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Heft 2
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Swiss Bull, angew. Geol. Vol. 22/2, 2017 S. 33-47
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keiten der Rutschung bis 0,7 m/Jahr erhöht für die Prozesse Block- bis grossen Felssturz
zu haben. Entsprechend wurden in der letzten vor. Das Dorf liegt bisher ausserhalb von
Zeit verschiedene, geologische Felssturzkegeln (Fig. 4). Die Kantonsstrasse
Abklärungen vorgenommen, universitäre Studien von Lenz nach Brienz ist von Blocksturz und
[1] sowie diverse messtechnische Murgang betroffen, sie musste bei Ereignissen
Untersuchungen durchgeführt. Anhand von öfters gesperrt werden und Planungen
installierten Überwachungseinrichtungen ist heute für eine Strassenverlegung sind im Gange.
ein Frühwarndienst für den Ereignisfall Die im Zuge der zugenommenen Felssturzaktivitäten
Piz Linard
Felsabbruchgebiete
•"l.nnUch/L«'n>.
Plang
Turigns
Crappa Naira
34
hat bisher lediglich hochenergetischen - Was für eine Kinematik ist in diesem
Blocksturz von bis zu 60 m3 in die Nähe des System zu erwarten und wie wird sie sich
Dorfes gebracht. Bei erheblich grösseren im Laufe der Zeit entwickeln (Prozessverständnis)?
Felsmassen werden zunehmend Fliessprozesse
massgebend und die Sturzprozesse treten - Sind die geologisch-kinematischen
in den Hintergrund. «Fliessende» Schuttkegel Randbedingungen überhaupt gegeben, welche
haben eine erheblich weitere Reichweite Bergsturz ähnliche Ereignisse in diesem
und das Dorf Brienz kann gegebenenfalls Jahrhundert zulassen?
von einem solchen erfasst werden. Wo die - Welche geologischen Randbedingungen
Grenze von Felssturz Kubaturen zwischen haben diese Massenbewegung verursacht
200'000 m3 und der per Definition «Bergsturz- und wo stehen wir heute in ihrer
grösse» von 1 Mio. m3 liegt, d.h. wo Fliessprozesse zeitlichen Entwicklung (geologische
Legende:
Ostalpin (Silvretta-Decke (LHGS.MS); Ela-Decke (RHS); Languard-Decke (AD))
| | liasschiefer
| 1
Dolomitischer Liaskalk bei Eelfort
1 | Raibierschichten
| | Alteindolomit
LHCS | | Prosantoschichten
1 |
Aribergdolomit
| Arlbergkalk
Kristallin (RHS)
Südpenninikum (Aroser Zone (ASZ))
1
Allgäuschiefer
1
Nordpenninikum (NPF)
1 | Flysch
Mittelpennikum (Schamser Decken (SD))
1*. *. *. *| Brekzie von Tiefencastel
| |
Nivaigl-Serie
| |
Gips von Tiefencastel
1.
| 1
Kalk mit Hornfels. Uas
Bunte Tonschiefer. Trias
| |
Vorwiegend Tonschiefer und brekziöse Schiefer
iy-irii'-?.''
Quartär
| Flussablagerungen
| Eachschutt
-I Gehängeschutt
*| Grober Gehängeschutt
| Albulamoräne
| Landwassermorane
Tektonische Grenzen
1—1—' Abschiebung
*—*—* Überschiebung
Überschiebung (vermutet)
Fig. 3: Geologische Karte [1] modifiziert nach Brauchli & Glaser (1921) sowie Frey und Ott (1952) [8].
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1902 von C. Berry mit Kartierungen - 1982 erstellte man oberhalb des
untersucht. Schulhauses
von Brienz einen
- 1906 wurden im Rutschgebiet Brienz und Steinschlagschutzdamm.
hinter dem Felsabbruchrand auf den Mai- - 1986 wurde eine Gefahrenkarte erstellt
ensäss Propissi Oberflächendrainagen und diese 2008 überarbeitet.
erstellt und diese 1977 erneuert. - 1972 - 2004 erfolgten detaillierte Vermessungen
- 1921 begann man mit der Vermessung im Brienzer Rutsch.
einzelner Triangulationspunkte. - 1999 erfolgten erste, geologische
- Erste geologische Abklärungen zur Er- Ursachenabklärungen der Massenbewegung.
gründung der Massenbewegung erfolgten - 1999 wurde entlang der Kantonsstrasse
in den Jahren 1957 durch E. Strasser und ein Murgangauffangdamm erstellt und der
1971 durch E. Weber. Steinschlagschutzdamm oberhalb Brienz
- 1960 - 1973 wurde die Vermessung im wurde erweitert.
Felsabbruchgebiet intensiviert. - 2001/2002 Felssturz im Gebiet Caltgeras
- 1975 zerstörte ein Felssturz den Schutzwald von 150*000 m3.
oberhalb von Brienz.
im Arlbergdolomit hinunter
in die Schuttkegel des
Ablagerungsgebietes. Der
bewaldete Teil links im Bild ist
der «Bergsturz» Igl Rutsch.
Die Felssackung und
Rutschung wälzte sich 1902 - 1907
mit 1 m/Tag talwärts.
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- Ab 2009 erfolgten im ganzen Gebiet de, wurde eine Masterarbeit der ETHZ
systematisch GPS Vermessungen. ausgeführt [1], Das Ziel war einerseits die für
- 2015 dehnte sich das Abbruchgebiet mit Brienzer Rutsch kartiert war, begann man
Felsstürzen von lOO'OOO m3 im Frühjahr das Felsgebiet oberhalb bis hinauf zum Piz
und 30'000 m3 im Herbst weiter nach Linard auf knapp 2'800 m Höhe hinauf zu
Südwesten in das Gebiet von Creplas aus. kartieren.wurden möglichst klar bestimmbare,
Es
einfache Kriterien erfasst [2]. Grundsätzlich
wurde zwischen «aktiven» und «alten»
U Vorgehenskonzept Strukturen unterschieden. Aktive Strukturen
waren solche, wo Verschiebungen der letzten
Es wurde folgendes Vorgehen gewählt: 1 bis 2 Jahre
eindeutig festgestellt werden
konnten (frischer Versatz oder Riss in
- Geomorphologische Kartierung der Strassen, Feld- und Waldwegen, aufgerissene
Rutschung und des Felsgebietes oberhalb Vegetationsdecke, aktive Erosion). Alle übrigen
von Brienz. Ergänzung der bestehenden, oder zweifelhaften, an der Oberfläche
geologischen Kartengrundlagen, erkennbaren Lineamente wurden als «alte»
konsequente Aufnahme der Felstrennflächen Strukturen erfasst.
sowie der Wasseraufstösse und der Ver-
nässungen. Hinsichtlich der Kinematik wurde zwischen
- Interpretation dieser Daten mit dem Ziel, Zug- und Stauchstrukturen differenziert. Die
die Grossrutschung in einzelne Schollen Zugstrukturen unterteilte man in solche mit
zu unterteilen. einer überwiegend horizontalen
- Kinematische Interpretation, in welche (Spalten, Risse, Nacken-
Verschiebungskomponente
Richtung sich die Schollen aufgrund der tälchen, lang erstreckte Mulden) und solche
geologischen und physikalischen mit einem zusätzlich ausgeprägten, vertikalen
Randbedingungen verschieben müssen. Versatz (Abrisskanten, Geländestufen,
- Überprüfung der kinematischen Interpretation Erosionskanten). Die Bewegungsrichtung
mit den Verschiebungsmessungen. der Versätze wurde erfasst (Fig. 6).
- Miteinbezug weiterer geologischer Daten,
um eine geologische Modellhypothese Für die Gliederung des Brienzer Rutsches in
erarbeiten zu können. verschiedene Gleitschollen sind die kartierten
Versatzrichtungen, die laterale Ausdehnung
4.1 Geomorphologische Kartierung sowie die räumliche Dichte der «aktiven»
Strukturen berücksichtigt worden. Die
Im Kerngebiet des Felssturzgebietes, d.h. im Abgrenzung der oberhalb der Rutschung
Gebiet der Felsabbruchfront Caltgeras sowie auftretenden Fels Schollen erfolgte anhand
dem dahinter liegenden, von bis zu 15 m der «alten» Strukturen, da es kaum «aktive»
weit geöffneten Spalten durchsetzten Gelän¬ gab.
37
U.2 Kinematische Untersuchungen schen, der topographischen sowie der
Interaktionen zwischen den Schollen und der
verschieben, wurden aufgrund der geologi¬ entlang des Albulabachs verlaufenden Auf-
Sackunq/ Rutschunq
aktiv alt (schwach aktiv?)
Spalte, Rinne,
Nackental, Zugzone
-i- -f Anriss mit Versatz
Anriss, wenig Versatz
Sackungsabbruch,
Erosionsböschung
T T
Bacherosionskante/
Rutschaufstoss
w v»/ Stauchwulst
Gewässer
Murgangrinne
JD Quelle
—Vernässung
Fig. 6: Geomorphologische Kartierung mit «aktiven» und «alten» Strukturen der Massenbewegung,
hinterlegt mit der Reliefschattierung aus dem DTM [3]. Die alten Strukturen erstrecken sich weit über das
aktive Rutsch- und Felssturzgebiet hinaus (Rechteck Studienperimeter Masterarbeit A. Ludwig [1]).
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stosses der Rutschung und weiter progressiv sches eine flache Geländeterrasse bildet.
hangaufwärts, über das Rutschgebiet Das eigentliche Abrissgebiet lässt sich
hinaus bis in die dahinter folgenden aufgrund der geomorphologisch «aktiven»
Felsformationen hinein (Fig. 7). Danach wurden die Strukturen eindeutig unterhalb der
vorhandenen, geodätischen Daten inmitten des mit Blockschutt
Felsabbrüche
ausgewertet und die Verschiebungsvektoren mit bedeckten, steilen Abhanges von Caltgeras
den theoretisch ermittelten Verschiebungsrichtungen bestimmen. Geologisch gesehen verläuft der
der Schollen verglichen. Abrissrand entlang der Raibier Schichten
(Fig. 2, 3). Die Wände der unteren Felsrippe
von Creplas befinden sich noch innerhalb
5 Ergebnisse der Untersuchungen der Rutschung (Fig. 1).
von SSW nach SSE verändert haben (Fig. 11). Rutsches zeigen, dass die ganze
Massenbewegungbis hinauf ins oberste Anriss
Der Brienzer Rutsch kann in 6 grosse Schollen Gebiet unterhalb des Piz Linard im Zuge
unterteilt werden. Das Dorf Brienz befindet eines Talzuschubes mit <10 mm/Jahr
sich inmitten einer Grossscholle, die talwärts kriecht [6]. Das Dorf Brienz verschiebt
unter dem Abrissrand des Brienzer Rut¬ sich im langjährigen Mittel mit 100 mm/Jahr,
39
Legende
Trennflächen (F: Flysch;
rot: Schieferung, grün: Klüfte
i 1
Felsabbruch Gebiet
C I Bergsturz Ablagerung
Q Wasser Aufstoss
Interpretation Schollen
Brienzer Rutsch
—- Ausserhalb Rutsch
Interpretation Kinematik
Verschiebungsrichtung der
O Schollen (von rot hohe bis
D^> grau geringe Verschiebung)
Vektoren Geodäsie
—^ GPS (2009-2013, [4])
—(1972-2004,(4]) ;
chputsch&h
Propissj,
\Saur$
Davains
Vazerol
_Brienz.
Surava
Kartenlegende
Albula Bach
•— RhB
Tiefencastel — Kantonsstrasse
Q Ortschaft
• Kriche
I I I
\i Is ° \£
Fig. 7: Abgrenzung von aktiven Schollen des Brienzer Rutsch und deren Fortsetzung im Felsgebiet oberhalb.
Wasser Aufstösse folgen meist den Schollengrenzen. Entsprechend der kinematischen Freiheitsgrade
der einzelnen Schollen sowie der geologischen Disposition wurden ihre Bewegungsrichtungen theoretisch
ermittelt (Signaturen Feldaufnahmen gem. Fig. 6).
40
Ess®
Fig. 8: a) Nackentälchen im Arlbergkalk von Culmatsch, ~ 2200 m ü.M.; b] Grossspalte und c) Toppling im
Arlbergdolomit oberhalb Caltgeras, ~ 1700 m ü.M.; d) hochenergetischer Blocksturz während Felssturz
Ereignis 2011 [Bild A. Huwiler); e) aktiver Abrissrand im NW des Brienzer Rutsches mit mehreren 10er
MeterVersatz, - 1300 m ü.M.; f] Übergang derselben Struktur zu diskreter Scherbewegung.
41
der übrige Brienzer Rutsch mit 100 bis 200 5.3 Modellbasis der Massenbewegung
mm/Jahr. Das exponierte Felsabbruchgebiet
war in den letzten Jahren Verschiebungsraten Die Untersuchungen brachten eine komplex
bis zu ~ 2 m/Jahr ausgesetzt [5]. In Richtung aufgebaute Massenbewegung zu Tage. Ihr
der Albula verlangsamen sie sich. Ursprung ist in der Talgeschichte, d.h. im
Kreuzungsbereich des Albulatals, mit seiner
Die westlich gelegenen Schollen des Brienzer Fortsetzung in der Schinschlucht und dem
Rutsches zeigen die höchsten höher gelegenen Oberhalbstein, mit der
Verschiebungsraten. destabilisieren die zum
Sie Fortsetzung in der Lenzerheide, zu suchen.
westlichen Rutschrand abfallende, noch Die in verschiedenen Phasen ablaufende
bewaldete Felsrippe, was entlang ihrer Tiefenerosion der Talgletscher und die
beiden Flanken die Felssturzaktivitäten bei Calt- nacheiszeitliche Erosion durch die Haupt- sowie der
geras und Davains in den letzten Jahren Seitenbäche, prägte in den letzten Jahrtausenden
erhöhte (Fig. 1). die Massenbewegung.
Albula ist stark eingeschränkt und kann nicht und die entstandenen Freiheitsgrade
als der primäre Motor der Massenbewegung bestimmten zusammen mit dem geologischen
angesehen werden. Aus geometrischen Gebirgsaufbau die Art der Entfesti-
Gründen ist für die Rutschung ein Tiefgang gungsprozesse, wie Kriechen, Versacken,
von 100 bis 200 m anzunehmen (Fig. 10). Die Gleiten, Kippen und Sturz. Das heisst alle
untersten Rutschschollen verfügen beim Auf- diese Prozesse treten innerhalb der
stoss zur Albula über die grössten Freiheitsgrade. Massenbewegung nebeneinander auf.
in ihren Zugzonen «aktive» Strukturen festgestellt Damit konnten mehrere 100 m tiefe Gleit-
werden. und Sackungsprozesse, begleitet von
Die Verschiebungsgeschwindigkeiten der Bergstürzen entstehen (Fig. 10). Da das Einfallen
Massenbewegung scheinen aufgrund der des Flysch schief zum Albulatal verläuft, war
ersten Daten von den jährlichen nur ein beschränktes Gleiten unter
Niederschlagsmengen abhängig zu sein [2]. Die Zwängungen möglich.
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keine Gleitflächen ausbilden. Die Entspannung laufende Spalten und Graben Bildungen [2],
bewirkte entlang der sich öffnenden Durch das nach SW und SE tiefgründige
Klüfte tiefgründige, in Richtung NW-SE ver¬ Auseinanderdriften des durch die Tiefenerosion
Legende
Schollen (Interpretation)
Zugzone
Stauchzone
Verschiebung (von rot, Schautschen
rasch bis grau, langsam)
Schollen Grenzen
in Brienzer Rutsch
in Felsformationen
'Propissi Saurai
aktive Strukturen (Kartierung)
////
J *,
Zug
Stauchung
Y»,
Prèpjssi Soy
Raibier Schichten
Davains
Creplas
Vazeroj.
Surava
Karlenlegende
Albuin Bach
Eisenbahn
Tlefencastel — Kantonsstrassen
O Ortschaft
# Kriche
il il ll
Fig. 9: Kinematische Interaktionen zwischen den talwärts gleitenden Schollen des Brienzer Rutsches mit
stets sich verändernden Zug- und Stauchzonen und den «aktiven» Auswirkungen bis in die Felsschollen
von Propissi und Schautschen auf - 1800 m ü.M.
A3
im Gelände vorspringenden Gebirgsblockes generierte in der Massenbewegung komplex
des Piz Linard wurden Zwängungen gelöst, überlagerte Oberflächenstrukturen, deren
was die nach Süden gerichtete Felssackung Interpretationen im Feld schwierig bleiben.
von Brienz ermöglichte. Aufgrund der Iitho-
logischen Verhältnisse kann der Ursprungsort
des Plateaus von Brienz ~ 350 m höher, 6 Antworten zu den zentralen Fragen
auf der Höhe von Plang Turigns angenommen
werden (Fig. 1). Sie löste sich Die direkte Beeinflussung der heutigen
wahrscheinlich vor mehreren tausend Jahren Sturzaktivitäten durch die Brienzer
entlang der, infolge des Topplings inzwischen Rutschung hat sich bestätigt. Die Rutschung
steil stehenden Raibier Schicht ab, genauso entlastet den Fuss der dahinter liegenden,
wie dies im östlichen Randgebiet die junge überhöhten Felsmassen, begünstigt
Felssackung Igl Rutsch tat (Fig. 9). oberflächennah das Toppling und führt im tieferen
Diese mehrphasige, in verschiedene Die im Laufe der Zeit entlang des verstürzenden
Richtungen verlaufende Gebirgsentfestigung Sackungsrandes wandernden Felssturz-
1100
1000
£2L
Fig. 10: NNW-SSE verlaufendes, geologisches Profil D mit den mehrere 100 m tief bis in den nach E - SE
einfaltenden Flysch hinunter reichenden Graben-, Sackungs- und Rutschstrukturen [2],
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aktivitäten sind derzeit in den Allgäuschiefern Raibier Schichten über geringe Druck- und
und im Flysch von Creplas aktiv. Dies damit auch Zugfestigkeiten verfügen, bilden
weil die darunter liegenden Rutsch Schollen sie bevorzugt die Ablösehorizonte von Fels-
die grössten Verschiebungen aufweisen und sackungen, wie eben auch jener der Gross-
damit die bewaldete Felsrippe zunehmend sackung von Brienz (Fig. 9). Durch den grossen
entlasten. Höhenversatz der Sackung kommt es zu
einem «portionenweisen» Verstürzen des
Sturzaktivitäten, welche eine Dynamik eines verkippenden Sackungsrandes.
Bergsturzes erreichen, erscheinen in den
nächsten 50 bis 100 Jahren als Ein weiterer, wesentlicher Grund für eine
unwahrscheinlich. Dies weil oberhalb von Brienz die derzeit geringe Bergsturzgefährdung folgt
geologischen Verhältnisse keine grossräumi- daraus, dass sich die geodynamischen
gen Gleitprozesse zulassen. Die von früheren Randbedingungen langfristig stark verändern
Arbeiten postulierte, in talwärts müssen, damit Bergsturzszenarien eintreten
einfallenden Raibier Schichten können (Fig. 11).
angenommene,
ausgedehnte Gleitzone hat sich nicht Auf dem heutigen Stand der Kenntnisse ist
bewahrheitet. Vielmehr stehen die Raibier das Szenario «West» am wahrscheinlichsten.
Schichten infolge des Topplings in einem Ein infolge zunehmender Rutschaktivitäten
steilen Kontakt zu den Allgäuschiefer und der westlichen Schollen von Brienz
dem Arlbergdolomit. Da die Gesteine der anhaltendes Verstürzen der Felsrippe zwischen
Vergangenheit Kinematik
(1850-1950) (2000-2015)
Vektoren $ Schollen
Fixpunkte [6] Verschiebung
cd Sackung (von rot, rasch zu
Rutsch grau, langsam)
J
Szenario „West'
— neue aktive
Rutschungen
cd neu Sackung,
Bergsturz
\S
Fig. 11 Veränderung der Schollenkinematik von der Vergangenheit zu der Gegenwart bis in die Zukunft mit
Abschätzung der zu erwartenden, geodynamischen Bergsturzszenarien. Das anhaltende Lösen von
Zwängungen durch die SE (grüner Pfeil: Albula) und die SW (braun: Schin) gerichtete Gebirgsentlastung begünstigt
die nach Süden driftenden Schollen des Brienzer Rutsches (rosa). Ersteres hat sich heute als langsamer,
kriechender Prozess erwiesen. Daher kann das von den verschiedenen Szenarien ausgehende
Bergsturzrisiko für Brienz in den nächsten 50 bis 100 Jahren als gering erwartet werden.
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Davains und Caltgeras, schwächt den Gelände nur noch als über weite Strecken
bestehenden «Stützpfeiler» der Felsmassen des verfolgbare, geringfügige Einsenkungen
Gebietes Propissi, Schautschen. Sollten die erkennbar.
im Westen zwischen Tiefencastel und
Vazerol bisher kaum aktiven, hohe Zwängungen Ebenso sind die in demselben Lineament
verursachenden Randschollen VI und linear wechselnden, kinematischen
V2 mobilisiert werden, kann ein Bergsturzszenario Prozessphänomene, wie ein mit einem starken
46
Literatur
[1] Ludwig A. 2011: Kinematische Analyse der
Hanginstabilität von Brienz/ Brinzauls GR. -
Masterarbeit ETH Zürich
[2] BauGrundRisk GmbH 2014: Geologische
Abklärungen im Rutsch- und Bergsturzgebiet
Brienz. - Geologisches Gutachten
[3] Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden
2013: Digitales Geländemodell, DTMAV Gebiet
Brienz
[4] HMQ Ingenieure AG 2013: 49. Folgemessung
GPS Messungen Fels-sturzgebiet Caltgeras,
Gemeinde Brienz/ Brinzauls
[5] HMQ und CSD Ingenieure AG 2014: Daten
Tachymeter Messungen 2011 - 2014
Felssturzgebiet Creplas/ Caltgeras, Gemeinde
Brienz/Brinzauls
[6] Amt für Landwirtschaft und Geoinformatik
Graubünden 2014: Vermessungsdaten
Fixpunkte Lenz bis Surava 1921 - 2004 und Karte
der Rutschpunkte
[7] Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie
Meteo Schweiz 2014: Niederschlagsdaten Station
Tiefencastel Jahressummen 1961 - 2005
und Monatssummen 2007 - 2014
[8] Schweizerische Geologische Kommission 1926:
Geologische Karte von Mittelbünden 1:25'000,,
Blatt E: Piz Michèl, Frei, Ott, Brauchli, Glaser,
Cadisch, Cornelius, Staub, Wilhelm
[9] ETH Zürich Bildarchiv: Fotos der Sackung/
Rutschung Igl Rutsch
47