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Rupert Hierzer

Prozessoptimierung 4.0
Den digitalen Wandel als Chance nutzen
2. Auflage

DIGITALISIERUNG

EFFIZIENZMAXIMIERUNG

TAYLORISMUS

MECHANISIERUNG
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Prozessoptimierung 4.0
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Prozessoptimierung 4.0
Den digitalen Wandel als Chance nutzen

2. Auflage

Haufe Group
Freiburg · München · Stuttgart
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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Print: ISBN 978-3-648-13801-4 Bestell-Nr. 10206-0002


ePub: ISBN 978-3-648-13802-1 Bestell-Nr. 10206-0101
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Rupert Hierzer
Prozessoptimierung 4.0
2. Auflage, August 2020

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Bildnachweis (Cover): RED GmbH, Krailing

Produktmanagement: Anne Rathgeber


Lektorat: Peter Böke, Berlin
Grafiken: lindisein, Dorothea Lindenberg und Ebru Alkin (Kapitel 9)

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Für Karin

Grow old along with me!


The best is yet to be,
The last of life, for which the first was made:
Our times are in His hand
Who saith »A whole I planned,
Youth shows but half; trust God: see all, nor be afraid!«

– aus »Rabbi Ben Ezra« von Robert Browning


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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13


Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Geschäftsprozesse, die Hauptdarsteller der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21


1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.1.1 Die Vergangenheit ist noch lange nicht vorbei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.1.2 Weltgeschichte als Geschichte der Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.1.3 Prozessorientierung: Ein junges Phänomen in vier Stufen . . . . . . . . . . . . 27
1.2 Stufe 1.0: Die »Spinning Jenny« läutet die Mechanisierung ein . . . . . . . . . . . . . . . 29
1.2.1 Mechanische Prozesse als größte Innovation der Industrialisierung . . . 31
1.2.2 Pioniere der Industrie krempeln die Arbeitswelt um . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1.3 Stufe 2.0: Am Fließband der Herren Taylor und Ford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
1.3.1 Nicht mehr die Maschine, sondern die Organisation im Blick . . . . . . . . . 34
1.3.2 Dequalifizierung macht Arbeitskräfte austauschbar . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1.3.3 Mensch, Arbeit, Technik: Ein Spannungsfeld bis heute . . . . . . . . . . . . . . . 38
1.4 Stufe 3.0: McKinsey kommt – Jetzt zählt die Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1.4.1 Der Massenmarkt verlangt, sich dezentral zu organisieren . . . . . . . . . . . 39
1.4.2 Rationalisierung: Der ungebrochene Siegeszug eines Prinzips . . . . . . . . 41

2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


2.1 Die Neudefinition unserer Lebens- und Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.2 Die Datenquellen des Digitalzeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2.2.1 Wearables: Der Computer verschmilzt mit dem Anwender . . . . . . . . . . . 49
2.2.2 Internet der Dinge: Wenn der Toaster mit dem
Kühlschrank spricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.2.3 Sensoren und Embedded Systems: Geschwister
der Automatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.3 Exponentialität oder die Macht des Reiskorns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.4 Informationssicherheit: Die große Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.4.1 Digitalisierte Geschäftsprozesse werfen neue Sicherheitsfragen auf . . . 58
2.4.2 Droht das Internet der ungesicherten Dinge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.5 Relevanz: Aus geeigneten Daten entsteht Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.6 Digitale Disruptoren: Die Kunst der kreativen Zerstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2.7 3D-Druck: Industrieproduktion immer und überall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

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2.8 Digitalisierung ist nichts für Feiglinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66


2.8.1 Selbstständige Prozesse: Die Befreiung vom Menschen . . . . . . . . . . . . . . 66
2.8.2 Verstärkter Technologieeinsatz: Jobs nur noch für Roboter? . . . . . . . . . . 67
2.8.3 Chancen der Zukunft: Neue digitale Berufsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.9 Aufbruch in die Unternehmenswelt von Morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.10 Eine Welt aus Projekten: Alles wird »agil« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.10.1 Scrum: Mit Sprints zum Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
2.10.2 Kanban: Kleine Schritte, große Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.10.3 Design Thinking: Immer an die Nutzer denken! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.10.4 Weitere Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.11 Eine ganzheitliche, systemische und vernetzte Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77


3.1 Dem Veränderungsdruck kann sich niemand entziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3.1.1 Bei den Prozessen ist die Digitalisierung am spürbarsten . . . . . . . . . . . . 78
3.1.2 Keine neuen Prozesse ohne veränderungsbereite Mitarbeiter . . . . . . . . 79
3.2 Prozesse als Augen und Ohren des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.3 Wie digital sind Unternehmensprozesse heute? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.4 Entwicklungspfad: Von den nackten Daten zur Prozessautonomie . . . . . . . . . . . . 85
3.5 Process Mining: Wegbereiter intelligenter Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.6 Prozessautonomie: Selbstlernende und selbstheilende Prozesse . . . . . . . . . . . . . 92

4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95


4.1 Jenseits des Hypes: Analog ist das neue Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
4.2 Basics: Aus dem Fundus der Prozessentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
4.2.1 Geringe Wertschöpfung als Anlass für Prozessoptimierung . . . . . . . . . . . 98
4.2.2 Gut zu wissen: Was sind eigentlich Prozesse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.2.3 Drei Arten von Prozessen nach dem »SOS-Modell« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
4.2.4 Mit Kompass und Karte durch den Prozessdschungel . . . . . . . . . . . . . . . . 103
4.3 Unterschiedliche Formen der Prozessentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
4.3.1 Nulloption: Prozesse gehen immer ihren Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
4.3.2 Arten der Prozessentwicklung: Sanft oder radikal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
4.4 Mensch und Prozess: Ein ungeklärtes Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
4.5 Gesamtkonzept: Wege in die Prozessdigitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
4.6 Aus dem Werkzeugkasten der Prozessanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.6.1 Bewährtes Hilfsmittel: ABC-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.6.2 Bevor es unübersichtlich wird: Prozess-Triage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
4.6.3 Ein Blueprint für Digitalisierungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen . . . . . . . . . . . . . 121


5.1 Prozessberater: Schlüsselfigur der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
5.1.1 Auswahl des Beraters: Unbefangenheit ist Trumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
5.1.2 Fähigkeiten: Soziale Kompetenz, bitte! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
5.2 Prozess-Tools: Auswahl und Umgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
5.2.1 Akzeptanz ist wichtiger als jedes Software-Tool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
5.2.2 Übersicht der bekanntesten Prozess-Tools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
5.3 Prozess-Stakeholder: Wer ist betroffen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
5.3.1 Prozesse im Spannungsfeld von Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
5.3.2 Stakeholder identifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
5.3.3 Stakeholder bewerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
5.4.1 Die Rolle des Prozess-Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
5.4.2 Philosophie: Workshop ist nicht gleich Workshop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
5.4.3 Zielarbeit: Mit dem Zielkorridor auf Kurs bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143


6.1 Standortbestimmung: Was sind kritische Faktoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
6.1.1 Der zweite Blick auf das Analysevorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
6.1.2 Reifegradmodelle als praktische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
6.2.1 SIPOC-Analyse: Der Charme der Übersichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
6.2.2 Schnittstellenanalyse: Problemursachen im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
6.2.3 Informationsanalyse: Digitalisierung beginnt hier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
6.2.4 Verantwortlichkeiten definieren: Die RACI-Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
6.2.5 Murphy-Simulation: Was könnte alles schieflaufen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
6.2.6 Prozessbebauungsplan: Abhängigkeiten auf einen Blick . . . . . . . . . . . . . 160
6.3 Barrierefrei visualisieren: Weniger ist mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
6.3.1 Brown-Paper-Methode: Papier ist geduldig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
6.3.2 Bildkartenmethode: In drei Runden zum Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
6.4 Ishikawa-Analyse: Stärken und Schwächen im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
6.5 Makigami-Technik: Wertschöpfung analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
6.6 Informationsquellen: Erst mal analog bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173


7.1 Von der Analyse zur Lösung: Kein einfacher Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
7.2 Zielbild entwerfen: Wo wollen Sie hin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
7.2.1 Wenn der Staub sich legt: Bisherige Ergebnisse nutzen . . . . . . . . . . . . . . 174
7.2.2 Reality Check: Den Maßnahmenkatalog verifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
7.2.3 Zukünftige Prozesse sichtbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

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7.3 Den richtigen Prozessoptimierungsansatz wählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178


7.3.1 Revolution: Reengineering und Restrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
7.3.2 Transformation: Die eigentliche Geschäftsprozessoptimierung . . . . . . . 181
7.3.3 Evolution: Prozesspflege in allen Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
7.3.4 Grundlegende Optimierungsbausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
7.4 Von der Prozess- zur Projektarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
7.4.1 Ableiten der Arbeitspakete: Bitte keinen Aktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . 184
7.4.2 Fit/Gap-Analyse: Alle Dimensionen im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
7.4.3 Geschafft: Formulierung des Projektauftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189


8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
8.1.1 Kennzahlensysteme und datengetriebene Prozesssteuerung . . . . . . . . . 190
8.1.2 Im Daten-Tsunami die Orientierung behalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
8.1.3 FTR-Kennzahl: Richtig beim ersten Mal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
8.1.4 Überwachung und Reaktion: Kontinuität ist Trumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen festlegen . . . . . . . . . . . 203
8.2.1 Entwicklung einer Prozess-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
8.2.2 Die Prozessorganisation: Geistige Mauern überwinden . . . . . . . . . . . . . . 205
8.2.3 Struktur einer Prozessorganisation und Prozessrollen . . . . . . . . . . . . . . . 211
8.3 Neue digitale Navigationsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
8.3.1 Digitalisierungsgradmesser Action Distance Management (ADM) . . . . . . 213
8.3.2 Mit der Prozesssimulation Leitplanken definieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219


9.1 Es muss nicht immer disruptiv sein: Die Dualität der Digitalisierung . . . . . . . . . . 219
9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer . . . . 220
9.2.1 Voll im Trend: RPA-Marktvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
9.2.2 Der gläserne Mitarbeiter: Leistungs- und Verhaltenskontrolle . . . . . . . . 228
9.2.3 Vorbehalte ernst nehmen: Veränderungsmanagement
bei RPA-Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
9.2.4 Auch Bots brauchen Pflege: Farmer der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . 229
9.2.5 Die Heimkehr der Prozesse: Insourcing durch Automatisierung . . . . . . . 229
9.2.6 Roboterfarmen: Die neuen Ghettos der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . 230
9.2.7 Was zusammengehört soll man nicht trennen:
Die neuen Softwarelösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
9.2.8 Mit Geduld und Spucke: Vorgehen bei der RPA-Einführung . . . . . . . . . . . 235
9.2.9 Die Gewinner der Bot-Revolution:
Die Transaktions-Schwergewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241


9.3.1 Disruptoren am Werk: Prozesssicht beim autonomen Fahren . . . . . . . . . 242
9.3.2 Die neue Homologation: Mit Simulationen den
Prüfalbtraum vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
9.3.3 Fahrzeugbetrieb: Zum Statisten verdammt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
9.3.4 Fluch und Segen: Wenn Digitalisierung Neuland betritt . . . . . . . . . . . . . . 257

10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259


10.1 Prozessoptimierung im Kontext Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
10.2 Jenseits von Aktionismus: Den Wandel fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
10.2.1 Über Symptome und Ursachen hinausblicken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
10.2.2 Koalition der Willigen: Wer begrüßt Veränderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
10.2.3 Vorbereitung ist alles: Veränderungsprojekte aufsetzen . . . . . . . . . . . . . . 268
10.3 Prozessfehlsteuerungen vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
10.3.1 Wo alle hinwollen: Kohärente Zielhorizonte sicherstellen . . . . . . . . . . . . 270
10.3.2 Unternehmensverständnis der Führungsaufgaben klären . . . . . . . . . . . . 271
10.4 Nachhaltigkeit messbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Ausblick: Eine neue Welt voller Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277


Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

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Vorwort zur zweiten Auflage

Während ich die zweite Auflage dieses Buches fertigstelle, zwingt uns ein Virus, unse-
rer Arbeit im Homeoffice nachzugehen. Mit einem Schlag rückt die Digitalisierung aus
dem Schatten hipper Diskussionsrunden und einschlägiger Berater-Buzzwords ins
krisengeschüttelte Rampenlicht.

Vergleichbar einem Pokerspieler, für den die Zeit gekommen ist, sein Blatt zu zeigen,
muss nun auch die Digitalisierung beweisen, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen
erfüllen kann. Von einem Tag auf den anderen finden Meetings, Schulungen und Work-
shops nicht mehr in einem wohltemperierten Büro statt, sondern in virtuellen Bespre-
chungsräumen. Etablierte Abläufe wie Hauspost oder Stempeluhr sind mit einem Mal
hinfällig. Internet, Kommunikationsplattformen, digitale Prozesse und die techni-
schen Fähigkeiten von IT-Abteilungen weltweit sind die Protagonisten der Stunde.

Jetzt zeigen sich Versäumnisse sofort. Am Anfang sind es oft unerwartete Dinge – wie
eine zu niedrige Bandbreite im Internet, ein Mangel an Lizenzen beispielsweise für
VPN-Verbindungen oder Kommunikationstools bis hin zu Mitarbeitern, die zuhause
über keinen adäquaten Internetanschluss verfügen. Danach sind es Abläufe, die neu
und ungewohnt sind, die sich erst finden und etablieren müssen. All das schränkt die
gewohnte Art zu arbeiten ein und beeinträchtigt am Ende die Prozessleistung.

Die Wucht, mit der sich das Thema unserer Tagesordnung bemächtigt hat, verleiht
dem vorliegenden Buch eine neugewonnene und ungeahnte Aktualität.

Es hätte jedoch nicht einer Pandemie bedurft, um die zentrale Bedeutung der Pro-
zessdigitalisierung herauszustreichen. Seit Erscheinen der ersten Auflage habe ich
mich über zahlreiche Zuschriften gefreut, verbunden mit Fragen und Anregungen,
die schlussendlich zu einer Aktualisierung des Buches in seiner vorliegenden Form
geführt haben. Neben dem großen Zuspruch, den ich mit diesem Buch erfahren habe,
wurde ich gleichermaßen auch auf bewusste und weniger absichtliche Auslassungen
hingewiesen. Diese Lücken habe ich versucht, so gut wie möglich zu schließen, sodass
sich auch die neuen Themen organisch in das vorliegende Buch einfügen.

Insbesondere gilt dies für den Einfluss der Digitalisierung auf die umfangreiche Welt
der Business Process Management Systeme (BPMS). Hier findet seit einiger Zeit eine
zunehmende Integration von Robotic Process Automation- (RPA), Business Process
Management- (BPM) und Process Mining-Lösungen statt, die das Potenzial hat, das
Gesicht von BPM-Lösungen grundlegend zu verändern.

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Vorwort zur zweiten Auflage

Aufgrund seiner zunehmenden Aktualität verdient das Thema Robotic Process Auto-
mation (RPA) ebenso den Raum im Buch, den es auch mehr und mehr im Alltag von
Organisationen weltweit einnimmt.

Zugleich war es mir ein Anliegen, auch zeitgemäße technologische Entwicklungen in


der Digitalisierung von Prozessen, am sehr aktuellen Beispiel automatisierten Fahrens
sichtbar zu machen.

Schlussendlich wollte ich auch mit dem Mythos aufräumen, dass Digitalisierung
immer disruptive Wirkungen entfalten muss. Mit der Vorstellung typischer Vertreter
disruptiver (autonomes Fahren) bzw. konservierender (Robotic Process Automa-
tion) Prozessdigitalisierung stelle ich das duale Wesen der Digitalisierung heraus, die
sowohl invasiv (disruptiv) als auch non-invasiv (konservierend) wirken kann.

Das Thema ist mit dem vorliegenden Buch sicher nicht erschöpfend abgehandelt. Zu
umfassend ist das Themengebiet, das durch viele aktuelle Entwicklungen stetig wei-
terwächst. Mein Bestreben war es, Ihnen mit diesem Buch einen verlässlichen und
zeitgemäßen Reisebegleiter an die Hand zu geben.

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Danksagung

Das vorliegende Buch bildet den Gipfelpunkt einer inneren Reise, die ich schon lange
vor Erscheinen der ersten Auflage angetreten bin. Mein Wunsch, intensiv mit Men-
schen zu arbeiten und als Trainer und Berater meine Erfahrungen weiterzutragen,
aber auch getrieben von Neugier und dem Bestreben, Neues zu lernen, hat letztend-
lich wesentlich zu diesem Buch beigetragen.

Von Anfang an war ich ein Lernender. Schon allein, dieses Projekt zu beginnen und
eine geeignete inhaltliche Struktur zu finden, war eine riesige Herausforderung. Selbst
das Schreiben musste gelernt sein. Ich habe lange experimentiert, bis sich meine bes-
ten Schreibergebnisse bei entspannter Jazz-Musik, mit Füllfeder auf Papier gebracht,
einzustellen begannen. Oft genug kam ich dabei noch an Stellen, an denen ich das
Ziel aus den Augen verlor und das Manuskript frustriert in eine Ecke flog. In solchen
Momenten braucht es Hilfe, die mir glücklicherweise in reichem Maße zuteilwurde.

Einen Riesenanteil an dem Umstand, dass dieses Projekt überhaupt den heimatlichen
Hafen verlassen konnte und allen Unwettern trotzte, hat mein Coach Jörg Achim Zoll,
der mir von Anfang an ein Leuchtturm im schriftstellerischen Nebel gewesen ist. Gro-
ßer Dank gebührt auch meiner Grafikerin Dorothea Lindenberg, die aus meinen Krit-
zeleien schlau wurde und mit vielen eigenen Ideen großartige Bilder entwarf. Ebenso
möchte ich meiner Kollegin Frau Ebru Alkin für die grafische Begleitung bei der Aktu-
alisierung dieses Buches danken. Meinem Freund und Geschäftspartner Alexander
Roeder danke ich dafür, dass er mir während meiner Schreibphasen und darüber hin-
aus stets den Rücken freigehalten hat.

Den wohl intimsten Anteil verdient meine Frau Karin, die mit mir den Stürmen trot-
zen musste und meine Stimmungsschwankungen geduldig ertragen hat. Ohne ihren
Zuspruch und ihr leuchtendes Wesen hätte ich diese Reise weder gewagt noch erfolg-
reich bestritten.

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Geschäftsprozesse, die Hauptdarsteller der


Digitalisierung

Die Digitalisierung ist in aller Munde. Doch was wollen Sie im Unternehmen digitalisie-
ren, wenn nicht die Prozesse?

Prozesse sind die Arterien des Unternehmens. Hier fließt das Blut, hier geht es ums
(Über-)Leben. Genauer gesagt: um die Wertschöpfung, ohne die ein Unternehmen
keine Daseinsberechtigung hätte. Jedes Unternehmen möchte Dinge verändern, um
sie dadurch zu veredeln. Sämtliche Schritte dieser Veränderung, sämtliche Wert-
schöpfungsbeiträge, erzeugen Daten. Daten entstehen immer durch Bewegung,
durch eine Abfolge von Veränderungen. Je genauer Ihre Daten sind und je mehr Sie
mit den Daten anfangen können, desto smarter und effizienter können Sie mit diesem
Wissen Ihre Prozesse gestalten. Daten, beispielsweise über Kundenanforderungen,
Maschinenabnutzung oder Materialeinsatz, eröffnen Ihnen die Möglichkeit zu einer
kontinuierlichen Prozessoptimierung.

Das alles leuchtet vielen rasch ein, aber was bedeutet es in der Praxis? Welche Daten
im Prozess wollen Sie erfassen? Wie speichern, wie transportieren Sie Prozessdaten?
Und: Wollen Sie Prozesse 1:1 digitalisieren, die längst unvollkommen und ineffizient
geworden sind? Ja, über die Sie manchmal kaum mehr wissen, als dass sie irgendwie
funktionieren?

Die meisten Unternehmen in unseren Breiten sind auf das Zeitalter der Digitalisierung
und die damit verbundenen Umwälzungen miserabel vorbereitet. Das liegt nicht in
erster Linie an der mangelnden Bereitschaft, IT einzusetzen. Es mangelt auch in den
seltensten Fällen an der Einsicht des Managements, dass sich die Welt gerade rapide
verändert. Das hat sich herumgesprochen. Nein, was Unternehmen wirklich in größte
Gefahr bringt, ist ihr völlig unzureichender Umgang mit Geschäftsprozessen, den
Hauptdarstellern der Digitalisierung. Prozesse werden nicht richtig verstanden, selten
im Top-Management angesiedelt und wenig strategisch interpretiert. Jetzt können
Sie einwenden: Prozesse sind doch ein ganz großes Thema in Unternehmen! Das mag
sein – aber für wen? Kaum ein Unternehmens-Asset steht so im Fokus und wird gleich-
zeitig so vernachlässigt wie Prozesse. Mit Prozessen wird sich – wenn überhaupt –
irgendwo im Mittelbau beschäftigt, an vielen Stellen und in vielen Köpfen.

Hatte im Jahr 2010 nur jedes zehnte deutsche Unternehmen einen Chief Process
Officer (CPO) benannt, so war fünf Jahre später schon fast in jedem zweiten Unterneh-
men ein solcher zentraler Ansprechpartner für Prozesse installiert. Zunächst einmal
klingt das ermutigend. Dieser Trend relativiert sich jedoch bei näherer Betrachtung.
Denn weniger als ein Drittel der ernannten CPO hat zumindest sporadischen Zugang

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Geschäftsprozesse, die Hauptdarsteller der Digitalisierung

zur Geschäftsleitung. Noch ernüchternder wirkt der Umstand, dass nur in Einzelfäl-
len die leitende Prozess-Führungskraft auch tatsächlich eingebundenes Mitglied der
Geschäftsleitung ist. Somit ist das »C« in CPO oft kaum mehr als ein Fake, der eine
Zugehörigkeit zum »C-Level« suggeriert, die gar nicht existiert. Die Realität in den
meisten Unternehmen ist vielmehr so, als ob ein Staat seine Außenpolitik in die Hände
der Bürgermeister der größten Städte legen würde. Außenpolitik ist jedoch Chefsa-
che – und Prozesse sind es auch.

Amazon-Gründer Jeff Bezos, der sein Unternehmen vom Online-Buchhändler zum


größten Versandhändler der Welt gemacht hat und dabei ist, es zum digitalen Service-
und Medienkonzern Nr. 1 weiterzuentwickeln, hat in einem Brief an seine Mitarbeiter
die vier ihm persönlich wichtigsten Management-Weisheiten preisgegeben. Weisheit
Nr. 1 rüttelt auch gleich an herkömmlichen Geschäftsgebaren: »Kunden wissen nicht,
was sie wollen« – direkt gefolgt von Weisheit Nr. 2: »Hinterfrage deine Prozesse!«1 Bei
Amazon, dem Vorzeigeunternehmen in Sachen Digitalisierung, sind Prozesse ganz
klar Chefsache. Bei den Unternehmen in unseren Breiten sind sie das eher selten.
Das ist der Unterschied. Deshalb wird uns die Digitalisierung hart treffen, wenn wir
nicht aufpassen. Leider verstärkt dieser Umstand eine ohnehin zu beobachtende,
zögerliche oder ausschließlich reaktive Haltung im Hinblick auf Digitalisierung und
Prozessoptimierung. Viele scheinen sich insgeheim zu fragen: Muss das wirklich sein?
Dabei sind Digitalisierung und richtig verstandene Prozessoptimierung eine einmalige
Chance für Unternehmensentwicklung und Zukunftsgestaltung, die sich kein Unter-
nehmer, dem an Vorankommen gelegen ist, entgehen lassen sollte. An den – digita-
len – Prozessen hängt der positive kulturelle Wandel, den so viele beschwören und
erst so wenige hinbekommen. Sie können an vielen Stellen ansetzen, wenn Sie ein
Unternehmen verändern wollen. Setzen Sie an den Prozessen an, dann betätigen Sie
den mit Abstand größten Hebel.

Wer den digitalen Wandel als Chance nutzen und sein Unternehmen robust und
zukunftsfähig machen will, der sollte dreierlei tun:
y Alle bestehenden »analogen« Tools nutzen, um seine Prozesse sauber zu beschrei-
ben, zu steuern und zu optimieren.
y Auf der Basis einer State-of-the-Art-Prozessoptimierung den digitalen Wandel ein-
leiten und neueste Formen der Datenbewirtschaftung nutzen.
y Den digitalen Wandel schließlich als Chance für einen kulturellen Wandel und eine
substanzielle Weiterentwicklung des Unternehmens begreifen.

Bei alledem gilt: »Analog« ist nicht tot! Das werde ich in diesem Buch immer wieder
betonen. Solange wir nicht alle zu Robotern mutiert sind, kommen Menschen in

1 Aus http://orange.handelsblatt.com/artikel/24898 (Zugriff: 30.05.2017).

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Geschäftsprozesse, die Hauptdarsteller der Digitalisierung

Unternehmen vor – und allein dadurch gibt es die Schnittstelle zum Analogen. Über-
haupt kann die Digitalisierung in einem Unternehmen immer nur so gut funktionieren,
wie das, was es zu digitalisieren gibt. Am Beispiel des Automobils lässt sich das sehr
gut verdeutlichen. Die am stärksten digital vernetzten Autos unserer Zeit – die (teil-)
autonom fahren, perfekt navigieren und über eine Armada von Assistenten verfügen –
sind in ihrer Basis allesamt sehr gute und ausgereifte Fahrzeuge. Jedoch: Eine vom
Computer eingeleitete Notbremsung nützt schließlich wenig, wenn die Bremsanlage
nichts taugt. In den Unternehmen ist es genauso: Die Vorreiter der Digitalisierung sind
in ihrer Basis erst einmal vorbildliche Unternehmen, mit hervorragend ausgebildeten
Mitarbeitern, hocheffizienten Prozessen und einer zeitgemäßen Unternehmenskultur.
Niemand sollte sich an »Prozessoptimierung 4.0« versuchen, der die vorherigen Stu-
fen – insbesondere die »klassische« Optimierung – nicht beherrscht oder dort große
Defizite hat. Auch davon handelt dieses Buch. Es ist mir ein zentrales Anliegen, dass
Unternehmen sich nicht blind in das Thema Digitalisierung stürzen, sondern erst ein-
mal konzentriert an dem arbeiten, was als Basis dafür nötig ist.

Auf den folgenden Seiten geht es deshalb nicht allein um digitale Prozesse. Es geht
vielmehr ums große Ganze. Deshalb habe ich mich auch entschieden, am Anfang nicht
gleich auf die Zukunft zu blicken, sondern erst einmal die Vergangenheit zu reflektie-
ren. Nur wer versteht, was war, kann verstehen, was ist und erkennen, was kommen
könnte. Nach den ersten drei Kapiteln werden Sie sehen, warum es nicht bloß eine
modische Floskel ist, von »Prozessoptimierung 4.0« zu sprechen. Wir erreichen hier
tatsächlich eine neue Stufe, die jedoch überraschend organisch auf den bisherigen
Stufen aufbaut. In insgesamt sechs Kapiteln nehme ich Sie dann mit auf eine »Berg-
tour« zum Gipfel nachhaltig effizienter Prozesse, die Unternehmen fit für das digitale
Zeitalter werden lassen. Sie lernen dabei alles kennen, was es braucht, um sicher und
mit Freude auf den Gipfel zu gelangen – darunter ganz praktische Tools für den Unter-
nehmensalltag, neue und bewährte gleichermaßen. Ich bin begeisterter Bergwande-
rer und Skibergsteiger und habe mir ein paar Metaphern aus dieser Welt ausgeliehen,
um deutlich zu machen, worauf es ankommt. In diesem Sinne freue ich mich, wenn Sie
sich nun mit mir gemeinsam auf den Weg zum Gipfelglück machen.

Rupert Hierzer

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

Manchester um 1850. An einem schmutzigen Kanal steht ein längliches Backsteinge-


bäude. Die Fenster sind blind vor Staub, aus den Schloten steigt dichter Qualm auf. Im
Inneren ist der Lärm ohrenbetäubend. Mit einem dampfbetriebenen Schmiedeham-
mer geben der Schmied und seine Gesellen einer Schiffswelle ihre Form.

Mechanische Hammerwerke hat es in Europa seit dem späten Mittelalter gegeben. Durch
ein Wasserrad an einem Mühlbach wurde der Hammer in Bewegung gesetzt. Doch seit
Erfindung der Dampfmaschine um 1750 sind neue Möglichkeiten der Produktion ent-
standen. Dienten die ersten Dampfmaschinen lediglich dazu, Wasser aus Bergwerken
abzupumpen, so waren sie hundert Jahre später der Motor einer beschleunigten Indus-
trialisierung, die das Leben der Menschen für immer verändern sollte. Das Leistungs-
vermögen des von James Nasmyth erfundenen mächtigen Dampfhammers ist um 1850
bereits so hoch, dass er in weniger als fünf Minuten erledigt, wofür ein mittelalterliches
Hammerwerk am Mühlbach zwölf Stunden gebraucht hätte.2

Der Schmied – und erst recht sein Chef, der Fabrikant – machten sich da so ihre Gedan-
ken: Wie ließe sich dieses starke Werkzeug optimal nutzen? Die Dampfmaschine lau-
fen zu lassen, ist aufwendig und teuer. Effizient wird es, wenn ein Werkstück nach dem
anderen bearbeitet werden kann. Dazu müssten die Arbeiter allerdings schnell genug
sein. Und sie müssen ihre Handgriffe gut aufeinander abstimmen.

1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann

Die Erfindung der Dampfmaschine und die folgende erste Welle der Industrialisierung
veränderten die Art und Weise menschlicher Arbeit grundlegend. Wofür Handwer-
ker in frühneuzeitlichen Manufakturen Stunden brauchten, ließ sich nun innerhalb
von Minuten erledigen. Die Fabriken »machten Dampf« – und das in jeder Hinsicht:
Muskelkraft und Pferdestärken wurden so in den Schatten gestellt. Erstmals ahnten
Menschen auch die Bedeutung der Prozesse für ihre Zusammenarbeit. Doch noch
immer blieb der Handwerker gefragt. Noch wurde auch nicht jede Arbeit in viele
kleine Schritte zerlegt. Eines wurde allerdings schon klar: Diejenige Fabrik ist am pro-
fitabelsten, der es gelingt, die Maschinen möglichst ununterbrochen mit Werkstücken
zu versehen und die bearbeiteten Teile dann möglichst rasch dem nächsten Verede-
lungsschritt zuzuführen oder an den Kunden zu liefern. So verbreitete sich langsam

2 Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/James_Nasmyth (Zugriff: 01.06.2017).

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

das Bewusstsein, dass Arbeit aus vielen einzelnen Schritten besteht. Diese Schritte
können ungelenk und zeitraubend oder perfekt aufeinander abgestimmt sein.

Aus heutiger Sicht ist die Erfindung der Dampfmaschine nur ein Baustein in einer Kette
dramatischer Verwerfungen, die unsere Art, zu denken und zu arbeiten für immer ver-
änderte. Diese Umwälzungen liefen seit 1750 in drei sehr unterschiedlichen Wellen-
bewegungen ab, die zusammengenommen als das »Industriezeitalter« Eingang in die
Menschheitsgeschichte fanden. Nun stehen wir mit der beginnenden Digitalisierung
noch einmal vor umwälzenden Veränderungen, deren wirtschaftliche und soziale Aus-
wirkungen noch nicht vollständig vorauszuahnen sind. Gerade weil wir nicht genau
wissen, wie es weitergehen wird, hilft uns der reflektierende Blick auf früher. Die Men-
schen ahnten damals auch (noch) nicht, was auf sie zukam. Kaum etwas ist so auf-
schlussreich wie der fragende Blick zurück auf die historische Entwicklung.

1.1.1 Die Vergangenheit ist noch lange nicht vorbei

Waren die bisherigen industriellen Revolutionen mitsamt ihren jeweiligen Innovationen


auf der Ebene der Prozesse allesamt radikale Brüche? Nein, das waren sie nicht. Es gibt
Kontinuitäten, die zu denken geben. Aufs Ganze gesehen sind es vor allem diese vier:
y Noch immer werden unsere Unternehmen nach den Prinzipien der bisherigen
industriellen Revolution geführt: Auf der ersten Stufe begannen Maschinen, die
Arbeit von Menschen und Pferden in den Schatten zu stellen, und das tun sie bis
heute. Auf der zweiten Stufe, im 20. Jahrhundert, begann die moderne Arbeitsor-
ganisation, die ebenfalls bis heute prägend ist. Ab der dritten Stufe schließlich,
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurden Prozesse weitgehend nach
Effizienzgesichtspunkten gestaltet. Eine Entwicklung, die heute keineswegs abge-
schlossen ist.
y Nie erreichte eine der bisherigen industriellen Revolutionen die gesamte Weltbe-
völkerung – bis heute. Das Erbe dreier industrieller Revolutionen ist noch immer
nicht bei allen Menschen angekommen. Es gibt Milliarden Menschen ohne Strom
und ohne Internetzugang, und einige kleine Völker wirtschaften noch fast wie vor
5.000 Jahren. In der heutigen, modernen Welt gibt es auch noch das pure Gegen-
teil: Wildbeuter, die wie vor 70.000 Jahren leben. 3
y Jeder Sprung in der Prozessentwicklung brachte dort, wo er vollzogen wurde, sozi-
ale Konflikte mit sich. Das reicht von den Weberaufständen über Klassenkämpfe

3 Schwab, Klaus (2016): Die Vierte Industrielle Revolution, Pantheon Verlag, München, S. 19: »In etwa 17
Prozent der Weltbevölkerung, d. h. rund 1,3 Milliarden Menschen, hat die Zweite Industrielle Revolution noch
immer nicht vollständig erreicht, da sie bis heute keinen Zugang zu Elektrizität haben. Mehr als die Hälfte
der Weltbevölkerung (4 Milliarden Menschen), die meisten davon in den Entwicklungsländern, hat keinen
Internetzugang.«

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1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann

und Gewerkschaftsgründungen bis zur aktuellen Diskussion über die »Entwertung


der Arbeit« im Zuge der Digitalisierung. Auch brachte jede Revolution regelmäßig
eine Gegenbewegung hervor, von der Biedermeier-Zeit über die »Reformbewe-
gung« um 1900 bis zum Hippietum in den 1960er Jahren, gerade zu der Zeit, als
das Effizienzdenken auf seinen Höhepunkt zusteuerte.
y Jede bisherige industrielle Revolution lief exponentiell schneller ab als die jeweils
vorangegangene. Zwischen der Erfindung der Dampfmaschine und der Nutzung
des Dampfhammers zum Schmieden großer Schiffsteile lagen in Europa rund hun-
dert Jahre. Der Siegeszug des Fließbands und der modernen Arbeitsorganisation
nahm in den USA schon nur noch wenige Jahre in Anspruch.

Berücksichtigt man dies alles, so lässt sich der Rahmen, in dem die Digitalisierung
als nächste industrielle Revolution vermutlich ablaufen wird, abstecken. Dem Muster
vorhergehender Innovationszyklen folgend, wird diese Entwicklung Mitarbeiter und
Kunden in viel kürzerer Zeit erreichen als jemals eine Phase zuvor. Zahlreiche Unter-
nehmen werden große Widerstände gegen neue Prozesse und die notwendige neue
Art des Führens überwinden müssen. Ähnlich wie in vorangegangenen Evolutions-
phasen wird auch die Digitalisierung eine starke transformatorische Kraft auf Art, Ort
und Inhalt der Beschäftigung ausüben. Schließlich wird auch die Digitalisierung – aller
Vernetztheit zum Trotz – nicht grenzenlos verlaufen. Wie alle industriellen Revolutio-
nen zuvor, dürfte sie auch wieder zahlreiche Menschen zurücklassen. Die Frage nach
möglichen Gewinnern und Verlierern wird bereits jetzt breit diskutiert.

1.1.2 Weltgeschichte als Geschichte der Beschleunigung

Umwälzungen der Lebensverhältnisse hat es in der Menschheitsgeschichte auch


schon vor der ersten industriellen Revolution gegeben. Aus weltgeschichtlicher Per-
spektive war der Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit die vielleicht größte
Zäsur überhaupt. Diese als »neolithische Revolution« 4 bezeichnete Entwicklung nahm
mehr als 5.000 Jahre in Anspruch, was nicht unbedingt unserem Zeitgefühl für revolu-
tionäre Veränderungen entspricht. Betrachtet man das Ganze jedoch vor dem Hinter-
grund einer während Alt- und Mittelsteinzeit für 2,5 Millionen Jahre mehr oder weni-
ger unveränderten Jäger- und Sammlerkultur, stellt diese Entwicklung dann doch
eine echte Revolution in der Menschheitsgeschichte dar. Die seit Mitte des 18. Jahr-
hunderts ablaufenden industriellen Revolutionen bauen darauf auf und wären ohne
Sesshaftigkeit und entwickelte Landwirtschaft nicht denkbar gewesen.

4 V. Gordon Childe (2003): Man Makes Himself. (New Thinker’s Library), Reprint von 1936, Spokesman Books,
Nottingham (UK): »Der australische Archäologe Gordon Childe bezeichnete diesen vor ca. 11.000 Jahren be-
ginnenden Wandel von Jäger- und Sammlerkultur zu Ackerbau- und Viehzucht als Neolithische Revolution.«

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

In den letzten Jahren wurden, vor allem durch den Breitbandausbau und den drama-
tischen Preisverfall in der elektronischen Datenhaltung, die Voraussetzungen für eine
vierte industrielle Revolution geschaffen. Experten sprechen von dieser Entwicklung
als »Industrie 4.0« oder »Digitalisierung«. Stellen wir die Zeitdauer der Veränderungs-
phasen, von der neolithischen Revolution bis zur dritten industriellen Revolution, ein-
ander gegenüber, wird klar erkennbar, wie dramatisch sich diese Zeiträume verkürz-
ten (siehe Abbildung 1).

Dauer in
Jahren
ca. 5.000 Jahre
10000–5000 v.Chr.
5.000

120 Jahre
1750–1870

50 Jahre
1900–1950 30 Jahre
1970–2000 20 Jahre
2010–...
Innovations-
häufigkeit

(Industrie 4.0)
4. Industrielle
Revolution
3. Industrielle
Revolution

1. Industrielle
(Industrie 1.0)

Revolution
(Industrie 3.0)
Neolithische

Revolution

2. Industrielle
Revolution
(Industrie 2.0)

Abb. 1: Gegenüberstellung prägender Entwicklungsphasen der Menschheitsgeschichte; Quelle:


Eigene Darstellung

Hatte die Menschheit während der neolithischen Revolution einen Zeitraum von 5.000
Jahren, sich an neue Lebens- und Arbeitsweisen zu gewöhnen, waren es in der ersten
industriellen Revolution bereits nur rund 120 Jahre (oder 2,4 % des noch im Neolithi-
kum zur Verfügung stehenden Zeitraums), um sich anzupassen. Mit den darauffol-
genden Industrialisierungswellen der zweiten (ca. 50 Jahre) und dritten industriellen
Revolution (ca. 30 Jahre) wurden diese Entwicklungszeiträume weiter verkürzt. Die
heraufziehende Digitalisierung wird sich möglicherweise innerhalb einer Generation
(also ca. 25 Jahre) voll entfalten und für unseren Alltag unmittelbar erfahrbar werden.

Seitdem die Menschheit begonnen hat, sich Technologie nutzbar zu machen, ist insge-
samt eine exponentielle Entwicklung technologischen Fortschritts erkennbar. Gerade
in der Neuzeit haben Häufigkeit und Intensität technologischer Veränderungen auf
dramatische Weise zugenommen (siehe Abbildungen 2 und 3). Brauchten die ersten
nennenswerten technologischen Entwicklungen – wie das Feuer oder das Rad – noch
mehrere Zehntausende Jahre für ihre Entwicklung, so begann mit dem 14. Jahrhun-
dert ein technologischer Beschleunigungsprozess, der nun auch für den einzelnen
Menschen innerhalb seiner Lebensspanne spürbarer wurde.

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1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann

Zu dieser Zeit verdoppelte sich der technische Fortschritt etwa alle 200 Jahre. Bereits
in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts wurde ein größerer Fortschritt erreicht
als im gesamten 19. Jahrhundert. Heute, bald zwei Jahrzehnte nach Beginn des 21.
Jahrhunderts, verdoppelt die Menschheit ihre technologische Entwicklung in etwa
einer Dekade. Der technologische Fortschritt (siehe Abbildung 2) ist für uns nicht nur
besser sichtbar, sondern auch viel schneller erfahrbar geworden als je zuvor.

Innovations-
geschwindigkeit
Erster 3D
Googles -Chip
fahrerlos3D-Filme
es Auto
iP
Facebooakd
YouTube
Hybridfa Google
hrzeuge
M DVD
World oWbiltelefone
ide Web
Apple MWindows
acinto
Word ro MS DOsh
Mikroppro zessoS
zessorr

Ers
te
Mon
d land
ung
Dampfmaschine
Druckerpresse

Glühbirne
Telegraf
Telefon
Auto
Teleskop

Zeit

1400 1500 1600 1700 1800 1900 2000 2050


Abb. 2: Beschleunigung des technologischen Fortschritts; Quelle: In Anlehnung an Heetfeld, Steffen:
Lexus Hoverboard: Warum der Mittelstand die Welt verändern kann, August 2015: https://www.
ebootis.de/lexus-hoverboard-aus-zurueck-in-die-zukunft-wird-real-warum-der-mittelstand-die-welt-
veraendern-kann/ (Zugriff: 12.09.2016)

Ray Kurzweil, der umstrittene Google-Vordenker und Gründer der Singularity Univer-
sity in Kalifornien, spricht sogar davon, dass wir in absehbarer Zukunft eine »Singula-
rität« erreichen werden, in welcher der technologische Fortschritt schneller erfolgen
wird als die Entwicklung des menschlichen Verständnisses. 5 Dieser Punkt markiert
dann wohl eine Art »Ereignishorizont«, über den wir, zumindest mit unseren gegen-

5 Kurzweil, Ray: The Law of Accelerating Returns, März 2001: http://www.kurzweilai.net/the-law-of-


accelerating-returns (Zugriff: 18.09.2016).

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

wärtigen intellektuellen Fähigkeiten, nicht hinaussehen werden können.6, 7 Ob alles


eintreffen wird, was die Propheten des Silicon Valleys voraussagen, ist freilich nicht
gewiss. Schließlich wurde um 1965 auch orakelt, dass sich bereits 1985 ein wesent-
licher Teil unseres Alltags im Weltall abspielen würde. Den Siegeszug des PC oder die
Gentechnik sah damals niemand voraus. »Zukunftsforschung« ist nun einmal haupt-
sächlich Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft.

In der Betrachtung verschiedener Schlüsseltechnologien (Abbildung 3) der letzten


150 Jahre erkennen wir in der rasanten Zunahme der Verbreitungsgeschwindigkeit
dennoch eines klar: die beschleunigenden Kräfte des Technologiezeitalters. 8 Diese
Geschwindigkeit nimmt unbestreitbar weiter zu. Das erste Smartphone (Apples
iPhone) z. B. kam 2007 auf den Markt. Nur ein Jahrzehnt später nutzen bereits über 2,3
Milliarden Menschen weltweit ein Smartphone.9

Verbreitung
in Deutschland

5% der
Bevölkerung

Zeit

1863 1936 1983 1992 1997 2007


Telefon Mobil- 2004
telefone Facebook
1993
WWW

Abb. 3: Verbreitungsgeschwindigkeit von Innovationen der letzten 150 Jahre; Quelle: Glanz/Nadler,
a. a. O. (Fn. 8)

6 Ranj, Brandt: Google’s chief futurist Ray Kurzweil thinks we could start living forever by 2029, Business
Insider, April 2016: http://www.businessinsider.de/googles-chief-futurist-thinks-we-could-start-living-
forever-by-2029-2016-4?r=US&IR=T (Zugriff: 07.05.2017).
7 Heetfeld, Steffen: Lexus Hoverboard: Warum der Mittelstand die Welt verändern kann, August 2015:
https://www.ebootis.de/lexus-hoverboard-aus-zurueck-in-die-zukunft-wird-real-warum-der-mittelstand-
die-welt-veraendern-kann/ (Zugriff: 12.09.2016).
8 Dr. Glanz, Axel, Nadler, Philipp (2011): Entscheiderstudie zur steigenden Innovationsgeschwindigkeit,
Frankfurt am Main, S. 2: http://www.innovationeninstitut.de/fileadmin/user_upload/Beispiel_Case_
Studie_-_InnovationWinner.pdf (Zugriff: 12.09.2016).
9 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/309656/umfrage/prognose-zur-anzahl-der-smartphone-
nutzer-weltweit/ (Zugriff: 30.09.2016).

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1.1 Was der Blick auf die Geschichte uns lehren kann

Auch wie wir mit dieser Beschleunigung umgehen, sie wahrnehmen und erleben, ver-
ändert sich rasant. Die Befürchtungen bei der Einführung der Eisenbahn illustrieren
diesen Wandel auf amüsante Weise. So kommentierte das Königlich-Bayerische Medi-
zinalkollegium im Jahr 1835 die vermeintlichen Gesundheitsrisiken dieses Transport-
systems folgendermaßen:

»Ortsveränderungen mittels irgendeiner Art von Dampfmaschine sollten im Inte-


resse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die raschen Bewegungen kön-
nen nicht verfehlen, bei den Passagieren die geistige Unruhe ›delirium furiosum‹
genannt, hervorzurufen. Selbst zugegeben, dass Reisende sich freiwillig der Gefahr
aussetzen, muss der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen, denn der Anblick
einer Lokomotive, die in voller Schnelligkeit dahinrast, genügt, um diese schreckli-
che Krankheit zu erzeugen. Es ist daher unumgänglich nötig, dass eine Schranke,
wenigstens sechs Fuß hoch, auf beiden Seiten der Bahn errichtet werde.«10

Heute sitzt unser Technologie-Tachometer im Silicon Valley. Was dort schon als über-
holt gilt, ist noch lange nicht überall auf der Welt angekommen.

1.1.3 Prozessorientierung: Ein junges Phänomen in vier Stufen

Nach weltgeschichtlichen Maßstäben steckt die um 1750 erwachte Prozessorientie-


rung immer noch in den Kinderschuhen, selbst wenn der Betrachtungszeitraum auf
den Beginn der Frühgeschichte (ca. 4.000 vor Chr.) beschränkt bleibt.11 Frühgeschicht-
lich waren Menschen gezwungen, für sich selbst zu sorgen. Was nicht durch eigene
Hand beschafft oder gefertigt wurde, konnte bestenfalls noch durch Tausch gewon-
nen werden. Die Menschen waren vielmehr gezwungen, Generalisten zu sein (siehe
Abbildung 4). Durch das Aufkommen der Städte in der Antike und die einhergehende
Entwicklung des Handwerks erfolgte eine Spezialisierung in einzelne Berufsfelder.

10 Schivelbusch, Wolfgang (2000): Geschichte der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit
im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main.
11 Der Beginn der Frühgeschichte wird durch die Ankunft und den Abschluss des Neolithikums in Mitteleu-
ropa markiert: http://segu-geschichte.de/zeitleiste-epochen-der-geschichte/ (Zugriff: 30.09.2016).

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

arbeitsteilige Fertigung

Mikroelektronik

Digitalisierung
Grad der
Arbeitsteilung

(Fließband)
(Spezialisierung)

komplette Berufsfelder
hoch

(Handwerk)
Generalisten

Zeit
niedrig
Frühgeschichte Antike und Industrialisierung heute
Mittelalter

Abb. 4: Entwicklung der Prozessorientierung im Laufe der Menschheitsgeschichte; Quelle: Eigene


Darstellung

Rückblickend können wir die Prozessentwicklung in vier Kernphasen (siehe Abbildung 5)


unterteilen.12 Entscheidend dabei ist: Jede dieser Entwicklungsphasen war Vorausset-
zung und Katalysator für die zeitgleich stattfindenden industriellen Modernisierungen.

Stufen der
Prozess-
orientierung

Digitalisierung
2010–...

Effizienzmaximierung
1970–2000

Taylorismus
1900–1950

Mechanisierung
1750–1870

Zeit

1800 1900 2000 2100

Abb. 5: Zeitphasen der Prozessoptimierung; Quelle: Eigene Darstellung

12 Genau genommen ist eine zeitlich so klar formulierte Abgrenzung der einzelnen Phasen wie in Abbildung 5
nicht ganz zutreffend, jedoch fand das Gros der Prozessentwicklungen innerhalb dieser Perioden statt.

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1.2 Stufe 1.0: Die »Spinning Jenny« läutet die Mechanisierung ein

Nachdem die Mechanisierung (etwa 1750–1870) erstmals überhaupt die Aufmerksam-


keit auf Prozesse gelenkt hatte, erwuchs beinahe zwangsläufig der Wunsch, mehr und
mehr Arbeitsschritte umzustellen. Diese Haltung bedingte eine weitere Unterteilung
der Arbeit in zahlreiche kleinere Arbeitsschritte. Je mehr Einzelschritte erforderlich
sind, desto wichtiger wird es, diese aufeinander abzustimmen. Damit betritt ab etwa
1900 der Taylorismus die Weltbühne, benannt nach dem amerikanischen Ingenieur
und Begründer der Arbeitswissenschaft Frederick Winslow Taylor (1856–1915). Das
tayloristische Grundprinzip einer »führenden Hand« legte mit dem steten Ruf nach
Verbesserungen den Grundstein für die nächste Entwicklungsstufe, nämlich die effizi-
enzmaximierte Prozessbetrachtung, die ihren Höhepunkt zwischen ca. 1970 und 2000
erlebte. Ausgelöst durch den Siegeszug der Computer und des Internets stehen wir
heute einer vierten Entwicklungsphase (seit ca. 2010) gegenüber.

Zahlreiche herausragende Persönlichkeiten haben die einzelnen Zeitalter der Pro-


zessentwicklung geprägt. Einige dieser Pioniere haben den Charakter dieser Ent-
wicklungsphasen auf ganz besondere Weise geformt und ragen aus dem Kreis dieser
Vordenker heraus. Sie stehen als »Paten« für ihr Zeitalter und personalisieren ihr her-
vorstechendstes Merkmal (siehe Tabelle 1).

Stufe Zeitalter Ziel Schlüsselfigur


John Cockerill,
Industrie 1.0 Mechanisierung Erschaffung Wegbereiter der
Industrialisierung
Steigerung der Produktivität Henry Ford, Begründer
Industrie 2.0 Taylorismus menschlicher Arbeit: der Fließbandarbeit
Erfassung, Strukturierung
James Oscar McKinsey,
Industrie 3.0 Effizienz-
maximierung Verbesserung Vorreiter der Unter-
nehmensberatung
Industrie 4.0 Digitalisierung Vernetzung Jeffrey Preston Bezos,
CEO von Amazon

Tab. 1: Übersicht der Prozessorientierungsphasen; Quelle: Eigene Darstellung

1.2 Stufe 1.0: Die »Spinning Jenny« läutet die


Mechanisierung ein
Rauchende Schlote, fauchende Eisenbahnen und riesige Dampfschiffe – das alles ent-
stand innerhalb von wenigen Generationen beinahe wie aus dem Nichts. Die erste
industrielle Revolution, die in kürzester Zeit die Lebensverhältnisse fast der gesam-
ten Menschheit radikal verändern sollte, begann fast unmerklich in der verschlafenen

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

Grafschaft Lancashire im Nordwesten Englands.13 Dort hatte man sich, wie in weiten
Teilen von England, Wales und Schottland, auf die Textilherstellung spezialisiert. Die
Herstellung von Textilien aus dem Rohstoff Wolle war schwierig und in zahlreiche sehr
arbeitsintensive Fertigungsschritte (Kardieren, Kämmen, Spinnen, Weben) unterteilt.

Da vorwiegend manuell und in Heimarbeit gefertigt wurde, kam es in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts immer wieder zu massiven Produktionsengpässen. Die Art der
Fertigung konnte mit der im Vereinigten Königreich und in den englischen Kolonien
stetig wachsenden Nachfrage nicht ansatzweise Schritt halten. Die wirtschaftliche
Bedeutung der Textilindustrie war auf der Insel dennoch enorm. Nach vorsichtigen
Schätzungen waren um 1750 in England und Wales etwa 800.000 Menschen im Textil-
gewerbe tätig, was rund 27 % der Erwerbstätigen bzw. 12 % der Gesamtbevölkerung
entsprach. Anfang des 19. Jahrhunderts entfiel annähernd die Hälfte der britischen
Exporte auf Baumwollprodukte, während Rohbaumwolle ein Fünftel der Importe aus-
machte: »King Cotton« galt als Herrscher der englischen Wirtschaft.1415 Wir kennen sol-
che Einseitigkeiten heute noch, wenn auch weniger extrem. So hängen in Deutschland
Millionen Arbeitsplätze (die genaue Zahl ist umstritten) direkt oder indirekt mit dem
Automobilbau und -vertrieb zusammen. Eine plötzliche fundamentale Veränderung
des Automobilmarkts – etwa durch neue Basistechnologien, die Deutschland ver-
passt – hätte kaum abschätzbare Folgen.

In England löste der schwer auf der Textilindustrie lastende Nachfragedruck ab


etwa 1730 schließlich den Beginn der Mechanisierung mit dem Einsatz des »fliegen-
den Weberschiffchens« aus.16 Mit der Einführung des Weberschiffchens konnte die
Geschwindigkeit der Webstühle bereits verdoppelt werden. Der Engpass der Produk-
tion verlagerte sich danach auf die Herstellung des Garns, also den eigentlichen Spinn-
vorgang. Erst über 30 Jahre später konnte mit der Erfindung der Spinnmaschine – die
erste trug den Namen »Spinning Jenny« – die Produktivität des Spinnens bedeutend
gesteigert werden.17, 18

13 Pierenkemper, Toni (1996): Umstrittene Revolutionen. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, Fischer
Verlag, Frankfurt am Main, S. 10; Osterhammel, Jürgen (2009): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte
des 19. Jahrhunderts, München, S. 910: »Zum anderen bestreitet keiner, dass Industrialisierung, zumindest
in ihren Anfängen, niemals ein nationales, sondern stets ein regionales Phänomen gewesen ist.«
14 1750 lebten etwa sechs Millionen Menschen in England (ohne Schottland).
15 Pierenkemper, a. a. O. (Fn. 13), S. 17/164.
16 1733 erfindet John Kay (1704–1779) das »fliegende Weberschiffchen«.
17 James Hargreaves (1721–1778) erfindet 1764 die »Spinning Jenny«. Namensgeberin ist vermutlich seine
Tochter »Jenny«.
18 Die Spinning Jenny konnte die Arbeit von 60 Handspinnern ersetzen. Eine Weiterentwicklung 1779 Samuel
Cromptons – die mit Wasserkraft betriebene »Mule Jenny« – erreichte sogar eine Produktivität, die der von
175 Handspinnern entsprach (Klaus-Dieter Röker [2012]: Chemische Zeitreisen, S. 174).

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1.2 Stufe 1.0: Die »Spinning Jenny« läutet die Mechanisierung ein

1.2.1 Mechanische Prozesse als größte Innovation der Industrialisierung

Zu Beginn der Industrialisierung mussten sich Menschen kaum Sorgen machen, aus
dem Produktionsprozess »wegrationalisiert« zu werden. Mit der in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts einsetzenden Mechanisierung erfuhr die menschliche Arbeits-
leistung vielmehr Unterstützung durch technische Hilfsmittel und erste Maschinen.
Die Arbeitsvorgänge selbst wurden nach wie vor ganzheitlich vom Menschen geleis-
tet. Hilfsmittel und Maschinen hatten lediglich die Aufgabe, Kraft, Geschwindigkeit
oder Drehzahl für den Arbeitsgang zur Verfügung zu stellen bzw. Werkzeuge in der
notwendigen Bearbeitungsposition zu halten. Oft wurden dabei nur die Bewegungen
der menschlichen Hand (wie beispielsweise Spinnen, Weben, Lastentransporte oder
das Schmieden von Eisen) imitiert. Diese Neuerungen konnten als technische Erwei-
terung bestehender Handwerke betrachtet werden. Das Beispiel vom Dampfhammer
in der Schmiede um 1850 zeigt jedoch, welches enorme Steigerungspotenzial an Out-
put allein durch die Mechanisierung zentraler Arbeitsschritte bereits gegeben war. Mit
der damit verbundenen Beschleunigung setzte ein Umdenken ein, das schließlich im
Prozessdenken mündete. Für den Visionär und Mitbegründer der Quantenmechanik,
Werner Heisenberg, bestand die bedeutendste Innovation der Industrialisierung des
18. und 19. Jahrhunderts letztlich in der Einführung mechanischer Prozesse und nicht
in der Mechanisierung als solcher.19

Die neuen Maschinen waren teilweise noch riesengroß und mit komplizierten, über die
ganze Produktionsstätte laufenden Riemenantrieben versehen. Oft waren sie zudem
noch auf besonders exponierte Standorte (z. B. an Flüssen, Kanälen und Häfen, später
entlang der Eisenbahnstrecken) beschränkt. Diese Maschinen für einzelne Fertigungs-
schritte ein- oder auszuschalten, um einem Arbeiter die Möglichkeit zu geben, meh-
rere Bearbeitungsschritte an verschiedenen Fertigungsplätzen auszuführen, machte
wirtschaftlich keinen Sinn. Es war bei mit Wasser- oder Dampf betriebenen Maschinen
oft auch nicht ohne Weiteres möglich. Somit lag es nahe, die mechanisierten Arbeits-
schritte und Maschinenkapazitäten so umfassend wie möglich auszulasten. Betrof-
fene Arbeiter konnten diesen Modernisierungen, und der daraus resultierenden Form
der Arbeitsteilung, jedoch wenig Sympathien abgewinnen. Ihre Arbeit wurde dadurch
schon bald eintöniger.

Mit der Mechanisierung der Produktion wurde die Einführung alternativer Organisa-
tionsformen in der Textilfertigung notwendig. Zentrale mechanisierte Produktions-
stätten übernahmen Aufgaben, welche vormals Hunderttausenden von Heimarbei-
terinnen20 vorbehalten waren. Neben den mit der Mechanisierung einhergehenden

19 Heisenberg, Werner (1958): The Physicist’s Conception of Nature, London.


20 Es waren fast ausschließlich Frauen und Mädchen.

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

dramatischen sozialen Verwerfungen brachte die neue Arbeitsform die Entstehung


von Fabriken mit sich, in denen von der Wollanlieferung bis zur Tuchherstellung sämt-
liche Produktionsschritte unter einem Dach Platz fanden. Es entbehrt nicht der Ironie,
dass die durch die erste industrielle Revolution ausgelöste systematische Zerstörung
und Verlagerung von Heimarbeitsplätzen in zentrale Fertigungsstätten eine Gegen-
bewegung in der vierten, der digitalen industriellen Revolution erfährt. Erst die heute
übliche Vernetzung von Arbeits- und Privatwelt schuf die Voraussetzungen, um wie-
der im großen Stil Heimarbeitsplätze zu schaffen und den Trend jahrhundertelanger
Zentralisierung umzukehren.

1.2.2 Pioniere der Industrie krempeln die Arbeitswelt um

Mechanisierung und eine erste Prozessorientierung hatten gravierenden Einfluss auf


die Arbeit und das Leben der Menschen. Die gewichtigsten Auswirkungen der Prozess-
mechanisierung können im Bedeutungsverlust des Handwerks, der Entstehung des
Arbeiterwesens, dem Aufstieg der Fabriken sowie einer beginnenden Arbeitsteilung
zusammengefasst werden.

Ein besonderes Merkmal dieser Zeit war ihr Schöpfergeist. Der aufkommende Fort-
schrittsglaube erlaubte es den damaligen Entrepreneuren, schnell viel Kapital für ihre
Erfindungen aufzutreiben und diesen vom Reißbrett physische Gestalt zu verleihen.
Erfindungen aus völlig unterschiedlichen Disziplinen wurden in kürzester Zeit zusam-
mengeführt und schufen so neue Industriezweige. Will man eine Symbolfigur für diese
Zeit finden, so sollte man nicht im Reservoir der zahlreichen und vielzitierten Erfinder
dieser Epoche suchen, sondern nach Pionieren Ausschau halten, die es – wie in jünge-
rer Zeit Steve Jobs – verstanden haben, unterschiedliche Entwicklungen zusammen-
zuführen, um etwas gänzlich Neues zu erschaffen. Die wahren Revolutionäre dieser
Epoche waren Männer, wie der englisch-belgische Industrielle John Cockerill, die der
alten Welt den Kampf angesagt hatten.

John Cockerill21 (1790–1840)

John Cockerill wurde 1790 als Sohn eines aus England stammenden und in den
belgischen Städten Verviers und Lüttich (Liège) tätigen Maschinenfabrikanten
geboren. Er trat bereits im Alter von zwölf Jahren in einen väterlichen Textilma-
schinenbetrieb ein, den er acht Jahre später als Geschäftsführer übernehmen
sollte.

21 https://de.wikipedia.org/wiki/John_Cockerill (Zugriff: 03.08.2016) und http://gebe.paperstyle.de/wp-


content/uploads/Ch-J-u-John-Cockerill-29-70.pdf (Zugriff: 07.08.2016).

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1.3 Stufe 2.0: Am Fließband der Herren Taylor und Ford

Im Alter von 27 Jahren gehörten Cockerill bereits mehrere Eisenerz- und Stein-
kohlegruben sowie die größte Eisengießerei und Maschinenfabrik Europas, ein
Musterbetrieb mit bis zu 2.500 Mitarbeitern. Cockerill war zeitlebens ein ruhelo-
ser Unternehmer und Innovator, der zum Zeitpunkt seines Todes 1840 über etwa
60 verschiedene Betriebe in Belgien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Polen
und Russland verfügte. Cockerills Unternehmen waren im Bergbau, der Verhüt-
tung, Kohleproduktion und Verkoksung, der Dampf- und Schwermaschinenher-
stellung sowie in der Papier- und Glasverarbeitung tätig.

Cockerill erkannte bereits früh die der Mechanisierung innewohnenden


Geschäftsmöglichkeiten und sorgte dafür, dass Maschinen außerhalb englischer
Spinnereien auch in Bergwerken, Schiffen, Eisenbahnen und zahlreichen anderen
Industriezweigen ihren Einsatz fanden. Daneben war er einer der Wegbereiter der
Industrialisierung auf dem kontinentaleuropäischen Festland und fest entschlos-
sen, den englischen Technologievorsprung aufzuholen.

Erst Ende des 20. Jahrhunderts ging die von ihm gegründete Unternehmens-
gruppe in der heutigen indisch-französischen ArcelorMittal-Gruppe auf. Bis heute
wird der Name Cockerill mit Stolz von der »Cockerill Maintenance & Ingenierie«
(CMI Group), einem belgischen Maschinen- und Anlagenbaukonzern mit Haupt-
sitz in Seraing bei Lüttich, weitergeführt.

1.3 Stufe 2.0: Am Fließband der Herren Taylor und Ford

Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Der Tramp Charlie, gespielt
von Charlie Chaplin, arbeitet in einer Fabrik am Fließband. Die Nachmittagsschicht
hat gerade begonnen, das Fließband läuft mit irrwitziger Geschwindigkeit an. Char-
lies einzige Aufgabe besteht darin, mit Schraubenschlüsseln in beiden Händen simul-
tan jeweils zwei Schrauben auf vorbeirauschenden Metallplatten festzuziehen. Sein
Arbeitstempo ist bereits extrem, als ein Vorarbeiter ihn rüde anweist, gefälligst noch
schneller zu arbeiten. Wie besessen führt Charlie die immer gleichen Bewegungen
aus. An einem bestimmten Punkt dreht er schließlich durch. »He’s crazy!« wird als
Zwischentitel eingeblendet. Charlie fällt auf das Fließband – immer noch mit bei-
den Händen schraubend –, wird von diesem mitgerissen und gerät zwischen riesige
Zahnräder. Aus dem Getriebe befreit, versucht er nun überall, wo er Schrauben sieht
oder zu sehen meint, diese anzuziehen. Zwanghaft schraubt er immer weiter, wobei er
selbst an seinen Kollegen buchstäblich »herumschraubt« und ihnen mit dem Schrau-
benschlüssel die Nasen verdreht. Auf der Straße vor dem Fabrikgebäude kann Charlie
an den Schrauben eines Hydranten nicht vorübergehen. Dann verfolgt er eine panisch
vor ihm fliehende Frau, deren Kostümknöpfe wie Schrauben aussehen. Charlie hat

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle. Die Szene endet schließlich in einem
manischen Tanz durch die ganze Fabrik.

Charlie Chaplin rechnet in dem 1936 entstandenen Film »Modern Times«, bei dem er
auch das Drehbuch schrieb und Regie führte, mit dem Zeitalter des Taylorismus ab.
Während der Firmenchef in seinem Büro sitzt und kaum noch etwas zu tun hat, treibt
monotone Arbeit unter zunehmendem Zeitdruck die Arbeiter in den Wahnsinn.

1.3.1 Nicht mehr die Maschine, sondern die Organisation im Blick

Infolge der zunehmenden Industrialisierung rückten ab etwa 1870 Fertigung und


Arbeitsorganisation stärker in den Fokus. Die bereits von Adam Smith als segensreich
beschriebene hochdifferenzierte Arbeitsteilung war dank der Prozessmechanisierung
in vielen Industrien bereits gelebte Realität.22 Jedoch waren Fertigungsschritte im 19.
Jahrhundert in der Regel noch so gestaltet, dass den Arbeitern gewisse Handlungsspiel-
räume verblieben. So verantworteten Arbeiter im Allgemeinen mehrere aufeinander-
folgende Arbeitsschritte, waren für die Pflege und den Erhalt ihrer Werkzeuge selbst
verantwortlich und führten Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten an den Maschinen
durch. Solche Freiräume erlaubten den Tätigen, die Geschwindigkeit und Intensität
ihrer Arbeit selbst zu bestimmen. Diese »Leistungszurückhaltung« gestattete es umge-
kehrt Unternehmen nicht, ihre an sich möglichen Produktionskapazitäten vollständig
zu nutzen. Die Kontrolle über den Fertigungsprozess oblag der Arbeiterschaft.

Zwei Männer sollten sich mit dem Status quo nicht zufriedengeben und dem herauf-
dämmernden 20. Jahrhundert ihren Stempel aufdrücken: Frederick Winslow Taylor
(1856–1915) und Henry Ford (1863–1947). »Bisher stand die Persönlichkeit an erster
Stelle. In Zukunft wird die Organisation und das System an erste Stelle treten.« So lautet
eines der berühmtesten Zitate von Frederick Winslow Taylor. Durch seine Lehre als
Werkzeugmacher war sich Taylor der Möglichkeiten der Arbeiterschaft, den Produk-
tionsprozess zu verlangsamen, sehr wohl bewusst. Aus eigener Erfahrung kannte er
übliche Tricks und Spielereien der Beschäftigten, einen bestehenden Leistungsstan-
dard gegen höhere Anforderungen zu verteidigen. In seiner Rolle als Meister und spä-
ter leitender Ingenieur wollte Taylor dem Management die vollständige Kontrolle über
den Fertigungsprozess verschaffen. Im Grunde ging es um die Entscheidung einer
Machtfrage: Wer bestimmt, in welchem Tempo und auf welche Art und Weise gear-
beitet wird?23

22 Smith, Adam (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London. Reprint (2008).
23 Müller, Matthias: Taylorismus: Abschied oder Wiederkehr? In: Magazin Mitbestimmung 07/2000, Hans-
Böckler-Stiftung.

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1.3 Stufe 2.0: Am Fließband der Herren Taylor und Ford

Zur Lösung dieses Problems führte Taylorumfassende Arbeitsstudien durch, auf


deren Basis er seine Prinzipien – eine Kombination von Arbeitsteilung und Technik-
einsatz – entwickelte. Diese Prinzipien sind als »Taylorismus« in die Prozessgeschichte
eingegangen und umfassen im Wesentlichen fünf Elemente:
y Auslese: Es ist notwendig, herauszufinden, wer der »beste Mann« für eine spezifi-
sche Aufgabe ist?
y Arbeitsanalyse: Die Arbeitsabläufe der Arbeiter werden im Detail analysiert und
überflüssige Bewegungen eliminiert. Werkzeuge werden auf die Bedürfnisse der
verbliebenen Bewegungen ausgewählt bzw. gestaltet. Danach werden alle Aktivi-
täten zeitlich erfasst und so angeordnet, dass sie sich auf schnellste Art und Weise
ausführen lassen.
y Anleitung: Der »beste Mann« wird nun mit der effizientesten Durchführung ver-
traut gemacht und angewiesen, Reihenfolge und Zeitvorgaben genauestens ein-
zuhalten.
y Trennung von Hand- und Kopfarbeit: Der Taylorismus verspricht sich Spezia-
lisierungsvorteile durch horizontale und vertikale Arbeitsteilung. Während das
Management Planungs- und Steuerungsprozesse verbessert, profitiert der aus-
führende Arbeiter von diesen Verbesserungen durch höhere Produktivität und
bessere Entlohnung.
y Verknüpfung von Lohn und Leistung: Taylor verknüpft erstmals die Arbeits-
geschwindigkeit – die Taktzeit – mit dem erzielbaren Lohn. Damit schafft er die
Grundvoraussetzung für die Entlohnung zukünftiger Fließbandarbeit.

1.3.2 Dequalifizierung macht Arbeitskräfte austauschbar

Taylors Prinzipien sollten in vergleichsweise kurzer Zeit eine der umfassendsten


Reorganisationen der neuzeitlichen Industriegeschichte nach sich ziehen. Arbeits-
prozesse bedurften bald keiner besonderen Fähigkeiten der Beschäftigten mehr. Der
Handwerksmeister in der Fabrik, so wie wir ihn etwa noch als Schmied in Manchester
des 19. Jahrhunderts gesehen haben, hatte weitgehend ausgedient. Damit wurde ein
jahrzehntelang anhaltender Trend der Dequalifizierung eingeleitet. Und das beschäf-
tigt uns noch heute. Arbeitsplätze mit geringem Qualifizierungsgrad sind in hohem
Maße exponiert und bieten die größte Angriffsfläche für Rationalisierungsmaßnah-
men. Automatisierung und Globalisierung als Folgeerscheinungen einer effizienz-
maximierenden Prozesssichtweise führten in den letzten Jahrzehnten in Europa zur
Auflösung und Verlagerung Hunderttausender Arbeitsplätze. Diesem Trend können
wir uns nur mit zeitgemäßem Bildungsangebot und gezielter Aus- und Weiterbildung
entgegenstemmen.

Arbeitskräfte wurden durch Dequalifizierung austauschbar, und die Möglichkeit der


Leistungszurückhaltung wurde beschnitten. Die lange schwelende Machtfrage, wer

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

denn nun die Geschwindigkeit und Arbeitsweise der Fertigungsprozesse bestimmt,


war mit dem Aufkommen des Taylorismus endgültig zugunsten des Managements
entschieden.

Eine grundlegende Besonderheit des Fordschen Prozessmodells liegt in der fast abso-
luten Zwangsläufigkeit, mit der die einzelnen Prozessschritte aufeinander folgen.
Adressiert werden nicht allein die maschinellen Bearbeitungsschritte. Auch die Mon-
tage, die bei hergebrachter Arbeitsweise Pausen- und Leerzeiten verzehrt, wird opti-
miert. Trotz seiner Erfolgsgeschichte war der Taylorismus jedoch auch im Manage-
ment von Anfang an umstritten. Charlie Chaplin rannte deshalb mit seiner in »Modern
Times« artikulierten Kritik vielfach offene Türen ein. Der durch Zeitdruck und eintö-
nige, maschinell geprägte Arbeitsabläufe hervorgerufene Verlust von Individualität
bei den Arbeitern war die Schattenseite der gesteigerten Arbeitseffektivität.

In der Kritik stand und steht vor allem die stark monotone Arbeitsweise, welche dem
menschlichen Körper dauerhaft einseitige psychische und physische Belastungen
zumutet und sich letztlich in hohen Ausfallzeiten (Krankenstände), Resignation und
Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Arbeit niederschlägt. Weiter beeinträchtigend
wirkt das hohe Maß an Fremdbestimmung – Taktzeit und Arbeitsweise sind vorgege-
ben – und somit das Fehlen jeglicher Eigendisposition. Zudem führte die von Taylor
forcierte Aufteilung in körperliche und geistige Arbeit zu einer zunehmenden »Wis-
sensenteignung« der Arbeiter. Zeit seines Lebens war Taylor mit diesen Kritikpunk-
ten konfrontiert. Letztlich war es Henry Ford, der diesen arbeitsorganisatorischen
Defiziten durch kommerzielle Anreize entgegentrat und dem Taylorismus damit zum
Durchbruch verhalf. Wer heute ein iPhone kauft, der sollte wissen, dass es in der chine-
sischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen in einer Form monotoner Handarbeit her-
gestellt wird, die an Chaplins »Modern Times« mehr als nur vage erinnert. Durch eine
Suizidwelle in den dortigen Fabriken des Auftragsfertigers Foxconn wurde die inter-
nationale Öffentlichkeit auf diese Realität aufmerksam. Der amerikanische Autor Mike
Daisey machte die Produktionsverhältnisse in Shenzhen zum zentralen Thema seines
erfolgreichen Theaterstücks »Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs«.

Trotz all seiner Pathologien feiert der Taylorismus heute auch in manchen Dienstleis-
tungsbereichen Wiederauferstehung. Neo-tayloristische Tendenzen finden sich bei-
spielsweise in Callcenter-Bereichen, wo Beschäftigten durch Anrufskripte und stark
arbeitsteiligen Ablaufanweisungen fließbandähnliche Strukturen aufgezwungen wer-
den. Erst recht davon betroffen sind die »Clickarbeiter«, die in Schwellenländern sit-
zen und für Facebook und Co. im Akkordtempo Bilder freischalten oder löschen.

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1.3 Stufe 2.0: Am Fließband der Herren Taylor und Ford

Henry Ford24 (1863–1947)

Henry Ford wurde 1863 als Sohn irischer Einwanderer in einer Kleinstadt westlich
von Detroit geboren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend und als ältes-
tes von sechs Kindern war ihm eine umfassende formale Bildung verwehrt. Es
reichte lediglich für den Besuch der ländlichen Dorfschule. Von Anfang an zeigte
der junge Henry jedoch großes handwerkliches Geschick und ein hohes Interesse
an der Mechanik. Nach seinen Lehrjahren und seiner Arbeit als Chefingenieur
(unter anderem bei Thomas Alva Edison) gründete er 1899 sein eigenes Unterneh-
men, die »Detroit Automobile Company«, und bereits vier Jahre später die »Ford
Motor Company«.

Henry Ford erkannte früh die Vorteile der Taylorschen Arbeitslehre und verband
in seinen Fabriken tayloristische Prinzipien mit mechanischer Fließbandtechno-
logie. Das Fundament für industrielle Massenproduktion war gelegt und entfal-
tete in dieser Form eine erhebliche Breitenwirkung. Ford verfolgte daneben auch
sozialpolitische Ziele. Seine zwischen Arbeitern und Unternehmen angestrebte
Sozialpartnerschaft sollte den gewerkschaftlichen Einfluss zurückdrängen und
die Umsetzung seiner Arbeitsprinzipien unterstützen.

1908 brachte Ford das legendäre T-Modell auf den Markt, welches aufgrund der
in den Fordschen Fabriken gelebten Fließfertigung für jedermann erschwinglich
war. 1914 verdoppelte Ford den Tageslohn seiner Arbeiter auf 5 Dollar. Als der
Kaufpreis des T-Modells 1916 auf 345 Dollar gesenkt wurde, konnte auch jeder
Arbeiter dafür sparen. Ford machte daraus den Werbeslogan: »Ein Tag – ein Dol-
lar, ein Jahr – ein Ford«.

Die durch das Fordsche Arbeitsmodell eingeführten steigenden Lohnquoten


begannen erst in den 1970er Jahren wieder zu sinken. Dieser Umschwung kenn-
zeichnet das Ende der Taylor-Fordschen Prozessprinzipien.

Als Ford 1947 im Alter von 83 Jahren starb, vererbte er nicht nur ein weltweit
agierendes Automobilunternehmen, sondern stand auch Pate für eine der tief
greifenden Umwälzungen in der industrialisierten Prozessgeschichte.

24 https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Ford (Zugriff: 03.08.2016).

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

1.3.3 Mensch, Arbeit, Technik: Ein Spannungsfeld bis heute

Neben den Prinzipien des Taylorismus und der Einführung des Fließbandes durch
Henry Ford war auch die Erfindung und Verbreitung der Elektrizität ein elementarer
Treiber der zweiten industriellen Revolution. In einigen Regionen der Welt ist diese
Industrialisierungsphase nach wie vor nicht abgeschlossen. Rund 1,3 Milliarden Men-
schen, das entspricht ca. 17 % der Weltbevölkerung, haben heute noch keinen Zugang
zur Elektrizität.

Damit lässt sich aus der Beobachtung vergangener Industrialisierungsperioden eine


wichtige Ingredienz der digitalen Revolution ableiten: Die Vergangenheit ist keines-
wegs vorbei, sondern wirkt im Gegenteil auch ins Digitalzeitalter hinein. Mechani-
sierung und Taylorismus, die beiden ersten Stufen der Industrialisierung, sind heute
immer noch im Prozessalltag vertreten. 270 Jahre nach der ersten industriellen Revo-
lution findet eine zunehmende Mikro-Mechanisierung statt und schafft damit die Vor-
aussetzungen einer Prozessdigitalisierung. Die seit Jahrzehnten anhaltende Miniatu-
risierung von Elektronikbauteilen und Computerchips hat bereits dazu geführt, dass
wir voll funktionsfähige tragbare Computersysteme, sogenannte Wearables, in Form
von Smartwatches, Datenbrillen oder Fitnessarmbändern, am Körper tragen. Die
Unterstützung des Menschen durch Technik wiederholt sich somit auf einer höheren
Entwicklungsstufe. Im Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) wird es schluss-
endlich möglich sein, all diese digitalen Geräte miteinander zu vernetzen. Auf diese
Weise erschafft jeder von uns riesige Datenquellen, deren Nutzung Vorteile verspricht
(fragmentierte Services, Präventivmedizin usw.), aber auch Gefahren (Cyberattacken,
Überwachung) birgt.

Heute stehen wir an der Schwelle einer neuen Form von Arbeitsteilung. Es ist die
Arbeitsteilung zwischen menschlicher und digitaler Arbeit. Was ist daran aber wirklich
neu? Schließlich erleben wir bereits seit Jahren eine Teilung zwischen menschlicher
und Computer-Arbeit. In ihrem 2005 erschienenen Buch »Die neue Arbeitsteilung«
beschreiben Frank Levy und Richard Murnane diese Entwicklung.25 Ihre Unterschei-
dung von menschlicher und Computer-Arbeit orientiert sich an zwei gegenüberliegen-
den Enden eines Leistungsspektrums. Auf der einen Seite der Computer, der schneller
und genauer Regeln befolgt als der Mensch, ohne sie dabei zu interpretieren oder gar
ethisch zu hinterfragen. Auf der anderen Seite des Spektrums der Mensch mit sei-
ner Fähigkeit, intuitiv komplexe Muster zu erkennen oder aus großen Mengen über
die Sinne eingehender Informationen vorteilhafte Handlungsweisen abzuleiten, bei-
spielsweise bei der Steuerung eines Fahrzeugs im Straßenverkehr. Die zum Zeitpunkt

25 Levy/Murnane (2005): The New Division of Labor: How Computers Are Creating the Next Job Market,
Princeton.

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1.4 Stufe 3.0: McKinsey kommt – Jetzt zählt die Effizienz

des Erscheinens des Buchs stichhaltige Argumentation beginnt jedoch, sich – gerade
einmal zwölf Jahre später – zusehends aufzulösen. Die Grenze der Arbeitsteilung zwi-
schen Mensch und digitaler Welt verschiebt sich längst. Mit Siri, Alexa und Watson hat
die Welt drei prominente Vertreter lernender und kommunikationsstarker Computer.
Die Grenzen der Kommunikationsfähigkeit oder Lernfähigkeit von Computern begin-
nen zusehends zu erodieren und eröffnen damit neue Möglichkeiten in der Arbeitsver-
teilung zwischen Mensch und Maschine.

1.4 Stufe 3.0: McKinsey kommt – Jetzt zählt die Effizienz

New York, 1988. In einer der obersten Etagen eines Wolkenkratzers befindet sich ein
Eckbüro mit bodentiefen Fenstern, die einen spektakulären Ausblick über Manhattan
eröffnen. Die Einrichtung ist ebenso edel wie sparsam und unterkühlt: ein gläserner
Besprechungstisch in der Mitte, darum gruppiert Drehsessel mit Chromgestell und
schwarzem Lederbezug. Männer in dunklen Anzügen mit korrekt gebundenen Krawat-
ten betreten den Raum. Sie tragen schwarze Aktenkoffer, begrüßen sich knapp und
nehmen dann am Besprechungstisch Platz. Ihre Berufsbezeichnung lautet »Unterneh-
mensberater«. Sie unterhalten Büros nicht nur hier in New York, sondern auf der gan-
zen Welt. Überall dort, wo große Unternehmen zu finden sind. Große Unternehmen
haben große Probleme. Genau das ist das Geschäft der Berater. Sie helfen mit ihrem
Expertenwissen dabei, die Probleme zu lösen. Die Berater sprechen dabei ungern
von Problemen, sondern lieber von »Management-Aufgaben«. Für deren Bewältigung
sind sie – solange der Kunde zahlt – stets zu Diensten. Ihr Mantra lautet: Effizienz.
Jedes Unternehmen, das sie beauftragt, versprechen sie, effizienter zu machen. Mehr
Umsatz ist längst nicht mehr der alleinige Garant für mehr Gewinn, sondern auch und
gerade mehr Effizienz. Soeben ist ein Buch auf Englisch erschienen, das in Japan schon
vor zehn Jahren herauskam. Sein Titel: »Das Toyota-Produktionssystem.« Die Berater
sind elektrisiert. Der japanische Autohersteller scheint alles richtig zu machen. Nie-
mand auf der Welt ist so effizient wie Toyota.26

1.4.1 Der Massenmarkt verlangt, sich dezentral zu organisieren

Der rasant fortschreitende Eisenbahnbau und die Verbreitung des Telegrafen in


Europa und der Vereinigten Staaten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahr-
hundert führten zur infrastrukturellen Erschließung weitläufiger Gebiete. Damit
waren für Unternehmen neben bereits zugänglichen lokalen Märkten auch Märkte in
weiter entfernten Gebieten in unmittelbare Nähe gerückt. Ein Massenmarkt war ent-

26 Ohno, Taiichi (1988): Toyota Production System: Beyond Large Scale Production, Portland.

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

standen. Unternehmen mit der Ambition, diesen Massenmarkt zu bedienen, standen


nun vor der Herausforderung, ihre Firma von einem oft inhabergeführten Lokalanbie-
ter in ein nationales oder sogar länderumspannendes Unternehmen zu überführen.
Ihre Produktions- und Logistikkapazitäten entsprechend zu skalieren, ohne dabei die
Kontrolle über das Unternehmen zu verlieren, stellte meist die größte Herausforde-
rung dar. Dabei ging es im Kern um die Frage, wie aus einer zentral geführten Organi-
sation ein dezentral agierendes Unternehmen entstehen kann.

An das Taylor-/Fordsche Prozessmodell mit seiner stark zentralisierten Steuerung


wurde rasch die Notwendigkeit dezentraler Strukturen herangetragen – anfangs an
den Verkauf und die Bereitstellung von Waren und Gütern in entferntere Regionen.
In weiterer Folge wuchs aber auch der Bedarf nach neuen Produkten, rascherer und
zuverlässiger Lieferung in alle Ecken und Enden des jeweiligen Kontinents, was den
Aufbau regionaler Produktions-, Logistik- und Vertriebsstandorte notwendig machte.
Wie sollte so ein Unternehmen, das über Ländergrenzen hinaus tätig war, organisiert
werden? Die innovativsten Unternehmen dieser Zeit fanden die Antwort in der Schaf-
fung von Bereichsstrukturen, welche sich nach Produkt- und Geografiegesichtspunk-
ten orientierten. Bereichsleiter hatten in diesem Modell, mit Ausnahme der Finanzie-
rungsmittel, die völlige Geschäftskontrolle. Erfolgreiche Unternehmen dieser Zeit, wie
General Electric, Standard Oil Company und US Steel Corp., hatten allesamt eine Vari-
ante dieses Modells nach der Versuchs- und Irrtumsmethode 27 entwickelt.

1870 betrug die amerikanische Industrieproduktion noch 23 % der Weltgesamtpro-


duktion. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs stieg das Verhältnis sogar auf 36 % an
und übertraf damit die Industrieproduktion des bis dahin führenden Industrielandes,
des Vereinigten Königreichs. Das Ende des 19. Jahrhunderts erlebte eine Fusionswelle
nie gekannten Ausmaßes. Innerhalb von zehn Jahren wurden so aus 1.800 Großunter-
nehmen 157 Megakonzerne inklusive solcher Wirtschaftsikonen wie US Steel Corp.,
American Tobacco Company, AT&T Inc. und General Electric.

Vor dem Hintergrund dieser rasanten wirtschaftlichen Entwicklungen wurde zuse-


hends klarer, dass eine zentral steuernde Unternehmensinstanz nicht länger in der
Lage war, diese weitreichenden Wirtschaftsimperien zu lenken. Die einsetzende Ent-
stehung dezentraler Strukturen machte eine Erweiterung des Taylor-/Fordschen Pro-
zessmodells notwendig. Wohnte dem Fordschen Prozessmodell im Kern bereits das
Streben nach effizienteren Prozessabläufen inne, so wurde dies nun zum Credo einer
ganzen Generation. Standardisierung, Normierung, Effizienzsteigerung und Ratio-
nalisierung entwickelten sich zu den Waffen dieser Zeit. Unternehmen begannen,
alle in der Produktion verwendeten Bauteile zu normieren. Arbeitsvorgänge wurden

27 https://de.wikipedia.org/wiki/Versuch_und_Irrtum (Zugriff: 03.08.2016).

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1.4 Stufe 3.0: McKinsey kommt – Jetzt zählt die Effizienz

s­ tandardisiert. Es wurde einfacher, neue Mitarbeiter auszubilden und so an verschie-


denen Standorten identische Prozesse zu unterhalten und in gleichbleibender Qua-
lität bei niedrigen Kosten vergleichbare Produkte herzustellen. Henry Ford schrieb
dazu 1926 in seinem wegweisenden Werk »Today and Tomorrow«:

»Um eine Methode zu standardisieren[,] ist es notwendig, aus vielen Methoden,


die Beste zu wählen und diese anzuwenden. Was ist der beste Weg, Dinge zu ver-
richten? Es ist die Summe aller guten Wege, die wir bis zum heutigen Tage ent-
deckt haben. Aus diesem Grunde wird es ein Standard. Die heutige Standardi-
sierung ist keine Barrikade gegen Verbesserungen, sie ist vielmehr das wichtige
Fundament, auf der die zukünftigen Verbesserungen basieren werden. [...] Wenn
Sie die Standardisierung, als das Beste, dass Sie heute wissen aber morgen ver-
bessert werden kann, ansehen[,] werden Sie vorankommen. Sehen Sie allerdings
Standards als starre Festlegung, dann wird der Fortschritt gestoppt.«28

1.4.2 Rationalisierung: Der ungebrochene Siegeszug eines Prinzips

Auf Standards und Normen zu setzen, ist heute aktueller denn je. In einer Epoche, wo
Menschen in wenigen Stunden von einem Kontinent zum nächsten reisen können und
die Zeit zu einem immer restriktiveren Faktor wird, sinkt die Bereitschaft, sich auf ein
verändertes Umfeld, eine andere Kultur einzustellen. Der Wunsch, sich global in einem
gleichbleibenden Umfeld zu bewegen, hat uns u. a. das Franchising gebracht. Mittler-
weile kommt es immer häufiger zu Firmengründungen, die von Anfang an als Fran-
chise angelegt sind. Wir treffen dieses Konzept heute in zahlreichen Lebensbereichen
an: Fitnessstudios, Restaurantketten, Tankstellen, Dienstleistungen, Immobilienhan-
del. Kaum ein Lebensbereich existiert, in dem sich nicht Beispiele dafür finden lassen.
Ein Wegbereiter dieser Franchise-Bewegung ist McDonald’s, welches weltweit iden-
tische Produkte in gleichbleibender Qualität anbietet. Im deutschsprachigen Raum
sind u. a. Kieser Training und VAPIANO zwei sehr erfolgreiche Vertreter der Franchise-
Philosophie.

Rasantes Wachstum, Industrialisierung, zunehmender Wettbewerb, Dezentralisie-


rung, Ressourcenknappheit und zyklisch wiederkehrende wirtschaftliche Rezessionen
in Europa und Amerika bahnten dem Rationalisierungsgedanken in der Betriebswirt-
schaft den Weg. Umgelegt auf jede Art von Prozess bedeutet dies, die möglichst effizi-
ente und energieschonende Produktion von Gütern und Dienstleistungen und deren
Bereitstellung. Der Ford-Enthusiast Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, der zunächst in

28 Ford, Henry (1926): Today and Tomorrow, New York.

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1 Das Erbe dreier industrieller Revolutionen

Kiel und ab 1926 an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin29 Volkswirtschaft lehrte,


brachte Rationalisierung erstmals in Verbindung mit aufzuwendender Energie:30

»Körperliche Arbeit wird dadurch rationalisiert, dass man jede Arbeit unter opti-
malen Bedingungen ausführen lässt. Optimale Bedingungen liegen dann vor,
wenn für die Arbeit möglichst wenig Energie verbraucht wird.«

Folgt man diesem Gedanken, ist es dann auch ein recht kurzer Weg, um Rationali-
sierung mit Technisierung, Automatisierung und Änderung von Arbeitsabläufen zur
Effizienzsteigerung in Verbindung zu bringen. 31 Im Jahr 1924 veröffentlichte ein junger
amerikanischer Universitätsprofessor namens James Oscar McKinsey zwei wegwei-
sende Bücher »Managerial Accounting« und »Business Administration«, in denen er
Standardprozeduren (wie Dinge zu tun sind und wer zu informieren ist) sowie finanzi-
elle und operative Standards zur Unternehmenslenkung einführte. 32

James Oscar McKinsey33 (1889–1937)

James McKinsey erblickte 1889 in einem kleinen Ort nahe der mexikanischen
Grenze das Licht der Welt. Als Sohn eines Farmers in ärmlichen Verhältnissen
aufwachsend, erkannte er früh die Bedeutung einer guten Ausbildung. Sie war für
McKinsey, den seine Freunde und Kollegen meist »Mac« nannten, der Schlüssel
zu wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Aufstieg. Zeit seines Lebens strebte
er danach, zu den Besten zu gehören. Mit 27 hatte er bereits drei abgeschlossene
Studien in der Tasche. Etwas überraschend wirkt dann die Auswahl seiner Dip-
lome. Neben einem abgeschlossenen Jura-Studium besaß er noch Diplome in
Pädagogik und Philosophie. Das sollten jedoch nicht seine einzigen Interessenge-
biete bleiben. Sein Wissenshunger war immer noch nicht gestillt. Er begann ein
Promotionsstudium mit Wirtschaftsschwerpunkt, welches er mit dem Kriegsein-
tritt der Vereinigten Staaten im April 1917 unterbrechen musste.

Bis Kriegsende diente er in der Armeeverwaltung, um dann direkt nach Kriegs-


ende sein Studium wiederaufzunehmen. Nach ersten Lehraufträgen und Berufs-
erfahrungen in einer renommierten Wirtschaftsprüfung folgt McKinsey 1926
einem Ruf der Universität von Chicago als ordentlicher Universitätsprofessor

29 Die heutige Humboldt-Universität zu Berlin.


30 Hachtmann/v. Saldern: Das Fordsche Jahrhundert, in: Zeithistorische Forschungen 2/2009.
31 Gemäß Duden definiert sich Rationalisierung als Steigerung der Effizienz eines Unternehmens oder einer
Verwaltung, indem durch Technisierung, Automatisierung, Änderung der Arbeitsabläufe oder ähnliche
Maßnahmen Kosten und Aufwände gesenkt werden.
32 The Making of McKinsey: A Brief History of Management Consulting in America: https://longreads.
com/2013/10/23/the-making-of-mckinsey-a-brief-history-of-management/ (Zugriff: 03.08.2016).
33 https://en.wikipedia.org/wiki/James_O._McKinsey (Zugriff: 03.08.2016).

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1.4 Stufe 3.0: McKinsey kommt – Jetzt zählt die Effizienz

für den Lehrstuhl »Business Policy«. Der erste, der in den Vereinigten Staaten
überhaupt für dieses Fach eingerichtet wurde. Dieses Lehrgebiet förderte seine
strategisch ausgerichtete Sichtweise. Im selben Jahr gründete er, neben seiner
Hochschultätigkeit, sein eigenes Unternehmen – James O. McKinsey & Company.

Mit der Gründung seiner Firma traf McKinsey einen Nerv seiner Zeit und legte den
Grundstein für einen neuen Industriezweig, die Beratung. Als er 1937 unerwartet
im Alter von 47 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung starb, schickt sich
sein Unternehmen gerade an, Weltgeschichte zu schreiben. Heute beschäftigt
McKinsey 12.000 Mitarbeiter in über 200 Standorten weltweit und wird als das
führende Beratungsunternehmen anerkannt.

Aus heutiger Sicht erscheinen diese Ideen einfach dem gesunden Menschenverstand
zu entspringen und teilweise fast banal. Zur damaligen Zeit waren sie ein Novum und
bildeten innerhalb kürzester Zeit das Fundament modernen Managements. James
Oscar McKinsey wurde dessen Pionier. Sein Hauptaugenmerk galt stets der Suche
nach den effizientesten Unternehmensabläufen. Dabei beschränkte er sich nicht
allein auf Fertigungsprozesse, sondern hatte auch administrative und unterstützende
Prozesse im Blick.

Das Taylor-/Fordsche-Prozessmodell erfuhr dadurch einen Wandel hin zu einem in sei-


nem Streben nach Effizienz ausgerichteten Prozessverständnis. Der Blick war dabei
zumeist ins Unternehmensinnere gerichtet. Herstellungskosten sollten gesenkt wer-
den. Es sollte mit geringstmöglichem Ressourcenaufwand produziert werden. Sehr
oft führte diese einseitige Sichtweise dazu, dass Nachhaltigkeit, Qualität und Kun-
denzufriedenheit darunter litten. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden vermehrt
Management-Konzepte entwickelt, die versuchen, Effizienzgedanken mit qualitativer
Ausrichtung und verstärkter Kundenorientierung in Verbindung zu bringen. Im Zuge
dieser Neuerungen wurde das Fordsche Prozessmodell teilweise aufgelöst und durch
teamorientierte Abläufe, ein höheres Maß an Eigendisposition, zunehmende Arbeit in
Projekten und stärkere Kundeneinbindung in interne Arbeitsabläufe ersetzt.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Ein riesiger Flachbau in Nordamerika, größer als alles, was Menschen bisher an Fab-
riken gebaut haben. In dieser Ecke des nordamerikanischen Kontinents ist es das
ganze Jahr über kühl, aber nie extrem kalt. Die Roboter und selbstfahrenden Fahr-
zeuge in dieser Halle lieben es kühl, aber nicht zu kalt. Als noch Menschen in den Fab-
rikhallen standen, wurde die Raumtemperatur den Bedürfnissen des menschlichen
Körpers angepasst. Damals gab es auch noch Licht in den Fabrikhallen. Jetzt ist die
Raumtemperatur die optimale Betriebstemperatur für die mit künstlicher Intelligenz
sich selbststeuernden Roboter und Fahrzeuge. Und es ist komplett dunkel. Roboter
müssen nichts »sehen«, sie folgen einfach ihren Steuerungsalgorithmen. Man muss
keine Energie und kein Geld mehr aufwenden, um Produktionshallen zu heizen oder
zu beleuchten. Was die Roboter hier produzieren, wird mit den selbstfahrenden Fahr-
zeugen zum nahe gelegenen Flughafen transportiert und von dort mit Drohnen oder
selbststeuernden, wasserstoffbetriebenen Flugzeugen zum Empfänger transportiert.
Ab und zu kommen noch Menschen. Aber nicht, um hier zu arbeiten. Sondern nur, um
zu staunen. Das Unternehmen lässt sie in kleinen Gruppen einfliegen. Ihre selbststeu-
ernden Passagierflugzeuge reihen sich in die Armada der ständig startenden und lan-
denden Drohnen und Frachtmaschinen ein. Die Bewegungen der Besucher auf dem
Werksgelände werden von der Unternehmenszentrale aus genau überwacht. Von dort
erhalten die Besucher auch ihre Werksführung auf das Kommunikations-Implantat
unter ihrer Kopfhaut eingespielt. Welches Jahr antizipieren wir? Vielleicht 2030. Viel-
leicht auch 2040 oder 2055.

2.1 Die Neudefinition unserer Lebens- und Arbeitswelt

»Das Flache wird immer wichtiger«, sagt der niederländische Architekt Rem Koolhaas,
einer der renommiertesten Vertreter zeitgenössischer Architektur. »Weil Flachbauch-
ten billig sind, ist in der Marktwirtschaft alles flach. Deswegen entstehen Riesenhallen
für Serverfarmen und Auslieferungslager.« Für den 1944 geborenen Architekten ist
das der sichtbare Ausdruck eines beginnenden Paradigmenwechsels: »Der Wolken-
kratzer war eine neue Typologie, aber er ist als solche schon wieder 160 Jahre alt. Die
neuen flachen Riesenbauformen auf dem Land sind auch nicht einfach Bauten, wie wir
sie kennen, es sind, trotz ihrer enormen Größe und Kostspieligkeit, temporäre Bauten,
schon weil die Technologien, die sie beherbergen und für die sie gebaut werden, sich so
schnell ändern.«34 Auch die von Frank Gehry entworfene neue Firmenzentrale im Face-

34 Niklas Maak: »Warum liegt die Zukunft auf dem Land, Rem Koolhaas?« In: Frankfurter Allgemeine Quar-
terly, Ausgabe 01, Winter 2016/17, S. 20 f.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

book-Firmendorf »Menlo Park«, im Silicon Valley, ist ein Flachbau. Von weitem ist das
Gebäude so gut wie unsichtbar, denn das Dach ist als Park gestaltet und die Fassa-
den sollen komplett mit Grün zuwachsen. Der Architekturkritiker und Kulturjourna-
list Niklas Maak spricht hier von einer »Ästhetik des Verschwindens«. 35 Wirtschaftliche
Macht sucht im 21. Jahrhundert nicht mehr die Repräsentation, sondern macht sich
ebenso unsichtbar wie der Einfluss, den sie in einer vollständig vernetzten Welt fast
unmerklich auf uns alle ausübt.

Zweifellos stehen wir heute an der Schwelle tiefgreifender wirtschaftlicher und gesell-
schaftlicher Umwälzungen, die – getrieben durch fortschreitende Automatisierung
und Digitalisierung – unsere Arbeits- und Lebenswelten völlig neu definieren werden.
Der Umfang und die Auswirkungen dieser Änderungen sind kaum absehbar. Automa-
tion und Digitalisierung stellen uns vor neue ökonomische, gesellschaftliche, soziale,
rechtliche und ethische Herausforderungen, für deren Bewältigung teilweise erst die
notwendigen Voraussetzungen und Normen geschaffen werden müssen. Arbeits- und
Lebenswelten werden so zu einer »Terra incognita«. Wir betreten Neuland. In diesem
Zusammenhang wird vielfach auch über eine »digitale Revolution« gesprochen. Der
Begriff scheint nicht zu weit hergeholt, bedeutet »Revolution« doch eine Verdrängung
und grundlegende Neuerung von bisher Gültigem und Bestehendem.

Mit der weiträumigen Verbreitung des PC, der Erfindung des Internets und dem Breit-
bandausbau wurden die wesentlichen Voraussetzungen für die digitale Revolution
geschaffen. Seit wir unserer analogen Kinderstube entwachsen sind, erzeugt fast
jeder unserer Schritte Daten – ob wir wollen oder nicht. Wir sind praktisch zu wan-
delnden Datenschleudern geworden, die mit jedem digitalen Gerät, das wir in Betrieb
nehmen, mit jeder Frage, die wir Google, Siri oder Alexa stellen und mit jeder Fahrt im
Auto mit ConnectedDrive, neue Daten erzeugen. Und die Datenmenge wächst weiter
unaufhörlich. Als Konsumenten, Computer-Anwender oder -Spieler produzieren wir
mittlerweile fast 70 % der jährlich weltweit generierten Datenmenge. 36

35 Niklas Maak: »Die Welt von morgen«, a. a. O. (Fn. 34), S. 48 ff.


36 IDC Studie Digital universe of opportunities« (2014) https://www.emc.com/leadership/digital-universe/
index.htm (Zugriff: 22.05.2017).

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2.1 Die Neudefinition unserer Lebens- und Arbeitswelt

2013 Total

Zettabytes

Generated by Consumers Generated by


Enterprises

Zettabytes Zettabytes

Not Touched by Enterprises


touched
by Enter-
prises
Zettabytes
15 %

Abb. 6: Weltweit produzierte Datenmenge; Quelle: IDC Studie, a. a. O. (Fn. 36)

Für Unternehmen wird diese Entwicklung allerdings zunehmend zur Datenfalle.


Obwohl Unternehmen nur ein schwaches Drittel der Daten produzieren (ca. 1,5 ZB,
siehe Abb. 6), kommen sie mit mehr als 85 % aller Daten in Berührung. Dies geschieht
u. a. durch die Bereitstellung von Speichermedien (z. B. Cloud-Systeme), Soziale Netz-
werke, C2C-Plattformen (z. B. Uber) oder die Verwaltung von Anwenderinformationen
(Benutzerkonten, E-Mail-Adressen etc.), um nur einige Beispiele zu nennen. Dadurch
übernehmen Firmen – größtenteils ungewollt – die Verantwortung und Haftung für
einen stetig größer werdenden Anteil fremdproduzierter Daten.

Die Herstellung physikalischer Speichermedien kann dabei bei Weitem nicht mehr mit
der Datenproduktion mithalten. 2013 konnte die weltweit verfügbare Speicherkapazi-
tät gerade einmal 33 % der existierenden Daten aufnehmen. Das ungebremste Daten-
wachstum wird das Verhältnis weiter zuungunsten der weltweit verfügbaren Spei-
cherkapazität verschieben. Der Speicherhersteller EMC rechnet damit, dass im Jahre
2020 bereits weniger als 15 % der Datenmenge gespeichert werden kann. Glücklicher-
weise ist der Großteil der produzierten Daten vergänglich. Darunter fallen Musik- (z. B.
Spotify) und TV-Streams (z. B. Netflix), Spieleinformationen (z. B. Xbox, PlayStation)
ebenso wie Sensorensignale oder temporäre Routing-Informationen in Firmen- oder
Heimnetzwerken.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Wohin wird die Reise noch gehen? Amazon-Gründer Jeff Bezos37 sieht es so: »Es gibt
noch so viel zu erfinden. Es wird noch so viel Neues passieren. Man macht sich keine Vor-
stellung, welchen Einfluss das Internet haben wird. Und dass dies in vieler Hinsicht der
erste Tag ist.«

Jeffrey »Jeff« Preston Bezos38 (*1964)

Wie kein anderer, verkörpert Jeff Bezos den Geist des Digitalzeitalters. 1964 in
Albuquerque, New Mexico geboren, zeigte er als Kind bereits großes Interesse,
zu verstehen, wie Dinge funktionieren. Schon bald hatte er die Garage seiner
Eltern in ein einziges Labor verwandelt und das ganze Haus verkabelt und mit
technischen Spielereien versehen. Als Teenager entwickelte er eine zeitlebens
anhaltende Liebe zu Computern. Seine Leidenschaft sollte ihn nach Princeton
führen, wo er seine Informatikausbildung 1986 mit Summa cum laude abschloss.
Computer blieben sein Leitmotiv. Mitte der 1980er Jahre zwangen die rasante
Entwicklung der Informationstechnologie und der Einzug des PC die Wall Street
zu dramatischen Veränderungen. So auch in der renommierten Investment Firma
D.E. Shaw, die bereits auf Bezos herausragende Informatikkenntnisse aufmerk-
sam geworden war und ihn kurzerhand einstellte. Vier Jahre später, 1990, wurde
er zum jüngsten Vize-Präsidenten in der Firmengeschichte ernannt. Ihm stand
eine vielversprechende und lukrative Karriere an der Wall Street bevor.

Bezos verfolgte zu dieser Zeit aber bereits andere Ziele. Lange schon beobach-
tete er die über Staatsgrenzen hinweg erfolgende Vernetzung von Computern,
welche, Anfang der 1990er Jahre, in der Entstehung des World Wide Webs gip-
felte. Als Visionär erkannte er das im Internet noch vor sich hinschlummernde
Geschäftspotenzial. So beschloss er 1994 D.E. Shaw zu verlassen, um Online-
Buchhändler zu werden. Sein Start-up richtete er in seiner Garage in Seattle ein.
Zusammen mit einer Handvoll Mitarbeitern entwickelte er Software. 1995 öffnete
Amazon.com. Der Erfolg war kometenhaft. Bereits 30 Tage später verkaufte Ama-
zon, ohne irgendeine Form von Werbung, Bücher über das gesamte Bundesgebiet
der Vereinigten Staaten und 45 weiterer Länder. Nur zwei Monate nachdem Bezos
seine Webseite geöffnet hatte, betrug der Wochenumsatz von Amazon bereits
20.000 Dollar. Bezos verstand Amazon nie als Online-Buchhändler, vielmehr als
Plattform für Handelsartikel. Von Anfang an strebte er danach, Amazon zu diver-
sifizieren. Zuerst mit CD und Videos, später mit Bekleidung, Elektronik und Spiel-
zeug. Heute ist Amazon der größte Einzelhändler weltweit.

37 So lautet der bekannte Rufname von Jeffrey Preston Bezos, wie er mit vollem Namen heißt.
38 Siehe http://www.businessinsider.com/jeff-bezos-visionary-2011-4?IR=T (Zugriff: 27.08.2016);
https://www.biography.com/people/jeff-bezos-9542209 (Zugriff: 03.08.2016) und http://sz-magazin.
sueddeutsche.de/texte/anzeigen/44019/Capt (Zugriff: 27.08.2016).

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2.2 Die Datenquellen des Digitalzeitalters

Zu weltweiten Schlagzeilen kam es, als Bezos 2013 das renommierte Zeitungs-
haus »The Washington Post« für 250 Millionen Dollar erwarb. Sein Ziel war, aus
einem Lokalblatt eine weltweit agierende digitale Nachrichtenplattform zu
erschaffen. Weitere Herzensprojekte von Bezos sind sein Raumfahrtunterneh-
men »Blue Origin«, welches Privatleute ins All schießen möchte und sein revoluti-
onäres Projekt »Amazon Air Prime«, mit dem zukünftig Drohnen Amazon-Pakete
ausliefern sollen.

2.2 Die Datenquellen des Digitalzeitalters

Wer Prozesse digitalisieren will, der braucht Daten. Nicht irgendwelche Daten, son-
dern relevante und sinnvoll interpretierbare Daten. Das wirft als Erstes die Frage nach
den Datenquellen auf. In der analogen Welt beginnt Qualität meist bei der Quelle. Im
Zeitalter der Digitalisierung ist das kaum anders. Eine Vielzahl neuer Datenquellen
hält Einzug in unser Leben und unsere Arbeitswelt oder steht kurz davor. Womit genau
haben wir es hier zu tun? Die neuen Datenquellen lassen sich in drei relevante Grup-
pen unterteilen: Wearables, Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) und Sensoren
(Embedded Systems).

2.2.1 Wearables: Der Computer verschmilzt mit dem Anwender

Als Wearable Computing oder kurz »Wearable« werden meist kleine, tragbare Com-
putersysteme bezeichnet, die während ihrer Verwendung am Körper der Anwender
befestigt sind. Sie unterscheiden sich von anderen mobilen Computersystemen
(z. B. Laptops, Smartphones, Tablets) dadurch, dass die hauptsächliche Tätigkeit des
Anwenders nicht die Benutzung des Computers selbst, sondern eine durch den Com-
puter unterstützte Tätigkeit in der realen Welt ist.39 Mit anderen Worten: Der Mensch
geht seiner normalen Arbeit oder Alltagstätigkeit nach und ein Computer hilft ihm
dabei, ohne ständige Aufmerksamkeit zu verlangen. In diese Kategorie fallen Activity
Tracker (z. B. Fitness- und Gesundheits-Armbänder), Smartbrillen (z. B. Google Glass),
Smartwatches, smarte Kleidungsstücke oder digitale Hörgeräte.

39 https://de.wikipedia.org/wiki/Wearable_Computing (Zugriff: 25.09.2016).

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Der Anwendungsbereich der Wearables ist groß und wird erst in Ansätzen erkennbar.
So setzt der US-Sportartikelhersteller Under Armour seit 2011 ein gemeinsam mit
dem US Medizintechnik-Unternehmen Zephyr Technology entwickeltes Trikot (E39)
mit integrierter Sensortechnik im Hochleistungssport ein. Kernstück des intelligenten
Sportshirts ist ein sogenannter »Bug« (Datenkäfer), der auf der Höhe des Solarplexus
angebracht ist. Das ist ein kleiner runder Behälter, in dem sich ein Computer mit einem
2 GB großen Speicher, einer Datenübertragungseinheit sowie einem Accelerometer
befindet. Die Sensoren messen verschiedene Daten des Sportlers, wie Körpertempe-
ratur, Atemrate oder Herzfrequenz. Hinzukommen Beschleunigung und Richtungsän-
derungen. Die Daten werden im Bug gespeichert und per Bluetooth an den Computer
oder das Smartphone des Trainers übertragen. Dieser kann anhand der Daten die
Leistungen des Sportlers analysieren und seine Bewegungsabläufe verbessern. In der
NFL (National Football League) verwenden bereits zahlreiche Teams diese Technik im
Training und Spiel, um die Leistungsdaten der Sportler aufzuzeichnen.40, 41

Auch in der deutschen Fußball-Bundesliga haben Wearables Einzug gehalten. Der


von Adidas entwickelte intelligente Fußballschuh Adizero F50 enthält einen Sensor,
der neben der zurückgelegten Distanz, den Sprints, der Herzfrequenz und Höchstge-
schwindigkeit jedes Tor und jeden Pass misst. Sogar Fouls werden aufgezeichnet und
alle erhobenen Daten auf den Servern der Teams analysiert. Dadurch ist es möglich,
verbesserte individuelle Trainingspläne zu erstellen, um so die Trainingseffizienz und
Leistungsfähigkeit der Spieler zu steigern.42

Noch Zukunftsmusik: Das Bordpersonal von Flugzeugen könnte über spezielle Daten-
brillen in Zukunft jeden Passagier automatisch erkennen, ihn mit Namen ansprechen
und über seine Vorlieben – Kaffee oder Tee, Sandwich mit Fleisch oder vegetarisch? –
automatisch informiert sein. Datenschützer sind von solchen Ideen allerdings wenig
begeistert.

2.2.2 Internet der Dinge: Wenn der Toaster mit dem Kühlschrank spricht

Das Internet der Dinge (Internet of Things) beschreibt die zusehende »Smartifizie-
rung« von Alltagsgegenständen. Kleine, in Toaster, Zahnbürsten, Türschlösser oder
Kühlschränke eingebettete Computer werden uns in Zukunft unterstützen. Ist der
Computer aktuell noch Gegenstand unserer ständigen Aufmerksamkeit – rund 80-mal

40 http://www.forbes.com/sites/parmyolson/2015/09/30/kevin-plank-under-armour-apps-
technology/#4eddeb714b25 (Zugriff: 26.09.2016).
41 http://www.golem.de/1102/81770.html (Zugriff: 25.09.2016).
42 https://my-trend.org/2012-01-02-ausblick-adizero-f50-micoach-der-intelligente-fusballschuh
(Zugriff: 30.06.2020).

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2.2 Die Datenquellen des Digitalzeitalters

am Tag schauen Erwachsene auf ihr Smartphone und sind häufig abgelenkt 43 –, tritt
er zukünftig wahrscheinlich mehr und mehr in den Hintergrund und wird durch
intelligente Gegenstände ersetzt. Das »Internet der Dinge« hat mehr als 15 Jahre
gebraucht, um Realität zu werden. Heute steht es an der Schwelle zur selbstverständ-
lichen Integration in unseren Alltag. Die Idee für das IoT wurde in den 1990er Jahren
mit dem Aufkommen von RFID-Chips, verbesserter Sensortechnik und ersten Inno-
vationen drahtloser Übertragungstechnik geboren. Der zunehmende Preisverfall bei
RFID-Chips machte den Einsatz dieser Technologie auch außerhalb von Logistik und
Supply-Chain-Management interessant. Mittlerweile kommt RFID-Technik im öffent-
lichen Personentransport, der Identifikation und Lokalisierung von Mensch und Tier,
bei elektronischen Mautsystemen, der Zugangskontrolle, Verkehrsüberwachung und
dem Einzelhandel großzügig zur Anwendung.44 Die Möglichkeit, Dinge markieren, ver-
folgen, verbinden und »lesen« zu können, bildet gemeinsam mit einer verbesserten
Sensortechnik und flächendeckender Breitbandversorgung die Grundlage für das
Internet der Dinge.

Ich halte es an dieser Stelle für wesentlich, die Aufmerksamkeit weg von der Leis-
tungsfähigkeit physischer Gerätschaften auf den eigentlichen Charakter des Internets
der Dinge zu lenken. Das Wesen des IoT liegt in der Verbindung von Menschen, Dingen,
Daten und Prozessen (siehe Abbildung 7). Die daraus in einem bestimmten Kontext
gewonnenen Informationen haben vielfach eine neue Qualität. Beispielsweise liefert
uns der am Handgelenk mitgetragene Activity Tracker nicht nur die blanken Daten zu
Schrittanzahl, zurückgelegter Entfernung und Herzfrequenz, sondern veredelt diese
Daten durch Einbindung in entsprechende Software (Apps) und Verarbeitungspro-
zesse in Aussagen über unseren Fitness- und Gesundheitszustand, die wir mit ande-
ren teilen können.

43 https://www.swr.de/zur-sache-baden-wuerttemberg/smartphone-junkies-eltern-mit-smartphone-als-
schlechte-vorbilder/-/id=3477354/did=19067974/nid=3477354/1ke3g9r/index.html (Zugriff: 07.06.2017).
44 In Anlehnung an www.i-scoop.eu/internet-of-things (Zugriff: 27.09.2016).

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Abb. 7: Das Internet der Dinge verbindet Menschen, Dinge, Prozesse und Daten; Quelle: In Anlehnung
an http://blogs.cisco.com/digital/how-the-internet-of-everything-will-change-the-worldfor-the-
better-infographic (Zugriff: 27.09.2016)

Der Weg zu einem vollumfänglichen Internet der Dinge ist allerdings noch weit. Im
Jahr 2015 war gerade einmal 1 % der physischen Welt mit dem Internet verbunden.
Das sind zwar immerhin auch schon 15 Milliarden Geräte, vorwiegend jedoch Compu-
ter, Tablets und Smartphones. Allerdings ist das Wachstumspotenzial riesig, wenn wir
auf die noch verbleibenden 99 % unverbundener Dinge blicken. Das Wachstum dürfte
auch in diesem Bereich eine exponentielle Entwicklung nehmen. Genaue Vorhersa-
gen über das zu erwartende Wachstum schwanken naturgemäß, so prognostiziert
beispielsweise das Technologieunternehmen Ericsson45 ein Anwachsen auf 28 Milli-
arden Geräte, der Netzwerkspezialist Cisco hingegen hält sogar ein Wachstum auf 37
Milliarden bis zum Jahr 2020 für möglich. 46 Gemäß der 2016 von Ericsson publizierten

45 Ericsson Mobility Report 2016, S. 10–11: https://www.ericsson.com/res/docs/2016/ericsson-mobility-


report-2016.pdf (Zugriff: 27.09.2016).
46 http://blogs.cisco.com/digital/how-the-internet-of-everything-will-change-the-worldfor-the-better-
infographic (Zugriff: 27.09.2016).

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2.2 Die Datenquellen des Digitalzeitalters

Mobilitätsstudie wird bis 2020 das Internet der Dinge – mit einem durchschnittlichen
jährlichen Wachstum von 23 % – Mobiltelefone als größte Gruppe mit dem Internet
verbundener Geräte ablösen.

2.2.3 Sensoren und Embedded Systems: Geschwister der Automatisierung

Sensoren sind als physische Gegenstände auch dem Internet der Dinge zurechen-
bar. Ihnen kommt aber gerade im Verlauf der Prozessdigitalisierung eine besondere
Bedeutung zu. Daher ist es aufschlussreich, sie als eigenständige Datenquelle heraus-
zustellen.

Sensoren werden in Zukunft mehr und mehr Lücken in der Produktion schließen.
Fertigungsschritte, die heute noch manuell ausgeführt werden, bilden in kurzer Zeit
den Gegenstand einer umgreifenden Automatisierung und »Sensorisierung«. Senso-
ren kommen vor allem in eingebetteten Systemen zum Einsatz. Unter eingebette-
ten Systemen (engl. Embedded Systems) versteht man Hard- und Softwaresysteme,
welche in ein umgebendes technisches System integriert komplexe Überwachungs-,
Steuerungs-, Regelungs- und Datenverarbeitungsaufgaben übernehmen. Dabei han-
delt es sich um softwaregesteuerte Mikrocomputer, die auf eine Aufgabe fixiert sind
(beispielsweise Temperaturmessung, -überwachung und -regelung). Diese Mikro-
computer unterscheiden sich grundlegend von normalen Computern und sind für
den Anwender nicht als separates Element erkennbar. Sensoren und eingebettete
Systeme verrichten bereits heute in einer Vielzahl von Anwendungsbereichen ihren
Dienst – in der Landwirtschaft und der Medizintechnik, in Flugzeugen, Kraftfahrzeu-
gen, Fernsehern, Mobiltelefonen, Routern, Spielekonsolen, Receivern oder ganz allge-
mein in Geräten der Unterhaltungselektronik.47, 48

Die fortschreitende Miniaturisierung und der anhaltende Preisverfall in der Sensor-


technik erlauben die Entwicklung immer kleiner werdender Komponenten. So wird
es möglich, mehr und mehr Objekte in einem Gesamtsystem zum Einsatz kommen zu
lassen und diese mit intelligenter Sensorik und Rechenleistung auszustatten. Damit
nehmen auch Flexibilität und Mobilität dieser Systeme zu. Unter anderem ist diese
Entwicklung eine Grundvoraussetzung für den Betrieb komplexer Telematiksysteme,
wie sie beispielsweise ein selbstfahrendes Fahrzeug darstellt.

Auch in der Landwirtschaft eröffnet die Nutzung von intelligenten Sensorsystemen


neue Möglichkeiten. Die Datenübermittlung im Boden installierter Sensoren liefert

47 Thaller/Brandt (2013): Embedded Systems, Vorlesung: »Medien zwischen Technologie und Gesellschaft«,
Universität Köln.
48 https://de.wikipedia.org/wiki/Eingebettetes_System (Zugriff: 28.09.2016).

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

aussagekräftigere Bodenanalysen und erlaubt so genaueres Düngen, unterstützt den


Pflanzenschutz und ermöglicht eine effizientere Bewässerung der Felder. Diese Form
der Datennutzung wird Precision Farming genannt. Mit der rasanten Bevölkerungs-
entwicklung vor Augen – innerhalb der nächsten zehn Jahre werden wir die 8-Milli-
arden-Marke knacken – kommt diesem Anwendungsbereich zukünftig noch größere
Bedeutung bei der optimalen Nutzung landwirtschaftlicher Flächen zu. Ein weiterer
landwirtschaftlicher, eher betriebswirtschaftlich orientierter Anwendungsbereich
findet sich im Precision Harvesting. Der Landmaschinenhersteller John Deere rüstet
bereits seit einigen Jahren seine teuren Erntemaschinen mit Positionssensoren aus,
um Schnittbahnen möglichst optimal und überschneidungsfrei für jede Feldform
berechnen zu können und so die kürzestmögliche Schnittbahn garantieren zu kön-
nen. Damit können die Einsatzzeiten der Erntemaschinen und die damit einhergehen-
den Kosten deutlich reduziert werden.

Eine andere interessante Anwendung stammt aus der Medizintechnik. Die Nieren eines
gesunden Erwachsenen reinigen pro Minute rund 100 Milliliter Blut. Schaffen sie diese
Leistung nicht mehr, müssen die Organfunktionen anhand von Urin- und Blutproben
im Labor untersucht werden. Dieses Diagnoseverfahren haben Forscher des Instituts
für Medizintechnologie der Universität Heidelberg und der Hochschule Mannheim nun
verkürzt: Ein Pflaster wird auf die Haut geklebt und misst die Nierenleistung mittels
eines zuvor injizierten Diagnostikums schnell und direkt. Damit hat es das Potenzial,
Erkrankungen in einem sehr frühen Stadium festzustellen.49

Zukünftig werden alle Arten von Sensoren, auch solche, die in den Körper implan-
tiert werden, biometrische Informationen liefern und die Effektivität medizinischer
Behandlungen überwachen, Körperaktivitäten mit der Entwicklung des Gesundheits-
zustands in Verbindung bringen oder den Ausbruch von Virenerkankungen erkennen.
All das wird in Echtzeit ablaufen.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Prozessdigitalisierung? Die zunehmende


Automatisierung und Robotisierung liefert die Möglichkeit, neue Daten über einzelne
Prozessschritte zu gewinnen und diese mit bereits bestehenden Daten – etwa aus
Transaktionssystemen – zu kombinieren. Eine solchermaßen angereicherte Datenba-
sis erlaubt verbesserte Analysen und bildet die Grundlage digitaler Prozessoptimie-
rungsvarianten. Ebenso werden heute noch vorwiegend datenarme Prozessketten
durch das Nachrüsten analoger Produktions- und Fertigungsmaschinen mit moder-
ner Sensortechnik weiter digitalisiert. Der Einfluss der Sensortechnik und eingebet-
teter Systeme im digitalen Universum ist bereits spürbar geworden. Die von Sensoren

49 http://www.land-der-ideen.de/365-orte/preistraeger/schlaues-pflaster-zur-nierenfunktionsbestimmung
(Zugriff: 22.05.2017).

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2.3 Exponentialität oder die Macht des Reiskorns

produzierte Datenmenge beträgt mittlerweile mehr als 2 % der Daten des digitalen
Universums. Bis ins Jahr 2020 soll der Beitrag von Sensordaten auf über 10 % des
Gesamtdatenvolumens anwachsen. 50

Neben dem bloßen Zählen von Datenbytes existiert noch eine weitere Betrachtungs-
möglichkeit, um die Bedeutung von Sensoren im digitalen Universum greifbar zu
machen: die »Last«, die sie im Internet der Dinge erzeugen. Computer müssen ja nicht
nur Datenbytes verarbeiten, sondern auch die »Container« (d. h. Dateien), in denen
diese Daten das System durchlaufen. Manche Dateien enthalten ein großes Datenvo-
lumen, wie beispielsweise Bilder von Digitalkameras oder Filmmaterial aus Überwa-
chungssystemen. Die überwiegende Mehrzahl der Dateien ist jedoch klein. RFID- und
Sensordaten enthalten oft weniger als 32 Bytes. Aufgrund dieser kleinen Signalgrö-
ßen wird die Anzahl der zu verarbeitenden Dateien weiter rasant anwachsen. 2020
könnten Signal- und Informationsdateien aus Sensoren rund 99 % des »Container-
volumens« im digitalen Universum ausmachen. Wurden 2010 bereits beachtliche 28
Billiarden Dateien weltweit verarbeitet, so dürften zehn Jahre später mehr als 4.200
Billiarden Dateien im digitalen Umlauf sein. 51

2010 wurden im digitalen Universum insgesamt 1,2 Zettabytes an Daten produziert.


Bis 2020 soll das jährliche Datenvolumen auf 44 Zettabytes52 anwachsen. Noch plas-
tischer ausgedrückt: Würde man diese Datenmenge auf iPads (iPad Air mit 128 GB
Speicherkapazität und 0,8 cm Bauhöhe) speichern und stapeln, würde der Stapel
2020 siebenmal der Entfernung Erde-Mond entsprechen. Während sich das gesamte
Datenvolumen des digitalen Universums also im gleichen Zeitraum um das 33-Fache
vergrößern wird, erwarten wir eine Beschleunigung des »Container-Wachstum« auf
das 150-Fache.

2.3 Exponentialität oder die Macht des Reiskorns

Jede Facette des digitalen Universums zeigt bis dato eine durchgängig exponentielle
Entwicklung. Dies ist eine große Herausforderung für den menschlichen Verstand,
denn im Erkennen und Beurteilen exponentiellen Wachstums liegen nicht gerade
unsere Stärken, wie uns schon diese Geschichte aus dem alten Indien lehrt:

50 IDC Studie Digital Universe (2014): https://www.emc.com/leadership/digital-universe/index.htm (Zugriff:


22.05.2017).
51 Ebenda.
52 Zum besseren Verständnis: 44 Zettabytes entsprechen 44 Billionen Gigabytes oder ausgeschrieben die
Zahl 44 mit 21 Nullen, also 44.000.000.000.000.000.000.000 Bytes.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

BEISPIEL

Es lebte einst in Indien ein Herrscher namens Shihram, der seine Untertanen
tyrannisierte und sein Land in Not und Elend stürzte. Um die Aufmerksamkeit
des Herrschers auf seine Fehler zu lenken, ohne seinen Zorn zu entfachen, schuf
der weise Brahmane Sissa ein Spiel, in welchem der König als wichtigste Figur
ohne die Hilfe anderer Figuren und Bauern nichts ausrichten kann. Der Unter-
richt im Schachspiel machte auf Shihram einen tiefen Eindruck. Er wurde milder
und ließ das Schachspiel in seinem Herrschaftsgebiet verbreiten, damit alle
davon Kenntnis nähmen.
Um sich für die anschauliche Lehre von Lebensweisheit und zugleich Unterhal-
tung zu bedanken, gewährte er dem Brahmanen einen freien Wunsch.
Sissa schwieg eine Weile und dachte nach. Der Herrscher ermunterte ihn und
sagte, er möge keine Scheu zeigen und einfach seinen Wunsch äußern. Der
Brahmane erbat sich jedoch Bedenkzeit bis zum nächsten Tag, um über seinen
Wunsch nachzudenken. Dann, so sagte er, wolle er Shihram seinen Herzens-
wunsch mitteilen.
Als der Brahmane am nächsten Tag abermals vor Shihram trat, bat er um ein
einziges Reiskorn auf dem ersten Feld des Schachbretts. Der Herrscher lachte
und fragte ihn, ob das wirklich alles sei, er könne sich doch mehr wünschen? Da
antwortete Sissa, er hätte gerne auf dem zweiten Feld zwei Reiskörner, auf dem
dritten vier, auf dem vierten acht, auf dem fünften Feld 16 Reiskörner und so fort
bis zum 64. Feld.
Die Berater des Königs begannen schallend zu lachen, weil sie diesen Wunsch
für äußerst dumm hielten. Schließlich hätte sich der Mann Gold, Edelsteine,
Land oder alles mögliche andere wünschen können. Der Herrscher war verär-
gert, weil er dachte, der Erfinder halte ihn für arm oder zu geizig. Shihram hielt
den Wunsch für dumm, weil er ihm viel mehr hätte geben können. Aber er hatte
dem Brahmanen sein Wort gegeben und er musste seinen Wunsch erfüllen,
wenn er es verlangte. Der Herrscher schickte Sissa hinaus und ließ ihn am Tor
warten. Dorthin würde man seinen Reis bringen.
Der weise Brahmane ging lächelnd hinaus. Am Tor setzte er sich und wartete
geduldig auf seine Belohnung.
Abends erinnerte sich Shihram an den seltsamen Wunsch und fragte, ob der
Erfinder seine Belohnung schon erhalten habe. Seine Berater wurden ganz
nervös und erklärten, dass sie Sissas Wunsch nicht entsprechen könnten. Alle
Getreidespeicher des ganzen Landes würden nicht annähernd genug Reiskörner
enthalten, um ihn auszuzahlen.
Da wurde der König wütend und schimpfte, sie sollten dem Brahmanen endlich
seine Belohnung geben, schließlich habe er es versprochen und das Wort des
Königs gelte.

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2.3 Exponentialität oder die Macht des Reiskorns

Da erklärte ihm sein Hofmathematiker, dass es auf der gesamten Welt nicht
genug Reis gäbe, um dem Wunsch des Mannes zu entsprechen. Der Herr-
scher schwieg verblüfft. Dann fragte er, wie viele Reiskörner es denn seien.
18.446.744.073.709.551.615 Reiskörner war die Antwort.
Da lachte der Herrscher schallend. Er ließ den Weisen zu sich rufen und machte
ihn zu seinem neuen Berater.53, 54

Die Geschichte beschreibt anschaulich die Grenzen unserer »linearen« Vorstellungs-


kraft. Unser lineares Denkvermögen hält es nicht für möglich, dass in einem Verdop-
pelungszeitraum mehr Wachstum entsteht als in allen vorangegangenen Verdoppe-
lungszeiträumen zusammen.

Diese dem exponentiellen Wachstum innewohnende Eigenschaft begegnet uns sowohl


in der rasanten Entwicklung produzierter Dateien als auch der Datenmenge selbst. So
wird sich voraussichtlich bis 2020 die Datenmenge alle zwei Jahre verdoppeln. Und
die Verdoppelungsgeschwindigkeit nimmt weiter zu. Die Rechenleistung folgt ohne-
hin schon seit Jahrzehnten einer exponentiellen Entwicklung und verdoppelt sich
aktuell alle 18 Monate. Auch die Anzahl vernetzter Geräte im Internet der Dinge entwi-
ckelt sich exponentiell. Dies gilt auch für das daraus entstehende Netzwerk. Bei einer
Verdoppelung von Teilnehmern in einem Netzwerk folgt die Entwicklung möglicher
Kommunikationsverbindungen ebenfalls einem exponentiellen Wachstum. Diese
Gesetzmäßigkeit wird durch das Metcalfesche Gesetz beschrieben. Es zeigt auf, dass
der Wert eines Netzes für Teilnehmer exponentiell zur steigenden Mitgliederzahl des
Netzwerks wächst.

Der Hunger nach Bandbreite ist also nach wie vor nicht gestillt und zwingt uns, auch
die technische Infrastruktur auf diese Trends einzustellen. Um diesen Entwicklungen
Rechnung zu tragen, wird es neue Übertragungstechnologien, wie beispielsweise das
5G-Mobilfunknetz, brauchen, mit dem Spitzenübertragungsgeschwindigkeiten bis zu
10 Gigabit/Sekunde möglich sein werden. Der Inhalt einer DVD kann dann in weniger
als vier Sekunden aus dem Internet heruntergeladen werden. Schnellere Übertra-
gungsgeschwindigkeiten werden zwangsläufig zu einer weiteren Zunahme der Daten-
menge führen und die explosionsartige Entwicklung weiter verstärken. 55

53 http://www.kochmix.de/kochmagazin-reis-schach--der-weise-mann-der-koenig-das-schachbrett-203.html
(Zugriff: 22.05.2017).
54 https://de.wikipedia.org/wiki/Sissa_ibn_Dahir (Zugriff: 22.05.2017).
55 https://www.vodafone.de/featured/ueber-uns/der-weg-ins-gigabit-zeitalter-von-4g-ueber-45g-zu-5g/
(Zugriff: 22.05.2017).

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

2.4 Informationssicherheit: Die große Herausforderung

Im Mai 2017 ging in zahlreichen britischen Krankenhäusern plötzlich nichts mehr. Ope-
rationen mussten verschoben werden, auf Stationen brach Chaos aus. Eine weltweite
Cyber-Attacke hatte Computer des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS (National
Health Service) befallen. Betroffen waren Krankenhäuser in London, Blackpool, Hert-
fordshire und Derbyshire. Patientendaten sollen laut Angaben der britischen Regie-
rung jedoch nicht gefährdet gewesen sein. Doch eines ist sicher: Die Sicherheit von
Daten zu gewährleisten und Computersysteme vor Fremdzugriffen zu schützen, wird
in Zukunft eine immer zentralere Rolle spielen.

2.4.1 Digitalisierte Geschäftsprozesse werfen neue Sicherheitsfragen auf

Unternehmen produzieren – wie bereits erwähnt – zwar nur ein Drittel der Daten, sind
aber für 85 % der Daten verantwortlich. Das bedeutet nicht nur, dass Geschäftspro-
zesse mittlerweile weit über Unternehmensgrenzen hinaus ablaufen, sondern auch,
dass der überwiegende Teil der Daten außerhalb der Unternehmensmauern produ-
ziert wird und damit jenseits jeder unmittelbaren Firmenkontrolle liegt. Der Bedarf,
die Informationssicherheit auch auf diese unternehmensfremden Bereiche auszudeh-
nen, wird zunehmen. Daten von Kunden, Lieferanten und Dritten (öffentlich zugängli-
che Daten, Daten von Fremdfirmen usw.) werden mehr und mehr Eingang in die Pro-
zesswelt finden.

Dies gilt im besonderen Maße für die steigende Anzahl von Daten, die für Prozessana-
lysen und Vorhersagemodelle herangezogen werden. Dabei stellen sich zahlreiche
Fragen. Sind die Daten sauber, d. h. frei von Schadsoftware? Können die Daten Kunden
zugeordnet werden, d. h., haben sich die Anwender im System angemeldet? Wie akku-
rat sind die Daten? Das alles sind Fragen, deren Beantwortung besondere Aufmerk-
samkeit verdient, speziell, wenn aus der Analyse dieser Daten zukünftige Handlungen
des Unternehmens resultieren (Prozessänderungen, Produktanpassungen usw.).

Natürlich sind nicht alle Daten gleichermaßen schützenswert. Nach aktuellen Schätzun-
gen benötigen ca. 40 % aller Daten irgendeine Form des Schutzes. Sicherungsmaßnah-
men variieren und reichen von passiven Schutzmaßnahmen der Privatsphäre über Voll-
verschlüsselung bis hin zur hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Datenhaltung.
Unglücklicherweise erfährt weniger als die Hälfte der schützenswerten Daten tatsäch-
lich Schutzmaßnahmen. Noch beunruhigender ist der Umstand, dass mit zunehmender
Digitalisierung der Anteil schützenswerter Daten insgesamt weiter zunimmt.

Die Optimierung und Digitalisierung von Prozessen sollte von Anfang an unter der Prä-
misse erfolgen, die Daten nach Schutzklassen zu klassifizieren, am besten ähnlich der

58
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2.4 Informationssicherheit: Die große Herausforderung

im BSI-IT-Grundschutz zur Anwendung kommenden Datenklassifizierung. 56 Das Aus-


maß der Datenschutzbedürftigkeit stellt eine Quelle von Anforderungen an die Pro-
zessgestaltung dar und muss in die grundlegenden Überlegungen einfließen. Immer
mehr Geschäftsprozesse werden über die fortschreitende Digitalisierung miteinander
verknüpft und bilden Raum für neue Bedrohungspotenziale. Dies muss nicht gleich
die befürchtete Cyber-Attacke sein, gerade der Verlust möglicherweise ungesicherter
Daten entlang der Prozesskette stellt ein sehr alltägliches Sicherheitsrisiko dar. Eine
Gesamtbetrachtung des Prozesses unter Einbeziehung aller Beteiligten ist daher not-
wendig, um ein angemessenes und ausreichendes Sicherheitsniveau durchzusetzen
und im laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten.

Experten des deutschen Rückversicherungsgiganten Munich Re erwarten eine der


technologischen Entwicklung folgende, ebenfalls exponentielle Zunahme der Sicher-
heitsbedrohungen. Mit jedem neuen Technologiezyklus nehmen Sicherheitsrisiken
dramatisch zu. Gefahren treten dabei oft unerwartet auf, d. h., sie sind für Unter-
nehmen und Versicherer nicht immer kalkulierbar. Untersuchungen der Munich Re
ergaben, dass sich der Versicherungsmarkt für Cyber-Risiken von einem Niveau von
ca. 1,3 Milliarden Dollar im Jahr 2013 bis ins Jahr 2020 auf ca. 8 Milliarden Dollar ver-
sechsfachen wird. 57 Humorlos wie alle bisher besprochenen Entwicklungen im Zusam-
menhang mit der Prozessdigitalisierung, so folgt auch der Cyber-Versicherungsmarkt
einer exponentiellen Entwicklung. Um dieser rasant anwachsenden Exposition zu
begegnen, wird es notwendig sein, nicht nur die sicherheitsrelevanten Daten zu iden-
tifizieren und über den gesamten Prozess zu schützen, sondern Unternehmen werden
auch eigene Cyber-Teams einsetzen müssen. Aufgabe dieser Teams wird es sein, die
Infrastrukturen und Daten nicht nur passiv zu schützen (Abwehrmaßnahmen), son-
dern auch aktiven Cyber-Schutz (Angriffe) zu betreiben.

2.4.2 Droht das Internet der ungesicherten Dinge?

In seinem Bestseller »Blackout« beschreibt der österreichische Schriftsteller Marc


Elsberg sehr anschaulich das Gefahrenpotenzial eines ungesicherten Internets der
Dinge. Dadurch, dass Hacker in mehreren Regionen Europas intelligente Stromzähler
(sogenannte Smartmeter) manipulieren und vom Stromnetz trennen, erzwingen sie
einen europaweiten Blackout. 58 Ein signifikanter Beitrag der zu erwartenden Sicher-
heitsrisiken geht tatsächlich auf die zunehmende Sensorisierung zurück. 2020 könn-

56 https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrundschutz/ITGrundschutzKataloge/itgrundschutzkataloge_
node.html (Zugriff: 16.07.2017).
57 Topsch/Schlayer (2015): Cyber risk challenge and the role of insurance, München, Präsentation Munich Re:
https://de.slideshare.net/Munich_Re/cyber-risk-challenge-and-the-role-of-insurance (Zugriff: 22.05.2017).
58 Elsberg, Marc (2012): Blackout, Blanvalet Verlag, München.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

ten allein mehr als 25 % aller Cyber-Attacken auf Unternehmen auf IoT-Verbindungen
(siehe Abbildung 8) zurückzuführen sein. Dass Elsbergs Geschichte mehr ist als nur
gute Unterhaltung, beweist der Umstand, dass er seit Erscheinen seines Buches auch
außerhalb des Buchhandels ein gefragter Gast ist. So wurde er bereits vom deutschen
Bundesministerium des Innern, der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, dem
Präsidenten der Bundesnetzagentur und zahlreichen anderen Behörden und Verbän-
den eingeladen, um über dieses Thema zu referieren.

INFORMATIONSSICHERHEIT
(Wissen, Werte, Daten)

BETRIEBSSICHERHEIT PHYSIKALISCHE SICHERHEIT


(Verfahren, Methoden, (Mitarbeiter, Hardware,
Prozesse, Patente) Software, Netzwerke,
Maschinen)

INTERNET DER DINGE (IoT) SICHERHEIT


(Geräte und Sensoren)

DIGITALE SICHERHEIT
(Identitäten, Online-Transaktionen)

Abb. 8: Aus Informationssicherheit (Cyber Security) wird digitale Sicherheit; Quelle: Eigene Darstel-
lung in Anlehnung an: Gartner Group: Special Report: Cyber Security at the Speed of Digital Business,
https://www.gartner.com/doc/3332117?refval=&pcp=mpe (Zugriff: 08.10.2016)

Sicherheitsverantwortliche in den Unternehmen stehen heute vor ganz neuen Her-


ausforderungen. In der »alten« Welt war Unternehmenssicherheit vergleichbar mit
einer »Wagenburg«. Daten und Infrastrukturen befanden sich ausschließlich innerhalb
dieser Wagenburg und konnten so leicht zentral geschützt werden. Im digitalen Zeital-
ter befindet sich ein Teil der Infrastruktur vielmehr außerhalb des Unternehmens wie-
der und kann nicht mehr durch klassische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden.
Plötzlich finden sich für das Unternehmen relevante Infrastrukturen u. a. in Haushal-
ten, Fahrzeugen oder alltäglichen Gebrauchsgegenständen wieder und entziehen sich
so der Kontrolle des Unternehmens.

Jahrelang wurde Cyber-Sicherheit als rein technisches Thema abgehandelt und in


der IT begraben. Geschäftsprozesse, die mittlerweile jenseits der Unternehmens-
grenzen ablaufen, zwingen jedoch zu einem Umdenken im Sicherheitsverständnis
der Firmen. Es gilt, den Prozess und die Menschen (Kunden) zu schützen. Gleiches gilt
für die Daten. Es reicht nicht mehr aus, die Daten alleine zu schützen, der Datenfluss

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2.5 Relevanz: Aus geeigneten Daten entsteht Wissen

(siehe Abbildung 8) ist es, der gesichert werden muss. Ich würde an dieser Stelle gerne
eine neue Kategorisierung der Sicherheitsmaßnahmen einführen und zwischen stati-
scher und dynamischer Datensicherheit unterscheiden. In den Bereich der statischen
Datensicherheit fallen demnach alle Maßnahmen, die den Schutz »ruhender»59 Daten
betreffen. Dazu zählen Sicherheitsmaßnahmen wie Datenverschlüsselung, Firewalls,
VPN-Zugänge, Authentifizierungsmaßnahmen, Virenscanner, RAID-Systeme, Schutz-
protokolle und dergleichen. Diese Maßnahmen zeichnen sich durch ihren durchweg
passiven Charakter aus. Ihre Intention ist es, zu verhindern und abzuwehren. Die
dynamische Datensicherheit wiederum hat den »bewegten« Datenstrom im Fokus,
also aktive Sicherheitsmaßnahmen, deren Aufgaben es sind, Angriffe möglichst in
Echtzeit zu entdecken und zu melden, Reaktionsmaßnahmen einzuleiten oder aber
auch merkwürdiges, d. h. von der Norm abweichendes Verhalten aufzudecken und
vorherzusagen. Dafür müssen entlang der Prozesskette entstehende Daten mit ent-
sprechenden Algorithmen in Echtzeit ausgewertet werden, um Verhaltensauffälligkei-
ten zu identifizieren. Simulationen unterstützen dabei, Schwachstellen aufzudecken
und auffälliges Prozessverhalten als Referenz- und Erkennungsmuster für Echtzeit-
überwachungen zu dokumentieren.

2.5 Relevanz: Aus geeigneten Daten entsteht Wissen

Seit wir begonnen haben, auf vielfältigste Art und Weise digitale Daten zu erzeugen,
stehen wir einer stetig wachsenden Datenmenge gegenüber. Sie ist für uns ohne tech-
nische Hilfsmittel nicht mehr handhabbar und interpretierbar. Daten sind überall im
Übermaß vorhanden, doch Wissen ist das noch lange nicht. Aus geeigneten Daten
letztlich Wissen entstehen zu lassen, wird zu einer Kunst, die zu den wesentlichen
Voraussetzungen der »Prozessoptimierung 4.0« zählt. Ob Daten überhaupt das Poten-
zial haben, Wissen entstehen zu lassen, entscheidet sich an ihrer Relevanz. Sei es das
Kaufverhalten von Kunden oder eine Prozessvorhersage: Die Unterscheidung in rele-
vante und nicht relevante Daten (siehe Abbildung 9) ist zur vordringlichsten Aufgabe
im Unternehmen geworden.

59 Ruhend im Sinne, dass sie an exakt lokalisierbaren Orten, z. B. Sender, Empfänger, Anwendung finden.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Abb. 9: Nadel im Heuhaufen – Differenzierung in relevante und nicht relevante Datenbestände;


Quelle: Eigene Grafik

Firmen, die nicht in der Lage sind, die für sie letztlich relevanten Daten zu identifi-
zieren, werden öfter Entscheidungen auf Basis irrelevanter Daten treffen und Gefahr
laufen, das Unternehmen in eine ungünstige oder sogar existenziell bedrohliche Rich-
tung zu entwickeln. Experten schätzen, dass gerade einmal 5 % der heute verfügbaren
Daten für inhaltliche Analysen und Auswertungen Relevanz besitzen.60

* Berichte, Reports
Ent- * Dashboards
schei-
dungen

* Analytics und Interpretation


Wissen * Trends und Modelle
* Scoring

* Integration
* Aggregierung
Informationen * Daten Dritter
* Soziale Medien
* Integrität
* Validierung
Daten * Komplettheit
* Daten-Management

Abb. 10: Digitales »Erdöl«: Von Daten zum »Wissen« Quelle: Cap Gemini (2012): Business Process
Analytics: Unlocking the Power of Data and Analytics: Transformin Insight into Income, S. 6

Der alltagssprachliche Umgang mit den Begriffen »Daten«, »Informationen« und »Wis-
sen« ist eher sorglos. In der Umgangssprache sind sie nur unscharf voneinander abge-

60 IDC Studie Digital Universe (2014): https://www.emc.com/leadership/digital-universe/index.htm (Zugriff:


22.05.2017).

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2.5 Relevanz: Aus geeigneten Daten entsteht Wissen

grenzt und werden synonym verwendet. Was unterscheidet nun Daten von Informati-
onen und Wissen? Der österreichisch-amerikanische Schriftsteller Erwin Chargaff fand
für sich folgende recht eingängige Formulierung: »Wissen ist etwas, was man mit dem
Herzen sucht. Informationen kommen ungefragt.« Im Grunde besteht alles, was wir um
uns herum wahrnehmen, aus Daten. Egal, ob sie für uns eine Bedeutung haben oder
nicht, alles ist auf Daten zurückzuführen.

Betrachtet man die Inhalte an sich, haben sich die folgenden Definitionen als
zweckmäßig erwiesen:

Daten sind zeichen- oder symbolorientierte Abbildungen von Sachverhalten. Dadurch,


dass wir Daten eine Struktur (Anwendung einer bestimmten Syntax) geben und ihnen
eine bestimmte Bedeutung zuweisen (Semantik), erhalten wir Informationen. Durch
unser Denken wiederum entsteht Wissen, indem wir Informationen nach logisch-
funktionalen Gesichtspunkten miteinander verknüpfen, analysieren und so zu neuen
Erkenntnissen gelangen.

Folgendes Beispiel soll illustrieren, was gemeint ist. Mein Abruf der Wetterinforma-
tionen am Oberstdorfer Nebelhorn über die Webcam https://www.das-hoechste.de/
service/webcams/livecam-nebelhorn.html brachte mir folgende Informationen ein:

BEISPIEL

Am 09.10.2016, 16 Minuten und 10 Sekunden nach 12 Uhr mittags betrug die


Temperatur –0.5° Celsius bei leichtem Schneefall.

Damit fand ich Folgendes an Daten, Informationen und Wissen für mich heraus (siehe
Tabelle 2):

Daten 09.10.2016, 12:16:10, -0.5

Informationen Am 9. Oktober 2016 beträgt die Mittagstemperatur am


Nebelhorn -0.5° Celsius.

Wissen Es ist schon Anfang Oktober kalt auf dem Nebelhorn.


Wer hinaufwill, muss warme Kleidung mitbringen.

Tab. 2: Aus Daten Informationen entwickeln und Wissen ableiten; Quelle: Eigene Darstellung

Unternehmen, die heute schon zu datengetriebenen Entscheidungen finden, gehören


zum obersten Drittel ihrer jeweiligen Branchen und sind im Durchschnitt um 5 % pro-
duktiver und 6 % profitabler. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant und wirt-

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

schaftlich von Bedeutung und zeigt sich zudem an deutlich höheren Bewertungen am
Aktienmarkt.61

2.6 Digitale Disruptoren: Die Kunst der kreativen Zerstörung

Der Journalist und Wirtschaftswissenschaftler Christoph Keese beschreibt in seinem


Buch »Silicon Valley« den Besuch der Innovationskonferenz »TechCrunch Disrupt« in
San Francisco mit diesen Worten: »Aus den Konzertlautsprechern hämmert ein Jingle
in Endlosschleife: ›Disrupt‹ ruft eine tiefe Rapperstimme in den abgedunkelten Saal, der
Schriftzug Disrupt beginnt psychedelisch auf den Leinwänden zu flackern. Immer wieder
ertönt dieser monotone, mitreißende Ruf, so eindringlich vorgetragen wie die Zauber-
formel eines Indianerstammes. Disrupt, Disrupt, Disrupt. Irgendwann hat der Begriff das
Unterbewusstsein jedes Kongressteilnehmers erreicht.«62 Vieles deutet tatsächlich dar-
auf hin, dass der digitalen Revolution ein starker Zug der Disruption innewohnt. Eine
disruptive Technologie (engl. to disrupt = unterbrechen, zerreißen, sprengen, stören)
ist eine Innovation, die heutige Technologien, Produkte oder Dienstleistungen voll-
ständig zu verdrängen imstande ist. Mit anderen Worten: Wenn eine neue Idee eine
ganze Branche in ein Trümmerfeld verwandelt, dann ist sie disruptiv.

Zu den Indikatoren für den disruptiven Charakter der Digitalisierung zählt u. a. die
geringe Einstiegsschwelle für digitale Start-ups in etablierte Märkte. Beispiele für
aufstrebende Disruptoren finden sich in der neuesten Wirtschaftsgeschichte in Unter-
nehmen wie Uber, Alibaba, Facebook oder Airbnb. Das Geschäftsmodell, das diese
Firmen miteinander verbindet, ist im Kern die leichte und kostengünstige Zusammen-
führung von Angebot und Nachfrage über eine digitale Plattform. Im Wesentlichen
bieten Uber oder Airbnb die effiziente Nutzung nicht ausgelasteter Ressourcen an.
Dabei werden Menschen zu Anbietern von Dienstleistungen, die sich bislang nie als
Anbieter von Dienstleistungen verstanden haben. So macht ein freier Sitzplatz das
Privatauto zum Taxi oder ein ungenutztes Schlafzimmer das Eigenheim zum Hotel. Ein
entrümpelter Keller macht Privatleute zu Einzelhändlern, wenn sie ihre Fundstücke
über eBay verkaufen. Der Medienexperte Tom Goodwin drückt es in einem Artikel des
Nachrichtenportals TechCrunch (dem Veranstalter der Innovationskonferenz »Tech-
Crunch Disrupt«) so aus:

»Uber, das größte Taxiunternehmen der Welt, besitzt keine Fahrzeuge. Facebook,
Eigentümer des populärsten Mediums der Welt, erzeugt keine Inhalte. A ­ libaba,

61 McAfee/Brynjolfsson: Besser entscheiden mit Big Data, in: Harvard Business Manager, November 2012, S. 23–30.
62 Keese, Christoph (2014): Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Knaus
Verlag, München, S. 107 f.

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2.7 3D-Druck: Industrieproduktion immer und überall?

der wertvollste Einzelhändler, hat keine Lagerbestände. Und Airbnb, der welt-
größte Anbieter von Unterkünften, besitzt keine Immobilien.«63

Digitale Plattformen haben ihre Prozesse fast vollständig digitalisiert und in der Platt-
form integriert. Prozesse verlaufen transaktionsbasiert und stellen in ausreichender
Menge Daten zur Verfügung, die es erlauben, die Nutzungsgewohnheiten ihrer Kunden
im Detail zu analysieren und dadurch die Attraktivität der Plattform weiter gezielt zu
steigern.

2.7 3D-Druck: Industrieproduktion immer und überall?

Bewohnbare Häuser aus dem 3D-Drucker sind bald Realität. Im April 2017 wurden
außerdem industrielle 3D-Drucker erstmals vorgestellt, die eine kostengünstige,
schnelle Massenproduktion von Kleingütern ermöglichen sollen.64 Mit der zuneh-
menden Verbreitung des 3D-Drucks wird eine dezentrale Fertigung und Ersatzteilbe-
schaffung einfacher und kostengünstiger. Diese Entwicklung wirkt sich nicht nur auf
Supply Chains (Lieferketten) und die Planung neuer Fertigungsstätten aus, sondern
auch auf die Art und Weise, wie Menschen innerhalb eines Unternehmens zukünftig
zusammenarbeiten werden. Anstelle riesiger zentraler Produktionsstätten werden
kleine regionale und hoch spezialisierte Fertigungsstätten entstehen, die von spezi-
alisierten Heimarbeitern (Designer, Konstrukteure, Ingenieure, Sachbearbeiter etc.)
unterstützt werden. Diese entstehende Flexibilisierung in der Zusammenarbeit von
Teams erfordert technische Unterstützung in den Kollaborationsbemühungen. Digi-
tale Werkzeuge, wie Messenger-Dienste, virtuelle Meeting-Räume, Video Conferen-
cing Tools, Cloud-Speicher, Chats und spieltypische Elemente (Gamification) werden
den Arbeitsalltag mehr und mehr bestimmen.

Der 3D-Drucker markiert einen Wendepunkt für Fertigungs- und Logistikprozesse,


wie wir sie kennen. Manch einer spricht in diesem Zusammenhang sogar vom »Zusam-
menbruch der Supply Chain«.65 Fakt ist jedoch, dass die additive Fertigung schrump-
fend auf die klassische Supply Chain wirken wird. Lieferanten werden für Ersatz-
beschaffungsprozesse zukünftig sorgfältig abwägen, ob sich die Aufstellung eines
3D-Druckers vor Ort beim Kunden kostengünstig und zeitlich unkritisch realisieren
lässt. Anstatt mühsamer Ersatzteiltransporte oftmals über Landes- und Kontinental-
grenzen hinweg, versenden Lieferanten einfach einen elektronischen Blueprint des

63 Goodwin, Tom: In the age of disintermediate the battle is all for the consumer interface, in: TechCrunch,
März 2015.
64 https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/bewohnbare-haeuser-aus-dem-3d-druck-sind-bald-
realitaet_84342_414006.html (Zugriff: 07.06.2017).
65 Cole, Tim (2015): Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft
verschläft und was jetzt getan werden muss! Vahlen Verlag, München.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Bauteils an ihre Kunden. Diese »drucken« dann das Bauteil vor Ort in ihrer Fabrik aus.
Das senkt Logistikaufwände und vermeidet Stillstände von Anlagen und Fertigungs-
prozessen aufgrund fehlender Bauteile. Darüber hinaus werden Lagerkapazitäten bei
Lieferanten und Kunden geschont, da Bauteile nicht mehr vorgehalten werden müs-
sen, sondern im Bedarfsfall einfach am Einsatzort erzeugt werden. Daneben wirkt
sich additive Fertigung günstig auf Rohstoffbevorratung und Abfallentsorgung aus.
Im Gegensatz zur subtraktiven Fertigung, wo Dreh- und Fräsmaschinen Späne fliegen
lassen, entsteht kein Abfall und kaum Ausschuss. Dies ist effizienter und nebenbei
auch umweltfreundlich.

Auch der Charakter von Fertigungsprozessen wird sich mit dem Einsatz von 3D-Dru-
ckern wandeln. Im Prinzip sind 3D-Drucker der Gegenentwurf der Massenfertigung.
Im Vordergrund stehen vielmehr Individualität und Flexibilität anstelle hoher Stück-
zahlen und Skaleneffekte. Durch additive Fertigung werden die Voraussetzungen für
die Produktion kundenspezifischer Kleinstserien bis hin zur wahrhaft einzigartigen
»Losgröße 1« geschaffen. Damit läutet der 3D-Druck auch das Ende der Massenferti-
gung ein und erlaubt es Kunden, tief und spät in den Fertigungsprozess einzugreifen,
um ihr Wunschprodukt fertigen zu lassen.

2.8 Digitalisierung ist nichts für Feiglinge

»Disruptiver Wandel« – das ist ein dankbares Thema für Sachbuchautoren, Kolum-
nisten und Philosophen. Für Unternehmen und die in ihnen arbeitenden Menschen
bedeutet es jedoch eine harte Realität, ja, bisweilen eine existenzielle Herausforde-
rung. Das betrifft die Ebene der Prozesse in besonderem Maße. Viele, die sich trotz
ineffizienter Prozesse bisher noch über Wasser halten konnten, werden das im digita-
len Zeitalter nicht mehr können. Eine der Kernfragen, denen ich in diesem Buch nach-
gehe, ist auch die nach der Art und Weise der zu erwartenden Prozessveränderungen,
die eine Digitalisierung mit sich bringen wird. Dabei ist zunächst wichtig, zu erkennen:
Auch ohne »digitales« Zutun verändern sich Prozesse ständig. Sie bilden »lebendige«,
dynamische Objekte, die sich ab dem Moment ihrer Entstehung wandeln.

2.8.1 Selbstständige Prozesse: Die Befreiung vom Menschen

Prozesse durchziehen jede Organisation, wie die Blutbahnen unseren Körper. Sie sind
die »Arterien« des Unternehmens und schaffen einen lebendigen Organismus. Es han-
delt sich um einen von Menschen entwickelten, von Menschen getragenen und für
Menschen bestimmten wertschöpfenden Ablauf. Es ist essenziell, sich das einmal vor
Augen zu führen, da Digitalisierung (und die damit zwangsläufig einhergehende Auto-
matisierung) am Menschen ansetzt und versucht, »analoges« (Prozess-)Verhalten in

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2.8 Digitalisierung ist nichts für Feiglinge

eine Welt aus Nullen und Einsen, eben eine »digitale« Welt, zu überführen. Ohne allzu
pathetisch klingen zu wollen oder mich auf unsicheres ethisches Terrain zu begeben,
möchte ich doch behaupten, dass Digitalisierung – zumindest in Teilen – auf eine »Ent-
menschlichung« der Prozesse abzielt.

Digitalisierung bedeutet zunächst, den Prozess an den Stellen zu automatisieren,


wo es sinnvoll und möglich ist. Beispielsweise in der Fertigung durch den Einsatz
von Robotern, die manuelle Fertigungsschritte ersetzen oder in der Verarbeitung
von Informationen durch die Schaffung einer durchgängigen und integrierten IT-
Landschaft, mit der manuelle Arbeiten auf ein Mindestmaß (z. B. Auftragseingabe,
Kontrolle, Genehmigungen) reduziert werden können. Oder durch die Vernetzung
von Prozessen, wodurch neue Wertschöpfungsketten entstehen, welche vormals mit
Menschen besetzte Prozessschnittstellen (z. B. Fertigung und Beschaffung) obsolet
machen. In der Zukunft wird ein Fertigungsprozess in der Lage sein, bei Bedarf selbst-
ständig Bestellungen auszulösen und Beschaffungsvorgänge mit Lieferantenprozes-
sen direkt ohne menschliches Zutun vorzunehmen. Aber auch durch weniger direkte
Maßnahmen, wie die Sensorisierung von Arbeitsschritten, wird es leichter fallen, Inef-
fizienzen aufzudecken, Zeitverluste sichtbar zu machen und Prozesse weiter zu ver-
schlanken. Pointiert ausgedrückt: Der Prozess wird vom Menschen befreit.

2.8.2 Verstärkter Technologieeinsatz: Jobs nur noch für Roboter?

Dass die Digitalisierung bereits jetzt großen Einfluss auf unser Berufs- und Privatle-
ben hat, ist unbestritten. Wie groß dieser Einfluss zukünftig noch werden könnte, zeigt
eine Studie aus dem Jahr 2013 der beiden Wirtschaftsforscher Carl Benedikt Frey und
Michael A. Osborne.66 Eine Analyse von über 700 Berufsgruppen ließ sie zu dem Schluss
kommen, dass in den nächsten 15 bis 20 Jahren fast die Hälfte (ca. 47 %) der ameri-
kanischen Arbeitsplätze durch Digitalisierung akut bedroht sind. Und zwar mit einer
Wahrscheinlichkeit von über 70 %. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
in Mannheim hat die Studienergebnisse auf Deutschland übertragen. Eine tätigkeits-
basierte Betrachtung aller Berufsgruppen zeichnet ein für Deutschland weniger
bedrohliches Bild. In Deutschland sind demnach in den nächsten 15 bis 20 Jahren
rund 12 % der Arbeitsplätze durch Digitalisierung und Automatisierung gefährdet.
Immerhin betrifft dies aber auch noch rund fünf Millionen Beschäftigte. Wenig überra-
schend zeigen Arbeitnehmer mit geringem Bildungsabschluss die höchste Vulnerabi-
lität gegenüber der Prozessdigitalisierung (Digitalisierung von Tätigkeiten).

66 Frey/Osborne (2013): The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation, University
of Oxford.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Eine Industriestudie des Beratungsunternehmens Roland Berger GmbH schätzt, dass


allein in der Logistikbranche innerhalb der Eurozone in den nächsten zehn Jahren unge-
fähr 1,5 Millionen Jobs durch Robotisierung vernichtet werden. Das entspricht rund
40 % der insgesamt 3,6 Millionen Logistikarbeitsplätze in der Eurozone. Durch den ver-
stärkten Technologieeinsatz und damit verbundene Skaleneffekte erwartet Roland Ber-
ger zudem Kosteneinsparungen von ca. 20–40 % durch Robotik-Technologien.67

Die gute Nachricht ist, dass durch die zum Einsatz kommenden neuen Technologien,
das Entstehen einer datengetriebenen Prozesswirtschaft sowie intelligente Hard-
und Softwarelösungen eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze und neuer Berufsgruppen
geschaffen werden können. Allerdings sind das durchweg Berufe, die ein deutlich
höheres Ausbildungsniveau und ein höheres Maß an Spezialisierung erfordern, als es
viele heutige Beschäftigte vorweisen können. Hier rächen sich nun auch Fehler der
Vergangenheit. Als beispielsweise der Autohersteller Opel eines seiner deutschen
Werke dauerhaft schloss und die Beschäftigten bei den Arbeitsagenturen vorstellig
wurden, zeigte sich, dass einige von ihnen seit Jahrzehnten an keiner beruflichen Fort-
bildung mehr teilgenommen hatten. Diese Arbeitnehmer sind – trotz guter Konjunk-
tur – bereits heute kaum mehr in gleichwertige Jobs vermittelbar.

2.8.3 Chancen der Zukunft: Neue digitale Berufsbilder

In der Diskussion um die Zukunft der Arbeitswelt halten sich optimistische und pessi-
mistische Prognosen die Waage. Kaum bestritten ist dabei, dass sich zahlreiche neue
Chancen ergeben werden. Die Frage ist mehr, wer die Chancen nutzen kann. Technolo-
gienahe Berufe befinden sich fraglos im Aufwind. Im Folgenden möchte ich einige die-
ser neuen Berufsbilder, die wir in Zukunft im Kontext digitaler Prozesse öfter antreffen
dürften, vorstellen.68

2.8.3.1 (Chief) Data Scientist: Meister der digitalen Prozesse

Dahinter verbirgt sich zukünftig eine der wichtigsten Rollen in einer digitalen, daten-
getriebenen Prozesswirtschaft. Analysen von Data Scientists werden mehr und mehr
Einfluss auf die Prozessoptimierung nehmen. Zu den Kernaufgaben eines Data Scien-
tists gehören der Umgang mit riesigen Datenmengen, die Entwicklung performanter
Analysealgorithmen, die Auswertung der Daten und die Entwicklung von Prozessop-

67 Roland Berger: Of Robots and Men – in Logistics, in: Think Act Magazin, April 2016.
68 In Anlehnung an WirtschaftsWoche: http://www.wiwo.de/erfolg/zukunftderarbeit/gefragte-digitaljobs-13-
berufe-mit-zukunft/10934804.html (Zugriff: 06.11.2016).

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2.8 Digitalisierung ist nichts für Feiglinge

timierungsmaßnahmen. Seine Werkzeuge sind nebst Programmierungs- und fundier-


ten Business-Intelligence-Kenntnissen auch Echtzeitanalysen, Simulationen und Pro-
zessverhaltensvorhersagen.

2.8.3.2 Chief Digital Officer (CDO)/Chief Process Officer (CPO):


Steuermann auf der Brücke

Der Chief Digital Officer (CDO) ist der oberste Digitalisierungsbeauftragte eines
Unternehmens und vertritt seine Belange am vorteilhaftesten sogar als Mitglied des
Vorstands bzw. der Geschäftsführung. Da die Digitalisierung entlang der Wertschöp-
fungskette erfolgen muss, liegt die Zusammenlegung mit der Rolle des obersten
Prozessverantwortlichen (Chief Process Officer, CPO) nahe. Er gibt Leitlinien für die
Digitalisierung der Prozesse vor, entwickelt neue Wertschöpfungsketten (Geschäfts-
felder), führt innovative Technologien ein und fördert vernetztes Arbeiten.

2.8.3.3 Data Strategist: Weiser im digitalen Universum

Die Aufgabe eines Data Strategists ist die Vorgabe von Richtlinien für den Umgang mit
Daten. In sein Arbeitsportfolio fällt u. a. die Beantwortung der folgenden Fragen:
y Welche Informationen können bedenkenlos in welchem Zusammenhang verwen-
det werden?
y Wo liegen rechtliche Grenzen bei der Auswertung von Daten?
y Wo befinden sich ethische »Barrieren«?

Seine Position ist meist in Vorstandsnähe angesiedelt, da seine Arbeit unternehmens-


weiten Einfluss hat und Fehlentscheidungen meist rasch zu ernsthaften Problemen
führen können.

2.8.3.4 Mobile Developer: Architekt der mobilen Welt

Der Mobile Developer ist keine ganz neue Rolle, erfährt aber im Zuge des Internet of
Things und der korrespondierenden Digitalisierung sozusagen ein Upgrade. Als Ent-
wickler kümmert er sich um neue Programme für Smartphones, Tablets, Wearables
und alle Arten mobiler Sensoren (Embedded Systems). Bei kleinen Unternehmen ist
er nicht nur Architekt und Ideengeber, sondern programmiert Anwendungen selbst.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

2.8.3.5 Digital Supply Chain Manager: Logistik-Manager 4.0

Der Digital Supply Chain Manager stellt eine Weiterentwicklung des bisherigen Logis-
tik-Managers dar. Digital Supply Chain Manager sorgen nicht nur dafür, dass sie durch
digitale, vernetzte Logistikprozesse Echtzeitzugang zu den Lagerbeständen ihrer
Lieferanten haben und danach ihre eigene Lagerhaltung ausrichten (also schlanker
halten als ohne dieses Wissen), sondern dass sie die Digitalisierung und Vernetzung
der ihnen anvertrauten Prozesse vorantreiben und sie in Zusammenarbeit mit Data
Scientists aktiv analysieren und verbessern.

2.8.3.6 Feelgood Manager: Der Kulturbeauftragte

Der Feelgood Manager ist das digitale Upgrade des Personalmanagers. Er sorgt dafür,
dass Mitarbeiter ein Umfeld vorfinden, in dem sie sich wohlfühlen und ihre beste
Leistung abrufen können. Zu seinen Aufgaben gehört u. a. die Anpassung und Wei-
terentwicklung neuer Kollaborationsformen (Heimarbeit, virtuelle Teams, Crowd-
sourcing etc.), die durch Prozessdigitalisierung möglich werden. Er verschafft seinem
Unternehmen Wettbewerbsvorteile auf dem Arbeitsmarkt, da sich die besten Talente
zunehmend ihren Arbeitgeber aussuchen können.

2.8.3.7 Touchpoint Manager: Der Kundenversteher

Der Touchpoint Manager gibt Leitlinien und Inhalte für die Kommunikation mit dem
Kunden vor und strebt nach einer starken Vernetzung zwischen Kunden und Unter-
nehmensprozessen. Dabei ist es ihm wichtig, dem Kunden zahlreiche Kontakt- und
Interventionsmöglichkeiten (Touchpoints) entlang der Wertschöpfungskette anzu-
bieten. Die fortschreitende Integration des Kunden im Unternehmen liefert ihm wie-
derum eine starke Datengrundlage zur Analyse und Verbesserung der Kundenpro-
zesse und -beziehungen.

2.8.3.8 Cyber Security Manager: Digitaler Abwehrchef

Auch das ist keine wirklich neue Unternehmensrolle, jedoch erfährt sie durch die
zunehmende Digitalisierung einen sprunghaften Bedeutungszuwachs. Neben der
Analyse, Prävention und Abwehr firmenfremder Bedrohungen entwickelt der Cyber
Security Manager Strategien zur Daten- und IT-Sicherheit. Darüber hinaus etabliert er
Sicherheitsstandards und -richtlinien für die Mitarbeiter.

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2.8 Digitalisierung ist nichts für Feiglinge

2.8.3.9 Crowdsourcing Manager: Der virtuelle Personalchef

Die Rolle des Crowdsourcing Managers entwickelt sich als digitale Antwort auf die
zunehmende Projektarbeit in den Unternehmen. Erste Firmen greifen in stärkerem
Maße, in einer mit dem Unternehmen assoziierten Crowd, auf externe Mitarbeiter zu.
Die Aufgabe des Crowdsourcing Managers ist es, aus seinen Projektaufträgen kleine
oder sogar kleinste Arbeitspakete zu definieren und sie an die externen Mitarbeiter,
also die Crowd, weiterzugeben. Da alles elektronisch über eine integrierte IT-Platt-
form (z. B. der Crowdsourcing Dienst Mechanical Turk [MTurk]) läuft, kann der Arbeits-
fortschritt der Crowd jederzeit kontrolliert werden.

2.8.3.10 Maintenance Manager: Digitaler Wartungsingenieur

Die klassische Rolle des Wartungsingenieurs geht mehr und mehr in der digitalen
Rolle des Maintenance Managers auf. Mit zunehmendem Digitalisierungsgrad werden
Prozesse selbstständiger und melden Wartungsbedarfe eigenständig an. Der Mainte-
nance Manager stellt die Informationsfähigkeit der ihm anvertrauten Prozesse sicher
und sorgt dafür – durch Analyse und Auswertung der Prozessdaten, durch Vorher-
sagen des Prozessverhaltens –, dass in Zukunft notwendige Ersatzbetriebsmittel in
ausreichender Menge vorhanden sind und Wartungsarbeiten vor dem Eintritt eines
notwendigen Wartungsfalles (Verbrauch, Fehler) frühzeitig terminiert werden.

2.8.3.11 Customer Experience Manager: Reiseleiter für die


Kundenerfahrung

In den letzten Jahren haben zahlreiche Unternehmen begonnen, Kundenprozesse in


Form von »Customer Journeys« auf ihre Kundenfreundlichkeit hin zu untersuchen.
Das Ergebnis war die Schaffung eines neuen Berufsbildes, des Customer Experience
Managers. Auch dieser Rolle muss in Zukunft mehr Bedeutung zugemessen werden,
da der Kunde in immer stärkerem Grad die Produkte und Dienstleistungen, die er
beziehen möchte, beeinflussen kann. Durch die zunehmende Einbindung und Vernet-
zung der Kunden mit den Unternehmensprozessen nimmt die Prozesstransparenz zu
und die Art und Weise, wie Kunden den Prozess erleben, beeinflusst in immer stär-
kerem Maße den Unternehmenserfolg. Der Customer Experience Manager stellt das
Prozesserlebnis in den Vordergrund und sorgt für eine einfache, bedienerfreundliche,
klare und intuitive Prozessgestaltung aus Kundensicht.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

2.9 Aufbruch in die Unternehmenswelt von Morgen

Wie lange kann unsere gewohnte Welt der Industriegesellschaft mit ihren Fabriken
und Büros, ihren langjährigen abhängigen Beschäftigungsverhältnissen und ihren
zu festen Größen der Lebensplanung gewordenen Ritualen – wie Jahresurlaub oder
Renteneintritt – noch Bestand haben? Die Digitalisierung von Prozessschritten erfor-
dert jedenfalls eine durchdachte Zerlegung in präzise definierte und abgegrenzte
Tätigkeiten mit klar umrissenen Ergebnissen. Nicht nur lassen sich klar begrenzte und
wohldefinierte Prozessschritte leichter überwachen, sondern liefern auch mehr und
qualitativ hochwertigere Daten über die entsprechenden Tätigkeiten. Die dadurch
entstehende Datenbasis erlaubt wiederum die Entwicklung noch leistungsfähigerer
und aussagekräftigerer Algorithmen, die diese Prozessschritte ausfüllen, Echtzeitin-
formationen anbieten und Prozessvorhersagen treffen können.69

Profiteure dieser Entwicklung sind sogenannte Crowdsourcing- (oder auch Human-Cloud-)


Plattformen, in denen der Prozess oder zumindest Teile davon ablaufen können und die
Zuteilung von Prozessschritten über bestimmte Algorithmen (Matching Patterns, Zufrieden-
heitsrankings, Abrechnungsvorgänge) geregelt wird. Dahinter stehen motivierte Kleinunter-
nehmer und Selbstständige, die an jedem Ort der Welt die ihnen zugewiesenen Tätigkeiten
erfüllen können. Ein Beispiel solch einer Crowdsourcing-Plattform ist der Dienst Mechanical
Turk (MTurk: www.mturk.com) des Online-Giganten Amazon. Über diesen Dienstleistungs-
marktplatz können Unternehmen bereits heute Prozesse und Aufgaben externalisieren
und den Arbeitsfortschritt online verfolgen. Diese neue Form des Prozess-Outsourcings
fördert die Verschiebung festangestellter Arbeitnehmer hin zu als Kleinunternehmer und
Selbstständige tätigen Berufsgruppen. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung zur Ent-
wicklung des Arbeitsmarktes bis ins Jahr 2030 werden sechs mögliche Entwicklungsszena-
rien betrachtet. Der Großteil der Szenarien fußt auf einer stark ausgeprägten Wirtschaft an
Selbstständigen, welche die dominante Arbeitsform der Zukunft sein könnte.70

Mit all den unmittelbar vor der Haustür stehenden Entwicklungen wird wohl auch der
Veränderungsdruck auf Unternehmen und Mitarbeiter zusehends steigen. Firmen müs-
sen nun Wege finden, ihre Mitarbeiter auf diese Veränderungen vorzubereiten und sie
gleichsam befähigen, spezialisierte und höher qualifizierte Arbeitsplätze auszufüllen.
Mitarbeiter müssen lernen, in Prozessen zu arbeiten, die immer intelligenter, leistungsfä-
higer und stärker vernetzt werden. Dazu bedarf es gänzlich neuer Bildungsmodelle und
der Aufnahme digitaler Lerninhalte in die Personalentwicklung. Neue Bildungsmodelle
müssen zukünftig in wesentlich stärkerem Maße Job-Rotationen – vor allem für altein-
gesessene Spezialisten – vorsehen, um bestehendes Silo-Denken aufzubrechen und ein

69 Schwab, Klaus (2016): Die Vierte Industrielle Revolution, Pantheon Verlag, München.
70 Landmann/Herrmann (2016): Auf dem Weg zum Arbeitsmarkt 4.0? Mögliche Auswirkungen der Digitalisie-
rung auf Arbeit und Beschäftigung in Deutschland bis 2030, Berlin, Bertelsmann Stiftung.

72
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2.10 Eine Welt aus Projekten: Alles wird »agil«

besseres Verständnis über die gesamte Wertschöpfungskette, über Vernetzungspunkte


zu anderen Prozessen und Wissen über neue digitale Prozesswerkzeuge aufzubauen.
Gleichzeitig kann es durchaus sinnvoll sein, eine gewisse Volatilität zuzulassen und aus-
scheidende Mitarbeiter durch neue Mitarbeiter mit digitalem Kompetenzprofil zu erset-
zen. Indem die Digitalisierung Mitarbeitern mehr Möglichkeiten bietet, abseits bestehen-
der Hierarchien zusammenzuarbeiten, sich auszutauschen und Inhalte voranzutreiben,
verlangt dies auch eine Veränderung bestehender Führungskulturen. Traditionelle Füh-
rungskulturen, welche Ziele, Aufgaben und Lösungswege vorgeben, entwickeln sich mit
zunehmender Digitalisierung fast zwangsläufig in transformationelle Führungssysteme.

Transformationelle Führungssysteme
Transformationelle Führungssysteme setzen auf eine höhere Eigenverantwortung und -mo-
tivation der Mitarbeiter. Führungskräfte geben dem Team Visionen vor und ermöglichen den
Mitarbeitern, selbstständig eigene Ansätze zur Umsetzung dieser Visionen zu entwickeln.

Der größte Veränderungsdruck lastet vermutlich auf den Schultern operativ-tätiger


Führungskräfte (meist im mittleren Management beheimatet), die nun vor der Aufgabe
stehen, Prozesse mit dem Einsatz neuer digitaler Technologien zu transformieren, im
Team neue Berufsbilder einzuführen und neue Kompetenzen aufzubauen. Gleichzei-
tig wird von ihnen verlangt, neu entstehende Kollaborationsformen zu entwickeln
und im selben Atemzug die Kontrolle über Weg, Arbeitsweise und Ergebnisfindung an
die Mitarbeiter abzutreten – all das mit der Maßgabe, dass dies keine spürbaren Beein-
trächtigungen des Prozessbetriebs nach sich ziehen darf. Ein Spagat also, der schwer
zu bewältigen sein dürfte. Kein Wunder also, dass gerade im mittleren Management
die größten Widerstände gegen diese Entwicklungen zu finden sind. Unternehmen
sind nun gefordert, Mitarbeiter und Führungskräfte auf diese Veränderungen vorzu-
bereiten und Organisation und Prozesse behutsam weiterzuentwickeln.

2.10 Eine Welt aus Projekten: Alles wird »agil«

Das Leben als eine Abfolge von Projekten zu betrachten, scheint zum postmodernen
Lebensgefühl zu gehören. Ob die Arbeitswelt hier Taktgeber oder Spiegel ist, lässt sich
schwer entscheiden. Fraglos ist bereits heute in Unternehmen der Anteil der Projektar-
beit im Vergleich zum Tagesgeschäft sehr hoch, und er dürfte in Zukunft weiter steigen.71, 72

71 Hofmann/Rollwagen/Schneider (2007): Deutschland im Jahr 2020: Neue Herausforderungen für ein Land
auf Expedition, Frankfurt, Deutsche Bank Research. Die Projektwirtschaft in Deutschland steigt rapide an.
2007 betrug ihr Wertschöpfungsbeitrag noch 2 %, in 2020 wird die Wertschöpfung aus projektwirtschaftli-
chen Abläufen auf über 15 % ansteigen.
72 Rump/Schnabel/Alich/Groh (2010): Betriebliche Projektwirtschaft: Eine Vermessung, Mannheim, S. 8.
Mittlerweile sind durchschnittlich rund 37 % aller Arbeitsabläufe in Unternehmen projektwirtschaftlich
organisiert.

73
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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

Mit zunehmender Prozessdigitalisierung kommt der Projektarbeit immer mehr Bedeutung


zu. In den Prozessen verbinden sich die verschiedenen Arbeitsbereiche des Unternehmens
und kulminieren in einer mehr oder weniger stabilen Prozessleistungsfähigkeit. Zahlreiche,
oft historisch gewachsene Einflussfaktoren, wie beispielsweise eine nicht durchgängig mit
dem Prozess integrierte IT, teilweise veraltete Technologien, stark spezialisiertes Wissen,
ineffiziente Arbeitsteilung, unscharfe Rollenabgrenzungen, Fluktuation, Ressourcenman-
gel oder ein hohes organisatorisches Beharrungsvermögen schaffen teilweise diffizile,
nicht immer sehr robuste Wertschöpfungsketten (Geschäftsprozesse mit allen Objekten
inklusive Ablauf- und Aufbauorganisation). Veränderungen entlang solcher Wertschöp-
fungsketten müssen daher behutsam vorgenommen werden, um die in jedem Prozess
bestehenden Engpässe und Brennpunkte nicht zuungunsten der Prozessleistungsfähig-
keit zu verschieben.

Der Vorgang einer Prozessdigitalisierung ist an vielen Stellen mit diesen Unwägbar-
keiten verknüpft und steht sehr oft vor der Frage, ob das Mögliche auch sinnvoll und
nachhaltig ist. Projektarbeit braucht hier Freiräume, um Entscheidungen kurzfristig
treffen zu können und gleichzeitig den Prozess behutsam zu entwickeln. Klassische
Projektmanagement-Modelle stoßen da recht schnell an ihre Grenzen. Traditionel-
les Projektmanagement geht davon aus, dass das Endergebnis bereits zu Beginn zur
Gänze bekannt und in einem Lastenheft beschreibbar ist. Danach erfolgt eine mehr
oder weniger stark wasserfallgetriebene Umsetzung der Anforderungen, ungeachtet
der möglichen destabilisierenden Wirkung auf die Prozesse, die ein derart lineares
Vorgehen mit sich bringt.

Digitalisierungsprojekte benötigen die Möglichkeit, das Ergebnis implementierter


Veränderungen, also das »Prozess-Feedback«, auszuwerten und darauf im nächsten
Veränderungsschritt (also die nächste Maßnahme, Verbesserung) flexibel zu reagie-
ren. Dafür ist es notwendig, Projektmanagement neu zu denken und projektergeb-
nisoffen anzulegen und dem Projektteam mehr Entscheidungsbefugnisse und Gestal-
tungsmöglichkeiten einzuräumen. Dies ist bei agilen Projektmanagement-Methoden
der Fall. Im Nachfolgenden werden einige agile Methoden vorgestellt, die je nach Aus-
gangslage eingesetzt werden können.

2.10.1 Scrum: Mit Sprints zum Ziel

Dies ist sicherlich die bekannteste Methode des agilen Projektmanagements.


Ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammend, trägt sie dem Umstand Rech-
nung, dass der Zielprozess zu Beginn des Projekts noch nicht im Detail bekannt ist.
In kurzen, als »Sprints« bezeichneten Intervallen werden Teilaspekte des Zielpro-
zesses implementiert. Alle umzusetzenden Anforderungen werden in Product Back-
logs inventarisiert und nach ihrer Priorität vom Team abgearbeitet. Das Projektteam

74
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2.10 Eine Welt aus Projekten: Alles wird »agil«

bestimmt die Reihenfolge sowie die Art und Weise der Umsetzung daher selbst und
kann kurzfristig (d. h. im nächsten oder übernächsten Sprint) auf Änderungen (z. B.
verschlechterte Prozessleistung) reagieren.

2.10.2 Kanban: Kleine Schritte, große Wirkung

Kanban ist eine agile Methode zur Unterstützung evolutionärer Prozessveränderun-


gen. Die bestehenden Prozesse werden in kleinen Schritten verbessert. Indem viele
kleine Änderungen erfolgen, wird das Risiko für jede einzelne Maßnahme deutlich
reduziert. Darüber hinaus führt der sanfte Stil von Kanban in der Regel zu weniger
Widerständen bei allen Beteiligten.

2.10.3 Design Thinking: Immer an die Nutzer denken!

Im Gegensatz zu klassischen Herangehensweisen, die technische Lösbarkeit einer


Aufgabenstellung zu erarbeiten, setzt Design Thinking auf Kundenbedürfnisse und
Nutzerempfinden als zentrales Prozessausrichtungsmerkmal. Das Problem bzw. der
Prozess werden aus Sicht des Nutzers analysiert. Das Design-Thinking-Team begibt
sich dabei in die Rolle des Anwenders. Die Methode fordert eine stete Rückkopplung
zwischen Team und Zielgruppen und macht die Lösungen in Form von Prototypen vor-
zeitig sichtbar.

2.10.4 Weitere Werkzeuge

Darüber hinaus existiert noch eine Vielzahl weiterer agiler Methoden, wie Rapid Pro-
totyping (schneller Modellbau), Lean Start-up (Unternehmensgründung bei schlan-
ker Prozessführung), Hackathon (Wortschöpfung aus Hack [technischer Begriff] und
Marathon für eine gemeinsame Software- und Hardwareentwicklungsveranstaltung)
oder der Business Model Canvas (Visualisierung und Test einer Geschäftsidee). Für
eine Prozessentwicklung halte ich aber Scrum, Kanban und Design Thinking für die
geeigneteren Werkzeuge. Zudem ist durch die zunehmende Verbreitung dieser Metho-
den auch entsprechend ausgebildetes Personal in immer größerer Zahl verfügbar,73
was einen nicht unerheblichen Faktor in der Projektarbeit mit Prozessen darstellt.

73 Komus, Ayelt et al. (2014): Studie »Status Quo Agile«, Hochschule Koblenz.

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2 Lockruf der Daten: Ein neuer Goldrausch

2.11 Eine ganzheitliche, systemische und vernetzte Sicht

Ich hoffe, mit diesem Kapitel einen ersten Überblick über die Auswirkungen des
Kontextes »Digitalisierung« auf Unternehmen, Prozesse und Mitarbeiter gegeben zu
haben, der es nunmehr ermöglicht, sich im Bewusstsein eines größeren Ganzen mit
einzelnen Aspekten der Prozessoptimierung und -digitalisierung zu befassen. Es ist
mir immer ein zentrales Anliegen, eine ganzheitliche, systemische, vernetzte Sicht
einzunehmen – nicht allein auf Prozesse, sondern auch auf die Menschen hinter den
Prozessen und auf das, was eine Veränderung der Arbeits- und Lebensverhältnisse für
Menschen bedeutet.

Prozesse sind der Spiegel des Unternehmens und seiner Kultur. Ohne veränderungs-
bereite Menschen ist echte Prozessoptimierung im Sinne einer Weiterentwicklung des
Unternehmens nicht möglich. Und ohne Berücksichtigung des größeren sozialen und
kulturellen Kontext werden Menschen wiederum kaum veränderungsbereit sein.

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum


digitalen Wandel

Wenn die Weiden abgegrast sind, wenn alle Beeren und Pilze gesammelt sind und auch
kein Wildtier mehr freiwillig vorbeikommt, um sich erlegen zu lassen, dann ist es für die
Nomaden Zeit, aufzubrechen und weiterzuziehen. Vielleicht sind es die Ältesten, denen
als Erste die Einsicht kommt, dass der richtige Zeitpunkt da ist, sich auf den Weg zu
machen. Ihre Einsicht teilen sie dann abends am Lagerfeuer mit dem Rest der Gruppe.
Nomaden es gibt auch heute noch, in Südamerika z. B. oder in der asiatischen Steppe.
Trotz aller Einflüsse der modernen Zivilisation halten sie an ihrer Lebensweise fest und
haben anscheinend gar kein Interesse daran, ihr Leben gegen das von Großstadtbe-
wohnern einzutauschen. Doch warum sollte ein Mann vom Volk der Golok, ein extrem
geschickter Reiter, der auf seinem kräftigen und ausdauernden Pferd gemeinsam mit
der Yak-Herde über die weiten Grasebenen im Hochland von Tibet zieht, mit einem chi-
nesischen Fabrikarbeiter tauschen, der sich frühmorgens in einen Bus zwängt, um über
löchrige, schmutzige Straßen zur Fabrik zu gelangen, in der er zehn oder zwölf Stunden
lang die immer gleichen Handgriffe ausführt, tagein, tagaus dasselbe? Wir haben uns
so an unsere Sesshaftigkeit gewöhnt, dass wir angefangen haben, Unbeweglichkeit mit
Sicherheit zu verwechseln. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, in Bewegung zu
bleiben und sich zu verändern, wenn es an der Zeit ist.

3.1 Dem Veränderungsdruck kann sich niemand entziehen

Gerade in Deutschland haben es sich in den letzten Jahren viele bequem gemacht:
Sprudelnde Gewinne auf der einen Seite, weitreichende Arbeitnehmerrechte auf
der anderen Seite, dazu in zahllosen Unternehmen eine ausgeprägte Konsenskultur,
ließen eine Komfortzone wachsen, in der Veränderungen heute bisweilen mehr als
Bedrohung denn als Chance wahrgenommen werden. Lieber der chinesische Fab-
rikarbeiter sein, der weiß, was er hat, auch wenn sein Leben öde ist als der Golok-
Nomade, der ja hinter dem nächsten Berg weniger gute Bedingungen vorfinden
könnte als gewohnt. Je größer die Komfortzone der Menschen in einem Unternehmen
ist, desto problematischer droht eine Veränderung im Zuge der Digitalisierung zu wer-
den. Sich dem Veränderungsdruck zu entziehen, dürfte indes so gut wie niemandem
gelingen. Dafür sind die Treiber der Veränderung zu mächtig und treten zu geballt auf,
wie bereits ein kurzer Blick auf den aktuellen Stand der Entwicklung offenbart.

Allein das Aufkommen disruptiver Technologien, wie beispielsweise 3D-Druck, oder


die Entstehung neuer Geschäftsmodelle, wie z. B. der Siegeszug des »On-Demand«-
Prinzips, verdüstert die Mienen in den Chefetagen ganzer Branchen. Wenn Jugendli-
che Umfragen zufolge auf teure Autos keinen Wert mehr legen und es ihnen genügt,

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

sich online stundenweise einen Smart zu reservieren, dann muss das Branchengrößen
wie Audi, BMW und Daimler sicherlich zu denken geben. Ebenso sollte es den Maschi-
nenbau nachdenklich machen, wenn eines Tages nicht mehr jedes Bauteil eine eigene
Maschine braucht, sondern ein »Drucker« nur jeweils mit anderer Software gefüttert
werden muss. Auch hätten RTL und Sat.1 vor 15 Jahren wohl noch nicht für möglich
gehalten, dass sich ihre Zuschauer (die Zielgruppe ihrer Werbekunden) eines Tages
zwischen Fernsehserien und von Amazon selbst produzierten und über die eigene
Webseite gestreamten Serien entscheiden können.

Markteintrittsbarrieren fallen heute rasant, oft braucht man kaum mehr als ein paar Ser-
ver, um einer Branche das Fürchten zu lehren. Der Fahrdienst Uber, in Deutschland vom
Gesetzgeber noch erfolgreich eingebremst, hat jedenfalls schon an vielen Orten der Welt
Massenproteste von Taxifahrern provoziert. Neue Wertschöpfungsketten entstehen,
etwa, wenn Telekommunikationsunternehmen sich mit Medizintechnikfirmen zusam-
mentun und an Ferndiagnose-Tools für Patienten arbeiten. Digitalisierungspioniere sind
durch das Aufklappen einer Rendite- und Produktivitätsschere im Vorteil gegenüber
zögernden Mitbewerbern. So rufen die notleidenden deutschen Kaufhauskonzerne nach
der Freigabe der Sonntagsöffnung, um »Waffengleichheit« mit dem Online-Handel herzu-
stellen, vergessen darüber jedoch gern, dass sie es viele Jahre lang versäumt haben, selbst
auf mehr als nur symbolische Weise im E-Commerce tätig zu werden.

3.1.1 Bei den Prozessen ist die Digitalisierung am spürbarsten

Die Digitalisierung ist eine Veränderung, die alle Teile eines Unternehmens berührt.
Firmen stehen vor der Herausforderung, Strategien im Umgang mit disruptiven Ent-
wicklungen zu erarbeiten. Es kann jedoch gar nicht genug betont werden, dass die Ein-
flüsse der Digitalisierung in den Unternehmensprozessen am spürbarsten sind. Hier
sind die Herausforderungen für Veränderungen schon heute enorm und dürften sich
in den nächsten Jahren weiter massiv verstärken.

Da ist zunächst die Sensorisierung der Prozesse, d. h. das digitale Nachrüsten analo-
ger Prozessketten, zu nennen. Sensorisierte Komponenten, die beispielsweise in den
Antriebssystemen von Maschinen und Anlagen ständig Daten erfassen, schaffen die
grundlegenden Voraussetzungen für neue digitale Services, wie etwa Ferndiagnose
und Fernwartung. Das geht einher mit einem weiteren Ausbau von Automatisierung
und Robotisierung der Prozesse. Noch ist etwa die umstrittene Auftragsfertigung in
Handarbeit für Hardware-Riesen, wie Apple, HP oder Sony, günstiger als eine Automa-
tisierung und Robotisierung.

Der Auftragsfertiger Foxconn mit seinen 1,3 Millionen Mitarbeitern und einem Jahres-
umsatz von über 130 Milliarden Dollar wurde so zum Hidden Superchampion eines

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3.1 Dem Veränderungsdruck kann sich niemand entziehen

globalen Neo-Taylorismus. Das dürfte jedoch nicht für immer so bleiben. Je mehr
Robotik zum billigen Massenprodukt werden wird, desto weniger kann sich die Fer-
tigung von Hand in fernen Ländern noch lohnen. Amerikanische und europäische
Unternehmen könnten dann wieder mehr »zu Hause« produzieren, allerdings mit ganz
neuen Prozessketten und nicht unbedingt so, dass viele neue Arbeitsplätze entste-
hen. Die Supply Chain dürfte schrumpfen, wobei Technologien wie 3D-Druck diesen
Trend weiter anheizen.

Hinzukommen als nächste Trends die Vernetzung der Prozesse und das Entstehen
neuer Prozessketten (z. B. selbstfahrende Fahrzeuge als Verbindung von Automotive-
und Telekommunikationsprozessen). Wer wird beim selbstfahrenden Automobil das
Rennen machen? Die Schwergewichte der alten Industrie, wie Toyota, VW, Daimler?
Oder eher Apple, Google und Co., weil es auf die IT- und Prozesskompetenz mehr
ankommen wird und ausgereifte Fahrwerke auf dem Markt für alle verfügbar sind?
Tesla z. B. stellte mit dem Model S innerhalb nur weniger Jahre ein Fahrzeug auf die
Räder, das in puncto Qualität und Komfort mit Limousinen, wie Audi A6 oder der
BMW 5er-Reihe, auf Augenhöhe mithalten kann, mit Fahrzeugen also, hinter denen
Jahrzehnte an Entwicklungshistorie stehen. Angesichts der nur noch geringen Ferti-
gungstiefe bei Automobilen konnte sich Tesla die entsprechenden Komponenten auf
dem Weltmarkt zusammenkaufen und sie geschickt kombinieren. Das kundige Auge
entdeckt auch beim Model S von Tesla schnell Schalter und Komponenten, die mit der
deutschen Oberklasse identisch sind.

Andere Unternehmen sind etwa Vorreiter bei der Individualisierung von Produkten
und Dienstleistungen bis hin zur »Losgröße 1«. Die Frage eines Kunden nach einer
Farbspraydose in Wunschfarbe hätte noch vor 30 Jahren einen Lackierermeister
schallend lachen lassen. Heute gibt es das Produkt online für 15 EUR. Im Back-End bie-
ten Echtzeitanalysen, Prozesssimulationen und datengetriebene Prozessverhaltens-
vorhersagen ganz neue Möglichkeiten der Prozessoptimierung. Und das alles dürfte
erst der Anfang sein.

3.1.2 Keine neuen Prozesse ohne veränderungsbereite Mitarbeiter

Es ist leicht, über die Prozesse der Zukunft zu philosophieren und dabei die Mitarbeiter
zu vergessen. Technologie dürfte noch für lange Zeit an das Zusammenspiel mit dem
Menschen gekoppelt sein. Wer die Menschen nicht »mitnimmt«, wird seine Technik-
Visionen kaum verwirklichen können. Der demografische Wandel macht es nicht ein-
mal ohne Weiteres möglich, ältere gegen jüngere Mitarbeiter zu ersetzen. Das wird so
nicht funktionieren, ganz abgesehen von der Frage, ob es ethisch vertretbar wäre. Die
meisten Unternehmen werden sich also mit den Auswirkungen der (Prozess-)Digitali-
sierung für ihre heutigen Mitarbeiter befassen müssen.

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

Was wird aus Hilfskräften, wenn die letzten manuellen Tätigkeiten wegfallen und auto-
matisiert werden? Saugroboter z. B. wirken heute noch skurill, doch die ersten Autos
wurden um 1880 auch belächelt. Wie lange es noch Reinigungskräfte geben wird, ist
nicht gesagt. Neue Aufgabenfelder und neue Berufsbilder in den Unternehmen rich-
ten sich fast ausschließlich an Hochqualifizierte. Eine veränderte Arbeitsweise, wie
die Zunahme agiler Projektsteuerungsmethoden in der Produkt- und Prozessentwick-
lung, setzt dabei nicht nur einen hohen Bildungs- und Ausbildungsgrad voraus, son-
dern verlangt auch im höchsten Maße »Soft Skills«, wie Kommunikations- und Team-
fähigkeit.

Mitarbeiter in Konzernen sind heute schon oft Mitglied mehrerer internationaler


Projektteams gleichzeitig und sollen immer wieder gemeinsam mit Menschen aus
anderen Kulturen auf Anhieb »funktionieren«. Neue Kollaborationsformen entste-
hen, bei denen man sich oft nur noch ein einziges Mal im Lauf des Projekts »Face to
Face« begegnet, falls überhaupt. Wer offiziell zu einem Projektteam gehört und bei
Erfolg die entsprechende Wertschätzung erfährt, hat dabei noch Glück. Auf der gan-
zen Welt tätige Selbstständige und Projektmitarbeiter werden zu einem anonymen
»Schwarm«, dessen einzelne Mitglieder weder persönlichen Kontakt zu ihren Auftrag-
gebern pflegen noch von diesen Anerkennung und Wertschätzung erfahren.

Mit all diesen Entwicklungen einhergehend steigt der Veränderungsdruck auf Füh-
rungskräfte und Mitarbeiter stetig. Digitalisierungsbemühungen müssen vor allem
diesem Druck Rechnung tragen und spezielle Programme zur Organisations- und Mit-
arbeiterentwicklung installieren, um den Erfolg der Prozessdigitalisierung gewährleis-
ten zu können. Wo das gelingt, eröffnen sich ganz neue Chancen und Möglichkeiten.
Wer die Prozessebene beherrscht, der hat die Chance, Wertschöpfungsketten beinahe
beliebig zu rekombinieren und ganz neue Geschäftsfelder zu erschließen. Warum ist
das so?

3.2 Prozesse als Augen und Ohren des Unternehmens

In einer digitalisierten Unternehmenswelt haben Prozesse einen höheren Stellenwert


als bisher in einem vorwiegend analogen Umfeld. Sie werden zu Augen und Ohren des
Unternehmens. Nach außen dienen sie als Fühler zum Kunden und geben beispiels-
weise Aufschluss über Produktvorlieben, individuelles Nutzerverhalten oder über
die Verweildauer bei bestimmten Angeboten. Gleichzeitig erlauben sie dem Kunden,
in immer größerem Maße Einfluss auf die Gestaltung des Produkts zu nehmen und
es so zu individualisieren. Prozesse liefern Datensignale über zukünftige Trends und
eröffnen die Chance, frühzeitig Märkte mit genau darauf abgestimmten Produkten
zu erschließen. Ebenso schaffen sie Transparenz beim Mitbewerberverhalten und
bei Kundenreaktionen. Diese Daten kann das Management wie einen strategischen

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3.3 Wie digital sind Unternehmensprozesse heute?

­ ompass benutzen, um rasch auf Veränderungen der Kundenbedürfnisse und am


K
Markt reagieren zu können.

Nach innen liefern Prozessdaten Aufschluss über Engpässe, lassen den exakten Mate-
rialbedarf ermitteln und Lagerkosten reduzieren, geben Auskunft über zukünftiges
Prozessverhalten, erlauben, die Ausfallsicherheit von Maschinen zu bestimmen oder
die Wartung von Prozessen zu automatisieren. Ihr volles Potenzial entfalten Prozess-
daten dann, wenn in Echtzeit ablaufende Analysen Zusammenhänge in Daten herstel-
len können und es so ermöglichen, neue Einsichten in Daten zu gewinnen. Mithilfe
von Prozessdaten können nicht nur Muster und Strukturen in den Geschäftsprozes-
sen erkannt werden, sondern auch Entwicklungen, die Prozesse positiv oder negativ
beeinflussen, vorhergesagt und gesteuert werden.

3.3 Wie digital sind Unternehmensprozesse heute?

In Kapitel 2.5 hatte ich bereits erwähnt, dass Unternehmen mit klarer Digitalisie-
rungsstrategie einen deutlichen Wettbewerbsvorteil besitzen, eine höhere Produkti-
vität erzielen und höhere Erträge ausweisen. Im Schnitt erwirtschaften diese Firmen
ca. 6 % mehr Umsatz, bei einem Produktivitätszuwachs von etwa 5 % pro Jahr.74 Das
kleine Einmaleins der Zinseszinsrechnung: Diese Unternehmen haben bereits nach
drei Jahren ein Fünftel mehr Umsatz erwirtschaftet als ihre Mitbewerber. Und das bei
jährlich steigender Produktivität in vergleichbarer Größenordnung. Diese Digitalisie-
rungsschere trennt aktive und abwartende Firmen recht schnell und kann damit rasch
zu einem existenziellen Problem für Nachzügler werden.

Viele »Digitalisierungsopfer« gibt es bereits heute. Ein prominentes Beispiel ist sicher
der Fotografie-Pionier Kodak, der in den 1970er Jahren mit einem Marktanteil von
über 90 % noch den Standard für eine ganze Industrie vorgab. Steven J. Sasson, der als
Kodak-Ingenieur die erste Digitalkamera erfand, beschrieb die Reaktion der Kodak-
Führung auf seine Erfindung so: »Das ist süß, aber erzähl keinem davon.«75 Kodak
befürchtete, dass die Digitalfotografie seine beiden Cash-Kühe – die chemische Fil-
mentwicklung und die Fotopapierherstellung, die seit Jahrzehnten dicke Profite ein-
fuhren – gefährden würde. Zwar wurde das Problem erkannt, aber die vorherrschende
Strategie war lange Zeit, den Vertrieb von Analogkameras weiter voranzutreiben. Erst
2003, als Kodak endgültig die Felle wegschwammen, wurde eine erste »Digitalstrate-
gie« erarbeitet. Die kam jedoch zu spät. 132 Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1880
musste Kodak 2012 Insolvenz anmelden.

74 McAfee/Brynjolfsson, a. a. O. (Fn. 61).


75 Mui, Chunka: How Kodak failed, Forbes Magazin, Januar 2012: https://www.forbes.com/sites/
chunkamui/2012/01/18/how-kodak-failed/#50caec536f27 (Zugriff: 28.05.2017).

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

Ist Ihr Unternehmen auf die Prozessdigitalisierung vorbereitet? Wenn Sie diese Frage
beantworten wollen, finden Sie nachfolgend eine umfassende Checkliste, die in sechs
Dimensionen (Themenbereiche) aufgeteilt ist. Jeder Punkt eines Themenfeldes trifft
eine Aussage über den Zustand bzw. das Umfeld der Prozesse. Sie beurteilen jeweils,
in welchem Umfang die Aussagen für Sie zutreffen. Dabei werden pro Aussage zwi-
schen null und fünf Punkte vergeben.

trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Es sind für alle Prozesse Ziele definiert.

Die Prozessziele sind messbar und nachhaltig.


Prozessziele werden direkt aus den Unternehmenszielen ab-
geleitet und sind von der Unternehmensführung vorgegeben.
Es existieren für jeden Prozess Kennzahlen, welche die Ein-
haltung und das Erreichen der Prozessziele überwachen.

Tab. 3: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Ziele«; Quelle: Eigene
Darstellung

trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Es existiert eine Prozessorganisation, die für die Ent-
wicklung, Führung, Überwachung und Verbesserung der
Prozesse verantwortlich ist.
Für jeden Prozess existiert ein Prozessverantwortlicher.
Die Stellenbeschreibungen sind aus den Prozess-
beschreibungen abgeleitet.
Ein Chief Process Officer (oder Chief Digital Officer) ist
für alle Unternehmensprozesse und deren Digitalisierung
verantwortlich und vertritt diese als Teil der Geschäfts-
führung.
Aus den Prozessbeschreibungen werden alle notwendigen
Kompetenzen für alle Prozessbeteiligten abgeleitet.
Prozessbeteiligte werden gemäß den erforderlichen
Kompetenzanforderungen fachlich weiterentwickelt.
Das Management trifft Entscheidungen auf Basis
sorgfältiger Datenanalysen.
Es existiert ein zentrales Data Center, in dem die
Experten für Datenanalysen zusammengeführt werden.

Tab. 4: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Governance«; Quelle:


Eigene Darstellung

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3.3 Wie digital sind Unternehmensprozesse heute?

trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Prozesskennzahlen zur Leistungsmessung sind durchgän-
gig über alle Prozesse definiert, z. B. Process Scorecard
(PSC) je Prozess.
Die Zufriedenheit der Prozessbeteiligten – interne und
externe Kunden – wird regelmäßig gemessen.
Die Prozesskennzahlen sind Teil eines unternehmensweiten
Kennzahlensystems und werden von Prozessverantwort-
lichen, Controllern und Managern zur Überprüfung der
Unternehmensleistung herangezogen.
Prozesskennzahlen sind so definiert, dass sie Schwach-
stellen im Prozess aufzeigen.
Definierte Prozesskennzahlen sind Bestandteil des
Prozess-Reportings.
Abweichungen der Kennzahlen von den vorgegebenen
Zielwerten führen automatisch zu Überprüfungen und –
falls erforderlich – zu Prozessanpassungen.

Tab. 5: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Kennzahlen und Leistungs-
kontrolle«; Quelle: Eigene Darstellung

trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Das Unternehmen plant, entwickelt und vertreibt
digitale Produkte und Dienstleisungen.
Es existiert eine Digitalisierungsstrategie.

Die Digitalisierungsstrategie orientiert sich mehr am


Prozess und weniger an Funktionsbereichen.
Die Digitalisierungsstrategie ist dokumentiert.
Die Digitalisierungsstrategie ist kommuniziert, in allen
Unternehmensbereichen bekannt und wird bei allen
Änderungen berücksichtigt.
Das Topmanagement unterstützt, führt und treibt die
Digitalisierung des Unternehmens prozessorientiert voran.

Tab. 6: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Digitalisierungsstrategie«;


Quelle: Eigene Darstellung

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 5
Es existiert ein unternehmensweites Daten-Management
mit einer durchgängigen, am Prozess orientierten Datenbasis.
Es sind Datenanalysen- und Datenmodellierungs-
Fachkräfte im Unternehmen vorhanden.
Der Prozess ist vollständig automatisiert.
Für jeden Prozessschritt werden aussagefähige Daten
(Bearbeitungszeit, Toleranzen etc.) erzeugt und in einer
prozessübergreifenden Datenbank abgelegt.
Die erzeugten Daten werden von Data-Analytics-Program-
men analysiert und ausgewertet.
Der Prozess liefert für jeden Arbeitsschritt Echtzeitdaten.
Echtzeitdaten stehen Mitarbeitern und Kunden für
ihre Arbeit einfach und unkompliziert zur Verfügung
(z. B. Online Cockpit).
Jeder Prozessschritt dokumentiert verschiedene Daten über
den Verlauf und Zustand des Vorgangs (z. B. Temperatur,
Spannung, Toleranz, Bearbeitungszeit, Anfangszustand,
Endzustand etc.).
Es werden regelmäßig Prozesssimulationen durchgeführt,
die Rückschlüsse auf zukünftiges Prozessverhalten zulassen.
Dokumentierte Prozessdaten stehen jedem Unternehmens-
bereich zur Verfügung und sind über integrierte IT-Systeme
jederzeit in Echtzeit abrufbar.

Tab. 7: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Analytics«; Quelle: Eigene
Darstellung

trifft trifft
nicht zu voll zu
1 2 3 4 5
Die internen Prozesse sind vollständig automatisiert.
Interne Prozesse sind miteinander vernetzt und
tauschen in Echtzeit Informationen aus.
Die Leistungsprozesse sind in Echtzeit mit
Lieferanten- und Kundenprozessen verbunden.
Die IT-Systeme sind vollständig miteinander ingegriert;
Datenübertragungen laufen automatisch ohne
manuelles Zutun ab.
Die IT-Infrastruktur ist in der Lage, riesige Daten-
mengen in Echtzeit zu verwalten und auszuwerten.

Tab. 8: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Vernetzung (Prozesse/IT)«;


Quelle: Eigene Darstellung

Haben Sie sämtliche Punkte der Checklisten durchgearbeitet? Den je Dimension


durchschnittlich erzielten Punktewert können Sie nun mit den in Abbildung 11 darge-
stellten Referenzwerten vergleichen. Daraus lässt sich ableiten, wie gut Ihr Unterneh-
men bereits heute auf die Prozessdigitalisierung vorbereitet ist und wie konsequent
sie diese auch schon umsetzt. Dimensionen, in denen Ihr Unternehmen den Referenz-
wert deutlich verfehlt, kennzeichnen Handlungsbedarf.

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3.4 Entwicklungspfad: Von den nackten Daten zur Prozessautonomie

Digitalisierungs-
strategie

Vernetzung
Analytics (Prozesse/IT)

Governance
Kennzahlen und
Leistungskontrolle

Ziele
Referenzfläche
Mindestentwicklungsgrad
für Digitalisierungsvorhaben

Abb. 11: Mindestentwicklungsgrad der Prozesse für eine anschließende Digitalisierung (Referenzmo-
dell); Quelle: Eigene Darstellung

Dem hier verwendeten Modell liegt eine Nord-Süd-Orientierung zugrunde. Der Süden
steht für die erforderlichen Digitalisierungsvoraussetzungen. Diese werden durch
klassische Führungsaspekte wie Governance, Zielentwicklung und regelmäßiger
Leistungskontrolle repräsentiert. Ein reifer, gut entwickelter Süden bildet das Fun-
dament für die Prozessdigitalisierung. Der Norden wiederum steht für die zukünftige
Entwicklung und verbindet die Digitalisierungsstrategie mit den Analysefähigkeiten
(Analytics) und der Vernetzung von Prozessen und IT innerhalb und außerhalb der
Organisation. Eine erfolgreiche Prozessdigitalisierungsstrategie muss der gleichzeiti-
gen Entwicklung aller sechs Dimensionen Rechnung tragen, um sich Digitalisierungs-
vorteile umfassend nutzbar zu machen.

3.4 Entwicklungspfad: Von den nackten Daten zur


Prozessautonomie
Bei all den vielfältigen Möglichkeiten, welche eine intensive Nutzung digitaler Prozess-
daten bietet, darf natürlich nicht übersehen werden, dass nur die allerwenigsten Orga-
nisationen einen Reifegrad erreicht haben, der verlässliche Prozessvorhersagen zulässt.
Daher ist es von ebensolcher Bedeutung, auch über den Weg dorthin zu sprechen und
einen Entwicklungspfad für Organisationen aufzuzeigen. Abbildung 12 illustriert die
verschiedenen Reifegrade einer prozessorientierten Analyseperspektive. Unternehmen
können sich dabei an sechs verschiedenen Entwicklungsstufen orientieren.

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

Unternehmensvorteile
Wettbewerbsvorteile

Prozess-
autonomie

Predictive
Analytics
Prozess- Prescriptive
Analytics Analytics
Traditionelle Drill-Down
Prozesssicht „Slice and Dice
Alerts“
Standard- Modell- Modell-
und Ad-hoc- verhalten verhalten selbstheilend
bloße, ungefil- Reporting beschreiben vorhersagen selbstlernend
terte Daten

Fähigkeiten

Abb. 12: Reifegrade der Prozessdigitalisierung; Quelle: Eigene Darstellung

Stufe 1: Bloße, ungefilterte Daten


Daten werden auf dieser Stufe an verschiedenen Stellen des Unternehmens gesam-
melt, ohne einer systematischen Datenstrategie zu folgen. Die Datenbestände sind oft
noch lückenhaft und redundant. Eine Zuordnung der Daten über einheitliche Identifi-
kationsmarken (Datenschlüssel) ist häufig noch nicht möglich. Analyse- und Visuali-
sierungs-Tools sind in der Regel nicht vorhanden. Auswertungen müssen daher meist
mit großem Aufwand erfolgen und zeichnen sich durch ein geringes Maß an Reprodu-
zierbarkeit aus.

Stufe 2: Standard- und Ad-hoc-Reporting


Es existieren Standard-Reports die den Anwendern zur Verfügung gestellt werden.
Innerhalb bestimmter Grenzen kann der Anwender vorkonfigurierte Parameter (Zeit,
Produktivität etc.) auswählen und Ad-hoc Reports erzeugen. Eine Vertiefung (Drill-
Down) der Reporting-Ergebnisse ist auf dieser Stufe aber in den allermeisten Fällen
nicht möglich.

Stufe 3: Drill-Down (Slice and Dice)


Unternehmen sind in der Lage, aus multidimensionalen Prozessdaten besondere
Datenschichten hervorzuheben und unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Dazu gehört auch das Hineinzoomen (Drill-Down) in Datenbestände, um beispiels-
weise das Prozessverhalten zu einer bestimmten Uhrzeit zu analysieren. Wie auch in
den vorangehenden Analysestufen beinhaltet dies nur die Betrachtung und Auswer-
tung historischer Daten, enthält jedoch noch keine prozessbeschreibenden oder vor-
hersagenden Modelle.

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3.5 Process Mining: Wegbereiter intelligenter Prozesse

Stufe 4: Präskriptive Analysefähigkeiten


Auf diesem Niveau wird erstmals ein Prozessmodell erstellt, welches das Prozessver-
halten auf der Basis beobachteter historischer Daten beschreibt. Dabei handelt es
sich noch um weitestgehende statische Modelle, die Richtwerte vorgeben und eher
normativen Charakter (»so sollte der Prozess idealerweise ablaufen«) besitzen. Ver-
änderungen von Betriebsmitteln, Ressourceneinsatz, Durchlaufzeiten oder anderen
auf den Prozess wirksamen externen Einflüssen werden von solchen Modellen nicht
berücksichtigt (z. B. Abnutzung von Betriebsmitteln im laufenden Betrieb, Verände-
rung ausgeführter Tätigkeiten etc.), d. h., es erfolgen keine Vorhersagen über den »tat-
sächlich« zu erwartenden Verlauf.

Stufe 5: Prädikative Analysefähigkeiten


Zugegeben, der Übergang zu beschreibender und vorhersagender Analytik ist oft flie-
ßend. Allerdings muss für die Möglichkeit, Vorhersagemodelle entwickeln zu können,
eine wesentliche Voraussetzung erreicht sein: das Vorliegen von Datenverarbeitungs-
fähigkeiten in Echtzeit sowie eine entsprechend leistungsstarke Analyseinfrastruktur
(Hardware, Software, Datenübertragung, Speichermedien). Nur unter Berücksichti-
gung von Echtzeitdaten entlang des gesamten Prozesses können Vorhersagemodelle
zu jedem Zeitpunkt akkurate Vorhersagen des zukünftigen Prozessverhaltens treffen.

Stufe 6: Prozessautonomie
Der letzte Schritt in der Entwicklung hin zu intelligenten Prozessen stellt die Prozes-
sautonomie dar. Erst wenn ein Prozess in der Lage ist, Abweichungen in der Prozes-
sausführung eigenständig zu korrigieren (»Heilung«) und darüber hinaus selbststän-
dig Prozessverbesserungen zu unterziehen (»maschinelles Lernen«), kann ein Prozess
als »autonom« betrachtet werden (siehe dazu auch Kapitel 3.6).

Von der letzten Stufe, der Prozessautonomie, sind fast alle Unternehmen noch ein
großes Stück entfernt. Es sollte jedoch klar sein, dass dies das vorläufige Zielbild
der Entwicklung für viele Prozesse, wie z. B. Fertigungsprozesse, sein dürfte. Auch
sollte deutlich geworden sein, wie die einzelnen Stufen aufeinander aufbauen und
dass es kaum möglich ist, auf dem Weg zur Prozessautonomie eine der vorherigen
Stufen auszulassen.

3.5 Process Mining: Wegbereiter intelligenter Prozesse

Seit einigen Jahren erleben wir ständig neue Technologien und Methoden oder die
wesentliche Weiterentwicklung der bestehenden Praxis. Einen wichtigen Evoluti-
onsschritt hin zu intelligenten Prozessen stellt mittlerweile das sogenannte Process
Mining dar. Process Mining ist eine junge Disziplin im Umfeld des Data Minings und

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

beschäftigt sich vorwiegend mit der Auswertung und Analyse von »Event Logs« (zen-
trale Sammlungen von Ereignisdaten) heutiger Informationssysteme.76 Abbildung 13
skizziert den grundlegenden Aufbau des Process Minings.

IT-Systeme

Ereignisse, Nachrichten, Transaktionen

Log Data
Ereignisprotokolldaten

Process Mining Erkennung Überarbeitung Erweiterung

bestehendes Modell Diagnose neues Modell

Prozessmodell

Abb. 13: Aufbau und Arbeitsweise des Process Minings; Quelle: Eigene Darstellung

Die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiches Process Mining ist die – zumindest teil-
weise – Abbildung der Geschäftsprozesse in IT-Systemen. Unvollständigkeit lässt sich
dabei zunehmend besser ausgleichen. Bestehende Analysewerkzeuge können bereits
heute aus rudimentären oder lückenhaft elektronisch erfassten Prozessen komplette
Prozessabläufe rekonstruieren und so Prozessmodelle erstellen.

Im Process Mining unterscheidet man drei grundsätzlich unterschiedliche Vorgehenswei-


sen: Erkennung, Übereinstimmungsüberprüfung und Erweiterung (siehe Abbildung 14).

76 Van der Aalst et al.: Process Mining Manifesto: http://www.win.tue.nl/ieeetfpm/lib/exe/fetch.


php?media=shared:process_mining_manifesto-small.pdf (Zugriff: 28.05.2017).

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3.5 Process Mining: Wegbereiter intelligenter Prozesse

Erkennung

Ereignisprotokoll Modell
Erkennung: Aus den vorhandenen Daten der Verlaufsprotokolle
werden die darin enthaltenen Prozesse (re-)konstruiert.

Konformitätsprüfung

Modell Ereignisprotokoll Diagnose


Konformitätsprüfung: Dabei wird ein vorhandenes Soll-Prozessmodell
mithilfe der Ist-Daten abgeglichen.

Erweiterung

Modell Ereignisprotokoll Neues Modell


Erweiterung: Bei der Optimierung wird das vorhandene Soll-Prozess-
modell auf Verbesserungspotenziale untersucht und angepasst.

Abb. 14: Verfahren des Process Minings; Quelle: In Anlehnung an BDEW (2016): Die digitale Energie-
wirtschaft, Berlin, S. 47 f., 51

Die bekannteste Ausprägung des Process Minings stellt die Prozesserkennung dar.
Event-Log-Daten werden aus den am Prozess beteiligten IT-Systemen als Eingabe-
werte aufgenommen, um aus ihnen das Prozessmodell abzuleiten. Diese Methode
wird typischerweise von Firmen verwendet, die kein existierendes Prozessmodell
vorweisen können oder sich ihrer tatsächlichen Prozessverläufe unsicher sind. In
der Übereinstimmungsprüfung erfolgt ein Abgleich mit dem bestehenden Prozess-
modell. Das Vorgehen hat diagnostischen Charakter, da es Abweichungen zwischen
dem tatsächlichen Prozessverlauf und dem erwarteten Prozessverhalten aufzeigt.
Abweichungskorrekturen stellen in der Regel bereits erste Prozessoptimierungen dar.
Process Mining liefert als Diagnosewerkzeug die Grundlage und Voraussetzung für
eine umfassende Prozessoptimierung und Prozessaktualisierung. Beschränkt sich die

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

Übereinstimmungsüberprüfung noch darauf, die Unterschiede zwischen Realität und


vorliegendem Prozessmodell sichtbar zu machen, zielt schließlich die Erweiterung auf
die Veränderung des Prozessmodells ab. Hier können anhand der Ereignis-Zeitstem-
pel u. a. Häufigkeiten, Engpässe oder Durchlaufzeiten transparent gemacht werden.

Neben der Prozessperspektive ist es im Process Mining ebenfalls möglich, Aufschlüsse


über Personen, Rollen oder Organisationseinheiten zu erhalten bzw. zu den Beziehun-
gen, in denen diese Akteure zueinander stehen. Die so entstehende Organisationsper-
spektive erlaubt die Rekonstruktion der am Prozess teilnehmenden Ablauforganisa-
tion. Darüber hinaus existieren noch zwei weitere Informationsperspektiven im Data
Mining (siehe Abbildung 15).

Perspektive Beschreibung

Kontrollfluss- Betrachtet die Abfolge der Aktivitäten, mit dem Ziel, die passen-
perspektive de Beschreibung für alle Ausführungspfade zu finden.

Organisations- Das Ziel ist die Aufdeckung der Organisationsstruktur und die
perspektive Beziehung der am Prozess teilnehmenden Akteure untereinander.

Fall- Im Zentrum der Analysen steht die Herausarbeitung der


perspektive unterschiedlichen Prozessfälle bspw. als Ansatz für eine
Prozess-Triagierung.

Zeit- Hier werden Häufigkeiten und Zeitpunkte von Ereignissen betrach-


perspektive tet, mit dem Ziel, Engpässe zu entdecken, Ressourcenauslastun-
gen zu bestimmen und verbleibende Ausführungszeiten vorherzu-
sagen.

Abb. 15: Informationsperspektiven im Process Mining; Quelle: Eigene Darstellung

Obwohl Process Mining ein wichtiges Instrument in der Rekonstruktion und Optimie-
rung von Prozessen sein kann, trifft man immer wieder auf ähnlich gelagerte Prob-
leme, die eine Anwendung erschweren. Die größte Herausforderung stellt dabei das
Auffinden, Zusammenführen und Aufbereiten von Ereignisdaten dar. Typischerweise
sind Ereignisdaten über eine Vielzahl von Quellen verteilt. Die Verbindungen der
unterschiedlichen Daten zueinander müssen identifiziert werden. Dies ist nicht immer
ganz einfach, da sehr oft unterschiedliche Schlüsselfelder in verschiedenen Systemen
genutzt werden. Eine Person könnte in einem IT-System beispielsweise über ihre Sozi-
alversicherungsnummer und in einem anderen System über Name und Geburtsdatum
identifiziert werden.

Ebenso oft sind Ereignisdaten eher an Objekten ausgerichtet, als einem bestimm-
ten Prozess zugeordnet. Erst die Zuordnung der Objekte zu einem Prozess erlaubt
die Ereignis-Prozess-Allokation. Ein ganz typisches Beispiel dafür stellen RFID-Tags
dar, die einem Objekt – beispielsweise einem Paket – zugeordnet sind. Diese Technik

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3.5 Process Mining: Wegbereiter intelligenter Prozesse

ermöglicht es, jeden Gegenstand, der mit einem RFID-Transponder ausgestattet ist,
kontaktlos und eindeutig zu identifizieren. Ein Chip, der als Datenspeicher dient, kom-
muniziert hierzu über Funk mit einer Basiseinheit.77 Durch das RFID-Tagging ist das
Paket jederzeit im Logistikprozess auffindbar: Jedoch werden alle erzeugten Ereig-
nisse immer dem Objekt, also dem Paket und nicht dem Prozess zugewiesen. Erst das
Zusammenführen der verschiedenen Ereignisgruppen liefert Aufschluss über den Pro-
zess. Problematisch sind ebenfalls die oft unvollständigen Ereignisdaten, welche erst
durch Anreicherung ergänzender Daten für das Process Mining herangezogen werden
können. Vielfach liegen Ereignisdaten auch in unterschiedlicher Granularität vor, wie
unterschiedliche Zeitabstände, in denen Ereignisdaten aufgezeichnet werden.

Schließlich haben zahlreiche Process-Mining-Vorhaben auch mit Konzeptverschie-


bungen zu kämpfen. Grund hierfür sind Situationen, in denen sich der Prozess wäh-
rend der Analyse verändert. Beispielsweise sind montags immer weniger Mitarbeiter
in einem Callcenter verfügbar. Das Prozessverhalten verändert sich, es kommt zu Eng-
pässen. Kunden, die in einem Callcenter anrufen und längere Wartezeiten bemerken,
wenden sich dann lieber per E-Mail an das Unternehmen. Der Prozess nimmt einen
anderen Verlauf. Auch saisonale Effekte (z. B. höhere Nachfrage nach Paketdienstleis-
tungen im Dezember als im Rest des Jahres) können zu einer Konzeptverschiebung
führen. Deshalb ist es enorm wichtig, bereits vor dem eigentlichen Mining-Vorgang
existierende Konzeptverschiebungen zu identifizieren und diese bei der Betrachtung
der Datenbestände entsprechend zu berücksichtigen. Meist werden durch Konzept-
verschiebungen hervorgerufene Datenbestände als Abweichung vom Standardpro-
zess betrachtet, die in der Modellierung der Standard-Geschäftsvorfälle zunächst
keine Berücksichtigung erfährt.78

In allen Fällen steigt die Ergebnisqualität mit der Qualität der implementierten Software
und der Ausgabequalität der Softwareprogramme in Event Logs. Wer Process Mining als
Analyse- und Optimierungswerkzeug einsetzen möchte, ist gut beraten, dies nicht als
Einmalprojekt zu sehen, sondern Softwareentwicklung und Prozessanalyse aufeinan-
der abzustimmen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Zur Vertiefung des Themas
empfehle ich das wegweisende Buch »Process Mining« von Will van der Aalst.79

77 Siehe http://www.rfid-basis.de/rfid-technik.html (Zugriff: 09.06.2017).


78 Van der Aalst et al.: Process Mining Manifesto, S. 11 ff.: http://www.win.tue.nl/ieeetfpm/lib/exe/fetch.
php?media=shared:process_mining_manifesto-small.pdf (Zugriff: 28.05.2017).
79 Will van der Aalst (2011): Process Mining: Discovery, Conformance and Enhancement of Business Proces-
ses, Springer Heidelberg.

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

3.6 Prozessautonomie: Selbstlernende und selbstheilende


Prozesse
Während sich Process Mining noch auf die Auswertung der Event Logs beschränkt,
beinhaltet der nächste Schritt in Richtung Prozessautonomie (Stufe 6 in Abbildung 12)
eine stark erweiterte Datenakquisition. Daten aus Event Logs werden nun auch um
Sensordaten (physikalische Informationen zu den einzelnen Prozessschritten) und
Hilfsdaten (z. B. Kontextinformationen, Informationen aus Sozialen Netzwerken etc.)
erweitert. Die daraus resultierende deutlich höhere Datendichte erlaubt die Ableitung
wesentlich genauerer Prozessmodelle. Welche Möglichkeiten durch diese sensorge-
stützte Datenerfassung bestehen, zeigen die Beispiele in Tabelle 9.

Elektr. Induktivität
Akustisches Signal
Umgebungsdruck

Elektr. Kapazität
Luftfeuchtigkeit
Messgrößen

Thermografie
Stromstärke
Physikal.

Umsetzungs-
Vibration

temperatur

widerstand
Isolations-

.......
Ausrüstung
Pumpe X X X X X X X
Ventil X X X
Ventilator/Motor X X X X X X
Wärmetauscher X X X X
Dampfturbine X X X X X
Elektr. u. elektronische X X X X X X X
Bauteile
Kabel X X X X X X
Pumpendichtung X X X X
Rohrleitungen X X
Kompressor X X X X
.....

Tab. 9: Beispiele für mechanische Bauteile und ihre mit Sensoren messbaren physikalischen Werte;
Quelle: Jahnke, Patrick (2015): Machine Learning Approaches for Failure Type Detection and Predic-
tive Maintenance, Diplomarbeit TU Darmstadt, S. 12: https://www.ke.tu-darmstadt.de/lehre/arbeiten/
master/2015/Jahnke_Patrick.pdf (Zugriff: 09.10.2016)

Auf die beschriebene Weise lassen sich für einzelne Bauteile oft schon unzählige Daten
gewinnen, die den physikalischen Zustand der Komponenten zu einem bestimmten
Zeitpunkt umfassend abbilden. Damit bekommt auch der zu diesem Zeitpunkt existie-
rende Prozess ein Gesicht. Auf diese Weise wird für datengetriebene Prozessmodelle
ein Datenkorridor entworfen, in dem idealtypische Prozessinstanzen störungs- und
fehlerfrei ablaufen können. Abweichungen im Datenkorridor lassen nun auf zukünf-
tige zu erwartende Veränderungen im Prozessverlauf, wie Störungen, Fehlverhalten,
Wartungsbedarfe und Engpässe, schließen.

Beispielsweise sind in Windrädern bis zu 600 Sensoren verbaut, die alle erdenklichen
Parameter messen. Diese immensen Datenmengen werden mithilfe von Software-

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3.6 Prozessautonomie: Selbstlernende und selbstheilende Prozesse

Algorithmen interpretiert. Algorithmen erkennen Muster und gleichen diese gegen


mehr als 400 definierte Fehlerbilder ab. Tritt beispielsweise eine kleine Unruhe im
Windrad auf und sind gleichzeitig die Temperaturen auf den Gefrierpunkt oder dar-
unter gesunken, weist dies auf eine Eisschicht auf den Rotorblättern hin. Die Anlage
stellt sich automatisch ab, bevor Gefahrensituationen durch herabfallende Eisklum-
pen entstehen. 80

Das Zusammenspiel aus Problemerkennung (Vorhersage) und Problembeseitigung


(Heilung) sowie die eigenständige Prozessoptimierung (Lernen) kennzeichnet einen
prozessautonomen Zustand (siehe Abbildung 16) und markiert damit das Zielbild für
viele Prozesse (z. B. Fertigungsprozesse).

Was sollte für


Optimierung

Prozessverbesserung
ein verbessertes
Prozessergebnis
passieren?
Vergangenheit Zukunft

Datenpunkte Lernen
(Verbessern)

Datenkorridor
(Toleranz) Richtlinie
Richtwert
Was ist Was Was sollte Richtergebnis
passiert? passiert passieren?
gerade
jetzt?
Prozessverschlechterung

Heilen

Was würde/könnte
passieren?
Vorhersage

Abb. 16: Zusammenspiel Vorhersage, Heilung und Lernen; Quelle: Eigene Darstellung

Innerhalb eines – wie in Abbildung 16 für einen beliebigen Prozess dargestellten – Daten-
korridors müssen für jede Prozessinstanz laufend (also zu jedem Zeitpunkt in Echtzeit)
fünf maßgebliche Fragen beantwortet werden, um darauf reagieren zu können:
y »Was ist passiert?« gestattet die Einordnung des bisherigen Prozessverlaufs.
y Gemeinsam mit der Beantwortung von »Was passiert gerade im Augenblick?« kris-
tallisiert sich ein Bild für das vermutete künftige Verhalten heraus.

80 Jung, Alexander: Ein mächtiges Werkzeug, in: DER SPIEGEL 29/2014.

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3 Einsicht: Prozesse als Schlüssel zum digitalen Wandel

y Sind keine Auffälligkeiten feststellbar, wird die Prozessinstanz auch im zukünfti-


gen Prozessverlauf innerhalb des tolerierten Datenkorridors ablaufen, d. h. »Was
sollte passieren?«, ist beantwortet.
y Gleichzeitig können kleinste Abweichungen durch Beantwortung von »Was
könnte/wird passieren?« auf ein zukünftiges Fehlverhalten aufmerksam machen
und so einen unmittelbaren Handlungsbedarf, d. h. einen Eingriff in den normalen
Prozessablauf, anzeigen. In Fertigungsprozessen wird dieses Vorgehen auch als
Predictive Maintenance bezeichnet.
y Schlussendlich erkennen intelligente Algorithmen Prozessverbesserungen und
beantworten die Frage »Was müsste für ein verbessertes Prozessergebnis passieren?«

Sind Prozesse in der Lage, vorausschauend eigenständig Fehlverhalten zu vermeiden


und zudem selbsttätig Prozessoptimierungen vorzunehmen, spricht man von Prozes-
sautonomie bzw. »intelligenten Prozessen«.

Vor wenigen Jahren hätte das alles noch als Science-Fiction gegolten. Heute brauchen
Sie bloß an die aktuelle Entwicklung im Automobilbau hin zum autonomen Fahren
zu denken. Längst glänzen moderne Automobile durch unzählige Fahrerassistenzsys-
teme – von der automatischen Abstandsregelung (Adaptive Cruise Control) bis zum
Lenkeingriff beim Verlassen der Fahrspur –, die den Fahrer entlasten und die Sicherheit
erhöhen. Google entwickelt bereits seit Jahren sein »fahrerloses Fahrzeug« (Google
Driverless Car). Bereits im Mai 2015 hatte die Testflotte von Google mehr als 2,7 Millio-
nen Kilometer, davon 1,5 Millionen Kilometer ohne Fahrereinwirkung, zurückgelegt. 81
In diesen Fahrzeugen entscheiden Computeralgorithmen über die optimale Wegstre-
cke anhand von Verkehrsaufkommen, Gefahrensituationen, Fahrbahnbeschaffenheit,
Umweltfreundlichkeit und unzähligen weiteren Einflussfaktoren. Der Prozess (den
Fahrgast von A nach B zu bringen) wird laufend unter Einbeziehung von Telekommu-
nikations-, Telematik- und Verkehrsdaten (und den Prozessen, die diese Daten erzeu-
gen) optimiert und angepasst. Die dadurch resultierenden »Superprozesse« sind auf
eine Vernetzung der vorgenannten Prozesse zurückzuführen. Unsere Automobile wer-
den zu »Prozessen auf Rädern«. Die Zukunft hat längst begonnen.

81 https://de.wikipedia.org/wiki/Google_Driverless_Car (Zugriff: 21.02.2017).

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4 Erkundung: Konstanten der


Prozessoptimierung

Haben Sie schon einmal eine Bergtour unternommen? Wenn ja, dann wissen Sie, dass
man sich besser nicht völlig gedankenlos in eine solche Unternehmung stürzen sollte.
Im Gebirge kann einen vom plötzlichen Wetterumschwung bis hin zum Bergsturz,
dessen Geröll einem unvorhergesehen den Weg versperrt, so manche Überraschung
erwarten. Vor jeder Bergtour machen Sie sich deshalb in der Regel erst einmal grund-
sätzliche Gedanken. Es gilt, Ihre Wünsche und Ihre Möglichkeiten in Einklang zu brin-
gen: Welche Bergregion wäre reizvoll? Was für ein Schwierigkeitsgrad ist realistisch?
Und wozu haben Sie und Ihre Familie oder Ihre Freunde überhaupt Lust? Im Unterneh-
men ist das beim Thema Prozesse ganz ähnlich. Je nachdem, wo Sie heute stehen,
werden Sie sich überlegen, welche Art von Prozessoptimierung Sie anstreben und was
für Sie realistisch ist? Auch stellt sich die Frage, wohin Sie und Ihre Mitarbeiter über-
haupt wollen, d. h., wozu Sie motiviert sind? Ohne Motivation kein Erfolg, weder im
Gebirge noch im Business.

4.1 Jenseits des Hypes: Analog ist das neue Schwarz

Wenn ich Kunden oder Schulungsteilnehmer neu kennenlerne und sie frage, wo sie
mit ihren Geschäftsprozessen hinwollen, dann höre ich immer wieder einen Wunsch
heraus: möglichst schnell so »digital« wie möglich werden, ja, am besten gleich mit
den Vorreitern der Digitalisierung aufschließen. Die Digitalisierung wird kommen und
die Welt verändern, das ist für mich keine Frage. Aber sie ist im Moment auch ein Hype,
ein Goldrausch, bei dem jeder dabei sein will und bei dem viele glauben, sie könnten
das schnelle Geld verdienen. Letzteres ist jedoch meist ein Irrtum. Sicherlich bietet
die Digitalisierung eine Fülle von Chancen. Sie als Heilsbringer zu bejubeln, macht
jedoch blind. Der naheliegende Wunsch, möglichst schnell »digital« zu werden, führt
leider viel zu oft zu überstürztem Aktionismus und nicht zu ruhiger Überlegung und
sachlicher Konzeption. Das ist dann manchmal so, als ob ein Bergsteiger-Neuling sich
als erstes die Eiger-Nordwand vornehmen würde. Mehr Realismus ist nötig. Prozess-
optimierung kann immer nur da ansetzen, wo Sie mit Ihren Prozessen in Ihrem Unter-
nehmen heute stehen. Die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen, bedeutet wohl
für die wenigsten Unternehmen, gleich mit der Digitalisierung der Prozesse zu begin-
nen. Sondern für sehr viele bedeutet es, erst einmal ihre »analogen Hausaufgaben«
zu machen.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Thorsten Dirks, von Oktober 2014 bis Dezember 2016 Vorstandsvorsitzender der Tele-
fónica Deutschland Holding AG, umschrieb diesen Umstand lakonisch mit folgenden
Worten:

»Vereinfachen kommt vor Digitalisieren. Wenn sie einen Scheißprozess digitali-


sieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.«82

Diese zugegebenermaßen derbe, aber wie ich finde sehr treffende Formulierung
unterstreicht die Bedeutung klassischer, analoger Prozessoptimierung. Diese ist in
den meisten Unternehmen die Voraussetzung der Digitalisierung. Analog ist das neue
Schwarz – mag die neue, bunte Welt der Digitalisierung noch so verlockend sein, so
kommen Sie doch an der klassischen Optimierung nicht vorbei. Sehen Sie das im Ide-
alfall als eine Chance, besser zu werden oder Versäumtes nachzuholen. Vor der eigent-
lichen Digitalisierung lassen sich Prozesse optimieren, kürzen oder sogar komplett
hinterfragen.

Wichtig
Es gilt der Grundsatz:
Digitalisierung wirkt als Treiber analoger Prozessoptimierung.

Erst, wenn analoge Prozessentwicklungspotenziale hinreichend ausgeschöpft sind,


beginnt mit der Erstellung eines unternehmensweiten Digitalisierungskonzepts die
schrittweise Transformation hin zu digitalen Prozessen.

Ein großes Missverständnis in zahlreichen Digitalisierungsprojekten ist der Umgang


mit der Automatisierung von Prozessen. Prozessautomatisierung ist kein Produkt
der Digitalisierung, sondern ein seit Jahrzehnten bewährtes betriebswirtschaftli-
ches Werkzeug der Prozessoptimierung. Der entscheidende Unterschied zwischen
Prozessdigitalisierung und herkömmlicher Prozessoptimierung liegt in der neuen
Verfügbarkeit massiver Datenbestände, deren Auswertung und Analyse ein vielfältig
erweitertes Prozessverständnis mit sich bringt. Dabei gehen Prozessautomatisierung
und Digitalisierung Hand in Hand. Der Einsatz und die Vernetzung immer leistungs-
fähigerer Überwachungs- und Steuerungsinstrumente (Sensoren) sowie die Anwen-
dung intelligenter Analyse-Algorithmen schaffen die Möglichkeit, Prozesse in weitaus
größerem Umfang zu automatisieren. 83 Ein weiterer häufiger Stolperstein zahlreicher
Digitalisierungsbemühungen sind schließlich die unterschiedlichen Blickwinkel. Ist
der gewählte Ansatz funktions- bzw. bereichsorientiert oder ist er prozessorientiert?

82 Thorsten Dirks hat dies anlässlich des SZ-Wirtschaftsgipfels am 19.11.2015 im Hotel Adlon in Berlin so
pointiert geäußert.
83 BDEW (2016): Die digitale Energiewirtschaft, Berlin, S. 47 f., www.bdew.de.

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4.2 Basics: Aus dem Fundus der Prozessentwicklung

Daraus ergeben sich jeweils völlig unterschiedliche Sichtweisen, wie sich durch eine
einfache Illustration (Abbildung 17) verdeutlichen lässt.

funktions- bzw.
bereichsorientierter
Digitalisierungsansatz

prozessorientierter
Digitalisierungsansatz

Abb. 17: Unterschiedliche Blickwinkel bei Digitalisierungsprojekten; Quelle: Eigene Darstellung

Das vorherrschende Funktions- bzw. Bereichsdenken verführt viele Organisationen


zu fachorientierten Digitalisierungsansätzen, die nur eine lückenhafte Digitalisierung
erreichen und in letzter Konsequenz zu Fehlsteuerungen im Prozess führen können.
Vorzuziehen ist deshalb immer eine prozessorientierte Digitalisierungsstrategie in der
Hand eines Prozessverantwortlichen auf der obersten Management-Ebene. Prozess-
orientierung setzt, wie der Name schon sagt, die intensive Beschäftigung mit Prozes-
sen – und eben nicht allein mit dem Thema Digitalisierung – voraus.

4.2 Basics: Aus dem Fundus der Prozessentwicklung

Wenn Sie mit Ihrer Familie oder Ihren Freunden über eine Bergtour nachdenken, dann
stellen Sie sich wohl in den seltensten Fällen die Frage: Wozu das Ganze?

Das bleibt eher unausgesprochen. Es wird vorausgesetzt, dass dazu jeder Teilneh-
mende schon seine eigene Antwort hat, denn sonst hätte er ja kein Interesse an der
Bergtour. Dabei wäre die Frage nach dem Wozu durchaus sinnvoll: Geht es um Erho-
lung und Freude? Um das intensive Naturerlebnis? Geht es um Sport? Um Gesundheit?
Oder um Abenteuer, Grenzerfahrung und Nervenkitzel? Sie werden eine Bergtour
anders angehen, je nachdem, welche dieser Möglichkeiten Sie antreibt.

Und wie steht es mit Ihrem Unternehmen? Interessieren Sie sich für Prozessoptimie-
rung, weil diese – angeblich – zu den unabdingbaren betriebswirtschaftlichen Not-
wendigkeiten gehört? Oder haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, warum
Sie sich eigentlich intensiv um Ihre Prozesse kümmern sollten?

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

4.2.1 Geringe Wertschöpfung als Anlass für Prozessoptimierung

Die Existenzberechtigung eines jeglichen Unternehmens liegt darin, einen Nutzen für
seine Kunden zu stiften. Dieser Nutzen kann sowohl durch ein Produkt als auch durch
eine Dienstleistung entstehen. Der Kunde erfährt durch die Unternehmensleistun-
gen eine Wertsteigerung für sich selbst. Ein etwas archaisches Beispiel dafür ist der
Bauer, der seinen Weizen vom Müller veredeln lässt. Jedwede Form der Veredelung
und Wertsteigerung kann jedoch als wertschöpfend bezeichnet werden. Wenn ich mit
meiner Familie ins Kino gehe, dann haben wir für zwei Stunden eine schönere Zeit als
ohne Kinobesuch.

Ein gutes Hilfsmittel für das Auffinden wertschöpfender Aktivitäten ist eine mone-
täre Betrachtung: Der Kunde ist bereit, für wertschöpfende, d. h. für ihn persönlich
wertsteigernde Tätigkeiten zu bezahlen, nicht jedoch für nicht wertschöpfende Leis-
tungen (wie z. B. unnötige Zwischenlagerungen, Sortiervorgänge, vermeidbare Trans-
portschritte etc.). Diese nimmt er solange billigend in Kauf, bis es einem anderen
Unternehmen gelingt, Produkte und Dienstleistungen zu einem verbesserten Wert-
schöpfungsverhältnis – dem Verhältnis wertschöpfender zu nicht wertschöpfender
Leistungen im Unternehmen – anzubieten. Deutlich wird das etwa an den heute fast
ausschließlich anzutreffenden SB-Tankstellen. Kaum ein Kunde ist mehr bereit, für
das Befüllen des Tanks durch einen Tankwart mehr Geld zu zahlen als bei der Selbst-
bedienung. Die vordringlichste Aufgabe eines Unternehmens muss es stets sein, nicht
wertschöpfende Aktivitäten aufzudecken und soweit wie möglich zu eliminieren.

Leider haben zahlreiche Unternehmen diese Form der »Selbstreinigung« aus den
Augen verloren. Anders ist es nicht zu erklären, warum im Schnitt über alle Branchen
und Unternehmen hinweg gerade einmal ein Viertel der Unternehmensaktivitäten
direkt wertsteigernd ist (Abbildung 18). 84

84 Zahlenmaterial aus Schmelzer/Sesselmann (2013): Geschäftsprozessmanagement in der Praxis, Hanser,


München, S. 163.

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4.2 Basics: Aus dem Fundus der Prozessentwicklung

100 %
aller
Aktivitäten

25 %

45 %
20 % 10 %
Wertschöpfung Stützleistung Blindleistung Fehlleistung
(wertsteigernd) (indirekt wertsteigernd) (wertneutral) (wertmindernd)

* Bearbeitung * Material bereitstellen * Wartung


* Montage * Prüfung * Nachbearbeitung
* ... * Teile einlegen * Suche
* Teile befestigen * Stillstand
* Prozess vorbereiten * Zerstörung
* Prozess starten * Tausch
* Material transportieren * ...
* Sortieren
* Verpackung
* Ein-/Auslagerung
* ...

Abb. 18: Wertschöpfungsanteile im Verhältnis zu anderen Leistungsanteilen; Quelle: Eigene Darstellung

Noch einmal: Der deutlich überwiegende Teil aller Unternehmenstätigkeiten ist im


besten Fall indirekt wertsteigernd. Oft ist er wertneutral oder gar wertmindernd. Auf-
gabe der Prozessentwicklung ist deshalb die beständige Verbesserung wertschöpfen-
der Leistungen. Prozessanalysten haben dabei nicht nur die Aufgabe, Fehl- und Blind-
leistungen zu eliminieren, sondern vor allem auch Stützleistungen möglichst effizient
und effektiv zu gestalten. Stets lautet das Ziel: so viel Wertschöpfung wie möglich!

4.2.2 Gut zu wissen: Was sind eigentlich Prozesse?

Die Wertschöpfung ist letztlich der Maßstab für alles. Folgen wir allein dem Wert-
schöpfungsgedanken, so wäre ein Prozess eine Folge von Aktivitäten, deren Ergebnis
(Output) aus Kundensicht einen höheren Wert darstellt als die zu Beginn des Prozes-
ses zur Verfügung gestellten Ressourcen (Input). Unglücklicherweise werden nicht
alle Prozesse dieser rein wertorientierten Sichtweise gerecht, sondern ausschließlich
Geschäftsprozesse. Abbildung 19 stellt die entsprechenden Definitionen gegenüber.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Prozess:
Besteht aus einer Folge von Aktivitäten, die aus definierten Eingaben
(Inputs) definierte Ergebnisse (Outputs) erzeugen (I – A – O)

Eingabe Aktivitäten Ergebnis


(Input) (Output)

Geschäftsprozess:
Besteht aus einer funktions- und organisationsübergreifenden Folge wert-
schöpfender Aktivitäten, die vom Kunden erwartete Leistungen
(Produkte) erzeugen.

Anforderungen wertschöpfende Leistungen für


von Kunden Aktivitäten Kunden

Abb. 19: Definition von Prozessen; Quelle: Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 52

Der Zweck von Geschäftsprozessen ist stets der werthaltige Bezug von Produkten
und Dienstleistungen durch den Kunden. Geschäftsprozesse zeichnen sich durch eine
Abfolge von verschiedenen Unternehmensprozessen aus, die solcherart eine Wert-
schöpfungskette bilden. Ausgangs- und Endpunkt eines Geschäftsprozesses ist dabei
stets der (externe) Kunde. Ein für mich sehr plakatives Beispiel bildet die Kundenbe-
ziehung beim Mobilfunk (siehe Abbildung 20). Jeder kennt die Abfolge einer solchen
Wertschöpfungskette, von der Beratung über den Abschluss des Vertrags bis zur
Bezahlung per monatlicher Rechnung.

Beratung Verkauf Aktivierung Telefonie Abrechnung

Wertschöpfungskette (Geschäftsprozess)

Abb. 20: Wertschöpfungskette Beratung, Abschluss eines Mobilfunkvertrags bis Bezahlung der Tele-
fonie; Quelle: Eigene Darstellung

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4.2 Basics: Aus dem Fundus der Prozessentwicklung

Ein Kunde wird für gewöhnlich zuerst eine Beratung (1) in Anspruch nehmen, bevor
er den Mobilfunkvertrag abschließt (2). Anschließend wird der Netzbetreiber für eine
Aktivierung des Kundenkontos (3) in seinem Netz sorgen, worauf der Kunde in die
Lage versetzt wird, Telefonie- und Datendienste (4) aktiv zu nutzen. Schließlich geht
ihm am Monatsende eine Rechnung (5) über die in Anspruch genommenen Leistungen
zu. Jeder dieser fünf Abschnitte stellt nun für sich genommen einen eigenständigen
Prozess dar. Die Verkettung dieser Prozesse führt zur Wertschöpfung, die das Unter-
nehmen seinen Kunden bietet und bildet somit einen Geschäftsprozess. Man spricht
hier auch von einem End-to-End- (E2E) oder Kunde-zu-Kunde- (C2C-)Prozess. Der
Kunde löst den Prozess (Beratung) aus, bevor er am Ende das Ergebnis des Prozesses
(Abrechnung) erhält.

4.2.3 Drei Arten von Prozessen nach dem »SOS-Modell«

Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, trägt nicht jede Tätigkeit im Unternehmen


direkt zur Wertschöpfung bei. Abgesehen vom scheinbar unvermeidbaren Auftreten
von Fehl- und Blindleistungen sind diese nicht unmittelbar wertschöpfenden Tätig-
keiten aber durchaus notwendig und gewollt. Unverzichtbar sind etwa die Bereitstel-
lung von Ressourcen (Maschinen, Material, Menschen) in Produktionsprozessen oder
die Erstellung von strategischen Planungsvorgaben. Diese Aktivitäten folgen, wie
auch wertschöpfende Tätigkeiten, einem bestimmten Ablauf und können wiederum
zu Prozessen zusammengefasst werden. Um ein besseres Verständnis für das Zusam-
menspiel der verschiedensten Unternehmensprozesse zu entwickeln, ist es vorteil-
haft, eine Klassifikation der Prozesse vorzunehmen. Häufig werden drei Arten von
Prozessen unterschieden: Strategieprozesse, operative Prozesse und Supportpro-
zesse. Nach den jeweiligen Anfangsbuchstaben der Prozesse ist dies als »SOS-Modell«
bekannt. In der Prozess-Community haben sich dafür auch zahlreiche anderslautende
Bezeichnungen eingebürgert. Verschiedene gebräuchliche Synonyme und korrespon-
dierende Prozessbeispiele sind in Abbildung 21 dargestellt.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Strategieprozesse: Synonyme Beispiele


– zur übergreifenden strategischen und * Planungs- und * Personalqualifikation
finanziellen Lenkung der operativen Prozesse Steuerungsprozess * Budgetplanung
– beziehen sich auf hoheitliche Aufgaben der * Führungsprozess * Strategische Planung
Unternehmensplanung und Management- * Management-Prozess * Ressourcen-
kontrolle * Corporate Functions bereitstellung

Operative Prozesse: Synonyme Beispiele


– direkt an der Wertschöpfungskette beteiligt * Leistungsprozess * Auftragsabwicklung
– bringen direkten Kundennutzen, der Kunde * Kernprozess * Fertigung
ist bereit, dafür zu zahlen * Primärprozess * Kundendienst
* Produktbezogener * Vertrieb
Prozess

Supportprozesse: Synonyme Beispiele


– indirekt an der Wertschöpfung beteiligt * Sekundärprozess * Personalverwaltung
– unterstützen die Geschäftsprozesse * Unterstützungs- * Prüfmittel-
– beziehen sich auf die zur Wertschöpfung prozess Management
benötigten Grundressourcen (Material, * Service Funktions * Arbeitsschutz
Kapital, Anlagen, Personal) * Querprozess * Rechtskonformität

Abb. 21: Übersicht verschiedener Prozessarten; Quelle: Krüger/Homp (1997): Kernkompetenz-Ma-


nagement: Steigerung von Flexibilität und Schlagkraft im Wettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden,
S. 152 und Fischermanns, Guido (2013): Praxishandbuch Prozessmanagement – Das Standardwerk
auf Basis des BPM Framework ibo-Prozessfenster®, Verlag Dr. Götz Schmidt, Gießen, S. 119

Eine kurze Definition der drei Prozessarten sieht wie folgt aus:
y Strategieprozesse beschreiben die für die strategische und betriebswirtschaft-
liche Steuerung relevanten Prozesse und dienen ausschließlich der Führung des
Unternehmens.
y Operative Prozesse umfassen alle Aktivitäten, die direkt an der Wertschöpfungs-
kette beteiligt sind. Diese Prozesse sind zumeist durch den direkten Kontakt zum
Kunden (in der Regel Endkunden) gekennzeichnet und prägen den externen Auf-
tritt des Unternehmens.
y Supportprozesse sind indirekt an der Wertschöpfung beteiligt und haben unter-
stützenden und vorwiegend intern orientierten Charakter.

So hilfreich solche Klassifizierungen sein können, so sehr verführen sie auf der anderen
Seite auch dazu, falsche Priorisierungen vorzunehmen. Fast jedes zweite Unternehmen
begeht den Kardinalfehler, sich vorwiegend auf das Management und die Verbesserung
wertschöpfender (operativer) Geschäftsprozesse zu konzentrieren.85 Diese Unterneh-
men handeln langfristig gesehen fahrlässig. Support- und Strategieprozesse benötigen
stets angemessene Berücksichtigung, decken sie doch für das Unternehmen überle-
benswichtige Funktionen ab. Beispielsweise führen operative Prozesse ohne pünkt-
liche Bereitstellung von Ressourcen zu höheren Kosten. So besteht das Risiko, hinter

85 Thome/Müller/Vogeler (2011): Zukunftsthema Geschäftsprozessmanagement, PricewaterhouseCoopers


Wirtschaftsprüfungsgesellschaft AG: https://www.pwc.de/de/prozessoptimierung/assets/pwc-gpm-studie.
pdf (Zugriff: 13.06.2016).

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4.2 Basics: Aus dem Fundus der Prozessentwicklung

dem Wettbewerb zurückzufallen. Schlecht gemanagte Steuerungsprozesse wiederum


können die Reputation eines Unternehmens nachhaltig beschädigen. Falsche Strate-
gien machen Schlagzeilen, wie etwa bei der Deutschen Bank, die sich in den vergange-
nen Jahren immer wieder anders aufstellte, ohne dabei letztlich erfolgreicher zu sein.
Zudem nimmt die Komplexität operativer Prozesse mit stetig steigenden Anforderun-
gen immer mehr zu. Vernachlässigen Organisationen diese auf Dauer, gestaltet sich ein
späteres Management umso aufwendiger. Vermehrt kleine Unternehmen setzen sich
diesem Risiko aus, indem sie ihr Augenmerk vorwiegend auf operative Prozesse richten.

4.2.4 Mit Kompass und Karte durch den Prozessdschungel

Die Prozessvielfalt nimmt mit der Unternehmensgröße rapide zu. Dass Unternehmen
mehrere hundert Prozesse verwalten müssen, ist keine Seltenheit. Ein Automobil-
konzern, wie z. B. Volkswagen, mit weltweit über einer halben Million Beschäftigten,
muss sich in seinem Betriebsalltag mit Zigtausenden Prozessen und Teilprozessen
herumschlagen. Kein Wunder also, dass Organisationen in diesem Prozessdschungel
leicht die Übersicht verlieren können. Abhilfe schafft hier die Einführung einer unter-
nehmensweiten Prozesslandkarte, in welcher alle im Unternehmen beheimateten
Prozesse kartografiert werden.

Um auch für große Unternehmen praktikabel zu sein und Hunderte von Prozessen
aufnehmen zu können, muss eine Prozesslandkarte in der Lage sein, Details zuguns-
ten einer verbesserten Übersicht zusammenzufassen bzw. notwendige Details zulas-
ten der Übersicht nach Bedarf preiszugeben (siehe Abbildung 22). Eine Straßenkarte –
egal, ob auf Papier oder auf dem Navi-Display – zeigt auch nicht jedes Haus, sondern
(nur) das, was Autofahrer zur Orientierung brauchen.

zunehmender Detaillierungsgrad

zunehmende Übersicht

Abb. 22: Prozesslandkarte und Prozesslandschaft; Quelle: Eigene Darstellung

Bestmögliche Übersicht wird durch den Gebrauch einer dreidimensionalen Prozessland-


karte erreicht. Prozesse werden hier auf den verschiedensten Unternehmensebenen in
unterschiedlicher Detaillierung abgebildet. Während für die Unternehmensführung eine
Übersicht der Kernprozesse ausreicht, sind für die mittlere Management-Ebene einzelne
Prozesse zu sehen, während auf operativer Ebene alle Details sichtbar sind, weil hier ein
detailliertes Verständnis einzelner Tätigkeiten benötigt wird (siehe Abbildungen 22 und 23).

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Geschäftsprozess

Prozesse

Teilprozesse

Aktivitäten

Abb. 23: Prozessebenen; Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 23 zeigt beispielhaft die Prozesse in dreidimensionaler Darstellung der


Ebenen. Eine leichter lesbare zweidimensionale Variante, anhand eines imaginären
Maschinenbauunternehmens, bietet Abbildung 24.

1. Führungsprozesse
Lieferant

Lieferant
Strategische Führungsprozesse
1.1 Strategie- 1.2 Organisations- 1.3 Unternehmens- 1.4 Investor 1.5 Partner-
entwicklung entwicklung planung Relations Management
Operative Führungsprozesse
|

1.6 Controlling 1.7 Budget- 1.8 Personal- 1.9 Qualität 1.10 Risiko- 1.11 Interne
Mitarbeiter

Mitarbeiter

und Finanzen planung führung und Prozesse Management Kommunikation

2. Leistungsprozesse
Kundengewinnung / Kundenbindung
2.1 Akquise 2.2 Beratung 2.3 Angebot 2.4 Bestellung 2.5 After Sales
|

Management
Eigentümer

Eigentümer

Produkt- / Leistungsinnovation
2.6 Forschung 2.7 Produkt- 2.8 Individual- 2.9 Entwicklung
und Entwicklung entwicklung entwicklung Serviceprodukte
Leistungserbringung
2.13 Inbetrieb- 2.14 Reparatur 2.15 Dienst- &
|

2.10 Herstellung 2.11 Montage 2.12 Versand nahme und Wartung Serviceleistung
Markt

Markt

3. Unterstützungsprozesse
3.1 Marketing 3.2 Beschaffung 3.3 Personalakquise 3.4 Finanz- & 3.5 ITK-Support
|

und Administration Betriebsbuchhaltung


Kunde

Kunde

3.6 Interne Wartung 3.7 Arbeitsunterhalt 3.8 Facility 3.9 Legal Support / 3.10 Akademie
und Unterhalt & Gesundheitsschutz Management Patente

Abb. 24: Prozesslandkarte für ein imaginäres Maschinenbauunternehmen; Quelle: Eigene Darstellung

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4.3 Unterschiedliche Formen der Prozessentwicklung

Mittlerweile existiert eine Vielzahl mächtiger Prozesswerkzeuge, die bei der Erstellung
und Navigation einer Prozesslandkarte unterstützen. Bei großen Unternehmen kann
die Komplexität durch bereichsspezifische (anstelle unternehmensspezifischer) Pro-
zesslandkarten deutlich reduziert werden.

4.3 Unterschiedliche Formen der Prozessentwicklung

Prozessentwicklung, Prozessoptimierung, Restrukturierung, kontinuierliche Verbesse-


rung – in manchen Unternehmen werden diese Begriffe im alltäglichen Sprachgebrauch
bunt vermischt. Da ist es hilfreich, sich einmal anzuschauen, was man an Prozessen
überhaupt verändern kann. Und auch, was geschieht, wenn man untätig bleibt.

4.3.1 Nulloption: Prozesse gehen immer ihren Weg

Wenn Sie eine Straße sich selbst überlassen, haben Sie dann für immer dieselbe
Straße? Nein, denn die Natur erobert sie sich zurück. Ganz langsam, Stück für Stück,
zunächst fast unmerklich, wächst die Straße zu, am Ende so, dass Sie den Asphalt
kaum mehr erkennen werden. Auch Prozesse entwickeln sich immer. Ab dem Moment
ihrer Inbetriebnahme verändern sie sich, auch ganz ohne bewusstes Zutun der Orga-
nisation. Mitarbeiter kommen und gehen, neue Software wird installiert, alte Gebäude
werden verlassen und neue bezogen – all das und noch vieles mehr bleibt nicht ohne
Auswirkung auf die Prozesse. Letztlich folgen auch Prozesse lediglich einem physika-
lischen Grundprinzip, dem Entropiegesetz: Die »Unordnung« (Entropie) in einem Sys-
tem nimmt mit der Zeit unaufhaltsam zu. Mit anderen Worten: Ohne kontinuierliche
Prozesspflege neigen Prozesse stets dazu, sich zu verschlechtern. Für den Alltagsver-
stand ist das eigentlich kaum überraschend. Denken sie nur einmal an Ihr Zuhause:
Wenn sie wochenlang nicht aufräumen und saubermachen, wird es Ihnen nur noch
wenig Freude bereiten, nach Hause zu kommen. Obwohl dieser Zusammenhang
eigentlich jedem klar ist, treffe ich in Organisationen immer wieder auf den Irrglau-
ben, dass einmal aufgesetzte Prozesse unverändert ablaufen und sozusagen stramm
»ihren Dienst tun«. Das genaue Gegenteil ist der Fall! Ohne institutionalisierte Prozess-
pflege verändern sich Prozesse auf vielschichtige Weise. Die Einflussfaktoren können
dabei in vier wesentliche Gruppen unterteilt werden: menschliche, technologische,
organisatorische und mechanische Einflüsse (siehe Abbildung 25).

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Menschliche Einflüsse Technologische Einflüsse


* Fluktuation, Mitarbeiterwechsel Einführung neuer Technologien *
* Rückfall in alte Verhaltensmuster neue Maschinen, Server *
* Workarounds, Bequemlichkeits- Entstehung einer Schatten-IT und *
lösungen Schaffung von Prozessseitenarmen
* Know-how-Verlust Updates, Upgrades *
* ... ... *

Prozesse
* Einführung neuer Produkte längere Wegzeiten *
* Änderungen in zuliefernden (z. B. Materialbeschaffung)
und nachfolgenden Prozessen Verschleiß *
* Zukäufe, Unternehmensfusionen, ... *
Harmonisierungsbestrebungen
* Neue Arbeitsanweisungen bzw.
Änderung von Arbeitsanweisungen
* ...

Organisatorische Einflüsse Mechanische Einflüsse

Abb. 25: Einfluss- und Veränderungsfaktoren für Prozesse; Quelle: Eigene Darstellung

Überlässt man Prozesse durch Nichtstun sich selbst, fehlen also sämtliche geplanten
Prozessverbesserungen, spricht man auch von der »Nulloption«. Die Nulloption bildet
die Ausgangsbasis, anhand derer andere Optionen qualifiziert werden können. Der
Unterschied zwischen der »Nulloption« und einer Verbesserungsmaßnahme ist dann
der Nutzen, den diese Investition erbringen kann (siehe Abbildung 26). 86

Prozesswertbeitrag

Verbesserungs-
maßnahme
Wertsteigerung
der Verbesserung „Nutzen“
Wertverlust
bei Nulloption

Nulloption

Zeit
Implementierungszeitpunkt

Abb. 26: Nulloption und Nutzenbewertung: Was bringt eine Prozessverbesserung?; Quelle: Eigene
Darstellung

86 In Anlehnung an OGC (2009): PRINCE2, Erfolgreiche Projekte managen mit PRINCE2, Norwich, S. 28.

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4.3 Unterschiedliche Formen der Prozessentwicklung

4.3.2 Arten der Prozessentwicklung: Sanft oder radikal?

Um die Nulloption zu vermeiden und Prozesse zu erhalten und zu verbessern, kön-


nen Organisationen verschiedene Wege einschlagen. Die bekanntesten Formen der
Prozessentwicklung lassen sich in der Praxis leider nicht immer trennscharf unter-
scheiden. Wesentlichstes Differenzierungsmerkmal bildet die Art und Weise der Ent-
wicklung, d. h., ob Prozesse evolutionär, transformativ oder radikal verändert werden
(siehe Tabelle 10).

Prozess-Design/ Fundamentales Infragestellen, Neudenken


und Neuschaffen von Geschäftsprozessen
Reengineering zur Leistungsverbesserung
revolutionär
Geplanter organisatorischer Wandel zur
Restrukturierung Verbesserung des vorhandenen Effizienz-
niveaus des Unternehmens

Business Process Verlagerung von Prozessen an externe


Outsourcing Anbieter bzw. in Billiglohnländer

Shared Service Verlagerung von Aufgaben und Tätigkeiten transformierend


Center an externe Anbieter bzw. in Billiglohnländer

Geschäftsprozess- Analyse und Umsetzung größerer Prozess-


optimierung verbesserungen im Rahmen eines Projektes

Kontinuierliche Stetige, punktuelle Verbesserung einzelner


Prozessverbesserung Prozessschritte und Teilprozesse evolutionär

Tab. 10: Bekannteste Formen der Prozessentwicklung; Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 27 illustriert die Auswirkungen der unterschiedlichen Ansätze auf die Pro-
zessleistung und weist auf die für jede Methode empfehlenswerte Steuerungsoption
hin (Basis, Management, Vorstand).

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Kontinuierliche Process-
Prozessverbesserung Prozessoptimierung Reengineering

Prozessleistung

Prozessleistung

Prozessleistung
Zeit Zeit Zeit

* schrittweise Verbesserung * sprunghafte Verbesserung * radikale Neugestaltung


der bestehenden Prozesse der bestehenden Prozesse führt zu neuen Prozessen
* getrieben durch * getrieben durch * getrieben durch
Unternehmensbasis Management Top-Management
* evolutionär * transformierend * radikaler Umbruch

Aufwand
Risiko

Abb. 27: Unterschiedliche Ansätze der Prozessentwicklung; Quelle: In Anlehnung an Becker, Torsten
(2008): Prozesse in Produktion und Supply Chain optimieren, Springer-Verlag, Heidelberg, S. 21

Je nachdem, ob Prozesse sanft, energisch oder radikal verändert werden, spricht man
von kontinuierlicher Prozessverbesserung, Prozessoptimierung oder Prozess-Reengi-
neering:

Kontinuierliche Prozessverbesserung
Im Rahmen kontinuierlicher Prozessverbesserungen werden zahlreiche kleine Ver-
besserungsmaßnahmen nacheinander angestoßen. Typischerweise sind viele der
am Prozess beteiligten Mitarbeiter, unabhängig von ihrer Rolle und Stellung im Unter-
nehmen, in die schrittweise Umsetzung der Verbesserungen eingebunden (z. B. Six-
Sigma-Teams). Getrieben werden diese schrittweisen Veränderungen oftmals durch
die Unternehmensbasis.

Prozessoptimierung
Meist handelt es sich dabei um größere Projektvorhaben, die eine intensivere Betreu-
ung und Beaufsichtigung durch das mittlere Management in Unternehmen notwendig
machen und oft zu sprunghaften Verbesserungen bestehender Prozesse führen. Die
Umsetzung der Maßnahmen erfolgt hierbei vielfach in Projektteams unter der Leitung
eines routinierten Prozessexperten.

Prozess-Reengineering
Das Reengineering der Prozesse stellt wohl die dramatischste und risikoreichste Form
der Prozessentwicklung dar. Am grünen Tisch87 werden die Prozesse mit dem Ziel neu

87 Der grüne Tisch ist in der Praxis ein geläufiges Synonym dafür, von vorn (neu) zu beginnen: https://
de.wikipedia.org/wiki/Grüner_Tisch (Zugriff: 09.11.2016).

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4.4 Mensch und Prozess: Ein ungeklärtes Verhältnis

entworfen, die Altprozesse vollständig zu ersetzen. Diese radikale Neugestaltung und


die damit einhergehenden unternehmensweiten organisatorischen, technischen und
prozessualen Implikationen machen dieses Vorgehen zur Vorstandsaufgabe.

Auf den weiteren Seiten dieses Buches werde ich meine Aufmerksamkeit vorwiegend
einem universell anwendbaren Vorgehen zur Prozessoptimierung und der Vorberei-
tung zur Digitalisierung widmen.

4.4 Mensch und Prozess: Ein ungeklärtes Verhältnis

Mein Beratungsalltag führt mich auch regelmäßig in Unternehmen, in denen ein eher
unglückliches Verständnis von Prozessmanagement vorherrscht. Diese Organisatio-
nen stellen die Ausführung, Verwaltung und Kontrolle von Prozessen in den Vorder-
grund und zeichnen sich meist durch eine formalistische Herangehensweise aus. Pro-
zessoptimierung genießt dort nachrangigen Stellenwert.

Für mich ist Prozessoptimierung jedoch der entscheidende Schlüssel zum erfolgrei-
chen Prozessmanagement. Ich halte es da wie die Kollegen Schmelzer und Sessel-
mann, die den Stellenwert der Prozessoptimierung in ihrem ausführlichen Werk zum
Prozessmanagement sehr treffend formulieren:

»Das Hauptziel des Prozessmanagements ist es, durch Prozessoptimierung die


Effektivität und Effizienz des Unternehmens nachhaltig zu erhöhen und den
Unternehmenswert zu steigern. Nachhaltig bedeutet, die Prozessziele dauerhaft
und zukunftsverträglich zu erreichen.«88

Mit anderen Worten: Es ist die Aufgabe des Prozessmanagements, den Rahmen und
die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Verbesserung und Optimierung der
Geschäftsprozesse zu schaffen. Dabei hat es sich bewährt, Prozessmanagement in
vier Kernbereiche zu organisieren: Prozessführung, Prozessorganisation, Prozess-
Controlling und Prozessoptimierung (siehe Abbildung 28).

88 Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 10.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Prozessführung Prozessorganisation Prozesscontrolling

Geschäftsprozesse

Prozessoptimierung

Abb. 28: Kernaufgaben des Prozessmanagements; Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann,


a. a. O. (Fn. 84), S. 8

Prozessführung beinhaltet, die am Prozess beteiligten Personen für die Prozessziele


zu sensibilisieren und Einstellung und Verhalten der Mitarbeiter darauf abzustimmen.
Eine disziplinarische Führung der Prozessbeteiligten lässt sich meist nur für Prozess-
organisationen (im Gegensatz zu Fach- oder Matrixoperationen) erreichen.

Zu den vordringlichsten Aufgaben der Prozessorganisation gehört die Integration aller


Prozessaufgaben in die Aufbauorganisation und die Gestaltung und Modellierung der
Prozesse. Darüber hinaus fallen die Definition und Beschreibung von Prozessrollen
ebenfalls in das Aufgabenfeld der Prozessorganisation.

Das Hauptaugenmerk des Prozess-Controllings liegt auf der Planung der Prozessziele
sowie der Kontrolle und Steuerung der Zielerreichung. Unterstützend fallen Informati-
onsbeschaffung und -verteilung in das Aufgabenportfolio des Prozess-Controllings. 89

Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen – leider gerne began-
genen – Kardinalfehler der Prozessoptimierung lenken. In der Beurteilung von Opti-
mierungsmaßnahmen werden vielfach Entscheidungen auf Basis reiner Maßnah-
meneffizienz getroffen. Diese einseitige Sichtweise führt meist nicht zu nachhaltigen
und somit zukunftsfähigen Prozessverbesserungen. Es ist entscheidend, die Optimie-
rungsmaßnahmen auch nach ihrer Effektivität zu beurteilen (siehe Abbildung 29).

Zum besseren Verständnis gebe ich ein einfaches Beispiel. Es ist möglich, die Prozess-
kosten durch Stellenabbau von Mitarbeitern zu reduzieren und so Einsparungsziele
zu realisieren. Jedoch könnte durch den Stellenabbau entscheidendes Prozess- und

89 Für weiterführende Informationen siehe auch Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84).

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4.5 Gesamtkonzept: Wege in die Prozessdigitalisierung

Fachwissen verloren gehen, welches zu einem späteren Zeitpunkt wieder extern ein-
gekauft werden müsste oder im schlimmsten Fall zu regelmäßigen Prozessbeeinträch-
tigungen führen könnte, die das Unternehmensergebnis nachteilig beeinflussen. Die
Maßnahme in diesem Beispiel wäre zwar effizient, da die finanziellen Ziele (Einspa-
rung) erreicht werden, aber nicht nachhaltig (also effektiv) wirksam.

effektiv
Fokusgebiet

Prozessergebnis
wirkt nachhaltig
und wird mit
minimal möglichem
Einsatz erzeugt

Prozess erzeugt das effizient


gewünschte Ergebnis

Abb. 29: Effiziente und effektive Prozessoptimierung; Quelle: Eigene Darstellung

4.5 Gesamtkonzept: Wege in die Prozessdigitalisierung

Zu jeder guten Reise gehört eine umsichtige Routenplanung. Führt die Route noch
dazu in unbekanntes Terrain, gewinnt eine gewissenhafte Vorbereitung umso mehr an
Bedeutung. Wir können digitale Werkzeuge nur dann für eine erfolgreiche Unterstüt-
zung der Prozessoptimierung einsetzen, wenn bereits während der Prozessdigitalisie-
rung die notwendigen Voraussetzungen dazu geschaffen werden.

Dafür ist es notwendig, sich neben der Transparenz über Prozessverläufe und Prozess-
verbesserungen ebenso über Art und Orte der Datengewinnung, die Schaffung von
Datenanalysefähigkeiten und neuen Berufsbildern (Rollen im Unternehmen) Gedan-
ken zu machen.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

analoge transforma- digitale


Prozessentwicklung torische Prozess-
Prozessentwicklung entwicklung

1.1 1.2 1.3 1.4 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3

Datenauswertungsfähigkeiten
Datenbestand schaffen
Digitalisierungskonzept
Automatisierung &

Echtzeitergebnisse

Heilen und Lernen


Verbesserung

Robotisierung

Vorhersagen
Transparenz

Analyse

Abb. 30: Schritte in die Entwicklung digitaler Prozesse; Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 30 skizziert einen verlässlichen Weg in die Prozessdigitalisierung und die


Kreation digitaler Prozessoptimierungswerkzeuge. Analoge Prozesse evolvieren über
mehrere Entwicklungsschritte hinweg in einen zunehmend »digitalen« Zustand.

Wenn auch auf den ersten Blick der Eindruck entstehen könnte, irgendwann den
Zustand einer 100-prozentigen Digitalisierung zu erreichen, so ist nicht davon auszu-
gehen, dass dies jemals der Fall sein wird. Bedenken Sie nur, was eine solch umfas-
sende Digitalisierung bedeuten würde: Prozesse, die lückenlos automatisiert ablau-
fen, autonome Entscheidungen treffen und sich selbstständig warten und verbessern,
keine Einbindung spärlich und lückenhaft datenproduzierender Menschen in den
Prozessablauf mehr, einschließlich der Entscheidungsträger in Unternehmen. Es ist
nach Expertenschätzungen davon auszugehen, dass die höchste Digitalisierungsrate
bei operativen Prozessen (mit bis zu 80 %) vor Unterstützungsprozessen (40–60 %)
erzielt werden können. Führungsprozesse werden auch zukünftig die höchste Digi-
talisierungsresistenz aufweisen. Zumeist handelt es sich bei Führungsprozessen um
strategische Entscheidungsprozesse, die mittels kreativer Lösungsfindungen auf eine
immer veränderliche Markt-, Wettbewerbs- und Unternehmenssituation reagieren
müssen und daher auch in Zukunft schwer (er-)fassbar bleiben.

Die analoge Prozessentwicklung (siehe Schritte 1.1–1.3 in Abbildung 30) bildet das
Fundament für die Digitalisierung und umfasst drei elementare Schritte. In Phase 2
wird mit der Erstellung eines Digitalisierungskonzepts der Übergang zu digitalen Pro-
zessen eingeleitet. Nach Schaffung der notwendigen Datenanalyse- und -verarbei-
tungsfähigkeiten beginnt mit Phase 3 eine stark durch datengetriebene Einsichten
gestützte digitale Prozessentwicklung, deren Ziel weitestgehende Prozessautonomie
sein sollte.

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4.5 Gesamtkonzept: Wege in die Prozessdigitalisierung

Schritt 1.1: Transparenz herstellen


Unabhängig von jedem Digitalisierungsvorhaben bildet die Aufnahme, Aktualisierung
und Visualisierung der Bestandsprozesse die notwendige Grundlage jeder Prozessop-
timierung und -weiterentwicklung.

Schritt 1.2: Analyse und Verbesserung


In diesem Schritt werden Verbesserungspotenziale identifiziert, Verbesserungsmaß-
nahmen entworfen und nacheinander umgesetzt. Mit diesem Schritt soll der Prozess
tunlichst von Altlasten befreit werden. Die Optimierung verfolgt dabei die Umsetzung
einer, mehrerer oder aller nachfolgenden Zielsetzungen:
y Verschlanken: z. B Eliminieren überflüssiger oder nicht wertschöpfender Prozess-
schritte
y Vereinfachen: z. B. simplere Genehmigungs-Workflows, weniger Schnittstellen,
»Triagieren« der Prozesse (weniger wahrscheinliche Varianten nicht in den Haupt-
prozess einbinden)
y Beschleunigen: z. B. organisatorische Anpassungen, Arbeitsschritte parallel aus-
führen
y Prozessleistung erhöhen: z. B. Beseitigung von Engpässen, Aufbau von Redundan-
zen, Modernisierungen
y Ressourceneinsatz reduzieren: z. B. Automatisierung, Materialeinsatz optimieren
y Auffälligkeiten reduzieren: z. B. Reduktion von Workarounds, Eliminierung
bekannter Prozessfehler

Schritt 1.3: Automatisierung und Robotisierung


Zwar sind die Grenzen zwischen Automatisierung und Prozessoptimierung fließend,
jedoch lohnt es sich aufgrund der typischerweise deutlich höher ausfallenden Inves-
titionskosten im Rahmen der Automatisierung diesen Schritt aus der reinen Prozes-
soptimierung herauszuheben und als separaten Entwicklungsschritt durchzuführen.
Das Hauptziel stellt naturgemäß die Reduktion manuell getätigter Arbeitsschritte dar.
Darunter fallen sowohl die Automatisierung von Schnittstellen als auch die Standardi-
sierung der Prozesse (Reduktion manueller Aufwandstreiber, wie uneinheitliche Vor-
lagen, fehlende Richtlinien etc.). Für diesen Schritt sind zudem Überlegungen, eine
»Prozess-Triage« (siehe Kapitel 4.6.2) durchzuführen besonders lohnenswert. Unter
Triage versteht man die Bewertung der typischen Prozessvorgänge (z. B. Transakti-
onen) nach ihrer Häufigkeit beispielsweise mittels einer ABC-Analyse (siehe Kapitel
4.6.1). Vorgänge, die besonders häufig vorkommen oder den größten Umsatzbeitrag
(ca. 70–80 %) liefern, werden als Kategorie-A-Vorgänge in einem Hauptprozess zusam-
mengefasst und weitestgehend automatisiert. Seltener vorkommende Kategorie-B-
und -C-Vorgänge werden aus dem Hauptprozess entfernt und in einem separaten Pro-
zess ggf. mit eigenständiger Ablauforganisation weiterhin manuell bearbeitet.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

Prozess-Triagen werden nicht nur für die Automatisierung von Prozessen heran-
gezogen. Immer dann, wenn wenige komplexere und zeitfressende Vorgänge die
Hauptmasse der Prozessbearbeitung verzögern, rechtfertigt sich der Einsatz einer
Prozess-Triage.

Schritt 2.1: Digitalisierungskonzept


Das Digitalisierungskonzept (siehe Kapitel 4.6.3) beschreibt nicht nur das weitere
Vorgehen und die notwendigen Voraussetzungen, sondern bekräftigt auch den Ent-
schluss des Unternehmens, die Prozessdigitalisierung in Einklang mit der beschrie-
benen Vorgehensweise weiterzuverfolgen. Dies ist deshalb von Bedeutung, entsteht
doch mit dem Digitalisierungskonzept eine Art »Vertrag« zwischen Unternehmenslei-
tung und Prozessverantwortlichen, der den teilweise sehr hohen Investitionsaufwand
und die starke Ressourcenbindung verbindlich regelt.

Schritt 2.2: Datenbestand schaffen


Für eine wirkungsvolle datengetriebene Prozessoptimierung ist ein dichter und über
den gesamten Prozessverlauf durchgängiger Datenbestand erforderlich. Dieser
Schritt ist deshalb dem Aufbau umfassender Mess- (Sensorik) und Datenerfassungs-
systeme und der dafür notwendigen Hard- und Software-Infrastruktur gewidmet.

Schritt 2.3: Datenanalysefähigkeiten entwickeln


Um den gesammelten Daten auch Leben einzuhauchen, ist es notwendig, neue Unter-
nehmensrollen (wie beispielsweise den »Data Strategist«, siehe Kapitel 2.8.3.3) einzu-
führen und Analysekapazitäten (beispielsweise Tools wie Hadoop oder MapReduce,
Skriptsprachen und Software zum maschinellen Lernen und der visuellen Analyse)
aufzubauen.90

Schritt 3.1: Echtzeitergebnisse bereitstellen


In diesem Schritt werden die gesammelten Daten zu wissenswerten Informationen
aufbereitet, um diese dann Prozessbeteiligten, Kunden und Unternehmensleitung
in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Streng genommen bedeutet es, dass jeder Pro-
zessvorgang, sei es der Bearbeitungsstand einer Transaktion oder eines Produkts, zu
jedem Zeitpunkt in Echtzeit abgerufen werden kann.

Die Fähigkeit, eine Vielzahl von verschiedensten Daten aus den unterschiedlichsten
Quellen mit geringstmöglichen Latenz-Zeiten (siehe Kapitel 8.3.1) zu erheben, verar-
beiten und auszuwerten, bildet die Grundlage für den nächsten Entwicklungsschritt,
Prozessvorhersagen auf Basis aktuell vorherrschender Prozesszustände zu entwickeln.

90 Für mehr Informationen siehe auch Davenport, Thomas (2014): big data @ work: Chancen erkennen,
Risiken verstehen, Vahlen Verlag, München.

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4.6 Aus dem Werkzeugkasten der Prozessanalyse

Schritt 3.2: Vorhersagefähigkeiten installieren


Ist die Fähigkeit, Prozesszustände in Echtzeit anzuzeigen, geschaffen, können nun
Vorhersagefähigkeiten zukünftiger Prozesszustände mittels intelligenter Software-
Algorithmen installiert werden. Die nun praktisch zu jedem Zeitpunkt erfolgende
Berechnung zukünftiger Prozesszustände kann enorme Rechenleistung in Anspruch
nehmen und die Latenz-Zeiten entsprechend negativ beeinflussen. Mit diesem Ent-
wicklungsschritt zeigt sich die Qualität und Skalierbarkeit der gewählten Hard- und
Software-Infrastruktur sowie die durch sie gesetzten Grenzen. Fast überflüssig zu
erwähnen, dass die beiden Entwicklungsschritte 3.1 und 3.2 den Performance-Spe-
zialisten einiges abverlangen werden und deshalb entsprechend investitionsintensiv
ausfallen können.

Schritt 3.3: Heilen und Lernen


Der letzte Schritt zur Prozessautonomie (siehe auch Kapitel 3.4) ist im Kern lediglich
durch eine Verbesserung der Software-Algorithmen und durch Einführung maschi-
nellen Lernens geprägt. Nicht mehr ein Analyst oder ein Software-Entwickler trifft die
Entscheidung, wie gut ein bestehendes Vorhersagemodell ist, sondern die Software
(also der Prozess selbst) entscheidet die günstigste Heil- und Lernstrategie und adap-
tiert diese kontinuierlich. Ein Nachteil maschinellen Lernens ist, dass einige Ergeb-
nisse nicht mehr einfach nachzuvollziehen sind. Uns bleibt lediglich das Wissen, dass
für ein Software-Programm bestimmte Variablen oder Daten im Modell von Bedeu-
tung sind. Die schiere Datenmenge macht es jedoch notwendig, diese Aufgaben an
eine »Maschine« zu delegieren.

4.6 Aus dem Werkzeugkasten der Prozessanalyse

Bei einer Bergtour benötigt man, je nach Schwierigkeitsgrad, die passende Ausrüs-
tung. Schon wenn es nicht nur über Wanderwege, sondern auch über Klettersteige
geht, sollte man sich dazu vor dem Aufbruch Gedanken machen. Neben geeigneten
Schuhen gehören dann z. B. Helm, Klettergurt, Bandschlinge und Karabiner in den
Rucksack. Auch die Prozessanalyse kennt ihre üblichen und bewährten Werkzeuge.
Man hüte sich davor, nur nach dem »Neuesten« zu suchen. Für Bergsteiger ist ein Helm
auch nichts Neues – und dennoch unverzichtbar.

4.6.1 Bewährtes Hilfsmittel: ABC-Analyse

Die ABC-Analyse gehört zur Grundausstattung in der Prozessanalyse und hilft dabei,
die richtigen Prioritäten zu setzen. Eine ABC-Analyse zeigt, wo sich besonderes Enga-
gement lohnt und wo durchschnittliche Bemühungen ausreichen. Hinter der Methode
steckt der Grundgedanke, dass bereits ein relativ kleiner Ressourceneinsatz verhält-

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

nismäßig hohen Anteil am Erfolg trägt. Die Methodik lässt sich auf alles Zählbare
anwenden. Darunter fallen u. a. Umsatz und Deckungsbeitrag genauso wie Stück-
zahl, Transaktionen, Bearbeitungszeit oder Arbeitsaufwand. Es existiert sicher vieles
mehr, was man noch zählen könnte. In den meisten Fällen reichen die vorgenannten
Zählgrößen jedoch völlig aus. Beispielsweise legt die Optimierung von Prozessdurch-
laufzeiten eine Segmentierung der verschiedenen Vorgänge (Prozessfälle) nach ihrer
Häufigkeit nahe (siehe Abbildung 31).

Prozent

100
95 C
B
80

50

Vorgangsarten
Abb. 31: ABC-Analyse (Prozessbeitrag nach Vorgangsart); Quelle: Eigene Darstellung

Die Erfahrung lehrt, dass die am häufigsten auftretenden Vorgänge typischerweise


relativ einfacher Natur sind und einem klar strukturierten Ablauf folgen bzw. folgen
können. Sie bilden die Standardfälle (Kategorie-A-Vorgänge). In den meisten Fällen
betrifft dies ca. 70–80 % der gesamten Vorgänge. Kompliziertere Fälle (Kategorie-B-
Vorgänge) machen wiederum je nach Prozess und Branche in etwa 15–20 % der Vor-
gänge aus. Die verbleibenden 5 % sind meist Sonderfälle (Kategorie-C-Vorgänge), die
sehr oft keinem allgemein gültigen Ablauf folgen und schwer einordbar sind.

Die ABC-Analyse liefert nun die Möglichkeit, den Prozess auf den Standardfall anzu-
passen und komplizierte bzw. Sonderfälle in einem separaten Prozess mit ggf. ande-
ren Ablauforganisationen und Entscheidungswegen zusammenzufassen.

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4.6 Aus dem Werkzeugkasten der Prozessanalyse

4.6.2 Bevor es unübersichtlich wird: Prozess-Triage

Die Idee der Prozess-Triage stammt aus dem Werkzeugkasten des auf Hammer und
Champy zurückgehenden Prozess-Reengineerings.91 Zumeist hat ein Prozess die Auf-
gabe, eine bestimmte Variantenvielfalt abzudecken. Je größer die Vielfalt auftreten-
der Prozessvorgänge, desto unübersichtlicher wird der Prozess und umso schwieriger
gestaltet sich eine standardisierte Prozessausführung. Zur Vereinfachung solcher Pro-
zesse dient die Prozess-Triage. Ein Prozess kann nach drei Dimensionen segmentiert
werden: Funktion, Komplexität und Kundengruppe (siehe Abbildung 32).

funktionale
Vertrieb Produktion Lieferung Fakturierung
Triage

Standardfälle

Komplexitäts-
komplexe Fälle
Triage

Sonderfälle

Privatkunden
Kunden-
Triage
Geschäftskunden

Abb. 32: Dimensionen der Prozesssegmentierung; Quelle: Eigene Darstellung

Eine funktionale Segmentierungwird typischerweise dann verwendet, wenn Spezi-


alkenntnisse für einzelne Aufgaben erforderlich sind. Komplexe Segmentierungen
wiederum sind für Prozesse sinnvoll, die Varianten mit unterschiedlichen Schwierig-
keitsgraden beinhalten. Für Prozesse, in denen beispielsweise verschiedenen Kun-
dengruppen unterschiedlichen Ansprachen zuteilwerden oder differenzierte Pro-
dukte zum Tragen kommen, bietet sich eine kundengruppenbasierte Segmentierung
des Prozesses an.

Ein Beispiel ist der Kreditvergabeprozess bei Sparkassen oder kleinen Genossen-
schaftsbanken. Den Löwenanteil der Kreditanträge machen hier einfache Verbrau-

91 Hammer/Champy: Prozess Reengineering (2003): Die Radikalkur für das Unternehmen, Campus Verlag,
Frankfurt am Main.

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4 Erkundung: Konstanten der Prozessoptimierung

cherkredite als Standardfälle aus, bei denen der Antragsteller ein in Vollzeit beschäf-
tigter Arbeitnehmer ist. Deren Bearbeitung wird jedoch durch nicht dem Standard
entsprechende Kreditanträge – etwa von Freiberuflern oder Arbeitslosen – ausge-
bremst. Die Standardfälle können nun in einem dedizierten Prozess durch weisungs-
gebundene Sachbearbeiter bearbeitet werden, wobei diese heute bereits stark von
Software-Algorithmen unterstützt werden. Sonderfälle und komplexere Kreditan-
träge bekommen einen separaten Prozess, in welchem z. B. ein »Case-Team« mit gro-
ßer Weisungsfreiheit die Fälle abarbeitet.

Prozess-Triage und ABC-Analyse pflegen seit jeher ein verwandtschaftliches Verhältnis


und werden daher in der Prozessoptimierung regelmäßig gemeinsam angewendet.

4.6.3 Ein Blueprint für Digitalisierungskonzepte

Ein gutes Digitalisierungskonzept ist entscheidend für die erfolgreiche Entwicklung


datengetriebener Prozessoptimierungsfähigkeiten einer Organisation. Deshalb
möchte ich Ihnen mit dem vorliegenden Abschnitt ein Blueprint für ein Digitalisie-
rungskonzept an die Hand geben.

Zielsetzungen: Hier bietet sich eine Beschreibung des angestrebten Digitalisierungs-


reifegrads an. Die Spanne ist groß und reicht von der Post-mortem-Entwicklung (nach
erfolgter Prozessausführung, d. h. nicht in Echtzeit) von Prozessmodellen, Prozesssi-
mulationen über die Echtzeitverarbeitung, Entwicklung von Echtzeitvorhersagemo-
dellen bis hin zur Prozessautonomie (maschinelles Lernen).

Daten-Management: Das Daten-Management stellt ein zentrales Kapitel in jedem Kon-


zept dar. Wichtig ist die Entwicklung einer umfassenden Datenstrategie, d. h., wo und wie
werden Daten erfasst, übertragen, gespeichert, archiviert und schlussendlich gelöscht?

Architektur: In diesen Abschnitt fällt die Erläuterung anzuwendender architektonischer


Grundprinzipien (z. B. Performance, Skalierbarkeit, Datensicherheit, Latenzen etc.).
Darüber hinaus werden die vorgeschlagene Hard- und Software-Infrastruktur sowie die
zum Einsatz kommenden Datenbanken (z. B. No-SQL etc.) beschrieben.

Prozesse: Für jeden Prozess sind hier die geplanten Messpunkte und die dort erho-
benen Daten aufzulisten. Datenliefernde Messpunkte bilden Sensoren, Soft- und
Hardware (Server, Roboter, Maschinen etc.), Netzwerke und manuelle Eingaben. Als
hilfreich haben sich hier auch die Visualisierung und die Verortung der Messpunkte
herausgestellt. Ergänzend sollte für jeden Prozess noch die korrespondierende Ablau-
forganisation dargestellt werden.

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4.6 Aus dem Werkzeugkasten der Prozessanalyse

Prozessbetrieb: Um den Prozessbetrieb zu unterstützen, sind in diesem Abschnitt alle


dafür relevanten Informationen zu dokumentieren. Darunter fallen Performancevor-
gaben und erwartete Latenzen.

Prozessorganisation: Zur Unterstützung des Gesamtbilds kann es von Vorteil sein,


die, um die notwendigen neuen Rollen ergänzte, Ablauforganisation darzustellen und
die neuen Rollen zu beschreiben. Manche Unternehmen fassen darüber hinaus alle
datenbezogenen Aktivitäten (Verarbeitung, Analyse, Modellierung) der Prozessorga-
nisation noch in einem »Data Intelligence Center« zusammen.

Analysewerkzeuge: Alle für die Datenerfassung, -verarbeitung, -analyse, -vorhersage


und -visualisierung erforderlichen Tools sind hier zu beschreiben.

Algorithmen und Modelle: Dieser Abschnitt des Digitalisierungskonzepts sollte die


Beschreibung aller für die Prozessanalysen und -vorhersagen notwendigen Algorith-
men und Modelle enthalten.

Controlling und Reporting: Die Überwachung und Anzeige der Prozesskennzahlen


und Prozessinformationen, Empfänger und Stakeholder-spezifischen Reports sind in
diesem Abschnitt detailliert zu besprechen.

Datenschutz: Darunter fallen die Konzeption eines Rollen- und Rechtekonzepts sowie
erforderliche technische und organisatorische Maßnahmen.

IT-Sicherheit: Hier sind alle für die Sicherheit der Hard- und Software-Infrastrukturen
geplanten Maßnahmen zu dokumentieren.

Mit den oben genannten Punkten haben Sie nun praktisch bereits ein Inhaltsverzeich-
nis für Ihr Digitalisierungskonzept. Die eigentliche Prozessarbeit kann nun bald begin-
nen. Doch sie sollte gut vorbereitet sein.

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für


Prozessarbeit schaffen

Egal, ob Sie nur eine leichte Wanderung im Gebirge planen oder richtig Bergsteigen
wollen – immer gibt es einiges vorzubereiten. Das fängt mit Banalitäten an, wie etwa
Urlaub zu nehmen oder auf Google Maps nach einem geeigneten Parkplatz zu suchen,
von dem aus Sie starten können. Es geht weiter damit, die Ausrüstung zusammenzu-
stellen und den Rucksack zu packen. Und es endet bei anspruchsvollen Touren viel-
leicht mit der Frage, ob Sie einen Bergführer mitnehmen wollen, sei es jemand aus
dem Bekanntenkreis oder ein Profi. Bei der Prozessarbeit ist es ähnlich. Die Vorberei-
tung fängt mit banalen Dingen an, die dennoch beachtet sein wollen.

5.1 Prozessberater: Schlüsselfigur der Analyse

Prozessberater sind in den meisten Unternehmen Schlüsselfiguren. Im Analysepro-


zess nehmen sie von Anfang an eine zentrale Rolle ein. Konsequenterweise beginnt
die Vorbereitungsphase eines Prozessoptimierungsvorhabens daher bereits mit der
Auswahl des geeigneten Prozessberaters. Aufgrund seiner nicht zu unterschätzenden
Bedeutung für den weiteren Verlauf der Prozessanalyse widme ich dieses Kapitel der
Auswahl, den Aufgaben und den nötigen Fähigkeiten eines Prozessberaters.

5.1.1 Auswahl des Beraters: Unbefangenheit ist Trumpf

Idealerweise rekrutieren sich Anwärter auf den Job des Prozessberaters nicht aus
dem Kader der an der Prozessausführung beteiligten Akteure (Sachbearbeiter, Fach-
experten, Prozessverantwortliche, Führungskräfte), obschon häufig reflexartig nach
Kandidaten mit ausgemachtem Prozessfachwissen gesucht wird. Da dieser Personen-
kreis jedoch in der Regel auch für den Zustand des Prozesses, seine Ergebnisse und
Leistungsfähigkeit mitverantwortlich ist, herrscht typischerweise eine Befangenheit
vor, die den weiteren Verlauf nachteilig beeinträchtigen kann. Einmal angenommen,
Sie und Ihre Mitarbeiter sind mit dem Gebäude, in dem Sie arbeiten, total unzufrieden.
Insbesondere die Raumaufteilung ist absolut unbefriedigend. Würden Sie mit einem
Umbau denselben Architekten beauftragen, der das Gebäude errichtet hat? Erst ein-
mal scheint das nahezuliegen, denn dieser Architekt kennt das Gebäude schließlich
am besten. Aber könnte er nicht seine ursprüngliche Planung insgeheim verteidigen
und deshalb vielleicht weniger radikal umbauen, als Sie sich das wünschen?

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

In der Analysephase der Prozesse kann eine zu starke persönliche Einbindung in den
operativen Prozessalltag zu Voreingenommenheit führen, die bestimmte Sichtwei-
sen und Erkenntnisse bewusst oder unbewusst ausschließt. Darüber hinaus kann ich
bei Prozessbeteiligten immer wieder eine deutlich höhere Grundemotionalität fest-
stellen, die sich aus dem variierenden Grad der Betroffenheit bei unterschiedlichen
Verbesserungsmaßnahmen speist. Immer wieder neigen Teilnehmer dazu, sich in
für ihren Arbeitsalltag vermeintlich »bequemen« Lösungen festzubeißen und davon
abweichende Lösungsvorschläge (selbst wenn sie für den Prozess und dass Unterneh-
men die deutlich bessere Variante darstellen) vehement abzulehnen (und in manchen
Fällen sogar aktiv zu bekämpfen).

Hinzu kommt, dass die tagtägliche Prozessnähe nicht immer den notwendigen Abstand
für einen differenzierten Blick auf den Gesamtprozess bietet. Das kann dazu führen,
dass vertrautes Prozessverhalten nicht mehr hinterfragt wird. Häufig führt dies zu einer
gewissen Betriebsblindheit bzw. zu »blinden Flecken« in der Prozessanalyse.

Deshalb stellt für mich die Unbefangenheit bzw. das Fehlen einer gemeinsamen Vergan-
genheit in der Prozessausführung und -abwicklung das wichtigste Auswahlkriterium
für den Prozessberater dar und wiegt fehlende Fach- und Prozessexpertise am Ende
locker auf. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass gute Prozessberater ausschließlich
außerhalb des Unternehmens, also als Firmenfremde, zu finden sind. Vielmehr wären
interne Prozessberater, die im Rahmen ihrer Tätigkeit für eine zentral organisierte Pro-
zessorganisation regelmäßig die Weiterentwicklung und Optimierung von Prozessen
unterstützen, sicherlich als vorteilhafteste Lösung anzusehen. Existiert eine zentrale
Prozessorganisation nicht, würde die Abstellung eines Prozessberaters aus einem ande-
ren Unternehmensbereich für die notwendige Unbefangenheit sorgen.

5.1.2 Fähigkeiten: Soziale Kompetenz, bitte!

Neben den notwendigen Analysekenntnissen und dem Methodenwissen besticht


ein geeigneter Prozessberater durch ein hohes Maß an aktiver Kommunikation. Das
setzt soziale Kompetenz und emotional intelligentes Verhalten voraus. Die persönli-
che Ansprache der Stakeholder und das aktive Zuhören sind Schlüsselelemente in der
Analyse des Prozessumfelds (siehe Kapitel 6.2).

Mittlerweile reicht fundiertes Fachwissen über die Analyse, Visualisierung und das
Management von Prozessen schon lange nicht mehr aus. Zur notwendigen Fachkunde
und zum Kommunikationsgeschick eines Prozessberaters gesellen sich die Anforde-
rungen, Veränderungsvorhaben in Projekte zu überführen und Verhaltensänderun-
gen zu begleiten. Neuerdings machen Anforderungen im Zuge der »Industrie 4.0« das
Prozessmanagement zu einem immer facettenreicheren interdisziplinären Feld. Nun

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5.2 Prozess-Tools: Auswahl und Umgang

müssen etwa auch Digitalisierung, Daten-Management, Datenschutz und IT-Sicher-


heit vermehrt Berücksichtigung finden (siehe Abbildung 33).

Ma
Ch agem
an e
n
ge nt
t-
Projekment
e
Manag

Prozess-
analyse und
-visualisierung
Mo
Komderatio
d mun n un
un t ikat d
ru ng emen ion
IT-Sich utz und

e
lisi nag
erheit

ita Ma
Dig ten-
Da
ch
Datens

Abb. 33: Kompetenzgebiete des Prozessberaters 4.0; Quelle: Eigene Darstellung

5.2 Prozess-Tools: Auswahl und Umgang

Werkzeuge sind immer nur so gut wie der Mensch, der sie benutzt. Das hat schon man-
cher Heimwerker schmerzhaft erfahren müssen, der glaubte, mit den echten Profi-Werk-
zeugen aus dem Baumarkt würde die Renovierung zum Kinderspiel. Doch die teuerste
Bohrmaschine allein macht noch keinen guten Handwerker. Genauso wenig, wie Sie
ein besserer Autofahrer werden, wenn Sie sich einen Lamborghini kaufen. So gut oder
schlecht, wie Sie Ihren Kombi fahren, werden Sie auch den Supersportwagen fahren.

5.2.1 Akzeptanz ist wichtiger als jedes Software-Tool

Regelmäßig wird mir in Unternehmen bereits lange vor Beginn der eigentlichen Pro-
zessanalyse die Frage nach dem besten Prozess-Tool gestellt. Dieser in Unternehmen
stark ausgeprägte Reflex entspringt einem Bedürfnis, vorherrschende Informations-,
Koordinations- und Führungsdefizite und die daraus resultierenden Probleme einfach
mittels Einsatz besserer Software auszugleichen. Software-Tools sind nur leider das
für die Lösung solcher Probleme denkbar ungeeignetste Medium.

In den meisten Fällen ist es die »DNA« des Unternehmens, seine Kultur und Historie,
die Defizite begünstigt und Probleme aufwirft. Wer hat schon in seinem Berufsleben
noch nie mit ausgeprägtem Bereichsdenken, tiefen Hierarchien, mangelnder Kommu-

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

nikation oder fehlender Entscheidungsfreudigkeit zu kämpfen gehabt? Wen hat noch


nie »Unternehmensfolklore« (»Das haben wir schon immer so gemacht«; »Mir wurde
gesagt, dass wurde von oben so verfügt« etc.) davon abgehalten, etwas anzupacken
und zu verändern? Verständlich, dass solche Erfahrungen Ohnmacht und Resignation
fördern. Und kein Wunder, dass dann wenigstens die Symptome kuriert werden sol-
len, wenn schon der Kern des Problems nicht heilbar erscheint. Da kommt eine ein-
fache technische Lösung, wie die Einführung eines Prozess-Tools, gerade recht. Das
entpuppt sich später jedoch als Scheinlösung.

Das alles soll kein Plädoyer gegen Tools sein. Prozess-Tools können sehr hilfreich sein
und eine Organisation in ihrer täglichen Arbeit vielfältig unterstützen. Jedoch sollte
nicht vergessen werden, dass jede Prozessänderung Auswirkungen auf das Unterneh-
men hat und letztlich zu mehr oder weniger starken Verhaltensänderungen der betei-
ligten Protagonisten führen wird. Und Verhaltensänderungen zu unterstützen – auch
das kann ein Prozess-Tool nicht leisten.

Bereits in der Vorbereitung zur Prozessanalyse sollten mögliche Änderungen die Über-
legungen beherrschen. Der Umgang mit Veränderungen ist die Brille, durch die wir auf
die Prozessanalyse blicken müssen. Schon mit der Einladung der Beteiligten zu einem
Workshop beginnt das eigentliche Change Management, d. h. der Umgang des Unter-
nehmens mit Verhaltensänderungen und Widerständen. Mangelndes Einfühlungsver-
mögen kann in dieser Phase bereits enorme Widerstände bei den Betroffenen auslö-
sen und die Saat des Scheiterns der geplanten Prozessänderungen säen. Deshalb ist
es von zentraler Bedeutung, von Anfang an um Akzeptanz zu werben und die Betroffe-
nen von der Notwendigkeit der Prozessänderung zu überzeugen.

In der Argumentation kommen mir dabei oft die Auswirkungen der Nulloption (siehe
Kapitel 4.3.1) zu Hilfe: Was würde mit dem Prozess, den Mitarbeitern oder dem Unter-
nehmen geschehen, wenn es nicht zu Änderungen käme? Folgt man diesem Weg kon-
sequent weiter, so wird man während der Prozessanalyse auf alles verzichten, was
Akzeptanz erschwert und die Identifizierung mit dem Zielprozess beeinträchtigt.

Deshalb vermeide ich in der Prozessanalyse den Einsatz komplizierter Modellierungs-


notationen und Software-Tools. Vielmehr bieten sich hier offene und leicht zugängliche
(barrierefreie) Hilfsmittel (Methoden, Tools) an (siehe Kapitel 6), die es den Beteiligten
erlauben, den Prozess und seine Schwachpunkte schnell zu erfassen und unmittelbar an
Verbesserungen mitzugestalten. Die von mir genutzten Methoden sind allesamt Work-
shop-tauglich und mit Moderationskoffer, Flipchart und Metaplanwänden umsetzbar.

Erst zum Ende der Analysephase, wenn sich gangbare Verbesserungsmaßnahmen


und ein stabiler Zielprozess herauskristallisieren, greife ich wieder auf ein Prozess-
Tool zurück, um die Ergebnisse zu dokumentieren.

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5.2 Prozess-Tools: Auswahl und Umgang

5.2.2 Übersicht der bekanntesten Prozess-Tools

Am Markt existiert ein breites Spektrum verschiedener Prozess-Tools (Software-Tools),


die teilweise sehr unterschiedliche Aufgabenstellungen unterstützen. Aus diesem Über-
fluss an Produkten das für die eigene Organisation passende Werkzeug zu identifizieren,
ist nicht immer ganz einfach. Mit dem vorliegenden Abschnitt versuche ich, ein wenig
Struktur in das zweifellos existierende Überangebot an Prozess-Werkzeugen zu bringen,
verbunden mit fundamentalen Auswahlkriterien (siehe Tabelle 11).92

Prozessausführung

Implementierung
Überwachung
Modellierung

Workflow-
Simulation
Analyse
Prozesswerkzeug
ADONIS X X X X X
Aeneis X X X
AgilePoint X X X X
ARIS X X X X X X
AXON.IVY BPM Suite X X X X X X
BIC Platform X X X X X X
BPM inspire X X X X X
Business Process Navigator X X
ConSense IMS/QMS/PMS X X X X X
ConSol CM X X X X
DHC VISION Process Manager X X X X X
FireStart BPM Suite X X X X X
Fujitsu RunMyProcess X X X X
Horus Enterprise X X X X X
iGrafx Suite X X X X
Innovator for Business Analysts X X X
inubit BPM X X X X X X
Process Modeler for Microsoft Visio X X X
process .biz X X X X X
PROMOL X X X X
SemTalk X X X X X
Signavio Process Editor X X X X X
Stages X X X X X
sycat X X X X X
Symbio X X X
TopEase X X X X X
viflow X X

Tab. 11: Prozesswerkzeuge und Leistungsumfang; Quelle: Drawehn/Kochanowski/Kötter, a. a. O. (Fn. 92)

92 Drawehn/Kochanowski/Kötter (2014): Business Process Management Tools 2014 – Marktüberblick,


Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart: https://www.swm.iao.fraunhofer.de/
content/dam/swm/de/documents/publikationen/BPMT2014.pdf (Zugriff: 18.01.2017).

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

Zahlreiche der in Tabelle 11 gelisteten Software-Hersteller sind seit Langem etablierte


Anbieter von Prozess-Werkzeugen, sodass der Markt sich recht zuverlässig darstellen
lässt. Wer eine weiterführende Beschreibung der Prozesswerkzeuge sucht, dem sei
die sehr ausführliche Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Orga-
nisation ans Herz gelegt.93

Selbstverständlich ist der Funktionsumfang der dargestellten Produkte wesentlich


umfangreicher, als in Tabelle 11 angedeutet. Die Unterteilung in die Funktionsberei-
che Modellierung, Analyse, Simulation, Prozessausführung, Workflow-Unterstützung
und Überwachung liefert aber bereits einen guten Abriss über das teilweise doch recht
unterschiedliche Leistungsvermögen der Produkte.

Ebenfalls hohe Relevanz für die Auswahl des geeignetsten Prozess-Werkzeugs bieten
die unterstützenden Modellierungsnotationen (siehe Tabelle 12). Praktisch alle rele-
vanten Prozess-Tools unterstützen mit BPMN (Business Process Model and Notation)
die jüngste der drei Notationen. Allerdings ist in diesem Fall darauf zu achten, welche
der beiden existierenden BPMN-Notationen (BPMN 1.0, BPMN 2.0) unterstützt wer-
den. Nicht jedes Tool verwendet aktuell beide Ausprägungen.

93 Ebenda.

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5.2 Prozess-Tools: Auswahl und Umgang

Anbieter Prozesswerkzeug BPMN EPK UML


BOC ADONIS X X X
intellior Aeneis X
AgilePoint AgilePoint X
Software AG ARIS X X X
AXON IVY AXON.IVY BPM Suite X X
GBTEC/ BIC Platform X X X
arvato Systems
Inspire BPM inspire X X
ConSense ConSense IMS/QMS/PMS X X
ConSol ConSol CM X
DHC DHC VISION Process Manager X X
PROLOGICS FireStart BPM Suite X X
Fujitsu RunMyProcess Fujitsu RunMyProcess X
Horus Horus Enterprise
iGrafx iGrafx Suite X
MID Innovator for Business Analysts X
Bosch SI inubit BPM X
itp commerce Process Modeler for Microsoft Visio X
process .biz process4.biz X X
Dr. Lürzer PROMOL
Semtation SemTalk X X X
Signavio Signavio Process Editor X X X
Method Park Stages X X
sycat IMS sycat X
Ploetz + Zeller Symbio X X
SecondFloor TopEase X X
ViCon viflow X X

Tab. 12: Prozesswerkzeuge und unterstützende Notationen; Quelle: Drawehn/Kochanowski/Kötter,


a. a. O. (Fn. 92)

In jedem Fall empfiehlt sich die Erstellung eines Anforderungskatalogs (Kriterienkata-


log), mit dem sich die unterschiedlichen Produkte bewerten und vergleichen lassen.
Ist zu erwarten, dass ein Prozess-Tool lediglich zur Modellierung von Prozessen her-
angezogen wird, sollte auch noch die geplante Arbeitsweise und Informationsbereit-
stellung (Veröffentlichung der Prozessmodelle) eine Rolle im Entscheidungsprozess
spielen. Planen Sie, Prozesse nur von einer Handvoll Prozessmodellierer dokumentie-
ren zu lassen (und für nichts anderes sonst zu verwenden) und beispielsweise über Ihr
Intranet zur Verfügung zu stellen, sollten Sie eine eventuelle »große Lösung« bewusst
hinterfragen. Vielleicht reicht in solchen Fällen auch Microsoft Visio, Microsoft Power-
Point oder ein vergleichbares Zeichen-Tool völlig aus. Weniger ist oft mehr.

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

5.3 Prozess-Stakeholder: Wer ist betroffen?

Endlich ein paar Tage mit Freunden in der Natur. Handy aus – herrlich! Doch haben Sie
auch an alle gedacht? Wer ein paar Tage wandern geht, hat es nicht nur mit den unmit-
telbar an der Tour Beteiligten zu tun. Sondern da sind vielleicht auch kleine Kinder
oder ältere Angehörige, die nicht mitkommen können, aber für die Zeit eine Betreu-
ung brauchen. Oder Sie sollten Ihre Kunden vorher informieren, damit diese nicht die
ganze Zeit versuchen, Sie telefonisch zu erreichen. Die meisten Menschen sind heute
so vernetzt und vielfach eingebunden, dass ihre Handlungen auf viele andere Men-
schen Auswirkungen haben.

5.3.1 Prozesse im Spannungsfeld von Interessen

Bevor Sie an die Planung einer Prozessanalyse herantreten, kann es dienlich sein, sich
das Spannungsfeld zu vergegenwärtigen, in welchem Prozessoptimierungen (also
letztlich Änderungen im Unternehmen) ablaufen werden. Unter einem Spannungsfeld
(siehe Abbildung 34) sind die teilweise doch recht unterschiedlichen Prozessbezüge
(Interessen) der verschiedenen Prozess-Stakeholder-Gruppen zu verstehen.

Individuelle Ziele
der Prozessverantwortlichen

Individuelle Ziele
Individuelle Ziele der Kunden
der Lieferanten Prozessziele
Prozessänderung

Individuelle Ziele Individuelle Ziele


der Mitarbeiter der Anwender/Nutzer

Abb. 34: Spannungsfeld der Stakeholder-Interessen; Quelle: Eigene Darstellung

Der Status quo eines Bestandsprozesses reflektiert auch eine Art Gleichgewicht der
Erwartungen, Interessen und Zielsetzungen von Menschen, die mit dem Prozess ver-
knüpft sind. Prozessänderungen stören das bestehende Interessengleichgewicht und
rufen verschiedene Kräfte auf den Plan, die auf das Optimierungsvorhaben mit teil-
weise grundverschiedenen Zielsetzungen hinwirken.

Jede Prozessänderung bewegt sich in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten
Spannungsfeld. Grundsätzlich gilt: Je massiver die Prozessveränderung ausfällt, desto
ausgeprägter wird das auftretende Spannungsfeld sein. In Situationen tief greifender
Prozessänderungen lohnt sich eine umfassende Stakeholder-Analyse, d. h. nicht nur

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5.3 Prozess-Stakeholder: Wer ist betroffen?

die Identifikation der am Prozess Beteiligten und der durch den Prozess Betroffenen,
sondern eine darüberhinausgehende Bewertung der Optimierungsauswirkungen und
zu erwartenden Widerstände.

5.3.2 Stakeholder identifizieren

Als Prozess-Stakeholder betrachten wir alle an der Prozessausführung unmittelbar


Beteiligten sowie alle vom Prozessergebnis betroffenen Personen und Interessen-
gruppen.

Die Identifikation der Stakeholder kann – gestützt durch die Beantwortung einiger
fundamentaler Kernfragen – so erfolgen:
y Wer ist direkt oder indirekt an der Prozessausführung beteiligt?
y Wer hat Interesse am Prozess?
y Wer hat konkrete Forderungen/Erwartungen an den Prozess bzw. seine Ergebnisse?
y Auf wen (bzw. wessen Mitarbeit) ist der Prozess angewiesen?
y In welchen Bereichen wird eine Prozessänderung voraussichtlich zu Veränderun-
gen führen?

Mit Ausnahme der letzten Frage, die sich oft erst nach erfolgter Analysephase vollständig
beantworten lässt, sind alle Fragen im Vorfeld der Prozessanalyse beantwortbar. Ergän-
zend können bestehende Prozessdokumentationen, Organigramme und Ergebnisse
vorausgegangener Prozessanalyse zur Stakeholder-Erfassung herangezogen werden.

5.3.3 Stakeholder bewerten

Im nächsten Schritt werden die ermittelten Stakeholder in einer Stakeholder-Liste


(siehe Tabelle 13) namentlich erfasst und um den Grad ihrer Betroffenheit, ihres Ein-
flusses und Interesses am Prozess sowie um mögliche Konfliktpotenziale und persön-
liche Zielsetzungen ergänzt.

Name Rolle/ Betroffenheit Einfluss Interesse(n) Konfliktpotenzial Zielsetzung Maßnahme


Funktion ++ + 0 - -- 1–5 1–5

Tab. 13: Informationen zur Bewertung des sozialen Prozessumfelds; Quelle: Eigene Darstellung

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

5.3.3.1 Interessenkonflikte mit dem Stakeholder-Zonenmodell sichtbar


machen

Es ist nicht immer einfach, Interessenkonflikte sichtbar zu machen. Abhilfe schafft


hier das Stakeholder-Zonenmodell (siehe Abbildung 35), welches die Interessenlage
aller Prozess-Stakeholder aufzeigt und Konfliktpotenziale offenlegt. Im Zonenmodell
werden alle Personen und Gruppen nach ihrer Nähe zum Prozess dargestellt, wobei
Akteuren, die mit der Prozessführung (Zone 1) betraut sind, die größte Nähe einge-
räumt wird, gefolgt von Prozessbeteiligten (Zone 2), deren Mitarbeit an einem Zeit-
punkt im Prozess benötigt wird. Stakeholder, die weder mit der Prozessführung noch
mit der Prozessmitarbeit betraut, aber vom Prozessergebnis betroffen sind, landen in
der äußersten Zone, dem Prozessergebnis (Zone 3). Diese Zone markiert auch einen
passiven Prozessbezug, d. h., Stakeholder aus diesem Kreis können keinen direkten
Einfluss auf den Prozess ausüben. Akteure aus den beiden inneren Zonen hingegen
zeichnen sich durch direkte Einflussnahme auf den Prozess aus.

A
Prozessergebnis
Interessen-
H verband
B
Behörden
Prozessmitarbeit Aktionäre
Spezialisten
Mit-
arbeiter
Sach- Prozessführung
Banken bearbeiter sonstige
Prozess-
Führungs- CPO akteure
G kräfte Kunden
Prozess
Prozess- Prozess- C
verant- Analyst Anrainer
wortliche
Lieferanten Key User IT
1 Medien

Techniker Wett-
Gesellschaft Betreiber bewerb
F 2
D
Gewerkschaften Öffentlichkeit
E 3
Abb. 35: Zonenmodell der Prozess-Stakeholder; Quelle: Eigene Darstellung

Prozess-Stakeholder, die gemeinsam einer der acht Sub-Zonen A bis H zugewiesen


werden können, verfolgen ähnliche Zielsetzungen. Sind Stakeholder unterschiedlichen
Sub-Zonen zugeordnet, unterhalten sie voneinander abweichende Zielsetzungen. Je
weiter nun die Sub-Zonen (und wiederum die in der jeweiligen Sub-Zone beanspruchte
Zone) voneinander entfernt sind, desto ausgeprägter ist der Interessenkonflikt. Bei-
spielsweise markieren gegenüberliegende Sub-Zonen komplett diametrale Positionen.

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5.3 Prozess-Stakeholder: Wer ist betroffen?

5.3.3.2 Betroffenheitsanalyse: Wie wirken sich Prozessänderungen aus?

Für die Bestimmung, inwieweit einzelne Personen oder Gruppen von Stakeholdern
von den Prozessänderungen betroffen sind, eignet sich die in Tabelle 14 dargestellte
Checkliste als Grundlage zur Betroffenheitsanalyse.

Die Checkliste kann im persönlichen Gespräch oder im Nachgang dazu ausgefüllt wer-
den und bietet einen strukturierten Einblick in die Art und Form der Betroffenheit.

Checkliste Betroffenheitsanalyse
Prozess und Änderungsvorhaben
Datum:
Verfasser:
betroffener Mitarbeiter/betroffenes Team:
Art der
Grad der Betroffenheit Betroffenheit
Betroffenheitsaspekt nicht wenig stark positiv negativ
Aufgabenzuordnung
Arbeitsablauf
Handlungsspielraum
Verantwortung
Informationsstand
Qualität der
eigenen Arbeit
Arbeitsbelastung
Fremdkontrolle
persönl. Ansehen
Einfluss
Aufstiegschancen
Einkommen
Arbeitszufriedenheit
Projektprozess
.....

Tab. 14: Checkliste zur Betroffenheitsanalyse; Quelle: Eigene Darstellung

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

5.3.3.3 Einflüsse, Interessen, Prozesskenntnisse beachten

Um den Teilnehmerkreis für einen Prozess-Workshop klein zu halten, empfiehlt sich


die Erstellung eines Einfluss-Interessen- und/oder eines Einfluss-Prozesskenntnis-
Diagramms (siehe Abbildungen 36 und 37). Während die Auswertung des Einfluss-
Interessen-Diagramms die »Machtpositionen« liefert, ist es beim Einfluss-Prozess-
kenntnis-Diagramm die Verteilung der eigentlichen Know-how-Träger. Beide Gruppen
spielen für die geplante Prozessanalyse eine zentrale Rolle.

hoch

B A
zufriedenstellen intensiv betreuen
Einfluss

D C
beobachten informieren

gering
gering Interesse hoch

Abb. 36: Einfluss-Interessen-Diagramm; Quelle: Eigene Darstellung

hoch

B A
zufriedenstellen Schlüsselfiguren
Einfluss

D C
beobachten informieren

gering
gering Prozesskenntnisse hoch

Abb. 37: Einfluss-Prozesskenntnis-Diagramm; Quelle: Eigene Darstellung

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5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops

Der ideale Teilnehmerkreis entspringt typischerweise dem A-Quadranten, da es sich


hier zumeist um relevante Entscheider (Führungskräfte) bzw. maßgebliche Prozess-
experten handelt. Die Einladung dieser Personen eröffnet Ihnen im Workshop einen
größeren Handlungsspielraum, da vielfach bereits während des Workshops verbind-
liche Entscheidungen (durch Anwesenheit von »Einfluss« und »Kompetenz«) getroffen
werden können.

5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops

Die Zusammenarbeit zwischen Menschen findet zunehmend »virtuell« statt. Skype


und ähnliche Programme haben für manche schon das Telefon oder die E-Mail als
wichtigstes Medium im Berufsalltag abgelöst. Virtuelle Teams sitzen auf allen Konti-
nenten verstreut. Doch immer noch gilt: Wenn es wichtig ist, sollte man sich persön-
lich treffen. Ganz besonders am Anfang.

5.4.1 Die Rolle des Prozess-Workshops

Im Mittelpunkt der Prozessanalyse steht die Erhebung des Ist-Prozesses mit all seinen
Stärken und Schwächen. Das macht in der Regel eine Zusammenkunft aus Prozess-
verantwortlichen, Führungskräften und Schlüsselressourcen erforderlich. In dieser
Runde wird der aktuelle Prozesszustand gemeinsam erarbeitet und visualisiert. Die-
ses Format bildet regelmäßig den Auftakt der Prozessanalyse und wird landläufig als
»Prozess-Workshop« bezeichnet. Es kommt nicht selten vor, dass die Analyse eines
einzigen Prozesses die Durchführung mehrerer Workshops (Aufnahme Ist-Prozess,
Identifikation von Verbesserungen, Erarbeitung Soll-Prozess, Feinabstimmung,
Abschlussdokumentation) notwendig macht. Deshalb kommt diesem Format auch
eine besondere Bedeutung in der Optimierung von Prozessen (digital oder analog) zu
und verdient besondere Aufmerksamkeit.

5.4.2 Philosophie: Workshop ist nicht gleich Workshop

Jeder hat sicherlich seine eigene Herangehensweise an einen Workshop. Mit meiner
bin ich über die Jahre gut gefahren. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, einige,
das Workshop-Format begünstigende Prinzipien einzuhalten. Diese Philosophie
möchte ich gerne mit Ihnen teilen (siehe Abbildung 38).

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

aktivierend
einfach
barrierefrei

Akzeptanz
schaffen
Technik nur
homöo-
Workshop pathisch
ist Change
Management offen
konse
visualisqieuent
ren
positive
Atmosphäre

Abb. 38: Workshop-Prinzipien; Quelle: Eigene Darstellung

5.4.2.1 Workshop ist Change Management

Schon in Kapitel 5.2.1 hatte ich den Gedanken ausgeführt, dass bereits mit der Ein-
ladung zum Workshop das eigentliche Change Management beginnt. Umso mehr gilt
dies für den Workshop selbst. Teilnehmer gehen nie unvoreingenommen in einen
Analyse-Workshop, welcher letztendlich das Ziel verfolgt, den bestehenden Zustand
in irgendeiner Form zu verändern (auch wenn es eine Verbesserung für die tägliche
Arbeit der Teilnehmer darstellt). Neben ihrem Fachwissen und ihrer Führungskom-
petenz bringen Teilnehmer stets auch unterschwellige Ängste und Bedenken mit und
tragen Mutmaßungen über den zukünftigen Prozess in den Workshop hinein. Klarheit,
Transparenz und Aufrichtigkeit sind daher das oberste Gebot. Wenn Sie eine ver-
steckte Agenda verfolgen oder auch nur etwas – ohne böse Absicht – zurückhalten,
spüren Teilnehmer das und nehmen Sie als unaufrichtig war.

Den Teilnehmern vermittelt das zusehends ein Gefühl, dass ihr Input keinerlei Bedeu-
tung hat und am Ende keinen Unterschied machen wird. Das wertet den Workshop von
vornherein ab, beeinträchtigt die Mitarbeit der Teilnehmer und gefährdet die Errei-
chung der gesteckten Workshop-Ziele. Vor allem aber werden die Teilnehmer keinen
positiven Bezug zur Veränderung herstellen und in den meisten Fällen die Ergebnisse
sogar ablehnen. Die Gelegenheit, den Teilnehmern die Veränderungen schmackhaft
zu machen, wäre damit verschenkt, der Grundstein für Ablehnung und Widerstand
jedoch gelegt.

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5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops

5.4.2.2 Barrierefreiheit: Bitte nichts voraussetzen!

Ein ebenso großer Sündenfall ist es, Vorkenntnisse über Prozessnotationen oder spe-
zielles Methodenwissen vorauszusetzen. Im Workshop begegnet man Teilnehmern
mit unterschiedlichstem Ausbildungshintergrund, welche teilweise grundverschie-
dene Berufsbilder im Unternehmen ausfüllen. Eine Grundvoraussetzung für einen
erfolgreichen Workshop stellt daher die Vermeidung formalistischer (z. B. Prozessno-
tation) oder fachlicher (z. B. komplexe Prozessanalysemethoden) Hindernisse dar. Ich
nenne das »Barrierefreiheit«. Jeder Teilnehmer kann so den Prozess sofort erfassen
und an der Gestaltung, Visualisierung und Verbesserung mitarbeiten.

5.4.2.3 Die Kunst, unterschiedliche Teilnehmer zu aktivieren

Jeder Teilnehmer ist anders. Die Bandbreite reicht vom redseligen Meinungsführer bis
zum schüchternen Fachexperten. Keine einfache Aufgabe also, die unterschiedlichen
Charaktere gleichermaßen einzubinden und Schieflagen oder Einseitigkeit zu vermei-
den. Hierbei spielt die Aktivierung jedes einzelnen Teilnehmers zu Beginn des Work-
shops eine große Rolle. Wichtig ist, dass jeder Teilnehmer vorab ein paar Worte an die
Gruppe richtet. Dies kann durch eine persönliche Vorstellung oder die Formulierung
der an den Workshop gerichteten Erwartungen sein. Zum Aufwärmen lasse ich die
Teilnehmer fünf Minuten im Zweiergespräch Erwartungshaltungen austauschen, um
sie dann die Erwartungen des jeweils anderen vor der ganzen Gruppe zu präsentieren.
Mit diesem einfachen Kniff senke ich bei allen (auch den schüchternsten Teilnehmern)
die Hemmschwelle, vor der ganzen Gruppe zu sprechen. Denn es fällt den Allermeis-
ten leichter, über eine andere Person zu sprechen als über sich selbst.

Wird der Austausch im Verlauf des Workshops einseitiger, weil sich immer dieselben
zu Wort melden, sollten Sie mit einer erneuten Aktivierung reagieren. Beispielsweise
können Sie bei allen Teilnehmern ein kurzes Fazit (in Moderatorensprache ein »Blitz-
licht«) einfordern. Die Teilnehmeraktivität lässt sich auch durch Übungen in Teil-
gruppen, das Einfordern kurzer Fachbeiträge oder auch das Einstreuen spielerischer
Elemente, wie beispielsweise die »Simulation« (das Nachspielen) des bis zu diesem
Zeitpunkt beschriebenen Prozesses, steigern.

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

5.4.2.4 Alles umgehend visualisieren

Der Mensch ist ein »Augentier«. Wir nehmen 83 % aller Informationen über die Augen
(siehe Abbildung 39) auf.94 Damit drängt sich die prominente Nutzung unseres domi-
nantesten Sinnesorgans auch im Rahmen des Prozess-Workshops auf. Mit anderen
Worten: Selbst kleine, im Workshop erzielte Teilergebnisse sollten umgehend visua-
lisiert werden bzw. der Workshop so geplant werden, dass eine Visualisierung bereits
methodenimmanent ist.

optisch (Auge)
83,0

akustisch (Ohr)
11,0
olfaktorisch (Nase)
3,5
haptisch (Hände) 1,5
gustatorisch (Zunge) 1,0

Abb. 39: Prozentuale Verteilung der Sinneswahrnehmungen; Quelle: Kilian/Brexendorf, a. a. O. (Fn. 94)

Zudem verfolgt die Visualisierung noch einen anderen Zweck. Für jeden von uns
besitzt ein Prozess drei Zustände:
y wie wir glauben, dass er ist,
y wie er aktuell tatsächlich ist und
y wie wir meinen, dass er sein sollte (siehe Abbildung 40).

94 Kilian/Brexendorf: Multisensuale Markenführung als Differenzierungs- und Erfolgsgröße, in: Busi-


ness Report 2/2005, S. 12–15: http://www.markenlexikon.com/d_texte/campus_kilian_brexendorf_
multisensuale_markenfuehrung_2005.pdf (Zugriff: 20.11.2015).

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5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops

Wie der Prozess Wie Sie glauben, Wie der Prozess aktuell
sein sollte dass der Prozess ist tatsächlich ist

Abb. 40: Jeder Prozess besitzt drei vermeintliche Zustände; Quelle: In Anlehnung an http://www.
sixsigmablackbelt.de/wertstromanalyse-value-stream-mapping/ (Zugriff: 28.05.2017)

Es ist daher wichtig, schnell ein gemeinsames Verständnis für den aktuellen und
zukünftigen Prozess zu finden. Der Weg dazu führt über die konsequente Visualisie-
rung des Prozesses im Workshop. Man sieht buchstäblich, was Sache ist.

5.4.2.5 Akzeptanz schaffen und für Identifikation sorgen

Vieles was bisher gesagt wurde, soll Akzeptanz für die Veränderungen schaffen und
darüber hinaus bei den Workshop-Teilnehmern verstärkt das Gefühl hervorrufen,
dass dies »ihr« Prozess ist und es »ihre« Änderungen sind. Das erzeugt Identifika-
tion mit den erforderlichen Änderungsmaßnahmen, auch wenn das vielleicht zuerst
mal rauen Seegang verspricht, und dem zukünftigen Prozess (Zielbild, Soll-Prozess)
selbst. Je weniger Sie also Vorgaben (z. B. diese oder jene Maßnahme vorbereiten)
im Workshop machen, und je größer dadurch der Eigenanteil der Teilnehmer wird,
umso mehr Akzeptanz und Identität stiften Sie damit. Das beeinflusst nicht nur den
Workshop selbst, sondern Sie gewinnen in den Beteiligten auch Multiplikatoren im
Unternehmen, die ihre Maßnahmen vertreten und nach außen tragen. Man bezeich-
net Mitarbeiter, die sozusagen als »Botschafter« der Prozessänderungen auftreten, in
der Fachsprache auch als »Change Agents«. Nicht zuletzt unterstützt Sie eine offene
und positive Workshop-Atmosphäre dabei, die Herzen und Überzeugungen der Teil-
nehmer zu gewinnen.

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

5.4.2.6 Einfachheit führt direkt ins Ziel

Je einfacher Sie den Workshop halten, desto besser. Doch was bedeutet hier über-
haupt »einfach«? Kann die Analyse von im Allgemeinen vielschichtigen, komplexen
Prozessen mit unzähligen Beteiligten überhaupt einfach sein? Sie kann es durchaus
sein, wenn man bereit ist, an den Erwartungen und Methoden zu arbeiten. Falsche
und/oder zu ambitionierte Erwartungen führen oft zu komplizierten Workshop-Situ-
ationen und zum Einsatz – für die Erstanalyse – ungeeigneter Methoden und Hilfsmit-
tel. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen:
y Versuch der vollständigen Analyse des Geschäftsprozesses im ersten oder in
einem einzigen Workshop
y Einrichtung eines zu kleinen Zeitfensters für den Workshop
y Einsatz komplizierter Analyse- oder Visualisierungstechniken
y Modellierung direkt im Computer (siehe Kapitel 5.4.2.7)
y Einladung zu vieler Teilnehmer
y Einsatz von Modellierungsnotationen wie BPMN oder ePK bereits im ersten Workshop
y Auflistung aller Prozessaktivitäten bereits im Detail.

Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig und könnte mit Leichtigkeit fortgeführt wer-
den, weist aber die Richtung zu vermeidenden Erwartungshaltungen.

Wenn Sie sich die Zeit einräumen, die Sie für eine Prozessanalyse tatsächlich brau-
chen (vertrauen Sie beim Schätzen auf Ihr Bauchgefühl), bereit sind, erst einmal auf
gewisse Details zugunsten des großen Ganzen zu verzichten und mit Moderationskof-
fer, Flipchart und Pinnwand auskommen, machen Sie bereits einen großen Schritt in
Richtung einer »einfachen« Workshop-Gestaltung.

5.4.2.7 Technik bitte nur »homöopathisch« einsetzen

Eigentlich habe ich es ja schon vorweggenommen, aber da der Einsatz von Beamer und
Computer für Prozess-Workshops scheinbar »en vogue« ist, lohnt es sich, noch ein paar
Worte darüber zu verlieren. Die direkte Erfassung im Computer führt dazu, dass häufig
nur zwei Personen im Workshop tatsächlich aktiv sind. Das ist zum einen derjenige, der
den Computer bedient und zum anderen ein Teilnehmer, der gerade den aktuellen Pro-
zessschritt beschreibt. Da bleibt wenig Raum für Kreativität und frische Ideen. Sie wollen
ja auch Verbesserungen ableiten. Zudem wird die Computereingabe meist in einer beste-
henden Prozessnotation (Flussdiagramm, ePK, BPMN, UML etc.) erfolgen, was alle der
jeweiligen Notation Unkundigen zu »Analphabeten« und damit Workshop-Teilnehmern
zweiter Klasse macht. Im Allgemeinen wird das Gros der Teilnehmer sich dann zurückleh-
nen und sich innerlich ausblenden. Am Ende laufen Sie Gefahr, einen Prozess zu beschrei-
ben, der von den meisten Teilnehmern nicht verstanden oder mitgetragen wird.

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5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops

Technische Hilfsmittel, wie Laptop oder Beamer, haben durchaus Berechtigung und
können zu Beginn des Workshops für die kurze Schilderung von Sachverhalten oder
der Ableitung der Workshop-Motivation herangezogen werden. Sie sollten aber für
den weiteren Verlauf des Workshops tunlichst wieder in der Tasche verschwinden
(siehe Abbildung 41).

Pinnwand Moderationskoffer Flipchart


Wolken oder
Überschriftskarten
Kärtchen
Klebepunkte
Stifte
Scheren

Beamer
sparsam einsetzen
wenn überhaupt, nur zu Workshop-Beginn
zur inhaltlichen Vorbereitung
keine Datenerhebung oder Modellierung per
Beamer oder Overheadprojektor

Abb. 41: Medien und Technik im Workshop; Quelle: Eigene Darstellung

5.4.2.8 Eine starre Agenda ist meistens im Weg

Es ist nicht immer von Vorteil, einem zu strammen Workshop-Fahrplan (Agenda, Zielset-
zungen) zu folgen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein zu starres Konzept die Teil-
nehmer gelegentlich einengt und den Lösungsprozess behindern kann. In solchen Fäl-
len sollten Sie in der Lage sein, flexibel reagieren zu können und Ihre Planung auch mal
beiseiteschieben. Die Teilnehmer und Workshop-Ergebnisse werden es Ihnen danken.

5.4.3 Zielarbeit: Mit dem Zielkorridor auf Kurs bleiben

Die Formulierung von Zielen stellt nicht nur für Prozess-Workshops, sondern gene-
rell für jede Art Workshop eine Herausforderung dar. Zielformulierungen neigen oft
zu einem von zwei Extremen. Ich staune immer wieder über die Bereitschaft von
Organisationen, sich mit vage formulierten Zielsetzungen in Workshop-Situationen
zu begeben. Einfach mal »ins Blaue« zu reisen, zeugt zwar von einer gewissen Unter-
nehmungslust, führt aber in den seltensten Fällen zu belastbaren Ergebnissen. Ich

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5 Vorbereitung: Die Voraussetzungen für Prozessarbeit schaffen

nenne diese Gattung von Zielen auch gerne »Nebel-Ziele«, da sie ähnlich wie ein Nebel
undurchsichtig und nicht greifbar sind. Das andere Extrem bilden für mich Zielvorga-
ben, die unrealistisch und nicht erreichbar sind. Diese »Wolken-Ziele« ziehen majestä-
tisch weit über uns ihre Kreise, wunderschön, doch unerreichbar.

Da ein Workshop auch immer eine gewisse nicht planbare Dynamik entwickelt, ist es
von Vorteil, mit einem Zielkorridor zu arbeiten, der die Bandbreite der erzielbaren und
akzeptablen Ergebnisse definiert.95 Dabei fragen Sie zuerst nach den erreichbaren
Maximalzielen. Diese definieren die Ideallösung und beschreiben die bei optimalem
Workshop-Verlauf zugänglichen Ergebnisse. Gleichermaßen stellen Sie die Frage nach
den Minimalzielen, deren Ergebnisse gerade noch die Fortführung der Prozessanalyse
gestatten. Minimal- und Maximalziele geben den Zielkorridor vor, der eine gewisse
Flexibilität einräumt, auf Unvorhergesehenes (z. B. etwas läuft schief, einige Teilneh-
mer pflegen Animositäten etc.) und Ungeplantes (z. B. Prozessarbeit nimmt mehr Zeit
in Anspruch etc.) zu reagieren.

Für die typische Analysearbeit im Rahmen einer Reihe aufeinander aufbauender


Prozess-Workshops liefert Abbildung 42 beispielhaft mögliche Maximal- und Minimal-
ziele, die auch als Blueprint für die meisten Prozess-Workshops gut geeignet sind.

> Exakte Bestimmung des Prozessumfeldes wie


Lieferanten, Kunden, Akteure und sonstige Stakeholder
> Identifikation aller Schnittstellen
Maximalziele > Identifikation aller Ein- und Ausgabe-Artefakte
1.Workshop
je Prozessschritt/Teilprozess
> Ableitung von Schwachstellen und ersten
Verbesserungsmaßnahmen
Minimalziele > Grobverlauf des Ist-Prozesses
> Entwicklung eines detaillierten Schnittstellen-
verständnisses (was wird wann in welcher Menge
wo übergeben?)
Maximalziele
2.Workshop > Aufstellung aller identifizierten Schwachstellen
> Ableitung eines Verbesserungskatalogs
Minimalziele > Detaillierte Visualisierung des Ist-Prozesses mit allen
Prozessschritten und Akteuren
> Überarbeitung und Finalisierung des Soll-Prozesses
Maximalziele > Gemeinsame Verabschiedung des Soll-Prozesses und
3.Workshop Umsetzungsempfehlung der notwendigen Maßnahmen
Minimalziele > Vorstellung des Soll-Prozesses (auf Basis
identifizierter Verbesserungsmaßnahmen)

Abb. 42: Prozess-Workshop und Zielkorridor (typische Zielsetzungen); Quelle: Eigene Darstellung

95 In Anlehnung an Lipp/Will (2008): Das große Workshop-Buch: Konzeption, Inszenierung und Moderation
von Klausuren, Besprechungen und Seminaren, Beltz Verlag, Weinheim, S. 165.

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5.4 Vorbereitung des Prozess-Workshops

Es empfiehlt sich, in Vorgesprächen mit den Teilnehmern gemeinsam an den Ziel-


setzungen zu arbeiten. Das verhindert böse Überraschungen im Workshop (wie z. B.
»Dass das nicht funktioniert, hätte ich ihnen schon vorher sagen können …«) und berei-
tet die Teilnehmer auf das vor, was sie im Workshop erwartet. Schließlich sollten die –
für einen produktiven Workshop – gesteckten Ziele von allen Teilnehmern akzeptiert
werden.

Wer mehr über Workshops erfahren möchte, dem empfehle ich das lesenswerte Buch
von Ulrich Lipp und Hermann Will.96

96 Lipp/Will, a. a. O. (Fn. 95).

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Endlich im Gebirge – die Wanderung geht los. Ihre Planung muss jetzt den Realitäts-
test bestehen: Haben Sie wirklich an alles gedacht? Selbst wenn, Sie werden nun mit
Bedingungen konfrontiert, die Sie unmöglich Wochen im Voraus planen konnten: Wie
ist das Wetter? Scheint die Sonne oder regnet es in Strömen? Sind alle Teilnehmer fit?
Sind die Wege begehbar? Gibt es aktuelle Warnungen vor Unwetter oder Lawinen? Sie
können noch so gut planen: Ein Aufbruch ist immer spannend. Theorie ist nun mal das
eine und Praxis das andere.

6.1 Standortbestimmung: Was sind kritische Faktoren?

Eine Prozessanalyse kann man immer wieder wunderbar mit einer Bergtour verglei-
chen. So ist hier wie dort das Durchleuchten der Ausgangslage, ein Abwägen des
tatsächlich Machbaren und eine vorausschauende (weitere) Planung – kurz: eine
Standortbestimmung – notwendig. Diese Standortbestimmung liefert grundlegende
Auskünfte über kritische Faktoren und dient als Wegweiser für den weiteren Verlauf
der Analyse.

6.1.1 Der zweite Blick auf das Analysevorgehen

Die Standortbestimmung (siehe Abbildung 43) gestattet, einen zweiten Blick auf das
Analysevorgehen zu werfen. Anderenfalls würden Sie sich jetzt auf die Analyse des Pro-
zesses stürzen und dabei völlig außer Acht lassen, ob eine Prozessverbesserung im exis-
tierenden Unternehmensumfeld überhaupt möglich ist. Zuerst einmal ist es wichtig, ein
Bild limitierender Einflüsse zu zeichnen und die gangbaren Handlungsfelder abzuste-
cken. Dabei unterstützt Sie eine Bestimmung von Prozess- und Unternehmensumfeld.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Know-how im Alpine
Unternehmen ermitteln Fähigkeiten

Priorisierung von
Handlungsfeldern
Route
Identifikation von
Handlungsfeldern

Verankerung Prozess- Umgebung


denken evaluieren

Management-Buy-in Wetter

Schwierigkeitsgrad der Ausrüstung


Aufgabe abwägen

Abb. 43: Prozessorientierung im Unternehmen; Quelle: Eigene Darstellung

Eine zentrale Frage lautet jetzt: Ist die derzeitige Organisation überhaupt in der Lage,
bestehende Prozesse zu optimieren und falls ja, in welchem Umfang? Die Antwort
bestimmt den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe und legt den grundlegenden Hand-
lungsspielraum fest.

So wie das Wetter bestimmt, ob eine geplante Bergtour am Ende überhaupt stattfin-
den kann, so entscheidet die Unterstützung durch das Management darüber, ob Pro-
zessoptimierung gelingen kann. Spielt Prozessdenken bei Unternehmensentschei-
dungen eine eher untergeordnete Rolle, so ist das ein klares Indiz für eine zusätzliche
Erschwernis. Bei komplett fehlender Management-Unterstützung sollte das Vorhaben
hinterfragt und möglicherweise aufgegeben werden. Die Prozessorientierung prägt
die Umgebung, in der Prozesse ablaufen und Prozessveränderungen stattfinden. Eine
schwach ausgeprägte Prozessorientierung macht ein hohes Maß an Überzeugungsar-
beit und den begleitenden Einsatz von Change-Management-Maßnahmen notwendig.

Genauso wie jede Bergtour entsprechende alpine Fähigkeiten voraussetzt, müssen


für die Analyse und Verbesserung der Prozessfähigkeiten entsprechendes Können
und Wissen im Unternehmen existieren. Diese Merkmale (siehe auch Abbildung 43)
sind letztlich Wegweiser, die den Reifegrad der Prozesse und die Prozessorientierung
des Unternehmens qualitativ beschreiben.

6.1.2 Reifegradmodelle als praktische Hilfsmittel

Ein praktisches Hilfsmittel für eine Standortbestimmung bilden Reifegradmodelle. Es


existieren verschieden Bewertungsformen (beispielsweise PEMMTM, ISO 9004:2009,

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6.1 Standortbestimmung: Was sind kritische Faktoren?

SPICE etc.).97 Von den verschiedenen existierenden Bewertungsmodellen gebe ich


dem von Prof. Hammer entwickelten »Process and Enterprise Maturity ModelTM« (kurz:
PEMMTM) den Vorzug. Das hat verschiedene Gründe:
y Grundsätzlich erlaubt das Modell die Bewertung einzelner Prozesse und der Orga-
nisation, in der sie ablaufen.
y Das Modell ist einfach in der Handhabung und kann als Selbstbewertung von Pro-
zess-Stakeholdern ausgeführt werden.
y Die einfache Handhabung und die Visualisierung der Handlungsfelder mittels
Farbcode machen es zu einem geeigneten Workshop-Instrument (sowohl zur Vor-
bereitung als auch im Workshop selbst).

Die Prozessvisualisierung mittels PEMMTM setze ich gerne zu Beginn der Prozessana-
lyse ein, um Themenfelder einzugrenzen und Handlungsprioritäten abzuleiten.

Das PEMMTM unterteilt die Prozessreife generell in fünf Entwicklungsstufen (siehe Tabelle
15). Auf der untersten Stufe (P-0) folgt der Prozess keinem klar vorgegebenen Muster. Ein-
zelne Arbeitsschritte erfolgen in eher zufälliger Reihenfolge, was zur Folge haben kann,
dass der günstigste Ablauf erst nach mehreren fruchtlosen Ansätzen identifiziert wird.
Der Prozess an sich ist völlig undokumentiert, Prozessrollen und Aufgaben sind nicht
formalisiert. Mit Erreichen der nächsten Stufe (P-1) hat sich der Prozess in einen stabilen
Zustand entwickelt, d. h., er ist vorhersagbar und wiederholbar geworden. Der Ablauf ist
den Prozessbeteiligten bekannt, Rollen und Aufgaben sind klar definiert. Prozesse, die
End-to-End (Kunde-zu-Kunde) definiert sind und dabei regelmäßig überdurchschnittli-
che Ergebnisse erzielen, fallen in die Entwicklungsstufe P-2. Typischerweise betreiben
Organisationen mit diesem Prozessreifegrad ein leistungsfähiges Prozessmanagement-
System, welches das Ziel verfolgt, Prozesse und Organisation stetig weiterzuentwi-
ckeln. Mit der Qualifikation für den zweithöchsten Prozessreifegrad (P-3) kommen hohe
Prozessleistung und die stete Optimierung der Unternehmensleistung als wesentliches
Charakteristikum hinzu. Der im PEMMTM höchste erreichbare Reifegrad (P-4) schließlich
beschreibt die gesamte, sich über die Grenzen des Unternehmens erstreckende Wert-
schöpfungskette (also einschließlich Lieferanten- und Kundenprozesse) und sorgt so für
außergewöhnliche Prozessergebnisse.

97 Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 357 ff.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Stufe Reife Charakteristika

P– erstklassig Der Prozess ist erstklassig und erstreckt sich über


die Grenzen des Unternehmens hinaus.
Der Prozess hat eine hohe Leistung und optimiert
P–3 optimale Leistung die Gesamtleistung des Unternehmens.

P–2 überdurchschnittliche Der Prozess ist als E2E-Prozess definiert und implementiert,
Leistung er liefert überdurchschnittliche Ergebnisse.

P–1 stabil Der Prozess ist zuverlässig, berechenbar und stabil.

P–0 zufällig Der Prozess funktioniert nach dem Zufallsprinzip.

Tab. 15: Prozessreifegrade im PEMMTM; Quelle: In Anlehnung an Hammer, Michael: Reengineering –


Der große Prozess-Check, in: Harvard Business Manager, Mai 2007, S. 34–53

Erwähnenswert ist beim PEMMTM noch der Umstand, dass mit der Erfüllung aller
Bewertungskriterien einer Stufe dieser Reifegrad auch formal erreicht ist. Wäre bei-
spielsweise ein Bewertungskriterium noch auf P-0-Niveau, alle weiteren haben bereits
P-2-Reife erreicht, wird der gesamte Prozess dennoch als P-0-Prozess gewertet. Ein
Blick auf die Bewertungskriterien98 macht schnell klar, dass die meisten Organisatio-
nen Prozesse mit Reifegraden zwischen P-0- und P-1-Niveau unterhalten und weisen
auf das hohe schlummernde Entwicklungspotenzial in Unternehmen hin.

Es ist nun nicht etwa so, dass Unternehmen nicht schon seit Jahr und Tag an Effizienz-
und Leistungssteigerungen arbeiten würden. Jedoch orientieren sich die meisten Fir-
men noch stark an Fachorganisationen. Wenn Optimierungsmaßnahmen zur Geltung
kommen, wirken sie deshalb zumeist innerhalb eines bestimmten Fachbereichs, nicht
aber zugunsten des Gesamtprozesses, der sich im Regelfall ohnehin über mehrere Fach-
bereiche erstreckt. Dies hat nicht nur lediglich eine Teiloptimierung zur Folge, sondern
kann die Prozessleistung insgesamt sogar verschlechtern (siehe auch Kapitel 10.3).

Die Bewertung der Kriterien in der Prozessmatrix gibt den Prozessreifegrad wieder.
Dabei werden alle Kriterien für jede Entwicklungsstufe nach ihrem Erfüllungsgrad
bewertet. Vollständig erfüllte Kriterien werden grün markiert, teilweise erfüllte gelb
und nicht erfüllte Kriterien rot. Insbesondere rote und gelbe Farbmuster zeigen die
Handlungsfelder für Prozessoptimierungen auf. Die Unternehmensmatrix folgt dem
gleichen Bewertungsschema und illustriert die Ausrichtung und den Umgang des
Unternehmens mit Prozessen. Konsequenterweise wirken Änderungen nicht nur am
Prozess selbst, sondern verlangen in den meisten Fällen auch Verhaltensänderungen
in der Organisation.

98 Hammer, Michael, a. a. O. (Tabelle 15).

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

Lassen Sie beide Bewertungsbögen von den Teilnehmern im Vorfeld der Analyse aus-
füllen und in den Prozess-Workshop mitbringen, finden sich in der Gegenüberstellung
bereits viele interessante Diskussionsansätze. Sie werden übrigens staunen, wie sehr
sich die Ergebnisse ähneln!

6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

Mit der Prozessumfeldanalyse untersuchen Sie im nächsten Schritt das unmittelbare


Umfeld einzelner Prozesse. Dabei streben wir nach Antworten auf die folgenden Fragen:
y Was ist der Auslöser (Startereignis) für die Durchführung des betrachteten Prozesses?
y Womit ist der Prozess erfüllt, d. h. beendet (Endzustand/Ergebnis)?
y Welche anderen Prozesse sind im gegenständlichen Prozessverlauf wichtige Zulie-
ferer oder Aufnehmende von Prozessergebnissen (Prozessschnittstellen)?
y Welche Lieferanten und Kunden muss der Prozess berücksichtigen?
y Welchen Input (Zulieferung) benötigt der Prozess, um die ihm zugedachten Aufga-
ben erfüllen zu können?
y Welcher Output (Ergebnisse) wird vom Prozess erwartet?

Die Prozessumfeldanalyse liefert ein gutes Bild über die notwendigen Durchführungs-
voraussetzungen, die Schnittstellenpartner des Prozesses, seine Abhängigkeiten und
an den Prozess gerichtete Erwartungshaltungen. Gerade ein fundiertes Verständnis
der Abhängigkeiten und Schnittstellen ist im Hinblick auf eine Veränderung (Optimie-
rung) des Prozesses von elementarer Bedeutung. Ändern sich die Beziehungsaspekte
der Prozesse untereinander, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte
Wertschöpfungskette.

6.2.1 SIPOC-Analyse: Der Charme der Übersichtlichkeit

Die SIPOC-Analyse stammt aus dem umfangreichen Werkzeugkasten der »Six Sigma«-
Methode. Six Sigma wurde 1987 in den USA von Motorola entwickelt, erlangte seine
große Popularität aber erst, nachdem Jack Welch die Methode 1996 bei General Elec-
tric (GE) eingeführt hatte und damit große Erfolge feierte.

Der Begriff »SIPOC« setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der fünf englischen Begriffe
Supplier (Lieferant), Input (Eingabe), Process (Prozess), Output (Ausgabe) und Customer
(Kunde) zusammen. Insbesondere bei der Aufnahme undokumentierter Bestands-
prozesse oder dem Entwurf von Neuprozessen kann die Methode ihr volles Potenzial
entfalten. Ihr Charme liegt in der einfachen Handhabung und ihrer übersichtlichen
gemischt-grafisch/tabellarischen Form der Prozessdarstellung. Die wesentlichen Pro-
zessschritte (siehe Beispiel in Abbildung 44) eines Prozesses werden in der »P«-Spalte

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

übereinander dargestellt und geben den Prozessverlauf grob wieder. Idealerweise


beschränkt man sich bei der Anzahl der Prozessschritte auf maximal acht bis zehn
Elemente.

Supplier Input Process Output Customer

* Wasserversorger * Wasserkocher * heißes Wasser * Teetrinker


* Stromlieferant * Strom Wasser kochen
* Elektromarkt * Wasser

* Teelieferant * Teebeutel Teebeutel und * heißes Wasser * Teetrinker


* Geschirr- * Wasser Wasser in mit Teebeutel
produzent * Tasse Tasse einfüllen
* Wasserkocher

* Uhrenhersteller * Uhr 5 Minuten * heißes Wasser * Teetrinker


ziehen lassen mit Teebeutel

* Teetrinker * Tasse Tee * Teetrinker


Teebeutel * verbrauchter * Mülltonne
entnehmen Teebeutel

* Zuckerhersteller * Teelöffel Teelöffel und * Tasse Tee * Teetrinker


* Geschirr- * Zucker Zucker auf die
produzent * Geschirr Untertasse legen

Abb. 44: Beispiel einer SIPOC-Analyse; Quelle: In Anlehnung an https://de.wikipedia.org/wiki/SIPOC


(Zugriff: 28.05.2017)

In dieser Frühphase der Analyse sind Übersichtlichkeit und schneller Informations-


gewinn stets wichtiger als etwaige Prozessdetails. Ist der betrachtete Prozess sehr
umfangreich, empfiehlt sich die Bündelung von Prozessschritten in Teilprozesse bzw.
eine Top-down-Anwendung 99 der Methode (siehe Abbildung 45).

99 Zuerst auf die Abfolge der Teilprozesse des Prozesses und der im Folgenden sukzessiven Anwendung der
SIPOC-Analyse auf jeden einzelnen Teilprozess und seiner Prozessschritte.

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

SIPOC-Analyse detaillierte SIPOC

Teilprozess 1 PS 1.1
Prozess A

PS 1.2
Teilprozess 2
PS 1.3
Teilprozess 3
PS 1.

Teilprozess PS 1.5

PS 1.6
Teilprozess 5

PS - Prozessschritt

Abb. 45: SIPOC-Analysen im Prozess; Quelle: Eigene Darstellung

Hat man die Prozesssituation in der P-Spalte erarbeitet, werden nun zeilenweise Lie-
feranteninformationen, Zulieferungen (Eingaben), Ergebnisse (Ausgaben) und die
Leistungsempfänger (Kunden) des jeweiligen Prozessschritts festgehalten. Die Beant-
wortung der in Abbildung 46 jeweils formulierten Fragen unterstützt bei der Informa-
tionsgewinnung.

S I P O C
Supplier Input Process Output Customer

Wer ist Was wird für Welche Was ist das Wer ist
Zulieferer für die Durchfüh- Aktivität wird Ergebnis der Empfänger
diese Aktivität / rung der Akti- ausgeführt? Aktivität? des Aktivitäts-
diesen Prozess- vität benötigt ergebnisses?
schritt? (zugeliefert)?

Abb. 46: SIPOC-Fragestellungen; Quelle: Eigene Darstellung

Mit einer SIPOC-Analyse gewinnt man ein grundlegendes Bild über das Umfeld des
Prozesses. Dies beinhaltet neben notwendigen Zuliefer- und Ergebnisinformatio-
nen sämtliche Prozess-Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Prozessschritt-Ausfüh-
rende) und eine gute Übersicht der Schnittstellen (zu anderen Bereichen in Unter-
nehmen, externen und internen Kunden, Lieferanten sowie anderen Prozessen)
und Abhängigkeiten.

Im alltäglichen Gebrauch meinen die Begriffe »Lieferant« und »Kunde« meist Externe.
Im Kontext der Prozess-Umfeldanalyse treffen wir auf einen deutlich erweiterten Kreis
der Lieferanten und Kunden. Dieser ist in Tabelle 16 dargestellt.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Kunden * aufnehmender Prozess


* interner Empfänger des Prozessschritt-Ergebnisses
* externer Kunde
* gesellschaftliche Kunden (z. B. Aktionäre, Politik etc.)

Lieferanten * zuliefernder Prozess


* interne Zulieferer (z. B. Schwesterabteilung)
* externe Lieferanten
* gesellschaftliche Lieferanten (Vorschriften,
Anforderungen etc.)

Tab. 16: Kunden und Lieferanten im Prozess; Quelle: Eigene Darstellung

6.2.2 Schnittstellenanalyse: Problemursachen im Blick

Schnittstellen sind bei der Betrachtung von Prozessen ein Thema für sich. Hier wird
es schnell komplex, hier geht in der Praxis viel schief und hier häufen sich Reibungs-
verluste. Wenn es zu erheblichen Verzögerungen bei der Prozessentwicklung kommt,
dann sind ganz häufig Schnittstellen im Spiel. Deshalb verdienen Schnittstellen
erhöhte Aufmerksamkeit.

6.2.2.1 Schnittstellen als häufige Kummerquellen

Das Spektrum der Prozessprobleme, die sich auf Schwierigkeiten mit Schnittstellen
zurückführen lassen, ist breit. Ob es nur fehlende Informationen, ein ungenügender
Leistungsaustausch, verspätete Bereitstellung von Arbeitsmitteln oder eine mangel-
hafte Qualität der Zulieferungen sind – die Liste möglicher Ursachen ist lang. Manche
Schnittstellendefizite sind dabei nicht sofort transparent und wirken sich erst einige
Prozessschritte später (nach der Schnittstellenübergabe) nachteilig auf den Prozess
aus. Dies betrifft in hohem Maße die Bereitstellung von Informationen, deren Fehlen
leider oft erst spät bemerkt wird, was dann zu Verzögerungen und anderen Problemen
in der weiteren Prozessausführung führt. Zu spät, d. h. nicht direkt an der Schnittstelle
zu erkennen, dass wichtige Informationen, Leistungen oder Ressourcen fehlen, hat
unglücklicherweise zur Folge, dass der Prozess weiter ausgeführt wird, obwohl eine
Weiterführung entweder gar nicht abschließend möglich ist oder das Prozessergebnis
nachteilig beeinflusst. Verzögerungen, Nacharbeiten und Ausschuss sind die Folge.
Auch kann sich dadurch eine Schuldzuweisungskultur unter Schnittstellenpartnern
entwickeln, die den Prozessablauf weiter beeinträchtigt. Dazu ein Beispiel.

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

BEISPIEL

Der Vertrieb eines Herstellers von Großküchen tritt als Auftraggeber für die
Fertigung auf und übergibt die vom Kunden übermittelten Spezifikationen
nach Auftragserteilung. Die Fertigung mahnt das Fehlen zahlreicher Abmes-
sungen an, ohne die sie nicht in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen. Die resul-
tierenden Verzögerungen werden vom Vertrieb der langsamen, ineffizienten
Fertigung zugeschrieben. Aus Fertigungssicht hingegen werden sie dem
Vertrieb angelastet, der ja nicht alle notwendigen Informationen vom Kunden
erfragte und bereitstellte. Eine typische wechselseitige Schuldzuweisung. Es
haben sich beide Bereiche nach bestem Wissen und Gewissen an den beste-
henden Prozess gehalten und fühlen sich daher im Recht.

Das Beispiel offenbart das Dilemma vieler Organisationen und ist in Dienstleistungs-
oder Verwaltungsprozessen ebenfalls anzutreffen. Der Problemverursacher in die-
sem Beispiel ist der Kunde, der seine Betriebsstätte nicht umfassend und sorgfältig
genug ausgemessen hat, was aber erst später im Fertigungsprozess auffällt. Abhilfe
lässt sich in diesem Beispiel mit einer detaillierten Schnittstellenanalyse über den
gesamten Geschäftsprozess (also von der Auftragserteilung bis zur Lieferung an den
Kunden) schaffen. Durch Berücksichtigung aller Informationen an den Kunden/die
Vertriebsschnittstelle, und zwar auch aller erst zu wesentlich späteren Zeitpunkten
im Prozess erforderlichen Informationen, würde das Fehlen relevanter Spezifikati-
onsmerkmale bereits bei Auftragserteilung (und begleitenden Spezifikationsüber-
mittlung) sichtbar machen. Der Prozess würde in diesem Fall erst ab dem Vorliegen
aller Informationen weiter ablaufen und so die Gefahr des Stillstands von Ferti-
gungsressourcen vermeiden.

Schnittstellen sind immer auch Komplexitätstreiber, denn sie


y erfordern hohe Kooperations- und Koordinationsaufwände,
y erhöhen die Arbeitsteiligkeit,
y führen zu getrennten Verantwortungen,
y befeuern typischerweise unterschiedliche Erwartungshaltungen,
y begünstigen Fehlentwicklungen (z. B. durch Teiloptimierungen).

Deshalb sollte ein integraler Bestandteil jeder Prozessumfeldanalyse eine Analyse der
Prozessschnittstellen beinhalten. Ein gutes Stück des Weges übernimmt dabei die
SIPOC-Analyse, jedoch ist eine Vertiefung der Ergebnisse empfehlenswert und wird
nachfolgend beschrieben.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

6.2.2.2 Schnittstellenmatrix: Wer, was, wem, wo und zu welchen


Bedingungen?

Das Ziel der Schnittstellenanalyse ist die Erstellung einer Schnittstellenvereinbarung


(eine Art »Quality Gate«) an den relevanten Schnittstellen. Dabei werden Vereinba-
rungen zu Terminen, Menge, Qualität, Informationen und Häufigkeit der Liefergegen-
stände getroffen.

Die Schnittstellenanalyse beinhaltet fünf zentrale Schritte (siehe Abbildung 47) und
kommt an den Stellen zur Anwendung, wo sich im Prozessverlauf die Verantwortlich-
keiten ändern (z. B. Bereichswechsel).

Schnittstelle
Verantwortung Verantwortung
vorgelagerter Prozess Folgeprozess
vorgelagerter Ergebnis- Ausgabe Eingabe Ergebnis- Prozess- Ergebnis-
Prozess- Ausgabe
schritt prüfung prüfung schritt prüfung

Funktionsbereich A Funktionsbereich B

1 Identifikation aller Ein- und Ausgaben


2 Identifikation aller Ergebnisprüfungen
3 Ermittlung beteiligter Funktionseinheiten
Ermittlung der Materialflüsse und -bedarfe
5 Ermittlung der Informationsflüsse und -bedarfe

Abb. 47: Schnittstellenanalyse – Fünf-Punkte-Liste; Quelle: In Anlehnung an Schneider/Geiger/


Scheuring (2008): Prozess- und Qualitätsmanagement: Grundlagen der Prozessgestaltung und Quali-
tätsverbesserung mit zahlreichen Beispielen, Repetitionsfragen und Antworten, Zürich, S. 135 f.

Alle Ergebnisse der Analyse werden in einer Schnittstellenmatrix (Abbildungen 48


und 49) dokumentiert, die gleichzeitig als Vereinbarung (Quality Gate) zwischen den
betroffenen Schnittstellenpartnern dient. Anders formuliert: Die Schnittstellenmatrix
beschreibt auch »wer was wem wo und zu welchen Rahmenbedingungen« liefert.

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

Abb. 48: Bereichsübergreifender Prozess (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

wer wem wo
liefert was wann wie womit
(wie lange) (wie viel)
Lieferant Eingabe Prüfung Kunde Schnittstelle Kunde Menge Medium

12:00 Uhr
Start

Team A Dokument Prüfkriterien Team C 1 / BG jeden Di 2 Seiten Papier

Team C E-Mail Prüfkriterien Team D 2 / BG 14:00 Uhr 1 E-Mail elektronisch


jeden Di
17:00 Uhr

Ende
Team D E-Mail Prüfkriterien Team C 3 / BG jeden Di 1 E-Mail elektronisch

Team A Dokument Prüfkriterien Team B / TG 14:00 Uhr 2 Seiten Papier


Di, bei Bedarf
17:00 Uhr
Ende
Team B Dokument Prüfkriterien Team C 5 / BG Di, bei Bedarf
2 Seiten Papier

Lieferant Kundenseite Schnittstellenbeschreibung

TG = Teamgrenze, BG = Bereichsgrenze
Abb. 49: Schnittstellenmatrix (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Als kleines, aber feines Nebenprodukt erhält man eine Schärfung der beteiligten Pro-
zessrollen. Zur Identifikation von Schnittstellen hilft auch die Gegenüberstellung von
Prozessschritten (Aufgaben, Tätigkeiten) und der am Prozess beteiligten Funktions-
einheiten (Organisationseinheiten, siehe Beispiel in Abbildung 50) in einem sogenann-
ten Prozess-/Funktionendiagramm.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Funktionen Auftrags- Kredit- Vertrags-


Aufgaben Kundenberater annahme bearbeitung bearbeitung
Kreditbegehren
entgegennehmen X
Kreditwürdigkeit
prüfen X
Kreditkonditionen
prüfen X
Vertrags-
bedingungen X
Kunden
informieren X
Abb. 50: Schnittstellenidentifikation im Prozess-/Funktionendiagramm (Beispiel); Quelle: Schneider/
Geiger/Scheuring, a. a. O. (Abbildung 47), S. 135

6.2.2.3 Schnittstellenzufriedenheit: Was sagen die Partner?

Ein etwas anderer Weg, Schnittstellenprobleme aufzudecken, ist eine periodische


Überprüfung der Zufriedenheit der Schnittstellenpartner. Dabei beurteilen die Pro-
zessleistungen aufnehmenden Schnittstellenpartner (also die Kunden des vorher-
gehenden Prozessschritts oder Prozesses) die Qualität der Schnittstelle anhand
bestimmter Merkmale (Zuverlässigkeit, Termintreue, Qualität, Informationsbeschaf-
fenheit etc.). Die daraus resultierende »Benotung« zeigt im zeitlichen Verlauf bzw. im
Vergleich zu den anderen Schnittstellen Auffälligkeiten an (siehe Abbildung 51).

Organisations- Lieferant Team A Team B Team C Team D


einheit
Lieferant 0 1,79
Auffällige
Team A 4 2,40 1 1,39 Schnittstellen zur
weiteren Analyse

Team B 5 3,19

Team C 2 3,43

Team D 3 3,55

1 = sehr gut, 2 = zufrieden, 3 = unzufrieden, = sehr unzufrieden


4 Schnittstellennummer Keine gemeinsame Schnittstelle

Abb. 51: Evaluierung der Schnittstellenzufriedenheit (Beispiel); Quelle: In Anlehnung an Schneider/


Geiger/Scheuring, a. a. O. (Abbildung 47)

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

Die Auffälligkeiten werden daraufhin einer genauen Analyse unterzogen. Wichtig


dabei ist es, möglichst objektive Bewertungskriterien für eine »Benotung« heranzu-
ziehen, um »Sympathiebekundungen« bzw. Individualbewertungen (d. h. indirekt die
Bewertung einzelner Mitarbeiter) tunlichst zu vermeiden. Das Vorgehen kann trotz
des einhergehenden Mehraufwands100 zu lohnenswerten Einsichten führen.

6.2.3 Informationsanalyse: Digitalisierung beginnt hier

Informationen sind das Schmiermittel in der Prozessausführung. Ohne genaue Kennt-


nisse des Informationsflusses, d. h., welcher Prozessschritt wann welche Informatio-
nen benötigt, kann ein Prozess nicht effizient und unterbrechungsfrei ablaufen. Erst
recht nicht, wenn diese Informationen (oder Daten) für eine datengetriebene Analyse,
Modellierung und Optimierung des Prozesses in Echtzeit erforderlich sind. Wurde der
Umgang mit Informationen in der analogen Prozessführung noch größtenteils sehr
stiefmütterlich behandelt, ist eine transparente Ableitung der Informationsbedarfe
und -flüsse eine notwendige Voraussetzung für die Digitalisierung der Prozesse. Hinzu
kommt, dass irrelevante, redundante oder fehlende Informationen den Prozess unnö-
tig belasten und Mehrkosten verursachen.

Die Analyse betrachtet den Informationsfluss aus Sicht des Informationsempfängers,


d. h., der aufnehmende Prozessschritt definiert den Informationsbedarf, der für die
Ausführung der Prozesstätigkeit notwendig ist. Dabei stellt der Empfänger die Anfor-
derungen, welche Informationen oder Daten zu welchem Zeitpunkt und in welchem
Detailumfang für die Prozessausführung benötigt werden. Informationsempfänger
können IT-Systeme, Maschinen, Sensoren, Prozessverantwortliche (Prozesseigner)
oder andere am Prozess beteiligte Akteure sein.

Zur Ermittlung des Informationsflusses sind vier Analyseschritte zu durchlaufen:

1. Auflisten der Tätigkeiten: Der Prozess wird in seine Tätigkeiten (Prozessschritte)


zerlegt und in einer Tabelle (siehe Beispiel in Tabelle 17) untereinander aufgelistet.

2. Eintragen der Informationen: Im zweiten Schritt werden alle für den Prozess
bekannten bzw. benötigten Informationen (diese müssen nicht immer deckungsgleich
sein, wir konzentrieren uns in der Analyse immer auf die dem Prozess maximal zur
Verfügung stehenden Informationen) in derselben Tabelle erfasst. Die resultierende

100 Beispielsweise die Abstimmung mit Personalvertretern (Betriebsrat), Beachtung datenschutzrechtlicher


Aspekte etc.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Gegenüberstellung von Prozessschritten und Informationen bezeichnet man auch als


Informationsfluss-Analyse-Matrix.101

3. Ermitteln der in den Informationsfluss eingehenden IT-Systeme: Für jeden Pro-


zessschritt werden nun die IT-Systeme festgehalten, mit denen der Prozess im Laufe
der Ausführung im Austausch steht. Auch hier werden aus Sicht des empfangenden
Prozessschrittes zuerst die informationenanliefernden Systeme (Quellen) und danach
die empfangenden Systeme (Senken) erfasst und mit den jeweiligen Prozessschritten
in Beziehung gesetzt.

4. Informationen und Tätigkeiten in Beziehung setzen: Im letzten Schritt werden


schließlich Tätigkeiten und Informationen miteinander in Verbindung gebracht. Dabei
werden Informationen in »benötigt« (B), »erzeugt« (E) und »geprüft« (G) unterschieden
und ausgewiesen.

Information
Bedeckungsvorschlag

Anforderungsprofil
Bedarfsmeldungen

Bewerberevidenz
Personalbudget
(intern/extern)

(intern/extern)
Ausschreibung
Personalstand

Einstellungs-
Personalrekrutierung
Stellenplan

richtlinien

Total
Tätigkeiten
Personal planen B B E E E ...
Personal ausschreiben G G G
Personal suchen B B E E
Personal auswählen B B B B
Einstellung anfordern
Einstellungsanforderung prüfen
Einstellung verfügen
B 1 1 1 2 1 1 1 8
Zwischensumme E 1 1 1 1 1 5
G 1 1 1 3

B = Informationen, die für die Durchführung der Tätigkeit benötigt werden


E = Informationen, die durch die Tätigkeit erzeugt werden
G = Informationen, die im Rahmen der Tätigkeit qualitativ überprüft werden
Tab. 17: Informationsfluss-Analysematrix (Beispiel); Quelle: Schneider/Geiger/Scheuring, a. a. O.
(Abbildung 47)

Für die Prozessoptimierung gilt es nun, die unterschiedlichen Informationstypen (B, E,


G) in Einzelanalysen differenziert zu betrachten.

101 Schneider/Geiger/Scheuring, a. a. O. (Abbildung 47).

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

B-Analyse: Die Analyse der für die Durchführung der Prozessschritte benötigten Infor-
mationen liefert Aufschluss darüber, ob bestimmte Prozessschritte gleichzeitig aus-
führbar sind. Ein Indiz dafür wäre, wenn mehrere Prozessschritte zwischen Erzeugung
und Verwendung einer bestimmten Information liegen, diese Information aber nicht
nutzen bzw. benötigen. Die Parallelisierung dieser Prozessschritte sorgt für kürzere
Durchlaufzeiten.

E-Analyse: Finden sich in einer Spalte der Analysematrix mehrere E-Einträge, weist
dies auf eine Mehrfacherzeugung derselben Information hin. Daraus lässt sich Poten-
zial für die Optimierung des Prozessverlaufs ableiten. Prozessschritte können mögli-
cherweise eliminiert oder zusammengeführt werden, was sich sofort in einer verbes-
serten Prozesseffizienz niederschlägt.

G-Analyse: Werden in einer Spalte der Analysematrix mehrere G-Einträge notiert,


liefert das Anhaltspunkte für redundante Prüfaktivitäten. Durch Zusammenfassung
oder Eliminierung redundanter Mehrfachprüfungen lässt sich ebenfalls die Prozes-
seffizienz verbessern. Darüber hinaus weisen Prüfvorgänge außerhalb der bestehen-
den Prozesshierarchie (beispielsweise durch übergeordnete Hierarchieinstanzen) auf
höhere Koordinations- und Abstimmungsaufwände hin. Durch Reintegration in die
Prozesshierarchie lassen sich auch hier deutliche Effizienzgewinne (Ressourcenbelas-
tung, Durchlaufzeiten) realisieren.

6.2.4 Verantwortlichkeiten definieren: Die RACI-Matrix

In jedem Unternehmen existieren einerseits notwendige Verantwortlichkeiten und


andererseits solche, die in der Unternehmensrealität tatsächlich wahrgenommen wer-
den. Das betrifft auch die Prozessausführung. Die Vermessung der notwendigen und
wahrgenommenen Verantwortlichkeiten unter den Prozessbeteiligten hat seit jeher
eine fundamentale Bedeutung in der Prozessanalyse. Zur Kartografierung der Verant-
wortlichkeiten leistet die RACI-Matrix (siehe Abbildung 52) gute Dienste. Der Name leitet
sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe »Responsible«, »Accountable«,
»Consulted« und »Informed« ab. Die Begriffe werden wie folgt interpretiert:

R wie Responsible: Kennzeichnet den Bereich, die Rolle oder Person, die für die
Durchführung des Prozessschrittes verantwortlich ist.

A wie Accountable: Damit wird der für den Prozessschritt »rechenschaftspflichtige« Akteur
(Bereich, Rolle, Person) beschrieben. Zur Identifikation dieser Akteure kann es hilfreich
sein, nach dem Eigentümer der für diesen Prozessschritt verantwortlichen Kostenstelle
Ausschau zu halten. Typische Handlungsmerkmale eines »Accountable«-Akteurs sind das
Genehmigen, Unterschreiben, Bezahlen oder Freigeben eines Vorgangs.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

C wie Consulted: Bezeichnet Akteure, deren fachlicher Rat vor Ausführung eines Pro-
zessschrittes einzuholen ist. Dies betrifft nicht nur Fachfragen, sondern auch Informa-
tionen, etwa zu Lieferterminen oder juristischen Anforderungen.

I wie Informed: Damit werden alle Akteure gekennzeichnet, die über Ausführung und
Ergebnis des Prozessschrittes informiert werden müssen (d. h. nach dem Prozess-
schritt). Die Informationsweitergabe ist nicht als Höflichkeitsgeste zu verstehen, son-
dern als Prozessnotwendigkeit. Weitergegebene Informationen können ebenso den
weiteren Prozessverlauf markieren bzw. andere Prozesse auslösen und sind daher in
der Verantwortlichkeitsanalyse elementare Betrachtungsgrößen.

Kunde Vertrieb Finanzen Produktion Logistik

Bestellung aufgeben R, A I – – –

Vollständigkeit prüfen C A C R C

Kundenbonität prüfen – I A, R – –

Liefertermin ermitteln I A – R C

Auftragsbestätigung faxen I A, R I I I

A = accountable; C = consulted; I = Information; R = responsible


Abb. 52: RACI-Matrix (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Grundsätzlich sollte pro Prozessschritt nur ein Akteur »accountable« oder »respon-
sible« sein. Hingegen können mehrere Akteure bei einen Prozesschritt »informed«
oder »consulted« werden. Die deutschsprachige Entsprechung der RACI-Matrix wird
als DEBI-Matrix bezeichnet und steht für Durchführungsverantwortung (D), Ergebnis-
verantwortung (E), Beratung (B) und Information (I).

Das Fehlen einer »A«-Rolle in einem Prozessschritt weist typischerweise auf Verant-
wortungslücken hin, wohingegen das Vorkommen mehrerer »R«-Rollen in einem
Schritt auf Verantwortungsüberlappung hindeutet. Beides ist ungünstig und bedarf
eingehender Analyse. Oft liegt gerade hier Verbesserungspotenzial. Außerdem liefert
die strukturierte Erfassung des Prozesses mittels RACI-Matrix auch das Handwerkzeug
für die »Schwimmbahndarstellung« des Prozesses. Jede Schwimmbahn steht dabei
für einen »A«-Akteur (siehe Abbildung 53). Daneben unterstützt sie die Rollenbildung
für den Prozess und ist ein hilfreiches Instrument, die Aufgabenteiligkeit eines Prozes-
ses näher in Augenschein zu nehmen. Der Umstand, dass sich »A«- und »R«-Rollen über
mehrere Prozessschritte unverändert demselben Akteur zuweisen lassen, liefert bei-

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

spielsweise einen Hinweis auf eine möglicherweise zu »kleinteilige« Prozessführung,


also mit zu vielen und wenig aussagekräftigen Prozessschritten.

Bestellung
Kunde

aufgeben

Auftrags-
Produktion Finanzen Vertrieb

Vollständig- Liefertermin
prüfen bestätigung
keit prüfen faxen

Kundenboni-
tät prüfen
Logistik

Abb. 53: Schwimmbahndarstellung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

6.2.5 Murphy-Simulation: Was könnte alles schieflaufen?

Eine Variante der SIPOC-Analyse (siehe Kapitel 6.2.1) stellt die Modellierung uner-
wünschter Ergebniszustände (Outputs) je Prozessschritt dar. Dabei ist die Zulieferung
(bzw. Eingabe) je Prozessschritt abzuleiten, die dann wiederum zu einem unerwünsch-
ten Ergebnis führen kann. Aufgabe dieser »umgedrehten« Anwendung der SIPOC-Ana-
lyse ist es, herauszuarbeiten, was grundsätzlich im Prozess schieflaufen könnte, mit
dem Ziel, unliebsame Ergebnisse zu vermeiden. Sie kennen sicherlich Murphys Gesetz:
Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Diese Form der Präventionsstra-
tegie nenne ich deshalb auch Murphy-Simulation. Ein Beispiel, welches das Vorgehen
in einer Murphy-Simulation illustriert, findet sich in Abbildung 54.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Supplier Input Process Output Customer


Kunde weiß nicht,
wo er die Hotline- Kunde findet
Nummer findet Kunde sucht Nummer nicht
Produkthersteller Nummer Kunde
Nummer im Hand- des Callcenters Kunde bekommt Nach-
buch ist falsch richt »falsche Nummer«

Telefonunternehmen, Kunde wählt Kunde bekommt Nach-


Callcenter-Dienstleister falsche Nummer Kunde ruft richt »falsche Nummer«
interne Computer, Callcenter an Keine Anruferkennung Kunde
Kunde sendet seine
Systeme, Telefone Nummer nicht mit VRU weist Anruf ab
Telefonunternehmen, Anruf wird falsch
Callcenter-Dienstleister Kunde trifft falsche VRU Eingabe geroutet
interne Computer, VRU Auswahl Kunde
Systeme, Telefone VRU verliert Anruf

Telefonunternehmen, Kundenbetreuer sieht


Callcenter-Dienstleister keine Kundendaten Falsche Person
Kundenbetreuer beantwortet Anruf Kunde
interne Computer, Kunde stellt falsches beantwortet Anruf
Systeme, Telefone Anliegen oder Frage Anruf in Warteschleife

Telefonunternehmen, Kunde will keine


Callcenter-Dienstleister Daten preisgeben Kundenbetreuer Kunde von Upsell- Kunde
interne Computer, Kunde an Upsell versucht Upsell Versuch genervt
Systeme, Telefone nicht interessiert

Telefonunternehmen, Kundenbetreuer
wählt falsche Kundenbetreuer Anruf geht an
Callcenter-Dienstleister Transferoption aus, transferiert Anruf falsche Person Kunde
interne Computer, Fehler im Telefon- an Techniker
Systeme, Telefone Anruf in Warteschleife
system

VRU = Voice Response Unit


Abb. 54: Murphy-Simulation (Beispiel); Quelle: Pyzdek, Thomas (2014): The Six Sigma Handbook –
Fourth Edition, Mcgraw-Hill Education Ltd. New York, S. 272

6.2.6 Prozessbebauungsplan: Abhängigkeiten auf einen Blick

In der Analysephase können Prozessbebauungspläne ein wichtiges Hilfsmittel sein.


Sie gestatten es, die Abhängigkeiten der Unternehmensprozesse zu den sie betreuen-
den Organisationseinheiten, vermarkteten Produkten und Dienstleistungen sowie die
unterstützenden IT-Systeme auf einen Blick darzustellen.102

102 Hanschke/Lorenz (2012): Strategisches Prozessmanagement – Einfach und effektiv: Ein praktischer Leitfa-
den, Hanser Verlag, München, S. 109 ff.

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6.2 Das Prozessumfeld analysieren: Schnittstellen im Blick

Produkt
DL Produkt A Produkt B Produkt C
OE

GP 1 GP 2
OE I GP
GP 2 GP 6
GP 3
OE II GP GP 1
GP 5
GP 3
OE III GP 7 GP 3
GP 8
GP 7
OE IV GP 9 GP
GP 8

OE = Organisationseinheit, GP = Geschäftsprozess, DL = Dienstleistung

Abb. 55: Prozessbebauungsplan (Beispiel); Quelle: Hanschke/Lorenz, a. a. O. (Fn. 102)

Bebauungspläne (siehe Abbildung 55) helfen bei der Beantwortung einiger für die Pro-
zessanalyse zentraler Fragen:
y Welche Organisationseinheiten sind für die Ausführung der Geschäftsprozesse
verantwortlich?
y Welche Geschäftsprozesse sind für die Erbringung von Dienstleistungen bzw. Pro-
dukten verantwortlich?
y Welche IT-Systeme unterstützen die Geschäftsprozesse, und welche Organisati-
onseinheiten verwalten sie?

Im Umkehrschluss liefern die Antworten auf diese Fragen auch Aufschluss darüber,
welche Organisationseinheiten, IT-Systeme und Produkte (bzw. Dienstleistungen)
durch Veränderungen bestimmter Prozesse betroffen sind.

Eine Variation des vorgestellten Prozessbebauungsplans ist der IT-Bebauungsplan


(siehe Abbildung 56), der die IT-Systeme und ihre Beziehung zu Prozessen und Organi-
sationsteilen in den Mittelpunkt rückt.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Geschäfts- Geschäfts- Geschäfts- Geschäfts-


prozess prozess prozess prozess
OE 1 2 3

IT-System A
OE I IT-System B
IT-System C

OE II IT-System D

IT-System E IT-System E
OE III
IT-System F

IT-System G
OE IV
IT-System H

OE = Organisationseinheit

Abb. 56: IT-Bebauungsplan (Beispiel); Quelle: Hanschke/Lorenz, a. a. O. (Fn. 102)

Es empfiehlt sich bei der Erstellung von Bebauungsplänen mit einer groben Granulari-
tät zu beginnen, um Komplexität und Erstellungsaufwand in Grenzen zu halten.

Da Bebauungspläne sowohl in der Planung und Bewirtschaftung der IT-Architektur


eines Unternehmens als auch im strategischen Prozessmanagement Verwendung fin-
den, kann es durchaus sein, dass diese Pläne bereits vorliegen. Fragen Sie doch einmal
Ihren IT- oder Prozess-Architekten danach, bevor Sie sich die Mühe machen und die
Pläne (doppelt) erstellen.

6.3 Barrierefrei visualisieren: Weniger ist mehr

Keine Frage, Prozessmodelle können gerade bei komplexeren Geschäftsprozessen schnell


unübersichtlich und schwer verständlich ausfallen. Schlimm ist das nur, wenn eine soge-
nannte Prozessnotation, also eine Symbolsprache zur Darstellung von Prozessen, die
Wiedererkennung eines Prozesses zusätzlich erschwert. Im Prozess-Workshop kommt es
darauf an, auch Prozess-Laien den Prozess unverstellt zugänglich zu machen. Mit anderen
Worten: Verzicht auf jegliche Symbolsprache! Das klingt radikal. Doch für Prozess-Work-
shops gilt: »Weniger ist mehr«. Wie aber können Sie »barrierefrei« vorgehen?

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6.3 Barrierefrei visualisieren: Weniger ist mehr

6.3.1 Brown-Paper-Methode: Papier ist geduldig

Ein starkes barrierefreies Medium – und für einen Workshop-Einsatz bestens geeig-
net – ist die Brown-Paper-Methode. Sie lässt den Teilnehmern völlig freie Hand bei der
Prozessgestaltung und rückt somit die fachliche Prozessarbeit in den Vordergrund.
Grundsätzlich können die Teilnehmer hier selbst über die Art und Weise entschei-
den, wie sie einen Prozess darstellen wollen, solange sie dabei nur ein »Brown Paper«
(braunes Moderationspapier) nutzen. Selbst die Wahl und Gestaltung der Symbole ist
den Teilnehmern überlassen.

Für alle, die ein wenig Anleitung schätzen, liefere ich mit Abbildung 57 ein paar Gestal-
tungsvorschläge.

Titel/ Frage Rote Flaggen Schwäche Zusammenfassung


Prozessname (gelb) kennzeichnen (pink) der Stärken
Verbesserungs-
notwendigkeiten

Y Y P

Schnittstelle
zu anderem Original- Stärke Zusammenfassung
Autoren Legende Prozess dokument (grün) der Schwächen

Abb. 57: Gestaltungsvorschläge für die Brown-Paper-Methode; Quelle: In Anlehnung an Ortner, Wolf-
gang: Vorlesungsskript: Erhebungsmethoden für Geschäftsprozesse, FH Oberösterreich, Steyr

Ursprünglich aus der Beratungspraxis stammend, hat sich diese Methode zu einem
festen Bestandteil der Prozessanalysearbeit entwickelt. Sie fördert die aktive Ein-
beziehung der Teilnehmer in die Prozessgestaltung und unterstützt die teilweise oft
recht plastische Modellierung der Prozesse, beispielsweise auch durch die beliebte
Einbindung von Originaldokumenten. Verträge, Statistiken, Screenshots usw. werden
dann einfach auf das Papier geklebt bzw. mit Nadeln angeheftet.

Da keine Vorkenntnisse nötig sind und die Gestaltung völlig frei ist, gibt es in der Regel
einen hohen Partizipationsgrad der Teilnehmer und eine starke Identifikation mit der
Prozessanalyse und den gewonnenen Einsichten. Das Format gestattet auch über den

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Workshop hinaus vielfältige Einsatzmöglichkeiten. So habe ich immer wieder Arbeits-


stände an möglichst zentralen Orten im Unternehmen (z. B. Cafeteria, Besprechungs-
oder Versammlungsräume) ausgestellt. Damit räumen Sie anderen Mitarbeitern, die
nicht am Workshop selbst beteiligt waren, die Möglichkeit ein, Ihnen Feedback und
Anmerkungen zukommen zu lassen und sich über den aktuellen Stand Ihrer Arbeit
zu informieren. Zudem nutze ich den offen zugänglichen Prozessstand auch noch
Wochen nach dem Workshop für Besprechungen und stelle ihn betroffenen bzw. inte-
ressierten Mitarbeitern vor. Das wortwörtliche »Abgehen« eines Prozesses entlang
einer Ausstellungsfläche nennt man darum auch passenderweise »Wall Walk«. Spe-
ziell für Prozessveränderungen, die einen großen Personenkreis betreffen, ist es oft
besonders dienlich, den Prozess auf diese Weise länger auszustellen und »erfahrbar«
zu machen.

6.3.2 Bildkartenmethode: In drei Runden zum Ziel

Eine weitere sehr hilfreiche und barrierefreie Methode zur Prozessanalyse und -auf-
nahme ist die Bildkartenmethode.103 Auf verschiedenen Bildkarten (z. B. Moderati-
onskarten) werden hier die unterschiedlichen Objekte eines Prozesses festgehalten.
Betrachtet werden dabei die Elemente Prozessschritte, Bearbeiter, Ergebnisse, Hilfs-
mittel, Externe und Schwachstellen. Jeder Objektgruppe werden im Grunde willkürlich
einzelne Farben zugewiesen (z. B. grüne Bildkarten für Prozessschritte). Diese werden
dann aber während der gesamten Prozessanalyse konsequent beibehalten.

Prozessschritt Tätigkeiten, Aufgaben

Bearbeiter Mitarbeiter, Abteilung, Bereich

Ergebnisse Dokumente, Software, Werkstücke etc.

Hilfsmittel IT-Systeme, Arbeitsanweisungen,


Vorlagen, Richtlinien, Normen, Formulare

Externe Kunden, Lieferanten, Sonstige

Schwachstellen schlechte Durchlaufzeiten, Doppelarbeiten,


hohe Fehlerquoten, fehlende Informationen etc.

Abb. 58: Exemplarische Übersicht von Bildkarten bei der Bildkartenmethode; Quelle: Eigene Darstellung

103 Literaturempfehlung zu diesem Thema auch: Gappmaier/Gappmaier (2011): Alles Prozess?! Einfach wirk-
same Prozessoptimierung in jeder Situation mit der Bildkartenmethode.

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6.3 Barrierefrei visualisieren: Weniger ist mehr

Abbildung 58 enthält exemplarisch eine Farbzuordnung zu den einzelnen Objektgrup-


pen und führt für jede Gruppe mögliche Beispiele an. Die Anwendung der Bildkarten-
methode ist denkbar einfach und erfolgt in drei Runden.

In der ersten Runde wird der Prozess in seine Aktivitäten (Prozessschritte) zerlegt.
Diese werden auf den Prozessschritt-Bildkarten dokumentiert und auf einem Tisch
(alternativ auf dem Boden, je nach Situation und Gruppengröße), in der Reihenfolge
ihrer Ausführung, festgehalten. Danach wird jedes Ergebnis eines Prozessschritts auf
den Ergebnis-Bildkarten vermerkt und seiner Herkunftsaktivität zugeordnet, d. h.
unter dem jeweiligen Prozessschritt auf der Pinnwand abgelegt.

Die zweite Runde beginnt mit der Festlegung des Hauptakteurs (Bearbeiters) für
jeden Prozessschritt. Manche Aktivitäten erfordern die Zusammenarbeit mehrerer
Akteure, was gelegentlich die Identifizierung des Hauptakteurs erschwert. Erleich-
tert wird das Aufspüren durch die Beantwortung der Frage, wer letztendlich für die
Durchführung des Gesamtprozessschritts verantwortlich ist (zur Unterscheidung von
Durchführungs- und Ergebnisverantwortung siehe Kapitel 6.2.4). Die Hauptakteure
werden auf den Bearbeiter-Bildkarten notiert und auf dem Tisch unter dem korres-
pondierenden Prozessschritt, und seinen jeweiligen Ergebnissen, angefügt. Anschlie-
ßend werden alle (falls vorhanden) externen Akteure auf den Externe-Bildkarten zu
Papier gebracht und den Prozessschritten zugewiesen, die bei ihrer Ausführung auf
diese externen Akteure angewiesen sind (z. B. Zulieferung von Bauteilen, Dienstleis-
tungen). Abschließend werden die für jede Aktivität benötigten Hilfsmittel auf den
Hilfsmittel-Bildkarten notiert und unter dem zugehörigen Prozessschritt abgelegt.

Nach den ersten beiden Runden ist der Ist-Prozess bereits bildhaft dargestellt. Die
organisatorische Verantwortung ist festgehalten und Ergebnisse und Hilfsmittel sind
beschrieben. In der dritten Runde werden nun die Schwachstellen peu à peu sichtbar
gemacht.

Dazu dienen – passenderweise – die Schwachstellen-Bildkarten. Auch hier erfolgt die


Zuordnung über den betroffenen Prozessschritt. Lässt sich eine Schwachstelle nicht
eindeutig zuweisen, legt man sie unter der Aktivität ab, bei der die Auswirkungen der
Schwachstelle zum ersten Mal spürbar wurden.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Stellen- Stellen-
ausschreibung ausschreibung Inserat Bewerber- Bewerber Bewerber
formulieren genehmigen schalten profile prüfen einladen einstellen

vorläufige finale u. geneh- veröffentlichte eingegrenzte Bewerber Zu- unter-


Stellen- migte Stellen- Zeitungs- und Bewerber- bzw. Absagen schriebener
ausschreibung ausschreibung Suchportalinserate auswahl erteilen Arbeitsvertrag

Fachbe- Sachbear- Fachbe- Sachbear-


reich Personalleiter beiter reich beiter Personalleiter
Personalwesen Personalwesen

Zeitung Bewer- Bewer-


Suchportal ber ber

E-Mail Telefon
MS-Word MS-Word Zeitung E-Mail Post
digitale Plattform

langwieriger
Genehmigungs-
prozess

Abb. 59: Bildkartenmethode nach allen drei Runden (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Die Bildkartenmethode lebt von ihrer Klarheit und übersichtlichen Struktur (siehe Bei-
spiel in Abbildung 59). Deshalb sollte bei ihrer Anwendung auf Verzweigungen (und/
oder) und eine Schwimmbahndarstellung komplett verzichtet werden, d. h., der Fokus
sollte auf dem Happy Path liegen.104 In einer optionalen vierten Runde kann es dann
durchaus sinnvoll sein, die enge Bildkartenstruktur zugunsten einer Annäherung an
den Gesamtprozessfluss aufzulösen und verzweigende Prozessverläufe sichtbar zu
machen. Wer mehr Informationen zur Bildkartenmethode sucht, dem sei das Buch
von Caroline und Markus Grappmaier ans Herz gelegt.105

6.4 Ishikawa-Analyse: Stärken und Schwächen im Prozess

Bereits die Ergebnisse der Prozessumfeldanalyse (siehe Kapitel 6.2) sind meist schon
sehr ergiebig und geben den Blick auf zahlreiche Handlungsfelder frei. Jedoch lässt
sich nicht immer die Problemursache (Schwachstelle) zweifelsfrei ermitteln. In diesen
Fällen ist es angebracht, die beobachteten Symptome weiter zu analysieren und auf
ihre Ursachen zurückzuführen. Für die Ursachenrückführung greife ich regelmäßig auf
ein bewährtes Instrument, die Ishikawa-Analyse, zurück. Die Rückführung auf die Pro-
blemursache ist auch der Versuch, die maßgeblichen Faktoren zu identifizieren, die
relevanten Einfluss auf die Prozessleistung ausüben (siehe Abbildung 60).

104 Der Happy Path bezeichnet den für das Gros der Vorgänge gültigen Prozessverlauf und kümmert sich nicht
um Nebenverläufe oder fehlerhafte Prozessverläufe.
105 Grappmaier/Grappmaier, a. a. O. (Fn. 103).

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6.4 Ishikawa-Analyse: Stärken und Schwächen im Prozess

Ursachen Wirkung

Mensch Maschine Messung Methode

Lieferanten Produktivität &


Kunden Prozessleistungs-
fähigkeit

Material Umfeld Manage-


ment

Abb. 60: Ursachen und Wirkung in der Ishikawa-Analyse; Quelle: In Anlehnung an Drews/Hillebrand
(2010): Lexikon der Projektmanagement-Methoden: Die wichtigsten Methoden im Projektmanage-
ment-Life-Cycle, Haufe, Freiburg, S. 148 ff.

Die Ishikawa-Analyse greift eine identifizierte Schwachstelle auf und leitet aus ver-
schiedenen Aspekten des Prozessumfelds Einflussursachen ab. Das Prozessumfeld
lässt sich dabei in sieben Ursachenklassen unterteilen: Mensch, Maschine, Messung,
Methode, Material, Mitwelt und Management (siehe Abbildung 61). Aufgrund sei-
ner »M«-Lastigkeit wird die Ishikawa-Analyse synonym auch gerne als 7M-Methode
(manchmal auch als 5M oder 6M, je nach Betrachtungswinkel) bezeichnet.

Mensch Maschine Methode Messung

ungenaues Produktionslinie
Arbeiten läuft zu schnell
Qualitäts-
probleme in der
Fertigung
verlangt zu hohe
Stückzahlen

Material Umfeld Manage-


ment

Abb. 61: Ishikawa-Analyse (Beispiel); Quelle: In Anlehnung an Schulte-Zurhausen, Manfred (2002):


Organisation, Vahlen Verlag, München, S. 514

Nicht für jedes Problem sind immer alle Ursachenklassen (siehe Tabelle 18) relevant.
Diese können je nach Situation auch eingegrenzt werden.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Inwieweit spielen beteiligte Personen eine Rolle? Kollegen, Vorgesetzte,


Mensch Mitarbeiter, Lieferanten, Familien der Mitarbeiter, andere Interessen-
gruppen etc.?
Inwieweit spielen der/die Vorgesetzte(n), das Führungsverhalten, die
Management Organisationsstruktur, offizielle und inoffizielle Vorgehensweisen, Ent-
scheidungsfreudigkeit etc. eine Rolle?
Maschine Welche Maschinen (Technologien) sind für den Prozess relevant? Sind sie
(Technologie) eventuell nicht leistungsfähig genug, defekt, veraltet oder fehlen ganz?
Gibt es signifikante Einflüsse, die von außen auf das betrachtete System
Umfeld einwirken? Gibt es Berichte in der Presse, Einflüsse über das Wetter,
die Gesetzgebung, gesellschaftliche/politische Ereignisse, Konkurrenten,
Gewerkschaften etc.?
Welches Material ist erforderlich, um die angestrebten Ergebnisse zu
Material erzielen? Ist das Material einwandfrei? Falls nicht, liegen die Mängel dann
wenigstens innerhalb eines akzeptablen Toleranzbereichs?
Welche Methoden werden zur Aufgabenbearbeitung im Prozess einge-
Methode setzt? Sind diese Methoden möglicherweise ungeeignet oder werden nicht
befolgt?
Welche Instrumente überwachen die Prozessleistung? Ist die Messung
Messung für das Problem relevant? Welche Faktoren beeinflussen die Messung (un-
terschiedliche Personen, kalibriertes Messmittel, Messpunkte ausreichend
definiert etc.)?

Tab. 18: Beschreibung der Ursachenklassen in der Ishikawa-Analyse; Quelle: http://www.awf.de/wp-


content/uploads/2014/12/Problemloesemethode-Ishikawa.pdf und http://www.sixsigmablackbelt.
de/ishikawa-diagramm/ (beide Zugriff: 27.11.2015)

Auch die Ishikawa-Analyse ist ein für den Workshop konzipiertes Instrument. Das Vor-
gehen bei der Durchführung einer Ishikawa-Analyse folgt stets einem festgelegten
Prozedere und wird im Nachfolgenden (siehe Abbildung 62) beschrieben:

1. Das Problem beschreiben: Je genauer Sie das Problem beschreiben und eingren-
zen (vielleicht auch schon mit Zahlen hinterlegen), desto näher werden Sie den tat-
sächlichen Ursachen auf den Leib rücken.

2. In Ursachenklassen gliedern: In diesem Schritt werden die für die identifizierte


Schwachstelle relevanten Ursachenklassen festgehalten. Es ist also durchaus mög-
lich, eine Analyse mit weniger als sieben Ursachenklassen durchzuführen.

3. Sammeln möglicher Ursachen: Das ist in der Regel der Schritt, der in der Analyse
die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Für jede Ursachenklasse werden im gemeinsamen
Brainstorming mögliche Einflussgrößen abgeleitet, aber zunächst noch ohne Wertung
festgehalten. Ergänzend kann hier die 5W-Technik (mehrmaliges, vertiefendes Nach-
bohren mit »Warum«-Fragen) zur Anwendung kommen. Hilfreiche Fragestellungen für
die Analyse finden sich u. a. unter www.sixsigmablackbelt.de/ishikawa-diagramm.

4. Bewertung: Ziel ist die Identifikation der relevantesten Problemursachen. Am ein-


fachsten ist hier eine Bewertung ohne langen verbalen Austausch mithilfe einer quan-
titativen Abstimmungsmethode. Dabei hat sich die Vergabe von Wertungspunkten
(Klebepunkte) bewährt. Jeder Teilnehmer verklebt seine Wertungspunkte (z. B. fünf)

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6.5 Makigami-Technik: Wertschöpfung analysieren

an den für ihn relevantesten Einflussfaktoren. Damit werden lange und oft wenig ziel-
führende Diskussionen vermieden und der Einfluss zu dominanter Workshop-Teilneh-
mer in den Hintergrund gedrängt. Die Ursachen, die nun mit den meisten Punkten
versehen wurden, stellen die relevantesten Einflussfaktoren dar.

1 - Das Problem benennen 2 - In Ursachenklassen gliedern


Mensch Material Maschine

Problem
Schwäche Problem
Störung

Umfeld Manage- Methode


ment

3 - Sammeln möglicher Ursachen 4 - Bewertung

Mensch Material Maschine Mensch Material Maschine


- -
Problem Problem
- + -
Umfeld Manage- Methode Umfeld Manage- Methode
ment ment

Abb. 62: Vorgehen bei einer Ishikawa-Analyse; Quelle: http://www.sixsigmablackbelt.de/ishikawa-


diagramm/ (Zugriff: 27.11.2015)

Es ist im Workshop immer wieder schön, zu beobachten, dass die Analyse unter-
schiedlicher Problemsymptome des Prozesses sich sehr oft auf die gleichen Ursachen
zurückführen lässt.

Nach erfolgter Analyse von Prozessumfeld und Schwachstellen haben Sie Aufschluss
über die Prozesstransparenz (Wie und wo verläuft der Prozess?), Prozessleistungs-
transparenz (Wie ist es um die Leistungsfähigkeit und Skalierbarkeit des Prozesses
bestellt?) und leistungshemmende Faktoren (Was beeinträchtigt die Prozessleistung?)
gewonnen. Ebenso sind Sie an dieser Stelle bereits in der Lage, konkrete Maßnahmen
zur Prozessverbesserung zu entwickeln.

6.5 Makigami-Technik: Wertschöpfung analysieren

Gerade bei Prozessen mit auffällig langen Durchlaufzeiten und hoher Ressourcenbin-
dung kann sich eine Wertschöpfungsanalyse lohnen. Die Wertschöpfungsanalyse ist
unabhängig vom Prozesstyp (Steuerungs-, Leistungs- oder Unterstützungsprozess)
anwendbar. Es steht die Analyse der tatsächlich wertschöpfenden Zeit im Vorder-
grund. Diese wird zu Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten ins Verhältnis gesetzt. Auf

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

diese Weise werden besonders frappante Zeitunterschiede – und damit Zeitverluste –


transparent.

Die Makigami-Technik (siehe Abbildung 63) greift dies auf. In einer Makigami-Analyse
wird jeder Prozessschritt dem verantwortlichen Akteur zugewiesen (Schwimmbahn)
und die Anzahl der Schwimmbahnwechsel eruiert, also, wie oft die betrachtete
Schwimmbahn verlassen wird? Die Anzahl der Schwimmbahntransfers stellt ein Maß
für die Prozesskomplexität dar und gibt Auskunft über Schnittstellen und Verantwor-
tungsteiligkeit. Ebenso werden alle im Prozess zur Anwendung kommenden Daten-
und Informationsträger (Formulare, Telefon, Hauspost, IT-Systeme etc.) erfasst und
gezählt. Dabei lässt die Verwendung zahlreicher unterschiedlicher Informationsträger
auf Medienbrüche, manuelle Schnittstellentätigkeiten und vermeidbare Zeitverluste
schließen. Neben der gründlichen Zeiterfassung werden auch die bei einzelnen Pro-
zessschritten beobachteten Probleme festgehalten.

Prozess
Person/ Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6 Summen
Abteilung
Stellenaus- Bewerber-
Fachbereich schreibung profile 2
formulieren prüfen

Transfer
Aktion

Stellenaus-
Personalleiter schreibung Bewerber 1
genehmigen einstellen
Sachbearbeiter Inserat Bewerber 2
Personalwesen schalten einladen
3 Formulare

Datenträger
Information

Formular Formular Formular E-Mail E-Mail Vertrag 2 Telefone


Daten- und Hauspost Hauspost Telefon Hauspost Post Post 1 Fax
Informations- Fax Telefon 2 Post
träger E-Mail 1 Vertrag
3 Hauspost
Durchlaufzeit 1 Tag 0,5 Tag 2 Tage 7 Tage 1,5 Tage 7 Tage 19 Tage
Bearbeitungszeit 2 Std. 1 Std. 2 Std. 10 Std. 5 Std. 2 Std. 22 Std.
Zeit
Zeit

Wertschöpfungszeit 0,5 Std. 5 min. 1 Std. 6 Std. 0,5 Std. 1 Std. 545 Min.
Verlustzeit 1,5 Std. 55 min. 1 Std. 4 Std. 4,5 Std. 1 Std. 775 Min.
kein HR- kein HR- kein geregel- kein HR- keine stan-
41,3% Wert-
Probleme

Probleme System: System: ter Prozess; System dardisierten


manuelle manuelle viele Rück- Verträge: schöpfung total
Weiterleitung Weiterleitung fragen; nicht Rückfragen
alle Daten zu Gehalts-
vorhanden grenzen

Abb. 63: Makigami-Technik (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Die Makigami-Analyse liefert ein umfassendes Bild des Prozesses. Sie setzt die
gemessenen Prozesszeiten mit der beobachteten Prozesskomplexität in Beziehung
(Arbeitsteilung, Verantwortlichkeitswechsel, Schnittstellen, Medienbrüche, Automa-
tisierungsgrad etc.) und liefert Hinweise zu den entlang des Prozesses auftretenden
Problemen bzw. existierenden Schwachstellen.

Diese Form der Wertschöpfungsanalyse ist besonders gut für Verwaltungsprozesse


geeignet. Jedoch kann eine derart detaillierte Zeiterfassung auch zu Widerständen in
der Organisation führen. Das gilt vor allem dann, wenn die Messung Rückschlüsse auf

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6.6 Informationsquellen: Erst mal analog bleiben

die Leistungsfähigkeit einzelner Mitarbeiter gestattet. Diese Bedenken müssen ernst


genommen werden und sollten vorab mit den verantwortlichen Personalvertretern
(Personalwesen, Betriebsrat) ausführlich erörtert werden. Selbst eine abgespeckte
Version (ohne oder mit eingeschränkter Zeitbetrachtung) der Makigami-Analyse kann
bereits wertvolle Hinweise auf mögliche Prozessoptimierungsansätze liefern.

Im Gegensatz zu anderen in diesem Kapitel beschriebenen Methoden ist die Maki-


gami-Technik als typisches Feldinstrument auf Beobachtung und Messung am Leis-
tungsort ausgelegt.

6.6 Informationsquellen: Erst mal analog bleiben

In der Analysephase ist die Informationsbeschaffung eine der Schlüsselaufgaben des


Prozessberaters. Es erscheint mir deshalb durchaus hilfreich, kurz auf gängige Infor-
mationsquellen zur Unterstützung der Prozessanalyse einzugehen. Einige davon dürf-
ten Ihnen ohnehin schon bekannt sein (siehe Abbildung 64). Ich erhebe hier keinen
Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr geht es mir darum, dass Sie sich bei der Ana-
lyse Ihrer Prozesse bei der Informationsbeschaffung möglichst breit aufstellen, um
einseitige Sichtweisen und Ergebnisse zu vermeiden.
Process Mining

e -
werd
Sim sc h
ula Be tem
tio - y s
ne ket s
n Tic

digitale Quellen
Prozess-
analoge Quellen analyse
Works
ho ps
gen
ebö
Frag
Beo essun
s

M
bach gen
iew
erv

tung
Int

en

Abb. 64: Gängige Informationsquellen in der Prozessanalyse; Quelle: Eigene Darstellung

Es ist empfehlenswert, sich zurzeit noch in überwiegendem Maße auf analoge Quel-
len – wie Workshop- oder Interview-Formate – zu verlassen. Dabei sollte jedem
bewusst sein, dass die neue digitale Welt uns mehr und mehr zu erzählen hat. Das
benötigt aber vielfach noch mehr Vorbereitung und Verständnis in den Organisatio-
nen, als heute anzutreffen ist.

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6 Aufbruch: Einstieg in die Analysearbeit

Neben Interviews und Workshops setze ich auch regelmäßig Messungen und Vor-
Ort-Begehungen als Analysewerkzeuge ein. Selbst IT-Systeme erlauben ein direktes
Maß an »Beobachtung«. Hier empfiehlt sich die Begleitung von Mitarbeitern in deren
Arbeitsalltag. Sie erhalten durch die Art und Weise, wie mit den IT-Systemen gearbei-
tet wird, Aufschlüsse über deren Einbindungsqualität in den Prozess und existierende
Mängel in der Prozessbearbeitung. Diese Form der Analyse nennt sich auch DILO-Ana-
lyse (»Day in the Life of« – ein Tag im Leben von …).

Auch die in Kapitel 6.5 vorgestellte Makigami-Technik beruht auf Vor-Ort-Begehungen


und Messungen der Prozesszeiten über einen repräsentativen Zeitraum.

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7 Route: Die Entscheidung für den


geeigneten Weg

Mit der Wahl unserer Route werden wir im Alltag immer wieder konfrontiert. Das
beginnt schon bei den gängigen Navigationssystemen im Auto, die nach Zieleingabe
typischerweise zwei oder drei alternative Routen vorschlagen. Wie praktisch, dass der
»beste« Vorschlag immer an erster Stelle steht. Schaut man genauer hin, statt gleich
»Zielführung starten« zu wählen, kann es jedoch sein, dass diese Route einen weiten
Umweg über Autobahnen beinhaltet (statt über Landstraßen direkt zum Ziel zu navi-
gieren), weil dies rein rechnerisch ein paar Minuten Fahrzeit spart. Dieser Umweg kos-
tet nun nicht nur zusätzlich Kraftstoff, sondern man steht vielleicht noch im späteren
Stau, der bei Fahrtantritt noch nicht existierte. Mit dem gesunden Menschenverstand
(über den ein Navi eben nicht verfügt) war der Stau aber absehbar, weil rund um Bal-
lungsräume nun einmal zu bestimmten Zeiten der Berufsverkehr einsetzt. So ent-
puppt sich die »schnelle« Route am Ende als die langsamere. Eine Routenwahl unter-
liegt also schon im Alltag zahlreichen Einflussfaktoren, die bei der Entscheidung zu
beachten sind. So kommt z. B. noch hinzu, wie viel man sich für einen Tag überhaupt
zumuten möchte. Irgendwann setzt unausweichlich Müdigkeit ein. Und überall gilt:
Flexibel sein ist besser, als sich zu früh festzulegen. Egal, wo wir unterwegs sind: Mit
unvorhergesehenen Situationen müssen wir stets rechnen.

7.1 Von der Analyse zur Lösung: Kein einfacher Schritt

In der Phase der Prozessanalyse wird in vielen Unternehmen gut und gründlich gear-
beitet. Bereits bei der Festlegung der geeigneten Route für die Lösung scheitern den-
noch zahlreiche Optimierungsvorhaben. Woran liegt das? Erstaunlicherweise begeg-
nen mir immer wieder drei ähnlich gelagerte Ursachen, die schließlich dazu führen,
dass Vorhaben entweder rundheraus scheitern oder nur ein enttäuschend geringer
Teil des möglichen Verbesserungspotenzials tatsächlich realisiert wird:

Fehlerhafte bzw. falsche Interpretation der Ergebnisse: Die wahre Natur der Prozess-
probleme wird manchmal nicht richtig verstanden oder ihre letztendliche Ursache wird
nicht vollständig ermittelt. Eine fehlerhafte bzw. rundheraus falsche Interpretation der
Analyseergebnisse ist die Folge. Dementsprechend fällt möglicherweise die Entschei-
dung für einen nicht optimalen oder sogar gänzlich ungeeigneten Lösungsweg.

Mutlosigkeit: Ist das Handeln der betreffenden Organisation durch Mutlosigkeit


geprägt, wird regelmäßig dem vermeintlich einfacheren Lösungsweg der Vorzug gege-
ben. Nicht nur, dass dabei das Risiko, die eigentliche Problemursache zu verfehlen,
steigt, sondern darunter leidet ebenso die Nachhaltigkeit der Prozessoptimierung.

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

Entscheidungsschwäche: Das Unvermögen mancher Organisationen, identifizierte


Verbesserungsmaßnahmen zur Umsetzungsreife bzw. in ein entsprechendes Projekt
zu überführen, sorgt zusätzlich für eine Beeinträchtigung des Lösungswegs.

Selten werden die schädlichen Einflüsse bewusst wahrgenommen. Oft wird zielstre-
big weitergearbeitet, obwohl man längst vom »besten Weg« abgekommen ist. So wird
dann alles immer beschwerlicher. Die nachfolgenden Abschnitte sollen sie bei der
Routenwahl unterstützen und Ihnen helfen, für die erfolgreiche Umsetzung des ange-
strebten Lösungswegs zu sorgen.

7.2 Zielbild entwerfen: Wo wollen Sie hin?

Ein Zielbild oder auch »Zielfoto« ist eine bekannte Technik, die darauf zielt, gewünschte
Ergebnisse nicht nur abstrakt zu definieren, sondern sich im Detail vorzustellen, wie
das gewünschte Ergebnis ganz konkret aussieht. Zielbilder laden dazu ein, einen Pro-
zess »vom Ende her zu denken«, damit klarer wird, wie der Weg zum Ziel aussehen
könnte.

7.2.1 Wenn der Staub sich legt: Bisherige Ergebnisse nutzen

In der Analysephase konnten Sie tief greifende Einsichten in den untersuchten Pro-
zess, sein Umfeld, seine Abhängigkeiten und maßgeblichen Erfolgsfaktoren gewin-
nen. Sie sind jetzt in der Lage, fundierte Aussagen über die in Tabelle 19 dargestellten
Aspekte zu treffen.

ASPEKTE ERGEBNISSE
Die Prozessschritte, korrespondierende Verantwortlichkeiten und
der Verlauf des Prozesses innerhalb (und ggf. außerhalb) des
Prozesstransparenz Unternehmens sind mit Abschluss der Analysephase bekannt.
Darüber hinaus herrscht auch Klarheit über die aktuelle Ablauf-
organisation.
Es liegen belastbare Daten über das aktuelle Leistungsvermögen
Prozessleistungs- des Prozesses vor (Stückzahlen, Bearbeitungszeiten, Fehlerquoten
transparenz etc.)
Ebenso sind alle die Prozessleistung beeinträchtigenden Einflüsse
Leistungshemmende erfasst. Dies schließt Abhängigkeiten zu anderen Prozessen und
Faktoren eine Bewertung der Schnittstellen mit ein.

Detaillierter Gleichzeitig sind alle in der Analysephase identifizierten Verbesse-


Maßnahmenkatalog rungsmaßnahmen bzw. Hypothesen (vermutete Verbesserungen)
erfasst und im Detail beschrieben.

Tab. 19: Ergebnisse der Analysephase; Quelle: Eigene Darstellung

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7.2 Zielbild entwerfen: Wo wollen Sie hin?

Die in Tabelle 19 beschriebenen Informationen bilden nun die Grundlage für die Aus-
wahl des geeigneten Lösungswegs und die Ableitung geeigneter Arbeitspakete.

Bevor wir uns der optimalen Routenwahl zuwenden können, müssen wir die Umsetz-
barkeit der identifizierten Maßnahmen prüfen und den resultierenden Prozess her-
ausarbeiten.

7.2.2 Reality Check: Den Maßnahmenkatalog verifizieren

Die identifizierten Maßnahmen sollten bis zu ihrer Überprüfung als Hypothese, d. h. als
lediglich mögliche Verbesserungsmaßnahme, betrachtet werden. Erst die Konfronta-
tion mit der Unternehmensrealität macht sie womöglich zu einer erstrebenswerten und
realisierbaren Verbesserungsoption. Oder eben alternativ zu einem Fall fürs Archiv.

Worauf also ist bei der Maßnahmenverifikation zu achten? Im Kern sind bei der Bewer-
tung einer Maßnahme (Hypothese) vier Aspekte wesentlich:
y Zunächst muss die Frage beantwortet werden, ob die Maßnahme per se überhaupt
realisiert werden kann. Beispielsweise muss ein Schraubenhersteller, der zukünf-
tig einen Korrosionsschutz seiner Schrauben anstrebt, zuerst einmal klären, ob
seine Räumlichkeiten für die Umsetzung eines zusätzlichen Fertigungsschrittes
überhaupt ausreichen.
y Im nächsten Schritt erfolgt die Aufwandsermittlung (Kosten, Personentage) und
die Bewertung des Verbesserungspotenzials (z. B. Durchlaufzeit, Ressourcenbin-
dung, Kosten etc.).
y Die Abwägung von Aufwand und erschließbarem Potenzial trennt schließlich die
Spreu vom Weizen. In der Regel wird man sich für Maßnahmen entscheiden, bei
denen das freigesetzte Potenzial den Erschließungsaufwand in absehbarer Zeit
(z. B. zwei bis drei Jahre) übersteigt.
y Der vierte Aspekt schließlich richtet den Blick bereits auf die Realisierungsdauer
und bietet eine erste Gliederungshilfe für die zeitliche Erschließung der Verbesse-
rungsmaßnahme in Form eines Projekts. Typische Zeithorizonte sind »kurzfristig«
(bis sechs Monate), »mittelfristig« (sechs bis zwölf Monate) und »langfristig« (län-
ger als zwölf Monate).

Tabelle 20 liefert eine Vorlage für einen einfachen Maßnahmenkatalog.

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

Nr. Prozess- Maßnahme/ Beschreibung Aufwand Potenzial Zeithorizont


schritt Kategorie (n/m/h) (n/m/h) (k/m/l)
Einsetzen eines mittelfristig
Prozessverant- (Einstellung
M-001 alle Steuerung
wortlichen zur niedrig hoch eines neuen
weiteren Prozess- MA not-
entwicklung wendig)
Überarbeitung des
Anmeldeprozes-
M-002 Anmeldung Performance ses, da es aktuell mittel
immer wieder zu niedrig mittelfristig
längeren Anmelde-
zeiten kommt

n/m/h = niedrig/mittel/hoch; k/m/l = kurzfristig/mittelfristig/langfristig; MA = Mitarbeiter

Tab. 20: Maßnahmen- und Hypothesenkatalog (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

7.2.3 Zukünftige Prozesse sichtbar machen

Nachdem Sie alle Verbesserungsmaßnahmen auf Herz und Nieren überprüft haben,
steht Ihnen nun die wahre Kunst der Prozessoptimierung bevor. Aus all den guten
Ideen des Maßnahmenkatalogs, die einer kritischen Bewertung standhielten, gilt es,
jetzt den zukünftigen Prozess, also das Prozesszielbild (oder auch den Soll-Prozess)
abzuleiten. Dies geschieht durch die imaginäre nacheinander erfolgende Anwendung
der einzelnen Maßnahmen auf den aktuellen Ist-Prozess. Die Umsetzung jeder einzel-
nen Maßnahme hat mehr oder weniger starken Einfluss auf die Gestalt des Ist-Prozes-
ses. Der aktuelle Prozess wird verändert – und genau das wollen Sie ja auch erreichen:
einen verbesserten Prozess. Das ist das Zielbild.

Nachdem Sie die Auswirkungen der Maßnahmen auf den aktuellen Prozess evaluiert
haben, erhalten Sie nicht nur das Prozesszielbild, sondern vergegenwärtigen sich
auch mögliche Abhängigkeiten und Konflikte zwischen einzelnen Maßnahmen. Wer
von Ihnen schon einmal sein Wunschauto online konfiguriert hat, der weiß, wovon ich
spreche. Wollen Sie beispielsweise nicht nur sportliche Leichtmetallräder, sondern
auch Ganzjahresreifen, müssen sie vielleicht die größte Felgengröße abwählen und
mit kleineren Felgen vorlieb nehmen, da sonst Wunsch und Ist-Zustand nicht konfi-
gurierbar sind. Und wenn Sie ein besonderes Ausstattungspaket wählen, dann sind
möglicherweise nicht alle Stoff- oder Lederfarben lieferbar? Klingt kompliziert? Ist es
auch. Es gibt jedoch einen recht einfachen Kniff, um Abhängigkeiten und Konflikten
die Komplexität zu nehmen. Dazu visualisiert man den Ist-Prozess am besten auf einer
Pinnwand mit beweglichen Moderationskarten und nimmt die Auswirkungen – Maß-
nahme für Maßnahme – im Prozess auf. So können Sie stets die Auswirkungen ein-
zelner Maßnahmen erkennen und mit den Prozessbeteiligten diskutieren. Am Ende
haben sie den Zielprozess erarbeitet.

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7.2 Zielbild entwerfen: Wo wollen Sie hin?

Vorab muss man sich jedoch der Frage stellen: In welcher Form soll der Prozess visua-
lisiert werden? Es existieren zwei grundsätzlich unterschiedliche Darstellungsformen
eines Prozesses: vorgangsgesteuert und ereignisgesteuert.

Die vorgangsgesteuerte Prozessdarstellung (siehe Abbildung 65) konzentriert sich


auf die Abfolge der einzelnen Tätigkeiten (also Aufgaben bzw. Prozessschritte) im Pro-
zess, wohingegen die ereignisgesteuerte Prozessdarstellung (siehe Abbildung 66) die
Sichtbarmachung der Start- und Endereignisse einer Tätigkeit zum Gegenstand hat.

Anfrage

Angebot
kalkulieren

Angebot Angebot
erstellen ablehnen

Ergebnis

„vorgangsgesteuert“

Abb. 65: Vorgangsgesteuerte Prozessdarstellung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Anfrage
eingetroffen Startereignis

Angebotskalkulation

XOR

Angebot Angebot Ergebnis


profitabel unrentabel
ereignisgesteuert
XOR = entweder oder

Abb. 66: Ereignisgesteuerte Prozessdarstellung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Typische Prozessnotationen (also die Symbolsprachen zur Darstellung eines Prozes-


ses) für die vorgangsgesteuerte Prozessdarstellung sind beispielsweise das Prozess-
flussdiagramm, BPMN oder K3. Für die ereignisgesteuerte Darstellung gibt es mit
ePK (ereignisgesteuerte Prozesskette) nur eine einzige relevante Notation. Auf eine
ausführliche Diskussion der einzelnen Prozessnotationen möchte ich an dieser Stelle
verzichten. Das ist nicht der Gegenstand dieses Buches und würde seinen Rahmen
sprengen.

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

Wichtig ist noch der Hinweis, dass die einzelnen Maßnahmen in der Regel unterschied-
liche Realisierungszeiträume in Anspruch nehmen, Deshalb wird der Zielprozess auch
selten an einem Stück erreicht, sondern über einen längeren Zeitraum entwickelt.

7.3 Den richtigen Prozessoptimierungsansatz wählen

Die Wahl des richtigen Vorgehens bei der Prozessoptimierung ist durchaus nicht immer
einfach. Je nachdem, welchen Blickwinkel man bei der Betrachtung eines Problems
und seiner vermuteten Lösung einnimmt, lassen sich durchaus unterschiedliche
Optimierungsansätze ableiten. Das bedeutet stets eine besondere Herausforderung.
Denn ist der Blick nicht auf den gesamten Prozess gerichtet, kann das zu Teiloptimie-
rungen führen, die sich nachteilig auf den Gesamtprozess auswirken. Es kann auch
passieren, dass Sie so ein Problem bloß an eine andere Stelle im Prozess verlagern.
Dazu ein Beispiel.

BEISPIEL

Ein regionaler, mittelständischer Anbieter von Telekommunikations-Dienst-


leistungen hatte immer wieder mit der termin- und wettbewerbsgerechten
Bereitstellung neuer Produkte zu kämpfen, was mit der Zeit zu spürbaren
Wettbewerbsnachteilen führte. Eine eingehende Analyse des Produktentste-
hungsprozesses machte die IT-Abteilung als Hauptverursacher des Problems
aus. Deren Entwicklungskapazitäten wurden als Engpass identifiziert. Der
solchermaßen unter Druck geratene CIO suchte sein Heil daraufhin in einer
Verdopplung der verfügbaren Entwicklungsressourcen. Damit war das Prob-
lem aber keineswegs gelöst. Zwar wurden nun insgesamt mehr Produktideen
(in der Annahme ausreichender Entwicklungskapazitäten) auf die Reise
geschickt, jedoch hatte die immer noch gleiche Zahl von Produktmanagern
nun ein Vielfaches an Arbeit: mehr Anforderungen beschreiben, mehr Spe-
zifikationen erstellen, mehr marktreife Produkte abnehmen und häufiger
Markteinführungen vorbereiten. Die resultierende Überbelastung der Pro-
duktmanager führte nun ihrerseits zu signifikanten Verzögerungen bei der
Bereitstellung dringend benötigter Produktspezifikationen. Das wiederum
hatte zur Folge, dass die Auslastung der Entwicklungsabteilung unter das
Niveau vor der Kapazitätserweiterung fiel. Es kam sogar so weit, dass mehr
als die Hälfte der Entwickler plötzlich nichts mehr zu tun hatte. Der Engpass
war nun nicht mehr die Entwicklung, sondern das vorgelagerte Produkt-
Management. Der »falsche Blickwinkel« hatte hier nicht nur dazu geführt,
dass die Kosten des Produktentstehungsprozesses dramatisch anstiegen und

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7.3 Den richtigen Prozessoptimierungsansatz wählen

sich der Engpass im Prozess nach vorne verschob. Sondern am Ende war auch
die Prozessleistung deutlich unter das Ausgangsniveau gesunken.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung ist, und zwar auch
bei punktuellen Problemen. Es ist wie beim alten asiatischen Gleichnis »Die blinden
Männer und der Elefant«: Darin untersucht eine Gruppe von Blinden einen Elefanten,
um zu ertasten, worum es sich bei diesem Tier handelt. Jeder untersucht allerdings
jeweils nur einen einzigen Körperteil und macht sich deshalb ein falsches Bild vom
Ganzen. Abbildung 67 zeigt, welche eigenartigen Schlussfolgerungen möglich sind,
wenn man sich nicht die Mühe macht, den »ganzen Elefanten« zu betrachten. Gleiches
kann auch über Prozesse gesagt werden.

Es ist ein
Es ist ein Berg!
Blatt!

Es ist eine Es ist ein


Es ist ein Ast!
Es ist eine Baum! Höhle!
Schlange!

Abb. 67: Den ganzen Elefanten sehen; Quelle: In Anlehnung an Schnetzer, Ronald (2014): Achtsames
Prozessmanagement: Work-Life-Balance und Burnout-Prävention für Unternehmen und Mitarbei-
tende, Springer Gabler, Wiesbaden

Die folgenden Fragen sowie der in Abbildung 68 dargestellte Entscheidungsbaum sol-


len Sie bei der Wahl des geeigneten Lösungsansatzes unterstützen:
y Welche Auswirkung hat die Änderung auf den Gesamtprozess (End-to-End,
Kunde-zu-Kunde) und das Prozessumfeld (Kunden, Lieferanten, andere Prozesse,
Schnittstellen, Ergebnisse)?
y Verlangt die Änderung Verhaltensänderungen von den Mitarbeitern und wenn ja,
wie tief greifend fallen diese aus?
y In welchem Umfang sind Organisation, Technik und Prozesse durch die Änderung
betroffen?
y Führen die dargestellten Änderungen zu einer nachhaltigen Leistungsverbesse-
rung, die in einem positiven Verhältnis zu den dafür eingesetzten Mitteln steht?

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

Was ist der passende


Optimierungsansatz?

Muss der Prozess radikal verändert werden


bzw. benötigt er eine völlige Neugestaltung?

Ja Nein

Ist für die Prozessverbesserung ein


Prozess-Redesign Umsetzungsprojekt mit einer Laufzeit
länger als sechs Monate notwendig?

„Neuanfang“,
Revolution
Ja Nein

Kontinuierlicher
Prozessoptimierung Verbesserungsprozess
(KVP), Kaizen

„Modernisierung“, „Entwicklung“,
Transformation Evolution

Abb. 68: Entscheidungshilfe zum passenden Optimierungsansatz; Quelle: Eigene Darstellung

Erfahrungsgemäß ist die trennscharfe Unterscheidung der geeigneten Prozessentwick-


lungsmaßnahme nicht immer möglich. In Tabelle 10 (siehe Kapitel 4.3.2) habe ich bereits
eine Übersicht der gängigsten Prozessentwicklungsformen vorgestellt. Ihrem Charakter
gemäß wirken sie entweder revolutionär (radikaler Umbruch), transformierend (große
Veränderung) oder evolutionär (sanfte Weiterentwicklung) auf den Prozess.

7.3.1 Revolution: Reengineering und Restrukturierung

Bei Revolution denkt man sofort an einen einschneidenden und etablierte Strukturen
umstürzenden Vorgang. In diesem Sinne müssen auch die typischen Vertreter dieses
Prozessoptimierungsansatzes, das Prozess-Reengineering und die Restrukturierung
bzw. das Prozess-Design, verstanden werden.

Das Prozess-Reengineering (manchmal auch Prozess-Design genannt) stellt Bestehen-


des grundsätzlich infrage. Es sucht nach Antworten, wie der Prozess mit dem jetzigen
Wissen und beim gegenwärtigen Stand der Technik aussehen würde, wenn man ihn
komplett neu erstellen könnte. Die Ausführung eines Prozess-Reengineerings nimmt
keine Rücksicht auf bestehende Strukturen, was diese Änderung aus Unternehmens-
und Mitarbeitersicht extrem einschneidend (und für viele angsteinflößend) macht.
Dabei kommen sieben grundlegende Prinzipien zur Anwendung. Die in Abbildung 69

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7.3 Den richtigen Prozessoptimierungsansatz wählen

vorgestellten Prinzipien sind im Zeichen der Digitalisierung aktueller denn je und auch
als Leitlinie für weit weniger einschneidende Prozessoptimierungsvorhaben bestens
geeignet.

Prozessorientierte Aufbauorganisation Funktionsorientierte Aufbauorganisation

Management Management

Montage Montage Wartung Beschaffung Montage Verkauf Wartung


Laptops Server

Beschaffung Montage Verkauf ... ...

Prozess- Prozess- Prozess- Prozess- Prozess- Funktions- Funktions- Funktions- Funktions-


sicht sicht sicht sicht sicht sicht sicht sicht sicht

Abb. 69: Prinzipien des Prozess-Reengineerings; Quelle: In Anlehnung an Hammer, Michael: Reengi-
neering Work: Don’t Automate, Obliterate, Harvard Business Review, August 1990, S. 104–112

Die Restrukturierung stellt den organisatorischen Wandel in den Vordergrund. Ziel ist ein
Neubau bzw. eine organisatorische Neuausrichtung des Unternehmens, mit der Maß-
gabe, Leistungen und Produkte deutlich effizienter erstellen zu können. Prozesse und
Technik werden an die Zielorganisation angepasst bzw. häufig daran neu ausgerichtet.

7.3.2 Transformation: Die eigentliche Geschäftsprozessoptimierung

Eine transformierend wirkende Prozessoptimierung fällt in der Regel zwar weniger


einschneidend aus als ihre revolutionären Vettern. Ihre Auswirkungen, wie z. B. Perso-
nalabbau oder die Einführung neuer Technologien, sind aber oft ähnlich. Allenfalls ist
der Rahmen vielleicht ein wenig kleiner. Deshalb ist auch stets eine Begleitung durch
einen Change Manager bzw. Organisationsentwickler zu empfehlen. Das gilt grund-
sätzlich für jede größere Veränderung im Unternehmen(-Alltag). Verbreitete Praktiken
sind hier etwa die Verlagerung von Prozessen (Business Process Outsourcing) oder
Aufgaben (Shared Service Center) an externe Partner, die in den vergangenen Jahren
ihren Sitz vorwiegend in Billiglohnländern hatten.

Der mit Abstand verbreitetste Ansatz einer transformierenden Prozessentwicklung –


und der Hauptgegenstand dieses Buches – ist die eigentliche Geschäftsprozessop-
timierung. Im Gegensatz zur Prozess- oder Aufgabenverlagerung findet dabei eine
echte inhaltliche Verbesserung statt.

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

7.3.3 Evolution: Prozesspflege in allen Varianten

Ein evolutiver Ansatz bedeutet, seine Prozesse langsam, aber beharrlich und Schritt
für Schritt weiterzuentwickeln. Darunter fallen alle Arten der Prozesspflege, ob Six
Sigma, Kaizen oder einfache Prozessinstandhaltung. Sie alle leisten ihren Beitrag zur
kontinuierlichen Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse. Unter einer kontinuier-
lichen Prozessverbesserung wird also die sanfte, aber stetige und meist punktuelle
Verbesserung einzelner Prozessschritte und Prozessteile verstanden. Der evolutive
Ansatz folgt keinem Gesamtkonzept und stellt im Unternehmen nichts grundsätzlich
infrage. Darin liegt auch oft seine Begrenzung.

7.3.4 Grundlegende Optimierungsbausteine

Abgesehen von der kompletten Neukonzeption (siehe Revolution, Kapitel 7.3.1) eines
Prozesses, greifen sämtliche Prozessentwicklungsmaßnahmen auf die in Abbildung
70 beschriebenen Optimierungsansätze zurück.

Entfall Beschleunigung Zusammenlegung Automatisierung Verlagerung

Reihenfolge Parallelisierung Verantwortung Teambildung Leistungsmessung

Abb. 70: Grundlegende Prozessoptimierungsansätze; Quelle: Thonemann, Ulrich (2010): Operations


Management: Konzepte, Methoden und Anwendungen, Pearson Studium, München, S. 149

Im Folgenden skizziere ich diese Optimierungsansätze jeweils noch einmal kurz:


y Entfall: Hier werden einzelne Tätigkeiten im Gesamtprozess eliminiert. Meist han-
delt es sich um Tätigkeiten, die keinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten (also
wertschöpfungsneutral sind) bzw. die Wertschöpfung negativ (wertschöpfungs-
mindernd) beeinträchtigen.
y Beschleunigung: Darunter fallen alle Maßnahmen, welche die Ausführung einer
Tätigkeit verkürzen, d. h., die benötigte Zeit (Zykluszeit) für die Bearbeitung zweier
identischer Werkstücke (oder Vorgänge) (Zykluszeit). Der Aufbau zusätzlicher
Kapazitäten (beispielsweise durch eine zweite Maschine) steigert die innerhalb

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7.3 Den richtigen Prozessoptimierungsansatz wählen

einer bestimmten Zeitspanne bearbeitete Anzahl von Werkstücken und wirkt


somit auf den »Ausstoß« (die Ausbringung) beschleunigend.
y Zusammenlegung: Tätigkeiten zu vereinheitlichen, welche etwa aufgrund einer
ungünstigen Arbeitsteilung oder mittlerweile veralteter Produktionsmittel ent-
standen sind und zusammengefasst werden können, bezeichnet man als Zusam-
menlegung. Beispielsweise haben einige Kundendienste bereits die telefonische
Störungsannahme, Störungslokalisation und telefonische Entstörung erfolgreich
zusammengelegt. Häufig vorkommende Fehler können so schnell und kosten-
günstig behoben werden.
y Automatisierung: Manuell ausgeführte Tätigkeiten oder auch die papierbasierte
Datenverarbeitung sind beliebte Kandidaten für eine Automatisierung und kön-
nen durch entsprechend maschinen- und computergestützte Arbeitsschritte
ersetzt werden.
y Verlagerung bzw. Reihenfolge: In manchen Prozessen können Effizienzsteigerun-
gen bzw. Qualitätsverbesserungen durch die Verlagerung einer Tätigkeit an eine
andere Stelle im Prozess erzielt werden. Ein Alltagsbeispiel einer Tätigkeitsver-
lagerung finden wir im Check-in-Prozess vieler Fluglinien. Passagiere sind aufge-
fordert bzw. werden teilweise dafür sogar belohnt, einen Teil der Prozedur selbst
durchzuführen, typischerweise Passagiermeldung, Sitzplatzauswahl und Gepäck-
aufgabe. Damit gelingt es Flugbetreibern, einen besonders personalintensiven
und damit teuren Prozessteil an die Kunden zu verlagern.
y Parallelisierung: In diesem Schritt werden vormals hintereinander ausgeführte
Tätigkeiten in zukünftig gleichzeitig erfolgende überführt, ohne das Prozesser-
gebnis zu beeinträchtigen. Beispielsweise werden die Komponenten eines Lap-
tops parallel zueinander gefertigt und erst am Ende zusammengebaut. Dadurch
wird die Bearbeitungszeit verkürzt, jedoch steigt in der Regel auch der Koordinati-
onsaufwand (keine Komponente darf übersehen werden, Arbeitsmittel müssen in
der Montage pünktlich bereitgestellt werden). Gerade in der Fertigungsindustrie
überwiegen die teils beträchtlichen Zeitgewinne den Koordinationsmehraufwand
doch beträchtlich und rechtfertigen die Parallelisierung.
y Verantwortung bzw. Teambildung: Getrennte Verantwortlichkeiten bei der Aus-
führung von Tätigkeiten können in manchen Fällen zu stark unterschiedlicher
Auslastung der Mitarbeiter führen. Beispielweise benötigt Mitarbeiter A länger für
seine Aufgabe als Mitarbeiter B. Das Resultat ist eine Teilauslastung von Mitarbei-
ter B, da dieser immer wieder auf die Zulieferung von Mitarbeiter A warten muss.
Eine Teambildung, die beiden Mitarbeitern die Ausführung beider Tätigkeits-
schritte einräumt, schafft eine gleichmäßigere Auslastung und garantiert zudem
eine höhere Ausführungssicherheit, falls einer der Mitarbeiter ausfällt.
y Leistungsmessung: Eigentlich ist die Leistungsmessung keine Optimierungsmaß-
nahme im klassischen Sinne, schafft jedoch die notwendige Transparenz, die für
eine weiterführende Optimierung notwendig ist.

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

7.4 Von der Prozess- zur Projektarbeit

Auf Ihrem Weg sind Sie bereits weit gekommen. Die Prozessanalyse ist abgeschlos-
sen. Inzwischen haben Sie das Prozessumfeld gründlich analysiert, maßgebliche
Schwachstellen identifiziert, Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet und ein optimier-
tes Zielbild entwickelt. Eines fehlt aber noch: die eigentliche Verbesserungsarbeit am
Prozess. Diese wird typischerweise in Form eines Projekts mit klar formulierter Auf-
gabenstellung eingeleitet. Was fehlt dazu noch? Zu diesem Zeitpunkt halten Sie eine
detaillierte Liste verifizierter Verbesserungsmaßnahmen und ein (Wunsch-)Zielbild in
Händen. Auf Basis dieser Informationen müssen Sie nun Anforderungen an das Pro-
jekt formulieren und Arbeitspakete ableiten. Dieses Kapitel ist deshalb der Vorberei-
tung und Initiierung des Projekts gewidmet.

7.4.1 Ableiten der Arbeitspakete: Bitte keinen Aktionismus

Sollen Zielbilder zum Projekt werden, ist die Versuchung groß, die postulierten Maß-
nahmen gleich als Arbeitspakete zu definieren. Diese Sichtweise wird jedoch keines-
falls dem ungezügelten Informationshunger eines Umsetzungsprojekts gerecht und
ist letztlich auch nicht zielführend. Warum? Prozessverbesserungsmaßnahmen, wie
beispielsweise die Einführung eines neuen IT-Systems, die Modernisierung von Pro-
duktionsmaschinen oder die Reorganisation der Ablauf- und Aufbauorganisation
eines Prozesses, bestehen aus unzähligen Aufgaben und verschiedensten Handlungs-
strängen, die sehr schnell eine zeitliche und fachliche Komplexität erreichen, die ohne
entsprechende Struktur und detaillierte Anforderungen schwer handhabbar werden.
Zudem lässt eine Verbesserungsmaßnahme für sich einen noch viel zu großen und
letztlich optimierungsfeindlichen Interpretationsspielraum. Um also Unklarheiten zu
eliminieren und zu vermeiden, dass notwendige Aufgaben in der Umsetzung überse-
hen werden, ist es notwendig, aus den definierten Maßnahmen klar umrissene Anfor-
derungen abzuleiten und verwandte Aufgaben in Arbeitspaketen zusammenzufassen
(siehe Abbildung 71).

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7.4 Von der Prozess- zur Projektarbeit

Maßnahme Anforderungen Arbeitspakete (AP)


Rechnungen sollen
monatsweise in
einem Rechnungslauf AP: monatlicher
erzeugt werden. Rechnungslauf
Seriendruck
aller Rechnungen
Überführung im PDF-Format
des manuellen
Rechnungsversands Automatischer
in automatischen E-Mail-Versand
der Rechnungen
Versand AP: automatischer
E-Mail-Versand
Nur eine Rechnung
als Anhang pro
E-Mail

Rechnungen sind
als PDF im Archiv- AP: Archivierung
system abzulegen
von Rechnungen
Rechnungsstatus:
Entwurf, Prüfung,
Freigabe, Versand
Zahlung

Abb. 71: Aus Maßnahmen Arbeitspakete ableiten; Quelle: Eigene Darstellung

Dem in Abbildung 71 beschriebenen Industriebeispiel liegt die Analyse eines Rech-


nungsprozesses zugrunde. Als Schwachstelle wurde die vorwiegend manuelle Rech-
nungserstellung und -versendung identifiziert und u. a. die Automatisierung des Rech-
nungsversands als Verbesserungsmaßnahme vorgeschlagen. Aus der Maßnahme
lassen sich nun verschiedene klar umrissene Anforderungen an die Umsetzung ablei-
ten. Verwandte Anforderungen wiederum werden in entsprechende Arbeitspakete
zusammengefasst.

Gehen Sie auf diese Weise alle vorgeschlagenen Verbesserungsmaßnahmen durch, so


erhalten Sie schließlich eine detaillierte Beschreibung aller an das Projekt gerichte-
ten Anforderungen und eine Übersicht der vom Projekt zu leistenden Arbeitspakete.
Damit ist der Arbeitsinhalt des Projekts festgelegt.

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

7.4.2 Fit/Gap-Analyse: Alle Dimensionen im Blick

Besteht darüber hinaus noch der Wunsch, die Auswirkungen einzelner oder aller Opti-
mierungsmaßnahmen auf das Unternehmen im Detail zu beleuchten, empfiehlt sich
die Durchführung einer Fit/Gap-Analyse. Dahinter verbirgt sich ein qualitatives Analy-
sewerkzeug, das es erlaubt, den Änderungseinfluss der Optimierungsmaßnahme auf
das Unternehmen einzuschätzen und die Größenordnung der zu erwartenden Reali-
sierungsaufwände zu bestimmen. Jede Anforderung wird auf ihre Auswirkungen auf
Prozesse, Technik und Organisation hin überprüft (siehe Abbildung 72).

Ist-Prozess Ziel-Prozess
Prozesse

An welchen Stellen
muss der Prozess angepasst werden?

Technik

Welche IT- bzw. Fertigungssysteme


müssen angepasst werden?

Organisation

Welche Organisationsbereiche
müssen angepasst werden?

Abb. 72: Grundlegendes Vorgehen der Fit/Gap-Analyse; Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 21 unterzieht das in Abbildung 72 formulierte Beispiel einer Fit/Gap-Analyse.


Die Auswirkungen jeder Anforderung in Abbildung 72 werden nun gegen die drei
Dimensionen Organisation, Prozesse und Technik evaluiert. Eine Bewertungsskala
(Scoring) von 0 bis 5 wird für die qualitative Bewertung herangezogen. Die Werte 0 und
1 bedeuten, dass die Änderungen im Tagesgeschäft der Linienorganisation mit Bord-
mitteln (also ohne zusätzlichen Budgetbedarf) durchgeführt werden können. Wird
eine Änderung mit 2 oder 3 bewertet, bedeutet dies das Vorliegen einer über das übli-
che Tagesgeschäft hinausgehenden Belastung (finanzieller oder personeller Natur),
die ohne zusätzliche Ressourcen nicht mehr handhabbar sind. Eine Bewertung mit 4
oder 5 weist auf einen großen zusätzlichen Aufwand hin, der nur mehr im Rahmen
einer extra dafür ins Leben gerufenen Initiative (also durch ein dediziertes Projekt)
umgesetzt werden kann. Die resultierenden Bewertungen Organisation, Prozesse und
Technik werden aufsummiert und ergeben den sogenannten Gap Score.

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7.4 Von der Prozess- zur Projektarbeit

FitPartial Gap Gap


Anforderungen Fit Score Anmerkungen
O P T O P T O P T O P T
Rechnungen sollen Rechnungen sind
X
monatsweise in
einem Rechnungslauf
(0/1/1)
– – 2 bereits überwiegend
einem Rechnungs-
erzeugt werden lauf zugeordnet

Seriendruck X Neue Techniken,


aller Rechnungen
im PDF-Format
– – (0/1/1)
8 d.h. Mitarbeiter-
schulung notwendig

Automatischer X
E-Mail-Versand
der Rechnungen
– – (0/1/1)
7 –/–

Nur eine Rechnung X Kunden auf


als Anhang pro
E-Mail
– – (0/1/1)
5 Änderung
hinweisen

Rechnungen sind X Neues IT-System,


als PDF im Archiv-
system abzulegen
– – (0/1/1)
14 hoher Schulungs-
aufwand erwartet

Rechnungsstatus: X Großteil über


Entwurf, Prüfung,
Freigabe, Versand, – (0/1/1)
– 5 Referenzdaten
anpassbar
Zahlung

Tab. 21: Fit/Gap-Analyse (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Die Dimension mit der höchsten Punktbewertung bestimmt die Einstufung, ob die
Anforderung einen Fit, Partial Fit oder einen Gap darstellt. So ist eine Bewertung von
(0/0/2) als Partial Fit einzuordnen, obwohl die Anforderung keine Auswirkungen auf
zwei der drei Dimensionen hat.

Dieses Vorgehen hilft Ihnen schließlich, auch zu analysieren, ob bestimmte Maßnah-


men überhaupt in Ihrer Organisation umgesetzt werden können. Darüber hinaus lässt
sich die Fit/Gap-Analyse auch in anderen Kontexten, beispielsweise bei der Auswahl
eines neuen IT-Systems, einsetzen. Hier erlaubt es die Fit/Gap-Analyse, Anbieterun-
terschiede zu erkennen und die Adaptierbarkeit des Systems auf das Unternehmen-
sumfeld zu betrachten. Bewertet wird dabei, mit welchem Aufwand das angebotene
System an die Bedürfnisse Ihres Unternehmens angepasst werden kann. Der resultie-
rende Score dient als Vergleichswert zwischen unterschiedlichen Anbietern und fun-
giert letztlich als zusätzliche Auswahlhilfe.

7.4.3 Geschafft: Formulierung des Projektauftrags

Im Grunde hat jede Prozessoptimierung mit zwei, vom Charakter her sehr unterschied-
lichen Phasen zu kämpfen. In der ersten Phase erfolgt die bereits ausführlich bespro-
chene Analyse- und Lösungsentwicklung. Die zweite Phase kreist um die Umsetzung
der in der Analysephase erarbeiteten Optimierungslösungen. Die Formulierung eines

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7 Route: Die Entscheidung für den geeigneten Weg

klar umrissenen Projektauftrags bildet den Abschluss der Analyse. Damit ist die
eigentliche Aufgabe des Prozessberaters abgeschlossen. Oft wird der Wechsel von der
Analyse- in die Umsetzungsphase durch einen Wechsel der verantwortlichen Person
markiert. Der Prozessberater übergibt die Änderungsanforderungen an einen für die
Umsetzung benannten Projektleiter. Parallel dazu kommen in der Realisierungsphase
auch neue bis dato nicht involvierte Unternehmensbereiche (z. B. Einkauf, HR, IT) und
neue Lieferanten zum Zug. Abbildung 73 zeigt einen Arbeitsplan für beide Phasen, der
ihre sehr unterschiedlichen Bedürfnisse nochmals herausstellt.

I. Projekt definiert II. System analysiert III. System gestaltet IV. Veränderung
implementiert
1. Kritische 1. Organisation 1. Organisation 1. Strategieumsetzung
Erfolgsfaktoren a. Aufbauorganisation a. Anforderungen an und Aktionsplan
identifiziert analysiert Organisation festgelegt entwickelt
2. Kritische Prozesse b. Kritische Erfolgs- b. Änderungen an 2. Empfehlungen
selektiert faktoren bestätigt Organisation entwickelt und
zusammengefasst genehmigt
3. Projektziel 2. Prozess
bestimmt 2. Prozess 3. Organisations-
a. Ist-Prozess a. Soll-Prozess änderung
. Projektsupport- aufgenommen aufgenommen durchgeführt
anforderungen b. Messgrößen entwickelt
festgelegt b. Schwachstellen . Prozessänderungen
analysiert c. Veränderungen bzw. Neuprozess
5. Projektrahmen- zusammengefasst implementiert
bedingungen
festgelegt 3. Rollen 3. Rollen 5. Prozesskontrollen
a. Kritische Rollen & a. Anforderungen an und Kennzahlen
6. Vorgehensmodell Verantwortlichkeiten Rollen festgelegt implementiert
entwickelt identifiziert b. Leistungssystem
7. Kick-off-Meeting b. Leistungssystem angepasst/entwickelt
für Projekt analysiert c. Rollenänderungen
vorbereitet zusammengefasst

Lösungsentwicklungsphase Umsetzungsphase
(Projekt) (Projekt)

Abb. 73: Arbeitsplan zur Prozessentwicklung; Quelle: In Anlehnung an Freidinger, Robert: Vorlesung
Geschäftsprozessmodellierung, Berufsakademie Stuttgart, Semester 2008/2009: http://slideplayer.
org/slide/669712/ (Zugriff: 28.01.2016)

Für einen sauberen Übergang empfiehlt sich die Erstellung eines Projektauftrags, in
dem die folgenden Punkte Berücksichtigung finden:
y klare und unzweifelhafte Beschreibung der Projektziele
y geschäftliche Notwendigkeit bzw. Motivation für die Prozessoptimierung
y möglichst detaillierte Beschreibung der Anforderungen und erwarteten Ergebnisse
y erwartete Vorteile des Projekts, idealerweise durch einen Business Case beschrieben
y Beschreibung der kritischen Erfolgsfaktoren
y Projektrahmen (Risiken, Arbeitsumfang, Projektorganisation, Stakeholder, Mei-
lensteine etc.).

Mit der Übergabe des Projektauftrags an den Projektleiter ist die Analyse abgeschlos-
sen. Jetzt geht es an die Umsetzung.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Sie sind nun endlich im Gebirge unterwegs. Es ist ein herrlicher sonniger Tag. Den-
noch gilt es, sehr aufmerksam zu bleiben, denn Sie müssen sich überall orientieren
und auch immer wieder abgleichen, ob sich Ihre Pläne unter den vorgefundenen, im
Gebirge oft schnell wechselnden Bedingungen tatsächlich umsetzen lassen. Vielleicht
haben Sie sich entschieden, sich von einem professionellen, geprüften Bergführer
begleiten zu lassen. Sie werden dann ganz bestimmt nicht allein auf dessen theo-
retisches Wissen vertrauen, sondern auch und gerade auf seine Erfahrung und sein
Urteilsvermögen in kritischen Situationen. Die erbrachte Bergführerprüfung ist der
Nachweis, dass der Bergführer in der Lage ist, sich verantwortungsvoll und fachkun-
dig in einem alpinen Umfeld zu bewegen. Im Alltag muss er jedoch beweisen, dass
er mit verschiedensten Situationen (Wetterbedingungen, Routenwahl, Jahreszeiten
etc.) und mit in Größe, Können und Durchhaltevermögen unterschiedlichsten Grup-
pen zurechtkommt. Wählt er eine zu hohe Aufstiegsgeschwindigkeit, wird er mit der
Gruppe sehr schnell an die Grenzen seiner Fähigkeiten stoßen. Ähnlich verhält es sich
mit Prozessen, wenn Sie Änderungen an ihnen vornehmen. Was am grünen Tisch wie
die perfekte Lösung aussieht, muss in der Praxis noch lange nicht funktionieren.

8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen

Prozesse laufen nie unter Laborbedingungen ab. Sie unterliegen einer Vielzahl von
Einflüssen, welche die Prozessausführung beeinflussen und sich auf die Prozessleis-
tung und die Prozessergebnisse auswirken. Das Ziel der Prozess- und Ergebnisüber-
wachung ist es, in einer veränderlichen und dynamischen Umgebung nicht die Orien-
tierung zu verlieren. Das Unternehmen muss in der Lage sein, seine Prozesse innerhalb
gewisser Grenzen planbar, vorhersagbar und skalierbar beherrschen zu können. Es
gibt nun einmal einen deutlichen Unterschied zwischen der Zielprozessentwicklung
(dem Ergebnis Ihrer Prozessverbesserungsbemühungen) unter Laborbedingungen
und der Beherrschung des Prozesses im Unternehmensalltag. Deshalb muss die Über-
wachung von Prozessen neben der Ergebnisqualität auch immer den Leistungsstand
und die Beherrschbarkeit des Prozesses im Auge haben.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

8.1.1 Kennzahlensysteme und datengetriebene Prozesssteuerung

Prozesse können niemals mit einer Kennzahl alleine überwacht werden. Zu stark sind
sie dem Spannungsfeld aus Qualität, Kosten, Menge und Zeit ausgeliefert.106 Erst der
kontinuierliche Ausgleich dieser divergierenden Erwartungen an den Prozessverlauf
und das Prozessergebnis definieren einen beherrschbaren Prozess und die Grenzen
seiner Beherrschbarkeit. Letztendlich ist ein Kennzahlensystem immer auch ein Kom-
promiss und stellt einen Interessenausgleich innerhalb der Organisation dar.

Die Konzeption eines Kennzahlensystems und einer datengetriebenen Prozesssteue-


rung muss drei elementare Fragestellungen berücksichtigen:
y Wie wird mit den erhobenen Messdaten verfahren? (Und wie sieht dabei die Pro-
zesssteuerung aus?)
y Wann bzw. an welchen Stellen im Prozess werden Messdaten erhoben?
y Was für Datenquellen bzw. welche Leistungsgrößen sind für die Prozessleistung
maßgeblich und sollen überwacht werden?

Abbildung 74 beantwortet die Frage nach dem Wie? Der auf Basis von Prozessverbes-
serungsvorschlägen formulierte Zielprozess wird in der Prozessplanung mit geeigne-
ten Leistungskennzahlen und Soll-Werten ausgestattet. Dabei berücksichtigt die Pro-
zessplanung die Bedeutung des Prozesses für das Unternehmen, d. h. seine Priorität,
ermittelt seine Ausführungshäufigkeit und bestimmt, innerhalb welchen Qualitäts-,
Zeit- und Kostengrenzen die Ausführung erfolgen darf.

Soll
Prozess- Prozess-
planung kontrolle
Änderungen Abweichungen
Rückmeldung
Vorgaben Ergebnisqualität
Prozesssteuerung
Soll (Lösungssuche, -bewertung, Ist
Korrekturen, Initiierung)

Korrekturmaßnahmen

Prozessentwicklung
Prozessausführung Prozessergebnis
Zielprozess definieren

Abb. 74: Prozesssteuerung durch Leistungsüberwachung; Quelle: In Anlehnung an Benes/Groh


(2011): Grundlagen des Qualitätsmanagements, Fachbuchverlag Leipzig, S. 165 f.

106 Siehe auch Bünting, Frank (2006): Prozessorientierte Managementsysteme: Prozesse richtig definieren,
beschreiben und steuern, VDMA, Frankfurt, S. 65 ff.

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8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen

Während der Prozessausführung werden laufend Ist-Werte der Leistungsgrößen an


die Prozesskontrolle übermittelt und gegen die vorgegebenen Soll-Werte abgegli-
chen. Treten dabei Abweichungen auf, ist es Aufgabe der Prozesssteuerung, die Ursa-
chen dafür zu analysieren, Lösungen zu finden und Korrekturmaßnahmen einzuleiten.
Korrekturen können entweder die Prozessausführung oder die in der Prozessplanung
definierten Soll-Vorgaben betreffen.

Je frühzeitiger im Prozessverlauf Messpunkte gesetzt werden, desto größer ist die


Chance, Abweichungen frühzeitig zu korrigieren (siehe Abbildung 75) und den Soll-
Verlauf wiederherzustellen.

Kontrollgröße
(z. B. Genauigkeit,
Durchlaufzeit) unkontrollierter
Prozessverlauf

verspätete
Problemerkennung

rechtzeitige
100% Problemerkennung
optimales
Soll- Prozessergebnis
Verlauf

Verzögerung Verzögerung
Prozessverlauf
Prozessergebnis
Korrekturwirksamkeit

Korrekturwirksamkeit

Prozessende
Erkennungszeitpunkt

Erkennungszeitpunkt

Abb. 75: Kontrollgrößen und Prozessverlauf; Quelle: Benes/Groh, a. a. O. (Abbildung 74)

Abbildung 75 verdeutlicht die Notwendigkeit frühzeitiger Messungen. Im Frühstadium


des Prozessverlaufs erkannte Abweichungen lassen sich in der Regel rascher korrigie-
ren als zu späteren Zeitpunkten registrierte Abweichungen. Die Verzögerung, d. h.,
die Zeit zwischen Problemerkennung und Korrekturwirksamkeit, nimmt im weiteren
Prozessverlauf zu. Woran liegt das? Bei fortgeschrittenem Prozessverlauf müssen Kor-
rekturen zunehmend mehr Komplexität bei der Lösungsfindung berücksichtigen (es
ist ja mehr passiert, was Einfluss auf das Prozessergebnis hat). Zum einen steigt die

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Reaktionszeit mit zunehmendem Prozessverlauf, zum anderen nimmt die Korrektur


selbst mehr Zeit in Anspruch. Ein Beispiel dazu:

BEISPIEL

Die Serienfertigung von Pumpengehäusen macht es notwendig, Schraublö-


cher zu bohren. Mit zunehmendem Verschleiß des Bohrkopfes werden die
Bohrlöcher stetig kleiner. Außerdem nimmt der Bohrvorgang aufgrund des
abstumpfenden Bohrers mehr und mehr Zeit in Anspruch. In beiden Fällen
handelt es sich um Abweichungen definierter Soll-Vorgaben (Soll-Bohrzeit,
Soll-Durchmesser), die korrigiert werden müssen. Erfolgt die Überprüfung
erst am Prozessende, d. h. beim Prozessergebnis, werden zunehmend Nach-
arbeiten (Nachbohren auf den Zieldurchmesser) nötig. Die Prozessleistung
(Anzahl korrekt gefertigter und verschraubter Pumpengehäuse) nimmt stetig
ab. Bei rechtzeitiger Messung wird der Verschleiß hingegen zeitnah erkannt
und der Bohrer wird frühzeitig ausgewechselt. Nacharbeiten werden somit
ganz vermieden.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass nicht nur direkte Ergebnismessungen, wie die Über-
prüfung des Bohrlochdurchmessers, als Kontrollgrößen Relevanz besitzen, sondern
auch Arbeitsmittel und Prozessumfeld aufschlussreich sein können. So steigt etwa
die Bohrertemperatur mit zunehmendem Verschleiß (aufgrund der Abstumpfung
des Bohrers) und wäre damit als Kontrollgröße durchaus geeignet. Hier könnte eine
sensorgesteuerte, digitalisierte Erfassung des Temperaturverlaufs als potentes Früh-
warnsystem ein bevorstehendes Wartungsereignis (Bohrerwechsel) anzeigen.

Und noch etwas vermittelt dieses Beispiel. Kontrollgrößen und Messpunkte müssen
an unterschiedlichen Stellen des Prozesses eingeplant und kontinuierlich ausgewer-
tet werden, um überhaupt Relevanz zu besitzen. Abbildung 76 liefert dazu einige
Ansatzpunkte für den Einsatz typischer Kontrollgrößen im Prozessverlauf.

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8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen

Kontrollgrößen
* Fehlerkosten/Fehlteile
* Termintreue
* Lieferzeit

Eingabe Ausgabe
Lieferant Prozess Kunde
Zulieferung Ergebnis

Kontrollgrößen Kontrollgrößen
* Reaktionszeit Kontrollgrößen * Kundenzufriedenheit
* Lieferzeit * Durchlaufzeit * FPY-Kunde
* Termintreue * Wertschöpfungszeit (Prozess + Logistik)
* Kosten
* FPY-Prozess*

* Fehlerfreiheit beim ersten Fertigungsdurchlauf


FPY = First Pass Yield

Abb. 76: Ansatzpunkte zur Prozessüberwachung (Prozesssteuerung); Quelle: Eigene Darstellung

Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen entweder noch immer
keine Prozesskennzahlen erheben oder – was ich noch fast bedenklicher finde – Kenn-
zahlen erheben, aber sie nicht in das Unternehmens-Controlling einbeziehen. Meist
geht das damit einher, dass Prozessverantwortliche zwar regelmäßig Kennzahlen
berichten, aber dies keinen Einfluss auf die Handlungen des Unternehmens hat.

Gestützt wird diese Beobachtung durch eine Untersuchung der renommierten Wirt-
schaftsprüfungsgesellschaft PwC (PricewaterhouseCoopers). In ihrer Studie kommen
sie zu dem Ergebnis, dass rund zwei Drittel der Unternehmen keine systematischen
Kennzahlen über ihre Geschäftsprozesse erheben. Besonders ausgeprägt scheint
der nachlässige Umgang der Prozessüberwachung bei mittelständischen Unterneh-
men zu sein. Nur jedes fünfte mittelständische Unternehmen erhebt systematisch
Prozesskennzahlen und nutzt diese als Instrument zur Unternehmenssteuerung. Ein
noch kläglicheres Bild zeigt sich, wenn man das Reaktionsverhalten von Firmen auf
Prozessabweichungen mit einbezieht. Lediglich jedes neunte Unternehmen reagiert
überhaupt auf eine Prozessabweichung (bzw. eine auffällige Kennzahlenabweichung)
mit einem dokumentierten Vorgehen.107

Diese Zahlen zeigen vor allem eines: Prozessmanagement ist noch nicht in den Vor-
standsetagen angekommen. Gerade aber der Wunsch nach einer umfassenden Digi-
talisierung, der Schaffung neuer Wertschöpfungsketten und die Unterstützung durch

107 PwC, a. a. O. (Fn. 85), S. 32 f.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

datengestützte Entscheidungsmodelle machen eine Einstellungsänderung in den


Führungsetagen der Unternehmen unabdingbar.

8.1.2 Im Daten-Tsunami die Orientierung behalten

Die Digitalisierung bietet unzählige Möglichkeiten, Daten zu gewinnen. Gleiches gilt


auch für Kennzahlen. Das ungezügelte Datenangebot verleitet zu einem großzügigen
Umgang mit Kennzahlen. Wir sind verleitet, auf diese riesige Datenmenge mit einer
Vielfalt an Kennzahlen zu reagieren. Gelingt es Firmen nicht, in dieser reißenden Infor-
mationsflut die relevanten Kennzahlen zu isolieren, drohen sie, von einem wahren
Daten-Tsunami mitgerissen zu werden. Das Risiko, kritische Unternehmensprozesse
auf Basis irrelevanter Kennzahlen zu steuern, nimmt dramatisch zu. Auf richtige Fra-
gen folgen falsche Antworten. Die Orientierung geht verloren, der Datensegen wird
zum Datenfluch.

Wie aber können Sie sicherstellen, dass Prozesse die Unternehmensziele erfüllen und
dabei gleichzeitig mit den richtigen Kennzahlen gesteuert werden?

Wenige Firmen unterhalten Prozesse, welche die Unternehmensziele tatsächlich


abbilden. Prozesse werden selten direkt als Mittel zur Umsetzung und Steuerung der
Unternehmensziele benutzt. Die meisten Firmen verwenden dazu eigenständige hie-
rarchisch aufgebaute Kennzahlensysteme, die sich dabei vorwiegend an den Fachbe-
reichsstrukturen (Produktion überwacht Produktion, HR überwacht HR, IT überwacht
IT) orientieren. Unternehmensziele werden der Hierarchie folgend nach und nach auf
die einzelnen Organisationsteile, ihren fachlichen Aufgaben entsprechend, in kleinere
Fachbereichsziele heruntergebrochen. Vielfach sind an diese Zielvorgaben monetäre
Belohnungssysteme geknüpft. Den Prozessen hilft dies oft relativ wenig, stärken diese
Steuerungssysteme doch vor allem das Bereichsdenken und nicht die Prozesssicht.

Eine Antwort auf die Frage nach einem prozessorientierten Steuerungsansatz der
Unternehmensziele liefert die Balanced Score Card (BSC).108 Die Balanced Score Card
arbeitet grundsätzlich mit vier Zielperspektiven:
y Kundenperspektive,
y Finanzperspektive,
y Entwicklungsperspektive (des Unternehmens) und
y Prozessperspektive.

108 Horváth, Péter (2011): Controlling, 12. Auflage, Vahlen, München, S. 232 ff.

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8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen

Während Kunden-, Finanz- und Unternehmensentwicklung noch das klassische


bereichsorientierte Denken stützen, versorgt die Prozessperspektive mit prozessori-
entierten Zielvorgaben. Aus dieser Zielperspektive können Sie nun, analog der BSC,
eine Process Scorecard (Prozesskennkarte) mit ebenfalls vier Zielperspektiven ablei-
ten (siehe Abbildung 77):
y Prozessfinanzen,
y Prozesskunden,
y Prozessentwicklung und
y Prozessleistung.

Prozessfinanzen
strategisches Mess- Ziel- Maß-
Ziel größen werte nahmen

Prozesskunden Prozessleistung
strategisches Mess- Ziel- Maß- strategisches Mess- Ziel- Maß-
Ziel größen werte nahmen Prozess- Ziel größen werte nahmen
strategie

Entwicklungsperspektiven
strategisches Mess- Ziel- Maß-
Ziel größen werte nahmen

Abb. 77: Process Scorecard (PSC); Quelle: Horváth, Péter, a. a. O. (Fn. 108)

Für jede dieser Prozesszielperspektiven sind Sie nun in der Lage, Kennzahlen zu defi-
nieren, die den Prozess ganzheitlich abbilden und dem in Kapitel 5.3.1 beschriebenen
Spannungsfeld gerecht werden. Abbildung 78 liefert Ihnen Beispiele von Zielgrößen je
Prozessperspektive.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Prozessertrag Prozessproduktivität
Prozessfinanzen Prozessumsatz Prozessrendite
Prozesskosten
Prozesszeiten Prozesskostentreue
Prozess- Prozessqualität
leistung
Prozesstermintreue
Prozesskultur Prozesswissen Kernkompetenz
Entwicklungs- Kundenorientierung Organisationales Lernen Innovation
perspektive
Mitarbeiterzufriedenheit Prozessreifegrad
Kundenzufriedenheit Kundenbeschwerden
Prozesskunden Kundenbindung Liefertreue
Marktanteil

Abb. 78: Zielgröße je Prozessperspektive (Beispiele); Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sessel-


mann, a. a. O. (Fn. 84), S. 95

Zwar haben Sie nun einen probaten Weg gefunden, die Unternehmensziele direkt auf
die Prozesse umzulegen, allerdings besteht immer noch die Gefahr, zu viele und wenig
aussagekräftige Kennzahlen für die Prozesssteuerung zu identifizieren. Wie können
Sie sicherstellen, wenige, aber aussagekräftige Kennzahlen auszuwählen? Leiten Sie
für die in Abbildung 77 dargestellte PSC mögliche Kennzahlen für jede Ihrer Perspek-
tiven ab, so erhalten Sie die Möglichkeit, wirklich relevante Kennzahlen aufzudecken
und in Form konkreter Leistungsvorgaben zu operationalisieren. Abbildung 79 illust-
riert das Vorgehen.

196
PSC 1: Zielzusammenfassung PSC 1: Operationalisierung
Nr. Kennzahl Messgröße aktuell Vorgabe
Rendite
Umsatz Ertrag 1.1 Prozessumsatz EUR/Woche 123. 00 163.875

finanzen
1.2 Prozessertrag EUR/Woche 23. 00 19.23

1. Prozess-
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1.3 Prozessrendite Prozent 19,98 % 12,00


Zufrieden- Preis/
heit Leistung 2.1 Zufriedenheit NPS 6,73 7.00

kunden
Produkt- 2.2 Beschwerdequote Prozent 1,2 0,05
Lieferzeit Betreuung

2. Prozess-
qualität
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3.1 Marktanteil Prozent ,35 6,00


8.1

3.2 First Time Right Prozent 83 85


Prozess- Termin- Durchlauf-
qualität treue zeit Produktivität 3.3 2 -Stunden-Lieferung Prozent 79 98

Prozess-
3. Durchlaufzeit Minuten 326 250

Prozess- Kunden- Mitarbeiter- .1 Mitarbeiterzufriedenheit ESI 8,13 8,50


Reifegrad orientierung zufriedenheit

.
.2 Reifegrad RG 1,78 2,00
Kern-
kompetenz .3 Anzahl Anzahl/ 2 5

Abb. 79: Operationalisierung von Prozesskennzahlen; Quelle: Eigene Darstellung


Innovation

perspektive
Verbesserungen Monat

Entwicklungs- 3. leistung
= prominente Kennzahl, PSC = Process Scorecard, NPS = Net Promoter Score, ESI = Employee Satisfaction Index, RG = Reifegrad

197
Kurshalten unter ungewissen Bedingungen
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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Im ersten Schritt sind potenzielle Zielgrößen (Achtung, das sind noch keine Kenn-
zahlen!) Ihrer jeweiligen Perspektive zuzuordnen (z. B. Umsatz zur Perspektive Pro-
zessfinanzen). Danach wird das Zusammenspiel der Zielgrößen visualisiert (Hat eine
Zielgröße Einfluss auf eine andere?) und diese durch einen entsprechenden Verbin-
dungspfeil dargestellt. So ist beispielsweise ein hoher Prozessreifegrad erforderlich,
um ausgeprägte Termintreue zu gewährleisten (siehe Abbildung 79). Anschließend
werden in jeder Perspektive diejenigen Zielgrößen mit den meisten eingehenden
Verbindungspfeilen identifiziert. Sie bilden die für die Prozesssteuerung maßgebli-
chen Zielgrößen ab, da sie verschiedene Aspekte anderer Zielgrößen in sich vereinen
(und damit ein Zuviel an Kennzahlen vermeiden). Abbildung 79 weist als maßgebliche
Zielgröße für die Prozesskundenperspektive die Zufriedenheit aus. Sie wird von den
Zielgrößen Produktqualität, Lieferzeit, Betreuung und Preis-Leistungs-Verhältnis beein-
flusst. Aus den anderen Perspektiven kommen in unserem Beispiel noch Rendite,
Termintreue, Produktivität und Innovation als relevante Zielgrößen hinzu. Der letzte
Schritt dient der Ableitung der eigentlichen Kennzahlen, welche die identifizierten
Zielgrößen operativ am besten beschreiben. Fertig ist die PSC. In ihr sind die Unter-
nehmensziele in Form messbarer und aussagekräftiger Kennzahlen operationalisiert.

Es ist empfehlenswert, nicht nur einen Soll-Wert als Zielvorgabe zu definieren, son-
dern einen Zielkorridor zuzulassen, in welchem sich die Kennzahl im operativen
Betrieb bewegen darf, ohne sofort eine kritische Abweichung vom Soll-Wert zu mel-
den und Korrekturen auszulösen.

8.1.3 FTR-Kennzahl: Richtig beim ersten Mal

Wissen Sie eigentlich, wie viele Ausführungen Ihrer Prozesse beim ersten Mal fehler-
frei laufen? Damit meine ich ohne Nacharbeiten, ohne ungeplantes Nachfragen (oder
Informationsbeschaffung), ohne Stillstände, Verspätungen oder fehlerhafte Bereit-
stellungen? Einfach ohne Probleme beim ersten Mal? Wenn Sie darauf keine Antwort
haben, trösten sie sich. Sie sind in »guter« Gesellschaft. Die wenigsten Unternehmen
sind in der Lage, darüber belastbare Aussagen zu treffen. Dabei liefert die Antwort
auf diese Frage eine wesentliche Aussage darüber, wie gesund und zielgerichtet Pro-
zesse ablaufen. Diese als »First Time Right (FTR)« oder auch als »First Pass Yield (FPY)«
benannte Kennzahl gibt den Prozentsatz der Vorgänge (oder Produkte) an, die den
Prozess fehlerfrei durchlaufen konnten (siehe Abbildung 80).

198
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8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen

Teilprozess 1 Teilprozess 2 Teilprozess 3

Ergebnis 1 Ergebnis 2 Ergebnis 3

nein ohne Nach- ja nein ohne Nach- ja nein ohne Nach- ja


arbeit? arbeit? arbeit?

FTR=0 FTR=1 FTR=0 FTR=1 FTR=0 FTR=1

Anzahl abgeschlossener Transaktionen ohne Nacharbeit


FTR (%) = Anzahl aller abgeschlossenen Transaktionen x 100

FTR = First Time Right


Abb. 80: Fehlerfreiheit beim ersten Fertigungsdurchlauf (First Time Right); Quelle: In Anlehnung an
Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 312

Bevor Sie gleich weiterlesen, überlegen Sie doch einmal kurz, wie Sie die First Pass
Yield der Prozesse in Ihrem Unternehmen einschätzen. Je mehr Ihre Einschätzung
vom deutschen Industrieschnitt abweicht, d. h. unter 99,0 % (siehe Abbildung 81) liegt,
desto mehr haben Sie noch zu tun. Selbst 99,0 % sind noch kein Grund zum Feiern.
Denn 99,0 % entsprechen gerade mal einem Six-Sigma-Wert von 3,8. Zum Vergleich:
Für Sie persönlich würde das bedeuten, dass sie im Haushalt sieben Stunden im Monat
ohne Strom auskommen müssten, Ihr Brief unter den 13.650 Briefen sein könnte, die
der Post pro Woche verloren gingen, Sie 15 Minuten am Tag unreinem Trinkwasser
ausgesetzt wären oder einen von 5.000 fehlerhaften medizinischen Eingriffen pro
Woche erleiden könnten. Alles keine sehr angenehmen Vorstellungen. Vor diesem
Hintergrund existiert auch kein Konzept einer festen Grenze für eine »akzeptable«
Erfolgsquote. Sie fällt je nach Industrie vielmehr sehr unterschiedlich aus. Je lebens-
wichtiger ein Prozess, desto geringer fällt unsere Toleranz gegenüber Abweichungen
vom Soll-Verhalten aus. Lebenskritische Prozesse (z. B. Operationen, Starts und Lan-
dungen von Flugzeugen) bewegen sich daher idealerweise in Bereichen jenseits von
Six Sigma (und das entspricht immerhin bereits einer Erfolgsquote von 99,9996 %).

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Fluglinien Sicher-
heits-Standards
FTR = 99,9996%

Sigma-Niveau
FTR = 99,0% (Deutscher Industrieschnitt)

(z. B. Operationen)
Gesundheitswesen
Automobilproduktion

6
FTR = 99,98%

lebenskritische
Prozesse
Halbleiterproduktion

5
Fertigungs-
Prozesse
Versicherungen und Banken
Service Logistik
FTR = 93,32%

4
transaktionale
Prozesse

3
Medizin: 5.000 fehlerhafte Eingriffe pro Woche
Wasser: 15 Min. unreines Trinkwasser am Tag
Flughafen: 2 zu kurze oder lange Landungen
Post: 13.650 verlorene Briefe pro Woche
Elektrizität: 7 h ohne Strom pro Monat

2
99,0% FTR (3,8) bedeutet:

1
100,0%

10,0%

1,0%

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

0,0%

Fehler-Index

Abb. 81: FPY nach Industrie; Quelle: In Anlehnung an Töpfer, Armin (2007): Six Sigma: Konzeption und
Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität, Springer, Berlin Heidelberg New York, S. 140 f.

Nicht völlig überraschend finden sich die höchsten Standards im Bereich der Luft-
fahrt. Andererseits gehen transaktionsbasierte Industriezweige (Erfolgsquote von
durchschnittlich 93,32 %), wie beispielsweise Banken oder Versicherungen, nach-
sichtiger mit dem Fehlerverhalten ihrer Prozesse um. In diesen Industrien wird weit
weniger Aufwand betrieben, um Prozesssicherheit zu gewährleisten. Man erlaubt sich
mehr Raum für Fehler und Nacharbeiten, da diese Industrieprozesse nicht annähernd

200
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8.1 Kurshalten unter ungewissen Bedingungen

so kritisch sind wie ihre Vetter aus Medizin und Luftfahrt. Nichtsdestotrotz sind diese
Zahlen wenig ermutigend, bedeuten sie doch, dass beispielsweise die Verwaltung
unserer Konten und Versicherungen, aufgrund von Nacharbeiten und Korrekturen,
aufwendiger ausfällt, als es eigentlich der Fall sein müsste. Dies schlägt sich u. a. in
höheren Gebühren und teureren Versicherungspolicen nieder.

Verschärft wird dieses in weiten Teilen recht unbefriedigende Bild von der Tatsache,
dass wir es meist mit Wertschöpfungsketten, d. h. einer Aneinanderreihung von Pro-
zessen, zu tun haben. Abbildung 82 illustriert diesen Umstand eindringlich. Jeder der
vier betrachteten Prozesse weist für sich genommen eine Erfolgsquote von 90 % aus.
Über die gesamte Wertschöpfungskette sind es dann jedoch nur noch 65 %.109 Sind
nach dem Verkaufsprozess noch 90 % aller Abschlüsse fehlerfrei durchgelaufen, so
führt eine Erfolgsquote von 90 % in der Arbeitsvorbereitung bereits dazu, dass von
eingegangenen 90 Abschlüssen nur mehr 81 Vorgänge die Arbeitsvorbereitung feh-
lerfrei verlassen konnten. Jeder Prozess sorgt somit für eine Verschlechterung der
Gesamterfolgsquote. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur die einzelnen Prozesse auf
ihre möglichst fehlerfreie Ausführung hin zu optimieren, sondern die gesamte Wert-
schöpfungskette im Auge zu haben.

Verkauf Konstruktion/ Fertigung Logistik


Arbeitsvorbereitung

90 90 90 90 72,9 90 65,6 65

Nacharbeit, Informationsbeschaffung, Stillstände etc.


Abb. 82: Erfolgsquote bei Wertschöpfungsketten (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

8.1.4 Überwachung und Reaktion: Kontinuität ist Trumpf

Betrachtet man das Prozessverhalten über einen längeren Zeitraum (siehe Abbil-
dung 83), wird es ohne regelmäßige Prozesspflege und rasches Gegensteuern bei
auftretenden Abweichungen im Soll-Verhalten schon bald zu spürbaren Effizienzver-
schlechterungen im Prozess kommen (Bild 2 in Abbildung 83). Erst durch eine stetige
Überwachung der Prozesse, die bei auftretenden Abweichungen des erlaubten Soll-

109 In der Fertigungsindustrie wird die Erfolgsquote auch als »Ausbringung« bezeichnet.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Verhaltens mit einer dokumentierten Reaktion einhergeht, können Prozesse ihr Leis-
tungsvermögen (Bild 3 in Abbildung 83) erhalten.

1. Idealvorstellung von Prozessoptimierung 2. Prozessoptimierung (Verlauf ohne Systempflege)

Effizienz
Effizienz

Innovation
Innovation
Innovation Innovation
Zeit Zeit
3. Prozessoptimierung mit Erhaltung 4. Prozessoptimierung und Kaizen
Kaizen

Effizienz
Innovation
Effizienz

Erhaltung
Innovation
Kaizen
Erhaltung
Innovation Innovation
Zeit Zeit

Abb. 83: Prozessverhalten mit und ohne Prozesspflege; Quelle: Rießelmann, Julia (2011): Fakten-
blatt »Effizient mit Ressourcen umgehen: Wertstromdesign«, RKW-Kompetenzzentrum, S. 3: https://
www.rkw-kompetenzzentrum.de/innovation/2011/faktenblatt/effizient-mit-ressourcen-umgehen-
wertstromdesign/ (Zugriff: 21.01.2016)

Gesellen sich noch regelmäßige Prozessverbesserungen dazu, rückt eine nachhal-


tige Leistungsverbesserung (Bild 4 in Abbildung 83) in den Bereich des Möglichen. Es
ist dabei entscheidend, geplante Verbesserungen vorweg im kleinen Rahmen (Pilot,
kleine Kundengruppe etc.) zu erproben. Erst wenn die Optimierung keine Beeinträch-
tigung der Prozessziele zeigt und sich positiv auf das Prozessleistungsniveau auswirkt,
dürfen die Prozessänderungen großflächig in den Betrieb übernommen werden (siehe
Abbildung 84).

Die Digitalisierung bietet mit der Prozesssimulation ein potentes datengetriebenes


Entscheidungswerkzeug, auf welches ich in Kapitel 8.3.2 näher eingehen werde.

202
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8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen festlegen

Roll-out Wie könnte es gehen?


* Entscheidung, ob * Lösung ausprobieren
Umsetzung oder und testen
Abbruch * Lösung optimieren
* Umsetzung * Konflikte lösen
(große Lösung) Act Plan

Prozess-
Controlling

Check Do
„Kleine“ Lösung
Funktioniert es? ausprobieren
* Umsetzung überprüfen * Probe, Test
* Ergebnisse prüfen * Pilot, Simulation etc.

Abb. 84: PDCA-Zyklus nach Deming; Quelle: In Anlehnung an https://de.wikipedia.org/wiki/


Demingkreis (Zugriff: 22.07.2017)

8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen


festlegen
Unternehmensstrategie und Prozesse stehen in einer ständigen Wechselbeziehung. Im
Grunde geht es dabei immer um die Antwort auf die Frage, wieweit die Prozesse heute
schon die Vision und Strategie des Unternehmens transportieren und welche Weichen-
stellungen für die Zukunft auf der Prozessebene nötig sind. Gleichzeitig muss ein Rah-
men formaler und inhaltlicher Richtlinien geschaffen werden, der Entwurf, Implemen-
tierung, Ausführung und Überwachung der Prozesse – also das, was man gemeinhin
unter Prozessmanagement versteht – verbindlich regelt (siehe Abbildung 85).

Prozess-Governance – Inhaltliche Richtlinien

Prozess- Prozess-
Design überwachung

Prozess-Management

Prozess- Prozess-
implementierung ausführung

Prozess-Governance – Formale Richtlinien

Abb. 85: Prozess-Governance: Leitplanke für das Prozessmanagement; Quelle: In Anlehnung an


Kirchmer, Mathias (2005): Business Process Governance: Orchestrating the Management of BPM,
Whitepaper, Pennsylvania

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Diese Aufgabe fällt der Prozess-Governance zu. Sie bildet die Brücke zwischen Unter-
nehmensstrategie und Prozessführung (siehe Abbildung 86).

Vision, Unternehmensstrategie
Umfasst u. a. die Entscheidungs-
findung, Definition von Standards,
Setzen von Prioritäten, Personal-
identifikation, Rollendefinition und
Prozess-Governance übersetzt die Unternehmens-
strategie in Prozessziele.

Beschäftigt sich mit der


Prozess-Management Identifikation, Dokumentation,
Gestaltung, Implementierung,
Steuerung und Verbesserung
von Geschäftsprozessen.

Prozesse

Abb. 86: Prozess-Governance: Brücke zwischen Unternehmensstrategie und Prozessführung; Quelle:


In Anlehnung an Paim/Flexa (2011): Process Governance: Definitions and Framework, Part 1

Fehlt die zentrale Prozessorganisation, ist die Deutungshoheit über Prozessziele, Pro-
zessausgestaltung und Weiterentwicklung einzelnen Prozessverantwortlichen überlas-
sen, die naturgemäß eher bereichsorientiert (fachorientiert) handeln, da sie ja auch in
der Regel einem Fachbereich zugeordnet sind. Bereichsorientierung dominiert, Prozes-
sorientierung gibt es selten. An durchgängige und bereichsübergreifende strategische
Zielvorgaben entlang der Wertschöpfungsketten des Unternehmens ist so kaum zu den-
ken. So schwächt die vorherrschende Bereichssicht die Prozessführung und beeinträch-
tigt letztlich das mögliche Leistungsvermögen der Geschäftsprozesse.

8.2.1 Entwicklung einer Prozess-Governance

Die Entwicklung einer Prozess-Governance ist keine triviale Sache. Hier gilt es, die
Prozessorganisation aufzubauen, Rollen und Gremien zu definieren und festzulegen,
in welchem Umfang eine Prozessorganisation eigenständige Entscheidungen treffen
darf. Nachdem die meisten Prozessorganisationen in einer Matrix-Organisation arbei-
ten, kommen noch Fragen nach der Steuerung, Incentivierung und der Freistellung
von Linienaufgaben hinzu. Daneben sind zahlreiche unterschiedliche Interessenlagen
der verschiedenen Bereiche zu berücksichtigen.

Das von den Prozessexperten Braganza und Lambert vorgeschlagene Modell zur Ent-
wicklung einer Prozess-Governance berücksichtigt nicht nur diese divergierenden
Erwartungen, sondern versucht, einen Ausgleich über die verschiedenen Governance-
Ebenen zu schaffen (siehe Abbildung 87).110

110 In Anlehnung an Braganza/Lambert: Strategic Integration – Developing a Process Government Framework,


published in Knowledge and Process Management, Volume 7, Nr. 3 (2000), S. 177–186.

204
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8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen festlegen

definiert haben adressiert definieren


durch
Strategie Stakeholder Erwartungen Prozesse Aktivitäten
Perspektive
Prozess-

Was sind Strategie Welche Aufgaben


und Ziele des Wer sind die Wie sind die Um welche erfüllen diese
Unternehmens? Stakeholder? Erwartungen? Prozesse geht es? Prozesse?

Gemeinsam * Monitoring * Verständnis * Definieren der * Definition der


* beschließen * Evaluierung * Evaluierung und Prozesse Prozessaktivitäten
Governance-
Perspektive

* quantifizieren * Identifikation Entschärfung * Abgleich von * Festlegen der


von Konflikt- Erwartungshaltun- Vertraulichkeitsstufe
* kommunizieren * Priorität herden gen und Zielen * Anforderungs-
* priorisieren * Definition von management
Leistungskennzahlen * Arbeitsanweisungen
* Ausgleich von Fach- * Evaluierung des
und Prozesssicht Ressourcenbedarfs

* Unternehmens- * Chief Process * Prozesseigner * Prozesseigner * Prozesseigner


Perspektive
Rollen-

leitung Owner (CPO) * Senior Manager * Senior Manager * Key User


* Chief Process * Senior Manager * Experten
Owner (CPO)
* Aktionäre

Abb. 87: Entwicklung einer Prozess-Governance; Quelle: Braganza/Lambert, a. a. O. (Fn. 110)

Das Modell unterstützt drei für die Prozess-Governance relevante Sichtweisen: Pro-
zess-, Governance- und Rollenperspektive.

Die Governance-Perspektive wird schrittweise durch Beantwortung unterstützender


Fragestellungen aus der Prozessperspektive nach Strategie, Stakeholder, Erwartun-
gen, Prozessen und Aktivitäten von rechts nach links entwickelt. Anschließend wer-
den in der Rollenperspektive diejenigen Rollen identifiziert, welche in der Lage sind,
die beschriebenen Governance-Aufgaben zu erfüllen und durchzusetzen.

Dieses Vorgehen liefert neben der Grundstruktur der Prozessorganisation und der
Ableitung ihrer vordringlichsten Aufgaben auch den notwendigen Ausgleich zwischen
Bereichs- und Prozesssicht.

8.2.2 Die Prozessorganisation: Geistige Mauern überwinden

Jahrzehntelange tayloristische Arbeitsweisen haben Spuren in unserer »Wirtschafts-


DNA« hinterlassen und prägen auch heute noch vielfach unser Denken. So ist es wenig
verwunderlich, dass die meisten Unternehmen immer noch in starren und wenig flexi-
blen Bereichsstrukturen verhaftet sind (siehe Abbildung 88).

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Materialwirtschaft

Vertrieb Konstruktion Arbeitsvorbereitung Fertigung

Abb. 88: Geistige »Mauern« zwischen Bereichen; Quelle: In Anlehnung an Ehrlenspiel, Klaus (2009):
Integrierte Produktentwicklung: Denkabläufe, Methodeneinsatz, Zusammenarbeit, Hanser Verlag,
München, S. 187

Bereichsstrukturen schaffen geistige Mauern zwischen den einzelnen Bereichen und


stehen vielerorts einer effizienten Prozessausführung im Wege. Dadurch, dass sie
Bereichsegoismen fördern und Partikularinteressen stärken, wirken sie organisati-
onsübergreifenden Prozessbedürfnissen – wie Wertschöpfungsfokussierung, offe-
nem Informationsfluss, kurzen Entscheidungswegen, kontinuierlicher Verbesserung,
Effizienz und Kundenzufriedenheit – entgegen.

Das schleichende Gift des Taylorismus wirkt nach und beeinträchtigt immer noch
zahlreiche vitale Wertschöpfungsketten. In Zeiten, in denen Geschwindigkeit, Wett-
bewerbsdruck sowie Produkt- und Leistungsindividualität immer mehr an Bedeutung
gewinnen, stoßen siloartige Strukturen mehr und mehr an ihre Grenzen.

Eine vordringliche Aufgabe der Digitalisierung muss es daher sein, die Unternehmens-
organisation entlang dominanter und flexibler Prozessketten auszurichten, die noch
dazu viel näher am Kunden verlaufen und von ihm beeinflusst werden. Zukünftig wird
der Kunde nicht nur am Beginn (beispielsweise als Auslöser einer Produktbestellung)
und am Ende (beispielsweise als Empfänger des Produktes) eines Geschäftsprozes-
ses stehen, sondern auch dazwischen immer mehr Möglichkeiten haben, Einfluss auf
Abläufe, Inhalte und die letztendliche Ausgestaltung seiner Wunschvorstellungen
zu nehmen (Stichwort »Losgröße 1«). Klassische bereichs- und funktionsorientierte
Organisationen werden das nicht mehr lange leisten können. Abbildung 89 stellt die
gängigsten Formen prozessorientierter Aufbauorganisationen vor.

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8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen festlegen

Funktionale Organisation Matrix-Organisation Reine


Prozessorganisation

PV
PV
PV

Durchlaufzeit
Zielerreichung
Tendenzielle

Prozesskosten
Prozessqualität
Kundenzufriedenheit
Produktqualität
PV = Prozessverantwortlicher
Abb. 89: Formen prozessorientierter Aufbauorganisationen; Quelle: In Anlehnung an Fischermanns,
Guido, a. a. O. (Abbildung 21), S. 185

In Abbildung 90 werden die wesentlichsten Unterschiede zusammengefasst.

Funktionale Organisation Matrix-Organisation Reine Prozessorganisation


Unternehmerische Ausprägung der Prozessorientierung
schwach mittel bis stark stark

* Kein End-to-End-Prozess * End-to-End-Prozesse * End-to-End-Prozesse


* Geschäftsprozesse haben * Geschäftsprozesse haben * Geschäftsprozesse haben
keine organisatorische limitierte organisatorische volle organisatorische
Eigenständigkeit Eigenständigkeit Eigenständigkeit
* Geschäftsprozesse haben * Geschäftsprozesse * Geschäftsprozesse
keine eigenen Prozess- haben begrenzte eigene haben umfassende eigene
ressourcen Prozessressourcen Prozessressourcen
* Geschäftsprozesseigner * Geschäftsprozesseigner * Geschäftsprozesseigner
hat nur Koordinations- hat fachliche und einge- hat volle fachliche und
befugnisse schränkte disziplinarische disziplinarische Weisungs-
* starke Funktions- Weisungsbefugnisse befugnisse
orientierung * ausgewogene Funktions- * starke Prozessorientierung
* geringe Prozess-, hohe und Prozessorientierung * hohe Prozess-, geringe
Ressourceneffizienz * ausgewogene Prozess- Ressourceneffizienz
und Ressourceneffizienz

Abb. 90: Unterschiede prozessorientierter Aufbauorganisationen; Quelle: In Anlehnung an Schmel-


zer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 212

Die funktionale (Bereichs- oder Fach-)Organisation ist der manifeste Ausdruck taylo-
ristischer Aufgabenteilung und immer noch in zahlreichen Unternehmen anzutreffen.
Prozesse überschreiten Bereichsgrenzen. Eine bereichsübergreifende Prozessverant-
wortung ist dabei nicht vorgesehen. Nicht selten laufen Prozesse in funktionalen Orga-
nisationen völlig ungesteuert ab. Schwierigkeiten im Ablauf werden von Bereichsleitern

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

oder der Unternehmensleitung gelöst. Kennzeichnend für funktionale Organisationen


sind typischerweise lange Durchlaufzeiten und ein nicht abgestimmtes Leistungsange-
bot. Besonders im Mittelstand ist diese Organisationsausrichtung häufig anzutreffen.

Mit der Matrix-Organisation wird versucht, durch die Einsetzung von Prozessverant-
wortlichen, Nachteilen funktionaler Organisationen den Stachel zu ziehen. Das Kon-
zept der Matrix-Organisation ist nicht neu. Es wird schon seit Jahrzehnten eingesetzt,
um auf regionale Anforderungen, Produkt- oder Kundenbelange durch die Einführung
von Querschnittsverantwortungen effizienter zu reagieren. Neu ist nur, dass in den
letzten Jahren solche Strukturen für die Steuerung, Entwicklung und Verbesserung
von Prozessketten vermehrt Eingang in den Unternehmensalltag gefunden haben.
Insbesondere große Mittelständler und Konzerne setzen häufiger auf dieses Modell,
um Brücken zwischen den einzelnen Bereichen zu schlagen.

Die reine Prozessorganisation (siehe schematische Darstellung in Abbildung 91)


kommt in der Praxis nicht so häufig vor, wie man es vielleicht erwarten könnte. Das
liegt vor allem daran, dass es etablierten Unternehmen schwerfällt, ihre bestehenden
Strukturen derart radikal zu verändern. Plötzlich würde ein Prozessverantwortlicher
an die Unternehmensleitung direkt berichten und für die Prozessausführung mit Per-
sonal- und Budgetverantwortung ausgestattet sein (das entspricht praktisch einer
Drehung der Organisation um 90°). Prozessverantwortliche bilden in dieser Organisa-
tionsausprägung die neuen Bereichsleiter, die eben keinem fachlichen Bereich mehr
vorstehen, sondern vielmehr einem Prozess.

Kunden Kunden Kunden

Prozessziele Prozessziele Prozessziele

Marketing

Entwicklung
Produkt Produkt Produkt
Fertigung planen entwickeln liefern
Vertrieb

Service

Prozessergebnis Prozessergebnis Prozessergebnis

Kunden Kunden Kunden

Abb. 91: Schematische Darstellung einer reinen Prozessorganisation; Quelle: Eigene Darstellung

Besonders unter Unternehmen, die für ihre Produkte und Dienstleistungen vorwie-
gend eine digitale Plattform nutzen, sind Prozessorganisationen vermehrt anzutref-
fen. Prominentester Vertreter in dieser Gruppe ist einmal mehr Amazon. Ohne seine
stark prozessorientierte Ausrichtung wäre der Konzern wohl kaum in der Lage, die Lie-
ferung am selben Tag (»Same Day Delivery«) bzw. binnen eines Tages – zumindest für

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8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen festlegen

seine »Prime«-Kunden als Standardprodukt (also ohne Zusatzkosten wie bei anderen
Anbietern) – anzubieten. Das nächste Ziel von Amazon lautet sogar, Lieferzeiten tags-
über in Ballungsräumen unter zwei Stunden zu brechen. Doch wir reden nicht allein
über den Handel. Auch in jüngerer Zeit als Start-up gegründete Unternehmen, wie
Uber oder Airbnb, profitieren von starken Prozessorganisationen.

Woran aber liegt es, dass reine Prozessorganisationen häufig bei Unternehmen anzu-
treffen sind, die digitale Plattformen unterhalten? Dies hat vor allem zwei Gründe.
Zum einen verlaufen die relevanten Leistungsprozesse bereits zum überwiegenden
Teil in der Plattform digital ab und zwingen das Unternehmen förmlich dazu, sich nach
den Prozessen auszurichten. Vielfach geht das mit der Ausarbeitung sogenannter Cus-
tomer Journeys einher, in denen der Prozess aus dem Erlebnisblickwinkel des Kunden
betrachtet wird. Zum anderen wirkt sich die Tatsache sehr vorteilhaft aus, dass viele
dieser Unternehmen in den letzten Jahren neu in den Markt drängten und Plattfor-
men und Aufbauorganisation am grünen Tisch, ohne Bürde durch Altlasten wie einer
bereichsorientierten Bestandsorganisation oder vorwiegend analogen Prozessen,
planen und starten konnten.

Stellen wir prozessorientierte und funktionsorientierte Aufbauorganisationen am Bei-


spiel eines Computerherstellers gegenüber (siehe Abbildung 92), werden die wesent-
lichen Unterschiede zwischen beiden Varianten sofort erkennbar. Laufen in der funk-
tionsorientierten Aufbauorganisation die Bereiche Beschaffung, Montage, Verkauf
und Wartung auf Augenhöhe noch nebeneinander, so ist es in der prozessorientierten
Aufbauorganisation die Montage der Laptops und Server, die vom Unternehmen als
wesentlicher Leistungsprozess identifiziert wurde. Beschaffung und Verkauf der Lap-
tops bzw. Server ordnen sich dabei vollständig der Prozesskette »Laptop-Produktion«
unter und verbessern damit nicht nur das Leistungsvermögen des Unternehmens,
Laptops zu produzieren, sondern schaffen ein flexibleres und individuelleres Angebot
für Kunden.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Prozessorientierte Aufbauorganisation Funktionsorientierte Aufbauorganisation

Management Management

Montage Montage Wartung Beschaffung Montage Verkauf Wartung


Laptops Server

Beschaffung Montage Verkauf ... ...

Prozess- Prozess- Prozess- Prozess- Prozess- Funktions- Funktions- Funktions- Funktions-


sicht sicht sicht sicht sicht sicht sicht sicht sicht

Abb. 92: Gegenüberstellung funktionaler und prozessorientierter Aufbauorganisation (Beispiel);


Quelle: Eigene Darstellung

In Abbildung 93 werden die wesentlichsten Merkmale funktions- und prozessorien-


tierter Aufbauorganisationen einander gegenübergestellt.

funktionsorientiert prozessorientiert
Ziele: Ressourceneffizienz, Ziele: Kundenzufriedenheit,
Kosteneffizienz Prozesseffizienz
vertikale Ausrichtung horizontale Ausrichtung
abteilungs- und abteilungsübergreifend- und
stellenbezogen prozessbezogen
verrichtungsorientiert geschäftsfallorientiert
Spezialisierung, Arbeitsteilung Aufgabenintegration
Ressort-, Statusdenken unternehmerisches
Erfolgsdenken
Machtorientierung Kunden- und Teamorientierung
tiefe Hierarchien, viele flache Strukturen
Schnittstellen
hoher Koordinations- und Selbstbestimmung und
Steuerungsbedarf -steuerung
zentrales Fremdcontrolling dezentrales Selbstcontrolling
kontrollierte Informationen freie und offene Informationen
Rationalisierungsprojekte kontinuierliche Verbesserung
Ersatzprozesse, Redundanz Konzentration auf
Wertschöpfung
Komplexität Transparenz

Abb. 93: Merkmale von Funktions- und Prozessorganisationen; Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/
Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 205

Abschließend möchte ich noch die Effizienzunterschiede zwischen den beiden Orga-
nisationstypen anhand der sechs relevanten Effizienzausprägungen Anpassung, Res-
sourcen, Prozess, Delegation, Macht und Motivation herausstellen. Wie man Abbildung
94 entnehmen kann, schlägt die funktionale Aufbauorganisation die prozessorien-
tierte lediglich in einer Dimension: Ressourceneffizienz. Dies liegt vor allem daran,

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8.2 Mit Prozess-Governance den organisatorischen Rahmen festlegen

dass es in einer prozessorientierten Aufbauorganisation notwendig ist, bestimmte


Ressourcen, die üblicherweise in einem Fachbereich (z. B. Controlling, Qualitäts-
Management) zusammengefasst sind, auf verschiedene Prozesse zu verteilen.
Dadurch entstehen Redundanzen, die man aber in der Prozessorganisation billigend
in Kauf nimmt. In allen anderen Effizienzausprägungen ist die Prozessorganisation der
funktionsorientierten Organisation deutlich überlegen.

Anpassungseffizienz

Motivations- Ressourcen-
effizienz effizienz

Machteffizienz Prozess-
effizienz

Delegationseffizienz
funktionsorientierte Aufbauorganisation
prozessorientierte Aufbauorganisation

Abb. 94: Effizienzausprägungen funktionaler und prozessorientierter Aufbauorganisationen; Quelle:


Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 211

8.2.3 Struktur einer Prozessorganisation und Prozessrollen

Ein fundamentaler Erfolgsfaktor der Prozessorganisation liegt in der starken Inter-


essenvertretung von Prozessbelangen innerhalb der Unternehmensführung. Diese
kann am besten durch die Einrichtung einer Vorstandsposition für Prozesse und Digi-
talisierung, also eines Chief Process Officers (CPO) bzw. Chief Digital Officers (CDO)
gewährleistet werden. Diesem sind die Prozessleiter (Prozessverantwortliche) der
einzelnen Geschäftsprozesse unterstellt, die wiederum auf ein Team aus Prozessana-
lysten, Kaizen-Spezialisten und Prozessmodellierern zugreifen können und durch ein
Prozessbüro (Process Office) organisiert werden.

Schließlich werden das hohe Leistungsvermögen und die kontinuierliche Verbesse-


rung und Weiterentwicklung durch temporär eingesetzte Kaizen-Teams, bestehend
aus Fachkräften und Prozessexperten, durch das Prozessbüro koordiniert und sicher-
gestellt. Abbildung 95 fasst die grundlegende Struktur einer Prozessorganisation
zusammen.

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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Ergebnisse,
Ziele Probleme Steuerungs- und Kontroll-
Geschäftsprozesse gremium für das GPM-System
Control Board (CPO+CIO+COO+QM+Controlling)

Prozess- Kaizen-Spezialisten
Office Prozessanalysten
Prozessmodellierer

Prozessteam Prozessteam Prozessteam Prozessteam für jeweils einen


Geschäftsprozess (Geschäfts-
1 2 3 prozesseigner + Teilprozess-
verantwortlicher [Key User])

Ein oder mehrere temporär


temp. temp. temp. eingesetzte Kaizen-Team(s) (4-6
Kaizen- Kaizen- Kaizen- Mitarbeiter), je nach kontinuier-
Teams Teams Teams lichen Verbesserungsbedarfen

GPM = Geschäftsprozess-Management, QM = Qualitätsmanager, CPO = Chief Process Officer


CIO = Chief Information Officer, COO = Chief Operation Officer

Abb. 95: Starke Prozessorganisation (Beispiel); Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann,


a. a. O. (Fn. 84), S. 183

Die für eine Prozessorganisation maßgeblichen Rollen sind in Abbildung 96 beschrieben.

Chief Process Verantwortlich für die Führung und Weiterentwicklung


Officer des Geschäftsprozesses Management-System und der
korrespondierenden Geschäftsprozesse
Verantwortlich für die vollständige und korrekte Be-
Prozesseigner schreibung des ihm zugeordneten Prozesses; hat nicht
notwendigerweise auch Führungsverantwortung

Prozess- Verantwortlich für die Weiterentwicklung und


Controller Durchführung des Prozess-Controllings.

Ist für seinen Fachbereich der Hauptansprechpartner


Key User für den ihm zugeordneten Prozess. Kann zusätzlich zu
dieser Rolle auch als Prozessnutzer auftreten

Prozess- Jede Person bzw. jedes System, die Zulieferungen


lieferant an den Prozess verantworten

Prozesskunde Jede Person bzw. jedes System, welche(s) mindestens


ein Ergebnis zu diesem Prozess erhält

Prozessnutzer Alle diejenigen Personen, die gemäß der Prozess-


beschreibung handeln bzw. handeln sollen

Abb. 96: Beschreibung typischer Prozessrollen; Quelle: Eigene Darstellung

212
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8.3 Neue digitale Navigationsinstrumente

8.3 Neue digitale Navigationsinstrumente

Kennzahlen zu erheben und Prozesse mit deren Hilfe zu überwachen und zu steuern,
ist nicht neu, auch wenn viele Unternehmen, wie beschrieben, sich hier noch lange
nicht auf der Höhe der Zeit bewegen. Gerade mit den Möglichkeiten, welche die Digi-
talisierung von Prozessen eröffnet, lässt sich die klassische Ergebnisüberwachung
(das Steuern von Prozessen anhand gemessener Kennzahlen) nun noch um zwei sehr
interessante Navigationsinstrumente erweitern: Action Distance Management und
Prozesssimulation.

8.3.1 Digitalisierungsgradmesser Action Distance Management (ADM)

Es liegt in der Natur der Prozessüberwachung, aus den gesammelten Informationen


herauszulesen, ob ein Eingriff in den Prozessablauf notwendig ist. Ein solcher Eingriff
ist dann gerechtfertigt, wenn die Gefahr besteht, dass es zu Abweichungen oder Stö-
rungen im Prozess kommen kann, die das Prozessergebnis beeinträchtigen könnten.
Der Abstand zwischen dem Ereignis, welches aufschlussreiche Information liefert bis
zur Reaktion darauf bildet die Grundlage des Action Distance Managements, kurz:
ADM (siehe Abbildung 97). Wie weiter unten dargestellt, lässt sich der Abstand noch
in weitere einzelne Formen von Abständen (zeitlich, räumlich, sozial, informativ) auf-
schlüsseln.

Ereignis-
information

Reaktion und
Wirkung

Abstand

Abb. 97: Konzept des Action Distance Managements (ADM); Quelle: Eigene Darstellung

213
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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Das Konzept des ADM berücksichtigt den intuitiv nachvollziehbaren Umstand,


dass ein Ereignis mehr Zeit bekommt, eine nachteilige Wirkung auf den Prozess-
verlauf zu entfalten, je größer der Abstand zwischen Ereignis und Reaktion ist. Das
ist ähnlich wie bei einem Brand, der normalerweise umso verheerender wütet, je
später die Feuerwehr eintrifft und mit den Löscharbeiten beginnt. Ein Wertverlust
(einer Leistung oder eines Produktes) bzw. eine Minderung der wertschöpfenden
Leistung sind oft die Folgen, wenn die Reaktion auf eine Abweichung oder Störung
im Prozess zu spät erfolgt.

Der Abstand wird durch verschiedene Aspekte bestimmt, die am Ende als Summe ver-
schiedener zeitlicher Verzögerungen ihren Niederschlag finden. Darunter fallen die
folgenden:
y zeitlicher Abstand zwischen Informationsverfügbarkeit und der darauffolgenden
Reaktion
y räumlicher Abstand zwischen der Anzeige der Information und der Reaktionsan-
bahnung
y sozialer Abstand zwischen der informationsbeschaffenden Person und der Per-
son, die für die Reaktionsausführung verantwortlich ist bzw. über sie entscheidet
y informativer Abstand (Informationslücke) zwischen der Ereignisinformation und
der nächsten Information, die eine Interpretation der Ereignisdaten zulässt.

Alle diese Faktoren äußern sich letztlich in einer resultierenden zeitlichen Verzöge-
rung des korrigierenden Eingriffs auf ein wertschöpfungsrelevantes (gefährdendes)
Ereignis. Abbildung 98 illustriert die mit den beschriebenen Abstandsarten einherge-
henden Latenz-Zeiten.

Wert-
schöpfungs-
wert
wertschöpfungsrelevantes
Ereignis tritt auf

Wert-
schöpfungs- Ereignisdaten
minderung gespeichert
durch (und verfügbar)
Latenzzeiten Analyse-
Informationen Gegenmaßnahmen
geliefert (Lösung) Störung
eingeleitet behoben

Zeit
Daten- Analyse- Entscheidungs- Implementierungs-
Latenz Latenz Latenz Latenz

Reaktionszeit

Abb. 98: Wertminderung durch Latenz-Zeiten; Quelle: zur Muehlen/Shapiro: Business Process
Analytics, in: Rosemann/vom Brocke (2009): Handbook on Business Process Management, Vol. 2,
Springer Verlag, Berlin et al.

214
Latenz-Typ Beschreibung Vorherrschende Einflussfaktoren
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Aktionsdistanz

Zeit zwischen dem Auftreten des Ereignisses Leistungsfähigkeit der Infrastruktur, u. a.


(der Transaktion) und seiner Verfügbarkeit für > Datenübertragung: Netzleistung, Netzlast
Daten-Latenz die weitere Analyse (z. B. Datensatz im Data zeitlicher Abstand > Wartezeit: Rückstau bei Anfragen, Engpässe
Warehouse eingegangen) > Bearbeitungszeit: Rechenleistung,
Datenbankleistung, Speichermedien
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Zeit zwischen der Initiierung der Analyse, der sozialer Abstand > Datenqualität
Analyse-Latenz inhaltlichen Aufbereitung und der Lieferung an die räumlicher Abstand > Anlaufzeit für Analyse
Wertschöpfungsverlust des Prozesses aus.

verantwortliche Person informativer Abstand > Aufbereitungszeit der Daten


> Identifikation und Verfügbarkeit des Verantwortlichen

Zeit vom Verständnisgewinn, was das Ereignis be- > Interpretation der Analyseergebnisse
8.3

Entscheidungs- deutet bis zur passenden Reaktion (Entscheidung) zeitlicher Abstand > Entwicklung der Lösungsstrategien
Latenz darauf sozialer Abstand > Entscheidungsfindungsprozess
> Freigabe- und Beschaffungsspielregeln

uni-osnabrueck.de/Files/WI2015-D-14-00101.pdf (Zugriff: 09.03.2017)


Implemen- Zeit von der Entscheidung, wie auf das Ereignis zu > Beschaffung, Zulieferung
tierungs- reagieren ist über die Lösungsumsetzung bis zum zeitlicher Abstand > Ressourcenverfügbarkeit
Latenz Eintreten der Wirkungsentfaltung > Arbeitsaufwand der Lösungsumsetzung
> Systemträgheit

Tab. 22: Übersicht der verschiedenen Latenz-Typen; Quelle: In Anlehnung an: http://www.wi2015.
Gesamtlatenz-Zeit ist, desto stärker fällt die Wertminderung eines Produkts bzw. der
stanzen zurückzuführen sind (siehe Tabelle 22). Als Daumenregel gilt: Je größer die

215
aus verschiedenen Einzel-Latenzen zusammen, die auf unterschiedliche Aktionsdi-
und der abgeschlossenen Reaktion darauf vergeht. Die Gesamtlatenz-Zeit setzt sich
Unter Latenz oder Latenz-Zeit versteht man die Zeit, die zwischen einem Ereignis
Neue digitale Navigationsinstrumente
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8 Orientierung: Ergebnisse im Blick behalten

Eines der entscheidenden Entwicklungsziele digitaler Prozesse ist die Bereitstellung


relevanter Prozessinformationen in Echtzeit. Das erfordert die tagtägliche Auseinan-
dersetzung mit den eben beschriebenen Prozess-Latenzen und eine stetige Verkür-
zung der Aktionsdistanzen im Prozess.

Erst jahrzehntelange Erfahrung hat Flugzeugbauer dazu gebracht, Kontroll- und Steu-
erinstrumente ausschließlich im Cockpit eines Flugzeugs anzubringen. Diese erlauben
es den Piloten, in kürzester Zeit auf ungewöhnliche Situationen zu reagieren. Das ist
angewandtes »Action Distance Management«! Stellen Sie sich nun vor, der Pilot müsste
stattdessen zum Heck des Flugzeugs gehen, dort die Kontrollinstrumente ablesen und
anschließend wieder ins Cockpit zurückkehren, um dort entsprechende Korrekturmaß-
nahmen einzuleiten. Keiner von uns säße wohl gerne in so einem Flugzeug.

Aber genau das wird – um die Analogie auf Unternehmen zu übertragen – beim
Management von Geschäftsprozessen viel zu oft billigend in Kauf genommen. Regel-
mäßig werden Entscheidungen nicht dort getroffen, wo Know-how und Messinstru-
mente (Informationen) vorhanden sind, sondern an Stellen, die vom Prozess bzw. dem
entscheidungsrelevanten Ereignis weit entfernt sind. In einem Zeitalter, in dem Infor-
mationen innerhalb von Sekunden globale Bedeutung erlangen können, ist das ein
mitunter dramatischer Wettbewerbsnachteil.

8.3.2 Mit der Prozesssimulation Leitplanken definieren

Ein weiteres Navigationsinstrument, das im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung


gewinnt, ist die computergestützte Prozesssimulation. Eine solche Simulation stellt
natürlich keine Überwachungsinstrumente im klassischen Sinne zur Verfügung.
Schließlich gibt ein Flugsimulator einem Piloten auch keinen Aufschluss darüber, was
ihn auf dem nächsten realen Flug erwartet, sondern ermöglicht ihm lediglich, für so
ziemlich alle denkbaren Situationen zu trainieren. Mittels Prozesssimulationen kön-
nen jedoch immerhin Leitplanken stabilen Prozessverhaltens definiert werden, deren
Überschreitung eine leistungsbeeinträchtigende Abweichung vom herkömmlichen
Verlauf vorwegnimmt. Zudem wird durch die Simulation eine »Baseline«, eine Art
Sammlung von Kennwerten, etabliert, die eine gesunde Prozessleistung beschreibt.
Die Baseline-Daten dienen später als Grundlage für die Prozessüberwachung (siehe
Abbildung 99) und werden in einer dedizierten Baseline-Datenbank vorgehalten. Wün-
schenswerte Prozessverbesserungen werden vorab in einer Simulation durchlaufen
und Änderungen in der Baseline-Datenbank aktualisiert. Sie beschreiben nun das
neue »normale« Prozessverhalten.

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8.3 Neue digitale Navigationsinstrumente

Kennzahlen-Ausgestaltung
* Identifikation und Definition der Kennzahlen
* Wahl der Baseline (Benchmark)
* Definition der Messpunkte

Baseline-Datenbank (Benchmarks, Kennzahlen)

Analyse

Kennzahlen-Analyse Kennzahlen-Controlling
Steuerung & Geschäfts- Design/
* zeit- und ortsabhängige Überwachung prozess- Verbesserung * Überwachung der
Analyse der Prozess- simulation Kennzahlen
indikatoren * Protokollierung der Werte
* Festlegung der * Abgleich mit der
Abweichungen Umsetzung gewählten Baseline
von der Baseline * Alarmierung der
* Berücksichtigung der Verantwortlichen
Controlling-Erfahrungen Prozess-Warehouse * automatisches Auslösen
* Vorbereitung der von Korrekturmaßnahmen
Werkzeuge-Analyse Werkzeuge-Überwachung
Maßnahmenentwicklung
* Simulation * Cockpits
* Process Mining * Reports
* BI Werkzeuge * Alarme
* Activity Distance
Management

BI = Business Intelligence

Abb. 99: Ableitung von Baseline-Daten durch Prozesssimulation; Quelle: In Anlehnung an PwC,
a. a. O. (Fn. 85), S. 37

Neben einer regelmäßigen Pflege der Baseline-Daten sollten auch die in Abbildung 99
beschriebenen Analysewerkzeuge (Prozess Mining, Activity Distance Management, Simu-
lationsinstrumente) regelmäßig gepflegt und aktualisiert werden. Wenn dies unterbleibt,
relativieren sich die aus der Simulation gewonnenen Einsichten sehr schnell. Baseline
und Leitplankenwerte, die den Korridor gesunden Prozessverhaltens definieren, veralten
dann rasch und führen die angestrebte Prozessüberwachung letztlich ad absurdum.

Die meisten Geschäftsprozessmanagement-Tools . (BPMS111-Plattformen) sind bereits


üppig mit Simulationsfähigkeiten ausgestattet und werden auch entsprechend
beworben. Genauer betrachtet, stellt sich der Markt allerdings doch recht unüber-
sichtlich dar und verändert sich zudem rasant. Alleine, welche Tools mit Prozesssi-
mulatoren ausgerüstet sind, ist nicht immer einfach feststellbar. Schwieriger wird es
dann, wenn das teilweise doch sehr unterschiedliche Simulationsverständnis (also
was überhaupt als Simulation verstanden wird) der Hersteller zu interpretieren ist.
Verstehen manche Hersteller darunter eine stochastische, also eine datenbasierte
Simulation, bieten zahlreiche Hersteller die Animation einzelner Prozessdurchläufe
ebenfalls unter dem Etikett »Prozesssimulation« an. Die Auswahl eines geeigneten
Simulations-Tools sollte deshalb stets über einen Testbetrieb erfolgen und auch ver-
fügbare Open-Source-Systeme mit einschließen.

111 Die Abkürzung steht für Business Process Management System

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Jede Bergtour bringt Sie irgendwann einmal an einen Punkt, an dem Sie Ihren Blick
stolz über den zurückgelegten Weg schweifen lassen: zufrieden mit dem bisher
Erreichten. Gleichzeitig nehmen Sie den noch vor sich liegenden Weg in Augenschein.
Ein Moment der Klarheit stellt sich ein, in dem Sie mit sich im Reinen sind. Im selben
Augenblick jedoch denken Sie bereits an die Entscheidung, die Sie alsbald treffen
müssen. Auf demselben Weg zurückkehren oder den unbekannten Weg fortsetzen?

Vielleicht sind Sie an diesem Tag schon etwas müde oder nicht wagemutig genug, um
weiter zu marschieren, und ziehen die sichere Heimkehr einem ungewissen Weg vor,
wohl wissend, dass auch der Weg zurück noch einiges von Ihrer Zeit und Kraft bean-
spruchen wird. Vielleicht beugen Sie sich einem drohenden Gewitter und nehmen die
Rückkehr gerne in Kauf. Vielleicht aber ist der Reiz des neuen Weges so groß, dass Sie
Ihr Glück versuchen wollen und mit frischen Kräften weitermarschieren. Vielleicht gibt
es am Ende auch keinen Ort mehr, zu dem Sie zurückkehren wollen.

Ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, Sie sind am Ende weiter vorangeschritten,
haben neue Erfahrungen und gewiss auch die eine oder andere neue Einsicht gewon-
nen. Der Tag am Berg hat Sie und Ihr Handeln verändert.

9.1 Es muss nicht immer disruptiv sein: Die Dualität der


Digitalisierung
Digitalisierung wird immer wieder mit Disruption gleichgesetzt. Mit einer revolutionä-
ren Veränderung von Prozessen und Organisationen. Dies muss jedoch nicht immer
der Fall sein. Digitalisierung ist nicht notwendigerweise immer sofort eine Abkehr vom
oder ein Umkrempeln des Alten, sondern kann auch bestehende analoge Strukturen
einfach nur in äquivalente digitale Strukturen überführen. Ich spreche an dieser Stelle
immer gerne von der »Dualität« der Digitalisierung. An den Stellen, an denen der Pro-
zess nach erfolgter Digitalisierung unverändert weiter so abläuft wie bisher, erlebt
man eine non-invasive Form der Technologisierung. Beispiele dafür sind die Digita-
lisierung von Templates, die Eins-zu-eins-Übertragung eines analogen Prozesses in
eine digitale Form oder die Automatisierung des Prozesses durch Software-Roboter
(siehe Kapitel 9.2).

Auf der anderen Seite stehen invasive Formen der Digitalisierung, die den Prozess an
sich radikal verändern oder sogar durch komplett neue Abläufe ersetzen. Das haben
wir beispielsweise mit der Einführung digitaler Plattformen wie Uber, Airbnb, Alibaba
oder Facebook sehr anschaulich erlebt. Invasive Digitalisierung geht sehr oft auch in

219
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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Verbindung mit der Einführung neuer Technologien einher, die naturgemäß andere
Anforderungen an den Altprozess stellen. Ein sehr aktuelles und prägnantes Beispiel
bietet die Automobilindustrie. Sie steht in den nächsten Jahren vor der immensen
Herausforderung, Prozesse zu entwickeln, die mit der Bereitstellung vollautomati-
sierten Fahrens (siehe Kapitel 9.3) mithalten können. Insbesondere die Zulassung von
vollautomatisierten Fahrzeugreihen, bei denen es sich im Kern weniger um Fahrzeuge
als vielmehr um fahrende Computer handelt, stellt Automobilhersteller heute noch
vor große Hürden. Situationen, in denen ein Computer in Sekundenbruchteilen eigen-
ständige Entscheidungen ohne das Zutun eines Menschen trifft, bedürfen anderer
Freigabeprozesse (siehe Kapitel 9.3.2.2) als bisher. In den Planspielen der Automobil-
bauer spielen dabei neue Technologien wie Blockchain und Smart Contracts für die
Ausgestaltung neuer Prozesse eine zentrale Rolle.

Dieses Kapitel versucht gleichermaßen dieser Dualität der Digitalisierung Rechnung


zu tragen als auch auf aktuelle Entwicklungen in der Technologisierung von Prozessen
einzugehen. Deshalb habe ich mich entschieden, für beide Seiten (invasiv, non-inva-
siv) einen entsprechenden Vertreter vorzustellen. Mit der Robotic Process Automation
stelle ich einen bereits aufstrebenden Vertreter der non-invasiven Digitalisierung vor,
der einer weiteren interessanten Entwicklung Vorschub leistet: dem zukünftig grö-
ßere Bedeutung zufallendem Insourcing von vormals outgesourcten Prozessen (siehe
Kapitel 9.2.5). Als Vertreter der invasiven Seite bietet sich mit der Besprechung vollau-
tomatisierten Fahrens ein sehr zeitgemäßes und interessantes Technologiefeld für die
Weiterentwicklung und Etablierung der dafür notwendigen Prozesse an. Nicht zuletzt,
weil hier bestehende Industrien (Telekommunikation, Telematik, Automobilbau,
Software-Technologie) auf eine symbiotische Art und Weise miteinander verbunden
werden, die wiederum zur Entstehung gänzlich neuer Wertschöpfungsketten führen
werden.

9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter


übernehmen das Steuer
In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten zwi-
schen Kunden und Unternehmen dramatisch vervielfacht. Neben E-Mails, dem Inter-
net, sozialen Plattformen, Smartphones, Tablets, der Cloud, dem Internet der Dinge
(IoT) existieren ebenfalls die immer noch altbekannten Kommunikationsmittel wie
Dokumente, Dateien, Briefe oder Faxe. Diese Kommunikationsmittel (Abbildung 100)
sind oft miteinander verbunden, aber nicht immer miteinander kompatibel.

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

Abb. 100: Vernetzung von Anwendungen und Kommunikationsmitteln; Quelle: Eigene Darstellung

Ständig müssen Routineprozesse wie die Prüfung von Datensätzen, das Erstellen von
Berichten oder auch das Anlegen von Kunden- und Lieferantendaten durchgeführt
werden. Die zunehmende Vernetzung oftmals inkompatibler Anwendungen führt
dadurch zu hohen Transaktionsvolumina. An vielen Stellen geschieht diese Vernet-
zung nach wie vor manuell durch menschliche Bearbeiter (siehe Abbildung 101).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

>

>

>

>

Abb. 101: Vernetzungsdruck führt zu hohen Transaktionsvolumina; Quelle: Eigene Darstellung

Die Entwicklung, Pflege und Programmierung von Schnittstellen sind oft teuer. Skripte
oder Makros eignen sich meist nur für Einzelfälle. Das Outsourcing in Niedriglohnlän-
der wiederum wird durch erhöhte Koordination und Kommunikation erschwert und
bringt zudem das Problem der Zeitverschiebung mit sich. Darüber hinaus führt es
regelmäßig zu Know-how- und Reibungsverlusten (nicht nur in der einmaligen Transi-
tionsphase, sondern auch während des normalen Betriebs durch die sehr hohe Fluk-
tuation in den Outsourcing-Ländern). Dies fördert Fehler und beeinträchtigt die Qua-
lität der Prozessleistung und Prozessergebnisse.

Diese Ausgangssituation hat in letzter Zeit sehr stark das Aufkommen einer »neuen«
Technologie im Werkzeugkoffer der Prozessoptimierung begünstigt: Robotic Process
Automation. Im Kern handelt es sich um die Automatisierung von Vorgängen, die
sich durch ein sehr hohes Maß an wiederkehrenden manuellen Arbeitsschritten aus-
zeichnen. Roboter, sogenannte »Bots«, übernehmen eins zu eins die Tätigkeiten eines
menschlichen Bearbeiters.

Beispiele dafür sind der Eintrag von per E-Mail eingegangenen Bestellungen in ein
Bestellsystem oder das Ausfüllen von Formularen diverser Backoffice-Prozesse. Hier-
bei handelt es sich aber nur um eine scheinbare Prozessoptimierung. Der Prozess an
sich erfährt dabei keine Änderung, es findet lediglich eine Übertragung von Arbeit
auf einen Roboter statt, die zuvor ein Mensch geleistet hat. Diese Roboter sind weder
mit Sensoren noch mit Greifarmen ausgestattet. Sie sind für das Auge unsichtbar. Die
Roboter, die im Büro ihren Dienst versehen, sind ein mehr oder weniger intelligentes
Stück Software.

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

Und wirklich neu sind sie auch nicht. Schon Anfang der 2000er Jahre kam bei der Soft-
wareentwicklung Automatisierungssoftware zum Einsatz. Die Qualität der Software
wurde dabei durch das systematische Ausführen von Testfällen sichergestellt, die in
Form von »Capture and Replay«-Makros aufgezeichnet und automatisiert (und damit
schneller und ressourcenschonender) ausgeführt wurden. Dasselbe Prinzip liegt RPA-
Lösungen zugrunde. Derzeit verfügen wenige RPA-Lösungen über intelligente Funkti-
onen und sie lassen sich nur für einzelne Prozessteile einsetzen. Einfache Software-
Roboter können oft unstrukturierte Daten (beispielsweise eine individuell verfasste
E-Mail-Bestellung) nicht verarbeiten und sind nicht flexibel genug, sich automatisch
an Änderungen anzupassen. Das macht den Einsatz von Software-Ingenieuren not-
wendig, welche die Bots warten und Änderungen an der Programmierung vornehmen
müssen. Dies kann unter Umständen den realisierten Zeitvorteil zunichtemachen,
zumal sich die Wartung typischerweise ja nicht auf einen Roboter beschränkt, son-
dern auf alle im Prozess zum Einsatz kommenden Roboter erstreckt.

Der Fairness halber sei erwähnt, dass dies jedoch nicht der ganzen Wahrheit ent-
spricht. So simpel kommen RPA-Lösungen schon lange nicht mehr daher. Derzeit
experimentieren Anbieter und einige wenige Kunden mit intelligenteren RPA-Lösun-
gen, die deutlich weitreichendere Funktionen anbieten. Dazu gehören beispielsweise
die Erfassung unstrukturierter Daten, intelligente Texterkennung (OCR), die Mög-
lichkeit zur Workflow-Orchestrierung, der Einsatz künstlicher Intelligenz (Machine
Learning), die Verfügbarkeit von Omni-Channel-Technologien sowie umfassende
Analysewerkzeuge. Der Einsatz dieser, unter dem Stichwort RPA zusammengefassten
Technologien beinhaltet fast immer auch eine Anpassung bzw. Änderung des beste-
henden Prozesses, sei es die Erweiterung der Aus- und Eingabemöglichkeiten eines
Softwareprogrammes, die Zusammenführung verschiedener Channel-Formate an
einen Analyseort oder die inhaltliche Anpassung von Schnittstellen.

Die Einführung von Robotic Process Automation in den Unternehmensalltag ist sehr
verführerisch. Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von RPA-Software
zurecht schnelle ökonomische Vorteile. Zu den Vorteilen zählen unter anderem die in
Abbildung 102 aufgeführten Vorzüge.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Abb. 102: Typische Vorteile von Robotic Process Automation; Quelle: Eigene Darstellung

Noch ein kleiner Hinweis in eigener Sache. Da ja die Mehrzahl der RPA-Lösungsanbie-
ter aus dem anglophonen Sprachraum stammen, sind die gängigen Fachbegriffe in
der Regel englischsprachig und zumeist, wie auch bei anderen IT-Themen üblich, mehr
oder weniger leserfreundlich eingedeutscht. Diese schlechte Angewohnheit werde ich
im Folgenden auch übernehmen, damit sie RPA in ihrem Arbeitsalltag erkennen und
die Sprache von Beratern und Lösungsanbietern beherrschen.

RPA ist ideal für Aufgaben, die keine menschliche Intervention (RPA 1.0) benötigen.
Diese Aufgaben nennen wir »unbeaufsichtigt« oder »unattended« (Abbildung 103).
Das sind typischerweise stark regelbasierte Prozessschritte mit hohem Wiederho-
lungscharakter, die noch dazu sehr strukturiert und für Software-Augen (und unsere
»Bots« sind ja nichts anderes als eine mehr oder weniger intelligente Softwarelösung)
gut erkennbar und interpretierbar sind.

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

Abb. 103: Spektrum der RPA-Lösungen; Quelle: Eigene Darstellung

Eine Vielzahl von Aufgaben benötigt jedoch immer noch menschliche Unterstützung
oder Interpretationsleistung. Diese Prozessschritte bezeichnen wir als beaufsichtigte
Aufgaben (RPA 2.0) oder »attended tasks« (Abbildung 103). Beispiele dafür sind dem
Kunden zugewandte Aktivitäten wie die IVR-Unterstützung112 bei Customer-Service-
Prozessen, unterstützende Chat-Bots auf Webseiten oder Handlungsvorschläge auf
Basis von Handlungen oder Datenbeschaffungsvorgängen, die in der Vergangenheit
getätigt wurden. Diese Aufgaben benötigen immer noch eine menschliche Führung.
RPA-Bots füllen hierbei nur eine unterstützende Rolle aus, die dem ausführenden
menschlichen Bearbeiter monotone und zeitraubende Routinevorgänge abnimmt.

112 Interactive Voice Response

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Daneben existieren viele andere Tätigkeiten, die menschlicher Kopfarbeit bedürfen.


Typischerweise sind dies komplexere, hochwertige Aufgaben, die für uns ohnehin
intellektuell interessanter sind als reine Routinetätigkeiten. Diese Tätigkeiten fallen in
die Kategorie rein manueller (»manual tasks«) Aufgaben, für die »noch« keine Automa-
tisierung möglich ist. Sie sollten jetzt jedoch nicht beruhigt durchatmen und sich mit
der Sichtweise entspannt zurücklehnen, dass menschliche Denkprozesse eben nicht
durch »Maschinen« zu ersetzen sind. In der RPA-Community diktiert eine gänzlich
konträre Denkweise das Handeln. Man experimentiert dort vielmehr mit ersten, zuge-
gebenermaßen noch sehr eingeschränkten, KI-Lösungen (Künstliche Intelligenz), die
den vollständigen Ausschluss menschlicher Handlungen (RPA 3.0 und RPA 4.0, siehe
Abbildung 103) zum Ziel haben.

Untersuchungen113 zeigen, dass der Einsatz von RPA an den richtigen Stellen im Pro-
zess durchschnittliche Kostenersparnisse von 25 bis 65 % realisieren kann. Auch
die teilweise rasanten Amortisationszeiträume114 (oftmals hat sich eine RPA-Lösung
bereits nach sechs bis neun Monaten amortisiert) zaubern so manchem Manager ein
glückliches Lächeln ins Gesicht.

Natürlich sind diese Erfolgsgeschichten nur möglich in Prozessen, die ein hohes
Transaktionsvolumen und einen gut strukturierten Prozessverlauf aufweisen. Mit
»strukturiertem Prozessverlauf« sind Prozesse gemeint, die zwar alle Arten von Ein-
schränkungen wie Medienbrüche oder inkompatible, nicht integrierte Anwendungen
beheimaten können, aber immer wieder an denselben Stellen in Dokumenten, E-Mails
oder Systemen Informationen verarbeiten. Ist hier keine Einheitlichkeit in der Infor-
mationsstruktur gegeben, ist das selbst für menschliche Augen eine Herausforderung,
für »Roboteraugen« jedoch noch ein K.o.-Kriterium. Zwar experimentieren führende
RPA-Anbieter mit den bereits erwähnten KI-Softwarelösungen, um aus inkohärenten
Informationen Zusammenhänge abzuleiten und die Intention des Kunden festzustel-
len. Jedoch lassen sich diese »Piloten« aufgrund der recht hohen Fehlerquoten noch
nicht sinnvoll betriebswirtschaftlich nutzen.

Die Anwendungsgebiete für RPA sind dabei so vielfältig wie die Prozesse selbst. Überall
dort, wo strukturierte Prozesse stattfinden, kann RPA eingesetzt werden. Die Software-
Roboter können Daten extrahieren, verändern und Berichte erstellen, Formulare aus-
füllen, Daten kopieren, einfügen und verschieben, Informationen aus mehreren Syste-
men und aus strukturierten Dokumenten lesen und verarbeiten oder E-Mails öffnen und
Anhänge verarbeiten, um nur einige Anwendungsbeispiele zu nennen.

113 Weissenberg Group, www.weissenberg-solutions.de/was-ist-robotic-process-automation (Zugriff: 18.08.2019).


114 Everest Group, Seizing the Robotic Process Automation (RPA) Market Opportunity, 2015.

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

Bei allem Reiz, den diese neue Technologie versprüht, so birgt sie doch auch die
Gefahr, uns träge zu machen und die eigentlichen Kernaufgaben kontinuierlicher
Prozessverbesserung vergessen zu lassen. Erinnern wir uns, dass es sich bei RPA um
eine non-invasive Technologie der Prozessoptimierung handelt. Der Prozess und alle
mit ihm verbundenen Informationsträger und Systeme bleiben beim Einsatz von Bots
unverändert. In anderen Worten, eine nachhaltige Verbesserung (Standardisierung
von Dokumenten, Behebung von Medienbrüchen, Eliminierung von Fehl- und Blind-
leistungen etc.) und damit eine echte Prozess-Weiterentwicklung findet nicht statt.
Ein etwas salopp formulierter Vergleich wäre das Bild eines Patienten, der sich auf
einer Krücke langsam vorwärtsbewegt und dem eine zweite Krücke an die Hand gege-
ben wird, sodass er schneller laufen kann. Eine echte »gesundheitliche« Verbesserung
wird man damit jedoch nicht erreichen.

Auf der Habenseite bewirkt RPA eine zusätzliche Digitalisierung der Prozesse, da
anstelle menschlicher Interaktion ein digitaler Bot waltet. Ein Bot vermerkt u. a. sehr
genau, zu welchem Zeitpunkt er einen Vorgang beginnt, welcher Art die von ihm aus-
geführte Tätigkeit ist, wohin er die Information übertragen hat, wie lange er für den
gesamten Vorgang gebraucht hat und welche Fehler dabei aufgetreten sind. Diese
Informationen sind wichtig, um Fehler zu finden, aber auch, um Betrug oder andere
Versuche, die Arbeit eines Roboters zu untergraben, zu erkennen. All diese Informa-
tionen werden in entsprechenden Bot-Logfiles dokumentiert und stehen für weitere
elektronische Auswertungen und Analysen zur Verfügung. Darüber hinaus finden diese
Daten Anwendung in der Modellierung und Vorhersage zukünftigen Prozessverhaltens
(beispielsweise auch durch Process Mining nutzbar, siehe Kapitel 3.5). Sie schließen
Prozesslücken, meist an den Stellen, an denen menschliche Bearbeiter zuvor deutlich
weniger Prozessdaten hinterlassen haben.

9.2.1 Voll im Trend: RPA-Marktvolumen

Eines ist ganz klar. Der Markt für Software-botgestützte Automatisierung von Prozes-
sen boomt. Waren es im Jahr 2016 noch ca. 250 Millionen US-Dollar, verzwölffacht sich
der Markt innerhalb von fünf Jahren auf 2,9 Milliarden115 US-Dollar in 2021. Zwei von
drei Unternehmen116 werden 2020 bereits RPA-Serviceleistungen in Anspruch neh-
men, Tendenz steigend. Noch sind dies überwiegend Großunternehmen mit »reifer
IT«, d. h. zahlreiche Prozesse laufen dort bereits weitgehend IT-gestützt (wenn auch
nicht frei von Medienbrüchen und manuellen Routineaufgaben) ab.

115 The Forrester Wave™: Robotic Process Automation, Q1 2017, https://www.forrester.com/report/The+RPA+


Market+Will+Reach+29+Billion+By+2021/-/E-RES137229 (Zugriff: 27.04.2020).
116 Deloitte Consulting, https://www2.deloitte.com/bg/en/pages/technology/articles/deloitte-global-rpa-
survey-2018.html (Zugriff: 27.04.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

9.2.2 Der gläserne Mitarbeiter: Leistungs- und Verhaltenskontrolle

Qualitative und quantitative Kontrollen der Computertätigkeiten von Anwendern


dürfen nicht ohne ihr Wissen durchgeführt werden. Setzt ein Arbeitgeber techni-
sche Einrichtungen zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle ein, sollte der Betriebsrat
von Beginn an aktiv mit eingebunden werden. Derartige Einrichtungen unterliegen
sowohl bei ihrer Einführung als auch bei ihrer Anwendung in Deutschland, Österreich
und der Schweiz der Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates. Typische Logging-
und Monitoring-Funktionen von RPA-Lösungen erfüllen alle Voraussetzungen solch
technischer Einrichtungen. RPA-Anbieter argumentieren, dass bei der Leistungs- und
Verhaltenskontrolle eines Roboters keine Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Das
ist bezogen auf den Roboter sicherlich richtig, jedoch lassen sich im Gesamtprozess
an den Stellen, an denen noch Menschen Tätigkeiten verrichten, möglicherweise indi-
rekte Rückschlüsse auf die von Menschen verrichtete, wertschöpfende Tätigkeit zu.
Dort, wo die Leistung eines Roboters endet, die er mit einem Zeitstempel dokumen-
tiert, und menschliche Arbeit beginnt, deren Ergebnisse vielleicht auch wieder von
einem Bot weiterverarbeitet werden, sind sehr wohl Rückschlüsse (wenn auch mög-
licherweise indirekter Natur) auf die menschliche Leistungsfähigkeit möglich. Des-
halb sollte neben der Suche nach geeigneten Prozessstellen, an denen RPA sinnvoll
einzusetzen ist, auch die Evaluierung potenzieller Leistungskontrollen wesentlicher
Bestandteil bei der Einführung von RPA-Lösungen sein.

9.2.3 Vorbehalte ernst nehmen: Veränderungsmanagement


bei RPA-Projekten

Auch wenn sich der Prozess bei der Einführung von RPA-Lösungen nicht ändert,
bedeutet das jedoch oft massive Veränderungen für die betroffenen Mitarbeiter.
Stellenbeschreibungen ändern sich, Arbeitsplätze entfallen, Kompetenzen werden
geschmälert oder gehen gänzlich verloren. Die mit der Einführung von RPA verbunde-
nen neuen Herausforderungen und Ängste fördern interne Widerstände, die oftmals
das Zeug dazu haben, ganze Automatisierungsprojekte zu sabotieren. Mögliche Vor-
behalte beschränken sich jedoch nicht nur auf die Mitarbeiter. Auch Führungskräfte
sind bei RPA-Einführungen immer wieder verunsichert. Ob es die Fähigkeit der Soft-
ware-Bots betrifft, Datensicherheit zu gewährleisten, den Verlust von Einfallsreichtum
und Kreativität der Mitarbeiter oder die Abwanderung vitalen Prozesswissens. Diese
Vorbehalte müssen von Anfang an ernst genommen werden. Ihre Adressierung ist die
vordringlichste Aufgabe des Top-Managements und muss von Anfang an in einem ent-
sprechenden Steuerungsgremium verankert werden.

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

9.2.4 Auch Bots brauchen Pflege: Farmer der Digitalisierung

Erwecken Software-Roboter, gerade zu Beginn eines Einführungsprojektes, auch den


Eindruck, unabhängig und frei irgendwelcher Beaufsichtigung ihre Aufgaben erfüllen
zu können, ist dies jedoch trügerisch. Die Programmierung, Überwachung, Pflege
und Administration von Bots schafft eine Vielzahl neuer Aufgaben und Arbeitsplätze
für die Mitarbeiter. Üblicherweise werden alle neuen roboterbezogenen Aufgaben in
einer Roboterfarm117 gebündelt, die von qualifizierten Mitarbeitern bewirtschaftet
werden. Es ist daher eine der vordringlichsten Aufgaben im Veränderungsprozess, die
Mitarbeiter vor der Einführung von RPA für die Arbeit in den Roboterfarmen zu befä-
higen. Sie sollten bedenken, dass sich RPA zwar schnell umsetzen lässt, aber Sie bei
unzureichender Befähigung riskieren, Ihr Personal überfordert oder frustriert zurück-
zulassen. Bei ihren ersten Gehversuchen mit RPA tappen immer wieder Unternehmen
in diese Falle.

Ebenso wichtig ist eine gute Geschichte. Stellen Sie von Anfang an die Vorteile einer
RPA-Einführung heraus. RPA vernichtet nicht einfach nur Arbeitsplätze, sondern
befreit Mitarbeiter von sich stetig wiederholenden, langweiligen Tätigkeiten. Befreit
von lästigen Routineaufgaben können sich diese Mitarbeiter anderen Aufgaben wid-
men, die menschliche Stärken erfordern, wie beispielsweise Urteilsvermögen, emoti-
onale Intelligenz oder einfach nur Instinkt. Vergessen wir dabei nicht, dass es nicht nur
darum geht, einfach nur die Prozesskosten zu senken, sondern vor allem auch darum,
Durchlaufzeiten zu beschleunigen, höhere Stückzahlen (mehr Vorgänge) zu produzie-
ren, Prozessfehler zu reduzieren und wertvollen Mitarbeitern anspruchsvollere Aufga-
ben anbieten zu können.

9.2.5 Die Heimkehr der Prozesse: Insourcing durch Automatisierung

Im Verlauf der letzten 20 Jahre haben Unternehmen branchenunabhängig immer wie-


der einen Teil ihrer Prozesse an externe Dienstleister ausgelagert.

Gründe für das Outsourcing waren und sind für Firmen vor allem immer wieder die
Erzielung von Kosten-, Geschwindigkeits-, Transparenz-, Flexibilitäts- und Quali-
tätsvorteilen. Allerdings wurden seit jeher diese Vorteile u. a. durch deutlich höhere
Kommunikations- und Steuerungsaufwände, Kontrollverluste, gestiegene Abhängig-
keiten, ein verschlechtertes Betriebsklima und ungewollte vertrauliche Einblicke ins
Kerngeschäft mitunter doch recht teuer erkauft.

117 Zahlreiche Anbieter nennen diese Überwachungs- und Entwicklungsinstanz auch Center of Excellence.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Daher verwundert es nicht, dass Firmen munter darüber nachdenken, vor Jahr und
Tag ausgelagerte Prozesse wieder in heimischere Regionen zurückzuführen. Neben
schrumpfenden Kostenvorteilen118 in asiatischen und osteuropäischen Outsourcing-
Zentren empfiehlt sich RPA als Treiber der aufkeimenden Insourcing-Bewegung.

Die Anwendung von RPA in den dafür geeigneten Prozessen egalisiert die Gründe für
komplizierte Outsourcing-Verfahren. Streng genommen ist RPA ja auch eine Form von
Outsourcing, aber eben an einen Roboter (oder eine Roboterfarm) anstatt eines exter-
nen Dienstleisters.

9.2.6 Roboterfarmen: Die neuen Ghettos der Digitalisierung

2021 werden bereits mehr als vier Millionen Roboter119 in der Prozessautomatisierung
ihren Dienst versehen. Auch diese digitalen »Mitarbeiter« brauchen eine Heimat. RPA-
Anbieter nennen diese Orte »Bot-Farms« oder Roboterfarmen. Bevor wir aber über
Bot-Farmen sprechen, müssen wir noch klären, was ein Bot überhaupt ist. Bots sind
Anwendungen, die menschliche Arbeitsweisen im Umgang mit Benutzerschnittstel-
len von Software-Applikationen nachahmen. Ein Beispiel dafür wäre das Übertragen
von Kundendaten aus einer Excel-Datei durch Eingabe über ein User-Interface in ein
CRM-System.

Zunächst einmal mag es hilfreich sein zu verstehen, wie ein Bot überhaupt entsteht.
Ein Bot entsteht, wenn eine Aufgabe, die typischerweise von einem Menschen ausge-
führt wird, durch ein Makro aufgenommen wird. Der produzierte »Bot« wird auf Feh-
ler und Falscheingaben getestet, angepasst und in den Kontrollraum, also die Farm,
hochgeladen. In diesen Farmen können unzählige Bots ihre Heimat finden, deren Ein-
satz und Arbeitsergebnisse im Kontrollraum durch Monitoring-Software und letzten
Endes menschliche RPA-Spezialisten überwacht werden.

Damit offenbart sich sofort ein wesentlicher Aspekt von RPA-Lösungen. Bots auto-
matisieren (noch) keine Ende-zu-Ende-Prozesse120, sondern sich mehrfach wiederho-
lende Tätigkeiten oder Tätigkeitsfolgen. Betrachten wir dazu ein Beispiel. Ein Kunde
möchte eine Auskunft zu einem Produkt erhalten. Im Unternehmen wird ein entspre-
chender Prozess ausgelöst der Tage oder Wochen brauchen kann, bis die Anfrage
abgeschlossen ist. Ein Bot kann den Mitarbeiter dabei durchaus unterstützen, indem

118 Buchter, Heike: »Schluss mit der Globalisierung«, in: Zeit Online, 18.10.2017, Zugriff: 10.11.2019.
119 The Forrester Wave™: Robotic Process Automation, Q1 2017, https://www.forrester.com/report/The+RPA+
Market+Will+Reach+29+Billion+By+2021/-/E-RES137229 (Zugriff: 27.04.2020).
120 https://www.bigdata-insider.de/6-typische-fehlannahmen-bei-der-robotic-processautomation-a-840555/
(Zugriff: 08.01.2020).

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

er Daten zum Kunden abruft. Die Entscheidung, was zu tun ist, trifft in diesem Fall nach
wie vor der Mensch.

Eine BPM-Lösung wäre hier die bessere Wahl, da sie Mitarbeiter je nach Verfügbar-
keit und Know-how in den Prozess bedarfsgerecht einbinden kann. Erste Anbieter121
beschreiten dabei den Weg einer Kombination aus BPM- und RPA-Lösungen. Abbil-
dung 104 zeigt das mögliche Zusammenspiel von RPA und BPM auf.

Abb. 104: Gegenseitige Ergänzung von BPM- und RPA-Lösungen

Natürlich kann es immer wieder dazu kommen, dass einzelne Bots zeitweilig nicht
beschäftigt sind. Da traditionelle Lizenzsysteme die Anzahl der geschaffenen Bots
bepreisen (Kapazität) und damit letztendlich mit Ineffizienzen, in Form von Kosten-
nachteilen, wieder die Vorteile der Technologie schwächen, sind einige Anbieter mitt-
lerweile auch dazu übergegangen, bei Lizenzmodellen nur die tatsächlich genutzten
Ressourcen (beispielsweise tatsächlich genutzte Bots oder Verarbeitungszeiten)
abzurechnen.

Eine Bot-Farm fasst also alle in den diversen Prozessen zum Einsatz kommenden Bots
zusammen. Gleichzeitig bietet ein angeschlossener Kontrollraum eine Übersicht über
die aktuelle Leistung der Bot-Farm (siehe Abbildung 105).

121 www.softwareag.com, https://resources.softwareag.com/products-process/2019-4-fs-aris-rpa-en-robotic-


process-automation-fact-sheet (Zugriff: 08.01.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Abb. 105: Bot-Farm mit Kontrollraum, Betriebszentrale und Werkstätte; Quelle: Eigene Darstellung

Beim Übergang von kleineren zu größeren Bot-Farmen122 sind ebenfalls einige Aspekte
zu beachten. Probleme, die bei einer kleinen Bot-Farm noch kaum eine Rolle spielen,
können mit zunehmender Skalierung akut werden und erzielte Vorteile dadurch deut-
lich beeinträchtigen.
y Warteschlangen-Architektur (Aufgabenversorgung der Bots)
In kleineren Bot-Farmen mit einigen wenigen unterschiedlichen Arten von Tätig-
keitsfolgen (je nach Hersteller auch Tätigkeits- oder Prozesstypen genannt) wer-
den die Bots üblicherweise mit Aufgaben aus einem BPM-System, einer Excel-
oder csv-Datei versorgt. In großen Installationen mit Hunderten unterschiedlicher
Tätigkeitstypen begegnet man typischerweise zwei Arten von Problemen.
Bots sind in der Regel bestimmten Tätigkeitsfolgen fest zugeordnet. Infolgedes-
sen kann es immer wieder auch dazu kommen, dass Bots unterbeschäftigt sind.
Andererseits gibt es auch Tätigkeiten, deren Bearbeitung zu langsam vonstatten
geht, da nur einer oder wenige Bots mit der Bearbeitung betraut sind.
Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass einige Tätigkeitstypen wichtiger
sind als andere und vordringlich bearbeitet werden sollten. Üblicherweise führen
diese dringlicheren Tätigkeitsfolgen zu einer Überdimensionierung der Bot-Farm,
was die Zuordnung von Bots und Rechenleistung (Anzahl dedizierter Computer)
an eben diese dringlicheren Aufgaben betrifft.
In beiden Fällen führt dies zu einer verminderten Bot-Auslastung (utilization), wel-
che eine entscheidende Messgröße im Betrieb einer Roboter-Farm darstellt.
Natürlich ist es immer möglich, einem Roboter neue Tätigkeiten zuzuweisen, aller-
dings geht dieser Vorgang meist manuell vonstatten und bedarf vonseiten der
Betriebsmannschaft erhöhte Aufmerksamkeit, die wiederum zulasten der Pflege,
Entwicklung und Optimierung des Farmbestandes geht. In einer Bot-Farm strebt

122 In Anlehnung an LinkedIn, https://www.linkedin.com/pulse/takeaways-from-large-rpa-bot-farm-zbigniew-


ma%C5%82achowski/ (Zugriff: 09.01.2020).

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

man daher naturgemäß immer die bestmögliche Bot-Auslastung an, um Ineffizi-


enzen zu beseitigen und keine Lizenzkosten für müßige Bots zu verschwenden.
y Zentralisiertes Bot-Management
Um Ineffizienzen in der Aufgabenversorgung der Bots zu vermeiden, ist es hilfreich,
die im Einsatz befindlichen Bots zentral zu managen. Übersichten und Berichte zu
gestarteten, gestoppten, fehlerhaften und zugeordneten Prozessen bzw. Tätig-
keitsfolgen je Bot müssen in einem zentralen Kontrollzentrum einsehbar sein.
y Aufgaben-Monitoring, Problembehebung (troubleshooting) und Ausnahmebe-
handlung (exception handling)
Schönfärberischen Herstellerbeschreibungen zum Trotz sind in der Praxis Quoten
von mehr als 90 % erfolgreich bearbeiteter Tätigkeitsfolgen sehr schwer zu errei-
chen. Bereits eine Quote von 80 bis 90 % erfolgreich bearbeiteter Tätigkeiten stellt
ein sehr gutes Ergebnis dar. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass 10 bis 20 %
der Tätigkeiten nicht bearbeitet werden oder bearbeitet werden können. Dies
liegt u. a. an diversen Ausnahmeregelungen, Softwareänderungen, Automatisie-
rungsfehlern und inkorrekten Datensätzen, um nur einige zu nennen. Von Anfang
an sollte man bei der Inbetriebnahme und dem Betrieb von Bot-Farmen mit
hohen Fehlerquoten rechnen und ein entsprechendes Berichtswesen auf Tätig-
keitsebene vorsehen. Ebenso sollten Wiederholungsfunktionen für gescheiterte
Tätigkeiten vorgesehen werden, da in manchen Fällen ein Fehler nur temporär
auftaucht (beispielsweise sind zu einem Zeitpunkt nicht alle für die Automatisie-
rung notwendigen Voraussetzungen erfüllt, Sekunden später aber dann vielleicht
doch). Automatisierte Wiederholungsversuche könne hier die Fehlerrate signifi-
kant reduzieren. Zudem empfiehlt sich eine umfassende und anwenderverständ-
liche Verarbeitungsdokumentation (Logging), wiederum auf Tätigkeitsebene. Das
umfasst auch das automatische Auslösen von Screenshots im Fehlerfalle.
Die meisten RPA-Lösungen fokussieren sich im Monitoring mehr auf die Prozess-
als auf die Tätigkeitsebene, was die Problembehebung insgesamt doch etwas
erschwert. Anstelle mit selbstentwickelten Skripten die Lücken zu schließen,
könnte eine Alternative auch die Delegation des gesamten Tätigkeitsmanage-
ments (Task Management) an eine BPM-Lösung sein. In diesem Fall würde eine
BPM-Engine die Zeit- und Prioritätenplanung, das Monitoring, Statistiken (und
Messgrößen) sowie das Auslastungsmanagement auf Tätigkeitsebene überneh-
men und das Betriebspersonal signifikant entlasten.
y Laufende Anwender- und Fachbereichsunterstützung
Um Erfolgsraten von 80 bis 90 % sicherzustellen, ist eine enge Kooperation mit den
Fachbereichen, in denen die automatisierten Prozesse (oder eben Tätigkeitsfol-
gen) ablaufen, entscheidend. Trotz anderslautender Marketingaussagen ist RPA
keine »fire and forget«-Technologie, sondern es bedarf im Gegenteil eines nicht
unerheblichen Zeitaufwandes von Applikations-, Prozess- und Fachexperten, um
regelmäßig eine Erfolgsquote von 80 % oder mehr zu garantieren.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

y Virtualisierung
Großunternehmen unterhalten typischerweise Hunderte von Software-Anwen-
dungen mit oft sehr unterschiedlichen End User Computer-Konfigurationen. Um
weiteren Problemen zu entgehen, werden Computer zu statischen Gruppen in
verschiedenen Anwendungsprofilen (beispielsweise Profil A, B, C etc.) zusammen-
gefasst und solchermaßen standardisiert. Dies führt wenig überraschend zu einer
reduzierten Farm-Auslastung als auch zu Konflikten mit zur Verfügung stehenden
Verarbeitungszeiten (Processing Time SLAs). Hier kann Virtualisierung Abhilfe
schaffen. Ab dem Erreichen einer bestimmten Farmgröße wird es daher schwierig,
ohne Virtualisierung auszukommen.

9.2.7 Was zusammengehört soll man nicht trennen: Die neuen


Softwarelösungen

In letzter Zeit ist eine zunehmende Integration von RPA-, BPM- und Process-Mining-
Lösungen zu beobachten (siehe Abbildung 106). Beispielsweise arbeitet der RPA-Her-
steller UiPath mit dem Process-Mining-Anbieter Celonis123 bereits an Lösungen, um
Prozesse mit dem höchsten Automatisierungspotenzial zu identifizieren und zu visu-
alisieren, mit dem Ziel, entsprechende RPA-Bots zu entwickeln, zu testen und auf den
identifizierten Prozess anzuwenden. Andere RPA-Hersteller berichten von ähnlichen
Anwendungsfällen. Die technische Exhumierung von Prozessen – anhand von Spuren
im Datendschungel – hilft, die tatsächlichen Prozessverläufe zu rekonstruieren und
die für eine Automatisierung in Frage kommenden Teilprozesse bzw. Tätigkeitsfolgen
zu enthüllen.

Konformitätsüberprüfungen (siehe Kapitel 3.5) wiederum können dazu verwandt


werden, Prozessabweichungen festzustellen, Probleme vorherzusagen und Überga-
bepunkte von RPA-Bots zu Menschen (Medienbrüche, Integrationsbruchstellen) auf-
zuzeigen.

123 W.M.P. van der Alst et al.: Robotic Process Automation, Business Information Systems Engineering 60(4):
269–272 (2018).

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

Abb. 106: Zusammenspiel von BPM, RPA und Process Mining; Quelle: Eigene Darstellung

Auch von gänzlich anderer Seite wird ebenfalls eine stärkere Integration mit RPA-
Lösungen angestrebt. Der BPM-Hersteller Software AG bietet zu seinem Flagship-Pro-
dukt ARIS seit Kurzem nun auch eine RPA-Lösung 124 an.

In den nächsten Jahren bleibt die technologische Entwicklung also weiter spannend:
Eine deutlichere Integration dieser Prozesstechnologien ist zu erwarten.

9.2.8 Mit Geduld und Spucke: Vorgehen bei der RPA-Einführung

Die wenigsten Unternehmen starten gleich mit einem großangelegten RPA-Transfor-


mationsprojekt. Den meisten Firmen kommt eine schrittweise Einführung – in der Art,
erstmal die Zehen prüfend ins Wasser zu halten und die Technologie kennenzuler-
nen – entgegen. Da jedes Unternehmen anders tickt und auch grundverschieden mit
Veränderungen umgeht, müssen auch RPA-Lösungen und deren operative Umsetzung
im Unternehmen darauf Rücksicht nehmen. Ein erstes Kennenlernen und das schritt-
weise Adaptieren wesentlicher Erkenntnisse sind sehr oft die entscheidenden Erfolgs-
faktoren bei der Einführung von RPA-Lösungen.

124 www.softwareag.com, https://resources.softwareag.com/products-process/2019-4-fs-aris-rpa-en-robotic-


process-automation-fact-sheet (Zugriff: 08.01.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Darüber hinaus ist es naturgemäß gerade zu Beginn einer RPA-Einführung wichtig,


die richtigen Prozesse für eine Automatisierung auszuwählen. Im Kern geht es dabei
um den Nachweis, dass RPA eine für das eigene Unternehmen geeignete Automatisie-
rungstechnologie ist. Neben der Darstellung eines attraktiven Business Cases stehen
auch schnellere Durchlaufzeiten und Qualitätsverbesserungen für die interne Ver-
marktung an vorderster Stelle. Allein deshalb ist bei der Einführung ein schrittweises,
iteratives Vorgehen, zumindest zu Beginn, der vielversprechendste Ansatz.

Abb. 107: Vorgehen bei Einführung von RPA-Technologien; Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 107 vermittelt ein schrittweises Vorgehen zur Einführung von RPA-Lösun-
gen. Das Vorgehen ist im Folgenden genauer beschrieben.
1. Bestandsaufnahme
Am besten beginnt man mit einer Bestandsaufnahme der für eine Automatisie-
rung in Frage kommenden Prozesse. Eine erste Auswertung basiert auf leicht
zugänglichen Prozessdaten. Interessant sind hier beispielsweise die Anzahl aller
innerhalb eines Jahres ausgeführten Prozesse oder die Anzahl aller an einem Pro-
zess beteiligten Mitarbeiter (FTEs). Diese Informationen erlauben es, die Prozesse
nach ihren Prioritäten zu reihen. Die Größe des Automatisierungspotenzials und
die Bedeutung für das Unternehmen bestimmen die Priorität des identifizierten
Prozesses.
Abbildung 108 enthält eine Übersicht von Bewertungskriterien125 zur Identifika-
tion RPA-geeigneter Prozesse.

125 In Anlehnung an www.deloitte.com, https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/


operations/Deloitte_Operations_Robotics_Die-Roboter-kommen_03-2017.pdf (Zugriff: 10.01.2020).

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

Abb. 108: Bewertungskriterien RPA-geeigneter Prozesse

Das Ergebnis der Bestandsaufnahme bildet nun eine Reihung der größten Hoff-
nungsträger für eine Prozessautomatisierung durch RPA.
2. Prozessanalyse
Anschließend werden die priorisierten Geschäftsprozesse näher untersucht. Nun
geht es darum, den Prozessfluss im Zusammenhang mit den unterschiedlichen
Prozessvarianten zu analysieren, entweder manuell oder unter Zuhilfenahme von
Process-Mining-Lösungen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind wertvolle
Anhaltspunkte, um mögliche Entscheidungspunkte innerhalb des Prozesses zu
identifizieren und die Entscheidungslogik zu modellieren. Wir dürfen dabei nicht
vergessen, dass RPA-Lösungen eine stark regelbasierte Form der Automatisie-
rung darstellen. Die Software unterstützt die Automatisierung von regelbasierten
Ende-zu-Ende-Prozessen und programmübergreifenden Anwendungen durch
Interaktion mit dem User Interface (UI) oder über Standardschnittstellen (RFCs,
APIs). Wesentlich dafür ist die Identifikation von Übergabepunkten, an denen ein
Bot ein bestimmtes Arbeitsergebnis übernimmt und weiterverarbeitet, sowie
die damit einhergehenden Lösungsvarianten und Regeln, nach denen er diese
Arbeitsergebnisse erzielen kann.
Die Datenauswertung erfolgt mit Blick auf Transaktionsvolumina, Kosten, Zeit-
und Ressourcenaufwände. Sie bestimmt, für welche Prozesse eine RPA-Automa-
tisierung am besten geeignet ist.
Nur selten lässt sich ein kompletter Prozess, geschweige denn ein Ende-zu-Ende-
Prozess, durch RPA automatisieren. Deshalb ist es wichtig, in erster Linie alle Pro-

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

zessschritte (Tätigkeiten und Tätigkeitsfolgen) zu identifizieren, welche für eine


RPA-Automatisierung überhaupt erst in Frage kommen.
Leider wird bei dem ganzen Hype um das Thema sehr oft das »P« in RPA vergessen.
Dabei ist der Prozess das wichtigste Element in der Automatisierung. Viele RPA-
Lösungen bieten spannende neue Möglichkeiten, um die Leistung der Prozesse
zu verbessern. Doch den größten Nutzen erzielen sie erst im Zusammenhang mit
echten Prozessverbesserungen.
Das vordringlichste Ergebnis in diesem Arbeitsschritt ist die Identifikation eines
Pilotprozesses, an denen die Organisation erste Erfahrungen und Erfolge mit einer
RPA-Automatisierung nachweisen kann. Dies sollte nicht der komplexeste Prozess
mit dem größten Automatisierungspotenzial sein. Es empfiehlt sich dagegen ein
einfacher Prozess mit leicht umsetzbaren Automatisierungsschritten gemäß dem
Motto: Schnell erste Erfolge zeigen!
3. RPA-Software auswählen
Nicht jede RPA-Lösung passt zu den Anforderungen eines Unternehmens. Nicht
jede Software ist gleich. So verfügen einige Produkte beispielsweise über eine
sogenannte Recorder-Funktion, die die Aufzeichnung von Arbeitsschritten ermög-
licht und dadurch die Implementierungszeiten verkürzen kann. Dies kann gerade
dann relevant sein, wenn Sie sich entschließen, die Roboter-Programmierung
selbst zu übernehmen.
Weitere deutliche Unterschiede bei den Tools gibt es auch im Bereich der KI-Unter-
stützung und in Bezug auf die »Intelligenz« der Lösung. Die Hersteller, die bereits
mit Investorenkapital ausgestattet sind, entwickeln ihre Tools deutlich schneller
weiter als andere.
Doch noch weitere Punkte gilt es zu beachten. Einige Tools sind explizit für den
Einsatz in größerem Rahmen gedacht und bieten entsprechende zentrale Steue-
rungskomponenten, Tools zum Testen und zur Fehleranalyse und flexiblere Lizen-
zierungsoptionen (siehe Kapitel 9.2.6).
Deshalb ist es durchaus lohnenswert, sich nicht sofort ins Automatisierungs-Aben-
teuer zu stürzen, sondern sich vielmehr vorab Gedanken über die Bedürfnisse zu
machen, die eine entsprechende Software erfüllen muss.
4. Pilotprozess automatisieren
In die endgültige Auswahl des Pilotprozesses sollte der ausgewählte RPA-Anbieter
einbezogen werden. In der Regel gilt: Der Pilotprozess wird unter Berücksichti-
gung der Initialaufwendungen keinen positiven finanziellen Business-Case-Bei-
trag leisten können. Aber darum geht es ja auch zunächst gar nicht. In erster Linie
dreht es sich darum, Erfahrungen mit einer neuen Technologie zu sammeln und
einen ersten Erfolgsnachweis zu führen.
5. Skalierung und Strategie
Sobald der Pilotprozess erfolgreich abgeschlossen und das Potenzial von RPA im
Unternehmen nachweislich vermittelt wurde, beginnt man mit dem eigentlichen
Roll-out von RPA. Dabei ist es vorteilhaft, eine Strategie zu entwickeln, die klärt,

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9.2 Robotic Process Automation: Digitale Mitarbeiter übernehmen das Steuer

nach welchen Gesichtspunkten und in welchem Umfang RPA dauerhaft im Unter-


nehmen eingesetzt werden soll. RPA-Lösungen können nicht nur dabei helfen,
kurzfristige Kapazitätsengpässe im Unternehmen zu entschärfen, sondern bie-
ten einen Einstieg in moderne Technologien wie künstliche Intelligenz oder Low-
Code-Plattformen (grafikorientierte und dadurch vereinfachte Art der Program-
mierung im Gegenzug zu textorientierten Programmiersprachen).
Mit der Skalierung, d. h. der Automatisierung weiterer Prozesse mittels RPA,
beginnt auch der Aufbau einer entsprechenden Betriebsorganisation, die für
Entwicklung, Test, Implementierung und Pflege der Robotic-Lösungen verant-
wortlich ist. Es stellt sich dann recht schnell auch die Frage nach der Steuerung,
also danach, wo diese neue Organisationseinheit aufgehängt ist. Dies kann, aber
muss nicht die unternehmenseigene IT-Abteilung sein. Es ist durchaus von Vor-
teil, wenn Fachabteilungen eigene RPA-Spezialisten beschäftigen, da es letztlich
nicht nur um rein IT-technische Belange geht, sondern auch und vor allem um die
Verbesserung von Prozessergebnissen. Fachliche Kenntnisse sind da für die RPA-
Spezialisten ein großer Vorteil, insbesondere dann, wenn das Unternehmen nicht
nur auf die non-invasive Karte setzt, sondern auf eine Kombination von echter
Prozessverbesserung und RPA-Automatisierung.

9.2.9 Die Gewinner der Bot-Revolution: Die Transaktions-Schwergewichte

Die Einsatzmöglichkeiten von RPA variieren nach Industrie und Fachgebiet teilweise
doch recht deutlich. Begünstigt sind vor allem Industrien mit hochvolumigen transak-
tionsorientierten Geschäftsmodellen. Eine gute Übersicht zur Frage, welche Industrien
für einen Robotik-Einsatz besonders empfänglich sind, demonstriert Abbildung 109.126
Neben einer Aufstellung nach Industrien sind beispielhaft begünstigte Fachbereiche
und Prozesse dargestellt.

126 Everest Group, Seizing the Robotic Process Automation Opportunity.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Abb. 109: RPA-Einsatz in stark transaktionalen Industrien

Betrachtet man das Feld branchenunabhängig, begegnen einem immer wieder die in
Abbildung 110 dargestellten Ende-zu-Ende-Prozesse.

Abb. 110: RPA-Einsatz in typischen E2E-Prozessen

Unabhängig von Industrie, Fachbereich und Prozess bilden Callcenter sehr oft eine
gute Anlaufstelle für den Einsatz von RPA-Technologie. Typische Callcenter arbeiten
stark regelbasiert, mit sehr strukturierten Daten und sind meist hochtransaktional.
In diesem Arbeitsumfeld wird gerne die in Abbildung 103 beschriebene beaufsichtigte
Automatisierung (RPA 1.0) zur Unterstützung der Callcenter Agents eingesetzt.

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

Nun stellt sich die Frage, was denn nun digitale Prozesse mit autonomem Fahren über-
haupt zu tun haben. Was sich vielleicht nicht direkt auf den ersten Blick erschließt,
ergibt sich bei näherer Betrachtung ganz von allein. Auch wenn Automobilhersteller
momentan ihr Augenmerk noch überwiegend auf technische, juristische und ethische
Aspekte richten, bedeutet autonomes Fahren, Daten in Echtzeit empfangen, verar-
beiten und übertragen zu können. Diese Aufgabe übernehmen Prozesse, die gewähr-
leisten, dass ein Fahrzeug sicher und regelkonform vollautonom vom Ausgangs- zum
Zielpunkt bewegt werden kann. Diese elementare und einfache Wahrheit geht zurzeit
leider im Getöse rund um den Technik-Hype vollautomatisierten Fahrens unter. Wie
weit wir aktuell noch von vollautomatisierter Fortbewegung entfernt sind, zeigt uns
Abbildung 111.

Abb. 111: Fünf Stufen bis zum vollautonomen Fahren

Prozesse sind die Nabelschnur, die vollautonome Fahrzeuge mit dem Füttern, was sie
am dringendsten brauchen: Informationen. Vor allem anderen ist es deshalb notwen-
dig, dauerhaft stabil arbeitende und nonstop verfügbare Prozesse zu gewährleisten.
Nonstop-Verfügbarkeit bedeutet eine hundertprozentige Verfügbarkeit ohne eine
einzige Sekunde an Ausfallzeit. Dies gilt nicht nur für einen Prozessschritt, ein System,
einen Computer, sondern für eine Verkettung von Prozessen, die lebensnotwendige
Informationen bereitstellen. Zum Vergleich: Eine Verfügbarkeit von 99,99 % bedeu-
tet immer noch, auf ein Jahr gerechnet, eine Ausfallzeit von 52 Minuten. Zeit die wir,
für einen Prozess, der im Millisekunden Bereich existenzielle Entscheidungen treffen
muss, nicht haben. Natürlich können Systeme und Computer versagen. Sie werden

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

von Menschen gebaut und sind damit per se fehlerbehaftet. Das bedeutet aber auch,
dass Systeme und Prozesse hochredundant (ausfallsicher) ausgelegt werden müs-
sen. Zudem müssen sie mit Katastrophen wie Gewittern, schweren Stürmen, Über-
schwemmungen oder Bränden einschränkungslos verfahren können.

Wenn wir nun unser Leben einem automatisiert fahrenden Fahrzeug anvertrauen,
machen wir uns also in hohem Maße von der eingesetzten Technik abhängig. Wir
vertrauen ihr unser Leben an. Und nicht nur das. Wir vertrauen uns darüber hinaus
Algorithmen an, die an unser statt, innerhalb eines Wimpernschlags, Entscheidungen
treffen. Womöglich auch über Leben und Tod. Der Algorithmus beurteilt Verkehrssitu-
ationen und »berechnet« die bestmögliche Entscheidung. Soll dem Kind ausgewichen
werden, das noch ein produktives Erwerbsleben vor sich hat, oder dem alten Mann,
der nichts mehr zur gesellschaftlichen Produktivität beiträgt? Eine hochrangige Mana-
gerin eines Automobilzulieferers brachte dieses moralische Dilemma in einem unserer
Gespräche auf den Punkt. »Wir wissen heute noch überhaupt nicht, wie wir damit umge-
hen sollen, einem Algorithmus eine Entscheidung über Leben und Tod anzuvertrauen.
Nach welchen Kriterien soll er die Situation bewerten? Wie bringen wir unsere Entwickler
moralisch dazu, einen solchen Algorithmus zu entwickeln?«

Vielleicht ist es nach diesen Ausführungen klarer geworden, warum ich gerade auto-
nomes Fahren als Beispiel digitaler Prozessoptimierung ausgewählt habe. Beim auto-
nomen Fahren kulminieren viele Aspekte (Vollautomatisierung von Prozessen, Echt-
zeit-Datenmanagement, Nonstop-Verfügbarkeit, Ermächtigung von Algorithmen) der
Digitalisierung und schärfen auf hervorragende Art und Weise die Anforderungen,
die an die nächste Generation der Prozessoptimierung gestellt werden. Klassische
Prozessoptimierung verliert in einem vollautomatisierten Prozess ihre Bedeutung.
Vielmehr stellt die Verlagerung von Prozessen in eine vollständig autark ablaufende
digitale Welt, außerhalb unserer Alltagserfahrungen und Beobachtungen, andere
Ansprüche an zukünftige Optimierungsansätze. Prozessoptimierung wird gezwun-
gen sein, zukünftig ebenfalls in digitaler Gestalt aufzutreten, um überhaupt Analysen
eines Prozesses durchführen zu können. Ansätze wie das Process Mining werden in
dieser Welt deutlich an Bedeutung gewinnen. Schlussendlich ist autonomes Fahren
aber auch ein Paradebeispiel für den Einsatz und Umgang mit Algorithmen.

9.3.1 Disruptoren am Werk: Prozesssicht beim autonomen Fahren

Ein vollautonomes Fahrzeug muss zu jeder Zeit andere Verkehrsteilnehmer (Fuß-


gänger, Fahrzeuge, Gebäude, Radfahrer etc.) im Blick behalten, auf Veränderungen
der Verkehrssituation reagieren können, beständig Entfernungen zu Hindernissen
(Gebäuden, Baustellen etc.) und Verkehrsteilnehmern messen sowie auf unterschied-
liche Fahrbahnuntergründe reagieren können, und das alles in Echtzeit. Echtzeit-

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

datenübertragung schließt jede Form von Latenz (siehe Kapitel 8.3.1) aus. Seien es
Latenzen in den Übertragungswegen, bei der Verarbeitung der Daten oder beim Spei-
chern auf den diversen Datenträgern (Datenbanken, Apps, embedded Speichern etc.).

Man kann diesem faszinierenden Thema mühelos ganze Bücher widmen. Ich möchte
mich dabei allerdings auf einen wesentlichen Aspekt des autonomen Fahrens konzen-
trieren. Das vorliegende Kapitel hat sich deshalb zur Aufgabe gesetzt, die Prozessper-
spektive im autonomen Fahren zu vermitteln.

Mit welchen Prozessen haben wir es nun zu tun? Das wiederum hängt ganz entschei-
dend von der Phase ab, in dem sich der Werdegang des Fahrzeugs befindet. So unter-
scheiden wir im Kern zwei unterschiedliche Phasen: die Homologationsphase (die
Zulassung, Prüfung des Fahrzeugs bzw. einer Baureihe) und die Betriebsphase. Im
Nachfolgenden sind beide Phasen und ihre Prozesse detailliert beschrieben.

9.3.2 Die neue Homologation: Mit Simulationen den Prüfalbtraum


vermeiden

Bevor ein Auto überhaupt auf der Straße fahren darf, muss es von den Behörden eine
Zulassung (»Homologation«) bekommen. Fahrzeuge müssen so konfiguriert werden,
dass sie den länderspezifischen Gesetzmäßigkeiten entsprechen. Für die Zertifizie-
rung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugkomponenten bestehen in Europa drei
Systeme nebeneinander: EU-Richtlinien, ECE-Verordnungen (der Wirtschaftskommis-
sion für Europa, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen), die sich auch auf
osteuropäische Länder erstrecken und die in der nationalen deutschen Straßenver-
kehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) zusammengefassten Vorschriften. Gegenwär-
tig fokussieren sich Homologationsprozesse auf Fahrzeug-Baugruppen (Bremsen,
Beleuchtung, Sitze, Gurte, Glas usw.) und immer komplexer werdende Abgasvor-
schriften. In einer Welt aber, die sich von einem, durch rein menschliche Entschei-
dungen fortbewegten Kraftfahrzeug in Richtung einer lernenden, eigenständige Ent-
scheidungen treffendenden Software-Intelligenz hin entwickelt, verlieren bisherige
Prüfverfahren ihre Existenzberechtigung. Folgt man den in Abbildung 112 skizzierten
Ebenen der Fahrzeugentwicklung,127 wird deutlich, dass bestehende Homologations-
verfahren sich noch vor allem auf Hardware- und, nur sehr bedingt, die Computer-
Ebene fokussieren.

127 In Anlehnung an https://www.goetzpartners.com/fileadmin/user_upload/Ergebnisbericht_Entwicklung_


in_der_Automobilindustrie.pdf (Zugriff: 19.01.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Abb. 112: Drei Ebenen der Fahrzeugentwicklung (Fn. 127)

Autonome Fahrzeuge stellen nun gänzlich andere Anforderungen an den Homologati-


onsprozess, insbesondere an die im Fahrzeug verbaute Software. Produktsicherheit,
Datenvertraulichkeit und technische Compliance von Software werden zu einer Schlüs-
selgröße bei der Zulassung und dem Betrieb von Autos weltweit. Datensicherheit und
die Dokumentation von Softwarecodes müssen weltweit sicher funktionieren.

Das gilt erst recht, wenn ab 2021 soll eine Homologation der Software im Auto vor-
geschrieben wird.128 Dann müssen die Funktionalitäten der Software vor dem Einsatz
im Fahrzeug nach vorgegebenen Bestimmungen und Standards abgenommen und
freigegeben werden. Dies stellt an die Hersteller heute noch unübersehbare Anforde-
rungen an die Qualitätssicherung, das Versionsmanagement, die Dokumentation und
Nachweisführung, die bisher so nicht benötigt wurden.

Das Fahrzeug wird dabei zum rollenden Rechner.129 Ein durchschnittlicher Pkw enthält
bereits jetzt schon etwa 100 bis 150 Millionen Zeilen Software-Code. Zum Vergleich
(Abbildung 113): eine Boeing 878 bringt es auf etwa 7 Millionen, ein F-35 Kampfjet auf

128 In Anlehnung an https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/iaa-in-frankfurt-main-at-


kearney-ueber-sieben-trends-der-autoindustrie-a-1285659-5.html (Zugriff: 19.01.2020).
129 www.com-magazin.de/praxis/autonomes-fahren (Zugriff: 17.05.2020).

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

22 Millionen Code-Zeilen. Selbst komplexe Betriebssysteme (Linux 3.1 mit 15 Millionen,


Windows Vista mit 50 Millionen) bleiben weit hinter den Code-Zeilen eines Durchschnitts-
fahrzeugs zurück. Experten schätzen, dass die Software in autonomen Fahrzeugen auf
500 bis 650 Millionen130 Code-Zeilen anwachsen wird. Mitverantwortlich ist die rasant
steigende Zahl von Assistenzsystemen, vom aktiven Abstandsregler über das Kollisions-
warnsystem bis zum Müdigkeitssensor. Gefüttert werden diese Systeme durch intelli-
gente Sensoren. Bereits heute sind bis zu 100 dieser Sensoren im Fahrzeug verbaut. In
den nächsten fünf Jahren dürfte sich ihre Zahl locker verdoppeln. Doch nicht nur Sen-
soren treiben die Softwareentwicklung in den Fahrzeugen voran. Auch der rasant stei-
gende Kommunikationsbedarf der Fahrzeuge untereinander (Vehicle-to-Vehicle, V-to-
V), mit der Infrastruktur (Vehicle-to-Infrastructure, V-to-I) und der Datenaustausch mit
Navigationssatelliten (Vehicle-to-Navigation, V-to-N) und Telematik-Diensten zeichnen
für den wachsenden Softwarebedarf verantwortlich. Das Fahrzeug wird zum »Internet
auf Rädern».131

Abb. 113: Vergleich von Codebasen verschiedener Informationsobjekte

Diese Entwicklung treibt massiv die Entstehung neuer Wertschöpfungsketten in der


Automobilindustrie voran. Jahrzehntelang haben Autohersteller einen »Wir können
alles«-Ansatz verfolgt. Heute stehen Autobauer an der Schwelle einer neuen Entwick-
lung. Das maschinenbautechnische Wissen, Fahrzeuge zu bauen, allein reicht nicht
mehr aus. Vielmehr stehen Hersteller vor der Aufgabe, sich in ein Softwareunterneh-
men mit angegliederter Maschinenbausparte zu entwickeln. Für viele alteingeses-
sene Hersteller ein Albtraumszenario (siehe Abbildung 115). Wer jahrzehntelang rein
mechanische Hardware-Plattformen und Verbrennungsmotoren entwickelt hat, steht
vor der ungeheuren Herausforderung, einer überlebensnotwendigen neuen Unter-
nehmenskultur Leben einzuhauchen. Softwareunternehmen wie Google, Amazon,

130 https://informationisbeautiful.net/visualizations/million-lines-of-code/ (Zugriff:27.04.2020).


131 www.next-mobility.news, https://www.next-mobility.news/assistiertes-autonomes-fahren-worauf-es-bei-
der-it-sicherheit-wirklich-ankommt-a-694600/ (Zugriff: 19.01.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Uber oder Zoox 132 tun sich dabei naturgemäß leichter. Start-ups wie Zoox gehen sogar
den umgekehrten Weg. Dort bricht man mit herkömmlichen Strategien, Fahrzeuge zu
bauen. Zoox entwickelt zuerst die Technologie, die für autonomes Fahren notwendig
ist, danach das Fahrzeug selbst. Das physische Fahrzeug, also der Maschinenbau-
Anteil, wird quasi um die Software-Technik herumgebaut.

Abb. 114: Revolution im Homologationsprozess; Quelle: Eigene Darstellung

Traditionelle Automobilhersteller rüsten sich für diesen Schritt durch Schaffung neuer
Allianzen und Partnerschaften. Gerade in der letzten Zeit waren die Vorboten solcher
Konsolidierungsbemühungen zu beobachten (Fiat-Chrysler, Peugeot-Opel-Vauxhall).
Der Grundgedanke ist die Schaffung von zentralen Plattformkernen, die weitrei-
chende Synergien in der Produktion ermöglichen. Zusätzlich streben die Automobil-
bauer neue Partnerschaften mit Software-Herstellern an, um der neuen Komplexität
(Sicherheit, Compliance, Software-Aktualisierung und Verwaltung, Datenauswertun-
gen, künstliche Intelligenz etc.) sofort entsprechende Erfahrung und Infrastruktur
entgegensetzen zu können. Das verändert bestehende Prozesse und Abläufe signifi-
kant. Auch in diesem Fall ist der Einfluss der Digitalisierung (und das ist autonomes
Fahren letztendlich in Reinkultur) als disruptiv zu bewerten.

9.3.2.1 Testprozesse

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die schier unglaubliche Zahl von bis zu 650
Millionen Code-Zeilen zukünftiger Fahrzeug-Generationen. Gehen wir davon aus, dass

132 Google-Schwester Waymo, Amazon Beteiligung am Startup-Aurora.

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

ein Softwarefehler auf ca. 150.000 bis 200.000 Zeilen Quelltext 133 kommt, ergeben sich
bereits Tausende Angriffspunkte für Fahrbeeinträchtigungen und Sicherheitslücken.

Und nicht nur das. Mit herkömmlichen Testverfahren würde es praktisch ewig dau-
ern, die Sicherheit eines selbstfahrenden Fahrzeugs unter Beweis zu stellen. Laut dem
Darmstädter Professor Dr. Hermann Winner läge der Richtwert für die notwendigen
physikalische Testfahren bei 13,2 Milliarden Kilometern.134 Eine astronomische Zahl.
Aber es kommt noch schlimmer: Bei jeder Hardware- oder Softwareänderung müss-
ten die Testfahrten135 im gleichen Ausmaß wiederholt werden.

Dies unterstreicht noch einmal eindrucksvoll das Versagen herkömmlicher physikali-


scher (beispielsweise Crash-Test, Testfahrten) und hybrider Testverfahren (Hardware
und Software in the loop), die diese Angriffspunkte nicht mehr in ausreichendem und
notwendigem Maße abdecken können.

Strenggenommen dürfte noch nicht einmal am autonomen Fahren entwickelt wer-


den, da bis heute noch keine ausreichende Prüf- und Validationsmethodik 136 definiert
ist. Die funktionale Entwicklung autonomen Fahrens muss dabei Hand in Hand mit der
Entwicklung einer adäquaten Absicherungsmethodik erfolgen. Aller Voraussicht nach
ist sowieso mit keiner schlagartigen Einführung autonomen Fahrens zu rechnen. Des-
halb sind hier auch evolutionäre Konzepte so wichtig, die Risiken durch funktionale
Evolution, möglicherweise gekoppelt an eine volumenbegrenzte Einführung, mode-
rieren. Zudem kann eine schrittweise Einführung die Reifung einer entsprechenden
Absicherungsmethodik begünstigen.

Ein Ziel muss daher die Entwicklung prozessorientierter Testmethoden sein, die
valide Ergebnisse mit endlichem Aufwand ermöglichen. Die Herausforderung dabei
ist unter anderem, dass nicht das Verhalten aller Akteure bekannt ist. So ist zwar die
Technik eine bekannte Größe, nicht aber das Verhalten von Fahrern und Algorithmen.
Über Unfälle beispielsweise gibt es ausreichend Aufzeichnungen, nicht jedoch über
kritische Verkehrssituationen, die nicht zu einem Unfall geführt haben. Im Gegensatz
dazu werden in der Luftfahrt wiederum gefährliche Situationen, die glimpflich ausge-
hen, sehr wohl gemeldet und dokumentiert. Vergleichbare Aufzeichnungen existieren
für den Straßenverkehr (noch) nicht.137

133 Heise Online: Fahrzeugsicherheit: Wenn das Auto ein Teil des Internets wird.
134 Heise Online: Selbstfahrende Autos: Aufwand für Testfahrten ist gigantisch.
135 Ludwig Goohsen: Master Thesis: User-Centered Design of a Web-Based Graphical Road Editor to Simplify
Scenario-Based Simulation Workflows, Berlin 2017.
136 Winner: Absicherung automatischen Fahrens, 6. FAS Tagung München, 29.11.2013.
137 Heise Online: Selbstfahrende Autos: Aufwand für Testfahrten ist gigantisch.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Eine Hilfestellung für Absicherungstests bietet die Simulation mit Echtdaten. Dazu las-
sen Experten ganze Städte im Computer digital auferstehen,138 um Prozessabläufe
beim autonomen Fahren zu simulieren. Die Echtdaten dazu stammen aus vernetzen
Fahrzeugflotten,139, 140 die bereits heute auf den Straßen unterwegs sind. Tesla beispiels-
weise speichert alle Telematik-Protokolldaten. Das sind unter anderem Fahrzeugidenti-
fikationsnummer, Geschwindigkeitsinformationen, Kilometerstand, Batterieverbrauch,
Batterieladehistorie, Funktionen des elektrischen Systems, Informationen über die Soft-
wareversion, Daten des Infotainmentsystems, sicherheitsrelevante Daten und Kamera-
bilder (einschließlich Informationen über die SRS-Systeme, Bremsen und Beschleunigen,
Sicherheit, E-Bremse und Unfälle) sowie kurze Videoaufnahmen von Unfällen.

Doch das ist nicht alles: Tesla weiß ganz genau, wann man seine Hände am Lenkrad
hatte und wann nicht. Zudem werden Informationen über die Verwendung des Autopi-
loten gespeichert. Damit kann etwa festgestellt werden, ob jemand bei einem Unfall die
Hände am Lenkrad hatte, während der Autopilot aktiviert war, oder nicht.

9.3.2.2 Prüfungs- und Freigabeprozesse

Im komplexen Ökosystem vernetzten, autonomen Fahrens können Änderungen


am Fahrzeug durch das Einspielen von Software jederzeit vorkommen. Gleichzeitig
muss jeder Fahrzeughersteller aber auch jederzeit die Fahrzeugsicherheit (Security
and Safety) sowie die Einhaltung (Compliance) bestehender gesetzlicher Regelun-
gen nachweisen können. Diese für das Gemeinwohl unserer Gesellschaft definierten
Erwartungshaltungen müssen nicht nur zu jedem Zeitpunkt erfüllt, sondern auch
durch jedermann, jederzeit einsehbar und nachvollziehbar sein. Damit ergeben sich
gänzlich neue Anforderungen an die Prüf- und Freigabeprozesse von Fahrzeugen:
y Änderungen am Fahrzeug können in Echtzeit auftreten und sind ebenfalls in Echt-
zeit zu prüfen.
y Jede Änderung am Fahrzeug und der korrespondierende Prüfvorgang erzeugen
für jedes Fahrzeug Transaktionen (z. B. Prüfberichte), die zugänglich und nachvoll-
ziehbar abgelegt werden müssen.
y Jedem Mitglied unserer Gesellschaft muss jederzeit Zugang und Einsicht in die
Fahrtauglichkeit seines Fahrzeugs gewährt werden.
y Vorgenommene Änderungen und korrespondierende Prüfergebnisse müssen fäl-
schungssicher abgelegt werden.

138 Ludwig Goohsen: Master Thesis: User-Centered Design of a Web-Based Graphical Road Editor to Simplify
Scenario-Based Simulation Workflows, Berlin 2017.
139 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Autonome-Autos-Danke-dass-Sie-das-Auto-von-morgen-
testen-2760591.html (Zugriff: 02.02.2020).
140 https://www.futurezone.de/digital-life/article216654435/Traust-du-Tesla-wirklich-Das-weiss-das-
Unternehmen-ueber-dich.html (Zugriff: 02.02.2020).

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

y Änderungen am Fahrzeug können weltweit in jedem Betriebszustand des Fahr-


zeugs erfolgen.
y Änderungen können nicht nur ganze Baureihen, sondern auch nur einzelne Fahr-
zeuge betreffen.

Diese Anforderungen sind derart radikal, dass traditionelle Prüfprozesse, die durch
einen von offizieller Stelle ernannten Prüfer (z. B. TÜV) die Einhaltung von Sicher-
heits- und Konformitätsstandards sicherstellen, die neuen Anforderungen nicht mehr
gewährleisten können. In Zukunft wird ein menschlicher Prüfer eher die korrekte
Funktionsweise des Prüfsystems sicherstellen, als die Fahrtauglichkeit eines Fahr-
zeugs abzunehmen bzw. die Baureihen diverser Hersteller freizugeben.

Eine Echtzeitprüfung müssen zukünftig andere Entitäten wahrnehmen. Dafür ist die
Blockchain-Technologie besonders gut geeignet. Ebenfalls ein Kind der Digitalisie-
rung, das im Nachfolgenden sehr kurz und einfach vorgestellt wird.

Eine Blockchain141 ist eine dezentrale Datenbank, in die Vorgänge durch kryptogra-
fische Datenblöcke (sogenannte Merkle-Trees) über viele Computer hinweg aufge-
zeichnet werden, sodass die Datensätze nicht mehr rückwirkend geändert werden
können, ohne die Aufzeichnung über alle Computer manipulieren zu müssen. Diese
sehr stark vereinfachte Definition beschreibt nun den Umstand, dass ein Prüfvorgang
an vielen unterschiedlichen Stellen aufgezeichnet und dokumentiert wird. Um Fäl-
schungssicherheit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, ist hier der Einsatz von
öffentlichen Blockchains (jeder von uns kann theoretisch ein Stück davon besitzen,
sie gehört der Gesellschaft und nicht einem einzelnen Unternehmen oder einer Insti-
tution) gefordert.

Neben der Blockchain-Technologie bilden Smart Contracts einen weiteren Baustein


eines in Echtzeit ablaufenden Änderungs- und Prüfprotokolls. Ein Smart Contract 142
ist ein computerbasiertes Transaktionsprotokoll, das die Bedingungen eines Vertra-
ges implementiert. Smart Contracts sind als Computerprogramme zu verstehen, die
Entscheidungen treffen können, wenn bestimmte Konditionen erfüllt werden. Dazu
können durch den Smart Contract externe Informationen als Input verwendet wer-
den, die dann über festgelegte Regeln des Vertrages eine bestimmte Aktion hervorru-
fen. Die entsprechenden Skripte mit den Vertragsdetails werden zu diesem Zweck in
einer bestimmten Adresse der Blockchain gespeichert. Tritt das festgelegte externe
Ereignis ein, wird eine Transaktion an die Adresse gesendet, worauf die Bedingungen
des Vertrages entsprechend ausgeführt werden.

141 In Anlehnung an die Definition aus Blockchain 2.0, Dr. Julian Hosp, München 2018.
142 https://www.fit.fraunhofer.de/content/dam/fit/de/documents/Blockchain_WhitePaper_Grundlagen-
Anwendungen-Potentiale.pdf (Zugriff: 08.02.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Abb. 115: Einsatz von Blockchain-Technologien im Prüfprozess automatisierten Fahrens; Quelle:


Eigene Darstellung (in Anlehnung an Fn. 143)

Smart Contracts sind folglich Hilfsmittel, mit denen menschliche Interaktionen (bei-
spielsweise die Prüfung einer Änderung und deren Auswirkungen) automatisiert
werden, indem Verträge durch Algorithmen ausgeführt, durchgesetzt, verifiziert und
gehemmt werden können. Erfüllt also eine Änderung nicht das hinterlegte Prüfproto-
koll (also den Smart Contract), wird die Fahrzeugänderung abgelehnt und der ganze
Vorgang in der Blockchain gespeichert.

Auch hier übernehmen Algorithmen ursprünglich menschliche Aufgaben und stellen


sich wiederholt als zentrale Protagonisten der Digitalisierung heraus.

9.3.3 Fahrzeugbetrieb: Zum Statisten verdammt

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen entspannt im Fond Ihres neuen autonom fahrenden
Fahrzeuges und lesen ein Buch oder nehmen über Ihrer VR-Brille gerade an einem
Meeting teil. Plötzlich läuft ein Kind über die Straße. Gleichzeitig leuchtet auf dem
Computer-Display des Fahrzeugs der Hinweis auf ein Live-Softwareupdate des zent-
ralen Bordrechners auf. Wird der Wagen rechtzeitig bremsen? Beeinträchtigt der Ein-
spielvorgang neuer Software die Funktion des Bordrechners?

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

Wie wir uns den Ausgang dieser Verkehrssituation wünschen, ist klar. Transparent
wird aber auch, dass wir beim vollautonomen Fahren nur noch Statisten sind, abhän-
gig von Technik und Prozessen. Welchen Prozessen wir uns in der Betriebsphase unse-
res Fahrzeuges anvertrauen, besprechen die nächsten Abschnitte.

9.3.3.1 Softwareaktualisierungsprozesse

Die Software und die damit verbundenen digitalen Funktionen werden zu einer
grundlegenden Voraussetzung für autonomes Fahren. Für die Autoindustrie besteht
die große Herausforderung darin, die Schnelllebigkeit der Digitalwelt möglichst eins
zu eins im Auto abzubilden. Dafür müssen die Fahrzeuge während des Lebenszyklus
updatefähig bleiben, vergleichbar einem Handy.

Tesla hat gezeigt, wie es geht; alle anderen müssen möglichst schnell nachziehen.
»Over the air« laden die Amerikaner neue Software und so neue Funktionen ins Fahr-
zeug. Tesla hat hier das Apple-Prinzip des iPhones übernommen. Produkt-Upgrades
wie zum Beispiel zusätzliche Ladeleistung erfordern keinen Werkstattbesuch mehr.
Die schrittweise Weiterentwicklung der Fahrzeuge sichert deren Werterhalt. Fahr-
zeuge nachträglich, einfach per Mausklick, mit Funktionen aufzurüsten, könnte sich
zudem zum einträglichen Zusatzgeschäft entwickeln.

Die Hersteller gewinnen dadurch auch die Möglichkeit, die Fahrzeugflotte ohne Aus-
tausch eines Fahrzeugs in eine autonom fahrende Flotte weiterzuentwickeln. Zudem
bahnt sich in der Fahrzeugentwicklung ein Strategiewechsel an: So ist es nicht mehr
notwendig, zum SOP (Start of Production) alle Leistungsmerkmale im Fahrzeug ver-
baut zu haben, sondern lediglich die ideale Software- und Kommunikations-Plattform
entwickelt zu haben, welche die Weiterentwicklung im laufenden Fahrzeugbetrieb
begünstigt.

In Zukunft werden Fahrzeugen neue Funktionen auf drei unterschiedlichen Arten


beigebracht (siehe Abbildung 116). Die einfachste, sicherlich aber auch die mit den
größten Sicherheitsimplikationen, ist die schon beschriebene »Over the air«-Aktua-
lisierung. Da »Over-the-air« naturgemäß auch im laufenden Betrieb des Fahrzeugs,
beispielsweise auf der Autobahn, erfolgen kann, ist es existenziell, dass mit der Ver-
mittlung der neuen Software auch die korrekte Arbeitsweise der Bestandsfunktionen
auch nach dem Update erhalten bleibt. Es wäre sicherlich keine schöne Vorstellung,
nach einem »Over the air«-Update auf der Autobahn bei Reisegeschwindigkeit einen
Softwareabsturz des Autopiloten erleben zu müssen. Neue Standards in der Soft-
warequalität sind notwendig. Was wir an Softwarefehlern einem Smartphone beim
Einspielen neuer Software nachsehen, kann im Fahrzeug lebenskritisch sein.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Abb. 116: Möglichkeiten der Softwareaktualisierung von Fahrzeugflotten; Quelle: Eigene Darstellung

»Over the air«-Updates von Fahrzeugen werden wie auch bei ihren digitalen Geschwis-
tern Smartphone und Computer über WLAN oder Mobilfunknetz (siehe Abbildung 116)
durchgeführt. Neben den steigenden Anforderungen an die Qualität der Software
steigen durch die Art der Übermittlung gleichzeitig auch die Anforderungen an die
Sicherheit der Software. Die Übermittlung von Softwarepaketen stellt die Hersteller
vor neue Herausforderungen: Es gilt, den Einsatz von Schadsoftware (Viren, Malware)
und die Möglichkeit von Softwareangriffe nachweislich zu verhindern. Die gesamte
Übertragungsstrecke (siehe Abbildung 117) stellt dabei ein nicht unerhebliches Gefah-
renpotenzial dar.143 Die Übertragung der Datenpakete ist unbedingt zu schützen, da
sonst Dritte möglicherweise Zugriff auf wichtige Fahrzeugfunktionen bekommen oder
Daten abgreifen können. So existieren bereits jetzt zahlreiche Bluetooth-Konnektoren
(beispielsweise On-Board-Diagnosesysteme, ODB) im Fahrzeug, die dem Fahrer erlau-
ben, sich auf seinem Smartphone den Zustand seines Fahrzeuges anzeigen zu lassen.
Gleichzeitig ist das aber auch ein Einfallstor für weniger wohlmeinende Akteure. Der
Universität Michigan144 ist es gelungen, bei einem versuchsweisen Softwareangriff die
Kontrolle über einen Lastwagen und einen Schulbus zu übernehmen. Die verzweifel-
ten Eingriffe der jeweiligen Fahrzeugführer wurden vom System einfach ignoriert.

143 In Anlehnung an: https://www.youtube.com/watch?v=j8J9B5wlgSw&feature=youtu.be (Zugriff: 27.04.2020).


144 www.next-mobility.news, https://www.next-mobility.news/assistiertes-autonomes-fahren-worauf-es-bei-
der-it-sicherheit-wirklich-ankommt-a-694600/ (Zugriff: 19.01.2020).

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

Abb. 117: Typische »Over the air«-Übertragungsstrecke vom OEM bis zum Einzelfahrzeug
(in Anlehnung an: https://www.next-mobility.news/was-es-bei-over-the-air-updates-im-automotive-
bereich-zu-beachten-gibt-a-783494/)

Safety und Security sind daher wesentliche Aspekte für den Erfolg von OTA. Security
beschreibt dabei die Sicherheit des Übertragungswegs, Safety die sichere Umset-
zung des Update-Prozesses. Zur Security gehört unter anderem die Sicherung des
Übertragungswegs durch verschiedene Mechanismen wie TLS (SSL-Übertragung),
HTTPS, Benutzeridentifikation, VPN und E2EE. Sind diese nicht ausreichend gesi-
chert, drohen Man-in-the-Middle-Angriffe, Bordnetz-Spoofing, Diebstahl von geis-
tigem Eigentum, das Ausspähen des Fahrers oder gar Stilllegung oder Manipulation
von Fahrzeugfunktionen.

9.3.3.2 Datenübertragungsprozesse

Unabhängig ob Software- oder Datenübertragung, die Kommunikationswege zwi-


schen Fahrzeug und Datenquellen bleiben heikel und die Absicherung der Datenüber-
tragung genießt weiterhin oberste Priorität. Beim informationellen Datenaustausch,145
also bei allen Vorgängen, zu deren Ausführung die Analyse, Interpretation und Übertra-
gung von unterschiedlichsten Daten benötigt wird, kommt eine weitere Anforderung
an die Übertragung hinzu: Latenzfreiheit. Daten müssen im autonomen Fahrbetrieb
in Echtzeit verarbeitet werden. Das betrifft die Datenerhebungs- und Verarbeitungs-
prozesse im Fahrzeug sowie alle externen nicht fahrzeuggebundenen Datenprozesse.

145 Hiermit ist explizit nicht die Übertragung von Software-Paketen gemeint.

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Stolpersteine werden dabei in Zukunft vor allem große Datenvolumina sowie


beschränkte Kapazitäten von On-Premises-Netzwerken werden. Der Upload in zent-
rale Cloud-Zentren kann so quasi zu einer »Datenverstopfung« führen, was sich wiede-
rum auf den latenzfreien Abruf von Content negativ auswirkt. Gerade in Bereichen, in
denen schnelles Handeln erforderlich ist – beispielsweise wenn Sensoren einen kriti-
schen Fahrzeugdefekt melden – sind verzögerungsfreie Meldungen für unmittelbares
Eingreifen der anderen Verkehrsteilnehmer und Verkehrsleitdienste unerlässlich.

Eine weitere Hürde im IoT-Bereich (letztlich ist autonomes Fahren eine etwas kom-
plexere Ausdrucksform des Internets der Dinge) wird Konnektivität sein. Autonomes
Fahren erfordert eine flächendeckende Internetverbindung mit hoher Bandbreite. In
vielen IT-Umgebungen ist das bisher noch nicht gegeben.

Neben redundant ausgelegter Hard- und Software für eine schnellere und agilere
Datenverarbeitung gewinnt Edge Computing einen größeren Stellenwert. Der Vorteil
hierbei ist, dass Daten, anstatt ins Rechenzentrum zu gelangen, direkt am Rande der
Cloud verarbeitet werden, um einen Datenstau146 in der Cloud zu verhindern. Letztlich
dient die Vermeidung von Datenstaus der latenzfreien Datenverarbeitung. Edge Com-
puting ermöglicht eine weltweite Datenverarbeitung in Echtzeit, was Cloud Compu-
ting alleine in dieser Form nicht garantieren kann. Die fünfte Generation der mobilen
Datenverarbeitung (5G) ist ohne Edge Computing beispielsweise gar nicht erst mög-
lich. Umgekehrt ist autonomes Fahren ohne das Vorhandensein eines, zumindest der
Verkehrsinfrastruktur folgendem, flächendeckenden 5G-Netzes nicht möglich.

9.3.3.3 Überwachungs- und Lernprozesse

Simulationen mit künstlichen Daten und Daten aus Testfahrten reichen den Automo-
bilherstellern schon lange nicht mehr. Die Realität lässt sich nicht simulieren, dazu
ist sie einfach zu absurd. Ein amüsantes Bonmot stammt aus dem Munde von Chris
Urmson,147 der die Entwicklung autonomer Fahrzeuge bei Google X leitet: Bei einer
Testfahrt traf ein selbstfahrendes Google-Fahrzeug auf eine Ente, die mitten auf der
Straße im Kreis lief. Allerdings nicht freiwillig. Das Tier wurde von einer Frau in einem
elektronischen Rollstuhl herumgescheucht. Sie fand offenbar nichts dabei, quer über
die Fahrbahn ihre Kreise zu ziehen. Auch wenn die Beweggründe wohl auf immer ihr
Geheimnis bleiben werden, so muss ein autonom fahrendes Fahrzeug damit umgehen
können. »Das zu testen, wäre mir auch nach sehr langem Nachdenken nicht eingefal-
len«, gestand Urmson unlängst bei einer Veranstaltung.

146 Ein Datenstau ist hier als Indikator für steigende Verarbeitungszeiten zu verstehen.
147 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Autonome-Autos-Danke-dass-Sie-das-Auto-von-morgen-
testen-2760591.html (Zugriff: 02.02.2020).

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

Mit klassischen Methoden ist den Sicherheitsanforderungen für selbstfahrende Fahr-


zeuge nämlich schon lange nicht mehr beizukommen. Neben astronomisch langen
Teststrecken (siehe Kapitel 9.2.1) müssen auch noch entsprechende Sicherheitsvorga-
ben erfüllt werden. Die ISO-Norm 26262 beispielsweise beschreibt die Anforderungen
an sicherheitsrelevante elektrische und elektronische Systeme im Fahrzeug. Für das
Erreichen des höchsten Sicherheitslevels, Klasse D, welche für selbstfahrende Fahr-
zeuge gilt, muss eine Ausfallwahrscheinlichkeit von kleiner 10 -8 pro Stunde gewähr-
leistet werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Fahrzeug 109 Stunden lang
getestet werden muss. Eine absurde Vorstellung. Realitätsnahe Simulationen sind
daher notwendig. Hersteller und Zulieferer haben dabei zwei Arten von Echtdaten-
Simulationen148 im Blick.

In einer »zentralen Variante« werden Sensordaten der Fahrzeugflotte (also Kunden-


fahrzeuge) gesammelt. Die Daten werden in einer zentralen Bibliothek gespeichert,
die Szenarien enthalten, die Fahrer im Alltag erlebt haben. Prototypen neuer Assis-
tenzsysteme können sich so in Computersimulationen diesen Szenarien stellen und
sich mit menschlichem Verhalten in Alltagssituationen messen.

In der »dezentralen Variante« wird neben der aktuell gültigen Softwareversion eine
neue Beta-Version über eine Mobilfunkverbindung in der Fahrzeugflotte installiert.
Maßgeblich für den Fahrzeugbetrieb ist nach wie vor die alte Software-Version. Neue
und alte Version laufen parallel im Fahrzeug ab. Allerdings greift die Beta-Version nicht
in den Fahrzeugbetrieb ein (das macht weiterhin die alte Version), dokumentiert aber
die Ergebnisse ihres Eingreifens, wäre sie scharf geschaltet gewesen. Diese Erkennt-
nisse werden an den Hersteller übermittelt. Bewährt sich die neue Version, kann die
Software per Mobilfunk aktiviert werden. Das soll möglichst fehlerfreie Software-
Updates gewährleisten.

Bei allem lobenswerten Einsatz für die Fahrsicherheit ihrer Kunden erleben wir hier
einen ungezügelten Datenakquise-Feldzug der Automobilhersteller. Noch gibt es
kaum gesetzliche Vorschriften, die festlegen, welche Daten von den Herstellern
gesammelt werden dürfen und wer auf diese Daten Zugriff hat. Ein modernes Assis-
tenzsystem kann eine Fülle von Informationen bereitstellen, wie ein Mensch ein Fahr-
zeug bewegt hat. Beschleunigt der Fahrer sehr stark? Wie oft musste der Spurhalteas-
sistent eingreifen? Hat der Fahrer den Blinker gesetzt? Hat er eine Müdigkeitswarnung
ignoriert und ist er vor dem Unfall eingenickt? Vielmehr stellt sich die Frage, welche
Daten nicht erhoben werden.

148 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Autonome-Autos-Danke-dass-Sie-das-Auto-von-morgen-
testen-2760591.html (Zugriff: 02.02.2020).

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9 Am Pass: Altes bewahren, Neues erschaffen

Diese Informationen dienen nicht nur der Zuleitung für Computersimulationen von
Alltagsszenarien, sondern sie dienen auch als Grundlage, um bei Unfällen den tatsäch-
lichen Unfallhergang zu rekonstruieren. Für den Fahrer ist es nahezu unmöglich her-
auszufinden, welche Daten zu seinem Fahrverhalten existieren. Die Hersteller machen
das Datensammeln auch recht geschickt. Sie holen sich die Einwilligung über Dienste
wie »MyPeugeot«, »MercedesMe« oder »BMW Connected-Drive«, indem sie ihren Kun-
den einen Mehrwert versprechen, beispielsweise einen schnelleren Abschleppservice
nach einem Unfall. Sobald der Kunde die Nutzungsbedingungen dieser Dienste akzep-
tiert hat, liefert das Fahrzeug auch schon fleißig Daten an den Hersteller.

Ironischerweise wurde das durch eine gesetzlich vorgeschriebene Funktion, die im


Notfall Leben retten kann, deutlich erleichtert. Seit 2018 müssen Neufahrzeuge mit
dem automatischen Notrufsystem eCall ausgerüstet sein. Falls ein Fahrer nach einem
Unfall nicht selbst Hilfe holen kann, übernimmt diese Aufgabe die eCall-Funktion.
Um den automatischen Notruf zu gewährleisten, müssen Fahrzeuge über einen Emp-
fänger für GPS- und Galileo-Ortungsdaten, eine fest integrierte SIM-Karte und eine
Freisprechanlage verfügen. Damit ist es ein Leichtes, Fahrzeugdaten permanent an
die Hersteller zu übermitteln. Im Minutentakt werden Position und Geschwindigkeit
übertragen. Kein Hersteller bildet hier eine Ausnahme. Im Nachfolgenden werden
nur einige der Daten149, 150 ausgewiesen, die nachweislich von vernetzten Fahrzeugen
gesammelt und übertragen werden:
y GPS-Position des Fahrzeugs, inkl. Kilometerstand, Verbrauch, Tankfüllung, Rei-
fendruck und Füllstände von Kühlmittel, Wischwasser und Bremsflüssigkeit
y Die Anzahl der elektromotorischen Gurtstraffungen, beispielsweise durch starkes
Bremsen
y Fehlerspeicher-Einträge werden teilweise mit Informationen über zu hohe Motor-
drehzahlen oder -temperaturen abgelegt. Dies erlaubt Rückschlüsse über das
Fahrverhalten
y Gefahrene Kilometer auf Autobahnen, Landstraßen oder Städten
y Betriebsstunden der Fahrzeugbeleuchtung werden gespeichert
y Anzahl der Verstellvorgänge des elektrischen Fahrersitzes (erlaubt Rückschlüsse
auf die Anzahl der Fahrer)
y Häufigkeit mir der innerhalb der Meldeperiode Musik gehört wurde
y Anzahl der Personen, die angegurtet bzw. nicht angegurtet waren
y Wann und wie lange befanden sich die Hände auf dem Lenkrad?
y Bei Handyverbindungen mit dem Fahrzeug u. a. die persönlichen Kontakte, der
Browserverlauf, der Navigationsverlauf und der Radionutzungsverlauf

149 https://www.futurezone.de/digital-life/article216654435/Traust-du-Tesla-wirklich-Das-weiss-das-
Unternehmen-ueber-dich.html (Zugriff: 02.02.2020).
150 https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/assistenzsysteme/daten-
modernes-auto/ (Zugriff: 09.02.2020).

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9.3 Autonomes Fahren: Digitalisierung als Lebensretter

Anbieter wie Tesla machen auch noch Filmaufnahmen mit den Außenkameras des
Fahrzeugs, etwa um Straßenverläufe besser beurteilen zu können und um festzuhal-
ten, an welchen Positionen sich Verkehrsampeln und Straßenschilder befinden.

Aber nicht nur als Quelle von Computersimulationen und Unfallrückschlüssen dienen
die ermittelten Daten. Die Managementberatung McKinsey151 schätzt den Wert von
Fahrzeugdaten im Jahre 2030 auf über 750 Milliarden US-Dollar. Zu den Kundengrup-
pen zählen zunächst einmal die Fahrer selbst. Über 70 % der deutschen Autofahrer
wären bereit, für Serviceleistungen wie eine präzisere Stauwarnung, das automati-
sche Finden eines Parkplatzes oder einer vereinfachten Fahrzeugwartung zu bezah-
len. Autoversicherer sind schon heute bereit, die Übermittlung von Kundendaten zu
monetarisieren. Einzelne Versicherungen bieten mittlerweile günstigere Tarife an,
wenn man sein Fahrverhalten aufzeichnen lässt.

9.3.4 Fluch und Segen: Wenn Digitalisierung Neuland betritt

Der Umgang mit der Technologie selbstfahrender Fahrzeuge zeigt eines deutlich: Sie
kann Fluch und Segen, Verheißung und Versuchung sein. Viele Themen sind noch
ungeklärt. Da sind zum einen schwerwiegende ethische (»Welche Entscheidungen
sind wir bereit, an eine künstliche Intelligenz im Fahrzeug zu delegieren?«) und rechtli-
che (»Welche Daten müssen und wollen wir aufzeichnen? Wem ist der Zugang zu diesem
›Schatz‹ gestattet?«) Entscheidungen zu treffen. Zum anderen muss die Technikfor-
schung ein Bewusstsein für die ablaufenden Prozesse entwickeln, ohne die autono-
mes Fahren unmöglich ist.

151 McKinsey: Monetizing Car Data – new service business opportunities to create new customer benefits,
Advanced Industries 2016.

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

Was ist das Ziel einer Bergtour? Ist es die Ankunft auf dem Berggipfel? Oder ist der
Weg das Ziel? Letztlich muss dies jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann einen
Berg »bezwingen« wollen, um mich mit dieser Leistung vor anderen zu brüsten. Dann
geht es mir mehr um mein Ego als darum, was ich unterwegs erlebt habe und für mich
persönlich »mitnehmen« kann. Oder es geht mir umgekehrt gerade darum, dass die
Erfahrung einer Bergtour – das Überwinden von Grenzen, die Konfrontation mit der
Macht der Natur – in meinem Inneren etwas verändert. Für mich persönlich liegt die
Faszination des Bergwanderns, Bergsteigens und Skibergsteigens ganz stark darin,
wie es mich innerlich verändern kann. Wer sich über Stunden oder Tage im Gebirge
bewegt, der lernt immer wieder neu, flexibel zu sein, sich selbst richtig einzuschätzen
und sich auf andere zu verlassen.

Immer wieder habe ich erleben dürfen, dass auch Prozessoptimierung im Unter-
nehmen für die Beteiligten ein Einstieg in eine neue Kultur der Offenheit, der Verän-
derungsbereitschaft und des Vertrauens war. Die Prozesse standen im Fokus, doch
irgendwann ging es um weit mehr als Prozesse, nämlich darum, wo man mit den Men-
schen im Unternehmen gemeinsam hinmöchte und was es braucht, um immer wieder
Widerstände zu überwinden und daran zu wachsen. Ich möchte Sie einladen, bei der
Beschäftigung mit Prozessen nicht allein das Technische zu sehen, sondern auch die
Möglichkeiten, die sich Ihnen eröffnen, gemeinsam mit anderen Menschen dauerhaft
mehr zu erreichen.

10.1 Prozessoptimierung im Kontext Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist längst zu einem populären Schlagwort geworden. Im Wesentli-


chen hat der Begriff zwei Facetten. Zunächst einmal wird Nachhaltigkeit oft einfach
als Synonym für Langfristigkeit gebraucht. Nachhaltig ist demnach, was die Zukunft
mitbedenkt und sich nicht in reinem Aktionismus erschöpft. Zukunftsorientierung
wird dabei heute zunehmend systemisch und ökologisch gedeutet, das ist die zweite
Facette des Begriffs. Eine Zukunft hat ein System nur, wenn es seine Ressourcen nicht
vorschnell aufbraucht und bei allem, was es tut, immer wieder in der Lage ist, sich zu
regenerieren. Prozessoptimierung führt idealerweise zu Systemen, die sich organisch

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

weiterentwickeln und aus eigener Kraft immer wieder neue Richtungen einschlagen
können. Dafür müssen oft zunächst Fehlentwicklungen beendet werden. Das klingt
zunächst noch sehr abstrakt. Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Prozessoptimierung
konkret?

Bereits bei der Formulierung von Optimierungsvorhaben sollten Nachhaltigkeitsfak-


toren systematische Berücksichtigung finden. Prozessverbesserungen sind nachhal-
tig, wenn sie vier zentrale Anforderungen erfüllen:
y Leistungsverbesserung bei angemessenem Mitteleinsatz: Hier liegt der Fokus
auf Effizienz und Effektivität. Die Verbesserungsmaßnahme ist im Verhältnis zu
den eingesetzten Mitteln angemessen und führt zu einer dauerhaften Leistungs-
steigerung. Üblicherweise refinanzieren sich typische Erschließungskosten nach
maximal drei bis fünf Jahren.
y Harmonisierte Zielhorizonte: Der Fokus liegt auf dem Ende von Fehlsteuerung.
Die Maßnahme unterstützt die Ausrichtung des Prozesses an den Unterneh-
menszielen und stellt bestehende Fehlentwicklung ab bzw. hilft, zukünftige Fehl-
entwicklungen zu vermeiden.
y Post-Symptom-Betrachtung: Hier rückt der Wandel in den Mittelpunkt. Nachhal-
tig sein bedeutet, über die Symptome hinauszublicken. Fort von symptomorien-
tierten Fragen »Wie kann ich das Problem abstellen?« hin zu verursachergerechte-
ren Fragestellungen »Was hat ursprünglich zum Problem geführt bzw. das Problem
überhaupt verursacht?« und »Was ist zu tun, um ein neuerliches Auftreten des Prob-
lems in Zukunft zu unterbinden?«
y Ende-zu-Ende-Sicht: Die Maßnahme hat den gesamten Prozess vom auslösen-
den bis zum erfüllten Bedarf im Blick, d. h. Ende-zu-Ende (bzw. Kunde-zu-Kunde).
Reine Bereichs- oder Teilprozessoptimierungen werden nicht ohne Berücksichti-
gung ihrer Auswirkungen auf den Gesamtprozess formuliert.

Folgendes Praxisbeispiel verdeutlicht diese konkreten Nachhaltigkeitsforderungen:

BEISPIEL

Ein führendes deutsches Technologieunternehmen leidet seit Jahren unter


hohen Prozesskosten. Als Optimierungsmaßnahme verfällt das Unternehmen
auf den Ansatz, einen Teil seiner Prozessaufgaben in ein Shared-Service-
Center (Outsourcing von Aufgaben, weniger von Prozessen) zu verlagern. Bei
der Auswahl der für eine Verlagerung infrage kommenden Prozesstätigkeiten

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10.1 Prozessoptimierung im Kontext Nachhaltigkeit

lässt sich das Unternehmen von einem Marktvergleich leiten (z. B. 15 % der
Aufgaben der HR-Prozesse werden von vergleichbaren Industrieunternehmen
in einem Shared-Service Center ausgeführt). Am Ende verlieren am deut-
schen Standort 600 Mitarbeiter ihren Job. Die von ihnen betreuten Prozes-
saufgaben wandern in ein osteuropäisches Shared-Service-Center. Tabelle 23
bewertet Soll- und Ist-Ergebnis dieser Prozessoptimierungsmaßnahme durch
einen Nachhaltigkeitsindex (0 – nicht nachhaltig bis 10 – sehr nachhaltig).

Symptome:
* Kostenanstieg
* Preisverfall (Produkte und Leistungen)
Post-Symptom-
Betrachtung Ursachen: 1/10
(Wandel) * unnötige Produktvielfalt
* fehlende Prozesspflege (Optimierungen)
* komplexe IT-Infrastruktur wurde nicht
adressiert
Als Treiber dienten Shared-Services Benchmarks
E2E-Prozesssicht (Vergleich mit Industrie-Peers) je Fachbereich 2/10
(keine Prozessbetrachtung)
* Maßnahme: Abbau von über 600 Mitarbeitern
* Mitteleinsatz für Abfindungen: 150 Mio. EUR
* Personalkosteneinsparung p.a.: 6 Mio. EUR
Leistungsverbesserung * Amortisation (ohne Inflation): 25 Jahre
bei angemessenem * Amortisation (mit 2% Inflation): 41 Jahre 3/10
Mitteleinsatz * Beobachtete Probleme: Deutliche
Leistungsreduktion durch Erfahrungs- und
Know-how-Verlust
Harmonisierte * Gleiche Leistung bei gleicher Qualität
Zielhorizonte * Reduzierte Prozesskosten 2/10

Tab. 23: Nachhaltigkeitsbetrachtung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Überträgt man den in Tabelle 23 abgeleiteten Nachhaltigkeitsindex je Anforderung in


ein entsprechendes Positionsdiagramm (siehe Abbildung 118), erkennt man sofort,
dass sich die angestrebte Prozessverbesserung in einem für die Maßnahmennachhal-
tigkeit toxischem Umfeld bewegt. Auf die Umsetzung von Maßnahmen, die in dieser
»Todeszone« landen, sollte deshalb auch tunlichst verzichtet werden.

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

(Prozessfehlentwicklung)
E2E-Sicht

Harmonisierte Zielhorizonte

Post-Symptom-Betrachtung
(Fehlsteuerung)

(Wandel)
Optimierungs-
maßnahme

Leistungsverbesserung bei angemessenem Mitteleinsatz


(Effizienz und Effektivität)
„Todeszone“
Maßnahmen-
Nachhaltigkeit

Abb. 118: Positionsdiagramm einer Prozessoptimierung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Sehr oft dreht es sich bei einer Prozessoptimierung um die einen einzelnen, mehrere
oder sogar sämtliche Geschäftsprozess(e) umfassende Neuausrichtung des Unterneh-
mens. In diesen Fällen hat sie strategische und grundlegende Bedeutung. Ziele einer
solchen Prozessoptimierung können der Ausbau oder die Wiedergewinnung einer
starken Leistungsfähigkeit, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit oder in kriti-
scher Lage die Sicherung der Überlebensfähigkeit sein.

Umso wichtiger ist es, Verbesserungen mit Blick auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfä-
higkeit zu formulieren und diese nach ihrer Realisierung regelmäßig zu überwachen
und falls notwendig anzupassen. Dabei darf man nicht aus den Augen verlieren, dass
notwendige Verhaltensänderungen, also der kulturelle Wandel im Unternehmen,
vielfach wesentlich länger brauchen als technische, fachliche oder organisatorische
Änderungen. Oft sind Projekte bereits formal abgeschlossen, während der Kulturwan-
del noch in vollem Gange ist. Warum das so ist und wie sich unter aller Veränderungs-
resistenz zum Trotz ein Wandel im Unternehmen einleiten lässt, darum geht es auf den
weiteren Seiten dieses Kapitels.

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10.2 Jenseits von Aktionismus: Den Wandel fördern

10.2 Jenseits von Aktionismus: Den Wandel fördern

Es gibt keine erfolgreiche Veränderung im Unternehmen, die nicht zumindest in


gewissem Maße auch einen kulturellen Wandel darstellt. Man mag zwar auf einer for-
malen und technischen Ebene ansetzen, ja, dies kann sogar der genau richtige Weg
sein, doch Veränderung findet erst dort nachhaltig statt, wo sie die Köpfe und Herzen
der Menschen erreicht. Leider ist Wandlungsfähigkeit nicht die Regel. Viele Unterneh-
men sind eher von Erstarrung geplagt und zeigen die entsprechenden Symptome.

10.2.1 Über Symptome und Ursachen hinausblicken

Probleme im Unternehmen treten meist verdeckt auf und machen sich symptomhaft
oft an den am wenigsten erwarteten Stellen bemerkbar. Unternehmensfolklore152 hält
Einzug in die Prozesse. Im täglichen Geschäft schleichen sich Ineffizienzen ein, die mit-
unter gar nicht mehr als störend wahrgenommen oder hinterfragt werden. Menschen
gewöhnen sich an vieles. Qualitätsprobleme zeigen sich, es tauchen immer wieder
auch Schwierigkeiten im operativen Prozessverlauf auf. Aber nicht nur ein fachliches
oder technisches Stottern des Unternehmensmotors ist zu beobachten. Auch im zwi-
schenmenschlichen Bereich brechen vermehrt Konflikte auf. Das Arbeitsumfeld lädt
sich emotional auf und die Frustrationstoleranz der Mitarbeiter nimmt stetig ab. Kran-
kenstand und Fluktuation sind die Folgen.

Es ist offensichtlich, dass Optimierungsversuche, die rein die beschriebenen Symp-


tome im Blick haben, weder die Problemursachen selbst beseitigen können noch das
kulturelle Umfeld verändern, welches erst die Entstehung des Problems begünstigt
hat. Abbildung 119 illustriert diese »Symptompyramide«. In der Prozessoptimierung
ist es daher unerlässlich, die Analysetiefe über die Problemursache hinaus zu lenken
und zu hinterfragen, welche organisatorischen und kulturellen Faktoren überhaupt
das Auftreten der unmittelbaren Problembereiche begünstigt haben. Parallel zur Ana-
lyse sind diese Faktoren durch gezielte Veränderungsbegleitung (durch einen Change
Manager) zu adressieren und die Fähigkeit der Mitarbeiter zur Selbstveränderung
anzusprechen.

152 Darunter verstehe ich Arbeiten, die nicht mehr notwendig sind, sich aber aus einer Tradition heraus (»Das
haben wir schon immer so gemacht«) gehalten haben.

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

Organisationsentwicklung (Wandel)
Analysetiefe der Prozessoptimierung
Konflikte
Ineffizienzen
Qualitätsprobleme Symptome
operative Probleme
Krankenstand, Fluktuation

unmittelbare Ursache
»tief ansetzen,
um breit und
nachhaltig
organisatorische und kulturelle wirksame
Faktoren Veränderungen
zu erreichen«

Fähigkeit zur Selbstveränderung

Abb. 119: Symptompyramide; Quelle: In Anlehnung an Häuser, Simon (2017): Kundenpräsentation,


München

10.2.2 Koalition der Willigen: Wer begrüßt Veränderung?

Jede Veränderung, jedes Neue stößt bei den meisten Betroffenen zunächst auf
Zurückhaltung oder ruft sogar Ablehnung hervor. Nur ein sehr kleiner Kreis (im Durch-
schnitt rund 3 %, siehe Abbildung 120) steht der Veränderung sehr aufgeschlossen
gegenüber und zeigt Bereitschaft, die Änderung aktiv mitzutragen. Ich hoffe für Sie,
dass Ihr Gegenüber mit Ihnen Schritt geht. Eine Veränderung sollte von beiden Seiten
getragen werden: Wenn eine der Parteien einer Veränderung gegenüber gleichgültig
oder skeptisch auftritt, sollten Sie sich ernsthaft darüber Gedanken machen, ob Sie
unter diesen Voraussetzungen die Veränderungen überhaupt erfolgreich umsetzen
können. In dieser Situation kämen Sie aber aller Voraussicht nach ohnehin nicht dazu,
sich über Prozessoptimierungen Gedanken machen zu müssen. Ganz einfach, weil es
dann dieses Optimierungsvorhaben wahrscheinlich gar nicht gäbe.

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10.2 Jenseits von Aktionismus: Den Wandel fördern

Anteil der
Betroffenen

50%

abwartende
Gleichgültige
Bremser aktiv Gläubige
Skeptiker bereitwille Passive
20%

Untergrundkämpfer Promotoren
5% offene Gegner Champions
3% 13% 34% 34% 13% 3%
Veränderungsbereitschaft
Ablehnung Skepsis Neutralität Zustimmung Begeisterung
aktiver Widerstand aktive Befürworter

Abb. 120: Typische Reaktionen auf Veränderungen; Quelle: In Anlehnung an Dr. Seibert, Siegfried
(2015): Vorlesung Grundlagen des Change-Managements, Hochschule Darmstadt

Sind Sie mit einem Veränderungsprojekt betraut, ist es zuallererst notwendig, zu ver-
stehen, wie ein Veränderungsprozess aus Sicht eines Betroffenen überhaupt abläuft
(siehe Abbildung 121). Im Großen und Ganzen kann der Prozess in sieben Phasen
unterteilt werden. Oft führt der erste Kontakt mit dem Veränderungsvorhaben zu
einer Art Schock, mit der Folge, dass der Betroffene die Problemursache ablehnt oder
gar verneint. Die Psychologie kennt in vielen Lebensbereichen das Phänomen der
»Leugnung«, das auftritt, wenn Betroffene nicht die innere Stärke besitzen, negative
Aspekte des Selbst oder der Umwelt anzunehmen und zu integrieren. In den beiden
genannten Phasen ist eine aktive Begleitung der Mitarbeiter unerlässlich. Erst die
aktive Auseinandersetzung mit dem Veränderungsvorhaben löst Einsicht und Akzep-
tanz bei den betroffenen Mitarbeitern aus. Abbildung 121 beschreibt den erstmals von
John P. Kotter vorgestellten Wahrnehmungsverlauf im Veränderungsprozess. Jede
Phase ist für die psychische Verarbeitung der Betroffenen von elementarer Bedeutung
und unterstützt die Bereitschaft, die resultierenden Veränderungen mitzutragen.

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

Schock Verneinung Einsicht Akzeptanz Probe Erkenntnis Integration


»Kann nicht »Das stimmt »Vielleicht »Stimmt »Man »Es geht ja »Ist selbst-
wahr sein« nicht« doch« eigentlich« könnte mal tatsächlich« verständlich«
versuchen«
Wahrnehmung

7
3
1 6

5
2
4

Zeit
Abb. 121: Veränderungsprozess aus Sicht eines Betroffenen; Quelle: Kotter, John P. (1996): Leading
Change, Harvard und deutsche Übersetzung: Leading Change – Wie Sie Ihr Unternehmen in acht
Schritten erfolgreich verändern (2013)

Was passiert, wenn Angst, Widerstand oder Leugnung seitens einzelner Mitarbeiter
ignoriert werden, zeigen unzählige gescheiterte Veränderungsvorhaben in den Unter-
nehmen, die schlicht aufgrund nicht adressierter Widerstände und Ängste oder ein-
fach nur aus Gleichgültigkeit nicht zum Erfolg führten.

Wie aber bringt man durchschnittlich 97 % (siehe Abbildung 120) der Mitarbeiter dazu,
sich auf teilweise recht einschneidende Veränderungen einzulassen? Da der Großteil
des Unternehmens Veränderungen generell ablehnend, skeptisch oder bestenfalls
gleichgültig gegenübersteht, braucht es einen starken »Infektionsherd«, der für die
kontinuierliche Ausbreitung einer positiven Grundhaltung gegenüber der Verände-
rungsmaßnahme sorgt. Den Infektionsherd bildet ein führungsstarkes Steuerungs-
und Treiberteam (es »treibt« die Infektion), in dem auch der Auftraggeber vertreten
ist (siehe Abbildung 122). Unterstützt wird das Steuerungsteam durch einen von der
Notwendigkeit der Änderungen überzeugten »harten Kern«. In der Regel sind dies das
Projektteam und die für das Projekt mitverantwortlichen Führungskräfte. Gemeinsam
mit dem Steuerungsteam wird nun versucht, in den Reihen der Mitarbeiter Multipli-
katoren zu gewinnen und die Ausbreitung voranzutreiben. Multiplikatoren spielen für
den Erfolg oft eine große Rolle. Im Englischen werden sie manchmal auch metapho-
risch als Evangelists bezeichnet, weil sie – wie im Christentum die biblischen »Evan-
gelisten« – aktiv und leidenschaftlich dafür sorgen, dass eine »frohe Botschaft« sich
verbreitet.

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10.2 Jenseits von Aktionismus: Den Wandel fördern

Entwicklung
Steuerungs- & als »Ausbreitung«
Treiberteam
Letztbetroffene

harter Kern Auftraggeber

Multiplikatoren

Abb. 122: Wandel als Infektion; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119)

Warum fällt es uns aber immer wieder so schwer, uns auf Veränderungen einzulas-
sen? Was steckt dahinter? Ein Teil der Antwort ist biologischer Natur. Völlig Neues ist
im Gehirn nicht speicherbar. Sind Verhaltensweisen oder Informationen den bereits
abgespeicherten Inhalten sehr unähnlich, dann ist eine Vernetzung im Gehirn nicht
oder nur auf Umwegen möglich.153 Das liegt einfach an der Speicherstrategie unseres
Gehirns, die auf einer Vernetzung von Nervenzellen beruht.

Es fällt es uns deshalb beispielsweise auch schwer, uns Namen zu merken, die für unse-
ren Sprachgebrauch »fremd« klingen. Weichen die in unserem Sprachareal abgespei-
cherten Namen sehr vom neuen, zu merkenden Namen ab, können wir nämlich nicht
wie gewohnt eine entsprechende Verknüpfung herstellen. Wie hießen noch einmal
die beiden Kinderrechtler, die 2014 den Friedensnobelpreis erhielten? Es waren Kai-
lash Satyarthi und Malala Yousafzai. Das können wir Europäer uns nur schwer merken.
Mit einem Muhammad Yunus (Friedensnobelpreis 2006) tun wir uns da schon leichter.
»Muhammad« klingt wie »Mohammed, der Prophet«, und »Yunus« erinnert irgendwie
an »Juni«, »Junior« und den Jungennamen »Jonas«, dessen arabische Form es tat-
sächlich ist. In dem Buch »Change happens: Veränderungen gehirngerecht gestalten«
schreiben die Autoren:

»Wir müssen bei der Vermittlung von Neuem also immer nach Andockstellen
suchen, die bereits durch die Erfahrungen strukturell in die Feinstruktur des
Gehirns eingeschrieben worden sind, um etwas Neues überhaupt verknüpfbar
zu machen.«154

153 Klinkhammer/Hütter/Stoess/Wüst (2015): Change happens: Veränderungen gehirngerecht gestalten, Haufe


Lexware, S. 60.
154 Ebenda.

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

Dies gilt nicht nur für das kognitive Verständnis einer Veränderung, sondern weit mehr
noch für die Motivation, das Verstandene mitzutragen oder im besten Fall sogar mitzu-
gestalten. An welche positiven Erfahrungen lässt sich anknüpfen? Das »Anknüpfungs-
prinzip« gilt universell für unser ganzes Gehirn, also auch für die Bereiche (Limbisches
System), die Emotionen verarbeiten und Motivation (oder Demotivation) herstellen.
Was aber nun einzelne Menschen motiviert oder demotiviert, beruht letztlich auf der
individuellen Lebenserfahrung als das, was ein Individuum im Laufe seiner Entwick-
lung als angenehm oder unangenehm empfunden hat. Die Anknüpfung an das, was
aktuell ist, kann nun wiederum Resonanz hervorrufen. Ein neues Verhalten findet
Anklang. Die Anregung dieser neuroplastischen Veränderungsprozesse in unserem
Gehirn ist überhaupt erst die Voraussetzung, dass neues Denken und Handeln Einzug
in das Unternehmen finden kann. Die Tatsache, dass jeder Mensch andere Anknüp-
fungspunkte in sich trägt, macht den Veränderungsprozess so facettenreich, aber
auch so schwierig.

Vergleicht man unser Gehirn mit heute üblichen Verkehrswegen, also von der Auto-
bahn bis zum selten betretenen Bergpfad, stellen die Autobahnen gut eingeübtes,
robustes, alltagstaugliches Verhalten dar. Ähnlich einem Navigationssystem wird
unsere bevorzugte Routenplanung, für den Abruf von Informationen oder Verhaltens-
weisen, immer zuerst auf die breiten, eingefahrenen Autobahnen zurückgreifen. Neue
Verhaltensweisen gleichen da eher dem engen, schwer zugänglichen Bergpfad, den
man lieber komfortabel (mittels altbekannter und als sicher empfundener Verhaltens-
weisen) umfährt. Aus einem Bergpfad eine Landstraße, geschweige denn eine Auto-
bahn, zu bauen, braucht je nach Umfang der Veränderung massive Lernprozesse und
entsprechend rigorose Umbauten in unserer »Hardware«.

10.2.3 Vorbereitung ist alles: Veränderungsprojekte aufsetzen

Mit nötigen Verhaltensänderungen von Mitarbeitern beschäftigen sich viele erst inten-
siver, wenn erste Widerstände auftauchen. Das ist fahrlässig. Die Auseinandersetzung
mit den zu erwartenden Verhaltensänderungen sollte vielmehr beginnen, bevor man
überhaupt mit der eigentlichen fachlichen Arbeit, im vorliegenden Fall also der Pro-
zessoptimierung, anfängt. Anders formuliert, geht der fachlichen Arbeit eine Phase
der Vorbereitung auf den erforderlichen kulturellen Wandel voraus. Sie beginnt mit
der Einsicht des Auftraggebers, dass ein Wandel unumgänglich notwendig ist. Mit
der Installation des Steuerungsteams und der Identifikation Gleichgesinnter wird
der Rahmen für das eigentliche Fachprojekt definiert. In diese Phase fällt auch die
Entwicklung einer Kommunikationsbotschaft. Kein Change ohne Story: Das Narrativ

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10.3 Prozessfehlsteuerungen vermeiden

erklärt, wie es zu einem Veränderungsprozess kam und warum die Veränderung not-
wendig wurde. Dazu gehört aber auch die Formulierung einer Vision (Zielsetzung), die
mit Abschluss des Veränderungsprozesses erreicht werden soll.

Zwar hat der deutsche Vollblutpolitiker und ehemalige Bundeskanzler Helmut


Schmidt Visionen mit dem lakonischen Ausspruch abgetan: »Wer Visionen hat, soll zum
Arzt gehen«. Jedoch steigt in einem immer komplexer und volatileren Unternehmen-
sumfeld das Bedürfnis der Mitarbeiter nach Orientierung und Sicherheit. Eine Vision
schafft hier Klarheit und gibt die Richtung vor.

Nachdem sie die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt haben, stürzen sich die
meisten Unternehmen regelrecht in die fachliche Arbeit, ohne jedoch im Vorfeld des
Projekts der Vorbereitung organisationsentwickelnder Maßnahmen genug Zeit (wenn
überhaupt) einzuräumen. Vielfach gibt es zu Projektbeginn keine klare Botschaft.
Inhalte und Richtung der Veränderungen werden von einzelnen Mitarbeitern und
Organisationseinheiten unterschiedlich interpretiert. Dies führt zu teilweise recht
verschiedenen Umsetzungsversuchen und dem Fehlen einer klaren Richtung. Unsi-
cherheit, Skepsis und Widerstand der Mitarbeiter sind typische Symptome schlecht
vorbereiteter Veränderungsprozesse.

Die nachträgliche Heilung eines aus dem Ruder gelaufenen Veränderungsprojekts


bedarf üblicherweise mehr Zeit, Ressourcen und Aufmerksamkeit als ein vergleichba-
res Projekt mit einem gut vorbereiteten Veränderungsprozess mit klaren Botschaften
(siehe Abbildung 123).

vorbereiten umsetzen
Zeit

vorbereiten umsetzen reparieren

Abb. 123: Verlauf und Dauer von Veränderungsprozessen; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119)

10.3 Prozessfehlsteuerungen vermeiden

In meiner Beratungspraxis begegnen mir immer wieder zwei prominente Arten von
Fehlsteuerungen, auf die ich in diesem Kapitel deshalb gerne näher eingehen möchte,
weil sie Nachhaltigkeit sabotieren.

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

10.3.1 Wo alle hinwollen: Kohärente Zielhorizonte sicherstellen

In vielen Führungsetagen herrscht der Irrglaube, dass einmal verabschiedete Unter-


nehmenszielsetzungen von der Gesamtorganisation unfallfrei bis zur letzten Orga-
nisationseinheit übernommen werden. Selbst bewährte Zielsteuerungsinstrumente
wie die Balanced Score Card (BSC) sind keine Garantie für eine reibungslose Über-
setzung der Unternehmenszielvorstellungen in die operativen Abläufe. Die Deutung
der Unternehmensziele hinterlässt auf Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene meist
größere Interpretationsspielräume. Hinzukommen Eigeninteressen und Bereichsego-
ismen, die Unternehmensziele zusätzlich trüben. In Organisationen, die auf konkrete
gesamtorganisatorische Steuerungsinstrumente (BSC, MbO155 , variable Vergütung
etc.) verzichten, ist der Eigenspielraum entsprechend höher.

Zudem genießen Prozesse ohnehin eine Sonderstellung, da Zielsetzungen nach Fach-


bereichen (bei funktionalen und Matrix-Organisationen) heruntergebrochen werden
und eher selten prozessorientierter Natur sind. Prozesse verbleiben dann entweder
ohne konkrete Zielausgestaltung oder werden durch die Prozessverantwortlichen
interpretiert.

All diese Einflussfaktoren begünstigen die Entstehung unterschiedlicher Zielhori-


zonte, d. h. Zielsetzungen, die einen bestimmten Ergebniszustand bzw. die Umset-
zung einer Vision unterstützen sollen (siehe Abbildung 124).

Unternehmens-
kohärente ziele
Zielsetzungen?
* Kostenreduktion
* Kunden begeistern
Prozessziele * Verkaufszahlen
steigern
* Produktion erhöhen
Operative * Durchlaufzeiten
Ziele verbessern
* Beschwerden
reduzieren
* Prozesse outsourcen
* partielles Outtasking
* neue Produkte
entwickeln

Abb. 124: Zielhorizonte im Unternehmen (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung

Die in Abbildung 124 doch teilweise sehr stark auseinanderklaffenden Zielhorizonte


konnte ich bei einem international tätigen Maschinenbauunternehmen beobachten,
das gerade dabei war, einen Teil seiner Prozesse in Billiglohnländer zu transferieren. In

155 Die Abkürzung steht für Management by Objectives.

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10.3 Prozessfehlsteuerungen vermeiden

solchen Fällen muss vor der eigentlichen Prozessoptimierung ein Zielausgleich statt-
finden, bevor fehlsteuernde Zielsetzungen und Erwartungshaltungen, teilweise über
Landes- und Kontinentalgrenzen hinweg, einzementiert werden und die zukünftige
Unternehmensentwicklung beeinträchtigen.

10.3.2 Unternehmensverständnis der Führungsaufgaben klären

Eine weitere Gruppe kritischer Fehlsteuerungen entspringt dem gelebten Unterneh-


mensverständnis, welche Aufgabenfelder eine Führungskraft wahrzunehmen hat.
Auffassung und Interpretation dieser Aufgaben sind sehr tief in der kulturellen DNA
der Organisation verankert und daraus resultierende Fehlentwicklungen nur durch
rigorose Entwicklungsarbeit mit Führungskräften heilbar.

Führungskräfte in einem modernen Unternehmen bewegen sich stets in einem Span-


nungsfeld aus Strategieformulierung, Strukturbildung, Kulturentwicklung und zahllo-
sen operativen Aufgaben (siehe Abbildung 125).

Strategie
Entscheidungen bzgl. der Ausrichtung
(inkl. Analysen, Aushandlungen, Formulierungen)

Struktur Kultur
(Management) (Leadership)
Arbeit an Instrumenten, Arbeit mit und für Menschen
Routinen, Abläufen (Einzelne, Gruppen)

Operatives
(Fachliches / Umsetzendes)

Abb. 125: Spannungsfeld der Führungsaufgaben; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119)

Traditionell sind die Bereiche Strategie-, Struktur- und Kulturentwicklung Führungs-


kräften vorbehalten und ihre Arbeit sollte frei von fachlichen und operativen Anforde-
rungen sein. Gerade aber die in den letzten Jahren im Vergleich zu Linientätigkeiten
stark zunehmende Projektwirtschaft zeigt, dass auch Führungskräfte vermehrt mit
operativen Aufgaben betraut werden. Mittlerweile sind mehr als 37 % aller Arbeits-
abläufe in Unternehmen projektwirtschaftlich organisiert:156 Tendenz steigend. Dem-
entsprechend sind nur mehr knapp zwei Drittel aller Arbeitsabläufe traditionellen
Linientätigkeiten zugeordnet.

156 Rump/Schnabel/Alich/Groh (2010): Betriebliche Projektwirtschaft – Eine Vermessung, Hays Holding, Mann-
heim, S. 8: https://www.hays.de/personaldienstleistung-aktuell/studie/betriebliche-projektwirtschaft-
eine-vermessung (Zugriff: 09.12.2013).

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

Darunter leiden die nachstehenden (traditionellen) Aufgaben der Führungskräfte:


y Entwicklung und Formulierung von Strategien und Ableitung von Zielsetzungen
y Entscheidungsprozesse und -findung
y Entwicklung und Vorgabe von Standards, Abläufen, Steuerungsinstrumenten und
Strukturen
y Klärung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
y Aufbau von Management- und Führungsstrukturen
y Arbeit mit und am Menschen
y Verbesserung der Kundenorientierung
y Schaffung eines konstruktiven, positiven Arbeitsklimas und einer Kollaborations-
struktur
y Entwicklung und Unterstützung von Führungs- und Entscheidungskulturen.

In einer »gesunden« Organisation beschäftigen sich Führungskräfte überwiegend (ca.


80–95 % ihrer Zeit) mit strategie-, struktur- und unternehmenskulturrelevanten The-
men. Unglücklicherweise ist in der letzten Zeit eine Trendwende beobachtbar.

Immer mehr Zeit von Führungskräften wird durch operative Tätigkeiten vereinnahmt,
was zunehmend zu einer Vernachlässigung traditioneller Führungsaufgaben führt.
Führungskräfte verlieren sich so zunehmend im operativen Mikromanagement und
haben irgendwann selbst das Gefühl, »zu nichts mehr zu kommen«. Die einzelnen
Organisationsbestandteile werden dadurch vermehrt sich selbst überlassen. Dabei
verliert auch der berühmte Grundsatz des deutschen Generalfeldmarschalls Helmuth
Karl Bernhard Graf von Moltke zunehmend seine Bedeutung. Aus »Getrennt marschie-
ren und vereint schlagen«, wird mehr und mehr »Getrennt marschieren und getrennt
kämpfen«. Eine denkbar ungünstige Unternehmensentwicklung.

So konnte ich Unternehmen beobachten, in denen sich das traditionelle Führungsbild


auf dramatische Weise umgekehrt hatte. Führungskräfte, die sich mehr als 80 % ihrer
Zeit mit operativen Aufgaben beschäftigen, sind leider längst keine Seltenheit mehr.

10.4 Nachhaltigkeit messbar machen

Abschließend sollten Sie sich noch Gedanken darüber machen, wie Sie nach erfolg-
ter Umsetzung die Wirksamkeit Ihrer Maßnahmen sicherstellen wollen. Maßnahmen,
die eine umfassende Nachhaltigkeit anstreben, müssen soziale, ökologische und öko-
nomische Faktoren miteinander in Einklang bringen. Abbildung 126 liefert Beispiele
typischer Nachhaltigkeitsindikatoren, die als Grundlage für die Ableitung messbarer
Leistungskennzahlen dienen.

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10.4 Nachhaltigkeit messbar machen

soziale ökonomische
Faktoren Faktoren
Mitarbeitereinbindung Umsatzrentabilität
Mitarbeiterzufriedenheit Ausschussquote
Fluktuation Veränderungs-
nachhaltigkeit Return on Invest
Krankenstand Qualitätsaspekte
Eigenpersonalquote realisierte
Kundenzufriedenheit Kosteneinsparung
Weiterbildungsaufwand ökologische
Faktoren Effizienzsteigerung
Unfallquote
Kollaborationsverhalten Ressourcenverbrauch
Produktionsabfall
Virtualisierungsgrad
physischer Server
CO2-Emissionen
Energieeffizienz
Energiebedarf pro
Terabyte Datenvolumen

Abb. 126: Nachhaltigkeitsindikatoren; Quelle: Eigene Darstellung

Soziale Faktoren beschreiben Art, Umfang und Güte verschiedener am Unternehmen


interessierter Gruppen (z. B. Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten). Ziele sozialer Nach-
haltigkeit sind die Reduktion unerwünschter Auswirkungen des Unternehmens (z. B.
Imageverlust) und die Förderung positiver sozialer Wirkungen. Darunter fallen auch
die Steigerung von Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit.

Ökonomische Faktoren haben vorrangig die Erhöhung des Unternehmenswerts, die


Steigerung der Rentabilität und eine kosteneffiziente Arbeitsweise des Unternehmens
zum Ziel.

Ökologische Faktoren orientieren sich an der Reduktion der direkt oder indirekt
durch das Unternehmen verursachten Umweltbelastung.

Typischerweise stehen ökonomische, soziale und ökologische Interessen in einem


mehr oder minder permanenten Spannungsfeld zueinander. Gelingt bei der Umset-
zung der Verbesserungsmaßnahmen der Ausgleich dieser unterschiedlichen Aspekte,
ist das Ziel nachhaltiger Prozessoptimierungen erreicht.

Mit der Digitalisierung der Prozesse gehen heute neue Erwartungen an Unternehmen
einher. Soziale Verantwortung mit all ihren Facetten steht hoch im Kurs. Datenschutz
und Datensicherheit finden viel öffentliche Aufmerksamkeit, wozu auch ein siche-
rer, verantwortungsbewusster und gesetzeskonformer Umgang mit Kundendaten
gezählt werden kann. Hinzu kommt die steigende ökologische Verantwortung durch
exponentiell wachsende Datenbestände und zunehmende Leistungsanforderungen

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10 Ankunft: Den nachhaltigen Erfolg sichern

an den Unterhalt von Hard- und Software. Digitalisierung kostet Energie und Ressour-
cen. Zumindest die Außenwirkung der Unternehmen befördert die Nachhaltigkeits-
diskussion (im Sinne der zweiten Facette des Begriffs Nachhaltigkeit) und lässt Nach-
haltigkeitsfragen an die vorderste Front unternehmerischer Entscheidungen rücken.
Der Gedanke der Nachhaltigkeit sollte daher jeder Prozessoptimierung von Anfang an
zugrunde gelegt werden.

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Ausblick: Eine neue Welt voller Möglichkeiten

Das britische Empire war das größte Kolonialreich der Weltgeschichte. Zur Zeit seiner
größten Ausdehnung, das war im Jahr 1922, erstreckte es sich über eine Fläche von ca.
33,67 Millionen km2, was einem Viertel der Landfläche der Erde entspricht. Mit etwa
458 Millionen Einwohnern umfasste es ebenfalls ein Viertel der damaligen Weltbe-
völkerung.157 Wie konnten die damals rund 44,3 Millionen Einwohner des Vereinigten
Königreichs158 über mehr als zehnmal so viele Menschen herrschen, die auf dem gan-
zen Erdball verteilt waren, Hunderte Sprachen und Dialekte sprachen und den unter-
schiedlichsten Kulturstufen angehörten? Historiker sind sich weitgehend einig, dass
dies nicht etwa an einer übermenschlichen Kampfkraft der britischen Truppen lag. Es
lag vielmehr am Organisationsgrad des britischen Weltreichs, der zur damaligen Zeit
einzigartig war. Im Mutterland der Industrialisierung wusste man, dass in der anbre-
chenden Moderne nichts mächtiger sein würde als ein gut durchdachtes, funktionie-
rendes System, dessen Regeln sich Menschen mit größter Disziplin unterwerfen. In
Indien, Afrika oder der Südsee dachte so noch niemand, weshalb die Menschen dort
kaum eine Chance hatten, ihre Unabhängigkeit gegen die britische Eroberungs-, Kulti-
vierungs- und Verwaltungsmaschinerie zu verteidigen.

Wir sind heute in einer durchaus vergleichbaren Situation. Unternehmen, die ihre
Prozesse beherrschen, haben den Schlüssel in der Hand, sich beliebig zu verändern
und anzupassen und ihr Business im globalen Maßstab nahezu unbegrenzt nach oben
zu skalieren. Amazon und andere Schwergewichte der amerikanischen Westküste
machen dies vor, indem sie immer weiter wachsen und ein Geschäftsfeld nach dem
anderen erschließen. Zahlreiche Unternehmen auf der Welt, die ihre Prozesse nicht
im selben Maß beherrschen, scheinen gegenüber diesen wirtschaftlichen Riesen (die
interessanterweise in der öffentlichen Diskussion zuweilen ausdrücklich mit Koloni-
alherren verglichen werden) keine Chance zu haben, weil ihnen der entscheidende
Schlüssel zur Transformation noch weitgehend fremd ist. So treibt etwa Amazon im
Moment praktisch die gesamte Logistikbranche vor sich her, weil das Unternehmen
so prozessorientiert – und damit effizient, effektiv, kundenorientiert, skalierbar und
flexibel – ist.

Mir war es ein wesentliches Anliegen mit diesem Buch, dass Verantwortliche in Unter-
nehmen aller Größen und Branchen erkennen, welcher Hebel für Veränderungen in
der Beherrschung der Prozesse liegt und dass sie lernen, diesen Hebel zu bedienen.
Wer bei der nächsten industriellen Revolution, der Stufe 4.0, erfolgreich mit dabei sein

157 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Britisches_Weltreich (Zugriff: 18.06.2017).


158 http://www.populstat.info/Europe/unkingdc.htm (Zugriff: 18.06.2017).

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Ausblick: Eine neue Welt voller Möglichkeiten

will, der wird nicht umhinkommen, seine Prozesse in den Mittelpunkt des Denkens
zu rücken. Prozesse müssen überall Thema für die oberste Management-Ebene sein.
Ebenso wichtig war und ist es mir jedoch, zu betonen, dass Digitalisierung oft gar nicht
im Digitalen beginnt, sondern es für die wahrscheinlich meisten Unternehmen hier-
zulande erst einmal darauf ankommt, ihre analogen Hausaufgaben auf der Prozesse-
bene zu machen. Wenn dieses Buch hierzu Grundlagenwissen vermitteln und einen
Handlungsimpuls setzen konnte, dann hat es seinen Zweck bereits erfüllt.

Durch die Digitalisierung entsteht eine neue Welt voller Möglichkeiten, in der sich pro-
zessorientierte Unternehmen nahezu beliebig wandeln und ausdehnen können. Ich
möchte jedoch zum Schluss nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass die aktuelle
Ausrichtung auf Daten und Datenbewirtschaftung auch zweischneidig ist. Noch sind
die teilweise abenteuerlichen Visionen der Silicon-Valley-Vordenker, die auch das
menschliche Gehirn am liebsten digitalisieren und mit neuer Software ȟberschrei-
ben« würden, nicht Wirklichkeit geworden. Und solange Menschen nicht digital sind,
müssen Unternehmen die Menschen, so wie sie sind, (mit-)nehmen. Große Verände-
rungen, dass sei ausdrücklich betont, hängen nie allein an den Prozessen, sondern
immer noch (und vielleicht gerade heute in hohem Maße) an den Menschen im Unter-
nehmen. Es gilt, die Menschen mitzunehmen, mit Empathie und Wertschätzung, und
ihre Intuition zu nutzen. Noch ist diese menschliche Intuition, die sich im digitalen
»Eins-Null« nicht abbilden lässt, der eigentliche Motor der Kreativität, des Erfindungs-
reichtums und der Wertschöpfung jedes Unternehmens. Wem jetzt die Synthese aus
Menschlichkeit, Ökologie, höchster Effizienz und maximaler Flexibilität gelingt, der
könnte gute Chancen haben, ein Cockerill, Ford oder Bezos der Zukunft zu werden.

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Der Autor

Rupert Hierzer (Jahrgang 1970) ist Unternehmer, Strategie-


berater und Trainer.

Seit Abschluss seines Physikstudiums 1995 arbeitet er als


Unternehmensberater. Seine Karriere begann er bei einem
amerikanischen Beratungsunternehmen in Düsseldorf.
Bereits 2002 machte er sich selbstständig und zog mit sei-
ner Familie nach München. Stationen seiner Beratungstä-
tigkeit waren unter anderem Portugal, Ägypten und die
Vereinigten Staaten.

Nach seinem Engagement als Mitbegründer der DESERTEC Stiftung und seiner Arbeit
als Aufsichtsrat wendet sich Rupert Hierzer seiner heimlichen Leidenschaft zu: dem
Schreiben.

Er wagt sich mit aktuellem Bezug an ein schwieriges Thema – Prozessoptimierung im


Zuge des digitalen Wandels. Als »Brückenbauer« sieht er den Menschen im Zentrum
der Veränderung. Bei einem Thema, das häufig eher »technokratisch« abgehandelt
wird, bringt er Emotion und Tiefe mit ins Spiel. Daran zeigt sich am besten die große
Veränderung, vor der Unternehmen auf der ganzen Welt stehen.

Rupert Hierzer liebt es, Zeit in den Bergen zu verbringen, egal ob beim Wandern oder Ski-
bergsteigen. Das hat ihn in das schöne Allgäu geführt, wo er mit Frau und Kindern lebt.

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Gegenüberstellung prägender Entwicklungsphasen der


Menschheitsgeschichte; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Abb. 2: Beschleunigung des technologischen Fortschritts;
Quelle: In Anlehnung an Heetfeld, Steffen: Lexus Hoverboard:
Warum der Mittelstand die Welt verändern kann, August 2015:
https://www.ebootis.de/lexus-hoverboard-aus-zurueck-in-die-
zukunft-wird-real-warum-der-mittelstand-die-welt-veraendern-kann/
(Zugriff: 12.09.2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Abb. 3: Verbreitungsgeschwindigkeit von Innovationen der letzten
150 Jahre; Quelle: Glanz/Nadler, a. a. O. (Fn. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Abb. 4: Entwicklung der Prozessorientierung im Laufe der
Menschheitsgeschichte; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Abb. 5: Zeitphasen der Prozessoptimierung; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . 28
Abb. 6: Weltweit produzierte Datenmenge; Quelle: IDC Studie, a. a. O. (Fn. 36) . . . . . . 47
Abb. 7: Das Internet der Dinge verbindet Menschen, Dinge, Prozesse und Daten;
Quelle: In Anlehnung an http://blogs.cisco.com/digital/how-the-
internet-of-everything-will-change-the-worldfor-the-better-
infographic (Zugriff: 27.09.2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Abb. 8: Aus Informationssicherheit (Cyber Security) wird digitale Sicherheit;
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Gartner Group:
Special Report: Cyber Security at the Speed of Digital Business,
https://www.gartner.com/doc/3332117?refval=&pcp=mpe
(Zugriff: 08.10.2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Abb. 9: Nadel im Heuhaufen – Differenzierung in relevante und
nicht relevante Datenbestände; Quelle: Eigene Grafik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Abb. 10: Digitales »Erdöl«: Von Daten zum »Wissen«
Quelle: Cap Gemini (2012): Business Process Analytics:
Unlocking the Power of Data and Analytics: Transformin Insight
into Income, S. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Abb. 11: Mindestentwicklungsgrad der Prozesse für eine anschließende
Digitalisierung (Referenzmodell); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . 85
Abb. 12: Reifegrade der Prozessdigitalisierung; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . 86
Abb. 13: Aufbau und Arbeitsweise des Process Minings;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Abb. 14: Verfahren des Process Minings; Quelle: In Anlehnung an
BDEW (2016): Die digitale Energiewirtschaft, Berlin, S. 47 f., 51 . . . . . . . . . . . . . . 89
Abb. 15: Informationsperspektiven im Process Mining; Quelle: Eigene Darstellung . . . 90
Abb. 16: Zusammenspiel Vorhersage, Heilung und Lernen; Quelle: Eigene Darstellung 93

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 17: Unterschiedliche Blickwinkel bei Digitalisierungsprojekten;


Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Abb. 18: Wertschöpfungsanteile im Verhältnis zu anderen Leistungsanteilen;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Abb. 19: Definition von Prozessen; Quelle: Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84),
S. 52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Abb. 20: Wertschöpfungskette Beratung, Abschluss eines Mobilfunkvertrags
bis Bezahlung der Telefonie; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Abb. 21: Übersicht verschiedener Prozessarten; Quelle: Krüger/Homp (1997):
Kernkompetenz-Management: Steigerung von Flexibilität und
Schlagkraft im Wettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden, S. 152 und
Fischermanns, Guido (2013): Praxishandbuch Prozessmanagement –
Das Standardwerk auf Basis des BPM Framework ibo-Prozessfenster®,
Verlag Dr. Götz Schmidt, Gießen, S. 119 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Abb. 22: Prozesslandkarte und Prozesslandschaft; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . 103
Abb. 23: Prozessebenen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Abb. 24: Prozesslandkarte für ein imaginäres Maschinenbauunternehmen;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Abb. 25: Einfluss- und Veränderungsfaktoren für Prozesse;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Abb. 26: Nulloption und Nutzenbewertung: Was bringt eine
Prozessverbesserung?; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Abb. 27: Unterschiedliche Ansätze der Prozessentwicklung;
Quelle: In Anlehnung an Becker, Torsten (2008): Prozesse in
Produktion und Supply Chain optimieren, Springer-Verlag,
Heidelberg, S. 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Abb. 28: Kernaufgaben des Prozessmanagements;
Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 8 . . . . . . . 110
Abb. 29: Effiziente und effektive Prozessoptimierung; Quelle: Eigene Darstellung . . . . 111
Abb. 30: Schritte in die Entwicklung digitaler Prozesse; Quelle: Eigene Darstellung . . . 112
Abb. 31: ABC-Analyse (Prozessbeitrag nach Vorgangsart);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Abb. 32: Dimensionen der Prozesssegmentierung; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . 117
Abb. 33: Kompetenzgebiete des Prozessberaters 4.0; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . 123
Abb. 34: Spannungsfeld der Stakeholder-Interessen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . 128
Abb. 35: Zonenmodell der Prozess-Stakeholder; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . 130
Abb. 36: Einfluss-Interessen-Diagramm; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Abb. 37: Einfluss-Prozesskenntnis-Diagramm; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . 132
Abb. 38: Workshop-Prinzipien; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Abb. 39: Prozentuale Verteilung der Sinneswahrnehmungen;
Quelle: Kilian/Brexendorf, a. a. O. (Fn. 94) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 40: Jeder Prozess besitzt drei vermeintliche Zustände;


Quelle: In Anlehnung an http://www.sixsigmablackbelt.de/
wertstromanalyse-value-stream-mapping/ (Zugriff: 28.05.2017) . . . . . . . . . . . . 137
Abb. 41: Medien und Technik im Workshop; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . 139
Abb. 42: Prozess-Workshop und Zielkorridor (typische Zielsetzungen);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Abb. 43: Prozessorientierung im Unternehmen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . 144
Abb. 44: Beispiel einer SIPOC-Analyse; Quelle: In Anlehnung an
https://de.wikipedia.org/wiki/SIPOC (Zugriff: 28.05.2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Abb. 45: SIPOC-Analysen im Prozess; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Abb. 46: SIPOC-Fragestellungen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Abb. 47: Schnittstellenanalyse – Fünf-Punkte-Liste;
Quelle: In Anlehnung an Schneider/Geiger/Scheuring (2008):
Prozess- und Qualitätsmanagement: Grundlagen der
Prozessgestaltung und Qualitätsverbesserung mit zahlreichen
Beispielen, Repetitionsfragen und Antworten, Zürich, S. 135 f. . . . . . . . . . . . . . . 152
Abb. 48: Bereichsübergreifender Prozess (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . 153
Abb. 49: Schnittstellenmatrix (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Abb. 50: Schnittstellenidentifikation im Prozess-/Funktionendiagramm (Beispiel);
Quelle: Schneider/Geiger/Scheuring, a. a. O. (Abbildung 47), S. 135 . . . . . . . . . 154
Abb. 51: Evaluierung der Schnittstellenzufriedenheit (Beispiel);
Quelle: In Anlehnung an Schneider/Geiger/Scheuring, a. a. O. (Abbildung 47) 154
Abb. 52: RACI-Matrix (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Abb. 53: Schwimmbahndarstellung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . 159
Abb. 54: Murphy-Simulation (Beispiel); Quelle: Pyzdek, Thomas (2014):
The Six Sigma Handbook – Fourth Edition, Mcgraw-Hill Education Ltd.
New York, S. 272 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Abb. 55: Prozessbebauungsplan (Beispiel); Quelle: Hanschke/Lorenz,
a. a. O. (Fn. 102) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Abb. 56: IT-Bebauungsplan (Beispiel); Quelle: Hanschke/Lorenz, a. a. O. (Fn. 102) . . . . 162
Abb. 57: Gestaltungsvorschläge für die Brown-Paper-Methode;
Quelle: In Anlehnung an Ortner, Wolfgang: Vorlesungsskript:
Erhebungsmethoden für Geschäftsprozesse, FH Oberösterreich, Steyr . . . . . . 163
Abb. 58: Exemplarische Übersicht von Bildkarten bei der Bildkartenmethode;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Abb. 59: Bildkartenmethode nach allen drei Runden (Beispiel);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Abb. 60: Ursachen und Wirkung in der Ishikawa-Analyse;
Quelle: In Anlehnung an Drews/Hillebrand (2010): Lexikon der
Projektmanagement-Methoden: Die wichtigsten Methoden
im Projektmanagement-Life-Cycle, Haufe, Freiburg, S. 148 ff. . . . . . . . . . . . . . . . 167

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 61: Ishikawa-Analyse (Beispiel); Quelle: In Anlehnung an


Schulte-Zurhausen, Manfred (2002): Organisation,
Vahlen Verlag, München, S. 514 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Abb. 62: Vorgehen bei einer Ishikawa-Analyse;
Quelle: http://www.sixsigmablackbelt.de/ishikawa-diagramm/
(Zugriff: 27.11.2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Abb. 63: Makigami-Technik (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Abb. 64: Gängige Informationsquellen in der Prozessanalyse;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Abb. 65: Vorgangsgesteuerte Prozessdarstellung (Beispiel);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Abb. 66: Ereignisgesteuerte Prozessdarstellung (Beispiel);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Abb. 67: Den ganzen Elefanten sehen; Quelle: In Anlehnung an Schnetzer,
Ronald (2014): Achtsames Prozessmanagement: Work-Life-Balance
und Burnout-Prävention für Unternehmen und Mitarbeitende,
Springer Gabler, Wiesbaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Abb. 68: Entscheidungshilfe zum passenden Optimierungsansatz;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Abb. 69: Prinzipien des Prozess-Reengineerings; Quelle: In Anlehnung an
Hammer, Michael: Reengineering Work: Don’t Automate, Obliterate,
Harvard Business Review, August 1990, S. 104–112 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Abb. 70: Grundlegende Prozessoptimierungsansätze;
Quelle: Thonemann, Ulrich (2010): Operations Management:
Konzepte, Methoden und Anwendungen, Pearson Studium,
München, S. 149 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Abb. 71: Aus Maßnahmen Arbeitspakete ableiten; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . 185
Abb. 72: Grundlegendes Vorgehen der Fit/Gap-Analyse;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Abb. 73: Arbeitsplan zur Prozessentwicklung; Quelle: In Anlehnung an
Freidinger, Robert: Vorlesung Geschäftsprozessmodellierung,
Berufsakademie Stuttgart, Semester 2008/2009: http://slideplayer.org/
slide/669712/ (Zugriff: 28.01.2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Abb. 74: Prozesssteuerung durch Leistungsüberwachung;
Quelle: In Anlehnung an Benes/Groh (2011): Grundlagen des
Qualitätsmanagements, Fachbuchverlag Leipzig, S. 165 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Abb. 75: Kontrollgrößen und Prozessverlauf; Quelle: Benes/Groh, a. a. O.
(Abbildung 74) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Abb. 76: Ansatzpunkte zur Prozessüberwachung (Prozesssteuerung);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Abb. 77: Process Scorecard (PSC); Quelle: Horváth, Péter, a. a. O. (Fn. 108) . . . . . . . . . . . 195

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 78: Zielgröße je Prozessperspektive (Beispiele);


Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 95 . . . . . . 196
Abb. 79: Operationalisierung von Prozesskennzahlen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . 197
Abb. 80: Fehlerfreiheit beim ersten Fertigungsdurchlauf (First Time Right);
Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 312 . . . . . 199
Abb. 81: FPY nach Industrie; Quelle: In Anlehnung an Töpfer, Armin (2007):
Six Sigma: Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte
Null-Fehler-Qualität, Springer, Berlin Heidelberg New York, S. 140 f. . . . . . . . . . 200
Abb. 82: Erfolgsquote bei Wertschöpfungsketten (Beispiel);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Abb. 83: Prozessverhalten mit und ohne Prozesspflege;
Quelle: Rießelmann, Julia (2011): Faktenblatt »Effizient mit
Ressourcen umgehen: Wertstromdesign«, RKW-Kompetenzzentrum,
S. 3: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/innovation/2011/
faktenblatt/effizient-mit-ressourcen-umgehen-wertstromdesign/
(Zugriff: 21.01.2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Abb. 84: PDCA-Zyklus nach Deming; Quelle: In Anlehnung an
https://de.wikipedia.org/wiki/Demingkreis (Zugriff: 22.07.2017) . . . . . . . . . . . . 203
Abb. 85: Prozess-Governance: Leitplanke für das Prozessmanagement;
Quelle: In Anlehnung an Kirchmer, Mathias (2005): Business Process
Governance: Orchestrating the Management of BPM, Whitepaper,
Pennsylvania . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Abb. 86: Prozess-Governance: Brücke zwischen Unternehmensstrategie und
Prozessführung; Quelle: In Anlehnung an Paim/Flexa (2011):
Process Governance: Definitions and Framework, Part 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Abb. 87: Entwicklung einer Prozess-Governance;
Quelle: Braganza/Lambert, a. a. O. (Fn. 110) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Abb. 88: Geistige »Mauern« zwischen Bereichen; Quelle: In Anlehnung an
Ehrlenspiel, Klaus (2009): Integrierte Produktentwicklung:
Denkabläufe, Methodeneinsatz, Zusammenarbeit,
Hanser Verlag, München, S. 187 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Abb. 89: Formen prozessorientierter Aufbauorganisationen;
Quelle: In Anlehnung an Fischermanns, Guido, a. a. O.
(Abbildung 21), S. 185 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Abb. 90: Unterschiede prozessorientierter Aufbauorganisationen;
Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann, a. a. O.
(Fn. 84), S. 212 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Abb. 91: Schematische Darstellung einer reinen Prozessorganisation;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Abb. 92: Gegenüberstellung funktionaler und prozessorientierter
Aufbauorganisation (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

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Abb. 93: Merkmale von Funktions- und Prozessorganisationen;


Quelle: In Anlehnung an Schmelzer/Sesselmann, a. a. O.
(Fn. 84), S. 205 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Abb. 94: Effizienzausprägungen funktionaler und prozessorientierter
Aufbauorganisationen; Quelle: Schmelzer/Sesselmann, a. a. O.
(Fn. 84), S. 211 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Abb. 95: Starke Prozessorganisation (Beispiel); Quelle: In Anlehnung an
Schmelzer/Sesselmann, a. a. O. (Fn. 84), S. 183 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Abb. 96: Beschreibung typischer Prozessrollen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . 212
Abb. 97: Konzept des Action Distance Managements (ADM);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Abb. 98: Wertminderung durch Latenz-Zeiten; Quelle: zur Muehlen/Shapiro:
Business Process Analytics, in: Rosemann/vom Brocke (2009):
Handbook on Business Process Management, Vol. 2,
Springer Verlag, Berlin et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Abb. 99: Ableitung von Baseline-Daten durch Prozesssimulation;
Quelle: In Anlehnung an PwC, a. a. O. (Fn. 85), S. 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Abb. 100: Vernetzung von Anwendungen und Kommunikationsmitteln;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Abb. 101: Vernetzungsdruck führt zu hohen Transaktionsvolumina;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Abb. 102: Typische Vorteile von Robotic Process Automation;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Abb. 103: Spektrum der RPA-Lösungen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Abb. 104: Gegenseitige Ergänzung von BPM- und RPA-Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Abb. 105: Bot-Farm mit Kontrollraum, Betriebszentrale und Werkstätte;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Abb. 106: Zusammenspiel von BPM, RPA und Process Mining;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Abb. 107: Vorgehen bei Einführung von RPA-Technologien;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Abb. 108: Bewertungskriterien RPA-geeigneter Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Abb. 109: RPA-Einsatz in stark transaktionalen Industrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Abb. 110: RPA-Einsatz in typischen E2E-Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Abb. 111: Fünf Stufen bis zum vollautonomen Fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Abb. 112: Drei Ebenen der Fahrzeugentwicklung (Fn. 127) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Abb. 113: Vergleich von Codebasen verschiedener Informationsobjekte . . . . . . . . . . . . . . 245
Abb. 114: Revolution im Homologationsprozess; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . 246
Abb. 115: Einsatz von Blockchain-Technologien im Prüfprozess automatisierten
Fahrens; Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Fn. 143) . . . . . . . . . . . . . 250
Abb. 116: Möglichkeiten der Softwareaktualisierung von Fahrzeugflotten;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 117: Typische »Over the air«-Übertragungsstrecke vom OEM bis


zum Einzelfahrzeug (in Anlehnung an: https://www.next-mobility.news/
was-es-bei-over-the-air-updates-im-automotive-bereich-zu-beachten-
gibt-a-783494/) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Abb. 118: Positionsdiagramm einer Prozessoptimierung (Beispiel);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Abb. 119: Symptompyramide; Quelle: In Anlehnung an Häuser, Simon (2017):
Kundenpräsentation, München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Abb. 120: Typische Reaktionen auf Veränderungen; Quelle: In Anlehnung an
Dr. Seibert, Siegfried (2015): Vorlesung Grundlagen des
Change-Managements, Hochschule Darmstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Abb. 121: Veränderungsprozess aus Sicht eines Betroffenen;
Quelle: Kotter, John P. (1996): Leading Change, Harvard und
deutsche Übersetzung: Leading Change – Wie Sie Ihr Unternehmen
in acht Schritten erfolgreich verändern (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Abb. 122: Wandel als Infektion; Quelle: Häuser, Simon, a. a. O. (Abbildung 119) . . . . . . . 267
Abb. 123: Verlauf und Dauer von Veränderungsprozessen; Quelle: Häuser,
Simon, a. a. O. (Abbildung 119) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Abb. 124: Zielhorizonte im Unternehmen (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . 270
Abb. 125: Spannungsfeld der Führungsaufgaben; Quelle: Häuser, Simon,
a. a. O. (Abbildung 119) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Abb. 126: Nachhaltigkeitsindikatoren; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

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Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Übersicht der Prozessorientierungsphasen; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . 29


Tab. 2: Aus Daten Informationen entwickeln und Wissen ableiten;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Tab. 3: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung – Dimension »Ziele«;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Tab. 4: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung –
Dimension »Governance«; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Tab. 5: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung –
Dimension »Kennzahlen und Leistungskontrolle«;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Tab. 6: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung –
Dimension »Digitalisierungsstrategie«; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . 83
Tab. 7: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung –
Dimension »Analytics«; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Tab. 8: Checkliste zum Reifegrad der Prozessdigitalisierung –
Dimension »Vernetzung (Prozesse/IT)«; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . 84
Tab. 9: Beispiele für mechanische Bauteile und ihre mit Sensoren messbaren
physikalischen Werte; Quelle: Jahnke, Patrick (2015): Machine Learning
Approaches for Failure Type Detection and Predictive Maintenance,
Diplomarbeit TU Darmstadt, S. 12: https://www.ke.tu-darmstadt.de/
lehre/arbeiten/master/2015/Jahnke_Patrick.pdf (Zugriff: 09.10.2016) . . . . . . . 92
Tab. 10: Bekannteste Formen der Prozessentwicklung; Quelle: Eigene Darstellung . . . 107
Tab. 11: Prozesswerkzeuge und Leistungsumfang; Quelle: Drawehn/
Kochanowski/Kötter, a. a. O. (Fn. 92) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Tab. 12: Prozesswerkzeuge und unterstützende Notationen;
Quelle: Drawehn/Kochanowski/Kötter, a. a. O. (Fn. 92) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Tab. 13: Informationen zur Bewertung des sozialen Prozessumfelds;
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Tab. 14: Checkliste zur Betroffenheitsanalyse; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . 131
Tab. 15: Prozessreifegrade im PEMMTM; Quelle: In Anlehnung an Hammer,
Michael: Reengineering – Der große Prozess-Check, in:
Harvard Business Manager, Mai 2007, S. 34–53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Tab. 16: Kunden und Lieferanten im Prozess; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . 150
Tab. 17: Informationsfluss-Analysematrix (Beispiel); Quelle: Schneider/
Geiger/Scheuring, a. a. O. (Abbildung 47) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Tab. 18: Beschreibung der Ursachenklassen in der Ishikawa-Analyse;
Quelle: http://www.awf.de/wp-content/uploads/2014/12/
Problemloesemethode-Ishikawa.pdf und http://www.sixsigmablackbelt.de/
ishikawa-diagramm/ (beide Zugriff: 27.11.2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

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Tabellenverzeichnis

Tab. 19: Ergebnisse der Analysephase; Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174


Tab. 20: Maßnahmen- und Hypothesenkatalog (Beispiel);
Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Tab. 21: Fit/Gap-Analyse (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Tab. 22: Übersicht der verschiedenen Latenz-Typen; Quelle: In Anlehnung an:
http://www.wi2015.uni-osnabrueck.de/Files/WI2015-D-14-00101.pdf
(Zugriff: 09.03.2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Tab. 23: Nachhaltigkeitsbetrachtung (Beispiel); Quelle: Eigene Darstellung . . . . . . . . . 261

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Stichwortverzeichnis

Symbole Beschleunigung 23, 25, 27


3D-Druck 65, 66 Betroffenheitsanalyse 131
5G-Mobilfunknetz 57 Bezos, Jeff 18, 48
Biedermeier-Zeit 23
A Bildkartenmethode 164, 166
ABC-Analyse 113, 115, 116, 118 Blockchain 220, 249
Action Distance Management (ADM) 213 Bot-Farm 231
Activity Tracker 49, 51 – Anwenderunterstützung 233
agiles Projektmanagement 74 – Aufgaben-Monitoring 233
Alexa 39 – Aufgabenversorgung 232
Arbeitsorganisation 34, 36 – Virtualisierung 234
Arbeitsteilung 32, 35, 38, 39 – zentralisiertes Bot-Management 233
Arbeitswelt 45 Brown-Paper-Methode 163, 164
– digitale Berufsbilder 68 Business Model Canvas 75
Automatisierung 46, 54, 67, 219 Business Process Management System
Automobilindustrie 220 (BPMS) 218
autonomes Fahren 19, 94, 241
– Datenübertragungsprozesse 253 C
– Fahrzeugbetrieb 250 Change Management 134
– fünf Stufen 241 Change Manager 263
– Homologation 243 Chaplin, Charlie 33, 36
– Prozesssicht 242 Chief Digital Officer (CDO) 69, 211
– Prüfungs- und Freigabeprozesse 248 Chief Process Officer (CPO) 17, 211
– Softwareaktualisierung 251 Cockerill, John 32
– Testprozesse 246, 248 Crowdsourcing Manager 71
– Überwachungs- und Lernprozesse 254 Customer Experience Manager 71
Cyber-Attacke 58, 59, 60
B Cyber Security Manager 70
Balanced Score Card (BSC) 194
Berufsbild D
– Chief Digital Officer 69 Dampfmaschine 21, 22, 23
– Crowdsourcing Manager 71 Data Strategist 69
– Customer Experience Manager 71 Daten 46, 49
– Cyber Security Manager 70 – Begriffsklärung 63
– Data Strategist 69 – Chief Data Scientist 68
– Digital Supply Chain Manager 70 – digitales Erdöl 62
– Feelgood Manager 70 – exponentielles Wachstum 57
– Maintenance Manager 71 – jährliches Datenvolumen 55
– Mobile Developer 69 – Relevanz der Daten 61
– Touchpoint Manager 70

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Stichwortverzeichnis

– von nackten Daten zur Prozessautono- E


mie 85 Einfluss-Interessen-Diagramm 132
– weltweit produzierte Datenmenge 47 Einfluss-Prozesskenntnis-Diagramm 133
Datenübertragung 253 Eisenbahnbau 39
Dequalifizierung 35 elektronische Datenhaltung 24
Design Thinking 75 Embedded System 53
digitale Revolution 38, 46, 64 End-to-End-Prozess (E2E) 101
digitales Navigationsinstrument 213 Entropie 105
Digitalisierung 23, 24, 46, 49, 58, 64, 66, 67, Erfolgsquote 199, 201
78, 95, 112, 194 exponentielles Wachstum 55, 57
– als Treiber analoger Prozessoptimie-
rung 96 F
– Auswirkungen auf den Arbeits- Fahrzeugentwicklung 244
markt 67 Feelgood Manager 70
– Auswirkungen auf Unternehmen 76 Fit/Gap-Analyse 186, 187
– autonomes Fahren 241 Fließbandarbeit 33, 38
– Digitalisierungsprojekte 97 Ford, Henry 34, 36, 37, 41
– Digitalisierungsstrategie von Unterneh- Fortschritt 25
men 81 Fortschrittsglaube 32
– Digitalisierung von Geschäftsprozes- FTR-Kennzahl 198
sen 17 Führungsaufgaben 271
– Dualität der Digitalisierung 219
– Farmer der Digitalisierung 229 G
– invasive und non-invasive Formen der Gewerkschaftsbewegung 23
Digitalisierung 219 gläserner Mitarbeiter 228
– Roboterfarmen 230, 231
– von Geschäftsprozessen 58 H
Digitalisierung;>;> 276 Hackathon 75
Digitalisierungsgradmesser 213 Handwerk 32
Digitalisierungskonzept 118 Heisenberg, Werner 31
– Algorithmen und Modelle 119 Homologation 243, 246
– Analysewerkzeuge 119
– Architektur 118 I
– Controlling und Reporting 119 Individualisierung
– Daten-Management 118 – von Produkten und Dienstleistun-
– Datenschutz 119 gen 79
– IT-Sicherheit 119 Industrie 4.0 24, 275
– Prozesse und Prozessbetrieb 118 industrielle Revolution 21, 22, 38, 275
– Prozessorganisation 119 – Mechanisierung 29
– Zielsetzungen 118 Industrieproduktion 65
Digital Supply Chain Manager 70 Informationsanalyse 155
DILO-Analyse 172 Informationsfluss-Analysematrix 156
Disruption 64, 66, 219, 242 Informationssicherheit 58

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Stichwortverzeichnis

Innovation – Nachhaltigkeitsindex 261


– Verbreitungsgeschwindigkeit 27 – Nachhaltigkeitsindikatoren 273
Insourcing 229 Nomadentum 23, 77
intelligente Texterkennung (OCR) 223
Internet of Things (IoT) 38, 50, 51, 52, 53, O
220 Outsourcing 229
– Gefahrenpotenzial 59 Over the air-Update 252
Ishikawa-Analyse 166, 167, 168, 169
P
K PDCA-Zyklus nach Deming 202
Kanban 75 Precision Farming 54
Kennzahlensystem 190 Process and Enterprise Maturity ModelTM
Klassenkampf 22 (PEMM) 145, 146
Koolhaas, Rem 45 Process Mining 87, 88, 89, 90, 91, 234
kreative Zerstörung 64 Process Scorecard (PSC) 195
Kreditvergabeprozess 117 Projektarbeit
kultureller Wandel 263 – Ableiten der Arbeitspakete 184, 185
Kunde-zu-Kunde-Prozess (C2C) 101 – Fit/Gap-Analyse 186
künstliche Intelligenz 223 – Formulierung des Projektauftrags 187
Projektmanagement 74
L Prozess
Lean Start-up 75 – als Augen und Ohren des Unterneh-
Leistungskontrolle 228 mens 80
Lieferantenprozess 67 – Definition von Prozessen 99
– Einfluss- und Veränderungsfakto-
M ren 105
Machine Learning 223 – intelligente Prozesse 87, 88, 89, 90, 91
Maintenance Manager 71 – Konstanten der Prozessoptimie-
Makigami-Technik 169, 170, 172 rung 95
Manchester 21 – Mindestentwicklungsgrad der Pro-
Massenfertigung 66 zesse 84
Massenmarkt 39 – Prozessautonomie 85
McKinsey, James Oscar 42 – selbstlernende und selbstheilende
Mechanisierung 30, 31, 32, 38 Prozesse 92
Merkle-Tree 249 – Übersicht der Prozessarten 101
Mobile Developer 69 – Vernetzung von Prozessen 79
moderne Arbeitsorganisation 22 Prozessanalyse 115
moderne Arbeitswelt 45 – ABC-Analyse 115, 116
Modern Times 34 – Auswahl der Route 173
Murphy-Simulation 159 – Ergebnisse der Analysephase 174
– Informationsbeschaffung 171
N – Maßnahmenkatalog verifizieren 175
Nachhaltigkeit 259 – Prozess-Triage 117
– Nachhaltigkeit messen 272 – Prozessumfeldanalyse 147

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Stichwortverzeichnis

– Reifgradmodelle 144 – geringe Wertschöpfung als Anlass zur


– Standortbestimmung 143, 144 Optimierung 98
– Vergleich mit einer Bergtour 143 – Optimierung und Nachhaltigkeit 259
– Zielbild entwerfen 174 – Positionsdiagramm 262
– zukünftige Prozesse 176 – Prozessoptimierung 4.0 61
Prozessarten – Reenginieering und Restrukturie-
– operative Prozesse 102 rung 180
– Strategieprozesse 102 – Transformation der Geschäftspro-
– Supportprozesse 102 zesse 181
Prozessautonomie 87, 92 – Übersicht 111
Prozessbebauungsplan 160, 161 Prozessoptimierung 4.0 19
– IT-Bebauungsplan 161 Prozessorganisation
Prozessberater 121 – Struktur und Rollen 211
– Auswahl des Beraters 121 Prozessorientierung 27
– Kompetenzgebiete des Prozessbera- Prozesspflege 105, 182, 201
ters 123 – Nulloption 106
– soziale Kompetenz 122 Prozess-Reengineering 108, 180
Prozessdarstellung 177 Prozesssegmentierung 117
Prozessdigitalisierung 49, 54, 58, 67, 74, 78, Prozesssimulation 217, 218
111, 112 Prozess-Stakeholder 128, 130
– Checklisten zum Reifegrad 82 – Betroffenheitsanalyse 131
– Prozessschritte 112 – Spannungsfeld der Interessen 128
– Reifegrade der Prozessdigitalisie- – Stakeholder bewerten 129
rung 85, 86, 87 – Stakeholder identifizieren 129
Prozessebenen 103 Prozesssteuerung mit Kennzahlen 190
Prozessentwicklung 28, 97, 105 Prozess-Tools 123
– Formen der Prozessentwicklung 107 – Übersicht 125, 127
– kontinuierliche Prozessverbesse- – Vorüberlegungen 123
rung 108 Prozess-Triage 113, 117, 118
– Phasen der Prozessorientierung 29 Prozessüberwachung 189, 201
– Zeitphasen 29 – Ansatzpunkte 193
Prozessfehlsteuerung 269 – mit Kennzahlen 191
Prozess-Governance 204, 205 Prozesswirtschaft 68
– Entwicklung 204 Prozess-Workshop 133, 134
– Rahmen festlegen 203 – Aktivierung der Teilnehmer 135
Prozesskennzahl 196, 198 – Aktzeptanz und Identifikation der
Prozesslandkarte 103, 104 Teilnehmer 137
Prozessmanagement – Barrierefreiheit 135
– Kernaufgaben 109 – Einfachheit 138
Prozessmodell – keine starre Agenda 139
– nach Taylor/Ford 40, 43 – Philosophie des Prozess-Work-
Prozessoptimierung 95, 108, 109, 178, 180 shops 133
– Bausteine und Ansätze 182 – Rolle des Prozess-Workshops 133

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Stichwortverzeichnis

– technische Hilfsmittel 139 Smith, Adam 34


– Visualisierung 136, 162, 163 Software-Roboter 219, 229
– Zielarbeit 139, 141 SOS-Modell 101
Speicherkapazität 47
R Spezialisierung 68
RACI-Matrix 157, 158 Spinning Jenny 30
Rapid Prototyping 75 Stakeholder-Zonenmodell 130
Rationalisierung 41 Symptompyramide 263
Reengineering des Prozesses 108
Reifegradmodell 144, 146 T
Reiskorn-Legende 56 Taylor, Frederick Winslow 34, 35
RFID-Technik 51 Taylorismus 29, 35, 36, 38
Roboterisierung 67 Textilindustrie 30, 31
Robotic Process Automation 220, 222, 223, Touchpoint Manager 70
224, 225, 226, 229, 230, 234 transformationelles Führungssystem 73
– Bestandsaufnahme 236
– Einführung 235 U
– Marktvolumen 227 Übertragungsgeschwindigkeit 57
– Pilotprozess automatisieren 238 Unternehmenswelt 72
– Prozessanalyse 237
– RPA-Software auswählen 238 V
– Skalierung und Strategie 238 Veränderungsbereitschaft 79, 264
– Veränderungsmanagement 228 Veränderungsdruck 73, 77, 80
Robotisierung 54 Veränderungsprozess 263
– Prozess aus Sicht eines Betroffe-
S nen 266
Schnittstellenanalyse 150, 151 – typische Reaktionen auf Veränderun-
– Schnittstellen als Kummerquellen 150 gen 265
– Schnittstellenmatrix 152, 153 – Verlauf und Dauer 269
– Schnittstellenzufriedenheit 154 – Vorbereitung 268
Schwimmbahndarstellung 159 – Wandel als Infektion 267
Scrum 74 Verhaltenskontrolle 228
Sensorisierung der Prozesse 78 Vernetzung 221
Sensortechnik 53, 54 – der Prozesse 79
Sesshaftigkeit 23
Silicon Valley 27 W
SIPOC-Analyse 147, 149, 159 Watson 39
Siri 39 Wearable 49, 50
Six Sigma-Methode 147 Weltgeschichte 23
Smartbrille 49 Wertschöpfung 98, 99
Smart Contract 220, 249 – in der Automobilindustrie 245
Smartphone 26 – Wertschöpfungskette 100
Smartwatch 49 Wissensenteignung der Arbeiter 36

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