Sie sind auf Seite 1von 3

M1 Ursachen für Konjunkturschwankungen

Keine Einigkeit besteht in der Wirtschaftswissenschaft darüber, worin die Ursachen für
konjunkturelle Schwankungen zu finden sind. Einig ist man sich allenfalls darin, dass
Kombinationen verschiedener Faktoren als Ursachen zu betrachten sind:

Zinsen und Geld – Monetäre Faktoren: Demnach werden Schwankungen der


wirtschaftlichen Aktivität in erster Linie auf monetäre Faktoren, also Geldmengen- und
Zinsveränderungen, zurückgeführt. Danach führen sinkende (Leit-)Zinsen und eine sich
daraus ergebende Ausweitung der Kreditvergabe zu einem Aufschwung. Spätestens wenn die
Produktionskapazitäten angesichts der kreditgetriebenen steigenden Nachfrage aber
ausgelastet sind, erhöhen die Unternehmen die Preise. Das wiederum nötigt die Zentralbank
zu Leitzinsanhebungen, um die Inflation einzudämmen – die Kreditvergabe geht zurück,
ebenso die Nachfrage und die Produktion. Der Abschwung ist da.

Faktor Investitionen – Überinvestitionen: Die Überinvestitionstheorie geht davon aus,


dass Unternehmen in der Phase des Aufschwungs und in der Hochkonjunktur aus
übertriebenem Optimismus heraus viel mehr investieren, als es für die Nachfrage nötig ist. In
der Folge gibt es Überkapazitäten. Es folgt eine Zeit, in der sehr viel weniger investiert wird,
da nicht einmal Ersatzinvestitionen getätigt werden. Der Rückgang an Investitionsgütern leitet
den Abschwung ein. Erst am Ende der Depression kommt es wieder zu einer Zunahme der
Investitionen. Durch einen (in diesem Falle: falschen) unternehmerischen Instinkt (John
Maynard Keynes sprach von „animal spirits“) verbunden mit einer Art Herdentrieb neigen
Unternehmen phasenweise zu übertriebenem Optimismus, der zu übertriebenen Investitionen
und einem zu starken Ausbau der Produktionskapazitäten führt. Die plötzliche Erkenntnis der
Übertreibung, gewissermaßen das „Platzen der Blase“, läuten den Abbau von Überkapazitäten
und damit den Abschwung ein.

Faktor Einkommensverteilung – Unterkonsumtion: Einige


Wirtschaftswissenschaftler:innen sehen die Ursache für Schwankungen der wirtschaftlichen
Aktivität in einer ungleichen Einkommensverteilung begründet. Im Aufschwung werde viel
investiert und die Gewinne sprudeln, wenn aber in dieser Situation nicht in erheblichem Maße
auch die Reallöhne steigen, können die gesteigerten Produktionskapazitäten nicht ausgelastet
werden, weil die Kaufkraft und die Nachfrage der Konsument:innen fehlen. Dass diese
Konjunkturtheorie auf Arbeitnehmer:innen- und Gewerkschaftsseite gerne vertreten wird,
liegt auf der Hand.

Neben den oben genannten endogenen Faktoren spielen auch exogene, also außerhalb des
Wirtschaftskreislaufs entstehende Einflüsse, eine Rolle:

Zu den ältesten Konjunkturtheorien zählt die Sonnenfleckentheorie von William Stanley


Jevons (1835-1882). Er vermutete eine Korrelation zwischen der Anzahl der Sonnenflecken,
der Witterung und den Ernteergebnissen auf der Erde. Missernten würden zu steigenden
Preisen für Grundnahrungsmitteln führen, sodass die Menschen weniger Geld für alle anderen
Güter ausgeben könnten – dies würde eine Wirtschaftskrise auslösen. Doch ein
Zusammenhang zwischen Sonnenflecken und Missernten bestätigte sich nicht.

Dennoch können Missernten, aber auch Naturkatastrophen (z. B. Erdbeben) oder Kriege,
wirtschaftliche Aktivitäten maßgeblich beeinflussen. Günstige klimatische Entwicklungen,
Rekordernten oder bahnbrechende Erfindungen wiederum können positive
gesamtwirtschaftliche Effekte haben.

Selbstverständlich spielen auch politische Entscheidungen eine Rolle. So dürfte es kein


Zufall sein, dass sich die US-Konjunktur kurz vor Präsidentschaftswahlen überproportional
häufig in einer Aufschwungs- oder Boomphase befindet – auch wenn die jüngste Wahl 2020
eine Ausnahme war. Subventionen oder sonstige „Wahlgeschenke“ können einen „politischen
Konjunkturzyklus“ auslösen, wie James Buchanan in seinem Buch „Politics without
romance“ und weitere Vertreter:innen der Public-Choice-Theorie dargestellt haben.

Eine anschauliche Synthese der verschiedenen Konjunkturtheorien bietet die Schaukelstuhl-


Metapher: Der Schaukelstuhl wird von außen oder vom darin sitzenden Menschen ins
Schaukeln gebracht, aber wie stark und wie lange er schaukelt, hängt stark von der
Konstruktion des Stuhls und vom Verhalten des Menschen ab. Übertragen auf die Wirtschaft
heißt das: Die Schwankungen der Wirtschaft werden meist von exogenen Faktoren ausgelöst,
aber Stärke und Dauer der Schwankungen hängen vom Wirtschaftssystem und vom Verhalten
der Menschen ab.

Letztlich sind Wirtschaftsschwankungen fast immer ein (sozial-)psychologisches Phänomen:


wenn alle denken, dass morgen der Aufschwung beginnt und dann auch danach handeln (und
z. B. einen erheblichen Teil ihrer Ersparnisse ausgeben), so ist der Aufschwung auch da.
Versinnbildlicht werden kann dies an einer Erzählung über ein Dorf, in dem eine erwartete
Milliardenerbschaft, die auf alle Dorfbewohner:innen verteilt werden sollte, einen Konsum-
und Investitionsrausch ausgelöst haben soll. Der Erzählung zufolge wurden Autowerkstätten,
Hotels, Häuser, Infrastruktur in Erwartung des Geldsegens neu errichtet, renoviert oder
ausgebaut. Den Geldsegen bescherten sich die Dorfbewohner:innen daher letztlich selbst,
indem sie auch immer mehr Tourist:innen anlockten und sich gegenseitig Arbeit und
Einkommen sicherten. So blühte das Dorf praktisch aus eigener Kraft auf – ganz ohne
Erbschaft, die sich Jahre später ohnehin als Irrtum herausgestellt haben soll.
M2 Konjunkturprogramme als Allheilmittel?

Das könnte Ihnen auch gefallen