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N e g a s p h ä r e B a n d 78

Nr. 2477

Christian Montillon

Die
Gründermutter
Die Friedensfahrer in Aufruhr –
ein neuer Patron wird gewählt
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die
Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und
ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Exis­
tenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis
Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Na­
turgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensys­
tems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRA­
NOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören.
Die Chancen für einen Sieg über die Mächte des Chaos sind dadurch gestiegen, dass Perry Rhodan
seine Dokumentation einer erfolgreichen Retroversion nach Terra bringen konnte. Zudem gelang es,
die Dienstburg CRULT auszuschalten und damit Zeit zu gewinnen. Indessen formieren sich weitere
Verbündete wie die Friedensfahrer; diese allerdings befinden sich in einer Führungskrise. Und nur
eine kann helfen, diese zu beenden: DIE GRÜNDERMUTTER ...
4 CHRISTIAN MONTILLON

Prolog ebenso schuldig wie viele andere, wie


jeder hier in diesem Raum! Denn ich
Chyndor ist tot. hätte nicht schweigen dürfen, nicht auf­
Es war ihm nicht vergönnt, lange der geben dürfen, hätte aufbegehren müssen,
Patron der Friedensfahrer zu bleiben. ehe es zur Katastrophe kam.
Der Kampf gegen die Negasphäre kos­ Urteilt selbst: Steht es einem Frie­
tet uns mehr, als wir uns leisten kön­ densfahrer zu, Krieg zu führen? Ist das
nen. der Sinn unserer Existenz, oder ist es ein
Mehr, als jeder von uns fürchten Widersinn in sich? Oder ist Chyndors
könnte. Sterben, so schrecklich und bedauerns­
Mehr, als jeder von uns das akzeptie­ wert es sein mag, vielleicht unsere letzte,
ren könnte. unsere einzig noch verbliebene Chance,
Mehr, als es richtig ist. den Wahnsinn zu beenden und das Ru­
Denkt nach. Mehr fordere ich nicht der noch einmal herumzureißen?
von euch. Denkt darüber nach, wer wir Besinnen wir uns auf das, was wir
sind und woher wir sind:
kommen. Denkt dar­ Friedensfahrer.
über nach, wohin wir Farigu Scot Elien
Die Hauptpersonen des Romans:
gehen! Denkt darüber Eröffnung der ers­
nach, was der Sinn Cosmuel Kain – Die Gefährtin Kantirans ver­ ten Rede im Palais El­
unserer Existenz ist! sucht aus diesem einen Politiker zu ma­ lega
Meine Freunde ... chen.
welchen Lügen sind Farigu Scot Elien – Der Garant möchte als
wir aufgesessen? Wel­ Patron der Friedensfahrer die gute alte Zeit 1.
che Konsequenzen zurückbringen. Spiel, Sex und Sieg
müssen wir deshalb Die Gründermutter – Sie entzieht sich bisher
bis hier und bis heute seit Jahrhunderten jeder Entdeckung. »Ich mach den Per­
tragen? ry!«
Kantiran – Einer von elf Garanten der Frie­
Chyndor ist ein Op­ densfahrer ist willens und bereit, jedes Tabu Cosmuel Kain legte
fer der Negasphäre. So zu brechen. den Kartenchip auf
könnte man glauben. die silbrig irisierende
So behaupten es viele, Tischplatte, drückte
und so schreibt es sich den Nagel ihres rech­
vor allem Kantiran auf die Fahnen. ten Zeigefingers auf die Kante und
Es klingt gut. schnippte den Chip in die Höhe. Er über­
Es klingt so logisch, so einfach und so schlug sich, und ein Lichtreflex zauberte
geordnet. Hört es euch an: für einen kaum wahrnehmbaren Mo­
Ein Opfer der Negasphäre ... ment ein Regenbogenprisma auf Kanti­
Wer von euch ist fähig, den Irrsinn zu rans angespannte Gesichtszüge.
erkennen, der hinter diesen Worten Der Chip fiel auf die Zahlenseite.
steckt? »Stardust!« Cosmuel grinste, legte ih­
Ich sage: Nein! Chyndor ist kein Opfer re restlichen Chips ab, verschränkte die
der Negasphäre. Er ist das Opfer einer Arme vor der Brust und legte den Kopf
falschen Entscheidung, ein Opfer des leicht schief. »Du hast verloren, mein
Entschlusses, Krieg zu führen gegen die Lieber. Schon wieder.«
Negasphäre. Kantirans Spielkarten klimperten auf
Und das ist etwas vollkommen ande­ den Tisch, dann trommelten seine Finger­
res. Ja – ich habe nie dafür gestimmt, als spitzen ein Stakkato. Cosmuels schlanke
wir die verhängnisvolle Entscheidung Finger legten sich auf seine Hand.
fällten. Doch darf ich deshalb mit mir »Noch mal?«, fragte sie.
selbst zufrieden sein? Kann ich jegliche »Wie oft haben wir jetzt schon Gobi
Schuld von mir weisen? Nein! Ich bin gespielt?«
Die Gründermutter 5

»Offensichtlich nicht oft genug.« Sie fühlte tausend erste Sätze hatte sie im­
versuchte sich an jenem Lächeln, das er, mer wieder umgeschrieben und schließ­
wie sie genau wusste, unwiderstehlich lich verworfen.
fand. »Du verlierst dauernd, und ich Gobi war deshalb für sie momentan
muss nicht mal die Macht meiner Stim­ mehr als nur ein Spiel, sondern diente
me einsetzen.« auch der Ablenkung. Genau wie die di­
»Na hoffentlich«, sagte er missmutig. versen Erfahrungen, die sie im Bett mit
»Traust du mir das etwa nicht zu? Ich Kantiran teilte. Sie erschrak bei diesem
brauche meine speziellen Fähigkeiten Gedanken und fragte sich, ob Kantiran
nicht einzusetzen, um dich zu besiegen. für sie tatsächlich nur ein Mittel zum
Aber soll ich dir etwas sagen? Es stört Zweck war, ein Ablenkungsmanöver für
mich nicht, dass du ein schlechter Spie­ ihre frustrierte Seele.
ler bist. Du hast andere Qualitäten. Der Chip trudelte aus, kullerte auf der
Wichtigere.« Platte und blieb schließlich liegen. Von
Sie verstärkte den Druck ihrer Hand, seiner Oberseite schaute sie ein grimmig
fühlte die Ader auf seinem Handrücken dreinblickender doppelköpfiger Iwan
pulsieren. Sie lehnte sich im Stuhl zu­ Iwanowitsch Goratschin an. Der My­
rück und drückte die Schultern durch. thos, stand darunter. Mutantenkorps
»Worüber denkst du nach?« Nummer drei. Einer der wertvollsten
»Chyndor«, sagte er. »Und ...« Chips. Im Spiel hätte sie sich über eine
»... die Zukunft der Friedensfahrer«, gewonnene Runde freuen können.
beendete sie den Satz gleichzeitig mit Kantiran griff danach. »Was ist mit
ihm. Sie zog ihre Hand zurück, stellte dir, Cosmuel? Du starrst so konzentriert
einen Chip auf und stieß ihn an, dass er ins Nichts, dass ich ...«
rasend schnell rotierte. Die Ränder ver­ Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nur
wischten, er wirkte wie eine Kugel aus festgestellt, dass ich Ursache und Wir­
flirrendem Licht. kung verwechselt habe. Oder lass es
»Du wirst keine Antwort finden, ge­ mich so sagen: Ich habe aus etwas Gutem
nauso wenig wie die tausend Mal, die du beinahe etwas Schlechtes gemacht.«
in den letzten zehn Tagen darüber nach­ »Du bist wunderbar. Rätselhaft, aber
gedacht hast. Der Schatten der Nega­ wunderbar. Friedensfahrer hin, Frie­
sphäre liegt über allem, und er verhin­ densfahrer her.« Er stand auf, umrunde­
dert, dass wir etwas sehen können.« te den Tisch und zog sie in die Höhe.
Cosmuel schaute Kantiran in die Au­ »Lass uns an etwas anderes denken.«
gen. Gute Idee, dachte sie und küsste ihn.
Sein Blick verfolgte die trudelnde
Spur der Münze. »Das hast du blumig *
ausgedrückt. Mein Kompliment. Du
solltest mal wieder eine Geschichte Sein Haar war länger als gewöhnlich,
schreiben. Ausreichend kreative Energie und der Vollbart hätte etwas Pflege nötig
hast du offenbar.« gehabt. Er ließ sich gehen, seit sie in der
Obwohl er das sicher nicht beabsich­ ASH AFAGA unterwegs waren.
tigt hatte, schmerzten seine Worte. Cos­ Kein Wunder, dachte Cosmuel. Seine
muel hatte seit ihrem Aufbruch von Gedanken kreisen nur noch um die eine
Hangay mehr als einmal versucht, wie­ Frage.
der zu schreiben. So wie früher. Kraft seiner Autorität als einer der
Doch seit sie Kantiran getroffen hatte Garanten der Friedensfahrer hatte er
und schließlich zur Friedensfahrerin ge­ eine Vollversammlung im Palais Ellega
worden war, hatte sie offenbar so viel in einberufen. Sie mussten klären, wer
der Realität erlebt, dass ihre Phantasie Chyndors Nachfolge antreten sollte als
einfach streikte. Sie fand keine Worte Patron des Bundes.
mehr, egal wie oft sie es versuchte. Ge­ Sie musterte seine Gesichtszüge. Die
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Augäpfel bewegten sich ruckartig unter Sie kannte die Antwort darauf. Sogar
den geschlossenen Lidern; er träumte. jede Menge verschiedener Antworten.
Wenigstens jetzt sieht er entspannt Weil ihre Bestimmung es nicht zu­
aus, dachte sie. Und wünschte sich, sie ließ.
selbst würde ebenfalls die nötige Ruhe Weil sie nicht anders gekonnt hatte,
finden, um einschlafen zu können. als den Weg in den Kosmos und nach
Doch jedes Mal, wenn sie die Augen Hangay zu suchen.
schloss und in den Dämmer zwischen »Und wegen dir«, flüsterte sie und
Wachen und Schlafen driftete, schreckte legte die Hand an Kantirans Schläfe.
sie hoch, mit wild pochendem Herzen
und angespannten Muskeln. Ihre Fin­ *
gergelenke schmerzten, weil sich ihre
Hand wieder und wieder in die dünne Er roch nach altem Fleisch, wahr­
Decke krallte. Nicht einmal Kantirans scheinlich hatte er die Mundhygiene
gleichmäßiger Atem vermochte ihren vernachlässigt. Seltsam, normalerweise
Gedanken Frieden zu schenken, obwohl ließ er sich nie so gehen. Zuvor war das
sie sonst nichts Beruhigenderes kannte. Cosmuel Kain nie aufgefallen. Aber
In ihrem Unterbewusstsein lagerten diesmal weckte der seltsam faulige Ge­
Urerinnerungen an den Kampf gegen ruch aus seinem Mund Erinnerungen an
eine Negasphäre – an eine Zeit, da ihre ihre Kindheit ... als sie von ... wie hieß er
fernen Vorfahren von ARCHETIM um doch gleich noch ... von diesem Jungen
Hilfe ersucht worden waren. Das wusste bei dem Schulausflug auf den histo­
sie inzwischen, seit sie Perry Rhodans rischen Bauernhof in den Misthaufen
Informationen aus Tare-Scharm zu Ge­ gestoßen und mit dem Gesicht in einen
sicht bekommen hatte. Seitdem wusste weichen, dampfenden Fladen gedrückt
sie auch, dass es bald zu wichtigen Ge­ worden war.
schehnissen kommen musste. Ob das Hastig griff sie nach der Tasse mit
etwas mit ihrem Cyno-Erbe zu tun hatte dem dampfenden Getränk, das ihnen ihr
oder damit, dass sie schlicht eine fein­ Gastgeber Polm Ombar zur Verfügung
fühlige Frau war, konnte sie nicht sagen. gestellt hatte, der Revisor der Friedens­
Vielleicht hatte sie auch ganz einfach so fahrer und Besitzer der OREON-Kapsel
lange über all das nachgedacht, dass sie ASH AFAGA, in der sie alle in Richtung
sich etwas einbildete, was es gar nicht Heimatsystem rasten. Es schmeckte un­
gab. definierbar fruchtig und war so heiß,
Gerade der letzte Gedanke war nicht dass ihr Lippen, Zahnfleisch und Zunge
sonderlich dazu angetan, sie endlich ein­ schmerzten, aber es vertrieb den Kloß
schlafen zu lassen. Sie drehte sich auf des Ekels in ihrer Kehle.
den Rücken, aus ihrer üblichen Schlaf­ Der Gestank ging von Ombar aus, der
position heraus, und hielt mühsam die ruhig auf seinem Spezialstuhl saß und
Augen offen. Diesen Trick kannte sie seit sie beobachtete. Der Koloss überragte
ihrer Kindheit. – Wenn du nicht schlafen Cosmuel bei weitem, die Muskeln unter
kannst, Kind, halt so lange die Augen der eisengrauen Haut waren gewaltig,
offen, wie es nur irgendwie geht. Wenn und die roten Augen unter den Kno­
sie dann zufallen, bist du so erschöpft, chenwülsten schienen zu glühen.
dass du es gar nicht mehr merkst. Und er stank.
Sie starrte in den Halbdämmer der Yhardt, dachte Cosmuel. Das war der
Kabine. Kantirans Atem streifte warm Name des Jungen gewesen. Yhardt – ein
ihre Wange. total süßer Kerl. Er hatte auf sie gestan­
Warum?, fragte sie sich. Warum in al­ den, aber nicht genug Mumm aufge­
ler Welt bin ich damals nicht auf Terra bracht, es vor seinen Kumpels zuzuge­
geblieben? Ich hätte mir all das ersparen ben. Darum hatte er sie gehänselt.
können. Wieder und wieder. Yhardt ... sie hatte
Die Gründermutter 7

seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht. Geber CHEOS-TAI in Vergangenheit


Nun, so viele Jahre später, in der ORE­ und Gegenwart spielt. Und vom Tod ei­
ON-Kapsel ASH AFAGA, geradezu un­ ner Superintelligenz und der Flucht der
endlich weit von Terra und der Milch­ Cypron ...«
straße entfernt, fragte sich Cosmuel Polm Ombar wandte ihr den Kopf zu.
schmerzlich, ob sie Yhardt überhaupt Zwischen seinen Zähnen hing ein Stück
jemals getroffen hatte oder ob er Teil der rohes Fleisch.
falschen Erinnerungen war, die ihre Sich über seine ganz speziellen Essge­
wahre Herkunft als Cyno verschlei­ wohnheiten zu ekeln, hatte Cosmuel
erten. schon lange aufgegeben. Wenngleich er
»Wenn wir uns als Geheimbund der äußerlich eine reine Kampfmaschine zu
Friedensfahrer der Herausforderung sein schien und einen martialisch-plum­
Negasphäre stellen wollen«, sagte Kan­ pen Eindruck erweckte, war er zweifel­
tiran, der links neben Cosmuel saß, »und los hochintelligent und einer der wich­
ich betone: wenn wir das überhaupt tigsten und wertvollsten Verbündeten,
wollen, brauchen wir einen neuen Pa­ die sie in den Reihen der Friedensfahrer
tron. Chyndor ist gestorben, ein entsetz­ besaßen.
licher Verlust, der nicht wieder aufzu­ »Auch dich, Cosmuel Kain«, sagte er,
wiegen ist, aber sein Ziel darf nicht mit »frage ich, wen du überzeugen willst.
ihm gestorben sein.« Weder mich noch Bylilin oder Drr-kim
Ombar lachte, und es klang wie ein musst du auf deine Seite ziehen.«
Donnergrollen am Horizont. »Wen willst Daraufhin schwiegen sie, vom auto­
du in diesem Raum überzeugen, Kanti­ matischen Blubbern abgesehen, das der
ran Rhodan?« Friedensfahrer Drr-kim, ein Aggkarper,
»Nur Kantiran«, sagte er leise, »das unaufhörlich auf vegetativer Basis von
genügt.« sich gab und das – wenn man sich die
Der Revisor ließ seine Hand auf die Mühe machte, es zu dechiffrieren – eine
gläserne Tischplatte klatschen, und je­ genaue Analyse seines Seelenzustands
des der überdicken Gelenke gab ein kra­ ermöglichte.
chendes Geräusch von sich. Ein Wunder, Drr-kims Fischaugen glotzten dabei
dass die Platte nicht in tausend Scher­ genau auf Cosmuels Oberkörper, doch
ben zersprang. »Dass du der Sohn deines sie konnte sich nicht vorstellen, dass
Vaters bist, solltest du nicht verleug­ sich der tonnenförmige Halb-Ichtoide
nen.« an ihren Brüsten erfreute, die der enge
»Ich leugne es nicht, aber es spielt kei­ einteilige Dress stärker betonte als un­
ne Rolle. Ich bin, was ich bin, nicht was bedingt nötig. Sie trug ihn gerne, wenn
er mir vorgibt zu sein.« Kantiran in der Nähe war, das musste sie
Unter dem Tisch strich Cosmuels Hand zugeben.
über Kantirans Bein bis zum Knie. Dort Vor dieser kleinen Versammlung in
drückte sie zu. Bleib ruhig, hieß das. der Zentrale der ASH AFAGA hatte sie
»Es ist gut, dass Kantiran über ... nun, vergessen, sich umzuziehen. Doch wahr­
nennen wir es Beziehungen verfügt. Der scheinlich gab es ohnehin niemanden
Speicherkristall mit den Informationen außer Kantiran, der einen Terraner-Cy­
über die Retroversion der Negasphäre no-Mischling körperlich attraktiv finden
Tare-Scharm in tiefer Vergangenheit konnte. Sie alle waren schon rein phy­
kann noch wichtig werden, wenn wir im sisch zu unterschiedlich.
Palais sprechen. Wir wüssten sonst Um sich abzulenken, projizierte Cos­
nichts von der Finalen Schlacht, von der muel per Sprachbefehl ein winziges Ho­
Prinzipa Generalin Kamuko, von Hob­ lo vor sich. Polm Ombar hatte jedem
gey dem Rächer, den Laosoor, von dem seiner Gäste Befehlsgewalt über den
aufwendigen Schlachtplan ARCHE­ Zentralrechner der ASH AFAGA gege­
TIMS und der Rolle, die der GESETZ- ben.
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Auf dem Holo liefen die aktuellen Wir sind Friedensfahrer.


Kursdaten ab. Wir gehören weder zu den Kosmo­
Ziel der OREON-Kapsel war die Gala­ kraten noch zu den Chaotarchen. Die
xis Altasinth, in der sich Rosella Rosado Hohen Mächte des Universums haben
befand, das Zentralsystem der Friedens­ kein Recht darauf, über uns zu bestim­
fahrer. 56 Tage Flugzeit waren angesetzt men, denn wir sind frei. Wir sind Indivi­
von Hangay nach Altasinth; ein Wert, der duen, und wir sind stolz darauf!
von einem gewissen Optimismus zeugte, Oder etwa nicht?
da die OREON-Kapseln einen maxima­ Sind wir etwa Friedensfahrer gewor­
len Überlichtfaktor von 150 Millionen den, weil wir uns gleichschalten lassen
ermöglichten. Als Abkürzung planten sie wollen? Oder stehen wir noch zu un­
allerdings, drei Bahnhöfe der Friedens­ serem Credo, das unser ganzes Dasein
fahrer zu nutzen, was durch Transmitter­ bestimmt?
sprünge erheblichen Zeitgewinn bedeu­ Friedensfahrer stiften Frieden, wenn
tete. Die Bahnhöfe Carkan, Sadlaan und Gewalt und Krieg drohen.
Ryvla lagen noch etwa sechs Tage Flug­ Friedensfahrer verstehen sich als Hel­
zeit von ihnen entfernt. Am ersten Bahn­ fer und Beschützer des Lebens in all sei­
hof angekommen, hofften sie auf die nen Ausprägungen und Mentalitäten.
Nachricht, dass es inzwischen gelungen Friedensfahrer kämpfen nicht gegen
sein könnte, weitere Bahnhof-Transmit­ Ordnung oder Chaos als kosmische Prin­
ter zu reaktivieren, was die Reisezeit er­ zipien, sondern für das Leben an sich.
heblich verkürzen würde. So haben wir es gesagt. So habe ich es
Cosmuel tat, als studiere sie die Daten gesagt, und ich stehe noch immer dazu.
auf dem Holo, schaute in Wirklichkeit Ich bin kein Kosmokratenknecht und
jedoch durch es hindurch und musterte kein Chaotarchendiener! Ich bin Teil der
die Gesichtszüge des Revisors, die sich Dritten Kraft im Universum, des Lebens
im gläsernen Tisch spiegelten. Die sechs­ an sich. Deshalb bin ich ein Friedensfah­
eckige Maserung schien ihr tiefer einge­ rer geworden, weil ich ein Individuum
schnitten als sonst; es verlieh Ombar ein bin, ein Anarchist vielleicht ... aber ich
müdes, beinahe depressives Aussehen. tue, was ich für richtig halte, und ich
Plötzlich bewegten sich die felsig kämpfe gegen Gewalt und Krieg.
starren Lippen in der Spiegelung. »Es Deswegen bin ich hier.
wird Widerstand in den Reihen der Frie­ Deswegen sind wir hier.
densfahrer geben, gegen den wir anzu­ Deswegen hat unsere Gründermutter
kämpfen haben. Das kann ich förmlich einst den Orden erschaffen und ins Le­
riechen ... weil es so naheliegt und so ben gerufen.
einfach klingt. Wir wollten ja gegen die Wer mag dem widersprechen?
Negasphäre kämpfen, werden sie sagen. Wir befassen uns mit den Aufgaben,
Der Preis ist hoch, und Chyndor hat ihn die wir uns selbst stellen. Wir erfüllen
gezahlt. Und dann werden sie fordern, unsere Rolle im Kosmos und sind nie­
dass sich die Friedensfahrer wieder zu­ mandem Rechenschaft schuldig. Jeder
rückziehen.« hat das gewusst, als er sich entschloss,
»Ja und?«, fragte Cosmuel. »Dürfen ein Friedensfahrer zu werden, jeder hat
wir uns von Widerstand beirren lassen? diese Prämisse akzeptiert.
Unsere Auffassung der Dinge ist die ver­ Was ich nun sage, hat große Tragwei­
nünftige und richtige, deshalb wird sie te, doch ich habe mir jedes Wort genau­
sich durchsetzen, und wir werden über estens überlegt.
jeden Widerstand siegen.« Wir verraten alles, wofür wir stehen,
Kantiran schwieg, doch seine Mund­ wenn wir diesen verhängnisvollen Weg
winkel zuckten. weiter beschreiten. Wir treten das Erbe
unserer Gründermutter mit Füßen, wenn
* wir weiter gegen die Negasphäre kämp­
Die Gründermutter 9

fen, wie wir es in der letzten Vollver­ der Nachtlichtrüstung andererseits


sammlung beschlossen hatten. dürften damit jemals zu klären sein«,
Blindheit – wisst ihr, was das heißt? tönte Perry Rhodans Stimme durch die
Ja, wir waren blind ... ich war blind. Wir Kabine. »Zur Rolle des Vektor-Helmes
haben einen Fehler begangen, doch noch verweise ich auf die von Alaska Saede­
ist es nicht zu spät, ihn zu korrigieren. laere zur Verfügung gestellte Datei.«
Es gehört Mut dazu, sich dies einzuge­ Es schellte: ein hohes Sirren, das Cos­
stehen. Wer meint, die Friedensfahrer als muel in den Ohren schmerzte. Etwas,
Ganzes müssten die Negasphäre be­ das sie sofort hätte ändern lassen, wenn
kämpfen, der ... die ASH AFAGA ihre OREON-Kapsel
... hört gut zu! gewesen wäre. Seltsamerweise gehörte
... der soll ab sofort kein Friedensfah­ diese Einstellung jedoch zu den grund­
rer mehr sein! Dies ist meine Forderung, legenden Kapselfunktionen, auf die sie
und dies werde ich tun, um den Orden als Gast keinen aktiven Zugriff erlangen
zu retten und das Erbe der Gründermut­ konnte. Und es war ihr nicht wichtig ge­
ter zu bewahren. Dies werde ich tun, nug, Polm Ombar deswegen zu behelli­
wenn ihr mich als neuen Patron wählt! gen.
Unser Orden darf nicht sterben, doch Perry Rhodan redete, vom Klingelge­
das wird er, wenn wir den Wahnsinn räusch unbeeindruckt, weiter – kein
nicht beenden und uns aus dem Kampf Wunder, schließlich war seine Stimme
zurückziehen, der zwischen den Hohen nichts weiter als eine in einem Speicher­
Mächten tobt. kristall abgelegte Aufzeichnung. Er war
Was soll sein, wenn es keine Friedens­ gerade im Begriff, genauere Angaben
fahrer mehr gibt? Gewiss, es ist schreck­ über die Gegebenheiten im INTAZO zu
lich, es ist grausam, was in Hangay ge­ machen, einem vortrefflichen, sicheren
schieht, so weit entfernt. Doch es hat Aufmarschgebiet, über das sie in der Ge­
nichts mit uns zu tun. genwart leider nicht verfügten.
Was soll werden, wenn es keine Frie­ Aber es wäre enorm praktisch, ging es
densfahrer mehr gibt? der jungen Friedensfahrerin durch den
Wer soll gegen Gewalt und Krieg in Kopf.
der Universalen Schneise kämpfen? Perry verstummte mitten im Satz.
Wer soll für das Leben an sich einste­ Was nichts anderes hieß, als dass Kan­
hen? tiran die Wiedergabe des Speicherkris­
Der Weg in die Zukunft ist schmal, talls gestoppt hatte.
und er ist unbequem. Er verlangt von »Ja«, rief er.
uns, uns erneut umzuwenden und auf Die Tür zur Kabine schob sich lautlos
den alten Pfad zurückzukehren. Den zur Seite. Polm Ombar stampfte dröh­
richtigen Pfad. Den schmalen Pfad. nend hindurch, blieb inmitten des
Für eine Zukunft ohne den Kampf ge­ Raumes stehen und blickte genau auf
gen die Negasphäre: Farigu Scot Elien. das breite Bett, dessen Laken noch zer­
Farigu Scot Elien wühlt waren.
Ende der ersten Rede im Palais Elle­ »Komm doch rein.« Der Spott in Kan­
ga tirans Worten war nicht zu überhören.
Zumindest nicht für Cosmuel – inwie­
weit der Revisor dazu in der Lage war,
2. Untertöne eines Terraners zu deuten,
Eine verrückte Idee stand auf einem anderen Blatt.
»Ich fühle mich einfach mal so, als
»Und so blieben uns die Laosoor er­ wäre dies meine OREON-Kapsel«, erwi­
halten, während Generalin Kamuko derte Ombar und bewies damit, dass er
spurlos verschwand. Weder die Geheim­ genau verstand, wie Kantirans letzte
nisse der LAOMARK einerseits noch die Worte gemeint gewesen waren. Der Re­
10 CRISTIAN MONTILLON

visor lachte dröhnend, hob eine seiner dor tot, und wir brauchen einen neuen
klobigen Hände und wies auf die win­ Patron. Einen, der bereit ist, den Kampf
zige Projektion Perry Rhodans. Dessen gegen die Negasphäre fortzuführen.«
kaum handtellergroßes dreidimensio­ »Jeder wird dazu bereit sein. Der Be­
nales Abbild war mit vor die Brust ge­ schluss war ...«
hobener Hand und halb geöffnetem »Sei still!« Der Revisor lehnte sich ge­
Mund im Sprechen erstarrt. »Zum wie­ gen die Wand, dass es krachte.
vielten Mal hörst du nun schon die Auf­ Unwillkürlich fragte sich Cosmuel,
zeichnungen deines Vaters? Kennst du wo die physischen Grenzen dieses Ko­
sie nicht längst auswendig?« losses lagen. Neben der beachtlichen
»In der Tat hören wir die Nachricht«, reinen Muskelkraft konnte er seinen
sagte Cosmuel. »Jedes Detail kann frü­ Körper mit elektrischer Energie aufla-
her oder später für die Geschehnisse der den und diese gezielt abgeben.
Gegenwart relevant werden. Diese Ka­ Cosmuel stellte sich Polm Ombar im
muko zum Beispiel – wie die sich an Kampf gegen einen Haluter in seiner
Kants Vater herangemacht hat ...« Sie Drangwäsche-Phase vor, und zum ersten
schmunzelte und sah ihren Gefährten Mal seit Langem fühlte sie sich dazu in
erröten. der Lage, eine Geschichte zu schreiben.
»Sie war gewiss eine faszinierende Es war ein gutes Gefühl. Sie musste
Persönlichkeit«, versuchte er das Ge­ diese Idee im Hinterkopf behalten.
spräch in weniger intime Bahnen zu len­ »Es gibt viele Traditionalisten«, fuhr
ken. Ombar fort. »Vielleicht zu viele. Wenn
Der Revisor wandte sich ihr zu. »Das nun einer von ihnen an die Macht
glaube ich auch. Ich bin allerdings nicht kommt ...«
gekommen, um mit dir zu philosophie­ »Das wird nicht geschehen.«
ren, sondern um Kantiran eine Frage zu »Du hast recht. Weil es einen gibt, der
stellen.« einen klaren Wahlsieg davontrüge, wenn
»Ich höre.« er nur endlich erkennen würde, dass er
»Wir müssen uns darüber im Klaren der richtige Mann dafür ist.«
sein, dass die Realität unsere Philoso­ »Und wer ...« Kantiran stockte. Er hob
phie als Geheimbund der Friedensfahrer die rechte Hand und rieb sich über den
eingeholt hat. Das Heraushalten aus den Vollbart am Kinn. »Das ist nicht dein
Konflikten der Hohen Mächte ist ange­ Ernst.«
sichts der in Hangay entstehenden Ne­ Wieder kam es Cosmuel vor, als ver­
gasphäre nichts weiter als ein Relikt aus tieften sich die Einkerbungen auf Om­
vergangenen Zeiten.« bars Haut. »Wenn die Friedensfahrer
»Dessen bin ich mir durchaus be­ den nächsten Schritt tun und an der Sei­
wusst«, sagte Kantiran. »Ich war einer te des Geistwesens mit dem umständli­
derjenigen, die vor der letzten Vollver­ chen Namen ›Nukleus der Monochrom-
sammlung darauf gedrängt haben, dass Mutanten‹ gegen die Negasphäre
wir uns geschlossen gegen die Nega­ kämpfen, dann nicht als Einzelkämpfer,
sphäre wenden. Was unter Chyndor als sondern als Einheit. Das ist doch deine
Patron auch der Fall gewesen ist.« Vision, oder? Die Zeit der individualisti­
Er wird es sagen, dachte Cosmuel. schen Anarchisten ist vorüber. Wir müs­
Ombar wird endlich aussprechen, was sen uns sehr wohl in die Belange von
schon längst hätte gesagt werden müs­ Ordnung und Chaos einmischen. Und
sen. Ich hatte abwarten wollen, bis Kan­ wenn es wirklich das ist, was du denkst,
tiran selbst auf die richtigen Gedanken Kantiran: Wer hätte als Patron den Mut
kommt. Vielleicht ist der direkte Weg zu solch einem radikalen Schritt? Nie­
besser. Hoffentlich. mand außer dir, das kann ich dir sagen!
Polm Ombar ging einige Schritte in Denn es ist deine Vision, von der du uns
Richtung Ausgang. »Doch nun ist Chyn­ andere überzeugen musst. Den Job kann
Die Gründermutter 11

dir keiner abnehmen, mein Junge, also »Und was«, fragte der Revisor, »wenn
musst du auch den Mumm aufbringen, die Versammlung einen neuen Patron
dich um ihn zu bewerben!« wählt, der sich gegen den Kampf bei
Cosmuel konnte sich nicht erinnern, Hangay entscheidet? Was wirst du dann
den schweigsamen Ombar je so viele tun, Kantiran?«
Worte ohne Unterbrechung reden gehört Seine wasserblauen Augen blickten
zu haben. Sie musterte ihren Geliebten, völlig klar; nicht der Hauch eines Zwei­
der blass geworden war. fels lag darin. »Dann werde ich die Frie­
»Eine verrückte Idee«, sagte Kantiran. densfahrer verlassen, zu meinem Vater
»Ich bin ein Garant, einer der elf Stell­ stoßen und an seiner Seite kämpfen.«
vertreter des Patrons, und in dieser Stel­
lung bin ich gut aufgehoben. Mehr woll­ *
te ich nie, mehr kann ich nicht. Ich denke
nicht einmal daran, mich zur Wahl zu »Nichts zu machen, sage ich«, blub­
stellen!« berte der gedrungene Molch aus seinem
»Das solltest du aber«, sagte Cosmu­ Aquarium.
el. Molch. So nannte Cosmuel den Tech­
Kantiran wandte sich zu ihr um und niker zumindest heimlich in Gedanken.
schaute sie mit halb geöffnetem Mund Er hatte sich mit einer verwirrenden
an. »Das ... du ...« Lautfolge vorgestellt, die sie sofort wie­
»Du bist wohl derjenige, der am meis­ der vergessen hatte. Wahrscheinlich
ten dazu beigetragen hat, dass sich die brauchte man eine spezielle Psi-Fähig­
Friedensfahrer dem Kampf gegen die keit, um sich einen derart verdrechselten
Negasphäre gestellt haben.« Namen merken zu können. Wie ausge­
»Ich bin erst so kurz dabei! Ich bin zu rechnet ein so plump wirkendes Wesen,
jung! Ich bin ...« das außerdem auf eine Unterwasser-
»Sei froh, dass dich niemand außer Umgebung angewiesen war, zu einem
uns hört«, sagte Ombar. »Du redest dich Hypertechniker in Diensten der Frie­
um Kopf und Kragen. Wo ist der Kanti­ densfahrer auf dem Bahnhof Ryvla hat­
ran geblieben, der unsere ganze Gemein­ te werden können, diese Frage stellte sie
schaft aufgemischt hat mit seinen revo­ sich gar nicht erst.
lutionären Ideen?« Wahrscheinlich war er besonders be­
»Ich bleibe dabei: Der Geheimbund ist gabt und verfügte über eine Feinmoto­
nicht dazu geeignet, ausgerechnet von rik, die man ihm nicht ansah. Oder über
jemandem wie mir geführt zu werden. entsprechende technische Möglich­
Diese ganzen Fundamentalisten, von de­ keiten. Oder – was ihr am wahrschein­
nen du gerade eben selbst noch geredet lichsten erschien – es hatte sich sonst
hast – sie haben mir nicht verziehen, und niemand gefunden, der auf diesem Fleck
das werden sie auch nicht. Es wäre eine Technik mitten im Nichts versuchte,
weitere Belastungsprobe, wenn ich mich Kontakt zur Station Tanutula in der
zur Wahl stellen würde, und die muss gleichnamigen Galaxis zu halten und
den Friedensfahrern erspart bleiben.« die Bahnhofstechnologie mit der Gegen­
Was die beiden wohl denken?, fragte stelle zu synchronisieren.
sich Cosmuel. In Kantirans Miene konn­ »Es dauert noch mindestens Wochen
te sie lesen; er war überrascht, überrum­ oder Monate, sage ich, bis wir von hier
pelt, ärgerlich und absolut unerschüt­ nach Tanutula springen können, wenn
terlich in seiner Meinung. Polm Ombar es überhaupt jemals klappen wird. Soll­
jedoch rührte keinen Muskel, sein grau­ te jedoch ein Wunder geschehen, kann es
häutiges Gesicht schien wie aus Schie­ natürlich auch schon morgen so weit
ferplatten zusammengesetzt. Ob er Kan­ sein. Sage ich.«
tiran am liebsten packen und schütteln Wer sonst?, dachte Cosmuel, bedankte
würde? sich artig bei dem Molch und wollte die
12 CRISTIAN MONTILLON

Bildverbindung ins technische Zentrum deren die Nachricht überbringen, dass


löschen. Polm Ombar hatte ihr die un­ ihnen keine weitere Abkürzung via
dankbare Aufgabe übertragen, mit dem Bahnhof-Transmittersprung zur Verfü­
Techniker zu sprechen und den aktu­ gung stand und deshalb noch etwa 40
ellen Stand der Möglichkeiten zu erfra­ Reisetage vor ihnen lagen, ehe sie Rosel­
gen. Wahrscheinlich weil er genau wuss­ la Rosado erreichten.
te, wie das Ergebnis ausfallen würde, Vierzig Tage.
und keine Lust auf eine fruchtlose Dis­ Verflixt lange Zeit in einer engen
kussion verspürte. OREON-Kapsel mit etlichen anderen
Der Molch blubberte allerdings unab­ Friedensfahrern, die darüber hinaus
lässig weiter. »Sind ja nur diese Roboter, nicht gerade besonders gesellig waren,
die mit der verflixten Friedensfahrer­ weil sie es gewohnt waren, allein zu rei­
technik richtig umgehen können, diese sen. Immerhin hatte sie Kantiran, hatte
alten Robotermodelle. Ist kein Zustand, Kartenspielen, hatte Sex. Für Ablen­
sage ich. Immerhin melden die Maschi­ kung war also gesorgt.
nen vielversprechende Ansätze. Ich wür­ Besser als nichts.
de darauf aber nichts geben. Die müssen Allzu schnell würde es ihr gewiss
schon viel versprechen, bis ich ihnen nicht langweilig werden. Zumal etwas
glaube.« Ruhe zwischen turbulenten Zeiten nicht
Cosmuel lachte gekünstelt über die­ schaden konnte.
sen misslungenen Wortwitz und hoffte,
dass sie das Gespräch damit beenden *
könne. Doch weit gefehlt.
»Das war witzig, was? Ich habe aus »Du kannst kein Friedensfahrer sein«,
deinen wenigen Worten ein Muster dei­ sagte Polm Ombar. Es war so kalt, als
ner Sprache gefiltert und umgewandelt. würde sich ein Chaotisches Geflecht mit­
Ich kann nun perfekt mit deiner Sprache ten im Raum ausbilden und den Mora­
jonglieren. Bin eher ein Sprachwissen­ lischen Kode der Lächerlichkeit preisge­
schaftler als ein Hypertechniker, aber ben.
was sollte ich schon sagen, als mir dieser Die Bestie mit den glühenden Augen
Job angeboten wurde? Ist immerhin or­ sah alles andere als erfreut aus. »Warum
dentliche Arbeit, und bei dem Betrieb, nicht?«
der auf diesem Bahnhof herrscht, trifft »Es gibt tausend Gründe.«
man immer mal wieder interessante »Nenn mir einen.«
Leute, so wie dich übrigens. Terranerin, »Du bist zu alt. Oder zu jung. Such dir
was? Bist aber noch was anderes, das etwas aus.«
spüre ich. Da ist was Altes in dir, in dei­ Der Revisor und der Haluter
nen Bewegungen.« Fragment von Cosmuel Kain
»Du irrst dich«, log Cosmuel, die sich
gar nicht wohlfühlte bei dem Gedanken,
von dem Molch telepathisch ausgehorcht 3.
zu werden – oder wie immer er das nann­ Schatten
te, was er soeben getan hatte, um ihre
Sprachmuster zu analysieren. »Ich muss »Dämlich«, murmelte Cosmuel vor
nun leider unsere interessante Unterhal­ sich hin. »Das ist einfach nur däm­
tung abbrechen.« lich.«
»Meld dich wieder bei mir«, forderte Sie zerknüllte die Folie und warf sie
der Techniker. hinter sich, auf den Berg aus mindestens
»Wenn die Zeit bleibt«, sagte Cosmuel zwei Dutzend erbärmlichen Versuchen,
vage. einige spannende oder auch nur irgend-
Ganz bestimmt nicht, dachte sie. wie interessante Sätze zustande zu brin­
Sie musste Polm Ombar und den an­ gen, die zwei Dinge vereinten: Zum ei­
Die Gründermutter 13

nen sollten sie im weiteren Verlauf der Planeten, ihre Augen bildeten Meere.
Geschichte die Idee ermöglichen, Polm Die Mondkette der Friedensfahrer, acht
Ombar gegen einen Haluter in Drang­ winzige Punkte, tanzte als Diadem auf
wäsche kämpfen zu lassen, zum anderen ihrer Stirn.
mussten sie eine raffiniert verborgene Dann schob sich eine breite Hand da­
psychologische Botschaft zwischen den rüber, umspannte die Sonne, den Pla­
Zeilen transportieren, um Kantiran zu neten, die Monde und legte sich in ihren
zeigen, dass er eine falsche Entschei­ Nacken. Ein Schauer rann ihr über den
dung getroffen hatte. Rücken, entzündete tausend kleine Ex­
Bislang war jeder Versuch in etwa so plosionen in der Wirbelsäule.
subtil gewesen wie eine Hirnoperation »Ein seltsames Gefühl, wieder zu
bei vollem Bewusstsein. Da hätte sie ih­ Hause zu sein, was?«, fragte Kantiran.
ren Geliebten gleich an beiden Schul­ »Zu Hause?« Cosmuel legte den Kopf
tern packen, ihn durchschütteln und in den Nacken, genoss den Druck seiner
anschreien können. Hand am Hinterkopf. »Empfindest du
Diesmal schleuderte sie den Stift so, wenn wir hierherkommen?«
gleich hinterher. Es hatte keinen Sinn. Etwas entstand vor ihnen, hinter ih­
Absolut keinen Sinn. Sie gab auf. nen und überall um sie herum – ein sche­
Sollte Kantiran doch tun und lassen, menhaftes Wallen am Rand des Wahr­
was er wollte. Er war so stur wie eine nehmbaren, wie tausend Fische, die halb
lilasische Wurfkuh, und daran würde in dieser, halb in einer anderen Welt
Cosmuel nichts ändern können und ihr durch die Luft schwammen. Goldenes
Geschreibsel schon gar nicht. Wahr­ Leuchten tauchte alles in bizarre Schön­
scheinlich würde es nicht mal etwas be­ heit. Kantirans Gesicht wirkte wie das
wirken, wenn sich Rlim von den Aras einer erhabenen Statue, so schön, dass
mit Goethe von Terra und dem Großen es sie im Herzen schmerzte. Ihr wurde
Bathorn von Arkon zu einem Dreigestirn heiß, sie glaubte einen Augenblick lang,
zusammentun und gemeinsam die wun­ innerlich zu brennen.
dervollsten Worte aller Zeiten finden Das Bild in der Scheibe änderte sich,
würden, die zudem von den Göttern sie standen der Mondkette nun nahe. Die
dreier Welten inspiriert würden. Heiße Legion umhüllte die Kapsel ASH
Dennoch versuchte es die Halbcyno in AFAGA und durchdrang und testete je-
den nächsten vier Wochen immer wieder den, der sich der Heimat der Friedens­
– wenn schon nicht, um Kantiran umzu­ fahrer nähern wollte. Feinde wurden
stimmen, so doch wenigstens, um end­ von der Legion zuverlässig erkannt und
lich wieder den seelischen Ausgleich zu eliminiert – wie diese Gesinnungsprü­
finden, den ihr das Schreiben von Ge­ fung vonstattenging, wussten die Frie­
schichten bot. Und doch landete Folie densfahrer nicht, ebenso wenig wie sie
um Folie in der Recyclinganlage. Bis sie etwas am Tun der Heißen Legion ändern
schließlich, am 5. September nach terra­ konnten. Sie unterstand nicht ihrer Ge­
nischer Rechnung, die sie genau wie walt, und doch bildete sie die wichtigste
Kantiran immer noch beibehielt, den Schutztruppe des Geheimbunds. Jedes
galaktischen Zentrumsbereich von Al­ Schiff, das ins Rosella-Rosado-System
tasinth erreichten: die Heimat der Frie­ eindrang, erlebte binnen Sekunden das­
densfahrer. Ihr Ziel. selbe Phänomen.
Am frühen Nachmittag ihres letzten Wie jedes Mal wurden Cosmuel und
Reisetages sah sie durch eine Außen­ Kantiran von der Legion identifiziert
scheibe der OREON-Kapsel den gelb­ und eingelassen – und zweifellos auch
roten Gasriesen Sumnat, hinter dem die alle anderen Friedensfahrer an Bord
gewaltige blaue Sonne Rosella Rosado der OREON-Kapsel. Die innere Hitze
waberte. Cosmuel spiegelte sich in der schwand wieder, der schemenhafte
Scheibe, ihr Kopf bedeckte den halben Schwarm zog sich zurück, das goldene
14 CRISTIAN MONTILLON

Leuchten verblasste. Die Heiße Legion ßenkünstler hatte den Gehweg in ein
hatte ihr Werk getan. Areal aus Tönen verwandelt, wie ein
»Sagen wir es so«, meinte Kantiran. reißerisches Schild verkündete. Jeder
»Wenn das hier erst mal vorüber ist, ist Schritt löste eine Art Gong aus, als spa­
der Wohnmond Fumato gar nicht so ziere man auf einem riesigen Tastenin­
übel.« strument.
Die Wirklichkeit zerklirrt zu Scher­
* ben, und ein Gleiter rast durch meinen
Kopf, dachte Cosmuel. Hier stirbt es sich
»Mir ist übel«, sagte Cosmuel. leicht.
Kantiran grinste sie an, und er sah so Plötzlich wusste sie, dass sie genau
gelöst aus wie schon lange nicht mehr. In diesen Satz verwenden würde, um eine
diesem Augenblick erinnerte er sie an neue Geschichte zu schreiben. Und
ein Kind, das rein zufällig in einem er­ dieses Mal würde sie nicht aufgeben. Ein
wachsenen Körper gelandet war; naiver sperriges, verschrobenes Ding würde
Schalk blitzte in seinen Augen. »Bist entstehen, das nur die wenigsten verste­
du nun auch noch umgekehrt raum­ hen konnten, aber in Cosmuel bildete
krank?« sich mit einem Mal ein ganzer Kosmos,
»Hm?« und sie verstand auf ihre Art, was die
»Als wir in der OREON-Kapsel unter­ Negasphäre in Hangay tatsächlich dar­
wegs waren, ging es dir gut ... Nun haben stellte.
wir festen Boden unter den Füßen und Hier stirbt es sich leicht, dachte sie
dir wird übel.« erneut und erkannte das innerste Wesen
»Seltsam«, meinte sie. »Findest du des Chaos besser als je zuvor. Man muss­
nicht, dass der Boden genauso fest ist te es nur auf die eigene Seele projizie­
wie in der ASH AFAGA? Der ganze Tru­ ren, musste selbst das Universum sein,
bel und der Lärm machen mir zu schaf­ in dem ein todbringendes Geschwür
fen. Lass uns irgendwo eine Wohnung wucherte und seine verderbten Aus­
suchen.« wüchse wie bösartige Tentakel peit­
Aus allen Richtungen drangen Ge­ schen ließ. Ich habe gesehen: Fremdheit,
räusche auf sie ein: Klirren, Knarren fügte sie in Gedanken einen weiteren
und Plärren. Zumindest empfand sie es Satz hinzu.
in diesem Augenblick so. Bei ihrem letz­ Eine humanoide Friedensfahrerin
ten Besuch war ihr das ganz anders vor­ schlurfte schwerfällig an ihr vorbei. Ihr
gekommen. Bauch quoll weit hervor, so dick, dass sie
Es schepperte vor ihr (die Metall­ unwillkürlich an eine schwangere Terra­
kleider eines glupschäugigen Insektoi­ nerin kurz vor der Niederkunft erin­
den), hämmerte hinter ihr (eben hatten nerte. Aber diese Fremde war keine Ter­
sie einen Arachnoiden passiert, der auf ranerin. Vielleicht trug sie tatsächlich
ein sehr eigenwilliges Schlagzeug ein­ ein Baby in sich, vielleicht nicht. Wie
drosch, das aus einem froschartigen Le­ dem auch sein mochte, sie schob den
bewesen mit diversen Hornplatten be­ Bauch mühsam vor sich her, und Cosmu­
stand), sirrte neben ihr (der Wind pfiff el schien es, als sei diese Frau trotz all
durch die pfeifenartigen Applikationen des Trubels völlig allein.
im Gefieder eines aufgeplusterten Vogel­ Die Negasphäre, dachte sie. Wie eine
artigen, der mit einem Artgenossen fahle Krankheit im Kosmos, und jeder
schnäbelte), zischte über ihr (ein drei­ darin ist allein mit sich und seinen Ge­
köpfiger Friedensfahrer diskutierte hef­ danken. Auf ewig Teil von etwas Totem,
tig mit sich selbst, während die schlan­ eingesaugt ins Nichts des Vergessens.
genartig gespaltene Zungen vor den »Du bist blass«, sagte Kantiran, mit
Mäulern pendelten). Ja sogar unter ihr einem Mal völlig ernst. Die Albernheit
lärmte alles – irgendein irrsinniger Stra­ und der Schalk waren wie weggeblasen.
Die Gründermutter 15

Aufgefressen, dachte Cosmuel, aufge­ feld vor seiner Brust drangen. Rötlich
fressen von der Negasphäre und der blo­ schimmernde Kauleisten mahlten auf­
ßen Bedrohung durch sie, selbst hier, so einander.
weit entfernt. »Müsste ich dich kennen?« Kantirans
Kantiran griff nach ihrer Hand. Sie Hand hielt noch immer Cosmuels, und
fühlte sich warm an, warm und tröstlich. sie spürte, wie sich der Druck seiner Fin­
»Wir hatten ganz in der Nähe schon ein­ ger leicht verstärkte.
mal eine Wohnung. Schauen wir doch »Du bist ein Garant«, sagte der Insek­
nach, ob sie leer steht ... Dort wirst du toide. »Jeder kennt dich – das genügt
die Ruhe finden, die du offenbar drin­ doch. Außerdem warst du bei Chyndors
gend brauchst.« Tod dabei. Erzähl mir davon. Ich habe
Sie hörte die Worte wie durch eine di­ ihn verehrt. Natürlich hatte ich ihm bei
cke Nebelwand, die jeden Ton und jede der letzten Wahl meine Stimme gege­
Schwingung stehlen und verflüssigen ben.«
wollte. Cosmuels Blick pendelte unwillkür­
»Ich ... ich habe nur ...«, murmelte lich zwischen dem kantigen Mund und
sie. dem Akustikfeld hin und her, das – als
»Nur was?« strahle es gewaltige Hitze ab – nur durch
»Nur endlich verstanden, gegen wel­ ein wellenförmiges Wabern vor der Brust
ches monströse Ding wir vorgehen, Kan­ erkennbar war.
tiran. Die Negasphäre ist ... sie ist ... Wir Der andere bemerkte das offenbar
müssen etwas tun, verstehst du? Wir und zeigte sich gar nicht begeistert da­
müssen!« von. »Als ich den Krieg auf dem vierten
Planeten meines Heimatsystems schlich­
* tete, atmete ich ein Giftgas ein, das mei­
nen Hals so stark verätzte, dass ich ohne
Die drei Wesen erinnerten Cosmuel an technische Hilfsmittel keinen Laut mehr
Cheborparner, wie sie sie während eines herausbringe. Genügt dir das als Erklä­
Einsatzes als Agentin des Terranischen rung? Oder willst du mich noch länger
Liga-Dienstes vor mehr als vier Jahren anstarren?«
getroffen hatte. Allerdings waren die Warum so gereizt?, dachte Cosmuel.
beiden Stirnhörner gewunden und ver­ »Es genügt.«
einten sich im Nacken zu einem Wulst, Sie drückte Kantirans Hand. Lass uns
von dem strähnige Haare wuchsen. gehen!
Die drei absonderlichen Gestalten Kantiran verstand, ohne dass sie ein
waren nicht die einzigen Motive, die ihr einziges Wort sagen musste. »Chyndors
von den Gemälden an der Wand entge­ Tod ist ein gewaltiger Verlust. Er starb
genwinkten – jeder Quadratzentimeter in Erfüllung seiner Aufgabe als Frie­
war mit irgendwelchen Bildern bedeckt. densfahrer und im Kampf gegen die Ne­
Warum Cosmuels Blick ausgerechnet an gasphäre. Das sollten wir immer in Er­
ihnen hängen blieb, wusste sie nicht. innerung behalten. Nun entschuldige
Vielleicht gerade wegen der Ähnlichkeit uns bitte, wir haben eine ...«
mit den ziegenähnlichen Cheborpar­ Der dürre Insektoide drehte ruckartig
nern, die ... den Kopf. »Weißt du, was ich mich fra­
»Kantiran!«, riss sie eine dumpf vi­ ge? Ob Chyndor noch leben würde, wenn
brierende Stimme aus den Überle­ wir ...«
gungen. »Wie schön, dich hier zu treffen. »Er würde noch leben«, unterbrach
Wenn die Zeit auch traurig und böse Cosmuel, »wenn es in Hangay nie so weit
ist!« Ein spindeldürrer Insektoide kam gekommen wäre, dass die Negasphäre
auf sie zu. Ein kleiner kantiger Mund entsteht. Wir können nur vermuten, wie­
öffnete und schloss sich unablässig, so es gerade dort und gerade jetzt ge­
während die Worte aus einem Akustik­ schieht. Vielleicht ist es durch den
16 CRISTIAN MONTILLON

Transfer aus dem fremden Universum »Komm«, forderte sie ihren Geliebten
Tarkan ausgelöst worden, vielleicht lag auf. »Hier drin ist ...«
der Keim auch schon dort. Ob es Kosmo­ Die weiteren Worte blieben ihr förm­
gene gestört hat oder den Moralischen lich im Hals stecken, weil die hoch auf­
Kode des Universums berührt – keiner ragende Medien- und Kommunikations­
von uns hat sich das ausgesucht.« einheit rechts neben der Tür genau in
»Aber wir haben uns sehr wohl ausge­ dem Moment zu surren begann, als Kan­
sucht, gegen sie vorzugehen und zu ver­ tiran den Raum betrat. Einen Augen­
suchen, sie ...« blick lang flirrte ein breit gefächerter
»Sei still«, fuhr ihn die Halbcyno an. Strahl über seine Brust und tanzte wie
»Sei einfach nur still. Wenn du Chyndor Nebel um seinen Kopf; dann entstand
so verehrt hast, wie du behauptest, zieh auf der Projektionsfläche ein Gesicht.
sein Andenken nicht in den Schmutz, Chyndors Gesicht.
indem du nun sein Handeln infrage Das eine Auge im grünhäutigen
stellst.« Schuppengesicht schien zu glühen, so
»Genau wie du gesagt hast«, ergänzte intensiv rot war es. Die Nickhäute
Kantiran, »waren wir bei seinem Tod schnappten zu, öffneten sich wieder.
dabei. Und deshalb wage ich zu behaup­ »Die Identitätsabtastung hat ergeben,
ten, dass sich Chyndor genauso ent­ dass du diesen Raum betreten hast, Kan­
schieden hätte, gegen die Negasphäre tiran«, ertönte die Stimme des Toten. Er
vorzugehen, wenn er gewusst hätte, dass sprach in demselben verdrehten und
er sterben wird. Denk darüber nach.« seltsam akzentuierten Thonisch, dessen
Die beiden Friedensfahrer traten er sich zeit seines Lebens bedient hatte
durch den Eingang in das Wohnhaus, und das beim Zuhörer alle Aufmerk­
dessen Wände innen ebenso mit zahl­ samkeit erforderte. »Das bedeutet zwei­
losen Gestalten bemalt waren wie die erlei. Zum einen hatte ich recht damit,
Fassade. dass du diese Wohnung wieder beziehen
Cosmuel befürchtete, dass der Insek­ wirst, wenn du nach Rosella Rosado zu­
toide ihnen folgen würde, doch zu ihrer rückkehrst. Das ist das Gute. Zum ande­
Erleichterung blieb er zurück. Sie wuss­ ren dürfte ich tot sein, wenn du das
te von ihrem letzten Aufenthalt, dass hörst, denn meine Individualimpulse
sich die Zeichnungen auch in allen sind nicht anmessbar. Das ist das
Wohneinheiten fortsetzten. Schlechte.«
Damals hatte sie einen Robot angefor­ Cosmuel verkniff sich ein verblüfftes
dert und ihn die Wände in kosmischem Lachen. Einen derartigen Galgenhumor
Blau übertünchen lassen – in ihrem hätte sie Chyndor nicht zugetraut.
Lieblingsfarbton, der ihr nachts das Ge­ »Du kannst ruhig lachen«, sagte
fühl gab, unter freiem Himmel zu schla­ Chyndor. »Denn in diesen Tagen wird dir
fen, bei angenehmen Temperaturen, in sonst gewiss nicht danach zumute sein.
einer besseren Zeit. Mit dem Liebhaber Was ich dir mitzuteilen habe, Kantiran,
und Freund an ihrer Seite, den sie sich ist allerdings sehr ernst. Übrigens ... falls
immer gewünscht hatte. deine Freundin Cosmuel ebenfalls an­
Fünf Minuten später betraten sie ihre wesend ist, so sei ihr gesagt, dass auch
alte Wohneinheit und fanden sie zu ihrer auf sie schwere Zeiten zukommen wer­
Erleichterung unbewohnt vor. Cosmuel den, denn sie wird dich unterstützen
stellte fest, dass die Wandfarbe seitdem müssen. Es ist nicht gut, dass jemand
nicht verändert worden war. Sie lächelte mit so großer Verantwortung, wie ich sie
und bildete sich ein, in dem Raum, den getragen habe, allein ist. Und damit sind
sie als Schlafkammer benutzt hatten, wir exakt beim Kern der Sache ange­
noch immer einen Hauch von jenem langt.«
männlich herben Duft zu riechen, den Cosmuel schüttelte den Kopf, atmete
nur Kantiran verströmte. dabei tief aus. Chyndor hatte seinen Tod
Die Gründermutter 17

und die daraus erwachsenden Probleme »Du wolltest dich ausruhen«, sagte
exakt vorausgesehen und entsprechende er.
Vorbereitungen getroffen. Das ist alles?, schrien ihre Gedanken.
Sie wusste genau, was er nun sagen Aber sie schwieg. Sie kannte Kantiran.
würde – dasselbe, was auch der Revisor Gerade dass er nichts dazu sagte, be­
Polm Ombar und sie selbst Kantiran in wies, wie sehr ihn diese Worte getroffen
der Kapsel das eine ums andere Mal ge­ hatten. »Das solltest du auch«, schlug sie
predigt hatten. Vielleicht würde es Kan­ vor. »Morgen findet Chyndors Trauerfei­
tiran umstimmen, es aus dem Mund sei­ er statt, und du wirst doch sicher einige
nes alten Freundes und Gönners erneut Worte sagen wollen?«
zu hören. »Natürlich werde ich das. Ich weiß,
Für einen Augenblick tauchten in der worin meine Aufgaben bestehen.«
Wiedergabe Chyndors grüne Finger auf. In den letzten Worten klang vor allem
Das Pigmentmuster auf dem Handrü­ eins auf: Trotz.
cken war intensiv verfärbt. Bald ver­
schwanden sie wieder. Der ehemalige *
Patron beugte sich näher an die Aufnah­
mekamera. Die OREON-Kapsel hob sich in die
»Du bist der Richtige, um jene Verant­ Luft, und Ellegato blieb unter ihr zu­
wortung zu übernehmen, an der ich rück. Cosmuel starrte aus dem Sicht­
letztendlich gescheitert bin. Kantiran, fenster, ohne zunächst irgendetwas
ich kenne dich nicht so lange, wie ich es wahrzunehmen. Ihr Blick ging ins Leere,
eigentlich gewünscht hätte, aber den­ und sie spürte das sanfte Vibrieren der
noch sehr gut. Du bist der Einzige, der Scheibe, gegen die sie ihre Stirn lehnte.
in diesen schwierigen Zeiten mein Erbe Als sie hustete, beschlug das Hart­
übernehmen kann. Ich weiß, was du plastik von ihrem Atem, klärte sich je­
denkst, kenne die Einwände, die du vor­ doch sofort wieder. Die Oberfläche leite­
bringen wirst. Behaupte bloß nicht, du te jegliche Feuchtigkeit ab. Ellegatos
seist zu jung. Sage nicht, andere wären Gebäude-Irrgarten schälte sich schein­
schon viel länger Friedensfahrer als du bar aus Nebel und wurde immer kleiner
und wüssten viel besser Bescheid. Erfin- in der von Flüssen durchzogenen, üppig
de keine Gründe, die dagegen sprechen, grünen Marschlandschaft. Erst aus
so logisch es auch klingen mag. großer Höhe erkannte Cosmuel die An­
Dies sind meine letzten Worte an dich. ordnung der Häuser in konzentrischen
Ich bin gestorben im Kampf gegen die Kreisen, die sich rings um das Stadt­
Negasphäre. Ich weiß nicht, bei welchem zentrum zogen.
Einsatz genau dies geschehen sein wird, Ihr Blick fiel auf das Raumlandefeld
aber ich weiß, dass ich es nicht bereue. nahe der Stadt. Dort standen nur einige
Wenn ich dieses Opfer zu bringen hatte, Dutzend OREON-Kapseln; die meisten
musste es sein. Leb wohl, Kantiran ... warteten im Orbit auf einen Rückruf
auf dass du bessere Zeiten erblicken mö­ oder waren längst unterwegs zum Ka­
gest als ich.« pellenmond Ospera, wo sich Hunderte
Die Stimme verklang, das Bild er­ zu Chyndors bevorstehender Todesfeier
losch, und einen Augenblick lang glaubte versammelten. Genau wie die ASH AFA­
Cosmuel noch, jenes Gesicht zu sehen, GA, in der nicht nur Cosmuel, Kantiran
das trotz der schweren Worte eine gera­ und Polm Ombar reisten, sondern auch
dezu unheimliche Zuversicht und Stär­ Chyndors Leichnam zu seiner letzten
ke ausstrahlte. Sie wandte sich zu ihrem Ruhestätte transportiert wurde.
Geliebten. Eine Bestattung von Friedensfahrern
Dessen Mundwinkel zitterten. Die auf dem Kapellenmond war weder vor­
Finger nestelten am Stoff seines Är­ gesehen, noch war laut Cosmuels Re­
mels. cherchen auch nur ein einziger Fall be­
18 CRISTIAN MONTILLON

kannt, aber Chyndor hatte sich ein Grab Cosmuel schätzte, dass es eine Flügel­
in Sichtweite der Glasbasilika ge­ spannweite von mindestens acht Metern
wünscht. Es gab niemanden, der einen aufwies.
Grund dafür sah, ihm diesen letzten Die OREON-Kapsel glitt weiter,
Wunsch zu verweigern. senkte sich mit einem scheinbar halsbre­
Offenbar gingen Kantirans Gedanken cherischen Manöver in eine Klamm.
in dieselbe Richtung. »Ich kann mich ge­ Glänzend weiße Felswände sausten
nau daran erinnern, wie Chyndor er­ dicht vorüber. Gemsenartige Tiere er­
wähnt hat, dass er auf Ospera begraben starrten auf ihrem Weg durch ausge­
werden will, nach dem Ritual seines dehnte, steil aufragende Schneefelder.
Volkes. Ich hoffe, ich habe mich gut ge­ Die Klamm weitete sich und eröffnete
nug über die Bestattungssitten der den Blick in eine gewaltige Schlucht –
Heesorter informiert, um die nächsten und auf eine Anhöhe, auf der ein ein­
Stunden so zu verbringen, wie es in sei­ ziges, gewaltiges Glasbauwerk stand.
nem Sinn gewesen wäre.« Die gläserne Basilika bildete eine
Cosmuel suchte Kantirans Hand, ver­ dreischiffige Halle, unterteilt von zwei
schränkte die Finger in seinen. »Du hast Säulenreihen. Sogar von hier oben war
dein Bestes getan, Kantiran, und mehr das Blitzen zu erkennen, mit dem die
als das. Glaub mir, er wäre dankbar.« Kristallisationskerne in den flüssig ge­
Ihr Geliebter wand sich im Sitz neben füllten Säulen wie miniaturisierte No­
ihr, als müsse er eine bequeme Haltung vae zerfielen, um sich gleich darauf
suchen, dann richtete er seinen Blick auf schimmernd neu zu bilden.
die schlichte, metallene Box, deren Die Kapsel setzte auf.
Oberseite aus gelbem Glas bestand, Die Tür zu ihrer Kabine öffnete sich
durch das sich Schlieren in allen Farben zischend. Polm Ombar stampfte herein.
des Spektrums zogen. Die Box maß etwa »Müssen wir das wirklich tun? Ein An­
zwei auf einen Meter, und wenn man ge­ tigravprojektor ...«
nau hinsah, konnte man durch das ge­ »Die Pietät verbietet es den Heesor­
färbte Glas Chyndors Körper sehen. tern«, unterbrach Kantiran. Er atmete
»Er ist dankbar, wenn man dem Glau­ tief durch, trat an Chyndors Sarg und
ben und dem Ritual der Heesorter folgt«, öffnete die Glasplatte.
sagte Kantiran. Zweifellos ging es ihm genau wie Cos­
»Wenn du Chyndor gefragt hättest – muel. Was an einem Antigravfeld pietät­
glaubst du, er wäre tatsächlich der Mei­ loser sein sollte als an dem, was sie nun
nung gewesen, dass er uns nach seinem tun mussten, konnte sie sich nicht vor­
Tod noch hören kann?« stellen. Aber sie akzeptierte es. Fremde
»Das steht nicht zur Debatte, Cosmu­ Völker, fremde Sitten. So einfach war
el. Das ist nicht die Frage, die wir uns das.
stellen sollten. Zumindest nicht in den Ein Schwall muffiger Luft drang aus
nächsten zwei Stunden.« dem Sarg. Cosmuel unterdrückte ein
Die Kapsel setzte zur Landung an. Würgen. Seit sie Rosella Rosado erreicht
Mühsam riss sich Cosmuel vom An­ hatten, war der Leichnam mit keiner
blick des halb gläsernen Sarges los und Technologie mehr in Berührung gekom­
schaute wieder aus der Sichtscheibe. men, also auch nicht gekühlt worden.
Die zerklüfteten Gipfel schroffer Ebenso war es nach alter Sitte nicht
Hochgebirge ragten in einen glasklaren gestattet, dem Körper konservierende
Himmel. Über die gewaltigen Abhänge Chemikalien zuzufügen.
trieben vereinzelte Nebelfetzen. Die Zu dritt beugten sie sich und hoben
ASH AFAGA spiegelte sich in einem den toten Patron aus dem Sarg.
großen Bergsee, dessen Oberfläche voll­ Mit ihrer Last verließen sie die Kap­
kommen glatt lag. Ein geierartiges Tier sel. Cosmuel hielt eines der Beine am
mit ledrigen Schwingen glitt darüber; Unterschenkel umfasst, Kantiran das
Die Gründermutter 19

andere. Der Revisor umfasste mit seinen Er zog einen Metallstab aus einer Ta­
Pranken die Schultern des Toten, doch sche seiner Hose und drückte einen
er ging so vorsichtig vor, als trüge er fei­ Knopf. Fauchend entstand eine Flamme
nes Porzellan. an der Spitze des Stabs. Kantiran ließ
Alles war vorbereitet, das Grab ge­ ihn fallen.
richtet – ein Hügel aus aufgeschichteten Eine kleine, feurige Spur waberte
Steinen, in den eine Mulde geschmolzen durch die Luft.
worden war. In den wie gläsern schil­ »Da ist noch jemand«, flüsterte Kan­
lernden, als Wanne wieder erstarrten tiran.
Steinen spiegelte sich der Himmel, über Der Stab landete auf dem Toten. Die
den vereinzelte Wolken trieben. kleine Flamme fand plötzlich Nahrung
Sie gingen durch die Menge aus min­ in dem Öl, mit dem der Körper über und
destens tausend Friedensfahrern, die über besudelt war.
sich zu Chyndors Ehre versammelt hat­ »Jemand beobachtet uns, Cosmuel.«
ten und ehrfurchtsvoll eine Gasse frei »Jemand?«
machten. Auf diesem Teil des Hochpla­ »Die Gründermutter.«
teaus standen sie dicht an dicht; Fauchend loderten Flammen hoch
wahrscheinlich hatten sich nie zuvor an und erfüllten die gesamte Grube mit
diesem stillen Ort so viele Wesen aufge­ weiß glühender Hitze.
halten.
Ombar, Kantiran und Cosmuel bette­ *
ten Chyndor in die Mulde.
Der Revisor hob als Erster eine der Chyndor, du Heesorter und großer
bereitstehenden Flaschen und schleu­ Mann, du hast dein Werk vollendet und
derte sie neben die Leiche, wo sie klir­ bist am Ziel angekommen!
rend zerbarst. Splitter sausten umher, Dein Weg war überschattet von Düs­
und dunkle, ölige Flüssigkeit quoll unter ternis, die aus einer weit entfernten Ga­
den Toten, wurde von dessen Kleidung laxis strömte und immer noch strömt.
aufgesaugt. Es roch harzig. Der Revisor Dennoch bist du ihn gegangen, und dei­
zog sich zurück. ne Botschaft an jeden Einzelnen, der
Cosmuel griff ebenfalls nach einer sich zu deiner Ehre versammelt hat, wa­
Flasche, als sie hörte, wie Kantiran auf­ ge ich in diese Worte zu fassen:
stöhnte. Verwirrt warf sie ihm unauffäl­ Folgt mir auf diesem Weg, egal wo er
lig einen Blick zu. Er stand mit geschlos­ endet.
senen Augen da. Hört her, Friedensfahrer, denn dies ist
»Was ist mit dir?«, fragte sie leise und das Vermächtnis des Heesorters Chyn­
zerschmetterte das Gefäß am Boden der dor, der kürzer Patron war als jeder an­
Mulde dere vor ihm in diesem Amt. Der Kampf
»Wir sind nicht allein.« gegen die Negasphäre muss weiterge­
»Natürlich nicht. Da unten stehen all hen. Chyndor wusste, dass der neue
die ...« Kurs des Geheimbundes womöglich mit
»Das meine ich nicht.« Kantiran hob dem Tod vieler endet. Ihn hat es zuerst
die letzte Flasche mit dem Salböl und getroffen.
schleuderte sie, so wuchtig, dass die Ohne jeden Zweifel werden Lebewe­
Scherben bis zu ihnen spritzten. Es sen getötet, weil sie gegen dieses mörde­
klimperte leise vor Cosmuels Füßen. rische, kranke Gebilde im Kosmos vor­
»Chyndor, du Heesorter und großer gehen, das Milliarden von Existenzen
Mann«, rief Kantiran zur Menge der und unzählige Welten auszulöschen
Trauergäste und zu dem Toten, der nach droht.
dem Glauben seines Volkes alles hörte. Heute sind wir traurig wegen Chyn­
»Du hast dein Werk vollendet und bist dor, und es ist, als atme der Kosmos
am Ziel angekommen!« durch, um Luft zu holen, um Kraft zu
20 CRISTIAN MONTILLON

schöpfen, damit wir weitergehen kön­ langt, hatte alle geblendet. Irgendwie
nen. war es ihr sogar gelungen, den Test
Ja, wir trauern, und doch gibt es Hoff­ durch die Heiße Legion zu bestehen.
nung, die durch die Finsternis bricht, ein Wahrscheinlich hatte die Legion sie
Licht, das auch eine Negasphäre nicht schlicht für zu unbedeutend gehalten,
auslöschen kann. Gehen wir weiter, wie für einen Niemand, nicht schädlich, aber
Chyndor weitergegangen wäre. Vereinen auch nicht nützlich. Was konnte sie
wir uns mit all jenen, die gegen die Ne­ schon groß bieten? Ein hübsches Gesicht
gasphäre vorgehen. und einen attraktiven Körper, zumin­
Chyndor, du Heesorter und großer dest nach humanoiden Maßstäben.
Mann, du Patron der Friedensfahrer, du Darauf konnten die Friedensfahrer
hast dein Werk vollendet und bist am auch verzichten. Farigu sah bittere
Ziel angekommen. Wir noch nicht. Aber Zeiten kommen, wenn sich heutzutage
wenn sich einst viele an meinem Grab jeder in den Geheimbund einschleichen
versammeln werden, so hoffe ich, dass konnte.
sich jemand findet, der dieselben Worte Aber gut – vielleicht irrte er sich auch.
spricht, der dieselbe Botschaft bringt. Er war Realist genug, dies durchaus für
Dann werden sie hoffentlich an möglich zu halten, denn auch er war
meinem Grab tanzen, wie wir es nun an nicht unfehlbar. Vielleicht würden ihm
deinem tun. Tanzen, um die Zukunft zu die folgenden Minuten bereits einen ers­
begrüßen und der Ewigkeit zu geden­ ten Aufschluss geben.
ken, in die du eingegangen bist. So Andererseits ging ihn dies nichts an.
ehren wir dich nun, indem wir unser Er hatte eine andere Mission zu erfüllen,
Leid in Freude verwandeln und deiner als die neue Friedensfahrerin Cosmuel
gedenken. Kain auf ihre Nützlichkeit hin zu über­
Mögen die Flammen prasseln. prüfen. Eine weitaus wichtigere Missi­
Mögen die Beine tanzen. on. Und da stand vor allem eine Person
Mögen die Seelen schwingen.« ganz eindeutig im Weg: Kantiran. Auch
Kantiran Rhodan wenn er sich selbst seiner Bedeutung of­
am Grab seines Mentors fensichtlich noch nicht bewusst war,
würde er zu einer zentralen Figur im
Spiel um die Macht werden und damit
4. auch in der Zukunft der Friedensfahrer.
Garant-iert Eine Zukunft, die es nur dann noch lan­
ge geben würde, wenn er, Farigu Scot
Die Flammen waren längst erstickt, Elien, zum neuen Patron gewählt wer­
die Menge hatte sich verlaufen. Nur den würde.
noch zwei Personen standen auf dem Er bewegte sich vollkommen lautlos
Grabhügel – Kantiran Rhodan und seine auf die beiden zu, wie es eine Eigenart
Geliebte, diese Cosmuel Kain, die erst seines Volkes war. Kantiran und Cosmu­
vor Kurzem in die Reihen der Friedens­ el bemerkten ihn nicht. Umso besser.
fahrer aufgenommen worden war. Wenn er sich auf diese Art und Weise vor
Genau genommen, dachte Farigu Scot der Kontaktaufnahme ein erstes Bild
Elien, ist Kantiran auch noch nicht lan­ machen konnte, würde das gewiss nicht
ge dabei. Zwei Jungspunde, die das schaden.
Glück hatten, Chyndors Günstlinge zu Scot Elien schlich weiter, stülpte die
sein. Oder sich, wie im Fall dieses Weibes, Lauffüße so aus, dass sie durch die Scha­
an einen von Chyndors Günstlingen her­ lenform jedes Geräusch schluckten, das
angemacht haben. das Aufsetzen auf dem losen Gestein
Er hielt nicht viel von dieser Cosmuel notgedrungen bewirkte. Auch achtete er
Kain. Nur wegen irgendeines Tricks war sorgsam darauf, dem Wind keinen Wi­
sie in den Kreis der Friedensfahrer ge­ derstand zu bieten, der die Kutte hätte
Die Gründermutter 21

flattern lassen können – per hypersta­ Stechen in Höhe der Brust ausweiten
tischen Impuls verhärtete er den Stoff zu würde ... So ging es ihm immer, wenn er
einer Rüstung, die jede Bewegung ge­ etwas hörte, was starke Emotionen in
schmeidig nachvollzog. ihm weckte. Die Gründermutter? Lä­
»Lass uns endlich darüber reden«, cherlich.
forderte Cosmuel Kain in diesem Augen­ »Damals haben wir sie nicht gefun­
blick. »Wie kommst du darauf? Ich sehe den, und heute werden wir ...«
nichts und niemanden!« Kantiran hob die Hand, strich über
Scot Elien blieb bewegungslos stehen. Cosmuels Wange und legte den Zeigefin­
Das klang interessant. Er aktivierte die ger auf ihre Lippen. Sie verstummte und
Tarnfunktion seiner Rüstung. Nun war blickte ihn fragend an.
er zwar nicht unsichtbar, wie es bei »Nicht, dass wir irgendetwas zu ver­
einem leistungsstarken Deflektor der bergen hätten«, rief Kantiran. »Aber wo
Fall gewesen wäre, aber doch bei nur wir herkommen, ist es ein Gebot der
flüchtigem Hinsehen nicht wahrzuneh­ Höflichkeit, zu allen Gesprächspartnern
men. Eigentlich wandte er diese Tarnung zu reden und niemanden auszuklam­
im System der Friedensfahrer nicht an, mern. Deshalb, mein lieber Gast ...« Er
aber was war in diesen Tagen schon ei­ drehte sich um. »... wäre es nett, wenn du
gentlich? Besondere Zeiten erforderten hochkommst, damit wir gemeinsam dis­
nun mal besondere Mittel. kutieren können. Oder ist es dir unange­
Kantiran starrte offenbar ins Leere – nehm, so nahe an Chyndors Grab zu
Farigu konnte sich nicht vorstellen, dass stehen? Es gehört zur Sitte seines Volkes,
er noch immer die wenigen Überreste dass ein Freund noch exakt 77 Minuten
betrachtete, die nach dem Feuer von sei­ Totenwache hält, ehe Roboter die Über­
nem ehemaligen Freund und Gönner reste unter Steinen begraben, also wirst
Chyndor noch existierten. du entweder zu uns kommen müssen,
»Sie ist hier«, sagte der Mensch. oder wir vereinbaren einen Treff­
Sie? Wen meinte er damit? Wenigstens punkt.«
konnte sich der heimliche Beobachter Scot Elien löste sich aus der Starre. Es
sicher sein, dass die beiden nicht über stach bereits in der Brust. Viel früher als
ihn sprachen. Sie hatten ihn nicht ent­ erwartet. Nicht ärgern, sagte er sich. Soll
deckt. er doch glauben, souverän über den Din­
Cosmuel lachte, und es klang in Fari­ gen zu stehen und mich ausgespielt zu
gus Ohren unangenehm schrill. »Hast du haben. Willst du mich demütigen, Kan­
einen Beweis? Oder fühlst du es nur? Ist tiran? Das wird dir nicht gelingen.
das nicht eigentlich mein Part ... Ich Er ging einige Schritte. »Ich kenne die
meine, immerhin bin ich die Frau.« heesortischen Gepflogenheiten leider
»Lass das nicht Mondra hören – der nicht so gut wie du. Aber von Höflichkeit
würde es nicht gefallen, wie du die Frau- verstehe ich etwas. Farigu Scot Elien
en abstempelst.« Endlich wandte er den mein Name. Wir hatten persönlich noch
Blick. nicht das Vergnügen. Dennoch kenne ich
Obwohl er Farigu sehen musste, blieb euch, es ist nicht nötig, dass ihr euch
dieser völlig ruhig. Tatsächlich verhin­ vorstellt.«
derte die Tarnung, dass Kantiran den Sogar das Weib grinste impertinent
heimlichen Beobachter wahrnahm. souverän. Oh, wie gut sie zu ihm passte.
Stattdessen schaute Kantiran seiner Ge­ »Wir kennen dich ebenfalls, Farigu. Du
liebten in die Augen, legte den Arm um bist ein Manger, nicht wahr?«
sie. »Die Gründermutter beobachtet uns. »Mein Volk mag diese Bezeichnung
Es ist genau wie damals.« nicht. Wir bevorzugen es, uns Mangiden
Farigu Scot Elien fühlte das charak­ zu nennen. Manger hat in unseren Ohren
teristische Blubbern in der Magenge­ den Beigeschmack einer Demütigung.
gend, das sich bald zu einem bösartigen So wurden wir offiziell in den Akten un­
22 CRISTIAN MONTILLON

serer Unterdrücker geführt. Verständli­ gefährlich werden könnte. Du bist be­


cherweise sind wir darüber nicht begeis­ liebt, Kantiran, auch wenn ich es nicht
tert.« verstehen kann. Wirst du kandidieren?
»Verständlich. Was können wir für Immerhin bist du einer der Garanten,
dich tun? Oder bist du hier, um Chyndor genau wie ich.«
die letzte Ehre zu erweisen?« Die Antwort kam sofort, ohne das ge­
»Ich wollte eine Frage stellen«, sagte ringste Zögern. »Ich? Garantiert nicht.
Scot Elien. »Und etwas ankündigen. Ich Aber weil du ehrlich und offen warst,
bekenne mich zu den alten Werten des will ich es genauso sein. Wenn du ge­
Bundes der Friedensfahrer. Meiner Mei­ wählt wirst und deine Ziele durchsetzt,
nung nach müssen wir weg von den ak­ wäre das katastrophal.«
tiven, militärischen Eingriffen, die sich Farigu lächelte. »Danke.«
gegen die Negasphäre richten.«
»Eine ehrenwerte Meinung in Zeiten *
des Friedens, zweifellos«, sagte Kanti­
ran. Besser hätte es nicht laufen können.
»Es ist mehr als das. Es ist die Dok­ Kantiran war ein Narr, wenn er die
trin, die seit jeher das Leben der Frie­ Chance nicht ergriff. Offenbar lag ihm
densfahrer bestimmte. Etwas Grundle­ weder etwas an der Macht noch daran,
gendes. Etwas Wichtiges. Wir streiten die Friedensfahrer zu führen. Genauso
für das Leben an sich. Der Kampf gegen hatte er ihn eingeschätzt. Ein verhäng­
die Negasphäre hat keinen Platz bei ...« nisvoller Fehler, wie ihn Narren eben
»Ich weiß, was du sagen willst«, un­ begingen. Schon deshalb taugte er nicht
terbrach Cosmuel. »Ich habe die eine als Friedensfahrer, ebenso wenig wie
oder andere Rede von dir gehört. Du ge­ seine Geliebte.
stattest, dass wir anderer Auffassung Ohne Kantiran würde es keinen ernst
sind. Falls du gekommen bist, um uns zu zu nehmenden Gegenkandidaten geben.
überzeugen, so sei dir gesagt, dass dein Wunderbar.
Weg leider umsonst war. Außerdem ist es »Eins noch«, rief Kantiran ihm nach.
geschmacklos, an Chyndors Grab dar­ Farigu blieb widerwillig stehen und
über zu reden. Er würde sich schämen, wandte sich um.
solche Worte zu hören.« »Bis zur Wahl sind es noch zwei Tage.
Wie gut, dass er keine Ohren mehr hat. Bis dahin kann noch viel geschehen. Es
Farigu saugte Luft ein und drückte sie wird sich schon jemand finden, der ge­
in die Brust, um jene elenden Nadelsti­ gen dich kandidiert.«
che loszuwerden. Es gelang nur mit mä­ »Hoffentlich«, erwiderte Scot Elien,
ßigem Erfolg. »Ich stelle mich zur Wahl »denn eine freie Wahl entspricht ganz
als neuer Patron. Werde ich gewählt, hat meiner Sicht der Dinge. Die Vernunft
der Kampf gegen die Negasphäre ein wird siegen. Schließlich sind wir Frie­
Ende.« densfahrer, nicht wahr?«
Kantirans Gesicht blieb ausdruckslos,
als würde er eine Maske tragen wie die­ *
ser andere Terraner in den Reihen der
Friedensfahrer. Es ist so weit:
Cosmuel verschränkte die Arme vor Das Schicksal der Friedensfahrer
der Brust. »Du wolltest uns etwas fra­ steht auf dem Spiel.
gen?« Diese Wahl bestimmt nicht etwa dar­
Farigu wies auf Kantiran. »Ihn, um über, wer der neue Patron unseres Ge­
genau zu sein. Du hast von Höflichkeit heimbundes sein wird. Zumindest nicht
gesprochen. Also spreche ich offen. Ich nur. Versteht mich nicht falsch: Ich weiß,
wollte mich bei dem vorstellen, der mir dass eine solche Wahl immer weitrei­
als Einziger bei meiner Wahl zum Patron chende Konsequenzen nach sich zieht.
Die Gründermutter 23

Doch dieses Mal ist es noch weitaus be­ Und nun? Stelle ich mich gegen unse­
deutender. re Gründermutter?
Wählt Farigu Scot Elien, und wir wer­ Nein!
den uns aus dem Kampf gegen die Ne­ Nichts liegt mir ferner.
gasphäre zurückziehen. Ich stelle mir nur eine Frage: Wenn sie
Wählt mich, und wir werden weiter heute bei uns wäre, wenn sie heute das
gegen dieses kosmische Monstrum vor­ Credo zu formulieren hätte – würde sie
gehen. nicht anders entscheiden? Würde sie
Das ist die wahre Alternative, vor der nicht selbst ein Plädoyer für eine Aus­
wir in diesen Tagen stehen – das und nahme führen?
nichts sonst. O ja, das würde sie.
Lasst mich dazu einige Erklärungen Und deshalb dürfen wir nicht zulas­
abgeben. Mein Gegner behauptet, ich sen, dass Farigu Scot Elien zum neuen
würde seine Argumente totschweigen. Patron gewählt wird und den Kampf ge­
Da stellt sich mir eine Frage: Argu­ gen die Negasphäre beendet. Er muss
mente? Welche Argumente? Meint er et­ weitergehen. Denn dies ist der Grund,
wa jene von Grund auf falsche, verdor­ warum Farigus neues Credo eine Lüge
bene Ansicht, die er wieder und wieder ist: Er lügt, weil er kurzsichtig ist. Erst
zum Besten gibt? wenn wir nicht mehr gegen die Nega­
Durch Wiederholung wird sie kaum sphäre angehen, erst dann wird unser
besser. Geheimbund ausgelöscht werden.
Ihr alle habt es schon einmal gehört, Denn dann wird es bald kein »Leben
also scheue ich mich nicht, es zu wieder­ an sich« mehr geben in diesem Bereich
holen. So viel zum Thema »Totschwei­ des Universums, für das wir eintreten
gen«. Also – was sagt er? Hört gut zu. können.
»Wenn die Friedensfahrer weiterhin »Entwurf einer Rede für Kantiran
gegen die Negasphäre kämpfen, werden (ohne Hoffnung, dass er diese Worte
sie ausgelöscht werden. Wir werden alle jemals sprechen wird)«
sterben.« von Cosmuel Kain
Einfach so. Das ist Farigu Scot Eliens
Weisheit. Klingt gut, das kann ich bestä­
tigen. Es ist einfach. Es ist eingängig. Es 5.
windet sich geradezu im Ohr, schmei­ Die Gedanken einer Frau
chelt vielleicht unserem Ehrgefühl –
denn keiner will doch, dass unser Ge­ »Die Gründermutter«, sagte Cosmu­
heimbund ausgelöscht wird. Es appelliert el.
an unsere Heldenhaftigkeit. Körperlich fühlte sie sich wohl. Die
Aber es ist eine Lüge. Matratze im Schlafraum ihrer neuen
Ja, ich erdreiste mich, es beim Namen und alten Wohnung war so bequem, dass
zu nennen! Es ist eine Lüge! man ein neues Wort dafür hätte erfinden
Nicht etwa eine falsche oder verdrehte müssen – bequem schien viel zu nichts­
angebliche Tatsache. Farigu Scot Elien sagend zu sein. Der stete Luftstrom
weiß genau, dass er nicht im Recht ist. durch individuell arrangierte Düsen gab
Er pocht auf das Credo der Friedensfah­ Cosmuel das Gefühl, schwerelos zu
rer, das aus alter, längst vergessener Zeit schweben, ohne dass sie dabei von der
stammt. Angeblich hat die Gründermut­ für sie typischen Raumübelkeit gequält
ter selbst es einst formuliert. Ich glaube wurde. Jeder einzelne Muskel entspann­
daran, dass sie es tatsächlich war! Ich te sich wie nie zuvor. »Wir brauchen
glaube an sie, und ich glaube an uns alle. dringend mehr Informationen über
Wir sind Friedensfahrer, und alles, was sie.«
wir sind, spiegelt sich in unserem Ge­ Kantiran seufzte. Sie kannte diesen
heimbund wider. ganz speziellen Laut. Er gab ihn nur
24 CRISTIAN MONTILLON

dann von sich, wenn sie ihn in den we­ muss, um sie zu finden. Sie ist ein Lebe­
nigen Momenten störte, in denen er sich wesen und sie ...«
absolute Ruhe wünschte. »Wir wissen »Du klingst ganz so, als müsstest du
alles, was wir wissen müssen. Außerdem dich selbst davon überzeugen.« Cosmuel
arbeite ich gerade und habe keine Zeit schwang die Beine aus dem Bett, fühlte
für wilde Spekulationen!« ein letztes Mal das Kitzeln des Luft­
Cosmuel setzte sich auf und unter­ stroms an ihren Beinen und ging zu ih­
drückte mühsam eine pampige Antwort. rem Geliebten, blieb direkt vor seinem
»Vergleich die Aufnahmen später wieder Sessel stehen.
miteinander. Und komm her zu mir.« Er lehnte den Kopf gegen ihre Brust.
Trotz ihrer Worte blieb sein Blick an Seine Schultermuskulatur wölbte sich
der großen Kommunikationseinheit angespannt auf. »Vielleicht will ich das
hängen. Dort liefen die automatischen tatsächlich. Ich will einen Unterschied
Aufzeichnungen ab, die er während der sehen, der sich nur dadurch erklären
Beerdigungszeremonie erstellt hatte, als lässt, dass ein Intelligenzwesen in dieser
erwarte er eine Offenbarung. Allerdings angeblich unbewohnten Gegend lebt.
tat er genau das seit etwa drei Stunden, Vielleicht hat Chyndor nur aus dem ei­
und herausgefunden hatte er nichts. nen Grund genau dort eine Beerdigung
Cosmuel hatte in der Zwischenzeit ver­ gewünscht, weil er im Grunde seines
sucht zu schlafen, dann über ihre aktu­ Herzens denselben Verdacht gehegt hat.
elle Lage nachgedacht und schließlich Er wollte, dass wir die Gründermutter
die Struktur einer neuen Kurzgeschich­ finden.«
te entwickelt. »Kann es sein, dass du ein wenig zu
Nun hatte sie genug. viel interpretierst? Du verlierst den Be­
»Rede mit mir, Kantiran! Du bist ja zug zur Realität! Der Schmerz über
geradezu besessen davon, dir diese Bil­ Chyndors Verlust ...«
der wieder und wieder anzusehen. Du »... hat damit nichts zu tun!«
wirst auch beim tausendsten Mal nichts »Wenn du es sagst – aber ich bin mir
finden.« nicht sicher, ob du es selbst glaubst.«
Er schloss die Augen, rieb sich mit Er schlang die Arme um ihre Hüfte.
Daumen und Zeigefinger über die Lider. »Eines kann ich dir mit Sicherheit sa­
Er sah aus, als würde er jeden Moment gen: Wenn sie dort ist, müssen wir sie
aus seinem Sessel fallen oder zumindest finden.«
darin einschlafen. Kein Wunder – er hat­ »Ein Wesen wie sie? Sie hat sich schon
te sich seit ihrer Ankunft im System der nicht finden lassen, als wir beim letzten
Friedensfahrer kaum einen Moment Ru­ Mal nach ihr gesucht haben. Was hat
he gegönnt. Etwas trieb ihn um. Er re­ sich geändert? Nichts.«
dete nicht darüber, doch Cosmuel konn­ »Chyndor ist tot. Und unser Bund
te sich genau vorstellen, was ihn so sehr steht am Scheideweg. Vielleicht genügt
mitnahm. das.«
»Es gibt einen Unterschied, zwischen »Hast du schon einmal daran gedacht,
den Filmen! Ich weiß es! Da muss etwas dass sie vielleicht einfach keine Lust
sein, was mehr ist als nur die normale mehr hat? Dass sie ihre Aufgabe für er­
jahreszeitliche Veränderung. Die Auf­ füllt hält? Sie war eine Verbündete der
zeichnungen, die ich gestern mit meiner Superintelligenz LICHT VON AHN, die
Kamera erstellt habe ... und die Bilder in der Sonne Rosella Rosado ihr Grab
von meinem letzten Besuch bei der Glas­ gefunden hat. Nach allem, was wir wis­
basilika – etwas muss unnatürlich sein! sen, hat die Gründermutter vor etwa
Die Gründermutter war gestern anwe­ zweieinhalb Jahrtausenden die letzten
send, sie ist immer dort, sie beobachtet Überlebenden der beiden Völker der
ihre Kinder, die Friedensfahrer, und das Enthonen und Varia gesammelt und mit
hinterlässt Spuren, die man nur lesen ihnen die Friedensfahrer ins Leben ge­
Die Gründermutter 25

rufen. Ohne das LICHT VON AHN wäre 1347 NGZ, am Tag vor der Wahl des neu-
das nicht möglich gewesen, ohne den en Patrons.
Schutz, den diese Entität ihr gab.« Kantirans Kopf lag auf ihrem Bauch,
Kantiran wischte ihre Ausführungen ihre Finger in seine Haare gewühlt.
mit einer Handbewegung beiseite. »Sie »Fürchtest du dich davor herauszufin-
hat nicht all die Zeit überlebt, weil sie den, wer oder was die Gründermutter
kein Lebensziel mehr hatte. Nein, glaub ist?«
mir, sie wird die Gelegenheit nutzen und »Nein«, sagte sie. »Ich frage dich
sich uns offenbaren. Jetzt naht der ernsthaft: Wollen wir die Vergangenheit
Kampf gegen eine Negasphäre, den sie der Friedensfahrer demontieren? Wer­
gewinnen kann, und deswegen wird sie den wir uns dann am Ende nicht fragen
dabei sein!« müssen, ob wir in diesem Geheimbund
»Klammere dich nicht zu sehr an die­ überhaupt irgendetwas zu suchen ha­
se Hoffnung! Wir können eher von der ben? Falls man uns nicht ohnehin hin­
Heißen Legion Hilfe erwarten. Die Legi­ auswirft, heißt das. Ich fühle mich ein
on, die Enthonen, die Hinterlassen­ bisschen wie ein schmieriger Trivid-Re­
schaften wie die OREON-Kapseln oder porter in einer dieser alten Komödien.«
die Bahnhöfe, alles hängt miteinander Er ruckelte mit dem Kopf, wie er es
zusammen ... und womöglich muss unser immer tat, wenn sie ihn am Nacken
Ansatzpunkt nicht bei den Friedensfah­ kraulte und damit aufhörte; ein wenig
rern direkt liegen.« erinnerte es sie an einen treuen Hund,
Kantiran runzelte die Stirn. »Mh. Doch, der mit der Pfote über den Unterschen­
genau bei den Friedensfahrern müssen kel seines Herrchens kratzte, um weiter
wir ansetzen! Der neue Patron ...« gestreichelt zu werden.
Cosmuel unterbrach ihn mit einem »Das kann man doch gar nicht ver­
Lachen. gleichen«, wehrte er ab. »Wir demontie­
»Weißt du, was ich neulich getan ha­ ren nicht, wir erforschen etwas. Das ist
be?«, fragte sie. »Bevor wir zur Beerdi­ etwas völlig anderes.«
gung aufgebrochen sind?« »Glaubst du nicht, dass es Geheim­
»Was hat das jetzt damit ...« nisse gibt, an denen man nicht rütteln
»Ich habe dir eine Rede geschrieben sollte?« Ihre Finger bewegten sich me­
für den Fall, dass du doch noch kandi­ chanisch, die kurz geschorenen Haare
dieren wirst.« Sie hob die Hand, legte im Nacken stachelten wie ein junger
die Finger auf seine Lippen. »Sag nichts Igel. »Nur mal angenommen, du findest
– ich kenne deine Meinung. Dennoch ha­ sie tatsächlich. Willst du sie zwingen, an
be ich es getan. Nenn es eine Finger­ die Öffentlichkeit zu treten? Damit sie
übung für meine schriftstellerischen die Friedensfahrer zum Kampf gegen die
Fähigkeiten. Aber ich sehe, dass du be­ Negasphäre aufruft? Nach allem, was
reit bist.« wir wissen, könnte es ebenso gut sein,
»Bereit? Das kannst du haben!« dass sie es ablehnt wie die Enthonen.«
Er packte mit beiden Händen ihre Er schwieg.
Wangen und küsste sie. Sie sah, wie sich seine Nackenmusku­
Dass sie nur Sekunden später auf die latur verspannte.
herrlich bequeme Matratze fiel, bemerk­ Ich darf es nicht zu weit treiben, dach­
te sie kaum. te sie. Aber ich muss ihn auf die Gefahr
hinweisen, die er in seiner Begeisterung
* gar nicht sehen will. Oder kann. Er hat
sich etwas in den Kopf gesetzt, und so,
»Manchmal ist eine Antwort das Ein­ wie ich ihn kenne, wird er nicht davon
zige, was gefährlicher ist als eine Frage«, abrücken, wenn es nicht verdammt gute
orakelte Cosmuel viel später, in den frü­ Argumente gibt, die dagegen sprechen.
hen Abendstunden des 8. September »Was willst du tun, wenn die Grün­
26 CRISTIAN MONTILLON

dermutter dich zur Seite stößt und eine kel, setzte sich dann auf und schaute
ganz andere Botschaft verbreitet, eine, grinsend auf ihren nackten Oberkörper.
die dir nicht gefällt, die Farigu Scot »Eine tolle Rede. Ich bleibe dennoch bei
Elien aber zum Lachen bringt? Was meiner Entscheidung. Und noch etwas.
dann? Dann hast du alles nur noch Du hast recht. Ich werde die Gründer­
schlimmer gemacht.« mutter nicht finden.«
»Das wird sie nicht. Es kann einfach »Woher plötzlich dieser Schub an Ein­
nicht sein, wenn du dir die historischen sicht?«
Zusammenhänge vor Augen führst ... das »Einsicht? Du solltest mich besser
LICHT VON AHN ... die Enthonen und kennen. Und besser zuhören. Nicht ich
Varia ... alles hing mit dem Widerstand werde sie finden«, sagte er nachdrück­
gegen eine Negasphäre zusammen. Ir­ lich. »Wir beide werden es. Gemeinsam.
gendwie, wenn wir auch nicht wissen, Oder gar nicht.«
wie genau. Das ist doch die Crux des
Ganzen. Die Friedensfahrer sind gerade­ *
zu prädestiniert, ein Teil der Bewegung
zu sein, die gegen das Übel in Hangay Wenig später ging er wieder an die Ar­
vorgeht. Vielleicht werden wir dank der beit, und sie dachte nach.
herausragenden Technik sogar den ent­ Er schlüpfte in die Hose, die zerknit­
scheidenden Beitrag leisten. Warum soll­ tert auf dem Boden lag. Cosmuel zog die
te die Gründermutter also ...« dünne Decke höher und starrte auf die
»Warum?« Cosmuel drehte sich etwas, kosmisch blauen Wände. Es war völlig
Kantirans Kopf rutschte in ihren Schoß. still im Raum.
»Ich stelle dir auch eine Warum-Frage: Sie musste diesen wahnsinnig attrak­
Warum ist damals das Credo entstanden tiven, wahnsinnig engagierten und
mit all seiner Philosophie der Nichtein­ manchmal einfach nur wahnsinnigen
mischung in kosmische Belange? Ganz Mann dazu bringen zu kandidieren.
einfach, weil die Friedensfahrer genug Doch wie sollte sie das? Er erwies sich
hatten von Negasphären? Weil Anarchie als stur und uneinsichtig. Vielleicht soll­
besser ist als programmierter Unter­ te sie ihm ein Geschäft vorschlagen, das
gang? Mir gefällt es auch nicht, dass un­ in seinem Kern logisch klang. Ich suche
ser Bund sich plötzlich wieder zurück­ mit dir die Gründermutter – du lässt
ziehen könnte. Aber ich sag dir eins: dich zum Patron wählen.
Wenn du die Gründermutter findest, Sie kam sich dabei schäbig vor.
werden wir beide uns vielleicht schon Schließlich war Erpressung nicht gerade
bald von dem Geheimbund verabschie­ die allerbeste Voraussetzung dafür, auch
den müssen und unsere eigenen Wege weiterhin eine glückliche Beziehung zu
gehen. Es ist sehr gut möglich, dass wir führen.
dann bei den Friedensfahrern keinen Andererseits durfte sie sich solch
Platz mehr haben werden mit unserer kleinliche moralische Skrupel nicht leis­
Einstellung. Die Gründermutter zu su­ ten, wenn sie davon überzeugt war, das
chen ist der falsche Weg, wenn wir etwas Richtige zu tun. Und das war sie. Außer­
erreichen wollen. Stell dich zur Wahl. gewöhnliche Zeiten verlangten außerge­
Denk wenigstens drüber nach. Lass uns wöhnliche Mittel.
ein paar Stunden schlafen und dann die Aber was, wenn Farigu Scot Elien die
Nachricht verbreiten. Heute noch und Wahl gewann? Er war beliebt, er war re­
morgen, dann wird gewählt. Morgen in degewandt, und wahrscheinlich sehnte
den Abendstunden fällt die Entschei­ er sich tatsächlich nach dem Amt des
dung. Du musst gewählt werden, dann Patrons, weil er von der Lauterkeit sei­
kannst du alle dorthin führen, wo sie ner Haltung überzeugt war. Womöglich
hingehören.« war er ja auch im Recht. Kurzfristig zu­
Er biss spielerisch in ihren Oberschen­ mindest. Dass langfristig Kantirans
Die Gründermutter 27

Kurs der einzig sinnvolle und verant­ Ich will offen sein.
wortungsbewusste war, daran zweifelte Wenn es der Wille der Mehrheit der
sie keinen Moment. Friedensfahrer ist, wäre es das richtige
Aber wer würde in einer Wahlanspra­ Ergebnis, dass er unsere Führung über­
che oder gar in einer Propagandakam­ nimmt. Eine ganz einfache Rechnung.
pagne wohl mehr Eindruck schinden? Ich bin der Letzte, der sich gegen den
Scot Elien, der mit Feuereifer um jede Ausgang einer korrekten Wahl stellen
Stimme kämpfte, oder Kantiran, der würde. Auch wenn ich denke, dass sich
missmutig zu erkennen gab, dass er von Kantiran einige falsche Prämissen auf
seinen Freunden genötigt worden war? seine Fahnen geschrieben hat.
In jenem Bereich zwischen Wachen Es gibt nur ein Problem, und das sage
und Träumen, der weder Realität noch ich ebenso offen. Ich suchte das Gespräch
Phantasie war, traf sie die Gründermut­ mit Kantiran und stellte ihn direkt zur
ter, doch sie konnte ihr nicht ins Gesicht Rede. Wirst du kandidieren?, habe ich
sehen. Als dunkle, verschwommene Ge­ ihn gefragt. Denn ich denke, ihr alle habt
stalt huschte sie ebenso lautlos wie Fa­ ein Recht darauf, es zu erfahren.
rigu Scot Elien durch eine Steinland­ Warum hält er sich bedeckt?
schaft, die sich als jener Wald aus Warum, frage ich euch! Kann das im
reliefgeschmückten Stelen entpuppte, Sinn der Allgemeinheit sein, im Sinn des
von dem Kantiran ihr erzählt hatte – Fortschritts, im Sinn einer sicheren Zu­
oder war es Alaska Saedelaere gewesen? kunft für uns alle?
Jener Wald inmitten der Weißen Stadt Hiermit tue ich euch seine Antwort
auf dem Mond Rosella Enthon, der den kund, denn ihr verdient es, darüber in
Enthonen und Varia vorbehalten war Kenntnis gesetzt zu werden. Morgen am
und in dem der alte Patron Borgin Son­ Abend findet die Wahl statt, in weniger
dyselene seiner Tochter Samburi Yura als 40 Stunden. Und Kantiran schweigt.
gehuldigt hatte, die als die Frau Sam­ Ich jedoch nicht.
buri Yura in einer kobaltblauen walze Er wird nicht kandidieren, das versi­
im auftrag der kosmokrateninsall­ cherte er mir, auch als ich noch einmal
zogunddort ... nachhakte.
»Cosmuel!« Ich bedauere seine Entscheidung. Er
Sie schreckte auf, sprang förmlich aus verfolgt andere Ziele und Pläne, die für
dem Bett und stand mit wild pochendem ihn offenbar wichtiger sind als diese fun­
Herzen da, halb in Verteidigungsstel­ damental wichtige Wahl, die unser aller
lung, halb tranig vor Müdigkeit. Tri­ Schicksal beeinflussen wird. Doch egal,
umph stand überdeutlich in Kantirans wie ich oder wie ihr darüber denken
Gesicht geschrieben. mögt – es ist und bleibt seine Entschei­
Zwei Dinge wurden Cosmuel be­ dung. Sein Entschluss, den ihm niemand
wusst. nehmen kann. Möge er so handeln, wie
Das erste: Sie war immer noch nackt. er es für richtig hält.
Das zweite: Kantiran machte darüber Für eine Zukunft ohne den Kampf ge­
keine Bemerkung. gen die Negasphäre: Farigu Scot Elien.
Das konnte nur bedeuten, dass etwas Farigu Scot Elien
wirklich seine Gedanken gefangen über seinen angeblichen politischen
nahm. Ihm musste eine entscheidende Gegner
Entdeckung gelungen sein.

* 6.
Die Gedanken eines Mannes
Manche von euch reden davon, dass
Kantiran Rhodan der neue Patron wer­ »Es gibt naturgemäß eine Menge Ver­
den solle. änderungen auf Ospera.« Kantiran ließ
28 CRISTIAN MONTILLON

viele Bilder in rascher Folge auf dem Das Feld der kantigen Blumen war im
Bildschirm aufblitzen. Er kannte sie al­ ersten Augenblick kaum wiederzuer­
le, hatte sie so lange angestarrt, bis seine kennen, weil es in mattem Rot statt in
Augen getränt hatten. Bis sich jede Ein­ grellem Blau leuchtete – erst wenn man
zelheit in seinem Hirn eingebrannt hat­ diesen allzu offensichtlichen Unter­
te. schied akzeptierte, erkannte man, dass
Die Glasbasilika in ihrer Erhabenheit es sich um dieselbe Gegend handelte.
und Fremdheit auf dem Hochplateau. Die Vögel fehlten am Himmel, statt­
Ein felsiger Abhang, überwachsen dessen türmte sich eine graue Wolke auf,
von dürrem Gestrüpp. deren Form Kantiran unwillkürlich mit
Eine Ebene voller kantiger, unnatür­ einer tanzenden Meerjungfrau assoziier­
lich wirkender grellblauer Blumen, die te.
aussahen wie aus einem Bilderbuch für Ein Teil des flachen, kargen Hochpla­
Roboterkinder. Kantiran war dem Ur­ teaus erstreckte sich dort, wo später
sprung dieser eigenartigen Pflanzen Chyndors Grabhügel errichtet werden
nachgegangen, hatte schon vermutet, ir­ würde.
gendetwas sollte auf diese Weise stüm­ Kantiran ließ die Bilder noch einmal
perhaft getarnt werden. Das Ergebnis durchlaufen. »Ospera verfügt über ein
war ernüchternd. Die Blumen ent­ aktives Klima, und es gibt eine zwar
stammten so sehr einem natürlichen Ur­ zahlenmäßig kleine, aber sehr aktive
sprung wie er selbst, waren das Produkt Fauna, die diese Gegend bevölkert. Man
einer Laune der Evolution. Der Frie­ würde auf den ersten Blick kaum glau­
densfahrer T’aih-moo hatte den Samen ben, dass es sich um dieselben Aufnah­
vor achthundert Jahren von seiner Hei­ men handelt.«
matwelt mitgebracht und in seiner Woh­ »Du willst damit klarmachen, dass
nung in Ellegato angepflanzt, um das sich im Laufe der Jahreszeiten ohnehin
Blütenwechselspiel nicht missen zu alles ändert. Unter diesen Umständen ist
müssen, das seine Psyche beruhigte. es äußerst schwierig, die Spuren eines
Dort war der Samen nie aufgegangen, einzelnen Intelligenzwesens nachzuwei­
hatte allerdings irgendwie den Weg zum sen, das sich vielleicht in dieser Gegend
Kapellenmond gefunden und dort nach verbirgt. Oder vielleicht auch nicht.« Sie
einer Anpassung an die schroffen klima­ verschränkte die Arme vor der Brust.
tischen Verhältnisse eine biologische Ni­ »Nun, die Demonstration ist dir gelun­
sche erobert. gen. Ich warte.«
Ein Ausschnitt des Himmels, vor dem »Worauf?«
zwei geierartige Ospera-Vögel flogen, »Darauf, dass du mir sagst, was du
die die braun-blauen Flügel weit aus­ trotzdem entdeckt hast.«
breiteten. Er legte ein neues Bild auf den Schirm
Chyndors Grabhügel. und fror es ein. »Hier. Ich habe mich so
»Das sind Bilder von gestern. Jetzt lange mit den Unterschieden befasst,
folgen Aufnahmen von unserem zurück­ dass ich nicht bemerkte, dass der ent­
liegenden Aufenthalt, aus jeweils exakt scheidende Hinweis auf ganz anderer
denselben Blickwinkeln.« Ebene verborgen liegt. Ich kam erst dar­
Die Glasbasilika stand ebenso erha­ auf, als ...« Er stockte. »Nun ja, als du
ben wie zuvor, selbstverständlich. Es mich abgelenkt hast. Das machte ir­
herrschten lediglich andere Wetterbe­ gendwie meinen Kopf frei für neue Ge­
dingungen, feiner Nieselregen lag in der dankenansätze.«
Luft und schuf ein verschwommen­ »Auch eine Methode der Problemlö­
dunstiges Bild. sung.« Cosmuel griff beiläufig nach ih­
Das Gestrüpp auf dem Felsenhang rem Shirt, das am Fußende des Bettes
war sattgrün und mit winzigen lila Blü­ lag, und schlüpfte hinein. Dann kam sie
ten besprenkelt. näher und musterte die Aufnahme des
Die Gründermutter 29

mit Büschen bewachsenen Abhanges, in deren holografisches Abbild selbst­


dem der Eingang einer Höhle gähnte, verständlich keinen Widerstand bot.
halb verborgen unter Ästen. »Niedliches Tierchen.«
»Das ist alles?« »Würde ich nicht sagen. Im Original
»Warte ab.« Kantiran lächelte und be­ hat dieser Vogel immerhin eine Spann­
fahl mit dumpfer Stimme: »Holo extra­ weite von guten zwei Metern. Die Kralle
hieren!« misst fünfzehn Zentimeter. Wohlge­
Vom Bildschirm löste sich die Auf­ merkt, die Kralle, nicht etwa die gesamte
nahme der Höhle, schob sich in den Klaue. Aber zurück zur Sache. Weswe­
Raum, glitt dabei über Kantirans Ober­ gen ich dir dieses Bild zeige – ich habe
körper und zauberte einen bizarren Mo­ acht Aufnahmen, in denen ein oder zwei
ment lang ein Muster aus Büschen und Ospera-Vögel die Höhle anfliegen.«
Blüten auf sein Gesicht. Der Höhlenein­ »Ob darin ein Bär oder ein Vogelpär­
gang begann am Kinn und zog sich über chen haust, macht keinen Unterschied.
die Brust. Worauf willst du hinaus?«
Das Bild erreichte den Freiraum zwi­ »Die Vögel mögen groß sein – aber die
schen Kantiran und Cosmuel und dehn­ Höhle ist auch für Tiere ihres Umfangs
te sich lautlos in die dritte Dimension. ganz einfach viel zu groß.«
»Du siehst einen Abhang seitlich ne­ »Dann haben sie es eben gern geräu­
ben der Glasbasilika«, erklärte er. »Von mig.«
der Spitze des Grabhügels aus konnten Kantiran schüttelte den Kopf. »Nie­
wir genau hinsehen. Warte ... Dreißig mals haben diese Vögel die Höhle in den
Grad horizontal auf Cosmuel zukip­ Hügel gegraben. Kein Tier betreibt in
pen.« freier Natur einen derartigen Aufwand,
Das Holo flimmerte einen Augenblick wenn es ihn nicht benötigt. Du weißt,
lang, neigte sich dann in der gewünsch­ dass ich eine besondere Beziehung zu
ten Weise. Der Höhleneingang lag nun Tieren habe. Und ich sage dir eins: Da ist
genau vor dem Gesicht seiner Geliebten, etwas faul. Diese Höhle wurde auf ande­
weniger als einen Meter entfernt und so re Weise geschaffen und von den Vögeln
realistisch, als könne sie hineingreifen. nachträglich bezogen.«
»Sieh in die Höhle«, forderte Kanti­
ran. *
»Es ist nichts zu erkennen.«
»So ging es mir auch. Die Datenmenge Es piepte, das Hologramm löste sich
im Speicherkern der Kamera war nicht in einem Funken sprühenden Reigen
ausreichend genau. Außerdem ist es auf, und Polm Ombars mächtiges, facet­
schlicht zu dunkel. Ich zeige dir einige tiertes Gesicht tauchte im Bildschirm
zeitversetzte Aufnahmen.« der Einheit auf.
Eine Sekunde später schrie Cosmuel Kantiran warf Cosmuel einen vielsa­
auf und hob abwehrend die Hand, genden Blick zu, und sie zog sich – nach
schützte ihr Gesicht. Nur Zentimeter wie vor nur mit dem Shirt bekleidet, das
vor ihren Augen schwebten die Krallen gerade einmal bis zum Bauchnabel
eines Ospera-Vogels, der sich im Anflug reichte – aus dem Bilderfassungsbereich
auf die Höhle befand. zurück.
»Ich hätte dich warnen sollen. Ent­ »Annahme«, sagte Kantiran.
schuldige.« Die Vorsichtsmaßnahme wäre nicht
Cosmuel lachte, doch auch darin klang nötig gewesen. Ein blinkendes Symbol
der Schreck nach. »Normalerweise wies darauf hin, dass Polm Ombar nicht
fürchte ich mich nicht vor Hologram­ persönlich um ein Gespräch bat, son­
men.« Sie beugte sich zurück, tippte mit dern lediglich eine Aufzeichnung ge­
dem Zeigefinger gegen eine Krallenspit­ schickt hatte. Kantiran winkte seine
ze – oder durch die Kralle hindurch, Geliebte zu sich.
30 CRISTIAN MONTILLON

Ombar kam, wie es seiner Art ent­ Kaspseln aufnehmen, die in der Nähe
sprach, direkt zur Sache. »Es gibt zwei operierten. Unser Geheimbund kämpft
Neuigkeiten. Zum Ersten ist keiner der gegen die Negasphäre, also war ich mir
anderen neun Garanten bereit, sich als sicher, Unterstützung zu erhalten. Doch
Gegenkandidat für den Traditionalisten ich täuschte mich – Chyndor ist tot, lau­
Farigu Scot Elien aufstellen zu lassen. tete die einzige Antwort. Alles wird sich
Sie sind alle der Meinung, dass nur einer ändern. Wir halten uns heraus aus dem
einen echten Gegenentwurf bietet und Kampf der Hohen Mächte. Ich hielt mich
diesen auch vertreten und als Patron so jedoch nicht heraus. Ich konnte diese
verkörpern kann, dass er vielleicht un­ unschuldigen Lebewesen nicht leiden
seren ganzen Bund trägt. Mehr sage ich und sterben sehen. Das Ergebnis ist,
zu diesem Thema nicht. Momentan, we­ dass ich so gut wie tot bin. Mein Medo­
niger als zwei Tage vor der Wahl, steht robot gibt mir noch dreißig Minuten.
nur ein einziger Kandidat zur Verfü­ Ohne dass er meine Nervenbahnen von
gung. Zum Zweiten habe ich vor Kurzem der Schulter an abwärts gelähmt hat,
eine Nachricht auf einem Friedensfah­ würde ich vor Schmerzen schreien. Dies
rer-Kanal erhalten. Der Datenstrom war ist meine Nachricht, mein Erbe an alle
fragmentiert und nur schwer wiederher­ Friedensfahrer: Wir dürfen unsere Au­
zustellen. Bitte, seht sie euch an, vor gen nicht verschließen. Ich sterbe mit
allem du, Kantiran. Danach melde dich sehenden Augen.«
bei mir, du kennst meine persönliche Der Friedensfahrer verstummte, die
Frequenz.« Perspektive weitete sich, und für einen
Sein kantiges Antlitz verschwand und Moment zeigte sich nicht nur das lei­
machte einem unscharf konturierten dende Gesicht, sondern ein schrecklich
Holofilm Platz. Ein flackernder und zugerichteter Körper voller Wunden.
knisternder Streifen zog sich quer durch Kantiran hörte Cosmuel erstickt äch­
die Wiedergabe. Ein humanoides Ge­ zen.
sicht tauchte auf. Die Haut war von Dann erlosch das Bild, und sie starrten
blassem Pastellblau. Dunkle Flüssigkeit auf die ebene schwarze Fläche des Kom­
verschmierte sie und tropfte von sträh­ munikationsschirms.
nigem Haar – zweifelsohne Blut. Große, »Polm Ombar erwartet deinen Anruf«,
kugelrunde Augen blickten in Richtung sagte Cosmuel.
der Aufnahmekamera. Sie schwammen Kantiran ballte die Hände zu Fäusten.
in einer Flüssigkeit, die Kantiran un­ Er konnte sich durchaus denken, warum
willkürlich mit Tränen assoziierte, die der Revisor diese Botschaft geschickt
bei dem Fremdvolk dieses Friedensfah­ und weshalb er es gerade auf diese Art
rers aber eine völlig andere Bedeutung getan hatte. Die Botschaft an Kantiran
haben konnten. Kantiran konnte sich war überdeutlich.
nicht erinnern, diesem Friedensfahrer je Und in der Tat sah es ganz so aus, als
begegnet zu sein. habe Kantiran keine andere Möglichkeit
»Ich hoffe, jemand wird das noch hö­ mehr, als sich zur Wahl zu stellen. Er
ren«, sagte die Gestalt in emotionslosem, wollte es nicht, obwohl ihn viele dazu
akzentfreiem Thonisch. »Ich bin auf Ak­ drängten, obwohl auch Cosmuel, an deren
tivitäten der Terminalen Kolonne TRAI­ Meinung ihm mehr lag als an der jedes
TOR aufmerksam geworden. Die Hin­ anderen, anderer Meinung war als er.
tergründe des Angriffs auf einen Planeten Er sah sich nicht als denjenigen, der
der unteren Entwicklungsstufe zu schil­ dazu geschaffen war, den Geheimbund
dern führt zu weit. Ich sah jedoch meine oder auch nur irgendeine größere Grup­
Pflicht als Friedensfahrer darin, den Be­ pe anzuführen. Vor allem wollte er ver­
wohnern dieser Welt beizustehen. Ich meiden, dass sich noch größere Unruhe
wusste, alleine hätte ich keine Chance, verbreitete, und genau diese würde seine
und konnte Kontakt zu vier OREON- Kandidatur auslösen.
Die Gründermutter 31

Kaum jemand war in den Reihen der Revisor nicht explodieren wird, wenn er
Friedensfahrer so umstritten wie er. das hört.«
Musste er als Patron den Geheimbund »Er müsste uns davon abhalten, da
nicht geradezu spalten, statt ihn zu ei­ hast du recht. Aber ich vertraue darauf,
nen? Würde nicht genau das geschehen, dass er uns gewähren lassen wird. Er
was er zu vermeiden suchte? Mit diesen weiß auch, dass sich manches ändern
Fragen beschäftigte sich offenbar nie­ muss. Uns bleiben nicht einmal zwanzig
mand außer ihm. Deshalb reagierten al­ Stunden. Wollen wir also noch lange dis­
le einschließlich seiner Geliebten mit kutieren oder uns vorbereiten und der
Verständnislosigkeit auf seine konstante einzigen Spur folgen, die es gibt?«
Verweigerung, die ... Sie nickte. »Du spinnst, aber das weißt
Er stockte in seinen Überlegungen. du selbst. Andererseits brauchen wir
Dieser Gedankengang gefiel ihm gar wahrscheinlich gerade in einer so ver­
nicht. Dennoch konnte er es nicht leug­ zweifelten Lage wie unserer einen Spin­
nen – seine Verweigerung entstand zu ner. Also los, dann schnür endlich dein
einem guten Teil aus Trotz. Trotz und Bündel, damit wir es hinter uns bringen.
Besorgnis mischten sich, doch auch ge­ Gründermutter, wir kommen!«
meinsam konnten sie das drohende weit­
aus größere Übel nicht wettmachen: Fa­ *
rigu Scot Eliens Wahlsieg.
»Kantiran?«, fragte Cosmuel. Scot Elien täuscht sich. Ich will nicht
Langsam nickte er. »Polm Ombar wird behaupten, dass er uns bewusst angelo­
seine Antwort bekommen.« gen hat – das glaube ich nicht. Er ist gut
»Und die wäre?« darin, Worte so lange zu winden und zu
»Es bleiben knapp zwanzig Stunden verdrehen, bis sie so klingen, wie er es
bis zur Vollversammlung im Palais Elle­ gerne hätte, aber ein Meister der Lüge ist
ga und damit bis zur Wahl. Da sich kein er nicht. Zumindest noch nicht. Viel­
anderer Gegenkandidat für Elien gefun­ leicht hat er einfach nicht genug Übung
den hat, werde ich tun, was ich kann.« darin, denn eine gute Lüge ist eine
Sie lächelte, und er sah die Erleichte­ Kunst, die ich jemandem wie Farigu
rung in ihren Augen. Scot Elien gar nicht zutraue.
»Hoffen wir, dass diese Entscheidung Doch das tut nichts zur Sache.
die richtige ist. Ich werde Ombar bitten, Was ich eigentlich sagen will: Scot
die Nachricht zu verbreiten. Und nun Elien täuscht sich. Er ist nicht der Ein­
lass uns aufbrechen, es bleibt uns nicht zige, der für das Amt des Patrons kandi­
mehr viel Zeit, wenn wir rechtzeitig zu­ diert. Er hat seit wenigen Stunden einen
rück sein wollen.« Gegenkandidaten! Und zwar genau den,
»Du willst zu dieser Höhle. Obwohl dessen Nicht-Antritt er angeblich so sehr
unser letzter Höhlenspaziergang bereits bedauert. Insgeheim hat er sich davor
ein Reinfall war.« Cosmuel formulierte gefürchtet, das schwöre ich! Gezittert
es nicht einmal als Frage. Sie wusste ge­ hat er und um seinen klaren Sieg ge­
nau, dass er um jeden Preis die einmal bangt!
entdeckte Spur verfolgen würde. Kantiran!
»Wohin sonst? Wenn ich schon vor die Jawohl, Kantiran stellt sich zur Wahl.
Vollversammlung trete, will ich wenigs­ Der Garant. Chyndors Freund. Derjeni­
tens etwas zu sagen haben. Und gegen ge, in dem Chyndor die Zukunft der
Elien gewinnen! Was glaubst du, wel­ Friedensfahrer gesehen hat.
chen Aufruhr es gibt, wenn ich als erste Sagt es weiter!
offizielle Botschaft verkünde, dass ich Sagt allen, dass das geschehen ist, was
die Gründermutter gefunden habe?« sich Kandidat Scot Elien seinen eigenen
Cosmuel zog die Nase kraus. »Hoffen Worten nach wünscht: Es wird eine
wir, dass Ombar in seiner Funktion als echte, eine ehrliche und offene Wahl ge­
32 CRISTIAN MONTILLON

ben. Elien gegen Kantiran. Barttentakel scheidung schnellstmöglich publik zu


gegen Pelzbart. Achtnäpfe gegen Zehn­ machen.« Ihre Finger umschlangen sei­
finger. Lilablau gegen Hellrosa. ne, und es fühlte sich wohlig vertraut an.
Wer wird den Sieg davontragen? Wenn »Er wird als Revisor nicht offiziell Stel­
ihr mich fragt, gibt es nur einen, der die lung beziehen, um die Neutralität zu
notwendigen Entscheidungen treffen wahren, die sein Amt verlangt, aber in­
kann, die die Friedensfahrer in die rich­ offiziell ist er zweifellos Tag und Nacht
tige Zukunft führen werden. unter ...«
Lasst mich Scot Eliens Wahlspruch Weiter kam sie nicht. Man hatte den
ein wenig abändern: Helden der Stunde erspäht.
Für eine Zukunft der Friedensfahrer: Ein spinnenartiges Wesen trippelte
Kantiran! auf sechs Beinen heran; ein Armpaar
Denn wenn wir nicht gegen die Ne­ wedelte am oberen Teil des kugelför­
gasphäre kämpfen, werden wir an un­ migen Zentralleibs. Chelizeren klacker­
serer eigenen Inaktivität ersticken und ten, und aus einem Akustikfeld in Höhe
früher oder später von den Folgen der der Handklauen drang eine dumpfe
Entwicklung in Hangay hinweggefegt Stimme in reinstem Thonisch: »Kanti­
werden. ran, wir möchten dir gratulieren. Wir
Worte eines Kantiran-Sympathisan­ werden für dich stimmen, denn ...«
ten Die weiteren Worte gingen in einem
Akkord aus Glückwünschen und Jubel­
rufen unter. Kantiran drückte Hände,
7. Klauen und eine Tentakelspitze; er wur­
Vogelhöhle de gebeten, rituell dreimal an die Au­
ßenhülle eines Wassertanks zu klopfen,
Sie verließen ihre Wohnung und san­ in dem ein Fischartiger durch die Stra­
ken im Antigravschacht ins Erdge­ ßen schwebte; und er las in den Augen
schoss. einer humanoiden Friedensfahrerin in
Nachdenklich schritt Kantiran die hautengem Metalldress eine Verheißung,
bemalten Innenwände entlang, sah die Cosmuel zu einem ärgerlichen
schon von Weitem durch die geöffnete Schnauben veranlasste.
Ausgangstür, dass draußen eine große Er hörte sich selbst Floskeln murmeln
Menge versammelt war. wie »Ich danke für dein Vertrauen« oder
Cosmuel tastete nach seiner Hand. »Gemeinsam werden wir vorankom­
»Gute Nachrichten sprechen sich offen­ men«. Er konnte kaum glauben, welche
bar schnell herum.« politischen Plattheiten man automatisch
Gute Nachrichten?, fragte er sich. von sich geben konnte – und fragte sich,
Hoffentlich täuschte sie sich in dieser wie oft sich sein Vater Perry Rhodan in
Einschätzung nicht. »Sie können un­ einer ähnlichen Lage befunden hatte.
möglich alle wegen mir gekommen sein. Wahrscheinlich war er ein Meister darin,
Ich habe erst vor Kurzem mit Ombar ge­ mit vielen Worten nichts zu sagen. Viel­
sprochen.« leicht zog er deshalb trotz seines Amtes
Oder hat es doch viel länger gedauert, als Terranischer Resident immer wieder
weitere Freunde zu informieren und al­ lieber nach draußen ins All.
les für unseren kleinen Trip nach Ospera Kantiran ertappte sich bei dem Ge­
vorzubereiten? danken, dass er es in seinem Amt als Pa­
Er warf einen Blick auf das Chrono­ tron der Friedensfahrer verhältnismäßig
meter über der Tür und erschrak. Es war leicht haben würde, weil ihn kein solch
viel mehr Zeit vergangen, als er geglaubt starker Verwaltungs- und Bürokratie-
hatte. Apparat gängeln würde wie auf Terra.
»Ich bin ganz sicher, dass Polm Ombar Dennoch würde ihn die Verantwortung
alles vorbereitet hatte, um deine Ent­ für den Geheimbund lehren, seinen Va­
Die Gründermutter 37

ter besser zu verstehen. Schon jetzt är­ nes Schutz- und Kampfanzugs. Perfekt.
gerte er sich darüber, dass er Perry nie »Die THEREME bringt uns nach Ospe­
die richtigen Fragen gestellt hatte, Fra­ ra, und mir ist egal, ob wir Verbote bre­
gen, deren Beantwortung ihm in diesen chen oder so handeln, wie es sich ge­
Sekunden weitergeholfen hätte. ziemt. Wir landen, steigen aus und
Beinahe belustigt schüttelte er diese untersuchen diese Höhle. Wenn wir fin-
Gedanken ab, während er sich durch die den, was wir suchen, werden wir hinter­
Menge quetschte und neben Cosmuel ei­ her eine gute Rechtfertigung für unser
nen Transportgleiter bestieg. Handeln haben.«
Zweifellos drängte sich um Scot Elien Cosmuel musterte den schweren Ein­
eine nicht kleinere Schar von Gratu­ satzstrahler, den sie aus dem Waffen­
lanten und Anhängern, und sein Kon­ schrank zog und dann an ihren Einsatz­
kurrent würde sich mit Hingabe um sei­ gürtel klickte. »Es ist ein Sakrileg,
ne Wähler kümmern und jede Minute ausgerüstet wie ein Spezialkommando
auskosten, um weitere Friedensfahrer im Kampfeinsatz in der Gegend der
auf seine Seite zu ziehen. Glasbasilika aufzutauchen.«
Er hingegen, Kantiran, flog mit seiner »Du weißt, dass du noch zurückblei­
Freundin zum Raumlandehafen, bestieg ben kannst. Ich zwinge dich nicht, mich
seine OREON-Kapsel THEREME II und zu begleiten, nehme es dir nicht einmal
verließ Ellegato, um auf dem Kapellen­ übel, wenn du nicht mitkommst. Für
mond Ospera einer unsicheren Spur mich gibt es jedoch keinen anderen Weg.
nachzujagen, die vielleicht zur Gründer­ Ich muss dieses Rätsel lösen. Mehr noch:
mutter führen würde, ebenso gut aber Ich will es!«
auch zu einem völlig anderen Ziel ... oder »Ich lasse dich nicht alleine gehen.
im Nichts enden konnte. Wenn es um den richtigen Umgang mit
Selbst mit großer Mühe hätte er wohl Müttern geht, brauchst du eine Frau an
kaum etwas finden können, was seiner deiner Seite, die aufpasst, dass kein Un­
Popularität schädlicher sein könnte, als glück geschieht.«
sich am Tag der Wahl vollkommen aus Er sah sie an. In der Sichtscheibe des
der Öffentlichkeit zurückzuziehen. geschlossenen Anzughelms waren nur
Es ist verrückt, dachte er, aber ich die Spitzen ihres weißblonden Schläfen­
werde hoffentlich rechtzeitig wieder zu­ haars zu sehen. »Wir müssen schnell
rück sein. sein. Landen, die THEREME verlassen
Als sie in Osperas Nähe kamen, blie­ und sofort zum Höhleneingang rennen.
ben weniger als sechs Stunden bis zur Besser noch benutzen wir die Flugaggre­
Wahl. gate, um keine Zeit zu verlieren. Es
könnte sein, dass wir die Heiße Legion
* auf den Plan rufen.«
»Wenn das geschieht, werde ich versu­
»Es ist fast zwei Jahre her, dass wir chen, irgendwie mit ihr in Verbindung
zuletzt nach der Gründermutter gesucht zu treten. Es ist schließlich nicht das ers­
haben«, sagte Cosmuel. Sie standen in te Mal, dass ich mit ihr zu tun habe.«
der Zentrale der OREON-Kapsel, vor »Wir können nur froh sein, dass Polm
dem Waffenschrank, der sich auf einen Ombar uns gewähren lässt. Noch vor
Akustikbefehl hin aus der zuvor schein­ nicht allzu langer Zeit hätte er uns bei
bar vollkommen glatten Wand gescho­ dem geringsten Verdacht, was wir vor­
ben hatte. »Damals sind wir noch mit haben, gefangen genommen und aus
äußerster Behutsamkeit vorgegangen, dem Geheimbund ausgeschlossen. Sogar
haben uns heimlich eingeschlichen.« der Revisor lernt umzudenken.«
»Dazu haben wir dieses Mal weder Cosmuel ließ ein Umgebungsholo vor
Zeit noch Muße«, gab Kantiran offen zu. sich projizieren. »Genug geredet – wir
Er überprüfte noch einmal den Sitz sei­ landen in weniger als einer Minute. Ge­
38 CRISTIAN MONTILLON

hen wir lieber zu den Schleusen. Die au­ sprach Cosmuel das Offensichtliche aus.
tomatische Steuerung wird den Lande­ »Und sie sehen nicht so aus, als würden
vorgang auch ohne uns schaffen.« sie uns hineinlassen. Sie schützen ihr
Nest oder ihre Jungen, wer weiß. Not­
* falls werden wir mit Gewalt an ihnen
vorüber müssen. Aber vielleicht ist ein
Die Glasbasilika lag in ihrem Rücken, einfacherer Weg möglich.«
und er warf keinen Blick zurück. Das »Du willst versuchen, Kontakt mit ih­
Gebäude in all seiner erhabenen Schön­ nen aufzunehmen?«
heit interessierte ihn nicht. Nichts war »Wozu bin ich Instinkt-Telepath? Viel­
von jener Ehrfurcht geblieben, die ihn leicht kann ich sie dazu bringen, uns den
stets überkommen hatte, wenn er sich Weg frei zu machen. Womöglich kann
der Basilika näherte. Dort war er zum ich in ihrem Geist sogar einen Eindruck
Friedensfahrer geweiht worden, genau vom Inneren der Höhle erhaschen.«
wie Cosmuel. Es schien unendlich lange Er schwieg und konzentrierte sich,
zurückzuliegen. wandte seine Gabe an, tastete nach dem
Sie rasten knapp über dem Boden da­ einfachen, instinktgesteuerten Bewusst­
hin, direkt auf die dicht bewachsenen sein der Vögel, wollte fühlen, was sie
Hänge zu. Schon konnte Kantiran mit fühlten, sehen, was sie sahen, durch ihre
bloßem Auge den halb verborgenen Augen blicken ...
Höhleneingang sehen. Auf der eben noch Es musste einfach sein, wo er ihnen
einheitlich grünblauen Fläche zeichne­ doch so nahe war, wo er jede ihrer Bewe­
ten sich bereits die Konturen der einzel­ gungen verfolgen und sie genauestens
nen Büsche ab. anpeilen konnte. Und doch fanden seine
»Alles ruhig«, meldete sich Cosmuel tastenden Psi-Sinne nichts. Es gab kei­
über Helmfunk. nen Widerhall, kein Bewusstsein, in das
»Was hattest du erwartet? Es gibt kei­ er eindringen konnte.
ne besonderen Sicherungsmaßnahmen. »Ich ... ich verstehe das nicht«, sagte
Niemand rechnet damit, dass jemand er verblüfft.
auf Ospera irgendeine ... Mission starten »Du kannst deine Fähigkeit nicht an­
könnte. Schließlich gibt es dank der Hei­ wenden?«
ßen Legion keine feindlich gesinnten »Gute Frage«, murmelte er. War es
Lebewesen auf der Mondkette.« das? Gab es etwas in dieser Gegend, was
»Gutes Stichwort für das Auftauchen ihn blockierte?
der kleinen heißen Goldfischlein, mit de­ Er schaute nach unten, konzentrierte
nen ich irgendwie verwandt bin«, mein­ sich auf den krumig erdigen Boden unter
te seine Begleiterin und sah sich suchend seinen Füßen. Er suchte und ...
um. … und bewegen und vorwärtskommen
Nichts. das fressen von erde sie aufnehmen und
Sie atmete auf. mahlen und verwerten und ausscheiden
»Mit Fischen kann ich dir nicht die­ bewegen und erde fressen und weiter
nen«, unterbrach er. »Wohl aber mit Vö­ und verwerten und mahlen und …
geln. Lass uns landen.« ... und wurde sofort fündig, fühlte das
Er setzte auf, und in der nächsten Se­ kollektive Sein von Tausenden und
kunde senkte sich Cosmuel neben ihm Abertausenden Wurmtieren, die ihre
herab. Gänge gruben. Erschütterungen über­
Einige Meter vor ihnen flog kreischend liefen ihn, ließen seinen gesamten Kör­
das Ospera-Vogelpärchen, das sie bereits per erbeben, bis er sich beinahe gewalt­
auf den Holoaufnahmen gesehen hatten. sam löste und ihm klar wurde, dass
Die großen Flügel schlugen durch die diese gewaltigen Beben nichts anderes
Luft, die Federn spreizten sich. gewesen waren als die winzigen Vibrati­
»Sie kreisen vor dem Höhleneingang«, onen seiner eigenen trippelnden Schritte,
Die Gründermutter 39

die die Welt der Würmer durcheinander­ Niemand weiß es, denn er hat darüber
brachten. niemandem Rechenschaft abgelegt und
»Ich kann meine Fähigkeiten anwen­ niemals Buch geführt.
den«, sagte er, »aber diese Vögel dort Weil es nicht nötig ist.
vorne – existieren nicht.« Weil wir Individualisten sind.
»Ist dir überhaupt klar, was du da Egal ob zehn oder hundert oder tau­
sagst?« send – zweifellos hat er Ungezählten das
»Sie sind nicht da, Cosmuel. Jeden­ Leben gerettet oder ihnen ein sichereres
falls nicht aus paranormaler Sicht.« Er und besseres Leben verschafft.
fühlte, wie das Jagdfieber endgültig in Wir dürfen nicht zulassen, dass ir­
ihm erwachte. »Die Vogelhöhle ist exakt gendein kosmisches Ereignis, irgendein
die richtige Spur.« Krieg der Hohen Mächte zwischen Ord­
nung und Chaos uns unsere Bestimmung
* raubt.
Aber ich will noch einmal auf Kanti­
Ist es nicht seltsam? ran zu sprechen kommen. Ist es nicht
Erst hält sich Kantiran bedeckt, be­ seltsam, dass er Ellegato ausgerechnet
hauptet dann auf meine ausdrückliche jetzt verlassen hat? Ich habe Nachfor­
Nachfrage, er werde nicht kandidieren, schungen angestellt, und er hat sich
lässt dann im letzten Augenblick ver­ nicht einmal die Mühe gemacht, seine
künden, dass er es doch tut – und nun, Schandtat zu verbergen. Er ist mit seiner
am Tag der Wahl, verschwindet er. Zieht OREON-Kapsel nach Ospera geflogen.
sich zurück. Ohne ersichtlichen Grund. Ohne dass
Warum wohl? dort eine Initiation stattfindet, zu der er
Vielleicht, weil er unbequemen Fragen geladen ist. Er respektiert die Heiligkeit
im Vorfeld ausweichen will? dieses Ortes nicht.
Etwa der Frage, ob es nicht Wahnsinn So, wie er auch alle anderen Werte der
ist, die Friedensfahrer auch nach Chyn­ Friedensfahrer nicht respektiert.
dors Tod, der das Scheitern der großen Wir werden sehen, wann und wie er
Vision des Heesorter bewiesen hat, in zurückkommt. Oder ob er überhaupt
den Kampf gegen die Negasphäre und den Mut besitzt, vor euch zu treten und
die Terminale Kolonne TRAITOR zu euch zu sagen, was er getan hat.
führen? Für eine Zukunft ohne den Kampf ge­
Viele von euch kennen die schreckli­ gen die Negasphäre: Farigu Scot Elien.
che Holoaufzeichnung eines der Un­ Farigu Scot Elien
seren, der uns an seinen letzten Minuten in der Vorversammlung im Palais El­
teilhaben ließ. Auch er ist wie Chyndor lega
ein Opfer dessen, was in Hangay ge­
schieht. Zweifellos etwas Entsetzliches.
Etwas Furchtbares. Etwas Monströses 8.
und Verachtenswertes. Moralisches Milchglas
Aber auch etwas, das uns nichts an­
geht und um das wir uns nicht kümmern Farigu Scot Elien genoss den Moment
dürfen. Chyndors Tod beweist es und der der Ruhe, den er sich nur leisten konnte,
von Zeraru auch. Ja, Zeraru – ich habe weil er seine Umhang-Rüstung in den
nachgeforscht. Das war sein Name. Er Tarn-Modus geschaltet und sich in einen
war seit einhundertvierunddreißig Jah­ schattigen Winkel zurückgezogen hat­
ren einer von uns. Wie viele Missionen te.
mag er eigenverantwortlich geführt ha­ Zusätzlich verbargen ihn drei seiner
ben, um das Leben an sich zu schützen, Anhänger vor den neugierigen Blicken
wie es die Aufgabe eines jeden Friedens­ zahlreicher Passanten. Die drei waren
fahrers ist? Ein Dutzend? Einhundert? dafür perfekt geeignet. Sie mussten sich
40 CRISTIAN MONTILLON

ohnehin ständig mit vernebeltem Was­ brach eines der grundlegenden Tabus
serdampf umgeben, wenn sie nicht auf des Geheimbunds. Aber darum hatte
ihrer Heimatwelt weilten, die über ein­ sich Kantiran noch nie geschert. Stets
malige klimatische Verhältnisse ver­ war er in dieser Hinsicht negativ aufge­
fügte. Ihre Haut benötigte eine konstant fallen, etwa als er zum Verbotenen Mond
hohe Luftfeuchtigkeit von über drei­ der Enthonen vordrang. Farigu ge­
undneunzig Prozent, um nicht auszu­ dachte, diese Eigenschaft seines Kon­
trocknen. kurrenten auszunutzen, um ihn in Miss­
Für Scot Elien bedeutete das momen­ kredit zu bringen. Kantirans Fehlen an
tan nichts anderes, als dass er hinter diesem entscheidenden Tag bot dazu den
einem Nebelfeld verborgen war. Nie­ perfekten Anlass.
mand erkannte ihn, niemand wollte ihm Die Gründermutter war lange tot. Ih­
ein Gespräch aufzwingen. In den letzten re mythische Gestalt zu entheiligen wür­
Stunden hatte er mit mindestens hun­ de Kantiran den Kopf kosten – bildlich
dert Friedensfahrern gesprochen und gesprochen.
tausend Fragen beantwortet. Er war Pausenlos strömten Friedensfahrer
müde – müde und gespannt, was die durch die geöffneten Pforten des Palais,
Wahl bringen würde. Noch an diesem eines runden Zylinderbaus, dessen zie­
Tag würde er den größten Triumph oder gelfarbene Außenfassade zahlreiche
die größte Niederlage seines Lebens er­ Rundbogenfenster mit eingestellten
fahren. Säulen dominierten. Auf dem Flachdach
Um sich trotzdem den Anblick der wuchsen Grünpflanzen, über der Hälfte
Massen nicht entgehen zu lassen, die ins des Raums wölbte sich eine transparente
Palais Ellega strömten, ließ er die Auf­ Kuppel, deren Ansatz die Holoaufzeich­
nahmen einer Flug-Kameradrohne mit­ nung noch zeigte. Er hatte sie jedoch so
tels eines Miniholoprojektor umwandeln oft gesehen, dass er das Bild problemlos
und auf die Innenseite seiner Helmrüs­ in jedem Detail ergänzen konnte.
tung projizieren. Elien empfand die Passanten weder
Was er sah, gefiel ihm. Obwohl es bis als Insektoide noch als Humanoide, we­
zur eigentlichen Vollversammlung noch der als Spinnenartige noch als Echsen­
fast fünf Stunden dauerte, füllte sich be­ wesen, weder als Vogelartige noch als
reits das Palais. Das Interesse am gegen­ bizarre Individuen, die sich in kein
seitigen Austausch vor der Wahl war Schema pressen ließen – für ihn waren
groß, offensichtlich auch daran, vor der sie nicht einmal Friedensfahrer, sondern
Abstimmung noch einmal die Reden der einzig und allein potenzielle Wähler. Er
Kandidaten zu hören. Die Friedensfah­ benötigte sie, um Patron zu werden ...
rer, so individualistisch sie auch sein also würde er ihnen zu Gefallen sein, so­
mochten, liebten es offenbar, über Inter­ lange es nötig war.
na zu diskutieren und jedem lautstark Er musste alles geben, um gewählt zu
die eigene Meinung mitzuteilen. werden, nicht nur um einen persönlichen
Kantiran war nach wie vor nicht auf­ Erfolg zu feiern, sondern auch, um die
getaucht. Scot Elien war zufrieden. Zukunft der Friedensfahrer zu sichern.
Sollte dieser Narr doch auf Ospera su­ Denn Kantiran würde den Geheimbund
chen, was immer er zu finden hoffte. An­ ins Verderben führen. Das durfte nicht
gesichts des wenigen, was er nach der geschehen.
Beerdigungszeremonie an Chyndors Scot Elien entdeckte Polm Ombars
Grabhügel belauscht hatte, vermutete mächtige Gestalt inmitten der Holoauf­
Elien, dass die beiden dorthin zurückge­ nahme. Der Revisor stampfte in Rich­
kehrt waren, um die Gründermutter zu tung des Palais, demonstrierte damit
suchen. sein Interesse an der Vorversammlung.
Die Gründermutter! Das hieß für Farigu nichts anderes, als
Sollten sie nur. Schon der Versuch dass die Ruhepause vorüber war; die Ar­
Die Gründermutter 41

beit rief. Er musste versuchen, noch ein­ Scot Eliens Blick schweifte über die
mal mit dem Revisor zu sprechen, um in Logen, die Methanatmern, Wasserbe­
Erfahrung zu bringen, ob und wie dieser wohnern und anderen Exoten Platz bo­
sich zu Kantiran äußern würde. ten, wie er sie im Stillen nannte. Auch
Er beendete den Tarn-Modus, gab den dort waren etliche belegt. Nur im west­
hyperstatischen Kontra-Impuls, der die lichen Bereich gab es weder Sitzplätze
Rüstung wieder in weichen Stoff wan­ noch Speziallogen; dort lag der Zugang
delte, und setzte sich in Bewegung. in die Kavernen, die nur für wenige of­
»Lasst mich durch«, flüsterte er seinen fen standen.
Helfern im künstlichen Nebel zu; sie Aus den Kavernen schlurfte eine ge­
mochten keine lauten Geräusche und bückte Gestalt. Scot Elien glaubte sei­
würden spätestens, wenn sie ebenfalls nen Augen nicht trauen zu können. Dies
zur Vollversammlung gingen, ihre Akus­ war Fincan Kaldori, der Enthone, einst
tik-Dämpfungsfelder aktivieren müs­ der Sechste Garant, ein Mitglied des Pa­
sen. tronats!
»Du willst jetzt schon ...« Was hatte das zu bedeuten?
»Ja, ja«, murmelte er unwirsch, war Die Enthonen hatten sich nach dem
aber klug genug, ein »Entschuldigt bit­ Rückzug des alten Patrons Borgin Son­
te« hinterherzuschicken. Er durfte sein dyselene und im Zusammenhang des
stets höfliches und korrektes Auftreten Kampfes gegen die Negasphäre endgül­
nicht verlieren, egal wie anstrengend die tig aus dem Tagesgeschäft der Friedens­
nächsten Stunden zu werden drohten. fahrer zurückgezogen. Freiwillig hatten
Der Lohn würde groß sein, davon war er sie entschieden, in Zukunft keine Ent­
überzeugt. scheidungen mehr treffen zu wollen,
Dies war der Tag, an dem er Geschich­ weil die neuen Entwicklungen wider ih­
te schrieb. re Natur waren und sie sich ohnehin als
Er hastete in Richtung einer der Pfor­ überaltertes Volk ansahen, das im kos­
ten, nahm dabei Dutzende Glückwün­ mischen Geschehen keine Rolle mehr
sche entgegen, ohne die einzelnen Spre­ spielen wollte. Sie wollten nur noch ihre
cher überhaupt wahrzunehmen. Ständig letzten Tage in Ruhe, Würde und Abge­
gab er Belanglosigkeiten von sich und schiedenheit verbringen.
versuchte eine Aura der gespannten Schon lange hatte man keinen Entho­
Konzentration und Erwartung zu ver­ nen mehr gesehen, obwohl gerade dieses
strömen. Volk für die Friedensfahrer seit ihrer
Wenig später stand er in dem etwa Gründung von großer Bedeutung gewe­
8000 Sitzplätze umfassenden Amphi­ sen war.
theater, das das Innere des Palais bil­ Es hieß, die Gründermutter habe mit
dete. Er schätzte, dass etwa 1000 Plätze den Enthonen den Geheimbund ins Le­
belegt waren. ben gerufen und diesen dann dessen Lei­
Ein Holo über dem Hauptrednerpult tung anvertraut.
gab an, dass die aktuelle Hochrechnung Wenn an einem Tag wie diesem Fincan
des Orakels, des Zentralrechners der Kaldori wieder auftauchte, verfügte er
Mondkette, aufgrund der Besucherzah­ zwar offiziell über keine Entscheidungs­
len der Mondkette und der Anmeldungen gewalt mehr, aber jeder Friedensfahrer
zur Wahl eine Gesamtteilnehmerzahl würde ihm Gehör schenken.
von 3000 Friedensfahrern prognostizier­ Offenbar war Farigu nicht der Ein­
te. Das entsprach immerhin zwei Drit­ zige, der den Enthonen bemerkt hatte –
teln aller Mitglieder des Geheimbunds; im Palais kehrte völlig Stille ein. Erst
ein gewaltiger Erfolg für eine derart jetzt bemerkte er, wie allgegenwärtig
kurzfristig angesetzte Versammlung. und laut das Hintergrundmurmeln ge­
Das allgemeine Interesse an der weiteren wesen war.
Entwicklung war offenbar gewaltig. Fincan Kaldori ging mit schlurfenden
42 CRISTIAN MONTILLON

Schritten in Richtung des Hauptredner­ genden Minuten öffentlich in seinem


pults, das noch verwaist lag. Er trug sei­ Sinne interpretieren, weil sein Konkur­
ne offizielle Toga aus alten Tagen: dun­ rent zu dumm war, um an diesem ent­
kelblaue Stoffbahnen, die in der Mitte scheidenden Abend persönlich aufzu­
des dürren Leibes geschnürt waren. tauchen.
Über der Rednerbühne erschien ein Damit war Kantirans Niederlage end­
großes Hologramm, das nun auch den gültig besiegelt. Farigu hetzte zu einem
Letzten im Saal auf den überraschenden Sitz, aktivierte die dortige Kommunika­
Besucher aufmerksam machte. Es zeigte tionseinheit und schaltete mit der Auto­
die gebückte Gestalt, die unter der Last rität seines Garantenstatus eine Verbin­
ihres Alters zu zerbrechen schien. Das dung, die seine Worte in den gesamten
ausgemergelte Gesicht mit der alabas­ Raum übertrugen. »Erlaube eine Frage,
terweißen Haut war hinfällig, und es edler Fincan Kaldori – die Enthonen ste­
grenzte an ein Wunder, dass der Enthone hen zu ihrem Entschluss, dass sie selbst
überhaupt noch am Leben war. War er niemals gegen die Negasphäre kämpfen
schon bei seinem Rückzug uralt gewe­ werden?«
sen, so hatte er sich inzwischen äußer­ Die Frage war rein politisch-drama­
lich in einen lebenden Toten verwan­ turgischer Natur, denn an dieser Grund­
delt. einstellung der Enthonen hatte nie auch
Wenig später krallten sich dürre Fin­ nur der geringste Zweifel bestanden.
ger um das Rednerpult. Die Enthonen hatten die fast vollständi­
»Ihr wundert euch, warum ich gekom­ ge Auslöschung ihres Volkes während
men bin.« des Kampfes gegen die Negasphäre des
Die Stimme war ein Hauch, der von Herrn der Elemente nie überwunden
Akustikfeldern zuverlässig bis in den und ein kollektives Trauma davongetra­
letzten Winkel des Palais übertragen gen, das die Gesinnung der Friedensfah­
wurde. rer wohl erst ermöglicht hatte; außerdem
»Wir Enthonen wollen nicht etwa zu­ war Kaldoris Zustand ein Spiegel für
rückkehren – unser Beitrag zur Ge­ jeden einzelnen Enthonen: Sie waren alt
schichte des Universums ist geleistet. und offenbar des Lebens überdrüssig.
Doch wir wissen von Chyndors Tod und Sie sich als aktive Kämpfer vorzustellen
bedauern diesen sehr. Wir leben und wir war der reinste Hohn.
beobachten, wenn uns die Zeit bleibt ... Im Palais wurde aufgeregtes Gemur­
und wir haben eine Botschaft an euch zu mel über die provokante Frage laut.
richten.« Scot Elien setzte eine völlig gelassene,
Kaldori hob eine Hand, und der dun­ unbeteiligte Miene auf.
kelblaue Stoff rutschte zurück. Der Arm »Alles, was ich zu sagen habe«,
schien nur aus vertrockneter Haut zu krächzte der alte Enthone, »habe ich be­
bestehen, die sich über dem Knochen reits gesagt. Ich bin nicht gekommen,
spannte. »Wählt, wen immer ihr wollt, um mich in eure Diskussionen einzu­
aber denkt daran, dass die Friedensfah­ mischen. Dies habe ich lange genug ge­
rer eine Zukunft haben müssen. Wir tan als Sechster Garant. Sehr lange.
Enthonen werden euren Weg wohlwol­ Vielleicht zu lange.«
lend verfolgen, auch wenn ihr uns wo­ Polm Ombar betrat die Bühne, eilte zu
möglich nie wiedersehen werdet.« dem Enthonen und erwies ihm die Ehre,
Der Zuhörer Farigu Scot Elien hätte indem er die mächtigen Arme vor der
am liebsten gejubelt. Zwar blieb wegen Brust kreuzte.
dieses Auftritts keine Zeit, wie geplant »Als Revisor danke ich dir für dein
Kontakt mit Polm Ombar aufzunehmen, Erscheinen«, sagte er, »und als Friedens­
doch das konnte er leicht verschmerzen. fahrer bewundere ich dich dafür. Sei
Kaldoris Worte waren eine wahre Gold­ versichert, dass wir die Enthonen auch
grube, und nur er konnte sie in den fol­ weiterhin ehren werden und ihnen alles
Die Gründermutter 43

Beste wünschen. Mögt ihr in Frieden le­ Hauptrednerpult. Es war der Ichthoyde
ben. Wenn ihr jemals wieder einen Ge­ Woizeah in seinem Wassertank, durch
sandten zu uns schickt vom Rückzugsort den unablässig Luftblasen blubberten
auf eurem Mond, werden wir ihn mit und dessen Innenseiten mit Algen be­
Freuden begrüßen.« wachsen waren.
Im nächsten Augenblick erlosch das »Die Garanten haben eine Tagesord­
Holo, und die Tonübertragung stoppte. nung und eine Rednerliste erarbeitet«,
Scot Elien, der sich bereits in Bewegung sagte Woizeah, indem er das Wasser mit
gesetzt hatte und nur noch wenige Me­ seinem Ultraschallorgan in Schwin­
ter von der Bühne entfernt war, sah je­ gungen versetzte, die von einem Sensor
doch, dass Polm Ombar noch weiterre­ in Thonisch verwandelt wurden. »Wir
dete. Trotz der Lautstärke, mit der sich begreifen dies nicht als notwendige
der Revisor naturgemäß äußerte, drang Pflicht, die in allen Punkten eingehalten
keine Silbe zu ihm durch. Offenbar hat­ werden muss, aber doch als nützliche
te er ein Akustikdämpfungsfeld um sich Orientierung, da nur wenig Zeit bis zur
und den Enthonen gelegt, damit nie­ eigentlichen Wahl bleibt. Als erster
mand hörte, was er mit dem Greis be­ Hauptredner dieser Vorversammlung
sprach. wird Farigu Scot Elien sprechen. Ich
Gerade als Farigu die Bühne erreichte, muss ihn nicht vorstellen, ihr kennt ihn
schlurfte Fincan Kaldori in Richtung alle.«
der Kavernen davon, wo er sich zweifel­ Scot Elien ging mit gemessenen
los per Transmitter zum Mond der Schritten und hoch aufgerichtet auf das
Enthonen abstrahlen würde. Offensicht­ Rednerpult zu. Sein Anblick war das
lich ging ihm der Enthone aus dem glatte Gegenteil von Fincan Kaldoris
Weg. Erscheinung, das wusste er, und damit
Na schön. Er würde keine Begegnung spielte er ganz bewusst. Kaldori war
erzwingen. schwach, er stark. Kaldori war die Ver­
Schade, dass der Alte seine ganze gangenheit, er die Zukunft.
Dramaturgie durch diese typische Nicht- An seinem Ziel angekommen, schaute
Antwort gestört hatte. Er hatte den er sich im Raum um. Man zollte ihm
Enthonen falsch eingeschätzt, sich nicht durchaus die nötige Aufmerksamkeit.
mehr daran erinnert, dass Kaldori zwar Er zog den Umhang glatt, was vollkom­
alt und hinfällig sein mochte, aber den­ men unnötig war, da er dank der auf ihn
noch listig und klug war. Insofern hatte maßgeschneiderten Hightech-Passform
der Enthone dem Patronatskandidaten stets absolut perfekt saß.
eine Schlappe beigebracht. »Friedensfahrer stiften Frieden«,
Selbstverständlich verhielten sich die sagte er und wartete eine kunstvolle
Enthonen in allen aktuellen Fragen Pause lang ab, ehe er wiederholte: »Frie­
neutral – es passte nicht zum ehrwür­ densfahrer stiften Frieden, wenn Gewalt
digen Wesen dieses Volkes, sich einzu­ und Krieg drohen. Friedensfahrer ver­
mischen, nachdem sie sich offiziell zu­ stehen sich als Helfer und Beschützer
rückgezogen hatten. Die Zeit, in der sie des Lebens in all seinen Ausprägungen
aktiv Politik betrieben hatten, war vor­ und Mentalitäten. Friedensfahrer kämp­
über. Kaldoris Auftritt hatte lediglich fen nicht gegen Ordnung oder Chaos als
dazu gedient, die Zukunft der Friedens­ kosmische Prinzipien, sondern für das
fahrer an sich zu sichern – und Scot Leben an sich.«
Elien wusste genau, dass Kantiran sich Danach schwieg er, zupfte sich mit
dieses Schlagworts genauso bediente spitzen Fingern eine imaginäre
wie er selbst, nur aus einem völlig ande­ Hautschuppe von seiner Oberlippe. Das
ren Blickwinkel. Stechen in der Brust kündigte sich durch
Einer der neuen Garanten aus dem erste unangenehme Schmerzattacken
letzten Wahlgang schwebte hinter das an. Er würde sich weder etwas anmer­
44 CRISTIAN MONTILLON

ken noch sich davon beeindrucken las­ all unsere Kräfte in den Dienst des Gu­
sen. ten stellen.«
Im gesamten Palais herrschte atem­ Noch immer keine Fragen. Noch im­
lose Stille, nur unterbrochen vom Glu­ mer standen sie unter dem Bann seiner
ckern einzelner Wassertanks und von Worte.
Zischen, wenn einzelne Methangaspar­ »Sollte ich zum neuen Patron gewählt
zellen neu gefüllt wurden. Farigu konn­ werden, werde ich mich für das Leben
te sich nicht erinnern, dieses Geräusch und den Erhalt der Organisation ent­
jemals während einer Vollversammlung scheiden. Wir müssen die Opfer betrau­
gehört zu haben. Ein gutes Zeichen. Sie ern, die in der Zeit des Regnums der Ne­
hingen an seinen Lippen. Sie gierten gasphäre entstehen werden. Es werden
nach mehr Worten von ihm. viele sein, und es wird eine dunkle Zeit.
Aber er würde ihnen nicht geben, was Aber wenn wir ebenfalls ausgelöscht
sie hören wollten. Keine flammenden werden, können wir nicht das tun, was
Reden, keine ausgefeilten Tiraden gegen unsere Aufgabe ist und was in unserer
Kantiran. Das hatte er oft genug geleis­ Macht liegt: die Überlebenden zu retten
tet. Die Zeit des Kampfes war vorüber. und Hilfe zu leisten, wo immer es mög­
Die Ernte stand dicht bevor. Nun hieß es, lich ist.«
mit wohlfeilen Sätzen noch möglichst Die erste Wortmeldung wurde ihm
viele Zweifler auf seine Seite zu ziehen. durch ein Blinklicht im schematischen
Zu beweisen, was ein Patron war und Übersichtsholo angezeigt. Sitz 4815. Fa­
dass er dieser Aufgabe zweifellos ge­ rigu konnte nicht sehen, wer darin saß.
recht werden würde. Da seine Redezeit noch nicht beendet
»Kennt ihr diese Worte?«, fragte er im war, konnte er entscheiden, ob die Wort­
Flüsterton, als wolle er sich mit jedem meldung freigeschaltet wurde. Er sah
Einzelnen im Raum heimlich verschwö­ keinen Grund, es zu verhindern. Auf je-
ren. »Ich habe fast wörtlich das Credo den möglichen Einwand hatte er sich die
unseres Geheimbunds zitiert. Mehr ist passende Antwort zurechtgelegt.
nicht nötig, um dieser geschätzten Ver­ »Ein Zwischenruf«, sagte er.
sammlung vor Augen zu führen, was wir Der Friedensfahrer auf Sitz 4815 er­
alle im Begriff stehen zu tun. Nicht mehr griff das Wort; eine hohe, sirrende, zwei­
viel, und die Friedensfahrer verraten all fellos weibliche Stimme. »Du bist au­
das, was zu beschützen wir einst ange­ thentisch, Farigu, du redest aus deinem
treten sind.« Herzen. Du bist ein Friedensfahrer. Das
Er wartete ab, ob sich irgendjemand Credo ist deine und auch meine Grund­
über die Kommunikationseinheiten zu lage. In dieser Zeit, in der es kein Richtig
Wort meldete. Niemand. Gut. »Die Frie­ und kein Falsch mehr zu geben scheint,
densfahrer werden an der Hürde Nega­ ist es eine verlässliche Orientierung.«
sphäre zerbrechen, die Negasphäre ent­ Diese Worte – Farigu selbst hätte sie
steht ohnehin, ob wir uns einmischen nicht perfekter wählen können – bra­
oder nicht. Aber all die Hilfe, die wir in chen die Erstarrung, die über die ganze
dieser Zeit der Finsternis leisten könnten, Versammlung hereingebrochen schien.
bleibt ungeschehen. Ich bin hier, um Ein Beifallssturm toste los. Für eine Se­
dieses Szenario nicht Wirklichkeit wer­ kunde gönnte er sich den Luxus, sich
den zu lassen, denn daran und nur daran einfach darin treiben zu lassen, doch
können wir etwas ändern. Ich weiß, dass dann sah er sich um, aktivierte die Such-
die Entscheidung im Angesicht der Ne­ und Beobachtungssensoren seiner Rüs­
gasphäre nicht leichtfällt, aber es ist tung. Die Analyse erfolgte rasch: etwa
unsere tiefe moralische Pflicht, so zu sechzig Prozent der Versammelten ju­
entscheiden. Wir müssen von dem kos­ belten und zollten Beifall.
mischen Ungetüm, das uns vernichten Das sagte viel, aber nicht alles – nach
würde, die Finger lassen und stattdessen wie vor strömten unablässig weitere
Die Gründermutter 45

Friedensfahrer ins Palais. Immerhin einer flammenden Beschwerde rüsten,


hatte die eigentliche Hauptversamm­ als die Ordnung im Palais Ellega auf­
lung noch immer nicht begonnen. Es grund hundert wilder Diskussionen zu­
blieb allerdings nicht mehr viel Zeit. sammenbrach.
Und Kantiran blieb verschwunden. Voller Wut drosch Elien gegen das
»Ich danke dir!«, rief Elien. »Deine Rednerpult.
Worte haben einen wichtigen Punkt an­
gesprochen. Früher handelte jeder Frie­ *
densfahrer in der Gewissheit, das Rich­
tige zu tun. Ich verspreche euch nicht Notfalls werde ich Partei ergreifen.
mehr und nicht weniger, als diese Ge­ Es darf nicht alles zerstört werden,
wissheit wiederherzustellen!« wofür die Friedensfahrer stehen.
Und wer sich davon nicht locken lässt, Ich will es nicht, aber notfalls werde
dachte er, dem kann ich auch nicht mehr ich es. Ich kann nur hoffen, dass Kanti­
helfen. Ich biete euch Sicherheit, biete ran nicht so dumm ist, nicht zur Wahl zu
euch die Richtlinie, die ihr sucht, biete erscheinen. Er hat Ospera aufgesucht,
eurer Moral eine Zuflucht ... und ich musste meine Pflicht als Revisor
Neue Blinklichter zeigten mindestens vernachlässigen, um ihn nicht zur Ord­
ein Dutzend weiterer Wortmeldungen nung zu rufen und ihn aus dem Geheim­
an, doch diesmal würde er sie nicht frei­ bund auszuschließen.
schalten. Es gab noch einiges zu sagen, Er hat mir erzählt, dass er die Grün­
ehe in Kürze seine Redezeit ablief. Ei­ dermutter sucht. Widerwillig ließ ich ihn
niges über Kantiran, der ... gewähren. Dies sind besondere Zeiten,
»Farigu Scot Elien bietet euch etwas«, und ich muss die alten Regeln neu über­
dröhnte eine Stimme durch das Palais, denken, über die ich als Revisor zu wa­
ohne dass er die Erlaubnis dazu erteilt chen habe.
hatte – weil sich der Sprecher die Er­ Ich kann nur hoffen, dass er weiß, was
laubnis kraft seiner Autorität und seines er tut. Ich habe mich lange mit ihm und
Amtes jederzeit selbst geben konnte. seinem Leben beschäftigt. Er trägt mehr
Der Revisor sprach, derjenige, der stets von seinem Vater in sich, als ihm selbst
die Neutralität zu wahren hatte. Polm bewusst ist. Das ist gut, und das ist zu­
Ombar klang verärgert, und das Stechen gleich schlecht, denn auch dieser Perry
in Farigus Brust verschlimmerte sich so­ Rhodan hat Fehler begangen, wenn man
fort um das Zehnfache. dem Glauben schenkt, was über ihn in
»Er bietet euch moralisches Milch­ Erfahrung zu bringen ist.
glas«, donnerte Ombar. »Einen zerbrech­ Rhodan verfügt schon viele Jahrhun­
lichen, angeblichen Schutz für eure Wer­ derte lang über große Macht und großen
te, hinter dem ihr die Realität nicht mehr Einfluss, er hatte Entscheidungen zu
sehen könnt. Aber ich sage euch – zer­ treffen, die man einem einzelnen Lebe­
brecht dieses Glas! Wir Friedensfahrer wesen nie hätte aufbürden dürfen. Er
müssen uns der Realität stellen, ob es war Günstling und Feind vieler Super­
uns gefällt oder nicht!« intelligenzen, er sah Kosmokraten und
Diese Worte waren eine Ungeheuer­ Chaotarchen, er durchstreifte das Uni­
lichkeit. Wie konnte sich gerade der Re­ versum und bestimmte das Schicksal
visor erdreisten, sie zu sprechen? Er eines ganzen Kosmogens. Ohne ihn wäre
durfte nicht Flagge zeigen, durfte sich DORIFERS Geschichte eine andere ge­
nicht auf die Seite eines der Kandidaten wesen.
stellen! Sein Amt verbot es ihm, und er Kantiran Rhodan, selbst wenn du Pa­
durfte seine besondere Stellung nicht tron werden solltest, ist dies nur ein klei­
ausnutzen! ner Schritt in deinem Leben. Du wirst
Gerade wollte Farigu Scot Elien seine Freunde brauchen, die dich auf deinem
Empörung in Worte fassen und sich zu Weg begleiten. Ich werde einer dieser
46 CRISTIAN MONTILLON

Freunde sein, und wenn ich es nicht als hochstehendes und integres Wesen, die
Revisor sein kann, dann doch als Polm Gefahr eingehen, dass die Eier der Tiere
Ombar. in all dem Aufruhr am Ende noch zer­
Private Aufzeichnung stört werden? Dies ist in der Tat ein ein­
faches, aber wirksames Ablenkungsma­
növer.«
9. »Ob es so wirksam ist, bezweifle ich«,
Wie bei Muttern merkte Cosmuel an. »Immerhin bist du
recht einfach auf diese Höhle aufmerk­
Der geierartige Vogel plusterte sich sam geworden. Und kaum sind wir hier,
auf und hackte mit dem Schnabel durch wissen wir, dass es keine normalen Tiere
die Luft. sind.«
Es war eine bloße Drohgebärde, denn »Weil ich gezielt nach einer Spur
noch waren Kantiran und Cosmuel zu suchte! Außerdem wissen wir nur, dass
weit entfernt. Der zweite Vogel sauste mit diesen Tieren irgendetwas nicht
von der Seite heran und landete vor dem stimmt, weil ich ein Instinkt-Telepath
Höhleneingang, spreizte die Flügel, rich­ bin. Was glaubst du, wie viele Instinkt-
tete sich aggressiv zu voller Größe auf. Telepathen hier schon gestanden ha­
Krallen zischten, die Spitzen funkelten. ben?«
»Sie sind nicht da«, wiederholte Kan­ Sie lachte, und er sah dieses Fältchen
tiran, was er zuvor durch seine Paragabe in ihrem Augenwinkel, das nur entstand,
festgestellt hatte. »Oder sie sind keine wenn sie wirklich gelöst und entspannt
Lebewesen.« lachte. »Soweit mir bekannt ist, bist du
»Robotervögel?«, fragte seine Geliebte der Einzige, der diese Fähigkeit über­
skeptisch. »So sehen sie mir aber gar haupt besitzt.«
nicht aus. Wenn ich diese Krallen sehe, Das männliche Tier flog noch immer
erinnere ich mich an unseren Schlaf­ eine Art Patrouillen-Verteidigungskurs
raum.« vor dem Höhleneingang; das Weibchen
Kantiran setzte zu einer spöttischen stand offenbar kampfbereit in Lauer­
Bemerkung an, kam jedoch nicht dazu, stellung davor.
sie auszusprechen. »Ich gehe weiter vor«, bestimmte Kan­
»Nicht, was du jetzt denkst! Ich spre­ tiran. »Notfalls hilfst du mir.«
che von der Holografie einer solchen »In Ordnung.«
Kralle vor meinem Gesicht. Wenn diese Kantiran schätzte, dass er noch etwa
Biester einmal zuhacken, sind wir blind. dreißig Meter vom Höhleneingang ent­
Oder tot. Ich trau denen durchaus zu, fernt war. Es konnte nur mehr Sekunden
dass sie unsere Schutzanzüge zerschmet­ dauern, bis die Vögel zum Angriff über­
tern.« gingen. Mit einer geschmeidigen Bewe­
»Dann schalten wir eben unsere gung zog er sein Vibromesser und akti­
Schutzschirme an, ehe wir an ihnen vor­ vierte es.
beigehen. Ich werde mich ganz bestimmt Der Geiervogel zog in eine halsbre­
nicht abhalten lassen!« cherisch enge Kurve und raste heran.
Cosmuel stimmte zu. »Siehst du den Die Flügel schlugen wild, legten sich
Tanz, den sie aufführen? Wild genug, dann eng an den Körper, der heran­
dass jeder umdreht und flüchtet, den es zischte wie eine abgefeuerte Kanonen­
zufällig hierher verschlägt.« kugel. Der Schnabel klappte zu, und erst
»Warum sollte man auch zwei harm­ jetzt sah Kantiran, wie spitz er war. Die
lose Vögel attackieren, die allem An­ Klauen richteten sich auf ihn aus.
schein nach nichts anderes im Sinn ha­ Kantiran blieb ruhig, warf sich im
ben, als ihre Höhle und vielleicht ihr letzten Augenblick zur Seite und stieß
Gelege zu beschützen? Warum sollte ir­ gleichzeitig mit dem Vibromesser zu.
gendein Friedensfahrer, ein moralisch Er traf nicht.
Die Gründermutter 47

Da erst wurde ihm klar, dass auch der cherlich. Wie konnten wir uns nur davon
Vogel kurz vor dem Zusammenprall aus­ beeindrucken lassen?«
gewichen war. Sie schoben einige lose hängende Äste
»Kant!«, rief Cosmuel. »Das gibt es beiseite und betraten die Höhle.
nicht!« Es war düster und wurde mit jedem
Kantiran rollte sich ab, stützte sich Schritt dunkler. Kantiran schaltete sei­
mit der Linken ab und sprang wieder ne Helmlampe an. Wenn es jemanden
auf die Beine. Er wappnete sich für eine gab, der diese Höhle beobachtete, hatte
neue Attacke, doch der Vogel zog sich er sie ohnehin längst bemerkt; auch je­
einige Meter zurück und stand in der des noch so simple automatische Sicher­
Luft, jeder Zentimeter des Leibes Ele­ heitssystem würde nicht erst durch diese
ganz – und Tödlichkeit, denn die Krallen künstliche Helligkeit ausgelöst werden.
bewegten sich unruhig, der Schnabel Die Höhle zog sich mindestens zwan­
öffnete und schloss sich langsam, als übe zig Meter in den Berg und weitete sich
er noch einmal, bevor er zum tödlichen nach dem Eingang kreisförmig. Anfangs
Stoß ausholte. war der Boden noch erdig, teils mit dür­
Einen kurzen Blick zu seiner Gelieb­ rem Gras bewachsen, doch schon nach
ten gönnte sich Kantiran. Was er sah, einem Schritt traten die Eindringlinge
gefiel ihm gar nicht. Sie hielt einen auf blanken Felsen. Auch die Wände
Strahler in der Rechten und zielte auf waren steinern und uneben, als seien sie
das Tier. mit bloßen Händen und einfachem
»Steck ihn weg!«, rief er. »Wir müssen Werkzeug in mühevoller Arbeit heraus­
das Tier nicht töten! Es will leben, und gehauen worden.
außerdem will ich herausfinden, was mit Wo der Schein der Helmlampe hinfiel,
ihm los ist, warum ich keinen Zugriff auf glitzerte es feucht. Kantiran warf einen
seinen ...« beiläufigen Blick auf die Anzeige der
»Wer spricht von Töten?« Cosmuel Außensensoren. Die Luftfeuchtigkeit
feuerte, und der glühend heiße grell­ war merklich geringer, als sie bei diesem
orangene Strahl zischte durch den Schä­ Anblick und in dieser lichtlosen Kälte
del des Vogels wie durch Luft, ohne auch hätte sein müssen.
nur den geringsten Schaden anzurich­ Vereinzelt zogen sich blau und grün
ten. Einen Augenblick lang schien die schimmernde Adern durch den Fels,
Wirklichkeit rund um den Schädel zu wohl Spuren irgendwelcher metallischer
flackern, der eigentlich hätte zerplatzen Ablagerungen.
müssen, dann war alles wieder beim Al- »Nichts«, sagte Cosmuel. »Diese ver­
ten. »Wie kann man etwas töten, was dammte Höhle ist leer und sieht nicht
eigentlich gar nicht lebt?« gerade so aus, als würde sich hier gele­
Der Vogel kreischte nicht, schrie nicht, gentlich ein intelligentes Lebewesen
blutete nicht. aufhalten.«
Kantiran entspannte sich. »Eine Pro­ »Dennoch muss es hier irgendetwas
jektion! Die Tiere sind nichts weiter als geben. Vielleicht ist es getarnt. Ein wei­
interaktive Hologramme.« terer Durchgang oder irgendwelche ge­
Cosmuel eilte zu ihm. »Du hattest lagerten Schätze. Wer auch immer diese
recht. Irgendjemand hat sie program­ Holo-Vögel installiert hat, wird es wohl
miert, um die Höhle zu schützen. Fragt kaum getan haben, um nichts zu schüt­
sich nur – warum?« zen.«
»Das werden wir bald wissen.« »Was schlägst du vor?«
Sie gingen los, achteten kaum auf die Er zog den Strahler. »Vorhin hast du
zeternden Nicht-Tiere. es auf die brachiale Art versucht – nun
»Wenn man den Trick einmal durch­ ich.«
schaut hat«, meinte die Halbcyno, »ist es »Bist du sicher, dass ...«
vollkommen harmlos. Oder sogar lä­ Er verspürte nicht die geringste Lust,
48 CRISTIAN MONTILLON

noch lange zu diskutieren, und feuerte. sah mit eigenen Augen, was seine Ge­
Die Waffe stand auf Desintegratormo­ liebte zum Verstummen gebracht hatte.
dus. Ihre Fingerspitzen versanken in dem
Wo der breit gefächerte Strahl auf die Metall, als würden sie in Wasser tau­
Materie der Wände traf, löste sie sich chen. Die Oberfläche blieb völlig glatt.
auf. Hastig zog sie die Hand zurück und
Kantiran musste nur wenige Sekun­ ballte sie zur Faust, als wolle sie sicher­
den warten, bis das gesamte Höhlenin­ gehen, dass sie die Finger noch bewegen
nere flackerte und sie erkannten, wo sie konnte.
wirklich standen. »Sieht mir ganz nach einer weiteren
Holografie aus.« Kantiran drückte sich
* an Cosmuel vorbei und tauchte nun
selbst vorsichtig die Hand in das Me­
Schwarze Metallwände umgaben sie, tall.
schrundig geformt wie die angeblichen Er fühlte nichts.
Felswände, deren Abbild auf sie proji­ Wo seine Finger die angeblich feste
ziert worden war. Nun spiegelten sich Materie durchdrangen, befand sich
die beiden Besucher in ihnen, und Kan­ nichts – oder nur Luft. Erst als seine
tirans Lampe schuf eine Sonne aus blen­ Hand bis zum Gelenk verschwand, traf
dender Helligkeit. Jede Bewegung er auf Widerstand. Vorsichtig ertastete
schickte blitzende Strahlen durch die er einen Kippschalter. Seine Fingerspit­
Höhle. Oder durch die Kammer, verbes­ zen zitterten. »Das scheint mir der pri­
serte er sich in Gedanken. Oder wie im­ mitivste und zugleich bestgetarnte Öff­
mer man das hier nennen soll. nungsmechanismus zu sein, den ich je
»Ein Ortungsschutz und Holografien.« gesehen habe.«
Kantiran schüttelte fassungslos den »Du hast gute Augen.«
Kopf. »Ist hier denn überhaupt irgendet­ »Wie meint du das?«
was das, was es zu sein scheint?« »Ich sehe gar nichts ... außer deinem
»Jemand gibt sich alle Mühe, sich oder Armstumpf, der nicht gerade einen be­
irgendetwas zu verstecken.« sonders schönen Anblick bietet.«
»Die Gründermutter«, zeigte sich Kantiran löste den Schalter aus, und
Kantiran überzeugt. die Tür öffnete sich.
Er sah, wie Cosmuel an ihrem Anzug-
Miniorter hantierte. *
»Dort!« Sie streckte den Arm aus, ging
einige Schritte und legte die Hand auf Ein Stück der Metallwand schwang
die Wand. »Dahinter ist ein Freiraum, zur Seite, völlig lautlos und unspektaku­
ein Korridor. Überall sonst herrscht hin­ lär.
ter dem Metall massives Gestein vor. Dahinter befand sich tatsächlich ein
Dies hier ist allerdings eine Tür.« Hohlraum. Nur etwa auf zwei Metern
»Nicht sehr einladend«, meinte Kan­ Länge war der erhoffte Korridor aller­
tiran trocken. Er sah nicht die kleinste dings hoch genug, dass Kantiran darin
Fuge oder Kante, die Cosmuels Behaup­ aufrecht stehen konnte. Dann fiel die
tung stützte. Er zweifelte dennoch we­ Decke rapide ab, und auch die Seiten­
der an ihrer Aussage noch an den Mess­ wände verengten sich. Was blieb, wies,
werten ihres Anzugorters. soweit Kantiran hineinschauen konnte,
Die Halbcyno hob die Hand etwa auf gerade einmal den Querschnitt eines
Schulterhöhe. »Laut den Messungen Kriechgangs auf.
gibt es hinter diesem Teil eine verbor­ Er ging auf die Knie, dann auf alle
gene Technologie. Genau ...« Sie stockte, viere.
als sie das Metall berührte. »Warte noch«, forderte Cosmuel.
Kantiran musste nicht nachfragen – er »Ortest du eine Gefahr?«
50 CRISTIAN MONTILLON

»Nichts dergleichen. Uns bleibt gera­ Die Wände waren ebenso wie die De­
de noch eine Stunde, Kantiran.« cke und der Boden mit alten, verblassten
»Was ist dann?« und teilweise zersplitterten Holzpanee­
»Die Vorversammlung im Palais Elle­ len verkleidet. Es roch muffig. Ohne ihre
ga hat längst angefangen. Nur noch eine Helmlampen wäre es völlig dunkel ge­
Stunde bis zur Hauptversammlung.« wesen. Ihnen gegenüber verdeckte ein
Die Wahl zum Patron – er hatte sie verblasster Vorhang einen Teil des
völlig vergessen und war nicht bereit, Raumes.
jetzt auch nur einen Gedanken daran zu Einrichtungsgegenstände oder gar
verschwenden. Das Jagdfieber hielt ihn Möbel gab es nicht, wohl aber ein Lager
gepackt. Er drehte sich nicht mal zu aus einer Unzahl Decken, die kreuz und
Cosmuel um. quer übereinander lagen. Vor den De­
»Du hast dich aufstellen lassen«, erin­ cken stand etwas, das gar nicht in diese
nerte sie ihn. Umgebung passen wollte: ein quader­
»Vielleicht war es ein Fehler. Ich bin förmiges Stück Technologie. Kantiran
nicht bereit, jetzt aufzugeben.« musste es nicht genauer mustern, um
»Wer spricht von Aufgeben? In weni­ seine Funktion zu erkennen – dies war
gen Stunden können wir zurückkeh­ ein handlicher Orter, wie er im Rahmen
ren.« der Friedensfahrertechnik Standard
»Dann kann es zu spät sein. Kommst war.
du nun mit?« Vielleicht würde er sich später damit
Er fühlte ihre Hand auf seinem Rü­ beschäftigen; zunächst war ihm etwas
cken. »Sagte ich das nicht? Ich lasse dich anderes wichtig. Er legte die Hand auf
nicht allein.« die Decken.
Kantiran kroch voran. Der Gang be­ Sie waren körperwarm.
engte ihn, doch zu seiner Erleichterung »Sie war hier, noch vor wenigen Minu­
wurde er nicht noch schmäler. Er kam ten!«, entfuhr es ihm.
bequem voran, fragte sich allerdings, »Wer ...«
warum der Gang nur diese kleinen Aus­ »Die Gründermutter! Die Decken sind
maße besaß. War die Gründermutter – noch warm!«
falls diese gesamte Einrichtung tatsäch­ »Wie soll sie entkommen sein? Sie ist
lich ihr galt, was er nicht mit Sicherheit uns nicht entgegengekommen, und ...«
wusste, wovon er allerdings zutiefst Cosmuel unterbrach sich, ging zum Vor­
überzeugt war – eine kleinwüchsige Ge­ hang und zog ihn zur Seite. Die Antwort
stalt? Entstammte sie einem Volk, das in auf ihre Frage lag offen vor ihr.
dieser Umgebung aufrecht gehen konn­ Hinter dem Vorhang befand sich ein
te? Aber wie passte das zu der simplen Personentransmitter der Bauart, wie sie
Tatsache, dass der Öffnungsmechanis­ für die Friedensfahrer typisch war.
mus in einer Höhe angebracht gewesen Ein aktiver Transmitter, dessen Ab­
war, die für einen etwa zwei Meter gro­ strahlfeld matt gloste.
ßen Humanoiden geradezu perfekt »Nun wissen wir, wie sie von hier ver­
schien? schwunden ist.« Auch Cosmuel hegte
Seiner Schätzung nach erreichte er offenbar keinen Zweifel mehr, dass sie
nach etwa fünfzehn Metern das Ende tatsächlich der Gründermutter und nie­
des Kriechgangs. mandem sonst auf der Spur waren.
Dahinter befand sich ein Raum. Gemeinsam musterten sie die Einga­
Eine spartanische Wohnung. befelder. Sie kannten Transmitter dieser
Oder besser gesagt, ein Unterschlupf, Art. Sie ließen sich auf verschieden Ziele
der an das Innere einer Rundkuppel er­ programmieren. Allerdings ließ sich kein
innerte, allerdings kaum mehr als zehn einziges davon anzeigen oder gar an­
Quadratmeter Platz bot. Kantiran hatte wählen; jeder Zugriff war durch ein
etwas Spektakuläreres erwartet. Kodewort gesichert.
Die Gründermutter 51

»Denkst du auch, was ich denke?«, Kantiran atmete tief durch und trat
fragte Kantiran. durch das Abstrahlfeld.
»Wenn wir uns das Ziel nicht anzeigen
lassen können, dürfen wir nicht durch *
den Transmitter gehen. Wir könnten
überall rauskommen. Es ist unverant­ Er ging sofort in Abwehrstellung, be­
wortlich. Vielleicht ist auch der Emp­ reit, sich zu verteidigen.
fangstransmitter desaktiviert, und wir Dann erst nahm er seine neue Umge­
kommen nirgends an. Ich weiß nicht, wie bung wahr. Es war ein Unterschlupf, der
es dir geht, aber mir gefällt diese Vor­ in fast jedem Detail demjenigen glich,
stellung gar nicht.« aus dem er gekommen war. Nur dass der
»Die Gründermutter ist vor wenigen Vorhang vor dem Transmitter zerrissen
Minuten gesprungen. Auf diese Art kön­ und das Deckenlager halbwegs ordent­
nen wir ihr ganz einfach folgen.« lich aufgeräumt war. Sogar dieselbe Art
Seine Geliebte schüttelte den Kopf. Orter entdeckte er; in dieser Kammer lag
»Warum ist sie gegangen, Kantiran? er neben dem Einstieg in den Kriech­
Wahrscheinlich, weil sie unser Eindrin­ gang. Außerdem entdeckte Kantiran ei­
gen bemerkt hat und sich nicht finden nen zweiten Vorhang, hinter dem wohl
lassen will. Sie flieht – und hat uns viel­ ein zweiter Transmitter stand.
leicht eine Falle gestellt.« Er trat zur Seite, um Cosmuel Platz zu
»Wenn sie uns töten wollte, hätte sie machen.
das ganz sicher einfacher haben können. Sie untersuchten diesen kleinen Kup­
Diese holografischen Spielereien bewei­ pelraum, fanden jedoch nichts Bemer­
sen, dass sie über technologische Macht­ kenswertes. Den Kriechweg betraten sie
mittel verfügt. Ein Schuss, während wir nicht. Wahrscheinlich führte er an einen
im Kriechgang waren, und es wäre aus anderen markanten Punkt auf Ospera
mit uns gewesen. Sie ist keine Kille­ oder irgendwohin in die Wildnis des
rin.« Mondes. Oder hatte sie der Transmitter­
»Willst du mich überzeugen oder dich sprung auf eine andere Welt der Mond­
selbst?« kette geführt?
Er grinste. »Ich gehe zuerst. Du folgst Dies herauszufinden übte einigen Reiz
in wenigen Sekunden. Wenn uns am aus, doch er hielt es für vielverspre­
Ziel Gefahr droht, kehre ich sofort zu­ chender, die Transmitter als weitere
rück.« Transportmöglichkeit zu nutzen. »Wenn
52 CRISTIAN MONTILLON

wir davon ausgehen, dass die erste Kam­ sphäre des Herrn der Elemente vor, die
mer mit dem einen Transmitter ein auch meinem Vater vor langer Zeit das
Startpunkt ist, handelt es sich bei die­ Leben schwer gemacht hat. Sie kämpfte
sem Unterschlupf wohl um eine Zwi­ als Günstling des LICHTS VON AHN an
schenstation. Ein Transmitter führt zu­ der Seite der Varia und Enthonen. Sie
rück, der zweite weiter. In eine weitere hat unvorstellbar wertvolles Wissen.«
Zwischenstation oder ans Ende dieses »Aber sie entschied sich dafür, nie
kleinen Netzwerks. Das werden wir nur wieder offen in Erscheinung zu treten.
herausfinden, wenn wir erneut sprin­ Vielleicht leidet sie genauso unter einem
gen.« Trauma wie die Enthonen. Wahrschein­
Cosmuel nickte. »Ich sehe keinen lich sogar. Deshalb gründete sie mit ih­
Grund, länger als notwendig hierzublei­ nen und mit der Technologie des LICHTS
ben.« Sie zog den zweiten Vorhang bei­ den Geheimbund und zog sich zurück.
seite. »Kommt es dir nicht seltsam vor? Und nun kommen wir, nach Jahrtausen­
Diese Unterschlupfe sind nicht gerade den, und wollen sie wieder in den ak­
das, was ich erwartet hatte. So haust die tiven Widerstand zerren.«
Gründermutter? Wie ein Vagabund oder Kantiran sah nachdenklich auf das
Eremit? Nicht in einer Luxusumgebung dumpf glosende Abstrahlfeld. »Wir
voller Hightech?« könnten lange diskutieren. Es nützt
»Sie ist kein Topagent, kein gefähr­ nichts. Wir können unmöglich voraussa­
licher Schläfer in den Welten der Frie­ gen, wie sie reagieren wird. Gehen wir
densfahrer, sondern nur ein einsamer weiter.«
Wanderer, der nicht gefunden werden
will.« Genau das bereitete ihm Kopfzer­ *
brechen. Wie würde die Gründermutter
reagieren, wenn sie tatsächlich vor ihr Der Transmitter führte in eine dritte
standen? Kammer, kurz darauf sprangen sie in ei­
»Dennoch hätte ich gedacht, dass sie ne vierte. Damit schien das kleine Netz­
es sich in all den Jahrhunderten ein we­ werk erschöpft, denn die letzte Kuppel
nig ... bequemer gemacht hätte.« besaß wie die erste nur einen Transmit­
»Wir werden sie all das fragen, Cos­ ter, der zurückführte.
muel – hoffentlich schon bald.« Kantiran schloss die Augen und lehnte
»Und dann? Glaubst du wirklich, dass die Stirn gegen Cosmuels Schulter. »Da­
sie uns begleiten wird? Sie beobachtet mit gebe ich mich nicht zufrieden! Es
aus dem Verborgenen heraus das Ge­ muss möglich sein, in das Zielprogram­
schick der Friedensfahrer, weil sie sich mierungssystem einzudringen. Es gibt
so entschieden hat. Weshalb solltest aus­ noch weitere Transmitterausgänge, da­
gerechnet du sie vom Gegenteil überzeu­ von bin ich überzeugt. Wohin sonst sollte
gen können?« die Gründermutter geflohen sein?«
»Weil sich die Zeiten geändert haben. »Sie könnte einen der Kriechgänge
Weil wir gegen die Negasphäre kämpfen benutzt haben. In diesem Fall wäre sie
müssen und weil wir dazu ihre Hilfe be­ jetzt irgendwo auf Ospera, vielleicht in
nötigen. Versteh doch – wir nutzen die einer kargen Felsengegend, die sie seit
Friedensfahrer-Technologien, ohne sie schieren Ewigkeiten kennt. Sollte das
zu verstehen. Wer kann schon mit ihnen stimmen, haben wir keine Chance, sie
umgehen? Mit den Bahnhöfen, mit den ausfindig zu machen.«
Waffensystemen der OREON-Kapseln? Dem konnte er nicht widersprechen.
Niemand versteht das alles bis ins Letz­ Er sah jedoch keinen Grund, wegen die­
te. Die Gründermutter schon. Sie ist au­ ser düsteren Prognose von seinem Plan
ßerdem die Einzige, die echte Erfahrung abzurücken. Noch war er nicht bereit
im Kampf gegen eine Negasphäre auf­ aufzugeben. Während Cosmuel ihn dar­
weisen kann. Sie ging gegen die Nega­ auf hinwies, dass in diesem Moment die
Die Gründermutter 53

eigentliche Vollversammlung zur Wahl neidete ihn nicht um seine Aufgabe als
des neuen Patrons begann, ging er an die Organisator dieser Vollversammlung.
Arbeit und versuchte, das Eingabesys­ »Ruhe!«, gellte es Sekunden später
tem der Zielprogrammierung zu kna­ durch den Raum. »Mäßigt euch, oder ich
cken. schalte sämtliche Kommunikationspulte
ab und löse die Versammlung auf!«
* Seine Aufforderung änderte nichts;
der Geräuschpegel blieb unverändert
Frieden. hoch.
Ich suche Frieden. Könnt ihr ihn mir »Nun gut«, hörte Farigu, gefolgt von
geben? Woizeahs persönlichem Kode und dem
Alter Ausspruch der Gründermutter Befehl: »Alle Akustikfelder abschalten,
Autorisation Garant Woizeah.«
Im nächsten Augenblick wurde es
10. merklich stiller – nur noch die eigent­
In der wirklichen Welt lichen Stimmen von 3000 Friedensfah­
rern rauschten durch das Palais, jede
Die Unruhe im Palais Ellega war mit technische Verstärkung war unterbun­
Händen greifbar. Wo eben noch Diszi­ den.
plin und Ordnung geherrscht hatten, Diesmal fiel es dem Garanten leicht,
brach nach dem Zwischenruf des Revi­ alle zu übertönen, indem er sein eigenes
sors heilloses Chaos aus. Akustikfeld wieder freigab.
Jeder rief durcheinander, jeder hatte »Große Worte sind gefallen. Auch
etwas zu sagen. wenn sie unsere Gemüter erhitzen, müs­
Zu allem Überfluss war inzwischen sen wir gesittet darüber sprechen. Jeder
Farigu Scot Eliens Redezeit abgelaufen, erhält Gelegenheit, seinen Standpunkt
sodass sich jeder Friedensfahrer selbst­ öffentlich darzulegen. Allerdings darf es
ständig per Akustikfeld zu Wort melden den Wahlvorgang nicht beeinträchtigen.
konnte. Was Zahllose tatsächlich aus­ Er ist der eigentliche Grund unseres
nutzten, deren Beiträge eine dröhnende Treffens, und ich werde dafür sorgen,
Geräuschkulisse bildeten, in der kein dass er durchgeführt wird. Wer sich
Wort verständlich blieb. In den Gängen nicht zügeln kann, wird hiermit ver­
stampften, gingen, krochen und flogen warnt und notfalls vom Wahlvorgang
aufgeregte Friedensfahrer umher und ausgeschlossen.«
versuchten sich Gehör zu verschaffen. Daraufhin sank der Lärmpegel noch
Der Lärm war unerträglich. einmal gewaltig ab. Scot Elien fragte
Manchmal, dachte Farigu Scot Elien, sich zwar, ob diese Androhung rechtens
verhalten sie sich wie kleine Kinder. war und ein Ausschluss letztendlich gül­
Aber so war es schon immer gewesen, tig sein konnte, doch er intervenierte
bei jedem Volk, bei jeder erhitzten poli­ nicht. Es lag ganz in seinem Sinn, die
tischen Debatte, an der er als Diplomat Wahl wie geplant durchzuführen.
seines Heimatplaneten teilgenommen Farigu hatte lange darüber nachge­
hatte, ehe er dem Bund der Friedensfah­ dacht, wie er darauf reagieren sollte,
rer beigetreten war. dass Polm Ombar indirekt, aber eindeu­
Der blubbernde Wassertank des Ich­ tig Stellung für Kantiran bezog. Wahr­
thoyden Woizeah näherte sich dem Red­ scheinlich war es am besten, seinen
nerpult. Im Innern des Aquariums we­ Feind im Auge zu behalten und zu ver­
delte der Garant mit den Flossen, suchen, ihm eine unbedachte Äußerung
gleichzeitig drang die Bitte aus den zu entlocken. Er bedeutete Woizeah,
Akustikfeldern, dass Farigu zur Seite dass er sprechen wolle, und mit einem
treten solle. besonders starken Blubbern gab der
Er tat Woizeah den Gefallen und be­ Ichthoyde das Rednerpult frei.
54 CRISTIAN MONTILLON

»Ich bitte den Revisor auf die Bühne«, zugehen. Ich gönne ihm seine freie Ent­
sagte Farigu. »Ihm und unserer ge­ scheidung, denn damit zeigt er, dass er
schätzten Organisationsleitung stelle genau das beansprucht, wovon er alle
ich eine Frage: Gibt es einen Grund, die anderen abhalten will: Individualität.«
Wahl noch länger hinauszuzögern? Ich Im Aquarium blubberte es noch stär­
sehe, dass sekündlich Anträge gestellt ker. »Woher weißt du, dass sich Kantiran
werden, die Wahl zu verschieben, weil auf Ospera befindet? Du verbreitest
einer der Kandidaten nicht anwesend dieses Gerücht schon seit Stunden, aber
ist. Doch ich bin nicht bereit, diese Aus­ ich finde keinen Beweis dafür. Das Ora­
rede gelten zu lassen. Wenn dieses Bei­ kel gibt keine Auskunft über den Auf­
spiel Schule macht, wird in Zukunft enthaltsort der THEREME II.«
keine Wahl mehr ordnungsgemäß durch­ Scot Elien dachte an seine Sympathi­
geführt werden können. Die Prognose ist santen, die in seinem Auftrag jeden ein­
schlecht? Gut, dann bleibe ich einfach zelnen Schritt seines Konkurrenten be­
der Wahl fern. Wenn der Garant Kanti­ obachtet hatten. Erst vor Ospera hatten
ran es nicht für nötig hält zu erscheinen, sie kehrtgemacht, weil sie nicht bereit
stimmen wir eben in seiner Abwesenheit waren, das Tabu zu brechen, das über
ab.« Er legte eine kunstvolle, genau be­ diesem Mond lag, solange es keinen
messene Pause ein und ergänzte spöt­ Grund gab, die Glasbasilika aufzusu­
tisch: »Sollte Kantiran gewinnen, wird chen.
er es sicherlich erfahren.« »Ich darf meine Quellen nicht offen
Woizeah gab seine Stellungnahme, legen. Es lässt sich allerdings leicht
ohne zu zögern, ab. »Die Wahl kann auch nachprüfen. Ich stelle mir die Szenerie
ohne Kantirans Anwesenheit durchge­ so vor: Kantiran blockiert kraft seiner
führt werden. Sie muss es sogar, meiner Autorität jegliche Auskunft des Orakels.
bescheidenen Meinung nach. Nichts Schon das sollte uns zu denken geben.
spricht dagegen. Sämtliche Kommuni­ Allerdings ... der Revisor verfügt noch
kationspulte sind vorbereitet.« über andere Möglichkeiten. Er ist sicher
Polm Ombar stampfte auf die Bühne. über einen solchen Tabubruch infor­
»Es könnte allerdings einen guten Grund miert. Er wird entsprechend gehandelt
für Kantirans Fehlen geben.« haben. Darüber kann er uns zweifellos
»Worin sollte dieser bestehen?«, fragte persönlich Auskunft geben. Ah – da bist
der Ichthoyde. du ja, Revisor. Was sagst du dazu?«
»Etwa ein Unfall. Oder eine ...« Elien jubilierte innerlich. Alles lief
»Kantiran ist unterwegs«, unterbrach perfekt. Kantiran erhielt die Strafe für
Scot Elien. »Wir sollten in dieser Phase sein Handeln und stand in denkbar
die Dinge beim Namen nennen. Eine kur­ schlechtem Licht da. Er war davon über­
ze Recherche dürfte in diesem Zusam­ zeugt, dass der Revisor Kantiran deckte
menhang genügen. Seine OREON-Kapsel und längst über dessen Aufenthaltsort
THEREME II hat ihren Landeplatz vor Bescheid wusste. Nun würde er gezwun­
Stunden verlassen und ist Richtung gen sein, es zuzugeben – oder öffentlich
Ospera geflogen. Richtung Ospera – mir zu lügen, was er sich wiederum nicht
will das gar nicht gefallen.« leisten konnte, ohne völlig in Misskredit
»Das tut nichts zur Sache«, dröhnte zu geraten. Das würde er nicht wagen.
der Revisor. Diesen Preis würde er nicht zahlen, zu­
»Das – tut – nichts – zur – Sache«, wie­ mal es Kantirans Wahlchancen noch
derholte Scot Elien und betonte dabei weiter senken würde. Solange er der un­
jedes einzelne Wort. »Das mag korrekt bescholtene, Ehrfurcht gebietende Revi­
sein. Es gilt jedoch, dass sich Kantiran sor war, bedeutete er als Verbündeter für
aus freiem Willen zum Aufbruch ent­ Kantiran Popularität – wenn Zweifel
schieden hat. Er hält es offenbar für auf Ombars Integrität fielen, sah die Sa­
wichtiger, einer anderen Mission nach­ che schon ganz anders aus.
Die Gründermutter 55

Der Revisor erreichte die Bühne. »Fa­ Die geschuppte Haut des echsenar­
rigu Scot Elien spricht die Wahrheit. tigen Gesichts glänzte grün. Nickhäute
Kantiran befindet sich tatsächlich auf schnappten von der Seite her vor dem
Ospera. Allerdings erhielt er meine Zu­ einen rot leuchtenden Auge zu. »Wenn
stimmung.« diese Aufzeichnung jemals öffentlich
»Wie kann das sein?«, fragte Elien. »Er abgespielt wird, werde ich tot sein.«
bricht ein Tabu, und du gestattest es?« Schon nach diesen Worten kehrte er­
»Kantiran wird uns die Gründermut­ neut Totenstille im Palais ein.
ter zurückbringen, die Wurzel unseres »Die Botschaft, die ich zu bringen ha­
Bundes.« Sofort begann es im Palais be, ist kurz. Ich verleihe hiermit meinem
wieder zu rumoren. »Nach dem Rückzug tiefen Glauben Ausdruck, dass nach mir
der Enthonen und Chyndors Tod ist sie ein junger, frischer Patron die Geschicke
unsere einzige Verbindung zu unserer der Friedensfahrer lenken muss. Je­
Vergangenheit. Mehr Informationen darf mand, der es versteht, die alten Struktu­
ich nicht geben, denn sie gehören zum ren aufzusprengen und das Credo auf
geheimen Wissen, über das ich kraft neue Weise zu interpretieren. Auf eine
meines Amtes als Revisor verfüge.« Weise, die der neuen Zeit angemessen
Ein kluger Schachzug. Wer könnte ist, die längst angebrochen ist, ohne dass
ihm da widersprechen? Aber ich gebe wir es bemerkt haben. Seit ich zum Pa­
mich noch lange nicht geschlagen. Das tron gewählt wurde, weiß ich, dass ich
war ärgerlich, aber nicht tragisch. dieses Amt nicht lange ausführen kann
»Mich interessiert deine eigene Ein­ und darf. Der Atem der neuen Zeit ver­
schätzung der Lage, Revisor. Du hast langt ungewöhnliches Denken. Die Be­
eigentlich die Neutralität zu wahren, reitschaft, alles zu hinterfragen. Mein
tust es aber nicht. Nun sag es in aller Nachfolger kann deshalb nur einer sein:
Deutlichkeit – wie stehst du zu Kanti­ der Garant Kantiran.«
ran?« Die Stimme verstummte.
»Meine Haltung ist unerheblich. Diese Das Holo erlosch.
hier«, Ombar präsentierte zwischen zwei Und zum ersten Mal fand Farigu Scot
Fingern seiner klobigen Rechten einen Elien keine angemessenen Worte, die ein
blau funkelnden Speicherkristall, »ist es günstiges Licht auf ihn werfen würden.
nicht. Ich spiele euch hiermit eine Bot­ Diese Botschaft des Sympathieträgers
schaft vor, deren Echtheit ich wohl kaum Chyndor würde ihn mindestens fünf
bezeugen muss.« Prozent der Stimmen kosten.
Der Revisor ging zum Lesegerät und Der Revisor wandte sich ein letztes
dem Projektor, die ins Rednerpult inte­ Mal an die versammelten Friedensfah­
griert waren, und klickte den Speicher­
kristall ein.
Scot Elien verkrampfte sich, weil das
Stechen in seiner Brust blitzartig stär­
ker wurde. Die Gegenseite verfügte also
noch über einen Trumpf, den sie strate­
gisch geschickt in letzter Sekunde aus­
spielte. Er schwieg, denn nun galt es,
kein falsches Wort zu verlieren. Er muss­
te Vorsicht walten lassen.
Über dem glatzköpfigen Haupt des
Revisors erschien ein riesiges Holo­
gramm.
Farigu kannte dieses Gesicht nur zu
gut – dies war Chyndor, der gerade erst
begrabene und verbrannte alte Patron.
56 CRISTIAN MONTILLON

rer. »Damit ist alles gesagt. Ja, Kantiran nehmen, musste aber zahllose Sperren
ist nicht hier. Ja, er hat es vorgezogen, umgehen. Er wünschte sich einen Tech­
die Gründermutter zu suchen. Ja, er niker an seiner Seite.
missachtet wieder und wieder die Re­ Irgendwann kam Leben in die Anzei­
geln unseres Geheimbunds. Und ja, Fa­ gen, und ein Eingabefeld baute sich auf.
rigu Scot Elien steht für alles, was un­ »Cosmuel!«, rief er seine Geliebte per
seren Bund seit Jahrhunderten und Helmfunk an. Sie war in den Kriechgang
Jahrtausenden ausgemacht hat. Ent­ vorgedrungen, um herauszufinden, wo
scheiden wir bald, meine Freunde. Wäh­ dieser endete.
len wir den Kampf gegen die Negasphä­ »Hast du ...«
re – ja oder nein? Welche Wahl bedeutet »Vier Zielpunkte! Es gibt vier Ziel­
Verantwortung, welche Flucht? Diese punkte! Drei sind uns bekannt – die an­
Frage kann nur jeder für sich selbst ent­ deren Kammern. Diese sind frei anwähl­
scheiden. Der Revisor wird dem Patron bar. Aber der vierte ... er trägt keinen
gehorchen. Und der Friedensfahrer Polm Namen und ist mit einem Kodewort ge­
Ombar wird Kantiran wählen.« sichert.«
Farigu stand starr, als Ombar ver­ »Ich komme zurück. Dauert nur eine
stummte. Minute. Der Kriechgang endet vor einer
Der Organisator Woizeah ergriff das verschlossenen Tür. Auf die Schnelle ha­
Wort. »Die Wahl möge beginnen. Eure be ich den Öffnungsmechanismus noch
Kommunikationseinheiten warten auf nicht ausfindig machen können.« Er
die Eingabe eures persönlichen Kodes hörte Schaben und leises Ächzen. »Ist
und das Votum für Farigu Scot Elien ziemlich eng hier drin. Nicht gerade ge­
oder für Kantiran. In einer Stunde wer­ eignet, sich umzudrehen. Zirkusartistin
den alle Stimmen gezählt sein.« müsste man sein ...«
Kantiran hörte sie kaum. Er ärgerte
* sich, dass er keinen Spezial-Kodewort­
analysator bei sich trug und nicht mal
Ich habe es tatsächlich getan. Ich bin über die Möglichkeit verfügte, per Zu­
der Revisor, ich stehe für die Tradition. fallsalgorithmus nach der Lösung zu
Aber ich muss der Stimme meines Ge­ suchen. Aber wer hätte schon mit dieser
wissens folgen, und diese sagt mir, dass Situation rechnen können?
Chyndors Analyse korrekt ist. Die Frie­ Ohne große Hoffnung gab er Gründer­
densfahrer müssen in die Zukunft ge­ mutter ein, dann Negasphäre.
führt werden, und wir müssen uns an­ Er erhielt keinen Zugang. Natürlich
passen, ob es uns gefällt oder nicht. Die nicht.
Reinheit und Unbeflecktheit, die in der Hinter ihm raschelte Stoff, dann stand
Vergangenheit unseren Geheimbund Cosmuel neben ihm. »Negasphäre?«,
ausgezeichnet hatten, können angesichts fragte sie. »Das wäre allerdings nicht
der Negasphäre nicht länger bestehen. gerade das raffinierteste Kodewort.«
Die Friedensfahrer sind in der Reali­ »Ich glaube nicht, dass es besonders
tät angekommen. gut gesichert ist. Die Gründermutter
Private Aufzeichnung Polm Ombars rechnet nicht damit, dass jemand bis
hierher vordringen könnte. Mehr als
zwei Jahrtausende lang hat sie damit
11. auch recht behalten. Sieh dir doch die
Gründermutters Angesicht ganzen bisherigen Sicherungen an –
Spielereien, wenn du so willst. Hologra­
Seit einer gefühlten Ewigkeit arbeite­ fische Geiervögel ... Pseudowände und
te Kantiran daran, in die Steuerung des ein versteckter Türöffner. Vielleicht ist
Transmitters einzudringen. Mithilfe sei­ das Kodewort vor allem dazu da, dass
ner Anzugtechnik konnte er Zugriff sie die vierte Verbindung nicht irgend­
Die Gründermutter 57

wann selbst aus Unachtsamkeit öff­ »Endlich mal was anderes«, sagte
net.« Kantiran sarkastisch und setzte sofort
»Du bist ein Optimist, das gefällt mir.« seinen Anzugorter ein, der lautlos Peil­
Sie drückte ihn sanft, aber bestimmt zur impulse aussendete. Währenddessen
Seite. »Ich übrigens ebenfalls.« musterte er seine Umgebung.
Sie gab Enthone ein, dann Varia und Bis auf den Empfangstransmitter war
Glasbasilika. dieser etwa drei auf drei Meter messende
»Versuch es mit OREON«, schlug Raum völlig leer. Im Unterschied zu dem
Kantiran vor. Kuppelunterschlupf waren die Wände
Wieder nichts. jedoch nicht mit Holz verkleidet, son­
»Immerhin haben wir dahinten ein dern bestanden aus Metall. Eine dieses
bequemes Lager, um ein Schläfchen zu Mal deutlich sichtbare Tür lag ihnen ge­
halten, falls uns langweilig wird«, sagte genüber.
Cosmuel, während sie LICHT VON AHN »Kant«, sagte in diesem Moment Cos­
eingab. muel völlig fassungslos. Sie starrte auf
Der Zugang wurde freigegeben. ihren Anzugorter. Kantiran tat es ihr
Das Abstrahlfeld erlosch kurz und gleich und verstand augenblicklich, wie
baute sich sofort wieder auf. sie sich fühlte. Die Messergebnisse wa­
Cosmuels Hand lag wie erstarrt auf ren eindeutig. Dieser Raum war Teil
dem Eingabefeld. »Manchmal lohnt es eines Bauwerks.
sich wohl, optimistisch zu sein.« Ein winziger Teil.
Nacheinander traten sie in das Ab­ Er befand sich am unteren Rand eines
strahlfeld. unregelmäßig geformten, grob kugelför­
migen riesigen Gebäudes von etwa 8,5
* Kilometern Durchmesser.
»Das sieht mir schon eher wie die Be­
Sie rematerialisierten in einem qua­ hausung eines kosmisch bedeutenden
derförmigen Raum. Wesens wie der Gründermutter aus«,
58 CRISTIAN MONTILLON

sagte er leise. »Was ist das? Eine Raum­ zum Zieleingabesystem zu finden, war
station?« ihm beiläufig etwas anderes aufgefallen,
»Das werden wir selbst herausfinden dessen Bedeutung ihm nun erst auf­
müssen. Meine Orter versagen an der ging.
Außenhülle des Bauwerks. Du kannst »Was suchst du?«, fragte Cosmuel.
vermutlich ebenso wenig nach draußen Wieder gab er LICHT VON AHN ein
orten?« und tippte danach auf dem Eingabefeld.
Sie schüttelte den Kopf, ging zu »Das Gerät verfügt über einen automa­
der Tür und öffnete sie. »Sieh dir das tischen Sensor, eine Aufzeichnungs­
an.« funktion. Wenn wir ...« Er stockte. Ein
Er ging die wenigen Schritte zu ihr. kleines Bild erschien. Es zeigte Cosmuel,
Der Transmitterempfangsraum befand wie sie aus dem Empfangsfeld schritt.
sich auf etwa halber Höhe in einer gi­ »Dir ist klar, was das bedeutet?«
gantischen Halle, die mehrere hundert Sie nickte. »Mach weiter.«
Meter maß und eine Deckenhöhe von Er versuchte einige Kombinationen,
sicher ebenfalls hundert Metern auf­ dann wechselte das Bild. Nun war er
wies. selbst zu sehen. Er warf einen hastigen
In der Halle herrschte völlige Stille. Blick zu seiner Geliebten. »Wenn die
Überall standen Maschinen und desak­ Gründermutter tatsächlich vor uns die­
tivierte Roboter. Gewaltige Aggregate­ sen Transmitter benutzt hat, werden
blöcke schienen nur darauf zu warten, wir ...«
wieder in Betrieb genommen zu wer­ »Red nicht, tu es!«
den. Kantiran tippte die entsprechende
Mit einem Mal erinnerte sich Kanti­ Eingabe.
ran an den Moment, ehe sie in die Vogel­ Ein neues Bild formte sich.
höhle eingedrungen waren und er mit Nun war eine entfernt menschenähn­
dem kollektiven Bewusstsein der Wurm­ liche Gestalt zu sehen. Die Haut im ma­
tiere verbunden gewesen war: Er fühlte hagonifarbenen Gesicht trug auf der
sich winzig und verloren. linken Seite kleinteilige Fleckenmuster
Cosmuel legte eine Hand auf seinen in der Farbe von Milchkaffee. Hell­
Arm. »Das ist eine Werft. Stell dir die braunes, bürstenkurz geschnittenes
lunare Automatwerft vor. Das hier sieht Haar umgab wie eine Kappe den Schä­
nicht viel anders aus.« del. Die schmale Nase mit nur einem
Kantiran zog seine Geliebte zurück in Loch blähte sich auffallend. Dunkle
den Raum und schloss die Tür. »Irgend­ Schatten umwölkten hellgrüne Augen,
wann muss die Gründermutter auf uns die das gesamte Antlitz dominierten.
reagieren. Sie kann es nicht einfach hin­ Die fingerförmigen Ohrmuscheln tru­
nehmen, dass wir ihr bis hierher folgen. gen perlmuttfarbene Schmuckim­
Sie hat etwas zu verbergen, das steht plantate.
nun wohl eindeutig fest. Wie kann es Die Gestalt wirkte ... krank, aber an­
sein, dass auf Ospera oder irgendwo sonsten ...
sonst in der Mondkette der Friedensfah­ »Das ist ...«, entfuhr es Cosmuel.
rer ein Gigant wie dieser Acht-Kilome­ »Wir haben sie schon einmal gesehen«,
ter-Riese steht, ohne dass jemand davon stimmte Kantiran zu. »Nicht persönlich,
weiß? Die Friedensfahrer glauben, jeden aber auf dem Speicherkristall, den mein
Winkel ihres kleinen Refugiums Rosella Vater uns gegeben hat.«
Rosado zu kennen – und dann das »Aber das kann nicht sein!«
hier?« Die Gründermutter trug eine schwar­
Noch während er redete, machte er ze Kombination sowie zwei weitere, auf­
sich am Empfangstransmitter zu schaf­ fällige Kleidungsstücke: einen Brust­
fen. In der Zeit, in der er in dem Kuppel­ panzer aus graublauem Material.
unterschlupf versucht hatte, Zugang Beinschienen aus demselben Material,
Die Gründermutter 59

die durch eine Beckenbrücke miteinan- Epilog


der verbunden waren.
Außerdem baumelte vom Gürtel der Polm Ombar sah als einer der Ersten
Gestalt ein handgroßes graublaues das Wahlergebnis. »Es ist also gesche-
Etui. hen«, sagte er zu Woizeah.
»Am Gürtel«, sagte Kantiran. »Das ist Sein Gegenüber legte im Wassertank
der Vektor-Helm! Und dieser Brustpan- die Flossen eng an den Fischleib. »Ich
zer, die Beinschienen – die Gründermut- werde das Ergebnis verkünden. Es zu
ter trägt die Nachtlichtrüstung!« beurteilen steht mir als Organisator
»Die Gründermutter? Warum nennst nicht zu.«
du sie nicht beim Namen? Vor zwan- »Und als Friedensfahrer?«
zig Millionen Jahren war sie im Krieg »Als Individuum?«, fragte der Ich­
gegen die Negasphäre Tare-Scharm thoyde. »Da wage ich nicht, ein Urteil zu
ARCHETIMS Kriegsherrin. Generalin sprechen. Wir müssen es ohnehin akzep-
Kamuko ...« tieren.«

ENDE

Die Gründermutter lebt – wie Kantiran es schon lange geahnt hat. Doch ihre
Identität, ihr bisheriges Schicksal und ihre Einstellung dürften für viele ge­
wöhnungsbedürftig sein.

Die Geschichte der Friedensfahrer aus Sicht der Gründermutter und deren
Zukunft sind Thema des Romans der nächsten Woche, der ebenfalls aus
Christian Montillons Feder stammt und unter folgendem Titel überall im Zeit­
schriftenhandel erhältlich sein wird:

LICHT VON AHN

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Swen Papenbrock. Innenillustration:
Swen Papenbrock. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
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FALLE LAZARUU
Der Kugelsternhaufen Lazaruu befindet sich im Halo mals zum Beispiel Rechner auf der Basis extrem hoch
von Hangay – sein Mittelpunkt ist exakt 62.583 Licht­ entwickelter Syntroniken; die Energieversorgung wur­
jahre vom galaktischen Zentrum Hangays entfernt und de durch Sextadimzapfer sichergestellt, die Energie
38.306 Lichtjahre oberhalb der galaktischen Haupte­ aus übergeordneten Kontinua abzogen; Formenergie
bene angesiedelt. Sein Durchmesser beträgt 135 Licht­ wurde ebenso eingesetzt wie Fiktivtransmitter. Es ist
jahre, in denen sich insgesamt rund 230.000 Sonnen davon auszugehen, dass etliche Anwendungen der
konzentrieren. Der Lazaruu-Haufen stand im Fokus der verbauten (»Chaos«-)Technik wie jetzt bei der Termi­
Friedensfahreraktivität, als es ihnen fast gelungen wä­ nalen Kolonne weitgehend »supratronisch« ausge­
re, Kirmizz in die Hände zu bekommen, den desi­ legt waren, also hauptsächlich im UHF- und SHF-Be­
gnierten Piloten des Chaotenders VULTAPHER. reich des hyperenergetischen Spektrums und den mit
Am 9. Juli 1347 NGZ wurden höchst rätselhafte Wellen­ ihnen verbundenen Dakkar- und sechsdimensionalen
fronten angemessen, von denen ein guter Teil in ul­ Komponenten arbeiteten.
trahochfrequente Bereiche hineinreichte, welche die Und genau auf dieser hoch entwickelten Technologie
Ortergeräte der Friedensfahrer nicht abdeckten. Damit basierte die im Lazaruu-Haufen für die Friedensfahrer
war durchaus klar, dass diese weit übergeordnete vorbereitete Falle. Der Hyperraum wurde manipuliert,
Technologie mit großer Wahrscheinlichkeit von Aktivi­ gewissermaßen künstlich gekrümmt und unbefahr­
täten der Terminalen Kolonne TRAITOR stammen dürf­ bar, jedenfalls in jenen Frequenzbereichen, in denen
te. Entdeckt wurde dann eine Kolonnen-MASCHINE – die Quartale Kraft herrscht – die Antriebsenergie der
einer der Giganten der Kolonne. Extrem riesig, extrem OREON-Kapseln. Sie flogen nicht mehr auf geraden
gefährlich und technologisch hoch überlegen. Vektoren, sondern bewegten sich auf hyperphysika­
Wie bei den meisten derzeit von der Kolonne einge­ lischen Abschnitten eines Kreisbogens. Die Friedens­
setzten MASCHINEN bestand auch diese aus zwei an fahrer sollten die Wellenfronten auffangen und nach
den Polen aneinandergekoppelten Halbkugeln, deren dem Rechten sehen. Das war der Plan derjenigen, die
riesige Schnittflächen von Aufbauten übersät sind, mit der MASCHINE hierher gebracht wurden – eigens
während zwischen den beiden Rümpfen ein Antriebs­ für die Friedensfahrer.
ringwulst rotiert – sein Außendurchmesser erreicht Beim Vordringen näherten sich die zehn Kapseln nicht
65 Kilometer, seine Höhe fünfzehn. Der Durchmesser nur dem Zentrum und der MASCHINE, die dort auf sie
des Gesamtgebildes beträgt 100 Kilometer bei einer wartete wie eine überdimensionale Spinne im Netz,
Höhe von ebenfalls 100 Kilometern. Der höchste Turm sondern sie stürzten schließlich darauf zu. Jede Über­
im Zentrum der Schnittflächen-»Stadt« ist in der Art lichtetappe riss sie näher heran, immer schneller. Die
einer steilen Stufenpyramide mit zusätzlichem Auf­ Wirkung der MASCHINE glich einem Vortex, einem hy­
satz ähnlich einem Fernsehturm geformt; seine Höhe perenergetischen Hurrikan, der sie zerreißen und ver­
beträgt 25 Kilometer, die Grundfläche etwa zwölf mal nichten konnte – aber im Zentrum des Orkans, in seinem
zwölf Kilometer. Die übrigen Türme sind zwischen Auge, herrschte Ruhe. Solange sich die OREON-Kapseln
zehn und fünfzehn Kilometern hoch. Meist handelt mit Überlichtgeschwindigkeit bewegten, zog es sie in
sich hierbei um diverse Projektoren, Antennen und einer Spirale immer enger an die Kolonnen-MASCHINE
dergleichen. Die Gesamthöhe der MASCHINE ein­ heran, als klebten sie an unsichtbaren Tentakeln.
schließlich ihrer Zentraltürme beträgt also 150 Kilo­ Die Kapseln wurden vernichtet, die Friedensfahrer
meter (siehe Innenillustration in PR 1185). mussten sich verstecken. Nur CHEOS-TAI ist es zu ver­
MASCHINEN dieser Art begegneten den Terranern be­ danken, dass die Kolonnen-MASCHINE fortgelockt
reits ab 427 NGZ und wurden damals vom Dekalog der werden konnte – und das mitgereiste Einsatzge­
Elemente als Element der Technik in Gestalt des Volks schwader ARCHETIM, bestehend aus zwölf LFT-BOXEN
der Anin An eingesetzt, welches Aggregate und die und drei Ultraschlachtschiffen, konnte die Friedens­
benötigten Mittel lieferte. Es kann nicht ausgeschlos­ fahrer vor dem Zugriff der Kolonne retten. Für den
sen werden, dass Teile der Anin An bis heute ihren Patron Chyndor und einige andere aber kam diese
Dienst in der Terminalen Kolonne versehen, weil diese Hilfe zu spät.
nicht zum Dekalog gehörten. Zum Einsatz kamen da­ Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,

es gibt was zum Jubeln. Die erfreuliche Nachricht flat­ Um ehrlich zu sein, möchte ich dies auch gar nicht,
terte mir kurz vor Redaktionsschluss auf den Tisch. denn für mich ist Band 32 einfach das Buch.
PR-Action geht weiter. Nach dem »Demetria«- und Eines noch zur aktuellen Handlung. Ich fand es nicht
dem »Kristallmond«-Zyklus starten wir ab dem schön, dass Pan Greystat den Löffel abgeben musste.
6. März 2009 in die dritte Etappe. Allerdings hatte seine Todesszene etwas Besonde­
Der »Wega«-Zyklus steckt mitten in den Vorberei­ res. Respekt für Michael Marcus Thurner. Die
tungen. Christian Montillon arbeitet mit Hochdruck an Schlussszene – »›Ein toller Kerl‹, murmelte der Algor­
der Konzeption und den Exposés. Chris zeichnete be­ rian.« – ist ein kleines Stückchen »Sense of Wonder«
kanntlich schon für die ersten 24 Hefte verantwort­ für mich.
lich.
Wer alles mitschreibt, wird hier noch nicht verraten. Ich denke, das ergeht uns allen so. Die Zyklen, die
Fest steht, dass die Titelbilder wieder von Arndt man in der Jugend gelesen hat, bleiben einem am
Drechsler gestaltet werden. eindringlichsten im Gedächtnis. Gründe gibt es dafür
sicher viele. Einer dürfte sein, dass man in jungem
Und noch eine Meldung ging dieser Tage über den Ti­ Alter mehr Zeit und Muse hat, um Romane intensiv zu
cker. Am 10. Dezember 2008 verlieh Amnesty Interna­ lesen.
tional den Armin T. Wegner-Literaturpreis für Men­ Ähnliches gilt auch für den Sense of Wonder. Ich habe
schenrechte. Aus 500 Einsendungen, die aus zwölf mal irgendwo geschrieben, dass auf 100.000 Leser
Staaten eintrafen, ging der erste Preis an die Autorin 200.000 verschiedene Geschmäcker kommen. Das
Uschi Zietsch – unter dem Künstlernamen Susan trifft es ziemlich genau.
Schwartz viele Jahre im PERRY RHODAN-Team – für
ihre Kurzgeschichte »Aische«. Dieter Eberle, PerryRhodanfan@web.de
Die PERRY RHODAN-Redaktion und das PERRY RHO­ Seit langer Zeit lese ich nun PERRY RHODAN, egal, ob
DAN-Team gratulieren der Autorin herzlich zu dieser Erstauflage, PR-Action oder Sonderhefte und bin noch
Auszeichnung. immer hin und weg.
Die Titelbilder der Erstausgabe finde ich wesentlich
Ihr habt das Wort! besser gelungen als bei PR-Action. Es fehlt mir dort
Sascha Schwarz, draco0@web.de das gewisse Etwas. Sie sind mir auch zu »farben­
Ich fühle mich gerade gesprächig und wollte dir meine leer«. Wann kommt eigentlich der nächste Sonder­
Gedanken zum »Sense of Wonder« in PR mitteilen, band PERRY RHODAN-Extra? Das Heft mit dem Titel
angeregt durch das LKS-Feedback vom Leipziger »Der dritte Goratschin« war von Inhalt, Gestaltung
Stammtisch in Heft 2466. und der Novelle »Brüder« ein Volltreffer, der nach
Ich finde den MdI-Zyklus noch immer am besten, viel­ mehr schreit.
leicht weil ich damals 16 war und leicht zu beeindru­
cken. Die Namen Perry, Atlan, Mirona, Omar Hawk, Das von dir genannte PR-Extra hat längst einen Nach­
Redhorse hängen mir bis heute im Kopf, sie haben folger bekommen. Anfang Oktober 2008 erschien PR-
was Mythisches an sich. Extra Nummer sieben »Die Stardust-Maschine«. Das
Ich weiß nicht, wie ich es genau beschreiben soll, ich nächste Extra ist für das kommende Frühjahr ge­
habe mich jedes Mal gefreut, wenn ich diese Namen plant.
gelesen habe. Besonders Silberband 32 »Die letzte
Die EASTSIDE-Paperbacks
Bastion« ist für mich das Vorzeige-PR-Buch schlecht­
hin. Es ist mittlerweile das am meisten zerfledderte Boah! Mit einer so großen Resonanz auf die EAST­
Buch von meinen 62 Stück. SIDE-Paperbacks hätten wir nicht gerechnet. Schick
Obwohl ich sehr viele gute Hefte gelesen habe und sind sie allemal. Als ich sie zum ersten Mal in Händen
auch viele gute Charakter dabei waren/sind, weiß ich hielt, machte mich die Covergestaltung richtigge­
nicht, warum dieses Gefühl der Hochstimmung-Trau­ hend an. Eine Einladung zum Lesen. Für mich, der ich
rigkeit-Dramatik nicht mehr in der Intensität auf­ mich lange Zeit intensiv mit den Blues beschäftigte
taucht. (ihr erinnert euch vielleicht an die Blues-CD-ROM von
1998), sind die drei Bände ein Leckerbissen. Ich Die Story der Woche
ertappte mich dabei, wie ich zu schmökern be­
gann, und schwups, war ich wieder mitten im Ge­ Kostproben der Ewigkeit
schehen. von Wolfgang Öller, oellerw@resi.at
Ein Dank an alle, die sich auch hier wieder ein Bein Im Traum wandelte ich durch eine seltsame Stadt, al­
ausgerissen haben – an Dirk Schulz für die Coverge­ les war schwarz. Der Gehweg unter meinen Füßen, die
staltung und die Bilder und an Klaus Bollhöfener, der fensterlosen Gebäude, die nahtlos aus dem Boden
als »abteilungsinterner Hersteller« die ganze Produk­ wuchsen, die Objekte, die über der Stadt schwebten,
tion sehr gut meisterte. alle fraßen sie das Licht förmlich auf.
Nur die Sonne hatte eine andere Farbe, eine gigan­
Ein paar Worte zum Inhalt: tische rote Sphäre füllte fast den gesamten Himmel.
Der EASTSIDE-Zyklus schildert in seinen drei Büchern Ich erwachte mit der Kraft.
Ereignisse, die das Perryversum kräftig durcheinan­ Das Erste, was ich bemerkte, als ich das Badezimmer
derwirbeln. Auf einmal gibt es Zellaktivatoren in der betrat: Ich hatte keine Bartstoppeln mehr. Meine Zäh­
Milchstraße, und die Terraner treten in Kontakt mit ne waren völlig ebenmäßig, und mein Körper befand
dem sogenannten Zweiten Imperium. sich in einem Zustand, den man nur als perfekt be­
Im ersten Band, der den Titel »Hornschrecken« trägt, schreiben konnte.
streut ES die Zellaktivatoren aus, dann verschwindet Ich fühlte weder Durst noch Hunger, und meine Lieb­
die Superintelligenz aus der Milchstraße. Eine erbar­ lingskleidung bedeckte mich, noch bevor ich ans An­
mungslose Jagd auf die Geräte beginnt, mit denen kleiden dachte.
man relative Unsterblichkeit erringen kann – mit da­ Ich ging nach draußen. Es war noch dunkel, die Sterne
bei sind USO-Spezialisten wie der Ertruser Melbar Ka­ glänzten über mir. Einer stach mir ins Auge, plötzlich
som und der Siganese Lemy Danger. Bei einem Ein­ wuchs er, und ich schwebte über seiner Oberfläche.
satz geht einiges schief, in der Folge rast eine spezielle Ich hatte Angst und dachte an mein Heim. Im selben
»Welle« durch die Galaxis, und die mysteriösen Horn­ Moment schwebte ich über einer Wiese, in der Ferne
schrecken erwachen, tödliche Wesen, die Planeten konnte ich eine Stadt erkennen.
buchstäblich leer fressen. Wieder blickte ich himmelwärts. Ich sah mehr, als ich
Im zweiten Band der Trilogie, »Herren des Molkex«, je zuvor gesehen hatte. Ein Schwarzes Loch riss Ma­
entschlüsseln die Terraner und ihre Verbündeten terie aus einem Roten Riesen.
mehr Details zu den Hintergründen der Hornschre­ Ein helles Objekt war vor mir. Gewaltige Energien, die
cken; sie verstehen die Zusammenhänge mit den so­ ich mit Sinnen erfasste, die ich vorher nicht besessen
genannten Schreckwürmern und entdecken das so­ hatte, trafen mich. Ich flüchtete erneut.
genannte Zweite Imperium auf der »anderen Seite« Der Himmel über mir war schwarz, der Boden unter
der Galaxis, in der Eastside also. Dort herrschen die mir glühte. Ich wusste, dass etwas Feindseliges mich
Blues, wie sie von den Terranern genannt werden; sie in seinem Blickfeld hatte. Der Mond stand hoch am
selbst bezeichnen sich als die »Huldvollen«. Zwi­ Himmel, ich konnte Lichter auf seiner Oberfläche er­
schen den beiden Imperien entwickelt sich ein fürch­ kennen.
terlicher Konflikt ... Ein Strahl hüllte mich ein, er war stark genug, um den
Um diesen geht es vor allem im dritten Band, der kleinen Mond zu verdampfen. Instinktiv verteidigte
Titel »Kampf gegen die Blues« ist hier gewisserma­ ich mich, mein Gegenangriff zerbrach den Mond in
ßen Programm. Wie er ausgeht, will ich hier nicht ver­ tausend Teile.
raten – selbstverständlich geht Terra nicht unter, Meine Sinne wuchsen ein weiteres Mal. Ich sprang
aber wie es die Terraner letztlich anstellen, ist eine zum entferntesten Objekt, das ich spüren konnte.
spannende und abwechslungsreiche Geschichte, Es war nicht mehr. Zeit war offenbar mein Feind.
in der erneut Geheimdienstaktionen eine Rolle spie­ Ich schwebte in der Leere, eine Galaxie direkt vor
len. mir.
Vieles von dem, was in der EASTSIDE-Trilogie erzählt Als ich nach Hause zurückkehrte, existierte die Erde
wird, hat Auswirkungen bis in die aktuelle PERRY RHO­ schon lange nicht mehr.
DAN-Handlung. Die Blues haben sich längst zu einem In meiner Verwirrung warf ich mit Energien um mich,
der wichtigsten Sternenvölker der Galaxis entwickelt, wie sie das Universum noch nie gesehen hatte – ge­
die Hinterlassenschaften der sogenannten Oldtimer nug, um Sterne Millionen von Lichtjahren entfernt zu
spielen immer mal wieder eine Rolle, und Zellaktiva­ verwehen, als wären sie der Atem eines Menschen in
toren gibt es immer noch – auch wenn diese »heut­ einem Schneesturm.
zutage« anders aussehen. Danach schlief ich.
Eine Milliarde Jahre später, ein paar Millionen Jahre »Kommen Sie!«, sagte der kranke Gott in Weiß. »Es
auf oder ab, weckte mich etwas. ist Essenszeit. Sie können heute Nachmittag weiter­
Es war unter einem fernen Stern geboren worden und spielen.«
hatte fliegende Dinge gejagt, bevor es die Kraft erhielt.
Die Grafik der Woche
Es kannte ihren Ursprung nicht.
Wir teilten unsere Gedanken. Asteroidengürtel
Das Fremde bat mich, es zu töten. Ich versuchte mein von Marc Schneider, aphilie@web.de
Bestes, es war unmöglich.
Viel später schwebten ich, das Fremde und zwei ande­
re, die sich uns angeschlossen hatten, in der Leere.
Schon lange gab es keine Sterne mehr.
Im nächsten Moment wandelte ich durch die Stadt aus
dem Traum. Die anderen, die in meinem Verstand
schon vor Langem menschliche Gestalt angenommen
hatten, wandelten neben mir.
Jemand erwartete uns. Er kannte die Antworten nicht,
aber er kannte einen Pfad, von dem noch keiner mit
der Kraft zurückgekehrt war.
Möglicherweise bot er Vergessen oder den Tod. Oder
etwas ganz anderes.
Er sagte, er habe zu viel Angst.
Wir brachen auf, ich ging zuvorderst. Ohne die ande­
ren fand ich mich an einem Strand wieder. Ein Kind
spielte im Sand, es hatte einen Strichmann gezeich­
net. Ich blickte in seine Augen und fühlte, wie die Ewig­
keit zurückblickte.
Für einen Moment, eine Kostprobe der Ewigkeit, hatte
es mit mir gespielt. Sand in den Händen eines kranken
Gottes.
Seine Grausamkeit war – anders als die Ewigkeit –
nicht grenzenlos.
Ohne zu zögern, zertrat ich den Mann aus Sand, zer­
trat ich mich.

Zu den Sternen!
Euer Arndt Ellmer
VPM
Postfach 2352
76413 Rastatt
mail@Perry-Rhodan.net

Diese Woche erscheint in der Reihe


PERRY RHODAN-Action
Der Kristallmond-Zyklus (Band 13 bis Band 24)
Band 23 – Timothy Stahl
Jagdziel Rhodan
Der Terraner und der Magadone – das Duell auf Ekhas
Cheborparner gemeinsam mit ARCHETIM die entstehende Nega­
Die Angehörigen dieses galaktischen Volkes sind auf sphäre Tare-Scharm wieder rückgängig machen wol­
dem Planeten Pspopta (42.819 Lichtjahre von der Er­ len. Vom INTAZO aus lässt sich der KORRIDOR DER
de entfernt) beheimatet. Sie erinnern in ihrer äußer­ ORDNUNG als einzig sicherer Weg in gezielt ansteuer­
lichen Gestalt an zwei Meter große, aufrecht gehende bare Bereiche der Proto-Negasphäre ausbilden, der
Ziegenböcke mit schwarzem Drahtfell, das grauweiße einzig andere bekannte Zugang befindet sich in der
Stellen aufweist. Der mit Hörnern versehene, ziegen­ Kleingalaxis Tare-Minor. Das INTAZO besitzt eine
hafte Schädel hat drei große Nasenlöcher von jeweils schlauchähnliche Gestalt (Länge 2,5 Lichtjahre,
fünf Zentimetern Durchmesser. Diese Öffnungen üben Durchmesser 0,8 Lichtjahre).
eine besondere Funktion aus. Sie enthalten zusam­ Polm Ombar
mengerollt je eine Greifzunge, etwa 55 Zentimeter Ein 2,20 m großes, auf den ersten Blick grobschläch­
lang. An den Enden dieser hoch muskulösen Tentakel tiges Wesen humanoider Grundform, mit eisengrauer,
sitzen je vier zarte Greiffinger, mit denen feinmoto­ in unregelmäßigen Sechseckwaben gemaserter Haut.
rische Arbeiten ausgeführt werden können. Die Stim­ Im kahlen, wuchtigen Schädel fallen die knochigen
me eines Cheborparners klingt laut, hell, manchmal Brauenwülste und die beiden rot schimmernden, kat­
meckernd. Bereits im zehnten und elften Jahrhundert zenhaft geschlitzten Augen auf. Gewaltige Muskel­
nach Beginn der christlichen Zeitrechnung haben Che­ stränge pulsieren an seinem Körper. Polm Ombar
borparner die Erde besucht, wurden aber aufgrund verfügt über einige körperliche Spezialeigenschaften:
ihres Aussehens als »Teufel« abgelehnt. Er hat einen hohen Nahrungs- und Energiebedarf, sein
Sie kontrollieren ein sehr locker strukturiertes Ster­ Körper ist eine Art organisches Kraftwerk. Nicht nur,
nenreich, das rund 300 Sonnensysteme umfasst, die dass Ombar bei Bedarf mit seinen Fingerspitzen
sich über einen weiten Bereich erstrecken. Weitere Stromstöße bis zu 10.000 Volt abgeben kann, er la­
200 unabhängige Sonnensysteme in der Milchstraße gert in seinen Händen und Füßen auch große Mengen
sind von Cheborparnern besiedelt. Eisen an, wodurch er seine Gliedmaßen als organische
Credo der Friedensfahrer Elektromagnete einsetzen kann.
Die Friedensfahrer bekennen sich seit Jahrhunderten Ombar tritt 2500 Jahre lang als »normaler« Friedens­
zu einer eigenen kurzen Charta, die ihre Mission um­ fahrer auf, hat allerdings in all dieser Zeit bereits das
reißt; erst aufgrund der Entwicklungen in der Lokalen Amt des Revisors inne. Als solcher ist seine Aufgabe,
Gruppe wurde dieses Credo unter Chyndors Ägide mo­ jene Friedensfahrer zu verfolgen, die Einrichtungen
difiziert und unter den neuen Bedingungen praktika­ des Geheimbunds oder ihre OREON-Kapseln miss­
bler gemacht. Die ursprüngliche Fassung, der bis da­ brauchen, um die Integrität der Friedensfahrer zu
hin wortgetreu zu folgen war, lautet: schützen. Unterstützt von einigen Androiden und Va­
»Friedensfahrer stiften Frieden, wenn Gewalt und ria sowie allen Bordrechnern der OREON-Kapseln und
Krieg drohen, sie verstehen sich als Helfer und Be­ des Orakels selbst, ist er für eine reifliche Prüfung
schützer des Lebens in all seinen Ausprägungen und verantwortlich, die über die »Revision« entscheidet:
Mentalitäten. entweder Korrektur der Projekte des betroffenen Frie­
Friedensfahrer kämpfen nicht gegen Ordnung oder densfahrers oder Ausschluss aus dem Geheimbund
Chaos als kosmische Prinzipien, sondern für das Le­ – durch Abnahme der OREON-Kapsel und das Anbrin­
ben an sich. gen eines »psionischen Siegels«, das der Heißen Le­
Friedensfahrer sind nicht mehr den Völkern verpflich­ gion verdeutlicht, dass der so Bezeichnete fortan
tet, aus denen ihre Mitglieder einst hervorgingen, und keinen Zutritt zum System Rosella Rosado mehr erhal­
hängen nicht mehr von ihrem alten Umfeld ab. Ein ten darf. Der Revisor ruht häufig in einem Tiefschlaf­
Friedensfahrer darf deshalb niemals im Lebensbe­ tank, der sein Leben und seine Gesundheit konser­
reich seines eigenen Volkes operieren, um zu verhin­ viert – die »Auftragslage« ist für gewöhnlich überaus
dern, dass er politisch instrumentalisiert wird.« »bescheiden«, meist hat er für Jahrzehnte oder gar
INTAZO Jahrhunderte nichts zu tun. Ombar gibt sich im Zuge
Das INTAZO (»Grabstätte« in der Sprache der Lantern) der Ereignisse, die wesentlich durch die Aufnahme
ist ein von ELEDAIN geschaffener und von ARCHETIM Kantirans in den Bund der Friedensfahrer, den Rück­
stabil gehaltener Hyperkokon, in dem ELEDAIN ihre tritt des letzten enthonischen Patrons und die Wahl
letzte Ruhestätte fand und der als Aufmarschgebiet, Chyndors zum neuen Patron geprägt sind, öffentlich
Truppenlager und Sammelpunkt für all jene gilt, die als Revisor zu erkennen.

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