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Skriptum zur Vorlesung

Einführung in die Biochemie

(„Grundlagen der Biochemie I“)

Teil 1:
Aminosäuren, Enzyme, Proteine

Univ-Prof. Dr. Rudolf Zechner


Mag. Ingo Streith

mit Illustrationen von Thomas Eichmann

Version 2.9 vom 27. Dezember 2007


Biochemie I, Teil 1

Allgemeines

Literaturempfehlungen
Voet D. / Voet J.G. / Pratt C.W., Lehrbuch der Biochemie, Wiley-VCH
Lehninger / Nelson / Cox, Biochemie, 3. Auflage, Springer-Lehrbuchverlag
Jedes der Bücher deckt den gesamten Lehrstoff der Vorlesung ab und kostet
ungefähr € 65.

Prüfung
Prüfungstermine finden drei Mal pro Semester statt – aktuelle Ankündigungen sind
auf http://imb.uni-graz.at/lehre.html und http://online.uni-graz.at zu finden.

Links
Homepage zum Skriptum http://imbm-lehre.uni-graz.at/Biochemie_1/index01.html (*)

Homepage Prof. Zechner http://www.uni-graz.at/rudolf.zechner

Homepage Ingo Streith http://www.uni-graz.at/ingo.streith

Homepage Uni Graz http://www.uni-graz.at

Homepage IMB http://imb.uni-graz.at

Homepage StRV Chemie http://oeh.uni-graz.at/~chemie


(*) Username und Passwort werden in der Vorlesung bekanntgegeben.

Errata & Feedback


Wir haben das Skriptum sorgfältig ausgearbeitet und einige Fehler bereits vor dem
Erscheinen beseitigt. Leider kann es trotzdem vorkommen, dass sich Fehler
eingeschlichen haben. Bei Unklarheiten sollte daher unbedingt ein Lehrbuch befragt
werden. Wenn Ihr Fehler entdeckt habt, oder andere Ideen habt, wie man das
Skriptum verbessern könnte, dann bitte ich um ein E-Mail an:

ingo.streith@uni-graz.at

An dieser Stelle sei auch allen gedankt, die bereits Listen mit größeren oder
kleineren Fehlern gemailt haben – danke!

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Biochemie I, Teil 1

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .............................................................................................................5
1.1. Die Definition von Leben ...............................................................................5
1.2. Wichtige Elemente und Verbindungen ..........................................................5
1.3. Zellen ............................................................................................................6
1.4. Dissoziationsverhalten, pH-Wert, Pufferlösungen .........................................8
1.5. Acidosen und Alkalosen..............................................................................10
2. Aminosäuren, Peptide und Proteine...................................................................12
2.1. Aminosäuren...............................................................................................12
2.2. Die Einteilung der proteinogenen Aminosäuren..........................................15
2.2.1. Unpolare, aliphatische Aminosäuren ...................................................15
2.2.2. Polare, ungeladene Aminosäuren........................................................16
2.2.3. Negativ geladene Aminosäuren ...........................................................16
2.2.4. Aromatische Aminosäuren ...................................................................17
2.2.5. Aminosäuren mit positiv geladenen Seitenketten ................................17
2.3. Reaktionen der Aminosäuren......................................................................17
2.3.1. Biuret- Reaktion ...................................................................................17
2.3.2. Ninhydrin- Reaktion .............................................................................18
2.3.3. Andere Reaktionen ..............................................................................18
2.4. Trennung von Aminosäuregemischen.........................................................18
2.5. Die Peptidbindung und Eigenschaften von Peptiden ..................................19
2.5.1. Glutathion (Beispiel für ein Tripeptid)...................................................20
3. Proteine..............................................................................................................21
3.1. Primärstruktur .............................................................................................21
3.2. Sekundärstruktur.........................................................................................22
3.3. Tertiär- und Quartärstruktur ........................................................................24
3.4. Denaturierung von Proteinen ......................................................................25
3.5. Trennung, Isolierung und Nachweis von Proteinen.....................................26
3.5.1. Trennung aufgrund unterschiedlicher Löslichkeit von Proteinen..........26
3.5.2. Aufreinigung durch Dialyse ..................................................................27
3.5.3. Trennung aufgrund unterschiedlicher Molekülgrößen..........................27
3.5.4. (Ultra-)Zentrifugation............................................................................28

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Biochemie I, Teil 1

3.5.5. Trennmethoden unter Einbeziehung der Ladung der Proteine ............28


3.5.6. Nachweismethoden für Proteine ..........................................................32
3.6. Beispiele für Faser-Proteine........................................................................32
3.6.1. α-Keratin, ein Beispiel für ein Protein mit hohem α-Helix Anteil...........33
3.6.2. Kollagen, ein tripelhelicales Protein .....................................................33
3.6.3. Seidenfibroin, ein Beispiel für ß-Faltblattstruktur..................................34
3.7. Globuläre Proteine ......................................................................................35
3.7.1. Proteinfunktion: Sauerstofftransport im Blut, Hämoglobin (Hb)............35
3.7.2. Struktur von Hämoglobin .....................................................................36
3.7.3. Sauerstoffbindung................................................................................37
3.7.4. Bohr- Effekt ..........................................................................................38
3.7.5. CO2- Transport.....................................................................................39
3.7.6. Einfluss von 2,3- Biphosphorylglycerat (BPG) .....................................40
3.7.7. Hb-Struktur- Funktions- Beziehung......................................................40
3.7.8. Anomale Hämoglobine.........................................................................41
4. Enzyme ..............................................................................................................42
4.1. Allgemeine Eigenschaften von Enzymen ....................................................42
4.2. Einteilung der Enzyme ................................................................................42
4.3. Thermodynamische Grundlagen .................................................................43
4.4. Beziehung der freien Standardenthalpie zur Gleichgewichtskonstante
chemischer Reaktionen .........................................................................................45
4.5. Kinetik chemischer Reaktionen ...................................................................45
4.6. Wirkungsweise, aktives Zentrum.................................................................47
4.7. Katalysemechanismen ................................................................................47
4.8. Enzymkinetik ...............................................................................................48
4.9. Enzymhemmung .........................................................................................50
4.10. Enzymregulation......................................................................................52
4.11. Coenzyme (Cosubstrate) – Beispiele ......................................................52
4.11.1. NAD, NADP, gekoppelter optischer Test .............................................53
4.11.2. Adenosinmono-, -di- und -tri- phosphat (AMP, ADP, ATP) ..................54

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Biochemie I, Teil 1

1. Einleitung

1.1. Die Definition von Leben


Die Biochemie beschäftigt sich mit den molekularen Grundlagen der
Lebensvorgänge.

Jedes Lebewesen besitzt eine Zellstruktur, ist in der Lage, Stoffwechselprozesse


durchzuführen (z.B. Wachstum) und besitzt die Gabe, sich fortzupflanzen. Ein
weiteres Merkmal ist die Evolution. Es gibt zwei Arten von Evolution, die chemische
(Erschaffung der Elemente bzw. Bildung von Molekülen – ca. vor 4.5 bis 3.5
Milliarden Jahren) und die biologische (Beginn vor ca. 4 Milliarden Jahren –
Ausbildung von zellulären Lebensformen).

Kein Lebewesen befindet sich im chemischen Gleichgewicht, da ständig Nahrung


aufgenommen und weiterverarbeitet wird – man nennt das Fließgleichgewicht. Das
chemische Gleichgewicht tritt erst mit dem Tod des jeweiligen Lebewesens ein. Die
Stoffwechselreaktionen in Lebewesen laufen generell unter isothermen und isobaren
Bedingungen ab (d.h. Temperatur und Druck können nicht wesentlich verändert
werden). Aus diesem Grund sind oft spezielle Mechanismen nötig, um solche
Reaktionen zu ermöglichen.
Der gesamte Energiebedarf von Lebewesen wird direkt oder indirekt von der Sonne
abgedeckt.

1.2. Wichtige Elemente und Verbindungen


Die Häufigkeit der Bioelemente entspricht nicht der Häufigkeit der anorganischen
Elemente auf der Erde. Die Hauptelemente der Biomoleküle sind Kohlenstoff (62%),
Stickstoff (11%), Sauerstoff (9%) und Wasserstoff (6%). Die Kohlenstoffchemie als
Basis der Stoffwechselvorgänge in Lebewesen ergibt sich aus der Stabilität des
Kohlenstoffs und der ernormen Vielzahl möglicher Kohlenstoffverbindungen. Die
meisten bioorganischen Verbindungen leiten sich von der in der Photosynthese
gebildeten Glucose ab. Durch Umbau der Glucose können Aminosäuren,

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Biochemie I, Teil 1

Carbonsäuren, Nukleotide und Lipide entstehen, die dann oft Polymere in Form von
Makromolekülen bilden können. Grundsätzlich bestehen alle Lebewesen aus den
gleichen monomeren molekularen Untereinheiten wie Aminosäuren, Kohlenhydrate,
Lipide und Nukleotiden. Erst die unterschiedlichen relativen Mengenverhältnisse und
Zusammensetzungen ergeben die Vielfalt der Lebewesen. Damit sind biologische
Systeme hierarchisch organisiert:

Mikromoleküle Æ Makromoleküle Æ supramolekulare Assoziate Æ Zellen


Æ Gewebe Æ Organe Æ Organismen

Mikromoleküle Makromoleküle
Aminosäuren Proteine
Aromatische Basen Nukleinsäuren
Glucose Polysaccharide
Tabelle 1: Mikro/Makro-Moleküle.

1.3. Zellen
Zellen sind die Struktur- und Funktionseinheiten aller Lebewesen; während
Mikroorganismen nur aus wenigen Zellen bestehen, besteht der menschliche Körper
z.B. aus mehr als 1014 Zellen. Obwohl sich die Zellen in Größe, Funktion und Form
oft stark unterscheiden, besitzen sie einige gemeinsame Strukturmerkmale.
- Plasmamembran: Umhüllung der Zelle, die den Zellinhalt von der Umgebung
trennt.
- Cytoplasma: Zellinhalt, der sich aus dem Cytosol (wässriger Inhalt) und
anderen Partikeln bzw. Zellorganellen zusammensetzt.
- Zellkern (Nucleoid): Trägt die genetische Information (Genom) in Form von
DNA- Molekülen.
- Ribosomen: Komplexe aus RNA und Proteinen, die zur Proteinsynthese
(Translation) dienen.
- Mitochondrien: Hauptenergielieferanten der tierischen Zellen; die Energie wird
durch Oxidation frei und wird zur Bildung von ATP genutzt. Jedes
Mitochondrium enthält eigene DNA, RNA und Ribosomen.
- Chloroplasten: Pflanzliches Gegenstück zu den Mitochondrien, Energie wird
unter Nutzung von Sonnenenergie gewonnen.

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Biochemie I, Teil 1

Prokaryoten-Zelle Eukaryoten-Zelle
Größe < 10 µm > 10 µm
Zellkern Keiner vorhanden
Zell-Organellen Keine vorhanden
Vermehrung Zweiteilung Mitose mit Spindel
Zytoskelett Keines vorhanden
Tabelle 2 : Prokaryoten- und Eukaryoten-Zellen.

Wasser
Der Hauptbestandteil aller Lebewesen ist Wasser, der menschliche Körper besteht
z.B. zu ca. 70-85% aus Wasser, wobei der relative Wassergehalt von Gewebe zu
Gewebe sehr stark schwanken kann (z.B. im Zahnschmelz < 0.2% und im
Glaskörper des Auges ca. 99%). Warum gerade Wasser derart wichtig für den
Organismus ist, liegt auf der Hand:
Wasser ist flüssig über einen hohen Temperaturbereich und hat eine hohe
Wärmekapazität, was bedeutet, dass auch höhere Energiezufuhren nur geringe
Temperaturschwankungen zur Folge haben. Wasser besitzt durch seine polare
Eigenschaften (Dielektrizitätskonstante: 80) die Fähigkeit, Hydrathüllen um Ionen
auszubilden – so können Ionen gelöst werden. Hydrophobe Wechselwirkungen sind
dafür verantwortlich, dass sich hydrophobe Moleküle in Wasser nebeneinander
anordnen. Diese Wechselwirkungen sind keine Bindung im herkömmlichen Sinn, die
Anziehung kommt durch die Abstoßung zu Wasser zustande.
Wasser kann sehr effektiv Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden
(Bindungsenergie 21-42 kJ/mol) und besitzt die sogenannten „kolligativen“
Eigenschaften: osmotischer Druck, Gefrierpunktserniedrigung und
Siedepunktserhöhung

Diffusion bedeutet, dass eine Lösung (Lösungsmittel und gelöster Stoff) durch eine
Membran durchtreten kann. Bei der Osmose kann nur das Lösungsmittel durch die
Membran diffundieren – dabei strömt es immer von der Seite mit niedriger
Konzentration an gelösten Stoffen (z.B. Salze, Zucker, Proteine) zur Seite mit
höherer Konzentration, um das Konzentrationsgefälle auszugleichen. Die
Membranen der meisten Zellen sind für Wasser durchlässig, für Biomoleküle
hingegen undurchlässig. Aufgrund der Osmose kommt es zu einem Aus- bzw.
Einströmen von Wasser, wenn die Zelle von hoher respektive niedriger
Salzkonzentration umgeben ist, was zu einer Änderung des Zellvolumens führt.

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1.4. Dissoziationsverhalten, pH-Wert, Pufferlösungen


Säuren und Basen sind nach Brönstedt Substanzen, die in wässriger Lösung
Protonen abgeben (Säuren) bzw. aufnehmen (Basen) können.

Eine typische Reaktionsgleichung für die Dissoziation einer Säure wäre z.B.:

HX + H 2O ⇔ H 3O + + X −

Wie stark eine Säure oder Base ist, hängt von der jeweiligen Dissoziations-
konstante (KS) ab, bei mehrprotonigen (mehrbasischen) Säuren existiert für jedes
Proton ein eigener KS-Wert. Starke Säuren haben einen KS-Wert, der größer als 10-1
ist, schwache Säuren liegen darunter. Unter einem KS-Wert von 10-7 spricht man von
einer Base. Der KS-Wert wird häufig in den pKS-Wert (pKS = -log KS) umgerechnet,
da pKS-Werte handlicher sind und leichter verglichen werden können.

[ H 3O + ] ⋅ [ X − ]
Der Ks Wert errechnet sich aus der Dissoziationsgleichung: K s =
[ HX ] ⋅ [ H 2 O]

Nachdem die molare Konzentration des Wassers mit 55 mol/l konstant ist, wird
dieser Wert direkt in die Säurekonstante einberechnet, und es ergibt sich:

[ H 3O + ] ⋅ [ X − ]
Ks =
[ HX ]

Die Dissoziationskonstante Ks des Wassers errechnet sich wie folgt:

[ H + ] ⋅ [OH − ]
Ks = = 1,8 ⋅ 10 −16 K W = [ H + ] ⋅ [OH − ] = 10 −14
[ H 2 O]

Der Wert KW wird auch als das Ionenprodukt des Wassers bezeichnet. Die [H+]-
Konzentration beträgt 10-7 mol/l und entspricht daher dem pH = 7 (pH = -log[H+]).

Die pH-Werte in Zellen, Geweben und Körperflüssigkeiten variieren stark.

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Flüssigkeit pH-Wert (ca.)


Magensaft 1.8
Urin 5.5 – 7.0
Speichel 6.5 – 7.5
Mitochondrien 6.6
Muskelzellen 7.0
Blut 7.4
Pankreassekret 8.0
Tabelle 3: pH-Werte von Körperflüssigkeiten.

Puffersysteme bilden sich, wenn eine schwache Säure (bzw. schwache Base) und
ihre konjugierte Base (bzw. konjugierte Säure) vermischt werden. Im Organismus
werden hauptsächlich schwache Säuren und deren Salze als Puffersysteme genutzt.
Puffersysteme können pH-Werte konstant halten, da Puffer bei Säure- bzw.
Basenzugabe in einem bestimmten Bereich ihren pH-Wert nur sehr geringfügig
ändern. Die Henderson-Hasselbalch Gleichung verknüpft pH-Wert, pK-Wert und das
Konzentrationsverhältnis der Säure und Base miteinander.

[konj.Base]
pH = pK + log
[ Säure]

Aus der Henderson-Hasselbalch Gleichung lassen sich einige wichtige


Schlussfolgerungen ziehen:

1. Der pH-Wert eines Puffersystems wird nicht so sehr von der Konzentration der
Säure oder der konjugierten Base beeinflusst, als viel mehr von deren
Mengenverhältnis.
2. Wenn 2 Größen bekannt sind, kann die 3. Größe leicht errechnet werden.
3. Sind die Konzentrationen der Säure und konjugierten Base gleich groß, ergibt
sich pH = pK, d.h. wenn die Säure zur Hälfte dissoziiert ist, kann der pK direkt aus
dem pH-Wert bestimmt werden.

Der optimale Pufferbereich eines Säure-konjugierten Basengemisches liegt bei


jenem pH, der dem pK-Wert der Säure entspricht (pH = pK±1). Die Pufferkapazität
gibt die quantitative Leistungsfähigkeit eines Puffersystems an (mmol Protonen, die
bei Zugabe zum Puffersystem eine pH-Wert Änderung von 1 ergeben). Sie hängt
primär von der Konzentration der beteiligten Partner ab.

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Biochemie I, Teil 1

Die wichtigsten Puffersysteme:

Im Extrazellulärraum ist das Kohlendioxid/Bicarbonat-Puffersystem der wichtigste


Puffer zur Konstanthaltung des pH-Wertes. Bei diesen offenen Puffersystemen ist ein
Partner ein Gas. Die Blutkonzentrationen von [HCO3-] und [CO2] betragen 24 mM
und 1.2 mM, respektive, wobei CO2 mit Kohlensäure über die Gleichung
CO2 + H2O Æ H2CO3 verknüpft ist. Somit stellt CO2 eigentlich das Anhydrid der
Kohlensäure dar. Das System CO2 / HCO3- Systems besitzt einen pK-Wert von 6.1 –
im Extrazellulärraum liegt ein Verhältnis von 1:20 zugunsten der Base vor.
Das sieht auf den ersten Blick zwar ungünstig aus, bei genauerer Betrachtung
erkennt man aber die Vorteile:

1. Im Stoffwechsel entstehen primär Säuren, die abgepuffert werden müssen.


2. Das offene System kann durch unterschiedliche Atemfrequenz beeinflusst
werden. Wie das genau funktioniert, wird im nächsten Kapitel betrachtet.

Obwohl der CO2 / HCO3- Puffer das wichtigste Puffersystem im Blut darstellt (75%
der Gesamtpufferkapazität), gibt es noch weitere Systeme, um einen pH-Wert von
7.4 im Blut zu gewährleisten. Die Konstanthaltung dieses Wertes ist von besonderer
Bedeutung, weil eine Abweichung von 0.2 pH Einheiten unweigerlich den Tod eines
betroffenen Menschen zur Folge hätte.

Weitere wichtige Puffersysteme sind:


1.) Hämoglobin-Puffer (Oxygeniertes Hb, pK 7.0)
2.) H2PO4- / HPO42- (pKs = ~7.2) – intrazellulär von Bedeutung
3.) Protein / Proteinat – eher untergeordnete Rolle im Organismus

1.5. Acidosen und Alkalosen


Wenn sich der Blut-pH-Wert ins leicht Saure verschiebt (pH < 7.37), spricht man von
einer Acidose, im gegenteiligen Fall (pH > 7.44) von einer Alkalose. Da die meisten
Enzyme sehr pH-Wert spezifisch arbeiten, sind schon derart geringe Änderungen
eine hohe Belastung für den Organismus. Metabolische Acidosen bzw. Alkalosen
werden durch Stoffwechsel- Probleme hervorgerufen.

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Der pH-Wert lässt sich aber auch durch die Atmung (respiratorisch) beeinflussen.
Wird durch Hyperventilation viel CO2 abgeatmet, kommt es z.B. zu einer
respiratorischen Alkalose, da CO2 durch Zerfall von Kohlensäure (H2CO3) entsteht
und somit das Säure- Base- Gleichgewicht verschoben wird. Umgekehrt entstehen
durch Hypoventilation (z.B. flaches Atmen nach Schock etc.) respiratorische
Acidosen. Metabolische Acidosen können durch Diabetes Mellitus, Hungern,
Durchfall, oder Niereninsuffizienz entstehen, während metabolische Alkalosen durch
starkes Erbrechen zustande kommen.

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2. Aminosäuren, Peptide und Proteine

2.1. Aminosäuren
Aminosäuren (genauer: α-Amino- Carbonsäuren) sind die Bausteine der Proteine –
die 20 proteinogenen Aminosäuren bilden bis auf wenige Ausnahmen die Grundlage
für alle Proteine.

COOH C OO

+
H2N C* H H3 N C* H

R R

Abbildung 1: Allgemeine Formel für Aminosäuren (links nichtionisiert, rechts als Zwitterion).

Alle Aminosäuren bis auf Glycin (R=H) sind optisch aktiv, da das α -C- Atom von vier
verschiedenen Liganden umgeben (asymmetrisches bzw. chirales C-Atom) ist.
Dadurch entstehen Stereoisomere, die sich nur in der räumlichen Anordnung der
Gruppen um das C- Atom unterscheiden.

Stereoisomere unterteilen sich in:


• Konfigurationsisomere (räumliche Anordnung von Atomen und Molekülgruppen).
• Konformationsisomere (z.B. Sessel- und Wannen- Form bei Kohlenhydraten).

Bei Konfigurationsisomeren unterscheidet man:


- Enantiomere (Spiegelbildisomere): Haben meist ein asymetrisches C-Atom als
Chiralitätszentrum; es gibt auch “geometrische Isomere“; generell gilt die
Ingold-Prelog-Kahn Regel (R, S) für die Klassifizierung.

- Diastereomere: bei Vorhandensein mehrerer Chiralitätszentren (wobei


Diastereomere alle Isomere, die nicht Enantiomere sind, umfassen). Generell
gilt für die Zahl möglicher Konfigurationsisomere (I) die Formel I = 2n wobei n
die Zahl der chiralen Zentren ist.

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Bei Aminosäuren hat sich, in Anlehnung an die Fischer Projektionsformel bei


Kohlenhydraten, das D / L System der Klassifizierung durchgesetzt. In Analogie zum
Glycerinaldehyd ergibt sich:

O H
C OO

+
HO C* H H3 N C* H

CH2OH R

Abbildung 2: L-Formen von Glycerinaldehyd (links) und einer Aminosäure (rechts) im Vergleich.

In der Natur kommen fast ausnahmslos L-Aminosäuren vor. D-Aminosäuren sind


extrem selten und kommen in Peptiden von Bakterienzellwänden oder Peptidgiften
vor.

Optisch aktive Substanzen sind in der Lage, die Schwingungsebene von linear
polarisiertem Licht zu drehen. Der Drehwinkel wird im Polarimeter bestimmt, wobei
polarisiertes Natrium-D-Licht von einem Polarisator erzeugt, durch die Probe
geschickt (Schichtdicke der Küvette: 1dm), und im Analysator die Drehung der
Polarisationsebene gemessen wird.

α = αspez·c·d

α = Drehwinkel
αspez = Spezifischer Drehwinkel (Drehwinkel einer Lösung von 1 g/ml bei 25oC)
c = Konzentration der Lösung [g/ml]
d = Schichtdicke der Küvette [dm]

Der Drehwinkel wird in (+) = Uhrzeigersinn oder (-) gegen den Uhrzeigersinn
angegeben. Früher wurde dafür auch d (dextro, rechts) und l (levo, links) verwendet.
Der Drehsinn darf aber keinesfalls mit den Stereoisomeren Formen D und L
verwechselt werden.

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Aminosäuren sind Ampholyte, sie können als Säure (Carboxylgruppe) und als Base
(Aminogruppe) reagieren. Beide Gruppen besitzen eigene pKs-Werte, die für die
jeweilige Aminosäure charakteristisch sind. Bei pH-Werten zwischen den beiden
pKs- Werten liegt die Aminosäure als Zwitterion vor – die Aminosäure ist protoniert
(NH3+), die Carboxylgruppe deprotoniert (COO-).
Eine charakteristische Eigenschaft für alle Zwitterionen ist der isoelektrische Punkt.
Der I.P. ist jener pH-Wert, bei dem sich in wässriger Lösung bei mehrfach geladenen
Molekülen die positiven und die negativen Ladungen aufheben und das Molekül nach
außen hin ungeladen erscheint. Der isoelektrische Punkt einer Aminosäure mit
ungeladener Seitenkette errechnet sich aus dem arithmetischen Mittel der pks-Werte
von Carboxylgruppe (pksS) und Aminogruppe (pksB).

pks S + pks B
PI =
2
Bei pH-Werten unter dem isoelektrischen Punkt überwiegen die positiv geladenen
NH3+ Ionen, das Moleül erscheint daher nach außen hin positiv geladen. Bei pH-
Werten darüber überwiegen die negativ geladenen COO- Ionen, das Molekül
erscheint negativ geladen.
Wenn eine Aminosäure zwei Carboxylgruppen besitzt (eine am α-C-Atom und eine in
der Seitenkette), entspricht der I.P. dem arithmetische Mittel der pK-Werte der beiden
Carboxylgruppen – er liegt daher im sauren Bereich. Übersteigt der pH-Wert den
pKs-Wert der Aminogruppe, liegt diese vollständig ungeladen vor, während beide
Carboxylgruppen deprotoniert vorliegen – das Molekül ist also doppelt negativ
geladen. Das gilt (umgekehrt) auch für Aminosäuren mit zwei Aminogruppen.

pks S 1 + pks S 2 pks B1 + pks B 2


AS mit zwei Carboxylgruppen: PI = zwei Aminogruppen: PI =
2 2

Die drei aromatischen Aminosäuren zeigen Extinktionsmaxima bei ca. 280nm, wobei
Phenylalanin nur ein äußerst schwaches Maximum zeigt, und Tryptophan ein
deutlich stärkeres Signal als Tyrosin erzeugt. Über das Lambert-Beer’sche Gesetz
kann damit leicht die Konzentration dieser Aminosäuren in Aminosäuregemischen
bestimmt werden.
E = ε·c·d
E = Extinktion bei 280 nm, ε = molarer Extinktionskoeffizient, c = molare Konzentration der zu
bestimmenden Substanz, d = Schichtdicke der Küvette [cm]

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2.2. Die Einteilung der proteinogenen Aminosäuren


Im Folgenden werden die 20 Aminosäuren mit Strukturformeln und folgenden
Eigenschaften aufgelistet:
- Einfluss auf die Sekundärstruktur (α-Helix, β-Faltblatt – wird noch
beschrieben).
- Für den Menschen essentielle Aminosäuren.
- Abkürzung nach dem 3-Buchstaben-Code, Abkürzung nach dem 1-
Buchstaben-Code in Klammer (wobei für die Prüfung nur der 3-Buchstaben-
Code relevant ist).
- Sauer/basisch
- UV- Aktivität

2.2.1. Unpolare, aliphatische Aminosäuren

COOH COOH COOH

H2N C H H2N C* H H2N C* H

H CH3 H3C CH CH3

Abbildung 3: Glycin Abbildung 4: Alanin Abbildung 5: Valin


Kürzel: Gly (G) Kürzel: Ala (A) Kürzel: Val (V)
α-Helix-Brecher α-Helix-Bildner β-Faltblatt-Bildner
optisch inaktiv essentielle Aminosäure

COOH COOH COOH

H2N HN C* H
C* H H2N C* H

CH3 CH 2 CH 2
CH2 CH CH3 CH CH2-CH3
CH3
CH 2

Abbildung 6: Leucin Abbildung 7: Isoleucin Abbildung 8: Prolin


Kürzel: Leu (L) Kürzel: Ile (I) Kürzel: Pro (P)
α-Helix-Bildner β-Faltblatt-Bildner α-Helix-Brecher
essentielle Aminosäure essentielle Aminosäure β-Faltblatt-Brecher
2 chirale Zentren

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unpolar, aliphatisch (Forts.) 2.2.2. Polare, ungeladene Aminosäuren

COOH COOH
COOH

H2N C* H H2N C* H H2N C* H

CH2 CH2 S CH3


CH3 CH OH CH2 OH

Abbildung 9: Methionin Abbildung 10: Threonin Abbildung 11: Serin


Kürzel: Met (M) Kürzel: Thr (T) Kürzel: Ser (S)
essentielle Aminosäure essentielle Aminosäure
α-Helix-Bildner 2 chirale Zentren

COOH COOH
COOH

H2N C* H H2N C* H
H2N C* H O O
CH2-CH2- C
CH2- C
NH2
CH2 SH NH2

Abbildung 12: Cystein Abbildung 13: Asparagin Abbildung 14: Glutamin


Kürzel: Cys (C) Kürzel: Asn (N) Kürzel: Gln (Q)
bedingt essentielle Aminosäure

2.2.3. Negativ geladene Aminosäuren

COOH COOH

H2N C* H H2N C* H
O O
CH2- C CH2-CH2- C
O O

Abbildung 15: Aspartat Abbildung 16: Glutamat


Kürzel: Asp (D) Kürzel: Glu (E)
β-Faltblatt-Brecher β-Faltblatt-Brecher
sauer sauer

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Biochemie I, Teil 1

2.2.4. Aromatische Aminosäuren

COOH COOH COOH

H2N C* H H2N C* H H2N C* H H


N
CH2 CH2 OH CH2

Abbildung 17: Phenylalanin Abbildung 18: Tyrosin Abbildung 19: Tryptophan


Kürzel: Phe (F) Kürzel: Tyr (Y) Kürzel: Trp (W)
schwach UV-Aktiv UV-Aktiv UV-Aktiv
essentielle Aminosäure bedingt essentielle Aminosäure essentielle Aminosäure

2.2.5. Aminosäuren mit positiv geladenen Seitenketten

COOH COOH COOH

H2N C* H H2N C* H + H2N C* H


NH2

(CH2)4
+ (CH2)3-NH- C-NH2 CH2
N H3
HN N

Abbildung 20: Lysin Abbildung 21: Arginin Abbildung 22: Histidin


Kürzel: Lys (K) Kürzel: Arg (R) Kürzel: His (H)
essentielle Aminosäure basisch essentielle Aminosäure
basisch sehr schwach basisch*

* für die Prüfung: aufgrund des sehr schwachen basischen Charakters am besten nicht zu den basischen
Aminosäuren zählen, auch wenn in anderen Büchern als basisch deklariert (Auskunft Prof. Zechner).

2.3. Reaktionen der Aminosäuren

2.3.1. Biuret- Reaktion


Diese Reaktion beruht auf der Bildung von Cu2+-Komplexen mit Amino- und
Carboxyl- Gruppen von Aminosäuren und bewirkt eine massive Blaufärbung – der
Name kommt daher, dass die Reaktion ursprünglich mit dimeren Harnstoffmolekülen
(Biuret) beobachtet wurde. Diese Reaktion können nur Peptide und Proteine
eingehen – also Verbindungen, in denen mehrere Aminosäuren durch
Peptidbindungen miteinander verbunden sind. Die Reaktion muss im stark
alkalischen Medium stattfinden, da nur dann die Aminosäuren bzw. Peptidbindungen
vollständig deprotoniert sind.

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2.3.2. Ninhydrin- Reaktion


Die Ninhydrin-Reaktion kann zur O
C OO
Quantifizierung von Aminosäuren nach C OH +
2 C + H3 N C H
deren Trennung in der Papier- C
OH R

Dünnschicht- oder Ionenaustausch- O

Chromatographie verwendet werden.


Alle Aminosäuren reagieren mit O O
C C O
Ninhydrin zu einem blauen Komplex 3 H2O
C N C + CO2
+ R-C
unter Bildung einer Schiffschen Base C C +
H
H
O O
(Imin). Einzig Prolin bildet ein gelbes
Produkt. Durch die Farbintensität (Vergleich mit Standardlösungen) kann die
Konzentration grob abgeschätzt werden.

Abbildung 23: Ninhydrin- Reaktion.

2.3.3. Andere Reaktionen


Weitere relevante Reaktionen der Aminosäuren sind die Decarboxylierung (CO2-
Abspaltung), die Desaminierung (Abspaltung von Ammoniak, Übergang in eine
Ketosäure) und die Transaminierung, bei der eine Aminogruppe übertragen wird.
Wichtige Reagenzien zum Nachweis von Aminosäuren sind: Dansylchlorid,
Dabsylchlorid, Fluorescamin und Fluordinitrobenzol.

2.4. Trennung von Aminosäuregemischen


Neben einfachen chromatographischen Methoden wie Papier- und
Dünnschichtchromatographie ist die wichtigste Methode für Trennung und
Identifizierung von Aminosäuregemischen die Ionenaustauschchromatographie.
Eine Chromatographiesäule wird mit einem Kationenaustauscher-Harz befüllt. Das
Harz trägt an seiner Oberfläche Sulfonatgruppen (SO3-). Dann wird das
Aminosäuregemisch in saurer Lösung (pH < 3) zugegeben, da bei diesem pH-Wert
alle Aminosäuren positiv geladen sind und sich ans Austauscher-Harz binden.

Der pH-Wert (oder die Kationenkonzentration) wird durch Pufferzugabe langsam


erhöht und die Aminosäuren der Reihe nach entsprechend ihrem I.P. eluiert. Das
Eluat wird fraktioniert und quantitativ analysiert (z.B mittels Ninhydrin-Reaktion).

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Biochemie I, Teil 1

2.5. Die Peptidbindung und Eigenschaften von Peptiden


Peptidbindungen entstehen durch Kondensation von Aminosäuren unter
Wasserabspaltung in Form einer Säureamidbindung. Die planaren, starren
Peptidbindungen sind sehr stark und besitzen cis/trans Isomerie, wobei die sterisch
begünstigte trans-Form bei weitem häufiger vorkommt. Peptidbindungen können
chemisch sauer oder alkalisch hydrolysiert werden, oder enzymatisch durch
Proteasen oder Peptidasen abgebaut werden.

R1 R2 R1 R2
H + H
CH C N CH COO
H3N
+
CH C OH + H N CH COO
-H2O
H3N

O O

Abbildung 24: Knüpfung einer Peptidbindung.

Je nachdem, wie viele Aminosäuren verknüpft werden, spricht man von Di-, Tri- und
Tetra-Peptiden, bzw. von Oligopeptiden (unter 10 Aminosäuren) oder von
Polypeptiden. Generell werden Ketten mit mehr als 10 Peptidbindungen als Peptide
und Ketten mit mehr als 100 Peptidbindungen als Proteine bezeichnet. Das Ende,
das die NH3+- Gruppe trägt, wird als N- bzw. aminoterminales Ende bezeichnet, das
Ende mit der COO- Gruppe als C- bzw. carboxyterminales Ende.

Seltene Aminosäuren
Abgesehen von den klassischen proteinogenen Aminosäuren kommen im
Stoffwechsel noch andere, seltene Aminosäuren vor, wie z.B.

Aminosäure-Derivate: Hydroxy-Prolin
Hydroxy-Lysin

nicht-proteinogene AS: Ornithin


Homocystein

nicht α-Aminosäuren: γ-Aminobuttersäure


ß-Alanin

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Biochemie I, Teil 1

2.5.1. Glutathion (Beispiel für ein Tripeptid)


Viele Peptide besitzen außerordentliche biologische Wirksamkeit als Hormone (z.B
Oxytocin (9 AS), Bradykinin (9 AS), Insulin (30+21 AS) und Glucagon (29 AS), Gifte
(z.B. die cyclischen Peptidgifte des Knollenblätterpilzes Phalloidin und Amanitin) oder
Antibiotika.

Glutathion (GSH) ist ein Tripeptid (ganz streng genommen eigentlich ein acyliertes
Dipeptid) mit der Sequenz: γ-Glu – Cys – Gly. Die SH-Gruppe des Cystein macht
Glutathion zu einem wichtigen biologischen Redoxsystem. So werden z.B. toxische
Peroxide, die den Organismus beeinträchtigen könnten, eliminiert. 2 Glutathion (auch
als G-SH geschrieben, das SH deutet die Cysteinseitenkette an) Moleküle reagieren
zum entsprechenden Disulfid (geschrieben als GS-SG), wobei die Cystein- Gruppen
eine Disulfidbrücke bilden und zu Cystin reagieren. Die Regeneration des GSSG zu
GSH wird enzymatisch mittels Glutathion- Peroxidase, einem NADPH abhängigen
Enzym, katalysiert.

O O
O O
-
O NH CH C NH -
+ CH2 O
NH3 CH2
HS

Abbildung 25: Strukturformel von Glutathion.


Links der Glutamatrest, in der mitte das Cystein mit SH-Gruppe (Pfeil), rechts das Glycin.

Ein in der Nahrungmittelindustrie wichtiges Dipeptid ist das Aspartam (Nutrasweet®)


ein Aspartylphenylalaninmethylester, der als künstlicher Süßstoff Anwendung findet.

Peptide können auch chemisch synthetisiert werden. Die Synthese erfolgt auf einem
unlöslichen Polymersubstrat (Polystyrol). Die Synthese erfolgt vom C-terminalen
Ende aus, wobei die freien Amino- und Carboxylgruppen der Aminosäuren durch
Schutzgruppen blockiert werden müssen, um unerwünschte Nebenreaktionen zu
verhindern.

Seite 20
Biochemie I, Teil 1

3. Proteine

Durch die Peptidbindung können die 20 proteinogenen Aminosäuren in beliebiger


Kombination und Länge zu einer praktisch unzählbaren Zahl verschiedener Moleküle
kombiniert werden.
z.B. 202 = 400 Dipeptide
203 = 8000 Tripeptide
20100 = 1.3x10130 Hundertmere

Nachdem das gesamte Universum insgesamt „nur“ geschätzte 1079 Moleküle enthält,
ist die theoretische Kombinierbarkeit von Peptiden und Proteinen unermesslich.

Proteine können im Organismus viele verschiedene Aufgaben wahrnehmen.


Wichtige Untergruppen von Proteinen sind zum Beispiel:

- Enzyme beschleunigen bzw. ermöglichen chemische Reaktionen im


Organismus.
- Strukturproteine z.B. in Sehnen, Knorpeln, Haaren und Fingernägeln.
Beispiele wären z.B. Kollagen und Keratin.
- Transportproteine transportieren Moleküle und Ionen zu ihren
Bestimmungsorten (z.B.: Hämoglobin).

Proteine können oft auch mit nicht-Proteinanteilen assoziiert sein:


- Glykoproteine
- Lipoproteine
- Metalloproteine

3.1. Primärstruktur
Die Primärstruktur eines Proteins beschreibt die „nackte“ Aminosäure- Sequenz. Sie
wird im ein- oder drei- Buchstabencode angegeben und laut Konvention vom N-
Terminalen Ende in Richtung des C-Terminalen Endes notiert (wie wir das z.B. schon
bei Glutathion auf der Vorseite gemacht haben).

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Biochemie I, Teil 1

Zur Sequenzbestimmung kann der Edman-Abbau herangezogen werden. Bei dieser


Methode wird die N-Terminale Aminosäure mit Phenylisothiocyanat derivatisiert. Im
nächsten Schritt wird mit Flusssäure die derivatisierte Aminosäure abgetrennt und
das entstehende Phenylthiohydantoin-Derivat mittels HPLC identifiziert. Der Rest der
Peptid-Kette bleibt intakt und kann einen neuen Zyklus durchlaufen.

Polypeptid + Phenylisothiocyanat
... ...

N
H N C C
S C
O HC R2
O C C S
+ O HC R3
NH +
NH CH C NH H3N CH C NH
R1
R1 O R2 O

Abbildung 26: Edman Abbau.

In der Praxis sind mit dem Edman- Abbau Peptidketten mit einer Länge von maximal
20-30 Aminosäuren sequenzierbar, da die Zyklen keine 100%ige Ausbeute haben,
und sich dadurch mit jedem Zyklus störende Seitenprodukte ansammeln.
Wenn man ein größeres Protein sequenzieren möchte, kann man die Kette
enzymatisch (durch Endopeptidasen) in Bruchstücke spalten und diese getrennt
analysieren.

Für die Charakterisierung der N-terminalen Aminosäure von Peptiden kann auch
eine Derivatisierung mit Dansylchlorid, Dabsylchlorid oder Fluordinitrobenzol
durchgeführt und die Derivate nach Totalhydrolyse des Peptids (mit 6N HCl)
identifiziert werden. Eine Identifikation des C-Terminalen Endes gelingt mit
Phenylhydrazin.

3.2. Sekundärstruktur
Die Beobachtung, dass die Peptidgruppen (Carbony- und Amidgruppe) immer in
einer Ebene liegen (wobei der Carbonyl-Sauerstoff und der Amid-Wasserstoff immer
in trans Konfiguration stehen), lässt auf ein Resonanzphänomen bzw. partielle
Elektronenpaar-Überlappung zwischen Carbonyl-Sauerstoff und Amid-Stickstoff

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Biochemie I, Teil 1

schließen. Eine Drehbarkeit ist damit nur mehr zwischen der C-Cα Bindung und der
N-Cα Bindung möglich. Der Bindungswinkel N-Cα wird als φ bezeichnet, C-Cα als ψ.
Ψ und φ können theoretisch Werte zwischen -180o und +180o annehmen, aber viele
Werte sind wegen sterischen Behinderungen durch Seitenketten und
Polypeptidrückgrat ausgeschlossen. Erlaubte Werte sind aus einem von G.N.
Ramachandran entwickelten Diagramm, in dem ψ gegen φ aufgetragen wird, zu
entnehmen.

Die Sekundärstruktur eines Proteins beschreibt die sterische Organisation des


Polypeptidrückgrats (ohne Betrachtung der AS-Seitenketten). Sie kann vollständig
durch die Bindungswinkel ψ und φ an den einzelnen AS-Resten beschrieben werden.
Einige Sekundärstrukturtypen sind besonders stabil, wobei die beiden wichtigsten
Strukturen die α- Helix und das β- Faltblatt sind. Welche Sekundärstruktur
eingenommen wird, ist stark von der Primärstruktur der Peptidkette abhängig.
Welche Aminosäuren als Helixbrecher oder -bildner, bzw. als Faltblattbrecher bzw. -
bildner eingeordnet werden, kann aus der Liste der Aminosäuren (Kapitel 2.2, Seite
15ff.) entnommen werden.

Die α-Helix ist eine rechtsgängige Schraube mit ca. 3.6 Aminosäure-Resten pro
Windung. Die Ganghöhe der Helix liegt bei 0.54 nm. Die Aminosäuren-Reste stehen
nach außen. Die Helices sind meistens nur kurz (z.B. 11 Reste, also 3 Windungen)
und werden durch intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen gebildet.

Andere Helix-Strukturen sind linksgängige Helices bei Gly-Pro reichen Proteinen


(z.B. Kollagen), oder rechtsgängige Helices, die nicht dem α-Helix Typ (3,613 Helix)
entsprechen (zB. 310 Helix oder π-Helix).

Die ß-Konformation (β- Faltblatt) kann durch Wasserstoffbrückenbindungen


innerhalb einer Kette oder zwischen benachbarten Ketten entstehen. Der Name
‚Faltblatt’ weist darauf hin, dass eine Reihe von mehreren (ca. 2-15) Polypeptid-
Ketten in Zickzackform nebeneinander angeordnet ist. Je nachdem, wie die Ketten
liegen, unterscheidet man parallele und antiparallele (häufiger) Faltblätter – je

Seite 23
Biochemie I, Teil 1

nachdem ob 2 gleiche (N,N oder C,C) Enden sich nebeneinander anlagern, oder
nicht. Im parallelen Faltblatt beträgt die Wiederholungseinheit 0.65 nm, im
antiparallelen 0.70 nm. Die Abschnitte weisen eine Länge von etwa 6 bis 10
Aminosäuren auf.

Nicht-repetitive Strukturen:
β- Schleifen treten auf, wenn Polypeptidketten ihre Richtung umkehren. Sie sind vor
allem Verbindungselemente zweier antiparalleler ß-Ketten. Sie bestehen
normalerweise aus 4 Aminosäuren und bewirken eine Strangwendung um 180o. ß-
Schleifen befinden sich oft an der Oberfläche von Proteinen. Weitere nicht-repetitive
Strukturen sind Ω-Schleifen, γ-Schleifen und ß-Fass Strukturen.

3.3. Tertiär- und Quartärstruktur


Die gesamte Anordnung aller Atome innerhalb einer Polypeptidkette wird als
Tertiärstruktur bezeichnet. Die Tertiärstruktur bezieht sich auf weitreichende
Wechselwirkungen innerhalb von Proteinketten, es können also auch Aminosäuren,
die innerhalb der Primärstruktur weit voneinander entfernt liegen, innerhalb der
Tertiärstruktur direkt miteinander interagieren. Folgende Wechselwirkungen treten
auf:

Ionische Wechselwirkungen entstehen zwischen Carboxylgruppen saurer oder C-


terminaler Aminosäuren und protonierten Aminogruppen basischer Aminosäuren
bzw. N-terminaler Aminosäuren. Die salzartigen Ionenbindungen sind besonders
stark und tragen einen wesentlichen Teil zur Stabilität von Peptidketten bei. Die
Bindungen sind stark vom pH-Wert und der Salzkonzentration des Mediums
abhängig. Elektrostatische Bindungen können auch durch die Interaktion von Ionen
mit Dipolen bzw. Dipol-Dipol Interaktion zustande kommen. Diese Bindungen sind
jedoch schwächer als die ionischen Wechselwirkungen.

Wasserstoffbrückenbindungen werden zwischen Peptidbindungen (NH-Gruppe


und C=O Gruppe) gebildet. Wasserstoffbrücken sind nicht nur für die
Sekundärstruktur essentiell, sondern bilden sich auch zwischen den Seitenketten der
AS als Teil der Tertiärstruktur. Die Bindungsenergie ist relativ schwach (20 kJ/mol).

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Biochemie I, Teil 1

Hydrophobe (apolare) Wechselwirkungen: Die gegenseitige Bindung aromatischer


bzw. aliphatischer Aminosäuren in wässriger Lösung wird als hydrophobe
Wechselwirkung bezeichnet, wobei auch van der Waals Bindungen einen Beitrag zur
Stabilisierung der hydrophoben Bindungen liefern. Ihre Festigkeit entspricht in etwa
den Wasserstoffbrückenbindungen, und sie lassen sich durch Detergentien leicht
spalten.

Disulfid- Brücken sind kovalente Bindungen, die sich durch Oxidation zweier
Cysteinreste ergibt. Sie kann durch entsprechende Reduktionsmittel wieder gelöst
(reduziert) werden.

Die Tertiärstruktur ist die Gesamtstruktur der Kette in dreidimensionaler Form und
wird durch Röntgenstrukturanalyse oder durch Kernmagnetresonanz- Spektroskopie
(NMR) ermittelt.

Quartärstrukturen treten auf, wenn mehrere Peptidketten eine übergeordnete


Struktur bilden. Die Ursachen für diese Struktur sind die gleichen nicht-kovalenten
Wechselwirkungen, die auch für die Tertiärstrukturen verantwortlich sind. Innerhalb
dieser höheren Strukturebenen lassen sich Proteine in 2 Hauptgruppen einteilen,
nämlich Stränge- und Schichtstrukturbildende Faserproteine (Skleroproteine) oder
kugelförmige, globuläre Proteine (Sphäroproteine).

3.4. Denaturierung von Proteinen


Unter Denaturierung eines Proteins versteht man jede Strukturänderung, die mit dem
Verlust der biologischen Eigenschaften des Proteins verbunden ist. Während die
Primärstruktur schwerer zu zerstören ist, können die anderen Strukturen relativ
einfach gelöst werden, wobei eine partielle Entfaltung die Reststruktur derart
destabilisiert, dass es zur Bildung einer Zufallsknäuel-Struktur (random coil) kommt.
Diese Strukturänderung und Denaturierung von Proteinen ist nur schwer umkehrbar
(Renaturierung). Bei Denaturierung durch Erhitzen spricht man bei der eintretenden
Strukturumwandlung von der Schmelztemperatur Tm, die bei den meisten Proteinen
weit unter 100°C liegt.

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Biochemie I, Teil 1

Die Denaturierung von Proteinen kann durch Änderungen des pH-Wertes der Lösung
(Zerstörung der Ionen- und Wasserstoffbrückenbindungen), Hitze (z.B. beim
Kochen), mechanische Einwirkungen (z.B. „Eiklar schlagen“), organische
Lösungsmittel (z.B. Alkohol und Aceton – zerstören hydrophobe Wechselwirkungen)
oder Zugabe von Harnstoff (Lösung der Wasserstoffbrücken) erfolgen. Die stärkeren
Disulfid- Bindungen können oxidativ oder reduktiv gespalten werden. Der Einfluss
von Salzen ist komplexer, weil manche Salze die Strukturen stabilisieren (z.B.
Ammonsulfat), während andere stark denaturierend wirken (z.B. Bromide,
Isothiocyanate). In der Hofmeister-Reihe werden die Ionen jeweils nach ihrer Protein-
stabilisierenden Wirkung gereiht:

Anionen: SO42- > H2PO4- > CH3COO- > Cl- > Br- > I- > ClO4- > SCN-
Kationen: NH4+, Cs+, K+, Na+ > Li+ > Mg2+ > Ca2+ > Ba2+

Stark denaturierende Ionen bezeichnet man als chaotrop.

Denaturierte Proteine sind schwerer löslich als das jeweilige native Protein und
besitzen keinen geordneten Aufbau. Grundsätzlich ist aber zwischen Präzipitation
eines Proteins und dessen Denaturierung zu unterscheiden, weil natürlich nicht alle
ausgefallenen Proteine denaturiert sind (also die biologischen Eigenschaften
verloren haben) bzw. nicht alle denaturierten Proteine ausfallen (siehe Kapitel
„Löslichkeit der Proteine“).

3.5. Trennung, Isolierung und Nachweis von Proteinen


Die wichtigsten Eigenschaften, die zur Trennung von Proteingemischen ausgenützt
werden, sind die Löslichkeit, Ladung und Größe von Proteinen, sowie deren
spezifische Affinität zu bestimmten Substanzen.

3.5.1. Trennung aufgrund unterschiedlicher Löslichkeit von Proteinen


Die Löslichkeit von Proteinen wird primär durch die Aminosäurezusammensetzung
und den isoelektrischen Punkt des Peptids determiniert. Je höher der Anteil der
geladenen Aminosäuren ist, und je weiter der I.P. vom pH-Wert der Proteinlösung
entfernt ist, desto besser ist die Löslichkeit eines Peptids. Einen wichtigen Faktor zur

Seite 26
Biochemie I, Teil 1

unterschiedlichen Löslichkeit von Proteinen stellt auch die Salzkonzentration der


Lösung dar. Grundsätzlich sind die meisten Proteine bei hohen Salzkonzentrationen
schlechter löslich als bei geringen. Dieser Effekt wird als „Aussalzen“ der Proteine
bezeichnet, wobei unterschiedliche Proteine bei unterschiedlichen
Salzkonzentrationen präzipitieren. Als Salz wird oft (NH4)2SO4 oder Na2SO4
verwendet, weil diese Salze besonders gut wasserlöslich sind. Durch Zugabe
steigender Salzmengen bei pH-Werten am I.P. und niedrigen Temperaturen können
Proteingemische durch Fällung fraktioniert werden (wobei möglichst keine
Denaturierung auftreten soll). Eine ähnliche Löslichkeitsverminderung und serielle
Fraktionierung von Proteinen wie durch Salzzugabe kann auch durch die kontrollierte
Zugabe von organischen Lösungsmitteln (z.B. Alkohol oder Aceton) erreicht werden.

3.5.2. Aufreinigung durch Dialyse


Bei der Dialyse wird die Proteinlösung in einen Schlauch mit semipermeabler
Membran gefüllt und dieser in eine Pufferlösung gelegt. Große Proteinmoleküle, die
die Dialysemembran nicht durchdringen können, bleiben im Schlauch, während
kleine Moleküle (z.B. Salze) nach außen diffundieren, bis die Salzkonzentration im
umgebenden Lösungsmittel gleich der im Schlauch ist. Der Effekt kann durch
Auswechseln des umgebenden Lösungsmittels weiter verstärkt werden. Dialyse kann
auch zum Umpuffern verwendet werden, indem man die umgebende
Salzkonzentration erhöht, und dadurch einen Einstrom der Ionen in den Schlauch mit
der Proteinlösung herbeiführt.

3.5.3. Trennung aufgrund unterschiedlicher Molekülgrößen

3.5.3.1. Gelfiltration (Größenausschlusschromatographie, SEC)


Bei der Gelfiltration („Molekularsiebchromatographie“) werden Proteine in einer
Säule, die poröse Gelkügelchen enthält, getrennt. Proteine, die zu groß für die Poren
sind, wandern schnell durch die Säule und finden sich im sogenannten
„Ausschlussvolumen“ (V0) der Säule. Proteine, die in die Poren eindringen können,
haben eine unterschiedliche Verweildauer in den Poren, die wiederum von der Größe
abhängig ist. Je kleiner die Proteine sind, desto länger verbleiben sie also in der
Säule und desto größer ist ihr „Elutionsvolumen“ (Ve). Über den folgenden

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Biochemie I, Teil 1

Zusammenhang lässt sich ein Kd-Wert bestimmen, der in einem logarithmischen


Zusammenhang mit dem Molekulargewicht steht.
Ve − V 0
Kd = Vt ist das Totalvolumen der Säule
Vt − V0
Zuerst muss eine Eichgerade mit Proteinen
bekannten Molekulargewichtes erstellt werden,
danach kann das Molekulargewicht eines

log M
unbekannten Proteins bestimmt werden, indem
es mit dieser Eichgerade verglichen wird.
Die Methode ist zwar relativ aufwendig, im
Gegensatz zur SDS- Elektrophorese bleibt aber Kd

die Quartärstruktur des Proteins erhalten. Abbildung 27: Beispiel einer Eichgerade.

3.5.4. (Ultra-)Zentrifugation
Proteine unterschiedlicher Größe und hydratisierter Dichte zeigen ein
unterschiedliches Sedimentations- bzw. Flotationsverhalten in der Ultrazentrifuge.
Solche Zentrifugen erreichen Drehzahlen bis zu 100.000 Umdrehungen pro Minute
und Schwerefelder bis zu 100.000 g. Dadurch können auch Proteingemische
getrennt werden.
Durch die Ermittlung der Sedimentationskonstanten in der Ultrazentrifuge kann über
einen nicht unwesentlichen mathematischen Aufwand die eigentliche Molekülmasse
bestimmt werden.

3.5.5. Trennmethoden unter Einbeziehung der Ladung der Proteine

3.5.5.1. Elektrophorese
Als Elektrophorese bezeichnet man die Trennung von Molekülgemischen (z.B.
Proteine oder Nukleinsäuren) in einem elektrischen Feld. Grundsätzlich
unterscheidet man zwischen der „trägerfreien Elektrophorese“ und der
„Trägerelektrophorese“, wobei in der biochemischen Praxis nur die
Trägerelektrophorese von Bedeutung ist. Im Gegensatz zur trägerfreien
Elektrophorese, bei der die Trennung der Moleküle nur in Pufferlösung (z.B. in einem

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Biochemie I, Teil 1

Glasrohr) erfolgt, wird bei der Trägerelektrophorese das Proteingemisch immer auf
eine Matrix aufgebracht.
Als Träger dienen verschiedene Gele (z.B. Acrylamid, Agarose, Agar, Stärke etc.),
aber auch Papier und verschiedene Zellulosen finden Anwendung. Die Wahl des
Trägers richtet sich primär nach der Molekülgröße und der Komplexität des zu
trennenden Molekülgemisches. Für sehr große Moleküle (über 300kD) eignet sich
die Agarose-Gel Elektrophorese besonders gut, für kleinere Moleküle (also
besonders Proteine) findet die Polyacrylamid-Gel Elektrophorese (PAGE) breite
Anwendung. Die Wanderungsgeschwindigkeit hängt hauptsächlich von 3 Faktoren
ab, nämlich der Ladung der Moleküle (z), dem Reibungswiderstand (f) und der
angelegten elektrischen Feldstärke (E).

E⋅z
V =
f

Der Reibungswiderstand korreliert natürlich mit der Molekülgröße und der


Molekülform (entspricht dem Radius r bei Annahme einer Kugelform) bzw. der
„Viskosität“ (= Durchlässigkeit, Abkürzung η) des Trägers.

F = 6 ⋅ π ⋅η ⋅ r
Bei Polyacrylamid-Gelen kann über die Gelkonzentration direkt der Vernetzungsgrad
und damit die „Durchlässigkeit“ gesteuert werden (ähnlich der gröberen oder feineren
Maschigkeit eines Siebes).

Wenn die Elektrophorese im leicht alkalischen Medium (pH=8.0-8.5) durchgeführt


wird, sind die meisten Proteine negativ geladen, und wandern zum positiven Pol
(Anode). Die Ladung des Proteins ist natürlich umso größer, je weiter der I.P. des
Proteins vom pH-Wert des Mediums entfernt ist. Nach der elektrophoretischen
Trennung können die Proteinbanden durch spezifische Färbung (z.B. mit Coomassie
Blue) sichtbar gemacht werden.

SDS-PAGE: Werden Proteingemische mit SDS (Natriumdodecylsulfat) versetzt, kann


die Protein Eigenladung „ausgeschalten“ werden. Nachdem sich SDS und Protein
im Verhältnis 1 SDS Molekül pro 2 Aminosäuren bindet, erhalten die Peptide eine

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Biochemie I, Teil 1

starke negative Ladung, die faktisch nur mehr ihrer Molekülgröße entspricht. Die
Trennung in der PAGE ist dann nur noch von der Größe der Moleküle abhängig.
Durch die Bestimmung der Wanderungsgeschwindigkeit kann mittels der SDS-PAGE
relativ einfach das Molekulargewicht von Proteinen abgeschätzt werden. Durch die
stark denaturierende Wirkung von SDS können aber nur Einzelpeptidketten
untersucht werden. Die Molekulargewichtsbestimmung von Proteinen mit
Quartärstruktur ist nicht möglich.

Elektroendosmose kann durch Gegenionen (z.B. Na+- Ionen) hervorgerufen


werden, die im Trägermaterial enthalten sein können (z.B. Agar). Durch die massive
Wanderung der hydratisierten Kationen können die anionischen Proteine nicht zur
Anode wandern, sondern werden in die Gegenrichtung mitgerissen. Die Proteine
wandern dann trotz negativer Ladung zum negativen Pol.

3.5.5.2. Isoelektrische Fokussierung


Die isoelektrische Fokussierung wird zur Trennung von Proteingemischen oder zur
Bestimmung des isoelektrischen Punkts eines Proteins herangezogen. In einem
Polyacrylamid-Gel wird durch spezielle Polyamine (Ampholine) ein pH- Gradient (z.B.
pH 9 bis pH 3) erzeugt, an dem ein elektrisches Feld angelegt wird. Wird nun ein
Proteingemisch aufgetragen, so wandert jedes Protein genau zu jenem pH- Bereich,
der seinem isoelektrischen Punkt entspricht. An dieser Stelle bleibt das Protein
stehen, weil das Molekül jetzt nach außen ungeladen ist.

Das Gemisch ist nun nach dem isoelektrischen Punkt der Komponenten getrennt.
Man kann nun das Gel horizontal auf ein anderes Gel legen und die Banden mittels
SDS-PAGE erneut auftrennen. Dadurch werden die Banden zusätzlich auch noch
nach Molekulargewicht aufgetrennt – diese Kombination wird als 2-dimensionale
Elektrophorese bezeichnet.

1. Dimension IEF

Abbildung 28: erste Dimension – der isoelektrische Punkt nimmt von links nach rechts ab.

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Biochemie I, Teil 1

2. Dimension SDS-PAGE

Abbildung 29: zweite Dimension, die Molekülmasse nimmt von oben nach unten ab.

3.5.5.3. Ionenaustauschchromatographie
Im Gegensatz zu Aminosäuren wird bei Proteinen typischerweise ein
Anionentauscher (z.B. Diethylaminoethyl (DEAE)-Cellulose) benutzt. Apparatur und
Vorgehensweise sind ähnlich der Trennung von Aminosäuregemischen (siehe
Kapitel 2.4, Seite 18). Anstatt eines pH- Gradienten (der zur Denaturierung des
Proteins führen könnte) ist es allerdings zweckmäßiger, die Proteine durch Erhöhung
der Ionenkonzentration (z.B. Cl-- Ionen) zu verdrängen.

3.5.5.4. Affinitätschromatographie
Diese Trennmethode nutzt unterschiedliche Bindungseigenschaften (z.B. Antikörper-
Antigen- Wechselwirkungen in der Immunchromatographie) von Proteinen aus.
Spezifische Liganden wie z.B. spezifische Antigene werden mittels CNBr an
Sepharose als Säulenmaterial gebunden. Anschließend können durch Bindung der
entsprechenden Bindungsproteine (in obigen Fall der zum Antigen passende
Antikörper) gebunden und so isoliert werden.

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Biochemie I, Teil 1

3.5.6. Nachweismethoden für Proteine

3.5.6.1. Biuret- Reaktion


Diese Reaktion beruht auf Komplexierung von Cu2+-Ionen – zwei Harnstoff- (Biuret-)
Moleküle komplexieren ein Cu2+-Ion, die Reaktionslösung zeigt eine massive
Blaufärbung. Diese Reaktion können auch Peptide und Proteine eingehen. Die
Reaktion muss im stark alkalischen Medium stattfinden, da nur dann die Aminosäure
vollständig deprotoniert ist (vgl. Kapitel 2.3.1).

3.5.6.2. UV-Absorption
Durch die Präsenz der aromatischen Aminosäuren Tyrosin und Tryptophan in den
meisten Proteinen besitzen Proteinlösungen ein Absorptionsmaximum bei 280nm.
Dieser (meist qualitative) Nachweis ist vor allem in Kopplung mit verschiedenen
Chromatographieverfahren von großer praktischer Bedeutung. Will man Protein
neben Nukleinsäuren bestimmen, ist dies über die Differenzmessung nach Warburg-
Christian möglich, bei der man die Proteinlösung bei 260 und 280nm gegen eine
Blindprobe vermisst.

3.5.6.3. Massenspektrometrie
Die Massenspektrometrie (MS) ermöglicht ausschließlich die Analyse von Ionen, die
in Gasphase vorliegen. Da die ersten Ionisierungstechniken die Moleküle weitgehend
fragmentieren, waren Biomoleküle wie Proteine oder Nukleinsäuren lange Zeit für
massenspektrometrische Untersuchungen nicht zugänglich. Erst Ende der 80er
Jahre wurden mit ESI (Elektrospray-Ionisation) und MALDI (Matrix Assistant Laser
Desorption Ionisation) zwei Ionisierungstechniken entwickelt, die die schonenede
Ionisierung von Proteinmolekülen erlauben. Die Ionen werden mit verschiedenen
Analysetechniken (Time of Flight / TOF oder Quadrupol) hinsichtlich ihrer Masse und
Ladung untersucht. Auch Struktur- bzw. Sequenzuntersuchungen sind möglich.

3.6. Beispiele für Faser-Proteine


Im folgenden Kapitel werden vier typische Beispiele für Proteine gezeigt. Keratin,
Kollagen und Seidenfibroin zählen zu den Faser- bzw. Strukturproteinen – das
Hämoglobin ist ein Beispiel für ein globuläres Sphäroprotein mit Transportfunktion.

Seite 32
Biochemie I, Teil 1

3.6.1. α-Keratin, ein Beispiel für ein Protein mit hohem α-Helix Anteil

α- Keratin findet sich vor allem in Federn, Haaren und Fingernägeln und ist sehr
widerstandsfähig. Strukturell bilden drei rechtsgängige Helices eine linksgängige
Superhelix, die wiederum mit einer zweiten solchen Superhelix ein Dimer ausbildet.
Diese dimere Struktur wird auch als „Protofibrille“ bezeichnet. 11 Protofibrillen bilden
eine Haar-Mikrofibrille, die wiederum zu Makrofibrillen gebündelt werden. Die 11
Protofibrillen werden in einer 9+2 Struktur angeordnet (9 Fibrillen außen, 2 innen).
Solche Bündel durchdringen und umgeben die Zellen jeden Haares.
Vorherrschend sind besonders Aminosäuren mit hydrophoben Resten wie z.B.
Phenylalanin, Isoleucin, Valin, Methionin und Alanin. Durch Disulfidbrücken werden
die einzelnen Keratin- Helices quervernetzt und stabilisiert.
Diese Quervernetzung wird z.B. bei Dauerwellen ausgenützt. Durch Behandlung mit
reduzierenden Verbindungen werden die Disulfidbrücken reduktiv gelöst, während
durch feuchte Wärme die α- Helices in β- Faltblatt Strukturen übergehen. Durch
Oxidation werden neue Disulfidbrücken gebildet und das Haar wieder abgekühlt,
wobei wieder eine α- Helix Struktur eingenommen wird.

3.6.2. Kollagen, ein tripelhelicales Protein


Kollagen findet sich vor allem in Knorpeln, Knochen und Bindegewebe und ist das in
Säugetieren am häufigsten vorkommende Protein. Man unterscheidet 3
verschiedene Kollagentypen, die durch 10 unterschiedliche Gene kodiert werden.
Kollagen I: in Haut und Knochen
Kollagen II: in Knorpel und Bandscheiben
Kollagen III: in Blutgefäßen

In Kollagen sind die Aminosäuren Glycin (ca. 33%), Prolin und Hydroxyprolin (jeweils
ca. 21%) besonders häufig. Hydroxyprolin (HyPro) wird erst nach der Biosynthese
von Kollagen gebildet. Das verantwortliche Enzym heißt Prolyl-Hydroxylase und
braucht Ascorbinsäure (Vitamin C) als Cofaktor. Kollagen ist chemisch stabil, besitzt
eine hohe Druckfestigkeit sowie eine hohe Dehn- und Reißresistenz.

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Biochemie I, Teil 1

Die Aminosäuresequenz besteht im Wesentlichen aus einer Sequenzwiederholung


des Tripeptids Gly – X – Pro oder Gly – X – HyPro, wobei X ein beliebiger
Aminosäurerest sein kann.

Kollagen bildet linksgängige helicale Strukturen mit 3 Resten pro Windung. 3 solcher
Helices bilden eine rechtsgängige Tripelhelix (Superhelix). Kollagen enthält auch 5-
15% Kohlenhydrate (Glucose und Galaktose), die an Hydroxylysin (gebildet aus
Lysin durch Lysyl-Hydroxylase) gebunden sind. Durch kovalente Quervernetzung der
Tripelhelices zwischen Hydroxylysin, Histidin etc. wird die Struktur noch weiter
stabilisiert. Im Alter nimmt die Quervernetzung zu, wodurch das Fleisch älterer
Schlachttiere zäher wird.

Pathobiochemie des Kollagens:


- Skorbut: Krankheit, die auf Vitamin C- Mangel zurückgeht. Da ohne Vitamin C
die Herstellung von Hydroxyprolin nicht katalysiert werden kann, ist die
Kollagen- Synthese gestört.
- Osteogenesis imperfecta: Glasknochenkrankheit mit extrem brüchigen
Knochen.
- Ehlers-Danlos Syndrom: Mutationen, die durch Gendefekte in den für die
Kollagensynthese verantwortlichen Genen entstehen und zu überstreckbaren
Gelenken führt.
- Marfan Syndrom: Verlängerte Knochen und Bänderschlaffheit.
- Arthrose: Gelenkleiden durch Abnützung von Knorpelgewebe. Weil
Knorpelgewebe nicht durch Blutgefäße versorgt ist, wird eine
Nährstoffversorgung nur durch Diffusion ermöglicht, die durch ausreichende
Bewegung der Gelenke erreicht wird.

3.6.3. Seidenfibroin, ein Beispiel für ß-Faltblattstruktur


Seidenfibroin ist der Hauptproteinbestandteil der Seide, die aus Spinnfäden von
Seidenraupen hergestellt wird. Es besteht aus dem Protein Fibroin (die eigentliche
Faser) und dem gummiartigen Protein Sericin (einer Art Klebstoff). Schlüpfende
Seidenspinner scheiden eine Protease (Coconase) aus, die das Sericin verdaut.

Seite 34
Biochemie I, Teil 1

Dadurch können die Fibroinfäden zur Seite geschoben werden und der
Seidenspinner dem Cocon entschlüpfen. Zur Seidengewinnung wird Sericin durch
kochendes Seifenwasser abgebaut. Die Sekundärstruktur weist vor allem
antiparallele ß-Faltblattstrukturen auf. Auffallend hoch ist der Anteil an Glycin, Alanin
und Serin (insgesamt ca. 80%), die sterische Vorteile besitzen. Seidenfasern sind
fest, biegsam, aber nur wenig dehnbar.

3.7. Globuläre Proteine


Globuläre Proteine können sowohl α-Helices, als auch ß-Faltblattstrukturen
enthalten. Einige Proteine haben hauptsächlich α-Helices (z.B. Myoglobin), während
andere primär ß-Struktur aufweisen (z.B. Concanavalin A). Die meisten Proteine
weisen Anteile beider Strukturen auf.

Seitenkettenplazierung:
• Die unpolaren Reste treten praktisch nur im Inneren der Proteinmoleküle auf.
• Die geladenen Reste befinden sich immer auf der Proteinoberfläche.
• Die ungeladenen, polare Seitengruppen sind normalerweise an der Oberfläche
zu finden, kommen aber auch im Inneren der Moleküle vor.

Größere Proteine bilden sogenannte Domänen, wobei die strukturellen Domänen oft
mit bestimmten Proteinfunktionen assoziiert sind.

3.7.1. Proteinfunktion: Sauerstofftransport im Blut, Hämoglobin (Hb)


Da Sauerstoff bei Normaltemperatur nur sehr schlecht in Blut löslich ist, müssen die
Sauerstoffmoleküle an Proteine gebunden werden, um eine gute
Sauerstoffversorgung zu erreichen. Das wichtigste Protein ist das Hämoglobin (Hb),
das in den Erythrozyten (rote Blutkörperchen) enthalten und auch die Ursache für
deren rote Färbung ist. Die Molekülmasse des Hb-Moleküls beträgt etwa 68.000
g/mol (= 68 kDa). Hämoglobin ist wahrscheinlich das bestuntersuchte Protein
überhaupt.

Die Löslichkeit von Sauerstoff in wässrigen Lösungen beträgt ca. 10-4 mol/l. Durch
Hämoglobin wird die Löslichkeit um den Faktor 100 verbessert. Bei tieferen

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Biochemie I, Teil 1

Temperaturen ist Sauerstoff viel besser in Blut löslich, so brauchen z.B.


Tiefseefische, die bei sehr niedrigen Temperaturen leben, kein Hämoglobin – durch
das fehlende Hämoglobin fehlt dem Blut dieser Fische auch die typische Rotfärbung.
Weitere Sauerstoff-Transportproteine sind Myoglobin, Hämocyanan, und
Hämoerythrin.

3.7.2. Struktur von Hämoglobin


Hämoglobin ist ein Protein mit Quartärstruktur und bildet ein Tetramer– der
Proteinteil (das Globin) besteht aus vier Untereinheiten. Jeweils zwei Ketten besitzen
α- Struktur (141 Aminosäuren lang) bzw. β- Struktur (146 AS lang). Im Laufe der
embryonalen und fötalen Entwicklung ändert sich die Proteinzusammensetzung des
Hämoglobins. Fötales Hämoglobin (HbF) besitzt statt der zwei β- Ketten zwei γ-
Ketten. Die γ-Ketten werden unmittelbar nach der Geburt durch β- Ketten ersetzt, und
es entsteht HbA. Fötales Hämoglobin besitzt eine höhere Affinität zu Sauerstoff,
wodurch der Sauerstoffaustausch zwischen Mutter und Fötus erleichtert wird.

An jede Kette des Globins ist ein Protoporphyrin IX (Häm) Molekül fest gebunden.
Solche nicht-Protein Moleküle, die an Proteine kovalent gebunden sind, bezeichnet
man als prosthetische Gruppen. Häm (siehe Strukturformel) besteht aus vier
Pyrrolringen, die durch Methinbrücken verbunden sind. An diesem Porphyrin-
Grundgerüst sind im Häm weiters 2 Vinyl-, 2 Propionyl-, und 4 Methylgruppen
gebunden. Im Zentrum des ringförmigen Moleküls sitzt ein an die Pyrrol Stickstoffe 4-
fach gebundenes Fe2+ Ion, an dessen 5. bzw. 6. Koordinationsstelle Sauerstoff und
die Globinkette (über die Aminosäure His-87)
H2C CH CH3
gebunden sind. Da jedes Hb-Molekül vier H
C
Häm-Einheiten besitzt, können pro Molekül H3C CH CH2
N N
vier Sauerstoffmoleküle gebunden werden. 2+
HC Fe CH
Unter normalen Stoffwechselbedingungen ist
die Bindung von 2-3 O2-Molekülen H3C N N
CH3
reversibel. Im voll beladenen Zustand spricht C
H
HO OC CH2 CH2 CH2 CH2 COOH
man von oxigeniertem Hämoglobin, die O2
depletierte Form heißt desoxigeniertes Hämoglobin. Eine durch unterschiedliche O2-

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Biochemie I, Teil 1

Beladung geänderte Elektronenkonfiguration im Hämmolekül bewirkt ein


unterschiedliches Spektralverhalten (Farbe!) von Hbox und Hbdesox. Neben
Hämoglobin gibt es viele weitere Häm-haltige und Prophyrin-haltige Proteine wie z.B.
Cytochrome, Katalase, NO-Synthase und Myoglobin.

Hämoglobin, das anstelle des Fe2+- Ions ein Fe3+- Ion besitzt, wird als
Methämoglobin (Met- Hb) bezeichnet. Diese Form des Hämoglobins bindet H2O an
der 6. Koordinationsstelle und ist damit für den O2- Transport ungeeignet. Die Globin-
Kette schützt das Fe2+ weitgehend vor Oxidation. Durch Oxidationsprozesse entsteht
zwar laufend auch ein geringer Anteil an Met-Hämoglobin, der im Normalfall aber
durch das Enzym Met-Hb-Reduktase wieder reduziert wird.
Neben Sauerstoff kann auch CO, NO, oder H2S mit hoher Affinität an das
Hämmolekül binden. So besitzt z.B. Kohlenmonoxid eine ca. 300 mal höhere Affinität
zum Hämoglobin als O2. Die Bindung von CO blockiert daher den O2- Transport.
Eine Hämoglobinbeladung von ca. 50% durch CO wirkt tödlich.
Myoglobin ist ein im Vergleich zu Hämoglobin einfacheres O2- Transportprotein. Es
besteht aus einer Globinkette (153 AS) und einem Häm als prosthetische Gruppe. Es
kommt vor allem im Muskel bei beinahe allen Säugetieren vor und ist für den
intrazellulären O2- Transport zuständig.

3.7.3. Sauerstoffbindung
Die Bindung von O2 an Myoglobin folgt einer klassischen Sättigungskinetik und
ähnelt einer hyperbolischen Kurve. Dagegen hat die O2-Bindungskurve von
Hämoglobin eine sigmoide Form. Bei Hämoglobin liegt eine kooperative
Wechselwirkung zwischen den O2 Bindungsstellen vor, wobei die Bindung eines O2
Moleküls die Bindung weiterer O2
100
Moleküle erleichtert. Dieses kooperative
Bindungsverhalten ist von größter
Sättigung [%]

physiologischer Bedeutung, weil damit 50

die O2-Abgabe im Gewebe stark Myoglobin


Hämoglobin
erleichtert wird. 0
0 10
Abbildung 30: Sättigungskurven von Hämoglobin Sauerstoff-Partialdruck [kPa]
(hell) und Myoglobin (dunkel).

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Biochemie I, Teil 1

Wie man sieht, besitzt Myoglobin eine weitaus höhere Affinität zu Sauerstoff als
Hämoglobin. Bei sehr niedrigem Sauerstoff-Partialdruck im Gewebe ist die Affinität
von O2 zu Hämoglobin gering, somit kann der Sauerstoff effektiv an das Gewebe
abgegeben werden. Myoglobin hingegen ist auch bei niedrigen Partialdrücken stark
gesättigt und gibt sehr wenig O2 ab.

3.7.4. Bohr- Effekt


Neben dem Sauerstoff-Transport erfüllt das Hämoglobin auch eine wichtige Funktion
im Kohlendioxid-Transport. Dabei spielt das unterschiedliche Säure-Basen Verhalten
des Hämoglobins je nach O2 Beladung eine wichtige Rolle. Grundsätzlich gilt, dass
Hbox durch eine Konformationsänderung Protonen abgibt, und damit als stärkere
Säure wirkt als Hbdesox.
Hb(O2)n Hx + O2 Æ Hb(O2)n+1 + x H+ (n=1,2,3 und x=0.6)
Umgekehrt wird durch Erhöhung des pH-Wertes die Sauerstoff-Bindungskapazität
erhöht. Diese pH-Abhängigkeit der Sauerstoffbindung an Hämoglobin bezeichnet
man als Bohr-Effekt.

100
Sättigung [%]

50

pH 7.6
pH 7.4
pH 7.2

0
Sauerstoff-Partialdruck

Abbildung 31: Einfluss des pH-Wertes auf die O2-Bindung an Hb (links: pH 7.6 Mitte: 7.4, rechts: 7.2).

Im Muskel wird durch Stoffwechselvorgänge oft ein relativ saurer pH-Wert von 7.0-
7.2 erreicht. Damit kann die O2- Abgabe um 10% verbessert werden und die
Sauerstoffversorgung bei Belastung verbessert werden.

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Biochemie I, Teil 1

3.7.5. CO2- Transport


CO2 ist ein wichtiges Stoffwechselendprodukt, das aus Zellen und Geweben
abtransportiert werden muss. Dabei diffundiert das CO2 im ersten Schritt aus den
Zellen in die Blutkapillaren. Da CO2 nicht besonders gut in Blut löslich ist, wird es in
Form von Hydrogencarbonat (HCO3-) transportiert. Die Umwandlung erfolgt in den
Erythrozyten und wird durch das Enzym Carboanhydrase katalysiert.

CO2 + H2O ↔ H+ + HCO3-

Da bei diesem Vorgang Protonen entstehen, die an das Hbdesox binden können, wird
in den entsprechenden Geweben O2 effizient aus der Hämoglobin-Bindung
freigesetzt. Der Verbrauch von Protonen begünstigt zusätzlich die weitere Bildung
von HCO3-. Das gebildete HCO3- verlässt die Erythrocyten und im Gegenzug wird,
um Elektroneutralität zu gewährleisten, Chlorid (Cl-) in die Zellen aufgenommen
(Chloridaustausch). Chlorid bindet stärker an Hbdesox als an Hbox und bewirkt eine
Rechtsverschiebung der O2-Sättigungskurve.
In der Lunge ist der Sauerstoff-Partialdruck hoch. Dadurch wird Hämoglobin mit O2
beladen und die Protonen werden wieder freigesetzt. Mit Bicarbonat bildet sich
Kohlensäure, die in CO2 und H2O zerfällt, wobei das CO2 abgeatmet wird. Durch die
koordinierten Reaktionen wird der Blut pH-Wert durch O2- und CO2-Transport kaum
beeinflusst.

Kohlendioxid kann auch direkt an das Hämoglobin (am N-terminalen Ende)


gebunden werden. Die so entstandene Form des Hämoglobins wird als Carbamino-
Hämoglobin bezeichnet. Hbdesox bindet mehr CO2 als Hbox. Ähnlich wie H+ kann auch
CO2 die O2 Affinität zu Hb beeinflussen. Hohe CO2 Konzentrationen im Gewebe
begünstigen die Sauerstoffdissoziation. Durch die Freisetzung von Protonen bei der
Carbamatbildung wird zusätzlich durch den Bohr- Effekt die O2 Abgabe erleichtert.
Insgesamt kommt es also zu einer Rechtsverschiebung der O2 Sättigungskurve. Die
Reaktionsgleichung für Carbamatbildung lautet:

Hb–NH2 + CO2 Æ Hb–NH–COO- + H+

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Biochemie I, Teil 1

3.7.6. Einfluss von 2,3- Biphosphorylglycerat (BPG)


BPG ist der Grund dafür, dass reines Hämoglobin eine bedeutend höhere Affinität zu
Sauerstoff hat, als Hämoglobin im Blut. Die Bildung des BPG findet in der Glykolyse
statt. 1,3-BPG wird im 6. Schritt der Glycosyse gebildet und kann durch die
entsprechende Mutase in 2,3-BPG transformiert werden. Die starke Bindung des
BPG an Hbdesox bewirkt eine Stabilisierung dieser Form und erleichtert die O2 Abgabe
im Gewebe (Rechtsverschiebung der O2-Sättigungskurve). BPG ist für alle
Säugetiere lebensnotwendig, weil ohne BPG nur sehr wenig O2
-
in Geweben abgegeben werden würde. Erst BPG erlaubt eine O O
Sauerstofffreisetzung von ca. 40% während der C
H C O PO 3
Gewebepassage des Blutes. Auch beim Sauerstoffaustausch
H C O PO 3
zwischen Mutter und Fötus an der Plazenta spielt BPG eine H
wichtige Rolle – fötales Hämoglobin bindet schlecht an BPG,
dadurch wird die Sauerstoffübertragung von der Mutter auf den Fötus erleichtert.

Abbildung 32: Strukturformel von BPG.

Auch die Höhenanpassung wird durch BPG unterstützt. Da mit zunehmender Höhe
der Sauerstoffpartialdruck in der Atmosphäre ständig sinkt, muss der Organismus
reagieren:
Die schnellsten Reaktionen sind die Steigerung der Atemfrequenz und die Erhöhung
der BPG-Konzentration. Der Sauerstoff wird so schneller und effizienter ans Gewebe
abgegeben. Hält man sich länger in dieser Umgebung auf, wird zusätzlich die
Produktion von Hämoglobin und Erythrozyten gesteigert.

3.7.7. Hb-Struktur- Funktions- Beziehung


Hämoglobin kann in 2 Konformationen vorliegen: als entspannte R-Form (relaxed)
mit hoher O2 Affinität, oder als spannungsreichere T-Form (tense), die niedrigere O2
Affinität aufweist. Die T-Form wird durch zusätzliche Salzbrücken hauptsächlich
zwischen den α1 und ß2 Ketten gebildet. Bei O2 Bindung kommt es zu einem
Übergang von der an sich stabileren T-Form in die R-Form. Die dadurch bewirkte
Strukturänderung erklärt das unterschiedliche Säure-Basen Verhalten der beiden Hb
Formen und die erleichterte O2 Aufnahme bei steigender Besetzung der O2

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Biochemie I, Teil 1

Bindungsstellen im Hb (dieser Effekt wird allgemein als „allosterische Kooperativität“


bezeichnet). BPG stabilisiert die T-Form und erleichtert damit die O2 Abgabe im
Gewebe.

3.7.8. Anomale Hämoglobine


Hämoglobin-Strukturänderungen, die zu Störungen im O2-Transport führen, nennt
man Hämoglobinopathien. Man unterscheidet zwei Formen:
1. Gestörte Globinsynthese Æ Thalassämien
Je nachdem, ob die α- oder die β-Ketten betroffen sind, unterscheidet man α-
und β-Thalassämien. Eine homozygote Beeinträchtigung der Globinsynthese
führt meist früh zum Tod.

2. Gestörte Globinstruktur Æ z.B. Sichelzellanämie


Es sind derzeit mehr als 300 Hb-Varianten beim Menschen bekannt. Die
Sichelzellenanämie ist eine besonders in Afrika weit verbreitete Krankheit.
Eine Mutation in der β- Kette (Glu6 Æ Val) führt zu einer Änderung der
äußeren Form (Sichelform) der Erythrozyten durch „Verklebung“ und Bildung
von „Hb-Fasern“. Dadurch entsteht eine Unterversorgung von Geweben mit
Sauerstoff. Für homozygot kranke Träger ist diese Mutation tödlich,
heterozygot Betroffene fallen durch bessere Resistenz gegen Malaria auf.

3. Gestörte Hämsynthese Æ Porphyrien


Man unterscheidet 9 verschiedene Porphyrien mit unterschiedlichem
Krankheitsverlauf.

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Biochemie I, Teil 1

4. Enzyme

4.1. Allgemeine Eigenschaften von Enzymen


Alle Lebewesen sind auf die enzymatische Katalyse von biochemischen Reaktionen
angewiesen, weil bei relativ milden Bedingungen (Atmosphäredruck, niedrige
Temperatur, neutraler pH-Wert in Zellen, ungünstige Konzentrationsverhältnisse)
nicht-katalysierte Reaktionen oft nur sehr langsam ablaufen würden.

Enzyme (meistens Proteine) sind Biokatalysatoren, die die Geschwindigkeit


biochemischer Reaktionen drastisch erhöhen. Wie chemische Katalysatoren auch,
beschleunigen Enzyme die Einstellung der biochemischen Gleichgewichtsreaktionen.
Enzyme unterscheiden sich von üblichen chemischen Katalysatoren durch:
Höhere Reaktionsgeschwindigkeiten
Mildere Reaktionsbedingungen
Größere Substrat- und Wirkungsspezifität

Wichtige Katalysetypen sind z.B. Säure-Base-Katalyse, kovalente Katalyse und


metallintegrierte Katalyse. Viele Enzyme benötigen einen Cofaktor („Coenzym“ bzw.
Cosubstrat), um ihre Wirkung zu entfalten.
Apoenzym und Cofaktor ergeben zusammen ein Holoenzym.
Cofaktoren können H-übertragend (z.B. NAD, NADH) oder gruppenübertragend (z.B.
CoA, ATP) wirken. Oft sind Vitamine Vorstufen zu Cofaktoren. Ein an das Enzym fest
(meist kovalent) gebundenes Coenzym oder Metallion wird als prosthetische Gruppe
bezeichnet (z.B. das Häm im Hämoglobin).

4.2. Einteilung der Enzyme


Man unterscheidet 6 Enzymklassen – je nach dem Reaktionstyp, den sie
katalysieren:
1. Oxidoreduktasen: Verantwortlich für Elektronenübertragungen.
2. Transferasen: Übertragung funktioneller Gruppen.
3. Hydrolasen: Hydrolysereaktionen.

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Biochemie I, Teil 1

4. Lyasen: Addition von Gruppen an Doppelbindungen oder Entfernung von


Gruppen unter Ausbildung von Doppelbindungen.
5. Isomerasen: Isomerisierungen durch Übertragung von Gruppen innerhalb
eines Moleküls.
6. Ligasen: Bilden C–C, C–N , C–O und C–S Bindungen und sind an die
Hydrolyse von ATP gekoppelt.

4.3. Thermodynamische Grundlagen


Unter einem System im thermodynamischen Sinn versteht man einen Teil des
Universums, der möglichst von unkontrollierbaren äußeren Einflüssen
abgeschlossen sein soll. Die Variablen, die ein System vollständig beschreiben,
heißen Zustandsgrößen oder -funktionen wobei die häufigsten in der Chemie
verwendeten Größen Temperatur, Druck, Volumen, Konzentration und chemische
Zusammensetzung sind.

Jedes System besitzt eine gewisse innere Energie. Der 1. Hauptsatz der
Thermodynamik sagt aus, dass die Zunahme der inneren Energie (∆U) eines
Systems gleich der Summe von aufgenommener Wärme (q) und Arbeit (w) ist:

∆U = q + w

Positive Vorzeichen von q und w bedeuten, dass Wärme bzw. Arbeit vom System
aufgenommen werden, negative Vorzeichen, dass sie abgegeben werden. In der
Chemie ist w entweder als Volumsarbeit oder als elektrische Arbeit definiert.
Volumsarbeit (bei konstantem Druck p):

w = -p . ∆V

∆U = q – p∆V

Da die meisten chemischen Reaktionen bei konstantem Druck ablaufen, gilt:

q = ∆U + p∆V = ∆H

H ist eine Zustandsfunktion und wird als Enthalpie bezeichnet. Bei konstantem Druck
entspricht der auftretende Wärmeumsatz der Änderung der Enthalpie des Systems.

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Biochemie I, Teil 1

Wenn ∆H < 0 ist, spricht man von exothermen Reaktionen, bei ∆H > 0 von
endothermen Reaktionen. Bei biochemischen Reaktionen, die durchwegs bei
Atmosphärendruck ablaufen und bei denen keine Gase beteiligt sind, ist ∆H ~ ∆U.
Bei Reaktionen, bei denen Gase beteiligt sind, können sie stark voneinander
verschieden sein.

Um nun beurteilen zu können, ob eine Zustandsänderung (z.B. eine biochemische


Reaktion) freiwillig abläuft, muss noch die Entropie als weitere Zustandsfunktion
berücksichtigt werden. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik läuft ein
spontaner Prozess in jene Richtung, bei der die Unordnung (= z.B.
Anordnungsmöglichkeiten von Molekülen) erhöht wird. Diese Unordnung (bzw.
Entropie, S) ist eine dem natürlichen Logarithmus der thermodynamischen
Wahrscheinlichkeit W proportionale Größe. Sie wurde von L. Boltzmann definiert als:

S = kB·ln·W
kB: Boltzmann Konstante ist (1.38·10-23 J·K-1)

Die Entropie eines Systems kann immer nur zunehmen (∆S ≥ 0). Durch die
Verknüpfung der Enthalpieänderung mit der Entropieänderung erhält man die
Änderung der „freien Enthalpie (∆G)“. Bei konstanter Temperatur gilt die Gibbs-
Funktion:

∆G = ∆H - T∆S
Die Änderung der freien Enthalpie bei 298K und einer Konzentration aller
Reaktionspartner von 1M wird als „freie Standardenthalpie (∆Go)“ bezeichnet.
Nachdem die meisten biochemischen Reaktionen bei pH=7 ablaufen (und nicht bei
einer Protonenkonzentration von 1M), wurde die „biochemische freie
Standardenthalpie (∆G’o)“ definiert.

Biochemische Reaktionen laufen nur dann freiwillig ab, wenn ∆G’o einen negativen
Wert hat. Solche Reaktionen bezeichnet man als exergonisch. Reaktionen mit ∆G’o >
0 bezeichnet man als endergonisch. ∆G sagt nichts über die Geschwindigkeit einer
Reaktion aus. Diese wird durch den spezifischen Reaktionsmechanismus bestimmt,
der wiederum unabhängig von ∆G ist.

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Biochemie I, Teil 1

4.4. Beziehung der freien Standardenthalpie zur


Gleichgewichtskonstante chemischer Reaktionen

Die Gleichgewichtskonstante chemischer Reaktionen wird durch die Konzentrationen


der Reaktanten und Produkte definiert. Für die Reaktion aA + bB Æ cC + dD kann
das Massenwirkungsgesetz angesetzt werden, über das die Gleichgewichts-
konstante Keq berechnet werden kann.

[C ]c ⋅ [ D] d
K eq =
[ A] a ⋅ [ B]b

Wenn sich eine biochemische Reaktion nicht im Gleichgewicht befindet, so stellt ∆G’o
die Triebkraft für die Gleichgewichtseinstellung dar. Unter thermodynamischen
Gesichtspunkten lautet die Beziehung zwischen ∆G’o und der K’eq:

∆G’o = -RT lnK’eq


R: Gaskonstante (8.3 J mol-1K-1)
T absolute Temperatur 298 K (25oC).

Ein großer negativer Wert für ∆G’o bedeutet ein Reaktionsgleichgewicht, das stark
auf der Seite der Reaktionsprodukte liegt. Es bedeutet aber nicht, dass die Reaktion
mit großer Geschwindigkeit ablaufen wird.

4.5. Kinetik chemischer Reaktionen


Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen wird durch die Konzentration der
Reaktanten und einer Geschwindigkeitskonstanten (k) bestimmt. Für eine Reaktion
Substrat Æ Produkt gilt daher:

V = k · [Substrat]

Wenn die Reaktion nur von der Konzentration eines Ausgangsproduktes abhängt,
spricht man von einer Reaktion erster Ordnung. Wenn die Reaktionsgeschwindigkeit
von der Konzentration zweier Substrate abhängt, spricht man von einer Reaktion
zweiter Ordnung:

V = k ·[S1] · [S2]

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Biochemie I, Teil 1

Aus der Theorie des Übergangszustandes lässt sich die Verknüpfung zwischen
Geschwindigkeitskonstante und Aktivierungsenergie ableiten:

k B ⋅ T ⋅ e − ∆G/R⋅T
k=
h
kB: Boltzmann-Konstante (1.38·10-23 J K-1)
h: Planck-Konstante (6.63·10-34 J s)

Die Theorie des Übergangszustandes besagt, dass auch bei exergonischen


Reaktionen ein Maximum der freien Enthalpie durchlaufen wird, das eine spontane
Reaktion verhindert.
Ea (bzw. ∆G*) ist die Energiemenge, die zur Erreichung des Übergangszustandes
benötigt wird. Ist dieser Punkt erreicht, wird ein Übergangszustand ausgebildet
(aktivierter Komplex), der zum Endprodukt reagieren kann.
Diese Energiemenge wird als „Aktivierungsenergie“ bezeichnet.

Abbildung 33: Kinetischer Einfluss eines Enzyms (Grafik aus Atkins/Beran, „Chemie – einfach alles“).

Nach der oben gültigen Verknüpfung gilt also: je größer die Aktivierungsenergie Ea
für eine Reaktion ist, desto geringer ist die Reaktionsgeschwindigkeit. Katalysatoren
wie z.B. Enzyme erniedrigen die Aktivierungsenergie Ea (d.h. im Diagramm wird der
„Hügel“ flacher) und beschleunigen auf diese Art die Reaktionsgeschwindigkeit (bis
zum 1014-fachen der unkatalysierten Reaktion).

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Biochemie I, Teil 1

4.6. Wirkungsweise, aktives Zentrum


Die Stelle am Enzym, an der die eigentliche Reaktion stattfindet, wird als aktives
Zentrum bezeichnet. Häufig sind polare oder geladene Aminosäuren an dieser Stelle
zu finden. Aktive Zentren bilden sich durch spezielle dreidimensionale Faltung der
Enzymproteine. Oft wird durch Substratbindung auch die Proteinkonformation des
Enzyms verändert. Man nennt diese Konformationsanpassung „induzierte Passform“
(induced fit).
Enzyme zeichnen sich durch hohe Substrat- und Wirkungsspezifität aus. Hohe
Substratspezifität haben Enzyme, die nur genau ein oder ganz wenige Substrate
umsetzen können. Die Wirkungsspezifität bezieht sich auf die Art der katalysierten
Reaktion.
Außerdem besitzen Enzyme ein pH-Optimum, d.h. einen beschränkten pH-Bereich,
bei dem die enzymatische Katalyse funktioniert. So besitzt z.B. Pepsin
(Verdauungsenzym im Magen) ein pH-Wert Optimum von ca. 1-2. Trypsin, und
Chymotrypsin (Enzyme des Bauchspeicheldrüsensekrets) hingegen besitzen ein
Optimum bei einem pH-Wert von ca. 7-8.

4.7. Katalysemechanismen
Enzymatische Katalysemechanismen lassen sich folgendermaßen klassifizieren:

1. Säure-Basen Katalyse
Bei der allgemeinen Säurekatalyse erniedrigt ein partieller Protonentransfer von einer
Säure oder Wasser (=spezielle Säurekatalyse) die Freie Enthalpie des
Übergangszustandes einer Reaktion. Die allgemeine Basenkatalyse bewirkt eine
Geschwindigkeitserhöhung durch teilweise Deprotonierung.

2. Kovalente Katalyse
Bei der kovalenten Katalyse wird die Reaktionsgeschwindigkeit durch die
vorübergehende Bildung eines kovalenten Katalysator-Substrat Zwischenproduktes
erhöht.

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Biochemie I, Teil 1

3. Metallionenkatalyse
Ca. ein Drittel aller Enzymaktivitäten erfordern die Anwesenheit von Metallionen im
Enzym (z.B. Fe2+, Fe3+, Cu2+, Zn2+, Mn2+, Co2+). Metallionen sind hauptsächlich auf 3
Arten an der Reaktion beteiligt:
• Bindung an Substrate, um diese in eine für eine Reaktion geeignete
Konformation zu bringen.
• Redox-Reaktionen durch Änderungen des Oxidationszustandes der Metallionen.
• Elektrostatische Stabilisierung oder Abschirmung negativer Ladungen.

4. Elektrostatische Katalyse
Die Ladungen im aktiven Zentrum stabilisieren den Übergangszustand.

5. Katalyse durch Nachbargruppen und Orientierungseffekte


6. Katalyse durch Bindung der Struktur des Übergangszustandes

4.8. Enzymkinetik
Die Enzymkinetik gibt Aufschlüsse über die Geschwindigkeit von enzymkatalysierten
Vorgängen in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen.

Wir nehmen eine einfache enzymatische Reaktion an:

k1 k2
E+S ES P+E
k-1
E= Enzym, S= Substrat, P= Produkt, ES= Enzym/Substrat-Komplex

Bei dieser Reaktion entspricht die Geschwindigkeit: v = k2·[ES]


Die Gesamtgeschwindigkeit der Produktion von ES ergibt sich aus der Differenz der
Geschwindigkeiten der Entstehungsreaktion und jenen der Dissoziationsreaktionen:

d [ ES ]
= k1 ⋅ [ ES ] ⋅ [ S ] − k −1 ⋅ [ ES ] − k 2 ⋅ [ ES ]
dt
Diese Gleichung lässt sich nur bei entsprechenden Vereinfachungen integrieren,
nämlich:

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Biochemie I, Teil 1

1. Annahme eines Gleichgewichtes in dem k2 sehr viel größer als k-1 ist.
2. Annahme eines Fließgleichgewichtes (d[ES] / dt = 0). Aus dieser Annahme ergibt
sich: k1[E][S] = k-1[ES] + k2[ES].
Unter dem Faktum, dass die Gesamtmenge Enzym [Et] die Enzymmenge im
Enzym-Substrat Komplex und dem freien Enzym zusammensetzt, gilt:

([ Et ] − [ ES ]) ⋅ [ S ] k −1 + k 2
=
[ ES ] k1

Nun wird die Michaelis-Konstante, Km eingeführt, die k1, k-1 und k2 zu einer Konstante
zusammenfasst:
k −1 + k 2
Km =
k1

Durch entsprechende Umformungen der Gleichung (siehe Lehrbuch) ergibt sich die
Michaelis- Menten Gleichung:

Vmax ⋅ [ S ]
v0 =
K m + [S ]

[S] ist die Substratkonzentration (mol⋅L-1), Vmax die Maximalgeschwindigkeit


(mol⋅L-1⋅s-1) und Km die Michaelis- Konstante (mol⋅L-1).

Aus der Definition von Km ergibt sich nach Umformung:

k −1 k 2 k
Km = + und damit: K m = K d + 2
k1 k1 k1

Kd ist die Dissoziationskonstante des Enzym-Substrat-Komplexes. Bei der Annahme,


dass k2 viel größer als k-1 ist, gilt Km = Kd. Damit ist Km ein direktes Maß für die
Affinität eines Substrates zum entsprechenden Enzym. Je geringer Km ist, desto
höher ist die Affinität zum Enzym.

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Biochemie I, Teil 1

Aus der Michaelis Gleichung ergibt sich weiters, dass, wenn die
Vm
Reaktionsgeschwindigkeit v = ist, Km genau [S] entspricht. Km entspricht daher
2
Vm
jener Substratkonzentration, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit ist.
2

Vmax und Km können experimentell (z.B. photometrisch) leicht bestimmt werden. Die
Auftragung der Substratkonzentration gegen die Geschwindigkeit ergibt eine
hyperbelförmige Kurve. Bei doppelt reziproker Auftragung (v-1 gegen [S]-1) entsteht
eine Gerade (1/v = Km/Vm 1/[S] + 1/Vm), deren Steigung dem Quotienten Km / Vmax
entspricht, deren Ordinatenabschnitt gleich Vmax-1 ist und deren Abszissenabschnitt
–1/Km ist.
Diese Art der Auftragung wird auch Lineweaver- Burk- Plot genannt.

Bei Aktivitätsbestimmungen wird die Geschwindigkeit der Substratumsetzung in


Katal angegeben (SI-Einheit). Ein Katal entspricht der Enzymaktivität, die notwendig
ist, um ein mol Substrat pro Sekunde umsetzen zu können. Diese Einheit ist sehr
groß – typische Aktivitäten liegen im nano- Katal Bereich. Aus diesem Grund wurde
die International Unit (IU) geschaffen. Sie entspricht µmol / min. Die Wechselzahl gibt
an, wie viele Umsetzungen pro Sekunde stattfinden.

4.9. Enzymhemmung
Unter Inhibierung einer Enzymreaktion ist die Herabsetzung der Enzymaktivität durch
Inhibitoren zu verstehen. Grundsätzlich unterscheidet man irreversible und reversible
Enzymhemmungen. Irreversible Inhibitoren binden oft an funktionelle Enzymbereiche
und zerstören sie. Bei der reversiblen Inhibierung kennt man drei Typen:

Kompetitive Hemmung: Der Inhibitor bindet an derselben Stelle (im aktiven


Zentrum) wie das Substrat. Es kommt zu einer Konkurrenz-Reaktion. Je nach
Substrat- und Inhibitor- Konzentration wird die Reaktion verschieden stark gebremst.
Vmax wird nicht beeinflusst, Km steigt in Anwesenheit eines Inhibitors. Viele
Arzneimittel bewirken eine Herabsetzung enzymatischer Aktivitäten durch
kompetitive Hemmung.

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Biochemie I, Teil 1

Nichtkompetitive Hemmung: Der Hemmstoff bindet an eine andere Stelle als das
Substrat, das aktive Zentrum wird sterisch beeinflusst. Der Inhibitor bindet sowohl an
das freie Enzym, als auch an den Enzym- Substrat- Komplex. Km wird meistens nur
schwach beeinflusst, Vmax erniedrigt sich durch die Erniedrigung der Enzym-
Konzentration.

Unkompetitive Hemmung: Auch hier bindet der Hemmstoff nicht am aktiven


Zentrum, im Gegensatz zur nichtkompetitiven Hemmung bindet der Inhibitor jedoch
nur an den Enzym- Substrat- Komplex. Dadurch verändern sich sowohl Km als auch
Vmax.

Die Darstellung dieser Hemmungstypen als Lineweaver-Burk-Plots zeigt anschaulich


die Auswirkungen von kompetitiver und nichtkompetitiver Hemmung.

Dieses Diagramm zeigt eine


kompetitive Hemmung bei drei
verschiedenen Inhibitorkonzentra-
tionen. Es ist deutlich zu erkennen,
1 / V(0)

dass sich alle Geraden auf der 1/V0-


ohne Inhibitor
Achse schneiden. Dieser Schnitt- wenig Inhibitor
viel Inhibitor
punkt entspricht Vmax. Es ist also 1 / [S]

gezeigt, dass der Vmax Wert bei


dieser Art der Hemmung konstant bleibt, während sich der Km Wert je nach
Inhibitorkonzentration verändert.

Das zweite Diagramm zeigt eine


nichtkompetitive Hemmung, bei der
wir nun auf den ersten Blick sehen,
1 / V(0)

dass sich Vmax je nach Inhibitor-


ohne Inhibitor
wenig Inhibitor konzentration ändert. Dafür gibt es
viel Inhibitor
auf der 1/[S] Achse einen
1 / [S]
gemeinsamen Schnittpunkt. Dieser
ist laut Michaelis-Menten-Gleichung Km. Also ist gezeigt, dass Km bei der

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Biochemie I, Teil 1

nichtkompetitiven Hemmung konstant ist. Die Steigung der einzelnen Geraden ergibt
sich aus dem Quotienten Km/Vmax.

4.10. Enzymregulation
Es gibt vier wichtige Mechanismen, die für die Enzymregulation verantwortlich sind:

Allosterische Regulation: Die Regulierung geschieht durch nichtkovalente


Bindungen zwischen Enzymen mit Quartärstruktur und Regulator. Der Regulator
bindet am allosterischen Zentrum, das immer an einer anderen Stelle als das aktive
Zentrum sitzt. Die durch die Bindung des Regulators verursachte Strukturänderung
am Enzym bewirkt entweder eine allosterische Aktivierung oder eine allosterische
Hemmung. Wenn das enzymatische Reaktionsprodukt allosterisch reguliert, spricht
man von homotroper Regulation. Bei Regulation durch andere Stoffe spricht man
von heterotroper Regulation. Bei vielen Stoffwechselwegen beeinflussen die
Endprodukte des Stoffwechselweges ein Enzym, das am Anfang des
Stoffwechselweges steht, durch allosterische Rückkopplungshemmung.

Regulation durch kovalente Modifikation: Enzyme werden oft durch Modifikation


(z.B. Phosphorylierung, Acylierung etc.) aktiviert oder gehemmt. Kinasen sind
Enzyme, die Phosphatgruppen anknüpfen, Phosphatasen können sie wieder
abspalten.

Regulation durch andere Proteine: Nicht besonders häufig – Enzyme werden


durch andere Proteine (Koaktivatoren) reguliert.

Aktivierung durch protolytische Spaltung: Es wird eine inaktive Vorstufe des


Enzyms (Zymogen) gebildet, die erst durch Spaltung mit Proteasen gespalten und
damit enzymatisch aktiv wird.

4.11. Coenzyme (Cosubstrate) – Beispiele


Viele enzymatische Reaktionen bedürfen eines „Cosubstrates“ für ihre Funktion
(Coenzym). Diese Cofaktoren können dissoziierbar sein oder undissoziierbar mit
dem Enzymprotein verbunden sein (prosthetische Gruppen). Ein katalytisch aktiver

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Biochemie I, Teil 1

Enzym-Cofaktor Komplex wird als Holoenzym bezeichnet. Das katalytisch inaktive


Enzymprotein heißt Apoenzym. Coenzyme werden durch die enzymatische
Reaktion, an der sie beteiligt sind, chemisch verändert und müssen daher in einer
Folgereaktion wieder regeneriert werden. Coenzyme werden nach den Reaktionen,
die sie katalysieren, eingeteilt. Dementsprechend gibt es Coenzyme der
Oxidoreduktasen, Transferasen, usw.

4.11.1. NAD, NADP, gekoppelter optischer Test


Nicotinamidadenindinucleotid(phosphat) ist ein wichtiges wasserstoffübertragendes
Cosubstrat. Es reagiert wie folgt:
NAD+ + 2H+ + 2e- Æ NADH + H+

Nicotinamid
O
NH2
N
NH2
N
+
O O
N O
O O P O P O N N
- -
O O
Adenin
H H H H Phosphat H H H H

OH OH OH OH**

Ribose Ribose

Abbildung 34: Strukturformel von NAD. Bei NADP ist die mit OH** gekennzeichnete Hydroxygruppe
mit Phosphat verestert. Der Pfeil kennzeichnet die Anknüpfstelle für die Protonen.

NAD(P) eignet sich aufgrund seiner UV-Eigenschaften auch für optische Tests. Die
oxidierten Formen (NAD+ bzw. NADP+) absorbieren bei ca. 260nm, die reduzierten
Formen (NADH, NADPH) haben ein zusätzliches Absorptionsmaximum bei 340 nm.
Beim optischen Test kann beispielsweise die Ethanol-Konzentration bestimmt
werden, indem man es mit Alkohol-Dehydrogenase zu Acetaldehyd reduziert. Bei
diesem Vorgang wird ein Molekül NAD+ zu NADH reduziert. Die Zunahme der
Extinktion bei 340nm ist direkt proportional zur Ethanol-Konzentration. Um die
Reaktion quantitativ durchzuführen, müssen die Reaktionsprodukte entfernt werden,
indem der gebildete Acetaldehyd durch Aldehyd-Dehydrogenase zu Essigsäure
weiter umgesetzt wird. In diesem Fall ist zu beachten, dass auch im Zuge dieser

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Biochemie I, Teil 1

nachgeschalteten Reaktion NADH gebildet wird, was bei der Berechnung


berücksichtigt werden muss.

Der gekoppelte optische Test wird angewendet, wenn das Produkt der Reaktion nicht
direkt photometrisch bestimmt werden kann, wie beispielsweise bei der von GOT
(Glutamat-Oxalacetat-Transaminase) katalysierten Umsetzung von α-Ketoglutarat
und Asparaginsäure zu Glutaminsäure und Oxalacetat. Um diese Reaktion verfolgen
zu können, kann man das Oxalacetat durch Zugabe von Malat-Dehydrogenase unter
NADH-Verbrauch zu Malat und NAD+ umsetzen. Durch Messung der NADH-
Abnahme kann daher die Aktivität der GOT beobachtet werden. Dieser Test findet
Anwendung bei der Therapiekontrolle bei Herz- und Lebererkrankungen, da bei
Schädigung dieser Organe GOT in das Blut freigesetzt wird.

4.11.2. Adenosinmono-, -di- und -tri- phosphat (AMP, ADP, ATP)


ATP ist der wichtigste Energieträger im Stoffwechsel. Beim Abbau von ATP zu ADP
wird eine energiereiche Anhydrid-Bindung gespalten, ca. 35 kJ/mol werden frei. Auch
in der zweiten Anhydrid-Bindung stecken etwa 35 kJ/mol. Die Esterbindung zwischen
dem Adenosin- und dem Phosphat-Teil ist energieärmer und beinhaltet nur ca. 9
kJ/mol. In der Zelle ist der Energiegewinn noch höher, da unter anderem der pH-
Wert und die Mg2+-Ionen Konzentration die Energieausbeute positiv beeinflussen.

Esterbindung NH2
N
N
O O O
-
O P O P O P O O N N
- - -
O O O
H H H H
Anhydrid-Bindungen
OH OH

Abbildung 35: Adenosintriphosphat.

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