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Chagall bis Malewitsch. Russische Avantgarden | ARTinWORDS.

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BIOGRAFIE

Chagall bis Malewitsch. Russische Avantgarden


Malerei zur Zeit der Revolution
4. März 2016 Alexandra Matzner

„Die Revolution bringt die Freiheit hervor. Ohne Freiheit keine Kunst. Nur Inhaltsverzeichnis
in einer freien demokratischen Republik ist eine demokratische Kunst
möglich.“ [1]Zitiert nach Christoph Brockhaus (Hg.), Russische Avantgarde Stilvielfalt wohin man schaut – au

1910–1930 aus sowjetischen und deutschen Sammlungen (Ausst.-Kat. innerhalb einzelner Künstlerœuvr
Wilhelm Lehmbruck Museum), S. 6. (Aufruf der Föderation „Freiheit in Natalia Gontscharowa und Micha
der Kunst“ in der Prawda am 11. (24.) März 1917) Larionow – französische Moderne
russische Volkskunst
Marc Chagall und Wassily Kandin
lyrische und subjektive Richtunge
unter Kritik
Ljubow Popowa, Iwan Kljun, Alexa
Exter, Aristarch Lentulow und Kas
Malewitsch – Futurismus, Kubism
Kubofuturismus, Orphismus
Kasimir Malewitsch – Alogismus u
Natan Altman, Porträt der Dichterin Anna schwarzes Quadrat als Endpunkt
Achmatowa, 1914, Öl auf Leinwand, 123,5 x El Lissitzky und Alexander
Mark Antokolski, Zarin Alexandra Rodtschenko – Sonderformen des
103,2 cm und Petrokommune, 1921 Öl und
Fjodorowna, 1896, Marmor, 91 x 56 x 36 und
Email auf Leinwand, 104 x 88,5 cm (beide Suprematismus
Natalia Gontscharowa, Ringkämpfer,
Sankt Petersburg, Staatliches Russisches Das Ende der Avantgarden – der
1908/09, Öl auf Leinwand, 100 x 122 cm Sozialistische Realismus
Museum), Installationsansicht Albertina
(Sankt Petersburg, Staatliches Russisches Ismen in der russischen Malerei v
2016, Foto: Alexandra Matzner.
Museum), Installationsansicht Albertina

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2016, Foto: Alexandra Matzner. 1905 bis 1935


Neoklassizismus / neuer Realismu
Neoprimitivismus
Lyrische Abstraktion
Künstler_innen aus Russland nahmen nicht nur am Wandel des Staatswesens
Kubismus/Futurismus/Kubofutur
von einer autoritären Monarchie zur bürgerlichen Februar- und marxistischen
Suprematismus (reine Abstraktion
Oktoberrevolution und weiter zur sozialistischen Republik (1923 gegründet)
teil, sondern empfanden sich als fördernde Kraft auf dem Weg zu Freiheit und Konstruktivismus

gesellschaftlicher Veränderung. Als am 11. (24.) März 1917 der oben zitierte Figuration

Aufruf der Föderation „Freiheit in der Kunst“ erschien, waren die russischen Supronaturalismus
Künstler_innen bereits mit dem Virus der Avantgarde infiziert, da wichtige Biografien der wichtigsten
Sammler wie Iwan Abramowitsch Morosow und Sergei Schtschukin in den Künstler_innen
Jahren zuvor bedeutende Kollektionen französischen Malerei der Moderne Natan Altman (Winnitsa 1889–19
zusammengetragen hatten und diese zugänglich waren. In den folgenden 13 Leningrad)
Jahren entwickelten russische Künstler_innen in Figuration und Abstraktion, in David Burliuk (1882–1967 New Y
konstruktiven wie neoprimitiven Zugängen Möglichkeiten der Weltaneignung: Marc Chagall (eigentlich Moshe S
Neoprimitivismus, Rayonismus, Kubofuturismus, Suprematismus und Witebsk 1887–1985 Saint-Paul d
Konstruktivismus sind gleichzeitig möglich. Dass diese Modernebestrebungen Vence, FR)
in der Kunst parallel zum Diskurs, ja Kampf um die beste Gesellschaftsform Alexandra Exter (Bielostok 1882–
einherging, färbte nicht nur auf die Beteiligten ab, sondern wurde von einigen 1949 Fontenay-aux-Roses, FR)
frenetisch mitgetragen. Im Oktober (November) 1917 stürzte Lenin die im Pawel Filonow (Moskau 1882/3–
Februar erst installierte bürgerliche Provisorische Regierung und erklärte die
Leningrad)
Kommunistische Partei zur „Avantgarde der Arbeiterklasse“ [2]Klaus A.
Boris Dimitrievich Grigoriev (Mos
Schröder, Ausst.-Kat., S. 13..
1886–1939 Cagnes-sur-Mer, FR)
Natalia Gontcharowa (1881–196
Marc Chagall (1922) und Wassily Kandinsky (1921) – so Klaus Albrecht
Paris)
Schröder – verloren den ideologischen Kampf zwischen Künstlern und
Wassily Kandinsky (Moskau 1866
wanderten in Richtung Westen aus. Hierin mag im Kern bereits die
Machtergreifung Stalins 1924 und dessen rigorose Kunstpolitik der folgenden 1944 Neuilly-sur-Seine, FR)

Jahre vorausgenommen sein, die in der politischen Durchsetzung der Iwan Kljun (Moskau 1873–1943

Sozialistischen Realismus 1932 vorerst kulminierte. Ein erstes Opfer war Moskau)
Kasimir Malewitsch, dessen von ihm geleitetes staatliches Institut für Michail Larionow (Tiraspol 1881–
künstlerische Kultur (GINCHUK) bereits 1926 geschlossen und dessen Fontenay-aux-Roses, FR)
suprematistische Malerei als „Formalismus“ und Degeneration denunziert Wladimir Lébédew (St. Petersbur
wurde. Kurz vor dem offiziellen Ende der Avantgarden in Russland stellte sie 1881–1967 Leningrad)
1932 auf der „Malerei des russischen Sowjetstaats“ zum 15. Jahrestag der Aristarch Lentulow (Woronje bei
Oktoberrevolution von 1917 noch einmal das Erreichte aus. Die Verordnung 1882–1943 Moskau)
des Sozialistischen Realismus durch die Politführung noch im gleichen Jahr El Lissitzky (Potschinok bei Smole
beendete für alle diese von revolutionärem wie kämpferischem Elan 1890–1941 Moskau)
durchzogene Zeit und verordnete per Dekret den Einheitsstil. Kasimir Malewitsch (Kiew 1879–
Sankt Petersburg)
Stilvielfalt wohin man schaut – auch innerhalb Alexander Rodtchenko (Sankt
einzelner Künstlerœuvres Petersburg 1891–1956 Moskau)

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Am Beginn der Ausstellung „Chagall bis Malewitsch“ in der Albertina hängen Olga Rozanova (Melenki bei Wlad
zwei Gemälde von Natan Altman, das „Porträt von Anna Achmatowa“ (1914) 1886–1918 Moskau)
und „Petrokommune“ (1921), die seine Entwicklung vom Futuristen zum Wladimir Tatlin (Moskau 1885 – 1
suprematistischen Künstler dokumentieren. Natan Altman zeigt die Dichterin Moskau)
Anna Achmatowa, die schon in den 1910er-Jahren für ihren Stil des Von Chagall bis Malewitsch. Die
Akmeismus berühmt wurde, nicht porträtgenau, sondern suchte ihren fragilen, russischen Avantgarden
überschlanken Körper als Symbol für die Vergeistigung der Intellektuellen zu Österreich / Wien Albertina 26.2.
nutzen. Die Persönlichkeit der Porträtierten wird durch den kubistischen 26.6.2016
Hintergrund verstärkt, während der Körper zwar geometrisiert aber nicht
völlig aufgelöst wird. Wie in diesem Porträt bediente sich Altmann auch für die
„Studie zur Gestaltung des Schlossplatzes in Petrograd anlässlich des ersten
Jahrestags der Oktoberrevolution“ (1918, im Raum des „Agitprop“) einer
Von Chagall
kubistischen Formensprache. „Petrokommune“ (1921) und seine Nähe zum
Suprematismus steht dazu völlig im Kontrast. Drei Räume weiter zeigt Klaus
bis
Albrecht Schröder ein „Bildnis eines jungen Juden (Selbstbildnis)“ (1916) von Malewitsch.
Altmann, das aus Gips und Kupfer sowie Holz gebaut ist. Haben im zweiten Die russischen
Raum die Büsten des Kaiserpaares, Nikolaus II. und Alexandra Fjodorowna von Avantgarden
Mark Antokolski (1896), realistisch-idealisierte Züge, steht Natan Altmanns
Bildnis im Kontrast zur akademischen „Richtigkeit“. Ähnlich frappante
Österreich /
Stilwechsel finden sich am Beginn der Schau „Von Chagall zu Malewitsch“ in Wien
den Werken von Wladimir Lebedew (konstruktive Abstraktion – sanfter Albertina
Frauenakt, der an Renoir erinnert) und Iwan Kljun (suprematistische 26.2. –
Abstraktion – neusachliches Blumenstillleben). 26.6.2016

Kasimir Malewitsch, Suprematistischer Farbaufbau, 1928/29, Öl auf Leinwand, 72 x 52 cm


+ Kopf eines Bauern, 1928/29, Öl auf Sperrholz, 69 x 55 cm (beide Sankt Petersburg,
Staatliches Russisches Museum), Installationsansicht Albertina 2016, Foto: Alexandra
Matzner.

Klaus Albrecht Schröder reinszeniert den „Kampf“ um die „richtige“

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Ausdrucksform an den Wänden der Albertina. Hier steht die Malerei alleinig
im Vordergrund, bewusst verzichtete er auf Fotografie, Film, Tatlins Turm und
revolutionäre Konterreliefs, Architektur und Innenausstattungen, Stoffmuster
und Porzellandekor. In der äußerst intelligent gehängten Schau treibt Direktor
Schröder ästhetische Kampfansagen und künstlerische Feindschaften auf eine
ungeahnte Spitze, in dieser Zuspitzung macht die Albertina aber auch die
Irrationalität politisch und gesellschaftlich verordneter Stilentwicklungen
spürbar. Es stehen einander in elf Räumen möglichst widersprüchliche Stile
gegenüber, was im Fall von Natalia Gontscharowa von der Künstlerin selbst als
Sinnbild völliger Freiheit gedeutet wurde. So noch vor Ausbruch des Ersten
Weltkriegs möglich! In den Fällen Marc Chagall/Kasimir Malewitsch und El
Lissitzky sowie Wassily Kandinsky/Alexander Rodtschenko kulminieren die
Konflikte als Gegensätze von poetischer Figuration bzw. lyrischer und
suprematistischer Abstraktion. Aber auch zwischen suprematistischen
Gemälden und den spurotnaturalistischen Bauenbildern mit impressionistisch
gemalten Wiesen und Blümchen im Hintergrund, d. h. zwischen Malewitschs
schwarzen Kreis von etwa 1923 (eine Replik auf die 1915 gemalten
Abstraktionen) und dem Arbeiterporträt aus dem Jahr 1932, zeigen sich kaum
zu überbrückende Spannungen kunsttheoretischer und kunstpolitischer
Diskurse.

Sinaida Serebrjakowa, Das Bad, 1913, Öl auf Leinwand, 135 x 174 cm und Michail Larionow,
Venus, 1912, Öl auf Leinwand, 68 x 85,5 cm (beide Sankt Petersburg, Staatliches Russisches
Museum), Installationsansicht Albertina 2016, Foto: Alexandra Matzner.

Natalia Gontscharowa und Michail Larionow –


französische Moderne und russische Volkskunst
Sinaida Serebrjakowa „Das Bad“ (1913) und Michail Larionow „Venus“ (1912),

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eine klassische und eine betont naive Malweise treffen ungebremst


aufeinander. Larionow gehörte zu jener Gruppe russischer Künstler_innen, die
die Kunst zur Einfachheit und Ursprünglichkeit zurückführen wollten und dies
ab 1908 in Form des so genannten Neoprimitivismus auch taten. Larionows
Inspirationsquelle war die Stadtfolklore – volkstümliche Holzschnitte (Lubki)
oder Zeichnungen auf Zäunen und Hauswänden. Auf einer solchen könnte
man diese liegende Venus, begleitet vom Amorknaben und einer Taube mit
Liebesbrief, wohl auch eher vermuten. Mit der Betonung auf das nationale
Erbe und dessen Verschmelzung mit Tendenzen der französischen Avantgarde
eroberte sich Larionow zwischen 1911 und 1914 in Moskau eine
Führungsrolle. „Friseur“ und „Offiziersfriseur“ (beide 1907–1909) sind
ironische Kommentare auf gesellschaftliche Ordnungen (adeliger Offizier und
Dienstleister).

„Zu Beginn meiner Entwicklung lernte ich am meisten von meinen


französischen Zeitgenossen. Sie regten meine Aufmerksamkeit an und ich
realisierte die große Bedeutung und den Wert der Kunst in meinem Land
– und dadurch den großen Wert der Kunst des Ostens. Ich habe alles
studiert, was der Westen geben kann, aber faktisch hat mein Land alles
entwickelt, was vom Westen stammt. Nun schüttle ich den Staub von
meinen Füßen und verlasse den Westen… mein Pfad führt zur Quelle
aller Kunst, nach Osten. Die Kunst meines Landes ist unvergleichlich
profunder und wichtiger als alles, was ich im Westen kenne.“ [3]Zitiert
nach Johanna Rooss, Die russische Avantgarde, in: Christoph Brockhaus
(Hg.), Russische Avantgarde 1910–1930 aus sowjetischen und deutschen
Sammlungen (Ausst.-Kat. Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg), S. 10-
19, hier S. 11. (Natalia Gontscharowa)

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Natalia Gontscharowa, Die blaue Kuh (aus


dem Gemäldezyklus Weinlese), 1911, Öl auf
Leinwand, 91,5 x 93 cm, Wien, Albertina –
Sammlung Batliner.

Sergej Merkurow, Wladimir Lenin, 1948,


Granit, poliert, 103 x 45 x 45 cm und Natalia
Gontscharowa, Radfahrer, 1913. Öl auf
Leinwand, 79 x 105 cm (beide Sankt
Petersburg, Staatliches Russisches Museum),
Installationsansicht Albertina 2016, Foto:
Alexandra Matzner.

Natalia Gontscharowa wurde von Michail Larionow während ihres Studiums


entdeckt, von der Bildhauerei zur Malerei gebracht und gefördert. Die
unglaublich fleißige Künstlerin schuf zwischen 19100 und 1913 mindestens
768 Werke, die auf einer Einzelausstellung in Moskau 1913 ausgestellt
wurden. Der Erfolg dieser Ausstellung machte Sergei Diaghilew auf die

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Künstlerin aufmerksam und leitete ihre Zusammenarbeit ein. „Wäscherinnen“


(1911) und „Ringkämpfer“ (1908/09) monumentalisieren die heimische
Bevölkerung, die bewusst einfach gehaltenen Darstellungen stehen erneut im
krassen Gegensatz zu den beiden Bildnisbüsten des Zaren und seiner Frau.

„Die blaue Kuh (aus dem neunteiligen Gemäldezyklus Weinlese)“ (1911) zeigt
die Auseinandersetzung Gontscharowas mit der bäuerlichen Volkskunst. „Der
Pfau“ (1912) und „Radfahrer“ (1913) gehören zu den wichtigsten Werken des
Futurismus in Russland, „Der Wald“ (1914) wiederum zum Rayonismus. Das
schnelle Nacheinander, Nebeneinander und die Durchmischung von Stilen
gehört im Kreis rund um Larionow und Gontscharowa zum Konzept ihrer
Kunst und wurde von den Künstler_innen selbst als Zeichen ihrer Freiheit
empfunden. Nachdem Larionow und Gontscharowa 1915 dem Ruf Sergei
Diaghilews in die Schweiz und weiter nach Italien gefolgt waren, übernahm vor
allem Larionows Position in Russland Kasimir Malewitsch.

Marc Chagall und Wassily Kandinsky – lyrische und


subjektive Richtungen unter Kritik
Dass Marc Chagall [4]Geboren als Mosche Segal, unter dem Künstlernamen
Marc Chagall ist er erst seit 1911 in Paris bekannt. und Wassily Kandinsky sich
zwischen 1914 und 1922 bzw. 1921 überhaupt in Russland aufhalten
mussten, waren keine selbst getroffenen Entscheidungen. Beide hatten zuvor
mehrere Jahre in Paris bzw. München gelebt und wurden durch den Ausbruch
des Ersten Weltkriegs gezwungen in ihrer Heimat zu bleiben bzw.
zurückzukehren. Schwierige Lebensbedingungen, Antisemitismus und
Judenverfolgung schienen durch die kommunistische Doktrin der
Vergangenheit anzugehören, weshalb Chagall die Revolution anfangs
tatkräftig (zumindest im Petrograder Zentralbüro für Kriegswirtschaft)
unterstützte. Gleichzeitig schaffte er es, auch in Russland als wichtiger
Künstler anerkannt zu werden. Seine Ernennung 1918 zum Kommissar für
Kunst und Kultur der Region Witebsk führte zu einer kulturellen wie
intellektuellen Hochphase in dem Ort. Anfangs begrüßte Chagall die
Revolution und ihre neuen Möglichkeiten für die Arbeiterschaft und der
Künstler begriff sich selbst als ästhetischer Lehrer und Propagandist.

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Marc Chagall, Selbstporträt mit sieben


Marc Chagall, Der Spiegel, 1915, Öl auf
Fingern, 1912/13, Öl auf Leinwand, 126 x
Karton, 100 x 81 cm (Sankt Petersburg,
107,5 cm (Amsterdam, Stedelijk Museum),
Staatliches Russisches Museum), Foto:
Foto: Alexandra Matzner.
Alexandra Matzner.

Schon im April 1919 übernahm er die Leitung der von ihm ein Jahr zuvor
gegründeten Kunstschule, an die er Iwan Puni und Jehuda Pen aber auch
seinen „Nachbarn“ und ehemaligen Studienkollegen El Lissitzky und Kasimir
Malewitsch berief. In der Folge entbrannte ein Richtungsstreit zwischen
Figuration und Abstraktion, der zugunsten von Kasimir Malewitsch ausging.
Als die Studenten Chagalls 1920 geschlossen zu Malewitsch wechselten, den
lyrischen Stil Chagalls für altmodisch erklärten und den Künstler zur
Niederlegung seines Amtes zwangen, übersiedelte dieser desillusioniert in die
Hauptstadt. Da er sich dort immer mehr der Zensur ausgesetzt fühlte, verließ
er Russland 1922, um nach Deutschland und schlussendlich Frankreich zu
gehen.

„Selbstporträt mit sieben Fingern“ (1912/13) zeigt das gestiegene


Selbstvertrauen des Künstlers, der 1912 erstmals im Salon des Indépendants
aufgenommen worden war. Die besondere Stellung und das neue
Selbstverständnis des Künstlers (Anzug mit Blume im Knopfloch), was er in
diesem Bildnis auch reflektierte, speiste sich aus seiner jüdisch-russischen

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Herkunft (Gedankenblase, hebräische Schrift), seinen Weg vom Schtetl (Motiv


auf der Leinwand) in die Großstadt (Eiffelturm im Hintergrund), von seiner
Beschäftigung mit volkstümlicher Bildwelt und avantgardistischen
Konstruktionsmethoden (kubistischer Körper, übersteigerte Räumlichkeit).
Berühmte Bildsujets wie „Der Geigenspieler“ (1912) stehen nicht nur in
Chagalls Werk für die Verbundenheit mit dem vermeintlich einfachen
Landleben, der Musik, den Lebenszyklus, da der Musiker im traditionellen
dörflichen Leben zu Geburten, Hochzeiten und Begräbnissen aufspielte.
Waren Chagalls Gemälde nach seiner Rückkehr von einem expressiven
Realismus geprägt, wandelt sich der Charakter seiner Werke nach der
langersehnten Hochzeit mit Bella Rosenfeld 1915 erneut zu einem lyrischen
Proto-Surrealismus: „Der Spaziergang“ (1917/18) lässt nichts von den
revolutionären Unruhen erahnen, sondern schildert das privat Glück des aus
mittellosen Verhältnissen stammenden Malers mit der Angetrauten. Sie
schwebt wie ein Vogel über ihm, während er in seiner Rechten ein Vögelchen
sanft hält.

Wassily Kandinsky, Auf Weiß I, 1920, Öl auf


Leinwand, 95 x 138 cm (Sankt Petersburg,

Wassily Kandinsky, Improvisation 11, 1910, Staatliches Russisches Museum), Foto:

Öl auf Leinwand, 97,5 x 106,5 cm (Sankt Alexandra Matzner.

Petersburg, Staatliches Russisches Museum),


Foto: Alexandra Matzner.

Monets „Heuhaufen“ und Wagners „Ring“ inspirierten den ausgebildeten


Juristen Wassily Kandinsky Maler zu werden. Seine Entwicklung ist deutlich
von der westlichen Avantgarde beeinflusst. [5]Abreise nach München, wo er
mit Alexej von Jawlensky und Klee – nach einem Aufenthalt in Sèvres – in
Murnau die ersten expressionistischen Gemälde schuf. Im Jahr 1905
entdeckten die Russen in Paris Matisse und die Künstler des Fauvismus:
Derain, Vlaminck und Marquet. 1907 fand eine große Retrospektive zu Paul

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Cézanne statt, die danach die Entwicklung des Kubismus im Werk von Picasso,
Braque und Derain beförderte. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs
floh Kandinsky anfangs in die Schweiz, da er Verwandte von der Schweiz nach
Moskau begleiten wollte, konnte er nicht mehr zurückkehren. Seine Form der
Abstraktion – eine lyrische Variante mit Inspiration in der Musik
(„Improvisation 11“, 1910) – wandelte sich während seines Aufenthalts in
Russland zu einer stärker geometrisch konstruierten (siehe „Auf Weiß I“,
1920).

Alexander Rodtschenko, Rot und Gelb, um 1918, Öl auf Leinwand, 90 x 62 cm + Das


Gegenstandslose (Komposition Nr. 56), 1918, Öl auf Leinwand, 71,5 x 52,8 cm +
Gegenstandslose Komposition (Komposition Nr. 53), 1918, Öl auf Sperrholz, 72 x 31,5 cm +
Weißer Kreis, 1918, Öl auf Leinwand 89,2 x 71,5 cm (alle vier: Sankt Petersburg, Staatliches
Russisches Museum), Installationsansicht Albertina 2016, Foto: Alexandra Matzner.

Alexander Rodtschenko und Varvara Stepanova (1894–1958) gehörten


anfangs zu den Anhängern Wassily Kandinskys und zogen 1919 sogar in
dessen Wohnung. Kandinsky wurde von den Bolschewiken umgarnt und
erhielt eine Reihe von prestigeträchtigen Posten wie den des Direktors des
INKhUK, einem interdisziplinären Rechercheinstitut, das im Mai 1920
eröffnet wurde. Es sollten dort die Prinzipien, denen die zeitgenössische Kunst
unterlag, untersucht werden. Die Konstruktivisten und Suprematisten unter
der Führung von Alexander Rodtschenko übernahmen bald die Führung am
INKhUK. Sie lehnten die Idee der „Komposition“ ab, die für sie die
Persönlichkeit des Künstlers widerspiegelte, dessen Vorstellung von
Geschmack und dessen Gefühle. Stattdessen bevorzugten sie die
„Konstruktion“, in der sie eine unpersönlichere Methode, bar alles Dekorative
oder Unnötige, diktiert vom verwendeten Material, sahen. Während die
Suprematist_innen (Rodtschenko, Popowa, Malewitsch, Lissitzky) völlig
abstrakt arbeiteten, verwendete Kandinsky noch immer auf figurative
Elemente. In der Folge verließ er im Dezember 1922 gemeinsam mit seiner

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Ehefrau Moskau, um erneut in Deutschland als Bauhaus-Lehrer Fuß zu fassen


und seine Recherche über Symbol, Emotion, Subjektivität und Psychologie
weiterzuführen.

El Lissitzky, PROUN, Komposition, um 1919/20, Öl auf Karton, 59 x 49 cm


(Privatsammlung) + PROUN, Durchdringungsflächen, 1919/20, Öl auf Leinwand, 81 x 59
cm (Halle/Saale, Kunstmuseum Moritzburg) + PROUN 4 B, 1919/20, Öl auf Leinwand, 70 x
55,5 cm (Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza), Installationsansicht Albertina 2016, Foto:
Alexandra Matzner.

Ljubow Popowa, Iwan Kljun, Alexandra Exter,


Aristarch Lentulow und Kasimir Malewitsch –
Futurismus, Kubismus, Kubofuturismus,
Orphismus
Im Jahr 1914 stellte Ljubow Popopwa erstmals kubistische Arbeiten auf der
Ausstellung „Karo Bube“ aus. Ihre strenge, von der französischen Kunst
beeinflusste Geometrisierung lässt sich gut in „Mensch + Luft + Raum“ (1913)
erkennen, wobei der Mensch zu einer röhrenförmigen, glänzenden Maschine
verwandelt wird. In der weiteren Folge unterstützte sie den Schritt in Richtung
Abstraktion und war an der Entwicklung des Suprematismus beteiligt. Ihre
Werke nannte sie „Architektonik“ und erforschte mit ihnen Fläche und Farbe.

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Iwan Kljun, Suprematismus, 1915, Öl auf Leinwand, 64,7 x 53,5 cm und Stillleben mit
Blumen und Krug, 1929, Öl und Email auf Leinwand, 107 x 99 cm (beide Sankt Petersburg,
Staatliches Russisches Museum), Installationsansicht Albertina 2016, Foto: Alexandra
Matzner.

Iwan Kljuns „Grammophon“ (1914) zeigt Schallplatte und Trichter, suggeriert


aber auch Tasten, eine Glocke, kurzum Klang, indem er einander
durchdringende geometrische Grundformen mit Assoziationspotenzial
zueinander stellte. Das „Vervollkommnete Porträt des Iwan Kljun“ (1913) von
Kasimir Malewitsch stellt den Maler als gebrochene, völlig verfremdete
Zusammenstellung von röhrenartigen Formen dar, auf die Malewitsch in
seinen späten Werken wieder zurückkommen wird.

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Aristarch Lentulow, Die rote Brücke von


Zarizyno, um 1918, Öl auf Leinwand, 92 x 97
cm (Wien, Albertina – Sammlung Batliner)
und Stadtlandschaft, 1919, Öl auf Leinwand,
86 x 69,5 cm (Sankt Petersburg, Staatliches
Russisches Museum), dazwischen Boris
Alexandra Exter, Die Stadt in der Nacht
Grigorjew, Porträt von Wsewolod Meyerhold,
(Funduklejew-Straße), 1913, Öl auf
1916, Öl auf Leinwand (St. Petersburg,
Leinwand, 88 x 71 cm (Sankt Petersburg,
Staatliches Russisches Museum),
Staatliches Russisches Museum), Foto:
Installationsansicht Albertina 2016, Foto:
Alexandra Matzner.
Alexandra Matzner.

Im Vergleich dazu ist Alexandra Exters Futurismus „Die Stadt in der Nacht
(Funduklejew-Straße)“ (1913) ein wahres Fest für Buntfarbigkeit, die aus dem
dunklen Hintergrund hervorbricht. Ihr Interesse an Spannung, Rhythmus und
Strukturen verbindet sie mit Künstlern wie Sonia Delaunay in der Malerei
sowie Alexander Archipenko in der Skulptur. Die Beschäftigung mit dem
Orphismus der Delaunay war auch für Aristarch Lentulow von größter
Bedeutung. Das wichtige Mitglied der Künstlervereinigung Karo-Bube setzte
sich mit der russischen Architektur auseinander, die er in kubofuturistischer
Manier, im Stil des „Orneismus“ und beeinflusst vom Werk Paul Cézannes
umsetzte.

Kasimir Malewitsch – Alogismus und schwarzes


Quadrat als Endpunkt

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„Eine alogische Zusammenstellung zweier Formen: „Geige und Kuh“ – als


Moment des Kampfes gegen Logismus, die Natürlichkeit, die bürgerliche
Denkweise und die Vorurteile. K. Malewitsch. 1911“ [6]Zitiert nach
ebenda, S. 13. (Beschriftung auf der Rückseite des gleichnamigen
Gemäldes.)

Kazimir Malewitsch, Kasimir Malewitsch, Mann in


Suprematismus, 1915, Öl auf suprematistischer Landschaft,
Leinwand (St. Petersburg, um 1930-31 (Albertina, Wien
Staatliches Russisches – Sammlung Batliner).
Museum).

Kasimir Malewitsch, Aviator,


1914, Öl auf Leinwand, 125 x
65 cm (Sankt Petersburg,
Staatliches Russisches
Museum).

Kasimir Malewitschs „Aviator“ (1914) gehört bereits zu seinen so genannten


„alogischen“ Bildern, mit Hilfe derer er 1913 den Konstruktivismus zu
überwinden trachtete. Der Aviator, wie das Bild auch in seiner Beschriftung
zeigt, wird auf der Rückseite vom Künstler als „(kein Symbolismus) Landkarte
und Fisch stellen nur sich selbst dar“ konterkariert. Eine Botschaft steckt
trotzdem im Fisch, heißt das russische Wort für Fliegen doch wörtlich
übersetzt „in der Luft schwimmen“. Die nicht stimmige Zusammenstellung von
geometrisch-abstrakten Farbflächen und mehr oder weniger konkret
dargestellten Objekten, deren Größenverhältnisse bereits an surreale
Lösungen denken lassen, war für Malewitsch ein wichtiger Schritt von der
Geometrisierung der Bildelemente in Richtung reiner Abstraktion. Wie dem

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einführenden Zitat zu entnehmen ist, ging es dem Künstler um eine


revolutionäre Haltung dem Bürgertum, der Rationalität und der Tradition
gegenüber. Der Künstler solle Schöpfer seiner Bildwelten sein, eigene
(alogische) Regeln erfinden dürfen und nicht nur die Realität oder das
allgemein Bekannte kopieren.

Dieser schuf 1913 ein erstes Schwarzes Quadrat für die komische Oper „Sieg
über die Sonne“ (Musik: Michail Matjuschin; Libretto: Alexej Krutschenych;
Bühnenbild und Kostüme: Kasimir Malewitsch) und präsentierte auf der
Letzten futuristischen Ausstellung, „0,10.“ 1915 eine Reihe von geometrisch
abstrakten Kompositionen mit 39 Gemälde vertreten. Den Begriff
Suprematismus leitete er von „supremus“, der höchsten Form, ab. Einfache,
flächige, geometrische Grundformen (Quadrat, Kreuz, Kreis) sind auf weißem
Hintergrund positioniert. Den Schritt in Richtung Suprematismus hatte
Malewitsch, ohne es noch zu ahnen, bereits 1913 gemacht, als er im Rahmen
des Opern-Projekts „Sieg über die Sonne“ ein solches verwendete. Aufgeladen
mit Theorie und einem Manifest wählte Malewitsch das „Schwarze Quadrat“
zum Inbegriff seiner neuen Malerei, die er unbeirrt aller Kritik durchzusetzen
wusste. Nach anfänglichen Schwierigkeiten schlossen sich der Architekt El
Lissitzky und Malewitsch 1920 in Witebsk zu UNOWIS zusammen und
verbreiteten ihre Ideen auch außerhalb der Malerei.

Konstantin Juon, Komsomolzinnen: Jugend


bei Moskau, 1926, Öl auf Leinwand, 59 x 71
cm; im Hintergrund: Kazimir Malewitsch,
Schwarzer Kreis, um 1923, Öl auf Leinwand,
105,5 x 106 cm (beide Sankt Petersburg,
Kasimir Malewitsch, Rotes Quadrat Staatliches Russisches Museum),
(Malerischer Realismus einer Bäuerin in zwei Installationsansicht Albertina 2016, Foto:
Dimensionen), 1915, Öl auf Leinwand, 53 x Alexandra Matzner.
53 cm (Sankt Petersburg, Staatliches
Russisches Museum), Foto: Alexandra
Matzner.

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Wie sehr die Avantgarde aus der russischen Volkskunst, Ikonenmalerei und
Religiosität schöpfte, macht der Untertitel und Farbwahl des roten Quadrats –
„Malerischer Realismus einer Bäuerin in zwei Dimensionen“ – deutlich. Kasimir
Malewitsch malte auch mehrere Repliken von den enigmatischen Gemälden,
wie die in der Albertina gezeigten Werke 1923 für die Biennale von Venedig
(1924). Von Mitte der 1910er Jahre bis Ende der 1920er versuchte Kasimir
Malewitsch seine Auffassung von Kunst durch Unterricht und theoretische
Forschung abzusichern und zu verbreiten – und weniger durch das Malen von
Bildern. Seine gewonnene Auseinandersetzung mit Marc Chagall ließ ihn dafür
nicht in Witebsk bleiben, stattdessen kehrte der Künstler-Theoretiker 1923
nach Petrograd zurück und gründete das Museum für künstlerische Kultur mit
(bis 1926). Ende des Jahrzehnts kehrte er wieder zur Figur des Bauern zurück,
wobei er das neoprimitivistische Motiv mit suprematistischer Formgebung
und malerischen Details verband. Dafür ersann er den Begriff
„Spuronaturalismus“. Dass sich Malewitsch mit dem Bauernstand beschäftigte
und ihn typisierte, hatte mit der so genannten Enkulakisierung zu tun, der
Enteignung von Mittel- und Großbauern, die sowohl die sozialen Verhältnisse
wie auch die Besitzverhältnisse hinwegfegte. Zunehmend erlaubte sich der
Künstler auch die Darstellung der Gesichter, ja einer realistischen
Darstellungsweise, wobei sich seine Figuren deutlich vom Naturalismus des
Sozialistischen Realismus unterschieden.

El Lissitzky und Alexander Rodtschenko –


Sonderformen des Suprematismus
„Wir sahen, dass die Oberfläche der Leinwand aufgehört hat, ein Bild zu
sein, vielmehr zu einem Gebäude wurde, das man wie ein Haus
umschreiten, von oben betrachten und von unten untersuchen musste.
Die einzige zum Horizont senkrecht stehende Bildachse erwies sich als
zerstört. Wir haben die Leinwand zum Kreisen gebracht und während wir
sie drehen, schrauben wir uns selbst in den Raum hinein.“ [7]Zitiert nach El
LIssitzky, PROUN, S. 28. (El Lissitzky)

Wie Marc Chagall war auch El Lissitzky [8]Geboren als Lasar Lissitzky, nahm
das Pseudonym 1920 an. aus der Nähe von Witebsk, jüdischer Abstammung
und in einem multikulturellen Feld aufgewachsen. Nach einem Studium bei
Jehuda Pen studierte er 1909 bis 1914 Architektur und Ingenieurwesen an
der Technischen Hochschule in Darmstadt. Der ausgebildete Architekt musste
nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in seine Heimat zurückkehren, wo er
zwischen Moskau und Kiew pendelte. Erst nach seiner Berufung an die
Kunstschule in Witebsk (von Chagall begründet) begann er sich mit dem
Suprematismus zu beschäftigen und erste „PROUNS“ zu entwerfen. Hierbei

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bezog er sich auf die axonometrische Darstellungsweise in der Architektur, die


er mit abstrakten, geometrischen Formen und einer zurückhaltenden
Farbpalette kombinierte. Daraus entsteht ein dreidimensionaler
Suprematismus, der sich deutlich von der reduzierten Variante Kasimir
Malewitschs abhebt.

In der Albertina ist das extrem breite Werk Alexander Rodtschenkos, der von
Fotografie bis angewandter Kunst tätig war, zugunsten der Betonung seiner
Malerei ausgeklammert. Er sah in Wladimir Tatlin seinen Lehrer und traf
1916/17 auf Kasimir Malewitsch, dessen Suprematismus starken Einfluss auf
ihn hatte. Im Gegensatz zu diesem sind Rodtschenkos Gemälde aber immer
malerischer, d. h. der Pinselduktus spürbar, Formen übereinandergelegt,
wodurch der illusionierte Raum auf der Fläche nicht gänzlich aufgegeben wird.
Weitere Experimente mit Oberflächentexturen und -wirkungen (glänzend vs.
matt) werden durch lineare Grundstrukturen ergänzt. Wie viele seiner
Kollegen ging es Rodtschenko um das Erschaffen neuer Formen und Erproben
neuer Möglichkeiten, abseits der Repräsentation der Wirklichkeit. Ab den
1930er Jahren widmete er sich dem Thema Zirkus, um im Sozialistischen
Realismus innerlich zu überleben.

Das Ende der Avantgarden – der Sozialistische


Realismus
Im April 1932 wurden per Parteibeschluss alle Künstlerverbände und
Kunstrichtungen verboten – mit Ausnahme jener, welche die Ideologie des
Stalinismus mit Hilfe des Sozialistischen Realismus [9]Der Begriff wurde am 23.
Mai 1932 in der „Literaturzeitung“ geprägt. unterstützten. Künstler wie
Wladimir Malagis (1902–1974) sollten die positiven Eigenschaften der
gegenwärtigen sowjetischen Wirklichkeit widerspiegeln, und zwar in
realistischer Form, die den Werktätigen verständlich ist. Abstraktion wurde ab
etwa Mitte der 1920er Jahre zunehmend als „bourgeois“ gebrandmarkt und
spätestens ab 1936 in die Depots der Museen geräumt. Damit waren die
russischen Avantgarden, die in den 1910er und 1920er Jahren so viele
unterschiedliche Stile entwickelt hatten, ihrer Grundlage beraubt. Sie konnten
ihre Werke nicht mehr ausstellen und veröffentlichen, die Künstler_innen
wurden persönlich verfolgt. Von ihnen lebten noch Kasimir Malewitsch
(gestorben 1935), Wladimir Tatlin (gestorben 1953), Pawel Filonow
(gestorben 1941) und einige andere in der Sowjetunion, viele hatten schon in
den 1920er Jahren die Flucht nach Westeuropa angetreten (Natalia
Gontscharowa, Michail Larionow, Marc Chagall, Wassily Kandinsky, Alexandra
Exter, Boris Grigorjew). Erst in den 1970er Jahren wurden die russischen
Emigranten sukzessive für die russische Kunstgeschichte wiederentdeckt und
die Geschichte der Avantgarden geschrieben.

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Wladimir Malagis, Man lauscht der Rede Stalins, 1933, Öl auf Leinwand, 123 x 212 cm
(Sankt Petersburg, Staatliches Russisches Museum), Installationsansicht Albertina 2016,
Foto: Alexandra Matzner.

Ismen in der russischen Malerei von 1905 bis 1935


Die russischen Avantgarden bezeichnen eine erstaunliche Vielfalt
unterschiedlicher, doch gleichzeitig existierender und praktizierter (im
Gegensatz zu sich mehr oder weniger linear entwickelnder und einander
ablösender) Stilrichtungen, Formensprachen und Theorien. Während anfangs
die Orientierung an westlicher, meist französischer Avantgarde spürbar ist,
entwickelten russische Künstler_innen während des Ersten Weltkriegs eine
Reihe von epochalen Theorien und Stilen, die sich gänzlich aus der russischen
Tradition speisen und um den Bezug zur folkloristischen russischen
Bildtradition bemühen.

Neoklassizismus / neuer Realismus


Boris Kustodijew, Boris Grigorjew, Kusma Petrow-Wodkin, Sinaida
Serebrjakowa

Neoprimitivismus
Natalia Gontscharowa und Michail Larionow
poetisch-phantastische Figuration: Marc Chagall, Pawel Filonow

Lyrische Abstraktion
Wassily Kandinsky

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Kubismus/Futurismus/Kubofuturismus
Natan Altmann, Natalia Gontscharowa, David Burljuk, Kasimir Malewitsch,
Ljubow Popowa

Suprematismus (reine Abstraktion)


Kasimir Malewitsch, Iwan Kljun, Olga Rosanowa

Konstruktivismus
El Lissitzky, Alexander Rodtschenko

Figuration
Marc Chagall, Boris Grigorjew, Pawel Filonow

Supronaturalismus
Kasimir Malewitsch

Kasimir Malewitsch, Bildnis eines


Stoßarbeiters (Rotbannerträger
Scharnowski), 1932, Öl auf Leinwand, 64 x 55
cm (Sankt Petersburg, Staatliches Russisches
Boris Grigorjew, Porträt von Wsewolod Museum), Foto: Alexandra Matzner.
Meyerhold, 1916, Öl auf Leinwand (St.
Petersburg, Staatliches Russisches Museum),
Installationsansicht Albertina 2016, Foto:
Alexandra Matzner.

Biografien der wichtigsten Künstler_innen

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Natan Altman (Winnitsa 1889–1970 Leningrad)


1901–1907 Studium an der Kunstakademie von Odessa und 1910–1912 der
Freien Russischen Akademie von Maria Vaselieva in Paris. Unterrichtete an
der VKhUTEMAS in Petrograd (1918–1921). 1930–1940 Illustrationen für
ein Kinderbuch.

David Burliuk (1882–1967 New York)


Studierte in Kazan (1898–1899), Odessa (1899–1900, 1910/11), der
Königlichen Akademie in München (1902/3) und am MUZhVZ (1910–1914).
Organisierte 1908 in Kiew die „Zveno“ Ausstellung. Lebte im Ural (1917–
1919), Japan (1920–1922) und den USA (ab 1922).

Marc Chagall (eigentlich Moshe Segal, Witebsk


1887–1985 Saint-Paul de Vence, FR)
Studierte bei Jehuda Pen 1906 in St. Petersburg, 1907–1909 an der Schule
der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Künste in St. Petersburg, an
der Académie de la Grand Chaumière (1910) in Paris. Lebte am Montparnasse,
wo er mit den Künstler_innen der „Pariser Schule“ (Guillaume Apollinaire,
Fernand Léger, Amedeo Modigliani, Albert G. Gleizes und Ribert Delaunay) in
Kontakt kam. Teilnahme am Salon des Indépendants (1912–1914),
Herbstsalon (ab 1912), „Welt der Kunst“ (1912, 1922). Reise 1914 nach
Witebsk zu seinen Eltern. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs keine
Rückkehr nach Deutschland möglich. 1915 Heirat mit seiner Jugendliebe Bella
Rosenfoled und Umzug nach Petrograd. 1916 Geburt der Tochter Ida. 1918–
1919 in Witebsk, wo er ein Museum gründete und die Staatliche Schule für
Schöne Künste begründete und selbst lehrte. Berief El Lissitzky, Ivan Puni und
Kasimir Malewitsch an die Schule. Verließ die Schule nach künstlerischen
Auseinandersetzungen mit Malewitsch. 1919/20 arbeitete er für Theater in
Moskau, schuf Leinwände für das Staatliche Jüdische Kammertheater. 1922
Chagall gelang mit seiner Familie die Emigration nach Berlin, ab 1923 lebten
sie in Paris. 1937 Französische Staatsbürgerschaft. 1941–1948 Aufenthalt in
den USA.

Alexandra Exter (Bielostok 1882–1949 Fontenay-


aux-Roses, FR)
1906 Abschluss des Studiums an der Kiewer Kunstakademie, 1908 Académie
de la Grande Chaumière in Paris. Gut mit Sonia und Robert Delaunay,
Guillaume Apollinaire und anderen Vertretern der zeitgenössischen
französischen Kulturszene befreundet. 1914 Rückkehr Exters nach Russland.
Eröffnete ein eigenes Atelier in Kiew (1918–1920) und VKhUTEMAS in
Moskau (1921–1922). 1924 gelingt es ihr, unter dem Vorwand der Teilnahme

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an der Biennale von Venedig aus dem neu gegründeten Sowjetstaat zu fliehen.
In den 1920er Jahren Konstruktivistin. Ab 1924 in Paris wo sie an der
Ferdinand Legéres Akademie für zeitgenössische Kunst und in ihrem eigenen
Atelier unterrichtete.

Pawel Filonow (Moskau 1882/3–1949 Leningrad)


Im Alter von 14 Jahren Waise. 1893–1903 Studium in St. Petersburg, dann in
der Schule von Dimitriev-Kavkazsky (1903–1908) und der Kaiserlichen
Akademie der schönen Künste (1908–1910). Ab 1910 war Filonow Mitglied
der Union der Jugend, nahm an deren Ausstellungen teil und verkehrte mit
futuristischen Dichtern. Im Jahr 1915 publizierte er selbst einen Sammelband
futuristischer Dichtung. Manifest über die „gemachten Bilder“ (1914), in dem
er harte Arbeit an jedem Werk und handwerkliche Fähigkeiten einforderte, die
unabhängig vom Talent erlernt werden könnten und müssten. In den 1930er
Jahren diffamiert.

Boris Dimitrievich Grigoriev (Moskau 1886–1939


Cagnes-sur-Mer, FR)
1903–1907 Studium an der StsKhPu und 1907–1912 der Akademie der
schönen Künste in St. Petersburg. Stellte zwischen 1909 und 1918 u. a. mit
„Welt der Kunst“ aus. Lebte in St. Petersburg, ab 1919 in Finnland,
Deutschland und Frankreich.

Natalia Gontcharowa (1881–1962 Paris)


verwandt mit Alexander Puschkin. Ab 1892 in Moskau. 1901–1909 Studium
an der an der Moskauer Schule für Malerei, Skulptur und Architektur
(MUZhVZ), hier lernte sie Michail Larionow kennen. 1906, nach dem Besuch
einer Retrospektive Paul Gauguins in Paris, entdeckte sie den Fauvismus. Erste
Bilder von Bauern. 1912–1914 illustrierte Bücher für die Futuristen, stellte
gemeinsam mit dem „Blauen Reiter“ aus (1912, 1914). Ab 1914 arbeitete
Gontscharowa für Diaghilev. Ab 1919 lebte sie gemeinsam mit Michail
Larionow in Paris.

Wassily Kandinsky (Moskau 1866–1944 Neuilly-sur-


Seine, FR)
1893 Studienabschluss an der Moskowiter Universität, Mitbegründer des
„Blauen Reiter“, Rückkehr nach Russland während des Ersten Weltkriegs,
1919 Mitbegründer von MZhK, 1920 in InKhuK in Moskau. Mitglied des
Kollegiums des IZO Abteilung von Narkompros (1918/19) und InKhuK
(1920/21), Direktor des MZhK (1919–1921), Vizepräsident der Russischen
Akademie der Künstle (1921) und Professor an der SKhUM-VKhUTEMAS

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(1919–1921) in Moskau. 1921 Rückkehr nach Deutschland, 1922–1933


Lehre am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin.

Iwan Kljun (Moskau 1873–1943 Moskau)


1907 Bekanntschaft mit Kasimir Malewitsch, erste kubistisch-abstrakte
Skulpturen auf der „Letzten futuristischen 0,10-Ausstellung“ 1915, in der
zweiten Hälfte der 1920er Jahre faszinierte ihn das Werk des französischen
Malers und Begründers des Purismus Amédée Ozenfant, im Stalinismus
zunehmend isoliert.

Michail Larionow (Tiraspol 1881–1964 Fontenay-aux-


Roses, FR)
1898–1910 Studium an der an der Moskauer Schule für Malerei, Skulptur und
Architektur (MUZhVZ, mit Unterbrechungen), entwickelte ab 1908 den
russischen Primitivismus, für den er sich von Volkskunst, Ikonenmalerei und
Kinderzeichnung inspirieren ließ. 1911 rief er gemeinsam mit Marc Chagall,
Natalia Gontscharowa, Kasimir Malewitsch und Wladimir Tatlin die Gruppe
Eselsschwanz ins Leben. Wurde einer der wichtigsten Künstler rund um Sergei
Diaghilev. Verließ Russland mit Natalia Gontscharowa in Richtung Schweiz und
später Italien. Ab 1919 in Paris ansässig.

Wladimir Lébédew (St. Petersburg 1881–1967


Leningrad)
1909–1916 Studium, Beiträge für die Magazine Satyricon und Argus während
der 1910er Jahre. Vom Konstruktivisten zum Neo-Renoir in den 1930er
Jahren.

Aristarch Lentulow (Woronje bei Pensa 1882–1943


Moskau)
Sohn eines Geistlichen, Besuch des Priesterseminars, 1906 nicht in die
Petersburger Kunstakademie aufgenommen, 1908 Umzug nach Moskau, einer
der führenden Persönlichkeiten der Künstlervereinigung Karo-Bube. Ließ sich
von Robert Delaunay und dessen Orphismus inspirieren. Entwickelte einen
eigenen Stil namens „Orneismus“. Ab 1915 beschäftigte er sich mit Architektur
ins einen Gemälden und ab 1917 mit der Farbgebung von Paul Cézanne. Seine
große Retrospektive im März 1913 in Moskau, gilt als ähnlich einflussreich wie
jene 1907 in Hommage an Paul Cézanne.

El Lissitzky (Potschinok bei Smolensk 1890–1941


Moskau)
Unweit von Witebsk wurde Lasar Lissitzky geboren. Unterricht von Jehuda

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Pen (auch der Lehrer von Marc Chagall und Ossip Zadkine), 1909 bis 1914
Studium von Architektur und Ingenieurwesen an der Technischen Hochschule
in Darmstadt. 1914 Rückkehr nach Russland, pendelte zwischen Moskau und
Kiew. Stellte seine Gemälde neben jenen Malewitschs in den Ausstellungen
der Künstlervereinigungen Karo-Bube und Welt der Kunst aus. Mai 1919
Einladung Chagalls nach Witebsk, leitete die dortige Kunstschule das
Architekturatelier. Malewitsch, mit dem Lissitzky im ständigen Briefkontakt
stand, folgte ihm im November. Auf dessen Anregung begann Lissitzky Ende
1919 mit dreidimensionalen Ausdrucksformen im Suprematismus und schuf
die ersten PROUNS.

Kasimir Malewitsch (Kiew 1879–1935 Sankt


Petersburg)
Sohn von polnischen Emigranten, katholisch. 1904–1910 Studium an der
Moskauer Schule für Malerei, Skulptur und Architektur sowie dem Atelier von
Fedor Rerberg. Teilnahme an der zweiten Ausstellung (1911) der Union der
Jugend, gemeinsam mit Wladimir Tatlin, sowie der dritten (1912) mit
Alexandra Exter, Wladimir Tatlin et alii. Im Jahr 1913 Mitarbeit an der Oper
„Sieg über die Sonne“ (Musik: Michail Matjuschin; Libretto: Alexej
Krutschenych; Bühnenbild und Kostüme: Kasimir Malewitsch), wo Malewitsch
erstmals ein schwarzes Quadrat einsetzte. 1914: Teilnahme am Salon der
Unabhängigen in Paris mit Alexander Archipenko, Sonia Delaunay, Alexandra
Exter et alii. Während des Sommers 1915 bereitete Kasimir Malewitsch auf
seiner Datscha in Kunzewo bei Moskau im Geheimen die Letzte futuristische
Ausstellung der Malerei „0,10“ vor und malte das „Schwarze Quadrat“. Er
selbst war mit 39 Gemälden vertreten, in dem er die höchste Entwicklung
(„supremus“) der Kunst vorstellte. Zusammen mit Olga Rosanowa, Iwan Kljun,
Ljubow Popowa, Alexandra Exter und anderen gründete er gegen den
Widerstand von Presse, Kunstkritik und Avantgarde-Kolleg_innen eine
Künstlergemeinschaft und arbeitete an der Herausgabe der Zeitschrift
„Supremus“, die nie erschien.

Mitte 1910er Jahre bis Ende der 1920er keine Malerei, Theoretiker und
Lehrer, 1919 Mitbegründer und Führer von UNOWIS („Befürworter der
neuen Kunst“), zu der Nikolai Suetin, Vera Jermolajewa, Ilja Tschaschnik und
andere gehörten. Gedankenaustausch mit El Lissitzky. 1923 Rückkehr nach
Petrograd, Gründung des Museums für künstlerische Kultur (bis 1926) und
dessen Direktor. 1927 Erlaubnis für eine Dienstreise nach Deutschland und
internationaler Durchbruch, nach drei Monaten in die UDSSR zurückbeordert
wurde. Nach seiner Rückkehr malte er neuerlich Gemälde, in denen er den
Neoprimitivismus mit der suprematistischen Flächengestaltung kombinierte
und diese Art des Malers Spuromatismus nannte, für eine Ausstellung in
Moskau (Tretjakow-Galerie, 1929 eröffnet).

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Alexander Rodtchenko (Sankt Petersburg 1891–1956


Moskau)
Im Jahr 1915 Hinwendung zur Abstraktion, 1916 Kubofuturismus. 1917/18
beschäftigte er sich mit einander durchdringenden Flächen und ihrem
Verhältnis zum Raum. Zwei Manifeste 1920: „Alles ist Experiment“ und „Linie“.
Ab 1924 beschäftigte er sich mit Fotografie, illustrierte damit so epochale
Zeitschriften wie „USSR im Bau“ oder Fotobände wie „Sowjetische Luftfahrt“
und „Die Rote Armee“. Ab den 1930er Jahren Rückzug auf das Thema Zirkus.

Olga Rozanova (Melenki bei Wladimir 1886–1918


Moskau)
ab 1911 lebte sie hauptsächlich in Sankt Petersburg. neoprimitivistische und
fauvistische Gemälde, ab 1913/14 stärkerer Einfluss des Futurismus. 1915
Teilnahme an der „0,10-Ausstellung“. 1917 Beitritt zur von Kasimir Malewitsch
gegründeten Gruppe Supremus. Am 7. November 1918 starb sie 32-jährig in
Moskau an Diphterie

Wladimir Tatlin (Moskau 1885 – 1953 Moskau)


Umzug mit den Eltern nach Charkow (heute: Ukraine), 1889 riss Tatlin von zu
Hause aus und heuerte als Schiffsjunge in Odessa an. Studium an der
Moskauer Schule für Malerei, Skulptur und Baukunst, Tatlin wurde aber wegen
mangelnder Disziplin und schlechter Noten ausgeschlossen. Daneben malte er
Ikonen. 1910 Bekanntschaft mit Michail Larionow, den er als seinen wahren
Lehrer anerkannte. 1914 Berlin, weiter in Paris, wo er Pablo Picasso
kennenlernte. Konterreliefs (gespannt) ab 1914. Teilnahme an der „0,10-
Ausstellung“. 1919 bis Ende 1920 Arbeit am Denkmal für die Dritte
Internationale, dem so genannten „Tatlin-Turm“.

1. ↑ Zitiert nach Christoph Brockhaus (Hg.), Russische Avantgarde 1910–1930 aus


sowjetischen und deutschen Sammlungen (Ausst.-Kat. Wilhelm Lehmbruck Museum), S. 6.

2. ↑ Klaus A. Schröder, Ausst.-Kat., S. 13.

3. ↑ Zitiert nach Johanna Rooss, Die russische Avantgarde, in: Christoph Brockhaus (Hg.),
Russische Avantgarde 1910–1930 aus sowjetischen und deutschen Sammlungen (Ausst.-
Kat. Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg), S. 10-19, hier S. 11.

4. ↑ Geboren als Mosche Segal, unter dem Künstlernamen Marc Chagall ist er erst seit 1911 in
Paris bekannt.

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5. ↑ Abreise nach München, wo er mit Alexej von Jawlensky und Klee – nach einem Aufenthalt in
Sèvres – in Murnau die ersten expressionistischen Gemälde schuf. Im Jahr 1905 entdeckten
die Russen in Paris Matisse und die Künstler des Fauvismus: Derain, Vlaminck und Marquet.
1907 fand eine große Retrospektive zu Paul Cézanne statt, die danach die Entwicklung des
Kubismus im Werk von Picasso, Braque und Derain beförderte.

6. ↑ Zitiert nach ebenda, S. 13.

7. ↑ Zitiert nach El LIssitzky, PROUN, S. 28.

8. ↑ Geboren als Lasar Lissitzky, nahm das Pseudonym 1920 an.

9. ↑ Der Begriff wurde am 23. Mai 1932 in der „Literaturzeitung“ geprägt.

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