In dem Buch »Change happens: Veränderungen gehirngerecht gestalten«
schreiben die Autoren:
»Wir müssen bei der Vermittlung von Neuem also immer nach Andockstellen
suchen, die bereits durch die Erfahrungen strukturell in die Feinstruktur des
Gehirns eingeschrieben worden sind, um etwas Neues überhaupt verknüpfbar
zu machen.«154
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Dies gilt nicht nur für das kognitive Verständnis einer Veränderung, sondern weit mehr
noch für die Motivation, das Verstandene mitzutragen oder im besten Fall sogar mitzu-
gestalten. An welche positiven Erfahrungen lässt sich anknüpfen? Das »Anknüpfungs-
prinzip« gilt universell für unser ganzes Gehirn, also auch für die Bereiche (Limbisches
System), die Emotionen verarbeiten und Motivation (oder Demotivation) herstellen.
Was aber nun einzelne Menschen motiviert oder demotiviert, beruht letztlich auf der
individuellen Lebenserfahrung als das, was ein Individuum im Laufe seiner Entwick-
lung als angenehm oder unangenehm empfunden hat. Die Anknüpfung an das, was
aktuell ist, kann nun wiederum Resonanz hervorrufen. Ein neues Verhalten findet
Anklang. Die Anregung dieser neuroplastischen Veränderungsprozesse in unserem
Gehirn ist überhaupt erst die Voraussetzung, dass neues Denken und Handeln Einzug
in das Unternehmen finden kann. Die Tatsache, dass jeder Mensch andere Anknüp-
fungspunkte in sich trägt, macht den Veränderungsprozess so facettenreich, aber
auch so schwierig.
Vergleicht man unser Gehirn mit heute üblichen Verkehrswegen, also von der Auto-
bahn bis zum selten betretenen Bergpfad, stellen die Autobahnen gut eingeübtes,
robustes, alltagstaugliches Verhalten dar. Ähnlich einem Navigationssystem wird
unsere bevorzugte Routenplanung, für den Abruf von Informationen oder Verhaltens-
weisen, immer zuerst auf die breiten, eingefahrenen Autobahnen zurückgreifen. Neue
Verhaltensweisen gleichen da eher dem engen, schwer zugänglichen Bergpfad, den
man lieber komfortabel (mittels altbekannter und als sicher empfundener Verhaltens-
weisen) umfährt. Aus einem Bergpfad eine Landstraße, geschweige denn eine Auto-
bahn, zu bauen, braucht je nach Umfang der Veränderung massive Lernprozesse und
entsprechend rigorose Umbauten in unserer »Hardware«.
Mit nötigen Verhaltensänderungen von Mitarbeitern beschäftigen sich viele erst inten-
siver, wenn erste Widerstände auftauchen. Das ist fahrlässig. Die Auseinandersetzung
mit den zu erwartenden Verhaltensänderungen sollte vielmehr beginnen, bevor man
überhaupt mit der eigentlichen fachlichen Arbeit, im vorliegenden Fall also der Pro-
zessoptimierung, anfängt. Anders formuliert, geht der fachlichen Arbeit eine Phase
der Vorbereitung auf den erforderlichen kulturellen Wandel voraus. Sie beginnt mit
der Einsicht des Auftraggebers, dass ein Wandel unumgänglich notwendig ist. Mit
der Installation des Steuerungsteams und der Identifikation Gleichgesinnter wird
der Rahmen für das eigentliche Fachprojekt definiert. In diese Phase fällt auch die
Entwicklung einer Kommunikationsbotschaft. Kein Change ohne Story: Das Narrativ
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erklärt, wie es zu einem Veränderungsprozess kam und warum die Veränderung not-
wendig wurde. Dazu gehört aber auch die Formulierung einer Vision (Zielsetzung), die
mit Abschluss des Veränderungsprozesses erreicht werden soll.
Nachdem sie die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt haben, stürzen sich die
meisten Unternehmen regelrecht in die fachliche Arbeit, ohne jedoch im Vorfeld des
Projekts der Vorbereitung organisationsentwickelnder Maßnahmen genug Zeit (wenn
überhaupt) einzuräumen. Vielfach gibt es zu Projektbeginn keine klare Botschaft.
Inhalte und Richtung der Veränderungen werden von einzelnen Mitarbeitern und
Organisationseinheiten unterschiedlich interpretiert. Dies führt zu teilweise recht
verschiedenen Umsetzungsversuchen und dem Fehlen einer klaren Richtung. Unsi-
cherheit, Skepsis und Widerstand der Mitarbeiter sind typische Symptome schlecht
vorbereiteter Veränderungsprozesse.
vorbereiten umsetzen
Zeit
Abb. 123: Verlauf und Dauer von Veränderungsprozessen; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119)
10.3 Prozessfehlsteuerungen vermeiden
In meiner Beratungspraxis begegnen mir immer wieder zwei prominente Arten von
Fehlsteuerungen, auf die ich in diesem Kapitel deshalb gerne näher eingehen möchte,
weil sie Nachhaltigkeit sabotieren.
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Unternehmens-
kohärente ziele
Zielsetzungen?
* Kostenreduktion
* Kunden begeistern
Prozessziele * Verkaufszahlen
steigern
* Produktion erhöhen
Operative * Durchlaufzeiten
Ziele verbessern
* Beschwerden
reduzieren
* Prozesse outsourcen
* partielles Outtasking
* neue Produkte
entwickeln
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solchen Fällen muss vor der eigentlichen Prozessoptimierung ein Zielausgleich statt-
finden, bevor fehlsteuernde Zielsetzungen und Erwartungshaltungen, teilweise über
Landes- und Kontinentalgrenzen hinweg, einzementiert werden und die zukünftige
Unternehmensentwicklung beeinträchtigen.
Strategie
Entscheidungen bzgl. der Ausrichtung
(inkl. Analysen, Aushandlungen, Formulierungen)
Struktur Kultur
(Management) (Leadership)
Arbeit an Instrumenten, Arbeit mit und für Menschen
Routinen, Abläufen (Einzelne, Gruppen)
Operatives
(Fachliches / Umsetzendes)
Abb. 125: Spannungsfeld der Führungsaufgaben; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119)
156 Rump/Schnabel/Alich/Groh (2010): Betriebliche Projektwirtschaft – Eine Vermessung, Hays Holding, Mann-
heim, S. 8: https://www.hays.de/personaldienstleistung-aktuell/studie/betriebliche-projektwirtschaft-
eine-vermessung (Zugriff: 09.12.2013).
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Immer mehr Zeit von Führungskräften wird durch operative Tätigkeiten vereinnahmt,
was zunehmend zu einer Vernachlässigung traditioneller Führungsaufgaben führt.
Führungskräfte verlieren sich so zunehmend im operativen Mikromanagement und
haben irgendwann selbst das Gefühl, »zu nichts mehr zu kommen«. Die einzelnen
Organisationsbestandteile werden dadurch vermehrt sich selbst überlassen. Dabei
verliert auch der berühmte Grundsatz des deutschen Generalfeldmarschalls Helmuth
Karl Bernhard Graf von Moltke zunehmend seine Bedeutung. Aus »Getrennt marschie-
ren und vereint schlagen«, wird mehr und mehr »Getrennt marschieren und getrennt
kämpfen«. Eine denkbar ungünstige Unternehmensentwicklung.
Abschließend sollten Sie sich noch Gedanken darüber machen, wie Sie nach erfolg-
ter Umsetzung die Wirksamkeit Ihrer Maßnahmen sicherstellen wollen. Maßnahmen,
die eine umfassende Nachhaltigkeit anstreben, müssen soziale, ökologische und öko-
nomische Faktoren miteinander in Einklang bringen. Abbildung 126 liefert Beispiele
typischer Nachhaltigkeitsindikatoren, die als Grundlage für die Ableitung messbarer
Leistungskennzahlen dienen.
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soziale ökonomische
Faktoren Faktoren
Mitarbeitereinbindung Umsatzrentabilität
Mitarbeiterzufriedenheit Ausschussquote
Fluktuation Veränderungs-
nachhaltigkeit Return on Invest
Krankenstand Qualitätsaspekte
Eigenpersonalquote realisierte
Kundenzufriedenheit Kosteneinsparung
Weiterbildungsaufwand ökologische
Faktoren Effizienzsteigerung
Unfallquote
Kollaborationsverhalten Ressourcenverbrauch
Produktionsabfall
Virtualisierungsgrad
physischer Server
CO2-Emissionen
Energieeffizienz
Energiebedarf pro
Terabyte Datenvolumen
Ökologische Faktoren orientieren sich an der Reduktion der direkt oder indirekt
durch das Unternehmen verursachten Umweltbelastung.
Mit der Digitalisierung der Prozesse gehen heute neue Erwartungen an Unternehmen
einher. Soziale Verantwortung mit all ihren Facetten steht hoch im Kurs. Datenschutz
und Datensicherheit finden viel öffentliche Aufmerksamkeit, wozu auch ein siche-
rer, verantwortungsbewusster und gesetzeskonformer Umgang mit Kundendaten
gezählt werden kann. Hinzu kommt die steigende ökologische Verantwortung durch
exponentiell wachsende Datenbestände und zunehmende Leistungsanforderungen
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an den Unterhalt von Hard- und Software. Digitalisierung kostet Energie und Ressour-
cen. Zumindest die Außenwirkung der Unternehmen befördert die Nachhaltigkeits-
diskussion (im Sinne der zweiten Facette des Begriffs Nachhaltigkeit) und lässt Nach-
haltigkeitsfragen an die vorderste Front unternehmerischer Entscheidungen rücken.
Der Gedanke der Nachhaltigkeit sollte daher jeder Prozessoptimierung von Anfang an
zugrunde gelegt werden.
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Das britische Empire war das größte Kolonialreich der Weltgeschichte. Zur Zeit seiner
größten Ausdehnung, das war im Jahr 1922, erstreckte es sich über eine Fläche von ca.
33,67 Millionen km2, was einem Viertel der Landfläche der Erde entspricht. Mit etwa
458 Millionen Einwohnern umfasste es ebenfalls ein Viertel der damaligen Weltbe-
völkerung.157 Wie konnten die damals rund 44,3 Millionen Einwohner des Vereinigten
Königreichs158 über mehr als zehnmal so viele Menschen herrschen, die auf dem gan-
zen Erdball verteilt waren, Hunderte Sprachen und Dialekte sprachen und den unter-
schiedlichsten Kulturstufen angehörten? Historiker sind sich weitgehend einig, dass
dies nicht etwa an einer übermenschlichen Kampfkraft der britischen Truppen lag. Es
lag vielmehr am Organisationsgrad des britischen Weltreichs, der zur damaligen Zeit
einzigartig war. Im Mutterland der Industrialisierung wusste man, dass in der anbre-
chenden Moderne nichts mächtiger sein würde als ein gut durchdachtes, funktionie-
rendes System, dessen Regeln sich Menschen mit größter Disziplin unterwerfen. In
Indien, Afrika oder der Südsee dachte so noch niemand, weshalb die Menschen dort
kaum eine Chance hatten, ihre Unabhängigkeit gegen die britische Eroberungs-, Kulti-
vierungs- und Verwaltungsmaschinerie zu verteidigen.
Wir sind heute in einer durchaus vergleichbaren Situation. Unternehmen, die ihre
Prozesse beherrschen, haben den Schlüssel in der Hand, sich beliebig zu verändern
und anzupassen und ihr Business im globalen Maßstab nahezu unbegrenzt nach oben
zu skalieren. Amazon und andere Schwergewichte der amerikanischen Westküste
machen dies vor, indem sie immer weiter wachsen und ein Geschäftsfeld nach dem
anderen erschließen. Zahlreiche Unternehmen auf der Welt, die ihre Prozesse nicht
im selben Maß beherrschen, scheinen gegenüber diesen wirtschaftlichen Riesen (die
interessanterweise in der öffentlichen Diskussion zuweilen ausdrücklich mit Koloni-
alherren verglichen werden) keine Chance zu haben, weil ihnen der entscheidende
Schlüssel zur Transformation noch weitgehend fremd ist. So treibt etwa Amazon im
Moment praktisch die gesamte Logistikbranche vor sich her, weil das Unternehmen
so prozessorientiert – und damit effizient, effektiv, kundenorientiert, skalierbar und
flexibel – ist.
Mir war es ein wesentliches Anliegen mit diesem Buch, dass Verantwortliche in Unter-
nehmen aller Größen und Branchen erkennen, welcher Hebel für Veränderungen in
der Beherrschung der Prozesse liegt und dass sie lernen, diesen Hebel zu bedienen.
Wer bei der nächsten industriellen Revolution, der Stufe 4.0, erfolgreich mit dabei sein
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will, der wird nicht umhinkommen, seine Prozesse in den Mittelpunkt des Denkens
zu rücken. Prozesse müssen überall Thema für die oberste Management-Ebene sein.
Ebenso wichtig war und ist es mir jedoch, zu betonen, dass Digitalisierung oft gar nicht
im Digitalen beginnt, sondern es für die wahrscheinlich meisten Unternehmen hier-
zulande erst einmal darauf ankommt, ihre analogen Hausaufgaben auf der Prozesse-
bene zu machen. Wenn dieses Buch hierzu Grundlagenwissen vermitteln und einen
Handlungsimpuls setzen konnte, dann hat es seinen Zweck bereits erfüllt.
Durch die Digitalisierung entsteht eine neue Welt voller Möglichkeiten, in der sich pro-
zessorientierte Unternehmen nahezu beliebig wandeln und ausdehnen können. Ich
möchte jedoch zum Schluss nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass die aktuelle
Ausrichtung auf Daten und Datenbewirtschaftung auch zweischneidig ist. Noch sind
die teilweise abenteuerlichen Visionen der Silicon-Valley-Vordenker, die auch das
menschliche Gehirn am liebsten digitalisieren und mit neuer Software ȟberschrei-
ben« würden, nicht Wirklichkeit geworden. Und solange Menschen nicht digital sind,
müssen Unternehmen die Menschen, so wie sie sind, (mit-)nehmen. Große Verände-
rungen, dass sei ausdrücklich betont, hängen nie allein an den Prozessen, sondern
immer noch (und vielleicht gerade heute in hohem Maße) an den Menschen im Unter-
nehmen. Es gilt, die Menschen mitzunehmen, mit Empathie und Wertschätzung, und
ihre Intuition zu nutzen. Noch ist diese menschliche Intuition, die sich im digitalen
»Eins-Null« nicht abbilden lässt, der eigentliche Motor der Kreativität, des Erfindungs-
reichtums und der Wertschöpfung jedes Unternehmens. Wem jetzt die Synthese aus
Menschlichkeit, Ökologie, höchster Effizienz und maximaler Flexibilität gelingt, der
könnte gute Chancen haben, ein Cockerill, Ford oder Bezos der Zukunft zu werden.
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Der Autor
Nach seinem Engagement als Mitbegründer der DESERTEC Stiftung und seiner Arbeit
als Aufsichtsrat wendet sich Rupert Hierzer seiner heimlichen Leidenschaft zu: dem
Schreiben.
Rupert Hierzer liebt es, Zeit in den Bergen zu verbringen, egal ob beim Wandern oder Ski-
bergsteigen. Das hat ihn in das schöne Allgäu geführt, wo er mit Frau und Kindern lebt.
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Tabellenverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
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