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zwei Arenen
Betriebliche Mitbestimmung
bei Leiharbeit und Werkverträgen
Zwischen zwei Arenen
Vivien Barlen
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Allen voran möchte ich mich sehr herzlich bei PD Dr. Irene Dingeldey und Prof.
Dr. Hajo Holst für die umfassende, zu jeder Zeit unterstützende und sehr vertrau-
ensvolle Betreuung meiner Dissertation bedanken. Ihre wissenschaftliche Beglei-
tung und konstruktiven Anmerkungen haben maßgeblich zum Gelingen dieser
Arbeit beigetragen.
Mein besonderer Dank gilt darüber hinaus allen Leih- und Werkvertragsar-
beitnehmer/-innen, die sich zu den zahlreichen Interviews für die vorliegende
Studie bereit erklärten und mir in der Folge sehr aufschlussreiche Einblicke in
ihre Arbeits- und Lebenswelt erlaubten. Gleichzeitig bin ich den Betriebsräten,
den Arbeitgeber/-innen sowie der IG Metall für die Unterstützung beim Feldzu-
gang verbunden.
Darüber hinaus danke ich allen Kolleginnen und Kollegen des Instituts Ar-
beit und Wirtschaft der Universität Bremen. Die sehr wertschätzende und kolle-
giale Arbeitsatmosphäre am iaw hat in vielfacher Hinsicht zur Fertigstellung
dieser Arbeit beigetragen.
Ein großer Dank gilt zudem meiner Familie sowie meinen Freundinnen und
Freunden, die mich auf meinem Weg durch die Promotionszeit begleitet, moti-
viert und unterstützt haben. Sie haben zugleich umfangreiche Passagen meiner
Dissertation lektoriert und wertvolle Anregungen gegeben. Von ganzem Herzen
danke ich Matti, der mich stets liebevoll ermutigt hat und für mich da war.
Abschließend danke ich der Hans-Böckler-Stiftung, die dieses Forschungs-
projekt im Rahmen eines Promotionsstipendiums sowohl materiell, als auch die-
ell unterstützt und dadurch für mich überhaupt möglich gemacht hat.
Vivien Barlen
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... 13
1 Einleitung ........................................................................................................ 15
2 Die Untersuchungsgruppe der Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer/innen ............................................................... 21
2.1 Rechtliche Abgrenzung der Beschäftigungsformen Leih- und
Werkvertragsarbeit ............................................................................ 21
2.2 Entwicklung der Leih- und Werkvertragsarbeit vor dem
Hintergrund von De- und (Re-)Regulierung ...................................... 25
2.2.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen ................................................. 25
2.2.2 Tarifvertragliche Regelungen ....................................................... 29
2.2.3 Quantitative Entwicklung und Charakteristika von Leih- und
Werkvertragsarbeit........................................................................ 31
Anhang................................................................................................................... 271
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abs. Absatz
AÜG Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
BetrVG Betriebsverfassungsgesetz
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BT-Drs. Bundestags-Drucksache
WU Werkvertragsunternehmen
IG Metall Industriegewerkschaft Metall
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands
CDU Christlich Demokratische Union
CSU Christlich-Soziale Union
DGB Deutscher Gewerkschaftsbund
BAP Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister
iGZ Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.
1 Einleitung
Wenn es um die Arbeitswelt geht, spielen derzeit wenige Themen in der öffentli-
chen, aber auch wissenschaftlichen Debatte eine so große Rolle wie die beiden
Beschäftigungsformen Leiharbeit1 und Werkverträge. Diese Arten der Fremd-
personalnutzung gelten als wachsende Bereiche: Die Zahl der Leiharbeitneh-
mer/-innen ist im langfristigen Vergleich mit hoher Dynamik gewachsen und lag
in Deutschland zuletzt (Stand: Juni 2016) bei 1,006 Millionen Beschäftigten
(Bundesagentur für Arbeit 2017). Zugleich gewinnt der Einsatz von Werkverträ-
gen an Bedeutung und ergänzt Leiharbeit im Betrieb. Grundsätzlich sind Werk-
verträge eine durchaus etablierte Form der Auslagerung von Tätigkeiten
und/oder Produktionsschritten. Neu ist jedoch, dass Unternehmen Werkverträge
mittlerweile häufig auf Dauer abschließen und solche Werke zukaufen, die bis-
her zu ihrem eigenen Kernbereich gehörten. Die Aufträge werden dabei durch
Werkvertragsunternehmen mit wiederum eigenem Personal verrichtet. Zudem
erfolgt die Erstellung der Werke nun oftmals „onsite“, also nicht nur auf dem
Betriebsgelände, sondern zum Teil auch an den Arbeitsplätzen und Maschinen
des beauftragenden Unternehmens (Hertwig et al. 2015a; Klein-Schneider/Beut-
ler 2013).
Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht die betriebliche Mitbestimmungssi-
tuation der Arbeitnehmer/-innen der genannten Beschäftigungsformen Onsite-
Werkvertragsarbeit und Leiharbeit. Bisher wird im Zusammenhang mit Leih-
und Werkvertragsarbeit einerseits der wachsende Bedarf an Flexibilität seitens
der Unternehmen diskutiert, der sich aus der zunehmenden wirtschaftlichen Glo-
balisierung und damit verbundenen Notwendigkeit von Wettbewerbsfähigkeit
ergibt (Bellmann et al. 2013). So werden durch den Einsatz von Fremdpersonal
sowohl die numerische, als auch die funktionale Flexibilität erhöht und zugleich
Lohn- und Transaktionskosten eingespart (Nienhüser/Baumhus 2002). Anderer-
seits stehen die damit einhergehenden Beschäftigungsbedingungen von Leih-
und Werkvertragsarbeit im Zentrum der Debatte. Dabei werden in der arbeitsso-
ziologischen Forschung die Prekaritätsaspekte dieser Beschäftigungsformen fo-
kussiert. Zahlreiche Untersuchungen bescheinigen Leiharbeit diverse Benachtei-
ligungen im Vergleich zum sogenannten Normalarbeitsverhältnis, die sich unter
1 Im Folgenden wird ausschließlich der Begriff Leiharbeit verwendet, der synonym zu den
ebenso üblichen Begriffen Arbeitnehmerüberlassung und Zeitarbeit ist.
schäftigten sind ebenso wie die Betriebsräte und Geschäftsführungen Teil der
betrieblichen Arbeitsbeziehungen (Wilkesmann et al. 2011a: 206). Sie sind an
der Gestaltung der Regulierung von Arbeit „[a]ls politische Wahlbürger, als
potenzielle Mitglieder oder Nicht-Mitglieder von gewerkschaftlichen Organisa-
tionen, als Teil eines betrieblichen Sozialgefüges“ (Holtrup 2008: 161) durchaus
beteiligt. Eine Betrachtung des Systems der betrieblichen Mitbestimmung aus
der Beschäftigtenperspektive ist in Konsequenz notwendig, um den Wandel der
Arbeitswelt und mögliche Auswirkungen für Beschäftigte, aber auch für die (be-
trieblichen) Interessenvertretungen ganzheitlich zu eruieren.
Vor diesem Hintergrund ist es Ziel und Gegenstand der vorliegenden Stu-
die, die betriebliche Mitbestimmung bei Leih- und Werkvertragsarbeit aus der
Perspektive der betroffenen Beschäftigten zu beleuchten. Die Befassung mit
diesen Aspekten führt zu einer Forschungsfrage, die leitend für das Vorgehen der
gesamten Studie ist:
2 Kapitel 2 stellt eine überarbeitete Fassung von Abschnitten meines Beitrages „Herausforderung
Leiharbeit und Werkverträge“ (Barlen 2014) dar.
3 Neben dieser Form von Werkverträgen existiert die Auslagerung von Tätigkeiten an natürliche
Personen, die das Werk im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erstellen (auch Freelancer
oder Solo-Selbstständige genannt) (Koch 2012: 9 ff.).
Arbeitnehmer-
überlassungsvertrag
Leiharbeitsfirma Einsatz-/
Entleihbetrieb
Vergütung
Entgelt Weisungs-
Arbeitsvertrag befugnis
Arbeitsleistung
Leiharbeitnehmer/-in
Werkvertrag
Werkvertrags- Vergütung Einsatzbetrieb
unternehmen (Werkbesteller/-in)
Werk
Entgelt und
Arbeitsvertrag Weisungsbefugnis Ausführung der
Weisung des
Werkvertragsunter-
nehmens
Werkvertragsarbeit-
nehmer/-in
5 Die Arbeitsgerichtsbarkeit besteht aus den Arbeitsgerichten, den Landes- und Bundesarbeits-
gerichten, die u.a. in Streitigkeiten des kollektiven wie des individuellen Arbeitsrechts ent-
scheiden (Keller 1991: 38; Müller-Jentsch 1986: 253),
6 Das Befristungsverbot macht eine wiederholte Befristung einer Leiharbeitsbeschäftigung
unzulässig, sofern kein sachlicher Grund für die Befristung vorliegt. Das Wiedereinstellungs-
verbot schließt die Wiedereinstellung eines/r Leiharbeiters bzw. Leiharbeiterin durch denselben
Verleiher innerhalb drei Monate nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Das Synchroni-
sationsverbot beinhaltet, dass sich die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses nicht auf einen Ent-
leiheinsatz beschränken darf (Antoni/Jahn 2006: 2).
26
Tabelle 1: Rechtliche Änderungen in der Leiharbeit
Ab 1.1.1982 Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe
Ab 1.5.1985 Beschäftigungsförderungsgesetz
Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 3 auf 6
Verlängerung der Regelung zum 1.5.1990 bis 31.12.1995
Monate bis 31.12.1989
Ab 1.1.1994 Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 6 auf 9 Aufhebung des Synchronisationsverbots für von der BA zuge-
Monate bis 31.12.2000 wiesene schwer vermittelbare Arbeitslose
Ab 1.4.1997 Wiederholte Zulassung lückenlos
Verlängerung der Zulassung der Synchronisa-
Erlaubnis einmaliger Be- aufeinander folgender Befristun-
Überlassungshöchst- tion von Ersteinsatz und Ar-
fristung ohne sachlichen gen mit demselben Leiharbeit-
dauer von 9 auf 12 beitsvertrag beim erstmaligen
Grund nehmer bzw. derselben Leihar-
Monate Verleih
beitnehmerin
Ab 28.7.2001 Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
Wahlberechtigung von Leiharbeitnehmer/-innen bei Betriebsratswahlen
Ab 1.1.2002 Job-AQTIV-Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 12 auf
Gleichbehandlungsgrundsatz nach 12 Monaten
24 Monate
Ab 1.1.2003 Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
Lockerung des Entleih- Gleichbehandlungsgrundsatz
Wegfall des Synchronisations- und Wieder-
verbotes im Bauhauptge- sofern keine abweichenden
einstellungsverbots und der Überlassungshöchstdauer
werbe Tarifvereinbarungen
Ab 1.2.2009 Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität
Möglichkeit der Inanspruchnahme von Kurzarbeit in der Leiharbeit (gültig bis Ende 2012)
2 Die Untersuchungsgruppe der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/innen
Ab 1.12.2011 Europäische Richtlinie über Leiharbeit (umgesetzt als Erstes Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
– Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung)
Gleichberechtigter
Informationspflicht Vorübergehender Einsatz Möglichkeit der Fest-
Zugang zu Ge- Drehtür-
des Entleihers über von Leiharbeitnehmer/- setzung einer Lohnun-
meinschaft- klausel
freie Arbeitsplätze innen tergrenze
seinrichtungen
Ab 1.1.2012 Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung
Einführung eines Mindestlohns mit Ost-/West-Differenzierung und stufenweiser Erhöhung (zunächst vereinbart bis zum
31.12.2019)
Ab 1.4.2017 Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze
Einführung
Gleichstellung spätestens Definitorische
einer Überlas- Berücksichtigung von
nach 9 Monaten hinsicht- kein Einsatz von Leihar- Abgrenzung
sungs- Leiharbeitnehmer/-innen
lich des Arbeitsentgelts beitnehmer/-innen als von Leih- und
höchstdauer bei der Berechnung von
mit Stammarbeitnehmer/- Streikbrecher/-innen Werkvertrags-
von 18 Mona- Schwellenwerten
innen (Equal Pay) arbeit
ten
2.2 Entwicklung der Leih- und Werkvertragsarbeit
Quellen: Eigene Darstellung nach Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2013d: 5) mit Ergänzungen nach BMAS (21.03.2014; 26.05.2017) und
Reichold (2001: 861)
27
28 2 Die Untersuchungsgruppe der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/innen
Einschneidend sind die Reformen des AÜG aus den Jahren 1997, 2002 und
2003, bei denen die vorher geltenden, oben genannten Verbote deutlich gelockert
bzw. abgeschafft wurden.
Im Rahmen des Job-AQTIV-Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpoliti-
schen Instrumente (2002) wurde darüber hinaus der Gleichstellungsgrundsatz
eingeführt. Dieser besagt, dass Leiharbeitnehmer/-innen ab dem dreizehnten
Monat ihrer Tätigkeit im selben Entleihunternehmen für denselben Lohn sowie
unter denselben Arbeitsbedingungen wie die Festangestellten arbeiten müssen
(equal pay/equal treatment-Prinzip). Seit dem Ersten Gesetz für moderne Dienst-
leistungen am Arbeitsmarkt (2003) ist der Gleichstellungsgrundsatz vom ersten
Tag des Verleihs an einzuhalten, sofern kein Branchentarifvertrag angewandt
wird. Infolge dieser Gesetzesänderung wurde eine Vielzahl von Tarifverträgen
abgeschlossen, die Arbeitsbedingungen und -lohn regeln und die den Leihar-
beitsfirmen eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz ermöglichen (Anto-
ni/Jahn 2006: 2 f.; siehe auch Kapitel 2.2.2).
Seit 2011 ist eine Kehrtwende hin zu einer stärkeren gesetzlichen Regulie-
rung der Leiharbeit zu beobachten: Mit der Umsetzung der Europäischen Richtli-
nie über Leiharbeit wurden die Rechte der Leiharbeitnehmer/-innen im AÜG da-
hingehend gestärkt, dass in den Einsatzbetrieben eine Informationspflicht über
freie Arbeitsplätze besteht. Zweck dieser Reform ist die Unterstützung des Über-
gangs von Leiharbeitnehmer/-innen in die Stammbelegschaft. Außerdem sind
Leiharbeitskräfte von nun an per Gesetz hinsichtlich des Zugangs zu Gemein-
schaftseinrichtungen und -diensten im Einsatzunternehmen den Stammbeschäftigten
gleichgestellt. Die Möglichkeit, zuvor arbeitslose Leiharbeitnehmer/-innen für sechs
Wochen zu einem Gehalt zu beschäftigten, das dem zuletzt gezahlten Ar-
beitslosengeld entspricht, wurde gestrichen. Schließlich beinhaltet die Änderung
des AÜG die sogenannte Drehtürklausel: Seitdem ist es nicht mehr möglich,
Arbeitnehmer/-innen zu entlassen und diese anschließend innerhalb von sechs
Monaten als Leiharbeitskräfte im gleichen Betrieb – aber zu schlechteren Ar-
beitsbedingungen – einzusetzen. Sie haben dann laut Klausel einen Anspruch auf
Equal Pay (BGBl. I 2011; BT-Drs. 17/4804 2011).
Zusätzlich zu diesen Reformen des AÜG und dem 2012 eingeführten Min-
destlohn wurde das BetrVG mehrfach novelliert: Seit 2001 sind darin diverse
Informations- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrats hinsichtlich Leiharbeit
verankert; außerdem haben Leiharbeitnehmer/-innen seitdem ein aktives Wahl-
recht bei Betriebsratswahlen (Priebe 2012: 6 f.).7 Das Bundesarbeitsgericht ent-
schied darüber hinaus mit einem Urteil, dass Leiharbeitskräfte bei der Berech-
7 Die Teilnahme an den Wahlen ist zulässig, sofern die Leiharbeitnehmer/-innen länger als drei
Monate im Betrieb eingesetzt sind. Dabei ist nicht der tatsächliche Einsatz maßgeblich, son-
dern die geplante Dauer des Einsatzes (Priebe 2012: 6 f.).
2.2 Entwicklung der Leih- und Werkvertragsarbeit 29
dings andere Tarifverträge gelten (Dribbusch 2010: 14).9 Eine Aussage über den
Tarifbindungsgrad von Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ist daher quasi unmög-
lich.10 Bislang wurde lediglich ein Haustarifvertrag in der Metall- und Elektroin-
dustrie bundesweit speziell zu Werkverträgen in einem Einsatzbetrieb zwischen
dem IG Metall-Bezirk Küste und der Meyer Werft abgeschlossen. Das sogenann-
te Papenburger Modell enthält u.a. Mindeststandards im Arbeits- und Gesund-
heitsschutz, einen Mindeststundenlohn sowie gestärkte Informations- und Mit-
wirkungsrecht des Betriebsrats (Meyer Werft 2013).11
Neben den bereits genannten Regulierungen auf gesetzlicher bzw. tarifver-
traglicher Ebene existiert die Möglichkeit, Leih- und Werkvertragsarbeit auf
betrieblicher Ebene im Rahmen von Betriebsvereinbarungen zu regulieren. Auf
diesen Aspekt der betrieblichen Mitbestimmung wird gesondert in Kapitel 6
eingegangen.
Die folgende kurze empirische Analyse gibt einen Überblick über die Entwick-
lung von Leiharbeit und Werkverträgen in Deutschland.
Der Anteil der Leiharbeitnehmer/-innen an der Gesamtbeschäftigung ist
zwar relativ gering und beträgt knapp drei Prozent (Statistik der Bundesagentur
für Arbeit 2016b: 9) die Bedeutung der Leiharbeit am Arbeitsmarkt zeigt sich
jedoch in ihrer starken Dynamik: Die Zahl der Leiharbeitnehmer/-innen hat sich
seit Mitte der 2000er mehr als verdoppelt. Nach einer kurzen Phase des Rück-
gangs im Jahr 2012 bzw. einer Stagnation in der ersten Jahreshälfte 2013 zeich-
9 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang allerdings die von den Gewerkschaften IG Metall
und ver.di geschlossene Kooperationsvereinbarung, welche die Zuständigkeiten und Geltungs-
bereiche für Tarifverträge in der industriellen Kontraktlogistik regeln soll. Die IG Metall ist
demnach u.a. dann zuständig, wenn ein Kontraktlogistiker die Tätigkeiten auf dem Werksge-
lände eines Betriebs erbringt, der in den Organisationsbereich der IG Metall fällt und/oder
wenn die Tätigkeiten zu mehr als 75 Prozent für einen Endkunden erbracht werden, der in den
Organisationsbereich der IG Metall fällt (IG Metall online 12.01.2016).
10 Lediglich für einzelne Wirtschaftszweige existieren Daten zur Tarifbindung, dabei waren zum
Beispiel im Jahr 2011 im Verarbeitenden Gewerbe 32% der Betriebe (und damit 60% der Be-
schäftigten) entweder mit einem Branchen- oder mit einem Haustarifvertrag tariflich gebunden
(WSI-Tarifarchiv 2014: 22) – wie viele Unternehmen davon Werkvertragsunternehmen sind,
ist nicht bekannt.
11 Die IG Metall schloss zudem 2014 in der Stahlindustrie einen Tarifvertrag ab, in den der Ar-
beitsschutz sowie ein Beschwerderecht für Werkvertragsarbeitnehmer/-innen aufgenommen
wurde (IG Metall 08.07.2014).
32 2 Die Untersuchungsgruppe der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/innen
net sich seit Mitte 2013 wieder ein Aufwärtstrend der Leiharbeitnehmer/-innen-
zahl ab (Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2015b: 6 ff.).
Die nachfolgende Abbildung 3 verdeutlicht die Bestandsentwicklung an
Leiharbeitnehmer/-innen seit den 1990er Jahren.
1200000
1000000
800000
Bestand
600000
400000
200000
Jahre
12 Zu Beginn des Jahres 2016 wurde die Statistik zur Arbeitnehmerüberlassung der Bundesagen-
tur für Arbeit auf ein neues Verfahren umgestellt, so dass die Zahl der Leiharbeitnehmer/-innen
aus der neuen Arbeitnehmerüberlassungsstatistik über der Zahl aus der bisherigen Statistik
nach dem AÜG liegt (Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2016b: 6 f.). Die Zeitreihe in Ab-
bildung 3 basiert dementsprechend ab 2013 auf revidierten Daten.
2.2 Entwicklung der Leih- und Werkvertragsarbeit 33
berufe eine wichtigere Rolle. Hoch ist in der Leiharbeitsbranche die Bedeutung
von Hilfstätigkeiten: Jede/r Zweite übt eine Helfer/-innentätigkeit mit niedrigem
Anforderungsniveau aus. Zum Vergleich: Im Durchschnitt über alle Wirtschafts-
branchen ist es jede/r Fünfte. Knapp 30 Prozent aller Leiharbeitskräfte arbeiten
in Berufen, die direkt der Metall- und Elektroindustrie zuzuordnen sind (Statistik
der Bundesagentur für Arbeit 2016b: 10 f. ).13
Während in der wissenschaftlichen Literatur zu Leiharbeit durchgehend der
geringe Anteil an der Gesamtbeschäftigung wie auch das starke Wachstum her-
vorstechen (Bellmann 2004; Brenke/Eichhorst 2008; Keller/Seifert 2005; 2007;
Spermann 2011), existieren für Werkverträge keine offiziellen Statistiken – unter
anderem aufgrund der Schwierigkeiten bei der rechtlichen Differenzierung sowie
der Nutzung rechtlicher Graubereiche, die zu einem enormen Aufwand bei einer
quantitativen Erfassung führen würden (Bonin/Zierahn 2012). Zwar gehören
Werkverträge ebenso wie Leiharbeit seit längerem zu den Flexibilisierungsins-
trumenten in Unternehmen ein Bedeutungswandel hinsichtlich dieser Vertrags-
form scheint jedoch erst seit kurzem eingetreten zu sein. Dies lässt sich aus der
Existenz zahlreicher medialer Berichte, aber auch verschiedener juristischer und
sozialwissenschaftlicher Einschätzungen (vgl. z.B. Däubler 2011; Klein-
Schneider/Beutler 2013; Koch 2012) sowie erster empirischer Untersuchungen
des Phänomens auf Grundlage von Betriebsrätebefragungen schließen (vgl.
beispielsweise Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten 2012; IG Metall
2011; Nienhüser/Bonnes 2009). Hierbei handelt es sich jedoch nicht um reprä-
sentative Untersuchungen, so dass sich auf dieser Grundlage keine Aussagen
über die tatsächliche Verbreitung von Werkverträgen treffen lassen. Eine erste
repräsentative Studie für das Verarbeitende Gewerbe, dem auch die Metall- und
Elektroindustrie zugeordnet ist, haben Hertwig et al. (2015) erstellt. Sie kommen
zu dem Ergebnis, dass in gut acht Prozent aller Betriebe dieses Wirtschafts-
zweigs Werkverträge genutzt werden. Onsite-Werkverträge als eine Unterkate-
gorie von Werkverträgen werden von 2,4 Prozent vergeben. Differenziert man
nach Betriebsgrößen, so vergeben 44 Prozent aller Großbetriebe mit mindestens
500 Beschäftigten Werkverträge und 20,2 Prozent derselben Unternehmensgröße
Onsite-Werkverträge (Hertwig et al. 2015b: 41 ff.). Vermutet wird jedoch, dass
die Zahlen in der Realität höher liegen, da einige Werkvertragsnutzer aufgrund
der Sensibilität des Themas sozial gewünschte Antworten gegeben haben könn-
ten (Hertwig 2016: 77). Detaillierte Daten zu sozio-ökonomischen Merkmalen
13 Dies umfasst Berufe der Metallerzeugung, -bearbeitung und des Metallbaus, Maschinen- und
Fahrzeugtechnikberufe sowie Mechatronik-, Energie- u. Elektroberufe. Die Gesamtzahl an
Leiharbeitskräften, die in Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie arbeiten, dürfte jedoch
– wenn man auch Tätigkeiten in den Bereichen Logistik, Schutz und Sicherheit sowie Verwal-
tung in die Rechnung einbezieht – weitaus höher sein.
34 2 Die Untersuchungsgruppe der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/innen
Der Begriff der Prekarität blickt auf eine relativ lange Geschichte zurück und
wird seit seinem ersten Auftauchen vielseitig verwendet, aber auch kritisch dis-
kutiert. Das Wort „prekär“ stammt vom französischen „précaire“ ab und wird im
Duden mit der Bedeutung „widerruflich; unsicher, heikel“ umschrieben. Prekäre
Beschäftigung ist demnach eine unsichere Erwerbssituation, was zunächst ein-
mal eine relativ unscharfe Statusbeschreibung darstellt. Im Folgenden soll daher
in gebotener Kürze und mit Fokus auf die gängigsten Definitionen dargestellt
werden, in welchen Kontexten der Begriff benutzt bzw. auf welche Weise defi-
niert wird und an welche Definition sich die vorliegende Forschungsarbeit an-
lehnt.
Zurückverfolgen lässt sich die Geschichte des Begriffs mindestens bis in das 19.
Jahrhundert. Bereits Karl Marx nutzte den Begriff prekär – wenn auch eher bei-
läufig – zur Charakterisierung der Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitern
unter industriekapitalistischen Bedingungen (Marx 1962: 735). Eine eigenstän-
dige Anwendung findet Prekarität erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
derts, und zwar insbesondere in der sozialwissenschaftlichen Literatur Frank-
reichs. Der Begriff wurde dabei unter anderem von Pierre Bourdieu geprägt
dings stark zu und dringe zum Teil in die Bereiche stabiler Beschäftigung ein.15
Betont wird weiterhin die Integrationsfunktion – und damit auch die Zentralität –
von Erwerbsarbeit (Castel 2000: 360; Castel/Dörre 2009: 15 f.).
15 Damit wendet sich Castel zugleich gegen die Verwendung eines eng gefassten Begriffs der Ex-
klusion. Dieser sei erstens ein Begriff mit relativ geringer analytischer Reichweite, der hetero-
gene Verhältnisse – etwa jugendliche Arbeitslose, ältere Langezeitarbeitslose und Obdachlose
– in einer Kategorie vereinheitliche. Zweitens sei der Begriff zu statisch, weil er einen fortwäh-
renden Zustand unterstelle. Laut Castel sei Exklusion erst das Ergebnis eines längeren Pro-
zesses mit mehreren Abstufungen. Die vorherigen „Stationen“ der Prekarität würden in einer
Analyse von Exklusion nicht ausreichend berücksichtigt. Drittens kritisiert er am Begriff von
Exklusion, dass dieser eine „atomisierte Sichtweise der Gesellschaft“ (Castel 2009: 29) beför-
dere. Exkludierte Personen seien eben nicht komplett von der Gesellschaft ausgeschlossen,
sondern lebten immer noch innerhalb des Sozialen. Zudem gebe es nicht nur isolierte Einzelne,
sondern ganze Gruppen – etwa „große Teile der integrierten industriellen Arbeiterklasse“ (Cas-
tel 2009: 30) – die auf der Strecke bleiben und sich über ihre unsichere Zukunft aufgrund der
globalisierten Ökonomie bewusst sind (Castel 2009: 28 ff.). Die soziale Frage könne demnach
nicht auf das Problem eines mehr oder minder vollständigen Herausfallens aus der Funktions-
logik gesellschaftlicher Subsysteme reduziert werden (Castel/Dörre 2009).
3.1 Zur theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Prekarität 41
16 Im Unterschied zu Prekarität als eher statischer Begriff wird durch Prekarisierung der Gefähr-
dungsprozess von stabilen Erwerbs- und Wohlfahrtslagen im Sinne einer Dynamisierung be-
tont (Kraemer 2008: 87).
17 Zum Einfluss von internen und externen Ressourcen auf die Wahrnehmung einer Lage als pre-
kär vgl. auch Bude/Lantermann (2006).
3.1 Zur theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Prekarität 43
Diese Definition setzt an der Arbeitstätigkeit selber an, schließt jedoch Haus-
haltskontexte, Erwerbsverläufe und weitere Faktoren, die die Bewertung einer
Beschäftigung als prekär beeinflussen, bei der Analyse von Prekarität nicht aus.
Im Mittelpunkt des Interesses soll in der vorliegenden Forschungsarbeit je-
doch nur ein Aspekt von Prekarität stehen: Die betriebliche Mitbestimmung als
ein Element der Partizipationsdimension.18 Dieser Aspekt umfasst die Regulie-
rung des Teilhabegrads an der betrieblichen Mitbestimmung von Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen. Jene Facette von Prekarität sowie die diesbe-
züglich bestehende theoretische Literatur soll im folgenden Abschnitt erläutert
werden.
Wenn in dieser Forschungsarbeit die Rede von Mitbestimmung ist, so ist damit
die betriebliche Mitbestimmung im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes ge-
meint. Doch zunächst einmal muss geklärt werden, was exakt unter diesen Ter-
minus fällt und welche theoretischen Anknüpfungspunkte bestehen. Der nach-
folgende Abschnitt orientiert sich dabei in Teilen an der Argumentationslinie
von Brinkmann/Nachtwey (2014), die bereits die Teilhabe von Leih- und Werk-
vertragsbeschäftigten an der betrieblichen Mitbestimmung unter demokratietheo-
retischen Gesichtspunkten diskutiert haben.
Mitbestimmung bzw. Partizipation ist als ein konstitutives Prinzip demokra-
tisch verfasster Gesellschaften anzusehen, welches im Arbeits- und Wirtschafts-
leben strukturell verankert ist (Ittermann 2007: 11). Nach Alex Demirović setzt
sich Mitbestimmung in der Wirtschaft aus mehreren Elementen zusammen. Da-
runter fallen die demokratische Haltung der Lohnabhängigen, ihre Selbstorgani-
18 Brinkmann et al. (2006: 18) fassen unter der rechtlich-institutionellen bzw. Partizipationsdi-
mension von Prekarität den tendenziellen Ausschluss von Beschäftigten von der Nutzung insti-
tutionell verankerter sozialer Rechte und Partizipationschancen und führen beispielhaft tarifli-
che Rechte, Betriebsvereinbarungen, Kündigungsschutz und Rentenversicherung, aber auch
Mitbestimmungsmöglichkeiten an.
3.1 Zur theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Prekarität 45
19 An dieser Stelle ist der Begriff der betrieblichen Mitbestimmung von der Arbeitnehmer/-innen-
partizipation abzugrenzen. Der Begriff der Partizipation umfasst verschiedene Formen
faktischer, nicht institutionalisierter Beteiligung der Beschäftigten (zum Beispiel die Einbe-
ziehung von Beschäftigten in Entscheidungen, die die Arbeitsorganisation betreffen) (Mikl-
Horke 1991: 259 f.).
46 3 Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Begriff der Prekarität
20 Für einen kurzen Überblick über die Differenzierung verschiedener theoretischer Perspektiven
auf Demokratie vgl. Ittermann (2007: 24 ff.).
21 Müller-Jentsch baut hier auf dem von Marshall entworfenen Stufenmodell auf, das die histo-
rische Entwicklung der Staatsbürgerrechte nachzeichnet. Danach existieren vier Kategorien der
Rechte von Staatsbürgerschaft: Die erste Kategorie umfasst die bürgerlichen (bzw. zivilen)
Rechte, die im Wesentlichen Rechte wie die Redefreiheit, Gedanken- und Glaubensfreiheit, das
Recht, Eigentum zu besitzen und Verträge abzuschließen, das Recht auf Rechtsprechung sowie
das Recht auf die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl beinhalten. Die zweite Kategorie umfasst
die politischen Bürgerrechte. Darunter fallen vor allem die Wahlen der politischen Autoritäten.
Die dritte Kategorie umfasst die sozialen Bürgerrechte, die jedem Gesellschaftsmitglied ein
Minimum an wirtschaftlicher Wohlfahrt und Sicherheit garantieren. Die vierte Kategorie wird
von Marshall eher am Rande erwähnt und umfasst industrielle bzw. wirtschaftliche Bürger-
rechte, die mit dem Gewerkschafts- und Kollektivvertragswesen zusammenhängen. Diese vier
einzelnen Kategorien haben sich nach Marshall aufeinander aufbauend seit Beginn des 18.
Jahrhunderts ausdifferenziert, institutionalisiert, inhaltlich gesteigert sowie personal ausge-
dehnt (zitiert nach Müller-Jentsch 2008: 17ff. und Brinkmann/Nachtwey 2014: 79 f.; im Origi-
nal nachzulesen bei Marshall 1992: 40 ff.).
3.2 Zum empirischen Forschungsstand im Bereich Prekarität von Leih- und Werkvertragsarbeit 47
gebnissen kommen auch Holtrup (2009: 158 ff.) und Smith (1998). Insgesamt
hebt nur eine Minderheit von Leiharbeitnehmer/-innen die Sprungbrettfunktion
in den Arbeitsmarkt aus der (Dauer-)Erwerbslosigkeit heraus positiv hervor (De
Cuyper et al. 2008; Kraemer/Speidel 2004b: 139 ff.). Die wahrgenommene Un-
sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes kann einerseits dazu führen, dass die Leih-
arbeitnehmer/-innen zusätzliche Arbeitsbelastungen auf sich zu nehmen, um ihre
Übernahmechancen zu erhöhen. Andererseits setzen die Leiharbeitskräfte zum
Teil Hoffnung in die Unterstützung der Betriebsräte in den Einsatzbetrieben und
erkundigen sich beispielsweise persönlich nach der Möglichkeit einer Übernah-
me (Artus/Roßmeißl 2012: 32 ff.).
Der soziale Status von Leiharbeitenden ist oftmals mit Diskriminierungser-
fahrungen und Außenseitergefühlen (Holtrup 2009; Noller et al. 2004; Vogel 2003;
2004a), aber auch einem Gefühl der Stigmatisierung und Exklusion gegenüber der
Stammbelegschaft (Bosmans et al. 2015) verknüpft. Hervorzuheben ist in diesem
Zusammenhang die relativ groß angelegte, qualitativ-empirische Studie von Noller
et al. (2004; vgl. auch Vogel 2003; Vogel 2004a) über Leiharbeitnehmer/-innen
und befristet Beschäftigten der Automobilindustrie und ihren Zulieferbetrieben. In
ihrer Typologie erwerbsbiographischer Erfahrungen und Haltungen zeigen sie,
dass sehr heterogene Erfahrungen und zugleich sehr unterschiedliche Formen der
Auseinandersetzung mit prekärer Beschäftigung existieren, die von erwerbsbiogra-
phischen Voraussetzungen und betrieblichem bzw. regionalem Kontext beeinflusst
werden. Als zentrales Belastungsmoment für die befragten Beschäftigten wird –
neben der Unsicherheit in Bezug auf ihre berufliche Zukunft und Konflikte mit den
Verleihfirmen – insbesondere die Nichtzugehörigkeit zur Stammbelegschaft identi-
fiziert. Das damit verbundene Ausgrenzungsgefühl resultiert aus klaren bzw. sym-
bolischen Grenzziehungen wie sprachlichen Abgrenzungen, Missachtungserfah-
rungen der eigenen Arbeitsleistung, Differenzen in der Arbeitskleidung und der
Trennung von Sozialräumen (Vogel 2004a: 161 ff.). Eine weitere Rolle bei der
empfundenen Ausgrenzung spielt der Verstoß gegen symbolische Anerkennungs-
bedürfnisse, etwa in Form des im Unterschied zu den Stammbeschäftigten als
ungerecht empfundene, geringere Einkommen, das „als mangelnde Anerkennung,
als Kritik an der eigenen Wertigkeit in der symbolischen Hierarchie der Entleihbe-
triebe verstanden“ (Holtrup 2009: 154) wird. Missachtung wird auch durch die
Bezeichnung von Leiharbeitnehmer/-innen als „Materialkosten“, in der andersarti-
gen Arbeitskleidung sowie in der Zuweisung weniger attraktiver Arbeiten erfahren
(Holtrup 2009: 179 ff.).
Das Einkommen und die soziale Anerkennung werden auch bei Helfen et al.
(2015) als zentrale Ungleichheitsdimensionen identifiziert, anhand derer sich die
Leiharbeitnehmer/-innen mit Normalarbeitnehmer/-innen vergleichen und ihre
Beschäftigungsform dementsprechend als inferior wahrnehmen. Erschwerend bei
54 3 Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Begriff der Prekarität
der sozialen Integration in den Einsatzbetrieb wirkt zudem der häufige Wechsel
des Einsatzortes (Holtrup 2009: 177 ff.).
Kraemer/Speidel (2004b) werten in ihrem Beitrag die Ergebnisse des bereits
erwähnten Projektes von Dörre et al. (2006) hinsichtlich der Beschäftigungsform
Leiharbeit anhand von qualitativen, leitfadenorientierten Interviews in einem
Automobilunternehmen aus. Im Ergebnis beschreiben alle Leiharbeitnehmer/-in-
nen ihre Arbeitssituation „als unbefriedigend, belastend, eben als prekär“ (Krae-
mer/Speidel 2004b: 129). Zentral ist der folgende Befund, der die bisherigen
Forschungserkenntnisse über die subjektive Verarbeitung gut zusammenfasst:
„Dauerhafte Beschäftigungs- und Einkommensunsicherheit, geringe Partizipati-
onschancen und die allenfalls schwach entwickelte Identifikation mit der eigenen
Arbeitstätigkeit verstärken sich gegenseitig und münden in eine Erwerbslage, die
sich durch massive soziale Desintegrationseffekte auszeichnet“ (Kraemer/Spei-
del 2004b: 132). Die betriebliche Mitbestimmung als Prekaritätsdimension wird
hier allerdings thematisch lediglich angerissen und nicht weiter ausgeführt. Of-
fen bleibt daher, inwiefern die beschriebenen Diskriminierungserfahrungen der
Beschäftigten auch hinsichtlich des Ausschlusses von betrieblichen Mitbestim-
mungsrechten eine Rolle spielen.
Bei der individuellen Bewältigung der prekären Merkmale von Leiharbeit
wird das Qualifikationsniveau als ein beeinflussender Faktor hervorgehoben. Der
Fokus lag dabei bislang jedoch nur auf dem Privatleben der betroffenen Beschäf-
tigten, etwa im Hinblick auf die Partnerschaftsqualität und die Realisierung von
Kinderwünschen. Eine zentrale Erkenntnis ist dabei, dass die negativen Merkma-
le der Beschäftigungsform Leiharbeit individuell umso besser bewältigbar sind,
je mehr Ressourcen – beispielsweise Strategien zur Konfliktbearbeitung – ver-
fügbar sind (Niehaus 2013). Dies wirft die Frage auf, ob das Qualifikationsni-
veau auch beim Umgang mit der betrieblichen Mitbestimmungssituation im
Einsatzbetrieb eine Rolle spielt.
Als Fazit dieses Abschnitts ist zu konstatieren, dass die bisherigen For-
schungserkenntnisse über die Arbeitsbedingungen von Leih- und Werkvertrags-
arbeit und den subjektiven Umgang damit weit auseinander klaffen und sich der
Wissensstand über die beiden Beschäftigungsformen stark unterscheidet. Auf-
grund der Aktualität des Themas ist die Menge an wissenschaftlicher Literatur in
Bezug auf Werkverträge in jüngster Zeit allerdings angestiegen. Vermehrt Be-
achtung findet dabei der insbesondere der Aspekt der Mitbestimmung auf tarifli-
cher sowie betrieblicher Ebene bei Leiharbeit und Werkverträgen gleichermaßen,
auf den im folgenden Abschnitt eingegangen werden soll.
3.2 Zum empirischen Forschungsstand im Bereich Prekarität von Leih- und Werkvertragsarbeit 55
und Angestellte befragt wurden, erhoben. Danach beurteilen zwei Drittel der
Beschäftigten den Betriebsrat allgemein als „positiv“ (Schardt 1979: 161). Aller-
dings werden konkrete Details der Betriebsratsarbeit als negativ bewertet: So
fühlen sich zwei Drittel der Beschäftigten nicht ausreichend bei Problem- und
Konfliktlösungen einbezogen. Zudem fühlt sich knapp die Hälfte der Beschäftig-
ten vom Betriebsrat entfremdet. Zugleich wird von Teilen eine als unzureichend
empfundene Vertrauensbasis bezüglich der Lösung persönlicher bzw. betriebli-
cher Konflikte angegeben.
Mögliche Erklärungen für eine Verdrossenheit von abhängig Beschäftigten
gegenüber Betriebsräten erforscht Musiol (2014). Seine Datenbasis bilden fünf
leitfadengestützte Interviews mit Betriebsratsmitgliedern diverser Branchen,
zwei Gruppendiskussionen mit Betriebsratsmitgliedern sowie eine systematische
Auswertung von über 400 Beiträgen von Beschäftigten in Internetforen, in denen
die Betriebsratsarbeit beurteilt wird. Als Ursachen für die Verdrossenheit von
Beschäftigten mit der betrieblichen Mitbestimmung identifiziert der Autor zwei
Aspekte: Die Missachtung von Selbstbestimmungsbedürfnissen einerseits und
die Missachtung von Beteiligungswünschen andererseits, die insbesondere auf
mangelhafter Informationsarbeit der Betriebsräte sowie auf fehlender Kommuni-
kation zwischen den Betriebsräten und Belegschaften beruhen. Beide Ursachen
lassen sich unter dem Schlagwort „fehlende Anerkennung“ der Beschäftigten
durch den Betriebsrat subsumieren.
In Bezug auf die Mitbestimmungsaffinität nach Beschäftigtenstatus bzw. –
qualifikation wird hervorgehoben, dass die die Mitbestimmungsaffinität steigt, je
niedriger das Berufsprestige – bzw. prekärer die Erwerbstätigkeit – der befragten
Personen ist. Zu begründen ist dies unter anderem mit der höher eingestuften,
subjektiv wahrgenommenen Selbstaushandlungsfähigkeit von Personen in pres-
tigereicheren Berufen (Wilkesmann et al. 2011a). Dies deckt sich mit den Er-
kenntnissen bezüglich der Interessenvertretung hochqualifizierter Beschäftigter,
bei denen die Relevanz eigenverantwortlicher Vertretung und Regulierung der
Interessen aus Sicht der Beschäftigten betont wird (Boes/Trinks 2006; Holtrup
2008; Kotthoff 1997; Mehlis 2008; Städler et al. 2004). Abel/Pries (2005) kom-
men zu einem ähnlichen Befund für die Branche der Neuen Medien und begrün-
den diesen mit der Arbeitsidentität und Beitragsorientierung der Beschäftigten,
aber auch mit einer in den Unternehmen herrschenden Vertrauenskultur. Sichtbar
wird dies beispielsweise an der Gewährung weitreichender Partizipations- und
Autonomiespielräume (zum Beispiel in Bezug auf die Arbeitszeitregulierung)
und an der engen Bindung zwischen Belegschaft und Geschäftsführung. Letztere
ist notwendig, da die Beschäftigten und ihr Expert/-innenwissen als zentrales
„Kapital“ in den Dienstleistungsunternehmen gesehen werden. Folglich werden
seitens der Geschäftsführung Anstrengungen unternommen, die Bindung durch
62 3 Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Begriff der Prekarität
triebsrats in der Verleihfirma, als auch das begrenzte Engagement der Interes-
senvertretung im Einsatzbetrieb beklagt (Kraemer/Speidel 2004b: 131). Generell
wird das Fehlen von Ansprechpartner/-innen im Betrieb als negativ bewertet:
„Gerade die Leiharbeitskräfte sehen sich vor das Problem gestellt, dass es in den
Verleihfirmen in der Regel keine betriebliche Interessenvertretung gibt, und dass
die Betriebsräte der Entleihfirmen formal mit ihnen nichts zu tun haben und
oftmals praktisch mit ihnen auch nichts zu tun haben wollen“ (Vogel 2004a:
162). Die Ergebnisse zur betrieblichen Mitbestimmung werden in den beiden
zitierten Studien jedoch nicht weiter spezifiziert, so dass eine umfassende Unter-
suchung der Beschäftigtenperspektive auf die betriebliche Mitbestimmung von
Leiharbeitnehmer/-innen – und ebenso von Werkvertragsarbeitnehmer/-innen –
weiterhin aussteht.
Der Fokus der bisherigen Forschung lag bislang fast ausschließlich auf der
rechtlich-institutionellen Ebene von Mitbestimmung sowie auf der expertenori-
entierten Forschung. Soziale Prozesse der Gestaltung und der Aushandlung von
Arbeitsbedingungen wurden in Bezug auf Leih- und Werkvertragsarbeit nur aus
Expertenperspektive, also einseitig, sowie vorwiegend in Bezug auf die Mitbe-
stimmungsarena des Einsatzbetriebs betrachtet. Die Fragen aber, wie die betrieb-
liche Mitbestimmung von Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen subjektiv
wahrgenommen wird und wie sie mit der objektiv prekären Mitbestimmungssi-
tuation im Einsatzbetrieb auf der einen Seite und jener im Entsendebetrieb auf
der anderen Seite umgehen, bleiben unbeantwortet. Die vorliegende Arbeit
schließt diese Forschungslücke, indem mithilfe einer subjektorientierten For-
schung die Bewertungen, aber auch die Handlungsentscheidungen, die die Be-
schäftigten aus ihrer Wahrnehmung der Mitbestimmungssituation heraus treffen,
empirisch erfasst und analysiert werden. Die bisherigen Forschungsergebnisse
der Prekaritäts- bzw. Mitbestimmungsforschung werden somit durch eine Analy-
se der Auswirkungen des Wandels der Erwerbsarbeit auf die Beschäftigten und
ihre demokratische Teilhabe im Betrieb um ein weiteres Element ergänzt.
Die Konkretisierung der aus der Forschungslücke erwachsenden For-
schungsfragen sowie die in dieser Arbeit eingenommene, theoretische Perspekti-
ve werden im nachfolgenden Kapitel erläutert.
4 Konkretisierung und theoretische Einbettung
der Fragestellungen
Der Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit liegt auf der individuellen Wahr-
nehmung und Bewertung von Partizipationsmöglichkeiten bzw. -defiziten durch
Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen und dem daraus erwachsenen Han-
deln. Aufgrund dieser subjektorientierten Forschungsperspektive bietet sich die
Verwendung einer Analyseheuristik an, die zunächst am individuellen Akteur
bzw. an der individuellen Akteurin ansetzt. In dieser Arbeit soll sich zur Erklä-
rung subjektiver Bewertungen und daraus folgenden Handlungen daher an einer
Auslegung der Rational-Choice-Theorie22 nach Hartmut Esser (1993; 1999b)
orientiert werden. Rational Choice dient zunächst einmal als ein Sammelbegriff
für eine Art der Theoriebildung, die den jeweiligen Handlungsträgern (z.B. Per-
sonen oder Organisationen) jeweils spezifische Intentionen und anreizgeleitetes
Entscheidungsverhalten unter bestimmten Gegebenheiten unterstellt, um daraus
resultierende soziale Folgen zu erklären (Braun 2009: 395). Grundlegende An-
nahme der Rational-Choice-Theorie ist, dass das menschliche Handeln durch das
Ziel der rationalen Maximierung individuellen Nutzens erklärt werden kann. Die
rationale Nutzenmaximierung hat in diesem Verständnis den Status eines Gene-
ralmotivs (Schneider 2009: 400). Rationalität kann dabei als
„zielgerichtetes (d.h. vorausschauendes) und optimierendes (d.h. maximierendes o-
der minimierendes) Entscheidungsverhalten unter bestmöglich gebildeten (d.h. rati-
onalen) Erwartungen bei Verwendung aller verfügbaren oder beschafften Informati-
äußere Bedingungen
(1a)
Kognition (2)
innere Bedingungen
(1b)
Orientierung (3)
Drei Schritte führen letztendlich zur Situationsdefinition: Der erste Schritt ist die
Vorgeschichte der Situation (in Abbildung 4 als 1a und 1b gekennzeichnet). Damit
ist die Genese der äußeren und inneren Bedingungen der Situation gemeint – also
die Entstehung der sozialen Strukturen, in die das aktuelle Geschehen eingebettet
ist, aber auch die Biografie und ‚Lerngeschichte‘ des Akteurs bzw. der Akteurin
durch Erfahrungen in vergangenen Situationen, die zur Genese des Wissens, der
Werte und der Einstellungen beitragen (Esser 1999b: 161 ff.). Die äußeren Bedin-
gungen bilden nach Esser den objektiven Rahmen des Handelns einer Person und
umfassen drei Elemente: Materielle Opportunitäten (die gesamte Anzahl der wähl-
baren Alternativen des Akteurs bzw. der Akteurin, bestimmt durch ökonomisches,
aber auch durch Human- und Sozialkapital), institutionelle Regeln (z. B. Normen,
Sitten, Konventionen und Gesetze/Regelungen, die den sozialen Sinn einer Situati-
on definieren) sowie signifikante Symbole. Letztere stellen die jeweils in der Situa-
tion vorhandenen oder von anderen Akteur/-innen angezeigten, kulturell definier-
ten und mit Sinn belegten Zeichen für die Geltung eines spezifischen Bezugsrah-
mens dar, durch den die Situation definiert ist. Die Akteur/-innen können aus den
signifikanten Symbolen Schlüsse über nicht unmittelbar feststellbare Eigenschaften
der Situation ziehen und erkennen, welche Opportunitäten bzw. institutionelle
Regeln vorgegeben sind. Beispiele für signifikante Symbole sind Sprache oder
Kleidung(sstile).
Die inneren Bedingungen umfassen das Wissen und die Werte des Akteurs
bzw. der Akteurin über die Wahrscheinlichkeiten und Präferenzen sowie den
Satz an inneren Einstellungen, die er bzw. sie für bestimmte Situationen verin-
nerlicht hat und an die er/sie sich in der Situation halten kann bzw. muss. Esser
bezeichnet das Wissen, die Werte und den Satz der inneren Einstellungen ge-
meinsam als Identität des Akteurs bzw. der Akteurin. Die soziale Identität, also
der gesamte Bestand an Wissen und Bewertungen für sozial typisierte Situatio-
nen, das dort angemessene Handeln und die Beziehungsart der handelnden Per-
son zu ihrer Umgebung, ist dabei von besonderer Bedeutung für das Handeln.
Die soziale Identität stellt ein Registersystem typischer Situationen und Modelle
dar, auf das der Akteur bzw. die Akteurin zugreifen kann (Esser 1999b: 51 ff.).
Im Modell zur „Definition“ der Situation ist der handelnde Mensch als ein von
den äußeren Bedingungen abgegrenztes, personales System zu sehen, das durch
eine eigenständige Identität gekennzeichnet ist (Esser 1999b: 165).23
Der zweite Schritt, der zur „Definition“ der Situation führt, ist die Kogniti-
on (2). Damit bezeichnet Esser das Zusammenspiel von Erleben, selektiver
23 Hervorzuheben ist jedoch an dieser Stelle, dass die Biografien der Akteur/-innen auch über die
Genese der sozialen Strukturen beeinflusst und die Identitäten der Individuen somit maßgeb-
lich von den äußeren Bedingungen konstituiert werden. Umgekehrt wirken die Identitäten
ebenso bei der Genese sozialer Strukturen mit (Esser 1999b: 163).
4.2 Handlungstheoretische Einordnung der Forschung 71
24 Dieses Modell hat Esser zu einem späteren Zeitpunkt zum Frame/Skript-Modell weiterentwi-
ckelt. Für eine Erläuterung dieses Modells siehe Esser (2001) und Miebach (2014: 419 ff.)
72 4 Konkretisierung und theoretische Einbettung der Fragestellungen
Esser legt mit seinem Erklärungsansatz der Situationsanalyse dar, wie Handlun-
gen durch die subjektive Wahrnehmung der Handlungsumwelt geprägt werden.
Es zeigen sich dabei Parallelen zu den bereits vorangegangen Überlegungen zur
Analyse von objektiver und subjektiver Prekarität: Esser geht ebenfalls davon
aus, dass die Definition einer Situation sowie die anschließende Handlungswahl
von den äußeren – also institutionellen bzw. objektiven – Rahmenbedingungen,
von den inneren Bedingungen wie Biographie, Werten und Einstellungen, und
letztendlich von den subjektiven Wahrnehmungen des jeweiligen Akteurs bzw.
der jeweiligen Akteurin abhängt. Mithilfe von Essers theoretischer Systematisie-
rung können die individuelle Wahrnehmung und Bewertung von sowie der Um-
gang mit der Mitbestimmungssituation der Leih- und Werkvertragsarbeitneh-
mer/-innen somit umfassend erklärt werden, da individuelle und strukturelle
Faktoren in der Analyse miteinander verbunden werden. Zugleich ist das Modell
relativ allgemein gehalten und kann damit jegliche – auch unvorhergesehene –
Phänomene, die in der Forschung gegebenenfalls auftauchen, in einen theoreti-
schen Rahmen einbetten.25 An dieser Stelle sei allerdings hervorgehoben, dass in
dieser Forschungsarbeit nicht das Ziel einer Theorieüberprüfung verfolgt wird.
Essers Modell wird als Heuristik eingesetzt und dient dabei als theoretisches
Raster, welches durch empirische Daten zunehmend gefüllt wird (vgl. dazu auch
Kelle/Kluge 2010: 63). Damit erfüllt es vor allem die Funktion der Strukturie-
rung der empirischen Daten.
Zum Zwecke der Beantwortung der Forschungsfrage wird Essers Modell
der „Definition“ der Situation in der vorliegenden Forschungsarbeit auf eine spe-
zifische Situationsdefinition zugespitzt: Die Bewertung der betrieblichen Mitbe-
stimmungssituation durch die Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen als
prekär bzw. nicht prekär. Durch diese Übertragung des Modells auf den For-
schungsgegenstand ist es einerseits möglich, jene Faktoren zu identifizieren, die
beeinflussend auf die jeweiligen Situationsdefinitionen wirken. Andererseits
kann analysiert werden, welche Handlungen auf dieser Grundlage gewählt wer-
den. Nachfolgende Abbildung visualisiert die Übertragung des handlungstheore-
tischen Modells auf die Forschungsfrage.
Äußere Bedingungen:
rechtliche Rahmenbedingungen (BGB / BetrVG / AÜG)
Existenz eines Betriebsratsgremiums
Erreichbarkeit der betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen
interne Akteure im betrieblichen Kontext (Betriebsrat und
Vorgesetzte)
externe Akteure (Gewerkschaften und Gesamt- bzw. Kon-
zernbetriebsräte)
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der Wissen, Werte und Einstellungen gegenüber
betrieblichen der betrieblichen Mitbestimmung (Mitbestim-
Mitbestimmung mungsaffinität)
Wissen, Werte und Einstellungen gegenüber
der spezifischen Beschäftigungssituation
biografischer Status
sozialstrukturelle Faktoren
Orientierung
Abbildung 5: Die Selektionen zur „Definition“ der Situation in Bezug auf die
betriebliche Mitbestimmung
Quelle: Modifiziertes Modell auf Grundlage von Esser (1999b: 166).
26 Die Genese der äußeren Bedingungen – also die Entstehung der sozialen und institutionellen
Strukturen – findet im Fortlauf der Analyse keine Berücksichtigung.
74 4 Konkretisierung und theoretische Einbettung der Fragestellungen
fasst die dortige Existenz eines Betriebsrats, zu dem die Beschäftigten gegebe-
nenfalls Kontakt aufnehmen können.27
Ein weiterer Fokus liegt darauf, inwiefern die Erreichbarkeit des jeweiligen
Betriebsratsgremiums bzw. die Partizipation an betrieblichen Mitbestimmungs-
prozessen mit Hürden verknüpft ist (niedrig- bzw. hochschwellige Zugänglich-
keit der betrieblichen Mitbestimmung). Dazu zählt unter anderem die räumliche
Distanz oder die Informationszugänglichkeit (etwa im Hinblick auf Betriebs-
ratswahlen).
Darüber hinaus soll – zumindest partiell – der betriebliche Kontext28 der je-
weiligen Betriebe bei der Analyse Berücksichtigung finden. Dazu zählt insbe-
sondere die Rolle interner Akteure, und zwar konkret die Handlungsstrategien
des Betriebsrats sowie die Führungskultur des bzw. der jeweiligen Vorgesetz-
ten/Geschäftsleitung. Die Handlungsstrategien der Betriebsräte im Einsatzbetrieb
können sich prinzipiell in einem Spektrum von Ablehnung, Regulierung und
Integration von Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen bewegen (Barlen
2014). Hier ist zu klären, inwieweit etwaige Aktivitäten des Einsatzbetriebsrats –
zum Beispiel die persönliche Kontaktaufnahme zu den Beschäftigten – beein-
flussend auf das Prekaritätsempfinden und die daraus folgenden Handlungen der
Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen wirken. In Bezug auf das Verhältnis
zu den Vorgesetzten ist beispielsweise anzunehmen, dass die Kommunikation
und der Umgang zwischen ihnen und den Arbeitnehmer/-innen einen Einfluss
darauf hat, wie die individuelle Verhandlungsposition und damit auch die Not-
wendigkeit eines Betriebsrats seitens der Beschäftigten eingeschätzt wird.
Schließlich werden als Einflussfaktoren auf die Situationsdefinition bzw. Hand-
lungswahl externe Akteure betrachtet. Dies bezieht sich auf Gewerkschaften
27 In den Einsatzbetrieben war gemäß der Vorgehensweise des theoretischen Samplings jeweils
ein Betriebsrat vorhanden; in den Entsendebetrieben war dies jedoch nicht zwangsläufig der
Fall.
28 Zu den betrieblichen Kontextfaktoren gehört auch die Grundstruktur des Einsatzbetriebes.
Darunter ist vor allem die Größe und formelle Organisation zu verstehen. Die Untersuchung
dieser Merkmale findet in der vorliegenden Forschungsarbeit allerdings aus zwei Gründen kei-
ne Berücksichtigung: Erstens wurden die Einsatzbetriebe unter dem Gesichtspunkt größtmögli-
cher Homogenität ausgewählt, um die Varianz in den institutionellen Rahmenbedingungen
möglichst gering zu halten und einen Vergleich der Beschäftigten zu ermöglichen (vgl. dazu
auch Kapitel 5). Bedingt durch die Ähnlichkeit der Betriebe kann somit der Einfluss der be-
trieblichen Rahmenbedingungen nicht identifiziert werden. Zweitens kann aus Datenschutz-
gründen keine detaillierte Charakterisierung der Betriebe erfolgen. Für eine Analyse der
Grundstrukturen müsste eine ausführliche Darstellung erfolgen, so dass die Anonymität der
Betriebe (und damit gegebenenfalls auch der Beschäftigten) nicht mehr gewährleistet werden
könnte.
4.2 Handlungstheoretische Einordnung der Forschung 75
29 Die internen und externen Akteure werden in dieser Untersuchung als Kontextfaktoren begrif-
fen, die die subjektive Situationsdefinition der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen be-
einflussen. Deswegen werden ihre Handlungen auf Grundlage der Wahrnehmungen und Be-
wertungen der Beschäftigten beschrieben und herangezogen und nicht auf Expert/-inneninter-
views basierend ausgewertet.
30 Diese Definition erfolgt in Anlehnung an Wilkesmann et al. (2011: 38 f.), die die Mitbestim-
mungsaffinität über die Bewertung von Tarifverträgen und Gewerkschaften als richtig und not-
wendig festmachen.
76 4 Konkretisierung und theoretische Einbettung der Fragestellungen
schungsarbeit insbesondere Erlebnisse und Kontakte mit der Institution des Be-
triebsrats (auch in vorhergehenden Beschäftigungsverhältnissen).
Zweitens sollen unter den inneren Bedingungen das Wissen, die Werte und
die Einstellungen gegenüber der speziellen Beschäftigungssituation als Leih-
bzw. Werkvertragsarbeitnehmer/-in erfasst werden. Nicht außer Acht gelassen
wird dabei die individuelle Beziehung zur sozialen Umgebung (Esser 1999b:
55), und dabei speziell das Zugehörigkeitsgefühl bzw. die emotionale Bindung
der Beschäftigten zum Einsatz- bzw. Entsendebetrieb, welche das Verhältnis zur
betrieblichen Mitbestimmung und den damit verbundenen Aktivitäten beein-
flussen kann. Zugehörigkeit wird dabei verstanden als „eine emotionsgeladene
soziale Verortung, die durch das Wechselspiel (1) der Wahrnehmungen und der
Performanz der Gemeinsamkeit, (2) der sozialen Beziehungen der Gegenseitig-
keit und (3) der materiellen und immateriellen Anbindungen oder auch Anhaf-
tungen entsteht“ (Pfaff-Czarnecka 2012: 12).
Drittens soll der biografische Status der Beschäftigten Berücksichtigung
finden. Darunter werden zunächst der zum Zeitpunkt der Befragung bestehende
Beschäftigtenstatus (inklusive der Dauer des aktuellen Einsatzes im Einsatzbe-
trieb) und das Qualifikationsniveau verstanden. Zugleich wird jedoch auch der
Erwerbsverlauf in die Analyse einbezogen, der wiederum die Entstehung des
Wissens, der Werte und der Einstellungen gegenüber der betrieblichen Mitbe-
stimmung und der aktuellen Beschäftigungssituation beeinflussen kann.31
Schließlich sollen viertens auch sozialstrukturelle Faktoren wie das Alter
und das Geschlecht der Befragten miteinbezogen werden.
In die subjektive „Definition“ der Situation gehen sowohl die äußeren Be-
dingungen, als auch die inneren Bedingungen des Akteurs bzw. der Akteurin ein
– im Kontext mit der Forschungsfrage bedeutet dies, dass der oder die Beschäf-
tigte die genannten äußeren Bedingungen der betrieblichen Mitbestimmung vor
dem Hintergrund der inneren Bedingungen wahrnimmt und anschließend ein
spezifisches Modell der betrieblichen Mitbestimmungssituation selektiert (d.h.
er/sie definiert sie als prekär bzw. nicht-prekär; zur konkreten Operationalisie-
rung dieser Begriffe vgl. Kapitel 7.1), auf dessen Grundlage alle weiteren Hand-
lungen vorgenommen werden. Bei einer Orientierung an Essers Modell der Situ-
ationsdefinition bedeutet dies, dass hierbei ein kausaler Zusammenhang zwi-
schen Situationsdefinition und Handlungswahl besteht: Einzig die Situationsde-
finition leitet das darauf folgende Handeln (Esser 1999b: 68). In der Empirie der
vorliegenden Studie zeigt sich, dass hierbei verschiedene Ausprägungen existie-
31 Dies weist bereits darauf hin, dass eine exakte analytische Trennung von der Genese sowie den
tatsächlichen, „aktuellen“ inneren Bedingungen nicht immer möglich ist. In der Analyse wer-
den die inneren Bedingungen daher stets in enger Verknüpfung zur Vorgeschichte der inneren
Bedingungen (in Form von biografischen und Mitbestimmungserlebnissen) betrachtet.
4.2 Handlungstheoretische Einordnung der Forschung 77
ren. Die Bewertung der Mitbestimmungssituation als prekär zieht bei den befrag-
ten Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen zum Teil ein hohes, zum Teil
ein niedriges Aktivitätsniveau nach sich – je nach dem, auf welcher Kombination
von inneren und äußeren Bedingungen die Situationsdefinition basiert. Insofern
ist zu berücksichtigen, dass die Bewertung der Mitbestimmungssituation als
prekär oder nicht-prekär nicht die alleinige Erklärung von Handlungen darstellt,
sondern im Zusammenspiel mit den inneren und äußeren Bedingungen als Vo-
raussetzung für das jeweilige Aktivitätsniveau der Beschäftigten zu begreifen
ist.32 Es sei an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen, dass hierbei nicht die
Überprüfung der theoretischen Reichweite des Modells im Fokus steht. Zweck
der Heranziehung des Esser’schen Modells ist es, die empirischen Daten zu sys-
tematisieren und sowohl die Situationsdefinition, als auch die Handlungswahl
unter Berücksichtigung individueller und struktureller Faktoren zu erklären.
Die ausgeführten Handlungen werden durch das qualitativ-empirische Ma-
terial gefüllt und hinsichtlich der Partizipationsintensitäten und -ausprägungen
der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ausdifferenziert und begründet.
Untersucht werden dabei sowohl die Handlungen, die sich innerhalb der gesetz-
lichen Rahmenbedingungen für die betriebliche Mitbestimmung im Einsatzbe-
trieb bewegen bzw. gegebenenfalls sogar darüber hinausgehen, als auch die
Handlungen, die sich auf die Nutzung der Rechte im jeweiligen Verleih/-Werk-
vertragsunternehmen beziehen. Ebenfalls Berücksichtigung finden mögliche In-
terdependenzen der Handlungen in den beiden Mitbestimmungsarenen des Ein-
satz- und des Entsendebetriebs. Die Auswirkungen der jeweiligen Situationsde-
finitionen und Handlungen auf das kollektive (Akteurs-) Umfeld des individuel-
len Akteurs – dies umfasst vor allem die Institution der betrieblichen Mitbe-
stimmung sowie Gewerkschaften – werden im Fazit aufgegriffen und diskutiert.
Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Untersuchung mit
größtmöglicher inhaltlicher Offenheit und sich an der Grounded Theory Method
orientierend vorgegangen wurde (für methodische Erläuterungen im Detail vgl.
Kapitel 5): Weder die im vorherigen Abschnitt aufgezählten Elemente, die bei
der Definition einer Situation eine Rolle spielen (könnten), noch die diversen
Handlungsmöglichkeiten der Beschäftigten wurden vollständig ex ante festge-
legt, sondern auch am Material selbst erhoben. Das bereits aufbereitete theo-
retische und faktische Vorwissen geben allerdings eine Untersuchungsrichtung
vor.
32 Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der Erklärung der Situationsbewertung und Hand-
lungen durch innere und äußere Bedingungen. Der eigentliche Entscheidungsprozess – also die
verschiedenen Phasen der Handlungswahl auf Subjektebene auf Grundlage der Wert-Erwar-
tungstheorie – ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit und wird daher im empirischen
Teil nicht detailliert berücksichtigt.
78 4 Konkretisierung und theoretische Einbettung der Fragestellungen
Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, ist das Gebiet der
subjektiven Wahrnehmung der betrieblichen Mitbestimmung durch Leih- und
Werkvertragsbeschäftigte bislang weitestgehend unerforscht. Um diese Gege-
benheit zu berücksichtigen, wurde eine Forschungsstrategie mit vergleichsweise
großer Offenheit gegenüber dem Forschungsgegenstand verfolgt. Die vorliegen-
de Studie greift daher verschiedene Elemente des Forschungsstils der Grounded
Theory nach Strauss (1998) bzw. Strauss/Corbin (1990) auf. Die Grounded The-
ory stellt keine Methode im Sinne eines Instrumentariums von Verfahrensregeln
dar, nach denen Daten analysiert und interpretiert werden – vielmehr handelt es
sich um Leitlinien, die entsprechend des Forschungsgegenstandes modifiziert
werden können (Strauss 1998: 32 f.).
Das Hauptpostulat der Grounded Theory ist die Bildung einer gegenstands-
begründeten (= „grounded“) Theorie (Breuer 2010: 39). Ein Ziel dieser Arbeit ist
es ausdrücklich nicht, repräsentative Ergebnisse zu produzieren, sondern anhand
qualitativer Daten theoretische Konzepte zur Beschreibung und Erklärung der
Bewertung und des Umgangs mit betrieblicher Mitbestimmung seitens Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen zu entwickeln. Ein zentrales Merkmal der
Grounded Theory ist in diesem Zusammenhang die theoretische Sensibilität. Das
Vorwissen des Forschers bzw. der Forscherin soll explizit in den Prozess der
Datenanalyse integriert werden (sowohl theoretisches Wissen aus Fach- und
sonstiger Literatur, als auch Wissen aus beruflicher und persönlicher Erfahrung)
(Strauss 1998: 36 f.; Strübing 2008b: 58 f.). Die Forschungsfragen werden somit
vor dem Hintergrund des bereits in den Kapiteln 3 und 4 theoretischen Vor- und
Kontextwissens über das Feld analysiert und dieses als theoretische Sensibilität
anerkannt und reflektiert.
Der Forschungsprozess in der Grounded Theory vollzieht sich im Sinne ei-
ner „geplante[n] Flexibilität“ (Alheit 2005: 10): Geplant ist der Prozess insofern,
als dass bestimmte Vorannahmen und Vorwissen auch über ein neues For-
schungsfeld sinnvoll und nötig sind. Flexibel und offen ist der Prozess, weil sich
während der Forschung die Vorannahmen ändern können, indem sie mit neuen
Informationen angereichert und erweitert werden können (Alheit 2005: 10).
Dieser Flexibilität wurde durch eine relativ offene Herangehensweise an den
Forschungsgegenstand Rechnung getragen. Zu Beginn des Forschungsprozesses
stand eine eher breite Fragestellung; erst im Verlauf der Erhebung – nach schritt-
weiser Auswertung von Interviews – wurde diese immer weiter zugespitzt. Diese
Offenheit war aufgrund des defizitären Forschungsstandes unerlässlich: Abgese-
hen von den bereits aufgezeigten bisherigen Forschungsergebnissen zu betriebli-
cher Mitbestimmung existiert keine konkrete Operationalisierung der Wahrneh-
mung von bzw. des Umgangs mit betrieblicher Mitbestimmung seitens Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen. Die entscheidenden Kategorien und Erklä-
rungsfaktoren wurden entsprechend sowohl aus der bestehenden Literatur, als
auch aus dem empirischen Material abgeleitet und konnten damit erst im Laufe
des Forschungsvorhabens endgültig festgelegt werden. Bei der Interpretation und
Analyse der qualitativen Interviews ging es daher auch um die Entdeckung neuer
Phänomene und um die persönlichen Relevanzsetzungen der Befragten.
In Bezug auf den Forschungsprozess der Grounded Theory werden zudem
insbesondere die zeitliche Parallelität und die wechselseitige Abhängigkeit der
Prozesse der Datenerhebung, Datenanalyse und Theoriebildung betont. Dies be-
deutet, dass alle drei Forschungstätigkeiten (mehr oder weniger) parallel betrie-
ben werden und sich gegenseitig produktiv beeinflussen. So können beispiels-
weise analytische Ideen bei der Datenauswertung sowohl die Entwicklung einer
gegenstandsbezogenen Theorie beeinflussen, als auch modifizierend auf den Pro-
zess der Datenerhebung wirken (Strübing 2010: 12). In der vorliegenden For-
schungsarbeit wurde dies beispielsweise gewinnbringend genutzt, indem der
verwendete Leitfaden schrittweise an die Erkenntnisse angepasst wurde.
Auf die Vorgehensweise der Datenerhebung und –analyse (Theoretical
Sampling und Kodieren) im Sinne der Grounded Theory wird in den Kapiteln 5.3
bis 5.5 näher eingegangen.
5.2 Das problemzentrierte Leitfadeninterview als Erhebungsmethode 81
möglichst frei mit eigenen Worten erzählen und selbst auf Themen kommen, die
ihnen wichtig erschienen.
Neben dem Leitfaden definiert Witzel drei weitere, zum PZI gehörende Ins-
trumente, die allesamt in dieser Untersuchung Anwendung fanden: Der Kurzfra-
gebogen, die Tonträgeraufzeichnung sowie die Postskripte. Der Kurzfragebogen
wurde – je nach Situation – kurz vor oder nach dem Interview ausgehändigt. Er
diente der Erfassung von Sozialdaten (beispielsweise Alter und Bildungsstand).
Das Interview wurde digital aufgezeichnet und anschließend transkribiert und
anonymisiert. Die Postskripte wurden direkt nach dem Gespräch erstellt, um
Anmerkungen zu Verlauf und Schwerpunktsetzungen des Gesprächs zu notieren
und erste Interpretationsideen sowie Anmerkungen zu Verbesserungen der fol-
genden Interviews schriftlich festzuhalten.
Neben den PZI mit den Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen kamen Ex-
pert/-inneninterviews mit Betriebsratsmitgliedern und Personaler/-innen der
jeweiligen Betriebe als Erhebungsmethode zum Einsatz. Expert/-inneninterviews
verschaffen einen schnellen Zugang zu speziellem Wissen über das Unter-
suchungsfeld und machen zugleich die Orientierung im Feld möglich (Pflüger et
al. 2010: 39). Das Erkenntnisinteresse bei den Betriebsrats-/Personaler/-innen-
interviews lag daher vornehmlich darin, zusätzliche Informationen und betriebs-
spezifisches Hintergrundwissen zur Belegschaftsstruktur und der Aushandlung
von Haustarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu generieren sowie teilwei-
se auch darin, einen Feldzugang zu den Beschäftigten herzustellen. Methodisch
wurde der Definition von Meuser/Nagel (1991; 2009) gefolgt. Laut ihnen steht −
im Unterschied zu anderen offenen Interviewformen − bei Expert/-inneninter-
views nicht die Gesamtperson als solche im Zentrum der Aufmerksamkeit, son-
dern das spezielle Fachwissen der bzw. des Expert/-in, über das sie aufgrund
ihrer Rolle als Funktionsträger/-innen innerhalb eines organisatorischen oder
institutionellen Kontextes, also zum Beispiel aufgrund ihrer beruflichen Stellung,
verfügt (Meuser/Nagel 1991: 441 ff.).33 Auch diese Interviews wurden mithilfe
eines Leitfadens geführt; dieser unterschied sich jedoch inhaltlich von dem Leit-
faden für die Beschäftigten.
33 Im Gegensatz dazu grenzen Gläser/Laudel (Gläser/Laudel 2010: 13) Expert/-innen durch die
exklusive Stellung und das daraus folgende besondere Wissen im zu untersuchenden sozialen
Kontext ab – der oder die Expert/-in wird allein durch die Befragtenrolle zu einem bzw. einer
Expert/-in.
5.2 Das problemzentrierte Leitfadeninterview als Erhebungsmethode 83
Leitfadenkonstruktion
34 Die Abkürzung SPSS steht für Sammeln, Prüfen, Sortieren und Subsumieren.
84 5 Forschungsdesign und Forschungsmethodik der empirischen Studie
5.4 Auswertungsmethoden
38 Für vertiefende Erläuterungen zum Auswertungsverfahren der Grounded Theory Method vgl.
auch Muckel (2011: 341 ff.) und Strübing (2008a: 18 ff.).
39 Die Quellenverweise der Interviewstellen innerhalb dieser Forschungsarbeit beziehen sich
daher auf Abschnittsnummern, die mit der Auswertungssoftware MAXQDA erstellt wurden.
88 5 Forschungsdesign und Forschungsmethodik der empirischen Studie
5.5 Samplingstrategie
Wie bereits beschrieben, erfolgte der Feldzugang zu den Beschäftigten über die
betriebliche Ebene. Die Auswahl der Betriebe wurde dabei auf die Metall- und
Elektroindustrie begrenzt. Wie schon Holst et al. (2009: 8) in ihrem qualitativen
Forschungsprojekt über betriebliche Nutzungsstrategien von Leiharbeit anmer-
ken, erweist sich die Konzentration auf Betriebe der Wirtschaftsklassifikation
des Verarbeitenden Gewerbes als gewinnbringend für die Forschungsergebnisse,
da die Varianz in den institutionellen Rahmenbedingungen so relativ gering
gehalten und ein Vergleich der Beschäftigten ermöglicht wird. Die Konzentrati-
on auf Betriebe aus der Metall- und Elektroindustrie eignet sich zudem gut für
die Erhebung, da Statistiken auf eine vermehrte Nutzung von Leih- und Werk-
vertragsarbeit in diesem Wirtschaftszweig hinweisen (vgl. Kapitel 2).
Die Auswahl der Beschäftigten vollzog sich entlang der Definition der Un-
tersuchungsgruppe (Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen der Metall- und
Elektroindustrie) und orientierte sich an der Strategie des Theoretical Samplings
(Strauss/Corbin 1990: 176 ff.). Danach erhebt, kodiert und analysiert der bzw.
die Forschende Daten parallel und entscheidet schrittweise, welche Daten im
nächsten Schritt erhoben werden sollen. Der Zweck ist es dabei, sämtliche Ei-
genschaften und Dimensionen der relevanten theoretischen Konzepte abzude-
cken (Strübing 2008b: 30 ff.).
Übergeordnetes Ziel des Samplings war es, die Heterogenität und Varianzen
im Untersuchungsfeld anhand von sozialstrukturellen Merkmalen der Beschäf-
tigten abzubilden. Das Sample verfolgt dabei keinerlei Anspruch auf statistische
Repräsentativität; vielmehr wurde beabsichtigt, theoretisch bedeutsame Merk-
malskombinationen bei der Fallauswahl möglichst umfassend zu berücksichtigen
und somit gegebenenfalls bislang unbekannte Phänomene zu identifizieren und
neue Kategorien bzw. Typologien zu entwickeln (vgl. dazu auch Kelle/Kluge
2010: 41 ff.).
5.6 Zusammensetzung des Betriebs- und Beschäftigtensamples 89
Die Merkmale standen jedoch nicht detailliert vor der Untersuchung fest;
vielmehr existierte lediglich eine grobe Vorstrukturierung. Angestrebt war es,
verschiedene Ausprägungen der Merkmale wie die bisherige Dauer der Beschäf-
tigung, die Qualifikation, die Tätigkeit im Betrieb oder die Gewerkschaftsmit-
gliedschaft abzubilden. Dementsprechend wurde auch bei der Auswahl der Be-
triebe darauf geachtet, eine Bandbreite von Merkmalen abzudecken – etwa bei
der Beschäftigtenstruktur hinsichtlich Qualifikationsniveaus etc.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass die beim Theoretical Sampling als ge-
geben vorausgesetzte Entscheidungsfreiheit der bzw. des Forschenden über die
Datenerhebung in dieser Forschungsarbeit nur bedingt umzusetzen war. Zwar
wurde versucht, die Betriebe und Gesprächspartner/-innen gezielt auszuwählen
und anzusprechen – aufgrund des bereits erläuterten, problematischen Feldzu-
gangs war es jedoch kaum möglich, die Betriebe sowie den/die jeweils nächste/n
Interviewpartner/-in komplett frei und systematisch zu selektieren. Vielmehr
bestand eine große Abhängigkeit von der Resonanz der Beschäftigten, sowie von
der Bereitwilligkeit der Betriebsräte und Personaler/-innen, bezüglich der Inter-
viewakquise zu kooperieren. Eine 1:1-Umsetzung der Forschungsstrategie des
Theoretical Samplings war daher in der Forschungsrealität nicht möglich.
Die Akquise der Beschäftigten wurde mit dem Erreichen einer the-
oretischen Sättigung (Glaser/Strauss 1998: 76 f.) – als die Erhebung zusätzlicher
Daten nicht mehr zur Weiterentwicklung der bereits bestehenden Kodes und
Kategorien führte – beendet.
40 Insgesamt wurden 31 Beschäftigte befragt; der Fall E-WV2 (LA) wurde jedoch aufgrund seiner
vom übrigen Sample abweichenden Beschäftigungssituation – er ist als Leiharbeitnehmer im
Werkvertragsunternehmen tätig – nicht in das endgültige Untersuchungssample aufgenommen.
Wegen seines Leiharbeitnehmerstatus gelten für ihn wiederum andere Rahmenbedingungen als
für die direkt beim Werkvertragsunternehmen angestellten Werkvertragsarbeitnehmer/-innen
(etwa bleiben ihm Aktivitäten wie eine Betriebsratsgründung im Werkvertragsunternehmen
verwehrt). Welche Auswirkungen eine solche weitere „Verkettung“ von Outsourcing auf die
Wahrnehmungen, Bewertungen und Aktivitäten im Hinblick auf die betriebliche Mitbestim-
mung hat, kann im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit keine Berücksichtigung finden.
41 Mit dem Begriff Betrieb ist in dieser Arbeit „eine planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, in
der Sachgüter und/oder Dienstleistungen erstellt und abgesetzt werden“ (Töpfer 2007: 80) ge-
meint. Demgegenüber ist ein Unternehmen „eine wirtschaftlich selbstständige Erzeugungsein-
heit für materielle und/ oder immaterielle Güter zur Fremdbedarfsdeckung, bei der das mit der
gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung verbundene Risiko freiwillig übernommen wird“
(Töpfer 2007: 80). Um ihre Wertschöpfungsziele zu realisieren, bilden Unternehmen Betriebe
90 5 Forschungsdesign und Forschungsmethodik der empirischen Studie
A 10 – 15 % Keine Informationen 3 2
B 10 – 15 % <5 % (geschätzt) 4 2
C 10 – 15 % Keine Informationen 3 2
als produzierende Einheiten (Töpfer 2007: 81), die sich jeweils an verschiedenen Orten befin-
den können. Kennzeichnend für einen Betrieb ist also, dass er eine örtlich gebundene Einheit
darstellt.
42 Lediglich bei einem Betrieb stellte sich kein/e Personaler/-in für ein Interview zur Verfügung.
43 Großbetrieb ist in diesem Fall definiert als ein Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten.
Diese Definition orientiert sich an der Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemein-
schaften (2003/361/EG).
44 Ob jeweils ein Betriebsratsgremium in den Leiharbeits- bzw. Werkvertragsfirmen existent war,
konnte anhand der Beschäftigteninterviews nicht systematisch erhoben werden. Die subjektive
Wahrnehmung der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen lässt diesbezüglich nicht
zwangsläufig eine Aussage zu: Zum Teil waren sich die Beschäftigten ob der Existenz eines
Betriebsrats unsicher, so dass an dieser Stelle zusätzliche Expert/-inneninterviews mit der Viel-
zahl an Entsendebetrieben des Samples erfolgt hätten müssen.
45 Die Beschäftigtenquoten beruhen auf Aussagen der jeweiligen Betriebsratsmitglieder und Per-
sonaler/-innen.
5.6 Zusammensetzung des Betriebs- und Beschäftigtensamples 91
sind zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 18 und 60 Jahre alt; ein größerer
Teil (20 Personen) ist jedoch zwischen 31 und 50 Jahren alt.
Im Beschäftigtensample besteht eine relativ heterogene Verteilung mit
Blick auf das Alter, den Bildungsstand und das jeweilige Anforderungsniveau
der Tätigkeit. Die nachfolgende Tabelle 3 stellt in kurzer Form die wesentlichen
Merkmale des Beschäftigtensamples dar.
Mit insgesamt drei Personen sind diejenigen Beschäftigten im Sample relativ we-
nig vertreten, die fachlich ausgerichtete Tätigkeiten ausüben (für diese ist übli-
cherweise eine zwei- bis dreijährige Berufsausbildung nötig). Zehn von den übri-
gen Beschäftigten üben Hilfs- und Anlerntätigkeiten aus und 17 Personen hoch
46 Für einen Überblick über die Anforderungsniveaus verschiedener Tätigkeiten vgl. die Definiti-
on nach Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2013c).
92 5 Forschungsdesign und Forschungsmethodik der empirischen Studie
In diesem Kapitel47 wird anhand einer detaillierten Analyse der rechtlichen Rah-
menbedingungen gezeigt, welche Mitbestimmungsbedingungen und -möglich-
keiten48 auf Basis gesetzlicher Regelungen für Leih- und Werkvertragsbeschäf-
tigte im Vergleich zu Stammbeschäftigten bestehen und inwiefern diese als pre-
kär definiert werden können. Berücksichtigung finden ferner die Handlungsopti-
onen des Betriebsrats als eine zentrale Institution der betrieblichen Mitbestim-
mung, die eine Vertretung der genannten Beschäftigtengruppen erlauben.
47 Das Kapitel 6 stellt eine überarbeitete Fassung von Teilen meines Beitrags „Herausforderung
Leiharbeit und Werkverträge“ (Barlen 2014) dar.
48 Mit dem Begriff der betrieblichen Mitbestimmung sind in diesem Zusammenhang jegliche Ge-
staltungsmöglichkeiten des Betriebsrats gemeint. Dies umfasst auch seine Mitwirkungsrechte,
die im arbeitsrechtlichen Sinne von der Mitbestimmung abgegrenzt werden und eine schwä-
chere Form der Beteiligungsrechte darstellen.
Vor allem bei größeren Unternehmen ist der Betriebsrat zentral eingesetzt, so
dass für eine Kontaktaufnahme zwischen Beschäftigten und Betriebsrat, aber
auch für die Teilnahme an Betriebsratswahlen bzw. Betriebsversammlungen ein
erhöhter Aufwand betrieben werden muss. Auf der anderen Seite ist fraglich, in-
wiefern Betriebsräte in Leih- und Werkvertragsfirmen verbreitet sind. In der
Leiharbeitsbranche existieren betriebliche Interessenvertretungen wesentlich sel-
tener als in der Gesamtwirtschaft (Promberger 2012: 226); speziell über Onsite-
Werkvertragsfirmen liegen diesbezüglich keine Daten vor. Zumindest in der un-
ternehmensnahen Dienstleistungsbranche werden weit weniger Beschäftigte
durch einen Betriebsrat vertreten als in anderen Branchen (Hauser-Ditz et al.
2009: 141), was einen Hinweis auf die Betriebsratsdichte bei Werkvertragsunter-
nehmen geben könnte. Insgesamt kann demnach angenommen werden, dass die
Art der Arbeitsorganisation bei Leih- und Werkvertragsarbeit durch die Tren-
nung von Einsatzort und eigentlichem Arbeitgeber eine Hürde für die Beteili-
gung an der betrieblichen Mitbestimmung darstellt.
Wie aber sind die betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten im Einsatz-
betrieb für Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ausgestaltet? In Kapitel 2
wurde bereits angedeutet, dass sich in der Vergangenheit diverse Reformen des
BetrVG bzw. des AÜG sowie Tarifabschlüsse ereigneten, die sich insbesondere
auf die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Leiharbeitnehmer/-innen in der Mit-
bestimmungsarena des Einsatzbetriebs ausgewirkt haben. Es werden im Folgen-
den – in Anlehnung an den auf Leiharbeit bezogenen Vorschlag von Promberger
(2006: 138 f.) – drei Aspekte der Mitbestimmung unterschieden: Die Interessen-
vertretung von im Betrieb befindlichen Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-in-
nen durch den Betriebsrat, die Mitbestimmung des Betriebsrats über die Einsatz-
bedingungen von Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen sowie die Mitbe-
stimmungsmöglichkeiten des Betriebsrats über den Einsatz von Leih- und Werk-
vertragsarbeit.
Dies äußert sich insbesondere im Zuspruch des aktiven Wahlrechtes für die
Betriebsratswahl im Entleihbetrieb (seit der Novellierung des BetrVG 2001), so
dass Leiharbeitnehmer/-innen einen Vertretungsanspruch durch den Betriebsrat
haben (Deich 2009: 415; Priebe 2009: 3).49 Dem Betriebsrat stehen für die Ver-
tretung von Leiharbeitskräften Ressourcen zur Verfügung: Seit 2013 werden
nach einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch Leiharbeitneh-
mer/-innen bei der Berechnung der Betriebsratsgröße berücksichtigt (BAG Be-
schluss vom 13.3.2013, 7 ABR 69/11; vgl. Bundesarbeitsgericht online 2013).
Ebenso wie Festangestellte dürfen Leiharbeitskräfte die Sprechstunden des Be-
triebsrats aufsuchen, um Beratung zu suchen oder Beschwerden bzw. Wünsche
zu kommunizieren, sowie an Betriebs- und Abteilungsversammlungen teilneh-
men (§ 14 Abs. 2 AÜG).
Zuletzt wurden Leiharbeitnehmer/-innen bei der Unternehmensmitbestim-
mung gestärkt, indem das BAG entschied, dass wahlberechtigte Leiharbeitskräf-
te im Einsatzbetrieb im Zuge von Aufsichtsratswahlen als Teil der Belegschaft
gezählt werden und dementsprechend der Wahlmodus (unmittelbare und Dele-
giertenwahl) festzulegen ist (BAG Beschluss vom 04.11.2015, 7 ABR 42/13;
vgl. Bundesarbeitsgericht online 2015).
Im Falle eines Arbeitskampfes im Entleiherbetrieb dürfen Leiharbeitneh-
mer/-innen zudem nicht dazu gezwungen werden, als Streikbrecher zu arbeiten –
sie dürfen Streikbrecherarbeiten im Einsatzbetrieb verweigern (§11 Abs. 5
AÜG).
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen hingegen sind im wahrsten Sinne des
Wortes externe Beschäftigte und können nicht durch die Interessenvertretung des
Betriebsrats im Einsatzbetrieb profitieren. Während ihres Einsatzes sind sie ‚ih-
rem‘ Werkvertragsunternehmen betriebsverfassungsrechtlich zugeordnet (Deich
2009: 415). Daher wird ihnen auch z. B. ein eventueller Arbeitsausfall durch
einen Sprechstundenbesuch nicht vergütet. Eine Beratung bzw. Anhörung der
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen seitens des Betriebsrats könnte beispielsweise
aber in informellen Sprechstunden außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Die
dadurch entstehenden Kosten sowie die erforderlichen Sachmittel und Räume,
die der Betriebsrat benötigt, werden hierfür von dem/der Arbeitgeber/-in auf-
grund der fehlenden Zuständigkeit jedoch nicht erstattet. Eine Kontaktaufnahme
mit den betroffenen Beschäftigten ist in Folge erschwert.
49 Die Teilnahme an den Wahlen ist zulässig, sofern sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt
sind. Dabei ist nicht der tatsächliche Einsatz maßgeblich, sondern die geplante Dauer des Ein-
satzes. Das passive Wahlrecht, also die Möglichkeit, selbst für den Betriebsrat zu kandidieren,
bleibt ihnen – im Gegensatz zu den anderen Beschäftigten – aber verwehrt (Priebe 2012: 6 f.).
96 6 Objektive Prekaritätspotenziale der betrieblichen Mitbestimmung
50 Der Zugangsanspruch existiert allerdings nicht, wenn die unterschiedliche Behandlung von
Stammbelegschaft und LeiharbeitnehmerInnen aus sachlichen Gründen gerechtfertigt wird
(Priebe 2012: 15).
6.1 Die betriebliche Mitbestimmung im Einsatz- und Entsendebetrieb 97
verlangt (Karthaus/Klebe 2012: 419).51 Mithilfe dieser Maßnahme ist eine Prü-
fung auf Scheinwerkverträge (Deich 2009: 415) sowie die Identifizierung von
Werkvertragsbeschäftigten im Betrieb möglich.
51 In tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie ist das Recht des Betriebsrats
über Umfang, Einsatzbereiche und Verträge zwischen Arbeitgeber/-in und Verleiher/-in infor-
miert zu werden, explizit im Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit 2012 festgeschrieben (Bispinck
2013: 20).
52 Darüber hinaus kann der Betriebsrat Widerspruch einlegen, wenn eine/r Stammbeschäftigte/r
entlassen wird und die gleichen Arbeiten danach von einer Leiharbeitskraft erledigt werden
(sog. Austauschkündigung). Der Abschluss eines Werkvertrags zur Übertragung der bisher von
den Mitarbeiter/-innen des Betriebes durchgeführten Arbeiten kann nach einem Urteil des Bun-
desarbeitsgerichts hingegen nicht durch den Betriebsrat verhindert werden, da dies Bestandteil
der unternehmerischen Freiheit ist (Beschluss des LAG Rheinland-Pfalz vom 03.02.2011, 11
Sa, 314/10; vgl. Haufe Online 02.08.2011).
98 6 Objektive Prekaritätspotenziale der betrieblichen Mitbestimmung
tigten“ der jeweiligen Betriebe zugewiesen, indem sie die Interessen unterschied-
licher Belegschaftsgruppen vor Verhandlungen mit dem Management bündeln
(Schmidt/Trinczek 1999: 111 ff.). Zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften
besteht zwar eine formaljuristische Unabhängigkeit; ihr Verhältnis ist aber den-
noch von Dependenzen geprägt: Erstens benötigen die Gewerkschaften die Be-
triebsräte um Mitglieder in den Betrieben zu rekrutieren; aber auch um Beschäf-
tigte bei Tarifrunden zu mobilisieren. Zugleich versorgt die Gewerkschaft die
Betriebsräte mit Informations- und Beratungsangeboten (Schmidt/Trinczek
1999: 113 f.). Zweitens ist die betriebliche Ebene in der Tarifpolitik von zuneh-
mender Relevanz (Stichwort „Verbetrieblichung“ (Bispinck/Schulten 2003)).
Auch spielt die Regulierung von qualitativen Arbeitsaspekten (z.B. Arbeitsbe-
dingungen) eine zunehmend signifikante Rolle. Somit dienen die Betriebsräte als
betriebliche Kontroll- und Überprüfungsinstanzen (vgl. Baethge/Wolf 1995;
zitiert nach Pernicka/Holst 2007: 34). Schließlich ist der Betriebsrat per BetrVG
dazu verpflichtet, konsensorientiert zu handeln und vertrauensvoll mit dem Ma-
nagement zusammenzuarbeiten. Die Interaktionsmuster der Betriebsräte können
dabei verschiedenste Formen annehmen – von einem konfliktorisch geprägten
Interessenhandeln bis hin zu einem Agieren, das im Vergleich zu den normativen
Vorgaben des BetrVG als defizitär bezeichnet werden kann. Es sticht jedoch
heraus, dass die Interaktionsbeziehungen zwischen Management und Betriebsrä-
ten dominant kooperativ sind (Schmidt/Trinczek 1999: 114 ff.). Zum Teil wer-
den Betriebsräte gar gleichberechtigt in Unternehmensentscheidungen involviert,
so dass sie die Rolle eines ‚Co-Managers‘ einnehmen (Müller-Jentsch 2007). Es
kann für die Betriebsräte in jedem Fall zum Balanceakt werden, gleichzeitig die
Lage des Unternehmens am Markt und die Belange der Arbeitnehmer/-innen im
Blick zu haben (Kißler et al. 2011: 64 f.).
Nicht zuletzt stehen die Betriebsräte mit der zunehmenden Spaltung der Be-
legschaften in Stamm- und Randbelegschaften auch vor einem Interessenkon-
flikt: Auf der einen Seite stellt der Einsatz von Leiharbeit für sie ein Mittel dar,
um die jeweilige Stammbelegschaft bei rezessiven wirtschaftlichen Entwicklun-
gen vor Kündigungen zu schützen. Trotz prinzipieller, moralischer Ablehnung
wird Leiharbeit daher aus den genannten Gründen oftmals akzeptiert (Promber-
ger 2012: 243 f.). Auf der anderen Seite besitzen die Betriebsräte ein Mandat für
die Leiharbeitnehmer/-innen im Einsatzbetrieb und müssen ihre Interessen eben-
so wie die der Stammbeschäftigten vertreten. Dazu gehört die Regulierung ar-
beitspolitischer Fragen, aber auch die Forcierung von Übernahmen in Festanstel-
lungen, um Leiharbeitnehmer/-innen aus potenziell prekären Beschäftigungsver-
hältnissen in sichere Anstellungen zu verhelfen. Im Hinblick auf Werkverträge
dürfte für die Betriebsräte zum Teil ein ähnlicher Interessenkonflikt gelten, aller-
dings besitzen die Betriebsräte – wie gezeigt – kein Mandat für die entsprechen-
6.2 Zur Rolle der Betriebsräte in Einsatzbetrieben 101
Hierbei wurde untersucht, in welcher Rolle sich die Beschäftigten selbst in der
betrieblichen Mitbestimmung des jeweiligen Einsatz- bzw. Entsendebetriebs
verorten. Dies beinhaltet insbesondere Fragen nach der Wahrnehmung einer
(Des-)Integration in die betriebliche Mitbestimmung, d.h. welche Möglichkeiten
aus Sicht der Beschäftigten bestehen, sich als Leih- bzw. Werkvertragsarbeit-
nehmer/-in einzubringen und wie dies bewertet wird. Unter Rückbezug auf die in
Kapitel 3 vorgestellten theoretischen Ansatzpunkte war anhand dieses Kriteri-
ums folglich zu untersuchen, wie die Beschäftigten ihre Chance, Bürgerrechte in
Form der betrieblichen Mitbestimmung wahrzunehmen, wahrnehmen und be-
werten.
Hierbei wurde in den Blick genommen, wie die Leih- und Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen das Engagement bzw. Aktivitäten, aber auch die Handlungsmög-
lichkeiten des Betriebsrats im Hinblick auf eine Interessenvertretung der be-
troffenen Beschäftigtengruppen wahrnehmen und bewerten. Schließlich wurde
berücksichtigt, ob bzw. inwiefern der Betriebsrat für die Beschäftigten einen
potenziellen Ansprechpartner bei Problemen darstellt. Dadurch können letztend-
lich auch Rückschlüsse auf das Vertrauen in das Gremium gezogen werden.
53 Wilkesmann et al. (2011b: 25) definieren Erwartungen „als eine sozial gelernte, subjektiv
wahrscheinliche Annahme über das eigene Handeln und das Handeln anderer Akteure auf-
grund von verbindlichen Regeln, Normen und geteilten Sinnzusammenhängen […]. Erwartun-
gen beziehen sich dabei sowohl auf die prädiktiven und normativen Zielvorstellungen als auch
auf ihre affektiven Aufladungen. Die prädiktiven Zielvorstellungen stellen dabei eine Einschät-
zung über Gegebenheiten dar, d. h. sie schätzen den Ist-Zustand ein, während die normativen
Zielvorstellungen den Idealwert, d. h. den Soll-Zustand einschätzen. Stehen beide Einschät-
zungen nicht im Einklang, d. h. sie erzeugen einen Widerspruch, dann kann das Individuum da-
raus lernen und seine Erwartungen verändern. Erwartungen können auf der normativen und
106 7 Einordnung der Einzelfälle in den Merkmalsraum
nen existieren. Insgesamt lassen sich vier Funktionen und damit verknüpfte Erwar-
tungen an die betriebliche Mitbestimmung bzw. den Betriebsrat differenzieren
(Holtrup 2008: 130 ff.; Wilkesmann et al. 2011b: 27 ff.), anhand derer die Aussa-
gen der Beschäftigten untersucht wurden:
Bei der Analyse des empirischen Materials zeigte sich, dass die Erwartungen und
Wünsche an den Betriebsrat bei den Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen
zum Teil über die oben genannten hinaus gehen bzw. diese nicht unbedingt in
die Funktionskategorien einzuordnen sind. Beispiele dafür sind die Wünsche
nach einer niedrigschwelligen Erreichbarkeit des Betriebsrats sowie nach einer
angemessenen Betreuungsrelation. Die Erwartungen und Wünsche wurden zu-
dem nicht zwangsläufig explizit, sondern teilweise auch implizit – etwa durch
kritische Äußerungen über die betriebliche Mitbestimmung – geäußert.
Die Wahrnehmung und Bewertung der aktuellen betrieblichen Mitbestim-
mungssituation wurde dann als prekär eingestuft, wenn folgende Kriterien zutra-
fen und diese zugleich als Missstand bzw. Benachteiligung von den Beschäftig-
ten bewertet wurden:
Erstens wenn sich die Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen von der
betrieblichen Mitbestimmung im jeweiligen Betrieb ausgeschlossen sehen und
sich diesbezüglich selber eine randständige, desintegrierte Rolle zuweisen.
Zweitens wenn die Beschäftigten über ein schwach ausgeprägtes Repräsen-
tationsgefühl durch das jeweilige Betriebsratsgremium verfügen und sie die
Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats für Leih- bzw. Werk-
vertragsarbeitnehmer/-innen als eingeschränkt betrachten.
Drittens wenn die von den Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen im
Interview angesprochenen Erwartungen an die betriebliche Mitbestimmung nicht
erfüllt sind bzw. wenn die Beschäftigten Wünsche bezüglich der betrieblichen
prädiktiven Ebene durchaus unrealistisch sein. Aufgrund eigener oder vermittelter Erfahrungen
können sich Erwartungen verändern.“
7.1 Vorgehensweise bei der Einordnung in den Merkmalsraum 107
Als Aktivität wurde zudem gewertet, ob sich ein/e Beschäftigte/r zur Wahl eines
Betriebsratsgremiums aufstellen lässt bzw. bereits Betriebsratsmitglied im jewei-
108 7 Einordnung der Einzelfälle in den Merkmalsraum
hoch
Aktivitätsniveau
niedrig
Einsatzbetrieb Leiharbeitsfirma
hoch A-LA1; A-LA3
hoch
B-LA1; B-LA2 E-LA1
C-LA3
D-LA2
E-LA2
Aktivitätsniveau
Aktivitätsniveau
B-LA3
C-LA2 E-LA1
nicht- Wahrnehmung und Bewertung der prekär nicht- Wahrnehmung und Bewertung der prekär
prekär betrieblichen prekär betrieblichen
Mitbestimmungssituation Mitbestimmungssituation
Auffällig ist, dass die Leiharbeitnehmer/-innen bezogen auf die betriebliche Mit-
bestimmung im Einsatzbetrieb wesentlich mehr Varianzen aufweisen als im
Hinblick auf die Leiharbeitsfirma. Bezüglich des Einsatzbetriebs wurde sieben
Leiharbeitnehmer/-innen die Merkmalskombination nicht-prekär | aktiv zuge-
ordnet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die betriebliche Mitbestimmungs-
situation im Einsatzbetrieb nicht als prekär bewerten und zugleich ein hohes
Aktivitätslevel aufweisen, da sie alle gegebenen Möglichkeiten der Beteiligung
an der betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb nutzen. Die Merkmals-
kombination nicht-prekär | passiv wurde sechs der Leiharbeitnehmer/-innen zu-
geordnet. Im Unterschied zur letztgenannten Beschäftigtengruppe beteiligen sie
sich in keiner Form an der betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb. Je-
weils ein Fall ist den Merkmalskombinationen prekär | aktiv bzw. prekär | passiv
zuzuordnen. Beide Beschäftigte zeichnen sich durch eine ausgeprägte, subjektive
Prekaritätswahrnehmung in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung aus, un-
terscheiden sich aber hinsichtlich ihres Aktivitätsniveaus. Schließlich wurde
zweien der Leiharbeitnehmer/-innen die Merkmalskombination prekär | partiell-
aktiv zugewiesen. Sie üben nur teilweise Aktivitäten in Bezug auf die betriebli-
che Mitbestimmung im Einsatzbetrieb aus. Dazu zählen der Besuch von Be-
triebsversammlungen und der Kontakt zum dortigen Betriebsratsgremium. Eine
112 7 Einordnung der Einzelfälle in den Merkmalsraum
grundsätzlich inaktiv oder gar desinteressiert sind – vielmehr verbleiben sie in-
nerhalb der institutionellen Einschränkungen, die ihnen in Bezug auf die betrieb-
liche Mitbestimmung rechtlich vorgegeben sind.
Einsatzbetrieb Werkvertragsunternehmen
hoch hoch
D-WV2
C-WV2 E-WV4
E-WV1
Aktivitätsniveau
Aktivitätsniveau
nicht- Wahrnehmung und Bewertung der prekär nicht- Wahrnehmung und Bewertung der prekär
prekär betrieblichen prekär betrieblichen
Mitbestimmungssituation Mitbestimmungssituation
* Bei dem Leiharbeitnehmer/-innentypus des/der Autarken existieren zwei Subtypen (der/die unbe-
fangene bzw. distanzierte Autarke).
** Der Werkvertragsarbeitnehmer/-innentypus des/der prekären Aktiven ist in zwei Subtypen unter-
gliedert: Der/die prekäre Ratsuchende und der/die prekäre Aktivist/-in. Diese erklären sich durch die
jeweils unterschiedliche Fokussierung von Mitbestimmungsarenen.
Bei der Erstellung der Typologie wurde innerhalb des Merkmals nicht-prekär
zwischen zwei Ausprägungen differenziert: Eine Bewertung der betrieblichen
Mitbestimmungssituation als nicht-prekär bedeutet demnach nicht zwangsläufig,
dass sich die Beschäftigten als in die Mitbestimmungsprozesse integriert sehen
und dies als positiv empfinden. Vielmehr kann darunter auch Gleichgültigkeit
bzw. eine bewusste Distanzierung von der betrieblichen Mitbestimmung gefasst
werden, bei der die eigene Situation jedoch nicht negativ bewertet wird. Mit der
Bewertung der Mitbestimmungssituation als prekär ist hingegen stets das subjek-
tive Gefühl von Desintegration und nicht erfüllten Erwartungen verbunden, wel-
ches als negativ bzw. benachteiligend eingestuft wird (vgl. dazu auch Kapitel
7.1). Die Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen sind damit im Einsatz-
118 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Betont sei an dieser Stelle, dass bei den äußeren Bedingungen die subjektive
Wahrnehmung bzw. Bewertung der äußeren Bedingungen fokussiert werden. So
wurden beispielsweise nicht die jeweiligen Strategien interner und externer Ak-
teure anhand von Expert/-inneninterviews und Dokumentenanalysen erfasst, son-
dern diese auf Basis der Beschäftigteninterviews analysiert. Diese Vorgehens-
weise stellt die individuellen Situationsdefinitionen und ihre Erklärung in den
Vordergrund. Denn das Ziel war es nicht, die „tatsächlichen“ Bedingungen mit
den Wahrnehmungen der Beschäftigten abzugleichen. Stattdessen soll untersucht
werden, wie die individuelle Situationsdefinition durch die Wahrnehmung und
Bewertung verschiedener Bedingungen beeinflusst wird.
120 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Zentrales Merkmal der Integrierten ist, dass sie ihre betriebliche Mitbestim-
mungssituation weder im Einsatz-, noch im Entsendebetrieb als prekär bewerten.
Die zentrale Mitbestimmungsarena stellt für diese Beschäftigten der Einsatzbe-
trieb dar. Diesem Typus konnten sieben Leiharbeitnehmer/-innen58 des Samples
zugeordnet werden. Die entsprechenden Beschäftigten stellen diverse Funktions-
erwartungen an den Einsatzbetriebsrat – nicht jedoch an den (nur zum Teil exis-
tenten) Betriebsrat der Leiharbeitsfirma. Dabei handelt es sich um die advokato-
rische und informatorische Funktion, die Funktion als Ordnungs- und Partizipati-
onsinstanz sowie als Tarifakteur. Charakteristisch für die Integrierten ist, dass
sie diese Funktionen als erfüllt ansehen und daher den Einsatzbetriebsrat positiv
bewerten. Aus Perspektive der Beschäftigten füllt er sein Mandat für die Leihar-
beitnehmer/-innen aus. Dazu zählt unter anderem die Aushandlung und Durch-
setzung von Arbeits- und Vergütungsstandards für die Leiharbeitnehmer/-innen,
wie die folgenden Interviewausschnitte beispielhaft zeigen:
„Aber hier hat der Betriebsrat auch durchgesetzt, dass, wenn man achtzehn Monate
hier ist, übernommen/ 'N Vertrag kriegen muss.“ (A-LA1; 243)
„Die kümmern sich schon irgendwie auch um Leiharbeiter. Also, dass wir hier
[haustarifvertragliche Regelung] haben. Das wird ja auch der Betriebsrat mit
durchgesetzt haben. Oder wenn's […] um Stellenabbau geht, sowohl Leiharbeits-
kräfte, als auch feste, dann ist der Betriebsrat da auch immer involviert.“ (C-LA3;
240)
Der Betriebsrat wird von den Integrierten zudem als potenzieller, vertrauens-
würdiger Ansprechpartner für Leih- und Stammbeschäftigte gleichermaßen cha-
rakterisiert. So antwortet beispielsweise D-LA2 auf die Frage, inwiefern der
Betriebsrat ihn als Leiharbeitnehmer vertreten könne:
„Da gibt's schon ein paar Sachen. Zum Beispiel wenn man mit Vorgesetzten oder so
nicht klarkommt oder irgendwas schiefgelaufen ist, dann kann man genauso da hin-
gehen zu diesem Betriebsrat und sagen: ‚Hör mal zu, was ist hier los?‘, wie die ei-
genen Leute auch, ne. Also die vertreten einen auch dann.“ (D-LA2; 269)
Insgesamt fühlen sich die Leiharbeitnehmer/-innen dieses Typs demnach in die
betriebliche Mitbestimmung des Einsatzbetriebs integriert und weisen ein ausge-
prägtes, subjektives Repräsentationsgefühl durch den Betriebsrat auf.
Das Aktivitätsniveau dieser Beschäftigten ist im Einsatzbetrieb als mittel-
hoch bis hoch einzustufen: Sie nehmen sowohl an Betriebsratswahlen, als auch
an Betriebsversammlungen teil. Sie stehen – mehr oder weniger – regelmäßig in
Kontakt zu Betriebsratsmitgliedern und würden diese als Ansprechpersonen bei
bestehenden Problemen nutzen. Zwar bestand bei keinem der Beschäftigten
dieses Typs bislang ein konkreter Anlass, den Einsatzbetriebsrat in seiner Funk-
tion als eine beratende oder interessenvertretende Institution persönlich zu kon-
taktieren. Einige standen jedoch aufgrund eines seitens des Betriebsrats initiier-
ten Begrüßungsgesprächs zu Beginn des Leiharbeitseinsatzes in Kontakt. Zum
Teil werden Sachverhalte darüber hinaus auch während der Arbeit besprochen
bzw. beraten.
Im Kontrast dazu weisen die Integrierten keine bzw. nur geringe Berüh-
rungspunkte mit der betrieblichen Mitbestimmung ihrer jeweiligen Leiharbeits-
firma auf. Sie formulieren keinerlei Wünsche oder Erwartungen an die betriebli-
che Mitbestimmung in der Leiharbeitsfirma, die nicht abgedeckt werden. Insge-
122 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
samt bewerten sie dies aber nicht negativ, weshalb ihre Wahrnehmung und Be-
wertung der diesbezüglichen Situation als nicht-prekär eingestuft werden kann.
Ihre Handlungen sind durch Passivität geprägt: Weder nehmen sie an Betriebs-
ratswahlen teil, noch besuchen sie Betriebsversammlungen. Dies ist zu Teilen
zwar dem Umstand geschuldet, dass kein Betriebsratsgremium in der Leihar-
beitsfirma besteht, trifft aber auch auf diejenigen zu, denen diese Optionen prin-
zipiell zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus wird im Falle der Nicht-Existenz eines Betriebsrats in der
Leiharbeitsfirma von den Integrierten keine Gründung eines solchen Gremiums
in Betracht bezogen. Im Falle einer Beschwerde oder eines Problems in der
Leiharbeitsfirma wird entweder die Selbstaushandlung in der Leiharbeitsfirma
oder das Hinzuziehen von Betriebsratsmitgliedern des Einsatzbetriebs gewählt.
Das folgende Zitat spiegelt die Haltung der Integrierten zur betrieblichen Mitbe-
stimmung in der Leiharbeitsfirma exemplarisch wider:
„Keine Ahnung. Da sitzen fünf Leute im Büro. Also, ich weiß nicht, ob es da 'nen
Betriebsrat gibt. Also die sitzen natürlich nicht nur in [Standort], ne? Das Haupt-
ding ist glaub ich in [andere Stadt], ich weiß es gar nicht. Es interessiert mich auch
ehrlich gesagt nicht. Also, wenn ich irgendwie Probleme mit meinem Job hab oder
so, dann […] klär ich das erstmal jobintern. Weil, wäre Schwachsinn, das zu umge-
hen und dann hinten rum.“ (A-LA3; 461)
Insgesamt ist für den Beschäftigtentypus des/ der integrierten Leiharbeitneh-
mer/-in festzuhalten, dass hinsichtlich des Einsatzbetriebs wesentlich größere,
subjektive Relevanzen als in Bezug auf die Leiharbeitsfirma gesetzt werden und
auch das Spektrum der Handlungen ausnahmslos auf den Einsatzbetrieb kon-
zentriert ist.
59 Es handelt sich dabei um A-LA2, B-LA4, D-LA1, D-LA3, D-LA4 und E-LA3.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 123
zeichnet sich dadurch aus, dass sie zum Zeitpunkt des Interviews noch nie inten-
siv mit der Thematik der betrieblichen Mitbestimmung in Berührung standen.
Zugleich weisen sie aber eine relativ offene Haltung dazu auf und schließen
diesbezüglich künftige Aktivitäten nicht aus. Sie formieren den Subtypus des
bzw. der unbefangenen Autarken. Eine weitere Gruppe bilden Personen, die –
sowohl im Einsatz-, als auch im Entsendebetrieb – eine ausdrücklich distanzierte
Haltung zur Thematik der betrieblichen Mitbestimmung aufweisen (B-LA4, D-
LA1 und D-LA3). Sie bilden den Subtypus des bzw. der distanzierten Autarken.
Aufgrund der jeweils sehr unterschiedlichen Haltungen bei gleichzeitiger Über-
einstimmung der grundsätzlichen Merkmale werden diese Beschäftigtengruppen
im Folgenden separat charakterisiert.
60 E-LA3 formuliert den Handlungsspielraum des Betriebsrats für Leiharbeitskräfte etwa wie
folgt: „Im Endeffekt 'ne gesicherte Zukunft. […] Nicht nur für mich als Leiharbeiter, sag ich.
Sondern so für das ganze Stammpersonal. Oder für jeden, der so irgendwie was da mit diesem
Betrieb zu tun hat.“ (E-LA3; 329)
124 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
tier ich das aus. Dann geh ich zu meinem Vorgesetzten oder zu der Person, mit der
es mir halt stinkt. Und dann klär ich das.“ (D-LA3; 349)
Das Aktivitätslevel der distanzierten Autarken ist insgesamt sehr gering; bis auf
den vereinzelten Besuch von Betriebsversammlungen im Einsatzbetrieb, die mit
dem Informationserhalt zu Übernahme oder Einsatzdauer sowie mit generellem
Interesse an der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens begründet werden, sind
keine Aktivitäten festzustellen. Seitens der distanzierten Autarken wird jedoch
auch kein Wunsch nach Integration in die betriebliche Mitbestimmung geäußert.
Diesem Typus entsprechen drei Beschäftigte des Samples: E-LA1, B-LA3 und
C-LA2. Charakteristisch für die prekären Aktiven ist insbesondere die Bewer-
tung der Mitbestimmungssituation im Einsatzbetrieb als prekär. Auffällig ist,
dass sie der Institution des Einsatzbetriebsrats eine hohe Relevanz zuweisen und
in diesem Zusammenhang mehrere Erwartungen an ihn richten. Er stellt für sie
sowohl einen Informationsträger bezüglich des individuellen Einsatzes und einer
eventuellen Übernahme, als auch einen Ansprechpartner in Problemfällen dar
(informatorische und advokatorische Funktion). Ferner ist er aus ihrer Per-
spektive für das Wachen über die Einhaltung von Regeln zuständig (Funktion als
Ordnungs- bzw. Partizipationsinstanz). Ihre Wahrnehmung von Desintegration
wird einerseits durch negative Erfahrungen mit dem Gremium gespeist, bei de-
nen die erwartete Unterstützung in konkreten Fällen aus Sicht der Beschäftigten
nicht geleistet wurde (vgl. dazu im Detail den Abschnitt 8.2.2). Andererseits
wird der Einsatzbetriebsrat von den Beschäftigten dieses Typs als eine weitest-
gehend passive Institution wahrgenommen, die für Leiharbeitnehmer/-innen über
geringere Einflussmöglichkeiten als für Festangestellte verfügt. Die prekären
Aktiven weisen sich damit selbst eine randständige Rolle in der betrieblichen
Mitbestimmung des Einsatzbetriebs zu und bewerten dies als negativ. Der Be-
schäftigte B-LA3 empfindet die Aktivitäten des Einsatzbetriebsrats gar als eine
bewusste Priorisierung der Festangestellten.61 Für sich selbst sieht er im Ver-
gleich zur Stammbelegschaft lediglich ein formales Mitbestimmungsrecht auf
dem Papier:
61 „Also bezüglich [Betrieb B] ist es einfach so meines Erachtens, dass natürlich - und das kann
ich auch gar nicht ankreiden, dass es denen eigentlich viel mehr um tatsächlich die Sache für
[Betrieb B] geht, als um die Sache für die Leiharbeiter. Auch wenn's denn auch mal Sitzungen
gibt, wo dann Leiharbeiter/ Dann wird mal so 'n bisschen was dargestellt. Was für Rechte man
theoretisch hätte. Ähm. (...) Aber im Großen und Ganzen finde ich halt doch, dass der Be-
triebsrat eher sich hauptsächlich um halt entsprechend nur die Angelegenheiten von [Betrieb
B] kümmert.“ (B-LA3; 382)
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 127
„Aber ich glaub einfach, dadurch, dass wir nicht [Betrieb B] sind - in dem Fall sind
wir dann nämlich nicht [Betrieb B] - ist das Mitspracherecht relativ. Also es gibt die
gesetzlichen Bestimmungen, das heißt, wenn der Betriebsrat neu gewählt wird, ja,
dann dürfen die Leiharbeiter tatsächlich mitbestimmen. Ob Person XY, ähm, nun
Betriebsrat wird oder nicht. Aber das ist es dann auch. (Lacht.)“ (B-LA3; 302)
Die formale Zuständigkeit des Einsatzbetriebsrats für die Leiharbeitskräfte wird
von den prekären Aktiven dennoch anerkannt. Dies zeigt sich durch die Ansicht,
das Gremium müsse über negative Vorgänge im Betrieb informiert werden. Die
tatsächliche Durchsetzungsfähigkeit im Sinne einer Interessenvertretung wird
jedoch von den Beschäftigten in Frage gestellt:
„Er hat ja leider gar keinen Einfluss. Also er bemüht sich ja mit allem und sagt:
‚Wir sind dagegen und wir wollen das nicht. Und wir möchten, dass das anders
läuft.‘ Aber (...) das ist, das ist in einem Bereich, wo die Handhabe nicht so groß ist,
wie bei einem Festangestellten. Das ist einfach so.“ (C-LA2; 220)
B-LA3 formuliert konkrete Forderungen an den Einsatzbetriebsrat, die sich auf
die Gleichstellung von Leih- und Stammarbeitskräften und damit auf die Funkti-
on des Betriebsrats als Ordnungs- und Partizipationsinstanz beziehen. Diese
werden jedoch aus Sicht des Beschäftigten derzeit nicht durchgesetzt.
„Naja, sich auf jeden Fall mehr einsetzen, dass es tatsächlich, was ja theoretisch al-
les sein muss, 'ne absolute Gleichbehandlung gibt. Zwischen festen Mitarbeitern und
halt den Leiharbeitern. Und die gibt's ja eben nicht. Das ist es ja eben. Also, die gibt
es auf dem Papier. Aber wenn man die absolute Gleichbehandlung haben möchte,
müsste man tatsächlich auch dafür sorgen. Dann muss auch das Sportangebot ge-
macht werden für diejenigen. Der Englischunterricht. Weihnachtsfeier. Und solche
Sachen müssten dann auch mit drin sein. Und das ist es halt nicht. Und da knickt der
Betriebsrat dann doch immer ein.“ (B-LA3; 384)
Auch bei E-LA1 fällt die Gesamtbewertung des Gremiums negativ aus:
„Also ich denke nur immer, ähm, keine Ahnung, denken die nur an ihr eigenes Wohl
oder denken da auch einige an mich zum Beispiel? […] Wenn ich heute, sagen wir
mal zum Betriebsrat gehe: ‚Hi, ich bin [E-LA1] oder was, und, du wie sieht's aus
damit?‘ Und am nächsten Tag kommt dann: ‚Ach, du warst gestern hier?‘ Hm.
Dann ist das schon 'n bisschen doof. […] Deswegen, hier wurden glaub ich auch ei-
nige in die Liste gewählt, oder in den Betriebsrat gewählt, die glaub ich gar nicht
dafür geeignet sind.“ (E-LA1; 332)
Trotz dieser negativen Bewertungen beteiligen sich die prekären Aktiven –
wenngleich graduell unterschiedlich – an der betrieblichen Mitbestimmung des
Einsatzbetriebs. Die Beschäftigten dieses Typs besuchen die jeweiligen Be-
triebsversammlungen; auffällig sind zudem der bereits bestehende Kontakt zum
128 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Einsatzbetriebsrat sowie die noch immer offen gehaltene Option der Nutzung als
Kontaktpunkt bei Problemen:
„Aber der Betriebsrat in dem Sinne ist dann schon der richtige Ansprechpartner,
wenn halt Missstände vorhanden sind. Dann hilft der auch. Also, wenn's jetzt darum
geht: Wir brauchen neue Stühle, Computer oder sonst was. Geht natürlich erst mal
an den Abteilungsleiter. Aber wenn wirklich hier Missstände sind, dann kann man
direkt zum Betriebsrat. Und dann wird das auch geregelt.“ (B-LA3; 320)
An der Betriebsratswahl des Einsatzbetriebs wird allerdings nicht durchgängig
teilgenommen: Im Gegensatz zu E-LA1 verneinen B-LA3 und C-LA2 eine Be-
teiligung. C-LA2 begründet dies erneut konkret mit der Machtlosigkeit des Be-
triebsrats gegenüber den Leiharbeitnehmer/-innen und der daraus resultierenden
Sinnlosigkeit einer Teilnahme an der Betriebsratswahl:
„Ich hab mich nie dran beteiligt, weil ich die Leute auch nicht kenne. Und ich hab
mich damit ehrlich gesagt auch nicht sonderlich auseinandergesetzt. Weil sie für
mich eher zweitrangig waren. Weil sie für mich nicht so viel ausrichten können, wie
für jemanden, der hier direkt angestellt ist.“ (C-LA2; 206)
B-LA3 war zum Zeitpunkt der BR-Wahl verhindert: „Und ich hab das, äh, ver-
passt mit der Briefwahl. […] Sonst hätt ich teilgenommen. Und, ja, irgendwen
gewählt“ (B-LA3; 306-308).62 Insgesamt lässt diese Aussage die Interpretation
zu, dass B-LA3 eigentlich nicht an einer Teilnahme interessiert ist, jedoch sozial
erwünschtes Antwortverhalten zeigen muss. Allgemein ist er nämlich der Auf-
fassung, eine Teilnahme bzw. die Wahl bestimmter Personen hätte ohnehin kei-
nen Effekt für ihn in seiner Position eines Leiharbeitnehmers.63
Die betriebliche Mitbestimmung in der Leiharbeitsfirma spielt für die pre-
kären Aktiven hingegen – speziell im Vergleich zum Einsatzbetrieb – eine eher
randständige Rolle. Sowohl der Informationsgrad als auch das Interesse an den
institutionalisierten Prozessen der betrieblichen Mitbestimmung ist wesentlich
geringer als im Hinblick auf den Einsatzbetrieb, wie das folgende Zitat (als Ant-
62 Mit „irgendwen“ bezieht sich B-LA3 auf einen konkreten Kollegen, dem er ausreichend
Kompetenz für das Amt eines Betriebsratsmitglieds zuspricht.
63 Die These des erwünschten Antwortverhaltens lässt sich mithilfe der folgenden Interviewpas-
sage untermauern, in der er danach gefragt wird, was er sich von einer Betriebsratswahl erhof-
fen kann: „Persönlich gesagt, äh, glaube ich, kann ich mir gar nichts davon erhoffen. Denn
der Betriebsrat kann zwar viele Dinge machen und nimmt auch immer Beschwerden an oder
Kritikpunkte. Die Frage ist ja aber immer noch: Wie reagiert der Vorstand darauf? Und so-
lange man unter so 'nem Leiharbeitervertrag steht, ist man im Betrieb, ja auch irgendwie von
der Seite aus natürlich das kleinste, das kleinste Übel. […] Man möchte ja seine Festangestell-
ten schon am liebsten dann ja auch halten“ (B-LA3; 312). Die subjektiv wahrgenommene, un-
abänderlich untergeordnete Position als Leiharbeitskraft im Belegschaftsgefüge wird hier als
Begründung für einen geringen Nutzen einer Wahlbeteiligung angeführt.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 129
wort auf die Frage, ob ein Betriebsrat in der Leiharbeitsfirma existiert) beispiel-
haft belegt: „Das weiß ich nicht mal. Ich weiß über meinen Verleiher wirklich
nicht sonderlich viel“ (C-LA2; 200). Es existieren – abgesehen von formalem
Schriftverkehr im Rahmen der Lohnabrechnung – wenige Berührungspunkte mit
der Leiharbeitsfirma. Dies wird jedoch von den Beschäftigten nicht negativ be-
wertet; vielmehr erachten sie einen vermehrten Kontakt als nicht notwendig:
„Aber ich finde das auch gar nicht so schlimm. Weil meine Arbeit findet hier
statt und nicht dort“ (C-LA2; 154).
Das Aktivitätsniveau in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung in der
Leiharbeitsfirma ist in Folge niedrig. Insgesamt fokussieren sich also auch bei
diesem Typus – wie schon bei den Integrierten herausgestellt – die Wahrneh-
mungen, Bewertungen und Handlungen eher auf den Einsatzbetrieb und nicht
auf die Leiharbeitsfirma.
Hervorstechend ist im Zusammenhang der prekären Aktiven der Fall des
Beschäftigten E-LA1. Dieser stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass er als
einziger Leiharbeitnehmer des Samples in Kontakt zum Betriebsrat seiner Leih-
arbeitsfirma steht. Abgesehen davon ist aber auch bei E-LA1 eine Passivität bei
der Wahrnehmung des Wahl- und Informationsrechts (etwa durch Betriebsver-
sammlungen) festzustellen. So wird aufgrund fehlender Informationen weder an
Betriebsratswahlen, noch an Betriebsversammlungen teilgenommen. Den Groß-
teil seiner Handlungsressourcen wendet also auch er für die betriebliche Mitbe-
stimmung im Einsatzbetrieb, nicht aber in der Leiharbeitsfirma auf. Die Kon-
taktaufnahme zum Leiharbeitsbetriebsrat erfolgt bei E-LA1 aufgrund einer An-
weisung des Einsatzbetriebsrats:
„Wir von der Zeitarbeit oder von der [Leiharbeitsfirma] haben unseren eigenen Be-
triebsrat. Und ich glaube, die haben das auch nicht so gerne, wenn wir jetzt zu [Ein-
satzbetriebsrat] gehen. Also die haben's ganz gerne, wenn wir zu unseren Betriebs-
räten gehen. Ich meine, hier ab und zu hab ich mal was mit [Einsatzbetriebsratsmit-
glied] kurz zu bequatschen. Aber, das ist nur 'ne Frage. Aber wir haben unseren ei-
genen Betriebsrat und da sollten wir auch hingehen, so hab ich das verstanden.“ (E-
LA1; 242)
Obwohl das Engagement des Betriebsrats der Leiharbeitsfirma als individuell
gewinnbringend beschrieben wird64, ist bei tiefergehender Analyse entsprechen-
der Interviewpassagen ein eingeschränktes, subjektives Repräsentationsgefühl
festzustellen. Im Interview wird immer wieder deutlich, dass E-LA1 dem Be-
64 „[B]is jetzt hat er mich sehr gut vertreten und hat mir auch geholfen. Also/ Wo ich in [anderer
Einsatzbetrieb] war, hat er mir auch geholfen/ Hat er gesagt, ich weiß ja nicht, ob's stimmt,
aber hat er geholfen, dass ich wieder nach [Betrieb E] komme. Sonst hätten wir noch 'n halbes
Jahr in [anderer Einsatzbetrieb] sein müssen. Und er hätte sich dafür eingesetzt. Ich glaub ihm
das auch wohl. Also das Verhältnis ist eigentlich ziemlich gut.“ (E-LA1; 252)
130 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
65 Beispielhaft dafür kann ein Erlebnis des Beschäftigten mit anderen Betriebsratsmitgliedern
der Leiharbeitsfirma im Rahmen eines Leiharbeitseinsatzes in einem anderen Einsatzbetrieb
angeführt werden. An diese wandte er sich aufgrund von Problemen bei seiner Lohnzah-
lung:
„Wir standen da und mussten unsere Miete zahlen. […] Dann sind wir da in [anderer Einsatz-
betrieb] zum Betriebsrat gegangen. […] Ich hab gesagt: ‚Wir haben kein Geld mehr.‘ Da
wurd‘ wortwörtlich gesagt: ‚Du, ich hab noch 'n paar Kekse und Kaffee hier. Wenn du Hunger
hast, dann nimmst du davon was.‘ […] Also blödere Sprüche kann man sich nicht anhören.
[…] Vielleicht war's witzig für ihn gemeint. Aber ich fand das in dem Moment nicht witzig.“
(E-LA1; 278-281)
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 131
66 Zur Analyse von sozialen Situationen als Bühne bzw. Theaterstück sei an dieser Stelle auf
Goffman (2010) verwiesen.
132 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Wir einigen uns final auf: Wir haben einen, den ich aber nicht kenne.“ (C-LA1;
290)
Es werden infolgedessen keine Aktivitäten in Bezug auf die betriebliche Mitbe-
stimmung in der Leiharbeitsfirma ausgeübt.
Bei den Integrierten ist – insbesondere für den Einsatzbetrieb – ein komplexes
Wechselspiel verschiedener äußerer und innerer Bedingungen zu identifizieren,
welches letztendlich zur Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssituation
und der Beteiligung daran führt. Dazu gehören auf der einen Seite der gesetzli-
che Rahmen, eine niedrigschwellige Erreichbarkeit der Einsatzbetriebsräte sowie
zum Teil auch die Wahrnehmung ihrer Handlungsstrategien. Diese Faktoren er-
möglichen sowohl eine Integration in die betriebliche Mitbestimmung, als auch
positive Erlebnisse damit. Zudem besteht bei den Integrierten ein starkes Zuge-
hörigkeitsgefühl zum Einsatzbetrieb, das durch die kognitive Verarbeitung der
genannten äußeren Bedingungen verstärkt wird. Folgende Abbildung verdeut-
licht die zentralen inneren und äußeren Bedingungen des/der Integrierten, die zur
Situationsdefinition sowie zu den jeweiligen Handlungen in den beiden Mitbe-
stimmungsarenen führen.
134 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Erreichbarkeit der betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen
Handlungsstrategie des Einsatzbetriebsrats
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der
Zugehörigkeitsgefühl zum Einsatzbetrieb
betrieblichen Mit-
kein Zugehörigkeitsgefühl zur Leiharbeits-
bestimmung im
firma
Einsatzbetrieb
Orientierung
67 Dies wird nur allerdings nur von B-LA1 erwähnt – obwohl die Einsatzzeitpunkte und jeweilige
-dauer von B-LA1 und B-LA2 beinahe deckungsgleich sind.
136 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
68 „Der Betriebsrat hat sich halt vorgestellt. Und die hatten dann halt die Aufgabe, uns erstmal in
die IG Metall aufzunehmen. Und von da aus ging's dann weiter zum [Büro der Leiharbeitsfir-
ma-Geschäftsleitung]. Hörte sich jetzt von mir aus so an, als wenn ich sonst nicht weiterge-
kommen wäre. […] Und ich sag mal, bei der IG Metall hast du ja auch ein paar Vorteile. […]
Und von daher hat man die Unterschrift dann ja auch gerne gemacht und ist dann weiterge-
gangen.“ (E-LA2; 222)“
138 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
chen Wunsch nach einer Übernahme in den Einsatzbetrieb – auch die räumliche
Distanz zur Leiharbeitsfirma herangezogen werden, die das Sammeln von Erfah-
rungen mit der betrieblichen Mitbestimmung in Form von Betriebsratswahlen
bzw. -versammlungen oder eines Kontakts mit dem entsprechenden Betriebsrat
erschwert. Ein Austausch über die betriebliche Mitbestimmung oder gar eine
Solidarisierung mit direkten Leiharbeitskolleg/-innen kommt in Folge ebenfalls
nicht zustande. In der überwiegenden Zahl der Leiharbeitsfirmen, in denen die
Leiharbeitnehmer/-innen dieses Typs angestellt sind, besteht zwar ohnehin kein
Betriebsrat und damit auch kein Erfahrungskontext aber selbst für jene Be-
schäftigte dieses Typs, die sich der Existenz eines Betriebsrats im Verleihbetrieb
sicher sind69, spielt der Betriebsrat aufgrund des Zusammenspiels der genannten
inneren und äußeren Bedingungen keine größere Rolle im betrieblichen Alltag
und wird größtenteils nicht als zuständige Interessenvertretung wahrgenommen.
Im Hinblick auf Betriebsratswahlen wird zudem unter anderem die Schwierigkeit
problematisiert, aufgrund eines geringen Informationsgrads eine Wahlentschei-
dung zu treffen: „Aber da hatte ich ja überhaupt gar kein Bild von wem oder
was, wen du wählen willst“ (E-LA2; 242). Es besteht – abgesehen von formaler
Kommunikation, etwa bei der Lohnabrechnung – keinerlei Kontakt zur Leihar-
beitsfirma.
„Bei der Verleihfirma ist das so, da hat man so gut wie keinen Kontakt, wenn man
länger hier ist. Da ruf ich nur an: Ist es verlängert? Oder ich brauch meine Stun-
denzettel. Und ich brauch 'nen neuen Block. Und wenn irgendwas mit Urlaub oder
so ist. Sonst nix. Meine Stundenzettel, wenn die ausgefüllt sind, die schick ich per E-
Mail von zuhause aus. Man hat praktisch so gut wie gar keinen Kontakt. Und dann
fühl ich mich da immer zugehörig, wo ich jetzt gerade bin, ne. (Lacht.)“ (D-LA2;
406)
Insgesamt führen diese Umstände dazu, dass jegliche Ressourcen der integrier-
ten Leiharbeitnehmer/-innen im bzw. für den Einsatzbetrieb aufgewendet wer-
den. Die Leiharbeitsfirma nimmt – vor dem Hintergrund positiver Erlebnisse im
Einsatzbetrieb und des Wunsches nach Integration und Zugehörigkeit – eine
marginale Rolle in den Wahrnehmungen und Handlungen der Beschäftigten ein.
Es folgt eine Passivität in allen Belangen der betrieblichen Mitbestimmung der
Leiharbeitsfirma – obgleich die Möglichkeit dazu rein theoretisch gegeben wäre.
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bzgl. einer Beteiligung der Leiharbeit-
nehmer/-innen an der betrieblichen Mitbestimmung des Einsatzbetriebs hingegen
ermöglichen den Integrierten ein Zugehörigkeitsgefühl, welches durch positive
Erlebnisse im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung weiter verstärkt wird.
69 Dies ist bei den Leiharbeitnehmer/-innen D-LA2 und E-LA2 der Fall.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 139
70 Die Beschäftigten sind alle seit weniger als sechs Monaten, zum Teil sogar erst seit wenigen
Wochen im Einsatzbetrieb eingesetzt.
140 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
lich ist von vornherein klar, dass wenn du im Betrieb bleiben willst, dann trittst
du ein“ (E-LA3; 247). Die Gewerkschaftsmitgliedschaft weist in diesem Fall
folglich einen funktionalen Charakter auf und hängt nicht mit den persönlichen
Wertvorstellungen im Sinne einer ausgeprägten Mitbestimmungsaffinität zu-
sammen.
Äußere Bedingungen:
Keine subjektive Relevanz äußerer Bedingungen
Kognition
Innere Bedingungen:
Keine Erlebnisse
mit der niedrige Mitbestimmungsaffinität
betrieblichen Mit- geringes Zugehörigkeitsgefühl zu Einsatz-
bestimmung und Entsendebetrieb
biografischer Status
das Zugehörigkeitsgefühl und die Bindung zum Einsatzbetrieb, wie der folgende
Ausschnitt beispielhaft zeigt:
„Also im Prinzip weiß ich nicht, was morgen ist. Es kann irgendwas schieflaufen,
dann bin ich morgen in irgend 'ner anderen Fabrik oder Tätigkeit eingesetzt. Oder
gar nicht. […] Man geht hier schon rein als Gast. Man ist jetzt nicht zuhause, sag
ich mal, in der Firma, sondern es ist schon so 'n Gastauftritt. Wie gesagt, jetzt steht
ja auch an, dass ich mir ausmalen kann, dass es begrenzt ist. Gut, ich bemühe mich
trotzdem. Und äh, ja, hoffe das Beste und, aber, es würde mich dann auch nicht
wundern, wenn's dann eben nicht mehr so ist. Insofern so, die Identifizierung mit
dem Arbeitsplatz, also in dem Sinne, ist die nicht da.“ (A-LA2; 405)
Die beiden Interviewausschnitte weisen darauf hin, dass die Thematik der be-
trieblichen Mitbestimmung bei diesem Typus insbesondere vor dem Hintergrund
eines häufigen Arbeitsplatzwechsels und dem übergeordneten Ziel einer Festan-
stellung eine vergleichsweise geringe Relevanzzuweisung erfährt. In Folge wird
keine Beteiligung an der betrieblichen Mitbestimmung in einer der beiden Mit-
bestimmungsarenen ausgeübt. Zum Zeitpunkt des Interviews bestand zum Bei-
spiel – anders als etwa bei den Integrierten – kein Wunsch danach, in Form der
Teilnahme an einer Betriebsratswahl Einfluss auf die Arbeitnehmer/-inneninte-
ressenvertretung im Einsatzbetrieb zu nehmen. Es ist in diesem Zusammenhang
zu vermuten, dass die vorhandenen Handlungsressourcen der Beschäftigten – ge-
rade zu Beginn eines Einsatzes – vorwiegend in anderen Bereichen, etwa der
Einarbeitung in die neue Tätigkeit, aber auch der fortwährenden Suche nach ei-
ner Festanstellung, aufgewendet werden.
Die jeweilige Leiharbeitsfirma und die dortige, betriebliche Mitbestimmung
nehmen bei den unbefangenen Autarken einen ähnlichen Stellenwert ein wie
beispielsweise bei den integrierten Leiharbeitnehmer/-innen. Sie wird (wie bei
allen übrigen Typen der Leiharbeitnehmer/-innen) als „verwaltende“ Institution
angesehen, zu der kein näherer Kontakt gesucht bzw. gewünscht ist: „[F]ür mich
braucht es keine Zeitarbeitsfirma. Also für mich ist die vollkommen (...) nutzlos
eigentlich so“ (D-LA4; 199). Zu vermuten ist, dass aufgrund dieser peripheren
Rolle der Leiharbeitsfirma auch die dortige betriebliche Mitbestimmung in den
Hintergrund rückt. Die Leiharbeitsfirma – und damit vermutlich auch die dort
angesiedelten, betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen und eine Beteiligung
daran – sind „nutzlos“; weshalb die individuellen Handlungsressourcen seitens
der unbefangenen Autarken für andere Aspekte der Arbeit aufgewendet werden.
Eng verknüpft ist damit wiederum der biografische Status der Beschäftigten: Die
erst kurzwährende Beschäftigung als Leiharbeitnehmer/-in macht ein stark aus-
geprägtes Zugehörigkeitsgefühl zur Leiharbeitsfirma kaum möglich; zudem ist
das Sammeln von Erfahrungen mit der dortigen betrieblichen Mitbestimmung,
142 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Verhältnis zum/zur Vorgesetzten
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der
betrieblichen Mit- keine Mitbestimmungsaffinität
bestimmung biografischer Status
71 So berichtet D-LA3 beispielsweise von einem Vorfall in einem früheren Einsatzbetrieb, bei
dem ihm das dortige Betriebsratsgremium – gemeinsam mit der Geschäftsleitung – aufgrund
von Kostenvorteilen zu einem Wechsel seiner Leiharbeitsfirma riet. Im Gegenzug wurden ihm
weitere, garantierte Einsatzmonate im gleichen Einsatzbetrieb angeboten. D-LA3 lehnte jedoch
ab und musste in Folge seinen Einsatzort wechseln: „Und dann bin ich an meinen Chef [der
Leiharbeitsfirma; VB] gegangen. Da war ich dann loyal zu meiner Firma natürlich. Hab ich
gesagt: ‚Pass auf, was hier passiert, ist echt nicht in Ordnung. Klär das. Das geht so nicht.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 145
Der/die prekäre Aktive äußert insbesondere in Bezug auf die betriebliche Interes-
senvertretung des Einsatzbetriebes Kritik und empfindet in dieser Mitbestim-
mungsarena Desintegration. Der Mitbestimmungsarena der Leiharbeitsfirma
steht dieser Typ hingegen primär gleichgültig gegenüber. Die folgende Abbil-
dung 12 zeigt die zentralen Wirkungszusammenhänge des/der prekären Aktiven.
Sie setzen sich vorwiegend aus der Gesetzgebung und der Erreichbarkeit der
jeweiligen Betriebsratsgremien als äußere Bedingungen zusammen, die vor dem
Hintergrund einer hohen Mitbestimmungsaffinität, verbunden mit negativen
Erlebnissen, dem individuellen biografischen Status sowie dem Zugehörigkeits-
gefühl zum Einsatzbetrieb, bewertet werden.
Ne.‘ Dann wurd‘ der Betriebsrat eingeladen und dann gab's auch Tumult. Ich war natürlich
raus“ (D-LA3; 279).
146 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Handlungsstrategie des Einsatzbetriebsrats
Erreichbarkeit der betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der hohe Mitbestimmungsaffinität
betrieblichen Mit- biografischer Status
bestimmung im Zugehörigkeitsgefühl zum bzw. Wunsch
Einsatzbetrieb nach Übernahme in Einsatzbetrieb
kein Zugehörigkeitsgefühl zur Leiharbeits-
firma
Orientierung
Handeln in Bezug auf
die betriebliche Mitbe-
stimmung:
Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungs-
situation insbesondere im Einsatzbetrieb als Beteiligung im Einsatz-
Handlungs-
prekär betrieb; keine Beteili-
wahl
gung in der Leihar-
beitsfirma
Die stark ausgeprägte Mitbestimmungsaffinität nimmt bei der Erklärung der Situ-
ationswahrnehmung und –bewertung des/der prekären Aktiven eine zentrale Rolle
ein. Die subjektive Relevanz der betrieblichen Mitbestimmung im Allgemeinen,
aber auch im Einsatzbetrieb, wird an verschiedenen Stellen der Interviews deutlich:
„Generell find ich das unglaublich wichtig. Ich hab nämlich einmal in einem vori-
gen Unternehmen ohne Betriebsrat gearbeitet und da gab es keine Gleitzeit. Und es
gab niemanden, der darauf geachtet hat, dass man länger als zehn Stunden im Be-
trieb ist. Und es gab niemanden, der drauf geachtet hat, dass die Wochenendrege-
lungen eingehalten werden oder dass es irgendwelche Gehaltsentwicklungsstufen
gab. Das fand ich schon gut. Also ich finde es gut, dass jemand da ist, der sich ein-
setzt.“ (C-LA2; 216)
„Also, ich finde es gut, dass es Betriebsräte gibt, die halt entsprechend auch Prob-
leme oder auch Missstände, ähm, behandeln können und vielleicht auch dafür sor-
gen, dass sie beseitigt werden. Aber ich seh‘ die Macht des Betriebsrats als, äh, zu-
mindest so wie ich das bei [Betrieb B] mitkrieg, als relativ gering im Verhältnis zu
dem, was einem oftmals so erzählt wird.“ (B-LA3; 350)
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 147
73 E-LA1 steht zum Zeitpunkt des Interviews unter einem unbefristeten Vertrag bei seiner Leih-
arbeitsfirma und ist seit mehreren Jahren als Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb E bzw. zum
Teil auch in anderen Einsatzbetrieben eingesetzt. Vor seiner Tätigkeit als Leiharbeitnehmer
war er diverse Jahre als Festangestellter im Einsatzbetrieb E tätig.
74 Eine Ausnahme bildet hier E-LA1, dessen Leiharbeitsfirma samt Betriebsrat in direkter Nach-
barschaft zum Einsatzbetrieb angesiedelt ist. Dies ermöglicht ihm eine niedrigschwellige Kon-
taktaufnahme. Wie bereits in der Typologie gezeigt, ist das Aktivitätsniveau dieses Leiharbeit-
nehmers jedoch – abgesehen von der Nutzung des Betriebsrats der Leiharbeitsfirma als An-
sprechpartner – sehr gering und wird auch durch die diesbezügliche „Anweisung“ des Einsatz-
betriebsrats beeinflusst. Vor dem Hintergrund der bereits aufgezeigten Wahrnehmungen,
Handlungen und deren Erklärungen lässt dies daher die Interpretation zu, dass der Betriebsrat
der Leiharbeitsfirma als Ansprechpartner vom Beschäftigten zwar akzeptiert, jedoch nur auf-
150 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Hürde zur Beteiligung dar und wird von den Beschäftigten unter anderem im
Zusammenhang mit der Betriebsversammlung problematisiert, wie der folgende
Interviewausschnitt exemplarisch zeigt:
„Ist mir bislang nicht geläufig. Also bisher war keine. […] Weil das Problem natür-
lich tatsächlich ist, wenn man so ganz Deutschland sieht, ist das schwer natürlich,
da Versammlungen zu machen. Es gibt Jahreshauptversammlungen. Gut, ob man
dann hinfährt nach [Stadt] oder irgendwo anders hin, das ist natürlich dann immer
so 'ne Sache.“ (B-LA3; 374)
Insgesamt ist der Informationsgrad über die betriebliche Mitbestimmung in der
Leiharbeitsfirma, aber auch die diesbezügliche Mitbestimmungsaffinität bei den
prekären Aktiven als sehr gering einzustufen.75 In diesem Zusammenhang ist –
neben der Erreichbarkeit der Mitbestimmungsinstitutionen – auch das starke
Zugehörigkeitsgefühl der prekären Aktiven zum Einsatzbetrieb bzw. die schwach
ausgeprägte Bindung zur Leiharbeitsfirma als innere Bedingung zu identifizie-
ren, welche die Situationsdefinition und das Aktivitätsniveau in der jeweiligen
Mitbestimmungsarena maßgeblich beeinflusst. Die Beschäftigten verfügen über
keinerlei gemeinsamen Erfahrungen, die ein Zugehörigkeitsgefühl zur Leihar-
beitsfirma herstellen könnten:
„Weil ich mit meiner Leiharbeitsfirma nicht viel zu tun habe, außer dass ich meine
Urlaubsanträge dort hinschicke und die mir das Geld überweisen. Aber ich bin hier
in allen Teammeetings und ich bin hier in Entscheidungsprozesse mit eingebunden.
Ähm. Und arbeite hier selbstverantwortlich und werde von hier delegiert. Oder ent-
scheide von hier aus eigenverantwortlich. Ich habe nicht sonderlich viel Mitbestim-
mung in dem, wie meine Verleihfirma funktioniert. Das ist einfach/ Meine Verleih-
firma ist das Bindeglied zwischen mir und [Betrieb C].“ (C-LA2; 170)
Die Leiharbeitsfirma wird von den Beschäftigten einmal mehr als Sprungbrett in
den Einsatzbetrieb wahrgenommen:
„Aber letztendlich will ich hier auch, äh, fest übernommen werden. Dafür ist die
Zeitarbeit ja schließlich auch da. Da komm ich mir schon ’n bisschen verarscht vor,
weil ich jetzt [mehrere Jahre] hier bin. Und davor mehrere Jahre bei [Betrieb E].
[…] Wie lange soll ich denn noch bleiben?“ (E-LA1; 164)
grund der offiziellen, rechtlichen Zuständigkeit – und nicht auf Basis eines Vertrauensverhält-
nisses – genutzt wird.
75 Infolge der fehlenden Informationen über das Wahlprozedere und etwaige Kandidat/-innen
wird auch an Betriebsratswahlen nicht teilgenommen: „Ich kenn da keinen. Außer unseren Be-
triebsrat vielleicht. Aber ich/ Was soll ich da wählen, ne? […] Unseren Betriebsrat vielleicht.
Aber ich weiß auch gar nicht, wie man das macht. Ich hab noch nie gehört, dass man da so
'nen Betriebsrat wählen kann. Ich glaube, das läuft auch alles über [Hauptsitz der Leiharbeits-
firma] oder so. Und wir sind ja in [Stadt] und wir haben ja hier nur einen Betriebsrat oder ei-
ne Betriebsrätin.“ (E-LA1; 302-304)
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 151
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Handlungsstrategie des Einsatzbetriebsrats
Erreichbarkeit der betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der
hohe Mitbestimmungsaffinität
betrieblichen Mit-
biografischer Status
bestimmung im
Zugehörigkeitsgefühl zum bzw. Wunsch
Einsatzbetrieb
nach Übernahme in Einsatzbetrieb
kein Zugehörigkeitsgefühl zur Leiharbeits-
firma
Orientierung
76 Der Gewerkschaftsaustritt erfolgte nach Angaben des Beschäftigten aus finanziellen Gründen.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 153
beitnehmer im Interview ausführlich von einer erlebten Situation, bei der er eine
Beratung vom Einsatzbetriebsrat einholen wollte:
C-LA1: „Also es war ja eigentlich diese Geschichte aus [Abteilungs]-Zeiten, wo es
dann irgendwann hieß: Nee, die Leiharbeiter müssen hier langsam mal ein bisschen
raus. Da hab ich natürlich geschaut: Wie sieht's denn aus? Weil meine Stelle wird
weiterhin gebraucht, aber ich weg. Und, äh, war so 'n bisschen mit: ‚Ich schreib's
mal auf. Wir befassen uns da später mit.‘ Und genauso war auch dieses Feedback,
ne. Es hieß dann: ‚Entweder gibt's innerhalb von zwei Wochen sowieso 'nen Rund-
brief, was da passiert. Ansonsten ruf nach drei Wochen nochmal an.‘ Ich hab dann
nach vier Wochen angerufen und da hast du dann schon gemerkt: ‚Ach ja! Nee, nee,
da ist eigentlich alles ruhig. Da ist nichts passiert.‘ Und du hast genau gemerkt: Ah,
wir haben uns also gar nicht drum gekümmert. Und, ja, so mit der Einstellung bin
ich dann da eigentlich auch wieder rausgegangen. Also 'ne schöne Selbstverwaltung
und Arbeitsverhinderer, würd ich sagen.“
I: „Was hätten Sie sich denn erhofft davon?“
C-LA1: „Also entweder so 'ne klare Aussage wie von wegen: ‚Da kann man einfach
nichts machen.‘ Also, ich hab mich da schon sehr abgespeist gefühlt, ne. Ähm. Naja,
oder aber irgendwie: ‚Ja, du musst hier mal eintreten und dann machen wir mal
ganz tolle Sachen.‘“ (C-LA1; 270-272)
Die Interviewpassage zeigt deutlich die enttäuschten Erwartungen des Beschäftig-
ten an den Betriebsrat: Jede Art einer Reaktion auf seine Anfrage, bei der es um
seine Weiterbeschäftigung im Einsatzbetrieb ging, wäre von ihm begrüßt worden;
allerdings fühlt er sich vollständig ignoriert. In diesem Zusammenhang spielt auch
der biografische Status des Beschäftigten eine wesentliche Rolle: C-LA1 ist zum
Zeitpunkt des Interviews seit mehreren Jahren als Leiharbeitnehmer in Betrieb C
eingesetzt und äußert im Interview mehrfach den Wunsch, seine Tätigkeit weiter-
hin – bevorzugt als Festangestellter – im Einsatzbetrieb ausüben zu können.77
Durch seine langjährige Leiharbeitstätigkeit fühlt er sich permanent mit der Unsi-
cherheit hinsichtlich seines Einsatzes konfrontiert: „Also, es hat glaub ich immer
sehr viel mit Hoffen zu tun, dass der Kelch mal wieder an mir vorbei geht“ (C-
LA1; 120).
Das Zusammenspiel dieser inneren Bedingungen – eine starke Mitbestim-
mungsaffinität und relativ hohe Erwartungen an den Einsatzbetriebsrat, die mit
dem biografischen Status als Leiharbeitskraft verknüpft sind, jedoch enttäuscht
wurden – bewirkt, dass das Engagement des Einsatzbetriebsrats und in Konse-
quenz auch die betriebliche Mitbestimmungsarena des Einsatzbetriebs als prekär
bewertet wird. Die bereits erläuterte Nutzung des Betriebsrats als Ansprechpart-
77 Exemplarisch belegt dies das folgende Zitat: „Also ich würd's auf jeden Fall versuchen, denn
ich glaube, einen besseren Arbeitgeber gibt es da eigentlich so gar nicht“ (C-LA1; 108).
154 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
ner zeigt zwar, dass der Beschäftigte im Grunde eine Zuständigkeit des Ein-
satzbetriebsrats für Leiharbeitnehmer/-innen sieht, um diese Unsicherheit abzu-
federn – insgesamt können die Aussagen von C-LA1 aber dahingehend interpre-
tiert werden, dass eine weitere Beteiligung an der betrieblichen Mitbestimmung
aufgrund der negativen Erlebnisse als sinnlos erachtet wird. Der Einsatzbetriebs-
rat stellt für ihn künftig keinen Anlaufpunkt mehr für Beratungen, Informationen
oder die Interessenvertretung dar:
„Also ich glaube, es ist irgendwie, wie arbeitslos zu sein und zu hoffen, dass das Ar-
beitsamt sich um einen neuen Job kümmert. Erfahrungsgemäß muss man das einfach
selber machen.“ (C-LA1; 279 – 280)
Mit dieser Aussage spricht C-LA1 dem Betriebsrat jede Kompetenz ab, sich für
ihn einzusetzen. Dies verlangt von ihm, seine Selbstaushandlungsfähigkeiten zu
nutzen und etwaige Schwierigkeiten mit dem/der Vorgesetzten individuell zu
lösen. Im Unterschied zu den distanzierten Autarken erfolgt diese Selbstvertre-
tung allerdings gezwungenermaßen und ist nicht freiwillig gewählt. Trotz der
äußeren Bedingungen einer grundsätzlich niedrigschwelligen Erreichbarkeit und
der offiziellen Zuständigkeit des Einsatzbetriebsrats werden die Handlungsoptio-
nen hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmung von der bzw. dem prekären
Verweigernden nicht (mehr) genutzt.
Passivität ist bei diesem Typus auch hinsichtlich der betrieblichen Mitbe-
stimmung in der Leiharbeitsfirma festzustellen – allerdings beziehen sich die
Gründe dafür weniger auf negative Erlebnisse mit dem Betriebsrat. Vielmehr
lässt sich die Inaktivität mit einem vergleichsweise schwach ausgeprägten Zuge-
hörigkeitsgefühl zur Leiharbeitsfirma erklären. Diese nimmt bei dem bzw. der
prekären Verweigernden den Stellenwert als eine primär die Arbeitskraft verwal-
tende Institution und als „Sprungbrett“ in den Arbeitsmarkt bzw. Einsatzbetrieb
ein. Insgesamt bestehen im Falle des/der prekären Verweigernden – auch auf-
grund der räumlichen Distanz – kaum Berührungspunkte mit der Leiharbeitsfir-
ma, so dass dementsprechend keine Erfahrungen mit der dortigen betrieblichen
Mitbestimmung gesammelt werden (obgleich dort ein Betriebsratsgremium be-
steht). Die betriebliche Arbeitnehmer/-inneninteressenvertretung in der Leihar-
beitsfirma rückt in Folge dieser inneren und äußeren Bedingungen in den Hinter-
grund der Wahrnehmungen der Leiharbeitskraft und resultiert in einer nicht-pre-
kären, gleichgültigen Bewertung der dortigen Mitbestimmungssituation, die kei-
nerlei Beteiligung zur Folge hat.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 155
Äußere Bedingungen
Im Hinblick auf die äußeren Bedingungen sind zunächst die gesetzlichen Rah-
menbedingungen der betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb zu nennen.
Diese erweisen sich bei der Typologie der vorliegenden Forschungsarbeit als
basale Voraussetzung für jegliche Handlungen der Leiharbeitnehmer/-innen. Die
Beteiligungsrechte eröffnen jedoch nicht nur den institutionellen Handlungs-
spielraum für die Beschäftigten, sondern haben – wie sich speziell bei den Inte-
156 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
grierten zeigt – eine egalisierende Wirkung. Durch die Möglichkeit der ebenbür-
tigen Teilnahme an den formalen Mitbestimmungsprozessen wie Betriebsrats-
wahlen oder -versammlungen kann zugleich das Zugehörigkeitsgefühl zum Ein-
satzbetrieb gesteigert werden, so dass letztendlich eine nicht-prekäre Bewertung
der betrieblichen Mitbestimmung erfolgt. Gleichzeitig dienen die gesetzlichen
Rahmenbedingungen den Leiharbeitnehmer/-innen als Maßstab zur Bewertung der
betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb im Vergleich mit den Stamm-
beschäftigten. So wissen etwa die prekären Aktiven sowie der/die prekäre Ver-
weigernde um die (theoretische) Gleichstellung mit den Stammbeschäftigten, se-
hen diese jedoch vor dem Hintergrund direkter, vergangener Erfahrungen in der
Praxis nicht durch den Betriebsrat des Einsatzbetriebs umgesetzt.
Darüber hinaus stellt die hoch- bzw. niedrigschwellige Erreichbarkeit der
betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen eine zentrale äußere Bedingung für
die Bewertungen und Handlungen der Leiharbeitnehmer/-innen dar. Dies wird
insbesondere im Vergleich der Einsatz- und Entsendebetriebe deutlich: Der Ein-
satzbetriebsrat wird – im Gegensatz zu demjenigen der Leiharbeitsfirma – als
jederzeit und problemlos erreichbar charakterisiert, da Mitglieder in den Schich-
ten bzw. im gleichen Büro mitarbeiten oder die Sprechstunden während der Ar-
beitszeit genutzt werden können. Der gegebene, gesetzliche Handlungsspielraum
wird von den Leiharbeitnehmer/-innen des Samples anscheinend nur dann ge-
nutzt, wenn niedrigschwellige Möglichkeiten der Beteiligung an Betriebsrats-
wahlen und -versammlungen, aber auch der Kontaktaufnahme zum Betriebsrat
bestehen. Das Fallbeispiel von E-LA1 als prekärer Aktiver zeigt zudem, dass die
Erreichbarkeit des Gremiums der Leiharbeitsfirma etwa durch eine große räum-
liche Nähe zum Einsatzbetrieb vereinfacht wird.
Eine wesentliche Rolle spielt für die Leiharbeitnehmer/-innen demnach die
räumliche Distanz zur Leiharbeitsfirma: Sowohl die Inanspruchnahme eines
gegebenenfalls dort existenten Betriebsratsgremiums im Falle eines Problems,
als auch die Teilnahme an Betriebsversammlungen und Betriebsratswahlen be-
deuten im Vergleich zum Einsatzbetrieb einen wesentlich höheren, zeitlichen
Aufwand für sie. Weiterhin wurde der Mangel an Informationen, zum Beispiel
über die Kandidat/-innen einer Betriebsratswahl, von den Beschäftigten oftmals
als Hindernis für eine Teilnahme genannt. Der Informationsfluss verläuft – zum
Beispiel mangels Mund-zu-Mund-Propaganda oder fehlender Informationsaus-
hänge – stockender als im Einsatzbetrieb. Die betriebliche Mitbestimmung der
Leiharbeitsfirma rückt dadurch in den Hintergrund der subjektiven Wahrneh-
mung. Dies führt zu einer Bewertung der dortigen Mitbestimmungsarena als
nicht-prekär sowie zu einem niedrigem Aktivitätsniveau.
Weiterhin relevant ist die Existenz bzw. Nicht-Existenz eines Betriebsrats in
den jeweiligen Betrieben. In den Einsatzbetrieben existierte – gemäß des theore-
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 157
Innere Bedingungen
Mit Blick auf die inneren Bedingungen ist zunächst festzuhalten, dass bei den
sozialstrukturellen Faktoren wie Alter und Geschlecht keine Auffälligkeiten der
Verteilung auf die Typen festzustellen sind.78 Hingegen stellt das zum Teil starke
78 Zu erwarten wäre gegebenenfalls gewesen, dass bei den älteren Leiharbeitnehmer/-innen das
Normalarbeitsverhältnis und die damit verbundenen Beteiligungsrechte an der betrieblichen
Mitbestimmung als normative Wertvorstellung verankert sind. Bei einem Abgleich der Mitbe-
158 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
stimmungssituationen als Leih- und Festangestellte/-r wäre damit möglicherweise eine negati-
ve Bewertung der individuellen Mitbestimmungssituation verbunden, da diese von der eines
Festangestellten abweicht. Mit Blick auf die Fallverteilung zeigt sich allerdings, dass auch ver-
gleichsweise junge Leiharbeitnehmer/-innen Prekarität bezüglich der betrieblichen Mitbestim-
mung empfinden. So sind beispielsweise zwei Personen der prekären Aktiven zwischen 31 und
40 Jahre alt. Bei der Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssituation als prekär kommen
in diesen Fällen offensichtlich andere Bedingungen und nicht der Vergleich mit einer früheren
Beschäftigung in einem Normalarbeitsverhältnis zum Tragen.
Auch hinsichtlich des Geschlechts lassen sich auf Grundlage dieses Samples keine Aussage
treffen, da nur vier Leiharbeitnehmerinnen befragt wurden. Ihre Aussagen unterscheiden sich
zudem nicht von den Aussagen der männlichen Leiharbeitnehmer; so wurden beispielsweise
keine Aussagen zu geschlechtsspezifischen Themen – etwa der Wunsch nach weiblichen Be-
triebsratsmitgliedern – geäußert. Insgesamt scheint in Bezug auf die Erforschung der Bewer-
tung der betrieblichen Mitbestimmung aus gendertheoretischer Perspektive eine Forschungslü-
cke zu bestehen, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht geschlossen werden kann.
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 159
79 Als Gründe für den Wunsch nach einer Festanstellung werden vorwiegend materielle und im-
materielle Distinktionen, etwa in Bezug auf die Entlohnung oder Arbeitsplatzsicherheit, zwi-
schen Stammbeschäftigten und Leiharbeitnehmer/-innen genannt.
160 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
80 Exemplarisch belegen lässt sich dies mit der folgenden Textstelle: „Also es ist eben diese
Unbeständigkeit. […] Also, ich sage mal, wenn man jetzt wüsste, Theorie, Festeinstellung.
Dann wäre ich sicherlich jemand, der in die Gewerkschaft eintreten würde. Unbedingt. Aber in
8.2 Leiharbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 161
dieser Situation, da ist man irgendwo dabei, und bumms, ist man weg. Und hat mit dem Thema
gar nichts mehr zu tun. Dann gibt's wieder diese Abmeldung. Das ist ein Hin und Her. Also
wenn, dann möchte man auch wissen, dass das, ja, fruchtbaren Boden trifft.“ (A-LA2; 510)
162 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
81 Anzumerken ist an dieser Stelle, dass C-WV2 im Interview nicht ausschließlich seine Per-
spektive als Werkvertragsarbeitnehmer, sondern – bedingt durch sein Amt als Betriebsratsmit-
glied – auch als Experte äußert. Zusätzlich führt seine Selbstwahrnehmung als „eine Art von
Polizist“ (C-WV2; 257) dazu, dass sein vorhandenes Betriebs- und Kontextwissen (vor allem
in Bezug auf die generelle Beschäftigungssituation von Werkvertragsbeschäftigten) eine zen-
trale Rolle im Interview einnimmt.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 163
82 Es handelt sich dabei um A-WV1, A-WV2, B-WV1, B-WV2, C-WV1, D-WV1, E-WV3 und
E-WV6. Der Beschäftigte B-WV2 stellt hierbei einen Sonderfall dar. Er weist zwar die
gleichen Merkmalskombinationen (nicht-prekär | passiv im Einsatzbetrieb; nicht-prekär | passiv
im Entsendebetrieb) auf, weicht aber im Hinblick auf seinen biografischen Status massiv von
den übrigen Werkvertragsarbeitnehmer/-innen dieses Typs ab. B-WV2 stammt aus dem
europäischen Ausland, arbeitet das erste Mal in einem deutschen Unternehmen und verfügt
über keinerlei Wissen hinsichtlich des Systems der betrieblichen Mitbestimmung – auch, weil
sein Einsatz erst seit weniger als vier Wochen andauert. Aufgrund dieses vom übrigen Sample
stark abweichenden Status wird dieser Fall nicht in die nachfolgende Analyse einbezogen.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 165
83 Zwei Ausnahmen hinsichtlich der Teilnahme an Betriebsversammlungen bilden die Fälle A-WV2
und D-WV1, die jeweils einmal eine solche Veranstaltung in der Vergangenheit besuchten. Bei
beiden Beschäftigten ist dies jedoch nicht als eine Aktivität im Sinne der betrieblichen Mitbe-
stimmung zu werten – vielmehr kann auf Grundlage des Interviewmaterials als Motivation die ge-
schlossene Teilnahme der Schichtbesetzung sowie generelle Neugierde ausgemacht werden. Die
Beschäftigten distanzieren sich im gesamten Interview zudem konsequent von der betrieblichen
Mitbestimmung und schreiben ihr keine persönliche Relevanz zu. Ein erneuter Besuch von Be-
triebsversammlungen ist aufgrund des fehlenden individuellen Nutzens nicht geplant. Somit sind
sie ebenfalls als passiv einzustufen.
166 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
„Also das Angebot ist hundertprozentig. Also da kann ich auch nicht sagen, dass
mir da irgendwas fehlt. Oder es mir nicht angeboten wird. Aber ich hab jetzt, wie
gesagt, auch keine Themen, womit ich dringend Gesprächsbedarf hätte.“ (C-WV1;
217)
Das passive Verhalten ist ein generelles, zentrales Merkmal des autarken Typus.
Eine Teilnahme an Betriebsratswahlen und -versammlungen im Werkvertragsun-
ternehmen wird vom Autarken – auch wenn die Möglichkeit gegeben ist – nicht
ausgeübt.84 Eine entsprechend geringe Rolle spielt der Kontakt zum Betriebsrat
des Werkvertragsunternehmens – selbst wenn, wie im Fall von C-WV1, eine
wöchentliche Sprechstunde angeboten wird.
„Der Betriebsrat gehört auch zu den Institutionen, wo ich eigentlich auch nicht viel
Kontakt zu suche.“ (C-WV1; 215)
„Nö. Gar nichts. Also, hat sich auch nicht gemeldet. Falls es den noch gibt, sag ich
mal so. Ich weiß, vor zwei Jahren hab ich mal einen Brief gesehen: Betriebsrat in
[Hauptstandort] ist Madame Soundso und Soundso, aber danach auch nie wieder
was von denen gehört.“ (E-WV3; 154)
Die Typenbezeichnung der autarken Werkvertragsarbeitnehmer/-innen liegt in der
starken Betonung der Selbstvertretungsfähigkeit im Falle von Konflikten oder Be-
nachteiligungen begründet – sowohl im Einsatz-, als auch im Entsendebetrieb,
weshalb sie dem Typus des/der distanziert-autarken Leiharbeitnehmers/Leihar-
beitnehmerin ähneln. Die Beschäftigten vertreten die Auffassung, dass sie nicht auf
eine betriebliche Interessenvertretung zur Lösung von Problemen angewiesen sind.
Ein Beispiel dafür ist der Beschäftigte D-WV1, der die Funktion eines Vorarbeiters
ausübt und somit selbst als Ansprechpartner für die seinem Werkvertragsunter-
nehmen zugehörigen Mitarbeiter/-innen fungiert:
„Den [Konflikt; VB] würd ich lösen. […] Erst mal irgendwie selber versuchen. Bis-
her hat das auch immer geklappt. Wir haben auch hier bei [Betrieb D] schon mit
Vorgesetzten sprechen müssen, weil's Konflikte gab. Aber es ist immer so gewesen,
dass wir es mit einem Gespräch lösen konnten. Und auch alle anderen Probleme, da
braucht ich keinen Betriebsrat zu. […] Definitiv nicht.“ (D-WV1; 244)
Die nicht vorhandene Bereitschaft, sich selber in den Betriebsrat des Werkver-
tragsunternehmens wählen zu lassen bzw. bezüglich einer Gründung aktiv zu
werden, ist in logischer Konsequenz ebenfalls kennzeichnend für den autarken
84 In Bezug auf eine eventuelle Betriebsratswahl ist bei C-WV1 zwar eine grundsätzliche Bereit-
schaft zur Teilnahme vorhanden; offen bleiben im Interview jedoch die Beweggründe. Auf-
grund seiner übrigen Aussagen, die stark von Abgrenzung und Betonung der Selbstaushand-
lung geprägt sind, kann es jedoch als unwahrscheinlich erachtet werden, dass Aktivitäten der
betrieblichen Mitbestimmung künftig einen größeren Raum in seinem betrieblichen Alltag ein-
nehmen werden.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 167
Typus. Dahinter steht vor allem die gering ausgeprägte Überzeugung hinsichtlich
eines Engagements:
„Das kam nie in Frage. Also selber wählen lassen/ Nicht so. Nee. Da muss man
auch so voll dahinter stehen und, ne, sich da, ich sag mal einsetzen für die ganzen
Themen. […] Man muss es wirklich wollen, denk ich. Und nicht einfach mal sagen:
Ich lass mich mal wählen.“ (E-WV6; 348)
Zu den zentralen Merkmalen des Typus des bzw. der prekären Aktiven gehört die
Bewertung der Mitbestimmungssituation in mindestens einem Betrieb – Einsatz-
oder Werkvertragsunternehmen – als prekär. Darüber hinaus üben die entspre-
chenden Werkvertragsarbeitnehmer/-innen in irgendeiner Form Aktivitäten in
Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung aus – sei es, indem sie in ihrem
Werkvertragsunternehmen an den diesbezüglichen Prozessen partizipieren, oder
indem sie im Einsatzbetrieb in Kontakt mit dem dortigen Einsatzbetriebsrat ste-
hen. Insgesamt weisen drei Werkvertragsbeschäftigte des Samples die genannten
Charakteristika auf (D-WV2, E-WV1 und E-WV4).
Der/die prekäre Aktive ist in zwei Subtypen zu untergliedern, die sich nach
der Schwerpunktsetzung der Beschäftigten auf eine Mitbestimmungsarena unter-
scheiden: Die Aktivitäten des/der prekären Ratsuchenden konzentrieren sich
ausschließlich auf den jeweiligen Einsatzbetrieb, während der/die prekäre Akti-
vist/-in im Werkvertragsunternehmen aktiv ist. Diese beiden Subtypen werden
im Folgenden separat detaillierter charakterisiert.
85 Der Beschäftigte bezieht sich mit „drei Monate“ auf das Wahlrecht von Leiharbeitnehmer/-
innen ab einer Einsatzdauer von drei Monaten. Seine eigene Einsatzzeit in Betrieb D beträgt
mehrere Jahre.
168 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Zeitarbeiter. Ich arbeite ja trotzdem in diesem Betrieb mit. […] Die Bestimmung über
den Betriebsrat wär natürlich noch mal was, was man erstreben sollte.“ (D-WV2;
337-339)
Bei E-WV1 wird das Diskriminierungsempfinden deutlich, als er nach seiner
Meinung in Bezug auf die Wahlrechte von Leiharbeitnehmer/-innen im Einsatz-
betrieb gefragt wird: „Das finde ich diskriminierend. Scheiße. Wir machen die
gleiche Arbeit für das gleiche [Produkt]. Leisten was“ (E-WV1; 488). Die Ex-
klusion von der betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb stellt für die
Beschäftigten dieses Subtyps eine relative Abwertung der individuellen Arbeits-
kraft und -leistung dar. Dies mündet in einem starken Bedürfnis nach einer In-
tegration in die Mitbestimmungsprozesse des Einsatzbetriebs. E-WV1 wünscht
sich beispielsweise eine/-n Ansprechpartner/-in und würde es begrüßen, wenn
der Betriebsrat von Betrieb E diese Rolle, und damit auch die offizielle Zu-
ständigkeit für die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen übernehmen würde:
„Natürlich, wenn der Betriebsrat von [Betrieb E] es übernimmt, okay. Dann bin ich
ganz zufrieden. (...) Dann brauchen wir nicht den eigenen und kämpfen. Dann kön-
nen wir verzichten.“ (E-WV1; 490)
Wenig überraschend verorten sich die Beschäftigten dieses Typs klar in der Rolle
des Outsiders in der betrieblichen Mitbestimmung des Einsatzbetriebs: „Hab ich
kein Recht. […] Also zumindest hier bei [Betrieb D] hab ich […] kein Recht da-
rauf, irgendwie, irgendwas zu wählen oder mich aufstellen zu lassen“ (D-WV2;
329).
Charakteristisch ist für den/die prekären Ratsuchenden allerdings, dass
er/sie – trotz des Bewusstseins darüber, dass der Einsatzbetriebsrat nicht für
ihn/sie zuständig ist – in regelmäßigem Kontakt zu Betriebsratsmitgliedern steht,
um Beratungen einzuholen. Damit schöpft dieser Typus seine gegebenen Hand-
lungsmöglichkeiten im Einsatzbetrieb als Werkvertragsarbeitnehmer/-in weitest-
gehend aus und ist dementsprechend als aktiv einzuordnen. E-WV1 wendet sich
beispielsweise zwecks Einholung von Auskünften in arbeitsrechtlichen Fragen,
etwa bei Änderungen seines Arbeitsvertrages, an den Einsatzbetriebsrat. Die
Kontaktaufnahme erfolgt nach Arbeitsende oder telefonisch; auch weil E-WV1
bei offener Durchführung dieser Handlungen Sanktionen seitens seines Arbeit-
gebers befürchtet: „Wenn unser Chef das hört, krieg ich Stress“ (E-WV1; 396).
Bei D-WV2 nehmen die gesundheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes
sowie der Wunsch nach einer Übernahme in den Einsatzbetrieb einen zentralen
Raum im bestehenden Kontakt zum Einsatzbetriebsrat ein. Diesbezüglich finden
gemeinsame, strategische Überlegungen zwischen Beschäftigtem und Betriebs-
ratsmitgliedern statt, um einen potenziellen Wechsel von D-WV2 in eine Festan-
stellung nicht zu gefährden.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 169
„Und dann hatte ich das mit [Betriebsratsmitgliedern] besprochen. Und so. Dann
sagten die: ‚Das ist gefährlich. Weil nachher merken die so: Da will jeder rein, wo-
für kein Platz ist. Kicken wir den mal raus, anstatt den zu behalten.‘“ (D-WV2; 283)
Ein weiteres zentrales Merkmal der prekären Ratsuchenden ist die weitestgehen-
de Inaktivität in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung im Werkvertragsun-
ternehmen. Allerdings sind bei den einzelnen Beschäftigten dieses Typs bei der
Bewertung der Mitbestimmungssituation im Werkvertragsunternehmen graduelle
Unterschiede festzustellen: Während E-WV1 diese als defizitär beurteilt, zeich-
net sich D-WV2 diesbezüglich überwiegend durch Desinteresse und einen gerin-
gen Informationsgrad aus. So ist sich D-WV2 über die Existenz eines Betriebs-
rats in seiner Werkvertragsfirma unsicher, weist aber zugleich keine Motivation
auf, diesbezüglich Informationen einzuholen: „Wie gesagt, es gab bisher noch
keinen Grund, da irgendwie nachzuhaken“ (D-WV2; 333). An die Stelle der
betrieblichen bzw. kollektiven Interessenvertretung tritt für ihn die individuelle
Selbstaushandlung im Werkvertragsunternehmen, denn für D-WV2 ist der Vor-
gesetzte des Werkvertragsunternehmens jederzeit und unproblematisch an-
sprechbar.86
Im Falle von E-WV1 existiert ein Betriebsrat am Hauptstandort des Werk-
vertragsunternehmens, nicht jedoch am Einsatzort.87 Dieser Umstand wird je-
doch als unzureichend empfunden:
„Wir haben keinen Betriebsrat. Doch, wir haben einen Betriebsrat in [Hauptstand-
ort des Werkvertragsunternehmens]. Aber hier am Ort gibt's keinen. Solche Kleinig-
keiten, wie Nachfragen, bestimmte Infos, die kriegen wir nicht.“ (E-WV1; 52)
Dem Beschäftigten fehlt daher erstens ein persönlicher Ansprechpartner vor Ort,
so dass die advokatorische und informatorische Funktion des Betriebsrats als
nicht erfüllt angesehen wird. Zweitens nimmt der Beschäftigte die Überwachung
von Regeln und Gesetzen im Werkvertragsunternehmen mangels eines örtlichen
Betriebsrats als defizitär wahr.
„Aber die Vorgesetzten, die behandeln uns nicht so toll. Zurzeit haben wir keinen
Betriebsrat. Gar nichts. Wir haben einen Vertrag für 39 Stunden arbeiten. Aber die
zwingen uns: ‚Ihr müsst um fünf Uhr anfangen.‘ Oder: ‚Ihr müsst Samstag arbei-
ten.‘“ (E-WV1; 47)
86 „Also mein Vorgesetzter bei [Werkvertragsunternehmen], der sich um meine ganze Belange
kümmert. Den würd ich dann immer direkt als erstes ansprechen. und dann würde er mich je-
weils daraufhin verweisen, wo ich dann wirklich hinmüsste. Oder er kümmert sich direkt um
mich.“ (D-WV2; 311)
87 Unklar ist, ob der Betriebsrat rechtlich tatsächlich zuständig wäre, da die exakte Unterneh-
mensstruktur des Werkvertragsunternehmens unbekannt ist. Für die Analyse der Wahrneh-
mung und Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssituation ist dies allerdings irrelevant.
170 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Auch die Funktion als Ordnungs- und Partizipationsinstanz ist demnach aus Per-
spektive des Beschäftigten nicht gegeben. Eine individuelle Selbstvertretung der
Beschäftigten wird jedoch aufgrund des autoritären Verhaltens der Geschäftsfüh-
rung ausgeschlossen. Dies zieht den Wunsch nach einem örtlichen Betriebsrat
nach sich: „Also das fehlt bei uns. Aber nicht jeder ist in der Lage, zum Chef zu
gehen. […] Weil der ist ein Typ, der macht viel Druck“ (E-WV1; 368). Die
grundsätzliche Bereitschaft, im Werkvertragsunternehmen eine Betriebsrats-
gründung zu initiieren88, wird von E-WV1 allerdings nicht in konkrete Handlun-
gen umgesetzt; er verbleibt wie D-WV2 passiv und sucht auch nicht den Kontakt
zum bestehenden Gremium.
Der/die prekäre Aktivist/-in zeichnet sich dadurch aus, dass er/sie sowohl die
betriebliche Mitbestimmungssituation im Einsatz-, als auch im Entsendebetrieb
als defizitär bewertet. Eine Beteiligung an der betrieblichen Mitbestimmung
erfolgt ausschließlich im Entsendebetrieb, indem dort gemeinsam mit anderen
Beschäftigten die Gründung eines Betriebsratsgremiums vorangetrieben wird.
Dieser Typus wird durch den Werkvertragsarbeitnehmer E-WV4 repräsentiert.
Zentral bei diesem Typus ist der Wunsch der Erfüllung einer advokatori-
schen Funktion für die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen durch den Einsatzbe-
triebsrat. Der Werkvertragsarbeitnehmer E-WV4 empfindet insbesondere im di-
rekten Vergleich zu den Leiharbeitnehmer/-innen des Einsatzbetriebs eine Be-
nachteiligung bezüglich der betrieblichen Interessenvertretung und wünscht sich
eine Inklusion in diese:
„Wenn wir alle einen Betriebsrat haben, das wäre schön. Der sich natürlich dann
auch mit uns beschäftigt. Auch wenn wir vielleicht nicht unbedingt zu [Betrieb E]
gehören. Aber ob das so rechtlich ist, weil wir ja arbeiten ja schließlich/ Obwohl.
(...) Die Leiharbeiter von [Leiharbeitsfirma] arbeiten ja auch für [Betrieb E]. Wir
machen dasselbe in Grün. Wir stehen zwei Meter neben denen und stellen die Kiste
an 's Band.“ (E-WV4; 157)
Der Informationsgrad des Beschäftigten E-WV4 ist vergleichsweise hoch; er ist
exakt über die Zuständigkeiten des Einsatzbetriebsrats informiert:
„Sicherlich kann man da irgendwelche Informationen oder Unterstützung erwarten.
Aber einem helfen, glaub ich nicht, dass der Betriebsrat das (unv.). Es ist ein klipp
und klarer Werkvertrag, der da gemacht wird. Und das sind zwei getrennte Firmen.
Punkt, Schluss, Aus.“ (E-WV4; 99)
88 „Ich bin bereit sozusagen. Das ist eine gute Sache.“ (E-WV1; 412)
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 171
Das „Helfen“ wird offensichtlich von dem Beschäftigten als genuine Aufgabe
des Betriebsrats empfunden, welche aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingun-
gen ihm gegenüber nicht erfüllt werden kann. Speziell der Betriebsrat des Ein-
satzbetriebs stellt für ihn eine einflussreiche Institution dar, die er wie folgt cha-
rakterisiert: „Der Betriebsrat, wenn der hustet, dann hat die Firma Erkältung“
(E-WV4; 45). Betonung finden hier insbesondere die Handlungs- und Gestal-
tungsoptionen des Betriebsrats im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen (Ord-
nungs- und Partizipationsinstanz). Insgesamt wünscht sich der Beschäftigte eine
uneingeschränkte Integration in die betriebliche Mitbestimmung des Einsatzbe-
triebs:
„Wenn wir zu diesem Betriebsrat hier dazu gehören würden, […] das wär 'ne super
Sache. Je mehr sich hier organisieren, desto mehr Einfluss kann man haben.“ (E-
WV4; 155)
Bei diesem Subtypus sind keine Aktivitäten im Einsatzbetrieb festzustellen; er
verbleibt in den durch den rechtlichen Rahmen vorgesehenen Handlungsoptio-
nen. Kontakt zum Einsatzbetriebsrat besteht nur auf Arbeitsebene oder in infor-
mellen Situationen.89 Das Gremium stellt – wenngleich der Wunsch danach
besteht – keine Anlaufstelle im Falle eines Problems dar; stattdessen wird auf die
Selbstaushandlung zurückgegriffen („Alle Probleme hab ich leider immer selber
geklärt.“ (E-WV4; 117)). Eine Teilnahme an den Betriebsratswahlen und Be-
triebsversammlungen ist dem Beschäftigten schon allein aufgrund der rechtli-
chen Rahmenbedingungen nicht möglich. Die folgende Aussage von E-WV4 un-
terstreicht, wie sehr dies zu einem Gefühl der Exklusion führen kann:
„Nee. Werden wir nicht zu eingeladen. Dürften glaub ich auch gar nicht dran teil-
nehmen. Wir dürfen ja nicht mal in die Nähe mit dem Stapler fahren, weil sie ja
Krach machen könnten. So viel zum Thema Verhältnis.“ (E-WV4; 167)
Auch in seinem Werkvertragsunternehmen bewertet dieser Subtypus die betrieb-
liche Mitbestimmungssituation als prekär. E-WV4 arbeitet seit mehreren Jahren
in einer Niederlassung, in der – im Gegensatz zum Hauptstandort des Unterneh-
mens – kein örtlicher Betriebsrat vorhanden ist. Dem Betriebsrat der Zentrale90
wirft der Beschäftigte eine bewusste Ignoranz und die Verletzung seiner eigentli-
chen Aufgaben vor:
„Was wir allerdings haben, ist dass der Firmenhauptsitz in [Stadt] ist. Und die ha-
ben wohl einen Betriebsrat. Nur dieser Betriebsrat will nichts mit uns zu tun haben,
89 „Persönlich ja. Moin sagen, oder hallo, wenn man sich unten trifft.“ (E-WV4; 101)
90 Unklar ist auch in diesem Fall, ob der Betriebsrat rechtlich tatsächlich zuständig wäre, da die
exakte Unternehmensstruktur unbekannt ist.
172 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
hier in [Stadt]. Die halten sich nicht hier für zuständig. Obwohl's eigentlich dieselbe
Firma ist.“ (E-WV4; 111)
Die Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssituation als prekär manifes-
tiert sich in diesem Fall vorwiegend in den enttäuschten Erwartungen, die an das
Betriebsratsgremium gerichtet sind. Ihm wird die Aufgabe zugesprochen, die
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen zu unterstützen und Einfluss zu nehmen (ad-
vokatorische Funktion bzw. Funktion als Ordnungs- und Partizipationsinstanz) –
die tatsächlichen Handlungen des Betriebsrats werden jedoch als gegenläufig
empfunden. Ein Versuch der Kontaktaufnahme ist nach Auffassung von E-WV4
beispielsweise aufgrund der verweigernden Haltung des Betriebsrats gescheitert:
„Wir haben's versucht. Aber die haben kein Interesse, hier hinzukommen und zu
sagen: So und so geht's. Und so und so läuft's“ (E-WV4; 113). Ein Repräsentati-
onsgefühl durch das existente Gremium ist somit nicht gegeben – auch, weil
keine Integration in die dortigen Prozesse der betrieblichen Mitbestimmung
geschieht. E-WV4 verfügt beispielsweise weder hinsichtlich Betriebsratswah-
len91 oder -versammlungen, noch bezüglich etwaiger Sprechstunden o.ä. über
Informationen. Dies resultiert in einem starken Wunsch nach einem örtlichen
Betriebsrat:
„Es fehlt hier definitiv ein Betriebsrat in der Firma, der auch mal dem Chef seine
Grenzen im Rahmen der Möglichkeiten sagt. Bis hierhin und nicht weiter. Weil die
können mit uns machen, was sie wollen.“ (E-WV4; 119)
Die Handlungen dieses Typus sind durch sein Bestreben, gemeinsam mit seinen
direkten Kolleg/-innen und mit Unterstützung der örtlichen Gewerkschaft einen
Betriebsrat in seinem Betriebsteil des Werkvertragsunternehmens zu gründen,
gekennzeichnet. Aus seiner vergleichsweise starken Prekaritätswahrnehmung
resultiert für ihn die folgende Handlungskonsequenz: „Dann müssen wir's halt
selber machen“ (E-WV4; 115). Die grundsätzliche Motivation zur Organisierung
ist vorhanden und wird aktiv vorangetrieben. (Noch) hat der Beschäftigte jedoch
leichte Zweifel an einer eigenen Betriebsratskandidatur. Ausschlaggebend ist
dabei vor allem die ausgeprägte Autorität der Geschäftsführung gegenüber den
Beschäftigten. So reagierte der Vorgesetzte auf das Vorhaben mit der Bemer-
kung, eine Betriebsratsgründung könnte die Streichung von Arbeitsplätzen nach
sich ziehen:
91 Möglicherweise greift diesbezüglich § 4 Abs. 1 BetrVG, nach der für die betroffenen Werkver-
tragsarbeitnehmer/-innen die Möglichkeit bestünde, an der Wahl des vorhandenen Betriebsrats
am Hauptsitz teilzunehmen. Einer Teilnahme muss aber ein formloser Beschluss der Arbeit-
nehmer/-innen der Niederlassung oder die Veranlassung vom Betriebsrat des Hauptbetriebs vo-
rausgehen. Beide Optionen werden hier anscheinend nicht genutzt.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 173
„[M]uss ich mir noch überlegen, weil das ist ein ganz schönes, hartes Stück Arbeit
dann. Das ist nicht mal eben so gemacht. Denn, ich sag mal, die Firma [Werkver-
tragsunternehmen] lebt davon, keinen Betriebsrat zu haben. […] 'Ne direkte Kolle-
gin von mir, mit der ich zusammenarbeite, die ging dann zum Chef hin und erzählte,
dass wir vorhaben, hier einen Betriebsrat zu gründen. Da sagte er mit eigenen Wor-
ten, dass er das für sehr riskant hält. Weil sonst die Firma [Werkvertragsunterneh-
men] hier erhebliche Probleme kriegt. Um wirtschaftlich hier zu arbeiten.“ (E-WV4
37-39)
Einen weiterhin problematischen Aspekt sieht E-WV4 in seiner Position des
leitenden Angestellten:
„Und das ist da so ein bisschen, ja, zwei Stühle hätt ich beinahe gesagt. […] Das
wird sich ein bisschen beißen. Entweder mach ich zu hundert Prozent den Betriebs-
rat. Dann steh ich auch dazu. Oder halt das andere.“ (E-WV4; 85-87)
Trotz dieser Befürchtungen tendiert er jedoch aufgrund seines dringlichen Wun-
sches nach einem Betriebsrat dazu, sich für die Betriebsratswahl aufstellen zu
lassen: „Ich tendiere eher in Ja. […] Dass ich mich wählen lasse. Es MUSS was
passieren“ (E-WV4; 91-93).
Hintergrund dieser Forderung ist ein Erlebnis im Kontext von Problemen des
Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz, nach der „die Externen wirklich mit allem
auf sich alleine gestellt sind“ (E-WV5; 313). Das Gremium ist hier demnach
weniger in Bezug auf normative Aspekte wie die Überwachung von Arbeitsbe-
dingungen, sondern eher im Hinblick auf die moralische und „menschliche Seite“
relevant, wie im folgenden Abschnitt deutlich wird:
„Das eine ist ja, die Gesundheitsgefährdung. Da muss ja derjenige, der dafür, für
die Gebäude und so diesbezüglich verantwortlich ist, der ist dann da in der Pflicht.
Aber es gibt ja auch diese menschliche Seite. Dass man sich nicht drum kümmert.
Dass dann Leute alleine gelassen werden. Aber da denke ich mal dann, wäre es viel-
leicht der Betriebsrat, ne. Dass man jemanden hat, der einen unterstützt.“ (E-WV5;
317)
Sich selbst weist E-WV5 eine randständige Rolle in der betrieblichen Mitbestim-
mung des Einsatzbetriebs zu: „Aber, äh, also ich hab das Gefühl, dass der gar
nicht für uns zuständig ist. Dass wir da eigentlich rausfallen“ (E-WV5; 325).
Der/die prekäre Konforme übt – entsprechend der rechtlichen Rahmenbedin-
gungen – keine Aktivitäten in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung im Ein-
satzbetrieb aus. Bei den Betriebsversammlungen erfolgt ein Ausschluss der Werk-
vertragsbeschäftigten. Hinsichtlich der Betriebsratswahlen ist festzuhalten, dass E-
WV5 eine Teilnahme als Werkvertragsbeschäftigte als „unfair“ (E-WV5; 367)
gegenüber den Festangestellten empfinden würde. Die befragte Person spricht sich
selber das Wahlrecht ab, da sie als Werkvertragsarbeitnehmer mit gegebenenfalls
kurzer Einsatzzeit keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Gremiums neh-
men möchte. Deutlich wird, dass in diesem Fall vornehmlich der Wunsch nach
einem/ einer Ansprechpartner/-in im Falle von Problemen und nicht nach einer
langfristigen Beteiligung an Prozessen der betrieblichen Mitbestimmung im origi-
nären Sinne im Vordergrund steht. Die advokatorische Funktion des Betriebsrats
nimmt hier also eine besonders wichtige Rolle ein. Bei der Zusprechung eines
entsprechenden Wahlrechts für Werkvertragsarbeitnehmer/-innen würde E-WV5
dies jedoch auch nicht verfallen lassen:
„Ja, ich wähle immer. […] Wählen ist Pflicht. Weil ich denke, das sind so Rechte,
da haben Leute für gekämpft. Und dann muss sich damit auch auseinandersetzen.
Dann würd ich mich damit auch beschäftigen. Dann würd ich das auch machen.“
(E-WV5; 371)
Kontakt zum Einsatzbetriebsrat besteht bei diesem Beschäftigtentypus nur auf
Arbeitsebene oder in informellen Situationen. Das Gremium stellt – wenngleich
der Wunsch danach besteht – entsprechend der gesetzlichen Rahmenbedingun-
gen keine Anlaufstelle im Falle eines Problems dar; stattdessen wird gezwun-
genermaßen auf die Selbstaushandlung zurückgegriffen.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 175
Konträr zur Haltung im Einsatzbetrieb stellt dieser Typus in Bezug auf das
Werkvertragsunternehmen die individuellen Selbstvertretungsfähigkeiten hervor,
die ein Betriebsratsgremium als nicht notwendig erscheinen lassen. E-WV5
macht dies insbesondere durch eine Abgrenzung zu den eigenen Werkvertrags-
kolleg/-innen deutlich. Während für diese einen Betriebsrat wünschenswert sei92,
benötigt E-WV5 selber keine betriebliche Interessenvertretung. Dies zeigt sich
auch bei der Frage nach der Motivation, ggf. selbst für eine Betriebsratsgründung
im Werkvertragsunternehmen einzutreten:
„Und, äh, also ich setz mich gerne für andere ein, aber ich würd das [eine Betriebs-
ratsgründung; VB] jetzt auch nicht […] wahrnehmen, weil ich kann ja meine Positi-
on vertreten. Wenn ich meine, da funktioniert irgendwas nicht, dann sag ich ihm
[dem Vorgesetzten; VB] das.“ (E-WV5; 349)
92 „Ich glaube, dass es für manche von meinen Kollegen schon ganz gut wäre, wenn die 'nen
Sprecher hätten. Ne. Weil da auch Sachen chaotisch laufen und die laufen auch chaotisch, weil
die das im Hintergrund immer sagen, aber nach vorne, wenn's dann an die Vorgesetzten ist,
nicht richtig ausdrücken können. Oder: ‚Alles gut, alles gut.‘ Und das dann lieber runter-
schlucken, bevor sie da Ärger kriegen.“ (E-WV5; 337)
176 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Existenz eines Betriebsratsgremiums im Werkvertragsunter-
nehmen
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der
hohe Mitbestimmungsaffinität
betrieblichen Mit-
biografischer Status
bestimmung im
kein Zugehörigkeitsgefühl zum Einsatzbe-
Werkvertragsunter-
trieb
nehmen
Zugehörigkeitsgefühl zum Werkvertrags-
unternehmen
Orientierung
vant – sowohl für ihn persönlich, als auch auf kollektiver Ebene, wie das folgen-
de Zitat zeigt:
„Ich hab gesehen, die Leute brauchen eine Vertrauensperson. Öfters mal ist es lei-
der Gottes so, es hängt von den disziplinarischen Vorgesetzten ab, ob du denen ver-
trauen wirst oder nicht. Es gibt so Fälle, wo man denen nicht vertraut. Und […] der
Betriebsrat, okay, wenn du ein Problem hast, dann leiten die das weiter, die disku-
tieren darüber. Die haben mehr Ahnung. Und dann bekommst du eine Antwort, ne.“
(C-WV-2; 227)
In einem engen Zusammenhang damit steht die generelle Beurteilung der Ar-
beitsbedingungen von Werkvertragsarbeitnehmer/-innen und damit auch die des
eigenen biografischen Status. Wie im nächsten Zitat deutlich wird, sind nach
Ansicht von C-WV2 die Arbeitsbelastungen und Flexibilitätsanforderungen von
Werkvertragsbeschäftigten im Vergleich zu Festangestellten wesentlich höher.
„Die Konzerne sind wie große Tankerschiffe, ne. Die sind langsam und träge. Das
läuft bei denen. So. Die fahren von Deutschland oder irgendwie von Europa nach
Amerika und dann zurück. Ganz geregelt. Alles ist klar. Und die kleinen Firmen, die
sind wie kleine Motorboote, die müssen zusehen, wo die großen Schiffe sind. Immer
hin. Zurück. Und ganz schnell, ganz schnell. […] Wir müssen rasch sein. Wir müs-
sen flexibel sein. Wir müssen in der Lage sein, neue Sachen kennenzulernen, schnell
abarbeiten, wechseln, Projekte, Leute, Umfeld, Städte. Theoretisch müssen wir in
der Lage sein, das alles zu gewährleisten. Das, was die Konzerne nicht können,
müssen wir dann können. Damit verdienen wir unser Brot. […] Das heißt, wir müs-
sen viel schlauer, viel schneller, viel jünger, viel mächtiger als unser Kunde werden.
Wir müssen auch mehr können, wissen. Auch natürlich entsprechend für weniger
Geld, weil wir keine Tarifverträge haben.“ (C-WV2; 43)
Die Position von Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – mit der er sich selbst auch
identifiziert – wird allgemein als „machtlos“ (C-WV2; 231) definiert, so dass in
Konsequenz die betriebliche Mitbestimmung sowie das Vorhandensein eines
Betriebsrats als potenzieller Ansprechpartner als relevant für diese Beschäftig-
tengruppe erachtet wird. Vor dem Hintergrund dieser inneren Bedingungen re-
flektiert der Beschäftigte die äußeren Bedingungen der betrieblichen Mitbe-
stimmung im Werkvertragsunternehmen: Die Existenz eines Betriebsratsgremi-
ums im Werkvertragsunternehmen führt dazu, dass seine Ansprüche an die Inte-
ressenvertretung erfüllt sind. In Folge wird die betriebliche Mitbestimmungssitu-
ation in dieser Mitbestimmungsarena als nicht-prekär bewertet. Auch die Moti-
vation des Beschäftigten, sich selber im Betriebsratsgremium des Werkvertrags-
unternehmens zu engagieren, ist maßgeblich auf seine Mitbestimmungsaffinität
sowie auf seine Ansichten über die generelle Beschäftigungssituation von Werk-
vertragsbeschäftigten zurückzuführen. Jene Erfahrungen, die der Beschäftigte
dabei durch seine Betriebsratsmitgliedschaft sammelt bzw. sammelte, wirken
178 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
94 Anzumerken ist, dass C-WV2 trotz des geringen Zugehörigkeitsgefühls zum Einsatzbetrieb
gerne eine Festanstellung bei Betrieb C hätte. Ausschlaggebende Gründe dafür sind laut seinen
Aussagen neben dem potenziell höheren Gehalt „[…] auch die Möglichkeiten. Anerkennung,
Aufstiegsmöglichkeiten, dass man auch nach seiner Initiative auch an verschiedenen Standor-
ten arbeiten kann.“ (C-WV2; 179)
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 179
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Verhältnis zum/zur Vorgesetzten
Kognition
Innere Bedingungen:
Wenige Erlebnisse
keine Mitbestimmungsaffinität
mit der
Zugehörigkeitsgefühl zum Werkvertrags-
betrieblichen Mit-
unternehmen
bestimmung
kein Zugehörigkeitsgefühl zum Einsatzbe-
trieb
biografischer Status
Handeln in Bezug auf
Orientierung die betriebliche Mitbe-
stimmung:
Auffallend ist zudem, dass die Präferenz der Selbstvertretung – anders als
bei den distanziert-autarken Leiharbeitnehmer/-innen – unabhängig vom Quali-
fikationsniveau und der beruflichen Stellung der Werkvertragsarbeitnehmer/-
innen besteht. So sind sowohl Werkvertragsbeschäftigte mit Berufsausbildung,
als auch mit Hochschulabschluss diesem Typ zuzuordnen. Dies deutet darauf
hin, dass bei den autarken Werkvertragsarbeitnehmer/-innen unter anderem das
bereits beschriebene, individuelle Verhältnis zum bzw. zur Vorgesetzten sowie
dessen/deren niedrigschwellige Ansprechbarkeit eine Rolle dabei spielen, ob
eine individuelle Selbstvertretung ermöglicht bzw. sich selbst zugetraut wird.
Im Einsatzbetrieb kommt hinzu, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen,
die eine Beteiligung an Prozessen der betrieblichen Mitbestimmung ohnehin ver-
hindern, eine bewusste Abgrenzung auf Seiten der Beschäftigten forcieren (vgl.
dazu die in der Typencharakterisierung gezeigten Interviewausschnitte). In Folge
werden jegliche Beteiligungsformen an der betrieblichen Mitbestimmung von
vornherein ausgeschlossen. Besonders deutlich kann die distanzierte Haltung zur
betrieblichen Mitbestimmung am Beispiel der Beschäftigten A-WV1 und A-WV2
gemacht werden. Diese manifestiert sich bei ihnen insbesondere im Hinblick auf
die Leiharbeitnehmer/-innen des Einsatzbetriebes. Konfrontiert mit der Tatsache,
dass diese im Gegensatz zu ihnen an der Betriebsratswahl des Einsatzbetriebs
teilnehmen dürfen, antworten sie:
„Find ich okay. Bekommt der Leiharbeiter das Gefühl, dazu zu gehören. Ich hab das
Gefühl auf einer anderen Basis, dazu zu gehören. Und das ist für mich in Ordnung.
[…] Ich weiß nicht, was das für 'ne Wirkung haben sollte außer dieser positiven
Wirkung, dass er sich vielleicht dazugehörig fühlt. Verändern kann ein Fremdarbei-
ter oder äh, Zeitarbeiter nix. Und wenn ein Zeitarbeiter unangenehm, unbequem
wird, dann ist der sofort weg.“ (A-WV2; 544)
„Hab ich kein Problem mit. Ehrlich gesagt, finde ich gut sogar. Weil die geben de-
nen wenigstens so ein bisschen das Gefühl, so dass die hierher gehören, ne. […]
Dass ich hierher reingehöre, das weiß ich. […] Ich kenn die ganzen Meister hier.
[…] Ich fühle mich hier schon wie zuhause. Aber ich finde das gut, dass die Leihar-
beiter wenigstens jetzt anfangen, sich irgendwo wohler zu fühlen.“ (A-WV1; 397-
399)
Hervorgehoben wird dabei die – in der Wahrnehmung der Beschäftigten – ver-
gleichsweise untergeordnete Stellung der Leiharbeitnehmer/-innen, die als Nega-
tivschablone zur eigenen Position verwendet wird. Die betriebliche Mitbestim-
mung übernimmt aus ihrer Sicht eine Integrationsfunktion für die Leiharbeits-
kräfte, auf die sie selber jedoch aufgrund ihrer subjektiv hoch eingeschätzten
Selbstvertretungsfähigkeiten nicht angewiesen sind.
182 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Erreichbarkeit der betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen
Handlungsstrategie des Einsatzbetriebsrats
Verhältnis zum/zur Vorgesetzten im Werkvertragsunternehmen
Nicht-Existenz eines (lokalen) Betriebsratsgremiums im Werkver-
tragsunternehmen
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der hohe Mitbestimmungsaffinität
betrieblichen Mit- Zugehörigkeitsgefühl zum Einsatzbetrieb
bestimmung im biografischer Status
Einsatzbetrieb
Handeln in Bezug auf
Orientierung
die betriebliche Mitbe-
stimmung:
Zentral bei dem bzw. der prekären Ratsuchenden ist zunächst die vergleichswei-
se stark ausgeprägte Mitbestimmungsaffinität. So sind beide Werkvertragsarbeit-
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 183
95 Beide waren zum Zeitpunkt des Interviews seit mehreren Jahren als Werkvertragsbeschäftigte
im Einsatzbetrieb tätig; E-WV1 war zudem zuvor Festangestellter bei Betrieb E.
96 „Das hat für mich finanzielle Vorteile durchaus. Und auch, äh, wieder mehr Urlaubstage. Und
meine Arbeitszeit würde von vierzig auf fünfunddreißig runtergehen.“ (D-WV2; 121)
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 185
97 Die rechtliche Unsicherheit der Beschäftigten bezieht sich vermutlich auf § 4 Abs. 1 BetrVG,
wonach es sich für eine Betriebsratsgründung bei der Niederlassung um einen selbstständigen
Betriebsteil handeln muss.
186 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
le Bindung zum Einsatzbetrieb auf – obwohl er seine Tätigkeit (anders als viele
andere Beschäftigte dieses Samples) in Gemeinschaft mit direkten Kolleg/-innen
der Werkvertragsfirma verrichtet. Bei D-WV2 hingegen bestehen insgesamt
wenige Berührungspunkte mit der Werkvertragsfirma, weshalb das Zugehörig-
keitsgefühl zum Einsatzbetrieb stärker als zum eigentlichen Arbeitgeber ist:
„Naja, mehrere Jahre durchgehend hier arbeiten, das ist schon irgendwie so, als
wenn man hierhingehören würde“ (D-WV2; 239). Bei D-WV2 hat dies zur Fol-
ge, dass er der betrieblichen Mitbestimmung im Werkvertragsunternehmen –
trotz allgemein hoher Mitbestimmungsaffinität – keinerlei Relevanz zuweist.
Sein Informationsgrad ist sehr gering; zudem bestehen keine Ambitionen, sich
diesbezüglich weitere Informationen einzuholen. Insgesamt führt das Zugehörig-
keitsgefühl dazu, dass der Einsatzbetrieb – und damit auch die dortige, betriebli-
che Mitbestimmung – bei diesem Beschäftigtentypus im Vergleich zur Werkver-
tragsfirma im Mittelpunkt der Wahrnehmungen und Bewertungen stehen. In
Folge werden auch die entsprechenden Handlungsressourcen im Einsatzbetrieb
aufgewendet. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Handlungen
von E-WV1 dabei einen kompensatorischen Charakter aufweisen: Der Beschäf-
tigte versucht, die als prekär empfundene Mitbestimmungssituation im Werkver-
tragsunternehmen durch die Beratung des Einsatzbetriebsrats auszugleichen.
Aufgrund der Autorität der Geschäftsleitung des Werkvertragsunternehmens und
aufgrund rechtlicher Unsicherheiten wird es bevorzugt, die bereits vorhandenen
Kontakte zum Einsatzbetriebsrat vertrauensvoll zu nutzen und die rechtlich vor-
gesehenen Handlungsoptionen zu umgehen. Bei dem Beschäftigten D-WV2
stehen eher der Wunsch nach einer Übernahme und die niedrigschwellige Er-
reichbarkeit im Vordergrund der Handlungswahl. Trotz der Diversität der Be-
dingungen kommt es allerdings zu ähnlichen Handlungsselektionen in der Mit-
bestimmungsarena des Einsatzbetriebs.
Für den prekären Aktivisten bzw. die prekäre Aktivistin sind eine Vielzahl von
Bedingungen zu identifizieren, anhand derer sich seine Wahrnehmungen, Bewer-
tungen und seine Handlungsselektion einer Betriebsratsgründung erklären lassen.
Dies spiegelt den Befund wider, dass Betriebsratsgründungen „höchst vorausset-
zungsvoll“ (Artus et al 2015: 26) sind. Hervorstechend bei dem/der prekären
Aktivisten bzw. Aktivistin sind insbesondere die äußeren Bedingungen der Soli-
darisierung der Werkvertragsarbeitnehmer/-innen sowie die Unterstützung durch
die lokale Gewerkschaft. Diese beiden Faktoren beeinflussen maßgeblich die
letztendliche Handlungsentscheidung, eine Betriebsratsgründung voranzutrei-
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 187
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Nicht-Existenz eines (lokalen) Betriebsratsgremiums im Werk-
vertragsunternehmen
Verhältnis zum/zur Vorgesetzten im Werkvertragsunternehmen
Solidarisierung unter den Beschäftigten
Unterstützung durch lokale Gewerkschaft
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der hohe Mitbestimmungsaffinität
betrieblichen Mit- Zugehörigkeitsgefühl zum Werkvertrags-
bestimmung im unternehmen
Einsatz- und biografischer Status
Entsendebetrieb
Handeln in Bezug auf
Orientierung die betriebliche Mitbe-
stimmung:
Zentral ist bei diesem Typ zunächst die insgesamt stark ausgeprägte Mitbestim-
mungsaffinität, die mit einer hohen subjektiven Relevanz betrieblicher Mitbe-
stimmung und einer Präferenz der kollektiven Interessenvertretung (gegenüber
individueller Selbstaushandlung) verbunden ist. Dies wird unter anderem deut-
lich, als der Beschäftigte von den Beweggründen seines Gewerkschaftsaustritts
98 Die Solidarisierung unter den Beschäftigten sowie die gewerkschaftliche Unterstützung als äu-
ßere Bedingungen werden – ebenso wie die übrigen strukturellen Rahmenbedingungen – durch
den Werkvertragsarbeitnehmer wahrgenommen und wirken möglicherweise auch verstärkend
auf die Bewertung der Mitbestimmungssituation als prekär ein (etwa, wenn ein/-e Gewerk-
schaftssekretär/-in oder auch die direkten Kolleg/-innen die Bewertungen des Beschäftigten
bekräftigen und damit die subjektive Situationsdefinition verstärken). In diesem speziellen Fall
weist das Interviewmaterial eher darauf hin, dass die genannten Bedingungen vorwiegend Ein-
fluss auf die Handlungswahl, nicht aber auf die Situationsdefinition als prekär nehmen. Es ist
jedoch nicht vollends auszuschließen, dass der entsprechende Beschäftigte einen Einfluss der
Gewerkschaft auf die Bewertung der betrieblichen Mitbestimmung schlicht nicht genannt hat.
188 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
erzählt, die mit einer Entlassungswelle bei einem seiner vorherigen Arbeitgeber
zusammenhängen:
„Und da hätt ich mir gewünscht, dass wir da mal richtig Zeichen setzen, dass es so
nicht geht. Dass wir [Ort] besetzen. Irgendwie so was. Mal richtig aufmerksam ma-
chen. Mal hier so 'n richtiges Chaos in [Stadt]. Wie in Frankreich.“ (E-WV5; 59)
In Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung betont der Beschäftigte insbeson-
dere die Wichtigkeit einer der originären Aufgaben eines Betriebsrats nach §80
BetrVG Abs. 1: Die Überwachung der zugunsten von Arbeitnehmer/-innen be-
stehenden Gesetze und Regelungen, welche nach Ansicht des Beschäftigten der-
zeit weder durch den Einsatz-, noch durch den Entsendebetriebsrat erfüllt wird.
Eine wichtige Rolle dabei spielt im Falle von E-WV5 auch sein biografischer
Status im Sinne seiner betrieblichen Mitbestimmungssozialisation: Seine mehr-
jährige Festanstellung im Einsatzbetrieb E – indem ein Betriebsrat vorhanden ist
– erlaubt es ihm, auf Basis persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen einen direk-
ten Vergleich der Mitbestimmungssituationen in Einsatz- und Werkvertragsun-
ternehmen zu ziehen. Beide bewertet er vor dem Hintergrund dieser inneren Be-
dingungen entsprechend als prekär.99 Aufgrund der rechtlichen Rahmenbedin-
gungen der betrieblichen Mitbestimmung in Form des BetrVG ist es dem Be-
schäftigten nämlich einerseits verwehrt, sich an den Einsatzbetriebsrat zu wen-
den bzw. sich dort in die institutionalisierten Prozesse einzubringen. Andererseits
existiert in seinem Werkvertragsunternehmen kein (lokales) Betriebsratsgremi-
um, was diesen Ausschluss von der betrieblichen Mitbestimmung kompensieren
könnte.
Statt jedoch die formalen Regelungen zu umgehen (vgl. dazu den Subtypus
des/der prekären Ratsuchenden), fokussiert der/die prekäre Aktivist/-in die
Handlungsressourcen auf das Werkvertragsunternehmen und strebt dort eine
Betriebsratsgründung an. Die Situationsdefinition sowie die letztendliche Hand-
lungswahl werden durch die folgenden Faktoren bedingt bzw. verstärkt:
Zunächst spielen die Bewertung der Arbeitsbedingungen im Werkvertrags-
unternehmen sowie die Autorität der Geschäftsleitung eine maßgebliche Rolle
bei der Situationsbewertung als prekär und der anschließenden Handlungswahl,
eine Betriebsratsgründung in die Wege zu leiten. Als negatives Beispiel wird von
E-WV4 diesbezüglich die Missachtung von tariflichen Regelungen seitens des
Arbeitgebers angeführt. Er formuliert damit einen starken Notstand in Form ei-
99 Anzumerken ist an dieser Stelle, dass der Beschäftigte die Distinktion der Stamm- und Werk-
vertragsbeschäftigten nicht nur hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmung, sondern auch in
anderen Bereichen der sozialen Interaktion wahrnimmt. Dies lässt die Annahme zu, dass sein
subjektives Prekaritätsempfinden der betrieblichen Mitbestimmung möglicherweise durch
weitere Distinktionen verstärkt wird.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 189
nes Ungleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten, der nur von ei-
nem Betriebsrat beseitigt bzw. abgemildert werden kann.
„Ich selber kann vom Chef ja nicht verlangen: ‚Hier leg mal deine Bilanzen offen.
Ich will sehen, was Sache ist.‘ Nein. Aber der Betriebsrat kann ja in die Bücher
reingucken. Der hat das Recht dazu.“ (E-WV4; 123)
Die Unmöglichkeit der individuellen Selbstvertretung aufgrund der beschriebenen,
äußeren Bedingungen macht einen lokalen Betriebsrat für den Beschäftigten „un-
verzichtbar“ (E-WV4; 125). Die als dringlich empfundene Notwendigkeit, die Ar-
beitsbedingungen sowie den Umgang mit den Werkvertragsarbeitnehmer/-innen zu
verbessern, erhöht die subjektive Relevanz von betrieblicher Mitbestimmung im
Werkvertragsunternehmen und weckt das Bedürfnis nach einem Betriebsrat. Die-
ses kann durch den (möglicherweise) zuständigen Betriebsrat am Hauptstandort
des Werkvertragsunternehmens unter anderem aufgrund der räumlichen Distanz
nicht befriedigt werden – das Gremium erscheint als nicht niedrigschwellig er-
reich- und ansprechbar. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der betrieblichen
Mitbestimmung eröffnen dem Beschäftigten einen Handlungsspielraum aus-
schließlich im Werkvertragsunternehmen. Dieser wird in Form des Strebens nach
einer Betriebsratsgründung ausgeschöpft. Diesbezüglich sind zwei zusätzliche,
relevante Faktoren zu identifizieren:
Einerseits existiert unter den Beschäftigten des betroffenen Werkvertrags-
unternehmens offenbar ein gemeinsames Kollektivinteresse, das von einer de-
mokratisch gewählten Institution in legitimer Weise repräsentiert werden könnte
bzw. soll. Dies gilt als eine Grundvoraussetzung für die Gründung eines Be-
triebsrats, setzt aber zugleich ein Mindestmaß an sozialer Gruppenbildung heraus
(vgl. dazu auch Artus et al. 2015: 31 ff.). Im Falle des/der prekären Aktivist/-in
wird dieser Prozess der Solidarisierung dadurch begünstigt, dass die Werkver-
tragsarbeitnehmer/-innen an einem gemeinsamen Arbeitsort, nämlich auf dem
Betriebsgelände des Einsatzbetriebs, tätig sind. Dies ermöglicht den inhaltlichen
Austausch sowie den Zusammenschluss zu einer handlungsfähigen Gruppe. Be-
zogen auf die von Artus et al. (2015) identifizierten fünf Phasen einer Betriebs-
ratsgründung befindet sich die beschriebene Gründung am ehesten am Ende der
„Latenzphase“ (Artus et al. 2015: 38 ff.): Die Idee der Gründung wird betriebsöf-
fentlich und im Austausch mit der Gewerkschaft diskutiert. Die Unterstützung
der lokalen Gewerkschaft spielt daher andererseits eine zentrale Rolle, da sie die
Informationsveranstaltungen für die betroffenen Werkvertragsarbeitnehmer/-in-
nen im Hinblick auf die Betriebsratsgründung organisiert und somit die Hand-
lungsstrategie – zumindest ideell – vorantreibt.
Insgesamt stimmen die Eigenschaften des/der prekären Aktivisten/-in mit
jenen überein, die Artus et al. (2015: 259 f.) für typische Akteur/-innen, die Be-
190 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Äußere Bedingungen:
gesetzliche Rahmenbedingungen
Verhältnis zum/zur Vorgesetzten
Betriebsgröße des Einsatzbetriebs bzw. Erreichbarkeit des
Einsatzbetriebsrats
Kognition
Innere Bedingungen:
Erlebnisse mit der
betrieblichen Mit- (eigentlich) niedrige Mitbestimmungsaffini-
bestimmung im tät
Einsatzbetrieb
Orientierung
Auffallend bei dem Typus des/der prekären Konformen ist zunächst die gering
ausgeprägte Mitbestimmungsaffinität. So ist E-WV5 kein Gewerkschaftsmitglied
und verfügt über keine Mitbestimmungssozialisation im Sinne vorheriger Tätig-
keiten, bei denen ein Betriebsrat existent war. Entsprechend verfügt E-WV5 über
keinen direkten Erfahrungsschatz mit betrieblicher Mitbestimmung und begreift
sich selbst als Person mit guter Verhandlungsposition und hohen Selbstvertre-
tungsfähigkeiten.
„Da wo ich vorher gearbeitet hatte, hatte ich immer das Glück, dass ich wie gesagt
immer direkt zum Geschäftsführer gehen konnte. Und ich hab mich auch in der Lage
gesehen, meine Probleme anzusprechen und auch gewisse Sachen durchzusetzen.
Und, ähm, ich hab ja auch zum Beispiel noch nie Tarifvertragsmäßig gearbeitet in
meinem ganzen Leben. Also das immer selber ausgehandelt.“ (E-WV5; 335)
Der Informationsgrad dieses Typs ist als eher gering einzustufen. Dies zeigt sich
bei E-WV5 darin, dass zu Beginn des Einsatzes von der Zuständigkeit des Ein-
satzbetriebsrats auch für externe Beschäftigte ausgegangen wurde. Jene Erwar-
tung wird jedoch vor allem vor dem Hintergrund der negativen Erlebnisse in der
bereits in der Typologie beschriebenen Problemsituation enttäuscht. Zugleich
bewirkt die geschilderte gesundheitsgefährdende Situation am Arbeitsplatz, dass
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 193
E-WV5 sich zum ersten Mal im Berufsleben auf einen Betriebsrat angewiesen
fühlt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen führen vor diesem Hintergrund einer-
seits zu einem Gefühl des Ausschlusses von der betrieblichen Mitbestimmung im
Vergleich zu den Leih- und Stammarbeitskräften:
„Ja, das ist jetzt das erste Mal, dass ich das so kennenlerne. Und das hat mich jetzt
so ein bisschen verwundert, dass man halt für ganz viele Sachen hier demonstriert.
Und, ne? Und dann auch, ähm, vieles organisiert und, aber dass halt die Externen
wirklich mit allem auf sich alleine gestellt sind.“ (E-WV5; 313)
Andererseits verhindern die gesetzlichen Regelungen der betrieblichen Mitbe-
stimmung, dass sich Werkvertragsarbeitnehmer/-innen offiziell an den Einsatz-
betriebsrat wenden dürfen. Im konkreten Fall fühlt sich die befragte Person des-
halb dazu gezwungen, künftig ihre individuellen Selbstvertretungsfähigkeiten
anzuwenden und im Einsatzbetrieb in ihrem gewohnten, internalisierten Hand-
lungsmuster zu verbleiben: „Ja, da ich das ja nicht gewohnt bin, geh ich ja dann
immer zu Vorgesetzten“ (E-WV5; 319).
Im Gegensatz zum Einsatzbetrieb kann sie in ihrem Werkvertragsunterneh-
men auch weiterhin uneingeschränkt auf ihre Selbstaushandlungsfähigkeiten
vertrauen. In Folge besteht im Werkvertragsunternehmen (in dem kein Betriebs-
rat existent ist) kein Wunsch nach betrieblicher Mitbestimmung.
„Aber wenn ich 'n Problem hatte, bin ich immer zu meinem […] Vorgesetzten ge-
gangen. Weil ich da immer 'n ganz guten Draht hatte. Und, ähm, ja, hab ihm das
immer direkt gesagt. Und das hat immer ganz gut funktioniert. Also würd ich jetzt
auch so machen, wenn irgendwie was ist. […] Ich denke, das ist auch ein bisschen
durch die Größe. Wenn man so 'n bisschen übersichtliche Größe hat und man kennt
dann alle bis nach oben hin, dann hat man immer die Möglichkeiten, sich einzubrin-
gen.“ (E-WV5; 273)
Deutlich wird dabei, dass bei diesem Typus die Betriebsgröße und das nied-
rigschwellige Erreichen einer Ansprechperson eine wesentliche Rolle dabei
spielen, ob die Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssituation als prekär
oder nicht-prekär einzustufen ist. Für E-WV5 stellte die individuelle Selbstver-
tretung bis zur Tätigkeit in Betrieb E kein Problem dar – nun aber, als Werkver-
tragsarbeitnehmer unter den genannten Gegebenheiten in Betrieb E wird das
Fehlen eines adäquaten Ansprechpartners als defizitär empfunden. Die originär
präferierte direkte Kommunikation mit dem/der Vorgesetzten, um etwaige Pro-
bleme zu lösen, wird durch die Betriebsgröße und vergleichsweise stärker aus-
geprägte Hierarchien als erschwert empfunden.
„Also, mein theoretischer Vorgesetzter ist ja immer dann mein Teamleiter. Der Herr
[Name eines Betrieb E-Mitarbeiters]. […] Aber der kann auch in vielen Sachen
nichts machen. […] Der kann das dann halt weitergeben. Dann gibt der das seinem
194 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
Vorgesetzten. Und der gibt's an seinen Vorgesetzten. Und da geht glaub ich schon
immer sehr viel verloren.“ (E-WV5; 321-323)
Daher kommt die befragte Person E-WV5, die vor ihrer Werkvertragstätigkeit in
Betrieb E vermutlich als typische/-r Autarke/-r einzustufen gewesen wäre, zu der
Schlussfolgerung:
„Also ich denke, ab 'ner gewissen Größe ist das [ein Betriebsrat; VB] ein Muss. Und
auch für Leute, äh, die so, ich sag mal, Arbeiten haben, ähm, also wo man nicht von
sich aus sagen kann: Na gut, wenn das hier nicht so klappt, dann such ich mir halt
was anderes. Oder/ Auch für Leute, die so ein bisschen schüchtern sind, ist das
schon ganz wichtig. […] Aber es ist halt hier unabdingbar. Weil hier kann nicht je-
der einzelne gehört werden, ne. Und dann müssen auch mal ab und zu auch mal Ge-
samtinteressen vor Einzelinteressen, ne. Aber auf der anderen Seite haben vielleicht
ganz viele Leute dieselben Probleme. Deswegen ist das schon/ Geht das hier glaub
ich gar nicht ohne.“ (E-WV5; 335)
Der Existenz einer betrieblichen Interessenvertretung wird demnach aufgrund
der genannten äußeren Bedingungen in der Mitbestimmungsarena des Einsatzbe-
triebs eine wesentlich größere Relevanz zugewiesen; das Bedürfnis nach betrieb-
licher Mitbestimmung bzw. eines Ansprechpartners in Form des Einsatzbetriebs-
rats kann jedoch aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht befriedigt
werden. In Folge wird die Mitbestimmungsituation als prekär bewertet. Eine
Beteiligung an der betrieblichen Mitbestimmung ist jedoch aufgrund der gesetz-
lichen Rahmenbedingungen nicht möglich, so dass weiterhin die individuelle
Selbstvertretung ausgeübt wird.
triebsratsgründung aktiv sind, verbleiben die Autarken gemäß der von ihnen
generell bevorzugten Selbstvertretung insgesamt passiv in Bezug auf die betrieb-
liche Mitbestimmung. Bei lediglich einem Subtypus ist zu beobachten, dass im
Einsatzbetrieb Handlungsstrategien genutzt werden, welche die rechtlich vorge-
sehenen Optionen der betrieblichen Mitbestimmung umgehen: Die prekären
Ratsuchenden stehen im Kontakt mit dem Einsatzbetriebsrat, um ihren Bera-
tungsbedarf zu decken.
Zur Erklärung der verschiedenen Situationsdefinitionen und Handlungen
haben sich verschiedene Bedingungen als zentral herausgestellt, die im Folgen-
den zusammenfassend abgehandelt werden.
Äußere Bedingungen
100 Ungeklärt ist dabei, ob dieser tatsächlich für die Beschäftigten zuständig ist – dies ist aber un-
abhängig von der subjektiven Bewertung des Umstands der räumlichen Distanz zu betrachten.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 197
Innere Bedingungen
In Bezug auf die inneren Bedingungen ist zunächst festzuhalten, dass sich bei
den soziostrukturellen Faktoren Alter und Geschlecht der Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen dieses Samples keine übergreifenden Erklärungsmuster erkennen
lassen.102 Hingegen lässt die Analyse des Interviewmaterials den Schluss zu, dass
insbesondere das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Betrieb eine zentrale Rolle bei
den Werkvertragsarbeitnehmer/-innen spielt, ob bzw. in welcher Mitbestim-
mungsarena Aktivitäten bzgl. der betrieblichen Mitbestimmung ausgeübt werden
101 Dass dies keinen Kausalzusammenhang darstellt, zeigt sich unter anderem daran, dass der au-
tarke Beschäftigte E-WV3, der im selben Werkvertragsunternehmen wie E-WV1 und E-WV4
tätig ist, seine individuelle Verhandlungsposition gegenüber derselben Geschäftsleitung als
positiv einstuft und einen Betriebsrat als unnötig erachtet. Vermutlich spielen in diesem
Einzelfall unter anderem die individuelle Mitbestimmungsaffinität und die damit verbundenen
Erwartungen eine Rolle bei der Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssituation.
102 So sind beispielsweise sowohl beim Typus des prekären Ratsuchenden, als auch bei dem In-
tegrierten Fälle der Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren vertreten. Offenbar spielt das Alter
bei den befragten Beschäftigten eine untergeordnete Rolle bei der jeweiligen Prekaritätswahrneh-
mung und -handlung.
Die Aussagen der einzigen weiblichen Werkvertragsarbeitnehmerin des Samples weisen zu-
dem keinerlei Bezug zu genderspezifischen Aspekten der betrieblichen Mitbestimmung auf. Da
nur eine Werkvertragsarbeitnehmerin befragt werden konnte, waren Fallkontrastierungen im Hin-
blick auf geschlechtsspezifische Fragestellungen nicht möglich.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 199
und wie die Mitbestimmungssituation bewertet wird. So ist auffällig, dass insbe-
sondere die Typen, die im Werkvertragsunternehmen in besonderem Maße aktiv
sind – nämlich im Rahmen des Betriebsrats bzw. einer Betriebsratsgründung –
sich explizit vom Einsatzbetrieb abgrenzen und sich dem jeweiligen Werkver-
tragsunternehmen zugehörig fühlen (vgl. dazu den Integrierten und den prekären
Aktivisten). Die jeweilige Solidarisierung unter den Beschäftigten wirkt dabei
möglicherweise verstärkend auf das Zugehörigkeitsgefühl bzw. die emotionale
Bindung.
Zum Einsatzbetrieb hingegen besteht in der überwiegenden Zahl der Fälle
kein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Anzunehmen ist, dass sich auch die Existenz
diverser Distinktionen im Einsatzbetrieb, die von den Beschäftigten genannt
werden, negativ auf das Zugehörigkeitsgefühl auswirken. Dies betrifft Lohnun-
terschiede, die Sicherheit des Arbeitsplatzes aber auch symbolische Grenzzie-
hungen wie die Arbeitskleidung. Eine besondere Rolle spielen im Zusammen-
hang mit der betrieblichen Mitbestimmung jedoch die rechtlichen Bestimmun-
gen, die die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen von der betrieblichen Mitbestim-
mung im Einsatzbetrieb ausschließen. Die Exklusion führt bei den Beschäftigten
des Samples zum Teil zu einer Abschwächung des Zugehörigkeitsgefühls sowie
dazu, dass die betriebliche Mitbestimmung im Einsatzbetrieb in den Hintergrund
rückt und zugleich die Erwartungen an die betriebliche Mitbestimmung im
Werkvertragsunternehmen gerichtet werden.
Umgekehrt ist auffällig, dass die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen, die ein
Aktivitätsniveau im Einsatzbetrieb aufweisen, sich eher dem Einsatzbetrieb zu-
gehörig fühlen (vgl. dazu die prekären Ratsuchenden). Dies ist – bezogen auf
den Einzelfall – bei D-WV2 auf das Teilen eines Gemeinschaftsbüros im Ein-
satzbetrieb und einen geringen Kontakt mit dem Werkvertragsunternehmen zu-
rückzuführen. Bei E-WV1 hingegen beruht das Zugehörigkeitsgefühl vorwie-
gend auf der langen Betriebszugehörigkeitsdauer (mit vorheriger Festanstellung),
die eine hohe Identifikation hervorruft. Insgesamt besteht bzw. bestand bei allen
Beschäftigten mit hohem Zugehörigkeitsgefühl zu einem Betrieb jeweils ein
längerfristiger, sozialer Austausch, was eine emotionale und soziale Verortung
entstehen lässt. Dies führt anscheinend auch dazu, dass – in Verbindung mit
weiteren Faktoren – in einem ersten Schritt Erwartungen und Interesse an be-
trieblicher Mitbestimmung entstehen und dies in einem zweiten Schritt die Betei-
ligung an den Mitbestimmungsprozessen nach sich zieht.
Die autarken und konformen Beschäftigten verorten sich hinsichtlich der
Zugehörigkeit hingegen eher bei ihrem Werkvertragsunternehmen – da sie aber
generell keine stark ausgeprägte Mitbestimmungsaffinität aufweisen, spielt dies
im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung keine Rolle.
200 8 Die Bewertung von und der Umgang mit zwei Mitbestimmungsarenen – zwei Typologien
103 Lediglich die Autarken sind diesbezüglich verhaltener und wollen nicht unbedingt zum Ein-
satzbetrieb wechseln – zum Teil, weil sie sich weitere berufliche Optionen flexibel offenhalten
wollen, aber auch, weil sie mit den Arbeitsbedingungen in ihrem Werkvertragsunternehmen
zufrieden sind.
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 201
tig: Der Fall C-WV2, der dem Typus des/der Integrierten zuzuordnen ist, themati-
siert in diesem Zusammenhang beispielsweise Unsicherheiten bezüglich der Ge-
werkschaftszuständigkeit. Der Fall des prekären Aktivisten erlebte zwar bei einer
vorherigen Beschäftigung Enttäuschungen durch die IG Metall, ist aber einem
erneuten Beitritt zu einem späteren Zeitpunkt nicht abgeneigt.104 Die Relevanzzu-
weisung in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung geht bei den befragten
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen demnach zwar mit der Relevanzzuweisung kol-
lektiver Interessenvertretung auf überbetrieblicher Ebene, aber nicht zwingend mit
einer Gewerkschaftsmitgliedschaft einher.
In Bezug auf den individuellen biografischen Status der Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen lassen sich mit Blick auf die Qualifikation keine übergreifenden
Muster erkennen. Deutlich wird dies erstens bei der Betrachtung der autarken
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen: Unter ihnen befinden sich Beschäftigte mit
(Fach-)Hochschulabschluss, zugleich jedoch auch mit Berufsausbildung. Sie schät-
zen ihre individuelle Selbstaushandlungsfähigkeit vor allem aufgrund des vertrau-
ensvollen Verhältnisses sowie einer loyalen Verbundenheit zum/zur Vorgesetzten
als hoch ein. Zweitens scheint die Qualifikation auch bei denjenigen Werkver-
tragsbeschäftigten keine Rolle zu spielen, die im Werkvertragsunternehmen ein
hohes Aktivitätslevel aufweisen: Der Integrierte verfügt beispielswiese über einen
Hochschulabschluss, während der Aktivist eine Berufsausbildung vorweisen kann.
Das Ausbildungs- und Qualifikationsniveau ist in diesen Fällen anscheinend nicht
vordergründig ausschlaggebend für die Einschätzung der individuellen Selbstaus-
handlungsfähigkeiten. Dies zeigt sich auch im Falle des prekären, konformen Ty-
pus: Als Hochqualifizierter werden die eigenen Selbstvertretungsfähigkeiten hier
zwar als generell hoch bewertet – als externe Arbeitskraft kommt die befragte Per-
son im Einsatzbetrieb jedoch (wie in der Typologie gezeigt) diesbezüglich an ihre
Grenzen.
Ein eindeutiges Bild zeigt sich hinsichtlich der Erwerbsverläufe: Insbeson-
dere die Beschäftigten der prekären Ratsuchenden und des prekären Aktivisten
verfügen offenbar vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Betriebszugehörigkeit
zum Einsatzbetrieb (teilweise in Form einer Festanstellung) über einen normati-
ven Referenzrahmen in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung. Sie sind in
der Lage, den Einsatzbetrieb mit ihrem Werkvertragsunternehmen in Bezug auf
die betriebliche Mitbestimmung vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfah-
rungen abzugleichen. Da dort kein örtlicher Betriebsrat existiert, wird das Werk-
vertragsunternehmen gewissermaßen zum Negativbeispiel; es erfolgt eine Be-
wertung der betrieblichen Mitbestimmung als prekär. Ausschlaggebend ist dabei
104 „Also ich bin nicht abgeneigt gegenüber und sage, das ist alles Quatsch. Das stimmt natürlich
nicht. Da muss aber erst was passieren, bevor da jetzt wieder Vertrauen, sag ich mal, kommt.“
(E-WV4; 79)
8.3 Werkvertragsarbeitnehmer/-innen – Typologie und zentrale Wirkungszusammenhänge 203
105 Ein greifbares Beispiel dafür ist der Beschäftigte E-WV6, der genau wie die Beschäftigten der
prekären Ratsuchenden und des prekären Aktivisten vor seiner Werkvertragstätigkeit viele Jah-
re als Festangestellter im Einsatzbetrieb E tätig war. Aufgrund seiner autarken Grundhaltung
erfolgt jedoch selbst bei einem direkten Vergleich der Mitbestimmungssituationen keine Be-
wertung als prekär, da er seine individuelle Selbstaushandlungsposition gegenüber seinem
Vorgesetzten als gut bewertet und daher einen Betriebsrat für unnötig hält.
9 Gegenüberstellung der Typologien und
Wirkungszusammenhänge
Der/die
- Aktivitätsniveau Einsatzbetrieb: nicht Der/die - Aktivitätsniveau Einsatz- und Entsendebe-
prekäre
prekäre
Verwei- vorhanden (Verweigerung) trieb: nicht vorhanden
Konforme
gernde - Aktivitätsniveau Entsendebetrieb: nicht - Betonung der individuellen Selbstaus-
vorhanden handlungsfähigkeiten im Entsendebetrieb,
nicht aber im Einsatzbetrieb
207
208 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
Bei einer Gegenüberstellung zeigt sich, dass die Situationsdefinitionen der Leih-
und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen je nach Beschäftigungsform auf unter-
schiedlichen Grundlagen beruhen und unterschiedliche Ausprägungen besitzen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Bewertung der Mitbestimmungssituation als
nicht-prekär im Sample der vorliegenden Arbeit zwei Formen annimmt: Auf der
einen Seite umfasst eine Situationsdefinition als nicht-prekär die Integration in
die betriebliche Mitbestimmung sowie eine positive Bewertung dessen. Diese
Ausprägung zeigt sich bei den integrierten Leih- und Werkvertragsarbeitneh-
mer/-innen und beruht unter anderem auf erfüllten Erwartungen durch die be-
triebliche Interessenvertretung sowie positiven Erlebnissen mit dieser. Im Unter-
schied zu den Leiharbeitnehmer/-innen begreifen sich die Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen jedoch ausschließlich im Werkvertragsunternehmen und nicht im
Einsatzbetrieb als integriert. Zu begründen ist dies mit den gesetzlichen Rah-
menbedingungen, die eine Integration von Werkvertragskräften in die betrieb-
9.1 Vergleichende Betrachtung der Typologien – ein Überblick 209
liche Mitbestimmung des Einsatzbetriebs nicht vorsieht. Auf der anderen Seite
kann die Situationsdefinition als nicht-prekär auch Gleichgültigkeit und/oder
eine Distanzierung von der betrieblichen Mitbestimmung umfassen. Insbesonde-
re bei den autarken Typen zeigt sich eine bewusste Abgrenzung von der betrieb-
lichen Mitbestimmung. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die
Werkvertragsbeschäftigten oftmals insbesondere von den Mitbestimmungspro-
zessen des Einsatzbetriebs distanzieren. Diese Form der Desintegration wird
allerdings nicht negativ bewertet. Nicht-Prekarität in Form von Gleichgültigkeit
oder Desinteresse kommt hingegen bei den Leiharbeitnehmer/-innen vor allem
gegenüber der betrieblichen Mitbestimmung der Leiharbeitsfirma sowie bei den
unbefangenen Autarken zum Tragen.
Auch die Wahrnehmung und Bewertung von Prekarität in Bezug auf die be-
triebliche Mitbestimmung existiert im Sample in zwei Formen: Den Werkver-
tragsarbeitnehmer/-innen fehlt – wenn ihre Bewertung der betrieblichen Mitbe-
stimmungssituation als prekär eingestuft wurde – entweder im Werkvertragsun-
ternehmen oder im Einsatzbetrieb generell ein Ansprechpartner in Form eines
Betriebsrats. Im Einsatzbetrieb ist dies mit der Tatsache zu begründen, dass sie
aufgrund gesetzlicher Bestimmungen von der betrieblichen Mitbestimmung im
Einsatzbetrieb exkludiert sind und sich im Gegensatz zu den Leiharbeitnehmer/-
innen weder an betrieblichen Mitbestimmungsprozessen gleichberechtigt beteili-
gen können, noch von den verschiedenen Funktionen eines Betriebsrats profitie-
ren können. Im Werkvertragsunternehmen bezieht sich die Bewertung der be-
trieblichen Mitbestimmungssituation auf die Nicht-Existenz eines Betriebsrats;
ihre Bedürfnisse nach einer Interessenvertretung sind also fundamentaler Natur.
Für die Leiharbeitskräfte besitzt der Einsatzbetriebsrat hingegen ein Vertre-
tungsmandat. Die Prekaritätsbewertung der Leiharbeitnehmer/-innen beruht
entsprechend darauf, dass der Einsatzbetriebsrat sein Mandat nicht entsprechend
ihrer Erwartungen ausfüllt bzw. ausübt, was zu Enttäuschungen führt. Trotz for-
maler, rechtlicher Integration (im Unterschied zu den Werkvertragsarbeitneh-
mer/-innen) fühlen sie sich also im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung
im Einsatzbetrieb desintegriert. Betont wird dabei oftmals eine Benachteiligung
im Hinblick auf die Festangestellten. Die prekären Werkvertragsarbeitnehmer/-
innen der Typologie befinden sich somit grundsätzlich auf einer anderen „Stufe“
der Prekaritätswahrnehmung und –bewertung. Die Integration in die betriebliche
Mitbestimmung des Einsatzbetriebs, über welche die Leiharbeitnehmer/-innen
(zumindest formal) bereits verfügen, wird von ihnen angestrebt. Der Entsendebe-
trieb kann dieses Defizit jedoch nicht zwangsläufig ausgleichen – vor allem,
wenn dort kein niedrigschwellig erreichbares Betriebsratsgremium existiert (vgl.
bspw. den/die prekäre/-n Aktivisten/-in).
210 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
106 Die einzige – wenngleich marginale – Abweichung von diesem Muster bildet in diesem Zusam-
menhang der Fall (E-LA1) des prekären Aktiven, der vom Einsatzbetriebsrat an den Betriebsrat
der Leiharbeitsfirma verwiesen wurde und aufgrund dessen in Kontakt mit ihm steht. Dieser Be-
schäftigte ist zugleich der einzige, bei dem die Bewertung der betrieblichen Mitbestimmungssitua-
tion in der Leiharbeitsfirma als prekär eingestuft wurde. Er kann hinsichtlich seiner speziellen, äu-
ßeren Bedingungen (Erreichbarkeit der betrieblichen Mitbestimmung) als Sonderfall eingestuft
werden, auf die auch in Kapitel 9.2 eingegangen wird.
107 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass dieses Ergebnis nicht repräsentativ ist. Zwar ist die Be-
triebsratsdichte in Leiharbeitsfirmen vergleichsweise gering (Promberger 2012: 226), dennoch
müsste es in logischer Konsequenz Leiharbeitnehmer/-innen geben, die sich aktiv an der be-
trieblichen Mitbestimmung ihres Entsendebetriebs beteiligen. Dennoch ist hier von einer Ten-
denz auszugehen: Wo weniger Betriebsräte existieren, ist auch die Beteiligung geringer.
212 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
Die nachfolgende Tabelle 7 gibt einen Überblick über die jeweiligen Bedingun-
gen, die zur Erklärung der Situationsdefinitionen und Handlungsselektionen die-
nen. Die hellgrau hinterlegten Felder der Tabelle beinhalten die äußeren Bedin-
gungen, die weißen Felder die inneren Bedingungen.
Legende:
Kognition ~ Distanzierung
Situationsdefinition & Handlung hoch
+ positive Bewertung niedrig
- negative Bewertung WU Werkvertragsunternehmen
216 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
Als zentrale „Weichen“ der Bewertung sowie der Handlungswahl in den betrieb-
lichen Mitbestimmungsarenen haben sich bei beiden Beschäftigungsformen auf
der einen Seite die gesetzlichen Rahmenbedingungen der betrieblichen Mitbe-
stimmung, die Zugänglichkeit bzw. Erreichbarkeit der Mitbestimmungsinstituti-
onen, die Existenz eines Betriebsrats und dessen Strategie sowie das Verhältnis
zum/zur Vorgesetzten herausgestellt. Als innere Bedingungen sind das Zugehö-
rigkeitsgefühl, die jeweilige Mitbestimmungsaffinität und vorangegangene Er-
lebnisse mit der betrieblichen Mitbestimmung sowie der biografische Status
auszumachen, vor deren Hintergrund die Mitbestimmungssituation bewertet wird
und eine Handlung selektiert wird. Lokale Gewerkschaften nehmen in Bezug auf
die Handlungswahl einer Betriebsratsgründung einen Sonderstatus ein. Hinsicht-
lich der sozialstrukturellen Faktoren des Alters und des Geschlechts sind hinge-
gen bei beiden Beschäftigungsformen keine übergreifenden Muster zu erkennen,
weshalb dieser Faktor im Folgenden nicht weiter berücksichtigt wird. 108
Die entscheidenden inneren und äußeren Bedingungen für die verschiede-
nen Typen der beiden Beschäftigungsformen Leih- und Werkvertragsarbeit wer-
den im Folgenden vergleichend abgehandelt. Zu beachten ist dabei, dass diese
zwar zum Zwecke der Analyse getrennt wurden, sie faktisch aber miteinander
verflochten sind und sich – wie in den Typologien bereits gezeigt – zum Teil
auch gegenseitig beeinflussen.
108 Zu vermuten wäre allerdings, dass das Alter insofern eine Rolle spielt, als dass mit zunehmen-
der Dauer der Erwerbstätigkeit auch die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, verschiedene Erfah-
rungen mit der betrieblichen Mitbestimmung zu sammeln und bestimmte Einstellungen gegen-
über kollektiver, aber auch individueller Interessenvertretung verinnerlicht werden – beispiels-
weise durch die Erfahrung einer Festanstellung, bei der wiederum andere Rahmenbedingungen
für die betriebliche Mitbestimmung gelten. Auf Grundlage dieses Samples können dazu jedoch
(wie in Kapitel 8 gezeigt) keine Aussagen gemacht werden.
Auch in Bezug auf die Geschlechterverteilung lassen sich keine Aussagen treffen – die Fallzahl
an weiblichen Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ist in diesem Sample schlicht zu ge-
ring, um anhand von Fallvergleichen und –kontrastierungen Aussagen zu geschlechtsspezifi-
schen Besonderheiten zu treffen oder die Wahrnehmungen und Bewertungen geschlechtsspezi-
fisch zu erklären. Auch dieser Faktor findet daher im weiteren Verlauf keine Berücksichtigung.
Es sei an dieser Stelle auf künftigen Forschungsbedarf verwiesen, der sich auf Alters- und Ge-
schlechtsspezifika bei der Haltung zur betrieblichen Mitbestimmung bezieht.
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 217
gungen den Beschäftigten als Maßstab für die Bewertung der eigenen Situation
und tragen dabei maßgeblich zur Situationsdefinition prekär bzw. nicht-prekär
bei. Wie bereits in Kapitel 3 gezeigt wurde, ist Prekarität bzw. prekäre Be-
schäftigung das Ergebnis sozialer Zuschreibungen auf der Basis eines normati-
ven Vergleichsmaßstabs, nämlich des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses.
Im Falle von Leih- und Werkvertragsarbeit stellt der Einsatzbetrieb den Ort dar,
wo die Unterschiede zum Normalarbeitsverhältnis manifest werden. Hier voll-
bringen Beschäftigte mit unterschiedlichen Arbeitsvertragsformen bzw. Arbeit-
geber/-innen – oftmals ohne räumliche Trennung – ihre Arbeitsleistung und ste-
hen in Kontakt zueinander. Somit ist es den Leih- und Werkvertragsarbeitneh-
mer/-innen möglich, den Zugang zu Rechten bezüglich der betrieblichen Mitbe-
stimmung mit denen der Festangestellten auf Unterschiede und Gemeinsamkei-
ten zu vergleichen und hinsichtlich ihrer Prekarität bzw. Nicht-Prekarität zu
bewerten. Dieser Abgleich findet nicht nur zwischen externen und internen Be-
schäftigten, sondern auch unter den Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen
statt, die das jeweils andere Beschäftigungsverhältnis als Vergleichsmaßstab an
das eigene anlegen und so zu einem Schluss hinsichtlich der eigenen Situation
kommen.
Auf der anderen Seite eröffnen die gesetzlichen Rahmenbedingungen den
Leiharbeitskräften den Handlungsspielraum für eine Beteiligung an der betriebli-
chen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb und wirken damit partiell aktivitätsför-
dernd. Für die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen hingegen werden die Alternati-
ven der Handlungswahl stark eingegrenzt und Aktivitäten damit gehemmt. Deut-
lich wird dies beispielsweise mit Blick auf die integrierten Leih- und Werkver-
tragsarbeitnehmer/-innen: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen der betriebli-
chen Mitbestimmung sind es, die ihnen die jeweilige Integration durch Beteili-
gung sowie positive Erlebnisse erlauben. Den Leiharbeitnehmer/-innen steht die-
se Option in beiden Mitbestimmungsarenen offen; den Werkvertragsarbeitneh-
mer/-innen bleibt nur der „offizielle“ Weg durch die Beteiligung im Werkver-
tragsunternehmen, weshalb bei diesem Typus auch nur dort Partizipation erfolgt.
Wie gezeigt werden konnte, wirkt die Gesetzgebung der betrieblichen Mit-
bestimmung im Einsatzbetrieb für die Leiharbeitnehmer/-innen zum Teil egali-
sierend: Die Integrierten fühlen sich in die Mitbestimmung einbezogen und den
Festangestellten gleichgestellt. Damit erlauben und fördern die rechtlichen Rah-
menbedingungen eine Integration in den Einsatzbetrieb gleichermaßen. Ebenso
aber dienen sie gewissermaßen als Maßstab der Beschäftigten dafür, ob der dies-
bezügliche, theoretische (Beinahe-)Arbeitnehmer/-innenstatus der Leiharbeit-
nehmer/-innen auch durch den Betriebsrat in der Praxis umsetzbar ist bzw. um-
gesetzt wird. Im Falle des/der prekären Aktiven sowie des/der prekäre/-n Ver-
weigernden kommen die Beschäftigten durch den Abgleich zwischen Theorie
218 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
109 Eine niedrigschwellige Erreichbarkeit führt aber nicht zwangsläufig zu einer Beteiligung an der
betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb: Bei den autarken Leih- und Werkvertragsar-
beitnehmer/-innen spielt die räumliche Distanz bzw. die Hoch- oder Niedrigschwelligkeit der
betrieblichen Mitbestimmungsinstitutionen keinerlei Rolle für die Bewertungen und Handlun-
gen – ihre Präferenz der individuellen Selbstvertretung ist vermutlich unabhängig davon zu se-
hen.
220 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
Dies hat Auswirkungen auf die Bewertungen sowie auf das dortige Aktivitätsni-
veau: Insbesondere die Leiharbeitnehmer/-innen geben an, beispielsweise auf-
grund fehlender Kenntnis der Kandidat/-innen nicht an der dortigen Betriebs-
ratswahl teilzunehmen. Keine/r der Leiharbeitnehmer/-innen stuft dies jedoch als
prekär ein; vielmehr ist auffällig, dass diesbezüglich keinerlei Erwartungen oder
Bedürfnisse geäußert werden. Anzunehmen ist, dass die betriebliche Mitbestim-
mung bei diesen Beschäftigten dadurch, dass sie im betrieblichen Alltag wenig
präsent ist, auch in den Hintergrund der Wahrnehmungen und Bewertungen
rückt. Dieses Ergebnis findet sich in ähnlicher Ausprägung bei Wilkesmann et al.
(2011b: 152) wieder, wonach Leiharbeitnehmer/-innen insbesondere aufgrund
der räumlichen Trennung von tatsächlichem Arbeits- und Anstellungsort wenig
persönliche Unterstützung von ihrer Interessenvertretung der Leiharbeitsfirma
erwarten. Da der niedrigschwellig zu erreichende Einsatzbetriebsrat aus Sicht der
Beschäftigten jegliche Funktionen der betrieblichen Mitbestimmung erfüllt (bzw.
zum Teil nicht erfüllt), besteht bei den Leiharbeitnehmer/-innen zudem vermut-
lich kein Bedarf, die Interessenvertretung im Entsendebetrieb zu kontaktieren.
Von Teilen der Werkvertragsarbeitnehmer/-innen hingegen wird die schlechte
Erreichbarkeit und räumliche Distanz zum (nicht-lokalen) Entsendebetriebsrats
durchaus kritisiert (insbesondere von Teilen der prekären Ratsuchenden und von
dem bzw. der prekären Aktivisten/Aktivistin). Verstärkend kommt in diesen Fällen
hinzu, dass laut der betroffenen Beschäftigten von Seiten des Entsendebetriebsrats
anscheinend keine Bemühungen bestehen, um Kontakt herzustellen. Ein Ausgleich
dieses Defizits kann aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen – anders als
bei den Leiharbeitnehmer/-innen – nicht bzw. nur partiell im Einsatzbetrieb statt-
finden. Der/die prekäre Aktivist/-in wendet in Reaktion auf die als defizitär emp-
fundene Erreichbarkeit der Interessenvertretung daher seine Handlungsressourcen
in der Mitbestimmungsarena des Einsatzbetriebs auf, indem er dort selbst eine
Betriebsratsgründung vorantreibt.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die räumliche Distanz zu den betrieb-
lichen Mitbestimmungsinstitutionen nicht zwangsläufig ein Prekaritätsempfinden
nach sich ziehen bzw. eine Hürde für die Beteiligung der Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen an der betrieblichen Mitbestimmung darstellen muss. Deutlich
wird dies am Beispiel des Typus des integrierten Werkvertragsarbeitnehmers,
der trotz der räumlichen Distanz zum Werkvertragsunternehmen Betriebsratsmit-
glied geworden ist. Bei ihm tragen unter anderem die inneren Bedingungen einer
besonders stark ausgeprägte Mitbestimmungsaffinität und -sozialisation dazu
bei, diese Aktivitäten auszuüben.
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 221
Zur Einflussnahme der Betriebsräte auf die Bewertungen und Handlungen sind –
zumindest auf Grundlage des Samples der vorliegenden Arbeit – nur einge-
schränkt Aussagen möglich.
Die Analyse der Leiharbeitnehmer/-innen hat gezeigt, dass beispielsweise
eine ausgedehnte Kontaktstrategie des Betriebsrats sehr wohl positiv auf Situati-
onsdefinition der betrieblichen Mitbestimmung wirken und letztendlich möglich-
erweise auch zu Handlungen motivieren kann – aber nicht zwangsläufig muss.
So bewerten Leiharbeitnehmer/-innen desselben Einsatzbetriebs die Strategien
des dortigen Einsatzbetriebsrats extrem konträr. Es scheint daher stark von den
individuell gemachten Erfahrungen und Wertvorstellungen abzuhängen, wie
verschiedene Aktivitäten des Betriebsrats wahrgenommen werden. Ähnliches
gilt vermutlich auch für die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen. Auffällig ist dabei
allerdings, dass sich einige Betriebsräte für die Werkvertragsbeschäftigten im
Einsatzbetrieb öffnen und – sofern gewünscht – Beratungen durchführen. Dies
steigert zwar das Aktivitätsniveau und deckt kurzfristig beispielsweise einen
Beratungsbedarf. Insgesamt scheint es jedoch, wie schon erwähnt, wenig Ein-
fluss auf die Bewertung der Gesamtsituation, die durch ein Exklusionsempfinden
von der betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbetrieb geprägt ist, zu nehmen.
Der Einsatzbetriebsrat kann nämlich – wie bereits mehrfach betont – aufgrund
der gesetzlichen Rahmenbedingungen keine Vertretungsfunktion für Werkver-
tragsarbeitnehmer/-innen übernehmen. Festzustellen ist weiterhin, dass die je-
weiligen Betriebsratsstrategien bei den autarken Leih- und Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen vermutlich nur eine geringfügige Rolle bei der Bewertung und
den gewählten Handlungen spielen: Sie grenzen sich unabhängig davon von der
Thematik der betrieblichen Mitbestimmung ab.
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 223
und -firma: Alle Beschäftigten dieser Gruppe haben – abgesehen von Kommuni-
kation in Bezug auf Einsatzwechsel oder Lohnabrechnungen – keinen bzw. nur
sehr wenig Kontakt zu den Vorgesetzten der Leiharbeitsfirma. Möglicherweise
ist somit auch das Konfliktpotenzial als geringer einzuschätzen. In Folge nimmt
das Verhältnis zum bzw. zur Vorgesetzten und damit auch die Interessenaus-
handlung in Bezug auf Arbeitsbedingungen o. ä. in der Leiharbeitsfirma oftmals
eine – im Vergleich zum Einsatzbetrieb – geringere Relevanz ein als bei den
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen.
110 Der Grund dafür ist unklar; in Frage kommt einerseits, dass der Betriebsrat nicht zuständig ist
und somit über keine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten verfügt. Andererseits ist es – eine
Zuständigkeit vorausgesetzt – möglich, dass kein Interesse bestand, betriebsratsfreie Betriebe
zu erschließen.
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 225
Die emotionale Bindung zum Einsatz- bzw. Entsendebetrieb sowie der Wunsch
nach einem Zugehörigkeitsgefühl haben sich als zentrale innere Bedingung für
die Wahrnehmung, Bewertung und Handlung in Bezug auf die betriebliche Mit-
bestimmung herausgestellt. Nach Pfaff-Czarnecka (2012) kann Zugehörigkeit
verstanden werden als „eine emotionsgeladene soziale Verortung, die durch das
Wechselspiel der Wahrnehmungen und der Performanz der Gemeinsamkeit, der
226 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
111 Der überwiegende Teil der Leiharbeitnehmer/-innen des Samples betonten im Interview das
gute Verhältnis sowie die soziale Integration in die Stammbelegschaft des Einsatzbetriebs.
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 227
ringer eingeschätzt wird. Die Integrationsfunktion kommt also nur vollständig zum
Tragen, wenn positive Erfahrungen mit der betrieblichen Mitbestimmung gesam-
melt werden und die Mitbestimmungssituation entsprechend als nicht-prekär be-
wertet wird.
In Bezug auf die Leiharbeitsfirma ist anzunehmen, dass das bestehende,
meist sehr viel geringere Zugehörigkeitsgefühl zugleich eine Hürde für die Soli-
darisierung unter den Leiharbeitnehmer/-innen darstellen kann (beispielsweise
im Falle des Wunsches nach einer Betriebsratsgründung). Da die Beschäftigten
oftmals in verschiedensten Betrieben eingesetzt sind, treffen sie eher selten auf
direkte Kolleg/-innen. Es ist daher zu vermuten, dass sich dies sowohl auf die
Bindung zum Betrieb, als auch auf das Zusammengehörigkeitsgefühl in der
Leiharbeitnehmer/-innenbelegschaft auswirkt.
Bei den Werkvertragsarbeitnehmer/-innen hingegen ist überwiegend ein
stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zum Werkvertragsunternehmen festzustellen. Die
zum Teil bestehende räumliche Abgrenzung, die größtenteils geringere soziale
Integration in die Stammbelegschaft als die der Leiharbeitnehmer/-innen sowie
immaterielle bzw. materielle Distinktionen zwischen Stamm- und Werkvertrags-
beschäftigten führen dazu, dass die Bindung zum Einsatzbetrieb vergleichsweise
schwächer ausgeprägt ist. Nicht zuletzt tragen auch die gesetzlichen Rah-
menbedingungen der betrieblichen Mitbestimmung zu einer Grenzziehung zwi-
schen den Beschäftigtengruppen bei, so dass diese im Einsatzbetrieb – anders als
bei den Leiharbeitnehmer/-innen – keine Integrationsfunktion erfüllen kann. In
den Fällen des/der integrierten Werkvertragsarbeitnehmers/-in und des/der pre-
kären Aktivisten bzw. Aktivistin erfolgen daher eine bewusste Distanzierung vom
Einsatzbetrieb und eine Partizipation an der betrieblichen Mitbestimmung im
Werkvertragsunternehmen.
Hervorzuheben ist zwar, dass auch bei Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ein
Zugehörigkeitsgefühl zum Einsatzbetrieb bestehen kann – etwa wenn diese ein
gemeinsames Büro mit Festangestellten nutzen und daher täglich mit diesen in
Kontakt stehen, oder wenn die hohe Identifikation mit dem Einsatzbetrieb durch
eine vorherige, langjährige Festanstellung auch über die Festanstellung hinaus
wirkt. Dies tritt bei dem Typus des/der prekären Ratsuchenden auf. Die betriebli-
che Mitbestimmung kann aber selbst unter diesen Bedingungen nicht zu einer
Verstärkung des Zugehörigkeitsgefühls führen und damit eine Integrationsfunktion
erfüllen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen schließen das Stellen von Ansprü-
chen oder Erwartungen an die betriebliche Interessenvertretung des Einsatzbetriebs
von vornherein ebenso aus wie die Teilnahme an Betriebsratswahlen oder Be-
triebsversammlungen.
Im Zusammenhang mit dem Zugehörigkeitsgefühl ist auch der Wunsch nach
einer Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis im Einsatzbetrieb zentral. Kaum
228 9 Gegenüberstellung der Typologien und Wirkungszusammenhänge
112 In Bezug auf die Leiharbeitnehmer/-innen spiegeln sich hier die Ergebnisse von Connelly et al.
(2007) wider, nach denen Personen, die Leiharbeit unfreiwillig ausüben, eine höhere Bindung
zum Einsatzbetrieb ausbilden.
113 Als spezifische Gründe für den Übernahmewunsch wurden in den Interviews unter anderem
die höhere Arbeitsplatzsicherheit einer Festanstellung, finanzielle Vorteile (sowohl durch die
Lohn- bzw. Gehaltshöhe, als auch durch Gewinnbeteiligungen o.ä.), bessere Aufstiegs- und
Karrieremöglichkeiten, aber auch das Verhältnis zu den direkten Kolleg/-innen genannt.
114 Vgl. zu dieser Thematik auch Elias/Scotson (1990).
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 229
Als zentral für die Bewertungen und Handlungen der Leih- und Werkvertragsar-
beitnehmer/-innen haben sich auch die Einsatzdauer im Einsatzbetrieb sowie der
Erwerbsverlauf herausgestellt. Eine kurze Einsatzdauer kann die betriebliche
Mitbestimmung (vorübergehend) in den Hintergrund rücken lassen, wie sich bei
den unbefangenen, autarken Leiharbeitnehmer/-innen zeigt. Diese bewerten ihre
Mitbestimmungssituation als nicht-prekär und stehen ihr (noch) gleichgültig
gegenüber, so dass keine Beteiligung erfolgt. Mit einer längeren Einsatzdauer
und Betriebszugehörigkeit hingegen geht vermutlich ein erhöhter Informations-
grad über die betriebliche Mitbestimmung sowie häufigere soziale Interaktionen
mit dem Betriebsrat einher. Dies führt letztendlich zu einem vertrauten Verhält-
nis zum Betriebsrat und resultiert beispielsweise in der Kontaktierung des Be-
triebsrats bei Problemen o.ä. (vgl. dazu beispielsweise die integrierten Leihar-
beitnehmer/-innen, die alle seit mehr als drei Monaten und zum Teil sogar schon
mehrere Jahre im Einsatzbetrieb tätig waren). Ein Spezifikum von Leiharbeit ist
allerdings eine hohe Fluktuation und Dynamik des Beschäftigungsverhältnisses:
So waren Leiharbeitnehmer/-innen, die 2011 eine Beschäftigung begannen,
durchschnittlich nur 3,4 Monate (im Median) bei einer Leiharbeitsfirma beschäf-
tigt. Zwar existieren keine Daten über die jeweilige durchschnittliche Einsatz-
dauer beim Kundenunternehmen – es ist aber wahrscheinlich, dass nach der Ab-
schaffung des Synchronisationsverbots (vgl. dazu auch Kapitel 2) vorwiegend
kurze Beschäftigungsdauern mit der Überlassungsdauer übereinstimmen (Hal-
ler/Jahn 2014).115 Da eine langjährige betriebliche Sozialisation als eine zentrale
Voraussetzung für den Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen
Betriebsrat und Beschäftigten gilt (Rami/Hunger 2011), ist diese Möglichkeit für
die Leiharbeitskräfte unter diesen Bedingungen vermutlich stark eingeschränkt
und führt zumindest teilweise zu einer geringeren Partizipation.
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der gesamte Erwerbsverlauf, und da-
bei insbesondere eine vorherige Festanstellung im Einsatzbetrieb, zur Genese der
inneren Bedingungen beiträgt und damit bei beiden Beschäftigtengruppen einen
zentralen Einfluss auf die Bewertungen und Aktivitäten hinsichtlich der betrieb-
lichen Mitbestimmungssituation hat: Durch eine langjährige Betriebszugehörig-
keit und die Tätigkeit als Stammbeschäftigter verfügen die Beschäftigten offen-
bar zum Teil über einen spezifischen normativen Referenzrahmen in Bezug auf
die betriebliche Mitbestimmung. Dieser bietet ihnen vermutlich ein anderes „Be-
wertungsschema“ der äußeren Bedingungen als Personen, die seit jeher externe
Beschäftigte sind oder aber noch nie Erfahrungen mit der betrieblichen Mitbe-
stimmung überhaupt gesammelt haben. Deutlich wird das vor allem bei den
Fällen E-WV1 und E-WV4 (prekärer Ratsuchender bzw. prekärer Aktivist), die
beide vor ihrer Werkvertragstätigkeit viele Jahre Festangestellte im Einsatz-
betrieb waren und ihre jetzige Mitbestimmungssituation im Vergleich zu vorher
als sehr prekär bewerten.
Hinsichtlich der Qualifikation sind bei beiden Beschäftigungsformen keine
übergreifenden Muster zu erkennen, mit Hilfe derer man die Situationsdefinitio-
nen und Handlungen in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung erklären
könnte. Vielmehr scheinen verschiedenste Faktoren die Einschätzung der eige-
nen Verhandlungsposition zu beeinflussen: So sind beispielsweise die distanzier-
ten, autarken Leiharbeitnehmer/-innen alle hochqualifiziert und bewerten dem-
entsprechend ihre Selbstaushandlungsfähigkeiten als hoch. Dies ist kongruent zu
den Erkenntnissen bezüglich der Interessenvertretung hochqualifizierter Beschäf-
tigter, bei denen die Relevanz eigenverantwortlicher Vertretung und Regulierung
der Interessen aus Sicht der Beschäftigten betont wird (Boes/Trinks 2006; Holt-
rup 2008; Kotthoff 1997; Mehlis 2008; Städler et al. 2004). Hingegen ist bei den
autarken Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ein gemischtes Qualifikationsniveau
festzustellen, so dass hier weitere Faktoren zu einer positiv eingeschätzten Ver-
handlungsposition führen müssen. Vermutlich kommt hier das bereits in der
Typologie beschriebene, als gut bewertete Verhältnis zum/zur jeweiligen Vorge-
setzten im Werkvertragsunternehmen zum Tragen (vgl. dazu auch Abschnitt
9.2.4).
Im Umkehrschluss ist allerdings nicht zu beobachten, dass alle Hochqualifi-
zierten des Samples ihre individuelle Verhandlungsposition positiv bewerten und
entsprechend keine Mitbestimmungsaffinität aufweisen. So sind beispielsweise
die Fälle des prekären Verweigernden, aber auch teilweise der prekären Aktiven
hochqualifizierte Leiharbeitnehmer/-innen, die eine hohe Mitbestimmungsaffini-
tät insbesondere in Bezug auf den Einsatzbetrieb aufweisen und ausgeprägte
Erwartungen an den jeweiligen Betriebsrat richten. Ebenfalls verfügt der inte-
grierte Werkvertragsarbeitnehmer, der Betriebsratsmitglied ist, über einen Hoch-
schulabschluss. Dies korrespondiert mit den Ergebnissen von Wilkesmann et al.
(2011: 229), nach denen eine Prekarisierung zu deutlich höheren und umfangrei-
cheren Erwartungen an betriebliche Interessenvertretungen führt. Eine mögliche
Interpretation lautet an dieser Stelle, dass auch der Status als Leih- und Werkver-
tragsarbeitnehmer/-in dazu beiträgt, dass die individuelle Selbstaushandlungsfä-
higkeit als vergleichsweise gering eingeschätzt wird. Leih- und Werkvertragsar-
beit zeichnen sich tendenziell durch vom sogenannten Normalarbeitsverhältnis
abweichende, schlechtere Arbeitsbedingungen aus (vgl. dazu unter anderem
Obermeier/Sell 2016; Brehmer/Seifert 2008). Besonders hervorzuheben ist dabei
9.2 Vergleichende Betrachtung der Bedingungen und Wirkungszusammenhänge 233
Das Ziel der vorliegenden Studie war es, die betriebliche Mitbestimmung als
eine Dimension von Prekarität aus der Perspektive von Leih- und Werkvertrags-
arbeitnehmer/-innen zu untersuchen. Der Ausgangspunkt war dabei die hetero-
gene Betriebszugehörigkeit der beiden Beschäftigtengruppen und die sich daraus
ergebene Konfrontation mit zwei Mitbestimmungsarenen: Die Leih- und Werk-
vertragsarbeitnehmer/-innen verrichten ihre Haupttätigkeit jeweils in einem
„fremden“ Einsatzbetrieb, verfügen dort jedoch über geringere Teilhaberechte an
der betrieblichen Mitbestimmung als die Stammbeschäftigten. In ihrem Entsen-
debetrieb hingegen sind sie – zumindest theoretisch – vollständig in die betrieb-
liche Mitbestimmung integriert. Daraus ergab sich die Hauptforschungsfrage,
inwiefern Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ihre betriebliche Mitbe-
stimmungssituation als prekär bewerten, wie sie mit der Koexistenz zweier Mit-
bestimmungsarenen in Einsatz- und Entsendebetrieb umgehen und welche erklä-
renden Faktoren hierfür zugrundeliegen.
Im Folgenden werden zunächst die zentralen Ergebnisse der empirischen
Studie präsentiert (Kapitel 10.1) und im Hinblick auf Reformbedarfe diskutiert
(Kapitel 10.2). Abschließend sollen in Kapitel 10.3 die Ergebnisse kritisch ge-
würdigt und ein Ausblick auf den künftigen, weiteren Forschungsbedarf gegeben
werden.
Werkvertrags-
Leiharbeitnehmer/-innen
arbeitnehmer/-innen
Subjektive
Bewertung &
Handlung
aktiv
Der/die Integrierte Der/die Integrierte
nicht-
Der/die Autarke
prekär
passiv
Subtypen Der/die Autarke
Der/die Der/die
unbefangene distanzierte
Autarke Autarke
aktiv Subtypen
Der/die prekäre Aktive
prekär Der/die pre- Der/die
käre Ratsu- prekäre
chende Aktivist/-in
Ferner sind Typen mit einer Bewertung der Mitbestimmungssituation als prekär
bei gleichzeitiger aktiver Beteiligung in einer Mitbestimmungsarena zu identifi-
zieren. Bei dem/der prekären, aktiven Leiharbeitnehmer/-in bezieht sich dies auf
den Einsatzbetrieb. Für die Werkvertragsarbeitnehmer/-innen erfolgte eine Diffe-
renzierung in zwei Subtypen, um die Ausübung von Aktivitäten in verschiedenen
Mitbestimmungsarenen abzubilden: Während der/die prekäre Ratsuchende im
Kontakt zum Einsatzbetriebsrat steht und im Werkvertragsunternehmen passiv
verbleibt, ist der/die prekäre Aktivist/-in im Hinblick auf eine Betriebsratsgrün-
dung im Werkvertragsunternehmen aktiv.
238 10 Zentrale Erkenntnisse, Diskussion und Ausblick
Die beiden Typologien bilden eine relativ große Heterogenität der subjektiven
Bewertungen der individuellen Mitbestimmungssituation ab. Ein zentrales Er-
gebnis dabei ist, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen der betriebli-
chen Mitbestimmung und die damit verbundenen objektiven Prekaritätspotenzia-
le für Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen in den subjektiven Situations-
bewertungen der Beschäftigten widerspiegeln.
Dies betrifft einerseits die Bewertung der Mitbestimmungssituation als
nicht-prekär und dabei insbesondere die integrierten Leih- und Werkvertragsar-
beitnehmer/-innen, die über erfüllte Erwartungen durch die betriebliche Interes-
senvertretung sowie positive Erfahrungen mit dieser verfügen. Zentral ist dabei,
dass sich diese Werkvertragsarbeitnehmer/-innen ausschließlich im Werkver-
tragsunternehmen und – anders als die Leiharbeitskräfte – nicht im Einsatzbe-
trieb als integriert begreifen. Zu begründen ist dies mit den gesetzlichen Rah-
menbedingungen, die eine Integration von Werkvertragskräften in die betriebli-
che Mitbestimmung des Einsatzbetriebs nicht vorsieht.
Andererseits spiegeln sich die rechtlichen Rahmenbedingungen auch in den
unterschiedlichen Prekaritätsbewertungen von Leih- und Werkvertragsarbeit-
nehmer/-innen wider: Es konnte anhand der beiden Typologien gezeigt werden,
dass sich die prekären Werkvertragsarbeitnehmer/-innen insbesondere bezogen
auf den Einsatzbetrieb prinzipiell auf einer anderen „Stufe“ der Prekaritätswahr-
nehmung bzw. -bewertung befinden als die Leiharbeitnehmer/-innen. Erstge-
nannten fehlt – wenn ihre Bewertung als prekär eingestuft wurde – im Einsatz-
betrieb ein Ansprechpartner in Form eines Betriebsrats; sie fühlen sich von den
dortigen Mitbestimmungsprozessen exkludiert. Dies ist mit den rechtlichen Rah-
menbedingungen der betrieblichen Mitbestimmung zu begründen, die eine In-
tegration in selbige grundsätzlich ausschließt. Die Prekaritätsbewertungen der
10.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 239
ren Ratsuchenden konnte allerdings gezeigt werden, dass unter bestimmten Vo-
raussetzungen auch Umgehungsstrategien der gesetzlichen Rahmenbedingungen
entwickelt werden, indem Kontakt zum Einsatzbetriebsrat gesucht wird. Der
Handlungsspielraum bleibt jedoch, gemessen am Werkvertragsunternehmen,
vergleichsweise gering. Zudem wurde deutlich, dass das grundsätzliche Desin-
tegrationsempfinden bezüglich der betrieblichen Mitbestimmung im Einsatzbe-
trieb auch durch derartige Handlungen nicht kompensiert werden kann.
der vorliegenden Arbeit gezeigt werden konnte, für Teile der Beschäftigten –
neben Lohnunterschieden und immateriellen Distinktionen – ein weiterer Aus-
druck der Segmentierung der Belegschaften und wird als Diskriminierung emp-
funden. Ist darüber hinaus kein Betriebsrat im Werkvertragsunternehmen vor-
handen, so existiert kein Gremium, welches sich für ihre Interessenvertretung
einsetzt oder ihnen im Falle von arbeitsspezifischen Problemen als Anlaufstelle
zur Verfügung steht.
Die vorliegende Studie konnte zwar zeigen, dass das Werkvertragsunter-
nehmen gegenüber dem Einsatzbetrieb die zentrale Mitbestimmungsarena dar-
stellt – zur Diskussion steht allerdings, ob das Werkvertragsunternehmen dabei
tatsächlich eine Aufwertung erfährt. Denn die formellen und die praktischen
Möglichkeiten bezüglich der betrieblichen Mitbestimmung stimmen nicht
zwangsläufig überein: Im Werkvertragsunternehmen ist die Beteiligung an bzw.
eine Initiierung von Mitbestimmungsprozessen mit verschiedenen Hürden in
Form von Vereinzelung und räumlicher Distanz zum Arbeitgeberunternehmen
(besonders bei hochqualifizierter Projektarbeit) und/oder prekären Beschäfti-
gungsverhältnissen verbunden. Dass die Beschäftigtenkonstellationen in Werk-
vertragsunternehmen oftmals ebenfalls durch Outsourcing gekennzeichnet sind,
erscheint vor diesem Hintergrund als ein weiteres Problem. Teilweise beauftra-
gen Werkvertragsunternehmen weitere Fremdfirmen mit der Durchführung von
Tätigkeiten (Koch 2012: 10) oder nutzen selber Leiharbeit. Die entsprechenden
externen Beschäftigten der „Sub-Subunternehmen“ können sich wiederum nicht
an den dortigen, betrieblichen Mitbestimmungsprozessen – auch im Sinne einer
Betriebsratsgründung – beteiligen. Diese zusätzliche Fragmentierung der Beleg-
schaften stellt somit eine weitere Hürde in Bezug auf die betriebliche Mitbe-
stimmung dar.
Insgesamt ist vor dem Hintergrund, dass den Beschäftigungsformen inhä-
rente Eigenschaften die Beteiligung an der betrieblichen Mitbestimmung er-
schweren, zu diskutieren, wie sich die Verhandlungs- und Ausgangsposition der
Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen verbessern ließen, so dass einer
Beteiligung an betrieblichen Mitbestimmungsprozessen weniger im Wege stünde
und die diesbezüglichen Prekaritätsrisiken gemindert werden könnten. Denn mit
Rückbezug auf Bourdieu (1998a) kommt zu den genannten, defizitären Mitbe-
stimmungschancen der Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen hinzu, dass
sich die entsprechenden Beschäftigten aufgrund ihrer Beschäftigungsunsicher-
heit (sowohl im finanziellen Sinne als auch in Bezug auf Planbarkeit) nur in
geringem Maße mitbestimmungspolitisch mobilisieren lassen. Diese finanzielle
und Planungsunsicherheit müsste den Beschäftigten genommen werden, damit
die betriebliche Mitbestimmung und damit auch die eigene Interessenvertretung
mehr Raum im Arbeitsalltag einnehmen kann. In einem ersten Schritt wäre für
10.2 Diskussion der Ergebnisse und Reformbedarfe 247
Die Zunahme von Leih- und Werkvertragsarbeit und die damit verbundene Seg-
mentierung in Kern- und Randbelegschaften haben auf der einen Seite zur Folge,
dass die Teilhabe an der betrieblichen Mitbestimmung nur noch für bestimmte
Beschäftigtengruppen auf dem Betriebsgelände möglich ist. Die auf gleiche
Bürgerrechte ausgerichtete Mitbestimmungspraxis erodiert (Brinkmann/Nacht-
wey 2014: 95). Auf der anderen Seite sind die Betriebsratsgremien in den Ein-
satzbetrieben für immer weniger Beschäftigte zuständig. Die Reduzierung des
betrieblichen „Wahlvolks“ – ob nun wegen institutioneller Ausgrenzung oder
aufgrund bewusster Verweigerung seitens der Beschäftigten – hat zur Folge, dass
sich die politische Legitimationsgrundlage der Betriebsräte reduziert und diese
nur noch einen Teil der Belegschaft bzw. eine immer kleiner werdende Gruppe
auf dem Betriebsgelände repräsentieren. In der Konsequenz verändert dies auch
die Verhandlungsposition des einzelnen Betriebsrats gegenüber der Geschäfts-
führung. Denn diese ist unter anderem abhängig vom Rückhalt des Betriebsrats
in der Gesamtbelegschaft (Kotthoff 1981: 260 f.). Zudem haben die betroffenen
Beschäftigten durch die genannten strukturellen Rahmenbedingungen verringerte
Chancen, ihre Interessen in die Betriebsratspolitik einzubringen. Fraglich ist,
inwiefern in Folge die Interessen aller Arbeitnehmer/-innen auf dem Betriebsge-
lände bei betrieblichen und unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigt
werden können. Insgesamt ist festzuhalten: „[D]urch die Ausgliederung von
Leistungen kommt es zu einer Aushöhlung der Institution ‚Betriebsrat‘, die sie
letztlich nicht vollständig kompensieren kann“ (Hertwig et al. 2016: 138). Dies
gilt für Leiharbeit und Werkverträge wohl gleichermaßen. Damit stellt sich die
Frage danach, wie sich die Handlungsspielräume der Betriebsräte verbessern
lassen, um einer solchen Aushöhlung mittel- und langfristig entgegen zu wirken.
Konkrete Möglichkeiten zur Verbesserung des Handlungsspielraums von
Betriebsräten werden bereits vielfach diskutiert und beziehen sich dabei insbe-
sondere auf die Eingrenzung von Leih- und Werkvertragsarbeit. Für Leiharbeit
wird beispielsweise vorgeschlagen, gesetzliche Regelungen einzuführen, die es
Betriebsräten in Einsatzbetrieben erlauben, Vereinbarungen zu erzwingen, wel-
che die Übernahme von Leiharbeitskräften explizit regeln. Ferner könnte ein
Zutrittsrecht des Verleihbetriebsrats zum Einsatzbetrieb eingeführt werden, da-
mit dieser Arbeitsplatzbegehungen durchführen kann (Absenger/Priebe 2016:
197). Der letztgenannte Punkt wäre auch vor dem Hintergrund sinnvoll, als dass
die meisten Leiharbeitnehmer/-innen des Samples der vorliegenden Arbeit den
Betriebsrat ihrer Leiharbeitsfirma gar nicht kannten bzw. sich ob seiner Existenz
nicht sicher waren. Zumindest wären somit die Rahmenbedingungen für den
10.2 Diskussion der Ergebnisse und Reformbedarfe 249
gen einzugehen. Die Interviews haben gezeigt, dass dies durchaus gelingen kann
(vgl. beispielsweise die integrierten Leiharbeitnehmer/-innen oder die prekären
Ratsuchenden). Bei Teilen der Beschäftigten aber dominierte die Wahrnehmung,
dass der Betriebsrat entweder nicht über ausreichend Kompetenzen für Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen verfügt oder aber sich nicht genügend für
deren individuellen Belange einsetzt. Vor dem Hintergrund der für die Betriebs-
räte durch Leih- und Werkvertragsarbeit schwindenden Mitbestimmungsbasis
obliegt es den Betriebsräten, sich durch eine klare Positionierung, eine Steige-
rung der eigenen Kompetenzen hinsichtlich dieser Beschäftigungsformen sowie
eine transparente Kommunikation den Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-
innen verstärkt zuzuwenden. Denn auch wenn ihnen (vor allem in Bezug auf
Werkverträge) derzeit nur ein begrenzter Handlungsspielraum zur Verfügung
steht, so können sie dennoch einen kompetenten Umgang mit den Beschäftigten
entwickeln, indem sie diese professionell begleiten und ggf. auch von sich aus
kontaktieren, für Gewerkschaftsmitgliedschaften werben oder über die Institu-
tion der betrieblichen Mitbestimmung und ihre Beteiligungsrechte aufklären.
Zu diskutieren ist bei allen Vorschlägen aber immer noch die Frage nach
den entsprechenden zeitlichen und personalen Ressourcen der Betriebsräte, die
sich derzeit an der Zahl der Stamm- und Leiharbeitskräfte bemessen. Diese
müssten im Zuge einer Änderung der Mitbestimmungsrechte ebenfalls angepasst
werden – zumindest wenn ehemalige Kernaufgaben des Betriebs fremdvergeben
werden. Auch ist zu bedenken, dass sich die betrieblichen Interessenvertretungen
in den Einsatzbetrieben vermutlich bis zu einem gewissen Grad zur Akzeptanz
von Outsourcing gezwungen sehen, da mit der so erzeugten Flexibilität die
Stammbelegschaft vor Marktschwankungen geschützt wird (Palier/Thelen 2010).
Nicht wenige Betriebsratsgremien dürften sich in Folge weitergehender Mitbe-
stimmungs- und Interessenvertretungsrechte einem Interessenkonflikt gegen-
übersehen, der aus dem Schutz der Stammbelegschaft auf der einen Seite und der
Integration der externen Beschäftigten in die betriebliche Mitbestimmung auf der
anderen Seite besteht.
Die Ergebnisse dieser Studie stehen jedoch unter dem wichtigen Vorbehalt, dass
es Betriebsräte längst nicht in jedem Unternehmen gibt. Insgesamt werden in
Deutschland nur 41 Prozent aller Beschäftigten von einem Betriebsrat vertreten
(Ellguth/Trinczek 2016). In Leiharbeitsfirmen und Werkvertragsunternehmen
dürfte diese Quote noch geringer sein. Demnach haben viele Beschäftigte, und
damit auch Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen keine betriebliche Inte-
ressenvertretung, welche etwa die Einhaltung tariflicher Vereinbarungen oder
10.2 Diskussion der Ergebnisse und Reformbedarfe 251
sations- und Identitätsformen verbunden sein (Aust et al. 2007b: 337), die Leih-
und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen einschließt.
Der Ausgangspunkt dieser Studie ist das grundlegende Verständnis, dass die
individuelle Situationsbewertung und die anschließende Handlungswahl nicht
nur von äußeren, strukturellen Bedingungen, sondern auch von inneren Einstel-
lungen wie normativen Orientierungen, dem Wissen, der Biografie und damit
letztendlich von der sozialen Identität eines Akteurs bzw. einer Akteurin abhän-
10.3 Kritische Würdigung der Ergebnisse und weiterer Forschungsbedarf 253
Elektroindustrie wurde mit der Vergleichbarkeit der Ergebnisse vor dem Hinter-
grund ähnlicher institutioneller Rahmenbedingungen begründet. In den industri-
ellen Wirtschaftszweigen ist die Betriebsratsdichte traditionell hoch; zudem sind
Männer unter den Beschäftigten im Vergleich zur Gesamtwirtschaft stärker ver-
treten. Weiterführende Studien in anderen Branchen könnten somit zusätzliche
Erkenntnisse zur subjektiven Bewertung der betrieblichen Mitbestimmung von
externen Beschäftigten unter anderen Rahmenbedingungen (etwa hinsichtlich
Betriebsgröße, Tarifbindungen etc.) liefern. Zudem könnten „gemischtere“
Samples im Hinblick auf Alter und Geschlecht entstehen, so dass sozialstruktu-
relle Faktoren stärker herausgearbeitet und auch gender- und altersspezifische
Aspekte berücksichtigt werden könnten. Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die
Forschung ist in diesem Kontext auch die Beschäftigung von ausländischen
Werkvertragsarbeitnehmer/-innen, die zum Teil erstmalig mit dem System der
betrieblichen Mitbestimmung in Berührung kommen.
Da die vorliegende Studie das jeweilige Zugehörigkeitsgefühl zum Betrieb
sowie den biografischen Status als externe Arbeitskraft mit zum Teil kurzen
Einsatzzeiten als zentralen Einflussfaktor auf den Umgang mit der betrieblichen
Mitbestimmung identifizieren konnte, sind ferner weiterführende Forschungen
von Relevanz, die diesbezüglich weitere, atypische Beschäftigungsformen – etwa
Teilzeitarbeit und befristete Beschäftigung – in den Vordergrund rücken und
dabei den Grad der Teilhabe an betrieblicher Mitbestimmung als ein Element
von Prekarität betrachten.
In der künftigen arbeitsmarktpolitischen und arbeitssoziologischen For-
schung wird die Erosion der betrieblichen Mitbestimmung durch externe Be-
schäftigung gewiss weiterhin eine Rolle spielen. Unter anderem könnten sich
weitere Forschungsarbeiten Gewerkschafts- bzw. Betriebsratsstrategien widmen,
um die Interessenvertretung stärkende Vorgehensweisen vor dem Hintergrund
fragmentierter Belegschaften zu identifizieren. Hinsichtlich der äußeren Bedin-
gungen zeigte sich zudem, dass eine tiefergehende Untersuchung der konkreten
Betriebsratsstrategien zu einer detaillierteren Erklärung der Situationsbewertun-
gen und Handlungen der Beschäftigten und somit zu einer Analyse des Zusam-
menspiels verschiedener betrieblicher Akteur/-innen beitragen könnte.
Vor dem Hintergrund, dass diese Studie die rechtlichen Rahmenbedingungen
der betrieblichen Mitbestimmung für Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen
als zentrale Größe bei der Bewertung und dem Umgang mit derselben herausstel-
len konnte, sind auch weiterführende Forschungen von Bedeutung, die mögliche
Anpassungen des BetrVG diskutieren und weiterentwickeln. Insgesamt gilt es
dabei, der Benachteiligung von Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer/-innen bei
der betrieblichen Mitbestimmung langfristig und nachhaltig entgegenzuwirken.
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