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Christoph Strosetzki (Hrsg.

Juan Luis Vives


STUDIA HISPANICA
Herausgegeben von
Christoph Strosetzki
Band 1
STUDIA HISPANICA

Christoph Strosetzki (Hrsg.)

J u a n Luis Vives
Sein Werk und seine Bedeutung
für Spanien und Deutschland

Akten der internationalen Tagung vom


1 4 . - 1 5 . Dezember 1992 in Münster

VERVUERT VERLAG • FRANKFURT AM MAIN


1995
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Juan Luis Vives : sein Werk und seine Bedeutung für Spanien
und Deutschland ; Akten der internationalen Tagung vom 14. -
15. Dezember 1992 in Münster / Christoph Strosetzki (Hrsg.). -
Frankfurt am Main : Vervuert, 1995
(Studia Hispanica ; Bd. 1)
ISBN 3-89354-451-8
NE: Strosetzki, Christoph [Hrsg.]; GT

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1995


Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Inhalt

August Buck (Marburg):


Vives' 'Fabula de homine' im Kontext der
"dignitas hominis"-Literatur der Renaissance

Klaus Reinhardt (Trier):


Vives' Auseinandersetzimg mit der jüdischen Auslegung
des Alten Testamentes

Karl Hölz (Trier):


Der Humanist im Zwiespalt zwischen irdischer Wahrheit
und heilsgeschichtlicher Ordnung.
Wörtliches Verstehen bei Fray Luis de León

Manfred Lentzen (Münster):


Vives' Ideen über die Erziehung der Frau.
Zu 'De institutione feminae christianae' (1523)

Joachim Leeker (Münster):


Das Frauenbild in Vives' 'De institutione feminae christianae'
und Castigliones 'Libro del cortegiano'

Jozef IJsewijn (Löwen):


31 unbekannte Vivesbriefe

Javier Gómez-Montero (Köln):


Licet poetae fingere? Los textos ficcionales
de J. L. Vives y su legitimación de la ficción poética

Gerhard Poppenberg (Berlin):


Juan Luis Vives, 'De anima et vita' im Kontext
des spanischen 16. Jahrhunderts

Carlos Meiches (Augsburg):


Vives und der spanische Humanismus

Karl Kohut (Eichstätt):


Anmerkungen zu 'De veritate fidei christianae'
VI
Francisco Sánchez-Blanco (Bochum):
Humanismo e Ilustración en España: la exaltación de la
figura de Vives por los eclécticos del siglo XVIII 135

Petra Braselmann (Düsseldorf):


Grammatik und Sprachtheorie. Zur Sprachauffassung bei
Antonio de Nebrija und Juan Luis Vives 150

Emilio Hidalgo-Serna (Braunschweig):


Verbum, sermo y elocutio en la obra de Vives 170

Sebastian Neumeister (Berlin):


Noch einmal zur 'Fabula de homine' 179

Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares (Salamanca):


Juan Luis Vives: Horizonte de España 187

Juan F. Alcina (Tarragona):


Notas sobre la pervivencia de Vives en España (s. XVI) 213

Dietrich Briesemeister (Berlin):


Vives in deutschen Übersetzungen (16. -18. Jahrhundert) 229

Christoph Strosetzki (Münster):


Die Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 247
Vorwort

1492 war nicht nur das Jahr der Entdeckung der Neuen Welt, sondern auch das
Jahr der Geburt des spanischen Humanisten Juan Luis Vives. Dies war der äu-
ßere Anlaß für eine internationale Tagung, die im Dezember 1992 in Münster
stattfand.
Es wurden Themen erörtert wie Vives' Einschätzung der Würde des
Menschen, seine Beiträge zur Theologie, zur Psychologie, zur Grammatik und
Rhetorik. Daneben standen hermeneutische Fragen, wie das wörtliche
Verstehen vor dem Hintergrund des mehrfachen Schriftsinns oder die Verein-
barkeit von jüdischer und christlicher Deutung des Alten Testaments. In der
Pädagogik war Vives einer der ersten, die spezifische Postulate der Frauener-
ziehung vor dem Hintergrund der didaktischen Literatur der Humanisten ent-
wickelten.
Die Frage stellte sich, ob ein Autor wie Vives, der sich mit zentralen Zeitfragen
beschäftigte, zwischen fiktionaler und didaktischer Literatur eher Brüche oder
Vermittlungen sehen konnte. Ein genaueres Bild von Vives' Biographie
erlaubte der Fund neuerer Briefe.
Seine Bedeutimg schließlich war aus seiner herausgehobenen Stellung im
Kontext des spanischen Humanismus und der spanischen Aufklärung zu er-
schließen. Sie wurde weiter unterstrichen durch die kontinuierliche Rezeption
in Deutschland vom 16. bis zum 18. Jahrhundert und durch die überraschende
Aktualität, die er vor etwa 100 Jahren in Deutschland gewann.
Gedankt sei an dieser Stelle der Kulturabteilung der Spanischen Botschaft, ins-
besondere ihrem Leiter Joaquin Manrique Mayor, und dem Rektorat der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster für die freundliche finanzielle
Unterstützung der Tagung. Der "Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen
Wilhelms-Universität" ist ein Zuschuß für die Druckkosten zu verdanken. Frau
Petra Jenau erledigte Vorarbeiten für die Drucklegung. Frau Barbara Fischer-
Rittmeyer koordinierte und redigierte den gesamten Band.

Münster, im Januar 1995

Christoph Strosetzki
Vives' 'Fabula de homine'
im Kontext der "dignitas hominis' -Literatur
der Renaissance

August Buck (Marburg)

Wenn am Anfang von Giovanni Pico della Mirandolas berühmter Rede über
die Menschenwürde De hominis dignitate auf die Frage, was auf der irdischen
Bühne das am meisten Bewundernswerte sei, die Antwort lautet: Es gibt "nichts
Wunderbareres als den Menschen",1 so kehrt diese Antwort fast wörtlich in
Juan Luis Vives' Fabula de homine wieder: Die weisesten der Götter - so heißt
es dort - erklären angesichts des auf der Bühne der Welt agierenden Men-
schen: "nihil esse homine admirabilius".2
Diese Übereinstimmimg ist einer der Belege dafür, daß Picos Rede zu den
Quellen der Fabula gehört. Außer Pico hat Vives noch weitere italienische
Quellen benutzt, so daß Norena in seiner bekannten Monographie zu dem
Schluß kommt, die Fabula sei "vielleicht die einzige Abhandlung [Vives'], die
offensichtlich durch den italienischen Humanismus inspiriert worden ist und
sich auf ihn bezieht".3 Ohne hier auf das Problem der italienischen Einflüsse im
Gesamtwerk Vives' eingehen zu können, beschränke ich mich auf einige Be-
merkungen. Vives ist nie in Italien gewesen und scheint - ähnlich wie Erasmus -
für die Wiege der Renaissance keine besonderen Sympathien gehegt zu haben,
was nicht besagt, daß ihm die Namen der wichtigsten italienischen Humanisten
nicht präsent gewesen wären. Wieweit er ihre Werke studiert, bzw. wo er An-
leihen bei ihnen gemacht hat, ließe sich nur aufgrund einer Analyse seiner
Schriften eruieren.
Vives erkennt an, daß sich die italienischen Humanisten - er nennt eine lange
Reihe von Namen - um die Wiederherstellung der klassischen Latinität ver-
dient gemacht haben.4 Aber die Leistungen der Italiener werden durch einen
zeitgenössischen Humanisten wie Guillaume Bud6 in den Schatten gestellt. In
einem an den befreundeten Erasmus gerichteten Brief vom 4. Juni 1520, zwei
Jahre nach der Veröffentlichung der Fabula schreibt Vives in bezug auf Budes

G. Pico della Mirandola, De dignitate hominis - Über die Würde des Menschen, Übers, v. N.
Baumgarten, hg. u. eingel. v. A. Buck; lateinisch-deutsch, Hamburg 1990, Philosophische Bi-
bliothek Bd. 427,3; fortan zitiert als Pico, De dignitate hominis.
2
Fabula de homine, in: J. L. Vives, Opera Omnia, distributa et ordinata a G. Majansio, T. IV,
Valentiae 1783,4; fortan zitiert im Text: Fabula, nebst Seitenzahl.
3
C. G. Norefta, Juan Luis Vives, The Hague 1970,62; fortan zitiert als Norena, Vives.
4
J. L. Vives, Uber die Gründe des Verfalls der Künste, De causis cormptarvm artium IV, 4; la-
teinisch-deutsche Ausgabe, kommentiert u. eingel. v. E. Hidalgo-Sema, München 1990, 451;
fortan zitiert als Vives, Über die Gründe des Verfalls
2 August Buck
De Asse: "Dieses Werk hat alle Ermolao [Barbaro], Pico [della Mirandola],
Poliziano, Gaza, Valla, hat ganz Italien beschämt."5 Eine Äußerung des Über-
legenheitsbewußtseins der Gegenwart, für die der italienische Humanismus nur
mehr eine Erinnerung an die Zeit der Väter und der Großväter ist, "memoria
patrum et avorum".6 Der Anflug von Geringschätzigkeit, mit dem Vives hier
vom italienischen Erbe spricht, hindert ihn jedoch nicht, an dieses Erbe anzu-
knüpfen, um dann freilich seine eigenen Wege zu gehen.
Von einer ersten von Norena nicht erwähnten Beschäftigung mit dem italieni-
schen Humanismus zeugt die seit kurzem kritisch edierte praelectio zu einer
Vorlesung über Francesco Filelfos Convivia, die Vives in Paris gehalten hat.7
Er sieht die Convivia in erster Linie aus der Perspektive der Wissensvemittlung
nach dem Muster des Aulus Gellius und des Macrobius in der Antike sowie
Angelo Polizianos und seines Schülers Pietro Crinito im italienischen Huma-
nismus. Die Convivia sind ein wahres Schatzhaus des Wissens, das Filelfo unter
Ausschöpfung der Moral- und der Naturphilosophie ausgestattet hat; eine Se-
lektion, die das traditionelle Bienengleichnis veranschaulicht. Wie die den
Nektar suchende Biene von Blume zu Blume fliegt, so hat Filelfo an zahlrei-
chen Fundorten sich ein umfangreiches Wissen angeeignet.8

Hier begegnet bereits die für Vives' Gesamtwerk charakteristische Konzeption


des Humanismus. Er begreift ihn primär als eine gelehrte Bewegimg, in wel-
cher der Erwerb von Wissen Vorrang hat gegenüber der formalen sprachlichen
Schulung. Vives ist beherrscht von dem mit der Renaissance erwachten Drang,
sich alles Wißbare anzueignen; ein Wissensdurst, den er in Giovanni Pico della
Mirandola wiederfinden konnte. Vives wie Pico verfügen über eine universale
Bildung, die im Prinzip omnes res scibilis umfaßt; für beide Denker ist das Wis-
sen ein konstitutives Element der dignitas hominis, sofern es dazu dient, die
Natur zu beherrschen und das regnum hominis zu errichten gemäß der Verhei-
ßung des Schöpfers, der Mensch solle sich die Erde Untertan machen.

Pico della Mirandola hat jenseits der Alpen in Frankreich ein besonders nach-
haltiges Echo gefunden, einerseits wegen seines zweimaligen Aufenthalts -
während seines Studiums in Paris und auf der Flucht vor der päpstlichen Ver-
folgung -, anderseits aufgrund seiner Beziehungen zu prominenten Vertretern
des französischen Geisteslebens. So hat Vives zweifellos Picos Schriften, insbe-
sondere die Oratio in den Pariser Jahren 1509 bis 1512 kennengelernt.9 Viel-
leicht hat er unter dem Eindruck der Lektüre der Oratio schon damals erwo-

5 Erasmus, Opus Bpistolamm, edd. P. S. et H. M. Allen, Oxford 1906-1958, Nr. 1108,110-115.


8 Vives, Über die Gründe des Verfalls, 451.
7 Praelectio in convivia Philelphi, in: J. L. Vives, Early Writings 2, ed. by J. IJsewijn and A . Fritsen
with Ch. Fantazzi, Leiden 1991,138-151.
8 Ibid.
Q
Norefta, Vivest 63, Anm. 54.
'Fabula de homine' im Kontext der "dignitas hominis"-Literatur 3
gen, das gleiche Thema in einer eigenen Variation zu behandeln. Näheres über
die Ausarbeitung der Fabula ist nicht bekannt. Veröffentlicht wurde sie 1518 in
Löwen, wo Vives seit 1517 lehrte. Einem seiner Schüler, dem jungen belgischen
Edelmann Antonius von Bergen, ist die Schrift gewidmet.
In der Nachfolge Picos setzte die Fabula die dignitas /loro/ziis-Literatur fort, die
als Aspekt des neuen Menschenbildes der Renaissance in Italien bereits vor
Pico in Blüte stand. Aus der Perspektive des sich seiner selbst bewußt gewor-
denen Individuums erhielt die Menschenwürde ein erhebüch größeres Gewicht
als vorher und zugleich eine neue Bedeutimg. In Würdigung der geistesge-
schichtlichen Relevanz des Begriffs ist er in den letzten Jahrzehnten wiederholt
Gegenstand der Forschung gewesen, die allerdings fast ausschließlich Italien
galt, da es den wichtigsten Anteil an der Neuwertung des Begriffs gehabt hat.10
Vives' Beitrag ist, soweit er überhaupt Beachtung gefunden hat, in seiner Origi-
nalität meist verkannt worden.11

Die Vorstellung einer besonderen Würde des Menschen fand die Renaissance
sowohl in der christlichen als auch in der antiken Tradition vor. Nach dem
Zeugnis der Bibel hat Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen12 und
ihn durch die Menschwerdung Christi ausgezeichnet.13 Eine analoge Vor-
stellung von der Gottesebenbildlichkeit begegnet auch in der Antike, so etwa
bei Ovid, der berichtet, Prometheus habe den Menschen aus Erde und Wasser
nach dem Vorbild der allversorgenden Götter geformt und ihn gelehrt, sein
Antlitz zum Himmel zu erheben.14 Durch seiner Hände Arbeit schafft er sich
auf Erden sein eigenes Reich, und dank seiner Vernunft vermag er die Ge-
heimnisse einer höheren Welt zu erforschen.

In der Patristik wird der Begriff der Menschenwürde ein erstes Mal auf der Ba-
sis einer Vereinigung seiner christlichen und antiken Elemente problematisiert,
wobei der Schwerpunkt begreiflicherweise im Christlichen hegt.15 Das Mittel-
alter pries zwar im Einklang mit den Kirchenvätern die dignitas hominis, aber
beklagte häufiger die miseria hominis, die Leiden und Mühsale des menschli-
chen Daseins. Die über das Mittelalter hinaus viel gelesene Schrift des Kardi-
nals Lothar von Conti, des nachmaligen Papstes Innozenz III., De miseria

10 Die ausführlichste Daistellung bei Ch. Trinkaus, In Our Image and Likeness, Humanity and
Divinity in Italian Humanist Thought, London 1970,171-323.
11 Ausnahmen bilden L. Colish, "The Mime of God: Vives on the Nature of Man", in: Journal of
the History of Ideas 223 (1962), 3-20 und die leider nur in Maschinenschrift vorliegende Mün-
chener Magisterarbeit von Chr. Wolf, Juan Luis Vives" "Fabula de Homine" im Lichte der
anthropologischen Fragestellung des Renaissancehumanismus (1985).
12
Genesis 1,26.
13
Durch Christi Opfertod wird die lädierte Wesenswürde des Menschen wiederhergestellt, woran
der Text der Messe erinnert: "Deus qui humanae substantiae dignitatem mirabiliter condidisti et
mirabilius reformasti."
14 Ovid, M e t 1,72-84.

15
E. Garin, "La 'dignitas hominis' e la letteratura patristica", in: Rinascimento 1 (1938), 102-146.
4 August Buck
humanae conditionis war der Anlaß für eine Erwiderung durch den Humani-
sten Bartolomeo Fazio. Mit dem Traktat De excellentia et praestantia hominis,
verfaßt in den Jahren 1447/48, beginnt die humanistische Diskussion über den
Begriff der Menschenwürde, die bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts andau-
ert. Indem dann Montaigne den überlieferten Begriff in Frage stellte, führte er
ein neues Maß des Menschlichen ein: den kreatürlichen Menschen.

Von Vives' Vorgängern sei auf zwei kurz eingegangen, auf Giannozzo Manetti
und auf Giovanni Pico della Mirandola, da der erste höchstwahrscheinlich, der
zweite mit Sicherheit zu Vives' Quellen gehört. Während der erwähnte Fazio
die Wesenswürde noch im mittelalterlichen Sinn deutet und dem Menschen
eine weitgehend passive Rolle zuweist, versteht Manetti die dignitas dynamisch
und proklamiert den Menschen zum Schöpfer einer eigenen Welt, der Welt der
Kultur, die neben die von Gott erschaffene Natur tritt. In hymnischen Tönen
feiert er die schöpferischen Leistungen des Menschen in allen Bereichen von
der mythischen Vorzeit bis in die Gegenwart, die technischen wie die künstleri-
schen und wissenschaftlichen Errungenschaften, in denen der unaufhaltsame
Fortschritt des Menschen zum Ausdruck kommt.

Zu diesen Leistungen befähigt den Menschen seine Intelligenz sowie sein Kör-
per, Gaben seines Schöpfers, die zu loben Manetti nicht müde wird. In enger
oft wörtlicher Anlehnung an Laktanz beschreibt er ausführlich die einzigartige
Ausstattung der einzelnen Teile und Organe des menschlichen Körpers, auf
dessen Zweckmäßigkeit und Schönheit er ein begeistertes Loblied anstimmt. In
bewußtem Widerspruch zur mittelalterlichen Verteufelung der Sinnenlust for-
dert er den Menschen auf, sich am Klang der Musik, am Duft der Blumen zu
erfreuen, den Wohlgeschmack des Weines und der Speisen ebenso wie die
Wollust des Liebesaktes zu genießen.

Wenn Manetti im Denken und Handeln die eigentliche Aufgabe des Menschen
sieht, durch deren Erfüllung er "fast ein sterblicher Gott" ist, stellt er meist das
Handeln dem Denken voran, d.h. er verlegt die konkrete Verwirklichung der
Wesenswürde in die vita activa. Demgegenüber ist der Mensch für Pico della
Mirandola vor allem ausgezeichnet durch die vita contemplativa, die philoso-
phische Spekulation, die ihn bis zu Gott erhebt. Noch deutlicher als Manetti
hebt Pico die Sonderstellung des Menschen hervor, aus dessen ontologischer
Ortslosigkeit seine absolute Freiheit entspringt. Er kann - so verkündet Gott
dem Urmenschen Adam - sich die Gestalt geben, die er wünscht. "Du kannst
zum Niedrigen, zum Tierischen entarten, du kannst auch zum Höheren, zum
Göttlichen wiedergeboren werden."16

Es ist die Verherrlichung des für das humanistische Menschenbild zentralen


Begriffs der Willensfreiheit, verstanden als die schöpferische Freiheit, die es
dem Menschen erlaubt, sich in einer durch die Naturgesetze determinierten

16 Pico, De dignitate hominis, 5,1.


'Fabula de homine' im Kontext der "dignitas hominis"-Literatur 5
Welt nach Belieben zu wandeln wie das die Farben wechselnde Chamäleon
oder der Meeresgott Proteus, der verschiedene Gestalten annehmen konnte.
Damit eröffnet sich dem von einem "heiligen Ehrgeiz" angetriebenen Menschen
die Möglichkeit, zum Göttüchen aufzusteigen; ein sich dauernd vollziehender
Prozeß der Vergottung, die nicht wie die unio mystica ein Aufgehen der Per-
sönlichkeit in Gott bedeutet, vielmehr die höchste Steigerung des individuellen
Selbstbewußtseins. Es ist eine Selbsterlösimg des Menschen, bei der weder von
der Belastung durch die Erbsünde noch von der Notwendigkeit der Gnade
Gottes die Rede ist, allein begründet auf dem humanistischen Vertrauen in die
Perfektibilität des Menschen aus eigener Kraft.
Die Gottähnlichkeit des Menschen und seine unbegrenzte Wandlungsfähigkeit
begegnen als zwei Schlüsselbegriffe in Vives' Menschenbild wieder. Er entwirft
es in der literarischen Form der Fabel, d.h. der dichterischen Nachahmimg ei-
ner Handlung, die gemäß der Theorie der Rhetorik als Überzeugungsmittel
wirkt. Wenn er die Fabel in einen von ihm selbst erfundenen Mythos mit der
griechischen Mythologie entlehnten Gestalten einkleidet, folgt er damit dem
Beispiel Piatons bzw. dessen Wiederbelebung durch den Protagonisten des
Florentiner Neuplatonismus MarsiHo Ficino, der zur Veranschaulichung gewis-
ser philosophischer Einsichten neue Mythen ersann. Mit der Wahl der mytho-
logischen Fiktion bekannte sich Vives zu der formenden Kraft, die von der
Mythologie in der Renaissance ausging und verüeh der anthropologischen Aus-
sage etwas von der dem Mythos eigenen poetischen Faszination.
Das Gerüst, in dem die Handlung der Fabel sich abspielt, ist die zum Theater
verwandelte Welt. Damit erneuerte Vives eine bereits der Antike geläufige
Vorstellung, die auf Piaton zurückgeht.17 Dieser verglich den Menschen mit ei-
ner Marionette in der Hand der Götter und sprach von der Tragödie und Ko-
mödie des menschlichen Lebens. Später verglich auch Seneca das menschliche
Leben mit einem Theaterstück.18 So konnte schon in der Antike der Begriff
mimus vitae sprichwörtlich werden. Als einen solchen stellt Vives den Men-
schen auf die Bühne der Welt.19
In der Widmung der Fabula erinnert Vives daran, daß sein Thema, nämlich die
Welt als Theater, auf dem die Menschen die Hauptrollen spielen, alt sei, es bei
allem Spielerischen jedoch viel Ernstes enthält; denn es soll den Leser dazu an-
regen, über die Nichtigkeit der irdischen Dinge nachzudenken und zu erken-
nen, daß allein die Tugend erstrebenswert sei. Zweifellos wird diese Selbst-
deutung dem tieferen Sinn der Fabula nicht völlig gerecht. Sie stellt in mythi-

17 2
E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1954,148ff.; H. Schulte,
El Desengaño, Wort und Thema in der spanischen Literatur des Goldenen Zeitalters, München
1969,167ff.
18
Der Vergleich findet sich auch bei Vives, Opera Omnia IV (1783), 45f.
19
Weder Curtius noch Schulte (vgl. Anm. 17) erwähnen die Verwendung der Schauspieler-Meta-
pher durch Vives.
6 August Buck
sehen Bildern eine Lobrede auf die Wesenswürde des Menschen dar, deren
Attribute an Hand des Geschehens aufgezeigt werden. Indem der Herausgeber
der Valentiner Ausgabe der Opera Omnia die Fabula unter die Moralia ein-
ordnete, orientierte er sich an der ethischen Dimension der Schrift, womit er
sich sicher im Einklang mit der intentio auctoris befand.
Die Handlung der Fabula gliedert sich in voneinander klar zu unterscheidende
Szenen, so daß der Vergleich mit einem Drama naheliegt. Einleitend wird,
gleichsam als Vorspiel, die mythologische Fiktion vorgestellt: Am Ende eines
von Juno anläßlich ihres Geburtstags veranstalteten Festmahls der Götter bit-
ten diese die Gastgeberin um ein Schauspiel. Juno gibt die Bitte an Jupiter, ih-
ren Bruder und Gemahl, weiter. Auf dessen Wink entsteht die Welt in Form
eines Amphitheaters, obenan der Himmel mit den Zuschauerplätzen der Göt-
ter, unten die Erde als Bühne für die auftretenden Personen. Nachdem Jupiter
Reihenfolge und Ordnimg der Spiele genau vorgeschrieben und den Schau-
spielern ein Zeichen gegeben hatte, begann die Aufführung von Spielen aller
Art: Tragödien, Komödien, Satyrspiele, Pantomimen, Atellanen. Es ist die rei-
che Vielfalt des antiken dramatischen Repertoires, um dessen Erneuerung sich
die Renaissancedichter bemühten.
Ohne Bezugnahme auf ein einzelnes Stück wird der Gesamteindruck wiederge-
geben, den die Aufführungen auf die zuschauenden Götter gemacht haben. Sie
bewundern vor allen Darstellern den Menschen als den besten Schauspieler,
was Jupiter bestätigt, voll Freude darüber, daß sein Geschöpf einen solchen
Beifall findet. Die Gotteskindschaft bedeutet zugleich Gottähnlichkeit. Damit
kommt der zentrale Begriff der menschlichen Wesenswürde ins Spiel: Der
Mensch hat Teil an der Unsterblichkeit, der Weisheit, der Klugheit und am
Gedächtnis des höchsten Gottes, der dem Menschen diese Gaben "de se ipso" -
"aus sich selbst" verliehen hat {Fabula 4).
Gemeinsam mit Jupiter ist dem Menschen die Fähigkeit, alles zu sein und zu
tun; eine Wandlungsfähigkeit, die Vives wie Pico mit der des Chamäleons und
des Proteus vergleicht. Sie wird demonstriert durch die perfekte Darstellungs-
kunst des Menschen auf der Bühne. Indem damit nach der eingeschobenen
Lobrede auf die menschlichen Begabungen die Handlung auf die Bühne zu-
rückkehrt, erscheint der Mensch nacheinander in fünf verschiedenen Rollen.
Dabei durchläuft der schauspielernde Mensch eine Klimax sich steigernder
Seinsweisen, deren erste drei der aristotelischen Dreiteilung der Seele entspre-
chen: anima vegetativa, anima sensitiva und anima rationale. In den letzten bei-
den Seinsweisen wächst der Mensch über sich hinaus.
Entsprechend diesem Aufbau erscheint der Mensch zuerst als Pflanze ohne
jedwede Empfindimg. Dann nimmt er die Gestalt von Tieren an, die von Affek-
ten beherrscht werden; wie es sich versteht, von menschlichen Affekten, die
den Tieren unterstellt werden: So ahmt der Mime u.a. den zornigen Löwen
nach, den gierigen Wolf, den furchtsamen Hasen und den neidischen Hund.
'Fabula de homine' im Kontext der "dignitas hominis"-Literatur 7
Schließlich tritt er als Mensch auf. Es ist der Mensch als geselliges Wesen im
Sinne des Aristoteles: "prudens, iustus, socius, humanus, benignus" {Fabula 5),
kurz, der homo humanus, der sich der Gesellschaft gegenüber verantwortlich
fühlt und sich dalier zusammen mit anderen um die öffentlichen Angelegen-
heiten kümmert. Wenn Vives damit den Menschen seine Wesenswürde in der
vita activa bewähren läßt, entfernt er sich von Pico und rückt in die Nachbar-
schaft Manettis.
Mit der Übernahme der vierten Rolle beginnt in Anlehnung an den neuplatoni-
schen Stufenkosmos aufgrund der Geistesnatur des Menschen sein Aufstieg in
eine höhere Welt. Zur Überraschung der Götter erscheint nach einer Weile
der Mensch, seinen Geist selbst übertreffend, unter der Gestalt der Götter,
"totus innixus sapientissimae menti" {Fabula 5). Ehe noch Jupiter die Bitte der
staunenden Götter, den Menschen in ihren Reihen Platz nehmen zu lassen,
erfüllen kann, tritt der Mime in seiner fünften und letzten Rolle auf: als Jupiter
Maximus, der Göttervater, den er so vorzüglich spielt, daß die Götter immer
wieder hinauf- und hinunterschauen müssen, um das Urbild vom Abbild unter-
scheiden zu können.
Daß es sich bei dieser letzten Verwandlung nicht um eine Selbstvergottung im
Sinne Picos handelt, geht aus einer die Szene abschließenden Bemerkung her-
vor: Diejenigen unter den anderen Schauspielern, "die darauf schworen, dies
sei kein Mensch, sondern Jupiter selbst, (...) wurden (...) streng bestraft"
{Fabula 5; Übers. J. v. Stackelberg). Diese Bemerkung ist noch in anderer Hin-
sicht aufschlußreich. Da es neben dem sich verwandelnden Mimen noch wei-
tere Schauspieler gibt, die an diesen Verwandlungen nicht teilhaben, darf man
daraus schließen, daß die Wesenswürde keine allen Menschen von Geburt ver-
liehene Gabe ist, sondern erst durch den Menschen in seinem Leben erworben
werden muß.
Indem Jupiter sich mit dem Wunsch der Götter identifiziert, läßt er den Men-
schen als Gast zu den Göttersitzen führen. Es ist die Peripetie der Handlung,
mit der der Mensch vom Darsteller zum Zuschauer im gleichen Rang wie die
Götter wird. Diese bewundern seine Bühnenausrüstung, d.h. sein Menschsein.
Es folgt eine an Manetti20 erinnernde detaillierte Beschreibung einzelner Kör-
perteile, insbesondere der Ohren und Augen, letztere als indices animi,
"Zeichen der Seele" und damit "edelster Teil des Antlitzes" {Fabula 6). Alle
Teile des Körpers sind so harmonisch aufeinander abgestimmt, daß sich nie-
mand die Gestalt des Menschen vortrefflicher hätte ausdenken können.
Wie den Körper erforschen die Götter auch den Geist des Menschen, genauer
gesagt, die Erfindungsgabe des kulturschöpferischen Geistes. Wiederum dürfte
Manetti als Vorlage gedient haben. Der Menschengeist erfindet unglaubliche

20
Vives spricht von anderen, die wortreich den menschlichen Körper im einzelnen beschrieben ha-
ben (Fabula 6).
8 August Buck
Dinge. Er erbaut Häuser, gründet Städte und weiß die belebte und die unbe-
lebte Natur zu nutzen. Dank der Erfindung der Sprache kann er den Dingen
ihre Namen geben; mit Hilfe der Schrift kann er alles Wissen festhalten, so
auch die Kenntnis der Religion. Ergänzt wird die schöpferische Tätigkeit des
Geistes durch das Gedächtnis, das Schatzhaus aller Dinge. Aus dem Bündnis
von Geist und Gedächtnis entsteht die Voraussicht des Zukünftigen, ein im
Menschen lebendiger Funke des göttlichen Allwissens.
Nachdem die Götter sich am Menschen als ihrem und Jupiters Abbild ergötzt
und ihn festlich mit einer Toga praetexta bekleidet hatten, sah der Mensch an
einem ehrenvollen Platz den weiteren Spielen zu und nahm nach deren Ende
am Mahl der Götter teil. In der Schlußszene legt er seine Maske wieder an, die
er eine Zeitlang abgelegt hatte, d.h. er kehrt auf die Bühne des Lebens zurück,
wo er, bereichert durch die Erfahrung als Gast der Götter, sich erneut in seiner
wie auch immer gearteten Tätigkeit verwirklicht.
Zu seiner weiteren Bewährung im Leben wird der Mensch an seinen genuinen
Ort zurückversetzt, an dem er - nach Vives - seiner eigentlichen Bestimmung
gerecht wird. Während Pico an der vita activa des Menschen als Glied der Ge-
sellschaft nicht interessiert ist, betont Vives die Bürgerpflichten, die der indivi-
duellen Freiheit Grenzen setzen. Für Pico ist die Ethik nur eine Etappe auf
dem Weg zur Vollendung der Wesenswürde in der Fähigkeit zur Erkenntnis
des Universums und seines Schöpfers. Dagegen ist für Vives, wie er in der
Widmung erklärt, die Tugend das Unvergängliche im menschlichen Leben, und
der menschliche Geist ist in der Fäbula nicht auf metaphysische Spekulationen,
sondern auf die Erschaffung der irdischen Kultur ausgerichtet. Dabei bewegt er
sich in einem von Gott abgestecktem Freiraum. Kein Schaupieler darf wie es
wörtlich heißt (Fäbula 3) - auch nur "einen Finger breit" von dem abweichen,
was Jupiter im vorhinein für die Spiele angeordnet hat.
Als Schauspieler ist der Mensch stets ein Imitator, ein - wenn auch perfektes -
Abbild eines Urbildes. Die Schauspieler-Metapher ließ es nicht zu, die Potenz
des Menschen zu verabsolutieren und sich damit wie Pico dem Vorwurf der
Häresie auszusetzen. Vives' Menschenbild ist das eines christlichen Humani-
sten: Er bejaht die schöpferische Freiheit des Individuums, welche die We-
senswürde des Menschen begründet; aber dieser bleibt eingebunden in die
schlechthinnige Abhängigkeit von Gott. Die Möglichkeit zu einer Selbsterlö-
sung, die der Prozeß der Vergottung bei Pico impliziert, kann es für Vives nicht
geben, der die durch die christliche Religion gezogenen Grenzen nirgends
überschritten hat.
Vives' Auseinandersetzung mit der jüdischen Auslegung
des Alten Testamentes

Klaus Reinhardt (Trier)

Der Dialog des Christen mit dem Juden, den Vives im dritten Buch seines
posthum veröffentlichten Spätwerks De veritatefidei christianae führt1, muß ihn
persönlich sehr bewegt haben. Wissen wir doch, wenn auch erst seit einigen
Jahrzehnten2, daß seine Eltern jüdischer Abstammung waren und wegen an-
geblichen Rückfalls in den alten Glauben Opfer der Inquisition wurden. Der
Dialog mit dem Juden war also für Vives eine Auseinandersetzung mit der Re-
ligion seiner Väter; er bildet die molesta pars ... et perplexa seiner Apologie des
Christentums. Trotz alledem finden sich in dem Werk keine Anspielungen auf
sein persönliches Schicksal; es ist ein rein literarischer Dialog. Das Bild des Ju-
den, das er da zeichnet, entspricht weithin dem damals üblichen Klischee. Der
Jude ist verstockt, voller Haß gegen das Christentum, kurzum "blind und taub
für alles außer fürs Geld"3. Trotzdem schlägt Vives schon in der Einleitung
einen neuen, seine Apologetik kennzeichnenden Ton an, wenn er die Zuver-

Die editio princeps erschien in Basel 1543. Ich zitiere hier nach der Ausgabe der Opera omnia,
tomus VIII (Valencia 1790), 247-364: Liber tertius qui est contra judaeos quod Jesus est messias.
- Zu diesem Werk siehe A. Bonilla y San Martín, Luis Vives y la filosofía del renacimiento.
Segunda edición (Madrid 1981), 313-321; P. Graf, Ludwig Vives als Apologet. Ein Beitrag zur
Geschichte der Apologetik (Freiburg i. Br. 1932); J. M. Millas Vallicrosa, "La apologética de
Luis Vives y el Judaismo", in: Sefaradl (1942), 1-31; C. Gilly, Spanien und der Basler Buchdruck
bis 1600. Ein Querschnitt durch die spanische Geistesgeschichte aus der Sicht einer europä-
ischen Buchdruckerstadt (Basel 1985), 172-185, besonders 182-185. - Über Vives im allgemeinen
siehe K. Deuringer, Art. "Vives", in: LThK X (1965), 829-830; C. G. Noreña, Juan Luis Vives
(Den Haag 1970); J. Jiménez Delgado, Art. "Vives", in: Diccionario de historia eclesiástica de
España IV (Madrid 1975), 2779-2780; A. Gómez-Hortigüela Amillo, Luis Vives, valenciano o El
compromiso del filósofo (Valencia 1991).
2
A. Castro, España en su historia (Buenos Aires 1948), 682-685, hat wohl als erster in der Form
einer Vermutung die jüdische Herkunft von Vives angenommen. Bald darauf entdeckte Abdón
M. Salazar die Prozeßakten, die dann von Miguel de la Pinta Llórente sowie J. M. de Palacio
veröffentlicht wurden: Procesos inquisitoriales contra la familia de Juan Luis Vives. I. Proceso
contra Blanquina March, madre del humanista (Madrid 1964). - Vgl. Gilly, op. cit., 173-175; J. L.
Abellán, Historia crítica del pensamiento español. II: La edad de oro (siglo XVI) (Madrid 1979),
108-120, besonders 111.
3 "Vos ad omnia estis caeci et surdi praeterquam ad quaestum pecuniae ... vos nihil (adfertis) nisi
obstinatam pertinaciam, ignorantiam universorum et rabiem cuncta damnandi." Opera omnia
VIII, 254-55. Es ist immerhin bemerkenswert, daß der Christ auf die Vorhaltung des Juden,
diese Äußerung trage nichts zur Sache bei und sei beleidigend, schweigt, die Kritik also offenbar
doch akzeptiert. - Die typischen Bilder des Juden in der christlichen Polemik des Mittelalters be-
schreibt G. Dahan, Les intellectuels chrétiens et lesjuifs au moyen âge (Paris 1990), 517-530.
10 Klaus Reinhardt
sieht äußert, auch der Jude werde die Auseinandersetzung "von Mensch zu
Mensch, mit Hilfe der menschlichen Vernunft und Urteilskraft" führen4.
Wenn es sich um einen literarischen Dialog handelt, dann stellt sich die Frage
nach den Quellen. Paul Graf und José María Millás Vallicrosa haben in ihren
Untersuchungen sehr schön die Verankerung des Dialogs in der Tradition auf-
gezeigt. Vives' Argumente für die Überlegenheit des Neuen über das Alte
Testament und für die Messianität Jesu sind im allgemeinen nicht neu. Auch
die literarische Form, in der sie vorgetragen werden, die Form des Dialoges,
wurde schon im 2. Jahrhundert von Justin dem Märtyrer in seinem Dialog mit
dem Juden Tryphon verwendet5. Unbeachtet blieb bisher bei der Quellenana-
lyse der Hinweis des Herausgebers der Opera omnia, des Valencianers Gre-
gorio Mayans6, Vives sei zu seinem Dialog mit dem Juden und mit dem Musel-
manen im dritten bzw. vierten Buch von De veritate fidei christianae angeregt
worden durch die 1535 erschienenen Diálogos cristianos contra la secta maho-
meta y contra la pertinacia de los judíos des Kanonikus von Gandía, Bernardo
Pérez de Chinchón; Vives habe dieses Werk gleichsam in seinen eigenen Saft
und sein eigenes Blut verwandelt und in eine stimmigere Form gebracht. Die-
sem Hinweis von Mayans möchte ich im folgenden nachgehen und in einem et-
was weiteren Rahmen Vives' Dialog mit dem Juden auf dem Hintergrund der
Geschichte des christlich-jüdischen Dialogs in Spanien betrachten7.

Die Quellen für Vives' Dialog mit den Juden in Spanien zu suchen, obwohl
Vives seit seinen Studienjahren außerhalb Spaniens lebte8, ist nicht so abwegig;
4
"... qui cedat apertae rationi et homo cum homine humana ratione ac judicio diseeptante conten-
dat". Opera omnia VIII, 248.
5
Vgl. jetzt zusammenfassend zu Inhalt und Form solcher Dialoge G. Dahan, Les intellectuels
(Anm. 3), besonders 415-22, 573-510; ders., La polémique chrétienne contre le judaïsme au
Moyen Age (Paris 1991), besonders 69-86 und 123-136.
6
"Non ingratum erit lectori noscere caussam, ob quam Vives scripserit dialogistice tertium et
quartum librum operis, De Veritate fidei christianae, adversus Judaeos et Muhammedanos;
nimirum imitatus fuit Ludovicum Bernardum Perez de Chinchón, canonicum Gandiensem, qui
anno 1535 ediderat Valentiae sermone hispano Dialogos christianos contra sectam muhamme-
danam et pertinaciam judaeorum: opus raritate et doctrina praestans, quod Vives in succum et
sanguinem proprium convertit et eruditione et juditio, quo pollebat, in conccinniorem metho-
dum redegit." Opera omnia I, Anhang, 167.
A. Bonilla y San Martín, op. cit. (Anm. 1), 319, meint, Vives habe sich im dritten Buch auf den
Tractatus contra iudaeos des Augustiners Jacobo Pérez de Valencia gestützt, der erstmals
1484/85 in Valencia erschienen ist, und im vierten Buch auf die Schrift Confusión de la secta
mahomética y del Alcorán (Valencia: J. Joffre, 1515) des Alfaqui von Játiva, der sich nach seiner
1487 in Valencia vollzogenen Konversion zum Christentum Juan Andrés nannte. Vgl. dazu
Everette Eugene Larson, A Study of the " Confusión de la secta mahómica" oí Juan Andrés (Ann
Arbor, Michigan 1985).
M. Bataillon hat bekanntlich Vives nicht in seiner Geschichte des spanischen Humanismus be-
handelt; siehe sein Werk Erasmoy España (Mexico 1966), S. VII: "Vives, a partir de sus años de
estudiante en la Sorbona, pertenece a Europa." Diese Meinung findet auch heute noch Zustim-
mung (siehe Gilly, op. cit., 172-173), aber auch Ablehnung (siehe Abellán, op. cit., 108). Auf die
Verwurzelung seines Denkens in seiner spanischen Heimat weist neuerdings hin E. González y
Gonzalez, Joan Lluis Vives: de la escolástica al humanismo (Valencia 1987).
Vives'Auseinandersetzung mit dem Alten Testament 11
denn gerade in Spanien war das jüdische Erbe, auch nach der Vertreibung der
Juden 1492, besonders lebendig. Man denke nur an die Complutenser Poly-
glotte und an die Hebraisten von Alcalá und Salamanca, etwa Luis de León
und später dann Arias Montano9. Auf der anderen Seite konnte Vives in seiner
neuen Heimat in dieser Hinsicht nicht so viele Anregungen erhalten. Sein
großes Vorbild Erasmus hat das Alte Testament sicher nicht verachtet, wie
man aus einzelnen Bemerkungen schließen könnte10; aber sein Hauptinteresse
galt doch dem Neuen Testament. Wenn er auf alttestamentliche Texte zu-
rückgreift, dann bezieht er sie im Gefolge des Orígenes und der ganzen christ-
lichen Tradition im geistigen, allegorischen Sinn auf Christus. Sicher steht auch
Vives in dieser Tradition. Aber er hat sich doch weit intensiver als Erasmus
dem Alten Testament selbst zugewandt und sich mit dessen Auslegung durch
die Juden beschäftigt.
Allerdings kann man Vives nicht zu den christlichen Hebraisten zählen. Dazu
fehlte ihm ähnlich wie Erasmus die wichtigste Voraussetzung, die Kenntnis der
hebräischen Sprache11. So blieb er immer wie ein Reisender in einem fremden
Land auf Dolmetscher angewiesen12, auch wenn er die besten zu Rate zog und
zum Beispiel an Stelle der Vulgata oft die neue, direkt aus dem Hebräischen
erarbeitete Übersetzung des Dominikaners Santes Pagnini benutzte13.
Vives lag vor allem eine angemessene Hermeneutik des Alten Testamentes am
Herzen. Die Dunkelheit und Mehrdeutigkeit vieler hebräischer Ausdrücke,
dazu die einfache, geradezu primitive Darstellungsweise des Alten Testamentes
versperren vielen, so meint Vives, den Zugang zu diesem Buch. Er selbst findet
den hermeneutischen Schlüssel in der Einsicht, daß Gott sich im Alten Testa-

g
Auf die hebräische Komponente im spanischen Humanismus weisen mit Recht hin N. Fernández
Marcos und E. Fernández Tejero, "Biblismo y erasmismo en la España del siglo XVI", in: M. Re-
vuelta Sañudo y C. Morón Arroyo (ed.), El erasmismo en España (Santander 1986), 97-108.
10
Vgl. Guido Kisch, Eramu¿ Stellung zu Juden und Judentum (Tübingen 1969); Simon Markish,
Erasme et les juifs (Genf 1979). Allgemein zur Schriftauslegung des Erasmus siehe L. Bouyer,
"Erasmus in Relation to the Medieval Biblical Tradition", in: G. W. H. Lampe, The Cambridge
History of the Bible II (Cambridge 1969), 492-505; A. Godin, Erasme lecteur dOrigène (Genf
1982); ders., "L'antijudaisme d'Erasme", in: Bibliothèque cf humanisme et renaissance 47 (1985),
537-553; ders., "La Bible et la 'philosophie chrétienne'", in: G. Bedouelle / B. Roussel, Le temps
des Réformes et la Bible ( = La Bible de tous les temps 5) (Paris 1989), 563-586; G. Bedouelle,
"L'humanisme et la Bible", in: ebda., 53-121; P. Walter, Theologie aus dem Geist der Rhetorik.
Zur Schriftauslegung des Erasmus von Rotterdam (Mainz 1991).
11
Das räumt Vives selbst gegenüber dem Juden ein; siehe Opera omnia VIII, 271. Eine ähnliche
Äußerung findet sich in der Erklärung der Bußpsalmen; vgl. Opera omnia 1,163.
12
Opera omnia VIII, 271.
13 ••
Uber Ansätze einer philologischen Kritik des Bibeltextes durch Vives siehe Graf, op. cit., 81-83
(Anm. 1). Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß Vives als einer der ersten in seinem
Kommentar zu De civitate Dei die Frühdatierung des Aristeas-Briefes in Zweifel gezogen hat;
vgl. L. Diestel, Geschichte des Alten Testamentes in der christlichen Kirche (Jena 1869), 332; B.
Roussel, in: G. Bedouelle / B. Roussel, op. cit. (Anm. 10), 139.
12 Klaus Reinhardt
ment der Fassungskraft des Volkes Israel angepaßt hat14. Die Idee der Anpas-
sung gibt ihm die Möglichkeit, sein Verständnis des Alten Testamentes sowohl
gegen die Auffassung eines heidnischen Humanismus wie gegen die des Juden-
tums abzugrenzen.
Mit einer an Savonarola15 erinnernden Schärfe greift er Angelo Poliziano und
andere italienische Humanisten16 an, die das Alte Testament seiner sprachli-
chen Form wegen verachteten und "lieber schön erzählte Fabeln hörten als die
einfache schlichte Wahrheit"17. Der Formenreichtum des Alten Testamentes, so
Vives, stehe dem eines Homer nicht nach. Man mache sich über die
Hirtengeschichten der Patriarchen lustig und schwärme auf der anderen Seite
für die Hirtengedichte eines Vergil oder Theokrit. Man beschäftige sich lieber
mit dem grausamen Nero oder dem verrückten Caligula statt mit dem sanftmü-
tigen David und dem weisen Salomo18.
Trotz all dem Gesagten ist für Vives das Alte Testament ein unvollkommenes
Gesetz, eine lex puerilis19, in der sich Gott der primitiven Fassungskraft von
Kindern angepaßt hat. Einen Gedanken des Pseudo-Dionysius Areopagita20
aufgreifend betont er, Gott habe mit Absicht möglichst grobe Bilder benutzt,
um klarzumachen, daß das eigentlich Gemeinte hinter dem Wortsinn Hege. Das
Alte Testament gilt nach ihm keineswegs für alle Ewigkeit, sondern stellt eine

14
Opera omnia VIII, 159-167.
15 "
Uber heidnische Elemente im italienischen Humanismus und die Reaktion Savonarolas siehe M.
Glossner, Savonarola als Apologet und Philosoph (Paderborn 1898), 4 und 21. Glossner zitiert
auf S. 4 auch aus einem Brief des Kardinals Bembo an Sadolet; Bembo fürchtete, durch die Lek-
türe der Hl. Schrift die Eleganz seines Stiles zu verderben. Erasmus dagegen hat die literarische
Qualität der Bibel verteidigt; vgl. Erasmus, Dialogas Ciceronianus sive De optimo genere di-
cendi (1528); ed. P. Mesnard, in: Opera omnia, ordinis primi tomus secundus (Amsterdam
1971), 580-710, besonders 644-45: "Habet divina sapientia suam quandam eloquentiam" (645,11).
16
Über Angelo Poliziano (1454-1494) siehe ECatt IX (1952), 1692-97 (G. Vallese). - Über die im
allgemeinen positive Haltung der italienischen Humanisten zur Bibel und speziell zum Alten Te-
stament siehe S. Garofalo, "Gli humanisti italiani del secolo XV e la Bibbia [sie]", in: Biblica 27
(1946), 338-75; Ch. Trinkaus, In Our Image and Likeness. Humanity and Divinity in Italian Hu-
manist Thought. II (London 1970), 563-614. Nach Trinkaus (ebda., 578-601) hat Leonardo Bruni
das Studium des Hebräischen als unnütz kritisiert (Hebraicas literas inutiles, graecas vero
latinasque utilissimas esse ostendit), während sich Gianozzo Manetti dem Studium des Hebräi-
schen zuwandte; aber Vives bezieht sich sicher nicht auf Leonardo Bruni.
17
Opera omnia VIII, 163.
18
Vgl. Graf, op. dt., 61-62 (Aim. 1).
19
"Sunt tarnen quidam, qui in vetere instrumento offenduntur illis legis praescriptis, ut ipsi ajunt
tarn indignis Dei majestate: ego vero non miror hoc aliquos mirari, nam lex Judaeorum, ut quae
pueris dabatur, in specie quam Judaei erant tunc visuri et quam solam etiamnum sustinent
intueri, puerilis est, et plane indigna Deo; immo nisi Christus earn a Deo affirmasset traditam,
multi ex nationibus non potuissent adduci ut id crederent..."; Opera omnia VIII, 165. Siehe auch
274.
20
Opera omnia VIII, 162.
Vives'Auseinandersetzung mit dem Alten Testament 13
primitive Phase in der Geschichte der göttlichen Offenbarung dar21. Der
eigentliche Sinn der Bilder und Vergleiche wird erst vom Ziel der Entwicklung
her einsichtig, vom Erscheinen Christi22.
Der große Fehler der Juden besteht darin, daß sie den entwicklunggsgeschicht-
lichen, pädagogischen Sinn des Alten Testamentes verkennen. Erschwerend
kommt nach Vives dazu, daß sie das buchstäbliche Verständnis der Bibel im
Talmud und in den Glossen des berühmten Raschi geradezu kanonisiert ha-
ben23. Der Talmud verfälscht nach Vives durch seine Anthropomorphismen die
Idee Gottes24; er verfälscht aber auch das Bild des Menschen, weil er dessen
Ziel in irdisch-materieller Erfüllung und nicht im unsterblichen Leben der
Seele sieht.
Darum bemüht sich der Christ im Dialog des dritten Buches zunächst darum,
dem Juden ein angemessenes, d.h. ein geistiges Verständnis von Gott und vom
Menschen nahezubringen. Ist dies gegeben, dann wird sich der Jude gleichsam
von selbst zu Christus bekehren25. Er wird erkennen, daß das Judentum nur
eine vorbereitende Funktion hatte und durch das Erscheinen Christi überholt
ist. Jesus von Nazareth ist der von den Juden erwartete Messias, und die Chri-
sten, die das Alte Testament geistig verstehen, sind die wahren Juden 26 .
Vives argumentiert also letztlich von Christus her; trotzdem konfrontiert er den
Juden nicht gleich mit der Gestalt Christi, sondern beruft sich zunächst auf die
menschliche Vernunft, die den wahren, den geistigen Begriff von Gott und vom
Menschen enthält. Während der Jude vom Christen einen Schriftbeweis ver-

21
Vgl. Vives' Antwort auf den Einwand der Juden, das alttestamentliche Gesetz stamme von dem
22
ewigen Gott und habe eine ewige Dauer; Opera omnia VIII, 276-281.
Es scheint geradezu, daß mit Christus das Alte Testament überflüssig geworden ist. "Has omnes
obscuritates illustravit Christus, et figuris atque umbris suum corpus ostendit verum germanum-
que, ut quum corpus hoc habeamus, nihil sit opus amplius imaginibus et adumbratione." Opera
omnia VIII, 167.
23
Opera omnia VIII, 162, 166-67; vor allem aber Opera omnia VIII, 252-254, 269-270. In der Tat
bildeten die Glossen von Raschi, Rabbi Salomo ben Isaac aus Troyes ( + 1105), gleichsam die
Glossa ordinaria der Juden.
24
Das ist ein Vorwurf, der immer wieder erhoben wurde; vgl. dazu M. Orfali, "Anthropomorphism
in the Christian Reproach of the Jews in Spain (12th - 15th Century)", in: Immanuel 19 (1984/85),
60-73; ders., El tratado "De iudaicis erroribus ex Talmut' de Jerónimo de Santa Fe (Madrid
1987). Obwohl Vives von der Anpassung Gottes an die Fassungskraft der Menschen spricht,
bringt er offenbar kein Verständnis auf für den positiven Sinn der Anthropomorphismen in der
Bibel und im Talmud. Vgl. dazu E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der
Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus (Tübingen 1977),
317ff; P. Kuhn, Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie derRabbinen (München 1968).
25
Opera omnia VIII, 247-263.
26
Vgl. Opera omnia VIII, 166-167. Vives vertritt auch sonst eine sogar bei christlichen Theologen
nicht selbstverständliche Christozentrik. Über deren mögliche Wurzeln bei Ramón Lull und in
der franziskanisch-skotistischen Theologie siehe B. G. Monsegú, "La doctrina cristológica de
Juan Luis Vives", in: Estudios franciscanos 55 (1954), 429458, 56 (1955), 43-70; ders., Filosofía
del humanismo de Juan Luis Vives (Madrid 1961).
14 Klaus Reinhardt
langt, insistiert der Christ auf der ratio. Nur die ratio könne letztlich darüber
entscheiden, ob ein Text Gottes Wort ist und wie er auszulegen ist27. Die Beru-
fung auf die ratio bildet das Kernstück in Vives' Apologetik.
Die ratio ist für ihn natürlich keine autonome Instanz. Ihrer Herkunft nach ist
sie ein Strahl der göttlichen Vernunft, das höchste Gut, das Gott dem Men-
schen geschenkt hat28. Vives weiß auch um die Unvollkommenheit und Schwä-
che der menschlichen Vernunft. Sie kann nur eine Hinführung zur absoluten
Wahrheit geben, eine manuductio oder introductio^. Ihre Argumente sind in
Glaubensfragen nicht zwingend; es sind eher Mutmaßungen30. Zu ihrer Reini-
gung und Vollendung braucht die menschliche Vernunft das Licht des gott-
menschlichen Lehrers Christus31. Deshalb empfindet Vives auch eine mögliche
Korrektur durch die Kirche Christi keineswegs als einen Eingriff in die Freiheit
des rationalen Diskurses32.
All die genannten Präzisierungen bezüglich der Tragweite der ratio sind für
Vives wichtig; aber sie heben seine Grundthese nicht auf: die ratio des Men-
schen entscheidet über die richtige Auslegung des Alten Testamentes, ja über

27
Grundsätzliches über den Gebrauch der ratio sagt Vives schon im dritten und vierten Kapitel
des ersten Buches, Opera omnia VIII, 12-30. Im zweiten Kapitel des dritten Buches wendet er es
auf die Kontroverse mit den Juden an, Opera omnia VIII, 263-271. "Nullo modo potestis legere
sacras litteras, quin adhibeatis mentem et judicium et rationem tanquam ducem intelligentiae...",
Opera omnia VIII, 263. - "Haec (sc. ratio) est ergo doctrix, haec via, index (iudex?), canon...",
ebda., 266. - "Ad rem maximam (sc. pertinent haec omnia), ut ratione et explanatione verisimili
adhibita legantur tractenturque sacrae litterae, non rudi ilia intelligentia verborum, qua nihil
potest fieri absurdius: et haec fuit causa cur nec vos nec patres vestii agnoscitis Messiam, quia
non vultis engere vos ad considerationem rationis spiritalis, sed haerere crassitiae litterae pueri-
lis ac ineptae, contra id quod decet hominem ac Deum." Ebda., 269.
28
So schon in der Praefatio. "Nihil enim est aliud humana ratio quam radius quidam divinae lucis,
ut regius ille psaltes merito dixerit Deo: Signatum est super nos lumen vultus tui, Domine (Ps
4,7)." Opera omnia Vili, 2; vgl. auch Opera omniaVIII, 13,266 und 268.
29
Zu manuductio siehe Opera omnia Vili, 3. Entgegen der Aussage von Opera omnia VIII, 266,
die ratio sei der Kanon unseres Suchens nach Wahrheit, sagt er in Opera omnia VIII, 18: "... nec
postulabimus ut canon et norma fidei sit nostra ratio, sed tantum introductio...". Die Idee der
manuductio erinnert, ebenso wie manche andere Gedanken über das Verhältnis von Glauben
und Wissen, an Nikolaus von Kues, von dem Vives aber offenbar keine Kenntnis hatte. Vgl. zur
Idee der manuductio bei Nikolaus von Kues R. Haubst, Streifzüge in die cusanische Theologie
(Münster 1991), 40-12.
VI
Siehe Opera omnia VIII, 23. Vgl. auch VIII, 27.
31
Wo Vives das Alte Testament nicht apologetisch, sondern erbaulich auslegt, zum Beispiel in der
Erklärung der Bußpsalmen, da praktiziert er eine Auslegung, die im wesentlichen christologisch
ist, aber auch alle Dimensionen des Menschlichen, z. B. Leid, Schuld und Umkehr, zur Sprache
bringt. Vgl. Opera omnia 1,162-255 ("Meditationes in psalmos poenitentiales") und Opera om-
nia VII, 91-100 ("Meditatio in psalmum XXXVII De passione Christi"). Die christologische
Auslegung führt also hier zu einem Bild des Menschen, das nicht so optimistisch ist wie das der
Fabula de homine.
32
In der Einleitung zu De veritate [idei christianae sagt er: "Ecclesiae vero judicio et sto et stabo
semper, etiam si mihi pro parte contraria apertissima videatur facere ratio; ego enim falli
possum et fallor saepissime; Ecclesia in his rebus quae ad summam pietatis pertinent numquam
fallitur." Opera omnia VIII, 22.
Vives' Auseinandersetzung mit dem Alten Testament 15
den richtigen Glauben selbst. So fordert er den Juden auf: "In der Nacht der
Heiligen Schriften wollen wir die ratio anzünden, um zu sehen, welcher Sinn am
meisten den Worten der Propheten entspricht..."33. Als der Jude einen Schrift-
beweis für die Messianität Jesu verlangt, hält ihm der Christ entgegen, er habe
doch schon vorher, im zweiten Buch der Apologie, mit Hilfe der Vernunft die
Angemessenheit der Inkarnation dargelegt, sodaß sich ein Schriftbeweis eigent-
lich erübrige. Auf jeden Fall stehe das von Gott ins Herz und in den Verstand
des Menschen eingeschriebene Gesetz über dem auf Stein und Pergament
festgehaltenen34, - ein Gedanke, der an die Theologia naturalis des Raimundus
Sibiuda erinnert35. Zwar geht der Christ dann doch auf das Verlangen des Ju-
den ein und legt eine Reihe von Schriftbeweisen vor, die weithin den christli-
chen Handbüchern antijüdischer Polemik entnommen sein dürften; aber ihre
Auswahl und Darbietung erfolgt doch nach den Gesichtspunkten der von Vives
bevorzugten rationalen Apologetik.

Vives' Auffassung von der dominierenden Rolle der ratio im interreligiösen


Gespräch ist in einem weiteren Rahmen zu sehen. Bis etwa zum 12. Jahrhun-
dert hatten Christen und Juden in ihren Streitgesprächen fast ausschließlich mit
auctoritates, nämlich mit biblischen testimonia, argumentiert36. Einer der ersten,
der neben die Autorität der Schrift als weitere entscheidende Instanz die ratio
stellte, war ein Landsmann von Vives, nämlich Pedro Alfonso, ein im Jahre
1106 zum Christentum konvertierter Rabbi aus Huesca, der in seinen Dialogi,
einem Selbstgespräch zwischen dem Christen Petrus und seinem früheren jüdi-
schen Ich, dem Moyses Sefardi, seine Bekehrung rechtfertigte37. Vives konnte
diese Schrift nicht übersehen haben; sie war in unzähligen Handschriften ver-
breitet und zudem im Jahre 1536 erstmals in Köln auch im Druck erschienen.

33
"Oblitusne es convenisse inter nos dudum, lumen humanae mentis de luce illa summa et sempi-
terna derivatum rationem esse? Hanc nos in nocte ista sanctarum scripturarum accendemus, ut
videamus quis sensus maxime congruat prophetae verbis, dictis et praecedentibus et futuris, quis
sit aptisssimus mysteriis et rebus sacratissimis, de quibus illlic agitur, ne celsissimas et divinas
sententias, quales sunt in sanctis oraculis, ad infimas, ineptas atque aniles interpretationes de-
flectamus, dum stomacho servimus, non intelligentiae..."; Opera omnia VIII, 315. Dem Heraus-
geber schienen diese Worte wohl zu kühn; er merkt am Rande an: "De ratione loquitur illumi-
nata ab Ecclesia."
34
"¿Quid porro si id quod confirmem, mysticis non esset litteris expressum? ¿an non plus est,
scriptum esse a Deo in cordibus nostris, quam in saxis aut membranis?" Opera omnia VIII, 314.
35
Raimundus Sabundus, Theologia naturalis seu Liber creaturarvm. Faksimile-Neudruck der Aus-
gabe Sulzbach 1852. Mit literargeschichtlicher Einführung und kritischer Edition des Prologs
und des Titulus I von Friedrich Stegmüller (Stuttgart-Bad Cannstatt 1966).
36
Einen Überblick über das Verhältnis von ratio und auctoritas in der christlich-jüdischen Polemik
des Mittelalters gibt G. Dahan, Les intellectuels, 423-471 (Anm. 3); ders., La polémique, 104-122
(Anm. 4).
37
Petrus Alponsi, Dialogi in quibus impiae iudaeorum opiniones evidentissimis cum naturalis tum
caelestis phiiosophiae argumentis confutantur... (Köln 1526, apud Joh. Gymnicum; PL 157, 535-
672). Vgl. K. Reinhardt / H. Santiago Otero, Biblioteca biblica iberica medieval (Madrid 1986),
250-258.
16 Klaus Reinhardt
Die Reichweite der ratio wurde von den christlichen Theologen der Scholastik
in unterschiedlicher Weise bestimmt. Während Anselm von Canterbury,
Ramón Llull, Ramón Sibiuda und andere den ganzen Glauben als der Vernunft
entsprechend, ja bis zu einem gewissen Grade als vernunftnotwendig ansahen,
schränkte Thomas von Aquin in seiner Summa contra gentiles die Rolle der
ratio ein; nur die praeambula fidei können von der ratio bewiesen werden; die
Kernwahrheiten des Christentums dagegen sind nur im Glauben an die in der
Bibel enthaltene göttliche Offenbarung zugänglich; die Vernunft kann nur
nachträglich eine gewisse Analogie zwischen Glaube und Vernunft ausmachen.
Diese Auffassung führte im Pugio fidei des Ramón Martí und in vielen anderen
antijüdischen Traktaten zu einem Nebeneinander von rationaler und bibel-
theologischer Argumentation.
Doch kehren wir noch einmal zurück zu Pedro Alfonso. In dessen Dialogi fin-
den sich nämlich außer der Berufung auf die ratio noch weitere neue Ideen, die
bei Vives wiederkehren: einmal die Verbindung von antijüdischer mit anti-
moslemischer Apologetik38 und dann innerhalb der antijüdischen Polemik die
Entdeckung der jüdischen Traditionsliteratur, vor allem des Talmud und der
Kabbala. Der Rückgriff auf den Talmud dient bei Pedro Alfonso wie bei Vives
vor allem dem Ziel, die vernunftwidrige, weil anthropomorphe Auslegung der
alttestamentlichen Gottesaussagen im Judentum zu illustrieren39. Daß andere
christliche Theologen, zum Beispiel bei den großen christlich-jüdischen
Disputationen von Barcelona 1263 und Tortosa 1413/14, im Talmud auch einige
Aussagen entdeckten, die sich gegen das Judentum und zugunsten des christli-
chen Glaubens gebrauchen lassen, war Vives offenbar nicht bekannt; der Tal-
mud ist für ihn Inbegriff des bornierten, auf ein buchstäbliches Verständnis der
biblischen Anthropomorphismen festgelegten Judentums. Eine andere Form
der außerbiblischen Überlieferung der Juden, nämlich die Kabbala, wurde von
den Christen meist positiver bewertet. Pedro Alfonso bietet mit seiner trinitari-
schen Interpretation des biblischen Tetragrammaton ein schönes Beispiel
präkabbalistischer Bibelinterpretation40. Auch Vives hat sich diese Interpre-
tation in etwa zu eigen gemacht41. Ob man ihn deshalb zu den Vertretern der
christlichen Kabbala rechnen kann, die in der Renaissance ihre Blüte erlebte,

38
Vgl. dazu auch A. H. and H. E. Cutler, The Jew as Ally of the Muslim. Medieval Roots of Anti-
Semitism (Notre Dame 1986).
39
Zur Beurteilung des Talmud im Christentum siehe G. Dahan, Les intellectuels, 456-469 (Anm.
3) und M. Orfali, op. at. (Anm. 24).
40
Vgl. E. Colomer, "La interpretación del tetragrama bíblico en Ramón Martí y Arnau de Vila-
nova", in: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. Miscellanea Mediaevalia 13 (Berlin 1981), 937-
945.
41
Opera omnia Vili, 323. Siehe Graf, op. dt, 86 (Anm. 1).
Vives' Auseinandersetzung mit dem Alten Testament 17
scheint mir fraglich42. Was für die Auseinandersetzung des Vives mit dem
Judentum wirklich charakteristisch ist, das ist die Berufung auf die ratio.
Darin sieht Millás Vallicrosa mit Recht eine Reaktion auf fideistische Strö-
mungen im damaligen Judentum wie im Christentum43. Schon in der Einleitung
zu De veritate fidei christianae wendet sich Vives gegen die sog. Lehre von der
doppelten Wahrheit, wie sie zum Beispiel von dem Paduaner Aristoteliker
Pietro Pomponazzi vertreten wurde. Vives selbst spricht von einer falschen
Unterscheidung des lumen fidei vom lumen naturae, so als ob im Licht des
Glaubens etwas wahr sein könne, was im Lichte der Natur falsch ist, und umge-
kehrt44. Für ihn gibt es nur eine Wahrheit, und diese kann von der menschli-
chen ratio zumindest anfanghaft erforscht werden, zumal wenn die Vernunft
von Gott und Christus erleuchtet wird.
Vives steht mit dieser Hochschätzung der ratio nicht allein da. Ende des 15.
Jahrhunderts hat zum Beispiel Savonarola in seinem Werk Triumphus crucis45
im Sinne des Thomas von Aquin die Bedeutung der ratio für die Glaubens-
begründung betont. Vielleicht wurde Vives davon beeinflußt; aber man kann
seine Auffassung sicher nicht allein vom Thomismus her erklären46. Die Posi-
tion von Vives berührt sich viel stärker mit der eines zeitgenössischen spani-
schen Humanisten, auf den Gregorio Mayans hingewiesen hat, Bernardo Pérez
de Chinchón. Auch wenn dieser Kanonikus von Gandia nicht zu den großen
Gestalten des spanischen Humanismus gehört, so ist er doch durch die Über-
setzung einiger Werke des Bernhard von Clairvaux und vor allem des Erasmus
bekannt geworden47. Sein Vorwort zur Übersetzung der Lengua des Erasmus

42
Vgl. C. Swietlicki, Spanish Christian Cabala. The Works ofLuis de León, Santa Teresa de Jesus
and San Juan de la Cruz (Columbia Univ. of Missouri Press, 1986) 7; F. Secret, La kabbala cris-
tiana del Renacimiento (Madrid 1979). - Einige Sätze sind wohl gegen die Kabbalisten gerichtet:
"Vel ex ipsis mysticis litteris originem errorum multi traxerunt; Sunt qui non minus rationem in
abstrusis illis mysteriis, parumque (ut dixi) ad nos pertinentibus requirant, quam in iis, quae
nosse ad pietatem spectant..."; Opera omnia VIII, 17.
43
Vgl. Millás Vallicrosa, op. cit., 3-4 (Anm. 1).
44
Opera omnia VIII, 18. Vgl. dazu auch P. O. Kristeller, El pensamiento renacentista y sus fuentes
(México 1982), 263-279.
45
Vgl. Hieronymus Savonarola, Triumphus crucis sive De veritate fidei libri quatuor et Meditatio-
nes eiusdem in Psalmum Miserere (Roma s.a., typis sacrae congregationis de propaganda fide).
46
Als Thomisten interpretieren ihn vor allem Graf und Millás Vallicrosa (vgl. Anm. 1). Monsegu
(vgl. Anm. 26) hebt die skotistischen und lullistischen Elemente in seiner Christologie hervor.
Vives selbst nennt als Theologen, denen er folgen will, zunächst einige Kirchenväter und dann
Thomas von Aquin; Opera omnia VIII, 19. Im Spanien des ausgehenden 15. Jahrhunderts setzte
sich vor allem der Salmantiner Theologe Pedro Martínez de Osma ( + 1480) für eine Rückkehr
zur Theologie des Thomas von Aquin ein, der seiner Auffassung nach die Kirchenväter zusam-
menfaßt und vollendet; siehe dazu K Reinhardt, Pedro de Osma y su comentario ai símbolo
"Quicumque" (Madrid 1977), 54-57.
47
Vgl. zu diesem Autor M. Bataillon, Erasmoy España (México 1966), 284-85 u. öfter und beson-
ders die Einleitung von Dorothy S. Severin zu der von ihr besorgten Ausgabe La Lengua de
Erasmo nuevamente romaneada por muy elegante estilo. Traducción española del siglo XVI por
18 Klaus Reinhardt
gehört nach Francisco Rico zu den schönsten, gelungensten und suggestivsten
Seiten der spanischen Renaissance, besonders im Bezug auf die Vorstellung
vom Menschen als Mikrokosmos48. Seine eigentliche Aufgabe aber sah
Bernardo Pérez nicht in humanistischer Bildung, sondern in der Bekehrung der
Muselmanen. Im Vorwort zu seiner 1532 erschienenen Schrift Antialcorano49
heißt es50:
Die Disputationen von Paris, die Übungen von Salamanca, die akademischen Akte von
Alcalá, die Rhetorik Italiens und die römische Eloquenz müßte man für dieses Unter-
nehmen (nämlich die Bekehrung der Moslems) aufbieten. Da mühen sich einige zu Tode,
um Plinius zu glossieren; sie vergießen ihren Schweiß, um Vergil zu erklären; sie arbeiten
sich ab, um Epigramme und Liebesgedichte zu verfassen, und keiner will den Irrtum
Mohammeds ausrotten, der uns so sehr bedrängt.

In einer weiteren Schrift, den 1535 in Valencia im Druck erschienenen Diálogos


christianos contra la secta mahomética y contra la pertinacia de los judíos51, be-
zieht Bernardo Pérez auch die Juden in sein Missionsprogramm ein. Sein
Dialogpartner ist hier ein zum Christentum konvertierter Korangelehrter, ein
gewisser Joseph Zumilla, bei dem Pérez arabisch gelernt hatte. Joseph schlüpft
in diesen Dialogen der Form halber noch einmal in die Rolle des Alfaqui52.

Bernardo Pérez de Chinchón. Edición de Dorothy S. Severin (Anejos del Boletín de la Real
Academia Española, Anejo XXXI, Madrid 1975), dort S. IX-XXXIV.
48
F. Rico, El pequeño mundo del hombre. Varia fortuna de una idea en la cultura española
(Madrid 1986), 137.
49
Libro llamado Antialcorano que quiere dezir contra el Alcorán de Mahoma, repartido en XXVI
sermones, compuesto por el R. Maestro Bernardo Pérez de Chinchón canónigo de Gandía
(Valencia 1532; die Approbation ist schon von 1528; Exemplar in Madrid BN, R. 6875). Das
Werk ist gewidmet Guillen Desprats, abad de San Marcelo, vicario general e inquisidor en el
arzobispado de Valencia, mit dem Vives korrespondierte. Zu Aufbau und Inhalt des Werkes vgl.
D. S. Severin, op. cit. (Anm. 47).
50
"Las disputas de Paris, los exercicios de Salamanca, los actos de Alcalá, la retórica de Italia, la
eloquentia Romana en esta empresa se devría emplear. Mueren algunos por anotar a Plinio, su-
dan por declarar Vergilio, trabajan por metrificar epigramas y versos de amores; y ninguna se
exercita en estirpar este error de Mahoma que tanto cunde." Antialcorano, fol. A5r-v.
51
Das Werk ist dem Kardinalerzbischof von Valencia Eberhard de la Marche, früher Bischof von
Lüttich, gewidmet. Die Widmung, die in Latein verfaßt ist, weil der Erzbischof kein Spanisch
verstand, datiert vom 30. Dezember 1534. Ein Exemplar dieses seltenen Werkes befand sich in
der Bibliothek von Fernando de Rojas, dem Verfasser der Celestina; vgl. Stephen Gilman, The
Spain oí Fernando de Rojas (Princeton 1972), 453-55 und D. S. Severin, op. cit. (Anm. 47).
Heute existiert, soweit mir bekannt ist, nur noch ein einziges Exemplar des Werkes; es befindet
sich in der Bayerischen Staatsbibliothek (Signatur: 4 Asc. 680/1).
52
Vgl. den Titel des ersten Dialogs, der noch einmal den Titel des ganzen Werkes aufnimmt:
"Disputa compuesta a manera de diálogo entre el maestro Bernardo Pérez de Chinchón, canó-
nigo de Gandía, y Joseph arávigo maestro suyo sobre ciertos artículos de nuestra sancta fe
cathólica los quales niegan falsamente los moros y los judíos" (A VlIIr). Vgl. auch das Vorwort
(fol. A VIv). Schon im Vorwort zum Antialcorano (fol. A VIrv) erwähnt Pérez diesen Alfaqui.
Einige Jahrzehnte vorher, im Jahre 1487, hatte sich ein anderer, nämlich der Alfaqui von Játiva,
nach dem Anhören einer Predigt in der Kathedrale von Valencia zum Christentum bekehrt und
den Namen Juan Andrés angenommen. Auf Anregung von Martín Garcia (1462-1521), zuerst
Archidiakon von Zaragoza und von 1512 an Bischof von Barcelona, übersetzte Juan Andrés
(nach 1512 ?) den Koran und die Suna ins Spanische. Während diese Ubersetzung offenbar ver-
Vives' Auseinandersetzung mit dem Alten Testament 19
Uns interessiert hier vor allem der zweite von den sechs Dialogen. Hier spre-
chen die beiden über die Rolle der menschlichen Vernunft bei der Suche nach
der ewigen Wahrheit53. Der Moslem unterscheidet zunächst zwischen natürli-
chen und übernatürlichen Wahrheiten.
Wie es für die natürlichen Dinge in unserer ratio ein Licht gibt, das sie erreicht, so gibt es
in uns für die göttlichen Dinge den Geist (spiritu), der sie mutmaßt.

Aber damit will Pérez durch den Mund des Alfaqui ebensowenig wie Vives
zwischen den beiden Sphären trennen. Er folgert vielmehr:
Also ist der Mensch ein übernatürliches Lebewesen, das durch seine Vernunft die überna-
türlichen, göttlichen Dinge erreicht, was kein anderes Lebewesen vermag, auch nicht die
Sonne, der Mond oder die Elemente.

Und der Alfaqui fährt fort:


Darum wage ich zu sagen, daß die Würde unseres Verstandes so groß ist, daß er, sofern
ihn nicht Laster und Bosheit^verblenden, auch ohne Hilfe der Offenbarung die göttlichen
Geheimnisse erreichen kann.

Allerdings, so meinen beide Gesprächspartner, wird es gut sein, sich in schwie-


rigen und umstrittenen Fragen an bewährte Zeugen zu wenden. Im Dialog zwi-
schen Christen und Muselmanen bietet sich dafür das Alte Testament an, das
beide Parteien als Zeugnis der Wahrheit anerkennen. Wer aber richtet und ur-
teilt, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten über die richtige Auslegung des
Alten Testamentes kommt? Die Antwort ist nach all dem Gesagten klar: Rich-
ter ist die menschliche Vernunft57. Also, so folgert der Christ weiter, müsse der

loren ging, ist ein anderes Werk von ihm erhalten: Confusión de la secta mahomética y del
Alcorán (Valencia, J. Joffre, 1515) (siehe dazu Anm. 7). Ob Bernardo Pérez de Chinchón diese
Schrift gekannt hat, müßte noch genauer untersucht werden. Im Vorwort zum Antialcorano be-
zieht er sich namentlich nur auf die Sermones von Martín García, die erstmals 1520 in Zaragoza
von Jorge Coci gedruckt wurden (Exemplar in Madrid BN R. 35640); dazu erwähnt er, ohne den
Namen der Autoren anzugeben, "drei oder vier Widerlegungen des Korans", die er eingesehen
habe. Vgl. D. S. Severin, op. dt. (Anm. 47), XIV-XV.
53
"Diálogo segundo en que por razones y auctoridades de la sancta Escriptura se muestra la
verdad de la ley christiana y el engaño y falsedad de la secta mahomética." Diálogos, fol. C Ir.
54
"Porque assí como para las cosas naturales ay en nuestra razón lumbre que las alcanqa, assí para
las divinas ay spíritu en nosotros que las barrunta..."; Diálogos, II, fol. C IVv.
55
"De donde saco yo este notable quel hombre es animal sobrenatural porque alcanza por razón
las cosas sobrenaturales de Dios lo que ningún animal ni sol ni luna ni elementos alcangan."
Ebda.
56
"Donde me atrevo a dezir ques tanta la excellencia de nuestro entendimiento, tanta la luz del res-
plandor divino que Dios puso en él que si no le cegamos por vicio o malicia aún sin ley divina
podríamos alcanzar la ley ques divina y los misterios divinos, como se lee de muchos philósophos
que por razón natural y alta contemplación alcanzaron muchas cosas de las que Dios ha revelado
dessí mesmo. Verdad es que siempre que habla la ley divina, es mayor luz y noticia que por ella
tenemos que lo que alcanza la razón natural." Ebda., C IVv-Vr.
57
Bernardo Pérez zitiert in diesem Zusammenhang das Wort des Augustinus: "Ego vero evangelio
non crederem, nisi me catholicae ecclesiae conmoveret auctoritas" (Contra epistulam Manichaei
quam vocant fundamenti, n. 5; CSEL 25, 197) und sieht darin eine Bestätigung seiner Auffas-
20 Klaus Reinhardt
Moslem seine Weigerung aufgeben, über seinen Glauben und den Koran zu
diskutieren. Und als der Moslem zurückfragt, ob das Gleiche auch für den
Christen im Bezug auf das Evangelium gelte, sagt dieser ohne jedes Zögern ja.
"Jeder Mensch muß und kann sein Gesetz in Frage stellen (poner en razón) und
prüfen, ob es göttlich ist oder nicht."58
Es ist hier nicht möglich, den Dialog der beiden weiter zu verfolgen59. Für die
konkrete Auslegung der messianischen Texte des Alten Testamentes gibt die
kleine Schrift auch relativ wenig her60. Für diesen Zweck konnte Vives in Spa-
nien andere und ergiebigere Werke fmden. Besonders seine Heimat Valencia
hat eine reiche Tradition der antijüdischen christlichen Polemik aufzuweisen61.
Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Vives den Tractatus contra iudaeos des 1490
gestorbenen Augustiners Jaime Pérez de Valencia gekannt62. Dieser hat das
ganze Alte Testament konsequent im christologischen Sinn erklärt63; die Beru-
fung auf die ratio hingegen spielt bei ihm keine Rolle. In diesem Punkt konnte
Vives von Bernardo Pérez de Chinchón mehr Anregungen erhalten. Ob er
tatsächlich von ihm beeinflußt ist, wird man wohl nicht mit Sicherheit sagen
können. Auf jeden Fall aber hat sich Vives von einem ähnlichen Vertrauen in
die Kraft der menschlichen Vernunft leiten lassen wie Bernardo Pérez de
Chinchón. Beide greifen damit auf Vorstellungen der mittelalterlichen Theolo-
gie über das Verhältnis von ratio und auctoritas zurück; sie gehen aber weit
darüber hinaus; bis zu einem gewissen Grade weisen sie voraus in die Zeit der

sung. Damit solle gesagt sein: "... el mesmo Dios quiere que su ley se examine y platique y
averigüe conforme a razón y la yglesia que aprueva y recibe el evangelio: es el mesmo spíritu de
Dios que por los instrumentos de sus creyentes y por la razón natural, por las artes humanas jun-
tas con sus milagros manifiesta la verdad y manifiesta la mentira."
Zu Beginn des dritten Dialogs faßt er zusammen: "Quedamos, si bien me acuerdo, en esto: ques
tanta la fuerqa de la razón natural que, ayudada con la inspiración divina y acompañada con hu-
milde y sancto desseo, libre de passión y malicia, puede muy bien juzgar de las cosas humanas y
de las divinas, porque, según dize el propheta David, está en nuestro entendimiendo sellada
lumbre de luz divina (Ps 4,7), ques guía de nuestra razón. Y también quedamos en esto que todo
hombre deve y puede poner en razón su ley y examinar si es divina o no...", op. cit., fol. D Ir.
Siehe den Uberblick bei D. S. Severin, op. cit. (Anm. 47), XX-XXIII.
60
Erst im sechsten Dialog beweist Bernardo Pérez aus dem Alten Testament die Wahrheit des
christlichen Glaubens. Zu diesem Zweck gibt er weithin die Dialogform auf und bietet in zwei
Teilen eine paraphrasierende Übersetzung von Cyprians Testimonia contra iudaeos (Ad
Quirinum libri tres, CCSL 3,1-179) und einigen Aussagen des Augustinus.
61
Man denke an Namen wie Bernardo Oliver OESA, Juan Pedro Figuerola, Pedro de la Cavalleria
und Jaime Pérez de Valencia. Vgl. dazu K. Reinhardt, "Hebräische und spanische Bibeln auf
dem Scheiterhaufen der Inquisition. Texte zur Geschichte der Bibelzensur in Valencia um 1450",
in: Historisches Jahrbuch 101 (1981), 1-37.
62
Vives zitiert im Kommentar zu Augustins De civitate Dei die Expositio in psalmos seines
Landsmanns Jaime Pérez de Valencia, findet sie aber zu scholastisch. Da diese Expositio meist
zusammen mit dem Tractatus contra iudaeos gedruckt wurde, kannte Vives wohl auch diesen.
Vgl. dazu K. Reinhardt / H. Santiago Otero, op. cit. (Anm. 37), 172-179.
63
Vgl. dazu K. Reinhardt, "Die christologische Auslegung des Psalmes 'Miserere' im Kommentar
des spanischen Augustiners Jacobus Pérez de Valencia ( +1490)", in: Trierer Theologische Zeit-
schrift 96 (1987), 207-226.
Vives' Auseinandersetzung mit dem Alten Testament 21
Aufklärung64 und legen so die theologischen Wurzeln der aufgeklärten Ver-
nunft offen; es ist eine durch das Licht Gottes und Christi erleuchtete Ver-
nunft65.

84
Bezeichnenderweise hat Vives' Apologie De veritate fidei christianae in der Folgezeit großen
Einfluß ausgeübt, z. B. auf den französischen Hugenotten Philippe Du Plessis-Momay (1549-
1623) sowie auf Hugo Grotius (1583-1645). Vgl. dazu Graf, op. cit. (Anm. 1), 130-135 und C.
Gilly, op. dt. (Anm. 1). Siehe auch M. Batllori, "Las obras de Luis Vives en los colegios jesuíticos
del siglo XVI", in: ders., Humanismo y Renacimiento. Estudios hispano-europeos (Barcelona
1987), 125-149.
85
Siehe allgemein zur Entstehung der Aufklärung W. Philipp, Das Weiden der Aufklärung in
theologiegeschichtlicher Sicht (Göttingen 1972).
Der Humanist im Zwiespalt
zwischen irdischer Wahrheit und heilsgeschichtlicher
Ordnung.
Wörtliches Verstehen bei Fray Luis de Leon.

Karl Hölz (Trier)

I Glaube und Wissenschaft


Es versteht sich von selbst, daß im Zuge der humanistischen Arbeit am und mit
dem Text die Frage des wörtlichen Sinns zunehmend das Interesse der Autoren
beansprucht. Gerade die christliche Humanistenprosa in Spanien legt es, wie
wir seit den Studien von Pfandl, Américo Castro, Federico de Onis, Bataillon,
José Luis Abellán und Melquíades Andrés wissen, darauf an, die altscholasti-
sche Dialektik mit ihren schematischen und spekulativen Disputationen durch
eine philologische und wissenschaftliche Forschungsmethode zu ersetzen. 1
Schenkt man Luis Vives Glauben, so hat insbesondere in Spanien die scholasti-
sche Sophistik breiten Fuß gefaßt. 2 Gegen sie ist das humanistische Programm
gerichtet und an ihrem orientierungslosen Vorgehen des disputar pro y contra3
entzündet sich das neue exegetische Bewußtsein, mit dem die Traktatautoren
die humanistische Erneuerung der Wissenschaften zu begründen versuchen.
Zentraler Ansatzpunkt wird ihr rationales und an den Konkreta sich messendes
Methodenbewußtsein. Dieses wertet ohne jede spekulative Voreingenommen-
heit die Gegebenheiten der Geschichte auf - nicht zufällig beruft sich Luis
Vives etwa in seinen Schriften auf den Topos historia magistra vitae4 - und ist
grundsätzlich auf das gerichtet, was spätere Gelehrte die positive Theologie
nennen werden. In ihr werden die Erkenntnisquellen systematisch geordnet,
um eine textnahe und fundierte Beweisführung zu ermöglichen. Melchior Cano
gilt als der Begründer dieser neuen Methodenlehre. In seinem Werk Loci

1
Ludwig Pfandl, Geschichte der spanischen Nationalliteratur in ihrer Blütezeit, Darmstadt 1967
( 1929); M. Bataillon, Brasme et F Espagne, Paris 1937. Ai^f spanisch: Erasmo y España.
Estudios sobre la historia espiritual de! siglo XVI, México 1966. - Gegen das Urteil, daß
Spanien ein Land ohne Renaissance sei, geht Otis H. Green vor, "A Criticai Survey of Scolarship
in the Field of Spanish Renaissance Literature", in: Studies in Philology 44 (1947), S. 228-264.
Eine ausführliche Darstellung der kulturellen, philosophischen und theologischen Aspekte in
der Renaissance gibt José Luis Abellán, El erasmismo español, Madrid 1982. Vgl. auch
Melquíades Andrés, La teología española en el siglo XVI, Madrid 1977.
2
In Pseudodialecticam (op. III, Valencia 1782, S. 38): "Qui [seil, hispani] ut sunt homines invidi
ita fortiter tuentur arcem ignorantiae et optima ingenia, ubi intenduntur, valent, tradunt sese his
deliramentis [...]." Eine Auflistung der dialektischen Werke aus dem frühen 16. Jh. findet sich bei
K, Burger, Die Drucke und Verleger in Spanien von 1501 bis 1536, Leipzig 1903.
Vgl. neben den Invektiven des Luis Vives in In Pseudodialecticam etwa Alfonso Valdés,
"Diálogo entre Mercurio y Carón", zit. in: José Luis Abellán, El erasmismo español, Madrid
1976, S. 141 f.
4
Luis Vives, De disciplinis, Leiden 1636, S. 156,157,617,619 etc.
Vives und Fray Luis de Leon 23
theologici hat er die antike und mittelalterliche Topiklehre aufgegriffen und zu
einer philologischen Hilfswissenschaft umgearbeitet.5 Die loci fungieren in sei-
ner Lehre als Elemente einer Stoffsammlung, die die Quellen der Erkenntnisse
zusammenfassen. Insgesamt unterscheidet er zehn solcher loci theologici. Als
Fundstellen für die Glaubenswahrheiten gibt er an: 1) die Hl. Schrift
(scriptum), 2) die mündliche Überlieferung (traditio), 3) die katholische Kirche
(ecclesia catholicä), 4) die Konzilien (conciliä), 5) die römische Kirche (ecclesia
romana), 6) die Väter (patres), 7) die scholastischen Theologen (scholastici
theologici), 8) die natürliche Vernunfterkenntnis (ratio humana), 9) die Philo-
sophen (philosophi), 10) die Geschichte (historia humana)? Wichtig und fin-
den weiteren Gang der humanistischen Diskussionen entscheidend ist die
Aufteilung der loci in positive und spekulative Glaubensquellen. Während die
ersten sieben loci auf die auctoritas des göttüchen Glaubenszeugnisses Bezug
nehmen und dazu bestimmt sind, die Grundlagen der göttüchen Offenbarimg
darzulegen (ponere principia), betreffen die loci acht bis zehn die Belange der
ratio und bringen die Erkenntnisse der weltlichen Wissenschaften ein:
Sed et duas esse cuiusque disciplinis partes exploratum est, unam in qua principia ipsa
tamquam fundamenta ponimus, statuimus, firyiamus; alteram in qua principiis positis ad
ea, quae sunt inde consequentia, proficiscimur.

Mit der Aufspaltung der humanistischen Erkenntisse in eine glaubensfunda-


mentale und verstandesorientierte Wahrheit bahnt sich jene Interessenskolli-
sion an, die in der Folgezeit humanistisches und gegenreformistisches Denken
in potentiellen Widerstreit bringen wird. Razön und fe, der Grammatiker und
der Theologe, philologisches Wissen des Humanisten und die Autorität der
Kirche stehen sich gegenüber und stellen mit ihren divergierenden Interessen
die orthodoxe Verbindlichkeit der Glaubensinhalte in Frage. Das Verhältnis
von auctoritas und ratio scheint in der theoretischen Begründung eindeutig fest-
gelegt zu sein. Hatte schon eine verbreitete patristische Regel vorgeschrieben:
"Non ad meam voluntatem Scripturas trahere"8, so wird auch die Maxime des
Augustinus in der humanistischen Bibelexegetik bereitwillig angenommen:

5
Uber die Vorgeschichte des Locus-Begriffes sowie speziell über Melchior Cano informiert aus-
führlich Albert Lang, Die "Loci theologici' des Melchior Cano und die Methode des
dogmatischen Beweises. Ein Beitrag zur theologischen Methodologie und ihrer Geschichte,
München 1928.
6
Lang, a.a.O., S. 74 ff. Vgl. ebenso Johannes Beumer, "Positive und spekulative Theologie. Kriti-
sche Bemerkungen an Hand der 'Loci theologici' des Melchior Cano", in: Scholastik.
Vierteljahresschrift für Theologie und Philosophie 79 (1954), S. 53-72.
7
H. Serty (Hg.), Melchioris Opera, Patavii 1762, S. 15. Zit. bei Beumer, a.a.O., S. 57.
8
Vgl. Henri Lubac SJ, Exégèse médiévale. Les quatre sens de récriture, 4 Bände, Paris 1959-1964,
Band 2, S. 99 ff. Kapitel II: "Subjectivisme et intelligence spirituelle".
24 Karl Hölz
g
Ego vero evangelio non crederem, nisi catholicae ecclesiae coramoveret auctoritas.

Die dogmatische Fixierung der Vernunftwahrheiten klingt nach, wenn Cano die
Rangfolge zwischen den weltlichen Wissenschaften und der Theologie eindeu-
tig festlegt:
Utraque [...] theologo necessaria est auctoritas et ratio; sed ita tarnen, ut auctoritas primas
in Theologia partes obtineat, ratio vero secundas.

Die Einführung der weltlichen Wissenschaften in die exegetische Praxis hat die
theologische Fundierung keineswegs außer Kraft gesetzt. Dies meint auch Luis
Vives, wenn er trotz seines wissenschaftlichen Erkenntisstrebens dogmatisch
argumentiert: "Nihil est fide nostra verius."11 Das Tridentiner Konzil (1545-
1563) hat es nicht versäumt, in einem Dekret über die Bibelinterpretationen auf
die Verbindlichkeit der in der traditio verankerten Wahrheiten hinzuweisen:
Praeteria ad coercenda petulantia ingenia decernit, ut nemo, suae prudentiae innixus, in
rebus fidei et morum, ad aedificationem doctrinae christianae pertinentium, sacram Scrip-
turam ad suos sensus contorquens, contra eum sensum quem tenuit et tenet sancta Mater
Ecclesia, cuius est judicare de vero sensu et interpretatione Scripturarum sacrarum, aut
etiam contra unanimem Consensum Patrum ipsam Scripturam sacram interpretari
audeat.

Die Stellungnahme des Konzils war notwendig geworden, da sich seit dem 16.
Jahrhundert zwei eigene Disziplinen einer scholastischen und exegetischen
bzw. biblischen Theologie herausgebildet haben.13 Letztere beruft sich auf ein
Axiom, mit dem gerade die scholastische Bibelinterpretation die Freiheit der
Interpretation auf die Einheit des Glaubens und der Glaubenslehre zurückzu-
binden trachtete. Dem Axiom zufolge konnte der Schriftsinn mehrere Bedeu-
tungen beinhalten. Augustinus prägte dafür das Bild der reichhaltigen Quelle,
die verschiedene Bäche speist und aus denen sich für einen jeden "die Ströme
lauterer Wahrheit" ergießen.14 Abweichungen in der Auslegung ergänzen sich
nach dieser Lehre zu der unendüchen Ganzheit der göttlichen Offenbarung.

g
Augustinus, "Contra epistolam Manichaei quam vocant fundamenti", 5, 6 (patrología latina, 42),
hg. von Joseph Zycha, in: Corpus scriptorum ecclesiasticorum (CSEL) 25 (1891), S. 193-248, hier
S. 197.
10
A.a.O., S. 1. Zit. bei Lang S. 76.
11
Luis Vives, Opera omnia, Band VIII, S. 16. Der humanistische Konflikt zwischen Glaube und
Verstand wiederholt sich in der Opposition zwischen den "Alten und Modernen". Vgl. diesbe-
züglich Karl Kohut, "Ingeniosa comparación entre lo antiguo y lo presente", in: Klaus Heitmann
und Eckart Schröder (Hg.), Renatae Litterae. Studien zum Nachleben der Antike und der euro-
päischen Renaissance, Frankfurt 1973, S. 217-243.
12
Johannes Beumer, "Heilige Schrift und kirchliche Lehrautorität", in: Scholastische Vierteljahres-
schrift für Theologie und Philosophie 25 (1950), S. 40-72, hier S. 41.
13
Eine Gegenüberstellung der Disziplinen gibt Klaus Reinhardt, "Theologie als Interpretation der
Heiligen Schrift bei Antáo Galváo OESA (ca. 1559-1609) und Pedro Luis Beuther SJ (1538-
1602)", in: Portugiesische Forschungen der Görresgesellschaftll (1974), S. 1-25.
14
Augustinus, Confessiones, XII, 27.
Vives und Fray Luis de León 25
"Diversi sed non adversi", oder "diverso stylo, non diversa fide" bzw. "diversis
modis, non diverso Spiritu" hießen die Formeln, unter denen die Autorität der
traditio gewahrt erschien.15
Die Lehrtradition freilich mußte da um ihre Legitimation fürchten, wo die Ver-
schiedenheit der Erkenntnismöglichkeiten nicht mehr allein ihren Ursprung im
göttlichen Prinzip der Unendlichkeit fand, sondern dem philologischen Instru-
mentarium eines selbstbewußten Exegeten zugehörig erklärt wurde. Bereits die
editorischen Aktivitäten der Humanisten sprechen für sich. Als der Kardinal
und Gründer der Universität von Alcalá, Ximenes de Cisneros, die Ausgabe
der Biblia Polyglotta Complutensis (1520) in Auftrag gibt, expandiert das Unter-
nehmen zu einer umfangreichen Sprach- und Textdokumentation. Wenn die
Gelehrten aus Alcalá das Alte Testament herausgeben und dabei auf die Ver-
sionen des hebräischen Textes, des Septuagintatextes mit lateinischer
Interlinearübersetzung, des Targums (die aramäische Paraphrase des A. T.),
des Onkelos mit lateinischer Übersetzung sowie des Vulgatatextes zurückgrei-
fen, wenn sie darüber hinaus zwei Wörterbücher beifügen mit dem Vokabular
des Neuen Testaments in den Sprachen Griechisch, Hebräisch und Chaldäisch,
und wenn sie schließlich noch eine Einführung in die hebräische Grammatik
vorlegen, dann ist ihr Spracheifer nicht ohne Hintersinn. Mit der akribischen
Erschließung der Originaltexte verbindet sich der Wunsch nach einem direkten
Zugang zu den Quellen der Offenbarung. Statt über die Lehrautorität vermit-
telt zu sein, werden die kritischen Editionen Grundlagen eines eigenen Studi-
ums, an dem sich die humanistische Gelehrsamkeit gleichsam erprobt. Cisneros
hat im Vorwort zur Polyglott-Bibel die gewissermaßen didaktische Absicht des
Werkes hervorgehoben. Der interessierte Leser erhält die Bibel:

Ut ipsa igitur originaba in promptu haberet quicumque divinarum litterarum studiosus,


possetque non solis rivulis esse contentus, sed ex ipso fönte salientis aquae in vitam aeter-
nam sitim pectoris extinguere.

Cisneros hat das patristische und scholastische Postulat der unerschöpflichen


Glaubensquellen aufgegriffen, er hat es freilich in den Kontext eines humanisti-
schen Eigenstudiums gestellt. Die Aufwertung der Meinungsinstanz des Kriti-
kers und sein Anspruch, Überlieferungsfehler der Heiligen Schrift sowie Deu-
tungsschwächen der traditio auszumerzen, sind Gedanken, die gerade im Um-
kreis des Erasmismus gepflegt werden. Erasmus selbst hat das Recht der fun-
dierten Meinungsbildung wiederholt postuliert17, und er hat etwa unter Hinweis
auf die Polyglott-Bibel von Alcalá die Notwendigkeit der Urteilsbildung

15
H. Lubac, "A propos de la formule: Diversi sed non adversi", in: Mèi. J. Lebreton, Religious Stu-
dies Review, 39-40, S. 27-40. Diese und weitere ähnliche Belege finden sich bei Lubac, Exégèse
médiévale. Les quatre sens de t écriture, 4 Bde., Paris 1959-64, hier Bd. 1, S. 101 f.
16
Biblia Polyglotta Complutensis, Alcalâ 1520, Prologus, S. III.
17
Vgl. etwa Erasmus, Opera omnia, Leiden 1703-1706, op. V, S. 134: "Nobis satis est credere, te-
nere et adorare quod scriptum est."
26 Karl Hölz
begründet. Der gesamte textkritische Aufwand der Bibeledition sei "summa
fide" und unter der Maßgabe dessen "quod Optimum judicavimus" erstellt. Er
ist der Öffentlichkeit mit dem erklärten Anliegen übergeben, "ut nihilo secius
suo quisque iudicio frueretur".18
Unter den spanischen Exegeten finden sich ähnliche Gedanken. Sie entzünden
sich notwendigerweise da, wo die Mehrdeutigkeit des Schriftsinns zur Disposi-
tion steht. Hierbei geht es dann nicht vordergründig um die verschiedenen
Sinnebenen des sensus spiritualis mit den bekannten Varianten des allegori-
schen, des typologischen und des anagogischen Sinns.19 Die Mehrdeutigkeit
und damit Interpretationsbedürftigkeit tangiert vor allem den wörtlichen Sinn,
den sensus litteralis, auch historicus oder grammaticus genannt. Allein schon die
Debatten um die Übersetzungsproblematik der Heiligen Schrift rücken immer
wieder die Frage der getreuen Wortwiedergabe in den Vordergrund. Schon
lange, seit Cassiodor, Alcuin und Theodulf wußte man, daß die autorisierte
Fassung der Vulgata nicht "rein" sei, daß Lesarten der Vetus Latina in sie ein-
gedrungen seien20 und daß sich vor allem Abweichungen durch die nachlässige
Arbeit der Kopisten eingeschlichen haben. Ansätze zu einer Revidierung der
Vulgata finden sich im Mittelalter21, und selbst noch auf dem Tridentiner Kon-
zil, das eigens die Authentizität des Vulgata-Textes konstatierte, gab es heftige
Wortgefechte um die Frage der Übersetzungstreue.22 Noch frei23 von dem
Zugzwang, unter dem die gegenreformatorischen Bestrebungen standen, kann
Cisneros im erwähnten Vorwort zur Polyglott-Bibel erklären:
quarum totam vim [seil, propietates verborum] non possit quamtumlibet absoluta traduc-
tio proisus exprimere, tum id maxime in ea lingua accidit, per quam os domini locutum est.
[...] Accedit, quod ubicumque latinorum codicum varietas est [...], ad primam scripturae

Erasmus, In Novum Testamentum praefationes. Vorreden zum Neuen Testament. Ratio. Theo-
logische Methodenlehre, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gerhard B.
Winkler, Darmstadt 1967,8 Bde., hier Bd. 3, S. 88.
19
Vgl. Friedrich Ohly, "Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter", in: Zeitschrift für deut-
sches Altertum und deutsche Literatur®) (1958), S. 1-23.
20
Klaus Reinhardt, Die biblischen Autoren Spaniens bis zum Konzil von Trient, Salamanca 1976,
hier S. 16 f.
21
Lang, a.a.O., S. 93 geht kurz auf die Vorgeschichte der - allerdings gescheiterten - Korrekturver-
suche ein.
22
Salvador Muñoz Iglesias, "El decreto tridentino sobre la Vulgata y su interpretación por los teó-
logos del siglo XVI", in: Estudios bíblicos 5 (1946), S. 137-169.
23
Eine Verschärfung trat 1525 ein, als die Inquisition das Lesen lutherischer Schriften verbot.
Noch gravierender wirkt sich die Tatsache aus, daß vier Jahre später der Generalinquisitor
Manrique, der den Lehren des Erasmus und allgemein der Humanisten wohlwollend gegenüber-
stand, in Ungnade fiel. Im gleichen Jahr verließ Karl V. den spanischen Hof, um sich nach Italien
zu begeben, und nahm die einflußreichen Erasmisten mit sich. Dies war der Augenblick, da sich
konservative Mächte durchsetzen konnten und da die Inquisition eine Reihe der führenden
Erasmisten und Professoren der liberalen Universität Alcalá verhaftete. Vgl. hierzu das Kapitel
"Schweigen ist auferlegt", in: Henry Kamen, Die spanische Inquisition, München 1967, S. 83 f.
Desgleichen s. Bataillon, a.a.O., S. 432 ff.
Vives und Fray Luis de León 27
originem recurrendum est [...] ita ut librorum Veteris testamenti synceritas ex Hebraica
veritate, Novi autem ex Graecis exemplaribus examinetur.

In der Suche nach dem adäquaten Wort und der adäquaten Bedeutung ist der
Philologe gefragt. Seine Arbeit steht vor allem in der nachtridentinischen Ära
unter der Kontrolle der Kirche und muß sich der Frage stellen, in wie weit die
private Gelehrsamkeit des Humanisten die dogmatischen Vorgaben der Glau-
benslehre noch befolgt. Die humanistische Beschäftigung mit den verba muß
nicht zwangsläufig den orthodoxen Lehrinhalten der traditio entgegenstehen.
Sie begibt sich allerdings allein von ihrem Erkenntnisinteresse her in die Nähe
der reformatorischen und gar jüdischen Bibelexegese. So ist es gewiß kein Zu-
fall, daß gerade die Hebraisten die Tradition der literalen Interpretation pfle-
gen. Wenn die Inquisition die Gegner oder Skeptiker der allegorischen Schrift-
auslegung in die Rubrik der Ketzer einstuft und wenn allein schon die literale
Textarbeit ihren Argwohn hervorruft wie im Falle der Hebraisten Gaspar
Grajal, Alonso Gudiel, Martín Martínez de Cantalapiedra, Francisco Sánchez
de las Brozas oder Fray Luis de León25, setzt die Sorge der Inquisitionsvertre-
ter an einem zentralen Punkt an. Sie ist darin begründet, daß die rabbinische
Exegese jede christologische Beziehung zwischen dem Alten und Neuen Testa-
ment leugnet und damit ein Grundaxiom des patristischen und scholastischen
Verständnisses, nämlich die Wahrheitsgehalte der typologischen Beziehungen
negiert. Die Kritik der Humanisten an der mit der allegorischen Exegese ver-
bundenen Willkür ist Indiz für die nachhaltige Wirkung jüdischer Bibelinter-
pretation. Deren Verbreitung ruft aber andererseits vor allem seit dem
Regierungsantritt Philipps II. die Gegenreaktion einer starken antijüdischen
Stimmung in Spanien und Portugal hervor.26 Auf diese Weise gerät der Huma-
nist mit seinen Ansprüchen philologischer Exaktheit in den Verdacht des Häre-
tikers. Er wird gezwungen, sein Vorgehen zu legitimieren und seinen Standort
innerhalb der scholastischen und speziell der gegenreformatorischen Denk-
und Argumentationspraxis zu definieren. In der Frage, wie weit die Kompeten-
zen des Grammatikers die dogmatische Ausrichtung des Theologen einschrän-
ken bzw. relativieren oder aber von letzterer selbst wieder korrigiert werden,
entscheidet sich letztlich die grundlegende Frage nach dem Verhältnis zwi-
schen dem wachsenden Vertrauen des Humanisten in die eigene Kraft des
Verstehens und dem ungebrochenen Glauben des orthodoxen Scholastikers an
die von Gott gegebenen und in der traditio verankerten Wahrheiten. Mit ande-
ren Worten, der theologische und humanistische Disput um die Adäquatheit

24
Biblia Pofyglotta Complutensis, Alcala 1520, Prologus, S. III.
25
Zur Bedeutung der Hebraisten in der spanischen Bibelexegese vgl. Melquíades Andrés, La teo-
logía española en el siglo XVI, Madrid 1976, S. 74 f.
Die Auseinandersetzung des Christentums mit dem Judentum und das Problem der judaizantes
legt dar N. López Martínez, Los judaizantes castellanos y la Inquisición en el tiempo de Isabel la
Católica, Burgos 1954; vgl. ebenso E. Llamas-Martínez, "Orientaciones sobre la historia de la
teología española en la primera mitad del siglo XVI (1500-1550)", in: Repertorio de Historia de
las Ciencias Eclesiásticas en España, Bd. 1, Salamanca 1967, S. 95-174.
28 Karl Hölz
des Wortes ist in einem "diskurshistorischen" Zusammenhang zu sehen, der
über die bloße theologische Bedeutimg hinaus Aufschlüsse über Art und Um-
fang des Epochenbruchs von einer dogmatischen zu einer verstehenden Her-
meneutik gibt.
In diesem Sinne soll im folgenden der humanistische Umgang mit der literalen
Wortbedeutung an einem exemplarischen Fall erörtert werden. Als Beispiel
dienen uns die Argumente und Verteidigungsreden des Fray Luis de León. In
der Art, wie er sein philologisches Interesse an den verba bekundet und dabei
die gegenreformatorischen Positionen seinem humanistischen Eigenverständnis
einverleibt, läßt sich, wie wir meinen, die Besonderheit eines geschichtlichen
Prozesses aufzeigen, bei dem der neuzeitliche Ansatz eines subjektiven Per-
spektivismus und die mittelalterliche Überzeugung von der einheitlichen, über-
individuell verbürgten Ordnung aufeinanderstoßen. 27

II Fray Luis de León als gpammaäcus

Obwohl das Wirken des Dichters, Theologen und Professors 28 Fray Luis de
León in eine Zeit fällt, da das humanistische Gedankengut des Erasmus und
die Reformansätze der Neuscholastik strengeren gegenreformatorischen An-
sätzen weichen mußten, bildet sich bei ihm wie auch bei seinen Gesinnungs-
freunden Gaspar de Grajal oder Martín Martínez geradezu eine humanistische
Theorie des Literalsinns heraus. Die Tatsache, daß sich die Bibelgelehrten mit
ihrem weltlichen Textzugang in eine geistige Gefahrenzone begaben, wurde ih-
nen spätestens mit der Verfolgung durch die Inquisition auf schmerzliche
Weise offenbar. Wir wissen heute, daß sich nicht nur die Vorwürfe der Inquisi-
tionsvertreter in den verschiedenen Prozessen wiederholen29, sondern daß auch
die Anklage gegen Fray Luis sich erst allmählich aus einem Kollektiwerfahren
herausschält, bei dem das gesamte ambiente intelectual der Hebraisten zur Ver-

27
Letztlich deutet sich in der hier erörterten Problematik jene scheinbar paradoxe Symbiose von
Renaissance-Diskurs und spätantiker bzw. hochmittelalterlicher Orthodoxie an, wie sie zuletzt
Joachim Küpper in einer breit dokumentierten Studie verfolgt hat. Ders., Diskurs-Renovatio bei
Lope de Vega und Calderón. Untersuchungen zum spanischen Barockdrama. Mit einer Skizze
zur Evolution der Diskurse in Mittelalter, Renaissance und Manierismus, Tübingen 1990.
Küpper versucht hier in einer an Foucault orientierten Diskursanalyse nachzuweisen, daß selbst
noch im Barockdrama die analogische Diskursordnung des Mittelalters eingehalten wird. Die
Welt bleibt theozentrisch geordnet, insofern sie nach einem göttlichen Muster der Wiederholun-
gen und Verweise gebildet ist. Die diesem Weltverständnis entsprechenden sprachlichen Tech-
niken der Typologie und Allegorie haben sich im Barockdrama als restaurative Elemente der
vorausgehenden Epochen erhalten.
28
Luis de León hatte an der Universität Salamanca die Lehrstühle für Thomas von Aquin (1561-
65), Durando (1565-75) und für Moralphilosophie (1578-79) inne.
29
Man kann geradezu von einer Exempelfunktion seines Prozesses sprechen. Die Punkte, die ge-
gen Fray Luis angeführt werden, erscheinen in anderen Prozessen wieder und werden z.T. auch
mit Fray Luis in Zusammenhang gebracht. Vgl. Miguel de la Pinta Llórente, Proceso criminal
contra el hebraísta salmantino Martín Martínez de Cantalapiedra, Madrid, Barcelona 1946;
Gregorio de Andrés, Proceso inquisitorial del Padre Siguénza, Madrid 1975.
Vives und Fray Luis de León 29
antwortung gezogen wurde.30 In der Tat kreisen alle Anklagepunkte um die
Problematik der verba, sei es daß es sich um Übersetzungsfragen, Interpreta-
tionsschwierigkeiten oder den lexikalischen Sonderfall der Mehrdeutigkeit
handelt. Wir wollen hier nicht die Geschichte der einzelnen inquisitorischen
Etappen nachzeichnen. Wir versuchen vielmehr, die Argumente im Sinne einer
systematischen Skizze zu ordnen. Dabei beziehen wir uns einerseits auf die
exegetischen Schriften - Exposición del Cantar de los Cantares, De fide, Tracta-
tus de sensibus sacrae scripturae -, andererseits werden wir auch die apo-
logetischen Erklärungen während des Inquisitionsverfahrens berücksichtigen.
a) Die Text- und Übersetzungskritik
Unermüdlich hat Fray Luis sich mit Fragen der Textkritik und der richtigen
Übersetzung der Heiligen Schrift auseinandergesetzt. Vor allem ein Werk
sollte tiefgreifende Konsequenzen in seinem Leben hervorrufen, indem es auf
verhängnisvolle Weise zu seinem Ruhm, nämlich als Angeklagter vor dem In-
quisitionstribunal, beitrug. In den Jahren 1561/62 nahm Luis eine Übersetzung
des Hohen Liedes aus dem Hebräischen vor und versah den Text mit einfüh-
renden Kommentaren in die lengua romance. Der Anlaß der Bearbeitung war
bekanntlich privater Natur. Eine Nonne, Isabel Osorio, die selbst des Lateini-
schen unkundig war, hatte den gelehrten Augustiner-Mönch gebeten, ihr den
Text mit entsprechenden Erklärungen zugänglich zu machen. Das Werk hätte
zumindest für die Inquisition kein Aufsehen erregt, wäre nicht durch einen
Zufall das Manuskript abhanden gekommen und dann zur Veröffentlichung
weitergereicht worden. Wie Luis später im Prozeß wiederholt beteuert, ist er
selbst unschuldig an der Publikation und verfolgt kein öffentliches Interesse mit
dieser Schrift. Dennoch läßt bereits der Prolog keinen Zweifel darüber auf-
kommen, daß der Autor sich humanistischer Gelehrsamkeit verpflichtet weiß
und sowohl sein Wissen als auch seine Methode in den Dienst der privaten
Unterweisung stellt. Selbst für den sprachunkundigen Adressaten scheut Fray
Luis nicht die Mühe, in der Übersetzung auf das hebräische Original zurückzu-
greifen und die griechischen sowie lateinischen Versionen des zu übersetzen-
den Textes mitzuberücksichtigen. Seine philologische Akribie begründet er mit
Leitvorstellungen, an denen sich jede Übersetzungstätigkeit zu messen habe:

El que traslada ha de ser fiel y cabal y, si fuere posible, contar las palabras para dar otras
tantas, y no más ni menos, de la misma cualidad y condición y variedad de significaciones
que las originales tienen, sin limitarlas a su propio sentido y parecer, para que los que leye-
ren la traducción puedan entender toda la variedad de sentidos a que da ocasión el origi-
nal, si se leyese, y queden libres para escoger de ellos el que mejor les pareciere.

30
Hierauf weist Angel Alcalá hin, der nunmehr die vollständigen Inquisitionsakten zu Fray Luis
herausgegeben hat. Ders. (Hg.), El proceso inquisitorial de Fray Luis de León, Salamanca 1991,
S. XII und XXV.
31
Félix García (Hg.), Obras completas castellanas de Fray Luis de León, 2 Bde., Madrid 1957, hier
Bd. I, S. 74. Wir zitieren im folgenden nach dieser Ausgabe.
30 KarlHölz
Treue gegenüber dem Original gehorcht den Kriterien der Wörtlichkeit und
Adäquatheit, wobei korrektes Übersetzen möglichst dem polysemen Charakter
der Vorlage gerecht werden muß. Was Fray Luis hier noch allgemein postu-
liert, möchte er nicht nur für das Hohe Lied praktisch umsetzen. Er greift mit
seinen Vorstellungen massiv in die zeitgenössischen Diskussionen um die au-
thentische Version der Vulgata ein. Auf dem Tridentinum hatten sich die Teil-
nehmer trotz heftiger Diskussionen auf ein Dekret geeinigt, das anordnete:
ut haec ipsa vetus et vulgata editio, quae longo tot seculorum usu in ipsa Ecclesia probata
est, in publicis lectionibus, disputationibus, praedicationibus et expositionibus pro authen-
tica habeatur, et quod nemo illam rejicere quovis praetextu audeat vel praesumat.

Die Bestimmung selbst aber war zu vage formuliert, als daß sie eine eindeutige
Handhabung erlaubte. Einige Theologen glaubten, daß Verbesserungen der
Vulgata nach dem hebräischen Original nicht ausgeschlossen seien, "quatenus
authenticae illius intelligentiam iuvant" (S.74). Ihr Argument war, daß im De-
kret nicht ausdrücklich die Originalfassungen verworfen worden seien. Die
strengen Ausleger des Beschlusses wiesen auf den Schlußteil der Bestimmung
mit dem Verdikt des Widerspruchs und sprachen den Exegeten jedes Recht
auf Änderung der Vulgata ab.
Fray Luis hat in seinem Traktat De fide, jener Vorlesungsreihe, die er in den
Jahren 1567-68 als catedrático des Durando hielt, die Argumente der Vulgata-
Neuerer noch einmal ausführlicher dargelegt. Seine Meinung über den Wert
des hebräischen Originals und die Stellung der Vulgata faßt er in acht proposi-
ciones zusammen:
1) Die zeitgenössischen Codices der Vulgata sind nur mit Vorsicht zu ge-
brauchen, denn "non solum variant inter se sed etiam quamplurimis in locis,
vel a librariis, vel aliqua ratione corrupti, non continent veram Vulgatam".
2) Sie sind unvollständig, da sie nicht alle die von den Konzilien sanktio-
nierten Glaubensquellen enthalten.
3) Die Ubersetzung der Vulgata wird oft dem äquivoken Sprachgebrauch
des Hebräischen nicht gerecht. "Cum in hebraica veritate aut verba aut
sententiae aequivocae sunt ita ut in varias significationes possint interpre-
tan, et ex Ulis Vulgata unam elegit, talis significado non semper ita est certa
ut reliquae sint negligendae; immo significado atque sententia, quam Vul-
gata praetermisit, est aliquando melior ea quam expressit."
4) Oft lassen sich erst auf der Basis textkritischer Lektüre die Glaubens-
wahrheiten in vollem Umfang verstehen. "Quaedam loca sunt in Sacra

32
Zit. bei Salvador Munoz Iglesias, "El decreto tridentino [...]", a.a.O., S. 141. Eine neuere Dar-
stellung der Problematik findet sich bei Ulrich Horst, Der Streit um die Autorität der Vulgata.
Zur Rezeption des Trienter Schriftdekrets in Spanien, Coimbra 1983.
Vives und Fray Luis de León 31

Scriptura quae si legantur iuxta veritatem hebraicam et graecam, melius


confirmant nostrae fidei dogmata, quam si legantur ut habet Vulgata."
5) In Fällen der "duplex lectio", die auch von den Vätern als "varia" und
"ambigua" angesehen werden, verpflichtet die Version der Vulgata nicht
dazu, ihre Lesart "pro catholica et certa" aufzunehmen.
6) Einige Stellen der Vulgata weisen Übersetzungsmängel auf. "Negari non
potest in Vulgata esse aliqua loca non satis significantia intentum ab inter-
prete, atque non bene satis conversa."
7) Nichts steht einer Verbesserung der Vulgata entgegen. Weder ist der
Autor inspiriert und mit prophetischem Geist begnadet, noch ist davon aus-
zugehen "in ea [seil. Vulgata] nihil esse quod potuisset aut significantius aut
conformius ad hebraica et graeca originalia transferri".
8) Das Dekret des Konzils zielt auf drei Aussagen der Vulgata: "Primum
esse praeferendam omnibus editionibus latinis; secundum esse habendam
pro authentica; tertium nullo praetextu esse rejicendam."33
Maßgebend an Fray Luis' Argumentation ist, daß er die Glaubensquellen
scriptura et traditio mit den Bedürfnissen philologischer Textkritik vermittelt. Er
deckt Mißstände auf und setzt sich gerade in der Frage der Texttreue für eine
unvoreingenommene Haltung gegenüber den Glaubensquellen ein. Auch nach-
dem Fray Luis wegen seiner Vorbehalte bezüglich der Vulgata und seiner
großzügigen Auslegung der Konzilsbeschlüsse von der Inquisition zur Verant-
wortung gezogen und der Häresie bezichtigt worden ist, beharrt er auf seinen
Einwänden. Mutig plädiert er vor seinen dogmatischen Anklägern für einen
philologischen Wahrheitsbegriff, der nicht durch die Autorität der Vulgata fi-
xiert ist, sondern sich Erkenntnissen textkritischen Studiums öffnet.34 Fray Luis
geht so weit in seiner Verteidigungsstrategie, daß er neben seinen texthistori-
schen und textkritischen Überlegungen zur Überlieferung und Quellensituation
auch einen religions-philosophischen Gedanken ins Spiel bringt. Er klingt be-
reits in Punkt sieben seiner Stellungnahme zur Vulgata an. Danach sind editori-
sche Verbesserungen der Vulgata zulässig, da die Übersetzung nicht unter dem
Diktat des Heiligen Geistes erfolgte und somit für verbindlich erachtet werden
muß. Vor der Inquisition schwächt Fray Luis seine These ab, vertritt aber im-
mer noch die Überzeugung:
que en la Vulgata no todas las palabras del interprete estan puestas por instineto del
Spiritu ., y que algunas se pudieran trasladar mas comoda, y claramente, y con mas pro-
piedad.

33
Luis de León, Opera, Salamanca 1891-95, 7 Bde., hier Bd. 5, S. 299-304.
34
Vgl. die entsprechenden, sich immer wiederholenden Argumente und Gegenargumente in den
von Alcalá herausgegebenen Akten: S. 70 f., S. 75 f., S. 86, S. 272 f., S. 403 f., S. 503 f., S. 514 f.
Ebda., S. 272.
32 Karl Hölz
Umgekehrt will Fray Luis nicht ausschließen, daß nicht doch eine bessere Aus-
gabe der Vulgata unter Mitwirkung des Heiligen Geistes zustande kommen
könnte.36 Mit diesem Argument kehrt er die altscholastische Allmachtsprä-
misse Gottes, der alles im Schöpfungsakt auf die in der Schrift geoffenbarte
Ordnung vorherbestimmt habe, gegen ihre Einheitsprämisse um. Gottes All-
macht impliziert auch die Möglichkeit, daß er seiner Schöpfung Neues hinzu-
fügt. Unter dieser Annahme erfährt dann auch die humanistische Bibelerneue-
rung ihre gewissermaßen heilsfundamentale Legitimation.
Fray Luis hat sich zu dieser These, wie er selbst vor seinen Anklägern berichtet,
in einem heiteren Schülergespräch bekannt. Wir können nicht mehr feststellen,
worauf sich seine Ironie oder sein Spott bezieht, oder ob er nur die Überlegen-
heit seines Arguments auskostet. Bemerkenswert freilich scheint uns, daß Fray
Luis gedanklich Einheit in Vielheit überführt und im Rahmen seiner Textkritik
zu einem Konzept divergierender Deutungsschemata gelangt ist.37
b) Wort und Bedeutung
Das Problem der Textedition kann nicht von der Frage der Bedeutung der
Worte losgelöst werden. Daher sind gerade die Ausführungen zum wörtlichen
Verstehen eng an die Argumentation um die Übersetzungstreue gebunden. Die
Ankündigungen zur Ausgabe des Cantar de los Cantares geben Aufschluß über
die komplementäre Aufgabenstellung des Humanisten:
Lo que yo hago en esto son dos cosas: la una es volver en nuestra lengua palabra por pala-
bra el texto de este Libro; en la segunda, declaro con brevedad no cada palabra por si, sino
los pasos donde se ofrece alguna oscuridad en la letra, a fin que quede claro su sentido asi
en la corteza y sobrehaz (S.74).

Wenn Fray Luis in seiner Erklärung des Hohen Liedes primär auf den Literal-
sinn abhebt, folgt er zunächst noch einem von jeher autorisierten methodischen
Prinzip, nach dem der sensus litteralis Grundlage für die geistige Interpretation
ist.38 Die oberflächliche Bedeutung der Worte, d.h. der Buchstabensinn wurde
allerdings gegenüber der spirituellen Bedeutung als weniger wichtig erachtet,
da die göttliche Ordnung sich allein in der Beziehung der Dinge zu erkennen
gab. In der größeren und umfassenderen Sinnfülle gründete die Überlegenheit,
die das Wort Gottes vor den bloßen Wortklängen der profanen Sprache be-
saß.39 Fray Luis richtet sein Interesse aber keineswegs auf die geistigen Analo-
gien, die das Alte Testament an das Neue Testament binden. So versteht es

36
Ebda., S. 86.
37
Küpper hat an dieser Frage der Allmachtserweiterung den Ubergang vom mittelalterlichen
Analogismus zum kritischen Nominalismus entwickelt. Das Oppositionsschema von Einheit und
Vielheit sieht er dabei - anders als Foucault oder Rousset - differenziert im Sinne der Gleichzei-
tigkeit von gegenläufigen Diskursen. Vgl. S. 18 ff.
38
Die Bedeutung des Prinzips Littera gesta docet als Grundlage der geistigen Interpretation belegt
Lubac, a.a.O., Bd. I, S. 425 ff., Kapit. VII, "Le fondement de l'histoire".
39
Vgl. hierzu etwa Ohly, a.a.O., S. 2 f.
Vives und Fray Luis de León 33
sich, daß ihm immer wieder von den Inquisitionsvertretern der Vorwurf der le-
diglich grammatikalischen Bibellektüre gemacht wird.40 Unbeirrt verteidigt Fray
Luis jedoch seinen Literalkommentar mit dem Hinweis darauf, daß ohne ein
eingehendes Verständnis des amor carnal sich der spirituelle Sinn des Hohen
Liedes nicht erschließe.41 Dieses methodische Primat des Literalsinns nimmt er
so ernst, daß er die hintergründige Spiritualbedeutung gänzlich ausblendet
"como si en este libro no hubiera otro mayor secreto del que muestran aquellas
palabras desnudas" (S.72). Fray Luis' einseitiges Interesse an den verba und de-
ren Bedeutung war umso kühner, als gerade für das Hohe Lied die Möglichkeit
einer Deutung nach dem sensus historicus in Frage gestellt wurde. "Haec si non
spiritualiter intelligantur, nonne fabulae sunt?" hatte bereits Orígenes seine
Zweifel artikuliert, und Augustinus stimmt entsprechend ein, wenn er das Can-
ticum Canticorum dem genus locutionis figuratarum zuordnet.42 Ganz anders
ausgerichtet ist das Augenmerk bei Fray Luis. Er macht ernst mit seinem lite-
ralen Zugang zum biblischen Text, indem er zunächst dessen literarischen
Charakter hervorhebt:

Porque se ha de entender que este Libro en su primer origen se escribió en metro, y es


todo él una égloga pastoril, donde con palabras y lenguaje de pastores, hablan Salomón y
su Esposa, y algunas veces sus compañeros, como si todos fuesen gente de aldea (S.72).

Bei der Lektüre des Liebesgedichtes muß der Leser besondere interpretatori-
sche Vorgaben beachten. Der wörtliche Sinn des Liebesgedichtes erschließt
sich nur schwer, denn - so betont Fray Luis - die psychologische Thematik ent-
zieht sich den rationalen Erwartungen des Lesers. Dieser muß sich erst in die
schwer nachvollziehbaren "razones cortadas y llenas de oscuridad" hineinver-
setzen (S.73), um die affektbedingten Widersprüche oder Unwägbarkeiten zu
verstehen. Der Interpret steht vor der Schwierigkeit, die Äußerungen oder
Handlungsweisen der Leidenschaft in ihrer psychologischen Bedingtheit zu er-
kennen. Sein Verstehen rückt ab von einem normativen Vorwissen und muß das
Unbekannte oder Ungewohnte als ein der beschriebenen Sache selbst inne-
wohnendes Prinzip ausfindig machen:
Parecen también desconcertadas entre sí [seil, die Affekte], porque responden al movi-
miento que hace la pasión en el ánimo del que las dice, la cual quien no la siente o ve, juzga
mal de ellas; como juzgaría por cosa de desvarío y de mal seso los meneos de los que bailan
el que viéndolos de lejos no percibiese el son a que siguen; lo cual es mucho de advertir en
este Libro y en todos los semejantes (S.73).

Solche und ähnliche Aussagen lesen sich fast wie das Traktat einer modernen
hermeneutischen Verstehenslehre. Fray Luis reflektiert seine Perspektive und
nimmt in seine Überlegungen die Distanz des Fremden zum Eigenen mit auf.
Weit entfernt von einer Reduktion auf die immergleiche Signatur der göttlichen

40
Alcalá, a.a.O., etwa S. 276, S. 411.
41
Ebda., S. 277.
42
Vgl. Lubac, a.a.O., S. 449.
34 Karl Hölz
Ordnung lenkt Fray Luis den Blick auf die Andersartigkeit individuell struk-
turierter Zusammenhänge.
Das Allgemeine der providentiellen Ordnung ist zurückgestellt, um die kontin-
genten Erscheinungsformen der weltlichen Ordnung zu erfassen. Unter diesem
veränderten Blickwinkel gewinnt letztlich das historische Verständnis an Kon-
kretheit. Wie in der psychologisch motivierten Eigenart des Literalsinns richtet
sich auch hier das Interesse des Interpreten darauf, das Erkenntnisobjekt aus
den ihm eigenen Voraussetzungen heraus zu bestimmen. Die Dunkelheit des
Textes ist daher nicht zuletzt eine solche, die aus der historischen Distanz er-
wächst. Wiederum muß sich der Leser auf Ungewohntes einstellen:
por ser el estilo y juicio de las cosas en aquel tiempo y en aquella gente tan diferente de lo
que se platica agora (S.73).

Beispielhaft manifestiert sich die historische Eigenart in der Verwendung be-


stimmter, dem pastoralen Genre entgegenkommender Bilder. Die fremden
Vorstellungsweisen, auf die der Interpret stößt, nehmen ihren Ursprung in ei-
nem andersgearteten historischen Kontext:
de donde nace parecemos nuevas y extrañas, y fuera de todo buen primor las comparacio-
nes de que usa este Libro, cuando el Esposo o la Esposa quieren más loar la belleza del
otro, como cuando compara el cuello a una torre, y los dientes a un rebaño, y así otras
semejantes (S.73).

Wenn Fray Luis die propiedades des Literalsinns bis hinein in die psychologi-
sche und historische Dimension verfolgt, ist sein Wissensdrang von einem
übergeordneten apologetischen Interesse getragen. Dogmatische Beweiskraft,
ein valor probativo, kommt vornehmlich eben dem Literalsinn zu. Daher auch
warnt Fray Luis vor einem übermäßigen Gebrauch der allegorischen Interpre-
tation. Da jene im Sinne der allegoria facti die Beziehung der Dinge zueinander
aufdeckt, ist sie nicht geeignet, die Dogmen der Glaubenswahrheit beweiskräf-
tig zu fixieren. Dem steht, wie Fray Luis in Anlehnung an Hieronymus oder
Augustinus argumentiert, die bisweilen widersprüchliche Bedeutungsvielfalt
der res significantes entgegen. Als Beispiel führt er den Löwen an, der nach der
Lehre der Kirchenväter in malam partem und in bonam partem gedeutet wer-
den kann. Je nachdem, welche Eigenschaften im konkreten Textfall evoziert
werden, kann der Löwe für Gott - er schläft mit offenen Augen und ähnelt
darin Christus, der als Mensch gestorben ist, aber als Gott lebt - oder für den
Teufel stehen - auf Grund seiner Blutgier.43 Darum folgert Fray Luis:
Verum certa res est, quod solus sensus litteralis est efficax ad probanda et stabilienda
dogmata fidei et ad destruendas haereses, et errores oppositos.

43
Vgl. Ohly, a.a.O., S. 6 f.; Fray Luis de León, Tractatus de sensibus sacrae scripturae, hg. v. P.
Olegario García de la Fuente, in: La Ciudad de Dios 170 (1957), S. 259-334, hier S. 328 f.
44
Tractatus de scnsibus> S. 329.
Vives und Fray Luis de León 35
Die apologetische Aufwertung des Literalsinns stärkt die Haltung des Humani-
sten. Seine an den verba sich entzündende linguistische Gelehrtenkritik ist - in
der wahren Bedeutung des Wortes - zu einer fundamentalen Hilfswissenschaft
der Theologie geworden. Die Kompetenzen des grammaticus und des theologus
spalten sich, wie es scheint, auf. So zumindest wird es wenig später Baltasar de
Céspedes in seinem Traktat Discurso de las letras humanas, llamado el
"Humanista" (1600) festhalten:
Pasará [seil, el humanista] la Biblia toda por saber lo historial de ella, tratando los lugares
que hay de curiosidad, cuya intelligencia estriva en propiedad del lenguaje, en conocimien-
tos de costumbres antiguas de diversas gentes, en propiedad de cosas naturales [...] y otras
cosas de esta manera, que tocan solo á la letra, sin atreverse á meter en el espíi^tu de ella,
que eso se ha de dejar para los Sacros Doctores Teólogos, cuya es esa profesión.

c) Das sprachliche Äquivok


Es ist dem Humanisten ein selbstverständliches Gebot, daß er in seinen Über-
setzungen und Kommentaren Treue gegenüber dem Original walten läßt. Die
Adäquatheit des kritischen Zugangs ist besonders da gefragt, wo der mehrdeu-
tige Charakter der Vorlage in der Bearbeitung erhalten bleiben soll. Die varie-
dad de sentidos ist dem Humanisten kein Hemmnis für den Zugang zum bibli-
schen Text, im Gegenteil gibt sie jedem Leser selbst die Entscheidung in die
Hand, in Zweifelsfällen eine Bedeutungswahl vorzunehmen. So hatte Fray Luis
bereits in seiner didaktischen Aufarbeitung des Hohen Liedes die Leser-
kompetenz ernst genommen (S.74f.). Wenn er auf diese Weise die Freiheit des
Interpretationsspielraums für die Bibelexegese einfordert, erscheint die Lehr-
autorität durch den konkurrierenden Individualismus erschüttert. Die Vielheit
der Erscheinungswelt, die mit dem vorläufigen Verzicht auf den ordnungsge-
benden Dogmatismus linguistisch ins Bewußtsein trat, offenbart sich nunmehr
in ihrer leserbezogenen Diversifizierung. Von daher ist es symptomatisch, daß
sich die Debatte um die Mehrdeutigkeit des Sinns sowohl bei Fray Luis als
auch bei seinen Gegnern zentral um den Gültigkeitsanspruch der Rezeptions-
möglichkeiten dreht.

Konsequent greift Fray Luis hierbei wiederum auf das Argument von Gottes
Allmächtigkeit zurück und entwickelt die nominalistischen Thesen von der Plu-
ralität der Erscheinungsformen. Wenn in Gott die gesamte Schöpfung enthal-
ten ist, findet die Vieldeutigkeit des wörtlichen Schriftsinns auch in der Ver-
schieden-Verstehbarkeit der Interpreten ihre legitime Entsprechung. Die gött-
liche Vorsehung agiert zwar noch als wirkende Macht, sie hat aber das schola-
stische Konzept der Wirklichkeit als einer "Wiederholung eines stets gleichblei-

45
Baltasar de Céspedes, Discurso de las letras humanas, llamado el"Humanista" (1600), hg. v.
Santos Diez González, Madrid (BNM) 1784, S. 81 f. Fray Luis selbst vollzieht eine ähnliche
Trennung, indem er die Erforschung des literalen Sinns allein den Künsten des Triviums anver-
traut. Tractatus de sensibus, S. 302.
36 Karl Hölz
benden Vorrats an Typen"48 hinter sich gelassen. Aus der orthodoxen Indivi-
duationslehre schält sich eine Doktrin der variativen Deutungsmuster heraus:
[...] Spiritus Dei praevidit quemcumque sensum occursurum lectori sub illa littera, imo
vero et ipse fecit ut occurrerej, quia est vera lux omnium mentium; ergo sequitur quod
omnis ille sensus est litteralis.

Aufgespult wird die Frage der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten am Fall der


sogenannten ventas hebraica. Die Hebraisten betonen zu Recht, und Fray Luis
demonstriert es zur Genüge in seinen Übersetzungen, daß das Hebräische von
der Struktur der Sprache her auf Mehrdeutigkeit angelegt ist. Die Armut der
Verben, das unvollständige System der Tempora und die Bedeutungsvielfalt
der Substantive entspringen einem Sprachdenken, dem Eindeutigkeit und Kon-
kretheit der Beschreibung fremd sind.48 Die Dunkelheit des Hebräischen re-
sultiert strukturell aus der Sprachökonomie - Fray Luis spricht von einer
"lengua de pocas palabras y de cortas razones" - und geht inhaltlich aus der se-
mantischen Unbestimmtheit, der "diversidad de sentidos" (S.73) hervor.

An einem konkreten Beispiel, der Bibel des Vatablus, mußte Fray Luis vor der
Inquisition darlegen, wie weit das Prinzip der duplex lectio gegebenenfalls An-
wendung finden darf. Vatablus war Professor für Hebräisch am Collège de
France. Seine Vorlesungen wurden von Robert Etienne gedruckt (1545) und
teilweise als Kommentar einer Neuausgabe der lateinischen Bibel beigegeben.
Nachdem Valdés das Werk auf den Index gesetzt hatte, sollte eine Neuausgabe
mit den notwendigen Korrekturen besorgt werden. Das Offizium der Inquisi-
tion übertrug Francisco Sánchez, dem Dekan der Theologischen Fakultät in
Salamanca, die Aufgabe, zusammen mit anderen Gelehrten diese Bibelausgabe
zu zensieren. Zu den Mitgliedern der Kommission zählten u.a. León de Castro,
Juan Gallo, Juan de Guevara, Gaspar de Grajar, Martín de Martínez und Fray
Luis, die in ihrer Meinung jedoch gespalten waren.49 Auf der einen Seite stan-
den die scholastischen Lehrstuhlinhaber, unter ihnen León de Castro. Sie ver-
traten die traditionelle Lehrmeinung, indem sie alle textkritischen Fragen und
Auslegungen, die von den Kirchenvätern abwichen, als "jüdische Verirrung"
und ketzerisch verurteilten. Unter der Wort- und Federführung von Fray Luis
bildete sich eine eher kompromißbereite Haltung heraus. Fray Luis möchte
Abweichungen von der sana doctrina nicht grundsätzlich zensieren. Er plädiert
für einen offenen Wahrheitsbegriff und möchte Varianten gelten lassen, so-

46
Der relativistische Ansatz innerhalb der nominalistischen Diskussion um die Allmacht Gottes
wird bei Küpper rekonstruiert, a.a.O., S. 263 f. Hier S. 264.
47
Tractatus de sensibus, S. 304.
Auf den damit verbundenen metaphorischen Charakter der Sprache mit dem relativ hohen
Auslegungsspielraum weist Manes Kartagener, "Zur Struktur der hebräischen Sprache", in: Stu-
dium Generale 15 (1962), S. 31-39.
49
Einzelheiten der äußerst polemischen Debatte finden sich bei Heinrich Reusch, Luis de Leon
und die spanische Inquisition, Bonn 1873, S. 58 f.
Vives und Fray Luis de León 37

lange deren otro sentido der katholischen Lehrautorität nicht widerspricht. Fray
Luis operiert mit dem Argument des diferente y no contrario und zieht auch
selbst die offenkundige Parallele zur patristischen und scholastischen Maxime
des diversi sed non adversi.50

Befremdend für die orthodoxen Vertreter ist dann allerdings die Handhabung
der Maxime bei Fray Luis. Das diferente y no contrario, oder wie es auch wie-
derholt heißt, die Verstehensweise no contra la explicación de los santos, sino
praeter, folgt philologisch-hermeneutischen Gesichtspunkten, die nicht mehr
durch den Hinweis auf das judaizante in ihrer Gültigkeit eingeschränkt werden.
Die philologische Offenheit setzt die UnVoreingenommenheit des Gelehrten
voraus. Daher kann dieser auch die jüdische Bibelinterpretation akzeptieren,
"porque la verdad es buena qualquier que sea el que la dice".51 Die Gegner des
Fray Luis, insbesondere León de Castro, nehmen gerade Anstoß an der "bajeza
del entendimiento de judíos".52 Ihnen entgegnet Fray Luis, indem er noch ein-
mal die orthodoxe Glaubensgewißheit gegen die philologisch gestützte Plurali-
tät der Meinungen ausspielt. Vatablus' Thesen sind zu akzeptieren "como cosas
probables y dichas como por un dottor". Seine "interpretación y translación
nueva"53 können sogar als Ergänzung zum Kommentar der Kirchenväter zur
Kenntnis genommen werden, denn Fray Luis will nicht ausschließen, daß sie
zur besseren Bibelkenntnis beitragen (S.73). Das Neue, auf das das huma-
nistische Interesse vorurteilsfrei zugeht, enthüllt sich damit in einer letzten
Doppelbedeutung, die der interpretación nueva selbst innewohnt. Der interpre-
tierende Neuansatz mißt sich nicht nur an der dogmatischen Einheit der Glau-
benswahrheit, er ist auch an die profane Vielheit gebunden, die mit dem Wis-
sen der doctores particulares die biblische Kenntnis bereichert. Selbst die Mei-
nungen der Juden sind von dem Vorwurf der Ketzerei befreit, sofern sie eben
unter das differenzierende Gesetz der dos sentidos fallen:

El uno que las interpretaciones sean nuevas por ser de nueva doctrina, no oyda hasta
entonces en la iglesia, y desta manera ni yo lo dezia ni se puede decir [...]. En otra manera
se pueden llamar nuevas interpretaciones, porque dado que la sentencia y la doctrina
dellas sean ant^pja y catholica, la aplicación della a aquel paso de la Escrittura de que se
trata es nueva.

III Die dogmatische Rückversicherung des theologus


Fray Luis hat sich mit seinen methodischen Fragen im Umkreis um den litera-
len Sinn als kompetenter philologischer Gelehrter erwiesen. Er ist allerdings

50
In seiner Verteidigung des Vatablus kommt er immer wieder auf diese Maximen zurück. Vgl.
Alcalá, a.a.O., S. 19 f., S. 75 f.
51
Ebda., S. 57.
52
Ebda., S. 18.
53
Ebda., S. 266.
54
Ebda., S. 261.
38 KarlHölz
vorsichtig genug, sein humanistisches Wissensideal nicht ohne orthodoxe Absi-
cherung zu verkünden. Jenen, die ihm den Satz in den Mund legen, "que bas-
tava sola gramatica para entender la Escritura, y que ni seria necessaria theu-
lugia", entgegnet er daher mit aller Schärfe.55 Vor der Inquisition verteidigt er
die Belange des grammaticus, er ist aber gleichzeitig darum bemüht, die doktri-
näre Rechtmäßigkeit seines Erkenntniswillens unter Beweis zu stellen. Diskurs-
theoretisch bedeutet dies, daß Fray Luis die theozentrische Wissensordnung
wieder in sein plurales Deutimgsschema integriert und damit an jener Diskurs-
Renovatio teilnimmt, von der die Literatur der spanischen Renaissance und des
spanischen Barock grundsätzlich erfaßt war.
Nachvollziehen läßt sich diese scholastische Rückkoppelung in allen von dem
grammaticus vorgebrachten Neuerungsansätzen. Bereits seine Text- und Über-
setzungskritik an der Vulgata erfährt in diesem Sinne bezeichnende Einschrän-
kungen. Die Fehler, die Fray Luis moniert, beziehen sich lediglich auf die
Ebene der verba. Wenn die falsitas verborum den Grammatiker auf den Plan
ruft, bezieht dieser keineswegs auch die falsitas sententiae in seine Zweifel mit
ein. Auf der Ebene der palabras und der significación bleibt die Vulgata unvoll-
kommen. Alles aber, was die sentencia und damit die dogmatischen Glaubens-
wahrheiten betrifft, muß im Sinne der Konzilsbeschlüsse als authentisch ange-
sehen werden. Der Begriff der philologischen falsedad impliziert nicht den der
theologischen:
Si entiende por falsedades, que el interprete puso en ella cosas falsas, [...] constará claro
que dixe, que en la vulgata no avia ninguna sentencia falsa ny que pudiese causar herror,
sino que es^va en ella muy bien trasladado todo lo que era necesario para la fe y las
costumbres.

Trotz ihrer linguistischen Mängel gilt die Vulgata als verdadera sagrada
escrittura. Dies umso mehr, als die Glaubenswahrheiten, die sentencias, die
Signatur der prophetischen Sprache des Heiligen Geistes tragen.57 Mit diesem
Bekenntnis zum orthodoxen Glaubensinhalt sieht Fray Luis das tridentinische
Gebot der Anerkennung der Vulgata erfüllt. Die Beanstandungen des Gram-
matikers timgieren nicht die Lehrautorität, so daß Fray Luis den Anklägern
gegenüber seinen Gehorsam vor der Kirche versichern kann.58
Die gleiche Einschränkung für den humanistischen Eingriff am Bibeltext nimmt
Fray Luis für die literale Worterklärung vor. Wenn er vorrangig den sentido
literal erörtert, steht es ihm fern, im Sinne der Reformatoren die Bedeutung des
sensus spiritualis oder sensus mysticus zu bestreiten. Das Verdikt des cávete ab

55
Ebda., S. 421.
56
Ebda., S. 82. Vgl. auch S. 249 und S. 318.
57
Ebda., S. 497.
58
Ebda., S. 498.
Vives und Fray Luis de León 39
allegoriis, das die reformatorische Schriftauslegung begleitete59, war ihm fremd.
Ausdrücklich weist er denn auch auf den geistigen Wortsinn des Textes und
stellt etwa für das Hohe Lied die bildliche Vergegenwärtigung der Verbindung
Jesu mit der Kirche fest. Fray Luis beteuert: "En este sentido espiritual no
tengo que tocar" (S.72). So verbirgt sich hinter der Wahrheit des carmen
amatorium die allegorische Verkündigimg der amores divinos y espirituales™
Fray Luis läßt diese geistige Wortbedeutung bisweilen in seinen Kommentaren
zum Hohen Lied anklingen.61 Insbesondere belegt die weitere Editionsge-
schichte des Hohen Liedes, wie Fray Luis seinen Kommentar zunehmend kir-
chenpolitisch entschärft. Zunächst übersetzt er die kastilische Version ins La-
teinische (1580). Als er neun Jahre später die Explanatio in cantica canticorum
in dritter Auflage herausgibt, führt er die drei verschiedenen Stufen des geisti-
gen Sinns detailliert aus. Im Schritt von der ersten zur letzten Version läßt sich
nachvollziehen, wie Fray Luis die volkssprachliche Fassung in die kirchliche
Lehrhaftigkeit zurückführt und den in seinen Verteidigungsreden immer wie-
der beteuerten consensus patrum exegetisch umsetzt.
In folgerichtiger Weiterführung steht auch die argumentative Absicherung des
sprachlichen Äquivoks und des diferente y no contrario unter dem Vorbehalt
der dogmatischen Glaubenstreue. Nicht nur sind die zusätzlichen Wissensin-
halte, die die dottores mit ihren Studien bereitstellen, in ihrer Gültigkeit am
Glaubensdogma zu überprüfen, Fray Luis wertet darüber hinaus die verschie-
denen Erkenntnisquellen von Glaube und Verstand ganz im Sinne der kirchli-
chen Lehrautorität. Vor den Inquisitoren schwächt er den Wahrheitsanspruch
der jüdischen Exegese ab, indem er deren "muy menor authoridad" unumwun-
den in Rechnung stellt.62 Die Verteidigung des Vatablus bedeutet daher nicht,
daß er gegenüber der Lehrtradition neue Prioritäten setzt. Im Gegenteil sind
die nuevos intérpretes eher traditionsbestätigend als -schädigend. Darauf insi-
stiert Fray Luis, als er die Ausgabe der Bibel des Vatablus einvernehmlich mit
den Zensoren mit einem Vermerk versieht:
Y advertimos al principio con una censura general que se dexavan aquellas exposiciones no
para prejudicar en nada a las de los s 0S . las quales an de estar en grado de suma authori-
dad, sino como cosas probables y dichas como por un dottor, y para que cotejándose con
los s . se viese quan mas altamente declararon ellos la Escrittura que no estos nuevos
interpretes (S.73).

Mit solchen und ähnlichen Bekenntnissen kann Fray Luis den gegen ihn erho-
benen Vorwurf abweisen, er habe sich mit seinen humanistischen Neuerungen

59
Vgl. das Kapitel "Zur Hermeneutik der Reformatoren" bei Hans Joachim Kraus, Geschichte der
historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments von der Reformation bis zur Gegenwart,
Neukirchen 1956, S. 8 ff.
60
Alcalá, a.a.O., S. 78. Vgl. auch S. 58.
61
Ebda., S. 357 f.
82
Ebda., S. 56.
40 Karl Holz
über die Lehrautorität der Kirche lustig gemacht.63 Der Verstand hat die Auto-
rität des Glaubens nicht in Zweifel gezogen. Er hat ihr neue Wissensgebiete er-
schlossen und war darauf ausgerichtet, theologisches und humanistisches Inter-
esse wieder miteinander zu versöhnen.

IV Das Ingenium im Spannungsfeld von menschlicher und göttlicher Ordnung


Die hier skizzierte theologische Problematik steht nicht isoliert. Sie ist einge-
bettet in einen größeren geistesgeschichtlichen Kontext, der vor allem auch die
literarischen Ausdrucksformen erfaßt. Wir selbst haben bereits mit den Quer-
verweisen auf die diskurstheoretischen Ansätze der Renaissance die allgemei-
neren Zusammenhänge angedeutet. Sie lassen sich gerade in der Frage der in-
terpretatorischen Tätigkeit eines diesseitigen Erkenntniswillens konkret nach-
vollziehen. Hierbei kann die generelle Frage, wie der problematische
Wirklichkeitsbegriff auf die von Gott garantierte Wahrheit zurückbezogen
wird64, in ihrer epochalen Reichweite illustriert werden. Gleichzeitig allerdings
zeigt sich, unter welchen persönlichen Gefahren und Zwängen Fray Luis dem
Epochengeist der orthodoxen Autoritätsgläubigkeit Folge leistet.
Das Bedürfnis, oder genauer die Einsicht in die Notwendigkeit, sich unter dem
Einsatz der erwachenden Weltklugheit eine widersächliche Realität gefügig zu
machen, wird zu einer verbindenden Erfahrung, die die diversen Gestalten des
Schelmen, des Ritters, des Hofmanns oder des poeta doctus beherrscht. Alle
Gestalten sehen sich gezwungen, sich angesichts einer dunklen und feindlichen
Welt zu behaupten, und setzen ihr die Kraft ihres gewiß je unterschiedlichen
Ingeniums entgegen. Es gilt, sich der Illusion der Welt zu stellen und - so wie es
die allegorischen Vertreter des Verstandes in Graciáns Criticón: acertador, des-
cifrador und zahori (Scharfblick) erstreben - zu höchstmöglicher Welter-
kenntnis zu gelangen. Während Gracián die empirische Welterfahrung an den
Beginn der geistig-schöpferischen Aktivität stellt, läßt Cervantes aus der fikti-
ven Idealität der Ritterbücher den Reaktionsspielraum seines Helden erwach-
sen. Don Quijote gilt zu Recht als die Exempelfigur des Suchers.65 Er ist der
Interpret, der die Erfahrungen für seine Bedürfnisse umzudeuten sucht und in
seinem Denken die Wichtigkeit menschlicher Initiative für ein sinnvolles Ge-
schehen dokumentiert. 66 Der sprachliche Perspektivismus, der sich etwa in den

63
Ebda., S. 86.
64
Diesen Ubergang von einem statischen Wirklichkeitsbegriff des Mittelalters zu einer dynami-
schen Realitätsauffassung in der Renaissance illustriert Hans Blumenberg, "Wirklichkeitsbegriff
und Möglichkeit des Romans", in: Nachahmung und Illusion, München 1969, S. 9-27.
65
Am Beispiel der ausbleibenden simiiitude zwischen Ideal und Wirklichkeit entwickelt Michel
Foucault den für die Moderne wegweisenden Einschnitt des Don Quijote. Ders., Les mots et les
choses. Une archeologie des sciences humaines, Paris 1966, S. 60 ff.
66
Es ist das Verdienst H.-J. Neuschäfers, in diesem Zusammenhang auf die Funktion der Iocura
des Don Quijote hingewiesen zu haben. Ders., Der Sinn der Parodie im "Don Quijote", Heidel-
berg 1963.
Vives und Fray Luis de León 41
verschiedenen Namensgebungen und Worterklärungen im Don Quijote nieder-
schlägt, ist das sprachliche Äquivalent der welthaften Bedeutungsoffenheit.67
Selbst das allegorische Theater Calderóns kennt die sprachgebundene
Funktion der Blicktäuschungen. Paraphrasen, Vergleiche, Metaphern über-
wuchern die Realität des Beschriebenen. Für den barocken Sprachstil hat das
Wirkliche an Zuverlässigkeit verloren, so daß der urteilende Gedanke nicht zur
Ruhe kommt.68
Man kann geradezu das biblische Äquivok in der weltlichen Dichtung nachge-
bildet finden. Nicht zu Unrecht hat man das equívoco als ein Stil- und Struk-
turprinzip der spanischen Literatur des Goldenen Zeitalters bezeichnet.69 Es
erfüllt eine Funktion, die auch der humanistischen Gelehrtenprosa bekannt ist.
Die Dunkelheit der Sprache ist nützlich "para avivar el ingenio", rechtfertigt
Góngora sein verschlüsseltes Gedicht der Soledades J° Er greift mit seiner her-
metischen Verkleidung einen Gedanken auf, der zum Allgemeingut der zeitge-
nössischen Sprach- und Verhaltensnormen gehört. Gracián variiert ihn mehr-
fach in seinem Oráculo manual y Arte de prudencia, indem er die Gestaltung
der Persönlichkeit eben an ein taktisches Vorgehen der Verstellung bindet. Pa-
radox, Wortspiel, Doppelsinn sind die sprachlichen Technika einer Art von
Weltklugheit, für die das Rätselhafte schlechthin zum Zeichen geistiger Voll-
kommenheit und Überlegenheit wird. "Quien dice misterio, dice preñez, verdad
escondida y recóndita, y toda noticia que cuesta, es más estimada y gustosa." So
begründet Gracián zu Beginn des sechsten Diskurses seines Traktats Agudeza y
Arte de ingenio die "ponderación misteriosa".

Dunkelheit und Äquivok beherrschen als Form- und Inhaltscharakteristikum


die Denkweise und finden in den literarischen Stilrichtungen des Culteranismo
und Conceptismo zu ihrer eigenen ästhetischen Ausprägung.71 Die spanische
Komödie hat das Spiel mit der Uneindeutigkeit übernommen und zu einem
tragenden Element ihrer Verwicklungen erhoben. Auch hier korrespondiert
den sprachlichen Ambivalenzen72 ein Verhaltenscode, der durch Schlüssel-
wörter wie disimular, fingir, engañar, simular, callar, enredar etc. charakterisiert

67
Auf diese Parallele von Sprachhaltung und Struktur weist Leo Spitzer, "Sprachlicher Perspekti-
vismus im 'Don Quijote'", in: Ders., Texterklärungen. Aufsätze zur europäischen Literatur,
München 1969, S. 54-83.
68
Diesen stilistischen Perspektivismus bei Calderón legt Hugo Friedrich dar, Der fremde
Calderón, Freiburg 1966 (Freiburger Universitätsreden, 20). Hier S. 32.
69
Die Bedeutung des literarischen Äquivoks hat Horst Baader hervorgehoben. Ders., "'El equí-
voco'. Die Uneindeutigkeit als Stil- und Strukturprinzip der spanischen Literatur des Goldenen
Zeitalters", in: Spanische Literatur im Goldenen Zeitalter, a.a.O., S. 12-39.
70
Góngora, Obras Completas, Madrid 1943, S. 796.
71
Vgl. etwa Ramón Menéndez Pidal, "Oscuridad, dificultad entre culteranos y conceptistas", in:
Ders., Castilla, la tradición, el idioma, Buenos Aires 1947, S. 219-232.
72
Sie werden, wie Baader, a.a.O., S. 20 f. ausführt, allein in Titeln greifbar wie El encanto sin
encanto (Calderón); La hermosa fea (Lope de Vega); La muerte viva (José de Cañizares); La
humildad soberbia (Guillén de Castro); La verdad sospechosa (Ruiz de Alarcón).
42 Karl Hölz
ist.73 Äquivokes Handeln und Sprechen sind die Reaktionen auf eine
trügerische Welt und bieten sich als probates Mittel an, dem Verlust ein-
deutiger Sinnbezüge durch eine ebenso geartete Verhaltensstrategie der Ver-
stellung entgegenzutreten.74
Die barocke Gestaltung von Schein und Sein, engaño und desengaño, ist gewiß
aus Unlust an der Wirklichkeit entstanden75 und beinhaltet ein Moment der
verdeckten oder offenen Sozialkritik. Die Unsicherheit des Individuums resul-
tiert aus dem drohenden Bruch der welthaften Ordnung. Wenn die moralisti-
schen Maximen der Weltklugheit sich am innerweltlichen Erfolg orientieren, so
ist in ihnen ein Wechsel der Leitbilder vollzogen.76 Der Blick wendet sich von
einer metaphysisch-zeitlosen zu einer real-historischen Bezugsebene und eröff-
net dem Betrachter das Panorama einer in allen Belangen fragwürdigen Welt.
Die neuen Verhaltensnormen konkretisieren sich an der Vorstellung eines
biblischen Themas vom Streit des Menschen auf der Erde (Hiob VII, 1). Ge-
rade für den Schelmen, der am unteren Ende der sozialen Hierarchie steht, hat
es existentielle Bedeutung angenommen:
La vida del hombre, milicia es en la tierra: no hay cosa segu^ ni estado que permanezca,
perfecto gusto ni contento verdadero; todo es fingido y vano.

Gracián pointiert das Motiv der militia konzeptistisch auf die Täuschungsstra-
tegie hin und läßt damit keinen Zweifel an der auch sozialen Fundierung der
Äquivok-Haltung aufkommen: "Milicia es la vida del hombre contra la malicia
del hombre."78
Die Erfahrung der aus der Ordnung geratenen Welt hat die dynamischen Ein-
griffe des selbstbewußten Individuums hervorgerufen. Wir berühren hier den
Punkt, der uns wieder in die Gedankenwelt des Fray Luis zurückführt und der
zumindest die Parallelität der gedanklichen Strukturen erhellt, die das literari-
sche und theologische Äquivok besitzen. In beiden Bereichen wurde ein Allge-
meinbegriff und die an ihn geknüpfte zeitlose, allgemeingültige Wahrheit zu-
rückgedrängt und durch eine vom Einzelwesen ausgehende empirische Le-
bensordnung ersetzt. Die Ambiguität von Idealismus und Realismus ist Aus-
druck dieser beginnenden Verschiebung. Don Quijote wird ihr zum Opfer fal-

73
Vgl. hierzu Hans-Joachim Müller, Disimular und fingir oder Die listige Verstellung auf dem
spanischen Theater des"Sigjo de Oro", Innsbruck 1972.
74
Vgl. den 13. Aphorismus des Oráculo Manual.
75
Baader, a.a.O., S.32f.
76
Siegfried Jüttner verfolgt diesen Wandel der Leitbilder an Hand der Erzählstruktur der Lozana
andaluza. Ders., "Der dramatisierte Erzähler und sein Leser. Hermeneutische Analyse der
'Lozana andaluza' von Francisco Delicado", in: Spanische Literatur im Goldenen Zeitalter,
a.a.O., S. 175-208. HierS. 195.
77
"Alemán, 'Guzmán de Alfarache'", in: Angel Valbuena Prat (Hg.), La novela picaresca española,
Madrid 1956, S. 269b.
78
Oráculo Manual, Aphorismus Nr. 13.
Vives und Fray Luis de León 43
len, denn für ihn ist die geglaubte Realität nicht mehr identisch mit der
tatsächlichen. Genau so erklären sich die anderen Widersprüche, die in den ge-
sellschaftlichen, literarischen und religiösen Orientierungsansätzen zum Vor-
schein kommen. Idealität und Realität, Schein und Sein, Orthodoxie und Sub-
jektivismus, solche und ähnliche Dualismen haben wohl gemeinsam, daß in ih-
nen ein komplexes Weltbild zur Entfaltung drängt. Es ist in der Tat dasjenige
einer doppelten Wahrheit, bei der die divinas und humanas letras in Konkur-
renz zueinander treten.
Die spanische Barock- und Renaissance-Forschung hat dieses Beieinander
komplementärer Anschauungsmodelle in die Epochen-Diskussion aufgenom-
men. Mit gleichem Recht, wie man das wachsende Vertrauen in die eigene
Kraft des Ingeniums mit einer positiven Einstellung zur Neugierde und dem
Willen zur Freiheit in Verbindung bringen kann79, wird man die Anbindung an
den gegenreformatorischen Geist als ein Spezifikum insbesondere der nachtri-
dentinischen Epoche veranschlagen müssen. So wie Vossler, H. Friedrich und
neuerdings H. W. Sullivan die Werke etwa von Lope, Calderón und Tirso de
Molina generell aus der heilsgeschichtlichen Umdeutung der irdischen Historie
heraus erklären80, sucht auch Fray Luis die theologische Rückversicherung und
nimmt teil an jener Renovatio der mittelalterlichen Diskurse, die Küpper in
seiner reich dokumentierten Studie über das Goldene Zeitalter nachgewiesen
hat. Danach wird das Denken der Renaissance einer neuerlichen orthodoxen
Überformung unterzogen, indem diesseitige Vielheit dem Einheitskonzept des
theozentrischen Weltbildes wieder untergeordnet wird. Calderón illustriert dies
geradezu programmatisch in seinem auto sacramental El divino Orfeo. Der
Wettstreit zwischen den divinas und humanas letras stellt hier die Gleichwer-
tigkeit von biblischer Heilswahrheit und antik-paganer Weisheit zur Diskussion.
Calderón führt die Denkfigur der pluralen Anschauungen zu einer restaurativen
Lösung, indem er mit der Unterwerfung des heidnischen Mythos unter den
wahren göttlichen Harfenspieler den Triumph der christlichen Lehre feiert.81
Die gleiche Disziplinierung menschlicher Autonomie durch die göttliche Ord-
nung erfährt das Ehrendrama. Wenn die Personen im Ehrenkasus ihre private
und soziale Integrität in Gefahr sehen, handeln sie so, daß sie die verletzte
Ordnung, in der Schein und substantieller Wert nicht mehr übereinstimmen,
wieder in ihre Rechte setzen. Der Satisfaktionszwang wird analogisch einem
heilsgeschichtlichen Arche-Typos zugeordnet, indem die nominalistische Dis-
soziierung von Schein und Sein auf den Sündenfall und die mit ihm eingeleitete
Heilssuche projiziert wird. Der Ehrenkasus führt, wie in der emblematischen

79
Auf die Umbewertung der curiositas (nach Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt
1966) in der spanischen Erzählprosa des 16. Jahrhunderts geht Siegfried Jüttner ein: "Der dra-
matisierte Erzähler und sein Leser", a.a.O., S. 176 ff.
60
Vgl. die entsprechenden Werkinterpretationen in dem Band Volker Roloff, Harald Wentzlaff-
Eggebert (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1988.
Vgl. die Ausführungen bei Küpper, a.a.O., S. 151 ff.
44 KarlHölz
Verkleidung bei El médico de su honra, die Erlösungsbedürftigkeit der betrof-
fenen Personen vor Augen und hält diese an, ihre Entscheidungen mit dem
Appell an die Gerechtigkeit des von Gott eingesetzten Richters, des Königs le-
gitimieren zu lassen.82 Lope de Vega hat die moraltheologische Zügelung des
Ehrenkodex direkt mit der Verbreitung tridentinischer Verhaltensnormen in
Verbindung gebracht. Wenn die Landbevölkerung in Fuente Ovejuna sich auf
ihre Weise gegen einen absolut gesetzten feudalen Ehrenkodex zur Wehr setzt,
werden die unerfreulichen Begleiterscheinungen ihrer Rache - Mord, Plünde-
rung, Fledderung der Leiche - als Überschreiten der rechten Ordnung vom
König geahndet. Der Moralrigorismus erfaßt zugleich mit dem Schicksal des ri-
gorosen Feudalherren auch die Vollstrecker der Rache selbst. Sie sind der
Verlockung durch die concupiscencia anheimgefallen und haben ihren Freien
Willen dazu mißbraucht, sich gegen Gottes Ordnung zu stellen. Unter einem
doppelten Aspekt, dem christlichen Gleichheitsgedanken, der alle sozialen
Stände umfaßt, und dem moralischen Rigorismus, mit dem der Freie Wille do-
mestiziert wird, erfüllt Lope wesentliche Postúlate, die die tridentinische Lehre
aufgestellt hat.83 Wer sich ihnen nicht fügt, erfährt das Schicksal Don Juans,
wie es Tirso de Molina vorgeführt hat. Seine Komödie El burlador de Sevilla
weist den genialen Frevler in die Schranken. Hat mit Don Juan kurzfristig ein
renaissancehaftes Erproben der menschlichen List Gestalt gewonnen, so siegt
am Ende doch Gottes Gerechtigkeit. Tirsos Drama lebt aus einer
"Überschichtung von mittelalterlicher, geistlich fundierter Ordo-Welt und re-
naissancehaftem Persönlichkeitsbewußtsein".84 Seine Gestalt kann den morali-
schen Libertinismus nicht behebig ausleben, da Gott die Freiheit des Handelns
nur auf eine Frist gewährt, wie der Vater Don Diego den Sünder belehrt.85 Die
Personen werden nie aus ihrer moralischen Verantwortlichkeit entlassen. Selbst
da, wo die Betrüger-Gestalten Gottes Gerechtigkeit suspendiert sehen, wie in
Alarcóns La verdad sospechosa, ist der Reaktionsspielraum des planenden
Subjekts nur so lange erweitert, wie ihm die göttliche Gnade Aufschub gewährt.
Trotz aller betrügerischen Machenschaften der handelnden Personen gilt das
Gesetz, daß "el cielo ayuda la verdad más oculta y premiada".88 Nicht einmal
der Don Quijote kann seine arbiträren Sinnzudeutungen ungehindert entfalten.
Das gegenreformatorische Denken holt ihn spätestens dann ein, wenn die tri-
dentinische Bücherzensur durch den Barbier und den Pfarrer durchgeführt
wird und wenn Schlüsselbegriffe wie conciencia, escrúpulo, ocasión oder caso

82
Hierzu Küpper, a.a.O., S. 383.
83
Vgl. die Interpretation des Stückes durch Küpper in: Das spanische Theater, a.a.O., S. 105-122.
84
So Margret Dietrich im Vorwort zu Don Juan, hg. v. Joachim Schondorff, München 1967, S. 9.
85
2. Akt, 10. Szene.
86
3. Akt, 12. Szene. Die moraltheologische Disziplinierung der renaissancehaften Betrügergestal-
ten wird dargestellt von Karl Hölz, "Pirandello und die literarische Tradition der Lüge", in:
Richard Baum und Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Theatralisierungder Wirklichkeit und Wirk-
lichkeit des Theaters, Bonn 1988, S. 48-83.
Vives und Fray Luis de León 45
die ausgeblendete theologische Fundierung menschlichen Handelns wieder ins
Bewußtsein rufen.87 Nicht zuletzt gibt sich auch die obicurito-Thematik in ih-
rer Analogie zwischen der welthaften und göttlichen Ordnung zu erkennen.
Góngora möchte den Leser mit seiner verschlüsselten Sprache zur Reflexion
anhalten und verfolgt dabei ein Ziel, das nicht nur wirkungsästhetisch begrün-
det ist. Sein sprachlicher Hermetismus ist metaphysisch fundiert. Der Gedanke
entstammt theologischer Lehrtradition und ist von den Zeitgenossen Góngoras
entsprechend aufgenommen worden.88 Gracián äußert an anderer Stelle deut-
lich den Bezug zwischen der welthaften und göttlichen Dunkelheit. In Anspie-
lung auf Prov. 25,2: "Gloria Dei est celare verbum" rät er dem, der in der Ge-
sellschaft arrivieren möchte: "Imítese [...] el proceder divino para hacer estar a
la mira y al desvelo."89
Fray Luis verfaßt sein exegetisches Werk während der Zeit der gegenreforma-
torischen Reglementierungen. Von daher wundert es nicht, wenn das Wissen
des grammaticus als korrektur- oder sanktionsbedürftig der orthodoxen Lehr-
tradition unterstellt wird. Alle Bekenntnisse des Fray Luis zum "hijo obediente
y humilde de la sancta madre iglesia de Roma"90 bestätigen die ge-
genreformatorischen Korrekturen, die der Humanist an seiner Urteilsinstanz
vornimmt. Die Wiedereinbettung des humanistischen Erkenntniswillens in jene
ordnungsgebende Perspektive der göttlichen Transparenz geschieht allerdings
nicht problemlos. Die Inquisitionsakten lassen bisweilen den Eindruck entste-
hen, daß Fray Luis die orthodoxe Rückversicherung nur unter inquisitorischem
Druck vornimmt. So ist einmal sein philologischer Enthusiasmus gebrochen, als
er das scholastische Axiom des differente y no contrario soweit aufgibt, daß er
sich blind allen Forderungen seiner Ankläger fügen möchte.91 Wider besseres
Wissen räumt er Irrtümer ein und unterstellt alle Streitfragen einem orthodo-
xen Prinzip der convenientia:

esto solo pretendí desde el primer dia, conviene a saber no porfiar ny contender, sino ser
ensebado y alumbrado y corregido si acaso en algo me e engañado aunque yo no se en
que.

Solche Verleugnungen der philologischen Ambitionen sind zweifelsohne durch


den Reformeifer der Inquisitionsvertreter erzwungen worden. Ohne ihren un-
mittelbaren Druck besinnt sich Fray Luis wieder mehr auf sein humanistisches
Erkenntnisinteresse. So zumindest läßt er es durchblicken, als er die ideologi-

87
Zum religiösen Hintergrund im Don Quijote vgl. die zusammenfassende Studie von Christoph
Strosetzki, Miguel Cervantes. Epoche-Werk-Wirkung, München 1991, S. 176.
sa Vgl. Weinrich, a.a.O., S. 545.
89
Oráculo Manual, Aphorismus Nr. 3.
90
Vgl. etwa Alcalá, a.a.O., S. 25 f.
91
Ebda., S. 413.
92
Ebda., S. 419 f. Vgl. auch S. 444.
46 Karl Hölz
sehen Zwänge anspricht und dabei die wahren Motive seiner lateinischen und
allegorischen Interpretation des Hohen Liedes aufdeckt:
ad has scriptiones, non ut alii animi, aut oblectationis causa, sed necessitate quadam com-
pulsus accessi.

Und er fügt erklärend hinzu: "re ipsa pene constrictus latinum eum librum
feci".93 Die im Sinne des Tridentinums vorgenommene Korrektur und Fort-
schreibung der ersten Literalerklärung in Spanisch entspricht nicht den primä-
ren Beweggründen des Interpreten. Wenn er sich auf eine neuerliche ortho-
doxe Argumentation der typologisierenden Bezüge zurückverpflichten läßt und
damit am gegenreformatorischen Zeitgeist partizipiert, hat er doch - anders als
etwa die belehrende (Vega) oder erbauliche (Calderón) Durchsetzimg der tri-
dentinischen Interessen - eine philologische Distanz zu den Universalia der
spätmittelalterlichen Wahrheitslehre gewahrt. Fray Luis legt die divergierenden
Wissenssphären des Theologen und Grammatikers frei und macht sie zum Ka-
sus eines Disputs, der die Zusammenhänge von Wahrheit und Interesse bis an
die Grenzen des Möglichen auslotet.

93
Fray Luis, Opera, Bd. II, S. 41.
Vives' Ideen
über die Erziehung der Frau.
Zu 'De institutione feminae christianae' (1523)

Manfred Lentzen (Münster)

Neben den Büchern über die Wissenschaften (Libri de disciplinis, 1531) dürfte
der Erziehungstraktat De institutione feminae christianae (1522/23; 1523
erschienen) wohl eine der bedeutendsten Schriften von Juan Luis Vives sein.
Das Werk zirkuliert in über 40 Ausgaben und Übersetzungen bis zum Ende des
16. Jahrhunderts in Europa; eine spanische Übertragung datiert bereits aus
dem Jahre 1528, eine englische aus dem Jahre 1540, die erste französische
Übersetzung stammt aus dem Jahre 1542, die erste deutsche aus dem Jahre
1544 und die erste italienische aus dem Jahre 1546.1 Die Daten deuten darauf
hin, daß vor allem nach 1540 eine große Popularität des Traktats zu
verzeichnen ist, was darauf zurückzuführen sein dürfte, daß sich insbesondere
ab dieser Zeit eine außerordentlich starke Öffnung der Gesellschaft nach
außen hin abzeichnet und vor allem die Frau gleichsam als ein
Gruppenphänomen öffentlich in Erscheinung tritt. Dies gilt in besonderem
Maße für Italien, wo eine relativ große Schar gelehrter Frauen einen
nachhaltigen Einfluß auf das kulturelle Leben zu nehmen beginnt. Erinnert sei
nur an Gestalten wie Vittoria Colonna, Veronica Gambara, Gaspara Stampa,
Laura Terracina oder auch Tullia D'Aragona und Veronica Franco.

Vives' Schrift De institutione feminae christianae ist Katharina von Aragon, der
Gattin Heinrichs VIII. von England gewidmet, deren Wohlwollen und Unter-
stützung der Autor durch Vermittlung von Thomas Morus erfährt. Der Traktat
ist zugleich als Erziehungsanleitung für Prinzessin Maria, die Tochter Kathari-

Vgl. Carlos G. Norefta, Juan Luis Vives, The Hague 1970, S. 304, und insbesondere die Angaben
bei Ruth Kelso, Doctrine for the Lady of the Renaissance, Urbana 1956, bes. S. 421f. Kelso regi-
striert 891 Titel von Schriften, die sich mit Fragen der Erziehung des weiblichen Geschlechts im
weitesten Sinne beschäftigen, 473 Titel von Schriften, die dem Mann gewidmet sind; op. cit., S.
327-462. Was Italien betrifft, so erscheint in Venedig bereits 1545 Ludovico Dolces Dialogo della
institutione delle donne secondo li tre stati che cadono nella vita umana, der weitgehend von
Vives' Traktat abhängig ist und in dem Dolce seinerseits Vives des Plagiats bezichtigt, wenn er
auf dessen angebliche Abhängigkeit von Francesco Barbaros Schrift De re uxoria (1416; Druck
Paris 1513) hinweist. Vgl. hierzu Tullio Gariglio und Agostino Sottili, "Zum Nachleben von Juan
Luis Vives in der italienischen Renaissance", in: Juan Luis Vives, Arbeitsgespräch, hrsg. von
August Buck, Hamburg 1981, S. 211-260. Generell zur Rolle der Frau in Italien im 16. Jahrhun-
dert vgl. Adelin-Charles Fiorato, "L'image et la condition de la femme dans les 'Nouvelles' de
Matteo Bandello", in: Images de la femme dans la littérature italienne de la Renaissance. Préju-
gés misogynes et aspirations nouvelles. Castiglione, Piccolomini, Bandello, Paris 1980 (Centre de
Recherche sur la Renaissance italienne, Bd. 8), S. 169-286. Zum Einfluß von Vives in Spanien
(bes. auf Antonio de Guevara und Fray Luis de León) vgl. Joaquin de Entrambasaguas, "Espejo
para la mujer en el Renacimiento espanol", in: Revista de Literatura 18 (1960), S. 83-116.
48 Manfred Lentzen
nas, gedacht. Im folgenden soll versucht werden, nach einer Skizzierung der
wichtigsten Ideen von Juan Luis Vives zur Frauenerziehung die Position des
Autors innerhalb der Debatte über die Ausbildung des weiblichen Geschlechts
zu ermitteln. Dabei wird sich herausstellen, daß Vives in mancherlei Hinsicht
durchaus nicht auf der Höhe der damaligen zeitgenössischen Diskussion in die-
ser Frage steht, vielmehr noch sehr stark mittelalterlichen Vorstellungen ver-
haftet bleibt. Die Bedeutimg von Juan Luis Vives als humanistischer Denker
muß also zumindest im Bereich der pädagogischen Vorstellungen seiner Zeit
eingeschränkt und relativiert werden. Natürlich darf Vives erst recht nicht an
den Kriterien der heutigen Debatte über die Rolle der Geschlechter gemessen
werden, will man nicht einer ahistorischen Betrachtimgsweise verfallen. Er
muß, um ihm gerecht zu werden, im Rahmen der Diskussionen der Zeit gese-
hen und bewertet werden.
Die Schrift De institutione feminae christianae besteht aus drei Büchern2, in
denen nacheinander die Jungfrau, die verheiratete Frau und die Witwe behan-
delt werden. Zu Fragen der Erziehung des weiblichen Geschlechts äußert sich
Vives darüber hinaus auch in den Traktaten De ratione studii puerilis (1523; 1.
Brief) und De officio mariti (1528). Die Institutio bleibt aber die bei weitem
wichtigste Schrift zu diesem Problemkomplex. In der Praefatio mit der Wid-
mung an Katharina von Aragón, die gleichsam vorbildhaft die Lebensstadien
als Jungfrau, Gattin und Witwe kennengelernt habe, fügt sich Vives in die lange
Tradition der pädagogischen Literatur ein, die von Xenophon und Aristoteles
über Piaton, Tertullian, Cyprian und Hieronymus bis hin zu Augustinus und
Fulgentius reiche. Im ersten, der virgo gewidmeten Buch, wird zunächst eine
wichtige Differenzierung vorgenommen: es wird nämlich zwischen einem
gleichsam wissenschaftlichen und einem häuslich-praktischen Unterricht für
die junge Frau unterschieden. Was die praktische Seite der Ausbildung betrifft,
so soll das junge Mädchen insbesondere das Woll- und Flachsspinnen sowie die
Kochkunst erlernen, muß es doch auf seine künftige Stellung als Hausfrau in
der Familie vorbereitet werden. Deshalb sollen ihm auch keine Puppen als
Spielzeug gegeben werden, sondern eher aus Blei oder Zinn gefertigte Küchen-
gerätschaften, die - wie es heißt - zweckdienlich sind und zugleich viel Freude
bereiten. Vives stützt seine Thesen durch die Auffassung gewichtiger Vorbilder
und Autoritäten; so weist er vor allem auf die Töchter und Enkelinnen des
Augustus hin sowie auf die Töchter Isabellas von Spanien. Insbesondere die
Kochkunst liegt ihm am Herzen, kann sich die Frau doch dadurch die Ihrigen
lieb und teuer machen:

2
Zitiert wird nach der Ausgabe Ioannis Ludovici Vivis Valentini, Opera omnia, 8 Bde., Valentiae
1782-1790, Reprint London 1964. Der Traktat findet sich in Band IV, S. 65-301.
De institutione feminae christianae 49
hanc ergo artem mea callebit femina, quo magis omni aetate suos demereatur sibi, et quo
tum rectius ac purius, tum minoris curatae dapes ad mensam veniant.

Bezüglich der wissenschaftlichen Ausbildung setzt sich Vives in erster Linie für
das Erlernen von Lesen und Schreiben ein. Dabei steht die Muttersprache, d.h.
die Volkssprache, im Vordergrund; die lateinische Sprache soll in einer zweiten
Stufe hinzugelernt werden, nicht aber das Griechische, das nur den Jungen
vorbehalten bleibt. Auch die Ausbildung in der Eloquenz, der Beredsamkeit
hält Vives für das weibliche Geschlecht nicht für wesentlich, soll sich die Frau
doch aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückhalten (I, 4: De doctrina puella-
rum). Ziel der Erziehung muß immer eine vernünftige und sittliche Bildimg
sein, die zur Tugend anleitet. Vives ist der Auffassung, daß Lasterhaftigkeit im
wesentlichen auf Unkenntnis zurückzuführen ist, weshalb die Ausbildung in der
doctrina auch für Mädchen gefordert wird. Als Vorbilder führt er eine Reihe
gelehrter Frauen sowohl aus der Antike als aus der christlichen Zeit an (hier
insbesondere Katharina von Alexandrien, Katharina von Siena und Hildegard
von Bingen). Die sapientia ist für Vives stets der Ausgangspunkt und die
Grundlage der virtus. Die Gelehrsamkeit des weiblichen Geschlechts darf indes
nicht so weit gehen, daß die Frau nun selber den Lehrberuf oder gar die Lei-
tung einer Schule anstrebt, Bereiche, die ausschließlich den Männern vor-
behalten bleiben. Der Weg zur virtus führt über die Lektüre von Büchern, die
von Vives besonders gefördert wird und für die er bestimmte Weisungen erteilt
(I, 5: Qui non legendi scriptores, qui legendi). So verwirft er Schriften über
Kriegs- und Liebesabenteuer. Die Verfasser solcher unsittlichen Werke be-
zeichnet er als Tagediebe und Faulenzer, als lasterhafte und ungebildete
Kreaturen. Die Bücher, die er empfiehlt, sind das Alte und Neue Testament,
sodann die Schriften der Kirchenväter und u.a. auch die von Boethius, Fulgen-
tius, Tertullian, Piaton, Cicero und Seneca. Von den Dichtern befürwortet er
vor allem Prudentius, Iuvencus und Paulinus, die seiner Auffassung nach den
antiken Poeten in nichts nachstehen. In allem aber hat die Frau dem Manne
stets Untertan zu sein und nur das schweigend zu lernen, was sie für ihr Leben
in der Familie braucht ("sed subdi viris, et tacitas quae opus sit addiscere").4
Weitere Kapitel des ersten Buches sind der Pflege des Körpers, dem Essen und
Trinken sowie dem Schmuck und Putz der Frau gewidmet. Von zentraler
Bedeutung ist indes für Vives der Schutz der virginitas des jungen Mädchens
(bes. I, 6: De virginitate). Der Autor weist diesbezüglich auf die Bedeutung der
Jungfräulichkeit bereits in der heidnischen Antike hin, wenn er auf die zahlrei-

3
Ibidem, S. 77 (1,3: De primis exercitamentis).
4
Ibidem, S. 90. Hier unterscheidet sich Vives wesentlich von Castiglione, dessen Dialog Libro dei
cortegiano ungefähr um dieselbe Zeit entstanden ist (in mehreren Fassungen zwischen 1514 und
1527; gedruckt 1528). Bei Castiglione ist die adelige Hofdame, die donna dipalazzo, dem Höfling
ebenbürtig. Vgl. hierzu in diesem Band den Beitrag von Joachim Leeker, "Das Frauenbild in
Vives' 'De institutione feminae christianae' und Castigliones 'Libro del cortegiano'".
50 Manfred. Lentzen
chen jungfräulichen Göttinen oder die Musen Bezug nimmt. Die castitas ist für
ihn die höchste der Tugenden:
adimas feminae formam, genus, opes, venustatem, eloquentiam, acumen ingenii, peritiam
suarum artium, addas tarnen castitatem, omnia cumulatissime dedisti; contra, largiaris
plena manu illa oginia, et dicas impudicam, hoc uno verbo detraxisti omnia, nuda relicta
est, et detestanda.

Die Keuschheit muß mit allen Mitteln geschützt und verteidigt werden. So soll
die junge Frau nur selten ausgehen, und wenn, dann nur in Begleitung der
Mutter, um jeglicher Gefahr zu entgehen. Die Jungfrau Maria habe dem Mäd-
chen als Vorbild zu gelten. Weiterhin soll die junge Frau nicht der Schwatzhaf-
tigkeit verfallen, Feste, Gelage und Tanzveranstaltungen meiden und sich vor
allem nicht der Spielleidenschaft hingeben. Vives warnt zudem nachdrücklich
vor der sinnlichen Liebe, die zu Mord und Tod führe und physisch und psy-
chisch krank mache; Heilmittel gegen die Liebesleidenschaft sieht er in der
körperlichen und geistigen Beschäftigung, zumal in der Lektüre guter Bücher,
in Gebeten und frommen Gesprächen. Die wahre Liebe der jungen Frau dürfte
nur auf Gott, die Jungfrau Maria, die Kirche, die Eltern, die unsterbliche Seele
und die ewige Seligkeit gerichtet sein (I, 14: De amore virginis). Aus dem Ge-
sagten wird ersichtlich, daß Vives gleichsam für eine häusliche Internierung der
Frau plädiert, um sie vor den lauernden Gefahren des öffentlichen Lebens zu
schützen. Vor diesem Hintergrund werden auch seine Ratschläge für die Suche
des Gatten verständlich, die den Eltern überlassen bleibt, wobei die junge Frau
lediglich durch ihre Gebete unterstützend eingreifen darf (I, 15: De quaerendo
sponsö). Den Zweck der Ehe, die nicht gelöst werden kann, sieht Vives zum
einen in der Fortpflanzung und zum anderen (und dies mit besonderem Nach-
druck) im harmonischen Zusammenleben mit dem Partner. Grundlage der ehe-
lichen Gemeinschaft hat die Sittenreinheit und Unbescholtenheit zu sein.

Im zweiten Buch von De institutione feminae christianae, das der verheirateten


Frau gewidmet ist, sind für unseren Zusammenhang wohl vor allem die Teile
von besonderem Interesse, in denen Vives seine Überlegungen zur Kinder-
erziehung entwickelt (bes. in II, 11: De liberis, et quae circa illos cura). Die ent-
scheidende Rolle fällt dabei der Mutter zu, die die Kinder nährt, sie (zumal die
Töchter) in den Handarbeiten unterweist und ihnen die Muttersprache bei-
bringt. Durch Geschichten und Erzählungen sollen die Kinder gleichsam sensi-
bilisiert werden für die Vorteile der Tugenden und die Schrecken der Laster.
Wiederum steht die Erziehung zur virtus im Vordergrund, der Tugendsamen
muß den Söhnen und Töchtern von der Mutter gleichsam eingepflanzt werden:

sancta matrona his corruptis opinionibus, integrioribus aliis et christiana dignis occurret, in
suoque puero bonorum praeceptorum ac consiliorum instillatione igniculum illum, quem

5
Ibidem, S. 96.
De institutione feminae christianae 51
diximus, fovebit, semina irrigabit, ut in magnam lucem ille, haec in frugem ingentera
optimamque consurgat.

Selbst vor dem üppigen Gebrauch der Zuchtrute, des Rohrstocks schreckt
Vives nicht zurück; die virga müsse insbesondere bei den Mädchen zur An-
wendung kommen, um sie auf den Weg der Tugend zu führen.
Das relativ kurze dritte Buch ist schließlich der Witwe gewidmet; die vidua soll
im Andenken an ihren toten Mann ihr weiteres Leben verbringen und die
Tugenden der honestas und continentia pflegen. Nur in nicht genauer spezifi-
zierten Ausnahmefällen wird zu einer zweiten Ehe geraten, die allerdings ohne
Pomp und Aufsehen geschlossen werden soll.
Vives' Schrift De institutione feminae christianae ist zwar Katharina von Aragön,
der Gattin Heinrichs VIII., gewidmet und als Erziehungstraktat ihrer Tochter,
der Prinzessin Maria, gedacht, aber zahlreiche Bemerkungen gegen das die
Tugenden mißachtende Hofleben7 legen doch den Schluß nahe, daß das Werk
ursprünglich nicht für den englischen Königshof geschrieben worden ist.
Möglicherweise hatte Vives die reiche Kaufmannsfamilie Valdaura aus Brügge
im Auge, in der er als Hauslehrer tätig war und deren Tochter Margareta er im
Frühjahr 1524 heiratete. Somit dürfte sich die Schrift an die Töchter des geho-
benen Bürgertums richten.
Überblickt man Vives' Überlegungen zur Erziehung des weiblichen Ge-
schlechts, so wird man wohl festhalten können, daß es ihm im wesentlichen um
eine an den christlichen Tugenden orientierte, auf die ewige Glückseligkeit
gerichtete educazione cristiana geht, weniger um eine weltlich-profane Bildimg
im Sinne einer educazione morale-civile. Somit knüpft er eher an Petrarca und
Maffeo Vegio an als an die sogenannten "Bürgerhumanisten" Pier Paolo
Vergerio, Leonardo Bruni oder Matteo Palmieri.® Relativ modern indes, d.h.
auf der Höhe der damaligen zeitgenössischen Diskussion stehend, mutet Vives'
Fächerkanon an. So setzt er sich (vor allem in De tradendis disciplinis seu de
institutione christiana) für die Unterweisung in den Disziplinen Grammatik,
Rhetorik, Dialektik, Poetik, Geschichte und Moralphilosophie sowie vor allem
auch Mathematik ein, so daß sein Studiencurriculum im Prinzip aus einer Mi-
schung der studia humanitatis und der septem artes liberales besteht.9 Berück-
sichtigt man noch die primär religiös-sittliche Ausrichtung seines Erziehungs-

6
Ibidem, S. 261.
7
So sieht Vives z.B. in den Höfen den Ursprung aller Laster und den Sitz des Satans
("...parentibusflagitiorumomnium, et sedibus Satanae"); ibidem, S. 134.
8
Zur Differenzierung zwischen educazione cristiana und educazione morale-civile vgl. Gregor
Müller, Bildung und Erziehung im Humanismus der italienischen Renaissance. Grundlagen-Mo-
tive-Quellen, Wiesbaden 1969, bes. S. 1 ff. und S. 165 ff.
g
De tradendis disciplinis seu de institutione christiana bildet den zweiten Teil der Bücher De
disciplinis, abgedruckt in Bd. VI der Opera omnia, ed. cit., S. 243-437. Vgl. bes. die Bücher III
und IV von De tradendis disciplinis.
52 Manfred Lentzen
konzepts, so könnte man sagen, daß es bei ihm zu einer Verbindung der studia
humanitatis mit den studia divinitatis kommt, ähnlich wie einige Jahrzehnte
später bei Silvio Antoniano, der das Ziel einer somma e perfetta felicità celeste
anstrebt, die nur durch die göttliche Offenbarung erreicht werden kann.10 Auch
die inhaltliche Füllung des Triviums ist bei Vives vom neuen humanistischen,
gegen das Mittelalter gerichteten Geist beherrscht, geht es doch darum, vom
abstrakten scholastischen sermo rationalis Abschied zu nehmen und die
Erscheinungen des Lebens (res) mit Hilfe eines am sensus communis orien-
tierten sermo communis zum Ausdruck und damit auch zur Kenntnis zu brin-
gen. Im ersten Teil der Bücher De disciplinis (in De causis corruptarum artium)
macht Vives gerade die abstrakte Sprache und die scholastische Logik für den
Verfall der Wissenschaften verantwortlich.11
Was nun die nahezu klösterliche Internierung des jungen Mädchens im Hause
betrifft, worauf Vives so nachdrücklich hinweist, so muten diese Vorstellungen
noch sehr stark mittelalterlich an. Vor allem fühlt man sich an Auffassungen
von Vinzenz von Beauvais (in dessen Schrift De eruditione filiorum regalium seu
nobilium) erinnert. Der Erzieher am Hofe Ludwigs IX. rät zu einem zurückge-
zogenen, nahezu klösterlichen Leben der Mädchen, die die Tugenden der
Keuschheit, Schamhaftigkeit und Schweigsamkeit praktizieren und dem Vor-
bild der Jungfrau Maria nacheifern sollen. Der Zweck der Ehe wird - wie bei
Vives - vornehmlich in der Fortpflanzung gesehen. Vinzenz von Beauvais
knüpft insbesondere an Hieronymus an, der auch von Vives immer wieder zi-
tiert und als Autorität herangezogen wird. Die Auffassungen von Vinzenz von
Beauvais decken sich im Kern mit den pädagogischen Konzepten des Peraldus,
der gleichfalls den Schutz der Jungfräulichkeit als oberstes Ziel sieht.12

Wenn Vives der Frau den Lehrberuf verwehrt, so hat man auch diese Einstel-
lung eher als mittelalterlich denn als humanistisch zu bewerten; sie hinkt jeden-
falls hinter der bereits im 15. und 16. Jahrhundert praktizierten Wirklichkeit
hinterher. Man weiß beispielsweise aus vorhandenen italienischen Zeugnissen
und Dokumenten, daß es schon ab dem Beginn des 14. Jahrhunderts (wenn
auch vereinzelt) Lehrerinnen gegeben hat; der früheste Beleg datiert aus dem
Jahre 1304, und zwar aus Florenz. Auch in Siena sind z.B. im Jahre 1307 weib-

10
Vgl. hierzu Gregor Müller, op. cit., bes. S. 312 ff.
11
Von De causis corruptarum artium gibt es eine neue lateinisch-deutsche Ausgabe: Juan Luis
Vives, Über die Gründe des Verfalls der Künste - De causis corruptarum artium, übersetzt von
Wilhelm Sender unter Mitarbeit von Christian Wolf und Bmilio Hidalgo-Serna; herausgegeben,
kommentiert und eingeleitet sowie mit Vives' Leben, Bibliographie und Personenregister verse-
hen von Emilio Hidalgo-Serna, München 1990. In der Einleitung (S. 7 ff.) beschreibt Hidalgo-
Serna Vives' neue Sicht der Wissenschaften.
12
Zur mittelalterlichen Diskussion vgl. Wilhelm Ruhmer, Pädagogische Theorien über Frauenbil-
dung im Zeitalter der Renaissance, nebst einer kritischen Würdigung der Leistungen mittelal-
terlicher Theoretiker, Diss. Bonn 1925, bes. S. 6 ff.
De institutione feminae christianae 53
liehe Lehrkräfte tätig gewesen, desweiteren im 15. Jahrhundert u.a. in Modena,
Venedig und Vicenza.13
Für Vives besteht - wie wir gesehen haben - kein Zweifel daran, daß die Frau
grundsätzlich dem Manne Untertan zu sein hat. Von der Idee einer möglichen
Gleichheit der Geschlechter ist bei ihm absolut nichts zu vernehmen. Auch
diesbezüglich bleibt seine Auffassung hinter der zeitgenössischen Diskussion
weit zurück. Bereits im 15. und 16. Jahrhundert lassen sich zahlreiche Traktate
finden, in denen wenn nicht gar von der Überlegenheit der Frau dem Manne
gegenüber, so doch zumindest von der Gleichheit des männlichen und weibli-
chen Geschlechts die Rede ist.14 Die Argumente für die Überlegenheit der
Frau gehen auf die in Kompilationen wie Cités des Dames (1404/5) von
Christine de Pizan und Champion des Dames (1430/40) von Martin le Franc
anzutreffenden zurück. Die oft damit verbundenen Kataloge berühmter Frauen
stützen sich besonders auf Boccaccios De claris mulieribus. Die Überlegenheit
der Frau wird im wesentlichen damit begründet, daß sie im Gegensatz zum
Manne im Garten Eden geschaffen worden sei, mit einer größeren Schönheit
ausgestattet sei und ihr Sündenfall erst den göttlichen Heilsplan und damit die
Erlösung des Menschen ermöglicht habe. Bei Vives ist von alldem nichts zu
spüren. Vergleicht man zudem seine Thesen mit den Vorstellungen zeitgenössi-
scher Humanisten, die gar zu seinem Freundeskreis zählen, besonders mit
denen von Thomas Morus und Erasmus von Rotterdem, so zeigt sich erneut,
daß er eigentlich der Diskussion hinterherhinkt. Thomas Morus z.B. plädiert in
seiner Utopia (1516) für die Gleichheit von Mann und Frau; er tritt gar für eine
Koedukation beider Geschlechter in staatlichen Schulen ein und eröffnet den
Frauen (allerdings nur den nicht verheirateten und den verwitweten) sogar den
Zugang zu Staatsämtern. Erasmus stimmt zwar (in De matrimonio christiano,
1526; Morias encomion, 1511 erschienen) mit Vives in manchem überein, er
weist aber zugleich auch über ihn hinaus. So ist er insbesondere der Auffas-
sung, daß sich die castitas der jungen Frau in der Gefahr zu bewähren habe,
und zwar dadurch, daß das Mädchen am äußeren Leben teilhat und auch mit
den jungen Männern zusammenkommen muß, keineswegs also in Form einer
klösterlichen Internierung das Leben eingeschlossen im Hause verbringen soll.
Der Charakter muß gleichsam gestählt und gehärtet werden in der Gemein-
schaft der Mitmenschen, ganz gleich welchen Geschlechts. Außerdem finden
sich bei Erasmus bereits Ansätze einer allgemeinen Volkserziehung, unabhän-
gig von der sozialen Herkunft. So soll jeder die Bibel in der Volkssprache zu le-
sen imstande sein. "Omnis quidem sexus, omnisque aetas docilis est ...", lautet
einer der Grundsätze des Erasmus von Rotterdam.15 Von einer breiten Volks-

13
Vgl. hierzu Paul F. Grendler, Schooling in Renaissance Italy. Literacy and Learning, 1300-1600;
Baltimore-London 1989, bes. S. 90 ff.
14
Vgl. Conor Fahy, "Three Early Renaissance Treatises on Women", in: Italian Studies XI (1956),
S. 30-55. Fahy listet 41 derartige Traktate auf (S. 47-55).
15
Vgl. Wilhelm Ruhmer, op. cit., S. 50 ff. und S. 77 ff.
54 Manfred Lentzen
erziehung, die alle Schichten umfaßt, kann bei Vives, der sich primär am geho-
benen, reichen Bürgertum und an den aristokratischen Ständen orientiert, noch
keine Rede sein. Insgesamt wird man demnach die Bedeutung von Juan Luis
Vives zumindest auf pädagogischem Gebiet zu relativieren haben. Ihn als einen
der größten Pädagogen seiner Zeit zu betrachten, dürfte sicherlich übertrieben
sein.16

16
Auch Günther Böhme neigt zu einer Relativierung der Bedeutung von Vives als Pädagoge; vgl.
seine Untersuchung Bildungsgeschichte des europäischen Humanismus, Darmstadt 1986, S. 145
ff.
Das Frauenbild in Vives' 'De institutione feminae
christianae' und Castigiiones
'Libro del cortegiano'

Joachim Leeker (Münster)

Unter den Frauenbildern des 16. Jahrhunderts verdienen das von Juan Luis
Vives' De institutione feminae christianae und das von Baldassare Castigiiones
Libro del cortegiano eine besondere Aufmerksamkeit. Zum einen stammen
beide Werke fast aus der gleichen Zeit: Vives' Traktat wurde Ende 1522/ An-
fang 1523 verfaßt und erschien erstmals 1524, Castigiiones Dialog entstand in
mehreren Fassungen in den Jahren zwischen 1514 und 1527, ehe er 1528 im
Druck erschien1. Zum zweiten gehören beide Autoren im weitesten Sinne in
das Umfeld Karls V.: Der gebürtige Spanier Vives war in seiner auch zu Karls
Reich gehörenden Wahlheimat Belgien Privatlehrer von Karls Berater Wilhelm
von Croy, stand während seiner Zeit in England auch in Kontakt mit dem kai-
serlichen Botschafter Louis de Praet, widmete ab 1529 dem Kaiser mehrere
Werke und erhielt von ihm ab 1532 eine finanzielle Unterstützimg2. Castiglione
wurde 1524 päpstlicher Nuntius bei Karl V., von dessen Wesen und Papsttreue
er beeindruckt war; doch da Clemens VII. es gegen Castigiiones Rat vorzog,
mit den Franzosen zu paktieren, blieb Castiglione in Madrid diplomatisch iso-
liert, ja, die Kurie beschuldigte ihn, durch eine Fehleinschätzung des Kaisers
für die Plünderung Roms mitverantwortlich zu sein3. Zum dritten haben beide
Autoren ein ähnliches Zielpublikum vor Augen, nämlich die Welt des Hofes:
Vives verfaßte seine Institutio für die Erziehung der englischen Prinzessin
Maria und widmete das Werk daher Katharina von Aragön, der ersten Frau
des englischen Königs Heinrichs VIII.4 Castiglione, der sein Werk wohl auf der
Suche nach Fürsprechern dem portugiesischen Botschafter an der Kurie, don
Miguel de Silva, widmete5, wollte mit seinem Leitfaden für den Hofmann und

1
Cf. E. Loos, Baldassare Castigiiones 'Libro del Cortegiand [...], Frankfurt 1955, pp. 70-2; A.
Quondam, in: B. Castiglione, II libro del Cortegiano. Introduzione di A. Quondam, Milano 1981,
p. IX.
2
C. G. Norefta, Juan Luis Vives, The Hague 1970, pp. 56-7,71,93,96,103,109-10.
3
J. R. Woodhouse, Baldesar Castiglione [...], Edinburgh 1978, pp. 31-5.
4
J. L. Vives, De institutione feminae christianae, in: ders., Opera omnia, dist. et ord. a G.
Majansio, Bd. 4, pp. 65-301, Valentiae 1783/Rep.: London 1964, Praefatio/Widmung an Katha-
rina, p. 69: "Hoc opus Tibi non secus offero, Regina inclyta, quàm si pictor faciem Tuam artifi-
ciosissimè expressam daret; siquidem ut in illa imaginem Tui corporis depictam cerneres, sie in
his libris imaginem videbis animi [...], ut exemplum reliquis sit optimè vivendi quiequid agas: [...]
leget haec mónita mea Maria filia Tua, et effinget ea, dum se ad domesticum exemplar componit
probitatis et sapientiae tuae."
5
Cf. Woodhouse, op. dt., p. 62; Quondam, op. dt, p. 3.
56 Joachim Leeker
die Hofdame offenbar ein breites Publikum ansprechen6; vermutlich sollte bei
der abnehmenden Zahl italienischer Höfe für eine bestimmte Schicht italieni-
scher Adliger gegen die aufkommende Konkurrenz billigerer Bürokraten so
eine neue Existenzberechtigung geschaffen werden7. Und als viertes kommt
hinzu, daß Vives' wie Castigliones Buch eine sehr breite Rezeption in ganz Eu-
ropa erfahren hat8. Die zeitliche Nähe beider Autoren, ihr Kontakt mit Karl V.,
die Ähnlichkeit ihres Zielpublikums und ihre Bekanntheit hätten nun vermuten
lassen, daß auch zwischen den Frauenbildern beider Autoren bestimmte Ver-
bindungen bestanden.

II
Allein, eine erste Lektüre zeigt, daß Welten zwischen ihnen Hegen. Das beginnt
bei der Form: Die 3 Bücher von Vives' Traktat behandeln die Erziehung von
Mädchen (I 1-15), die Eigenschaften, Fähigkeiten und Aufgaben der idealen
Ehefrau (II 1-15) und das angemessene Verhalten von Witwen (III 1-7); schon
an diesem Aufbau zeigt sich die moralisch belehrende Ausrichtung von Vives'
Schrift. Castiglione entwirft seine donna di palazzo im 3. Buch des Cortegiano
als weibliches Gegenstück zum idealen Hofmann, wobei drei Aspekte im Vor-
dergrund stehen: ihre Rolle (III 3), die von ihr geforderten Eigenschaften (III
4-6) und ihre Bildung (III 7-9); eine sich daran anschließende Diskussion über
die Würde der Frau (III 10-20) wird mit einer Beispielliste positiver Frauenge-
stalten (III 21-36) beendet, und auf eine zweite Diskussion über die Keuschheit
(continenza) der Frau (III 37-52) folgen detaillierte Verhaltensvorschriften für
den Fall der Liebe (III 53-76); die gerade hier besonders lebhaften Polemiken
der Gesprächsteilnehmer verhindern dabei jegliche moralisierende Strenge.
Wie die Form zeigt, geht es Vives also generell um eine Belehrung über das
richtige Verhalten der Frau in allen Altersstufen, während Castiglione eher
Ratschläge geben will hinsichtlich des richtigen Verhaltens einer Frau bei
Hofe.

Vives' Gedanken zur Mädchenerziehung kreisen alle um einen obersten Wert -


die pudicitia (praef./p. 66)s: Aus Sorge um deren Bewahrung sollten eine
Amme bzw. Erzieherin möglichst vermieden werden (I 1/pp. 70-1), bei den

Cf. Castiglione, op. cit., 111/p. 35; Elemente wie die Orientierung am Sprachgebrauch ganz Itali-
ens (129/p. 67) oder die ganz Italien thematisierenden Erzählungen (cf. Woodhouse, op. cit., pp.
103-4) deuten auf ein breites Zielpublikum.
7
Cf. C. H. Clough, "Francis I and the Courtiers of Castiglione's 'Courtier'", in: European Studies
Review, 8,1978, pp. 23-70, bes. pp. 45-8.
8
Cf. Noreña, op. cit., p. 304; P. Sainz Rodríguez, "Luis Vives y el Renacimiento en España", in:
Homenaje a Luis Vives. Ponencias leídas en el VI Congreso Internacional de Estudios Clásicos,
celebrado en Madrid de 2 al 6 de septiembre de 1974. Madrid 1977, pp. 5-31, bes. pp. 27-31;
Loos, op. ciL, pp. 15-8.
g
Alle Stellenangaben im Grundtext beziehen sich auf die in Anmerkung 4 (für Vives) bzw. 1 (für
Castiglione) genannten Ausgaben.
Frauenbild bei Vives und Castiglione 57
kindlichen Spielen keine männlichen Wesen zugegen sein (I 2/pp. 71-3) und die
Mädchen schon mit 5 oder 7 Jahren durch das Erlernen häuslicher Tätigkeiten
von dem zu "voluptates damnatas" führenden Müßiggang abgehalten werden (I
3/pp. 73-7, Zitat p. 74); später sollten die Mädchen dann durch entsprechende
literarische Studien den Wert der pudicitia richtig einschätzen lernen (I 4-5/pp.
77-90). Gemeint ist stets die Bewahrung körperlicher wie geistiger Reinheit
(virginitas: I 6/pp. 90-6), und dem gleichen Ziel dienen dann auch eine spartani-
sche Ernährung und Behausung, der Verzicht auf Schminke, Schmuck und
Parfüms sowie ein weitgehend zurückgezogenes Leben zuhause (I 7-9/pp. 96-
121). Muß das Mädchen doch einmal das Haus verlassen, ist äußerste Zurück-
haltung geboten: Konversation mit Männern, Theaterbesuche, Tanz oder gar
Liebschaften sind zu vermeiden (I 11-3/pp. 129-53); die wahre Liebe sollte
Gott, der Kirche und den Eltern gelten, von denen letztere auch den Ehemann
für das Mädchen aussuchen sollten (114-5/pp. 153-72).
Diese ausschließliche Orientierung der Erziehung an der pudicitia und nicht
etwa an den Kardinaltugenden oder an christlichen Werten wie Glaube, Liebe
und Hoffnung hat drei Gründe: Zum einen neigen für Vives die Menschen von
Natur aus zum Schlechten und Frauen speziell zu voluptates10. Sicher spricht
aus dieser Ausrichtung auf die pudicitia aber auch ehrliche Sorge um das Wohl
des Mädchens, wenn Vives in grellen Farben die quälenden Gewissensbisse (I
6/pp. 93-5) und die zerstörerische Macht von Leidenschaften ausmalt und vor
jenen Männern warnt, die das Mädchen nach einem Abenteuer im Stich lassen,
so daß sie - da keiner sie mehr heiraten will - im Bordell endet (I 13 + 15/pp.
145-53,167). Vor allem jedoch steht dahinter Vives' Orientierung am Ruf bzw.
an der Einschätzung durch die anderen Menschen: Vom Mann erwarte mim
Klugheit, Beredsamkeit, politische Erfahrung, Talent, Erinnerungsvermögen,
Lebenstüchtigkeit, Gerechtigkeit, Freigebigkeit, Großmut usw., von der Frau
dagegen nichts anderes als pudicitia; fehle diese, fehle alles, "quippe in femina
pudicitia instar est omnium"(I 6/pp. 95-6). Hieraus läßt sich auch das eigenwil-
lige Tugendsystem ableiten, das Vives entwickelt: Oberster Wert ist die castitas
bzw. pudicitia; eine Frau, die sie besitze, sei immer zugleich schön, anmutig,
reich und edel; Begleiter der pudicitia sind pudor, also Schamgefühl, und so-
brietas, d.h. die Freiheit von Neid, Zorn, Verleumdungssucht, Unmenschlich-
keit und Rachsucht; aus ihnen entstehen dann die anderen Tugenden, d.h. mo-
destia, moderatio, frugalitas, parsimonia, domestica diligentia, religionis cura und
mansuetudo, die alle zusammen das Bild der honestas ergeben (I 10/pp. 121-4).
Diese Liste läßt sich auf zwei Grundeigenschaften zurückführen: Zurückhal-
tung und Fürsorglichkeit gegenüber Haus und Familie. Vives geht es also bei
der Erziehung von Mädchen letztlich nicht um die Befolgung religiöser Vor-
schriften oder antiker Modelle um ihrer selbst willen, sondern darum, ein Mäd-

10
Cf. 14/p. 77,111/p. 129; 12/p. 71:"[...] amor [...], qui affectus in femina est pertinacior, nempe in-
genio ad voluptates propensiore".
58 Joachim Leeker
chen möglichst gut zu verheiraten: Kein Mann nehme eine Frau, die nicht
"integram pudicitiam et integram famam" besitze (I 15/p. 167). Pudicitia soll
also ihren "Marktwert" sichern, frühzeitig erlernte Zurückhaltung den späteren
Ehefrieden garantieren und häusliche Fähigkeit das Wohl der Familie erhalten.
Alle Werte dieses Erziehungsprogramms sind also nicht an einem Prinzip ori-
entiert, sondern funktional.
Ahnliches gilt auch für jene Werte, die das Verhalten der idealen Ehefrau be-
stimmen, nämlich pudicitia, amor coniugis summus und peritia regendae domus
(II 10/p. 244). In der Ehe als einem von Gott gestifteten und daher nur wohlbe-
dacht einzugehenden Bund (II 1-2/pp. 172-8) würde fehlende pudicitia zum
einen Gott als Urheber der Institution beleidigen, zugleich aber den Mann
durch den daraus resultierenden Schmerz verletzen, der ganzen Familie durch
den so entstehenden schlechten Ruf schaden und die Nachkommen durch un-
klare Erbverhältnisse berauben (I 3/pp. 178-83); daher ist jeder Anlaß zur Ei-
fersucht zu vermeiden, bei der Aufmachung Zurückhaltung angebracht und bei
den wenigen Auftritten in der Öffentlichkeit ernste Bescheidenheit an den Tag
zu legen (II 7-9/pp. 223-44). Innige Liebe zum Mann darf erst in der Ehe ent-
stehen, diese bedeutet rückhaltlose Treue und Unterordnung unter seinen
Willen, schließt Selbstbeherrschung und Interesse für die Vorlieben des
Mannes ein und äußert sich in vorsichtiger Sanftmut - sogar bei Ermahnungen
(II 3-6/pp. 178-223). Eine gute Haushaltsführung gemäß den Wünschen des
Mannes besteht in Sparsamkeit, dem klugen Umgang mit der Dienerschaft und
in der richtigen Erziehung der Kinder (II 10-1/pp. 244-69). Bei Beachtimg
dieser drei Werte gewinnen selbst zwei Frauentypen, die traditionell eher
negativ gezeichnet wurden, sehr positive Züge: die Stief- und die
Schwiegermutter (II 12-5/pp. 269-79)11.

Dienten alle Maßnahmen bei der Erziehung des Mädchens letztlich dazu, die-
ses gut zu verheiraten, so ist das oberste Ziel für die verheiratete Frau die Be-
wahrung des Eheglücks. Denn der Zweck der Ehe besteht für Vives nicht im
Fortbestand der Familie durch Nachkommen, sondern im gemeinschaftlichen
Zusammenleben:
etenim conjugium non tarn ad prolem sufficiendam institutum est, quam ad communionem
quandam vitae et indissociabilem societatem (II 2/p. 175).

Kinder sind in den Augen des Autors vor allem eine Quelle des Ärgers (II
11/pp. 253-7) - vielleicht ein Trost für Königin Katharina, die vergeblich auf

1
1nnige Liebe zum neuen Mann verwandelt eine Stiefmutter in eine gute Ersatzmutter, und wahre
Liebe zum Sohn und zum Mann söhnt Schwiegermutter und Schwiegertochter aus, ja, die Er-
fahrung der Schwiegermutter kann bei der Lenkung des Haushalts sehr nützlich sein. Eine alte
Frau, die nach diesen Grundsätzen handelt, werde man außerordentlich verehren.
Frauenbild bei Vives und Castiglione 59
einen Sohn wartete12. Zusammenleben aber bedeutet Unterordnung der Frau
unter den Mann, was Vives aus der Tradition, aus göttlichen und menschlichen
Gesetzen sowie aus der Natur ableitet13. Konkret verwiesen wird dann auf die
Vorherrschaft des Männchens in der Tierwelt, die größere Körperkraft und
Rationalität des Mannes, einige Bibelstellen und die Tatsache, daß in der Ge-
sellschaft sowohl in der Vergangenheit als auch in der eigenen Zeit die Ehre
der Frau von der des Mannes abhänge (II 4/pp. 189-91)14. Dabei bedeutet Un-
terordnung nicht nur Gehorsam, sondern auch eine völlige Anpassung an die
Wünsche, Gewohnheiten und Launen des Mannes (II 4,5,8/pp. 184,191,194,
200,205,208,215,228-31) - die aber können außerordentlich verschieden sein15.
Obwohl Vives auch die Bibel bemüht, um den Vorrang des Mannes zu legiti-
mieren, sind also die von der Ehefrau geforderten Eigenschaften und Fähig-
keiten letztlich in dem Sinne funktional, daß sie durch Anpassimg an den Mann
das Eheglück sichern wollen.

Funktionalität bestimmt schließlich auch Vives' Vorschriften für die Witwe, de-
ren Verhalten in vielem dem von unverheirateten Mädchen zu gleichen hat (III
4/p. 289). Um üble Nachrede zu vermeiden, darf die Witwe weder zuviel noch
zuwenig trauern, sollte sie ihre Dienerschaft reduzieren, stets continentia, fru-
galitas, pudicitia und tugendhaft-schlichte Zurückhaltung an den Tag legen,
nicht einmal vor Gericht entschlossen um ihre Rechte kämpfen, die Wahl eines
zweiten Ehemannes den Eltern überlassen und eine zweite Hochzeit möglichst
geheimhalten (III 1-2,4-7/pp. 280-7,^89-301). Zwar fehlt es nicht an Verweisen
auf die christliche Religion - die Gewißheit des ewigen Lebens spende der
Witwe Trost (III 1/pp. 283-4), Almosen bei der Beerdigung sollten die Fürbitte
der Armen für den Toten bewirken (III 2/p. 286-7), der durch Engel vom
Geschehen auf der Erde erfahre (III 3/p. 228), die Witwe selbst solle als Braut
Christi ein frommes Leben führen und sich auf Gott und das Jenseits konzen-
trieren (III 4 + 6/pp. 289-90,295-6), heißt es da; doch bleiben diese christlichen
Gedanken - trotz der als Belege angeführten Bibelstellen - merkwürdig formel-
haft: Der wahre Gedanke, der Vives' Vorschriften für das Verhalten der Witwe
durchzieht, ist die Sorge um ihren Ruf. Dabei hat Vives das gleiche Bild der
großen alten Dame im Auge, das er zuvor schon von der alten Mutter und der

12
Vives' väterlicher Freund Erasmus wird 1526 in seiner Christians matrimonii institutio das Ziel
der Ehe wieder in der Zeugung von Nachkommen sehen (cf. A. Bonilla y San Martín, Luis Vives
y la filosofía del Renacimiento, Madrid 1981, p. 488).
13
II 4/p. 189: "non modo mores majorum, atque instituta sed leges omnes humanae ac divinae, ipsa
etiam rerum natura clamat, mulierem debere esse subditam viro".
14
Letzteres entsprach dem Rechtsverständnis der Zeit: cf. R. Kelso, Doctrine for the lady of the
Renaissance, Urbana 1956, pp. 33-4. Vives warnt sogar ausdrücklich vor scheinbaren, weil mit
verborgenem Spott verbundenen Ehrungen für allzu ehrgeizige Frauen (II 9/p. 241).
15 II 4/pp. 191-2: "Sed ut melius parére / possis marito, et omnia ex ejus animi sententia perficere,

pernoscendi sunt prius illius mores, et consideranda vel fortunae vel naturae conditio; in his
multa sunt maritorum genera; omnes quidem amandi, colendi, reverendi omnes, obsequendum
omnibus, sed non omnes similiter tractandi."
60 Joachim Leeker
Schwiegermutter gezeichnet hatte16: Als Autorität soll sie durch Worte und
durch ihr eigenes Beispiel die Sitten ihrer Zuhörer verbessern, die Kinder und
Enkel zu Bescheidenheit erziehen und für sie sorgen (III 4,5,7/pp. 291-3,300).
Trotz des moralisierenden Tons, der das ganze Werk durchzieht, sind also die
von Vives für Mädchen, Ehefrau und Witwe aufgestellten Vorschriften im we-
sentlichen funktional und nicht am Prinzip orientiert17: Pudicitia, Zurückhal-
tung und häusliche Fähigkeiten sollen dem Mädchen primär zu einem guten
Ehepartner verhelfen. Der Ehefrau sollen dann pudicitia, innige Liebe zum
Mann und Erfahrung in der Haushaltsführung ein Eheglück bewahren, das
Vives im wesentlichen im harmonischen Zusammenleben sieht. Und der Witwe
sichern pudicitia, Zurückhaltung und ihre Erfahrung in der Haushaltsführung
ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit und im Schoß der Familie. Das Wert-
system selbst variiert für die Frau im Laufe ihres Leben nur wenig: Sowohl die
Forderung nach pudicitia als auch der Bereich des Haushalts als Domäne der
Frau gelten für alle drei Lebensbereiche, nur die Zurückhaltung aus Sorge um
den Ruf, die für Mädchen wie Witwe unabdingbar ist, weicht bei der Ehefrau
der Liebe zum Ehemann, da dieser nun auch für die Ehre seiner Frau mitver-
antwortlich ist.
Anders als Vives' Traktat gelten Castigliones Ausführungen zur donna di
palazzo nicht der Frau in allen Altersstufen, sondern speziell der Dame bei
Hofe, deren Familienstand und Alter gar nicht zur Diskussion stehen; legt man
jedoch die Gesprächsteilnehmerinnen des Cortegiano zugrunde, so darf man
annehmen, daß Castiglione eine verheiratete Frau zwischen 30 und 40 Jahren
im Auge hatte. Wortführer im Gespräch ist Giuliano dei Medici, Bruder des
zukünftigen Papstes Leos X., der im Laufe der Diskussion von Cesare
Gonzaga, einem Cousin Castigliones, unterstützt wird; ihr Hauptgegner ist
Gasparo Pallavicino, marchese von Cortemaggiore, dessen frauenfeindliche Po-
sitionen jedoch im Laufe des Gesprächs widerlegt werden. Im Gegensatz zu
Vives argumentiert Castiglione bei der Zeichnung der donna di palazzo vor
dem Hintergrund von zwei anderen Konzeptionen: Wie der ideale Hofmann
müsse sie Adel, natürliche Anmut, gute Sitten und Enthaltsamkeit, Esprit,
Klugheit, Großmut, d.h. Freiheit von Stolz, Neid, Eitelkeit, Klatschsucht, Streit-

18
II 13/pp. 272-5, II 15/pp. 278-9. Vermutlich meinte er damit Clara Cervent, seine von ihm sehr
verehrte Schwiegermutter (zu Clara cf. Norefia, op. cit., pp. 51-2).
17
Schon A. Buck (Einleitung zu: Juan Luis Vives. Arbeitsgespräch Wolfenbüttel 1980, hg. v. A.
Buck, Hamburg 1981, pp. 7-10, hier p. 9) hatte zu Recht hervorgehoben, daß Vives nicht primär
theologisch interessiert ist und daß seine eher enzyklopädischen Interessen sich in sehr praxisbe-
zogenen Studien äußern. Für De disciplinis (1531) zeigt R. Guerlac (Juan Luis Vives, Against
Pseudodialecticians [...], by R, Guerlac, Dordrecht/Boston/London 1979, pp. 29-30) die Bedeu-
tung von experientia, praktischer Erfahrung, gegenüber Buchwissen, was eine genaue Beobach-
tung der Natur einschließt (cf. Norefta, op. cit., pp. 183-85. A. Guy, Vivès ou r Humanisme en-
gagé [...], Paris 1972, pp. 74-5.
Frauenbild bei Vives und Castiglione 61
sucht und Torheit und schließlich Geschick im Umgang mit Menschen18 und -
wie jede Frau - auch Güte, Bescheidenheit, die Fähigkeit zur Hausverwaltung
und Kindererziehung sowie alle Eigenschaften einer guten Mutter besitzen19.
Mehr jedoch als der Hofmann oder die gewöhnliche Frau muß die donna di
palazzo sanft in Sprache und Auftreten, schön und vor übler Nachrede auf der
Hut sein20.
Da ihre Anwesenheit bei Hofe jedoch unerläßlich ist für ein funktionierendes
Hofleben und für die Vervollkommnung des Hofmanns21, kommt dem richtigen
Verhalten gegenüber den Höflingen eine besondere Bedeutung zu. Castiglione
befürwortet "una certa affabilità piacevole", die durchaus eine angemessene
und ehrenhafte Konversation erlaube; dabei sei ein schwer einzuhaltendes
Mittelmaß ("mediocrità difficile") zwischen zu großer Sittenstrenge und zu
großer Freizügigkeit, d.h. eine Art gefälliger Zurückhaltung wünschenswert,
denn ein von Weisheit und Güte abgemilderter Ernst ("gravità temperata di
sapere e bontà") bilde einen guten Schutzschild gegen Dreistigkeit und Zu-
dringlichkeit (III 5/pp. 266 + 268).
Gegen die in der Diskussion vor allem von Pallavicino vertretene Ansicht von
der Unvollkommenheit und Minderwertigkeit der Frau wendet Giuliano und
damit der Autor selbst seine eigene These, daß Männer und Frauen die gleiche
Würde besitzen (III 10-19/pp. 272-83), und belegt sie vor allem durch viele Bei-
spiele von Frauen, die für ihre kulturellen Leistungen berühmt geworden sind
(III 20-36/pp. 283-307). Ja, er kann sogar nachweisen, daß Frauen eine größere
Enthaltsamkeit (continenza) besitzen als Männer und daß die Behauptung des
Gegenteils ihren Ursprung in der Rache abgewiesener Liebhaber hat (III 37-
50/pp. 307-27). Castiglione teilt also nicht Vives' negatives Bild von der natürli-
chen Minderwertigkeit der Frau: Dem Hauptargument dieser Art, dem Sün-

III 4/p. 265: "molte virtù dell'animo estimo io che siano alla donna necessarie così come all'omo;
medesimamente la nobilita, il fuggire l'affettazione, l'esser aggraziata da natura in tutte
l'operazion sue, l'esser di boni costumi, ingeniosa, prudente, non superba, non invidiosa, non
malèdica, non vana, non contenziosa, non inetta, sapersi guadagar (sic) e conservar la grazia
della sua signora e de tutti gli altri, far bene ed aggraziatamente gli esercizi che si convengono
alle donne". Ili 5/p. 266: "quelle virtù dell'animo che le hanno da esser communi col cortegiano,
come la prudenzia, la magnanimità, la continenzia e molte altre".
19
III 5/p. 266: "medesimamente quelle condizioni che si convengono a tutte le donne, come l'esser
bona e discreta, il saper governar le facultà del marito e la casa sua e i figlioli quando è maritata,
e tutte quelle parti che si richieggono ad una bona madre di famiglia".
20
III 4/p. 265: "una tenerezza molle e delicata, con maniera in ogni suo movimento di dolcezza fe-
minile"; "la bellezza"; "aver più riguardo di non dar occasion che di sé si dica male, e far di modo
che non solamente non sia macchiata di colpa, ma né anco di suspizione".
21
III 3/p. 263: "perché come corte alcuna, per grande che ella sia, non po aver ornamento o splen-
dore in sé, né allegria senza donne, né cortegiano alcun essere aggraziato, piacevole o ardito, né
far mai opera leggiadra di cavalleria, se non mosso dalla pratica e dall'amore e piacer di donne,
così ancor il ragionar del cortegiano è sempre imperfettissimo, se le donne, inteiponendovisi,
non danno lor parte di quella grazia, con la quale fanno perfetta ed adornano la cortegiania".
Cesare Fregoso wird das später ergänzen: Frauen verfeinern den Menschen, geben ihm im Krieg
Mut und regen zu kulturellen Leistungen an (III 51-2/pp. 327-30).
62 Joachim Leeker
denfall durch Evas Schuld, hält er entgegen, daß dieser Fehler durch eine an-
dere Frau, die Gottesmutter Maria, mehr als ausgeglichen wurde; Märtyrerin-
nen und Nonnen bewiesen im übrigen die Standhaftigkeit und Integrität von
Frauen (III 19-20/p. 283).
Dieses Menschenbild ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Castiglione
die donna di palazzo als gleichwertig in den Kreis der Höflinge stellen und ihr
im wesentlichen die gleichen Fähigkeiten und Eigenschaften zuschreiben
konnte wie ihren männlichen Kollegen, ergänzt um solche, die nur der Frau zu-
kommen, wie die Fähigkeit zur Verwaltung des Haushalts und zur Kindererzie-
hung oder Schönheit. All diese Eigenschaften und Fähigkeiten aber werden
nicht um ihrer selbst willen verlangt, sondern, weil der Hofdame zwei wichtige
Aufgaben zufallen: Zum einen ist sie für die Geselligkeit bei Hofe unverzicht-
bar, und zum anderen kann nur sie die Hofmänner zu vollkommenem Verhal-
ten - etwa zur grazia - führen (III 3/p. 263). Auch Castigliones Bild der donna di
palazzo ist also letztlich, wie das der Frau bei Vives, nicht von Prinzipien be-
stimmt, sondern von der Funktionalität.
Im Abstand von wenigen Jahren verfassen also Vives und Castiglione zwei
Schriften über die Erziehung von Frauen für das Hofleben, wie sie verschiede-
ner nicht sein können. Vives legt den Akzent ganz auf die pudicitia und be-
zeichnet die Hausverwaltung als die eigentliche Domäne der Frau, Castiglione
betont all jene Fähigkeiten, die ein geselliges Leben bei Hofe ermöglichen sol-
len. Wo liegen nun die Gründe für diese Diskrepanz?
Sicher ist ein Grund im unterschiedlichen Charakter des englischen und der
italienischen Höfe zu suchen. Seit Burckhardt22 ist bekannt, daß die Frau im
Renaissance-Italien sehr viel mehr Freiheiten genoß, als das zur gleichen Zeit
in anderen Ländern Europas der Fall war; dazu gehörten etwa die gleiche Bil-
dung und Würde, wie sie dem Mann zugebilligt wurde, dichterische Tätigkeit
und Streben nach Vollendung der Persönlichkeit. Doch war der Einfluß der
Frau auch in Italien auf das geistige Leben - die Konversation bei Hofe - be-
schränkt und ging auch eher von herausragenden Einzelpersönlichkeiten denn
von der gesamten Schicht aus23. In England bestanden zu Beginn des 16. Jahr-
hunderts intellektuelle Zentren an den Colleges in London und Oxford oder in
der Privatwohnung von Thomas Morus in London, wo sich gelehrte Gesell-
schaften wie etwa die "Doctors' Commons" trafen. Katharina von Aragón, die
erste Frau von König Heinrich VIII., und Lady Margaret Beaufort, Gräfin von
Richmond und Derby, förderten eine Reihe englischer Humanisten, doch
scheint sich diese Tätigkeit eher außerhalb des Hofes, etwa in Katharinas Lieb-
lingsrefugium, dem Kloster Syon in Isleworth bei London, abgespielt oder ein-

22
J. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien [...], hg. v. W. Goetz, Stuttgart 1966, pp. 368-
74.
23
Cf. Woodhouse, op. cit., pp. 111-4.
Frauenbild bei Vives und Castiglione 63
fach als rein finanzielle Unterstützung geäußert zu haben24. Vives, der die
Weihnachtsferien des Jahres 1523 am englischen Hof im Windsorpalast ver-
bringen durfte, berichtet zwar voll Begeisterung über seine in spanischer Spra-
che geführten philosophischen Gespräche mit der Königin, merkt aber über die
offizielle Hofunterhaltung mit ihren Maskeraden, Clowns, Banketten und Zir-
kusvorführungen an, daß sie keine Zeit für geistvolle Betätigung ließe25.
Es ist aber nicht nur der andere Charakter des englischen Hofes, der den un-
terschiedlichen Ansatz von Vives und Castiglione erklärt, sondern auch die au-
ßerordentliche Frömmigkeit der Königin, die Vives in seinen Briefen doku-
mentiert und die ihn dazu brachte, im Vorwort zur Institutio die dort beschrie-
bene tugendhafte Frau als Porträt der Königin zu bezeichnen - wie überhaupt
die höfische Protektion vor allem pietistischen und humanistischen Schriften
galt26. Castigliones Höflingsrunde dagegen klammert religiöse Fragen als nicht
zum Thema gehörig aus (III 19/p. 283) und erlaubt sich sogar spöttische Kritik
an Heuchelei, Wohlleben, Intrigen, Betrug und anderen Verbrechen, die unter
Klerikern üblich seien (III 20/pp. 283-5). Dem im strengen Glauben erzogenen
Vives war die in Italien verbreitete Irreligiosität ohnehin ein Dorn im Auge27.
Ein weiterer Grund für die trotz ähnlicher Zielsetzimg so verschiedenen An-
sätze von Vives und Castiglione liegt in der unterschiedlichen Lebenserfahrung
beider Autoren: Vives' strenge religiöse Erziehung, seine Zugehörigkeit zur jü-
dischen Minderheit in Valencia und die Nachstellungen durch die Inquisition,
denen seine Familie ausgesetzt war, könnten einen gewissen Rückzug aus der
Gesellschaft erklären, der durch seinen Erziehungstraktat hindurchscheint, und
die in Paris angetroffene Sittenverwilderung den moralisierenden Ton des Au-
tors28. Vives' Tätigkeit als Erzieher und Privatlehrer galt zunächst einigen rei-
chen Bürgerfamilien in Brügge, dann in Löwen Wilhelm von Croy, dem Berater
Karls V.; einige in dieser Zeit anvisierte Tätigkeiten als Hauslehrer im Hoch-
adel kamen nicht zustande29. Als Vives seine Institutio in Löwen schrieb30, hatte

24
Cf. J. K. McConica, English humanists and Reformation politics under Henry VIII and Edward
VI, Oxford 1965, pp. 44-75, bes. 53-55; cf. auch Norefta, op. tit., pp. 87-8; F. Watson, Vives and
the Renascence education of women, London 1912, pp. 8-11; M. L. Tobriner (ed.), Viveä intro-
duction to wisdom [...], New York 1968, pp. 69-70.
25
Brief vom 25.1.1524 an Cranevelt; cf. Norena, op. cit., p. 87.
27 Cf. Anm. 4; Norena, ibid., p. 87; McConica, op. cit., p. 57.
Belege bei Norefta, ibid., p. 25; cf. auch A. Buck, "Juan Luis Vives' Konzeption des humanisti-
schen Gelehrten", in: ders. (Hg.), op. cit., pp. 11-21, hier p. 12. Dabei hatte es im 15. Jahrhundert
noch recht gute Kontakte zwischen italienischen und spanischen sowie katalanischen Humani-
sten gegeben (cf. M. Batllori, "Joan-Lluis Vives in der Geschichte der aragonisch-katalanischen
Renaissance", in: A. Buck (Hg.), op. cit., pp. 71-80, hier pp. 76-7).
28
Cf. Norefta, op. cit., pp. 22,34-5,39.
29
Erasmus empfahl 1519 Vives als Lehrer für Prinz Ferdinand von Osterreich, den Bruder Karls
V., doch der zog Erasmus vor; das Angebot, das der Herzog von Alba 1522 für die Erziehung
seiner Enkel machte, gelangte durch eine Intrige nicht zu Vives. Cf. Norefta, ibid., pp. 52, 56-7,
67,71.
64 Joachim Leeker
er sich zwar schon einen Namen als Privatlehrer von reichen Bürgerkindern
und Adligen erworben, jedoch das Leben an Fürstenhöfen persönlich kaum
kennengelernt. Die Tatsache, daß Vives seit Juli 1521 ein kleines Gehalt von
Königin Katharina von England bezog, ist nur auf Thomas Morus zurückzufüh-
ren, dessen Bekanntschaft er durch Vermittlung von Erasmus ein Jahr zuvor in
Brügge gemacht hatte31.
Nach dem Tod von Wilhelm von Croy erhoffte Vives sich in England ein gesi-
chertes Einkommen, und als der gewünschte Effekt ausblieb, versuchte es
Vives mit einer neuen Strategie: Im Juli 1522 widmete er König Heinrich VIII.
seinen Augustinus-Kommentar und im April 1523 Königin Katharina die Insti-
tutio3Z. Bestimmte Elemente lassen jedoch vermuten, daß das Werk ur-
sprünglich nicht für die Erziehimg der Prinzessin Maria von England gedacht
war und daß die Widmimg an die Königin etwas hektisch erfolgte. Dem Werk
fehlt nämlich praktisch ganz der höfische Hintergrund: Zwar empfiehlt Vives
etwa Handarbeit ausdrücklich als Beschäftigung auch für Königinnen (I 3/p.
74), aber etliches muß doch, an die Adresse einer Königin gerichtet, recht be-
fremdlich gewirkt haben wie die Empfehlung, die Zubereitung einfacher Haus-
mannskost zu erlernen (I 3/pp. 76-7), oder gar der Rat an Katharina, für ihre
Tochter möglichst einen Krämer, Handwerker oder Hausknecht als Ehemann
zu vermeiden33 und auch nicht selbst als Verkäuferin auf dem Markt zu arbei-
ten34. Vollends deplaziert aber müssen die Ausfälle gegen die Hofdamen
("feminas palatinas" bzw. "feminas aulicas") erschienen sein: Unterhaltungen
zwischen Frauen und Männern, wie man sie an etlichen Höfen der Zeit finde,
seien abzulehnen; diese Gewohnheit sei auf Wunsch der Hölle entstanden,
denn es gehe eh nur um Liebe; wenn nicht schon alle dieser Hofdamen impudi-
cae seien, dann nur, weil ihnen die Gelegenheit dazu gefehlt habe. Menschen
mit Verstand sollten die Höfe meiden, denn diese seien der Ursprung aller La-
ster und der Sitz des Satans35. Das ist nicht nur eine krasse Beleidigung für eine

30
A u f Belgien als Entstehungsort verweisen mehrere Stellen im Werk (pp. 212, 217, 263, 280, 281)
sowie die Widmung p. 69: "Brugis, nonis Aprilis 1523".
31
In das Jahr 1516 fällt ein kurzer Aufenthalt am Hof von Brüssel (cf. J. Dsewijn, "J. L. Vives in
1512-1517. A reconsideration of evidence", in: Humanística Lovaniensia, 26, 1977, pp. 82-100,
hier pp. 89-90). Zu Vives' Verhältnis zu Erasmus und Morus cf. Norefta, op. cit., pp. 78,80, sowie
Ch. Fantazzi, "Vives, More and Erasmus", in: A . Buck (Hg.), op. cit., pp. 165-76.
32 Cf. Noreña, op. cit., p. 80.
33
I 15/p. 158: "Matrimonium esse non debet sine patrimonio; ut alterum videatur adferre femina
[...], alterum vir, quod ad vitam sustentandam pertinet: et in artibus vitae sunt quaedam fugien-
dae [...]; sunt aliae probrosae, ut ubique cauponum, interpolatorum, mediastinorum, ad quos
non descendemus, nisi vel desperata conditione alia quacunque, vel si de eadem et nos simus
nota."
34
II 9/p. 238; wenn sich das nicht vermeiden lasse, sei äußerste Zurückhaltung geboten ( I I 9/p.
239).
35
I 11/p. 134: "has vocant feminas palatinas, sive aulicas, ¿quaero, a palando, an a balando? nam
aulicas esse satis apparet ex plerisque aulis temporum nostrorum, parentibus flagitiorum om-
Frauenbild bei Vives und Castiglione 65
Königin, sondern zugleich eine unmögliche Forderung, da der Wohnsitz einer
Königin eben ein solcher Hof ist. Es ist damit offensichtlich, daß das Werk ur-
sprünglich nicht für den englischen Königshof konzipiert war, sondern daß
Vives es der Königin nur nachträglich widmete - und das in einer Eile, die eine
Abänderung solcher Passagen nicht mehr gestattete.
Für welche Schicht aber hatte es Vives dann konzipiert? Darüber geben die
weiteren Empfehlungen für die Wahl des zukünftigen Ehemannes Aufschluß:
Das Mädchen und ihr Mann müßten zueinander passen, d.h. von gleichem
Rang sein; wichtig sei die Fähigkeit, Geld zu erwerben und zu bewahren, nicht
aber Besitz, Abstammung, Macht, Würde und ähnliches; im Gegenteil - die
Ehe mit einem adligen Mann könne diesen überheblich werden lassen36. Damit
ist klar, daß Vives ein nichtadliges Mädchen im Auge hat, da nur dort die Ge-
fahr besteht, daß die adlige Abstammung den Mann gegenüber seiner Frau
hochmütig werden läßt. Da an anderer Stelle von der richtigen Behandlung der
Dienerschaft die Rede ist (II 10/pp. 248-51), handelt es sich um einen reichen
Bürgerhaushalt; Vives hat offensichtlich das Haus der Valdaura im Auge, das
einzige zudem, wo er auch als Erzieher von Mädchen tätig war.
Im Gegensatz dazu frequentierte Castiglione als Sproß einer mit den Gonzaga
verwandten Adelsfamilie vom Beginn seines Lebens an die verschiedensten
Höfe - den der Gonzaga in Mantua, den der Sforza in Mailand, den der Mon-
tefeltro und dann der della Rovere in Urbino, den Papsthof in Rom und den
Hof Karls V. in Madrid37. Der Cortesano entstand zunächst als nostalgische
Erinnerung an den Hof von Urbino, ehe das im Werk dargestellte Konzept
immer mehr Allgemeingültigkeit beanspruchte. Und sein Werk richtete sich,
wie oben gesehen, als Leitfaden für richtiges Verhalten tatsächlich an die ei-
gene Schicht des höfischen Adels, um so in einer Art Selbstverteidigung gegen
die aufkommende Konkurrenz billigerer Bürokraten die Existenzberechtigung

nium, et sedibus Satanae, quas non tantum christianus aversetur, sed et gentilis, qui pauxillum
habeat mentis melioris ... "; ähnlich auch II 9/p. 236.
115/p. 158: "sed in his omnibus in universum est curandum, ut aequalitas sit quaedam, vel simili-
tudo verius, inter virum et puellam; [...] idque videtur admonere Pittacus Mytilenaeus [...]; hunc
enim cum adolescens, quem duae appetebant, altera genere et opibus superior, altera par, utram
duceret rogasset, sapiens illum ad lusitantes pueros remisit, qui subinde clamabant: [...] sume
quae tibi congruat. [...] Si illum aliquid necesse est conferre, intuendum non quam magnas possi-
det divitias, sed quam artem, vel parandi quae non habet, vel conservandi parta". I 15/p. 159:
"Illuc potissimum dixi curam et cogitationem universam debere conferii, ut ingenium ac mores
contemplemur; [...] hinc homo est aestimandus; nihil vel in corpore est, vel in fortunis, unde judi-
cium fieri possit certum de homine; non divitiae, non possessiones, non genus, non potentia, non
gratia, non dignitas, non clientelae." I 15/p. 160: "¡Quanta vecordia est, earn quae ex se est undi-
que tot incommodorum referta, pluribus adhuc augere discordia conjugum! Nubis formoso,
hunc species fastuosum reddet; nubis diviti, hunc divitiae fastidiosum; nubis nobili, hunc genus
insolentem."
37
Cf. Woodhouse, op. cit., pp. 6-37.
66 Joachim Leeker
dieses Adels unter Beweis zu stellen38. Ein wesentlicher Grund für die so
unterschiedlichen Anforderungen, die Vives und Castiglione an die Dame bei
Hofe stellen, besteht also in der so verschiedenen Entstehungsgeschichte bei-
der Werke.
Während sich Vives primär am eigenen Erfahrungshorizont der reichen Bür-
gerfamilie orientierte und die Institutio dann - wohl aus opportunistischen
Gründen - so überstürzt der englischen Königin widmete, daß Passagen, die im
Widerspruch zum Adressaten standen, ja, diesen eigentlich beleidigen mußten,
nicht mehr geändert werden konnten, kannte Castiglione die Welt des Hofes
aus langjähriger Lebenserfahrung und unterzog seinen Cortegiano einem lang-
jährigen, mehrfachen Bearbeitungsprozeß.
Ein weiterer Grund kommt hinzu: Vives steht mit seinen Ideen ganz und gar in
der Tradition. Die Erziehung der Mädchen vor allem zu pudicitia, Demut und
Schweigsamkeit in der Abgeschiedenheit des Hauses, wo sie sich mit Handar-
beit und der Lektüre der Bibel und der Kirchenväter zu beschäftigen hatten, ist
ein Gedanke, der seinen Ursprung bei Hieronymus hat und sich von hier aus
bei mittelalterlichen Autoren wie Vinzenz von Beauvais oder Egidio Colonna
wiederfindet, ehe er im 15. Jahrhundert in Erziehungstraktaten wie denen von
Giovanni Domlnici oder Maffeo Vegio ganz im Zentrum steht39. Auch sonst
variierten, wie Kelso zeigte40, die moralischen Qualitäten, die man im 15. und
16. Jahrhundert von der Frau verlangte, nicht wesentlich: Ganz oben steht die
Keuschheit, es folgen Bescheidenheit, Demut, Beständigkeit und Mäßigung,
schließlich Frömmigkeit und Menschlichkeit. Betont werden auch ihre Fähig-
keiten bei der Kindererziehung und im Haushalt, ihrer eigentlichen Domäne.
Francesco Barbaro (De re uxoria, 1416) und Leon Battista Alberti (Deila
famiglia, 1432-43) gehören zu denen, die von der Frau im 15. Jahrhundert
schon eine gute literarische Bildung verlangen - eine Forderimg, die im 16.
Jahrhundert noch größere Bedeutung erlangt. Zunächst aber zählten also auch
für adlige Damen vor allem häusliche Tugenden; Höflichkeit, Freigebigkeit,
Mut und Gerechtigkeit, die vor allem das Leben außerhalb der Familie be-
treffen, sind dabei sekundär41. Castiglione dagegen orientiert sich bei seiner
Konzeption der donna di palazzo primär am männlichen Pendant des Höflings
(III 3-5/pp. 262-68), was eine Ebenbürtigkeit von Mann und Frau voraussetzt42.

38
Cf. Quondam, op. cit., pp. VIII-IX; Clough, op. cit., pp. 45-8; M. Hinz, Rhetorische Strategien
des Hofmannes [...], Stuttgart 1992, p. 27.
39
Cf. W. Ruhmer, Pädagogische Theorien über Frauenbildung im Zeitalter der Renaissance nebst
einer kritischen Würdigung der Leistungen mittelalterlicher Theoretiker, Diss. Bonn 1915, pp. 9-
18, 26-8, 37-44.
40
Kelso, op. cit., pp. 23-31.
41
Cf. Ruhmer, op. cit., pp. 28-35,44-5; Kelso, op. cit., pp. 29-31,36.
42
II 98/p. 254: "pochi omini di valore ho io mai conosciuti, che non amino ed osservino le donne; la
virtù delle quali, e conseguentemente la dignità, estimo io che non sia punto inferior a quella
degli omini. [...] Le donne son così virtuose come gli omini."
Frauenbild bei Vives und Castiglione 67
Diese Ansicht aber ist in der damaligen Zeit noch selten; für die meisten ist die
Frau zwar nicht gerade - wie für einige Extremisten - ein notwendiges Übel,
aber doch nur in ihrem ureigensten Bereich von einer an die der Männer
heranreichenden Vollkommenheit, ansonsten jedoch dem Mann unterlegen43.
Vives gibt hier wohl die Meinung der Mehrheit wieder.

III
Und doch ergeben sich bei näherem Hinsehen bei beiden Autoren einige Ge-
meinsamkeiten. Verwiesen wurde schon auf die Funktionalität: Beide Konzepte
orientieren sich nicht an unbezweifelbaren, ewigen Werten, die es zu verwirkli-
chen gelte, sondern am konkreten Erfolg. Vives geht es darum, das Mädchen
gut zu verheiraten, das Eheglück der Frau zu bewahren und der Witwe ein ho-
hes Ansehen in der Öffentlichkeit und im Schoß der Familie zu sichern.
Castiglione zeichnet eine donna di palazzo, die mit all ihren Fähigkeiten nicht
nur in der Hofgesellschaft die ihr zufallenden Aufgaben erfüllen, sondern dar-
über hinaus den Hofmann vervollkommnen soll. Darum betonen beide Autoren
die Bedeutimg eines guten Rufes: Für Vives ist es die Meinung der Mit-
menschen, die beim Mädchen vor allem pudicitia sucht (I 6/pp. 95-6), ein häufi-
ges Erscheinen außer Hauses und häufige Gespräche mit Männern negativ
deutet (I 11/pp. 129,134-5), Schmuck als Zeichen der Kostspieligkeit auslegt
und rhetorische Fähigkeiten als leichtfertige Geschwätzigkeit und Bosheit in-
terpretiert (I 15/pp. 168-9). Wenn Vives "integram pudicitiam et integram
famam" als die beiden größten Gaben eines Mädchens bezeichnet (115/p. 167),
so zeigt das zugleich, daß der Ruf allein nicht ausreicht; denn das Mädchen
muß diese Eigenschaften auch tatsächlich besitzen (I 9/p. 120), weil in der
späteren Ehe ihr Vorhandensein wichtiger ist als nur ein entsprechender Ruf 44 .
Bei der Witwe dagegen, die nicht mehr primär für die Augen des Ehemannes,
sondern für die der Öffentlichkeit lebt, gewinnt wieder der Ruf an Gewicht (III
1,4,6,7/pp. 281,283-4,290-1,295-6,300-1).

Auch für Castigliones Hofdame besitzt der Ruf eine besondere Bedeutung.
Das gilt einmal für die Begründung all jener Eigenschaften, die die donna di
palazzo mit dem Hofmann gemeinsam hat: So wird etwa die adlige Herkunft
gefordert, weil die öffentliche Meinung damit tugendhaftes Verhalten verbindet
(I 14-6/pp. 39-44); wichtig sind all jene Eigenschaften, die zum "onorato nome"
des "omo da bene ed intiero" führen (I 41/p. 89); zentral sind in Castigliones
Weltbild einmal der buon giudizio, d.h. die Fähigkeit, sich, das Gegenüber und
die Situation richtig einzuschätzen und angemessen zu handeln (II 8,9,13/pp.

43
Gelegentlich findet man auch die Meinung, die Frau sei dem Mann überlegen; cf. die Ubersicht
bei Kelso, op. cit., pp. 10-23.
44
II 9/pp. 241-2: "mereri honorem decet, non expetere. [...] Catonem Uticensem Sallustius scribit
maluisse bonum esse, quàm videri, ideo quò minus gloriam quaerebat, eo magis assequebatur:
ergo certissima ad verissimos honores via est virtus."
68 Joachim Leeker
129-32,137-8), und zum anderen die grazia, d.h. die Fälligkeit, sich selbst den
Mitmenschen so zu präsentieren, daß man sie gewinnt (114,21,24-6, II 27,49/pp.
39-41,51-3,56-61,158-60,192-3). Gerade die Frau aber muß sich auch für
Castiglione vor einem schlechten Ruf in acht nehmen, da sie sich schwerer ge-
gen Verleumdungen verteidigen kann45. Zwar sind Castigliones Maßstäbe nicht
so streng wie die von Vives - was sicher mit der anderen Situation in Italien und
in Nordeuropa bzw. mit der tatsächlich angesprochenen Schicht (hier eigen-
ständige Hofdamen, dort Bürgerstöchter) zusammenhängt -, doch der Grund-
gedanke ist der gleiche.
Eine weitere Parallele betrifft die der Frau zugedachte Bildung. Vives wendet
sich hier ausdrücklich gegen jene, denen gebildete Frauen von vornherein ver-
dächtig sind (I 4/p. 78). Ein Mädchen sollte schon im Alter von 7 Jahren neben
Handarbeiten auch litteras erlernen (I 3/pp. 73-4), wobei Vives drei Bereiche
ausdrücklich ausschließt: Romane, Novellen und Liebeslyrik. Romane handel-
ten - egal, ob sie mittelalterliche Themen wie Tristan bzw. Lancelot oder antike
Stoffe wie Pyramis und Thisbe beinhalteten - immer nur von Kampf und Liebe;
dabei verstießen sie nicht nur gegen die Wahrscheinlichkeit46, sondern auch ge-
gen die Moral47. Letzteres ist auch der Grund, weshalb Vives die Novellistik -
genannt werden Poggios Liber facetiarum, Boccaccios Decameron und Picco-
lominis Historia de duobus amantibus - und die Liebeslyrik - d.h. vor allem
Sappho, Tibull, Properz und Ovid - als Lektüre ablehnt48, ja, sogar ein ge-
setzliches Verbot für obszöne Lieder fordert. Stattdessen empfiehlt Vives als
Lektüre die Bibel, die Kirchenväter, antike Moralphilosophen wie Plato, Cicero
oder Seneca49 sowie christliche Dichter wie Prudenz, Arator, Prosper oder
Juvencus (I 5/pp. 86-9).

45
III 4/p. 265: "Deve ancor esser più circunspetta ed aver più riguardo di non dar occasion che di sé
si dica male, e far di modo che non solamente non sia macchiata di colpa, ma né anco di suspi-
zione, perché la donna non ha tante vie da diffendersi dalle false calunnie, come ha l'omo."
46
Cf. A. Marti, La preceptiva retórica española en el Siglo de Oro, Madrid 1972, pp. 37-8; J. R.
Verdú, La retórica española de los siglos XVIy XVII, Madrid 1973, pp. 23941.
47
Wie R. P. Adams (The betterpart of valor. [...], Seattle 1962, pp. 231-4) scharfsinnig hervorhebt,
stand dahinter wohl auch eine Verurteilung der gerade bei Heinrich VIII. so beliebten Turniere,
da sie unter dem Schein ritterlichen Anstandes letztlich an Grausamkeit gewöhnten, ja, Gewalt
verherrlichten; und in der Tat wurden Ritterromane in der Zeit z.T. als Verhaltensvorbilder
empfunden. Hinzu kommt die etwa im Artus-Stoff zu findende Verherrlichung von Leiden-
schaft, die den Ehebruch einschließt.
48
Vives' Verhältnis zur Literatur befindet sich in einem Zwiespalt zwischen einer der christlichen
Tradition entspringenden Verurteilung von Literatur als Lüge und seiner eigenen Liebe zur Li-
teratur. Sein - in mehreren seiner Werke zu findender - Kompromiß besteht meist darin, an der
Literatur das zu akzeptieren, was der moralischen Erziehung dienlich ist (cf. K. Kohut,
"Literaturtheorie und Literaturkritik bei Juan Luis Vives", in: A. Buck (Hg.), op. dt., pp. 35-47,
hier pp. 43-5).
49
Schon 1520 hatte Vives in seinen Vorlesungen in Löwen seine Verehrung für die beiden Römer
gezeigt, schickt er doch seinem Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis als Vorwort einen
Somnium Vivis voraus, der in der Art von Senecas Apocolocyntosis die Pariser Sophisten ver-
spottet (cf. E. V. George, "Imitatio in the 'Somnium Vivis'", in: A. Buck (Hg.), op. cit., pp. 81-92,
Frauenbild bei Vives und Castiglione 69
Die Eingeschränktheit dieses Lektürekanons erklärt sich aus dessen Zweck,
denn die litterae sollen keineswegs Stunden der Muße verschönern - das würde
nur zu "voluptates damnatas" führen (I 3/p.74) -, sondern der moralischen Er-
ziehung dienen. Dahinter steht der Gedanke, daß vitia meist aus Unwissenheit
geschehen, die Kenntnis des Guten - sei es als moralische Ermahnung oder sei
es als zu imitierende Verhaltensvorbilder - folglich zu tugendhaftem Verhalten
führe (I 4+10/pp. 78-9,124-5)50. Gleichen Inhalts sollten auch die lateinischen
Schreibübungen sein: nicht Verse oder Gesänge, sondern Bibelstoff, Moral-
philosophie und Sentenzen (I 4/p. 84). Es geht aber nicht nur um die morali-
sche Erziehung durch Wort und Vorbild: Literarische Studien dieser Art sind
zugleich eine Beschäftigung, die - zumal in einsamen Stunden - böse Gedanken
fernhält, ein Gesprächsstoff im Kreise anderer Mädchen und sogar ein Mittel,
um sich von der Liebe zu befreien (I 4,9,13/pp. 83,118-9,150). Schließlich kön-
nen diese Kenntnisse auch bei der Erziehimg von Schwestern und später der
eigenen Kinder eingesetzt werden (14, II 11/pp. 84,258-9).
Da Vives das Haus als die eigentliche Domäne der Frau ansieht, klammert er
einen Wissensbereich ausdrücklich aus: die Rhetorik. Denn während der Mann
eine Vielzahl von Dingen kennen muß, die ihm und dem Staat nützen, haben
das Mädchen und die Frau in der Öffentlichkeit zu schweigen (14 + 11/pp. 83-
4,137); rhetorische Fälligkeiten bei Frauen würden - trotz tendenziöser und un-
ehrlicher Komplimente - nur als Geschwätzigkeit, Leichtfertigkeit und Bosheit
ausgelegt (115/p. 169)51.

Diese Ausrichtung der weiblichen Bildimg allein auf Haus und Moral gilt auch
für die verheiratete Frau: Nicht in der Politik oder im Weltgeschehen solle sie
sich auskennen52, sondern in den Dingen, die ihre Rolle als mater familias be-
treffen: Grundkenntnisse der Hausmedizin solle sie sich aus Büchern erwerben,
Merksprüche der Lebensweisheit für die Kindererziehung parat haben53, und

bes. pp. 83,89; L. J. Swift, "'Somnium Vivis' y el 'Suefio de Escipion'", in: Homenaje a Luis Vives.
Ponencias [...], op. cit., pp. 89-112). Für Ph. C. Dust (Three Renaissance pacißsts: essays in the
theories of Erasmus, More and Vives, New York 1987, pp. 180-8) beruhen Vives' Äußerungen
gegen den Krieg in De concordia et discordia (1526) auf einer Verbindung von stoischem Den-
ken nach der Art Senecas und christlichen Vorstellungen.
50
Eine solche Lektüre empfiehlt Vives sogar den Dienerinnen: "haec potissimum sciant et teneant
famulae: tum legant interdum aliquid quod mentem et mores possit excolere" (II 10/p. 248).
51 Dahinter stehen jedoch sicher auch generelle Vorbehalte gegenüber der Rhetorik, die für ihn
keine Wissenschaft, sondern nur eine wichtige Fertigkeit ist; im Vordergrund jedoch habe das
Sachwissen zu stehen (cf. Buck (Hg.), op. cit, pp. 12-3,17; Th. G. A . Kater, Johann Ludwig Vives
und seine Stellung zu Aristoteles, Diss. Erlangen 1908, pp. 71-3).
52
Für Vives ist Geschichte kein allgemeinbildendes Fach, sondern ausgesprochene Berufsausbil-
dung, und zwar vor allem zum Politiker (cf. M. Müller, "Geschichte und allgemeine Bildungs-
theorie. [...]", in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 14, 1963, pp. 420-8, bes. pp. 423,
427). Daher entfällt sie als Lehrstoff für Frauen.
53
Auf Bitten von Königin Katharina schrieb Vives selbst für Prinzessin Maria die Satellitia vel
symbola (in: ders., Opera omnia, dist. et ord. a G. Majansio, op. cit, Bd. 4, pp. 30-64), die er dem
Kind am 1.7.1524 widmete. Es handelt sich um 213 maximal 5 Wörter umfassende und z.T. mit
70 Joachim Leeker
an Feiertagen solle sie über die Vergänglichkeit des Irdischen nachdenken und
sich durch Lektüre auf das Jenseits konzentrieren (II 9-11/pp. 237,252-3,259).
Selbst Witwen sollen neben ihrer eigentlichen Vorbereitung auf das Jenseits
durch Beten, Fasten, Opfern und das Hören von Predigten noch "legere studio-
sius" und über das nachdenken, was das Leben und die Sitten verbessert; so
könnten sie ihren Zuhörern nicht nur Moral, sondern auch "eruditionem" ver-
mitteln (III 4/pp. 290-1). Die von Vives für die Frau anvisierte Bildung ist für
die damalige Zeit in ihrem Umfang recht breit, wie die begeisterte Reaktion
von Thomas Morus beweist54; gegenüber dem Lektüreprogramm für Jungen,
das Vives 1523 für Charles, den Sohn von Erasmus' englischem Protektor Lord
Mountjoy55, entwarf und das den 2. Brief von De ratione studii puerilis bildet56,
nimmt sie sich jedoch eher bescheiden aus, da sie auf den spezifischen Aufga-
benbereich der Frau zugeschnitten, mithin funktional ist.
Vives wird sich noch zweimal zum Lehrstoff für Mädchen äußern: In dem Stu-
dienprogramm für Prinzessin Maria, das der Autor König Heinrich VIII. und
Königin Katharina im Oktober 1523 überreichte, als beide ihn im Corpus
Christi College in Oxford aufsuchten, und das den 1. Brief von De ratione studii
puerilis bildet, treten als empfohlene Lektüre auch einige Werke von Erasmus
wie die Institutio principis christiani, Thomas Morus' Utopia sowie römische Hi-
storiker wie Justinus, Florus und Valerius Maximus, ja, in Auswahl sogar
Dichter hinzu: der Epiker Lucan, die Tragödien Senecas und "magna ex parte
Horatius"57. Wohl Ende 1524 aus Gesprächen in London entstanden ist die
Schrift De officio mariti, in deren 3. Kapitel ("De disciplina feminae") der ge-
rade selbst erst wenige Monate verheiratete Vives58 erneut ein Lektürepro-
gramm für Frauen aufstellt, das sich aber nicht wesentlich von den beiden an-
deren unterscheidet: Wieder werden Liebeslyrik, Romane und Erzählungen
abgelehnt, darunter jetzt auch Apuleius und Lukian, ferner Werke über theolo-
gische Feinheiten, die der Auslegung durch Männer bedürften. Und wieder
werden als Lektüre für die Frau "libri pii" und Werke der Moralphilosophie

mit kurzen Erläuterungen versehene Merkverse zu allgemeinen Lebensweisheiten wie "Murus


aeneus sana conscientia" (3/p. 33), "Sal vitae, amicitia" (12/p. 34) oder "Vicit vim virtus" (73/p.
43). Sie sollen Maria als Leibwache vor den Angriffen der Laster schützen (p. 31).
54
Cf. Kelso, op. cit., p. 74.
55
Zu Lord Mountjoy cf. McConica, op. cit., p. 60.
56
Vives, De ratione studii puerilis (in. ders., Opera omnia, dist. et ord. a G. Majansio, op. cit., Bd.
1, pp. 256-80), Brief 2: pp. 270-80. Die Liste (pp. 274-80) enthält daneben Autoren des 15. und
16. Jahrhunderts, spätantike Kommentatoren und Fachliteratur für das Lateinische und Griechi-
sche. Zum Beispiel empfiehlt Vives für die Umgangssprache auch die Briefe von Cicero, Plinius,
Poliziano und Filelfo, als Fachschriftsteller Cato, Varro, Columella, Palladius, Plinius und
Vitruv, unter den Autoren gelehrter Werke neben Servius, Donat, Acro und Porphyrio auch
Bude. Interessanterweise wird hier auch das Verdikt gegen Dichtung und Romane aufgehoben:
Vergil, Horaz, Silius, die Tragödien Senecas und Lucan werden empfohlen, ja sogar Apuleius!
57
Vives (wie Anm. 56), Brief 1: pp. 257-69, Zitat p. 269; cf. auch Norefta, op. cit., p. 86.
58
Cf. Norefia, ibid., pp. 89, 93; Vives, De officio mariti (in: ders., Opera omnia, op. cit., Bd. 4, pp.
302-419), Praefatio/p. 302.
Frauenbild bei Vives und Castiglione 71
empfohlen, dann Exemplasammlungen wie Valerius Maximus und dazu jetzt
die Acta Sanctorum, schließlich einige Werke über das Hauswesen (Aristoteles
und Xenophon), über Kindererziehung (Plutarch, Vergerio, Filelfo) und über
Hausmedizin sowie eventuell einige christliche Dichter59. Werke über Natur-
kunde, Grammatik, Dialektik, Geschichte, Politik und Mathematik solle die
Frau den Männern überlassen; auch solche zur Rhetorik paßten nicht zu
Frauen, für die die beste Form der Beredsamkeit ja das Schweigen sei60. Zweck
dieses eingeschränkten Lektürekanons sind allein erbauliche Gespräche im
Kreis der Familie61. Zwar ist die Zahl der zur Lektüre empfohlenen Werke nun
etwas erweitert, doch bleibt die von der Frau geforderte Bildung ihrer Art nach
die gleiche, da sie ganz auf den ihr zugewiesenen, spezifischen Aufgabenbe-
reich zugeschnitten, mithin funktional ist.
Genau hier liegt die Parallele zu Castiglione. Dessen donna di palazzo war das
weibliche Pendant zum Höfling, und daher entsprechen auch die von ihr gefor-
derten Kenntnisse denen des Hofmannes (III 9/p. 272). Das aber schloß ein
möglichst breit gefächertes Wissen in Rhetorik (133/pp. 73-4), eine umfassende
literarische Bildung (I 42 + 44/pp. 90-1,93-5) sowie Kenntnisse in Musik und
Malerei und einen Vorrat an Anekdoten ein (I 47,49,52, II 41/pp. 99-104,106-
9,181-2). Im Gegensatz zu Vives gibt Castiglione jedoch keinen Musterkatalog,
sondern spricht nur von "poeti", "oratori" und "istorici" (I 44/p. 93); nur für die
Erzählungen erkennt er das Decameron als Vorbild an (II 89/p. 243). Aller-
dings müsse alles der "discreta modestia" der Frau angepaßt sein62. Die
offensichtlich wesentlich breitere, aber dafür auch weniger tiefgründige
Bildung, die Castiglione von der Hofdame verlangt, ist ganz auf ihre Aufgaben
zugeschnitten, kann sie doch nur so eine gute Gesellschafterin bei Hofe sein63
und die Hofmänner vervollkommnen64. Auch die Bildung der donna di palazzo
orientiert sich also nicht am Prinzip, sondern ist rein funktional.

Eine letzte Parallele zwischen dem Frauenbild beider Autoren betrifft speziell
die Kenntnis kleiner Geschichten. Schon das Kind solle durch "castis fabellis"
gelenkt und angeregt werden, über das nachzudenken, was ihm später nützen
wird (I 2/p. 73). Dabei handele es sich nicht um "inanes aut aniles fabulas", de-

5Q
Vives, ibid., Kap. 3/pp. 362-84; die Autoren: pp. 363,368-9.
60
Vives, ibid., pp. 369-70.
61
Vives, ibid., pp. 372-3.
62
III 9/p. 272: "voglio che questa donna abbia notizie di lettere, di musica, di pittura e sappia
danzar e festeggiare [...] ed intertenerà accommodatamente e con motti e facezie convenienti a
lei ogni persona che le occorrerà". Von anderen Dingen - z. B. Waffendienst, Reiten, Turnieren -
soll sie wenigstens theoretische Kenntnisse besitzen, um darüber urteilen zu können (cf. III 7/ p.
270, III 9/p. 272).
63
III 9/p. 272: "E così sarà nel conversare, nel ridere, nel giocare, nel motteggiare, in somma in ogni
cosa graziatissima." Cf. auch Anm. 62.
64
Durch das Beispiel ihrer Kenntnisse oder durch ihre theoretische Kompetenz etwa in Turnier-
fragen: cf. Anm. 62.
72 Joachim Leeker
ren Konsum als Kind den Menschen nicht erwachsen werden lasse, sondern um
"jucundas quasdam historiolas, et honestas fabulas", die in einem Alter lehren,
die Tugend zu lieben und das Laster zu hassen, wo deren Bedeutung verstan-
desmäßig noch nicht erfaßt wird65. Später soll die Mutter dann durch Lob, Ta-
del und Merkverse eine direkte Belehrung über Tugend und Laster vornehmen
(II 11/p. 259). Die Geschichten sind also ein didaktisches Mittel, um dem Kind
moralische Wahrheiten in schöner Verpackimg zu präsentieren.

Aber nicht nur für ihre Kinder solle die Ehefrau derartige Geschichten bereit-
halten, sondern auch als Mittel, um ihren Ehemann vorzubereiten auf sanfte
Ermahnungen, die seinen Übermut bremsen, seine Mutlosigkeit überwinden
und ihn selbst zur Tugend zurückführen sollen86. Hier hegt die offensichtlichste
Parallele zu Castiglione. Dieser hatte nämlich empfohlen, daß der Höfling bei
seiner Aufgabe, den Fürsten moralisch zu erziehen und zu lenken, zunächst
facezie benutzen solle, um sich das Wohlwollen seines Herrn zu sichern. Und
diese spezielle Form funktionaler Literaturbetrachtung, bei der Unterhaltsames
als eine Art notwendiger Vorbereitung zum ernsten Studium der Historiogra-
phie dient, stellt bei Castiglione eine Neuerung dar gegenüber der direkten Be-
lehrung durch die Geschichte, wie sie der Humanismus forderte87. Für Vives
aber ist die Ehefrau ihrem Mann wie ein Soldat seinem Feldherrn oder Kaiser
unterstellt (II 4/p. 190). Gegenüber den bisher herausgestellten Gemeinsam-
keiten beider Autoren - der generellen Funktionalität beider Konzepte sowie
der Rolle des Rufes und der besonderen Bedeutung der Bildung im Rahmen
dieser Funktionalität - ist diese letzte Übereinstimmung, also die Benutzung
von kleinen Geschichten als captatio benevolentiae für die moralische Erzie-
hung einer höhergestellten, regierenden Person, so frappierend und zugleich so
originell, daß man - trotz aller Unterschiede, die beide Autoren aus den oben-
genannten Gründen aufweisen - an eine Beeinflussung denken muß.

IV

Es bleibt die Frage, in welcher Richtung und auf welchem Wege sie stattgefun-
den hat. Vives widmete seine Institutio am 5. April 1523 der Königin von Eng-
land. Bestimmte innere Widersprüche ließen uns vermuten, daß das Buch je-

Einige dieser Geschichten nennt Vives in De ratioae studii puerilis (wie Anm. 56; p. 265): so
etwa die Lucretia-Geschichte aus Livius, Petrarcas Griselda, die biblische Geschichte von Joseph
und Anekdoten aus Valerius Maximus oder Sabellico.
66
II 6/p. 218: "tenebit prudens mulier fabulas, et historias, et narratiunculas, ut jucundas, ita etiam
puras, ac honestas, quibus fessum maritum, aut aegrum, reficiat, ac recreet; tum praecepta sapi-
entiae, quibus vel adhortetur ad virtutem, vel retrahat a vitiis; aliqua etiam graviter dieta contra
impetus assultusque utriusque fortunae, quibus virum, seu elatum secundis rebus sensim demit-
tat in planum, seu abjectum, prostratumque adversis, erigat, utrinque autem ad medioeritatem
reducat".
67 Cf. J. Leeker, "Baidassar Castigliones Beitrag zur Frühgeschichte der Romanischen Philologie",
in: H. J. Niederehe / B. Schlieben-Lange (Hg.), Die Frühgeschichte der romanischen Philologie
[...], Tübingen 1987, pp. 91-107, hierp. 97.
Frauenbild bei Vives und Castiglione 73
doch etwas früher entstanden ist. Castigliones Cortegiano dürfte in einer ersten
Manuskriptfassung um 1514/15 vollendet gewesen sein, eine zweite hand-
schriftliche Fassung entstand um 1520/1. Obwohl in dieser Zeit schon Ab-
schriften an einigen Höfen Italiens zirkulierten, ist nicht anzunehmen, daß
Vives hiervon bis zum Erscheinen seiner Institutio Kenntnis erlangt hatte. Im
November 1524 nahm Castiglione die Druckvorlage des Cortegiano mit nach
Spanien, wo er noch etliche Änderungen und Ergänzungen vornahm, ehe er
sich im April 1527 entschloß, das Buch zum Druck nach Venedig zu schicken,
wo es dann im April 1528 erschien68. In der Zeit zwischen Castigliones Ankunft
in Madrid (im März 1525) und dem Versand der Druckvorlage war Vives' Insti-
tutio jedoch in Spanien bereits bekannt. Da, wie oben gesehen, Vives schon seit
längerem mit der Umgebung Karls V. in Kontakt stand, ist anzunehmen, daß
seine Institutio bald nach Erscheinen auch nach Madrid gelangte69. 1528 er-
schienen dann gleich drei Ausgaben der spanischen Übersetzung des Werkes
durch Juan Justiniano70. Castiglione konnte also während seines Spanienauf-
enthaltes wohl auf Vives' Institutio zurückgreifen, was die genannten Überein-
stimmungen als Entlehnungen erklären würde. Dabei darf Castigliones Schwei-
gen über Vives nicht verwundern: Ein gewisses Konkurrenzdenken des Italie-
ners gegenüber dem nördlichen Humanismus ließ es selbst Erasmus nicht viel
besser ergehen71.

Fassen wir zusammen: Die zeitüche Nähe von Vives' Institutio feminae christia-
nae (1524) und Castigliones Cortegiano (1528), die Nähe beider Autoren zum
Hof Karls V., die Ähnlichkeit ihres Zielpublikums - die adlige Dame bei Hofe -
und die Bekanntheit beider Werke ließen eine Ähnlichkeit in den Frau-
endarstellungen beider Autoren vermuten. Doch Vives legte den Akzent ganz
auf die pudicitia und bezeichnete Haus und Familie als Arbeitsbereich der
Frau, während Castiglione den Schwerpunkt auf all jene Fähigkeiten legte, die
geselliges Leben bei Hofe ermöglichen sollen. Als Ursachen für diese so ver-
schiedenen Ansichten über die von der Dame bei Hofe geforderten Qualitäten
ließen sich Unterschiede bei den Autoren selbst (Lebenserfahrung, Entste-
hungsursachen, Grundeinstellung zum Verhältnis der Geschlechter zueinan-
der), bei den betroffenen Höfen (Rolle der Frau und der Religion) und bei der
geistigen Vorlage (Tradition der Frauendarstellung bzw. Bild des Höflings)
ausmachen. Und doch weisen beide Konzeptionen bei aller Verschiedenheit im
Ansatz bestimmte Ähnlichkeiten in einzelnen Bereichen auf: Beide orientieren
sich nicht am Prinzip, sondern am Erfolg, sind also funktional, betonen daher

68 Cf. Loos, op. cit., pp. 46,70-2.


69
Das Exemplar der Ausgabe von Antwerpen 1524 in der Biblioteca Real del Palacio hatte Vives
selbst direkt nach Erscheinen seinem Freund Johannes de Fevyn geschenkt (cf. Bonilla y San
Martin, op. cit., p. 758).
70 Cf. Norefia, op. cit., pp. 2,304; Bonilla y San Martin, op. cit., pp. 759-67, beschreibt weitere A u s -
gaben und Übersetzungen.
71 Cf. Loos, op. cit., (wie A n m . 1), p. 56.
74 Joachim Leeker
die Bedeutung des Rufes und heben die Wichtigkeit der Bildung im Rahmen
dieser Funktionalität hervor. Die Tatsache, daß beide Autoren die Benutzung
von kleinen Geschichten als captatio benevolentiae für die moralische Erzie-
hung einer höhergestellten Person empfehlen, läßt, da dieser Gedanke nicht
sehr verbreitet war, eine Beeinflussimg vermuten. Sie dürfte zwischen 1525 und
1527 in Spanien stattgefunden haben72, wo Castiglione für die letzten Änderun-
gen und Ergänzungen an seiner Druckvorlage wohl auch auf Vives' Institutio
zurückgreifen konnte. 20 Jahre später scheint Lodovico Dolce beide Werke als
Ergänzung füreinander verstanden zu haben, denn in seinem Kompendium von
Vives' Institutio empfiehlt er der Dame unter anderem auch die Lektüre des
Cortegiano, wo sie alle Tugenden und alle einer Adligen angemessenen Verhal-
tensweisen kennenlernen könne73.

72
Die Rezeption von Vives auf italienischem Boden setzte erst 1537 mit dem Druck von De con-
scribendis epistolis in Venedig ein. 1545 kompendiert dann Lodovico Dolce in seinem Dialogo
della institutione delle donne Vives' Institutio, ehe Pietro Lauro dieses Werk 1546 mit etlichen
Kürzungen übersetzt (cf. T. Ganglio / A. Sottili, "Zum Nachleben von Juan Luis Vives in der
italienischen Renaissance", in: A. Buck (Hg.), op. dt., pp. 211-60, hierpp. 211,217,223).
73
Cf. Kelso, op. dt, p. 71.
31 unbekannte Vivesbriefe

Jozef IJsewijn (Löwen)

Wie ich 1990 in den Zeitschriften Humanística Lovaniensia und Wolfenbütteler


Renaissance Mitteilungen dargelegt habe, wurden am 21. Juni 1989 in London
bei Christies 117 unbekannte Briefe von Humanisten aus den Niederlanden
versteigert. Diese Briefe, ein neues Bündel der bekannten Litterae ad Crane-
veldium, wurden glücklicherweise von der belgischen "Koning Boudewijn" Stif-
tung gekauft und bleiben jetzt im Archiv der Löwener Universitätsbibliothek,
wo sie mit den zwei aus dem Nachlaß von Professor Hendrik de Vocht erwor-
benen Bündeln wieder vereint wurden. 31 dieser Briefe sind von Vives in
Löwen und Brügge geschrieben worden, und zwar von Ende Februar oder
Anfang März 1520 bis Mai 1522. Sie waren bisher alle unbekannt, mit Aus-
nahme von zwei kurzen Fragmenten, die der Löwener Universitätshistoriker
Valerius Andreas im frühen 17. Jahrhundert aus Briefen vom, wie wir jetzt mit
Sicherheit wissen, 7. März 1520 und 12. Oktober 1521 zitiert hatte.

In der Zeitschrift Humanística Lovaniensia haben wir 30 dieser neuen Briefe,


davon 12 von Vives, erstmals ediert.1 Alle Briefe sind in lateinischer Sprache
verfaßt, außer dreien, die in Griechisch geschrieben sind. In einem Fall, einem
Brief vom 22. Juli 1521, steht die lateinische Übersetzung unter dem griechi-
schen Text. Diese Übersetzung ist allerdings nicht von Vives selbst, sondern
wohl von seinem Adressaten Cranevelt verfaßt worden. Viele Briefe enthalten
kürzere oder längere Stellen in griechischer Sprache, die aus verschiedenen
Schreibanlässen gewählt wurde: vertrauliche Mitteilungen, Witze oder einfach
der Stolz zu zeigen, wieviel Griechisch man konnte. Ein Beispiel vertraulicher
Angelegenheiten bietet Brief 8, in dem Vives über Cranevelts Zukunftspläne
spricht: Er hofft, daß in Löwen ein Feind der Humanisten bald sterben möge
und daß Cranevelt diese Professur bekommen werde. Die wichtigsten Worte,
nämlich "sterben", "Humanistenfeinde" und "du" (gemeint ist Cranevelt) sind in
Griechisch formuliert.

Das Bündel gehörte ursprünglich, wie schon angedeutet, zu den bekannten


Litterae ad Craneveldium (Craneveltkorrespondenz), die 1928 von meinem Vor-
gänger Professor Hendrik de Vocht veröffentlicht wurden. Chronologisch liegt
es genau vor diesen Litterae, mit Ausnahme eines Briefes von Thomas Morus
aus dem Jahre 1528, der zu einem unbekannten Zeitpunkt aus den zwei Profes-
sor de Vocht bekannten Bündeln in das neue dritte Bündel geraten ist. Wie be-

1
Die Briefe 1-30 sind erschienen in: Humanística Lovaniensia, Band 41 (1992), S. 1-85; die Briefe
31-55 in Band 42 (1993), S. 2-51; die Briefe 56-85 in Band 43 (1994), S. 15-68. Die verbleibenden
Briefe 86-117 werden in Band 44 (1995) veröffentlicht.
76 Jozef IJsewijn
kannt, war Franciscus Craneveldius - oder Frans van Cranevelt - ein aus Nim-
wegen stammender Jurist, der nach Studien in Löwen eine glänzende Karriere
in Brügge und Mecheln machte und in regem persönlichen und brieflichen
Kontakt mit Humanisten wie Erasmus, Vives, Thomas Morus, Geldenhouwer
und deren Freunden stand. Ihm verdanken wir die sorgfältige Aufbewahrung
ihrer Briefe, von denen jetzt über vierhundert bekannt sind. Viele sind aller-
dings verloren gegangen, da die Nachkommen Cranevelts - die Familie ist 1930
in Löwen ausgestorben - diesen Schatz mit weit weniger Sorge gehütet haben.
Die neuen Briefe sind für unsere Kenntnis über Vives in dreifacher Hinsicht
wichtig: Erstens vermitteln sie eine Menge biographischer Einzelheiten für die
Jahre 1520-1523, nicht nur über Vives, sondern auch über Erasmus und seine
Freunde. Zweitens erhellen sie die Genese und Interpretation mehrerer Werke
von Vives aus dieser Zeit. Drittens geben sie wichtige Aufschlüsse über Vives'
Denken und seine geistliche Entwicklung in den ersten Jahren des Konflikts um
Luther, so z.B. seine Reaktion gegenüber dem Auftreten der Löwener Theolo-
gen. Da die Bearbeitung der neuen Dokumente noch nicht abgeschlossen ist,
ist es nicht möglich, hier schon eine endgültige und in allen Einzelheiten ganz
gesicherte Bilanz zu ziehen. Wir selbst betrachten die Edition in der ange-
führten Zeitschrift als eine vorläufige Ausgabe, der eine endgültige in
Buchform folgen soll, die auch Addenda und Corrigenda zu der Ausgabe von
de Vocht enthalten wird. Es wäre deshalb für uns eine große Hilfe, wenn
Vives- und Erasmusspezialisten uns ihre kritischen Betrachtungen, Berich-
tigungen und Ergänzungen zu der Erstausgabe schicken würden. Wir sind
unsererseits gern bereit, weitere Auskünfte über die Originalstücke zu ver-
mitteln. Sie stehen übrigens jedem Forscher in unserer Universitätsbibliothek
jederzeit zur Verfügimg.

Ich komme jetzt zu einigen Ergebnissen, die wir den neuen Briefen verdanken:
Allgemein darf man sagen, daß die Briefe es uns ermöglichen, Vives während
der Jahre 1520-1522 bei seiner Arbeit und seinen Reisen zwischen Löwen,
Brüssel und Brügge zu verfolgen und bestimmte Einzelheiten seiner Biographie
zu berichtigen. Hierzu ein Beispiel: Vives besuchte Paris und Bud6 im Mai
1519 und sicher nicht 1520, wie Allen aufgrund des Briefes 1108 in Erasmus'
Opus Epistolarum glaubt. Das hat in diesem Zusammenhang natürlich auch
Konsequenzen für bestimmte Briefe von Erasmus, und es erklärt, warum Vives
bei dieser Reise nach Paris die Reaktion auf seine In Pseudodialecticos fürch-
tete: Das antischolastische Pamphlet war Ende April 1519 in Löwen von Dirk
Martens gedruckt worden, und Vives war in der zweiten Maihälfte in Paris. Ein
Jahr später hätte er sehr gut gewußt, wie die Reaktion in Paris ausgefallen war.
Im Brief Allen 1108 hat Vives am 4. Juni 1520 über seinen Besuch in Paris be-
richtet: Er war von dort nach einer fünftägigen Reise am 3. Juni in Brügge an-
gekommen. Aus den neuen Briefen wissen wir jetzt mit absoluter Sicherheit,
daß Vives Ende Mai/Anfang Juni 1520 in Löwen war. Er kam erst Ende Juli in
Vivesbriefe 77

Brügge an, jedoch nicht, um dort einen Privatbesuch abzustatten (Ep. 122). Er
war ja aus Brabant nach Flandern gereist, als Hofmann im Gefolge Karls V. (in
diesem Augenblick noch König und nicht Kaiser) und des Kardinals Wilhelm
von Croy, der - wie bekannt - damals Vives' Gönner und Schüler war. Wir wis-
sen, daß Karl V. am 3. Juli Brüssel verließ, um König Heinrich VIII. von Eng-
land vom 11.-14. Juli in Calais zu treffen. Anschließend reiste Karl V. nach
Brügge zurück, wo er am 25. eintraf und fast eine Woche Station machte.
Cranevelt, Ratsherr der Stadt Brügge, war dem König entgegengereist und hieß
ihn am 24. Juli mit einer lateinischen Rede willkommen.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Vives - ebenso wie Erasmus - diese Fürstenbe-
gegnung in Calais miterlebte, wenn auch in einer sehr niedrigen Funktion. Dies
zeigte sich u.a. in Brügge, wo er Ende Juli kaum die Möglichkeit hatte, seinen
Freund Cranevelt in dessen Haus zu begrüßen, da er dem Kardinal folgen
mußte. Nur weil dieser sich eine Kopie von Cranevelts Begrüßungsrede
wünschte, konnte Vives am Tag der Abreise, vermutlich der 30. oder 31. Juli,
ganz kurz mit ihm zusammentreffen.
In diesem Zusammenhang müssen wir eine Hypothese von Professor de Vocht3
im Licht der neuen Fakten überprüfen. De Vocht hatte geglaubt, daß es Crane-
velt gewesen sei, der möglicherweise Vives und Thomas Morus zum ersten Mal
in der zweiten Augusthälfte 1520 in Brügge zusammengebracht hatte. Diese
Hypothese läßt sich so nicht mehr aufrecht erhalten. Wir wissen jetzt, daß
Vives Ende Juli nach Gent abreiste und daß er noch bis Anfang Oktober im
Hofdienst in Brüssel stand. Erst am 10. Oktober (Ep. 15) war er wieder frei
und hätte aus Löwen endlich noch einmal an Cranevelt schreiben können. In
der Zwischenzeit schreibt er ironisch: "perbelle sum in aula nugatus: ibi Stu-
dium fuit et salutandi et assectandi et assentandi et astandi". Es scheint klar zu
sein, daß Vives in Brüssel die letzten Vorbereitungen der Reise zu der Kai-
serkrönung in Aachen miterlebte. Karl hatte am 20. September Brüssel verlas-
sen und verbrachte die letzten Tage des Monats sehr wahrscheinlich im Jagd-
palais der Herzöge von Brabant in Tervuren, zwischen Brüssel und Löwen. Im
Anschluß daran reiste er nach einem achttägigen Besuch in Löwen am 9. Ok-
tober aus der Universitätsstadt ab.4 Vives blieb dann offenbar dort zurück, ge-
nau wie Erasmus.5 Wahrscheinlich war er nicht wichtig genug, um von Croy

2
Wir verweisen auf die Aussage in der Zeitschrift Humanística Lovaniensia.
3
H. de Vocht, "Monumenta humanística Lovaniensia", in: Humanística Lovaniensia, 4 (Löwen
1934), S. 1-2.
4
Bisher war es unsicher, ob er am 8. oder am 9. Oktober abgereist ist. Dem Brief 35 (J. Hovius
aus Löwen an Cranevelt am 10. Dezember) darf man wohl entnehmen, daß es der 9. war. Denn
von der Bücherverbrennung am 8. Oktober in Löwen schreibt er, sie habe stattgefunden
"praesentibus Germanis". Das stimmt also mit der Tatsache, daß Vives am 10. wieder "frei" war,
überein.
Auch das kann man, obwohl indirekt, aus Brief 35 entnehmen. Hovius sagt, er sei mit Erasmus
nach Köln gereist, als der Kaiser dort war, also nach der Krönung. Er schreibt weder etwas von
78 Jozef IJsewijn
weiter zu begleiten, und der Kardinal hatte in dieser politisch so bedeutsamen
Phase8 überhaupt keine Zeit für lateinische Unterrichtsstunden. Von Croy und
Vives sahen einander nie wieder. Der Kardinal reiste nach der Krönung mit
dem Kaiser weiter nach Köln und Worms, wo er drei Monate später ganz un-
erwartet starb. Wir kommen auf seinen Tod an anderer Stelle zurück und wen-
den uns hier zunächst wieder Vives, Morus und Erasmus zu.
Obwohl de Vochts Hypothese über die erste Begegnung von Vives und Morus
so nicht aufrecht erhalten werden kann, hat sie trotzdem einen wahren Kern.
Thomas Morus war ja auch mit seinem König in Calais und er war anschlie-
ßend gleichfalls nach Brügge gekommen, wo sein Freund Cranevelt lebte. Die-
ser sorgte in Brügge für die Unterkunft von Morus, bisweilen auch im eigenen
Haus. Es ist ganz und gar nicht unwahrscheinlich, daß sich Vives und Morus in
Calais kennenlernten. Männer wie von Croy und Morus müssen sich bei einem
solchen Treffen zwischen ihren Königen begegnet sein; man könnte sich sogar
vorstellen, daß Vives für seinen Herrn bei dem Engländer als lateinischer Dol-
metscher fungierte. Übrigens war auch Erasmus, der gemeinsame Freund von
Vives und Morus, in Calais dabei, und wir wissen aus Allen 1104, daß Morus
schon zuvor mehrere Werke von Vives gelesen hatte - nämlich seine In Pseudo-
dialecticos, Somnium und Declamationes Syllanae - und von seiner Ge-
lehrsamkeit sehr beeindruckt war. Wenn Morus und Vives sich wirklich in
Calais zum ersten Mal begegnet sind, ist es selbstverständlich, daß Morus bei
seinem Besuch bei Cranevelt über den jungen Valencianer geredet hat. Einen
entsprechenden Hinweis gibt es im Brief 15 vom 10. Oktober. Und hier muß
ich selbst schon eine erste Korrektur zu unserer Ausgabe machen. In diesem
Text haben wir einen Namen als "Alorus" gelesen und ihn nicht auf zufrie-
denstellende Weise erklären können. Eine neue Überprüfung des Originals hat
gezeigt, daß "Morus" zu lesen ist: Der Unterschied zwischen einem Majuskel
"M" und einem Majuskel "A" mit Minuskel "1" ist sehr gering7, aber wenn man
einmal darauf aufmerksam geworden ist, doch sichtbar. In dem Brief ist also
folgendes zu lesen:

De Moro video quae dicis. Ego vero puto illum virum laudari satis non posse pro dignitate.
Gratulor tibi munera, quae puto te amare, non quod haudquaquam vulgaria sunt, sed quod
ab illo data.

Was Cranevelt damals über Morus an Vives schrieb, wissen wir leider nicht,
außer, daß er von ihm schöne Geschenke bekam. Jedenfalls ist dieser Text der
erste in Vives' Korrespondenz über Morus. 1521, nach dem Tode von Croys,
erscheint Morus häufiger in den neuen Briefen, und es ist klar, daß Vives ange-

einer Reise nach Aachen, noch von ihrer Anwesenheit bei der Krönung. Die allgemeine An-
nahme, Erasmus sei nicht dabeigewesen, wird also bestätigt.
6
Es fanden nicht nur die Kaiserkrönung, sondern auch die Verhandlungen mit G. Aleandro, dem
päpstlichen Gesandten in der Luther-Affäre, statt.
7
Man vergleiche mit dem Namen Alciatus in Brief 20, Zeile 105.
Vivesbriefe 79
fangen hatte, mit dessen Hilfe einen neuen Mäzen zu suchen. 1520, als von
Croy noch lebte, wäre dies natürlich nicht nötig gewesen.
Zwei Briefe von Vives geben auch neue Einzelheiten über Erasmus in der Zeit
zwischen Ende April und Anfang Mai 1521 wider. Am 29. April schrieb Vives
folgendes an Cranevelt:
[Erasmus] profectus est Mechliniam evocatus ad colloquium cum Tonstallo Britanno,
etiamsi non usque quaque bene valens et plane me dissuadente ne committeret se itineri;
sed ille homo itinere reficitur. Velim eum optime valere. Expectamus eum quottidie.

Und am 22. Mai heißt es:


Erasmus est nunc Antverpiae; iam antequam e o proficisceretur, venerat Mechlinia, con-
vento Tonstallo, confirmatiore valetudine.

Wenn wir diese Information mit dem zusammenbringen, was wir aus anderen
Quellen wie z.B. der Korrespondenz Erasmus' schon wußten, ergibt sich fol-
gendes Bild von Erasmus' Reisen zwischen Löwen, Mecheln und Antwerpen
im April/Mai 1521: Am 15. April war er in Antwerpen (Allen 1199), am 23.
April war Tunstall, Gesandter von Heinrich VIII., auf der Rückreise von
Worms nach England bei Karl V. in Mecheln eingetroffen. Der Weg mußte ihn
normalerweise über Löwen geführt haben, wo er Erasmus am 22. offenbar
nicht getroffen und eine Nachricht mit der Bitte hinterlassen hatte, ihn wenn
möglich in Mecheln aufzusuchen. Es kann sein, daß Tunstall einige Tage vor
dem 22. in Löwen war und über Brüssel nach Mecheln reiste. Das würde
erklären, warum Erasmus auf seiner Rückreise von Antwerpen nach Löwen
(dieser Weg führt über Mecheln) von der Englischen Gesellschaft nichts
erfahren hatte. Kurz nach dem 22. April muß Erasmus, nicht in bester
Gesundheit, von Antwerpen nach Löwen zurückgekehrt sein. Gegen den Rat
von Vives, seine Gesundheit zu schonen, ist er sofort nach Mecheln
zurückgefahren. Aber wie Vives bemerkt, machte Erasmus das Reisen gesund.
Am 29. oder 30. April war Erasmus wieder in Löwen. Am 29. erwartete Vives
ihn zurück, und am 30. schrieb Erasmus aus Löwen seinen Brief (Allen 1200)
an Willem Frederiks. Daß er Tunstall begegnet war, bestätigte Vives am 22.
Mai. Am 14. Mai war Erasmus noch in Löwen (Allen 1203), am 24. war er wie-
der in Antwerpen (Allen 1205). Da Vives am 22. schrieb, daß Erasmus zu jener
Zeit in Antwerpen war, mußte er spätestens am 21. und wahrscheinlich schon
einen oder mehrere Tage früher Löwen verlassen haben.

Über Vives selbst erfahren wir auch so manches Neue. Ich beschränke mich
hier auf die ersten Januarwochen 1521. Vives fühlte sich wohl in Löwen wegen
der bedrückenden theologischen Atmosphäre ganz und gar nicht glücklich. Die
Stadt, in der man - wie er schreibt - angefangen habe, jüdische Werke und
Lutherbücher zu verbrennen und der Marktplatz an der Peterskirche eine
Schmiede von Lügen sei ("Forum divi Petri est fornax mendaciorum follibus
bene ventosis"), konnte ihm nicht gefallen. Ende 1520 beschloß er, die Univer-
80 Jozef IJsewijn
sitätsstadt endgültig zu verlassen, und in den ersten Tagen des Jahres 1521
hatte er auf dem Weg nach Brügge seine Bücher schon nach Antwerpen ge-
schickt. Kaum hatte er aber selbst die Reise nach Brügge angetreten, da er-
reichte ihn in Mecheln die bestürzende Nachricht vom Tode seines Gönners
Kardinal Wilhelm von Croy. Dieser war in der Nacht vom 10. auf den 11. Ja-
nuar in Worms an einer "pestifera febris" gestorben, nicht - wie man meist noch
in den Nachschlagewerken liest - am 6. Januar an den Folgen eines Sturzes von
seinem Pferd. Vives, der dadurch plötzlich ohne Einkommen war, reiste noch
bis Antwerpen weiter, in der Hoffnung, dort Hilfe zu finden. Aber in Antwer-
pen wartete ein zweiter Schicksalsbericht: In Brügge war nun auch Bernardo
Valdaura, bei dem er Unterkunft hätte finden können, gestorben. Vives war
somit gezwungen, nach Löwen zurückzugehen, um als Privatgelehrter und Leh-
rer Geld zu verdienen. Bald fing er an, mit Hilfe von Thomas Morus einen
neuen Mäzen zu suchen. Bisher waren uns weder das Todesdatum Valdauras
noch die Folgen für Vives Karriere bekannt; man wußte nur, daß Valdaura vor
1523 gestorben war.
Die neuen Briefe sind weiterhin ein wichtiges Zeugnis des regen Gedanken-
austausches und der Diskussionen zwischen Vives und Cranevelt. Sie zeigen
auch ihre vereinten Anstrengungen, Griechisch zu lernen und einander die
notwendigen Bücher zu beschaffen. Zusammen studierten sie Lukian und
Homer, und Vives bat Cranevelt beispielsweise, für ihn ein griechisch-lateini-
sches Wörterbuch zu suchen sowie mehrere Autoren, die er für seinen
Augustinuskommentar brauchte. Auch wenn er bestimmte Quellen zu Augusti-
nus nicht finden konnte, bat er seinen Freund um Hilfe.
Unter den Themen, die sie in ihren Briefen diskutierten, sind mehrere, die
auch in Vives' Schriften eine wichtige Rolle spielen. Ich beschränke mich auf
einige: 1. Sie befaßten sich mit der Frage, worauf sich politische Autorität und
Größe stützten (Ep. 7). Cranevelt glaubt an den Genius bestimmter Menschen,
Vives dagegen sieht das Geld als Grund der Macht und zitiert dazu einen Satz
aus Aristoteles' Ethica Nicomachea. 2. Cranevelt hält alle Universitätsprofesso-
ren, abgesehen von den Juristen, für Tagträumer. Darauf entgegnet Vives, daß
die Juristen - außer Cranevelt - auch träumten, aber nur von Gold. 3. Aus den
ersten zwei Punkten geht schon hervor, daß für Vives das Geld ein Problem
darstellte. Die Frage von Armut und Reichtum (Ep. 9) wird in den Briefen
wiederholt aufgerollt. Vives versucht, eine philosophische Haltung anzuneh-
men, aber man spürt trotzdem, daß er gerne ein wenig mehr Geld zur Verfü-
gung gehabt hätte. Einerseits sagt er, daß derjenige arm sei, dem das Lebens-
notwendige fehle, andererseits hänge dieses Notwendige jedoch mit der indivi-
duellen Situation zusammen. So brauche er als unverheirateter Privatgelehrter
viel weniger Geld als ein Stadtrat mit Frau und Kindern, wie im Falle Crane-
velts. Trotzdem fühlte er sich häufiger von der Armut bedrückt. Seine Woh-
nung nannte er ein "gurgustiolum". Am 12. Oktober 1521 schrieb er an Crane-
velt:
Vivesbriefe 81
Ex Vergilio non redibit domum manus aere gravis (...). Hoc est plane trahere vitam, non
ducere. Quid labor et bene facta iuvant?

Desweiteren berichtete er, ein Wahrsager ("Chaldaeus") habe ihm großen


Reichtum prophezeit, von dem er jedoch noch nichts gespürt habe. Wenn man
solche Äußerungen liest, wundert man sich nicht, daß ausgerechnet Vives spä-
ter ein Traktat De subventione pauperum schrieb und darin sehr fortschrittliche
Vorschläge bezüglich der Armenhilfe machte: er kannte die Härte der Armut
aus eigener Erfahrung sehr gut.
Auf ähnliche Weise findet man in den neuen Briefen Spuren mancher Ideen,
die Vives in seinen späteren Schriften weiterentwickelte. Darüber hinaus ver-
kündet er ganz und gar offen seine Meinung über damals heikle Themen wie
die päpstliche Autorität, die Beichte, die Theologie im allgemeinen, die
Bücherverbrennung usw. Deutlich ist, daß diese Briefe nicht für die Öffentlich-
keit geschrieben wurden, sondern einen Gedankenaustausch zwischen zwei
Freunden darstellen, die einander vertrauten. Es ist bezeichnend für die in den
nächsten Jahren um sich greifenden Ängste, daß später in einem Brief der
Name Lutherus als Lotharius überschrieben wurde, in einem anderen als
Rupertus, und in einer kritischen Zeile über Aleandros Auftreten in Köln
("Choragus illius comoediae fuit Aleander") wurde dessen Name in Menander
geändert.
Ich fasse kurz zusammen: Die Vives-Forschung steht an einem Wendepunkt.
Es gibt nicht nur 31 neue Briefe, es gibt auch die grundsätzliche Neudatierung
der Frühschriften aufgrund des von González wiedergefundenen Lyoneser
Drucks aus dem Jahre 1524. Es gibt schließlich schon eine beachtliche Reihe
kritischer Ausgaben, die zeigen, welch einschneidende Änderungen Vives vor-
nahm, wenn er seine Schriften neu herausgab. Mayansius ist ganz und gar
überholt, und es ist wissenschaftlich nicht mehr akzeptabel, Teile davon einfach
anastatisch zu reproduzieren und als Neuausgabe zu präsentieren. Noch weni-
ger akzeptabel ist es, auf der Basis von ganz unzuverlässigen und fehlerhaften
Übersetzungen wie jene von Ribera und Noreña Forschungen durchzuführen.
In der Vergangenheit ist Vives oft das Opfer von ideologisch entstellten For-
schungen gewesen. Jene Zeit scheint glücklicherweise vorüber zu sein. Wir
müssen dafür sorgen, daß an ihre Stelle keine philologisch wackeligen Studien
treten.
Licet poetae fingere? - Los textos ficcionales de J. L. Vives
y su legitimación de la ficción poética

Javier Gómez-Montero (Kóln)

I. Planteamiento de la cuestión
Hasta la última década parecía firmemente apuntalada la imagen de un Vives
abiertamente contrario a la literatura de ficción. Henry Thomas puso de relieve
su "ataque fulminante a los libros de caballerías".1 Marcel Bataillon destacó que
su "moralismo intransigente llevó a la reprobación de toda poesía".2 Carlos G.
Noreña remarcó el severo juicio de J. L. Vives para con la literatura pagana
que, según 61, puede conducir a los lectores a "an aesthetic orgy of imagina-
tion".3 Estas apreciaciones se basan particularmente en los tratados De institu-
tione feminae christianae (1523), De tradendis disciplinis (1531) y De ratione
dicendi (1533).
Los críticos aludidos pretenden constatar una actitud contradictoria de J. L.
Vives ante las litterae. Por una parte, forjan la imagen de un humanista que no
pierde ocasión para entonar una laus litterarum y, por otra, interpretan el
derroche de citas textuales que traen a colación como una denostación sin
paliativos de los valores ideológicos plasmados en los textos literarios que tanto
encarece.
No obstante, en los últimos años, los estudios de Karl Kohut," Josef IJsewijn,5
Edward V. George 6 y Emilio Hidalgo 7 han dado un giro espectacular a la cues-
tión replanteando el enjuiciamiento de la crítica y teoría literaria de J. L. Vives
en términos completamente diversos. Los dos primeros han hecho hincapié en
el dilema de Vives que, dependiendo del contexto, enjuicia la literatura de

1
Henry Thomas, Las novelas de caballerías españolas y portuguesas (Madrid 1952), pp. 124-127
(vid. p. 124).
2
Marcel Bataillon, Erasmoy España. Estudios sobre la historia espiritual de1 siglo XVI (México
1966), pp. 614-617 (vid. p. 617).
3
Carlos G. Noreña, Juan Luis Vives (The Hague 1970), pp. 178-181 (vid. p. 178).
4
"Literaturtheorie und Literaturkritik bei J. L. Vives", en: Juan Luis Vives. Arbeitsgespräch in
der Herzog-August-Bibliothek. Hrsg. v. A. Buck (Hamburg 1981), pp. 35-47 y "Rhetorik, Poetik
und Geschichtsschreibung bei Juan Luis Vives, Sebastián Fox Morcillo und Antonio Llull", en:
Texte, Kontexte, Strukturen. Beiträge zur französischen, spanischen und hispanoamerikanischen
Literatur. Festschrift für Karl Alfred Blüher zum 60. Geburtstag (Tübingen 1987), pp. 351-370.
5
"Vives e la Poesia", en: Actas del Congreso de Nebrija (Salamanca 1993, en prensa).
6
"Rhetoric in Vives", en: Opera Omnia Ioannis Lodovici Vivís, I. Volumen introductorio. Coordi-
nado por Antonio Mestre. (Valencia 1992), pp. 113-177.
7
"Vergessenheit der geschichtlichen Sprache und ihrer Funktion. J. L. Vives' Humanismus als
notwendiger Wendepunkt des Philosophierens", en: Juan Luis Vives, Über die Gründe des Ver-
falls der Künste. De causis corruptarum artium (München 1990), pp. 7-99.
Textos ficcionales de Vives 83
forma ambivalente según asuma el rol de pedagogo o de humanista lector y
adicto a las Bellas Letras.
Además, E. V. George ha acertado a aglutinar los escritos retóricos de J. L.
Vives en dos núcleos que corresponden a dos fases bien diferenciadas de crea-
ción: los años 1514-23 y el período de madurez entre 1531 y 1534. Los primeros
años están determinados por su labor docente en la universidad de Lovaina y
dan testimonio de un afán creador alentado por la imitación de la literatura
clásica greco-latina.8 Con los tratados de los años treinta J. L. Vives ambiciona
sistematizar su teoría y crítica literarias. La etapa inicial supone el momento de
mayor intensidad de la actividad filológica de J. L. Vives en su triple faceta de
editor, comentarista y traductor de la literatura greco-latina, tanto pagana
como cristiana.9 No cabe la menor duda de que J. L. Vives puso sus enormes
conocimientos filológicos al servicio de intenciones pedagógicas y filosóficas.10
Estos trabajos significan un radical cambio de orientación en la valoración de
la crítica y teoría literaria de J. L. Vives: la perspectiva pedagógica y moral que
incide en los criterios de la ejemplaridad, utilidad y conveniencia expresiva no
excluye un planteamiento epistemológico. Un tema central que inquieta a J. L.
Vives en esa primera etapa de labor filológica es el de la representación de la
veritas y la legitimidad de la ficción para ello. Con respecto a este punto E.
Hidalgo ha señalado el papel que J. L. Vives otorga al ingenium para crear con
el lenguaje imágenes, elaboradas por la imaginación, capaces de representar el
ser de la res\
quod si ea sit res, quae cognosci a sensibus non queat, esse quidem aut non esse, (...)
imaginem tamen ei affingit phantasia, ex rebus sibi notis desumtam.

Con las premisas asentadas se debe otorgar una relevancia fundamental a un


opúsculo de 1514 que Vives reelaboró en 1522, en el que llega a proponer
teóricamente el programa de una literatura de ficción, aceptable y deseable: el
Veritas jucata, sive de Licentia Poética quantum Poétis liceat a Veritate absce-
dere,12 En este diálogo los términos del problema se establecen en el marco de
una discusión entre las figuras alegóricas Verum y Falsum, abarcando éste tanto
la mentira como la ficción poética. En la Fabula de homine (1518) Vives,
haciendo acopio también de una fabula alegórico-mitológica, adopta la fórmula

8
Vid. E. V. George, "Rhetoric in Vives" y "Imitatio in the 'Somnium Vivis'", en: Juan Luis Vives.
Arbeitsgespräch in der Herzog-August-Bibliothek. Hrsg. v. A. Buck (Hamburg 1981), pp. 81-92.
g
Vid. Jozef IJsewijn, "Vives and Humanistic Philology", en: Opera Omnia, I, pp. 77-111.
10
Ibidem, pp. 110-111.
11
De anima et vita, en: Juan Luis Vives, Opera Omnia, III, pp. 343-344. Vid. E. Hidalgo, op. cit.,
pp. 46-54.
12
Joannis Ludovici Vivis Valentini Opera omnia, distributa et ordinata in argumentorum classes
praecipuasa Gregorio Majansio (Valencia 1782), vol. II, pp. 517-531. Al no disponer de copia de
ediciones publicadas en tiempos de J. L. Vives, me veo obligado a citar según la de G. Mayáns,
aun siendo conciente de que no es de fiar, a no ser que exista otra más reciente.
84 Javier Gómez-Montero
de una fingida representación teatral del hombre ante los dioses paganos para
expresar su dignidad. En ambos casos el humanista valenciano recurre a una
fábula, completamente producto de la imaginación, que reúne las condiciones
establecidas en el Ventas fucata II. Otros textos con elementos Acciónales en
que el núcleo de la disertación descansa sobre una base narrativa son el Anima
Senis (1518), el Aedes Legum (1519) y, especialmente, el Somnium Vivís in
Somnium Scipionis (1520).
Además de los casos enumerados, durante estos años J. L. Vives hizo frecuente
uso de prácticas alegóricas y estructuras figurativas para elaborar el discurso
textual no sólo en obras estrictamente filológicas (así, p.ej., en las Declamatio-
nes Sullanae y en el Pompeius fugiens de 1520), sino también en escritos de
edificación religiosa como las Meditationes in septem psalmos, quos vocant
poenitentiae (fechados en 1518 y con epístola preliminar de 1517) y el conjunto
Christi Iesu Triumphus (1514) que incluye la Virginis Dei Parentis Ovoatio y la
Christi Clipei Descriptio,13
Se debe concluir, por tanto, que el humanista valenciano compuso varias obras
con un núcleo ficcional y narrativo. Los textos aducidos suponen una respuesta
pragmática y netamente afirmativa al problema planteado al ejercitarse él
mismo como escritor de literatura ficcional. Además contamos, en los tratados
de los años treinta, con abundantes especulaciones teóricas sobre la legitimidad
de la literatura de ficción. En las páginas siguientes serán analizados y con-
frontados los textos en cuestión.

II. Legitimación de la ficción poética en términos alegóricos


El primer punto a desarrollar serán los criterios que J. L. Vives establece para
legitimar la ficción en la composición de la fabula literaria. En el Ventas fucata
el humanista valenciano recurre a la imagen de la verdad maquillada
(hermosamente, y no "Verdad embadurnada" según la tendenciosa traducción
de Lorenzo Riber). 14 El rostro de la figura alegórica - en la tradición de las
personificaciones ovidianas de la Fama o del Somnus - se describe en los
siguientes términos: "Erat Veritas cultu simplici, parabili, rusticano, habitu oris
totius subtristi" (p. 518). El interlocutor de J. L. Vives, el humanista Juan de
Vergara, ficcionalizados ambos en la textura dialógica, da cuenta de la negocia-
ción entablada "inter principes Verum et Falsum" (p. 522) con ocasión de su
paso por la morada de los hombres (cf. p. 518).

Vergara relata cómo Veritas en seguida es rodeada de filósofos que "assectari


se omnes clamabant" (p. 519), mientras que "deambulabat in adversa porticu
Falsum" (p. 519). Cuando Demóstenes, en nombre de la Verdad, se dirige a

13
Vid. E. V. George, "Rhetoric in Vives", pp. 119-129 ("he proceeds to a recasting of scriptural
poetry in persuasive embellishment", p. 134).
14
Juan Luis Vives. Obras completas (Madrid 1947, reeditadas en 1992), vid. vol I, p. 883.
Textos fìccionales de Vives 85
una muchedumbre de filósofos, oradores y poetas congregados a su alrededor
se desencadena un ensordecedor tumulto entre los presentes hasta que Platón
exhorta a los adictos de lo Falso a sumarse al partido de la Verdad. Platón y
Homero, representantes respectivos del Verum y del Falsum, se improperan
mutuamente hasta que el filósofo, cortando por lo sano,
Homero, et ceteris poétis interminatus est nullum illis fore in sua república locum, quam
nunc excitaret admirabilem, quippe quam soli sapientes incolerent (p. 522).

Merece la pena tomar con atención el pulso a esta sustanciosa parábola. "In
contubernio Falsi" se produce un grave altercado por la afrenta cometida a
Platón ("legatum Veritatis", p. 522) que culmina en la decisión de enviar a lo
Verdadero una embajada de reconciliación.
Así, Homero, acompañado por Hesíodo ("Homo Boeotius, visu, et lingua rusti-
cana veritatis non dissimili", p. 523) y por Luciano y Apuleyo, presenta a la
Verdad la propuesta de que "cultum, fucumque Falsi admitteret" (p. 525). Tras
concienzuda deliberación "in Consilio Veritatis" (p. 525) se decidió que "certis
conditionibus accipi mandata; fucum in totum nec admitti, nec rejici" (p. 527).
J. IJsewijn ha resumido concisamente punto por punto el católogo de los diez
requisitos del contrato estipulado entre ambas partes. Me permito recurrir a su
paráfrasis de los términos del acuerdo:

1. Poeti non possono inventare cose fittizie, per non diventare mentitori; ma possono far
uso di tutte le invenzioni di "Fama publica": storielle popolari, pattegolezzi ecc.

2. Tutti gli avvenimenti preistorici, (...), sono avvolti nelle tenebre, e perciò la fantasia poe-
tica può volare libera per questa epoca; solo che non sia permesso cambiare la versione dei
fatti preso i grandi poeti. (...)

3. Per la storia più recente i poeti devono attenersi alla verità, benché qualche abbelli-
mento è permesso. (...)

4. In un'opera finzione e verità possono esser mescolate a condizione che la finzione ri-
mane limitata alla preistoria.

5. A causa dell'importanza enorme della moralità, gli autori possono inventare favole,
commedie e dialoghi che favoriscono la vita onesta.

6. Sarà sempre permesso abbellire la verità per mezzo di enigmi, metafore e altri espe-
dienti retorici.

7. Nell'arte e nelle cose pedagogiche bisogna conservare pura la verità, benché è lecito
l'uso del linguaggio metaforico.

8. Nell'abbellire la verità bisogna sempre procedere in modo probabile, coerente e conve-


niente.
86 Javier Gómez-Montero
9. Se qualcuno desidera seguire Falsus per divertim|nto, lo potrà fare se è un autore molto
dotato. Riceverà allora la cittadinanza milesia (...).

Evidentemente, la metáfora del maquillaje, del fiicum Veritatìs, incluye la cate-


goria conceptual de la ficción. En la quinta condición se concede libertad ili-
mitada a los escritores cuya praxis inventiva se atenga a los principios de ejem-
plaridad y utilidad. Al mismo tiempo se recomiendan como géneros de litera-
tura ficcional el apologus (es decir, la fábula de corte esópico), 16 la comedia y
el diálogo:
Quoniam morum meliorum gratia multa sunt concedenda, quaecumque vel ad mores
spectabunt, vel ad aliquem vitae usum, libera relinquentur scriptoribus, adeo ut sequi in to-
tum Falsum et apologos comminisci permittatur; hic et novae comoediae picturae huma-
norum affectuum, et dialogis, qui multum comoediis accedunt, esse locum. (p. 528)

Pero al poeta también le será permitido seguir la inclinación de su propio gusto


sin obligarse a tener en cuenta ni la ejemplaridad ni la utilidad de su composi-
ción. "Animi sui gratia" (p. 529), siempre que lo explicite de forma ostensible,
serán incluso legítimas las fábulas milesias, las fabulae licenúosae tan denosta-
das en el De ratione dicendi:17
Si quis prorsum animi sui gratia Falsum assectari statuerit, nec ad mores, aut vitae usum
deflexerit, ne desint Principi illi comités, permitti, modo insigni aliquo distinguantur id
professi, donenturque civitate Milesia amoena, et deliciosa; circumferant etiam secum in
sermone delicias, lusus, et utramque Vulcani uxorem, vivantque cum Luciano, Appulejo,
Clodio Albino Principe Ro[mano], (p. 529)

Así rezan la cláusula quinta y el comienzo de la novena. En la sexta se


establece que el poeta, en el plano de la elocutio, puede dar rienda suelta a su
arte adornando la verdad con las facultades imaginativas de que está dotado:
Omni tempore, omni aetate, omni scriptorum generi jus erit Veritatem fucare aenigmatis,
abusionibus, translationibus, quae latissime patent. (p. 529)

Las tres cláusulas transcritas permiten dilatar al máximo las posibilidades de la


actividad poética. El corolario conversacional de los dos interlocutores lo tes-
timonia explícitamente:
V/v. ¿Quám putas aequis animis inclusurus his se limitibus poetas, genus hominum vagum,
et liberum?

Ver. ¿Ecquid latius dici potest vel liberius istis finibus? (p. 530)

15
J. Usewijn, "Vives e la Poesia", pp. 8-9 del tiposcripto citado en la nota 5 que el autor ha tenido la
amabilidad de confiarme.
16
"Apologi conficta exempla sunt in usum vitae...; apologorum olim multae fuerunt species, sicut
Aphthonius tradit, Sybariticus, Cyprius, Cilicianus, Aesopius, ab inventoribus, omnes vero in
Aesopium concessere; narratio haec veritatem non spectat, et tamen verisimilitudinem hactenus
debet obtinere." (De ratione dicendi, III, V; en: Juan Luis Vives, Opera Omnia, II, p. 215).
17
Ibidem, p. 216.
Textos ficcionales de Vives 87
Los puntos restantes, aunque planteen una serie de restricciones al tratamiento
poético de hechos históricos, constituyen un apasionado elogio a la literatura
greco-latina. Con respecto a los eventos precedentes a las Olimpiadas, es decir,
según su cronología a partir de treinta años antes de la fundación de Roma, se
consentirá la mezcla de lo verdadero con lo falso, siempre que "summae, et
veluti nuclei reserventur Veritati" (pp. 527-528), puesto que es indiscutible el
carácter fabuloso de tales hechos (cf. "Quarta conditio", p. 528). El criterio de
la ficción en la representación de la historia es la fidelidad a los acontecimien-
tos narrados; la Ucencia poética se reduce, por tanto, al maquillaje "decoris, aut
gratiae, aut voluptatis, aut etiam utilitatis, morumque causa" (p. 528). Reunien-
do estas características, las ficciones contenidas en los poemas épicos de
Virgilio, Luciano, Silio Itálico y Valerio Flacco son dignas de la mayor estima.
Del resumen de las ideas expuestas en el diálogo Veritas fucata se desprende
sin ningún género de dudas la función epistemológica que Vives otorga al texto
ficcional como medio de representación de la verdad. La literatura ficcional
abarca tanto las "res gestae" (p. 527) como el conjunto de los "humanorum
affectuum" (p. 528) y el amplio complejo "de re ad artes et eruditionem
spectante" (p. 529). La fabula, la ficción, es considerada como medio legítimo
de representación de la verdad. El criterio de la "fama publica" (p. 527), pala-
bras con que comienza el elenco de requisitos, la moralidad, no pierde en ab-
soluto su vigencia. Bien al contrario, en Veritas fucata se armoniza en pon-
derado equilibrio con otros elementos constitutivos del texto literario ficcional.
La relevancia del diálogo estudiado para la dilucidación del papel que J. L.
Vives otorga a la ficción poética radica en que se centra precisamente en los
autores, géneros y cuestiones tratados de forma contradictoria en sus escritos
de intención pedagógica según se trate de la educación de la mujer o del joven
estudiante (vid. De institutione feminae christianae, I, V y De disciplinis, 2a, III,
V-IX). Así, no asoman lo más mínimo los autores cristianos de la Baja Latini-
dad como S. Jerónimo, Boecio, Tertuliano, San Agustín o Prudencio (por traer
a colación algunos incluidos en la lista de los autores recomendados sin restric-
ción alguna en sus escritos).

III. Legitimación de la ficción en términos argumentativos


En el De ratione dicendi, J. L. Vives replantea el asunto desde la perspectiva
del filólogo.18 Las correspondencias entre las tesis expuestas en este compendio
de retórica y en el Veritas fucata son significativas. Las alegorías Verum et
Falsum se convierten en categorías conceptuales configuradas de forma parti-
cular según el tipo de discurso narrativo y género literario de que se trate (III,
II-VII). Según su finalidad ("ex fine censentur") se distinguen tres tipos de

18
K. Kohut ha expuesto las ideas fundamentales contenidas en el tratado (vid. "Rhetorik, Poetik
und Geschichtsschreibung...", op. dt., pp. 352-357).
88 Javier Gómez-Montero
narrationes: vera ("ut aliquid doceamus, seu explicemus"), probabilis ("ut per-
suademus") y licentiosa ("ut detineamus"):
narrationem, quam ad explicandum paratur, veram esse par est, hanc historiam vocamus;
ad persuadendum vero, si id volumus persuadere quod narratur, oportet esse probabilem,
sin aliud per eam, apte est confingenda, quales sunt apologi, sin ad delectandum atque
occupandos ánimos, ea est licentiosa;

El género de la narratio vera es la historia tal y como la practicaron los historió-


grafos greco-latinos (cap. III, "De historia"). La narratio probabilis se justifica
dada la particular condición del entendimiento humano, es decir, con un argu-
mento epistemológico (lo falso es aconsejable para conferir mayor proba-
bilidad a lo verdadero):
aliquando falsa quaedam quibusdam veris fiunt probabiliora, quod non ex rebus ipsis
nascitur, sed ex nobis prave judicantibus, ideoque non veré modo narrandum est, quod reí
quidem sufficeret, sed verisimiliter propter nos.

El género más excelente de la narratio probabilis, por su mayor utilidad "in


usum vitae" (p. 215) son los apologi. El único género denostado de la narratio
licentiosa (o poetarum fabulae, p. 217) es el de las fabulae milesiae cuya ficción
no sólo carece de verosimilitud sino también de utilidad:
[Fabulae Milesiae] ad voluptatem solam sunt repertae, (...) genus quoddam fabularum, nec
verum, nec verisimile, nec in aliquem usum vitae paratum et congruens...

Esta consideración relativiza la tesis "permisiva" del Veritas fucata pero se ex-
plica por el enfoque concreto de la disertación. Antes, a propósito de la
narratio probabilis en general, se había fundamentado la verosimilitud como
principio de representación en la acepción del arte como "naturae imitatrix" (p.
214).
De hecho, al analizar la tercera forma de la narratio ("De poéticis", III, VII), J.
L. Vives legitima explícitamente la ficción, la recomienda si se atiene al princi-
pio de la verosimilitudo y matiza gradualmente su conveniencia según los diver-
sos géneros literarios:
Summam fabulae nunquam licuit poétae fingere, in re dico quae pro gesta haberetur, nam
in apologis, ut scenicis, aut Milesiis, semper licet; rem vero gestam ornan conceditur, et
augeri ad admirationem, et voluptatem, quod etiamnum permittitur, nam si cui hoc solum
est propositum multo et copioso sermone audientium ánimos tenere, eum oportet in men-
daciis expendendis et segregandis a vero non esse admodum religiosum, sed recta ingredi
quacunque auditoris ducat delectatio, sive in verum incidat, sive in falsum; hoc poétae ve-
teres factitarunt; quanquam non usque eo falsas esse has fabulas convenit, qwn similitudi-
nem aliquam retineant veri, ut nec impossibilia dicantur, ñeque incredibilia...

19
Juan Luis Vives, Opera Omnia, II, p. 204.
20
Ibidem, p. 213.
21
Ibidem, p. 216.
22
Ibidem, p. 218.
Textos ficcionales de Vives 89
Los términos fabula y narratio parecen usarse indistintamente. La poesía épica
de tema histórico constituye un caso de contaminación de historia y ficción en
el que debe prevalecer la verdad sobre la mentira poética. En el apologus la
ficción se legitima por la excelencia moral del género (pp. 215-6) y en las for-
mas dramáticas por respetarse en ellas las reglas de la imitatio naturae (p. 220).
También en las fabulae milesiae la ficción es un elemento constituyente del
texto literario. Sólo cuando la utilidad se convierte en criterio fundamental de
valorización, J. L. Vives las enjuicia negativamente de acuerdo con su exigen-
cia: "adhórtete carmen et inflammet ad virtutem, dehortetur, et deterreat a
vitio" (p. 220).
La voz del moralista había prevalecido en el pasaje del De ratione dicendi en
que las fabulae milesiae ("sermones amatorios", p. 216) se consideraban como
una forma de literatura erótica y de entretenimiento apreciada "vel in conviviis,
vel in coetibus virorum ac feminarum". Pocas páginas más adelante, en sustitu-
ción de esas narraciones escabrosas (que, en su opinión, deberían ser expurga-
das),23 J. L. Vives recomienda otros relatos amenos, divertidos, asombrosos e
ingeniosos:
si [in conviviis] nec virtutis placet materia, cantentur saltem ea, quae sine animorum
corruptela audiantur, et teneant, cujus generis sunt descriptiones amoenorum locorum, aut
temporun^casus varii, rídiculi, admirabiles, tristes, laetis, dicta arguta, lepida, salsa, et alia
ejusmodi.

El párrafo transcrito contiene todo un programa de literatura ficcional de


inspiración humanista, entretenida y provechosa a la vez, que ofrece un amplio
margen a la invención poética. Me parece altamente significativo que el propio
Erasmo, en el Convivium fabulosum y en términos muy semejantes a los de J.
L. Vives, había marcado la pauta de las posibilidades de la ficción para la
literatura de entretenimiento: "Nihil iucundius, quam quum serio tractantur nu-
gae."25
La argumentación de J. L. Vives afirma suficientemente la legitimidad de la
ficción poética. Sus observaciones sobre autores greco-latinos como Luciano o
Apuleyo y su crítica a géneros contemporáneos como los libros de caballerías
no implican en absoluto su repudio de la literatura ficcional. Bien al contrario,
el programa esbozado de una praxis textual basada en la ficción supone una
alternativa concreta y complementa su incesante recurso a otros esquemas de
representación ficcionales sancionados en la Antigüedad.

23
En la segunda parte de De disciplinis aconseja la extirpación de lo obsceno (III, V). Luciano
(cap. VII) y Ovidio (cap. IX) le merecen una mención explícita.
24
Ibidem, p. 221.
25
Opera Omnia Erasmi Desiderii Roterodami, Colloquia, ed. L.-E. Halkin, F. Bierlaire, R. Hovey,
voi. 1,3 (Amsterdam 1972), pp. 438^49, (vid. p. 449).
90 Javier Gómez-Montero
IV. Procedimientos y estructuras en los textos Acciónales
La práctica escritural de J. L. Vives ofrece numerosos ejemplos de integración
de la ficción en un discurso argumentativo. El caso del Ventas fucata es un ex-
ponente diáfano de su gusto por el diálogo de corte erasmista-lucianesco de
cuyos deliciosos ingredientes ha dado buena prueba el sucinto análisis prece-
dente. La estructura de este tipo de diálogo permite la articulación de ele-
mentos Acciónales y digresivos en una trama narrativa. Por una parte posibilita
la ficcionalización del autor y un amigo suyo como interlocutores, de categorías
conceptuales como figuras alegóricas y de poetas o filósofos de la Antigüedad
como protagonistas (incluso, en otros casos, también la reficcionalización de
personajes literarios). Igualmente permite el desarrollo de una acción y la
inclusión de episodios descriptivos como la divertida caricatura de la república
de sabios ideada por Platón. Y, al mismo tiempo, cabe la articulación de una
digresión conceptual y la argumentación crítica. Parábola y reflexión explícita
convergen en el ameno pasaje en que son ridiculizados los filósofos que no ce-
jan de cortejar de mil maneras a la Verdad.
Los diálogos de Luciano se difundieron por toda Europa a comienzos del siglo
XVI gracias a la traducción latina de Erasmo y Tomás Moro. 28 Gozaron de alta
reputación en círculos humanistas llegando a desencadenar una ola de imita-
ciones. Su recepción corrió pareja a la de los Colloquia Familiaria de Erasmo.
En los párrafos introductorios a las 'AXtiScov Auy/ruiáxcov Luciano expone
abiertamente haber referido muchas mentiras verosímiles argumentando que, a
través de la mentira, llega a expresar la verdad: kcxv ev yáp 5t) to-oto
áX'nee'óaa) Xéyoov oxi VEÚSo^ai ,27 Estas palabras formulan la función episte-
mológica de la mentira poética. En Veritas fucata Vives hace gala de un agudo
sentido del humor cuando J. de Vergara expone que durante la cena, tras las
negociaciones entre lo Verum y lo Falsum, como puro regocijo, los escritores
escuchan las historias verdaderas de Luciano: "Lucianus suas veras narrationes
exposuit, quas nec ipse, nec alius quisque vel vidit, vel audivit, vel credet" (p.
527).
J. L. Vives recurre a semejantes estructuras y procedimientos narrativos para
componer otras fabulae que pueden considerarse como modelo opuesto a las
fabulae licentiosae (Milesiae) denigradas anteriormente. El esquema argumen-
tal de la Fabula de homine consiste en una reunión de dioses paganos - con
motivo del cumpleaños de Juno - que culmina en la representación teatral del
hombre. Las reminiscencias de la 8ecov EKicA.Ticyi.oc 28 de Luciano y de los

26
Jesús Gómez, El diálogo en el Renacimiento español (Madrid 1988), vid. pp. 109-149 y mi reseña
en RJbAl (1990), pp. 383-386.
27
Luciani Opera. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. D. Macleod (4 vols., Oxonii
1972) [vid. vol I, p. 82, tr.: "pues, efectivamente, cuando miento, en este punto hablando, estoy
diciendo la verdad"].
28
Luciani Opera..., vol. III, pp. 149-157.
Textos fìccionales de Vives 91
Consilia deorum de la épica clásica y su travestimiento paródico-burlesco en el
Apocolocintosis de L. A. Séneca son evidentes. La Fabula de homine, estudiada
por Emilio Hidalgo29 y August Buck,30 se abre de forma harto significativa:
"Libet mihi a ludis fabulisque auspicari hanc meam de hominem dissertionem,
quoniam et homo ipse ludus ac fabula est."31 Aquí, Vives utiliza el vocablo
fabula no sólo en oposición a historia (como texto ficcional, por tanto), sino
también como forma concreta del relato mitológico-alegórico. En el siglo XVI
español el término fábula puede significar igualmente, en general, narración
ficticia, es decir, mimesis de una acción humana.32
Edward V. George, en la introducción a su edición crítica del Somnium Vtvis,33
ha descrito pormenorizadamente los elementos Acciónales de este texto. Por
ello, me limitaré a poner de relieve dos únicos aspectos. En primer lugar, la
ficcionalización de la figura del autor, de escritores latinos y griegos, de perso-
najes literarios y mitológicos adquiere una función didáctica y crítica. Por una
parte, la narración se integra en la realidad empírica de Vives quien - ya en el
ámbito ficcional - ruega a Cicerón le explique el sentido de su Somnium Scipio-
nis con objeto de transmitirlo al día siguiente a sus propios estudiantes en las
aulas universitarias. Por otra parte, en la discusión entre las Musas Cloto y
Atropos - como ha aclarado J. IJsewijn gracias a una de las cartas de Vives a
Cranevelt recuperadas en 198934 - se ficcionalizan las disputas entre los filóso-
fos escolásticos y los partidarios de una renovación del discurso filosófico
según la concepción humanística.35
En segundo lugar, siguiendo las huellas de Ovidio {Metamorfosis, XI.642),
Vives sitúa a la imaginación en la corte del Sueño. Descorriendo el velo im-
puesto por el lenguaje metafórico, constatamos que Vives describe la consis-
tencia específica de lo ficticio en oposición a lo real y se limita a observar lacó-
nicamente que algunos humanos prefieren Phantasos a la palpable realidad:
Phantasos sigilla habet rerum universarum quae anima et sensu carent; quanta regna hic
possidet, dii immortales! Quantas opes! Quam multum auri, argenti, margaritorum,
gemmarum! Quae opes hoc ab iis quas veras solemus appellare distant, quod hae ut verae

29
op. cit., pp. 43-54.
30
Vid. su contribución en este mismo volumen: "Vives' 'Fabula de homine' im Kontext der
'dignitas hominis'-Literatur der Renaissance", pp. 1-80.
31
Juan Luis Vives, Opera Omnia, IV, p. 3.
32
J. Gómez-Montero, "¿Cuento, fábula, patraña o novela? Notas acerca de una tipología de las
formas de narración breve en el siglo XVI español", en: Iberoromania 33 (1991), pp. 74-100.
33
Juan Luis Vives, Somnium et Vigilia in Somnium Scipionis (Commentaiy on the Dream of
Scipio). Edited with an Introduction, Translation and Notes by Edward V. George (Greenwood,
1989), pp. XLII-XLV.
34
"Litterae ad Craneveldium. A Preliminary Edition. 1. Letters 1-30 (March 1520-February 1521).
Edited by J. IJsewijn und G. Tournoy", en: Humanística Lovaniensia XLII (1992), pp. 1-85.
35
Ibidem, p. 28.
92 Javier Gómez-Montero
sunt ita veros pariunt dolores et cruciatus non fictos, illae ut sunt inanes fictaeque sic
gaudia sibi similia, inania videlicet, gignunt, fictaque.

Et alioqui sunt qui simulata haec et adumbrata veris illis atque expressis anteponant;... (pp.
20 y 22)

En este caso, J. L. Vives ni tematiza ni valora la eficacia de construcciones ima-


ginativas en el discurso literario. Imágenes ficticias tienen cabida en otros re-
latos narrados en primera persona como el Anima Senis y el Aedes Legum. En
el primero se alude a un ameno paraje, deleitoso y grato en cuyo centro des-
colla el Templo de las Leyes. En el segundo se trata de la visión de un espectro
que resulta ser el alma de un viejo:
Antequam Ciceronis Catonem enarrare incipio, describam vobis, quam potero aptissimé,
Senisanimam, quae se se mihi nuper obtulit formá, non minus admirabili, quám jucunda et
etiam grata.

Estas someras reflexiones sobre el comentario al De senectute y el Somnium


Vivis autorizan concluir que los textos Acciónales del humanista valenciano se
decantan como un entramado intertextual basado en la imitatio de esquemas de
representación estandarizados en la literatura greco-latina. Dada la sistemática
recurrencia de tales estructuras creo legítimo considerar las obras aquí tratadas
como textos Acciónales en los que el pensamiento se articula unas veces con-
ceptualmente y otras so capa de ficción.

V. La praxis ficcional de J. L. Vives en su contexto humanista


El supuesto dilema de J. L. Vives con respecto a la ficción literaria no surge en
absoluto de una actitud existencial. En mi opinión se plantea más bien como
una cuestión de enfoque, de forma de tratar el problema. El análisis muestra
que el conjunto de los elementos ficcionales en la obra de la primera madurez
de J. L. Vives, su práctica de la ficción poética, se decanta de manera congru-
ente con la teoría forjada en los tratados de su madurez. Las fabulae estudia-
das, fechadas entre 1518 y 1523 (cuando las letras griegas, latinas y neolatinas
constituían su campo de aplicación cotidiano), fueron compuestas con finalidad
didáctica, como introducciones a textos clásicos dirigidas a sus alumnos univer-
sitarios en Lovaina (excepción hecha del Fabula de homine). Tal práctica con-
taba con antecesores tan ilustres como Angelo Poliziano.37 No se deben desva-
lorizar como ejercicios retóricos.

En su plena madurez, ciertamente, el humanista valenciano continúa postu-


lando su amplio conocimiento como fundamental para la formación del adoles-
cente. En De disciplinis (2a, III, V-IX) J. L. Vives traza detalladamente las lí-

38
Juan Luis Vives, Opera Omnia, IV, p. 9.
37
J. IJsewijn señala como finalidad el intento de hacer más atractivo el comentario del texto en
cuestión a los estudiantes ("Vives and Humanistic Philology", Opera omnia, I, pp. 103-4).
Textos ficcionales de Vives 93
neas de un plan de estudios para jóvenes estudiantes (y universitarios) inte-
grado en un amplio proyecto de reforma cultural y educativa. En el tratado De
ratione dicendi, J. L. Vives desarrolla sistemáticamente una teoría de la narratio
y expone sus criterios sobre la legitimidad de la ficción según los géneros litera-
rios. Aquí, establece condiciones estrictas para la ficción poética y esboza un
programa de literatura de entretenimiento. Entre ambas fases del quehacer de
Vives mediaba la persecución inquisitorial de su familia38 y el enfriamiento de
su relación con Erasmo,39 su cambio de orientación hacia temas políticos y filo-
sóficos más graves.40 Con todo, las literaturas en lenguas románicas, aun cono-
ciéndolas a fondo, atrayeron menos su atención tal vez porque también en la
literatura hubiera causado estragos el general proceso de corrupción de las ar-
tes {De disciplinis, la, IV). Sin embargo, la intermitente voz del moralista no
llegó a apagar nunca su constante recomendación de la literatura.
Del análisis de su concepto y praxis de la ficción poética, se desprende que la
posición de J. L. Vives con respecto a la ficción literaria no dista tanto de la de
otros humanistas contemporáneos. Las publicaciones de los últimos años41 han
venido a confirmar la necesidad de insertar su pensamiento en el marco gene-
ral del humanismo de los siglos XV y XVI.42 Especialmente A. Kablitz ha reca-
bado en los numerosos testimonios que recoge B. Weinberg,43 ha documentado
ampliamente que la necesidad de legitimar la ficción constituye un lugar común
en la poetología del humanismo italiano y que su punto de arranque es el ca-
pítulo noveno de la Poética aristotélica.44 Según un criterio basado en la rela-
ción del texto con la verdad Aristóteles distingue entre el historiador y el poeta
( íaxopucóq / tcoit|tti<;: historia y poesía, res gesta y res ficta) y estipula, para la
poesía, el desarrollo lógico de la acción de acuerdo con una necesidad interna
y su verosimilitud.45 Tras sistematizar diversas posiciones características, A.

38
Ricardo García Cárcel, "La familia de Luis Vives y la Inquisición", en: Opera Omnia, I, pp. 489-
519.
39
Vid. Adolfo Etchegaray Cruz, "Vives según Erasmo de Rotterdam", en: Homenaje a Luis Vives
(Madrid 1977), pp. 113-119.
40
Valerio Del Nero, "Pedagogia e psicologia nel pensiero di Vives", en: Opera Omnia, I, pp. 179-
216 y Linguaggio e filosofia in Vives. L'organizzazione dei sapere nel "De Discipiinis (1531)'
(Bologna 1991).
41
Vid. C. G. Noreña, A Vives Bibliography (Lewiston-Quenston-Lampeter 1990) y, en particular,
Enrique González González, "Las lecturas de Vives, del siglo XIX a nuestros días", en: Opera
Omnia, I, pp. 1-76.
42
Vid. Enrique González, Joan Lluís Vives: De la escolástica al humanismo (Valencia 1987).
43
A History of Literary Criticism in the Italian Renaissance (Chicago 1961), 2 vols.
44
"Dichtung und Wahrheit - Zur Legitimation der Fiktion in der Poetologie des Cinquecento", en:
K. W. Hempfer (ed.), Ritterepik der Renaissance. Akten des Deutsch-Italienischen Kolloqui-
ums, Berlin 30.3.-2.4.1987 (Stuttgart 1989), pp. 77-122.
45
Aristoteles-Text
où t ò xà yevoueva Xéfeiv, xoùxo i t o i T i t o i epyov èaxlv, òXX' o í a à v yévoixo
O a v E p ò v [_.] ö x i
s a i Ta Suvaxà Ka xa xò EÌKÒC fi xò àvayicaìov. (Vid. Aristotelis de arte poetica liber; ed. R.
Kassel, Oxonii 1965, p. 15) (4151a 16-38).
94 Javier Gómez-Montero
Kablitz reconstruye una línea jalonada por S. Agustín (Soliloquiorum libri dúo),
Dante {Convivió), Boccaccio (Genealogie deorum gentilium libri) y G. Pontano
(De sermone libri sex) en la que, sin duda alguna, se engarzan las reflexiones de
J. L. Vives. Ya en estos autores se plantea una interpretación alegórica de la
fabula en la que la doctrina expresada justifica su carácter ficcional y permite
socavar el postulado aristotélico de verosimilitud de la composición poética:
por su condición alegórica, en la fábula poética, la ficción se supedita a la
verdad y la transmite. Este es también el fundamento de la legitimación de la
mentira poética en la argumentación de J. L. Vives quien, por tanto, hace
acopio de un criterio generalizado en los albores del humanismo y, asimismo,
válido para la literatura en lenguas romances.46 A la edición crítica del Veritas
fucata y del De ratione dicendi queda reservado el estudio de la nomenclatura
utilizada por J. L. Vives, su genealogía y la acepción precisa de los términos en
su contexto histórico, que se ajusta mayormente a la tradición humanista
vigente en su tiempo.47 Sería también necesario insertar las ideas expuestas en
el marco más general de las teorías contemporáneas sobre la ficción poética;
esa tarea, no obstante, excede los límites estrictos de la cuestión planteada en
el primer apartado. Baste reseñar un solo aspecto innovador, relacionado con
la repercusión de la praxis ficcional de Erasmo en J. L. Vives: el humanista
holandés había dejado no sólo una honda impronta en la literatura de ficción
en lengua castellana,48 sino también contribuido con su magisterio y sus
Colloquia, Adagio, Apophthegmatum libri y quizás también con su Laus
stultitiae,49 a conformar los elementos Acciónales observados en la obra de J. L.
Vives.

Otra fórmula que permite insertar elementos narrativos Acciónales es de ca-


rácter paremiológico. En el epistolario de J. L. Vives se pueden rastrear episo-
dios mitológicos y ejemplos históricos textualizados en la disertación según la
estructura de los apophthegmata y adagia. Baste aludir a la carta al Duque de

46
Vid. K. W. Hempfer, Diskrepante Lektüren: Die Orlando-Furioso-Rezeption im Cinquecento.
Historische Rezeptionsforschung als Heuristik der Interpretation (Stuttgart 1987), fundamen-
talmente el sexto capítulo ("Das Postulat einer 'tieferen' Bedeutung: Verfahren und Funktion
allegorischer Auslegungen", pp. 258-283).
47
P.ej., es significativo constatar una afinidad básica con la postura de Boccaccio quien defiende las
narraciones mitológicas de sus Genealogie deorum gentilium libri aludiendo a la doctrina que de
ellas se desprende "sub velamento fabuloso" (Libro XTV, capítulo IX. A. Kablitz especifica los
cuatro tipos de fabulae que Boccaccio distingue según su relación con la verdad: la fábula esó-
pica, las fábulas mitológicas y las de los comediógrafos y, por último, la "delirantum vetularum
inventio", completamente ajena a la verdad (vid. A. Kablitz, op. cit., pp. 87-90). Vid. G.
Boccaccio, Genealogie deorum gentilium, en: Opere in versi... A cura di Pier Giorgio Ricci
(Milano/Napoli 1965), pp. 956-965.
48
Las páginas de M. Bataillon, como visión de conjunto, siguen siendo las más completas sobre el
asunto (vid. op. cit., pp. 609-698).
49
Según E. Hidalgo la Fabula de homine ofrece una inversión irónica de la situación representada
en este escrito erasmiano (op. cit., p. 43).
Textos ficcionales de Vives 95
Béjar (al parecer posterior a 1531)60 en la que Vives prolijamente le relata una
"fabulam plané festivam" que "nuper senex quídam civitatis narravit mihi de
vitae somnio".51 El texto varía, situándolo en un marco realista, el argumento
básico de la Fabula de homine (la vida como comedia o sueño), articulado se-
gún la estructura narrativa de un cuentecillo tradicional.52 La legitimación teó-
rica del procedimiento, en aras de la eruditio, y por supuesto de la amenidad, se
halla expuesta en el De ratione dicendi (II, V I I ) y su conveniencia pedagógica
en De disciplinis (2a, III, VI).
Los escritos redactados por J. L. Vives entre 1514 y 1523 dan fe de cómo en
círculos humanistas españoles próximos a Erasmo, ya antes de que arreciara la
polémica sobre los libros de caballerías (en el caso de J. L. Vives, incluso antes
de su diatriba contra ellos en el De institutione feminae christianaé), se buscó y
practicó un modelo de literatura, entretenida e instructiva a la vez, que respon-
diese a las exigencias de la imaginación y del pensamiento humanos. La obra
propiamente literaria de J. L. Vives ofrece tempranos ejemplos de sus posibili-
dades de realización en el marco de la literatura humanista neolatina. Los de-
bates y discusiones se centraron pronto en la literatura escrita en castellano y
cuajaron a mediados de siglo en textos de la envergadura del Lazarillo de
Tormes y del Viaje de TurquíaEl afán de renovación afectó igualmente al gé-
nero novelesco como lo demuestra la difusión de la Historia Etiópica en toda
Europa a partir de 1534, ya antes traducida parcialmente al castellano por el
humanista Francisco de Vergara.54 Intentos de dignificación argumental, moral
y estilística mellaron incluso en los libros de caballerías. Así, el Baldo (1542)
incluye sentencias, ejemplos, moralidades, y se hace eco de la trama argumental
básica y de algunos episodios de la Eneida o la Farsalia y ofrece una
adaptación de dos Colloquia familiaria.55 El Caballero del Febo (1555)

50
Juan Luis Vives, Epistolario. Edición preparada por José Jiménez Delgado (Madrid 1978), p.
572.
51
Juan Luis Vives, Opera Omnia, VII, p. 144.
52 a
Sobre el alcance del procedimiento en la literatura castellana, vid. M Teresa Cacho Palomar
"Cuentecillo tradicional y diálogo renacentista", en: Formas breves del relato (Zaragoza 1986),
pp. 115-136, y J. Gómez-Montero, "Forma y función del relato intercalado en la estructura del
Viaje de Turquía (Estrategias narrativas y visión de la realidad en el diálogo erasmista)", en:
Claudio Guillén (ed.), El relato intercalado (Madrid 1992), pp. 77-88.
53
J. Gómez-Montero, "Diálogo, autobiografía y paremia en la técnica narrativa del Viaje de Tur-
quía. Aspectos de la influencia de Erasmo en la literatura española de ficción durante el siglo
XVI", en: RJb 36 (1985), pp. 324-347.
54
Francisco López Estrada, "Erasmo y los libros de pastores españoles", en: El erasmismo en
España. Ponencias del coloquio celebrado en la Biblioteca de Menéndez y Pelayo del 10 al 14 de
junio de 1985. Edición de Manuel Revuelta Sañudo y Ciríaco Morón Arroyo (Santander 1986),
pp. 457-478.
5 5 Bernhard König, "Transformation und Deformation. Vergils Aeneis als Vorbild spanischer und

italienischer Ritterdichtung" (Akademievortrag en Düsseldorf, 13.12.1989, en vías de publica-


ción, Opladen 1995) y Norbert Plunien, "Zwei Colloquia des Erasmus in einem spanischen
Ritterroman. Zu den Quellen und zur Struktur der Cingar- Vita des «Baldo», en: RJb 35 (1984),
pp. 240-257 (se trata de "Diversoria" y del "Convivium fabulosum").
96 Javier Gómez-Montero
constituye otro ejemplo de imitación de modelos clásicos y de intencionalidad
filosófico-moral en un texto caballeresco de la época.56
Crítica, teoría y praxis literaria se aúnan en la dilatada obra de Juan Luis Vives.
La complejidad de su pensamiento y su espiritualidad57 se manifiesta en la
múltiple perspectiva desde la que afronta la lectura y el estudio del texto litera-
rio sea como filólogo, como pedagogo o como escritor. De ello da buena
prueba su matizada posición ante la ficción poética. Sus aparentes contradic-
ciones, su ambigüedad, bien pueden valer de estímulo y aliciente que atraigan
hoy en día la atención hacia su persona y sus escritos. Este rasgo de la perso-
nalidad y de la obra del humanista valenciano (el enigma Vives) sigue cau-
tivando la curiosidad intelectual y, por lo menos en mi caso, ha despertado la
excitación que suele acompañar a la seducción.

56
Karl Kohut, "Humanismo y novelas de caballerías. Algunas razones para leer una despreciada
novela de caballerías", en: Ibeiotomania 10 (1979), pp. 63-76.
57
Vid. Antonio del Mestre, "La espiritualidad de Juan Luis Vives", en: Opera Omnia, I, pp. 409-
459.
Juan Luis Vives, 'De anima et vita' im Kontext des
spanischen 16. Jahrhunderts

Gerhard Poppenberg (Berlin)

Im scholastischen Fächerkanon wurde die Seele als ein Teil der Physik behan-
delt. Dort gilt Knebels fulminant pointierte Diagnose: "Seele ist, scholastisch,
ein Wort ohne Aura."1 Für ein derartiges reichlich banausisches Konzept ist sie
lediglich als natürliche Seele von Belang und gilt - aristotelisch - als Form des
Körpers, als die sie allerdings nicht sonderlich auratisch ist. Die gewissermaßen
übernatürliche Seele dagegen ist das sehr wohl. Als solche wird sie nicht de
anima verhandelt, sondern im Umfeld trinitarischer Theologie: als vestigium
trinitatis. In der frühen Neuzeit aber vor allem in den Texten einer spirituellen
Seelenkunde, die nicht in erster Linie die Erkenntnis ihres Gegenstands zum
Ziel hat, sondern diese lediglich zur Voraussetzung nimmt, um ihre tieferge-
hende Absicht: die Seelenführung verwirklichen zu können. Der spirituellen
Psychagogik ist die Kenntnis der Seele die Bedingung für deren Diszi-
plinierung. Deshalb hat sie vom augustinischen Anfang an einen stark mo-
ralischen Akzent: die Orientierung an der Instanz der Willenskraft ist über-
deutlich. Das gilt zumal für die spanische Spiritualität. Einerseits mag das dar-
auf zurückzuführen sein, daß im frühen 16. Jahrhundert eine Reihe von Fran-
ziskanern: Alonso de Madrid, Francisco de Osuna, Bernardino de Laredo der
Spiritualität die Richtung vorgegeben und diesen Akzent besonders betont ha-
ben. Andererseits aber hat das seine tieferen Gründe in der christlichen Kon-
zeption der Seele selbst und der Ausgestaltung der Seelenkunde seit Augusti-
nus. Die spanische Spiritualität ist in dieser Hinsicht die getreue Verlängerung
einer Tradition, der sie in der Diskursformation spanische Mystik vielleicht die
deutlichste und konsequenteste Gestalt gegeben hat, was darzustellen einer
größeren Untersuchung vorbehalten bleibt.

Als Beleg mag hier lediglich ein einziger Text dienen, dessen Konzeption in die
zwanziger Jahre zurückreicht, dessen endgültige Redaktion um 1540 stattfand
und dessen Wirkungsmächtigkeit notorisch ist: die Geistlichen Übungen des
Ignatius von Loyola.2 Die Übungen werden nach Maßgabe von zwei dramatur-
gischen Brennpunkten vollzogen: der Meditation des Sündenfalls und der des
Lebens und vor allem der Passion Christi. Ziel der Übungen ist es, den Willen

1
Sven K. Knebel, "Scientia de Anima: Die Seele in der Scholastik", in: G. Jüttemann, M. Sonntag,
Ch. Wolf (Hg.), Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, Weinheim (Psychologie Ver-
lagsunion) 1991, S. 123-141.
2
Ignacio de Loyola, Obras completasj hg. v. I. Iparraguirre, S. J. und C. de Dalmases, S. J., Madrid
(Biblioteca de autores cristianos) 1982, S. 169-303; Zitate werden jeweils mit der laufenden
Nummer und der Seitenzahl im Text belegt.
98 Gerhard Poppenberg
des Exerzitanden derart zu orientieren, daß er zu der Entscheidung fähig ist,
um derentwillen er die vorbereitenden Übungen vollzogen hat:
preparar y disponer el ánima, para quitar de sí todas las afecciones desordenadas, y
después de quitadas para buscar y hallar la voluntad divina en la disposición de su vida
para la salud del ánima (1,207).

Die Seele soll disponiert werden, mit dem Willen Gottes in Einklang zu gelan-
gen. Ziel der Übungen ist die Zurichtimg des Willens, die im Aufgeben des
Eigenwillens besteht, was das Aufgehen im göttlichen Willen bedeutet. Die
Übungen verwandeln den Eigenwillen des Exerzitanden in Einwilligung in den
Willen Gottes:

ofreciéndole todo su querer y libertad, para que su divina majestad, así de su persona
como de todo lo que tiene, se sirve conforme a su sanctíssima voluntad (5,208).

Die Übungen vollziehen sich in vier Zeittakten, den vier Wochen, denen vier
inhaltliche Momente entsprechen. Als Grundlage dient die ausführliche Be-
trachtung des Sündenfalls; die anderen Momente bilden die Betrachtung von
Leben, Leiden und Auferstehung Christi. Die spezifische Situation des einzel-
nen Exerzitanden wird so mit den entscheidenden Stationen der Heilsge-
schichte gekoppelt und auf diese Weise als wandelbar deutlich. Die
Einwilligung in den Willen Gottes ist die Form dieser Verwandlung. Die Be-
trachtung des Falls vollzieht sich in mehreren Schichten. Die Erinnerung an
den Engelsturz zeigt, daß diese, "criadas en gracia", aber "veniendo en superbia,
fueron convertidos de gracia en malicia" (50,222); die weiteren Ebenen sind der
Sündenfall Adams sowie die Todsünde im allgemeinen. Die zweite Meditation
hat die eigenen Sünden des Exerzitanden zum Gegenstand. Die Übungen sind
also derart organisiert, daß sie den einzelnen typologisch in die heilsgeschicht-
liche Konstellation einfügen: Exerzitand - Todsünder - Adam - Satan. Diese
Übung wird zweimal wiederholt, was ihre strategische Funktion deutlich macht;
den Abschluß bildet eine Meditation über die Hölle (65-71,226).

Damit wird auch deutlich, daß dem Ziel der Übungen, der Einwilligung, gehö-
riger Widerstand entgegensteht, und weiter, woher dieser seine Energie be-
zieht: der Eigenwille ist die satanische Potenz schlechthin und wird beständig
von den teuflischen Mächten gespornt; seine Form ist die superbia, die eigen-
willige Überhebung des Hochmuts: "no se queriendo ayudar con su libertad
para hacer reverencia y obediencia a su Criador y Señor" (50,222). Dieser an-
fängliche Widerstreit wird in den Übungen, die damit einen zutiefst psychoma-
chischen Charakter erhalten, noch einmal typologisch ausgetragen, dabei aber
durch die folgende Meditation der Passion Christi, die der Exerzitand durch
die Bewegimg einer imitatio Christi in sich nachvollzieht und der er sich gera-
dezu anverwandelt, in seiner heilsgeschichtlichen Wirkung umgekehrt: der an-
fänglichen Konversion von gracia en malicia entspricht die der Übungen als ei-
ner von malicia en gracia. Das Psychomachische erhält eine Konkretion durch
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 99

den für die zweite Übungswoche emblematischen Vergleich des rey eternal mit
dem rey temporal, dessen Wille es ist, "de conquistar todo el mundo y todos los
enemigos" (95,232). Die meditación de dos banderas konzentriert das auf die
maßgebende Feindschaft: "la una de Christo, summo capitán y señor nuestro; la
otra de Lucifer, mortal enemigo de nuestra humana natura" (136,238); dieses
psychomachische Urszenario wird im folgenden ausführlich entfaltet (137-
48,239/40; vgl. 329-36,282/3). Die Hauptschwierigkeit dabei sind die "astucias
del enemigo de natura humana" (7,209), deren Form die Täuschung ist, indem
er nicht offen als Feind auftritt, sondern sich als Freund tarnt: "commünmente
el enemigo de natura humana tienta más debaxo de especie de bien" (10,209).
Das damit sich stellende Problem, wie das scheinbare Gute vom wahren Guten
zu unterscheiden ist, bildet eines der Hauptprobleme der spanischen Spiri-
tualität des 16. Jahrhunderts und ist ein weiterer Grund für deren Moralisie-
rung, denn der Wille ist in der traditionellen Anthropologie das Vermögen des
Guten, so daß, wenn dieses zweifelhaft wird, die für es zuständige Instanz ins
Zentrum der Aufmerksamkeit rücken muß. Die Prozedur der Übungen wird
durchgemacht, um eine Entscheidung - existenzieller Art (14/5,210) - zu tref-
fen; die Vorbedingung dafür ist die Entscheidung - als Kampf - zwischen Gut
und Böse, Gott und Teufel. Sie wird im Exerzitanden als innerer Kampf in
Form von tres pensamientos en mí ausgetragen:

uno proprio mío, el qual sale de mi mera libertad y querer, y otros dos que vienen de fuera,
el uno que viene del bien espíritu y el otro del malo (32,217).

Das auffällige Bild der Waage (15,210;179,247), das den Gleichgewichtszustand


der zu erreichenden Indifferenz verdeutlicht, könnte in diesem psychomachi-
schen Zusammenhang allerdings auch implizieren, daß die Entscheidung des
Kampfs in einer Pattsituation besteht.
Jede buena elección ist ein Mittel für das letzte Ziel: "alabanza de Dios nuestro
Señor y salvación de mi ánima" (169,244); alles Irdische ist in bezug auf dieses
Ziel zu wählen - eine Opposition analog zur augustinischen von uti und frui:
fruitio gibt es nur in bezug auf das summum bonum, Gott selbst; alles andere ist
dazu ein Mittel und insofern nur als ein solches zu gebrauchen. Die erste Form
der Wahl ist eine unmittelbare; sie bildet offenbar das Ideal, da ohne allen
Eigenwillen vollzogen:
quando Dios nuestro Señor así mueve y atrae la voluntad, que, sin dubitar ni poder dubi-
tar, la tal ánima devota sigue a lo que es mostrado (175,246).

Maß dieser Wahl ist Zweifellosigkeit, denn Zweifel ist das Zeichen, daß noch
zwei Willen im Streit liegen, der innere Widerstreit nicht zu Ende ausgefochten
und der Zustand der Indifferenz nicht erreicht war. Als Beispiel dient die Be-
rufung des Matthäus, der ohne zu zögern Jesus nachfolgt, und, deutlicher noch,
das Damaskuserlebnis des Paulus. Die zweite Form der Wahl ist etwas ratio-
naler, aber ebenfalls ziemlich unmittelbar:
100 Gerhard Poppenberg
quando se toma asaz claridad y cognoscimiento por experiencia de consolaciones y dessola-
ciones, y por experiencia de varios espíritus (176,246).

Die dritte Form schließlich geht diskursiv und abwägend vor, indem zunächst
die potencias naturales zum Ausgleich gebracht werden:
hallarme indifferente [...] de manera que no esté más inclinado ni affectado a tomar la cosa
propuesta que a dexarla, ni más a dexarla que a tomarla; mas que me halle como en medio
de un peso (179,247).

Der Zustand gleichgewichtiger Indifferenz ist die Ausgangssituation, damit der


göttliche Wille den Ausschlag geben kann; was dann von den seelischen Instan-
zen lediglich noch ratifiziert wird:
pedir a Dios nuestro Señor quiera mover mi voluntad y poner en mi ánima lo que yo debo
hacer [...] discurriendo bien y fielmente con mi entendimiento y eligiendo conforme su
sanctíssima y beneplácita voluntad (180,247).

Das discurrir und raciocinar a todas partes vollzieht sich so idealerweise nach
Maßgabe der Bewegung des Willens durch Gott selbst. Die dergestalt von Gott
empfangene Wahl wird ihm dann im letzten Schritt, da ja um seinetwillen
vollzogen, zurückgegeben: "ofrescerle la tal elección para que su divina majes-
tad la quiera rescibir y confirmar" (183,246). Die Struktur der Wahl ist in den
drei Fällen die gleiche: der Wille ist dergestalt zuzurichten, daß er nicht sich
selbst, sondern Gott ihn bewegt; daß er mit dem göttlichen Willen in Einklang
steht und in diesen einwilligt.
Die so vollzogene Bewegung ist die der Liebe:
el amor consiste en comunicación de las dos partes, es a saber, en dar y comunicar el
amante al amado lo que tiene o lo que tiene o puede, y así, por el contrario, el amado al
amante (231,257).

Die erstaunliche Insistenz auf der Gegenseitigkeit der Bewegung, die schon bei
der Wahl als Empfang und Rückgabe deutlich wurde, und die aufs ganze gese-
hen geradezu einen Umgang inter pares impliziert, hat wohl ihr Motiv in der
christozentrischen Konzeption des ignatianischen Entwurfs. Die Inkarnation ist
das Moment, das Gott dem Menschen gleichmacht und damit umgekehrt den
Menschen Gott. Ökonomisch ist das ein Vorgang gegenseitiger Hingabe, die in
einer jeweils vollständigen Verausgabung besteht. Wie Christus sich am Kreuz
geopfert hat, so vollzieht der Exerzitand das Selbstopfer seines Eigenwillens:
Nicht mein, sondern dein Wille geschehe - das ist als höchste Form der imitatio
Christi das Modell für die Begegnung zwischen Gott und Mensch.
Tomad, Señor, y recibid toda mi libertad, mi memoria, mi entendimiento y toda mi volun-
tad, todo mi haber y mi poseer; vos me lo distes, a vos, Señor, lo torno; todo es vuestro,
disponed a toda vuestra voluntad; dadme vuestro amor y gracia, que esta me basta
(234,258).
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 101
Was die Opferung des Eigenwillens bedeutet, zeigt die unbedingte Gehor-
samsforderung als Motor der ignatianischen Psychagogik.
Debemos siempre tener, para en todo acertar, que lo blanco que yo veo, creer que es ne-
gro, si la iglesia hierárchica assí lo determina, creyendo que entre Christo nuestro Señor,
esposo, y la Iglesia su esposa, es el mismo espíritu que nos gobierna y rige para la salud de
nuestras ánimas, porque por el mismo Spíritu y Señor nuestro, que dio los diez Manda-
mientos, es regida y gobernada nuestra sancta madre Iglesia (365,289).

Die Ebenen des einzelnen, der Kirche und Gottes in der Gestalt Christi sind
durch den Geist miteinander korreliert. Dieser konzeptuelle Zusammenhang
ist Garant der - höheren - Wahrheit, der gegenüber das eigenwillig Partikulare
untergeordnet bleibt und geopfert werden muß. Die Gehorsamsübung ist
Heilmittel gegen den Stolz. Diese Konfiguration macht die psychagogische
Spiritualität des spanischen 16. Jahrhunderts aus.
Die Konstellation aus heilsgeschichtlicher Orientierung und Akzentuierung des
Willens in der spirituellen Führung ist nachgerade typisch: der Sündenfall bil-
det Fundament und Prinzip der Seele als sittlicher Instanz; und die Koppelung
von Sittlichkeit und Willenskraft bildet den zweiten Schritt in diesem Vorgang
der Moralisierung der Seele(nkunde), der das psychomachische Schema die
allegorische Form gibt. Eine solche Akzentuierimg findet sich zur gleichen Zeit
auch mehr oder weniger stark ausgeprägt in den weltlichen Abhandlungen zur
Seelenkunde, die nicht unmittelbar der scholastischen Formation der Traktate
de anima angehören.3 Der Unterschied markiert sich bereits im Titel: man ver-
handelt de anima et vita. Im Sprachgebrauch der Zeit ist dieses de vita synonym
mit de moribus. Damit wird der Komplex der Seele in den Zusammenhang ge-
stellt, der seit der Antike in der Ethik verhandelt wird, so daß eine Abhandlung
de anima et vita neben der Seele auch vom Ziel der Ethik, dem summum
bonum handelt und wie es zu erlangen ist. Nun ist die rationale Seele das
höchste menschliche Vermögen, weshalb die Frage nach dem höchsten
menschlichen Ziel an dieses höchste Vermögen zu binden ist. Deshalb ist die
Kenntnis der Seele die Grundlage für die ethische Frage.

Das sind die Koordinaten, innerhalb derer die 1538 in Basel gedruckte Ab-
handlung De anima et vita von Juan Luis Vives als moralpsychologischer Trak-
tat zu lesen ist.4 In der Praefatio stellt Vives die Untersuchung deutlich in eine
3
Selbst ein anatomisches Handbuch stellt sich in diese Konstellation: Der fast ausschließlich aus
den anatomischen Tafeln bestehenden Ausgabe Amsterdam 1642 De humani corporis fabrica
epitome des Andreas Vesalius ist eine Abbildung von Mann und Frau als Adam und Eva voran-
gestellt: der Mann hält den Apfel in der linken Hand, die Frau die rechte Hand vor ihre Scham;
zwischen beiden am Boden ein Schädel, aus dem die Schlange sich ringelt.
4
Ioannes Lodovicus Vives, De anima et vita. Riproduzione in fototipia con nota introduttiva a
cura di M. Sancipriano, Torino (Bottega d'Erasmo) 1963. Hermann Schilling verzeichnet acht
Ausgaben bis 1596 und eine weitere 1663. Vgl. Hermann Schilling, Bibliographie der psychologi-
schen Literatur des 16. Jahrunderts, Hildesheim, Olms, 1967 und Hermann Schilling, Bibliogra-
phisches Handbuch zur Geschichte der Psychologie des 17. Jahrhunderts, Giessen
(Universitätsbibliothek) 1964.
102 Gerhard Poppenberg
solche Perspektive: die "speculatio de affectibus" ist "fundamentum universae
moralis disciplinae". Deshalb zielt die Abhandlung nicht auf die Essenz oder
Substanz der Seele: "Anima quid sit, nihil interest nostra scire." Vielmehr geht
es um ihre Handlungen, und zwar vor allem "de actionibus ad compositionem
morum: ut vicio depulso, virtutem sequamur" (39), was in seiner Schlichtheit
zunächst gerade so hilfreich ist wie der Hinweis im Kapitel über den Gesichts-
sinn, daß man bei schlechten Augen mit Nutzen eine Brille trage (19). Für die
compositio morum eignet dem Menschen eine spezifische Fähigkeit, die
"facultas [...] boni expetendi, ut bono se cupiat aplicare, atque adiungere". Das
ist der Wille, der allerdings, um seine Funktion auszuüben, einer zweiten Fä-
higkeit bedarf: "Non expetet autem, nisi intelligat." Der Intellekt leitet den Wil-
len durch seine Einsichten. Weil aber die so bereitgestellten Daten wechseln,
ist ein receptaculum als Speicher notwendig, ein thesaurus rerum absentium, das
Gedächtnis. Das sind die drei Seelenkräfte, wie sie im Gefolge des augustini-
schen Trinitätstraktats traditionellerweise angenommen wurden; in ihnen
"relucet imago divinae trinitatis, sicuti a sanctis patribus demonstratum est"
(50). Problematisch wird das Zusammenspiel dieser drei Seelenpotenzen im
Verhältnis von Intellekt und Willen. Idealerweise gestaltet es sich so, daß jener
"censet, statuit, iudicat quid verum, quid falsum, quid bonum, quid malum",
woraufhin der Wille

quod est bonum, asciscit: quod malum repellit. [...] voluntas enim nihil sequitur, aut fugit,
quod iudicium non censuerit prius bonum esse aut malum (51).

Eine Hauptschwierigkeit in diesem Verhältnis entsteht nun daraus, daß das


Gute nicht offen zu Tage hegt. Bei den Tieren ist das Gute offenkundig:
"nempe in corpore: nostrum in mente ocultum". Deshalb müssen wir es "in
tenebris" aufspüren. Das hat seinen Grund darin, daß unsere Seele nicht nur
für das Gute und Schlechte, sondern auch für das Wahre und Falsche zuständig
ist, weshalb sie in ratio speculativa und ratio practica aufgeteilt ist; letztere zielt
auf das Gute und spielt damit eine Rolle für den Willen: "transit ad voluntatem"
(66). Der Untersuchung de anima et vita geht es um die Konstellation von
praktischer Vernunft und Willen im Verhältnis zum Guten. Die tenebrae, die
den Zugang zum Guten erschweren, sind durch scelus, das Verbrechen des
Sündenfalls entstanden: "menti nostrae magnas et densissimas nebulas scelus
offudit". Allerdings sind in uns "reliquiae tanti boni" geblieben, was die Theolo-
gen als Gewissen, "iudicatorium naturale" und "lux mentis" bezeichnet haben
(67). Zwar ist diese natürliche moralische Instanz vom Sündenfall einiger-
maßen unbeschadet geblieben, aber wenn es um die rationale Beurteilung des
Guten geht, ist die Irrtumsfähigkeit fundamental. Dem Urteilsvermögen
widerfährt, daß es "ob ingenii nostri tenebras saepe fallitur", so daß es für eine
gute Argumentation hält, was tatsächlich eine schlechte ist. Sogar "post rectum
exactumque discursum" kann das Urteil durch solchen Nebel beeinträchtigt
werden, "qua iudicium hallucinatur, aliudque pro alio sumit" (75). Die
humoralpathologische Erklärung dieser Zusammenhänge ist wenig diffe-
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 103
renziert; vermutlich weil die schlecht temperierten Säfte lediglich die aktuelle
Ursache für die beeinträchtigenden Nebel sind, deren wirklicher Grund der
Sündenfall ist.
Die letztlich entscheidende Instanz ist der Wille. Als Vermögen des Guten ist
er es, "qua bonum expetimus, malum aversamur, duce ratione". Die voluntas ist
so zwar domina und "omnium imperatrix, sed per se nihil habet lucis"; Licht er-
hält sie von der ratio, die ihr als consultrix ductrixque beigegeben ist, "non ut re-
gat aut torqueat, sed ut dirigat, et meliorum admoneat". Der Wille erstrebt und
vermeidet nichts, das ihm nicht zuvor von der Vernunft gezeigt worden wäre;
so ist er zwar die Instanz der Entscheidung, aber nach Maßgabe der Vernunft.
Für die Handlung gilt, daß sie gewissermaßen "a ratione gignitur, a voluntate
paritur. Magistra est igitur, et praeceptrix voluntatis ratio, non domina." Weil
diese magistra - wegen der Nebelbildung und da überdies alles Gute hienieden
nur relativ ist und es kein absolutes Urteil über es gibt - grundsätzlich irr-
tumsanfällig ist, kann sie falsche Ratschläge geben; das ist der eine Grund für
die fundamentale Fehlbarkeit der menschlichen Handlungen. Der andere liegt
in der Freiheit des Willens: er handelt "quasi sui iuris ac mancipii". Seine Frei-
heit besteht darin, etwas Gutes wollen oder nicht wollen zu können; etwas
Schlechtes oder Böses hingegen kann er nur meiden, nicht wollen, da er als
Vermögen des Guten nur dieses wollen kann. Allerdings kann er etwas
Schlechtes oder Böses "sub specie boni" wollen, wenn die "magistra" sich in
ihrem Urteil irrt und ihm einen schlechten oder falschen Rat gibt (98). Weiter-
hin kann er etwas einmal für gut Befundenes und von der Vernunft Abgeseg-
netes aufgeben und etwas Besseres suchen; wenn etwas anderes "faciem prae se
fert boni aliquam", kann sich der Wille bereits anders entscheiden und "huc
sese flectere", ja aus dem bloßen Verdacht, "ex sola suspiciuncula", es könnte
besser sein (99). Der Wille ist jederzeit versuchbar und seine Entscheidung
irrtumsfähig; darin liegt seine Freiheit und seine Gefahr.

Die Affektenlehre des dritten Teils ist der Ausbau der Psychologie in prakti-
scher Hinsicht: als Moral über dem Fundament der Potenzenlehre. Dabei stellt
sich die Problematik analog zu der bei den Potenzen. Die Affekte sind die Be-
tätigungen der "facultas boni", "quibus ad bonum ferimur vel contra malum"
(146). Jede Handlung geschieht "boni causa", um des Guten willen; darin sind
die Menschen "similes Auctoris nostri, qui est optimus". Problematisch auch
hier, daß "in boni electione, magni nos in vita errores versant" (145), denn die
"caeca ignorantia" nimmt nicht so sehr das Gute, das "revera tale est", sondern
das, was "sibi esse iudicat" (146). Erschwerend kommt für die Affekte hinzu,
daß sie nicht nur durch Urteile, sondern auch durch Imaginationen angeregt
werden. Weiter beeinflussen die "temperationes corporis" die Affekte, die all-
gemeine Anlage eines Menschen, die klimatischen Verhältnisse, der Wechsel
der Jahreszeiten, der Tageszeiten, der Stimmungen, ja selbst der Kleidung
(149). Wenn so nachgerade alles Einfluß auf die Affekte hat, ist offenkundig,
104 Gerhard. Poppenberg
daß sie oft ohne Vernunfturteil handeln, wodurch die Irrtumsfähigkeit noch
vergrößert wird.
Der vivesianische Mensch ist ausgestattet mit einer Fähigkeit zum Guten und
kann eigentlich nur das Gute wollen. Er kann sich aber irren bei dem, was er
für das Gute hält; Erkenntnis- und Urteilsvermögen sind fehlbar. Deshalb gilt
ihm, obwohl es nur ein Gut: das summum bonum gibt, verschiedenes als gut,
was dann, wenigstens teilweise, schlecht sein muß. Die Irrtumsfähigkeit hat ih-
ren Grund im Sündenfall und wird aktuell durch die komplexe Komposition
des Menschen verstärkt: er ist nicht nur rational, sondern auch imaginativ und
sinnlich; bei der Urteilsfindung spielen diese Momente konfliktiv ineinander.
So sind die Affekte verwirrbar und verwirrend; deshalb handelt Vives, wenn er
de vita, das heißt de moribus verhandelt, von den Affekten.
Wenn das abschließende Kapitel die superbia als letzten Affekt verhandelt, be-
legt das noch einmal die Orientierung der angedeuteten Moralisierung der Psy-
chologie am Sündenfall. "Superbia tumor est animi"; als solcher aufgeblasener
Hochmut ist sie die Wurzel einer verblendeten Selbstliebe: "is enim, ut ad-
mistus ignorantia, excaecatur, efficitque ut quisque sibi videatur optimus" (258).
Die Überhebung ist die des Sündenfalls:
Nihil aliud expetit superbus, ac Dei similitudinem aliquam: non utique quod ad bonitatem
pertinet, sed quod ad potentiam et magnitudinem (259).

Solche superbia ist der satanische Affekt schlechthin. Das ist sie aber nicht von
Natur aus, vielmehr ist sie durch den Sündenfall dazu geworden. Sie ist also
nicht von sich aus ursächlich für den Fall, sondern mit ihm entartet: sie hat
offenbar aliud pro alio genommen; die falsche Intention auf Dei similitudinem
hat sie zu Aufgeblasenheit und Hochmut verkommen lassen, indem sie statt
Güte Macht erstrebt hat.5 Der anfängliche Stolz war keineswegs ein Übel, son-
dern das Gefühl und Bewußtsein, von ausgezeichneter Herkunft und deshalb
auch höchster und wahrer Güter würdig zu sein.
Verum prolapsus in ignorantia, longissime illinc discessit ad cupiditatem vilium rerum, ac
vanissimarum: quae appellavit bona, et pro aeternis illis substituit (264).

Der Ursprung des Bösen ist jedenfalls für Vives deutlich an den Austausch-
und Verwechslungsvorgang eines aliud pro alio substituere gebunden. Die
Frage, wie es zu dieser anfänglichen Verwechslung hat kommen können, die
den guten Stolz in schlechten und bösen Hochmut hat innkippen lassen, und

5
Wenn in der frühen Fabula de homine die apotheotische Kraft der Nachahmung Gottes als ein
Akt der Selbstermächtigung des Menschen lesbar ist, wie der Beitrag von Sebastian Neumeister
in diesem Band zeigt, dann läßt sich die späte Differenzierung zwischen Güte und Macht als eine
Absage an solche Selbstermächtigung fassen. Die von Neumeister angedeutete christologische
Perspektive hat das 16. Jahrhundert zunehmend deutlicher an der Nachahmung des absolut
entmächtigten Gekreuzigten orientiert: die dunkle Nacht des Johannes vom Kreuz läßt sich das
Maß der imitatio Christi durch das elilama sabachthani vorgeben.
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 105
weiter, warum das Streben nach Dei similitudinem, sofern es auf die Güte zielt,
selbst gut, sofern es aber auf die Macht zielt, schlecht und böse ist und gera-
dezu der Ursprung des Bösen, wird von Vives nicht mehr verhandelt.
Die Implikationen der Abhandlung von Vives verdeutlichen sich, wenn man sie
mit dem Teil über die Seele in der 1554 zuerst in Löwen erschienenen Natur-
philosophie von Sebastián Fox Morcillo (1526/8-1560) vergleicht.6 Das fünfte
Buch handelt von der Seele, weist ihr also den traditionellen Ort am Ende der
Naturkunde zu, gibt allerdings gleich einleitend zu bedenken, daß sie als Ge-
genstand der Untersuchung nicht ausschließlich der Physik zukomme, insofern
"a corporis essentia diversa est anima", weshalb sie zwischen Physik und Theo-
logie anzusiedeln ist. Jene handelt von der körperlichen Natur, diese von
"experte corporis natura"; von "rei partim corporeae, partim incorporeae
magnitudine" handelt die Mathematik, die deshalb wissenschaftssystematisch
für den Zwischenstatus der Seele zuständig ist (V,1,390/1). Die so sich andeu-
tende mathematische Psychologie verwirklicht Fox Morcillo - wie später
Spinoza in der Ethik - durch sein methodisches Vorgehen more geométrico:
vorangestellte Axiome, Definitionen und Hypothesen geben das argumentative
Gerüst.7

Die menschliche Seele besteht aus fünf Teilen, dem vegetativen, appetitiven,
sensitiven, motorischen und rationalen (V,4,420). Die rationale Seele besteht
ihrerseits wiederum aus drei Teilen: intellectus, memoria, voluntas, wodurch
"Augustinus similitudinem Dei homines habere inquit". Der augustinische
Seelenternar ist zeitgenössisches Gemeingut. Fox Morcillo verwendet ihn aller-
dings fast ausschließlich nominell: das Gedächtnis wird faktisch als einer der
inneren Sinne neben dem sensus communis und der imaginatio abgehandelt
(V,15,512); und auch der Wille erhält einen Großteil seiner inhaltlichen Be-
stimmung im Zusammenhang der appetitiven Seele, wo er gefaßt wird als
"appetendi facultas cum ratione coniuncta" (V,17,543). Im Zusammenhang der
rationalen Seele aber wird dann deutlich, daß diese Rationalität des Willens
sich maßgeblich von der Instanz des Intellekts her bestimmt.
Der Intellekt wird unterteilt in einen praktischen und einen spekulativen; jenem
kommt die moralische Unterscheidung von Gut und Böse als Zurichtimg für
die Tat, diesem die philosophische Unterscheidung von Wahrem und Falschem
als Zurichtung für die Erkenntnis zu (V,23,610). Insgesamt nennt er den Intel-
lekt "animae rationalis partem praecipuam, a qua et ipsa anima et homo nomen
sortiatur rationalis" (V,24,614). Von den Erkenntnissen des Intellekts sind die
beiden praecipuae die Quellen der gesamten Philosophie: "Una est, qua bonum

Sebastiani Feudi Motzilli Hispalensis de Naturae Philosophia, seu de Piatonis et Aristotelis con-
sensione, Libri V, Wittenberg 1589. Robert Lueben, Sebastian Fox Morcillo und seine Natur-
philosophie, Bonn (Peter Haustein) 1914, S. 5, gibt bis 1622 acht Ausgaben an.
7
Zur neuplatonischen Herkunft der Zuordnung von Seele und Mathematik vgl. R. Lueben,
a.a.O., S. 29,30 und 95.
106 Gerhard. Poppenberg
malumque discernimus natura duce, altera, qua verum ac falsum." Diese zielt
auf Erforschung und Betrachtung des Wahren, jene ist "virtutum ac vitiorum et
actionum omnium radix" (V,24,617). Damit hat er alle entscheidenden Fragen
der Philosophie vom Intellekt abhängig gemacht. Der Wille ist, entsprechend
der vorherigen Bestimmung "rationalis animi appetitus, quo libere quidquid in
nobis est, volumus". Die Willenskraft entspricht also im wesentlichen dem
"appetitus" der animalischen Seele, mit dem Unterschied, daß sie "libera est ad
agendum quidquid vult, vel ad non agendum" (V,25,625). Das quidquid vult
aber ist, wie die vorherigen Ausführungen dargelegt haben, maßgebend an den
intellektiven Teil gebunden: die Willenshandlungen sind so erst im abge-
leiteten, wirklich praktischen Sinn - ad agendum - sittlich von Belang: die
Entscheidung über Gut und Böse fällt der Intellekt. Zwar gehört zum Willen
auch die Wahl; die aber wählt einerseits fast nichts weiter als das Wollen: "est
posita in discernendis dignoscendisque iis, quae a voluntate expetuntur"; und
andererseits ist sie, sofern sie inhaltlich relevant wird, fast schon wieder eher
dem Intellekt zuzuschlagen:
Nam voluntas quidem est finis expectatio: electio vero consultatio de iis, quae ad finem
pertineant. Et idcirco intellectui electio videtur adiugenda, ut media inter illum et volun-
tatem.

Die Freiheit des Willens und seine faktische Wahl liegt darin, daß er "modo
enim imaginationem, modo rationis iudicium sequitur". Folgt er der imaginatio,
gilt: "in vitia et affectiones multas incidat necesse est: si vero rationem, minime."
Die imaginatio gehört aber zur körperlichen Natur und ist deshalb für die
Unterscheidung von Gut und Böse nicht zuständig, weshalb sie in dieser Hin-
sicht nicht maßgebend sein kann.
Ex hoc voluntatis libera propensione in utranque partem, et imaginationis ad malum
proclivitate, mentisque ad bonum, repugnantia illa rationis cum appetitu nascitur: in qua
virtus animi cernitur, aut vitium (V,25,628).

Die moralische Handlung hat auch hier tendenziell psychomachischen Cha-


rakter: der Widerstreit ist der von maßgebender Vernunft und ausführendem
Willen, wobei dieser inhaltlich eher appetitiv bestimmt wird, so daß das bellum
intestinum zur "repugnantia illa rationis cum appetitu" wird. Der Wille wird
deutlich depotenziert in bezug auf seine Rationalität. Er ist propensiv und auf
Information angewiesen. Fox Morcillo will offenbar das sittliche Vermögen,
wenn es denn schon in der Seelenkunde verhandelt werden muß, dem Intellekt
vorbehalten wissen. Die Differenz von guter und schlechter Neigung des Wil-
lens ist die von Intellekt und Imagination - was letztlich heißt: Körper - als
maßgebender Instanz. Der Wille bleibt zwar nominell frei, und die Abhandlung
über das liberum arbitrium bildet den Abschluß der Untersuchung, aber mehr
als jene Propensionsfreiheit kommt nicht heraus:
ut voluntas est menti adiuncta, ita liberum arbitrium, et ut illa imaginationem sequi, aut ra-
tionis consilium potest, sie etiam istud (V,26,629).
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 107
Die angedeutete Moralisierung der Seelenkunde zeigt sich auch bei Juan
Huarte am Ende des Jahrhunderts, und das um so deutlicher, als auch Huarte
die Willenskraft als seelische Instanz fast vollständig reduziert, zugleich aber
seine Ausführungen über die Seele von Anfang an auch zu Ausführungen über
die Grundfragen der Sittlichkeit macht. Das Proemio al lector von 1575 beginnt
mit einer Evokation des Sündenfalls, was nicht, wie der Herausgeber Serés
durchweg meint, ein Zugeständnis an die Mächte des Zeitgeists ist, sondern
eine grundsätzliche Orientierung seines gesamten Konzepts vom Menschen.8
Die fundamentale Lädierung aller humanen Vermögen ist das Prinzip von
Huartes Anthropologie und ihre Ausführung der Versuch, daraus die Konse-
quenzen zu ziehen. Gott hat die Menschen mit einem Instrumentarium be-
dacht, seine göttliche Weisheit zu verstehen, und je nach diferencia de ingenio
versteht der eine mehr, der andere weniger. Das war schon im Paradies so, wo
Eva die weniger bedachte war,
por la cual razón dicen los teólogos que se atrevió el demonio a engañarla y no osó tentar
al varón temiendo su mucha sabiduría (162;405a).

Eine gewisse, bereits paradiesische Verstandesschwäche ist also ursächlich am


Sündenfall beteiligt, dessen Folge dann eine durchgängige Schwächung des
Verstandesvermögens ist. Das wird in der Fortsetzung des Proemio in der
zweiten Ausgabe von 1594 weiter ausgeführt. Obwohl die Menschen von der
Anlage her gleich und gleich gut ausgestattet sind und das entendimiento über-
dies "potencia espiritual y apartada de los órganos del cuerpo" ist, zeigt die
Erfahrung, daß bei tausend Menschen im Urteil über "una mesma dificultad,
cada uno hace juicio diferente y particular" (167;405b). Schon in der Antike
haben die médicos graves diese allgemeine Schädigung festgestellt; auch wenn
die Beschädigten selbst ihrer aus Gewohnheit gar nicht gewahr werden, ist
diese doch deren "obras depravadas" (168;405b) abzumerken: "no pueden
proceder sino de hombres enfermos y llagados" (177;407b). Wenn Gesundheit
traditionell hippokratisch als humorale Temperiertheit bestimmt wird, folgt,
daß destemplanza dann alguna falta y lesión bedeutet. Vollkommene Gesund-
heit wäre nur unter vollkommen ausgewogenen und unveränderlichen Gesamt-
verhältnissen zu erreichen, was unter den Bedingungen irdischer Existenz nicht
möglich ist. "Sólo Dios lo pudo hacer con Adán, poniéndole en el Paraíso terre-
nal" (170;406a). Die je nach Einzelfall verschiedene Untemperiertheit führt zur
Verschiedenheit der menschlichen Haltungen: "no solamente en la irascible y
concupiscible, pero también en la parte racional" (172;406b).

Die grundsätzliche Störung des Weltverhältnisses verdeutlicht Huarte an einem


Beispiel. Vier Menschen mit jeweils "una gota de sangre [...] y otro de cólera, y
otro de flema, y otro de melancolía" in der Sehflüssigkeit werden ein Stück

Juan Huarte de San Juan, Examen de ingenios para 1as ciencias, hg. v. G. Serés, Madrid
(Cátedra) 1989; auch in: Obras escogidas de filósofos, hg. v. A. de Castro, Madrid (BAE) 1953,
S. 403-520. Zitate werden mit Kapitelangabe und Seitenzahl nach beiden Ausgaben belegt.
108 Gerhard Poppenberg
blaues Tuch jeweils als verschieden gefärbt wahrnehmen. "Y todos lo jurarían, y
se reirían unos de otros como que erraban en cosa tan manifiesta y notoria."
Ähnliches würde geschehen mit einer entsprechenden Störung des Ge-
schmacksvermögens (173;406b). Da destemplanza außerhalb des Paradieses
conditio humana ist, ergibt sich für Huarte eine fundamentale Skepsis: die phy-
siologische Konstitution gibt jeder Erkenntnis die Form; da aber die Konstitu-
tion partikular ist, kann in der Erkenntnis, was deren Gewißheit angeht, nicht
viel zu gewinnen sein:
veremos mil diferencias de locuras y disparates, por donde se dijo: cada loco con su tema.
Los que no llegan a tanta enfermedad parece que están en su juicio y que dicen y hacen co-
sas convenientes; pero realmente disparan (174;406b).

Die daraus resultierende erkenntniskritische Trostlosigkeit ist offenkundig:


"¿qué remedio tenemos para conocer cuál dice la verdad de tantos como
opinan?" Denn was in dem angeführten Beispiel zur Störung der Sicht führt,
kann gerade so für das Gehirn gelten,
si cada uno tuviese su particular destemplanza en el celebro; y, así, quedaría la verdad ocul-
tada, o ninguno la alcanzaría por estar todos enfermos y destemplados (178;407b).

Das Remedium, das Huarte in den Blick nimmt, ist bemerkenswert: die Schwä-
che selbst ist das Heilmittel. Die Natur ist so organisiert, daß die Schwächung
einer Kraft die Stärkung einer anderen, "que pide contrario temperamento",
bewirkt, so daß Mangel und Schwäche in einem Punkt durch Stärkung in einem
anderen kompensiert werden. Die Folge daraus ist: "en muchas obras exceden
los destemplados a los templados." Das cada loco con su tema erfährt so eine
erstaunliche Wendung: "hay destemplanza y enfermedad determinada para
cierto género de sabiduría", so daß jeder einzelne wissen muß, "qué enferme-
dad es la suya y qué destemplanza, y a qué ciencia responde en particular"
(179;408a). Der mangelnde Zugang zur Wahrheit wird dadurch neu geöffnet,
daß aus dem Mangel selbst seine Heilung gezogen wird. Wenn die wohltempe-
rierte Gesamterkenntnis nicht möglich ist, muß sie aus den untemperierten
partikularen Wahrheiten zusammengestückt werden. Die spezifische Untempe-
riertheit jedes einzelnen macht gerade die spezifische Begabung zu einer be-
sonderen Wissenschaft aus, so daß, was durch den Sündenfall an Ge-
samteinsicht verloren gegangen ist, durch die einzelnen Wissenschaften nicht
nur wieder eingeholt, sondern sogar überholt wird. Dazu ist es nötig, die
Möglichkeit solcher Partikularerkenntnis überhaupt erst bereitzustellen und die
partikulare, unmäßige Temperatur der Säfte verstehen zu lernen in Rücksicht
auf ihre je partikulare Leistung. Die maßvolle Wohltemperiertheit wird damit
der Zustand von cierta mediocridad auch in den Wissenschaften und Künsten,
wohingegen die destemplados durch ihr Übermaß Bewegung und Fortschritt in
die Verhältnisse bringen. Im Paradies waren "ninguna arte mecánica ni ciencia"
nötig, "ni hasta el día de hoy se hubieran inventado ni puesto en práctica"
(180;408a). Erst mit dem Sündenfall hat die Entwicklungsgeschichte des Men-
"De anima et vita" im 16. Jahrhundert 109
schengeschlechts begonnen: er begründet einerseits die Notwendigkeit und
zugleich überhaupt erst die Möglichkeit, das paradiesische Mittelmaß hinter
sich zu lassen. Der sich so andeutende Optimismus wird allerdings am Ende
wieder gedämpft. Huarte schließt sein Vorwort mit dem Hinweis auf die allge-
meine Krankheit bei Autor und Leser:
nos podría acontescer lo mesmo que a aquellos cuatro hombres, que, siendo el paño azul,
el uno juró que era colorado, el otro blanco, el otro amarillo y el otro negro, y ninguno
acertó por la lesión particular que cada uno tenía en su vista (182;408b).

Der entscheidende Punkt des Unternehmens von Huarte besteht darin, daß er
den Widerstreit der untemperierten Säfte zum Dispositiv für den Widerstreit
der mentalen Kräfte macht, die jeweils mit einer bestimmten humoralen Kon-
stitution verbunden sind und so, da nicht im Zustand wohltemperierter Ausge-
glichenheit, einander entgegengesetzt sind und sich gegenseitig beeinträchtigen:
"no hay virtud ni vicio en el hombre [...] que no tenga su temperatura en los
miembros del cuerpo, que le ayude o desayude en sus obras." Die temperatura
ist die Disposition, die durch die Gesamtorganisation der Handlungen zum
Guten oder Bösen ausschlagen kann (V,253;421b). Huarte verdeutlicht das
durch Hinweis auf Paulus, Römer VII,22-25: die zwei widerstreitenden Ge-
setze, Gottes und der Sünde, was die Überlegung insgesamt in die typologische
Konstellation der Konversion vom alten zum neuen Adam und Gesetz einbin-
det.

[...] parece que a las virtudes que san Pablo tenía en el ánima no le respondían las tempera-
turas en los miembros del cuerpo [...]. Su ánima quería rezar y contemplar; y cuando iba al
celebro con que lo había de ejecutar, lo hallaba destemplado por frialdad y humidad, que
son dos calidades ordenadas para dormir, y con mucha pesadumbre.

Das gibt ihm Gelegenheit, als weiteren Beleg die schlafenden Jünger im Garten
am Ölberg anzuführen, womit die typologische Einbindung noch deutlicher
wird (V,254;421b). Dem Widerstreit der seeüschen Vermögen als den psycho-
machischen Konflikten entsprechen bei Huarte die quasi physiomachischen der
untemperierten Säfte. Umgekehrt bewirkt "la meditación y consideración de las
cosas divinas [...] el temperamento que el ánima racional ha menester" und hilft
über die mißliche humorale Disposition hinweg (V,274;425b). Daß psychische
Vorgänge mindestens eine Grundlage in der physischen Konstitution haben, ist
für Huarte so ausgemacht, daß er diese These auch gegen alle Inkriminierun-
gen der Inquisition immer wieder aufrechterhält. Das hat der Herausgeber
Serés in seinen opulenten Anmerkungen mehrfach deutlich gemacht (275;
321/2). Dabei geht es zumal um die Zuordnung der anatomisch vorgefundenen
Ventrikel des Gehirns zu den mentalen Vermögen, die ganz zu leugnen,
angesichts der Tatsache, daß spezifische Kopfverletzungen spezifische Beein-
trächtigungen nach sich ziehen, nicht möglich war, die aber ganz zuzugeben das
Skandalon mit sich führte, den Verstand in instrumenteile Abhängigkeit vom
Körper zu bringen. Huarte versucht, eine endgültige Entscheidung zu vermei-
lio Gerhard Poppenberg
den und verweist das Problem an die zuständige Instanz. (Die Neurophysiolo-
gie allerdings scheint auch bis heute in dieser Sache nicht zu rechter Klarheit
gekommen zu sein.) Jedenfalls aber zeigt Huarte - und hält damit seine
Grundthese aufrecht - durch humoralpathologische Zuordnungen, daß die ein-
zelnen Seelenkräfte, je spezifischer sie ausgeprägt sind, sich gegenseitig aus-
schließen. Wenn der Verstand eine trockene, das Gedächtnis eine feuchte und
die Imagination eine warme Konstitution braucht, ergibt sich, daß zwischen den
Seelenkräften ein humoralpathologisch bedingter Seelenkampf stattfindet, da
zum Beispiel Trockenheit und Feuchtigkeit deutlich einen exklusiven Gegen-
satz bilden. Das konfliktive Verhältnis erläutert er noch einmal mit Zitat der
Römerbriefstelle.

Verdad es que algunos explican, y muy bien, que esta batalla nacía de la desorden que hizo
el pecado original entre el espíritu y la carne. Aunque tanta y tan grande, yo creo también
que era de la desigualdad de la atrabilis que tenía en su compostura natural
(X/XII,464;459b).

Der innere Zwist ist Folge sowohl des Sündenfalls als auch der natürlichen
Verfassung, deren Untemperiertheit ihrerseits Folge des Sündenfalls ist, so daß
der mentalen Zwistigkeit deutlich eine humorale Disposition entspricht.
Weil Huarte den Willen nicht unter die oberen Seelenvermögen rechnet, faßt
er die Fähigkeit zu wählen unter die "obras del entendimiento" (V/VIII,
342;437b; ähnlich in VIII/X und IX/XI). Die Frage nach der Möglichkeit des
Irrtums bei der Entscheidung wird auf zwei Ebenen abgehandelt. Die mit
possierlichen Anekdoten angereicherte Diskussion alterierter Zustände -
"manía, melancolía y frenesía" (IV/VII,304;431a) - gibt Huarte Gelegenheit, die
zeitübliche Frage zu erörtern, ob es sich dabei um Einblasungen des Teufels
oder um Eingebungen Gottes handelt. Er ist insgesamt ziemlich skeptisch und
möchte lieber natürliche Ursachen erforscht wissen. Bei "efectos raros y prodi-
giosos" gleich auf übernatürliche Einwirkung zu schließen sei Kennzeichen von
"filósofos vulgares" (IVATI, 316;432b). Für den immerhin auch möglichen Fall,
daß Phänomene Einwirkungen Gottes oder des Teufels entstammen, gibt er
den Hinweis auf "cierta gracia sobrenatural", die den Unterschied zu erkennen
erlaube,

si es demonio o algún ángel bueno el que nos viene a tocar. Porque muchas veces viene el
demonio a engañarnos con apariencia de buen ángel, y es menester esta gracia y este don
sobrenatural para conocerle y diferenciarlo del bueno (IV/VII,318;433a).

Die zweite Ebene ist die des entendimiento als solchen; das ist zwar
la potencia más noble del hombre y de mayor dignidad, pero ninguna hay que con tanta fa-
cilidad se engañe acerca de la verdad como él.

Man sieht das schon an der Uneinigkeit der verschiedenen Wissenschaften:


"tantos juicios y pareceres sobre cada cosa, no siendo más de una la verdad".
Das hat seinen Grund darin, daß im Gegensatz zu den Sinnen, die nicht so
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert Iii
täuschbar sind, da sie von wirklichen Dingen ausgehen, die unabhängig von
ihnen sind, die Wahrheit des Verstands abhängig von dessen Tätigkeit ist: "si él
mesmo no la hace y no la compone, ningún ser formal tiene de suyo". Es liegen
lediglich die Prinzipien der Erkenntnis vor, wie die Materialien für einen
Hausbau; und wie dessen Konstruktion je nach Fähigkeit der Baumeister ver-
schieden gute Ergebnisse zeitigt, so ist die Konstruktion von Wahrheit und Er-
kenntnis von der Konstitution des entendimiento abhängig; "si no es el que tiene
buen ingenio, todos los demás harán mil disparates con unos mesmos princi-
pios" (XI/XIII,478/9;4ó3a), womit er wiederum bei seiner Ausgangsthese ist,
dem konfliktiven Verhältnis von physischer und mentaler Disposition.

Dieses Verhältnis weitet Huarte schließlich ins Grundsätzliche der menschli-


chen Natur schlechthin aus. Dabei kommt dann auch der freie Wille ins Spiel,
ohne den es im spanischen siglo de oro nun einmal nicht geht. Es gibt nämlich
Organe, etwa Leber, Herz und Testikel, deren Funktionieren von Natur aus an
starke Wärmeentwicklung gebunden ist, so daß ihre Tätigkeit zum Beispiel die
der Vernunft stört, denn das Gehirn verträgt Hitze schlecht.
Y lo que peor es: que la voluntad, siendo libre, se irrita e inclina a condescender con los
apetitos de la porción inferior.

Es ist Naturaleza selbst, die Kreatürlichkeit, die den Menschen unvollkommen


gestaltet. Die weiteren Ausführungen zu diesem Punkt sind wiederum in-
kriminiert worden, da sie das Mißverhältnis zwischen humoraler Disposition
und rationaler Seele allzu weit ins Grundsätzliche treiben. Selbst im Paradies
konnte die Wohltemperiertheit Adams nur durch eine "calidad sobrenatural
que le reprimiera la porción inferior" aufrechterhalten werden, ohne die er sei-
ner Nato ausgeliefert und "inclinado a mal" gewesen wäre. Die humorale Dis-
position zum Bösen ist an die menschliche Natur schlechthin gebunden. Die
Opposition zwischen den vitalen und rationalen Funktionen kann größer kaum
konzipiert werden. "La gracia conforta nuestra voluntad." Wohltemperiertheit
war auch im Paradies nur eine Sache der Gnade und nicht der paradiesischen
Natur (XIV/XVI,582-86;486).

Eine vom Herausgeber aus dem Text ausgegliederte und mit Digresión sobre el
árbol vedado del paraíso betitelte Passage, die in der Ausgabe der BAE ohne
sonderliche Kennzeichnung im laufenden Text erscheint (XVIII,4,510-12), gibt
zwar auch keine Antwort auf die Frage, wie es zum Aussetzen der Gnade vor
dem Sündenfall gekommen ist, versucht aber dem Spezifischen der Verwand-
lung durch den Fall eine Erklärung zu geben. Ausgangspunkt ist die Nacktheit
der ersten Menschen, die sie vor dem Fall nicht bemerkt haben und die be-
merkt zu haben nachher für Gott ein Zeichen des Falls ist. Vorher war die Be-
schäftigung der Menschen: "meditar y contemplar las cosas divinas", weshalb
sie ihre menschliche Natur gar nicht sahen. Das aber nicht, weil sie blind gewe-
sen wären: ihre Sicht war eigentlich gut;
112 Gerhard Poppenberg
pero por la ausencia de la imaginativa estaban como ciegos [...]. Y la fruta era de tanta efi-
cacia, que sacó a la imaginativa de su contemplación y la puso en la vista (720).

Die so verwandelte oder überhaupt erst geweckte Imagination bildet dann


einen Gegensatz zum Verstand. Dessen Erkenntnis ist eine "con rectitud y
simplicidad, sin errores, sin mentiras y sin engaños", wohingegen die der Imagi-
nation eine andere Form von "sabiduría y prudencia" gibt. Die der "hijos de este
siglo" besteht aus "dobleces y engaños" (721). Beide Formen stehen einerseits
konträr zueinander: "los hijos de la luz saben muy poco en la prudencia del
siglo, y los hijos del siglo menos en la sabiduría de la luz"; die Weltklugheit aber
war dem paradiesischen Leben abträglich. "Y el árbol era tan eficaz en dar
prudencia de este siglo, que fue menester prohibirle el uso de su fruta" (722).
Die naheliegende Theodizee-Frage, warum es dann überhaupt nötig war, einen
solchen Baum zu erschaffen, stellt Huarte nicht. Aber die weiteren Aus-
führungen deuten an, daß andererseits das Verhältnis der beiden Erkenntnis-
formen auch harmonieren kann. Ausgehend von der Frage, warum der Baum
scientiae boni genannt wurde, wo er doch deutlich ein Übel bewirkt habe, ant-
wortet er: "ambas ciencias son para bien usando de ellas en su tiempo y lugar",
was er mit dem Wort des Evangeliums belegt, "estote ergo prudentes sicut ser-
pentes, et simplices sicut columbae" (Mt.X,16). Es gibt offenbar Übel, die auch
zum Guten ausschlagen können, wenn sie richtig angewandt werden. Denkt
man diese Überlegungen mit den Ausführungen zum Erkenntniszuwachs durch
den untemperierten und damit speziell begabten Einzelmenschen nach dem
Fall zusammen, ergibt das am Ende geradezu die Rechtfertigung des Sün-
denfalls. Das könnte auch der Grund für das Interesse gewesen sein, das der
Autor der Erziehung des Menschengeschlechts in seiner Jugend an diesem Text
hatte. "Gott hätte seine Hand bei allem im Spiele: nur bei unsern Irrtümern
nicht?"

Die 1587 in Madrid erschienene Nueva filosofía de la naturaleza del hombre, die
bis Anfang dieses Jahrhunderts der Doña Oliva Sabuco de Nantes Barrera
zugeschrieben wurde und seither als von ihrem Vater Miguel Sabuco
stammend betrachtet wird, hat die physio- und psychomachische Konstellation
zu einem - fast schon säkularisierten - Grundmuster ihrer Konzeption vom
Menschen gemacht.8 Das Leiden schlechthin - enojos und pesares - wird ihr
zum großen Widersacher des Menschengeschlechts, so daß eigentlich eine
andere Bezeichnung zutreffender wäre: "la mala bestia, que consume el género
humano, o pernicioso enemigo suyo, o la hacha, y armas de la muerte" (III,
88;335a). Zur Verteidigung gegen diesen Feind sind buenos entendimientos

g
Oliva Sabuco de Nantes y Barrera, Nueva filosofía de la naturaleza del hombre, no conocida ni
alcanzada de los grandes filósofos antiguos, la cual mejora la vida y salud humana, hg. v. A.
Martínez Tomé, Madrid (Editora Nacional) 1981; auch in: Obras escogidas de filósofos, hg. v. A.
de Castro, Madrid (BAE) 1953, S. 329-376. Zitate werden mit Kapitelangabe und Seitenzahl
nach beiden Ausgaben belegt.
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 113

nötig; die führen zur genauen Kenntnis der "grandes fuerzas que tiene este
enemigo del género humano" (V,90;335b). Der Widersacher des Men-
schengeschlechts ist in der Sprache des siglo de oro die Standardformel für den
Satan; damit wird die Krankheit in die mit ihm konnotierte konfliktive Situation
gestellt. Eine Wirkung des Konflikts ist "discordia del alma y cuerpo"
(VII,96;336b). Das zeigt sich auf dem Feld der Affekte, von denen manche
Feindschaft und Zwietracht zwischen Körper und Seele und damit Krankheit
erzeugen, und andere Freundschaft und Eintracht schaffen und so den Kampf
gegen den "mayor enemigo" führen (XXII/XXIII,122/3;342b). Zu belegen, daß
sämtliche Lebensprozesse nach diesem Modell strukturiert sind, hat vermutlich
auch das etwas zähe und teilweise über ganze Kapitel sich hinziehende
Ausschreiben des Plinius zur Aufgabe: wie es Tiere gibt, die untereinander
verfeindet und miteinander befreundet sind, die sich schaden und sich
behilflich sind, so auch entsprechend Eigenschaften der Menschen: sämtliche
Lebensprozesse werden konfliktiv allegorisiert nach dem Grundmodell des
Kampfs gegen den Widersacher des Menschengeschlechts, das allerdings
lediglich die Form abgibt für rein innerweltliche und innermenschliche Vor-
gänge. Die templanza etwa ist "maestra, señora y gobernadora de la salud del
hombre y de la salud del alma". Sich nicht dieser Herrin zu fügen bedeutet für
den Menschen:

él mismo se mata y acarrea para sí todo género de males, el mayor enemigo del hombre es
él mismo para sí, por no saber usar, ni gozar de esta gran señora (XXVI,131;344b).

Die vegetative und die intellektive Seele stehen in ihrer jeweiligen Eigentüm-
lichkeit in einem so fundamentalen Oppositionsverhältnis gegeneinander wie
Tag und Nacht: sie stören sich gegenseitig, "y por esto dividieron el tiempo: la
natural, que es la vegetativa, se tomó la noche, y la animal, que es la intelectiva,
se tomó el día" (XLVI,164/5;352b). Der mythische Streit von Licht und Finster-
nis ist ein innerweltlicher Naturvorgang. Die Allegorisierung der Naturvor-
gänge nach spirituellem Muster geht so weit, daß die Sonne zum dador de las
vidas wird, eine gängige antonomastische Wendung für Gott. Zwar wird das
sofort durch den Hinweis auf Gott selbst eingeschränkt, so daß der ontologi-
sche Rahmen bestehen bleibt: "el dador de las vidas, segunda causa de Dios,
que es el sol", aber eben so wird deutlich, daß ein rein innerweltlicher und
natürlicher Vorgang in Termini von Spiritualität allegorisiert wird, jedoch nicht
so, daß der natürliche Vorgang auf den spirituellen verweist, sondern dieser le-
diglich die formale Hülle für die Darstellung des natürlichen bildet.
El pájaro de Indias (que nombran resucitado), cuando viene el invierno hinca las uñas en
una rama alta de un árbol, y allí está como muerto, colgado todo el invierno, hasta que
viene el dador de las vidas, segunda causa de Dios, que es el sol, y lo resucita, y da vida a él
y a los demás, y a las plantas, que también están como muertas, sin hacer seña de vida
(XLVIII,168;353a).
114 Gerhard Poppenberg
Die Einsicht in die konfliktive Grundstruktur führt zu einer stoisch orientierten
Einstellung zu den Gegensatzverhältnissen.
Sabed que no hay mal que no tenga consigo algún bien, y que bienes y males andan mez-
clados en este mundo en toda la vida del hombre, como en una tragedia o comedia.

Das ist keineswegs ein Vertrauen in die Providenz, die alles zum Guten wenden
wird, sondern die skeptische epoché als Grundhaltung, die Artikulation von al-
lem mit seinem Gegenteil, so daß alles auch immer in sein Gegenteil umschla-
gen kann, wie eine Serie von Beispielen zeigt:
La madurez y perfección es principio de imperfección y putrefacción. La sanidad, principio
de enfermedad. La gran salud, causa de gran enfermedad. Donde quiera que hay vida, hay
muerte (LX,195/6;359b);

und so noch eine halbe Seite weiter. Das Prinzip ist formal eines von Tumes-
zenz und Detumeszenz als
una reliquia y sabor de la luna [...]; y así el hombre o está en cremento, que es la salud [...]
o está en decremento y enfermedad (LXII,363a/211).

Das siglo de oro hat derart konfliktives Zusammenwirken in der Figur der Anti-
paristasis oder Antiperistasis gefaßt, die auch für Sabuco mit einer Stelle aus
Vera Philosophia de natura mistorum zu belegen ist: "ninguna fiebre se produce
por pudrición, sino por antiparistasis".10
Dieses Zusammenwirken der Gegensätze verstanden zu haben ist "buena parte"
der menschlichen Selbsterkenntnis (LXII,209;362b), die zu der Einsicht führt,
daß der seelische Apparat in seinem Inneren ein Zusammenwirken seiner Teile
ist: nach dem Muster der großen eine kleine Welt, mit der rationalen Seele als
principe. Diese leitende Funktion ist in drei Instanzen aufgeteilt: entendimiento,
razón und voluntad. Der Entscheidungsträger bei einer Handlung ist hier wie-
derum der Wille.
De manera que entran las especies de las cosas de este mundo por los cinco sentidos, y
represéntanlos al sentido común [...], y allí el entendimiento juzga lo presente y dice a la
voluntad, malo o bueno es [...], y luego la voluntad se mueve a querer aquella noticia o
aborrecerla, y luego que la voluntad lo manda, se mueven los miembros que lo han de ha-
cer. Para tomar una manzana pasa todo esto en vos (LXII,209/10;363a).

Das letzte Kapitel ist dann entsprechend ein Versuch über soberbia y altivez:
"ésta indómita bestia, sólo el hombre la tiene" (LXVIII,244;570b). Die Ur-
schuld bildet am Ende die Aura auch dieser Konzeption der Seele. Das
Prägemal der damit einhergehenden Moralisierung ist die auratische Seele bis
heute nicht losgeworden. (Die nichtauratische fristet vermutlich ihr Dasein in
der Neurophysiologie.) Wenn man die Psychoanalyse nach ihren ethischen Im-

10
Zitiert nach Florentino M. Torner, Doña Oliva Sabuco de Nantes, Madrid (Aguilar) 1935.
Torner meint, die Figur "resume bien el pensamiento entero del bachiller Sabuco" (205/6).
'De anima et vita' im 16. Jahrhundert 115

plikationen befragen will, wird man davon ausgehen müssen, daß sie den
Wunsch nach dem Tod des Vaters und dem Inzest mit der Mutter zum alles
verheerenden Motor der psychischen Ökonomie erklärt, und das war ver-
mutlich nicht nur zu Freuds Zeiten ein Politikum.
Vives und der spanische Humanismus

Carlos Meiches (Augsburg)

Einleitung: Die Einordnung Vives'


Wir befinden uns in einem seltsamen Jahr. 1992 feiert Spanien - 500 Jahre nach
der Entdeckung Amerikas - nicht so selbstbewußt, wenn man dem Diplomaten,
Politiker und Staatsmann Cánovas del Castillo Glauben schenken darf, wie vor
100 Jahren. Ob die Person Vives' Spanien das Selbstbewußtsein erneut zu
schenken vermag? Ich will mich hier zunächst um eine philosophische bzw.
kulturhistorische Typologie Vives' bemühen. War er nicht etwa ein Scholasti-
ker, ein Traditionalist, gar ein Reaktionär? Es ist eine Bescheidenheit, beinahe
Nüchternheit (Vergessenheit? Hemmung?) in der philosophischen Behandlung
seiner Person von Spanien aus festzustellen, eine solche, die auch dem Philoso-
phen Balmes entgegengebracht wird. Handelt es sich nicht letztlich um katholi-
sche Ideologen, die zum Staatskatholizismus und dessen verhängnisvollen Fol-
gen für das 20. Jahrhundert Spaniens geführt haben? Meines Erachtens liegen
Vives' Verdienste - allen vermeintlichen Vorbehalten zum Trotz - im
Philosophie-Didaktischen. Weshalb es so ist, möchte ich in der Kürze der Zeit
allenfalls aufzeichnen.

1. Vives und sein Verhältnis zur Tradition


Jede kulturelle Epoche pflegt eine ihr eigene Art des Umgangs mit der Wissen-
schaft. Es ist für viele Autoren des spanischen Humanismus charakteristisch,
didaktischen und vermittelnden Aspekten der Wissenschaft den Vorzug zu ge-
ben. Das Denken wird als ein Produkt des Denkers vorzüglich mit dem Ziel
der Unterweisung aufgefaßt. Der Arzt und Humanist Gregorio Marañón
schrieb über Vives: "En este humanista, la humanidad superaba al humanismo,
la vida a la ciencia."1 Es ist sicherlich ein Standpunkt, den Marañón sich nicht
zufällig, sondern bedingt auch durch den Arztberuf, zu eigen machte.
Im Kontext des didaktischen Anliegens Vives' und dessen Folgen für sein Ver-
ständnis von Philosophie und für den Umgang mit den Gelehrten seiner Zeit
sind die nun folgenden Überlegungen zu betrachten. Die Wissenschaft und erst
recht die Philosophie sollte den Menschen umfassend bilden. Darin sah der
spanische Gelehrte den Hauptzweck wissenschaftlicher Betätigung. Deshalb
wandte er sich auch gegen einseitige Beschäftigung seitens der Humanisten mit
der Philologie. Gewiß, sie trieben diese im Bewußtsein, eine "Geistesrevolution"
zu bewirken, die nicht ohne Folgen geblieben ist. Vives behauptete dennoch,
daß die "philologische Methode", die selbst in die Bereiche der Philosophie und

1
Gregorio Marañón, Luis Vives. Un español fuera de España, Madrid (Espasa-Calpe) 1942, S. 12.
Vives und der Humanismus 117
der Theologie eindrang, einseitig wäre und nicht zuletzt aufgrund ihrer Vorge-
hensweise hinter den Errungenschaften der Philosophie und der Theologie des
hohen Mittelalters zurückbliebe. Dieses Urteil haben später so heterogene
Autoren wie Nietzsche und Ortega y Gasset gefällt.2 De causis corruptarum
artium, das Opusculum In Pseudodialecticos und der Briefwechsel der letzten
Jahre mit Erasmus stellen diese seine Auffassung exemplarisch dar. Gerade die
Schrift gegen die Pseudodialektiker erregte die große Bewunderung des
Thomas Morus für Vives. So schreibt Morus diesbezüglich an Erasmus:
It is not only (although partly) that he mocks those inane subtleties with witty jesting,
opposes them with solid arguments and annihilates them with irrefutable reasoning, but it
is pleasant to find certain matters treated with almost the same arguments that I once put
together by myself before I had ever read Vives. These please me now in Vives' little book
not only because my arguments were pleasing to me in the first place (for we are often
pleased when we see others bring forward what had occured to us earlier), but because I
congratulate myself on discovering that what I suspected had been rather ineptly expressed
was not so unskilled as I thought, since Vives found it to his liking. What especially
intrigues and delights me is to observe that not only did the same argument occupy the
mind and thoughts of us both, and was then treated by both of us, albeit with more
diffusiveness and elegance of style by him, but that in some cases not only did we assert the
same thing but also in almost the same words. This proved all the more flattering to me, as
if some kindred star had united our minds together by some secret force or harmony.

Diese Worte Morus' brauchen keine Erläuterung und zeugen vom menschli-
chen Format des englischen Staatsmannes und Märtyrers - und ich meine, daß
gerade in der menschlichen Größe die eigentliche und tiefe Übereinstimmung
des Lordkanzlers mit Vives auch lag.
Der Anspruch allein, den der Spanier an die Wissenschaft stellte, war an sich
"revolutionär". Sie sei nicht um ihretwillen da, sie solle sich vielmehr den Pro-
blemen und Bedürfnissen der Menschen stellen. Vives konnte daher mit großer
Treffsicherheit den Ort, der jeder Disziplin im Kanon der Philosophie zu-
kommt, bestimmen.4 Enrique Tierno Galván behauptet in diesem Zusammen-
hang:
La aguda y demoledora crítica de Balmes del método lógico escolástico [...] no tiene ante-
cedentes en España, si se exceptúa a Luis Vives y dígase lo que se quiera la metodología

José Ortega y Gasset, Obras Completas, 12 Bde., Madrid 1966, Bd. 8, S. 352: "Nietzsche vio muy
bien que Lutero y el protestantismo era sobre todo 'primitivismo'." Er verweist in der Anmer-
kung 2 auf "En torno a Galileo", Lektion VI, ebda., Bd. 5.
3
Charles Fantazzi, "Vives, More and Erasmus", in: August Buck (Hg.), Juan Luis Vives - Arbeits-
gespräch in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 6. bis 8. November 1980, Wolfen-
büttel 1980, S. 165-175, hier S. 170.
4
Mit der Neustrukturierung des Lehrcurriculums hatte Vives allerdings keinen unmittelbaren Er-
folg. Er begegnete in Brügge Ignatius von Loyola, dem Gründer der Gesellschaft Jesu, aber die-
ser bestand auf dem jesuitischen Lehrkatalog der philosophischen Fächer und ließ sich durch
Vives' Auffassungen von seinen eigenen Vorstellungen nicht abbringen.
118 Carlos Meiches
general que Vives propone en 'De Causis Corruptarum Artium' no prosperó fuera de la
teología en nuestro Siglo de Oro.

Die didaktische Zielsetzung, die den Disziplinen der Philosophie ihren syste-
matischen Ort wesentlich verleiht, durchdringt sie zugleich in einer Form, die
sich vom Wissenschaftsverständnis des Erasmus grundsätzlich unterschied. So
können wir von einem humanismo español sprechen, der in der Betonung der
Vermittlung liegt, wie gesagt, und der sich wiederum in der Kontinuität der
Antike sieht.8
Das Verständnis der Philosophie aus der Sicht des Lernenden eröffnet Vives
die Einsicht in die Notwendigkeit eines Dialoges zwischen Schüler und Lehrer.
So schreibt Wychgram, einer seiner deutschen Herausgeber (1883):
Übrigens muß man [...] auch bei wirklichen Verschiedenheiten der Anschauungen über
dogmatische Fragen nicht gleich zu Gericht sitzen und Glaubensentscheidungen treffen,
sondern, vorbehaltlich der allerdings im Allgemeinen schon der Ordnung wegen aufrecht-
zuerhaltenden Autorität der Concilien, darf man wohl dem Einzelnen für das, was er nach
bestem Wissen für wahr anerkannt hat, eine gewisse Freiheit gewähren.

2. Wissenschaftsverständnis und Verwendung der Sprache


Wissenschaft zeichnet nach Vives - und darin liegt zum großen Teil die Kritik
an seiner Zeit - eine Durchdringung der Wirklichkeit mittels der Vernunft aus.
Das Kriterium für diese Durchdringung ist die Evidenz, d.h. die Nachvollzieh-
barkeit eines Phänomens durch Erklärung:
Jedenfall ist es nicht mehr als eine Beobachtung, wenn jemand sagt, der Stab erscheine
ihm im Wasser gebrochen [...]. Wissenschaftliche Erkenntnis nenne ich erst das, was wir
mit gesunden Sinnen auf passendem Wege beobachten; dann auch dasjenige, wozu uns ein
augenscheinlicher oder doch ein mit der Natur unseres Geistes so eng verknüpfter Grund
führt, daß jedermann ihn gelten lassen muß.

5
Enrique Tierno Galván, "El pensamiento científico en el Siglo de Oro", in: Edad de Oro III, ed.
Departamento de Literatura Española. Ediciones de la Universidad Autónoma de Madrid, 1984,
S. 281-287, hier S. 284.
6
Gewissermaßen in diesem Kontext lag für Vives die Krise der Philosophie. Die Tatsache, so
argumentierte er, daß man nicht in der Lage war, die averroistische Interpretation des Aristote-
les als eine Fehlinterpretation zu entlarven, zeigte die Korruptheil der wissenschaftlichen Situa-
tion. Die wesentlichen Inhalte der Philosophie aus den Augen verloren zu haben, habe dazu ge-
führt, daß man sich mit "logischen Spitzfindigkeiten" beschäftige, wie die Sophisten z. Zt. Piatos.
Vives machte u.a. Petrus Hispanus für dieses Ablenken vom Wesentlichen verantwortlich. Zum
Höhepunkt des philosophischen Mittelalters habe die kritische Auseinandersetzung mit dem
Andersdenkenden gehört, etwa als Thomas von Aquin auf die Irrwege des Averroes hinwies. So
ist Vives durch seine Hermeneutik ein Vorläufer der sogenannten historisch-kritischen Methode
gewesen.
Jacob Wychgram, Juan Luis Viveá ausgewählte Schriften, Wien und Leipzig 1883, S. XXVI.
8
Juan Luis Vives, Pädagogische Schriften, Einleitung, Charakterisierung, Übersetzung und Erläu-
terungen von Dr. Friederich Kayser, Freiburg i. Br. 1895, S. 189 f.
Vives und der Humanismus 119
Um dies zu erreichen, fordert er den Gebrauch einer klaren, logisch aufge-
bauten Diktion und einer eindeutigen Begrifflichkeit. So schreibt er:
Acomódese el filósofo en sus expresiones al sentido común, mas procure disertar de suerte
que no parezca más preocupado por el término que por la cosa, lo cual es negocio muy
fuera de su profesión.

3. Vives und die Renaissance


Vives' Verständnis und Wiederaufnahme der Tradition ist nicht bloße Kultur-
pflege oder gar Konservatismus. Auch in diesem Aspekt ist er "revolutionär".
Er übernimmt nicht die scholastische Terminologie und versucht, die "logischen
Spitzfindigkeiten" zu lösen. Seine Beschäftigung mit den theoretischen Proble-
men ist "ursprünglicher Art" - es sind nicht akademische Fragen, es handelt sich
um vitale, reale Probleme. Diese seine Haltung wird in der Maxime aus seinem
Buch Über den Unterricht in den Wissenschaften deutlich:
So ist es Sache der Rhetorik, zu überzeugen, aber überzeugend reden ist Sache des Red-
ners.

Es gibt für Vives mehrere Komponenten, die dieses "Überzeugen" ermöglichen,


darunter:
a) eine saubere Abgrenzung der Wissenschaften untereinander und eine ein-
deutige Klärung ihrer Beziehung zueinander;
b) eine vielfache Anwendung von Mitteln, um die Stoffe zugänglich zu machen.
Hierin findet er sich in der spanischen didaktischen Tradition verwurzelt - ge-
rade in seinen literarischen Werken, den Fabulas. Diese Tradition erlebte bei
Cervantes einen Höhepunkt. So wie dieser kritisiert Vives etwa die verheeren-
den Folgen, die durch die Ritterromane verursacht worden waren: anstelle der
Belehrung lenkten sie durch sinnloses Phantasieren vom Wesentlichen ab.

4. Vives' gesellschaftliches Engagement


Die Darstellung von Vives' Persönlichkeit wäre unvollständig, würde man seine
aktive Teilnahme an den Sorgen seiner Zeit unerwähnt lassen. Auch hier war er
Zeitgenosse seiner Epoche und moderner Mensch zugleich. Vives unterrichtete
Rechtswissenschaft in Oxford und nahm zu Fragen der Politik Stellung. Ich
möchte kurz einige Bereiche seiner Lehrtätigkeit zum Abschluß erwähnen:

g
De prima philosophia I, in: Jorge Corts Grau (Hg.), Juan Luis Vives. Antologia, Madrid 1954.
Über den Unterricht in den Wissenschaften oder den christlichen Unterricht (1531), nach
Kayser, a.a.O., S. 192.
120 Carlos Meiches
a) Seine Beteiligung an Gesellschaft und Politik
Vives pflegte gern den Umgang mit den europäischen kultivierten Gesell-
schaftskreisen. Er gewann aus den verschiedenen Mentalitäten, von Menschen
verschiedener Berufe und unterschiedlicher Herkunft - d.h. aus der Erfahrung
- den Stoff für seine theoretischen Überlegungen. 11
b) Seine Tätigkeit als Privatlehrer
Der Lehrer Vives erreichte möglicherweise in dieser Funktion am unmittelbar-
sten sein eigentliches persönliches Ziel: Wissen vermitteln, das Menschen zu
Persönlichkeiten werden läßt. Diese Facette seines Wirkens hat Ortega y
Gasset wiederholt im Kontext der vives'schen Prägung cultura animis bzw.
animae betont. Demzufolge muß der Mensch seine Seele durch das Studium
beackern.
c) Vives' Briefwechsel
Seine Wirkung auf den europäischen Adel erreichte er auch vielfach durch
seine Briefe. Diese, sobald sie auf der Grundlage der Freundschaft oder des
Vertrauens ruhten, waren offenherzig, aufrichtig. Es seien einige Beispiele ge-
nannt: Vives zögerte nicht, im Briefwechsel mit Erasmus, diesem mit deutlichen
Worten zu sagen, daß trotz langjähriger Bekanntschaft ihr Wissensbegriff in
Inhalt und Zielsetzung mit den Jahren Unterschiede im Wesentlichen aufweise.
Vives zeigte sich zugleich als verständiger Pädagoge, als er Heinrich VIII. von
England anläßlich seiner bevorstehenden Scheidung von Katharina von Aragon
schrieb. Er erweckt in diesem Brief den Eindruck, sich dabei auf die Ebene
seines Adressaten begeben zu wollen. Er appelliert an die Vernunft mit gelas-
senen und ausgewogenen Gründen und gibt zu verstehen, daß er Heinrichs
Freiheit respektieren will, anstatt auf dogmatischen "Autoritätsargumenten" zu
bestehen. Er möchte Heinrich soweit wie möglich helfen und kommt ihm da-
durch entgegen: das war der Pädagoge, der die Menschen einzeln zur Wahrheit
führen wollte.

Fazit
Vives gab sich nicht damit zufrieden, den Menschen in einem bestimmten
Aspekt zu bilden. Er warnte sogar vor der einseitigen Hervorhebung von
sprachlichen Untersuchungen - hier fungierte er als Korrektiv der
Wissenschaftsauffassung der Renaissance. Sein Ziel war die Bildung des
ganzen Menschen. Man könnte diese Zielsetzung mit der Wilhelm von
Humboldts vergleichen, der auch eine umfassende Bildungsreform in die Wege

1
Manche Autoren sehen ihn hier als Vordenker Bacons, und Menéndez Pelayo wähnt ihn sogar
als Wegbereiter Kants. Vgl. Luis Araquistain, Marcelino Menéndez y Pelayo y la cultura ale-
mana, Leipzig 1932. Ortega schreibt: "En 1531 publica su obra magna: la enciclopedia 'Sobre las
enseñanzas', que es el antecedente de la 'Gran instauración' de Bacon", a.a.O., Bd. 9, S. 508.
Vives und der Humanismus 121
leitete. Während dieser allerdings von der Sprachanalyse ausging, stammten
Vives' Grundauffassungen aus der Philosophie.
Anmerkungen zu 'De veritate fidei christianae'

Karl Kohut (Eichstätt)

Kaum ein anderes Werk des Valencianer Humanisten Juan Luis Vives ist von
der Nachwelt wie von der modernen Forschung so unterschiedlich beurteilt
worden wie sein letztes, De veritate fidei christianae, das erst drei Jahre nach
seinem Tod (1543) erstmals veröffentlicht wurde.
Am Ende des 18. Jahrhunderts bezeichnete es sein Herausgeber und Biograph
Gregorio Mayans als das wichtigste in Spanien entstandene theologische Werk
des 16. Jahrhunderts, dank dessen Vives den Vergleich mit keinem Theologen
seines Jahrhunderts zu scheuen brauche, und er stützte dieses Urteil durch
einen kurzen Vergleich mit dem - nach seiner Meinimg - Hauptwerk der spani-
schen Neuscholastik, Melchor Canos De locis theologicis (posthum 1563) \
Diese hohe Wertschätzung des Theologen Vives wird von den Theologen vom
Fach allerdings nicht geteilt. Stellvertretend hierfür sei die Meinimg Karl
Binders angeführt, der Vives ganz allgemein zu den humanistischen Kritikern
der Scholastik zählt, die sich durch mangelnde Sachkenntnis und naive
Oberflächlichkeit auszeichnen2. In der Vives-Kritik unseres Jahrhunderts
wiederum werden seine theologischen Werke nur am Rande behandelt, mit
Ausnahme allein des Jugendwerks In Pseudodialecticos, das als zentrales
humanistisches Manifest gegen die Scholastik gilt3.

"Verumtamen, si ob opus inmortale De Corruptis Artibus, et De Tradendis Disciplinis censetur


Vives inter máximos Críticos, ob aliud posthumum De Veritate Fidei Christianae percensetur Ín-
ter Theologos sui saeculi nemini secundus", schreibt Mayans in seiner Vita (115), und nennt ne-
ben Melchor Cano weiterhin Alfonso de Castro (Libri XIV adversus omnes Haereses, 1534),
Luis Carvajal ([Theologiae restitutae, 1548), Martín Pérez de Ayala ([De divinis, apostolicis, atque
ecclesiasticis traditionibus, deque auctoritate, ac vi earum sacrosancta, 1549) und Pedro de Soto
(Tractatus de institutione Sacerdotum, 1558), (115-117, der Vergleich mit Cano 117f). Heute
würde man die genannten Autoren allerdings kaum mehr als repräsentativ für die spanische
Theologie des 16. Jahrhunderts ansehen.
2
"Während in den meisten übrigen Ländern der Christenheit die neue Bewegung des Humanis-
mus und der Renaissance von Petrarca bis Luis Vives, von Lorenzo Valla bis Erasmus von
Rotterdam gegen die traditionelle Wissenschaft der Scholastik in mangelhafter Kenntnis ihres
wertvollen Gehaltes und in naiver Oberflächlichkeit Sturm lief und sich in hitziger Leidenschaft
und billigem Spott gegen sie erging, schuf Francisco de Vitoria in Salamanca eine einzigartige
Synthese von Humanismus und Scholastik" (Binder 1960,226).
3
Ein bezeichnendes Beispiel ist die Monographie Noreftas von 1970. Valerio Del Nero erwähnt in
seinem Forschungsbericht De veritate fídei christianae nur kurz mit den Worten, Werke dieser
Art könnten bedeutungsvolle interpretative Ansätze bieten (1987, 141), nennt allerdings keine
einzige Forschungsarbeit, die sich mit dem Werk beschäftigen würde. Nicht einmal Marcel
Bataillon (1966) geht auf das Werk ein, obwohl sein Buch für die Auseinandersetzung des spani-
schen Humanismus mit der Scholastik nach wie vor unentbehrlich ist. Das Werk von Gonzalez y
González (1987), dessen Titel auf eine umfassende Darstellung der Problematik von Humanis-
mus und Scholastik bei Vives schließen läßt, beschränkt sich auf In Pseudodialecticos und dessen
De veritatefidei christianae 123
Beide Wertungen werden Vives nicht gerecht. So übersteigert es einerseits ist,
ihn als den größten Theologen seines Jahrhunderts zu bezeichnen, so unange-
messen ist es andererseits, die theologische Dimension seines Werks zu ver-
nachlässigen. Die folgenden Anmerkungen stellen den Versuch dar, De veritate
fidei christianae im Kontext seines Gesamtwerks als letzte Phase einer lebens-
langen Auseinandersetzung mit der Scholastik zu interpretieren, die mit In
Pseudodialecticos begonnen hatte. Der Arbeit liegt die These zugrunde, daß
Vives mit diesem Werk einen Gegenentwurf zur scholastischen Theologie
schaffen wollte. Der Intuition von Mayans folgend, sollen die besonderen Züge
dieser humanistischen Theologie kontrastiv durch den Vergleich mit De locis
theologicis herausgearbeitet werden 4 .

Die Intentionen
Vives leitet das Vorwort mit der Feststellung ein, daß der menschliche Geist
infolge der Ursünde Adams gegenüber der Offenbarung Gottes unempfänglich
geworden sei. So erkläre es sich, daß zahlreiche Christen im Glauben schwan-
kend seien und zweifelten, andere, wie die Juden und Mohammedaner, sich der
Offenbarung Gottes ganz verweigerten. Mit den im Glauben schwankenden
Christen können im Kontext der Zeit nur die Protestanten gemeint sein. Wenn
diese Interpretation richtig ist, würde das Werk zur sogenannten Kontrovers-
theologie gehören, jener
Disziplin der dogmatischen Theologie, in der die fundamentalen Lehrdifferenzen, die die
Christenheit in verschiedene Kirchen und kirchliche Gemeinschaften zersplittern, aus-
drücklich zur Sprache gebracht werden - mit dem ausdrücklichen Ziel ihrer endlichen
Überwindung .

Im Gegensatz zur Kontroverstheologie grenzt Vives die Protestanten jedoch


nicht aus, womit er sich prinzipiell von der Mehrzahl der Theologen seiner Zeit
unterscheidet, für die die Protestanten Häretiker waren.
Wenn es so ist, daß sich die Menschen der Offenbarung Gottes verweigern,
bietet sich die natürliche Vernunft als Hilfsmittel an. Vives will die Menschen
mit ihrer Hilfe zum Glauben führen, da sie - so das unausgesprochene a priori -
allen Menschen gemeinsam ist und somit die Basis für eine universelle Kom-
munikation bildet:

Umfeld. Die Wertschätzung dieses Werks läßt sich im übrigen allein schon daraus ablesen, daß
es in den letzten Jahren gleich zweimal neu herausgegeben worden ist.
4
Ich beziehe mich bei diesem Vergleich durchweg auf meinen Aufsatz von 1984. Die Zitate aus
dem Werk Vives' sind dem Abdruck in den Opera omnia, Bd. 8, entnommen; sie werden im fol-
genden nur noch mit Seitenzahl in Klammern vermerkt. Bei dem Werk Canos beziehe ich mich
auf die Ausgabe Löwen 1564, gestalte die Verweise aber so, daß auch irgendeine der bis ins 19.
Jahrhundert zahlreichen Neuausgaben benützt werden kann.
5
Herders Theologisches Taschenlexikon, IV 236.
124 Karl Kohut
Da nun die einen schlichtweg ungläubig, andere unsicher oder zweifelnd sind: wäre es in
dieser Situation nicht aller Anstrengung wert, diejenigen mit Argumenten der menschli-
chen Vernunft zu stützen, zu bestärken und zum Glauben zu führen, die allem Anschein
nach durch die Offenbarung Gottes allein nicht zu überzeugen sind?

Neben dieser zentralen Motivation läßt sich eine zweite, kaum weniger wichtige
erkennen. Denn an sich wäre es ja - so könnte man argumentieren - Sache der
Theologen, die Menschen zum wahren Glauben zu bekehren. Diese jedoch - so
läßt Vives erkennen - versagen, da sie sich einer Sprache bedienen, die nur für
Eingeweihte, d.h. scholastische Theologen, verständlich ist:
Wir haben uns in diesem Werk Mühe gegeben, nur Argumente zu gebrauchen, die jeder
verstehen kann, sofern er sie nur aufmerksam liest. Die zu komplizierten oder scharfsinni-
gen Argumente hab^n wir den scholastischen Zirkeln überlassen, denen sie eher angemes-
sen zu sein scheinen .

Damit greift Vives auf sein Jugendwerk In Pseudodialecticos zurück, in dem er


die scholastischen Theologen mit polemischem Spott angegriffen hatte, die sei-
ner Meinung nach die Dialektik überbewerteten, sie überdies falsch anwende-
ten und sich dabei schließlich eines unverständlichen Fachjargons bedienten.
Das Ziel seiner Kritik war im Inhalt die Logik, in der Form die Sprache. Auch
wenn die Theologie im engeren Sinn von dieser Kritik nur indirekt betroffen
war, läßt Vives dennoch eine geradezu emotionelle Abneigung gegen alles
Theologische erkennen, was durch mehrere Briefe an seinen Freund Cranevelt
bestätigt wird. An den durch Reuchlin und Luther hervorgerufenen Glaubens-
streitigkeiten zeigte er sich nicht interessiert, wenn vielleicht auch nur deshalb,
weil sie ihm zu gefährlich schienen8. Allerdings darf man in diesem Kontext
Theologie nicht mit Religion gleichsetzen. Seine Jugendwerke bezeugen im
Gegenteil eine tiefe Religiosität, die allerdings nicht theologisch geprägt, son-
dern erasmistischer Frömmigkeit verplichtet ist.

Zwanzig Jahre später hat sich an Vives' ablehnender Haltung zur Scholastik
scheinbar nichts geändert, denn nach wie vor kritisiert er den Mißbrauch der

"¿Ad quas res quum alii plane sint increduli, alii suspicaces, et dubii, numquid erit operae pre-
tium ut eas humanis ratiocinationibus fulciamus, ac corroboremus, ut ad credendum adducantur
ii, quibus sola Dei dicentis auctoritas non videtur ad persuadendum satis adferre momenti?" (2).
7
"Nos autem in hoc Opere universo dedimus operam, ut argumenta quibus utimur, quivis etiam
possit intelligere, si mentem adverterit. Nam quaedam nimis vel intricata, vel arguta, circulis
scholarum relinquimus, quibus ea videbantur magis convenire" (4).
Dieser Verdacht stützt sich besonders auf folgende Stelle: "Quocirca tu ad me posthac nihil de
Reuclino et Luthero scripseris ac ne de theologia quidem ipsa vel theologis, sed si omnino ali-
quid vis de litteris, de Graecitate, ut facis, de Latinitate, de dialectica, de rhetorica, de
oratoribus, de philosophia, de philosophis; admisce interdum aliquid, si lubet, de iurisconsultis
tuis. Istis omnibus me dedo, istos colo, quoniam me oblectant sine suspitione ulla periculf (Brief
vom 20.12.1520; 1992, 73; Hervorhebung durch mich). Kurz zuvor (1.12.1520) hatte er angesichts
der öffentlichen Verbrennung von Luthers Schriften auf dem Marktplatz von Löwen die
Befürchtung geäußert, daß daraus ein größerer Brand entstehen könnte (ibid., 55). In der
Diskussion betonte vor allem Jozef IJsewijn die Bedeutung der frühen Briefe Vives' für die
Bewertung seines Verhältnisses zur Theologie.
De veritate fidei christianae 125
Logik und die unverständliche Sprache 9 . Aber sein Verhältnis zur Theologie ist
ein anderes geworden. Er überläßt sie nicht mehr den Scholastikern, sondern
versucht den Leerraum auszufüllen, den sie gelassen haben. Erst diese Inten-
tion läßt das Werk zu einem theologischen Werk im eigentlichen Sinn werden.

Struktur und Argumentation


Das Werk ist in fünf Bücher unterteilt, die man wiederum drei thematisch klar
profilierten Teilen zuordnen kann. Der aus zwei Büchern bestehende erste Teil
handelt von der Begründung des christlichen Glaubens. Im ersten Buch reflek-
tiert Vives über die Erkennbarkeit Gottes mit Hilfe der natürlichen Vernunft,
wie auch über das Bild Gottes und seiner Schöpfung, zu dem der Mensch auf
diesem Weg gelangen kann; danach analysiert er in zwei Argumentationsreihen
Sinn und Ziel des menschlichen Daseins. Im Mittelpunkt des zweiten Buchs
stehen Christus und dessen Offenbarungen. Der zweite Teil (wiederum in zwei
Büchern) konfrontiert den christlichen Glauben mit dem Judentum (Buch 3)
und dem Islam (Buch 4). Schließlich setzt sich Vives auch in polemischer Form
mit Zeitgenossen auseinander, die den aus der Antike überlieferten religiösen
Glaubensüberzeugungen anhängen. Dieses Kapitel ist im dritten Teil (Buch 5)
enthalten, das eine Zusammenfassimg der Argumente seines Werks darstellt,
aus denen die Überlegenheit des christlichen Glaubens strahlend hervorgeht.

Aus dieser Struktur lassen sich einige wichtige Folgerungen ableiten. Die
"zweifelnden Christen" erhalten keinen eigenen Teil. Vives setzt sich mit ihnen
zumindest nicht explizit auseinander, löst also den im Vorwort angelegten kon-
trovers-theologischen Anspruch nicht ein. Man könnte allerdings argumen-
tieren, daß die Auseinandersetzung implizit im ersten Teil geführt wird, wie
sich an manchen Stellen erschließen läßt10. Im Zentrum des Werks steht jedoch
eindeutig der Dialog mit Juden und Mohammedanern. Merkwürdigerweise hat
Vives die Polemik gegen die zeitgenössischen Anhänger antiker Glaubensüber-
zeugungen strukturell in einen anderen Zusammenhang gestellt. Schließlich
fällt aus heutiger Sicht auf, daß Vives das Problem der Bekehrung der Bewoh-
ner der neuen Welt nicht mit einbezieht.

De veritate fidei christianae ist in Anlage und Intention eng mit dem zwanzig
Jahre später erschienenen Werk De locis theologicis (1563) von Melchor Cano
verwandt11, wobei ich in dem folgenden Vergleich den Umstand außer acht
lasse, daß es später geschrieben wurde und nach Meinimg Mayans' Vives viel
verdankt 12 . Cano wollte in seinem Werk systematisch alle Quellen darstellen,

g
S. zu diesem Komplex neuerdings González (1987).
10
So besonders im letzten Kapitel des zweiten Buchs, das der Prädestination gewidmet ist und mit
den vielsagenden Worten beginnt: "Magnus scrupulus, et magna quaerela multorum" (244).
Vives läßt es dabei bewenden, deutlicher wird er nicht.
11
1ch beziehe mich in der Folge auf meinen Aufsatz von 1984,90-93.
12
Vgl. den Beginn des Zitats in Anm. 13.
126 Karl Kohut
aus denen der Theologe die Argumente schöpfen kann, um die eigenen
Überzeugungen zu beweisen und die der Gegner zu widerlegen. Diese Quellen
nennt er in Anlehnung an Agricolas De inventione dialectica loci theologici. Die
ersten sieben dieser loci sind auf die göttliche Autorität gegründet und stellen
die im engeren Sinn theologischen Quellen dar. Es sind dies die Heilige Schrift,
die mündliche Überlieferung Christi und der Apostel, die katholische Kirche,
die Konzile, das Lehramt des Papstes, die Kirchenväter und die scholastischen
Theologen. Die letzten drei loci sind den ersten sieben nachgeordnet und ba-
sieren auf der menschlichen Vernunft: die Vernunft selbst, die Philosophie und
die Geschichte. Vives - so erkennen wir jetzt - kehrt das scholastische Schema
um: die menschliche Vernunft steht bei ihm am Anfang, erst dann folgt die
Offenbarung; und er räumt im Gegensatz zu Cano beiden den gleichen Raum
ein.
Mayans hatte in einem kurzen Vergleich die Art der Argumentation Canos und
Vives' einander gegenübergestellt und insbesondere dessen Methode gerühmt,
die Wahrheit darzulegen und auf dieser Grundlage die Zweifel kurz und un-
dogmatisch aufzuklären; Cano hingegen folge der scholastischen Methode,
trenne die Darlegung der Probleme von ihrer Auflösung und überfordere
damit das Gedächtnis des Lesers13. Mayans erwähnt jedoch nicht den auf-
fallendsten Unterschied zwischen den beiden Werken: Vives hat die Bücher
drei und vier seines Werks in der Form eines Streitgesprächs geschrieben,
womit er die bei den Humanisten so behebte Form des Dialogs aufnimmt, der
in diesem Fall dem Inhalt durchaus angemessen ist, da diese Bücher ja die
Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem Islam zum Inhalt haben.
Allerdings ist seine Argumentation nicht so konsequent geradlinig und durch-
sichtig, wie Mayans annimmt. Sie umkreist häufig ihren Gegenstand, was zu
Wiederholungen führt; gelegentüch treten sogar logische Brüche auf. Canos
Art der Argumentation wiederum ist entgegen der Meinung Mayans klar,
einsichtig und im Stil von einer gewissen Eleganz. Aber auch wenn der Ver-
gleich durchaus nicht so eindeutig zugunsten des Humanisten ausfällt, bleibt
unabhängig die Feststellung, daß die Methoden ihrer Argumentation einander
entgegengesetzt sind.

13
"Si instituereter diligens collatio operum utriusque Scriptoris, invenirentur non pauca quae
Canus exaravit jam antea legi apud Vivem; sed dissimili oratione, ac stilo, nam Canus secutus fuit
scholasticum suorum temporum, proponens longam seriem dubiorum, et argumentationum uno
capite, et altero praebens enodationes; quibus obruitur, ac fatiscit memoria legentis, redigendo
lectores ad colligationem argumentorum cum quaque resolutione eorum, magna temporis jac-
tura: Vives usus fuit methodo, in qua resolutio innixa veris probationibus supponit et dissolvit
dubitationem breviter, et aperte: Canus proponit quaestiones; Vives ostendit corruptionem sae-
culi, et motus animorum, cum pietatis spiritu, et animi iunctione" (118).
De ventate fidei christianae 127

Vernunft und Glauben


Vives muß sich bewußt gewesen sein, daß er ein großes Wagnis einging, die
Vernunft an den Beginn seines Werks zu setzen und mit ihr die zweifelnden
Christen wie auch die Nichtchristen zum wahren Glauben führen zu wollen, wie
er bereits im Vorwort schreibt. Daraus erklärt es sich, weshalb er in mehrfa-
chen Wiederholungen darauf besteht, die menschliche Vernunft auch nicht im
entferntesten an die Stelle der Offenbarung setzen zu wollen. Er will vielmehr -
wie er schreibt - allein deshalb mit dem Licht der natürlichen Vernunft die
Wahrheit erforschen, weil die Vernunft das einzige ist, was den Gläubigen mit
dem Ungläubigen verbindet (13). Die mögliche Kritik von "manchen frommen
Männern" (quibusdam piorum hominum), die es für einen Frevel halten, den
Glauben mit Gründen der natürlichen Vernunft stützen zu wollen, versucht er
im voraus dadurch zu entkräften, daß er die Vernunft relativiert und dabei so
weit geht, seinerseits gegen Theologen zu polemisieren, die in der Religion nur
das gelten lassen, was durch die Vernunft gestützt wird, die also die Vernunft
zum Maß des Glaubens machen (17). Daraus sei die schädliche Unterschei-
dung zwischen dem Licht des Glaubens und dem Licht der Vernunft ent-
standen, derzufolge dem Glauben wahr sei, was der Vernunft falsch erscheine,
und umgekehrt. Analog dazu wertet Vives auch die großen Philosophen ab, die
er ansonsten zu seinen Autoritäten zählt, angefangen mit Plato und Aristoteles
bis hin zu den Stoikern, die jeweils von ihren Nachfolgern widerlegt worden
seien, nicht mit dem Licht des Glaubens, das ihnen nicht gegeben war, sondern
mit dem Licht der Vernunft. Auch die Scholastiker hätten nicht größere
Sicherheit erreicht, sondern vielmehr mit sophistischen Scheingründen
wichtigen Dingen das Gewicht genommen (18).

Vives will die Vernunft nicht an die Stelle des Glaubens setzen, sondern sich
ihrer nur bedienen, um zum Glauben hinzuführen. Für ihn liegt das Reich der
Vernunft im Vorfeld des Glaubens:
Wir werden nur von den Geheimnissen Gottes handeln, deren Erkenntnis und Glauben
unser Heil enthält, und zwar mit dem Licht, das unser Herr den Seinen gebracht hat, und
dessen Helligkeit alles klar und sicher macht; und wir werden nicht fordern, daß unsere
Vernunft zum Kanon und Norm des Glaubens werde, sondern nur Einführung für diejeni-
gen, die außen stehen, und Stütze für einige der Unseren .

Vives relativiert die Vernunft und beschränkt ihren Zuständigkeitsbereich, hebt


sie aber nicht auf. Indem er sie von Gott herleitet, kann er auf ihr bestehen,
ohne der Häresie verdächtig zu werden. Die Wahrheiten Gottes übersteigen
zwar - wie er schreibt - die menschliche Vernunft unendlich, sind ihr aber nicht
entgegengesetzt. Deshalb sind alle gegen den christlichen Glauben gerichteten

14
"Nam de divinis solum disseremus mysteriis, quorum cognitione, ac fide salus nostra continetur;
tum ex luce, quam Dominus noster attulit suis, cujus illustratione omnia redduntur perspicua et
certissima; nec postulabimus ut canon et norma fidei sit nostra ratio, sed tantum introductio
quaedam exteris, et quibusdam nostrorum stabilimentum" (18).
128 Karl Kohut
Argumente a priori falsch (14). Vives lehnt das Prinzip der sogenannten dop-
pelten Wahrheit in Übereinstimmung mit den scholastischen Theologen seiner
Zeit prinzipiell ab (18). Er unterscheidet sich von ihnen demnach in der Form
der Argumentation und der Gewichtung, nicht aber in der Sache.
Vives hält die mit dem Glauben in Übereinstimmung gebrachte Vernunft sogar
für fähig, unter den miteinander im Wettstreit hegenden Religionen die allein
wahre zu erkennen. Am Ende des Werks läßt er hypothetisch einen Ungläubi-
gen nach der wahren Religion fragen:
15
Die Juden versichern, daß ihre Riten von Gott stammen; die Agarener , die den größten
Teil der Menschheit darstellen, ziehen ihre vor; ihr Christen glaubt, daß allein in Eurem
Glauben das Heil liegt; jeder sagt etwas anderes: wer hat von ihnen die Wahrheit? Wem
soll ich mich anschließen?

Diesem hypothetischen Ungläubigen erwidert Vives, in der Religion verhalte es


sich ebenso wie in einem Gerichtsverfahren: wenn man die Gründe eines jeden
höre, gegeneinander abwäge und vergleiche, finde man leicht die Wahrheit:
Sieh welche Gründe die Juden, die Agarener, die Christen für sich anführen, und wenn du
das Urteilsvermögen (iudicium) einsetzen willst, wird es wahrlich nicht schwer sein, das
Allerwahrscheinlichste zu finden, denn wir vertraue^ darauf, daß wir diesem Teil in den
vorausgehenden Büchern völlig Genüge getan haben .

Für Vives ist der wahre Glaube noch mit der Vernunft erkennbar, die Zweifel,
die zwei Jahrhunderte später Nathan den Weisen plagten, sind ihm noch unbe-
kannt. Und doch ist Vives dem Aufklärer nicht so fern, wie es auf den ersten
Blick den Anschein haben mag: allein die Gewichtsverlagerung auf die Ver-
nunft stellt bereits den ersten Schritt weg von der fest in sich gefügten Theolo-
gie der Scholastik hin zu einer Emanzipation der Vernunft.

Das Menschenbild
Die Rolle der Vernunft bei Vives ist nur dann adäquat zu verstehen, wenn man
sie mit seinem Menschenbild verbindet, das von fast unvereinbar scheinenden
Gegensätzen geprägt ist. Die Sünde hat Körper und Geist des Menschen so
verderbt, daß er zu einem elenden Geschöpf wird. Besonders drastisch be-
schreibt Vives das körperliche Elend des Menschen:

Der Name ist von Hagar oder Agar abgeleitet, die Sklavin Sarahs und Nebenfrau Abrahams und
Mutter Ismaels war. Abraham verstieß sie zusammen mit ihrem Sohn in die Wüste. Ihr Grab
wurde in Mekka vermutet, weshalb sie als Stammutter der Mohammedaner angesehen wurde.
16
"Judaei asseverant ritus illos suos esse a Deo; Agareni, major pars humani generis, suos prae-
ferunt; vos Christiani in vestra sola pietate salutem esse sitam; alii alia jactant: ¿quod tandem
istorum est verum? ¿cui accedam?" (430).
17
"Vide quas tandem rationes pro se adferant Judaei, quas Agareni, quas Christiani; et si judicium
volueris adhibere, non erit operosum profectö quid verissimillimum sit invenire, nam huic parti
facile nos superioribus libris satisfecisse confidimus" (430).
De vertíate fidei christianae 129
Was kann der Körper an Gutem oder Begehrenswertem haben, da es nichts häßlicheres,
abscheulicheres, stinkenderes gibt als unseren Körper? Wer die Haut abheben mag, wird
stinkende Materie finden, die dur^ji alle Kanäle des Körpers überallhin gleichsam wie
durch Kloaken unaufhörlich strömt .

In dieser Passage verdichtet sich der zumindest im Spätwerk stets latent vor-
handene asketischen Zug zu extremer Körperfeindlichkeit. Vives steht damit
den asketischen Strömungen des Mittelalters nahe, möglicherweise ist darüber-
hinaus auch der Einfluß gnostischer Gedankengänge anzusetzen19.
Vives vergleicht das Leben des Menschen mit dem pflanzlichen Vegetieren des
Fötus im Mutterleib, aus dem es mit der Geburt in die Klarheit des Lichts tritt;
ähnlich wird der Mensch bei der Wiedergeburt das vorhergehende Stadium als
dunkel empfinden. Das diesseitige Leben wird zum Uneigentlichen, das auf das
Eigentliche vorbereitet. Allerdings wird es damit nicht bedeutungslos, da im
diesseitigen Leben der Mensch sich so für das Jenseits formt, so wie es mit dem
Foetus im Mutterleib geschieht.
Ahnlich wie der Foetus im Mutterleib noch über kein Bewußtsein verfügt, ist
auch das Bewußtsein des Menschen im Vergleich mit der Helligkeit des Jen-
seits getrübt. Von dieser Aussage ist es nur noch ein Schritt zum Vergleich des
menschlichen Lebens mit dem Traum:
Unser Leben ist ein Traum, und es vergeht ebenso wie ein Traum; und wir sehen was an
uns vorüberzieht, ähnlich wie es der Geist im Zustand der Ruhe sieht: vieles sehen
wir träumend, was - wie wir schwören würden - wir nicht weniger sicher und wirksam
gesehen haben als was wir wachend sehen und tun: deshalb wird deijeqjjp, der geträumt
hat, glauben, daß er gesehen habe, und wer gesehen, daß er geträumt hat .

Die Sicherheit des Lebens löst sich auf in der Unsicherheit des Traums. Mitten
in der Renaissance kündigt sich hier bereits das barocke Lebensgefühl an, das
in Calderóns Drama La vida es sueño seinen tiefsten Ausdruck finden sollte21.
Aber dieser selbe Mensch, dessen Körper und Geist durch die Sünde verderbt
sind, hebt sich durch seinen Geist und seine Seele über alle anderen Geschöpfe

"¿Denique quid potest esse circa corpus, aut in corpore bonum, aut expetendum, quum ipso
nostra corpore nihil sit turpius, nihil tetrius, et foetidius? Tollat quis cuticulam, videbit quanta
subitö existet foetitas, quae undique per omnes corporis meatus, tamquam per cloacas continen-
terscaturit" (39).
19
In der Diskussion wurde vor allem auf die Gnosis hingewiesen.
20
"Somnus est haec vita nostra, nec aliter transit, quám somnus; et similiter praeteruntia haec aspi-
cimus, ut quae animo per quietem obversantun multa etiam videmus somniantes, quae non mi-
nus certó, et efficaciter juremus nos intueri, et agere, quám quae spectamus vigilantes ac geri-
mus: itaque et qui somniavit, putat se vidisse; et qui vidit, somniasse" (S3).
21
Jozef Llsewijn wies in der Diskussion darauf hin, daß Vives in der zitierten Passage eine Fabel
aufnimmt, die dieser 1531 in einem Brief an den Duque de Béjar erzählt hatte (1978, 570-572).
Nach Frenzel (Stichwort "Der träumende Bauer") ist die Fabel orientalischen Ursprungs und
tritt in Vives' Brief zum ersten Mal in der europäischen Literatur auf. Die Stelle ist danach die
Quelle für alle weiteren Verarbeitungen des Stoffs und damit auch für Calderóns La vida es
sueño.
130 Karl Kohut
hinaus. Für ihn hat Gott alles geschaffen und ihn zum Fürsten über alle ande-
ren Geschöpfe und Dinge gemacht22. Der Körper zieht den Menschen zur
Erde, seine Seele hingegen zur Anschauung der himmlischen und göttlichen
Dinge (H9f). Das eigentliche Wesen des Menschen liegt in den Dingen, die ihn
von den anderen Geschöpfen unterscheiden; und da der Mensch den Körper
mit den Tieren gemeinsam hat, sind alle Lehren, die darauf zielen, das höchste
Gut im Wohlergehen des Körpers zu sehen, dem Wesen des Menschen
unangemessen und falsch. Das Ziel des Menschen ist mit dem seiner Seele
identisch, das seinerseits mit dem des Geistes übereinstimmt, von dem es auf
den ganzen Menschen übergeht. Die philosophische Definition des Menschen
wird zum Gottesbeweis: die Seele kann ihr Glück allein in dem finden, das ihr
gleicht; sie gibt sich jedoch nicht zufrieden mit den himmlischen Dingen und
Wesen, die ihrerseits geschaffen sind, wie die Gestirne und selbst die Engel,
sondern allein mit dem reinen Geist, dem Schöpfer aller Dinge23. Das mensch-
liche Leben in dieser Welt wird zu einer Reise, einem Exil, und die Rückkehr
in die Heimat wird umso süßer, desto beschwerlicher das Exil war (ibid.).

Christlicher Humanismus und humanistische Theologie


Die sehr verkürzte Diskussion der Rolle der Vernunft und des dahinterstehen-
den Menschenbilds reicht aus, um die These zu belegen, De veritate fidei
christianae sei als Gegenentwurf zur scholastischen Theologie zu verstehen.
Dies darf nicht dahin mißverstanden werden, daß Vives sich im Glaubensinhalt
von ihr unterscheide. Vives' Theologie bewegt sich im Rahmen der Orthodoxie;
Grenzüberschreitungen hegen ihm fern. Die Unterschiede hegen vielmehr in
den Adressaten sowie im Inhalt und der Form der Auseinandersetzung.
Vives verteidigt den Glauben gegen zweifelnde Christen und Nichtchristen: Ju-
den, Mohammedaner und Anhänger antiker Glaubensvorstellungen. Bei den
Neuscholastikern hingegen steht die Auseinandersetzung mit den Protestanten
im Vordergrund, daneben steht, wenn auch vergleichsweise marginal, das Pro-
blem der Bekehrung der Indianer.
Der zuletzt genannte Punkt ist besonders für die aktuelle Diskussion über das
Spanien dieser Zeit interessant. Die Bekehrung der Bewohner der neuen Welt
und die damit zusammenhängenden religiösen, moralischen und politischen

22
"Quocirca propter hominis usum haec sunt condita omnia; ilium Deus praefecit dominum, prini-
pemque horum omnium, cujus gratia sunt ex nihilo producta" (121).
23
"Inventum est tandem quod tantopere et quaesierunt veteres, et sciri totius humani generis inter-
est, qui sit finis cui conditus est homo, hunc demostravimus eum esse, qui sit animae, et ex anima
qui sit mentis, et ex mente in universum hominem dimanet: mentis autem est id, per quod fit
beata; beata vero effici non potest a rebus istis sublunaribus, caducis et diariis, quum sit ipsa
immortalis. Porrò nec ea immortalia, quae ipsa in se beatitudinem non habent, reddent eam bea-
tam, ut coeli, et stellae [...] Quocirca solus Deus, qui solus implet mentis nostrae limites, et ex-
cedit, ipse animam nostrani potest beare qui est beatissimus, qui immortalis, qui infinitus, qui
quam beatitudinem habet, ex se ipso habet" (109f).
De veritatefidei christianae 131
Probleme sind für Vives kein Thema, obwohl er die Entdeckungs- und
Eroberungsberichte kennt, wie an mehreren Stellen des Werks sichtbar wird24.
In der Zeit, als Vives sein Werk schrieb, hielt Francisco de Vitoria 1539 seine
berühmten Relectiones de Indis, die großen Einfluß auf die weitere Diskussion
haben sollten25. Der Vergleich der gleichzeitig geschriebenen Werke, Relectio-
nes de Indis und De veritate fidei christianae, geht in diesem Punkt eindeutig zu
Gunsten des Neuscholastikers aus. Vives' Werk ist, wie wir heute sagen wür-
den, ein Beleg für den Eurozentrismus des spanischen Humanismus. Darin wa-
ren die Neuscholastiker seiner Zeit offener, moderner.

Um zweifelnde Christen und Nichtchristen zu erreichen, stellt Vives die Ver-


nunft in den Vordergrund. Der Vergleich mit Melchor Canos De locis theo-
logicis hat gezeigt, daß hierin ein struktureller Unterschied zur scholastischen
Theologie vorliegt, der als inhaltlicher Unterschied gedeutet werden konnte.
Vives hat die darin liegende Gefahr erkannt und relativiert mehrfach die Ver-
nunft, um dem realen oder auch nur antizipierten Vorwurf, er mißachte damit
die Offenbarung, von vornherein die Spitze zu nehmen. Wahrscheinlich ist das
jedoch mehr als nur ein taktisches Argument, um sich keine Blöße zu geben,
sondern entspricht seiner inneren Überzeugung. Seine Argumentation ist mit a
prioris durchsetzt, die der kirchlichen Lehre entnommen sind, wodurch die
Vernunft in letzter Konsequenz dem Glauben untergeordnet wird. Aber auch
wenn ihm das absolute Vertrauen in die Vernunft noch fernliegt, kann man be-
reits den Ansatz zu einer neuen Entwicklung erkennen, die weg von der Theo-
logie zu einer säkularisierten Philosophie führen sollte.

Trotz aller Vorsicht scheute sich Vives jedoch nicht, wie in seinem Jugendwerk
In Pseudodialecticos auch hier die Scholastik dezidiert anzugreifen. Auf den er-
sten Blick scheint es zwar, als sei der Gegensatz geringer geworden, denn die
agressive Sprache der frühen Jahre ist milder Ironie gewichen. Dennoch ist das
Spätwerk radikaler als das Frühwerk, denn Vives begnügt sich jetzt nicht damit,
gegen Sprachgebrauch und Logik zu polemisieren, sondern trägt die Ausein-
andersetzung in den Zentralbereich der Theologie. Der Nichttheologe Vives
realisiert damit den Anspruch, den vor ihm bereits Nebrija formuliert und den
er selbst in De disciplinis formuliert hatte, daß nämlich der Grammatiker auf-
grund seines Wissens über die Sprache fähig sei, über alle Disziplinen zu
schreiben26. Dieser Anspruch mußte zwangsläufig zum Konflikt mit den Theo-

24
S. dazu Gomis (1948), demzufolge Vives sogar beabsichtigt haben soll, ein Werk über Amerika
zu schreiben (333).
25
Ich begnüge mich an dieser Stelle damit, auf den Sammelband von D. Ramos u.a. (1984) hinzu-
weisen; zu den Relectioness. bes. im Aufsatz von Luciano Perefta, 306f.
26 Ich beziehe mich an dieser Stelle wieder auf meinen Aufsatz von 1984, 79f. Bei den Werken

Nebrijas handelt es sich um den Widmungsbrief zur 3. Auflage der Introductiones latinae (149S)
und die Apologia (o.O., o.J., vermutlich Logrofto 1508). Bei Vives finden sich die entsprechen-
den Stellen in dem der Grammatik gewidmenten Buch von De disciplinis; s. bes. Opera omnia
VI, 84.
132 Karl Kohut
logen führen, wie sich am Beispiel Nebrijas verfolgen läßt. Vives versucht den
Konflikt dadurch zu vermeiden, daß er sein Werk explizit nicht als Konkurrenz
zu theologischen Werken bezeichnet, sondern als bloße Hinführung oder Vor-
stufe zur Theologie.
Von welchen Scholastikern, von welchen Werken wollte sich Vives aber abset-
zen? Wir sind auf Vermutungen angewiesen, da er es vermeidet, auch nur
einen Namen zu nennen. Er schrieb sein Werk in einer Zeit, in der Francisco
de Vitoria in Salamanca die Scholastik im Geist des Humanismus reformierte.
Vives erwähnt diese Entwicklung nicht, die zu dieser Zeit allerdings noch auf
die Universität von Salamanca beschränkt war, da Vitorias Werke erst postum
nach den Vorlesungsmitschriften seiner Schüler publiziert wurden.
Hätten die Werke Vitorias und seiner Nachfolger seine Meinung über die
Scholastik geändert? Wir können es nicht wissen. Aber ein erneuter Vergleich
mit De locis theologicis läßt uns vermuten, daß Vives zumindest in einem ent-
scheidenden Punkt sich weiterhin von den Scholastikern distanziert hätte. Da-
mit komme ich zum letzten und vielleicht wichtigsten Unterschied zwischen
seinem Werk und den scholastischen Werken seiner Zeit. Gemeint ist die Art
der Auseinandersetzung mit den Gegnern des christlichen Glaubens, wenn es
überhaupt angemessen ist, im religiösen Bereich von "Gegnern" zu sprechen.
Aber genau dies taten die Neuscholastiker. Melchor Cano hielt die Protestan-
ten für zu ungebildet, um die Argumente der Scholastik zu verstehen; er er-
klärte demzufolge die rationale Auseinandersetzung mit ihnen als sinnlos und
riet in letzter Konsequenz sogar zur Peitsche27.

Ganz anders Vives. Mag sein, daß er es aus Furcht vor Konsequenzen vermied,
die "zweifelnden Christen" mit Namen zu benennen, aber es entspricht auch
dem Geist seiner Argumentation. Er suchte nicht das Trennende, sondern das
Gemeinsame. Um den anderen zu gewinnen, begab er sich mit ihm auf eine
Ebene. Der Dialog in den Büchern drei und vier ist nicht nur Form, sondern
auch Ausdruck seiner inneren Haltung. Obwohl auch er überzeugt war, den
allein richtigen Glauben zu haben, blieb er demütig, wie besonders eindringlich
an folgender Stelle sichtbar wird:
Ich möchte die Leser daran erinnern, daß auch ich ein Mensch bin, und nur ein Mensch,
und nicht alles erreiche, nicht alles gelesen habe oder im Gedächtnis habe, was Gott ande-
ren gezeigt hat, und sie nicht von mir mehr erhoffen oder fordern mögen, als von einem
Menschen mittlerer Intelligenz und Bildung zu erwarten ist; und daß sie nicht der Wahr-
heit eine so große und unwürdige Beleidigung antun mögen, daß sie den Geist eines einzi-
gen Menschen zum Maß ihrer Universalität nehmen. Deshalb kann es geschehen, daß der
Leser in diesem Werk manchmal Argumente findet, die seinen Erwartungen nicht genü-
gend entsprechen: die Ursache liegt nicht in der Frömmigkeit^sondern in der Dunkelheit
meines Geistes, oder des menschlichen Geistes ganz allgemein .

27
S. meinen Aufsatz von 1984,102.
28
"Meminisse quoque lectores velim, me et hominem esse, et unum hominem, nec omnia per me
assequi, nec omnia quae aliis Deus ostendit legi aut recordor, ne plus a me vel sperent, vel exi-
De veritate fidei christianae 133
Die Passage geht weit über den traditionellen Bescheidenheitstopos hinaus.
Der intellektuelle Triumphalismus, der das Werk Canos auszeichnet und der
die Gegenreformation auf lange Zeit bestimmen sollte, liegt Vives fern. Es ist
diese Haltung der Demut, die in letzter Instanz De veritate fidei christianae zum
humanistischen Gegenentwurf zur scholastischen Theologie seiner Zeit werden
läßt.

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gant, quäm ab homine mediocris ingenii, atque institutionis; neve tantam, tamque indignam faci-
ant injuriam veritati, ut illius universae, unius ingenium velint esse mensuram. Itaque fieri pote-
nt, ut rationes aliquando inveniat lector in hoc opere non satis animi sui expectationi responden-
tes: non erit hoc pietatis vitium, sed vel meum proprium, vel tenebrarum humanae mentis" (29f).
134 Karl Kohut
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85.
Humanismo e Ilustración en España:
la exaltación de la figura de Vives por
los eclécticos del siglo XVIII

Francisco Sánchez-Blanco (Bochum)

I.

Con esto de los aniversarios se corre el peligro de que la repetición casual de


unas cifras nos obligue a rememorar obras e ideas, que, en realidad, sólo nos
alegran porque pertenecen definitivamente al pasado. Al automatismo de los
aniversarios se une el morboso interés de quienes confunden la cultura con un
vago sentimiento nacionalista. Curiosamente, para celebrar glorias locales
siempre se encuentran mecenas, convencidos quizá éstos de que, de alguna
forma, recaen sobre ellos mismos los elogios que se hacen a sus famosos pai-
sanos. Así resulta que, periódicamente, por la magia de las fechas renacen
opiniones trasnochadas y reaparecen en la escena personalidades dudosas que
a no ser por tales circunstancias continuarían disfrutando de un bien merecido
olvido.
¿Estamos en el caso de Juan Luis Vives ante un fenómeno semejante? Además
de la insaciable curiosidad erudita por conocer exactamente el pasado ¿hay al-
gún discurso contemporáneo en el que se integrasen las ideas de nuestro hu-
manista? Cuando se releen sus tratados morales y se tropieza uno con falsos
consejos dietéticos, con un agustinismo1 enemigo del cuerpo y con un
programa educativo que propone una conducta para la mujer de lo más pobre
y unilateral o cuando se comprueba que Vives mantiene una actitud bastante
negativa ante la ciencia natural contemporánea2, surge realmente el temor de
que alguien sienta nostalgia de aquellas teorías y de que la labor del historiador
sea manipulada para fines políticos y culturales con los que está en desacuerdo.
Al celebrarse en 1940 el cuarto centenario de la muerte de Vives, José Ortega y
Gasset3 fue invitado en Buenos Aires a dar una conferencia sobre su ilustre
compatriota. Dando muestras de enorme desparpajo, Ortega olvida referirse a
la obra del homenajeado y aprovecha la ocasión para, primero, explicar al

Uno de los primeros trabajos de Vives consistió en comentar la Ciudad de Dios. La obsesión por
el maquillaje y el vestuario de las féminas pone de manifiesto una ética regida por el concepto
del 'pudor* que desplaza y arrincona virtudes más importantes.
2
Vives, en nombre de la moral, no adopta solamente una actitud antiespeculativa. Su pensa-
miento va en contra de los presupuestos antropológicos que llevarán a desarrollar la ciencia mo-
derna. Por eso es un tanto extraño y sorprendente que se le haya querido presentar como uno de
los fundadores de la ciencia empírica.
3
Cf. "Juan Luis Vives y su mundo", en: Obras completas, Madrid 1962, t. IX. Sin mayor justifica-
ción que la de ser escritos motivados por una conmemoración, los compiladores de las Obras
completas de Ortega lo situaron junto a los dedicados a Goethe.
136 Francisco Sánchez-Blanco
público su propia filosofía del yo y la circunstancia y, segundo, para esbozar una
vez más su problemática visión histórica del advenimiento de la modernidad.
Tras componer un marco un tanto arbitrario con lo que él cree que es la
manera moderna de pensar y de enfrentarse con la vida, Ortega sitúa en él la
figura de Vives y, sin mayor estudio, le pone en la galería de los fundadores de
la Europa moderna. Al pertenecer Vives a la generación de 1500, representará
por necesidad, según la ingenua deducción orteguiana, los primeros atisbos de
la modernidad. Así, sin más, queda probado y asentado que Vives es un ejem-
plo de pensamiento moderno.
Ya que Ortega se mantiene en un plano de generalidades muy imprecisas, sus
explicaciones sobre el comienzo de la Edad Moderna pueden ser escuchadas
sin gran fastidio, pero cuando llega el momento de hacer el panegírico de
Vives, al ilustre conferenciante se le vienen a los labios expresiones tan altiso-
nantes que hieren los oídos de cualquier historiador con algo de sentido crítico.
Ortega no siente empacho alguno en decir que Vives es el primer antropólogo
que ha existido4; que es el primer intelectual serio que surgió en Occidente5; y
que su método abrió por fin las puertas a la experiencia6. Huelga decir que
Ortega no se entretiene en probar semejantes afirmaciones, con la esperanza
de que sus pasmados oyentes no trataran de poner en la balanza cada una de
sus palabras.
En el anterior aniversario de Vives, ni Ortega ni ninguno de los que entonces
tomaron la palabra aportaron pruebas decisivas para documentar la moderni-
dad de ese valenciano emigrado a los Países Bajos. Los textos de Vives, ni en
cuanto moralista ni en cuanto filósofo, ofrecen suficiente material para hacerlo
un pionero de la ciencia o de la conciencia moderna. ¿Por qué, pues, desde
hace tiempo se glorifica a pesar de todo su nombre, excusándose no obstante
de insistir en sus ideas? ¿No será que Vives es un pretexto para proponer un
sucedáneo de modernidad y un modelo de pseudorreforma, al que desgracia-
damente han recurrido repetidamente en la reciente historia cultural de
España los representantes del tradicionalismo conservador?
La circunstancia recurrente de 'una crisis de la cultura' se inicia, por lo general,
con un manifiesto de descontento frente a la ciencia institucionalizada y, más
concretamente, contra la enseñanza universitaria. Al hablar de la crisis espriri-
tual o material que afecta a una época, los analistas de la sociedad tornan su
mirada hacia los contenidos y los métodos que se transmiten a la juventud
desde las cátedras universitarias. De hecho, en el Renacimiento, en la Ilustra-
ción y en nuestro mismo siglo encontramos situaciones que revisten cierta
semejanza. En los tres casos se ha achacado a la Universidad el defecto de

4
Obras completas de José Ortegay Gasset, Madrid 1962, t. IX (1960-1962), p. 528.
5
Ibidem, p. 539.
6
Ibidem, p. 536.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 137
profesar una ciencia de abstracciones, alejada de la realidad, atenta a definir y
no a actuar, aspectos que los humanistas criticaron ya a la escolástica medieval.
La conciencia de crisis adquiere más consistencia cuando se ponen algunos
ejemplos de decadencia o de corrupción en las diferentes disciplinas y esta la-
bor no ha resultado nunca especialmente difícil. En todo esto, además se ob-
tiene rápidamente un amplio consenso. Decir que los estudiantes no aprenden
materias importantes o que se expresan deficientemente, encuentra aplauso
unánime por parte de conservadores y de progresistas. Las disensiones comien-
zan cuando unos y otros presentan sus correspondientes modelos alternativos.
La triste experiencia es que, tras muchos informes e innumerables deliberacio-
nes, todo sigue como estaba.
En España, momentos paradigmáticos de crisis cultural y de deseos de reforma
universitaria tienen lugar, primero, a finales de la Edad Media; después con la
política renovadora de los primeros Borbones; y, posteriormente, en diversas
coyunturas históricas contemporáneas. En todos estos momentos, la imagen de
Vives presidió los modelos conservadores. El penúltimo ejemplo lo tenemos en
la época de Franco cuando se puso bajo la advocación del humanista valen-
ciano el instituto del Consejo Superior de Investigaciones Científicas que debía
dedicarse a la filosofía y que fue el refugio de la más acendrada reacción contra
el espíritu moderno7.
Actualmente, hablar de Vives, como de cualquier otro escritor, significa hacer
juego a esa política cultural, tan en boga en la España de las Autonomías, que
sólo promueve cultos a personalidades locales y regionales. Los aragoneses
hablan encomiosamente de Servet, los andaluces de Nebrija y los valencianos
de Vives, porque ... son de su pueblo.
Los que vivimos en la diáspora, desenraizados y sin sentir ese bálsamo sedante
de la identidad, nos podemos permitir el lujo de buscar una perspectiva histó-
rica que no está al servicio del culto a las glorias regionales. En el caso que nos
ocupa vamos a intentar exponer críticamente el sentido y la intención que tuvo
el recurrir a la figura de Vives y a su obra en la España de la Ilustración.
De la recepción de Vives en España antes del siglo XVIII ya han hablado
otros. El mismo P. Batllori ha reconocido que las sospechas de heterodoxia que
abrigaba Ignacio de Loyola respecto a Erasmo y a Vives condicionaron la utili-
zación de sus respectivos escritos en los colegios de la Compañía. Si a esto se
añade la notoria ascendencia judía de su familia, se comprende que Vives no

A pesar de que la visión nacionalista que tuvo de su paisano el director de la sucursal de dicho
instituto en Barcelona, Tomás Carreras Artau, sus juicios son más ponderados que los que por
las mismas fechas expresara Ortega. Su discurso para el acto homenaje, con el título "Luis Vives:
su significación hispano-renacentista" (en: Estudios filológicos, Barcelona 1968, t. II, pp. 165-
177), está en la más pura tradición nacionalista, resaltando paradójicamente el aspecto español
(!) de la filosofía de Vives, que, como es sabido, apenas si vivió en España.
138 Francisco Sánchez-Blanco
pudiera ser considerado por sus inmediatos contemporáneos un auténtico y
representativo pensador de la España imperial y católica del siglo XVI.
Quedaba rota la posible tradición del magisterio viviano.
La influencia sobre la España barroca fue reconocidamente muy escasa y fuera
de España tampoco tuvo discípulos directos o lectores que desarrollaran sus
doctrinas. La relación que algunos han querido ver entre Vives y Bacon o con
Descartes y Gassendi, los fundadores de la filosofía moderna, e incluso con
Kant, ha resultado insostenible por lo gratuita. Provenían esos intentos de una
metodología poco fiable, que, creyendo en la existencia de una vaga e impre-
cisa philosophia perennis, señala algún que otro lejano paralelismo entre las ex-
presiones de uno y otro autor para afirmar a continuación una dependencia o
influjo entre ambos8.
Otra cosa es, sin embargo, analizar los presupuestos ideológicos y dar razón de
un hecho histórico: de la exhumación de la obra del humanista valenciano y de
la frecuente mención de su nombre en el contexto de las disputas filosóficas
que caracterizan el Siglo de las Luces en España. Vamos a aprovechar el pre-
sente quinto centenario de su nacimiento para esbozar un capítulo de la recep-
ción de su obra en la historia intelectual de España.

II.

Se ha dicho con razón que el siglo dieciocho español significa una negación del
inmediato pasado barroco pero más para retornar a la época del Renacimiento
que para avanzar hacia la modernidad. Tal afirmación, por no ser del todo ver-
dad, puede resultar engañosa. En primer lugar, sólo una parte muy significada
de los ilustrados españoles aceptan el modelo humanista y, en segundo lugar,
ese mismo grupo sólo admitirá de una forma muy selectiva la filosofía del
Humanismo europeo. De la filosofía humanista toman exclusivamente aquellos
elementos que necesitan para apoyar el discurso polémico que mantienen
contra los que quieren romper con el pasado y seguir el empirismo gnoseoló-
gico que promocionan los gobiernos de los primeros Borbones y que se inspira
en Bacon, Locke y en los materialistas posteriores.
La vuelta al modelo retórico y humanista de formación fue una temprana exi-
gencia que propusieron los primeros reformadores españoles del Siglo de las
Luces. La sensación de decadencia de la cultura española era compartida por
muchos y entre los críticos destacaban los herederos de la erudición clásica y
los aficionados a las ciencias históricas, los cuales se concentraban sobre todo
en la región levantina, favorecidos sin duda por su mayor contacto con Italia y,
en especial, con Roma. Pese a tales circunstancias ambientales que favorecían
la continuidad con el período humanista, la figura de Vives permanece bastante

g
Ejemplo de tal manera de escribir la historia es Sancipriano, Mario, Il pensiero psicologico e mo-
rale di G. L. Vives, Florencia s.a.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 139
olvidada hasta que en Valencia Cristóbal Coret publica una edición de los
Diálogos del docto valenciano Luis Vives (1723), que va acompañada de una
carta de Gregorio Mayans y Sisear (1699-1781). Pero, incluso Mayans, que lle-
gará a convertirse en su gran mentor, no abrigaba en sus años jóvenes una
opinión muy favorable de su paisano Vives. Primeramente, recuerda que no
gozó de simpatías entre los grandes escolásticos de su tiempo a pesar de ser un
gran psicólogo y moralista8. En otro lugar, reconoce que su latín presenta un
"estilo algo duro"10. Avanzado el tiempo, Mayans elogia a Vives con menos
reservas y manifiesta ya desde qué perspectiva filosófica resulta importante
recuperar su figura: "En la libertad filosófica fue el primero que en Europa
levantó el grito."11 La reivindicación de la libertad filosófica es fundamental en
el programa ecléctico de Mayans, pero no implica ninguna revolución contra la
jerarquía eclesiástica, ni ninguna intención heterodoxa. Su idea de libertad no
es ni siquiera sincretista, de coger lo mejor de aquí y de allá. El piensa
exclusivamente en la libertad que debe poseer un catedrático para exponer a
sus alumnos la opinión más segura y más autorizada entre las aceptadas tra-
dicionalmente por la Iglesia.

Si Vives, en su tiempo, pensó 'libremente', sin atenerse a ninguna escuela, fue


por razones didácticas y pedagógicas. El enseñante, y en ése está pensando
siempre Vives, debe exponer la verdad de forma sencilla y asequible y no en-
tretenerse en interminables distinciones y polémicas. Pero, como también le
falta tiempo para reunir y exponer la verdad desperdigada en distintos autores,
debe preferir una doctrina garantizada por la tradición. Su receta concreta
consistió, por eso, en volver a Aristóteles12 a pesar de que se interesase por ex-
poner la evolución del pensamiento en la época clásica.

La libertad y la actitud abierta hacia todos los autores clásicos sin preferencias
de escuelas13, que Mayans aprecia en Vives, no obsta para que subraye la preo-
cupación que debe tener todo pensador cristiano por permanecer dentro de los
límites de la ortodoxia. Haciendo hablar en una de sus obras a Luis Vives, pone
en sus labios las siguientes palabras:

g
Mayans y Sisear, Gregorio, Obras completas, t. V: Ensayos y varía. Edición preparada por
Antonio Mestre Sanchis, Valencia 1986, p. 298.
10
Ibfdem, p. 265.
11
"Aprobación por comisión del Real Consejo de Castilla, de 'Escritores del reyno de Valencia de
Vicente Ximeno, Valencia 1747-1749'", en: Mayans y Sisear, Gregorio, Obras completas, op. cit.,
p. 316. Mayans recoge la opinión de Gassendi, según la cual, Vives le habría desengañado de los
estudios filosóficos.
12
Cf. De discipíinis, parte II, De tradendis discipíinis, 1. IV, c. VI.
13
Ib ídem.
140 Francisco Sánchez-Blanco
[...] siempre llevé por delante no sólo no innovar cosa alguna en las de religión, pero ni aún
en las físicas, contentándome con usar en todo lo demás con una libertad bi^n atentada,
principalmente dirigida a combatir sofistas, que tenían tiranizados los ingenios .

Los criterios por los que, según Mayans, Vives se orientó en su recepción del
pensamiento clásico fueron "la razón natural y la religión cristiana"15. Pero la
razón natural, tal y como la entiende Mayans, no es una instancia autónoma e
individual, sino que resulta inseparable del consenso universal y de la tradición,
o, lo que es lo mismo, de la doctrina definida autoritariamente por la jerarquía
eclesiástica.
Mayans quiere mejorar la formación de los españoles y para eso les receta la
lectura de los grandes autores, filósofos en su mayoría, del siglo XVI. Propone
modelos para la elocuencia y por eso remite a los que escribieron en lengua
castellana. De ahí que los nombres que él mencione con más insistencia sean
los de fray Luis de León, fray Luis de Granada, Gómez Pereira, Juan Huarte y
algunos otros. Esta recomendación va dirigida a aquellos que quieren ser
escritores, oradores sagrados o, simplemente, que desean adquirir una erudi-
ción literaria e histórica presidida por el 'buen gusto'. La referencia a Vives no
entra en este capítulo puesto que escribió sólo en latín. Cuando Mayans men-
ciona su nombre lo hace en unión con otro reformador de la escolástica: Pedro
Juan Núñez18. La recomendación de leer a Vives va acompañada de la apos-
tilla: "mi sabio paisano", lo cual indica que para él localismo y regionalismo ya
juegan un papel adicional junto a razones exclusivamente literarias. Hay que
suponer que Mayans apela al sentimiento patriotero, y no patriótico, de sus
conciudadanos. Quizás espera que, trayendo a colación el nombre de un pai-
sano, sus propios argumentos adquieran mayor fuerza y se le escuche a él
mismo con mayor deferencia. Lo más importante, sin embargo, es el interés por
situar el propio pensamiento dentro de la tradición hispana y ortodoxa en lugar
de orientarse por autores protestantes y extranjeros.

14
"Aviso segundo de don Gregorio Mayans i Sisear, añadido a los de Parnasso del dotor Juan
Bautista Corachán (1747)", en: Obras completas, op. cit., pp. 325 s., cf. también p. 329. Se simula
un diálogo entre Vives y Corachán a propósito de los Rudimentos filosóficos de éste último.
15
"[...] Luis Vives, que fue el primero que descubrió las causas de la corrupción de las artes libera-
les i de las ciencias; i manifestó los medios de mejorarlas; i los practicó felizmente para egemplo
de lo que deven hacer los hombres sabios. Este insigne valenciano, pensando, i bien, que la vir-
tud es el fundamento de la sabiduría, hizo una breve suma de la filosofía moral, en que recogió
toda la sana i útil dotrina de Platón, Aristóteles, Cicerón, Epicteto, Séneca i Plutarco, en lo que
era conforme a la razón natural i a la religión christiana; i perficionando aquella dotrina con esta
divina luz, la hizo fácilmente inteligible [...]"; "Dedicatoria, que precede el libro intitulado
'Introducción a la sabiduría', compuesta en latín por el doctor Juan Luis Vives, traducida en cas-
tellano por Diego de Astudillo", en: Mayans y Sisear, Gregorio, Obras completas, op. cit., p. 371.
16
1522-1602. Nacido en Valencia, estudió en París con Petrus Ramus. Se afilió a una corriente
neoaristotélica que buscaba conciliar las doctrinas de Aristóteles con las de Platón. Fue, ante
todo, un reformador de los estudios y sus escritos iban dirigidos a mejorar la enseñanza en las
diversas disciplinas. Autor de gramáticas de griego y de tratados de retórica, propuso también
libros de texto para teología, filosofía y física.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 141
Junto al patriotismo, la religión ofrece un motivo para exaltar la figura de
Vives. Mayans recurre a él con idea de ofrecer el eslabón necesario para
construir la historia de España como producto de una providencia divina espe-
cial que tuvo como consecuencia que la nación conservara la fe católica. Así
puede hablar, al margen de la incombustible escolástica, de una tradición
española y cristiana, que no interrumpió el Renacimiento de la Antigüedad clá-
sica, y que puede servir de alternativa válida a los modelos que en sus días se
importaban de Francia, Inglaterra y Holanda. Un cierto nacionalismo cultural,
heredado de la política de los Austrias, pudo llevar a Mayans a componer la
Oración en alabanza de las eloquentíssimas obras de Don Diego Saavedra
Fajardo (1725), quien, como se sabe, fue un acérrimo defensor de la política
confesional y católica española contra los criterios laicos que empezaban a
predominar en otras cancillerías europeas.

Algunos historiadores han entendido ese volver la mirada al Renacimiento


como si en España en lugar de una Ilustración irreligiosa hubiera habido sólo
un 'humanismo cristiano'. Esa denominación, historiográticamente hablando,
refleja el interés por etiquetar una época de forma que no aparezca por nin-
guna parte la ruptura con la tradición católica. Pero, en la España del Siglo de
las Luces no hubo propiamente un movimiento humanista, por mucho que se
reeditaran algunos autores del siglo XVI. Los llamados 'ilustrados cristianos'
no pretendían, como en el primer humanismo, restaurar el mundo grecorro-
mano y recuperar gran parte de la moral pagana, sino volver a enlazar con una
tradición nacional y católica. Ni siquiera participa de preocupaciones comunes
al Humanismo europeo en general.
Las razones por las cuales Vives resulta interesante a Mayans no tienen nada
que ver con aquella cultura italiana o, más concretamente, florentina y con
aquel racionalismo filológico que marcó la vida intelectual de Europa en el
siglo XVI. Tampoco puede entenderse la revalorización de Vives en el marco
de la discusión estética dieciochesca en torno a la superioridad de los clásicos
sobre los modernos. En España, la reedición o interpretación de obras clásicas
es un asunto muy marginal y Vives no se había significado especialmente en ese
terreno. El estudio de la Antigüedad clásica no juega ningún papel en las acti-
vidades de los ilustrados-humanistas-cristianos españoles. Si acaso, se preocu-
pan del pasado nacional, pero no del mundo grecolatino. Los estudios clásicos
no van mucho más allá de la gramática latina y de algunos ejercicios de imita-
ción literaria. Fuera del tratado sobre las pasiones Peri pathón del deán alican-
tino Manuel Martí, redactado en los primeros años del siglo, y en el que se
analiza con cierto detalle la terminología psicológica de los autores antiguos,
los humanistas españoles del siglo XVIII no sentirán especial curiosidad cientí-
fica por el mundo pagano. La crítica filológica y la investigación histórica cen-
tran su atención con casi absoluta exclusividad en el pasado nacional, en sus
tradiciones piadosas y en sus problemas de jurisdicción eclesiástica y civil.
142 Francisco Sánchez-Blanco
Mayans no representa ni siquiera el programa propiamente neoclásico, en el
que se concede preferencia a los antiguos sobre los modernos, canonizando los
modelos griegos y romanos. El neoclasicismo tiene una faceta paganizante que
desentona ideológicamente con el 'humanismo' al que se apunta Mayans, quien
nunca persiguió resucitar un mundo estético y moral anterior al cristianismo ni
sustituir la moral cristiana por otra natural y filosófica. La falta de enten-
dimiento entre Mayans y los neoclásicos viene documentada por las polémicas
y enfrentamientos con Juan Iriarte, que se prolongarán entre Juan Pablo
Forner, discípulo de Mayans, y Tomás de Iriarte, sobrino de Juan. El neoclasi-
cismo racionalista de la Corte madrileña y el humanismo valenciano están reñi-
dos y son irreconciliables por razones de principio, más allá de las antipatías
personales. El neoclacisismo tiende al naturalismo y al racionalismo, mientras
que el eclecticismo de Mayans opta por lo sobrenatural y por la creencia.
Resumiendo: el carácter ejemplar de Vives para los hombres del XVIII no
tiene conexión con el humanismo puesto que ni siquiera era apreciado como
modelo de latinidad. Por otro lado, Vives, en cuanto escritor latino, tampoco
servía de modelo a escritores que querían escribir en castellano.
Al margen de los aspectos literarios queda por ver si las preocupaciones reli-
giosas y filosóficas de Vives respondían a los problemas que tenía la Iglesia en
el siglo XVIII. Desde luego, la admiración que Mayans siente por Vives tiene
su origen en criterios de orden ideológico antes que en lingüísticos o estéticos.
Vives significa para él un precedente importante y un punto de referencia a la
hora de proponer a los políticos una reforma cultural de signo ecléctico17.
En contra de la obsesión por las reformas de la industria y el comercio, inspi-
radas en el empirismo y el utilitarismo, que favorecen los gobiernos en la pri-
mera mitad del siglo XVIII, Mayans no cree que la decadencia de las letras
españolas se superaría dando cabida a la física y las matemáticas en los planes
de estudios. De acuerdo con su formación jurista subraya la necesidad de cono-
cer profundamente la historia y las instituciones para gobernar una nación. La
labor primordial debe tener como meta formar un cuerpo de juristas e historia-
dores que legislen teniendo en cuenta las tradiciones y las realidades naciona-
les. Indudablemente, ese tipo de conocimiento no lo cultivaba la escolástica
universitaria. Mayans propone como alternativa un plan de estudios, centrado
en el estudio de los moralistas antiguos y de la historia, que coincide en muchos
puntos con el modelo pedagógico que había contribuido a poner los cimientos
de la Edad de Oro de las ciencias y las letras en España. Las humanidades, en
opinión de Mayans, formaban hombres de buen criterio, elegante expresión y
profundo conocimiento de la historia patria. La Monarquía tenía que estar
interesada en disponer de vasallos con esas cualidades. Juristas, filósofos, ora-

Sobre la noción histórica de 'eclecticismo' cf. Dillon, J. y Lang, A. A. (ed.), The Question of
'Eclecticism': Studies in Later Greek Philosophy, Berkeley 1988, y Schneiders, Werner (ed.),
Christian Thomasius: 1655-1728, Hamburgo 1989.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 143
dores y literatos eran más importantes, según él, que técnicos que introdujeran
nuevos cultivos, pusieran en marcha manufacturas o construyeran obras públi-
cas. A Mayans le preocupa la reforma de las facultades de teología y derecho,
las facultades mayores. La de medicina le interesa menos. Fuera de su traduc-
ción de El mundo engañado de los falsos médicos. Discursos del Dr. Josef
Gazzola (1729), no tiene apenas escritos referentes a la física. Sin embargo,
muy pronto esboza la figura de un Orador cristiano, de un hombre más atento a
la moral y a la doctrina que a explicar los fenómenos de la naturaleza.
La reforma universitaria de Mayans contiene un claro elemento polémico
frente a la pedagogía escolástica, que se seguía practicando en las universi-
dades españolas todavía en la segunda mitad del siglo XVIII. Si había, pues,
que demostrar las insuficiencias y defectos del método escolástico, Vives en
este punto, ofrecía suficientes argumentos y era un bienvenido precedente en el
que apoyar la necesaria crítica al método y al lenguaje que empleaban las cáte-
dras, ya fueran tomistas, scotistas, lulistas o suarecianas. Además, sus escritos
presentaban una doctrina moral, centrada en la religión, pero desde una
perspectiva laica -más burguesa que aristocrática-, que contrastaba claramente
con la que todavía enseñaban los jesuítas en sus colegios.
Todo programa de reforma exige una legitimación y dentro de la mentalidad de
Mayans esa legitimación debía ofrecerla el pasado nacional. De ahí se remita a
un autor español cuyas intenciones habían sido parecidas a las propias y, a par-
tir de ese momento, Vives adquiere para él un lugar de excepción entre las
autoridades que avalan el programa ecléctico.
En 1765, cuando ya en España se dejan sentir las repercusiones de una Ilustra-
ción poco afecta a la religión, escribe Mayans una carta-prólogo, dirigida al
Conde de Aranda, a la traducción que Diego de Astudillo hace de la Introduc-
ción a la sabiduría de J. L. Vives18. Más tarde, en 1781, casi en puertas de su
muerte, escribe un 'Aviso al lector' para el Tratado del socorro de los pobres,
traducción preparada por Juan de Gonzalo Nieto. Ambos escritos hay que
contemplarlos en relación con los intentos gubernativos de legislar sobre en-
señanza y en materia social. Desde luego no responden a un espíritu 'ilustrado'.
La tardía edición de las obras de Vives por los hermanos Gregorio y Juan
Antonio Mayans (Valencia 1782) va acompañada de una Vita VIVÍS, que, ade-
más de datos biográficos, recoge una serie de juicios de autores nacionales y
extranjeros sobre la significación y el valor de las obras del humanista valen-
ciano18. En este contexto puede verse que el recurso a Vives no responde a una

18
Cf. Alventosa, Joan, "Una edición de la 'Introducción a la sabiduría' de Luis Vives", en: Anales
de cultura valenciana, IV, 1929, pp. 115-120.
18
Cf. Robles, Laureano, "Los hermanos Mayans, editores de Vives", en: Mayans y la Ilustración.
Simposio internacional en el Bicentenario de la muerte de Gregorio Mayans, Valencia 1981,1.,
pp. 247-288.
144 Francisco Sánchez-Blanco
mera nostalgia de tiempos pasados o a un sentimiento de orgullo regional sino
que forma parte de un conjunto de ideas que reflejan una corriente de pensa-
miento muy difundida a nivel europeo.
Gran espacio obtienen en la Vita los juicios de Jakob Brucker, expresados en
su Historia critica philosophiae20. Brucker, pastor luterano y profesor en Augs-
burg, fue el representante por excelencia de la corriente ecléctica, corriente
que en Alemania también constituye una manifestación concomitante a las
primeras 'luces', puesto que abandona el dogmatismo escolástico y propone
una visión histórica del saber. Se puede decir que Brucker, con anterioridad a
Mayans, recupera la figura de Vives para el siglo XVIII ya que le considera
como un precursor de su propia reforma. Evidentemente, a Brucker le interesa
destacar la aportación de Vives a la historia de la filosofía aunque, al mismo
tiempo, relativiza su significación para la filosofía sistemática. Explícitamente,
Brucker lo considera un crítico de la cultura y, concretamente, de la corrupción
de las disciplinas universitarias. Del mismo modo resalta el dato de que
aconsejara la lectura directa de los autores clásicos y de que no estuviera
afiliado a ninguna de las sectas sino que prefiriera comparar las opiniones y
escoger siempre la doctrina mejor.
Que Vives, en sentido genérico, profesó el eclecticismo, no cabe duda. Carlos
G. Noreña21 ha subrayado con insistencia ese aspecto de su pensamiento. Pero,
además, se puede demostrar que Mayans y Vives coinciden en apreciaciones,
que constituirán en los tiempos recientes las líneas maestras de una corriente
del pensamiento español, que tiene sus raíces en el eclecticismo dieciochesco.
Los elementos comunes entre Vives y Mayans son precisamente los mismos
que a nivel europeo establecen las constantes de la filosofía ecléctica en el siglo
XVIII: prioridad de la retórica sobre las ciencias físicas; conciencia histórica de
la verdad; búsqueda de un criterio para moverse entre la pluralidad de autori-
dades; y resistencia a enrolarse en una escuela particular.

20
Leipzig 1742-1744. En el primer tomo, Brucker destaca la función critica y restauradora de Vives
en el campo de la enseñanza universitaria y muy en especial subraya su aportación a la historia
de la filosofía. Las informaciones particulares sobre Vives que contiene el tomo cuarto están
tomadas de Nicolás Antonio. Los párrafos que Brucker dedica a Vives están recogidos casi
íntegramente en la Vita Vivís. "Certum est inter literatissimos sui saeculi viros Vivem locum
merito occupasse; quamvis autem Philosophum se praestare, et nova Philosophiae lumina
accendere, praeter paucos quosdam libros, conatus haud sit, cum praeter breves quasdam
tractationes, quae tomum tertium (in editione Frelloniana qua utebatur) operis de Corruptis
artibus, et tradendis Disciplinis occupant, et De Prima Philosophia, De Explanatione
Essentiarum, De Censura Veri, De Instrumento Probabilitatis, et De Disputatione agunt, nihil,
quod ad Philosophiam spectet, scripto tradiderit, non negligendus tamen in Historia saeculi XVI
philosophica est, tum ob librum De Initiis, Sectis, et Laudibus Philosophiae, tum ob scripta
Polemica contra corruptores Artium, et Disciplinarum, librumque in Pseudo-Dialecticos",
Joannis Ludovici Vivis, valentini, opera omnia..., Valencia 1782,1.1., pp. 112 s.
21
Juan Luis Vives, La Haya 1970.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 145
Las cuestiones centrales que llevan a escribir a uno y otro muestran la identi-
dad de intenciones. Vives, por ejemplo, redacta tratados De censura veri y De
instrumento probabilitatis, que, de hecho, reflejan los mismos planteamientos y
soluciones que Mayans cuando se remite al criterio del 'buen gusto', en lugar
de recurrir a la experiencia individual o a la verosimilitud de los objetos de los
sentidos, para moverse en el terreno de la filosofía, de la historia y de la litera-
tura. En el escrito apologético De veritate fidei christianae recuerda Vives el
criterio ciceroniano de la verdad que se basa en el consentimiento universal:
"aquello en lo que conviene el espontáneo consentimiento de todos, es forzoso
que sea verdad"22 y "la verdad es una mientras que la falsedad es varia y múlti-
pie"23.
La actitud fundamental del Vives filósofo es la de no entrar en disputas y la de
evitar cuestiones de detalle, situándose en un plano histórico, superior y
distinto al de las sectas filosóficas. Tal actitud irenista y armonizadora, que
puede parecer tolerante y cosmopolita, encierra sin embargo un grave peligro:
implica que no entiende la actividad intelectual como una argumentación entre
iguales, sino que adopta el gesto arrogante de quien se compadece de aquellos
que no son capaces de ver la unidad dentro de la variedad histórica. Vives se
reviste, sin proponérselo quizá, de una toga magistral y se coloca en la cátedra
del educador y del pedagogo que inconscientemente considera a sus pupilos
como minusválidos, a los que hay que marcarles el camino y prestarles muletas.
En lugar de discutir con los alumnos de igual a igual, Vives señala a los párvu-
los lo que tienen que leer y lo que deben hacer en cada momento del día. Su
relación con el interlocutor se limita a proponer una lista de lecturas o a de-
terminar cuál ha de ser el libro de texto. La ciencia que él practica en sus
escritos consiste precisamente en simplificar, suprimir, reducir y adornar. El
tono del maestro de párvulos guía su pluma en la mayoría de sus obras, sin ex-
ceptuar sus tratados más filosóficos como el De initiis et laudibus philosophiae.
Eso no es malo en sí, pero de algún modo toca la esencia de su pensamiento ya
que extrapola al lector la devoción que quizá le profesa el pupilo, y parte del
presupuesto psicológico de que los interlocutores están dispuestos a creerle
por la autoridad que representa.
i
Al margen del tono pedagógico, el eclecticismo dieciochesco hereda el argu-
mento llamado 'de autoridad', pero desarrollándolo de una forma distinta a la
escolástica. La verdad tiene que coincidir necesariamente con la opinión de la
mayoría y, sobre todo, con el parecer de los hombres sabios y buenos. Este ar-
gumento, que tiene en cuenta la calidad moral del testigo, se aplica especial-

22
"Recte Cicero, 'De quo [inquit] omnium natura consetid, id verum esse necesse est'", en: Joannis
Ludovici Vivis, valentini, opera omnia, t. Vili, Valencia 1790, p. 25.
23
"[...] quia verum unicum est, falsum varium, et multiplex", De veritate fidei christianae, 1.1, c. IV,
en: Joannis Ludovici Vivis, valentini, opera omnia, t. Vili, p. 26.
146 Francisco Sánchez-Blanco
mente en la cuestión de la inmortalidad del alma24, en la cual los textos de
Aristóteles no le sirven de apoyo.
El problema de determinar la verdad acaba siendo subordinado al de la moral
y la religión. La ciencia debe conducir a lo bueno y lo santo. Todo lo demás es
curiosidad malsana o aberración pasional. Poco importa que ambos conceptos
sean aún más problemáticos que el de la verdad. Para Vives no es así puesto
que aquí interviene la fe y la autoridad dogmática.
Hay que recordar que la filosofía de Vives se mueve entre la tradición y la mo-
dernidad de una forma que no concuerda con otros círculos humanistas con-
temporáneos. En cuanto hombre esencialmente preocupado por la enseñanza
polemiza con los profesores de la Universidad de París y contra el método em-
pleado por los dialécticos, pero también es verdad que Vives no se dejó arras-
trar por la moda italiana y por la filosofía platónico-hermética que había pre-
valecido en Florencia y que se había extendido por toda Europa. Su programa
de reforma universitaria no persigue dar entrada a las corrientes modernas. No
va más allá de la crítica a un método escolástico nominalista, en el que las suti-
lezas conceptuales están acompañadas de la ignorancia de la historia y de la
degradación de la doctrina. Pero Vives, al mismo tiempo, se declara partidario
de Aristóteles, lo cual comporta una opción por la continuidad con la Edad
Media en el terreno filosófico.
En función de su ideal pedagógico concede mayor atención a las disciplinas
morales y a la psicología que a la rigidez de la lógica o a las cuestiones de cien-
cia natural. En el campo de la historia, Vives muestra un talante especulativo
distinto al de los escolásticos ya que su mirada contempla la pluralidad de
opiniones y las circunstancias culturales en que se ha manifestado histórica-
mente la filosofía, actitud que ya habían adoptado los filósofos antiguos de la
época romana y, más concretamente, Cicerón. Al margen de toda la admira-
ción que sienten los profesores de humanidades en el Renacimiento por el
estilo ciceroniano, el escritor latino les ofrece un modelo de asimilación y ela-
boración de la cultura pretérita. Cicerón filosofa comprendiendo la historia de
las escuelas que le precedieron, es decir, pensando eclécticamente.
El pensador ecléctico, en lugar de enfrentarse directamente a los objetos del
conocimiento, recapacita sobre lo que ya otros hombres han opinado sobre
esas mismas cuestiones y busca también una razón de por qué lo han hecho de
manera muy distinta y controversa. Por ello, la reflexión del ecléctico parte del
hecho de la pluralidad de doctrinas ya existentes y no de una referencia a la
experiencia directa de los objetos. Con otras palabras, la filosofía es ante todo
'historia' de la filosofía. Vives escribe De initiis, sectis et laudibus philosophiae

24
"Haec quae de hominum sententiis, atque auctoritate attulimus, eo pertinent, ut fiat liquidum, ab
ea parte naturam, et verum stare, a qua stant boni, et sapientes, nempe a nostra; rectius videlicet,
atque integrius est horum judicium, quam malorum, aut dementium", ibidem, 1.1, c. XII, p. 106.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 147
(1518). La conciencia histórica afecta directamente al concepto de verdad y
hace que éste también quede relacionado con la expresión lingüística en que se
fija. La filosofía se convierte en exégesis de textos, en filología y en historia an-
tes que en ciencia experimental.
El programa ecléctico se caracteriza también por un cierto cuidado en evitar la
rigidez y el dogmatismo que reina en las cátedras universitarias, en las cuales
sólo se explican y defienden las opiniones de una secta determinada. El ecléc-
tico, sin embargo, además de exponer el amplio abanico de opiniones, re-
flexiona sobre la mayor o menor probabilidad de cada una de ellas y deja un
poco de lado el asentimiento dogmático a propósito de lo que es o no es. En
lugar de rechazar, como los platónicos estrictos, el terreno inseguro de la opi-
nión, descubre que el hombre, en la mayor parte de las materias, sólo arriesga
a expresarse diciendo: 'que él piensa', 'que a él le parece', 'que sospecha' o
'que supone' que algo es así o de otra manera. Por lo tanto, el filósofo expresa
en su misma manera de hablar una cierta inseguridad o reserva, que contrasta
con la inflexibilidad dogmática de las censuras y de los juicios emitidos por los
escolásticos. Vives recuerda que los retóricos conocen una serie de figuras,
como la ironía y la interrogación, en que se pone de manifiesto esa falta de
adhesión definitiva a alguna proposición, e indica también que la duda y el
asombro son actitudes frecuentes y perfectamente naturales. En este campo de
las opiniones no sirven los instrumentos normales de la lógica ni la ingenua ac-
titud del empirista. Aquí no se puede recurrir al juicio de los sentidos y decir:
'eso lo he visto yo'. Por otra parte, ya los escépticos de la antigua academia
subrayaron la falibilidad de esos testimonios basados en la sensación.

Descartado el recurso a la experiencia, Vives pasa inmediatamente a analizar


las autoridades, es decir, los testimonios de los hombres sabios, que no se deja-
ron llevar de la pasión o de la impresión momentánea y que expresaron sus
opiniones a base de conceptos, enunciados y discursos. El instrumento ade-
cuado para discernir la probabilidad es el análisis del lenguaje en toda su am-
plitud y no solamente su forma lógica.
El reformismo conservador de Vives también pudo ser una razón que le llevara
a Mayans a reactualizar a su paisano. Por muy humanista que se pueda consi-
derar a Vives, éste no mostró en ningún momento preferencia por las innova-
ciones platónicas y herméticas, que introdujeron Marsilio Ficino y los florenti-
nos. Aunque se opusiera a la escolástica, Vives permanece fiel a Aristóteles
pero exigiendo una exégesis más filológica de sus textos. La ruptura con la es-
colástica es por lo tanto muy tímida ya que afecta al método pero no a los con-
tenidos. Merece la pena recordar que Vives no muestra ninguna simpatía ni
por el platonismo ni por el epicureismo, las dos escuelas antiguas que reaviva el
Renacimiento. Tampoco se puede decir que tendiera al estoicismo puesto que
la necesidad que este sistema deja imperar en el mundo natural contradice la
148 Francisco Sánchez-Blanco
idea cristiana de libertad. Así pues, de la Antigüedad sólo salva a Aristóteles y
Cicerón.
La filosofía 'cristiana' de Vives también resultaba atractiva a Mayans por tra-
tarse de un laico, que concede especial importancia a la institución familiar y a
la actividad docente, al margen de connotaciones monacales.
III.
Mayans no es el único que en el siglo XVIII se encarga de proponer a Vives
como modelo de filósofo con una intención polémica. Por los años en que se
imprimen las Obras completas, Juan Pablo Forner, en su Oración apologética
por la España y su mérito literario (1786), dedica un gran elogio a Vives y le
concede ser el auténtico introductor de la modernidad en lugar del francés
Descartes. Según Forner, Vives 'seseñó [enseñó?] los caminos de hacer útil la
sabiduría', 'descubrió los extravíos del entendimiento', 'manifestó de qué modo
se había errado en la formación de las ciencias' y 'dictó las leyes del buen gusto
y de la verdad'.
En los Discursos filosóficos sobre el hombre (1787) utiliza profusamente el
escrito apologético de Vives De veritate fidei christianae y algunos pasajes del
De anima et vita con la finalidad de oponer una psicología más espiritual y or-
todoxa al moderno sensualismo de Condillac o al materialismo de Helvecio. No
falta tampoco la referencia a la actitud negativa de Vives frente a la curiosidad
de los filósofos naturales:
Querer averiguar más es, como dice Vives, pasar por los términos vedados, y entremeterse
desvergonzadamente en los arcanos de la Divinidad .

En el tema de la pedagogía de la mujer, Vives también está presente en el siglo


XVIII dentro de la corriente ecléctica. Josefa Amar y Borbón, cuya dependen-
cia de Andrés Piquer es documentable, se remite a Vives en su famoso
Discurso sobre la educación física y moral de las mugeres26, el cual no contiene
una doctrina revolucionaria y feminista, aunque sí una reivindicación de la
igualdad intelectual entre los sexos.
Donoso Cortés, al tratar de la Filosofía de la historia. Juan Bautista Vico (1838)
recuerda también el nombre de Vives:
[...] es cierto que en la península española jamás levantó sus ramas frondosas el árbol de la
filosofía. Luis Vives quiso plantarle en su suelo, pero sus esfueijps fueron vanos y sus tra-
bajos estériles. Su filosofía no fue más que un juicioso criticismo .

25
Op. cit., Madrid 1787, p. 299.
28
Madrid 1790.
27
Obras completas de Donoso Cortés. Edición preparada por Carlos Valverde, Madrid 1970, vol.
I, p. 620.
Vives y los eclécticos del siglo XVIII 149
Dentro de la misma línea trazada por Mayans y por Forner entran los escritos
que aparecen en el siglo XIX, una muestra de los cuales es el de R. González
Muzquiz Vindicación del ilustre filósofo español Juan Luis Vives, primer refor-
mador de la filosofía europea (Valladolid 1839). Puestos estos cimientos a la re-
cepción de Vives, el siglo XIX creerá también en la paternidad vivesca de la
filosofía del 'sentido común', que es también la de Jaime Balmes. Pedro Sainz
Rodríguez, repitiendo una opinión ya expresada por Menéndez Pelayo, dice:
A partir de esta época la influencia de Vives va ligada a la difusión de la escuela escocesa,
cuyos maestros Reid, Dugald Stewart y William Hamilton le citan y utilizan sus ideas .

28
"Luis Vives y el Renacimiento en España", en: VI Congreso de Estudios Clásicos: Homenaje a
Luis Vives, Madrid 1977, p. 30.
Grammatik und Sprachtheorie

Zur Sprachauffassung bei


Antonio de Nebrija und Juan Luis Vives
Petra Braselmann (Düsseldorf)

0.
1492 ist sicher ein Anlaß, nach Berührungspunkten zwischen Nebrija und Vives
zu fragen. Jenes für Spanien (aufgrund verschiedener innen- und außenpoliti-
scher Ereignisse) so folgenreiche Jahr ist das Geburtsjahr des valencianischen
Humanisten Vives, und gleichzeitig ist es die "Geburtsstunde" der spanischen
Grammatikographie - wenn nicht gar, um es anachronistisch zu formulieren,
der romanistischen Linguistik: 1492 erschien die erste systematische und voll-
ständige Grammatik einer romanischen Sprache, die Gramática de la lengua
castellana von Antonio de Nebrija.
Darüber hinaus lassen sich folgende konkrete Berührungspunkte ausmachen:
14-jährig wurde Vives von seinem Lehrer Amiguet aufgefordert, eine Schmäh-
schrift gegen Nebrijas lateinische Grammatik zu verfassen. Dahinter stand der
Streit zweier Lager in der Universität von Valencia: die konservative Tendenz,
vertreten durch Amiguet, und die liberale, repräsentiert durch Petrus Badia,
der Nebrijas Ideen vertrat1. 1522 wird Vives in Alcalá der durch Nebrijas Tod
vakant gewordene Lehrstuhl angeboten. Vives lehnt nicht zuletzt auch aus
Furcht vor der Inquisition ab2. Schließlich zitiert Vives Nebrija mehrere Male
lobend in seinen eigenen Werken.

1.
Was nun ihre Auffassungen bezüglich Grammatik und Sprachtheorie angeht,
drängen sich auf den ersten Blick mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten auf,
denn Vives hat nie eine Grammatik, nie ein Wörterbuch und nie in der Volks-
sprache, sondern in Latein geschrieben3. Nebrija dagegen gilt als grammaticus
und Lexikograph par excellence. Seine lateinische Grammatik, die Introduc-
tiones von 1481, wurde sofort ein durchschlagender Erfolg, den Nebrija 1482 in
der Neuauflage des Werkes stolz beschreibt als "nullum esse hodie librum qui

1
Cf. Norena (1970: 23s.).
2
Cf. Norefta (1970: 74), Fontän (1975: 37), Hidalgo-Serna (1990: 68).
g
Vives' Excercitatio linguae latinae (1538) ist in diesem Sinne nicht als Grammatik einzustufen:
Es handelt sich um eine damals sehr beliebte Dialogsammlung für den praktischen Lateinunter-
richt, die das alltägliche Leben des Schülers betrifft. Vgl. hierzu Burger (1914: 11 und N 33, 64
und N139), ferner: in diesem Band den Beitrag von Briesemeister.
Grammatik und Sprachtheorie 151
apud nos sit vendibilior"4, ein Erfolg, der weit über Nebrijas Tod hinaus anhielt
und auch im 16. Jahrhundert noch lange nicht abbrechen sollte. Die Introduc-
tiones wirkten weit über Spaniens Grenzen hinaus, und Einflüsse lassen sich bis
nach China und Japan nachweisen5. Die lateinische Grammatik, und nicht die
kastilische, wie oft angenommen, war es, die den ersten Missionars-
grammatiken als Vorbild diente.
Wegweisend für die kastilische Grammatik war die 1486 erschienene zweispra-
chige Version der lateinischen Grammatik, die Nebrija auf Drängen der Katho-
lischen Könige verfaßte, damit "las mugeres religiosas & virgenes dedicadas a
Dios, sin participación de varones pudiessen conocer algo de la lengua latina"6.
Diese zweisprachige Version wurde deshalb für die kastilische Grammatik
wichtig, weil sie die einzige wirkliche authentische Quelle für die Gramática
castellana war: zum ersten Mal wurden für die lateinischen Grammatiktermini
durchgängig kastilische Äquivalente eingeführt.
Aufgrund seines lexikographischen Werkes (lat.-sp. Lexicón 1492, sp.-lat. Voca-
bulario 1495) ist Nebrija zum Modellautor der spanischen Lexikographie ge-
worden. Alle Lexikographen des 16. und 17. Jahrhunderts, Covarrubias ein-
geschlossen, sind von ihm beeinflußt, und es erschienen viele Adaptationen in
anderen Sprachen7. - Einige Zahlen zur Verdeutlichung von Nebrijas Popula-
rität als (Latein-)Grammatiker und Lexikograph: für das 16. Jahrhundert wur-
den 50 Editionen der Wörterbücher und 59 der Introductiones gezählt; vom 17.
Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen von den Wörterbüchern
34, von der lateinischen Grammatik 76 Ausgaben8.

Eine solche Wirkung hatte Nebrija mit seiner kastilischen Grammatik bei
weitem nicht: Nach der editio princeps von 1492 erschien erst wieder eine Aus-
gabe im 18. Jahrhundert. Dies hat verschiedene Gründe, auf die ich hier aber
nicht im einzelnen eingehen möchte9. Einer von ihnen - vielleicht der wichtigste
- ist ein wissenschaftsgeschichtlicher: Die kastilische Grammatik kam zu früh.

4
Zit. nach Rico (1979:41).
g
Nebrija taucht in China im Rahmen der Dominikanermission auf. Bs handelt sich um die chine-
sische Grammatik des Bischofs Francisco Varo (Sevilla 1627 - China 1687). Die Grammatik, da-
tierbar 1682, wurde gedruckt in Cantón 1703; cf. Ineichen (1991: 232). - Den Hinweis auf die
Auswirkung von Nebrijas lateinischer Grammatik auf die erste japanische Grammatik (1604-
1608), die sich an der Amakusa-Ausgabe des Werkes von Manuel Alvarez, De Institutione
grammatica orientiert, verdanke ich Sandra Breitenbach (Göttingen), die über dieses Thema
promoviert.
8
Zit. nach Bossong (1990: 72).
7
So übernahm z.B. Pedro de Alcalá in seinem kast.-arabischen Wörterbuch von 1505 den kastili-
schen Teil des Vocabulariovon Nebrija und ersetzte den lateinischen Teil durch arabische Wör-
ter. 1507 verfuhr Gabriel Busa ähnlich: Er ersetzte die kastilischen Äquivalente des Lexicón
durch katalanische. Ähnliche Adaptationen gab es Anfang des 16. Jahrhunderts für das Franzö-
sische und Sizilianische; cf. hierzu Braselmann (1991: 72ss.).
8
Cf. González Olmedo (1942: Iiis.).
9
Cf. Braselmann (1991:76ss.).
152 Petra Braselmann
Die Zeit war noch nicht reif für eine vulgärsprachliche Grammatik (und auch
Vives hält sie für überflüssig). - Kritiken an Nebrijas kastilischen Sprachwerken
münden alle letztlich in dem Vorwurf der zu starken Latinisierung, ein Vor-
wurf, der so pauschal aus verschiedenen Gründen nicht greift10. Darüber hin-
aus meine ich, daß es aus wissenschaftshistorischen Gründen falsch ist zu fra-
gen: "Wo kann sich Nebrija nicht vom Latein lösen?" Die Frage muß vielmehr
lauten: "Wo ist es ihm gelungen, sich vom Latein zu lösen?"
Neben den Werken zur lateinischen und kastilischen Sprache liegen von
Nebrija eine Reihe von Werken zu anderen Disziplinen vor, insbesondere zur
Jurisprudenz, zur Geschichte und zur Theologie. Aber auch diese Werke ging
er als grammaticus an, was ihm nicht zuletzt Probleme mit der Inquisition und
den Herausgebern der polyglotten Bibel einbrachte. Spanien von der "Bar-
barei" zu befreien, bedeutete für Nebrija die Rückkehr zum antiken Geist (z.B.
De liberis educandis), die Wiederbelebung von in Vergessenheit geratenen
klassischen Autoren (cf. z.B. seine Textausgaben) und der klassischen Spra-
chen (cf. z.B. seine lateinischen, griechischen und hebräischen Grammatiken,
Glossare, Wörterbücher und Aussprachelehren).

Dies schließt aber bei Nebrija gleichzeitig die Sorge um das Kastilische mit ein,
wie seine kastilische Grammatik, die Wörterbücher und die Reglas de ortografía
belegen. In allen seinen Werken ging es ihm als humanista im ursprünglichen
Sinne11 letztlich darum, der Sprache zu einem Status zu verhelfen, der sie als
klares, operationales und effizientes Instrument ausweist.

2.
Während nun die Rezeption Nebrija als Grammatiker und Lexikograph zitiert,
ist uns Vives vor allem als Psychologe, Philosoph und Pädagoge bekannt: seit
dem 19. Jahrhundert berufen sich die Psychologie und die Pädagogik auf ihn
als Gründervater. Philosophen haben seinen Einfluß z.B. auf Bacon und Des-
cartes gewürdigt12. Von der Historiographie der Linguistik wurde er dagegen
weitgehend vernachlässigt, und dies, obgleich in seinen Werken wichtige
sprachtheoretische Reflexionen enthalten sind: Coseriu behandelt Vives als
Linguisten in zwei Studien (beide 1971), zwei Beiträge liegen von Brekle vor
(1984, 1985). Eine kurze Darstellung findet sich in der Dissertation von Ver-
bürg (1951). Waswo (1980) bearbeitet Vives' sprachphilosophischen Ansatz,
Hidalgo-Serna (1986) dessen Grammatik-Auffassung. Signifikant für das Re-

10
Cf. Braselmann (im Druck; 1993 b: 267ss.). - Zur diesbezüglichen Kritik von Valdés an Nebrijas
Wörterbüchern cf. Colón/Soberanas (1979:114).
11
So auch schon bei Valla und Poliziano belegt. - Vgl. Stillers (1988: 75): humanista als "Sprach-
und Lateinlehrer". - Nach Buck (1981: 12) begreift Vives dagegen den Humanisten weniger als
berufsmäßigen Lehrer als vielmehr "primär als Gelehrten", für den "die Aneignung des Wissens
Vorrang gegenüber der formalen sprachlichen Schulung" hat.
12
Cf. Brekle (1984: 259).
Grammatik und Sprachtheorie 153
zeptionsverhalten ist auch, daß Noreña in seiner Vives-Bibliographie von 1990
die Studien von Brekle und Verbürg überhaupt nicht erwähnt und diejenigen
von Coseriu den Arbeiten zur Philosophie bzw. den "General Studies" zu-
ordnet13.
Die unterschiedliche Rezeption von Nebrija und Vives ist auf zwei Arten zu er-
klären: Zum einen ist sie konditioniert durch den Blickwinkel der Interpreten
und damit durch ihr Erkenntnisinteresse, denn eine Darstellung ist niemals un-
abhängig vom Darsteller (darum kann es auch nie eine objektive und definitive
Geschichte der Philologie geben; cf. Braselmann 1993b). Zum anderen liegt die
unterschiedliche Würdigung der beiden Humanisten eben auch daran, daß -
wie schon erwähnt - Vives kein im engeren Sinne sprachwissenschaftliches
Werk verfaßt hat. Dies erklärt es auch, daß Nebrija und Vives nur äußerst sel-
ten gemeinsam genannt werden. So berücksichtigt etwa Percival (1975) Vives
im entsprechenden Kapitel über sprachtheoretische Werke der Renaissance
nicht14. In Bahners bedeutendes Werk Sprachbewußtsein im Siglo de Oro findet
Vives keinen Eingang; Apel erwähnt Vives in seinem Buch Die Idee der Sprache
in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico überraschenderweise nur
am Rande. Brekle (1985: 89) übernimmt das Raster Percivals, nach dem der
Übergang zwischen dem mittelalterlichen und dem renaisssance-huma-
nistischen Sprachbewußtsein durch zwei Kriterien beschrieben werden kann: 1.
Einsetzen radikaler Kritik am traditionellen Kategoriengebäude der mittelal-
terlichen Sprachlogik und Grammatiktheorie. Hier ordnet Brekle (in Erweite-
rung von Percival) Vives' Schrift In Pseudodialecticos zu. 2. Grammatische Be-
schreibung von Vulgärsprachen, repräsentiert in Spanien zuerst durch Nebrijas
kastilische Grammatik.

3.
Wie wir gesehen haben, scheinen Nebrija und Vives konkret nicht viel gemein-
sam zu haben. Ich halte es deshalb für angebracht, zunächst eine Einordnung
der beiden Humanisten in den sozio-kulturellen Kontext zu versuchen. Nebrijas
Grammatiken erscheinen ja nicht ex nihilo, sondern sind - wie alle wissen-
schaftlichen Werke - in einen historischen und sozio-kulturellen Kontext einge-
bettet. Das gleiche gilt für Vives' Werke. Und wenn wir den allgemeinen hu-
manistischen Zeitgeist, das climate of opinion berücksichtigen, so gilt es festzu-
halten, daß in diesem Sinne Vives allein schon aus biographisch-chronologi-
schen Gründen als eine Art jüngerer Zeitgenosse Nebrijas zu gelten hat. An-
schließend werde ich einige aus ihren Arbeiten abgeleitete Positionen zu aus-
gewählten Sprachfragen beschreiben.

13
Cf. Noreña (1990: 28,32, vgl. auch p. XXII).
14
Cf. Brekle (1985: 90).
154 Petra Braselmann
Kommen wir zum ersten Punkt: Ich kann hier nicht alle Stränge beschreiben,
die zu Nebrija15 (und dann zum Teil auch zu Vives) führen. Aufgrund der wis-
senschaftlichen Stagnation in seiner Heimat, die aus historischen, politischen
und sozio-kulturellen Faktoren resultierte16 und Spanien gegenüber Italien und
Frankreich rückständig erscheinen ließ, hielt sich Nebrija 10 Jahre in Italien
auf, was entscheidende Auswirkungen auf ihn hatte. Italien vermittelte ihm
nicht nur den Kontakt mit den fontes (Quintilian, Varro, Donat, Priscian,
u.a.m.), er trifft dort auch auf ein intellektuelles Klima, das durch bedeutende
Humanisten wie Leonardo Bruni, Flavio Biondo, Leon Batista Alberti, Lorenzo
Valla, Poliziano, Niccolö Perotti u.a. geprägt ist. Dies führt dazu, daß der latei-
nische Sprachhumanismus und der Vulgärhumanismus mit seiner national-
sprachlichen Selbstfindung in Spanien mit Nebrija ihren ersten Ausdruck fin-
den17.
Viele Aspekte bezüglich der Einschätzung des volgare finden ihren Nieder-
schlag bei Nebrija: Es gibt Anklänge an Brunis "Grammatikthese", die (durch-
aus in der Tradition von Dante) die sprachliche Unveränderlichkeit mit Hilfe
der arte zum Ideal erhebt. An Biondo erinnert die Korruptionstheorie, die zu
einer Art Topos der humanistischen Sprachgeschichtsauffassung wird. Paral-
lelen bestehen zu Alberti in seiner Überzeugung, auch einer Vulgärsprache
komme literarische Dignität zu, wenn sie nur hinreichend gepflegt werde. Fer-
ner findet sich bei diesem auch die Behauptung, Kenntnisse der vulgär-
sprachlichen Grammatik seien für das Erlernen des Lateins von großem Nut-
zen18. Perotti ist das Vorbild etwa für die Artikeltheorie, für die Definition des
Relativums, etc.19.
Es gilt aber zu bedenken, daß manche dieser Ideen nicht erst von Nebrija nach
Spanien gebracht worden sind, sondern bereits Elemente des spanischen
Sprachbewußtseins vor 1492 darstellen. Dies betrifft etwa die Korruptionstheo-

15
Cf. hierzu Braselmann (1991: 102-173) und die dort angegebene Literatur. - Ferner: Bonmati
Sánchez (1992: 405-415).
16
Unter anderem: Folgen der Reconquista, fehlendes starkes Bürgertum, Judenprogrome, anhal-
tende Trennung von armas und litteras, etc.
17
Eine erste Aufwertung der Volkssprache stellt die zweisprachige Version der Introductiones dar.
Ferner verfolgt Nebrija mit seiner kastilischen Grammatik unter anderem den Zweck, zum leich-
teren Lateinlemen zu verhelfen, vgl. hierzu auch Ridruejo (1977: 79). - Neben den in seinen bei-
den Prologen zur GC formulierten Intentionen sieht Nebrija implizit in der kastilischen Gram-
matik auch eine translatorische Funktion: als eine Übersetzungsanleitung für Übertragungen aus
dem Latein. Sie wird vor allem in seinen Einzelanalysen deutlich, so z.B. wenn er beim Passiv ka-
stilische Ersatzkonstruktionen für Kategorien benennt, die er für das Lateinische postuliert, ob-
gleich er selbst ihr Fehlen in der Muttersprache betont; cf. hierzu Braselmann (1991: 254, 259,
270,299s., 302, 340, 387 et passim).
18
Nebrija ist sich im klaren darüber, daß Latein zu seiner Zeit nicht mehr Muttersprache ist, son-
dern von seinen Zeitgenossen als Fremdsprache gelernt werden muß, und zwar über die Vulgär-
sprache, darum müssen die Methoden auch andere sein als ehemals; zur nova ratio cf. Bonmati
Sánchez (1992: 409).
19
Zu Perotti cf. Braselmann (1991:115s., 155s., 225,244).
Grammatik und Sprachtheorie 155
rie, die schon in einem anonymen Traktat um die Mitte des 15. Jahrhunderts
formuliert wird, in dem (nach Briesemeister) bedeutendsten Zeugnis der spani-
schen Sprachwissenschaft vor Nebrija20. Dies gilt ferner auch für die Mündig-
keitserklärung des Spanischen gegenüber der Autorität Latein, die sich bei
Gonzalo de Santa Maria findet21.
Für Vives' Sprachauffassung ist der Einfluß der Italiener (und damit auch des
Vulgärhumanismus) weniger relevant; Erasmus spielt bei ihm eine größere
Rolle22. Während aber Erasmus die Volkssprache und die Ausbildung in der-
selben ignoriert (er spricht nie von "Muttersprache", sondern das Latein ist für
ihn "unsere Sprache")23, propagiert Vives die Pflege der Muttersprache im El-
ternhaus:
(1) ... itaque et domi a parentibus, et in schola a praeceptore danda est opera, ut patriam
linguam pueri bene sonent ... in quo, magno erunt parentes adjumento, si ipsi, vel in
filiorum gratiam, curent... (Mayans, VI, p. 298)

(2) ... det operam, ne, saltem filionim causa, rustice loquatur ... nullum sermonem melius
aut tenacius discunt pueri, nullum expressius, quäm maternum. (Mayans, IV, 258s.)

Im Unterschied zu Nebrija differenziert er aber deutlich zwischen "toten" und


"lebenden" Sprachen: Beim Erwerb von "lebenden" Sprachen hält er eine
Grammatik für unnötig und plädiert - wie auch Vald6s - für das Direktstudium
im Land selbst. Für das Lernen von "toten" Sprachen sei dagegen die Gramma-
tik unerläßlich:
(3) In sermone qui ore totius populi teritur, nihil necessum est artem aut regulas formari;
ex populo ipso promptius ac melius discetur ... sed in quocunque alio ascititio qui jam
nullius est gentis, omnino formulae sunt opus, ne fallaris, neu loquaris vitiose ... (Mayans,
VI, p. 302)

Es darf aber nicht übersehen werden, daß Vives auch beim Erwerb der alten
Sprachen vom ersten Moment an die induktive Methode, das direkte "Ein-
tauchen" in den Gebrauch der Sprache selbst für nützlich hält24 (die Excer-
citatio ist ein Mittel dazu25):

20
Cf. Briesemeister (1969:46s.).
21
Cf. op. cit., p. 50.
22
Cf. z.B. Bataillon (1950:17-50,107s. et passim), Norefta (1970:25ss.); Braselmann (1991: 31,70s.,
83, 96s., 117,165, 173). - Zur distanzierten Haltung von Vives zu den Italienern cf. Buck (1981:
12). - Die von Buck etwas pauschal formulierte Aussage kann mit Hidalgo-Serna (1990: 7s., 84s.)
dahingehend konkretisiert werden, daß Vives immerhin als Fortsetzer der Italiener anzusehen
ist, zumindest was seine Rhetorik und Philosophie angeht. - Darüber hinaus ist der Einfluß des
Italieners Valla unbestreitbar. - Vgl. aber auch die Präzisierung von Buck in seinem Beitrag in
diesem Band, in dem er betont, daß eine Geringschätzung der Italiener durch Vives nicht aus-
schließt, daß dieser gleichwohl an deren Gedankengut anknüpft.
23
Cf. Bürger (1914:58s.).
24
Cf. Oroz (1935: 3-10), Fontän (1977: 52ss.).
25
Cf. oben Fußnote 3.
156 Petra Braselmann
(4) Jam vero sunt qui omnino formulas negligunt; nam quum consuetudo sit magistra ora-
tionis, et huic ars cedat, ¿quid ajunt, opus est canonibus et praeceptis, ex quibus non raro
videmus multa in sermone vitia contraili? Nec mihi sane nimia illa praeceptorum observa-
tio, ut exposui, placet, et si populum haberemus vel Latine loquentem, vel Graece, mallem
cum eo annum unum ad linguam illam perc^piendam versan, quàm sub eruditissimis ludi-
magistris annos decem. (Mayans, VI, p. 82)

Dessenungeachtet spielt für ihn die Kenntnis der Muttersprache eine wichtige
Rolle für den Erwerb des Lateins:
(5) Vernaculam puerorum linguam exacte cognoscet, ut commodius per hanc et facilius
eruditas illas tradat; quòd nisi in lingua patria aptis et propriis | d eam rem, de qua loqui-
tur, utatur verbis, fallet subinde pueros ... ( Mayans, VI, p. 306s.)

Besonders möchte ich hier den Einfluß, den Valla und Poliziano auf Nebrija
und Vives (wie überhaupt auf das spanische Sprachbewußtsein jener Zeit) aus-
üben, hervorheben:
Nebrija verstand sich Zeit seines Lebens als grammaticus im integrativen Sinne,
eine Auffassung, wie sie auch bei Poliziano auszumachen ist28. Für ihn ist die
Grammatik "la primera facultad, y todas las demás dependen de ella"29. Und
Vives:
(6) ... ergo grammatici officium est os pueri, et manum formare, hinc intelligentiam, ut ad
ceteras artes remittatur maximis adjumentis fultus eorum scriptorom, quos sub gramma-
tico viderit. ( D e caus. con., Mayans, VI, p. 79)

(7) Ego vero, ut de hoc quoque loquar, non video quid sit, vel in nomine, vel in
professione, vel in dignitate grammaticorum despicabile et contemnendum ... Primum,
grammaticus litteratus est; atqui hoc nomen honestissimum ... (Mayans, VI, 84)

Grammatik gilt bei Nebrija und Vives als "Pforte zu allen Wissenschaften".
Vives bewundert beide, Nebrija und Poliziano, wie das folgende Zitat verdeut-
licht:
(8) ... Angelus Politianus, et Hispanus noster Antonius Nebrissensis, qui pro varia, et late
patenti eruditione, quum esset diligenter in omni scriptorum genere versatus, potuisset
quodcunque nomen ursurpare, non solum cum bona professorum ejusce artis venia, sed
cum magna etiam laetitia, quòd non parum gloriae professioni suae accessurum ex hujus-
modi hominis splendore, et nominis celebritate existimassent; nihil tarnen dici et haben
maluit quàm Grammaticus... (Mayans, VI, 85)

26
Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Karl Kohut.
27
Cf. hierzu Ridruejo (1977: 51s.), Chevalier (1968: 16). - Zum Terminus lingua patria cf. Verbürg
(1951:154).
28
Cf. Alcina Rovira (1976: 201-205); Stillers (1988: 35ss.); Krautter (1983:103-116).
29
Cf. González Olmedo (1942:44ss., 76ss.).
Grammatik und Sprachtheorie 157
Was nun Valla angeht, so sind die Einflüsse auf Nebrija vielfältig30, ebenso wie
auf Vives31. Grundlegend für beide ist Vallas Vorgehen, im Anschluß an
Quintilian die consuetudo (den uso) als Grundlage der Grammatik anzusetzen
und die scholastischen Rückgriffe auf die Logik zu verurteilen32.
Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Nebrija und Vives schreiben ihre Werke je-
weils in einem wissenschaftshistorischen Kontext, der nicht identisch, aber doch
vergleichbar ist und natürlich auch Raum für je spezifische Ausprägungen zu-
läßt. Unterschiedliche Biographien und je individuelle Vorlieben für ein be-
stimmtes Gedankengut spielen über das allgemeine intellektuelle Klima hinaus
eine entscheidende Rolle. Im folgenden möchte ich - wie oben angekündigt -
grundlegende Auffassungen der beiden Humanisten zu konkreten Sprachfra-
gen etwas ausführlicher einander gegenüberstellen.

4.
Von vornherein dürfte klar sein, daß die konkreten Berührungspunkte nicht
zahlreich sind. Nebrija ist an erster Stelle Sprachlehrer und Didaktiker; er ar-
beitet auf einer empirischen Basis. Als erstes Ziel verfolgt er mit seiner kastili-
schen Grammatik "[de] reduzir en artificio este nuestro lenguaje castellano"33.
Er leistet mit seiner Grammatik Pionierarbeit: Punkt für Punkt, von der Pho-
netik über die Wortbildung bis zur Syntax beobachtet er den "guten" Sprach-
brauch deskriptiv und leitet daraus Regeln ab.
Einige sprachtheoretische Reflexionen allgemeinerer Art finden sich in seinem
Prolog, dem meist gelesenen Teil seiner Grammatik. Um aber z.B. sein Ver-
hältnis zum Latein, seinen Normbegriff, seine Haltung bezüglich der Volks-
sprache adäquat zu beleuchten, reicht diese Lektüre eben nicht, sondern führt
leicht zu Fehlrezeptionen seiner Ideen. Seine sprachtheoretische Grundhaltung
läßt sich oft nur mittelbar, und zwar aus seinen Sprachanalysen ableiten.
Vives geht die Dinge aus einer ganz anderen Perspektive an: er argumentiert
als Sprachphilosoph, indem er die historische Normalsprache als Werkzeug des
Wissens und als Ausgangsspunkt jedes historischen Denkens ansieht. Er setzt
sich damit gegen die Auffassung der formalen, logischen und abstrakten Spra-

30
So z.B. bezüglich des lengua-imperio -Topos; cf. hierzu Braselmann (1991: 423s.). - Gleiches gilt
etwa für den Kanon der abgelehnten mittelalterlichen Grammatiker Fontán (1991: 13-19) stellt
die Filiation Valla-Nebrija, bzw. Valla-Erasmus-Vives auf.
31
Cf. hierzu Waswo (1980: 595ss.). - Fontán (1991: 11) bezeichnet Nebrija und Vives (wie auch
Erasmus) als Fortsetzer Vallas.
32
"Quid est grammatica? Scientia recte loquendi recteque scribendi ex doctissimorum virorum usu
atque autoritate collecta" (Nebrija, Introductiones, zit. nach Ramajo Caño [1987: 28]). Auch für
Vives ist die consuetudo "domina et magistra sermonis" (Mayans, VI, 79). - Zu consuetudo bei
Quintilian als consensus eruditorum, der nicht dem usus quotidiani von Cicero entspricht, cf.
auch Bonmatí Sánchez (1988: 343ss.). - Cf. Padley (1976: 17), Rico (1979: 124), Ramajo Caño
(1987: 28ss.).
33
GC100/42 (hier und im folgenden zitiert nach der Ausgabe von Quilis [1980]).
158 Petra Braselmann
che ab. Gegen die rationale deduktive Methode mit ihren apriorischen, univer-
salen Normen plädiert er für das Studium der historischen Einzelsprache34. In
diesem Zusammenhang nimmt er explizit Stellung zu Fragen wie Norm,
Grammatik, Latein, ohne allerdings die von ihm formulierten Ideen konkret
einzelsprachlich umzusetzen. Dies muß man bei einer Gegenüberstellung von
Nebrija und Vives einfach bedenken.

4.1.
Coseriu schreibt in seiner Studie über Vives: "Entgegen der Haltung der nor-
mativen Grammatiker, die die Grammatik vor den Sprachgebrauch stellen und
diesen steuern möchten, geht Vives den umgekehrten Weg, indem er sich für
eine rein beschreibende Grammatik ausspricht"35. Als entsprechend normativ
wird Nebrija häufig interpretiert38, und dies besonders in Gegenüberstellung zu
Valdés. So heißt es z.B. bei Barbolani:
(9) El gran descubrimiento de Valdés es el uso, contrapuesto a arte ... Valdés conoce el
arte, la gramática, pero no la confunde con la lengua. Toda intención normativa no es pre-
via, sino posterior^ la observación y descripción del hecho lingüístico. Estamos a gran dis-
tancia de Nebrija .

Allerdings ist weder Nebrija einfach und ausschließlich normativ, noch ist
Valdés der "Erfinder" des uso, und schon gar nicht verwechselt Nebrija eine
Sprache mit ihrer Grammatik: er sieht durchaus, daß Muttersprachenerwerb
durch uso, von "alleine" vor sich geht und daß eine Grammatik hilfreich für den
Fremdsprachenerwerb sein kann (wozu auch die klassischen Sprachen gehö-
ren)38. Berücksichtigt man alle Stellen Nebrijas zum Spracherwerb, die sich vor
allem in seinen beiden Prologen, wo er die Intentionen seiner Grammatik for-
muliert, und in seinen Ausführungen zu den Lauten finden, so spricht er der
Grammatik der Muttersprache zwei Funktionen zu:
1. Bewußtmachung der durch Gebrauch vorhandenen Muttersprache;
2. Propädeutikum zum Lateinlernen bzw. zum Fremdsprachenerwerb;
Nicht-Muttersprachler hat er dabei auch im Auge:
(10) I... no solamente los enemigos de nuestra fe que tienen ia [sie] necessidad de saber el
lenguaje castellano, mas los vizcaínos, navarros, franceses, italianos y todos los otros que
tienen algún trato y conversación en España y necessidad de nuestra lengua, si no vienen
desde niños a la deprender por uso, podrán la más aina saber por esta mi obra. (GC 102/5-
U)

34
Cf. Hidalgo-Serna (1990: 7-77).
35
Cf. Coseriu (1971b: 241s.).
36
Cf. z.B. Pozuelo Yvancos (1986: 81); vgl. Braselmann (1993 b: 256,268ss.).
37
Cf. Barbolani (1982: 79s.).
38
Zu Valdés cf. Braselmann (1984: 251-255), Braselmann (1988: 301-315), Guitarte (1974: 247ss.) ,
Moriyón Mojica (1988/89; 1990), Calvo Pérez (1991: 65ss.). - Zum Thema Spracherwerb und
Grammatik bei Nebrija: Braselmann (1991: 439-451).
Grammatik und Sprachtheorie 159
Während nun Nebrija nur beim Erwerb der Muttersprache dem uso die
Hauptfunktion zuspricht, beziehen Vives und Valdés dies auf den Erwerb von
Vulgärsprachen allgemein und verzichten daher ganz auf eine vulgärsprachli-
che Grammatik:
(11) ... porque he aprendido la lengua latina por arte y libros, y la castellana por uso, de
manera que de la latina podría dar cuenta por el arte y por los libros en que la aprendí, y
de la castellana no, sino por el uso común de hablar ... (Valdés, Diálogo, ed. Barbolani
[1982:121]).

(12) In sermone qui ore totius populi teritur, nihil necessum est artem aut regulas formari;
ex populo ipso promptius ac melius discetur ... sed in quocunque alio ascititio qui jam
nullius est gentis, omnino formulae sunt opus, ne fallaris, neu loquaris vitiose ... (Vives, De
trad. disc., ed. Mayans, VI, p. 302).

(13) ... et haec quidem ea aetate, qua videbantur ad eum sermonem, quem suxerant cum
lacte, non admodum arte hac indigeret. (Vives, De causis corr., ed. Hidalgo-Serna, p. 274).

Dabei formuliert Valdés noch dezidierter als Vives, wenn er (explizit gegen
Nebrija) feststellt: "las lenguas vulgares de ninguna manera se pueden reduzir a
reglas"39.
Zur Behandlung des Normbegriffes scheint es mir wichtig, auf eines hinzuwei-
sen: ein deskriptiver, d.h. aus Beobachtung abgeleiteter, Normbegriff kann eli-
tär sein, wie bei Nebrija und vielen anderen Grammatikern. Er ist auch dann
noch deskriptiv, wenn er nicht daraus resultiert, daß man "dem Volk aufs Maul
geschaut hat" (was übrigens auch bei Valdés nicht der Fall ist).
Nebrijas Berufungsinstanzen sind elitärer Natur (übrigens dieselben, die auch
Vaugelas anführen wird): 1. die guten Autoren, 2. König und Königin, 3. Hof.
Daß er nach der deskriptiven Analyse verbindliche Regeln formuliert und diese
dann normativ setzt, liegt einfach an seiner Intention, das Kastilische in Regeln
zu fassen. Normativ ist also höchstens die Intention, nicht die Methode.
Darüber hinaus verfügt Nebrija über eine Art doppelten Filter: vom frequenz-
mäßig ermittelten elitären Sprachgebrauch wird gefordert, daß er den
Prinzipien der razón und der naturaleza entspreche, und nur das, was nicht von
diesen Filtern aussortiert wird, hat Gültigkeit. Bei Nebrija haben wir ein
schönes Beispiel dafür, wie die strenge Dichotomie von Deskriptivität und
Präskriptivität relativiert werden kann, wobei bei ihm auch eine gewisse
Akzeptabilitätsskala eine entscheidende Rolle spielt40.
Vives erklärt die Aufgabe der Grammatik folgendermaßen:

39
Valdis, Diälogo de la lengua, ed. Barbolani (1982: 153). - Allerdings ist seinem Werk eine
gewisse normierende Regelung auch nicht abzusprechen, cf. hierzu Braselmann (1984: 251-255;
1988: 301-315). Zur Kritik von Valdis an Nebrija cf. Guitarte (1974: 247ss.; 1979:147).
40
Zur Norm bei Nebrija cf. Braselmann (1991: 401-416) und die dort angegebene Literatur. Vgl.
auch Schmitt (1987:125-146).
160 Petra Braselmann
(14) ... [grammatica, rhetorica, dialéctica] sunt enim hae tres artes de sermone, quem a
populo accipiunt, non ipsae tradunt; nam prius fuit sermo latinus, prius graecus, deinde in
his formulae grammaticae, formulae rhetoricae, formulae dialectices observatae sunt, nec
ad illas detortus est sermo, sed illae potius sermonem sunt secutae, et ad eum se se
accommodarunt, ñeque enim loquimur ad hunc modum latine, quia grammatica latina ita
jubet loqui, quin potius e contrario, ita jubet grammatica loqui, quoniam sie Latini loquun-
tur... (Mayans, III, p. 41)

(15) ... nam quum sermo in hoc sit paratus a natura, ut intelligare, et vicissim intelligas,
grammatica hoc praestabit ut ea devites vitia, per quae efficitur ut nec te alii intelligant,
nec tu alios ... (Mayans, VI, p. 302)

Die Aufgabe der Grammatik besteht also darin, den Sprachgebrauch festzu-
stellen und zu erklären. Der sprachliche Usus ist primärer, die beschreibende
Grammatik sekundärer Natur und muß aufzeigen, was man allgemein sagt, und
verhindern, daß man Fehler macht41. Eine gewisse Korrekturmöglichkeit durch
die Grammatik sieht somit auch Vives. Eine solche Auffassung ist derjenigen
Nebrijas nicht unähnlich, und nach Rico darf die diesbezügliche Filiation
Nebrija-Vives als gesichert angesehen werden42.
Vives geht aber auch über Nebrija hinaus: Für ihn liefert die Grammatik Re-
geln, mit deren Hilfe ebenso solche Sätze generiert werden können, die im re-
alisierten uso noch nicht festgestellt worden sind. Vives weiß nach Coseriu, daß
die Sprache nicht mit dem schon realisierten uso zusammenfällt, d.h. mit den
schon verwirklichten Äußerungstypen. Über solche allgemein sprachtheoreti-
schen Aspekte macht sich Nebrija, der Praktiker, keine Gedanken.
Ich halte fest: Vives steht in der Tradition Nebrijas; er übernimmt dessen auf
Synchronie und dem Sprachgebrauch der (elitären) Mehrheit basierenden
Normbegriff - ein Normbegriff, der nach Schmitt in Spanien bis zum Erschei-
nen der Akademiegrammatik von 1771 vorherrschend sein sollte43. Durch diese
Ausgestaltung des Normbegriffes setzt sich Nebrija ebenso wie Vives von der
mittelalterlichen Scholastik mit deren Rückgriff auf die Logik und die Meta-
physik ab, was es erlaubt, im oben (cf. Kap. 2) erwähnten Schema Percivals
nicht nur (wie Brekle) Vives, sondern auch Nebrija als Repräsentanten des er-
sten Kriteriums, der radikalen Kritik am traditionellen Kategoriengebäude der
mittelalterlichen Sprachlogik und Grammatiktheorie, anzusetzen. Der Unter-
schied zwischen beiden ist, daß Nebrija in seinen Sprachwerken diese Norm als
"Wahrheit in der Zeit"44 permanent praktiziert, während sie Vives - Nebrijas
Empirie voraussetzend - theoretisch beschreibt und auch weiterführt.

41
Cf. Coseriu (1971b: 241ss.), Hidalgo-Serna (1986: 441).
42
Cf. Rico (1979:124).
43
Cf. Schmitt (1987:127ss.).
44
Cf. Rico (1979: 44).
Grammatik und Sprachtheorie 161

42.
Nebrijas positive Grundhaltung zum Latein steht außer Frage. Als erster spani-
scher Latinist sagt er von sich "yo abri tienda de la lengua latina"45. Gleichwohl
- und dies hängt unmittelbar mit seiner translatio imperii/linguae-Auffassung zu-
sammen - ist für ihn das Kastilische als Nachfolgerin des Lateins eine Realität,
um deren Konsolidierung er in seiner kastilischen Grammatik ringt, und zwar
in permanenter Auseinandersetzung mit dem Latein. Nebrija setzt zwei Arten
von Latein an: das klassische, fixierte Latein und das Sprechlatein. Dieser
Dichotomie liegt eine weitere, moderne Unterscheidung zugrunde, und zwar
die zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache46. Obgleich er
nun das Kastilische gleich den klassischen Sprachen durch eine Grammatik
fixieren will, erkennt er durchaus die Dynamik einer jeden Sprache: Regeln
können geändert werden, bestimmte Formen (z.B. Partizipien des Futurs vom
Typus tiempo venidero) seien im Begriff, sich durchzusetzen (GC 192/7-10).
In seinen Analysen zum Kastilischen wird deutlich, daß Nebrijas Verhältnis
zum Latein vielschichtig ist: einerseits orientiert er sich am Latein, von dem das
Kastilische abhängt, andererseits überwindet er das Latein, indem er die Mün-
digkeit und Autonomie der Muttersprache betont47. Es handelt sich hier um
dialektische Positionen, die sich etwa auch bei Aldrete wiederfinden48. Die Bei-
spiele bei Nebrija hierfür sind zahlreich, wie z.B. im methodischen Bereich
(Synchronie/Diachronie, Semasiologie/Onomasiologie, etc.).
Häufig dient das Lateinische als onomasiologisches (universales) Raster, mit
dem er dann im einzelsprachlichen Bereich analytisch arbeitet. Es kommt aber
auch vor, daß er - als guter Deskriptivist des Kastilischen, dem die Unter-
schiede zum Latein bewußt sind und die er betont - nach der konkreten Ana-
lyse der einzelsprachlichen Fakten das (oft unbewußt) angesetzte lateinische
Raster verwirft, wie z.B. seine Diskussion der Präpositionen belegt. Nebrija
ringt um die Autonomie des Kastilischen.
Vives muß sich damit nicht auseinandersetzen. Im Gegensatz zu Erasmus hat
er zwar eine hohe Wertschätzung für die Volkssprache, verbannt ihre Pflege
aber in den häuslichen Bereich49. Gleichwohl erkennt er durchaus eine vulgär-
sprachliche Regelhaftigkeit in sich an, die sich nicht aus den klassischen Spra-
chen ableiten läßt, wie z.B. die Phänomene der doppelten Verneinung oder des
spezifischen orden der Einzelsprache beweisen50. Er betont ausdrücklich die
Bedeutung des Lateins als intersprachliches Phänomen, als kulturelle lingua

45
Zit. nach Rico (1979: 99).
46
Cf. Braselmann (1991:428ss.).
47
Cf. Braselmann (im Druck).
48
Cf. Wunderli/Braselmann (1980:437ss.).
48
Cf. oben, Zitate 1 und 2.
Cf. hierzu Verbürg (1952:152s.), Fontän (1977:41), Read (1983: 62s.).
162 Petra Braselmann
franca: er hätte sie gerne als "internationale Verkehrssprache", der sich die Ge-
lehrten aller Völker bedienen sollten51:
(16)... et quando [lingua] aerarium est eruditionis, ac instrumentum societatis hominum, e
re esset generis humani unam esse linguam, qua omnes nationes communiter uterentur ...
talis videtur mihi Latina lingua ex iis certe, quas homines usurpant, quaeque nobis sunt
cognita; nam illa perfectissima esset omnium ... (Mayans, VI, p. 298s.)

Darüber hinaus sieht Vives im Latein die Möglichkeit, aufgrund seiner Vorzüge
die Muttersprache als intrasprachliches Phänomen zu vervollkommnen:
(17) Itaque usu deprehendimus Latinam linguam foecundiorem ac facundiorem ex Graeca
fieri, ex Latina reliquas Europae, sed potissimum tres illas, quas modo nominavi, quas
maxime expediret Latino sermoni assuescere, tum ut eum ipsum et per eum artes omnes
probe intelligerent, tum ut sermonem suum patrium ex illo, velut aqua copiosius ex fönte
derivata, puriorem atque opulentiorem redderent. (Mayans, VI, p. 301 - Hervorhebung
von mir).

43.
Dieses Zitat 17 zeigt auch, daß das Bereicherungsargument bei Vives an den
Sprachursprung gekoppelt ist: Die lateinische Sprache soll zwar um ihrer selbst
willen und der durch sie überlieferten Kultur willen gepflegt werden. In beson-
derem Maße gelte dies aber für jene, deren Muttersprache vom Latein abge-
leitet ist: Franzosen, Italiener und Spanier. Entsprechend der humanistischen
Annahme, daß das Griechische die Ursprungssprache des Lateins darstellt, ar-
gumentiert er folgendermaßen: genauso wie das Griechische das Latein berei-
chere, können die vom Latein abgeleiteten Vulgärsprachen durch das Latein
bereichert werden. Wenn sich also etwa Neubildungen im Latein als notwendig
erweisen, so sollen sie nicht etwa im Anschluß an die Volkssprache, sondern im
Anschluß an das Griechische vorgenommen werden52. Auch wenn Nebrija in
der Nachfolge (z.B. von Vald6s und Villalön) latinisierende Tendenzen vorge-
worfen werden (sie betreffen allerdings mehr die Wörterbücher), so würde
Nebrija de facto dieses Bereicherungskriterium durch die klassischen Sprachen
nie teilen, bemüht er sich doch in seiner kastilischen Grammatik ständig darum,
die Unabhängigkeit des Kastilischen zu beweisen, es kontrastiv zu den klassi-
schen Sprachen darzustellen und an einigen Stellen auch seine Vorzüge ihnen
gegenüber herauszustellen53.

Die Auffassimg der sprachlichen Filiation Griechisch > Latein > Spanisch ist
auch bei Nebrija und Vald6s vertreten, sie wird aber unterschiedlich interpre-
tiert: Für Nebrija geht es im Falle dieses Dreierschritts um das Problem der aus

51 Cf. Fontän (1991: 22ss.).


52 Cf. Mayans, I,p.280.
Cf. Bahner (1984: 97).
Grammatik und Sprachtheorie 163
der translatio imperii abgeleiteten translatio linguae, während Vives und Vald6s
auf sprachgenetischer Ebene argumentieren, d.h. nicht zyklisch wie Nebrija54.
Was die verschiedenen sprachlichen Ausdifferenzierungen angeht, so berück-
sichtigt sie Nebrija kaum. Vives sieht - und dies verbindet ihn mit Vald6s - , daß
Sprache im Sinne Coserius eine Architektur, ein Diasystem darstellt. Vald6s
kennt diatopische, diastratische, diaphasische und diachronische Differenzie-
rungen55. Vives widmet sich vor allem den diatopischen Differenzierungen, die
bei ihm - zusammen mit der Lehnwortproblematik - in eine Übersetzungstheo-
rie einmünden56.

4.4.
Ist nun der Gedanke einer einheitlichen Kultursprache Latein als Rückschritt
hinter Nebrija zu deuten? Fontän (1977: 45) hält dies für ein "utopisches Ideal"
des Mittelalters; Coseriu (1971b: 238) für eine "Inkohärenz" und für einen
"Fremdkörper" im Rahmen von Vives' Gesamtdenken. Dabei gilt allerdings zu
bedenken, daß auch für Nebrija der Gedanke von Latein als linguafranca nicht
abwegig ist: Er schreibt z.B. die Geschichte Spaniens auf Latein, um Spanien
international näher zu bringen, um von allen Völkern verstanden zu werden57.
Andererseits geht es Vives nicht einfach um das Restaurieren eines vergange-
nen, künstlichen Lateins qua Metasprache, sondern er konzipiert ein Latein,
das flexibel genug ist, um neuen Kommunikationsbedürfnissen einer veränder-
ten Gesellschaft zu genügen58 oder in den Worten Verburgs: "Latein als natür-
liche, lebende Sprache in Funktion"59. - Nicht zu unterschätzen ist bei der expli-
ziten und wiederholten Forderung Vives' nach einem alle Völker verbindenden
supranationalen Kommunikationsmittel auch das bei ihm spezifische Europä-
ertum, das aus dem Kreis um Erasmus resultierte60 - ein Europäertum, das an
die Stelle von Nebrijas nationalsprachlichem Patriotismus tritt61.

54
Cf. Briesemeister (1969:48), Braselmann (1991:166,425s.).
55
Cf. Braselmann (1988: 301ss.).
Cf. hierzu Coseriu (1971a, 1971b).
57
Vgl. hierzu auch Fontán (1986: 226ss.).
58
Cf. Argudo Sánchez (1977:137), Fontán (1977:49), Ridruejo (1977: 50).
59
Cf. Verbürg (1952:154ss.). "Aan de zijde van de beschavingsverwerving is Vives' humanisme lin-
guaal-functioneel op een wijze, als Erasmus dat niet kende. Aan de missiekant brengt hij de taal
terug tot een middel van verstandhouding en ondeiwijzing. Als functionele kenfunctie wijst hij
de concrete taalpractijk der volkstalen aan ... Met Vives verlaat het Humanisme zijn erasmiaanse
latijnse linguisme om zieh te keren tot de natuurlijke talen. De overspanning van het universa-
listische erasmiaanse linguisme maakt bij hem plaats voor een - overigens even functionalistisch,
zij het in ander opzicht - lingualisme, dat in de prineipien-theorie ruimte maakt voor de nationale
talen, letteren en philologieen." (Op. dt, p. 160).
60
Cf. hierzu Strosetzki (1981: 268), Norefta (1970: 28), vor allem: Argudo Sánchez (1977:127).
81
Dieser ist bei Nebrija - entgegen der traditionellen Rezeption - aber nicht primär sprachimperia-
listisch; cf. hierzu Braselmann (1993 a).
164 Petra Braselmann
Insofern ist Vives' Haltung kein Rückschritt hinter Nebrija, und wenn von ei-
nem Antagonismus zwischen Lateinorientierung und Volkssprache die Rede
ist, dann trifft er genauso auf Nebrija zu. Lateinhumanismus und Vulgärhuma-
nismus sind bei ihm wie überhaupt in der renaissance-humanistischen Sprach-
auffassung in Spanien keine Gegensätze, sondern bilden eine sich gegenseitig
befruchtende, ja voraussetzende Symbiose62.

5.
Kommen wir zum Schluß: Nebrija, der grammaticus, Vives, der Sprachphilo-
soph, haben nicht wenig gemeinsam, was sich nicht zuletzt aus dem humanisti-
schen Zeitgeist erklären läßt, der beide umgibt. Dennoch sind ihre Biographien
und die je spezifischen Beeinflussungen unterschiedlich. Wie Nebrija schätzt
Vives im Gegensatz zu Erasmus die Volkssprache hoch ein. Wie Valdés hält er
aber eine volkssprachliche Grammatikalisierung für unnötig. Wie bei Nebrija
hat die Volkssprache bei Vives eine instrumentale Funktion zum Lernen des
Lateins, das beide als Fremdsprache ansehen, die über die Muttersprache ge-
lernt wird.
Ihre Fragestellungen divergieren in nicht zu unterschätzendem Maß. Nebrija
praktiziert Sprachkodifizierung, Normbeschreibung, Sprachvermittlung und
Übersetzungen (z.B. in seinen zweisprachigen Wörterbüchern, in seiner zwei-
sprachigen Version der Introductiones, etc.). Vives stellt allgemein sprachphilo-
sophische Überlegungen an und formuliert in einer Reihe von Punkten eine
Art Metatheorie zu Nebrijas Erkenntnissen; ein schönes Beispiel hierfür ist
etwa auch seine Theorie des Übersetzens63. - Dies gilt auch für andere Berei-
che: Nebrija schreibt Lexika der Medizin und der Jurisprudenz, Vives reflek-
tiert über diese Themen auf einer allgemeineren Ebene, und er bezieht sich üb-
rigens explizit auf Nebrijas diesbezügliche Leistung64.
Ihr Erkenntnisinteresse liegt auf unterschiedlichen Ebenen: Nebrija widmet
sich der Sprache als Objekt, Vives eher einer Metaebene, d.h. Reflexionen über
Sprache. Nebrija erfüllt mit seinen Grammatiken und Wörterbüchern das, was
Vives in allen seinen Werken am Herzen Hegt: die Hinwendung zur histori-

62
Cf. hierzu auch Schmitt (1987:126), Apel (1963:128).
63
Er erfüllt damit ein Desiderat, das durch die Übersetzerschule von Toledo ausgelöst in Spanien -
anders als in der übrigen Romanía - viel früher zur brennenden Frage wurde. Vives schließt da-
mit unmittelbar an Alfonso de Cartagena an (1454), der in einer Auseinandersetzung mit Bruni
auf die Notwendigkeit zum grundsätzlichen Durchdenken der sprachlichen Übersetzungen hin-
wies. Cf. Briesemeister (1969:49). - Zu Vives' Übersetzungstheorie cf. Coseriu (1971a).
64
Cf. Vives, De causis corr. (ed. Hidalgo-Serna), p. 577.
Grammatik und Sprachtheorie 165
sehen Einzelsprache und ihr sorgfältiges Studium65. Vives bewundert ihn auch
dafür, was gleichwohl punktuelle Kritik nicht ausschließt66.
Insofern läßt sich der grammaticus Nebrija mit seinen Sprachwerken sehr wohl
in die sprachtheoretischen Reflexionen eines Vives integrieren.

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65
Cf. Coseriu (1971b: 237).
88
So meint Vives, Nebrijas Wörterbücher seien nur für den Anfängerunterricht geeignet, nicht
aber für weiterführende Studien. Er fordert darum einen Thesaurus mit Autoritäten-Zitaten; cf.
Colón/Soberanas (1979: 27 N42).
166 Petra Braselmann
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Verbum, sermo y elocutio en la obra de Vives

Emilio Hidalgo-Serna (Braunschweig)

Juan Luis Vives ridiculiza en sus escritos el lenguaje abstracto y apriorístico del
pensamiento medieval. El humanista valenciano desenmascara la absurda me-
tafísica de los escolásticos, afirma la primacía de la palabra histórica y ante-
pone el sermo communis, esto es, la materia propia de la retórica1, al ente y a la
ontología. No es extraño si el De ratione dicendi (1532) y los siete libros del De
causis corruptarum artium (1531) han acaparado sólo recientemente el interés
de los investigadores que en las últimas décadas2 han hecho posible el intenso
diálogo entre la retórica y la literatura, la lingüística, la poética, la filosofía y las
ciencias.
Si bien la reflexión sobre el lenguaje es el eje central en torno al cual gira la
obra de Vives3, su retórica, sin embargo, fue silenciada en los copiosos estudios
que Europa dedicó a su pedagogía y psicología. Olvidar el verbum y el sermo
significa para Vives negar la raíz de la propia historia, de las artes y del pensa-
miento. El humanismo fue estudiado casi siempre a la luz del idealismo, del
neoplatonismo o de argumentos de marcado carácter formal, histórico y eru-
dito. Por otra parte, el humanismo español ha sido muy poco estudiado y casi
nunca interpretado a partir de la función cognoscitiva y de la preeminencia
filosófica del lenguaje.
Aunque Vives es uno de los autores más leídos en el siglo XVI y en la primera
mitad del XVII, su concepción del lenguaje fue víctima de los prejuicios racio-
nalistas del pensamiento europeo. Por esta razón creemos necesario exponer
aquí sucintamente algunas de las ideas más características sobre el lenguaje y la
retórica en la obra del humanista español. Conviene además tener presente que

1
En su Retòrica leemos: "Materia hujus artis est sermo", J. L. Vives, De ratione dicendi, en:
Opera omnia, edic. de G. Mayans y Siscar, II, Valencia (B. Monfort) 1782, p. 94.
2
Véase, por ejemplo, P. A. Verbürg, Taal en functionaliteit, Wageningen 1952, pp. 149-161; E.
Coseriu, "Zur Sprachtheorie von Juan Luis Vives", en: Festschrift zum 65. Geburtstag von W.
Mönch, Heidelberg 1971, pp. 234-255; M. K. Read, The Birth and Death of Language: Spanish
Literature and Linguistics: 1300-1700, Madrid 1983, pp. 49-69.
g
Cfr. E. Hidalgo-Serna, "Vergessenheit der geschichtlichen Sprache und ihrer Funktion. J. L.
Vives' Humanismus als notwendiger Wendepunkt des Philosophierens", en: J. L. Vives, Über die
Gründe des Verfalls der Künste. De causis corruptarum artium, trad, de W. Sendner, y edic. de
E. Hidalgo-Serna, München (W. Fink) 1990, pp. 7-99 y V. Del Nero, Linguaggio e filosofia in
Vives. L'organizzazione del sapere nel "De disciplinis", Bologna (CLUEB) 1991.
Verbum, sermo y elocutio 171
la concepción que nuestro autor tiene del lenguaje hace posible una más ge-
nuina comprensión del Siglo de Oro español4.
Para reconocer el sentido y la importancia de la retórica vivista hay que descu-
brir la circunstancia histórica en la que actúan el vínculo indisoluble verbum-res
y la representación inventiva que la elocutio hace del devenir del ser en el
mundo. Si en el arte de la elocución advierte Vives la corona de las artes del
sermo y de cada una de las disciplinas, habrá que señalar primero cuáles son
las características propias de este lenguaje.
La palabra y el arte de hablar, el trabajo y todas las invenciones humanas nacen
siempre de necesidades históricas5 y concretas. El verbum y el sermo son las
respuestas humanas a la falta de significaciones. Aquí radica el papel cognosci-
tivo de la palabra originaria, del lenguaje metafórico y de la crítica del huma-
nista valenciano frente a la abstracción e impotencia del discurso racional.
Si la ontología había impuesto una estructura racional al saber filosófico, tal
modo de conocer exigía, por consiguiente, un metalenguaje capaz de expresar
la deducción de la razón y su juicio metafísico. La concepción escolástica del
sermo se apoyaba en la significación lógica y desoía el aquí y el ahora del ser
particular6. Esta amnesia de la inmanencia de las palabras a favor de la abs-
tracción fue una característica constante del pensamiento y de la teología medi-
evales7.
Ya en sus primeros libros, Vives había condenado firmemente el lenguaje y el
método de los seudodialécticos; éstos reducían cada argumento a una termi-
nología artificial y desconectada de la res. La búsqueda vivista de las nuevas
significaciones del ser singular desemboca en el protagonismo que el lenguaje,
las artes del sermo, la naturaleza, el ingenio o la invención obtienen en su De
disciplinis. Vives sostiene que la utilidad del discurso retórico y de la reflexión
filosófica presupone inevitablemente el uso y el respeto de la moneda común
de la lengua8. Por esta razón el autor español dedica a la palabra, al lenguaje y

4
Cfr. E. Hidalgo-Serna, "Linguaggio ironico e umanesimo di Vives e Cervantes. Il dramma della
follia razionale di Don Chisciotte", en: E. Grassi y E. Hidalgo, Filosofare noetico non metafisico,
5
L'AIcesti e il Don Chisciotte, Galatina 1991, pp. 31-54.
"sed ornatius dicendi, et acutius inveniendi, ex necessitate fluxit", J. L. Vives, De causis
corruptanim artium, op cit., VI, 1785, p. 153.
6
En la polémica entre Cartagena y Leonardo Bruni, a propósito de la traducción que éste hizo al
latín de la Ética a Nicómaco de Aristóteles, cristaliza la diferencia entre dos concepciones del
sermo diametralmente opuestas. Si el tomista Cartagena exige que sean respetados los significa-
dos lógicos del verbum, el humanista italiano atiende a la historicidad y a la riqueza semántica
del lenguaje. Cfr. H.-B. Gerì, Philosophie und Philologie. Leonardo Brunis Übertragung der
Nikomachischen Ethik in ihren philosophischen Prämissen, München (W. Fink) 1981, pp. 23-31.
7
g H. Roos, "Sprachdenken im Mittelalter", en: Classica et Mediaevalia 9 (1947), pp. 203 y 204.
"(...) quod est velut communis monetae Signum", J. L. Vives, De tradendis disciplinis, op. cit, VI,
p. 245.
172 Emilio Hidalgo-Serna
a las tres artes del sermo la parte más extensa de su análisis sobre la corrupción
y decadencia de las disciplinas y del pensamiento.

Nuestro humanista exige que la reflexión sobre el verbum y el sermo sea la pri-
mera ocupación del gramático, del dialéctico, del retórico, del filósofo y de
quienes cultivan las ciencias8. Sólo después el hombre podrá llegar al conoci-
miento de las cosas, de rebus10, haciendo concepto de sus correspondencias y
de su sentido singular. La tercera actividad del saber humano atenderá a las
costumbres y a la justicia, a la moral y a la jurisprudencia11.

Ya en 1518 Vives acusa al pensamiento griego de haber deformado las cosas12


con normas y conceptos apriorísticos. Reconoce que la dialéctica es la ciencia
del lenguaje13 y denuncia el anacronismo del filósofo que no respeta la lengua
del pueblo, pues en el uso común de la palabra14 se hallan ya lo verosímil, lo
probable y lo verdadero. La corrupción y la incomprensión de la lógica formal
derivan, según él, de la invención de una terminología que es ajena y contraria
a la costumbre de hablar.

Sólo el uso y el sentido común15 de quienes comparten la historia de una misma


lengua pueden asegurar la garantía de las verdaderas significaciones. Vives nos
advierte que la ahistoricidad de la metafísica tradicional nace de la abstracción
que los seudofilósofos hacen de la palabra común y del lenguaje propio. Así,
por ejemplo, califica de oscura18 la lógica aristotélica por no respetar el modo
de entender de los hombres17 y no llegar a satisfacer las necesidades humanas
más urgentes.

Según Vives, fueron Cicerón y los retóricos posteriores18 quienes pusieron re-
medio a la inhumana dialéctica escolástica. Tanto la tradición latina, como el
humanismo italiano, la concepción vivista del lenguaje y su revalorización de la

9
Al lenguaje y a las artes del sermo dedica Vives los cuatro primeros libros del De disciplinis, es
decir, dos tercios de su De causis corruptarum artium, op. cit., VI, pp. 8-180.
El libro V trata de la filosofía natural, de la medicina y de las matemáticas, ibid., pp. 181-207.
11 Véanse los libros V I y V I I del De causis corruptarum artium, op. cit., VI, pp. 208-242.
12
Cit. J. L. Vives, De initiis, sectis, et laudibusphilosophiae, op. cit., III, 1782, p. 4.
13
"Tum dialecticam quis non videt scientiam esse de sermone?", J. L. Vives, In pseudo-dialecticos,
op. cit., III, p. 40.
14
"ad eundem modum in dialéctica usu venit, non enim quia praecipit ipsa enuntiationem eam esse
veram vel falsam, (...)", ibid., p. 42.
15 Ibid., p. 42.

16 "(...),inde tam multa, per ejus opera, obscura, et ambigua", J. L. Vives, De Aristotelis operibus
censura, op. cit., III, p. 26.
17 "ñeque enim ego pro captu naturae intelligo; (ac ne tu [Aristóteles] quidem) sed pro meo", J. L.
Vives, De causis corruptarum artium, op. cit., VI, p. 118.
18
"Rhetoribus hoc debent Dialectici, qui obscuritatem hanc illustraverunt, et tradiderunt quis esset
materiae istius usus, quod Cicero praestitit (...)", J. L. Vives, De Aristotelis operibus censura, op.
cit., III, p. 29.
Verbum, sermo y elocutio 173
elocutio y del ars inveniendi preludian ya la creación poética de Góngora o de
Calderón y el pensamiento de Cervantes o de Gracián. Estos autores inmortali-
zarán un siglo más tarde en el Quijote, en las Soledades, en El Criticón y en La
vida es sueño las múltiples funciones y posibilidades del arte de hablar, de la
imagen, de la metáfora, del concepto agudo y del saber ingenioso, frente al len-
guaje abstracto y al pensamiento metafísico.
Es inconcebible el sentido de la historia sin la transformación humana de la
naturaleza a través de la palabra. La invención del lenguaje señala la frontera
entre el hombre y el resto de los seres naturales. En los conceptos de natura-
leza y de necesidad19 halla Vives el único escenario posible y los límites del
protagonismo del sermo, del conocimiento, del pensamiento y de las acciones
del hombre. Nuestro saber se funda siempre en las palabras, leemos en su De
prima philosophia10.
Juan Luis Vives califica de locura la actitud irresponsable del hombre que
rechaza aquello que ve y comprende21 y se empeña en afirmar dogmáticamente
lo impenetrable. Por el contrario, la fuerza elocuente del verbum histórico y la
supremacía que le atribuye el autor en su De ratione dicendi respecto al len-
guaje abstracto y racional, nos revelan el devenir incesante de la realidad y
contradicen cualquier pretensión humana de deducir a priori o de definir um-
versalmente la esencia de la res. Para llenar el vacío de las nuevas significacio-
nes de nuestro mundo, la elocutio retórica y metafórica22 expresa las seme-
janzas y representa inventivamente las circunstancias irrepetibles e históricas
de los objetos singulares.
Sin la invención de las voces y sonidos23, nuestro mundo permanecería a obscu-
ras. Las palabras, las figuras retóricas, la metáfora o la ironía, no fueron en su
origen expresiones puramente formales, sino elocuciones impuestas por la ur-
gente necesidad de predicar ingeniosamente la verdad de cada cosa24. En este
sentido, la traslación ingeniosa de las significaciones es propia no sólo del
poeta y del orador, sino de cuantos comparten en sociedad el sentido de una
misma historia.

19
"ita multi, vel necessitate impellente, vel adducente admiratione, vel invitante voluptate, ad con-
templationem naturae se se contulerunt", J. L. Vives, De causis corruptarum artium, op. cit., VI,
p. 181.
20
"Ad hoc vis prope omnis sciendi atque intelligendi in verbis est sita, (...)", J. L. Vives, De prima
philosophia, op. cit, III, p. 193.
21
"furor est hominem, relictis quae homo capit, ea quae non capit affirmare", ibid., p. 185.
22
Al hablar sobre "Las palabras" en el libro I, capitulo II de su Retórica, Vives resalta el protago-
nismo del lenguaje metafórico. Cfr. J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit., II, pp. 99 y 100.
23
"mira res est, quisquís ille fuit tanti auctor inventi, quatuor et viginti notulis, plus minus, potuisse
tantam humanarum vocum sonorumque varietatem comprehendere", J. L. Vives, De causis
corruptarum artium, op. cit., VI, p. 10.
24
"Nécessitas est, quum deest verbum quo res significetur", J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit.,
II, pp. 99 y 100.
174 Emilio Hidalgo-Serna
Recordemos a este propósito el papel primordial del ingenio en la Retórica y
en el pensamiento de Vives25. Todas las palabras, la elocución retórica, las
artes y las disciplinas son generadas por la agudeza de nuestro ingenio. La
función originaria de esta facultad es la de liberar al hombre de todas sus
necesidades. Se trata de "la vivaz agudeza del ingenio que actúa libremente y
por sí sólo. De este ingenio" - prosigue el autor - "nacieron todas las inven-
ciones humanas"26.
Nuestro humanista nos asegura que el ingenio es el ojo y la luz del espíritu27, el
órgano y el medio de la visión aguda y del lenguaje que traslada las significa-
ciones de aquellas relaciones y vínculos que configuran la realidad cifrada. En
las primeras páginas del De disciplinis es subrayado ya ese mismo protagonismo
que Baltasar Gracián y Giambattista Vico28 atribuirán más tarde a esta facultad
inventiva. El ingenio busca, penetra y descubre la verdad en cada cosa
(veritatem in quaqua re)29. Para lograrlo se vale de su "agudeza en el intuir, de
su capacidad para comprender y de su facultad de comparación para juzgar"30.
Tras disertar en su Retórica sobre el sermo, el verbum, el orden, el sonido y las
sílabas, Vives habla "de las virtudes y vicios del cuerpo del lenguaje"31. El nos
asegura que el lenguaje posee un alma y que "de las virtudes y vicios del len-
guaje toma también nombre la oración"32. En el capítulo sexto del libro se-
gundo de su De ratione dicendi, titulado Acumen et subtilitas, el autor quiere
que la elocutio retórica sea siempre aguda: "una oración es aguda cuando o sus
palabras o sus ideas penetran en lo más íntimo de la cosa sobre la cual se
trata"33. Esta aguda y sutil penetración, que es atributo esencial del lenguaje y
de la elocución, se realiza "con una cierta semejanza del ingenio humano, el
cual, por esta razón, es llamado agudo"34. De aquí se deriva la íntima relación
entre el verbum y la res, así como la función retórica y filosófica de cuantos
elementos contribuyen a la elocución aguda.

25
Cfr. E. Hidalgo-Serna, "'Ingenium' and Rhetoric in the Work of Vives", en: Philosophy and
Rhetoric\6,4 (1983), pp. 228-241.
26
"Ingenii acumen vivax, et sua sponte actuosum: hinc sunt nata inventa hominum omnia", J. L.
Vives, De causis corruptarvm artium, op. dt., VI, p. 8.
27
"ingenio nihil est similius quam oculus; hie est corporis lux, illud animi", J. L. Vives, De tradendis
disciplinis, op. cit., VI, p. 286.
28
Cfr. E. Hidalgo Sema, "Vives, Calderón y Vico. Lenguaje metafòrico y filosofar ingenioso", en:
Cuademos sobre Vico 2 (1992), pp. 75-88.
29
J. L. Vives, De ventate fidei christianae, op. dt., VIII, p. 371.
30
"Ingenii partes sunt acies ad intuendum, capacitas ad comprehendendum, collatio ad judicium",
J. L. Vives, De tradendis disciplinis, op. cit., VI, p. 286.
31
"Hactenus de virtutibus et vitiis corporis", J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit., II, p. 147.
32
"Ex iis quoque quae in animo sunt, nomina induntur orationi", ibid.
33
"acuta [oratio] est, quum ejus vel verba, vel sensa, intima rei penetrant de qua agitur", ibid.
34
"similitudine quadam humani ingenii, quod ea de causa acutum dicitur", ibid.
Verbum, sermo y elocutio 175
Vives observa además que "los argumentos extraídos de la íntima esencia del
asunto hacen a la oración aguda y también aquella que llamamos demostración,
porque nace de la agudeza de los argumentos"35. Contribuyen además a la efi-
cacia cognoscitiva de la elocutio retórica la fuerza inventiva de las palabras36, la
agudeza de las figuras retóricas y toda traslación metafórica que implique la
acción del ingenio. Sólo las palabras - escribe nuestro humanista - pueden ser
la casa de las significaciones: "verba autem sedes sunt sensorum"37.
Una norma ingeniosa preside el lenguaje retórico de Vives en su Fábula de
homine y la acción del hombre protagonista al que admiran los dioses especta-
dores: "discursus finis est inventio"38. El autor de esta argumentación retórica
sobre el hombre nos indica desde el principio la razón del método elegido por
él y que difiere de la tradicional antropología de carácter neoplatónico:
"Comienzo con juegos y fábulas mi discurso sobre el hombre" - escribe Vives -
"porque el hombre mismo es juego y fábula"38. A la elocución retórica corres-
ponde introducir y representar la realidad y el devenir de nuestra historia en el
escenario imaginado por Vives.
Ha sido Calderón quien, con mayor acierto y en verso, ha compendiado más
tarde este arte retórico, humanista e inventivo, es decir, el verdadero funda-
mento de la mejor literatura filosófica de la tradición española: "Y pues ya la
fantasía / ha entablado el argumento, / entable la realidad / la metáfora"40.
Vives destaca en su retórica filosófica el papel de la similitudo en relación con
el ingenio y la oración aguda41. La expresión ingeniosa de la elocutio presupone
la lógica de la invención42 y la semejanza, esto es, la fuente y la raíz del discurso
metafórico. Tales instrumentos son propios de todas las artes43, de la prosa y
del verso, de la palabra escrita y del lenguaje hablado.

"Acutam orationem faciunt argumenta ex intima ratione ac natura rei deprompta; turn confor-
matio illa, quam demonstrationem nominali diximus, quoniam ex argumentorum acumine orí-
tur", ibid.
30
"hac eadem de causa acutam quoque orationem reddunt vis ac proprietas singulorum verborum;
denique ea omnia, ad quae vel excogitanda vel intelligenda opus est ingenii acumine, ut verbum
aliter quam in communi sermone positum, allegoriae, aenigmata, translationes, (...)", ibid.
37
Ibid., p. 94.
38
J. L. Vives, De anima et vita, op. cit., Ili, p. 361.
39
"Libet mihi a ludis fabulisque auspicali hanc meam de homine dissertationem, quoniam et homo
ipse ludus ac fabula est", J. L. Vives, Fabula de homine, op. cit., IV, p. 3.
40
P. Calderón de la Barca, "Las órdenes militares", en: Obras completas, III, edic., de A. Valbuena
Prat, Madrid, Aguilar 1952, pp. 1019 y 1020.
41
Cfr. J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit., II, p. 147.
42
"et pro illa vetere divisione Logicam esse aliam de inventione", J. L. Vives, De causis
corruptarum artium, op. cit., VI, p. 131.
43
"Sed hoc certe singularum est artium in sua materia", ibid., p. 160.
176 Emilio Hidalgo-Serna
En el De ratione dicendi Vives resalta la preeminencia y utilidad cognoscitiva
de la metáfora. Las palabras pasan constantemente de su lugar natural a otro
nuevo. Este tránsito metafórico sirve a la significación y al sentido. Y si las pa-
labras significan originariamente aquello para lo cual fueron inventadas44, el
humanista valenciano reconoce la necesidad de la elocutio metafórica para
trasladar ingeniosamente las nuevas relaciones de semejanza: "translatio fit
similitudine"45. A pesar de su limitación significativa, el sermo communis per-
mite, sin embargo, la translatio de las palabras y de las semejanzas para explicar
lo menos conocido46 a partir de otras cosas más conocidas.
Pero la elocución metafórica no pierde la libertad de volver a su sentido y lugar
originarios, después de haber sido trasladada para servir a la necesidad de ex-
presar el devenir del ser cuando falta la palabra que signifique la cosa47. Y si la
corrupción del pensamiento proviene, en gran parte, de la pérdida del sentido
histórico del verbum, Vives asegura que las artes y disciplinas no deben inven-
tar lenguajes artificiales ni la materia de su reflexión48. La filosofía y las cien-
cias se limitarán a representar imaginativamente la res sin necesidad de
definirla o de abstraería.
La red de signos y significaciones del lenguaje común49 asegura la indisolubili-
dad de la comunidad social; nos permite además nombrar las cosas y construir
el puente cognoscitivo que nos acerque a ellas. Vives advierte en el sermo
communis el vínculo más fuerte de la sociedad humana50 y el fundamento de
todas las formas de hablar51 que afloran de la experiencia cotidiana y del uso
común. "Dado que la utilidad del lenguaje es evidente en cada una de las situa-
ciones de la vida" - leemos al comienzo de su Retórica - "todos mis esfuerzos
tenderán a ayudar al uso, al que yo dedicaré mi preceptiva"52.

44
"In natura et viribus sunt quaedam, quorum significalo est naturalis, id est ad quae significan-
dum a primo sunt inventa", J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit., II, p. 97.
45
Ibid., p. 99.
46
"Similitudo ad explicationem inventa est rei minus notae per magis notam", ibid.
47
"Necessitas est, quum deest verbum quo res significetur", ibid., pp. 99 y 100.
48
"nulla earum sibi facit novam materiam", J. L. Vives, De causis conuptarum artium, op. cit., VI,
p. 140.
48
"qui eadem communione rerum essent divincti, (...) illa quotidiana, contrahere, et versari inter
homines indivisibili perpetua societate, quam arctissime devincit sermo", J. L. Vives, De traden-
dis disciplinis, op. cit., VI, p. 245.
50
"Qui humanae consociationis vinculum dixerunt esse justitiam et sermonem, hi nimirum acute
inspexerunt vim ingenii humani; quorum duorum sermo certe fortior est ac validior inter homi-
nes, (...)", J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit., II, p. 89.
51
Ibid., p. 129.
52
"(...) quoniam sermonis utilitas latissime patet in omni vita. (...) Verum mea omnis mens eo ten-
det, ut usum adjuvem, et ad eum unum universam praecipiendi rationem convertam", ibid., p. 94.
Verbum, sermo y elocutio 177
Al sentido común concierne no sólo la distinción de las cosas que son seme-
jantes53, sino la de los objetos que corresponden a cada uno de los sentidos y la
diferenciación de las funciones propias de la imaginación y de la fantasía.
Custodiar las palabras, las significaciones y el uso lingüístico será la tarea espe-
cífica del gramático54. El dialéctico, por su parte, ha de evitar el lenguaje abs-
tracto y enseñar el método inventivo (tradere instrumentum inveniendi)55, lógica
que, al degenerar, fue asumida paulatinamente por el retórico.
Vives nos asegura que la invención, la disposición, la memoria y la pronuncia-
ción56 no son partes exclusivas de la retórica, sino instrumentos de todas las
ciencias. Tales medios fueron asignados originariamente a la retórica, aunque
después se aplicaron a los distintos ámbitos de la existencia humana57, a todos
los hombres, lugares y tiempos58. Unicamente la elocutio es para el filósofo de
Valencia el objeto propio de la retórica50.
Si la finalidad del arte retórica es el hablar bien (finis bene dicere)60, el ver-
dadero orador habla para enseñar algo a alguien, para persuadir, para expresar
un deseo o una esperanza, para comunicar sus sentimientos o para estimular
las pasiones61 del oyente. Pero la elocución retórica no debe trascender el
mundo ni olvidar los objetos particulares, pues ella es la expresión propia y la
garantía de las significaciones y del pensamiento.
La verdad expresada en la elocución retórica no puede resultar de una ade-
cuación del entendimiento y la voluntad a las cosas o viceversa. Tal adecuación
transcendental implica el olvido del sermo communis, la imposibilidad de ad-
vertir las relaciones de semejanza y la renuncia a hacer concepto de los víncu-
los que son constitutivos de la verdad de la res. Por el contrario, el arte de
hablar y su lenguaje manifiestan el devenir del ser y las nuevas situaciones y cir-
cunstancias históricas del mundo.

53
Ibid., p. 99.
54
"(...) ad quos ea cura spectaret, tenere verborum omnium vires ac signiñcationes, et esse velut
thesauri illius custodes, atque aerarii tribunos", J. L. Vives, De causis corruptarum artium, op.
cit, VI, p. 78.
55
Ibid., p. 112.
56
Ibid., p. 159.
57
"(...) quandoquidem efficacissima est ac potentissima et in omnes vitae partes necessaria", J. L.
Vives, De tradendis disciplinis, op. cit., VI, p. 356.
58
"Ego vero nihil video conducibilius hominum coetibus, quam sit sermo bene institutus, atque
educatus; nec aliud perinde damnosum aut importunimi, ñeque locis, neque temporibus, neque
personis accommodatum", J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit., II, p. 90.
59
"Elocutio, magis artis hujus est propia", J. L. Vives, De causis corruptarum artium, op. cit, VI, p.
162.
60
Cfr. J. L. Vives, De ratione dicendi, op. cit, II, p. 94.
61 Ibid.
71. "
178 Emilio Hidalgo-Serna
La palabra metafórica, la invención y el arte de hablar aseguran la unidad entre
el verbum y la res; de esta manera contribuyen a una mayor eficacia y concre-
ción del conocimiento y del pensamiento. En el lenguaje agudo descansa la
fuerza del orador para mover los sentidos y las pasiones de los hombres. Si los
conceptos racionales expresan diferencias lógicas y universales, tal lenguaje
presupone un oyente pasivo62. Por el contrario, el discurso retórico exige un
espectador que penetre sutilmente en la cosa de la que se trata y llegue a com-
prender la agudeza de la oración y de los argumentos.
En los tres libros del De ratione dicendi se nos ofrece el epílogo de la reflexión
que el humanista valenciano nos ha dejado sobre el lenguaje. Él concibe la re-
tórica como la reina de las artes del sermo y el arte que encarna la perfección
de cada una de las disciplinas. Al reivindicar la palabra histórica, Vives nos ha
indicado cuáles son los pilares sobre los cuales debe apoyarse todo discurso:63
sermo, elocutio, natura, ingenium, acumen, sensus communis, similitudo, inven-
tio, translatio, etc.

62
Cfr. J. L. Vives, De causis corrvptarum artium, op. cit., VI, p. 170.
63
Cfr. E. Hidalgo-Serna, "Vergessenheit der geschichtlichen Sprache und ihrer Funktion", op. cit.,
pp. 26-65.
Noch einmal zur Fabula de homine

Sebastian Neumeister (Berlin)


Hanc ipsam rem mihi in animo est alias, si
liberius suppetierit otium, opere justo
exequi, nunc tamquam monogrammam
delineavi.
J.L. Vives

Gott wurde zum müßigen Zuschauer des


großen rührenden Schauspiels, das die
Gelehrten aufführten, gemacht, welcher am
Ende die Dichter und Spieler feierlich
bewirthen und bewundern sollte.
Novalis

Sacamos los pesados revólveres (de pronto


hubo revólveres en el sueño) y alegremente
dimos muerte a los Dioses.
J.L. Borges

Im Jahre 1518 schickte Juan Luis Vives dem jungen Freunde Antonius van
Bergen, um ihn zu unterhalten (nugari), zwei kleine Schriften, eine Fabel und
eine Einführung in Vergils Geórgica (Fábula de homine und Praelectio in Geór-
gica Vergílii). Beide Texte sind in großer Nähe zur Literatur angesiedelt, der
eine durch die Form der Fabel, der andere durch seinen Gegenstand, die
Geórgica. Beide Male handelt es sich allerdings um belehrende Texte, um eine
philosophisch gemeinte Fabel einerseits und um einen Kommentar zu einem
klassischen Lehrgedicht andererseits.1 Vives bewegt sich im Bereich zwischen
Philosophie und Literatur, wenn er in seinem Widmungsbrief auf den ernsten
Hintergrund der Fabel hinweist, bei der Vergil-Einführung aber auf den Unter-
haltungscharakter. Zu Vergil schreibt er:
neque enim absurdum prorsus est philosophum ex tétrica illa disciplina ad blandiores
musas animi gratia interdum descendere. (Es ist keineswegs unsinnig, daß der Philosoph
von seiner gestrengen Wissenschaft ablasse und sich zu seiner Erbauung den sanften und
friedlichen Musen widme.)

Die Mayans-Ausgabe von 1783 gibt zwar in dem den Moralia gewidmeten Band IV den Wid-
mungsbrief, löst aber den hier angedeuteten inneren Zusammenhang zwischen der Fabula de
homine und der Praelectio in Geórgica Vergilii durch Auslagerung der letzteren in Band II
(Philologica) auf. Im folgenden werden Widmungsbrief und Fabula ohne Seitenangabe nach die-
ser Ausgabe zitiert (Opera omnia, Valentiae, 1783, S. 1-8). Die deutsche Übersetzung folgt dem
Text der von Jürgen von Stackelberg verantworteten Sammlung Humanistische Geisteswelt,
Baden-Baden 1956, S. 252-258. Zur philosophischen Funktion der Fabel als einer contemplatio,
in der nicht das Unveränderlich-Ewige, sondern das Veränderlich-Kontingente sichtbar gemacht
werde, vgl. E. Grassi, Die Macht der Phantasie, Königstein 1979, S. 232-235. Vgl. im gleichen
Sinne auch E. Hidalgo-Sema, Einleitung zu J. L. Vives, De causis corruptarum artium, München
1990, S. 43-50, und - zur fiktionalen Form bei Vives allgemein - den Beitrag von Javier Gómez-
Montero in diesem Band.
180 Sebastian Neumeister
Zur Fabel bemerkt Vives demgegenüber, daß das Thema, das Welttheater mit
dem Menschen als Schauspieler, schon eine lange Tradition habe und uns eine
ernste Lehre erteile:
Argumentum est antiquum, quod cum nugis habet permulta seria, etenim illud nobis, si
paullo altius animum ipsum cogitatione engere volumus, ostendere vilitatem istarum
rerum, quas ingenti cum labore, anxii solicitique, caeci atque dementes, quaerimus, et
subinde admonere meliora potest. (Es ist eine alte Geschichte, die neben der
Unterhaltung auch viel Ernsthaftes enthält. Sie kann uns, wenn wir unsere Gedanken nur
ein wenig anstrengen, die ganze Erbärmlichkeit der Dinge zeigen, die wir mit so viel
Schweiß und Arbeit, so viel blindem Eifer und ängstlichem Wahn erstreben, und sie kann
uns sogleich die besten Lehren erteilen.)

Es hätte dieses Hinweises nicht bedurft. Die Darstellung und Deutung der
Welt und des menschlichen Lebens in ihr als ein Schauspiel ist ein Gemeinplatz
der Literatur. Er gehört in die Geschichte des europäischen Denkens seit Pia-
tons Nomoi, er findet sich bei Seneca, Paulus und Augustinus, im Policraticus
des Johannes von Salisbury, bei Shakespeare, Calderón und Hofmannsthal.
Nicht ganz zu Umecht bemerkt deshalb schon Sancho Pansa, als Don Quijote
ihm im zwölften Kapitel des zweiten Teiles des Romans die Schauspielmeta-
pher auftischt, mit feiner Ironie:
Brava comparación, aunque no tan nueva, que yo no la haya oido muchas y diversas veces
(...). (Ein prächtiger Vergleich, allerdings nicht ganz so neu, daß ich ihn nicht schon viele
und verschiedene Male gehört hätte.)

Auch Vives greift in seiner Fassung des Welttheatermotivs die gängigen Ele-
mente auf. Da ist zunächst die von Gott anberaumte festliche Aufführung, in
diesem Fall, da es sich um die antike Götterwelt handelt, für die Mitgötter und
ganz speziell für Juno, die Schwester Jupiters, die Geburtstag feiert. Schauplatz
und Amphitheater ist wie üblich die Erde: mundus amphitheatrum, wie es am
Rande der Ausgabe von 1783 heißt, bzw. terra scaena. Menschen, Tiere und
Dinge sind die Schauspieler in einem Stück, für das ihnen Jupiter eine ihrem
jeweiligen Charakter entsprechende, genau fixierte Rolle zuweist:
ac ne quis aliter quam sibi placeret, ageret, ordinem seriemque ludorum omnium histrico
gregi praescripsit, a qua ne digitum quidem, ut ajunt transversum abscederent. (Damit sich
alles aber so entwickle, wie es ihm beliebte, schrieb er Reihenfolge und Ordnung der
Spiele sämtlichen Schauspielern so genau vor, daß sie auch nicht einen Finger breit, wie
man sagt, davon abweichen durften.)

Es stellt sich bald heraus, daß der Mensch der bei weitem beste Schauspieler
ist, ein Archimimus, dem alles gelingt und dem deshalb das einhellige Lob der
Götter zuteil wird. Der Mensch ist mit seiner schauspielerischen Begabung ein
"Proteus", ein Chamäleon der Schöpfung. Das hat einen tiefen philosophischen
Sinn. Vives greift hier auf Gedanken zurück, die sich in Pico della Mirandolas
berühmter, wenn auch nie gehaltener Rede De hominis dignitate von 1486 fm-
Fabula de homine 181
den.2 Picos Gott stellt, da er bei der Erschaffung der Welt schon alle spezifi-
schen Orte und Eigenschaften vergeben hat, den Menschen in die Mitte der
Welt und gibt ihm die volle Freiheit der Selbstverwirklichung, ohne Schranken
nach unten oder oben, auch nicht beim Aufstieg in die göttliche Welt bis hin
zur Vereinigung mit Gott. Vives folgt Pico della Mirandola auch darin, daß er
den "Erzschauspieler" Mensch alle Stufen der Schöpfungshierarchie durchlau-
fen und nacheinander die Pflanzen, die Tiere, den Menschen, die Götter und
Jupiter selbst darstellen läßt. Diese letzte Position erhebt den Menschen dann
selbst über die Götter.3 Denn der Mensch hat bei Vives die Fähigkeit, Jupiter
so täuschend echt wiederzugeben, daß die Götter verwirrt zwischen dem als
Jupiter auftretenden Menschen und Jupiter selbst hin- und herschauen und ei-
nige Schauspieler gar meinen, der Jupiter spielende Mensch sei Jupiter selbst.
Damit allerdings überschreiten sie die Grenzen des dem Theater Erlaubtem:
Sie nehmen die Illusion für die Wirklichkeit und werden dafür streng bestraft.
Die traditionelle Theatermetapher trägt bis hierher, weiter jedoch nicht. Denn,
was hier beginnt und was folgt, läßt die Schauspielerrolle des Menschen ver-
blassen, ja es macht sie obsolet. Die Götter fordern nämlich nichts Geringeres
von Jupiter, als den Menschen von der Bühne zu rufen, ihn seine Maske able-
gen zu lassen und in die Reihen der Götter aufzunehmen. Und da dies Jupiter
schon längst selbst vorhatte, wird der Mensch bei Vives auch wirklich unter die
Götter aufgenommen, ja er darf am Ende "inmitten der obersten Götter im er-
sten Rang Platz nehmen" ("inter primores deorum in orchestra, qui pro maximo
id acceperunt benificio"). Damit ist der Mensch nicht mehr Schauspieler, son-
dern den Göttern gleicher Zuschauer. Vives rechtfertigt diese erstaunliche
Rangerhöhung zum einen mit der unerhörten proteusartigen Schauspielkunst
des Menschen und zum anderen damit, daß der Mensch ein Abbild Gottes sei.
Das gestattet es ihm, sowohl mit als auch ohne Maske Eindruck auf die göttli-
chen Zuschauer zu machen, als Gott und Jupiter ebenso wie als Mensch. Die
Götter erkennen in ihm sich selbst: "Sic illi, quam et se et patrem ipsum Jovem
in homine tam expressos viderent."

Die klassische Schauspielmetaphorik von Piaton bis Hofmannsthal, wie sie


Ernst Robert Curtius und andere beschrieben haben,4 gibt dem Theaterspiel,
wie es ja auch der Realität entspricht, nur einen begrenzten Raum und eine be-
grenzte Zeit. Jenseits der Vorstellung kehrt der Schauspieler in die Gemein-
schaft der Nicht-Schauspieler zurück, er nimmt die Maske ab und wird danach
beurteilt, wie er seine Rolle gespielt hat, im Extremfall des großen Welttheaters
2
Vives übernimmt auch die beiden zuletzt genannten Bilder von Pico della Mirandola. Zu Picos
Rede vgl. E. Loos, "Der Begriff von der Würde des Menschen im italienischen Humanismus. Die
'Oratio de dignitate hominis' von Pico della Mirandola", in: Berliner Wissenschaftliche Gesell-
schaft, Jahrbuch 1984, S. 107-127.
g
Unter den Göttern haben wir nach einer Erläuterung der Mayans-Ausgabe die Engel zu verste-
4
hen.
E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, Kap. 7, § 5.
182 Sebastian Neumeister
also nach seinem Tode von Gott selbst.5 Insofern der Schauspieler der öffentli-
chen Unterhaltung dient, ist seine Kunst, wie auch die Götter bei Vives meinen,
bekanntlich eine übelbeleumdete und niedere. Auch Vives führt den Schau-
spieler, wie zitiert, als eine Marionette ein, der der Schauspieldirektor - in die-
sem Falle Jupiter - den Spielablauf auf das Genaueste vorschreibt. Dann aber
weicht er in eklatanter Weise von diesen klassischen Vorgaben und von der ei-
genen Darstellung der Welttheatermetapher ab, wie er sie im Widmungsbrief
an den Freund Antonius van Bergen doch selbst formuüert hatte. Dort hatte es
gehießen:
Omnia enim quae sunt in humana vita, praeter virtutem, tamquam pueriles quidam lusus,
ridicula sunt, ac subito utpote inania evanescunt. (Alles, was das menschliche Leben bietet,
ist, sieht man von der Tugend ab, wie ein Kindeispiel, vergänglich und lächerlich und ver-
schwindet sogleich.)

Von dem Stück, das auf dem Welttheater gegeben wird, bleibt also, wenn es zu
Ende ist, auch nach Vives nichts zurück. Soweit die gängige Theatermetapher.
Vives macht nun aber in der Fabel selbst nicht nur aus der vergänglichen Un-
terhaltungsrevue ein die Sinne verwirrendes Maskenspiel, er führt den Schau-
spieler Mensch auch zu einem unerhörten Triumph. Die klassische Demaskie-
rung oder, wörtlich genommen, Entlarvung, weicht dem kühnen Entschluß des
Rollenträgers Mensch, seine Rolle weiterzuspielen, statt sie zu beenden. Er legt
seine Maske wieder an, denn seiner Maske hat er so viel Ehre zu verdanken,
daß er, da sie der Eigenart des Menschen so gut entsprach, des göttlichen
Gastmahls für würdig erachtet wird:
recepta, quam tantisper posuerat, persona, namque is ipsi personae habitus est honos, ut,
quoniam hominis usibus se se tarn bene accommodarat, deorum mensa, lautissimoque
convivio digna judicaretur.

Das Lehrstück von der Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns, von dem noch
im Widmungsbrief die Rede war, ist zu dessen genauem Gegenstück geworden,
zu einer Apotheose des Menschen. Die fremdbestimmte Marionette wandelt
sich zu einem die eigene Rolle wählenden Schauspieler, die Richter werden zu
staunenden Bewunderern, an die Stelle der klassischen Demaskierung tritt die
Perpetuierung des so erfolgreichen Rollenspiels. Bekränzt und in die purpurne
toga praetexta gewandet, nimmt der erfolgreiche Schauspieler unter den Zu-
schauern, der Mensch unter den Göttern Platz - ein Platzwechsel, der, auf die
gängige Deutung der Theatermetapher bezogen, nichts anderes besagt, als die
Überschreitung des Spielendes als des Lebensendes zur Unsterblichkeit hin. Es
ist eine Vergöttlichung des Menschen und, insofern die Götter sich um ihn
drängen, ihn bewundern und ihn als ihresgleichen akzeptieren, letztlich auch
ein wenig deren Entgöttlichung.

5
Vgl. G. Poppenberg, Nachwort zu Calderöns Großem Welttheater (Gran teatro del mundo),
Stuttgart 1988.
Fabula de homine 183
Tilo Schabert hat in einer wenig beachteten Analyse von Pico della Mirandolas
De dignitate hominis darauf hingewiesen, daß Pico den Schöpfungsbericht, so
wie er sich im ersten Buch Mose findet, in einem wichtigen Punkte umgekehrt
hat.6 An die Stelle der Abfolge "Erschaffung des Menschen" - > "Vollendung
der Schöpfung" setzt er die Abfolge "Vollendung der Schöpfung" - >
"Erschaffung des Menschen". Pico verschafft damit dem Menschen einen be-
vorzugten Platz nicht innerhalb der Schöpfung, sondern neben oder über ihr,
betraut überdies mit der ehrenvollen Aufgabe, Gottes Schöpfung zu bewundern
und gleichsam als Kunstrichter zu würdigen. Die christlich begründete Gottes-
ebenbildlichkeit des Menschen droht schon hier, wie eine Generation später
bei Vives, in Überlegenheit umzuschlagen. Gott bzw. die Götter bedürfen des
Menschen, dem Menschen aber wächst im Gegenzug die Freiheit der Rollen-
wahl und der Eigenverantwortung zu. Beide, Pico della Mirandola wie Juan
Luis Vives, der eine in De dignitate hominis, der andere in seiner Fabula de
homine, verkünden eine anthropologische Revolution, die nur noch durch die
Existenz Gottes eingegrenzte Selbstermächtigung des Menschen.
Der Riß, der damit durch die europäische Geistesgeschichte geht, scheint tief.
Der Schauspieler, der bisher nur eine geborgte Maske trug, bekennt sich nun-
mehr ohne Scheu zu sich selbst. Wenn er eine Rolle spielt, schaut der Mensch
bei Vives "unter der Maske hervor" und ist "fast ganz zu sehen". Er legt die
Maske Jupiters ab und wird dennoch geehrt, selbst dann, als er, wie am Ende
der Fabula de homine, seine eigene aufsetzt und, um ein Wort Nietzsches zu
zitieren, "der Schauspieler seiner selbst" ist.7
Aristoteles hatte in seiner Poetik konstatiert, daß die Tragödie keine ästheti-
sche Distanz kennt, sondern den Zuschauer einbindet und in Furcht und Mit-
leid zur Selbsterkenntnis führt, da sich auf der Bühne auch sein eigenes Schick-
sal erfüllt. Der Mensch aber, der bei Vives nach seinem schauspielerischen
Triumph den Spielen in der Gesellschaft der Götter zuschaut, Spielen, die auch
nach seinem Abgang andauern, ist weder existenziell noch ästhetisch erschüt-
tert durch das, was er sieht. Die Götter dagegen sind, als sie dem Spiel des
Menschen zuschauen, verwirrt, meinen sie doch, ihresgleichen, also im
aristotelischen Sinne sich selbst und ihr Schicksal zu sehen.8 Der Mensch weiß,

8
Vgl. T. Schabert, Gewalt und Humanität. Über philosophische und politische Manifestationen
von Modernität, Freiburg/München 1978, S. 165 ff.
7
F. Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft (1881), Aphorismus 236 ("Um die Menge zu bewegen").
Zur Wort- und Bedeutungsgeschichte von persona (Maske) vgl. für den vorliegenden Zusam-
menhang den Artikel "Person" im Historischen Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von J. Ritter
und K. Gründer, Bd. 7, Basel 1989, s. v. I (M. Fuhrmann) u. II (B. Th. Kible). Dabei wird sicht-
bar, wie innig verquickt die nachantike Konzeption der Person mit der christlichen Trinitätslehre
ist.
g
Nur scheinbar geschieht hier mit den Göttern dasselbe wie mit den Menschen bei Pico della
Mirandola: Wo diese, sofern ihre Sinne verwirrt sind, nach alter Tradition - Pico nennt selbst
Kalypso - den Tieren gleichgesetzt werden (De hominis dignitate, ed. A. Buck, Hamburg 1990, S.
184 Sebastian Neumeister
wie man es anstellen muß, um die Götter und selbst Jupiter perfekt nachzu-
ahmen. Damit erweist sich der Mensch als Alleskönner oder, in der Metapho-
rik des Theaters, als Archimimus. Doch das Theater ist, wie das Ende der
Fabel zeigt, nicht mehr alles. Die Grenzen zwischen Gastgeber und Gast,
zwischen Zuschauer und Schauspieler, zwischen Gott und Mensch sind ver-
wischt. Die räumliche und zeitliche Geschlossenheit des Bühnenspiels bricht
auf. Das Ende der Fabel ist die genaue Umkehrung dessen, was Vives in
seinem Widmungsbrief als die Quintessenz der Theatermetapher dargestellt
hatte: die vanitas des irdischen Schauspiels. Die Opposition zwischen
Widmungsbrief und fabula, zwischen theatrum vanitatis und menschlicher
Apotheose ist unübersehbar und nicht leicht abzutun. Sie bedarf vielmehr, will
man sie nicht als den Ausdruck eines inneren Zwiespalts oder als Zen-
surabwehr deuten, der erneuten Erörterung.
In seinem Buch I limiti dell'interpretazione unterscheidet Umberto Eco, um bei
der Interpretation von Texten festen Boden zu gewinnen, drei Intentionstypen:
intentio auctoris, intendo operis und intentio lectoris. Diese Aufteilung läßt sich -
besonders im Blick auf die beiden zuerst genannten Intentionen - weiter aus-
differenzieren:
(a) si deve cercare nel testo ciò che l'autore voleva dire;

(b) si deve cercare nel testo ciò che esso dice, indipendentemente dalle intenzioni del suo
autore.

Solo accettando il secondo corno dell'opposizione si poteva successivamente articolare


l'opposizione fra:

( b l ) bisogna cercare nel testo ciò che esso dice in riferimento alla propria coerenza con-
testuale e alla situazione dei sistemi di significazione a cui si rifa;

(b2) bisogna cercare nel testo ciò che il destinatario vi trova in riferimento ai propri sistemi
di significazione e/o in riferimento ai propri desideri, pulsioni, arbitrii.

Die Interpretation der Fabula de homine als Vorbote der Emanzipation des
Renaissance-Menschen aus metaphysischer Gebundenheit folgt, da sie bruch-
los mit dem Text übereinstimmt, dem Programm (b). Nehmen wir jedoch, um
die intentio operis an der intentio auctoris zu überprüfen, den Widmungsbrief
hinzu, den Vives an den Freund Anton van Bergen richtet und in dem er aus-
führlich auf die Fabula de homine eingeht, so gerät diese Interpretation in
größte Schwierigkeiten: Es entsteht ein Widerspruch zwischen der vanitas-
Deutung der Theatermetapher im Widmungsbrief und der Apotheose des
Menschen nach beendeter Vorstellung in der Fabula, die "coerenza con-

8), handelt es sich bei Vives um die aristotelische peristrophé (vgl. E. Grassi, Die Macht der
Phantasie, a.a.O., S. 234).
9
U. Eco, / l i m i t i delf interpretazione, Milano 1990 (dt. 1992), S. 22.
Fabula de homine 185
testuale" (Eco) bricht auseinander. Es bleibt dann nur die Möglichkeit, das
Widmungsschreiben als intentio auctoris wie angedeutet zu vernachlässigen und
ganz auf den Text zu setzen (Modell b), selbst auf die Gefahr hin, daß die
Fabula de hominis entsprechend dem Modell (b2) so eher als ein Beleg für die
intentio lectoris denn als Meinungsäußerung des Autors (intentio auctoris) gele-
sen wird.
Die Fabula de homine gehört ganz ohne Zweifel in den Zusammenhang der
seit der Mitte des 15. Jahrhunderts einsetzenden dign/fas-Literatur, sie steht in
der Nachfolge von Giannozzo Manettis Traktat De dignitate et excellentia
hominis (1452) und Pico della Mirandolas Oratio de hominis dignitate (i486). 10
Die Würde des Menschen wird hier aus der Bindung an die bis zu Petrarca und
z.T. auch später noch mitgedachte andere Seite der menschlichen Existenz,
ihre miseria, gelöst und verabsolutiert.11 Die Frage ist nur, ob wir so an dem
Hindernis vorbeikommen, das Vives mit seinem Widmungsbrief einer
emanzipatorischen Lektüre in den Weg legt, ein Autor überdies, der trotz
seiner scharfen Angriffe auf die scholastische Philosophie seiner Zeit nicht
ohne weiteres als ein Rebell gegen das überlieferte Menschenbild gelten kann.
Ganz im Gegenteil. Der Aufstieg des Menschen bis zur Gottgleichheit, den die
Fabula de homine vorführt, läßt sich offenbar in seiner Endstufe nur dann be-
greifen, wenn man ihn christologisch versteht, als Rechtfertigung der menschli-
chen Selbstermächtigung nicht allein aus der Gottesebenbildlichkeit des Men-
schen, sondern auch aus seiner Gotteskindschaft, der Menschwerdung Gottes
in Christus:
Qui assidebant Jovi, cum in humano Archimimo tarn sibi eum placere viderent, facile
intellexerunt illam ab ipso personam esse factam, quin et intentius perspicientes, multam
Jovis effigjem in homine ipso agnoverunt, qua vel hebetissimus deorum judicasset natum
eum esse a Jove. (Die Jupiter zur Seite saßen, erkannten leicht an dem großen Gefallen,
das dieser an dem Erzschauspieler Mensch fand, er sei von ihm selber erschaffen, ja, bei
näherem Hinschauen erkannten sie eine große Ähnlichkeit zwischen Jupiter und dem
Menschen, so daß es auch dem Dümmsten klar werden mußte, daß der Mensch Gottes
Kind ist.)

Daß Jesus Christus Gottes Sohn ist, bedeutet zweierlei: die Menschwerdung
Gottes ebenso wie die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Das Pathos der
d/gmias-Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts speist sich aus dieser doppelten
Quelle, es steht den Anthropologen der Zeit ebenso zur Verfügung wie den
Theologen. 12 Wenn die moderne Sicht auf Pico della Mirandola, Manetti und

Vgl. die Einleitungen, die August Buck seinen Ausgaben beider Texte mitgegeben hat (Ham-
burg 1990), und A. Auer, "Giannozzo Manetti und Pico della Mirandola 'De hominis dignitate'",
in: Vitae et veritatae. Festschrift für Karl Adam, Düsseldorf 1956, S. 83-102.
11
Vgl. ebda., (Manetti), Einleitung, passim, und Loos, a.a.O., S. 118f.
12
Inwieweit hier auch Gedankengut der Kabbala, das Vives durchaus bekannt sein konnte, eine
Rolle spielt, muß dem Urteil des Spezialisten überlassen bleiben. Näher liegt es hier allerdings,
an die platonische Liebestheorie zu denken, wie sie Sokrates als Aufstieg des Liebenden zur
186 Sebastian Neumeister
Vives den Akzent nur auf die Apotheose des Menschen legt, nicht auch auf die
göttliche Gnade, so liest sie die Texte im Lichte der Entwicklung, die die euro-
päische Geschichte in den folgenden Jahrhunderten und bis heute genommen
hat.13 Diese Lektüre aber ist einseitig, sie ist, auch wenn sich Zeugnisse für eine
gleichgerichtete Deutung relativ mühelos zusammentragen lassen14, nicht die
ganze Wahrheit. Der Erzschauspieler der Fabula de homine ist nur deshalb ein
gottgewordener Mensch, weil es den menschgewordenen Gott gibt. Juan Luis
Vives ist insofern kein Vorläufer einer Anthropologie der Moderne (was er
subjektiv ohnehin nicht sein konnte), sondern das Opfer einer Rückprojektion
der objektiv eingetretenen späteren Entwicklung auf ihn, der allerdings dazu
Anlaß gibt. Friedrich Schlegel hat das Wort vom Historiker als einem rück-
wärts gekehrten Propheten geprägt15 - sollte es hier seine Anwendung finden
können?18

vollendeten Schau im Symposion vorträgt; vgl. dazu Historisches Wörterbuch der Philosophie,
a.a.O., Bd. 5, Basel 1980, s. v. "Liebe" 1,2 u. 111,1 (H. Kuhn).
13
Das gilt letztlich auch für Ernesto Grassis Versuch, die rationalistische Fehlentwicklung des eu-
ropäischen Denkens seit Descartes zu korrigieren und die Fabel aus dem Bedarf zu erklären,
den das Göttliche für direkte Offenbarung habe (a.a.O., S. 235) - eben diesen Bedarf deckt ja
schon zur Genüge die christliche Offenbarungsreligion. Zumindest aber bietet auch diese Deu-
tung keine Hilfe zur Einbeziehung auch des Widmungsbriefes in die Lektüre der Fabel.
14
Vgl. T. Schabert, Modernität und Geschichte, Würzburg 1990, S. 12-15 (Anm. 4-10).
15
80. Athenäums-Fragment.
Wie weit es inzwischen mit den Göttern gekommen ist, illustriert eine Erzählung von Jorge Luis
Borges: Nicht die Götter, sondern die Menschen sind es nun, die das Schauspiel beurteilen, ein
Schauspiel, in dem die antiken Götter in ihrer Menschengestalt auftreten, jedoch als Opfer des
Islam und des Christentums nurmehr als ein Abglanz ihrer selbst: "Siglos de vida fugitiva y feral
habían atrofiado en ellos lo humano; la luna del Islam y la cruz de Roma habían sido implacables
con esos prófugos." (Ragnarök, d.h. Götterdämmerung).
Juan Luis Vives: Horizonte de España

Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares (Salamanca)

1. HISPANO Y EUROPEO
La presente ponencia pretende esbozar el contexto histórico de la trayectoria
vital de Juan Luis Vives, en sus relaciones con España y los españoles de co-
mienzos del quinientos. Por ello, el Epistolario que de él conservamos se utili-
zará como fuente primordial y biográfica1. A partir de aquí intentaremos
señalar los principales hitos de sus vinculaciones con los Reinos de España, y
procuraremos enmarcarlos en la coyuntura histórico/social correspondiente.
Entrando ya en materia, resulta significativo que la historiografía hispana haya
tendido a apropiarse desde un punto de vista nacionalista la figura de Vives2.
Menéndez y Pelayo lo consideraba "el genio más universal y sintético que pro-
dujo el siglo XVI en España"; Pedro Sainz Rodríguez hablaba de él como "la
personalidad más europea del Renacimiento español"; Gregorio Marañón le
definía como "nostálgico perpetuo de España"; José Jiménez Delgado le llama
"el más grande humanista español del siglo XVI"; y José Luis Abellán le descri-
be como "la gran figura filosófica del erasmismo español". Pero, en cuanto
transpasamos los Pirineos, la figura de Vives atenúa su denominador hispano y,
como ejemplo, Marcel Bataillon defendió la tesis de que, desde sus estudios en
París, Juan Luis Vives no podía considerarse un pensador español, sino euro-
peo 3 .

1
La edición de Gregorio MAYANS Y SISCAR, Joannis Ludovici Vivís Valentini Opera Omnia,
Valencia 1782-1790, 8 vols., recoge en su tomo VII, pp. 131-132 unas 61 cartas. A partir de aquí
las aportaciones de Henry de Vocht, Adolfo Bonilla y San Martín, y José Jiménez Delgado han
incrementado notablemente dicho Epistolario. Aunque con algunos errores, la compilación más
completa del Epistolario traducido al español sigue siendo la realizada por el mencionado José
JIMENEZ DELGADO para la Editora Nacional: Epistolario de Juan Luis Vives. Con nuevas
cartas publicadas por primera vez, Madrid 1978, con un total de 195 piezas. Entre las investiga-
ciones recientes cabe destacar la del profesor Jozef USEWIJN, cuyas principales tesis se presen-
tan en otra ponencia de este Seminario: 30 neue und unveröffentlichte Briefe aus den Jahren
1520-1522. Del mismo, "The litterae ad Craneveldium", en: GONZALEZ, E./ ALBIÑANA, S./
GUTIERREZ, V., Vives. Edicions Princeps, Valencia 1992, pp. 59-66. Otra aproximación
descriptiva y cronológica a las cartas de Vives en: TOURNOY, Gilbert, "A survey of the extant
mss. of J. L. Vive's letters", en: ibidem, pp. 67-84.
2
La cosa venía de lejos. Cuando el alcalaíno Pedro Mota, admirador de Vives, reedita en Lyon en
1553 su Exercitatio Linguae Latinae, en la carta introductoria le llamará "honra de España". La
apropiación más reciente de la figura de Vives, por ciertos sectores de la cultura tradicionalista
española, tuvo lugar en los años 40 y 50 de este siglo: cf. CARASA SOTO, Pedro, "Juan Luis
Vives y la reforma social", introducción al Tratado del socorro de los pobres, Madrid 1991, pp.
15-101.
3
Diversas consideraciones en su obra Erasmo y España, Fondo de Cultura Económica, México
1950.
188 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
Desde una perspectiva superficial, su nacimiento en la Valencia de 1492 le vin-
cula a la naciente Monarquía Hispánica, y en el mismo Epistolario observamos
esa alternancia en las referencias patrióticas. Unas veces como valenciano4;
otras con una clara identificación en los hechos de armas hispanos (carta a
Cranevelt, Brujas, 31 diciembre 1526) o con declaraciones explícitas: "Hispania,
hoc est Patria mea"5. Y es así que Conrado Gesner, en su célebre Bibliotheca
universalis (Zurich 1545), le describe de la siguiente forma: "Juan Luis Vives,
valenciano, español de nacimiento...". Sin embargo, son sin duda las reiteradas
relaciones y contactos con cenáculos hispanos y personalidades destacadas, lo
que nos sitúa en la pista de una ininterrumpida vinculación. Y ello, a pesar de
haber abandonado la patria tempranamente, con 16 ó 17 años.
Así, en sus años de estudiante en París (1509-1512), Vives se sumerge en una
atmósfera plurinacional, pero en la que abunda el contingente de escolares y
profesores de origen hispano6. Allí entabla amistad con compañeros como Juan
Martín Población, Juan de Enzinas o el portugués don Francisco de Meló. Más
tarde, en la ciudad de Brujas del período 1512/14-1516, Vives será acogido
como preceptor en casa de los Valdaura, una familia de comerciantes acomo-
dados, oriundos de Valencia. Para más abundamiento, en Brujas existían diver-
sas colonias de comerciantes hispanos: no sólo valencianos, sino burgaleses,
vizcaínos..., frecuentemente de orígenes judíos, y con los que nuestro humanista
se sitúa en estrecha vinculación y trato.
Por los años 1517-1521 Vives se encuentra ya más establecido en Lovaina, y
ejerce como preceptor del joven Guillermo de Croy. Se trataba, nada menos,
que del sobrino del señor de Chiévres, ayo y ministro de Carlos V. Además, a
los diecinueve años, siendo ya obispo de Cambrai, Guillermo fue elegido arzo-
bispo de Toledo, en sustitución de Cisneros (1519-1520), pasando a ocupar la
dignidad eclesiástica más importante de España. Estas circunstancias abren
para Vives la oportunidad de relaciones con los círculos cortesanos, bu-
rocráticos, intelectuales y eclesiásticos más importantes e influyentes del mo-
mento. En este ambiente, hacia 1519 se había pensado en él como preceptor
del príncipe Fernando, el hermano de Carlos V, según consta en una carta a
Erasmo, fechada en Lovaina en febrero de 1519. Y, en este sentido, Vives dedi-
cará sus Declamationes (Lovaina 1520) a dicho príncipe, y hará constar, con
tono de disculpa, lo ocupado que se encuentra en contribuir a los estudios del

4
Es muy conocido el elogio retórico de Vives a Valencia "su patria", en carta a don Erardo de la
Marca, obispo de Lieja, Lovaina, 28 de marzo de 1520. En diversas ocasiones, Vives se denomina
como valenciano en sus cartas: en 1518, al escribir a Guillermo de Croy: en 1519, al conde de
Nueva Aguila; en 1522, a Jerónimo Ruffault...
g
Carta al príncipe Felipe de España, dedicatoria del Exercitatio linguae latinae, Breda 1538.
8
COMPERE, M. M., "Les collèges de l'Université de Paris au XVÏe siècle: structure insti-
tutionnelle et fonctions éducatives", en: I Collegi Universitari in Europa tía il XIV e il XVIII
secolo, Milan 1991, pp. 101-118. GONZALEZ Y GONZALEZ, Enrique, Joan Lluis Vives. De
la Escolástica al Humanismo, Valencia 1987, pp. 127ss.
Vives: Horizonte de España 189
cardenal de Croy. Situación, pues, privilegiada, a la que se suma su estancia en
Lovaina y la relación con círculos de hispanos y de humanistas allá existentes7.
De ella le arrancará, bruscamente, la muerte accidental de su protector
Guillermo de Croy en 1521. Entonces, un Juan Luis Vives deprimido y
desorientado tiene que ser acogido en Brujas en la casa de otro español, el ca-
pitán vizcaíno Pedro de Aguirre, que fallecerá al año siguiente. Nos encontra-
mos en una fuerte crisis de orientación vital del humanista, que se ha quedado
inesperadamente sin protector y mecenas, arrojado de nuevo a la supervivencia
personal y a las penurias económicas.
Y no acaban aquí las relaciones biográficas de Vives con las Españas. El año
1522 va a resultarle particularmente decisivo. En dicha fecha, es invitado por
don Fadrique de Toledo, duque de Alba, a volver a la Península y encargarse
de la educación de sus nietos. Esta oportunidad no podrá ser aprovechada por
Vives, al cruzarse una mala maniobra del emisario (en beneficio propio); pero,
en carta a Erasmo de primero de abril, Vives testimonia que hubiera aceptado
gustoso: "...oferta no despreciable si hubiera podido conocerla a tiempo [...],
¿cómo iba a despreciar yo lo que el duque me ofrecía?"8.
También por estas fechas, y de una manera ininterrumpida hasta, por lo menos,
1532, Vives mantiene una nutrida correspondencia con el toledano Juan de
Vergara (1492-1557). Se trata de una destacada figura del erasmismo español,
de ascendencia presumiblemente judía. Colaboró en la Políglota de Alcalá, y
fue profesor de Artes en dicha Universidad. Y, del mismo modo, fue secretario
de los arzobispos de Toledo Cisneros y Alonso de Fonseca. Pues bien, a lo
largo de una dilatada década, Vives y Vergara intercambiarán numerosas car-
tas y noticias sobre la Europa cristiana y la España de su tiempo. Más aún,
Vergara, y el círculo erasmista de la Universidad de Alcalá, propondrán el
nombre de Vives como sustituto del difunto Nebrija en su cátedra de latinidad.
Conservamos, incluso, dicha carta, fechada el mes de mayo de 1522; así como
otra de Juan de Vergara a Vives, Valladolid a seis de septiembre, por la que le
informa de todo9. En esta coyuntura, del Epistolario conservado parecen dedu-
cirse muchas vacilaciones, y no debería excluirse la probable aceptación final
de Vives, aunque los rumbos se torcieran al abrirse los procesos inquisitoriales
contra su padre.

Vives no fue un profesor oficial de la Universidad de Lovaina, pero su entorno le brindó la posi-
bilidad de clases particulares, así como el contacto con maestros y humanistas de la época. Hay
que advertir que, en este tiempo, la universidad se excindía entre partidarios y enemigos de
Brasmo.
8
JIMENEZ DELGADO, José, op. cit., carta 38,17-20.
g
"...eres el único de los nuestros capaz de igualarle [a Nebrija] en tan grande cargo, pues no es li-
gera la tarea de un ilustre y celebrado profesor"; ibidem, carta 47, 2-7, con muchas otras noticias
interesantes sobre dicha cátedra.
190 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
La consecuencia de todo lo anterior conducirá al viraje inglés, y a su vincula-
ción como humanista y preceptor en la Corte, en el entorno de la hija de los
Reyes Católicos, Catalina, esposa del rey de Inglaterra Enrique VIII. Entre
otras cosas, Vives quedaba como preceptor de la infanta, María Tudor10. Y,
puede observarse cómo, nuevamente, Vives se mantiene en ámbitos de una
cierta influencia y relación española. Sin embargo, el encrespamiento de la
cuestión matrimonial de los reyes adquirirá para él consecuencias desastrosas y
habrá de abandonar Inglaterra, en 1528. Hasta entonces, había convivido en
Londres con un tal Alvaro de Castro, comerciante burgalés con ciertas vincula-
ciones judías.
Mientras, en sus continuas idas y venidas de Londres a Brujas, en 1524, Vives
se casa con Margarita Valdaura, la hija de la misma familia que le acogiera en
el periodo 1512/14-1517. El temperamento sentimental y errante de Vives
encontrará en Margarita toda la necesaria referencia vital: patria, madre y es-
posa, con la seguridad y protección de un sólido ambiente familiar11. Y, junto a
ello, una continua correspondencia y relación con amigos y discípulos españo-
les, desde Inglaterra, o bien, a partir de 1528, en Lovaina y Brujas12.
En esta última ciudad discurrirá la plácida y fecunda década intelectual de
1528 a 1537, en un consolador refugio entre la mujer y los libros. No obstante,
siguen reiterándose las visitas amistosas y la correspondencia con españoles.
Además, cuando este repliegue se altere y, entre 1537-38, Vives resida en
Breda como preceptor, lo hará en el palacio de doña Mencía de Mendoza, hija
del marqués valenciano de Cenete y casada con Enrique de Nassau, un noble
flamenco muy vinculado a los círculos del Emperador13.
Más aún, a lo largo de toda su obra resultan muy frecuentes las dedicatorias a
protectores, amigos o prepotentes españoles: Serafín de Centelles, conde de la
Oliva (1518); Martín Pons, jurisconsulto valenciano (1520); el príncipe Fer-
nando (1520); don Juan de Borja, duque de Gandía (1528); Carlos V (1529);
don Francisco de Bobadilla, obispo de Coria y rector de la Universidad de

10
VOCHT, H. de, "Vives and his visits to England", en: Monumenta Humanística Lovaniensia,
Lovaina 1934, pp. 1-60.
11
Gregorio MARANON se ha referido a ella como "la mujer patria", en: Luis Vives. Un español
fuera de España, Madrid 1942.
12
Se conservan cartas a Alfonso Manrique, arzobispo de Sevilla e inquisidor general, Brujas 1526;
y a Alfonso Virués, benedictino, defensor de Erasmo en el proceso de Valladolid, Brujas 1527...
(JIMENEZ, op. cit., cartas 117 y 131); sin contar la ininterrumpida correspondencia con Juan de
Vergara. Por lo que respecta a Lovaina, y a partir de 1528, Vives se relaciona con alumnos
hispanos y amigos diversos: Francisco de Bobadilla y Mendoza, futuro cardenal de Burgos;
Pedro Maluenda, posteriormente teólogo en Trento; Juan Honorato, futuro profesor de la Uni-
versidad de Valencia y obispo de Osma; Rodrigo Manrique...
13
STEPPE, J. K., "Les relations de Mencía de Mendoza avec Jean Louis Vives", en: Scrinium
Erasmianum, Leiden 1969, II, pp. 485-506.
Vives: Horizonte de España 191
Salamanca (1532); el guipuzcoano Idiáquez, secretario de Carlos V (1536); el
duque de Béjar (1538); y el príncipe Felipe de España (1538)14.
Vives, que a partir de 1514 tenderá a fijar su residencia en Brujas, alternará al-
gunos períodos de estancias en París, Lovaina, Oxford, Londres, Malinas, Am-
beres y Breda. Se trata, por tanto, de un humanista enclavado en el círculo
nórdico, y menos móvil en sus desplazamientos que, por ejemplo, Erasmo. Sin
embargo, puede observarse que a lo largo de toda su vida nunca perdió con-
tacto con personalidades y ambientes directamente relacionados con sus oríge-
nes hispanos, y se mantuvo informado minuciosamente de la mayor parte de los
acontecimientos de su patria, tal y como nos manifiesta puntualmente su
Epistolario. Todo ello dentro del marco de la "internacional humanista"; pero
también de una especie de "internacional judía", por la que los sectores de ori-
gen hebreo en los Países Bajos mantuvieron constantes relaciones económicas y
culturales con círculos y grupos conversos de ciudades destacadas como Bur-
gos, Toledo, Valencia o Sevilla15.

2. LAS ESPAÑAS DE JUAN LUIS VIVES


2.1. Valencia y España hacia 1492
El año 1492, fecha convencional del nacimiento de Vives en Valencia16, consti-
tuye un hito en la trayectoria de los Reinos de España. Unos pocos años antes,
en 1479, había tenido lugar la unión dinástica de las Coronas de Castilla y de
Aragón. El maridaje resultaba desigual, pues los territorios castellanos se
constituían como los reinos más extensos, más poblados, más unificados y con
menores resistencias institucionales a la voluntad regia. Y así, esta vinculación
territorial se completaba el mismo año 1492 con la conquista del Reino musul-
mán de Granada y, posteriormente, en 1512, con la anexión del Reino de Na-
varra. En este conglomerado, la autoridad regia se robusteció, pero continuó
enfrentada a poderosas contrafuerzas locales. No obstante, algunas acciones

14
Como ejemplos, recordemos que a Carlos V dedicará su obra De concordia et discordia in hu-
mano genere, Brujas 1529; al futuro Felipe II, Exercitatio linguae latinae, Breda 1538; y, al duque
de Béjar, De anima et vita, Brujas 1538.
15
Sobre la obra de Vives y sus contextos pueden consultarse dos importantes coloquios: SAINZ
RODRIGUEZ, Pedro et alii, Homenaje a Luis Vives. Ponencias leídas en el VI Congreso Inter-
nacional de Estudios Clásicos, Madrid 1977; LISEWDN, J./ LOSADA, A., Erasmus in Hispania.
Vives in Belgio. Acta Colloquii Brugensis 1985. Colloquia Europalia, Lovaina 1986.
Recientemente, la editorial Alfons el Magnánim de Valencia ha comenzado a publicar las Opera
Omnia, proyectadas en 13 volúmenes. El primero, Valencia 1992, ha sido coordinado por Anto-
nio MEüi'KE, y se dedica al análisis y contextualización de la vida y obra. Seguirán, a conti-
nuación, ediciones criticas de los diversos libros. Esbozos biográficos pueden encontrarse en las
obras clásicas sobre Vives de BONILLA Y SAN MARTIN, A., Luis Vives y la filosofía del Re-
nacimiento, Madrid 1903, reimpresión en Madrid 1981; y NOREÑA, C. G., Juan Luis Vives,
Salamanca 1978.
16
Del estudio de la documentación inquisitorial parece deducirse con más probabilidad los
comienzos de 1493.
192 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
centrípetas resultaron determinantes. Entre ellas, por lo que afectará direc-
tamente a la familia Vives, señalaremos la creación de la Inquisición contra
judeoconversos en 1478. Posteriormente, entre 1482-88, el tribunal se irá
introduciendo en la Corona de Aragón, no sin fuertes conflictos con la auto-
nomía institucional del territorio.
En este marco de conformación de la Monarquía Hispánica, el enemigo por
excelencia es Francia, y a su cerco y ataque se dirigen las guerras por la hege-
monía en Italia, así como las políticas matrimoniales de los Reyes Católicos. La
jugada maestra fue conseguir un doble matrimonio: el del príncipe Juan con la
princesa Margarita de Austria, y el de la princesa española Juana con Felipe de
Austria, señor de los Países Bajos e hijo del Emperador Maximiliano. Por úl-
timo, la expansión ultramarina, abierta por el descubrimiento de América en
1492, sentará las bases de cambios cualitativos en las relaciones económicas y
políticas de los viejos reinos peninsulares surgidos de la Edad Media17.
Hay que recordar que, hacia 1490, la Península Ibérica constituye un país bási-
camente agrario, con el 80% de la población dedicada a la agricultura y ga-
nadería. En este contexto, la familia Vives pertenece a la minoría comerciante,
aquella que se enclavaba en algunas de las principales ciudades. Y, en con-
creto, Valencia constituía uno de los puertos más destacados del empuje co-
mercial mediterráneo. En la ciudad florecían núcleos de comerciantes de dife-
rentes nacionalidades18; y los entramados económicos poseían importantes
derivaciones de crédito y banca, con vinculaciones al arrendamiento de im-
puestos y a los abastos municipales. Así las cosas, Valencia era un importante
centro sedero, exportaba lanas del Maestrazgo, arroz y azúcar, e importaba
trigo de las Castillas y de Sicilia. De modo que la buena situación financiera
permitirá al municipio efectuar parte de los préstamos necesarios para la
financiación de la política exterior de Fernando el Católico en Italia y norte de
Africa19.
Juan Luis Vives nace, por lo tanto, en una de las urbes más populosas de la
España de aquel tiempo, y en uno de los reinos, el de Valencia, de densidad
poblacional acusada. Hay que considerar que hacia 1490 la Península contabili-
zaría algo menos de seis millones y medio de habitantes, de los cuales un 15 %
correspondían a Portugal, 63% a la Corona de Castilla y 13 % a la Corona de
Aragón. Y, en este contexto, el Reino de Valencia alcanzaría los 200.000 habi-

17
Entre la bibliografía reciente, panorámicas del reinado de los Reyes Católicos pueden en-
contrarse en HILLGARTH, J. N., Los Reyes Católicos, 1475-1516, Barcelona 1984; y PEREZ,
Joseph, Isabel y Femando. Los Reyes Católicos, Madrid 1988.
18
La existencia en los mercados urbanos de núcleos comerciales de nacionalidades diferentes
resultaba común en la época. En Sevilla, por ejemplo, fueron floreciendo colonias de mercaderes
vascos, castellanos, genoveses y otros. Vives reencontraría esta pluralidad en su retiro de Brujas.
19
BELENGUER CEBRIA, Ernest, Valencia en la crísi del segle XV, Barcelona 1976.
Vives: Horizonte de España 193
tantes, correspondiendo a la ciudad más de 50.000, con lo que constituía el
principal núcleo urbano de la Corona de Aragón.
Y este origen urbano de Vives es conveniente destacarlo, por cuanto serán las
mesocracias urbanas el ámbito vital más cercano y acogedor para nuestro hu-
manista. No obstante, en las Españas de finales del siglo XV, la nobleza con-
formaba el sector social predominante, como grupo terrateniente, hereditario y
privilegiado. Y esta nobleza ejercitaba un régimen señorial o autoridad pública
en sus dominios, junto con determinados monopolios económicos20. De modo
que, frente a estos grupos privilegiados, y a sus corolarios campesinos y rurales,
las ciudades representaban la minoría dinámica y cualitativamente diferente
dentro del conjunto de la economía agraria. Ellas constituían los centros admi-
nistrativos, eclesiásticos y mercantiles más destacados. Y en ellas adquirían
peculiar significación los sectores judíos o judeoconversos.
Recordemos aquí que Juan Luis Vives procedía de estirpe judeoconversa por
las cuatro ramas familiares. Al parecer, los Vives se habían convertido al cris-
tianismo a fmes del siglo XIV, tras el robo y saqueo de la judería valenciana en
1391. Su padre era mercader de paños, y se vio envuelto, como veremos, en
sangrientos procesos inquisitoriales21. Se trata, por tanto, de un sector social-
mente discriminado, mayoritariamente urbano, integrado por artesanos y co-
merciantes de clase media, y por minorías económicamente pujantes, relacio-
nadas con el comercio internacional y las altas finanzas; de un sector nutrido de
hombres de cultura, situados muchas veces en los entresijos del poder, cargos
municipales y secretarios de reyes y prelados. Pues bien, todos estos grupos re-
cibieron un fuerte impacto con el establecimiento del Santo Oficio de la Inqui-
sición, tribunal en el que culminaba una larga tradición de hostilidad anticon-
versa y antijudía. Cristalizaba, así, una persecución de raíz religiosa que contri-
buyó a debilitar buena parte de los núcleos burgueses de las Coronas de
Castilla y Aragón. Y la cuestión se complicó cuando, el mismo año 1492, los ju-
díos subsistentes se vieron obligados, por decretos reales, a elegir entre la con-
versión al cristianismo o el destierro. Aunque las cifras resultan difíciles de
precisar, parece que en la Corona de Castilla el decreto afectó a unas 300 loca-

20
En lugares diversos de la obra de Vives se aprecian críticas veladas al papel de la nobleza, sus
usos y su cultura. El profesor Juan Francisco Alcina los ha señalado, respecto a la valenciana, en
los Diálogos, por ejemplo el 10, 22, etc; en "Introducción" a los Diálogos y otros escritos de Juan
Luis Vives, ed. Planeta, Barcelona 1988, p. XXV. Y recordemos, también, aquel aforismo de
Vives sobre la nobleza en su Introductio ad Sapierttiam, número 49: "Y la nobleza, ¿qué otra
cosa es sino un albur del nacimiento y una opinión inspirada en la necedad del pueblo? Vemos
hartas veces que esta nobleza se adquiere con robos."
21
Sobre el origen judeoconverso de la familia de Juan Luis Vives: PINTA LLORENTE,
Miguel/PALACIO, José María, Procesos inquisitoriales contra la familia judía de Juan Luis
Vives, Madrid 1964; GARCIA MARTINEZ, Angelina, Bis Vives. Una familia de jueus
valencians, Valencia 1987. Los procesos y condenas inquisitoriales a los que fueron sometidos el
padre y la madre del humanista (1524 y 1529) han hecho pensar a algunos en un ambiente fami-
liar criptojudío. Otros sostienen una mera pervivencia de costumbres y talantes heredados, un
cierto "judaismo cultural", sin mayores implicaciones.
194 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
lidades, en las que residían familias judías. Pero, para el conjunto de la Monar-
quía, se ha señalado que unos 50.000 hebreos aceptaron la conversión forzosa,
sobre todo en las clases acomodadas, y que unos 180.000 emigraron a Marrue-
cos, Portugal, territorios italianos o dominios turcos22.
Los Vives no se vieron implicados en esta expulsión, pues su conversión se re-
montaba al siglo anterior, pero la atmósfera se enturbió y se acentuó el pro-
blema de los falsos conversos. Se incrementaron las persecuciones inquisito-
riales a finales del siglo, y en varios de los procesos estuvieron implicados los
parientes de Luis Vives23. Paralelamente a esto, diversas instituciones tenderán
a prohibir el ingreso en sus filas de descendientes de judíos, mediante la im-
plantación de estatutos de limpieza de sangre o de linaje. Así lo hicieron ciuda-
des como Toledo (desde 1449), órdenes religiosas como los jerónimos (1486),
colegios mayores como Santa Cruz de Valladolid (1489), o cabildos eclesiásti-
cos como Sevilla (1515).
No parece conveniente simplificar, e intentar explicar la compleja personalidad
de Juan Luis Vives exclusivamente desde estos orígenes de minoría perseguida,
pero resulta evidente que no pueden dejarse de lado, como hizo en su día bue-
na parte de la historiografía más clásica24.
22. Dulce puerto de Brujas: la nueva patria
Vives abandonó París hacia 1514, al parecer sin graduarse siquiera de bachiller
en Artes. No volverá a España, sino que se establece en los Países Bajos, los
cuales debió visitar por vez primera en 1512. Por lo tanto, los años posteriores
a 1512/1514 marcan otro hito significativo en su biografía. La ciudad flamenca
de Brujas terminará convirtiéndose en su residencia más permanente. No se
trataba, sin embargo, de un exilio romántico y alejado 25 , pues Brujas constituía

22
CARO BAROJA, Julio, Los Judíos en la España Moderna y Contemporánea, Madrid 1961;
DOMINGUEZ ORTIZ, Antonio, Los judeoconversos en España y América, Madrid 1971;
GUIRAL, Jacqueline, "Convers à Valence à la fin du XVe siècle", en: Mélanges de la Casa de
Velázquez, XI (Madrid 1975), pp 81ss.; GONZALEZ, Enrique, "Valencia y Vives", en: Joan
Lluis Vives. De la Escolástica al Humanismo, Valencia 1987, pp. 85-125.
23
Datos minuciosos en GARCIA CARCEL, Ricardo, "La familia de Luis Vives y la Inquisición",
en: Opera Omnia I, Volumen introductorio (coordinado por Antonio Mestre), ediciones Alfons
el Magnánim, Valencia 1992, pp. 489-519.
24
Otros grupos minoritarios y excluidos de la España del momento serán los musulmanes y los es-
clavos. Esta población residual y sometida de la antigua Al-Andalus, se distribuía con una cierta
densidad por amplios territorios de la Corona de Aragón: afluentes del Ebro, núcleos del
interior valenciano y zonas de Gandía. Además, la conquista de Granada inició un conflictivo
proceso de aculturación forzosa: en 1501 se condenaban a la hoguera los libros islámicos y se
iniciaban las conversiones obligadas. Respecto a los esclavos, la propia ciudad de Valencia fue,
durante el reinado de los Reyes Católicos, un activo centro de tráfico, junto con otras ciudades
como Sevilla y Cádiz.
25
Gregorio MARANON ha evocado a Vives como "un soñador de los crepúsculos de Brujas":
Españoles fuera de España, Espasa Calpe, Madrid 1961, p. 98. El anhelo de intimismo y de
sosiego recorre todo el Epistolario de Vives, y su talante delicado, amistoso y apacible ha sido
señalado por Azorín, con su sutileza habitual: "Juan Luis Vives", en: Lecturas Españolas, Espasa
Vives: Horizonte de España 195
un importante puerto comercial y poseía una destacada manufactura textil; si
bien, tras su florecimiento medieval, estaba cayendo en cierta decadencia por
la competencia de la cercana Gante y de Amberes. No obstante, continuaba
como un enclave del trasiego internacional, con diversidad de colonias de
comerciantes y, entre ellas, las de vascos, castellanos y valencianos. Los propios
Valdaura, padres de su futura mujer, formaban parte de las burguesías de mer-
caderes asentados y de origen hispano.
En realidad, Brujas se encontraba situada en el gran eje de comercio español
con el norte de Europa, que se desplegaba desde Medina del Campo y Burgos
hasta Amberes. Dicho eje, que se mantuvo hasta 1570 aproximadamente, ponía
en relación los territorios de la Corona de Castilla con los Países Bajos a través
del tráfico marítimo. Y hay que recordar que dichos Países Bajos, desde el ad-
venimiento del emperador Carlos V, formaban parte de la misma Monarquía.
Así las cosas, el 60% de las exportaciones flamencas se dirigía a los Reinos de
España, y a ellos acudían, junto a los tejidos y todo tipo de obras de arte,
esculturas y pinturas, los nuevos libros y las ideas. Paralelamente, Medina del
Campo se configuraba como núcleo de las ferias castellanas, centro bancario y
mercado de capitales, en este punto muy influenciado por mercaderes/
financieros, en buena parte italianos26.
En otro sentido, la ciudad de Burgos se conformaba como centro de concen-
tración y distribución de la producción lanera de las mesetas castellanas, cuya
cabaña transhumante ascendía a unos 3.500.000 de cabezas en 1520. La ciudad,
en la primera mitad del siglo XVI, aglutinaba a unos 10.000 habitantes y man-
tenía el esplendor comercial del XV. En ella abundaban los linajes de merca-
deres judeoconversos, como los Maluenda, Bermuy, Curiel... Se trataba de bur-
guesías comerciales con mimesis de comportamientos aristocráticos y que
pugnaban por ascender hacia caballeros y estratos medios de nobleza. Algunos
de sus hijos buscaban la promoción por las letras y se abrían a los horizontes
del humanismo. Y así pueden constatarse a simple vista, hojeando el
Epistolario, las relaciones de Vives con ciertos sectores del comercio y la
intelectualidad burgalesa27. Todo ello inscrito en las importantes relaciones

Calpe, Madrid 1938, pp. 15-18. Así, Brujas constituirá siempre el puerto de refugio de un Vives
enante y azotado por las galernas de circunstancias demasiado conflictivas para su talante.
Desde Oxford, le escribe a Cranevelt, en carta de noviembre de 1523: "Flandes y Bramante. ¿Me
podría olvidar de esa patria, a la que he sido adscrito por propia voluntad? Enraizada la llevo en
mis entrañas y por eso su solo recuerdo me es sumamente grato y sólo la esperanza de volver a
ella me reanima, y en las enfermedades no tengo otro consuelo ni alivio más a punto que el
pensamiento y la esperanza de volver allí"; cf. JIMENEZ DELGADO, José, op. cit., carta 67,7.
26
LAPEYRE, Henry, Une famille de marchands: lesRuiz, París 1955; CARANDE, Ramón, Carlos
Vy sus banqueros 1. La vida económica en Castilla, Madrid 1965; LORENZO SANZ, Eufemio
(coord.), Historia de Medina del Campo y su tierra, Valladolid 1986, volúmenes I y II.
27
Asi la carta a Juan Maldonado, Breda, 16 de diciembre de 1538, sirve de recomendación para tal
Jaime Ortega de Burgos; JIMENEZ, op. cit., carta 176,2.
196 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
económicas y culturales que los núcleos judíos de los Países Bajos mantenían
con círculos conversos de la Península Ibérica28.
En la Meseta Norte destacaba, también, la importancia de Segovia, una ciudad
manufacturera de unos 15.000 habitantes. Sus intereses industriales textiles la
enfrentaban al comercio de exportación lanera de Burgos, y a propugnar cier-
tas medidas proteccionistas de la industria local frente a los flujos del capita-
lismo cosmopolita burgalés. El conflicto entre ambas ciudades quedará de
manifiesto durante la revuelta de las Comunidades, en 1520-1521. Más allá se
situaba Valladolid, el centro urbano más importante de la Meseta, con unos
40.000 habitantes y, hasta 1560, con funciones oficiosas de capital de la Monar-
quía. Aún más lejos, los vectores comerciales llegaban hasta Sevilla, ciudad en
apogeo, con 50.000 habitantes, en rápido crecimiento, y con continua afluencia
de emigrantes y aventureros. Constituía un puente entre el comercio de Indias
y el comercio europeo; y tradicionalmente había mantenido una posición inter-
media en los intercambios marítimos entre Italia y los Países Bajos.
Volviendo a las relaciones entre Castilla y Flandes, además de la exportación
lanera ya mencionada, existieron importantes trasiegos de vinos y de hierro
guipuzcoano y vizcaíno. En este sentido, en el litoral vasco se enclavaban efi-
cientes astilleros, y la marinería vasca efectuaba los transportes hacia las ciuda-
des y telares de los Países Bajos. Cabe decir que la Corona de Castilla se com-
portaba como un territorio exportador de materias primas e importador de
manufacturas elaboradas. Como ejemplo plástico podemos observar que las
huellas del arte flamenco del tiempo pueden encontrarse en las iglesias de las
más remotas aldeas castellanas. En resumen, que las relaciones entre Castilla y
Flandes continuaron siendo intensísimas, y Brujas se encontraba situada en
medio de este tráfago. Vives, procedente de una ciudad mercantil y dinámica
como Valencia, debía sentirse muy en su ambiente familiar entre las "naciones"
de vascos, castellanos, portugueses, alemanes e italianos que pululaban por los
principales núcleos urbanos de los Países Bajos.

Nuestro valenciano añoraba su ciudad mercantil y burguesa de Brujas desde la


universitaria Lovaina, a la que consideraba sucia y antipática. Y en carta a los
burgomaestres de la propia Brujas, el 6 de enero de 1526, declara lo gustoso de
su residencia:
Y, aunque me sea de algún modo extraña esta ciudad, me siento tan aficionado a ella como
a mi propia Valencia, y no le doy otro nombre que el de mi patria, porque llevo ya catorce
años viviendo en ella, aunque no de continuo, pero siempre acostumbrado a volver aquí
como a mi casa [...] Por eso tomé aquí esposa y querría mirar por el bien de esta ciudad, no
de otra manera que por aquella en la que he determinado pasar el resto de la vida que la
bondad de Cristo quiera concederme .

28
BASAS FERNANDEZ, Manuel, El consulado de Burgos en el siglo XVI, Madrid 1963.
29
JIMENEZ DELGADO, José, op. cit., carta 106, 2-3. Se trata de la dedicatoria del De subven-
tione pauperum, Brujas 1526.
Vives: Horizonte de España 197
23. En los círculos del Emperador
La etapa de Vives en Lovaina, entre 1515/1517 y 152330, en la que fue entre
otras cosas preceptor de Guillermo de Croy, como ya señalamos, estrechó sus
lazos con los círculos cortesanos, intelectuales y eclesiásticos más influyentes.
No olvidemos que Guillermo de Croy era sobrino del señor de Chiévres, ayo y
ministro del Emperador Carlos V, y que el propio Guillermo fue nombrado en
plena juventud arzobispo de Toledo, la más destacada y rica de las dignidades
de España. Pues bien, durante esta etapa tuvo lugar una verdadera crisis
revolucionaria en los Reinos peninsulares, y de ella se han conservado algunos
ecos en la obra del humanista. Su posición y vinculación a algunos de los prota-
gonistas, como el propio Chiévres o Adriano de Utrecht, le sitúan claramente
en el bando de los Imperiales.
Recordemos que, a la muerte de Fernando el Católico en 1516, se había
abierto un vacío de poder en la Monarquía de España, agravado por la
temprana muerte de Felipe el Hermoso y la incapacidad mental de la hija de
los Reyes Católicos, doña Juana. Volvían a florecer las facciones nobiliarias y
los reagrupamientos de intereses. Doña Juana conservaba el título de "reina
propietaria" de Castilla, pero la sucesión debía recaer en Carlos de Gante, un
príncipe educado en los Países Bajos. Frente a él, algunos sectores veían con
mejores ojos a su hermano Fernando, educado en España. No obstante, la
corte de Bruselas proclamó a Carlos como rey y, tras su llegada a España, en
1517, fue jurado por las diversas cortes territoriales: Castilla, Aragón y
Cataluña (1518 y 1519). Su llegada provocó recelos, agravios y descontento
castellano, pues el joven rey se rodeaba de un clan de consejeros flamencos,
ávidos de cargos, dignidades y dinero. Y antes de ser jurado por las cortes de
Valencia, Carlos recibía la noticia del otorgamiento del título imperial, lo que
le obligó a la convocatoria de unas nuevas cortes apresuradas en Santiago y La
Coruña, a nuevas solicitudes de dinero, y a una precipitada marcha hacia
Flandes. A sus espaldas dejaba brotes de descontento nacionalista castellano y,
como regente del Reino, al flamenco Adriano de Utrecht, más tarde Papa
Adriano VI.

Puede observarse desde aquí la directa relación de Juan Luis Vives con lo que
podríamos llamar "el nuevo orden": no sólo era el preceptor del sobrino de
Chiévres, miembro de la camarilla del rey, sino que su pupilo había sido
directamente favorecido por aquellas rapiñas de cargos y prebendas que es-
candalizaban a los castellanos. El mismo Vives escribía cartas de felicitación a
otros flamencos promovidos a cargos, como el escrito fechado en Lovaina el 28
de marzo de 1520 y enviado a don Erardo de la Marca, obispo de Lieja y arzo-

30
Sobre los años de Vives en Lovaina, pueden consultarse los capítulos correspondientes de
NOREÑA, C. G., Juan Luis Vives, Salamanca 1978. AUBERT, R./ D'HAENENS, A./
LAMBERTS, E. et alii, L'Université de Louvain, Louvain-La-Neuve 1975; LAMBERTS, E./
ROEGIERS, J., The University of Louvain (1425-1985), Louvain 1988.
198 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
bispo electo de Valencia. Y, más aún, Vives había conocido y tratado, durante
sus estancias en Lovaina, al que se había convertido en máximo responsable de
los Reinos de Castilla: Adriano de Utrecht. Fruto de todas estas relaciones
será su propuesta como preceptor del príncipe Fernando, cuestión para la que
fue recomendado por el mismísimo Erasmo31. El compromiso de Vives como
preceptor del cardenal de Croy no le permitirá la aceptación del nuevo cargo y,
quizás como una suerte de compensación y gratitud, dedicará al príncipe Fern-
ando sus Declamationes quinqué Syllanae, publicadas en Lovaina en 1520.
Así las cosas, la ausencia de Carlos V originó el llamado alzamiento de las
Comunidades de Castilla, por los años 1520 y 1521. Encabezados por Toledo,
Segovia y Salamanca, los principales municipios de la Meseta Norte, hasta el
Tajo, se levantaron en armas contra el regente Adriano de Utrecht y el mal go-
bierno. Formaron una Junta alternativa en Avila y presentaron reivindicaciones
de carácter nacionalista, junto con un proyecto político que realzaba el papel
de las Cortes frente al Monarca. En el movimiento se implicaron en mayor me-
dida las clases medias urbanas, aunque, posteriormente, adquiriera derivacio-
nes antiseñoriales y antinobiliarias. Con hábiles manejos y algunas concesiones,
Carlos V se atrajo a la nobleza, y la revuelta acabó fracasando en la esca-
ramuza de Villalar. Esta derrota confirmaba el poder de la Corona en lo
político y el de la aristocracia terrateniente en lo social32.
Paralelamente, en la patria valenciana de Vives, tenía lugar otra conmoción so-
cial de importancia. Se trataba de las llamadas Germanías. A partir de 1519, los
gremios artesanales de la ciudad de Valencia se organizan de forma armada
contra las autoridades municipales y las oligarquías de caballeros. A la cabeza
de las acciones se situaban los sectores de la lana y de la seda. El conflicto, en
cuyas raíces hay que colocar la prepotencia nobiliaria y la corrupción ad-
ministrativa de los municipios, adquirió en el campo matices antiseñoriales, con
ataques a los campesinos musulmanes (vasallos de los señores) y bautismos
forzosos. El movimiento social, con ataques a los prepotentes y a "los ricos",

31
Erasmo, en carta fechada en Lovaina, a 13 de febrero de 1519, y dirigida a Juan de ta Parra, pre-
ceptor del príncipe Fernando, recomienda vivamente a Juan Luis Vives, y declara: "Veo que éste
es el más adecuado con mucho para reemplazar al preceptor y cuidar de su formación y para
procurar que nadie pueda tener en menos esta tu corte, ni desdeñar a tu infante balbuciente aún.
Al conjunto de estas cualidades se suma que, por una parte, sabe bien el español, como español
que es de nacimiento, y conoce también el francés a maravilla, por haber vivido largo tiempo en
París..."; cf. JIMENEZ DELGADO, José, op. cit., carta 16,3A. No obstante, Erasmo hacía
constar el inconveniente de que Vives ocupara el cargo de preceptor del Cardenal de Croy y que,
probablemente, ni el cardenal ni el propio Vives consentirían en cambiar de situación. De esta
estrecha vinculación de Vives con los círculos cortesanos es claro ejemplo la carta que le
enviaron los jurados municipales de Valencia (13 de noviembre de 1516), solicitándole que influ-
yese sobre Carlos V, con el fin de que el monarca favoreciese ante el Papa al Estudio General de
la ciudad; cf. ibidem, carta 6.
32
PEREZ, Joseph, La revolución de las Comunidades de Castilla (1520-1521), Madrid 1977;
HALICZER, Stephen, Los comuneros de Castilla. La forja de una revolución, 1475-1521, Valla-
dolid 1987.
Vives: Horizonte de España 199
incluyó formulaciones proféticas de cambios radicales, en una especie de
milenarismo religioso. La derrota llegaría con la acción combinada del poder
señorial y regio, y la represión alcanzó hasta el año 152333.
En este contexto, la participación conocida de la familia de Juan Luis Vives se
limita a la figura de su tío materno Enric March, doctor en derecho y simpa-
tizante de las Germanías. Otros parientes parecen ser, sin embargo, contrarios.
En este sentido, conviene salir al paso de algunas generalizaciones apresuradas
y no contraponer mecánicamente conversos a cristianos en un mundo urbano
en el que banderías y grupos alternaban en extrañas alianzas34. No obstante, y
aunque en diversos lugares Vives había lanzado velados ataques a la nobleza
valenciana, en esta ocasión, al tratar de las Germanías en su obra De Europae
dissidiis et bello Turcico (Brujas 1526), declara: "aquella fue rabia ciega, no
discusión; la plebe no sabía lo que quería ni por qué había empuñado las armas
ni por qué luchaba..."
El reforzamiento del poder de Carlos V tras los conflictos sociales de la crisis
revolucionaria (1516-1523) fue dejando atrás el mundo mítico y la edad de oro
que el nacionalismo castellano identificaba con el reinado de los Reyes
Católicos. Castilla y España entraban a formar parte de un Imperio europeo,
por más que éste fuera heterogéneo y que, progresivamente, el peso de la
Península y sus diversos reinos se fuera incrementando hasta constituir una
verdadera Monarquía Hispánica. De modo que el Flandes de Vives, el Reino
de Valencia o la Corona de Castilla formaban parte ahora de la misma dinastía,
y se unificaban en una misma política exterior; aunque, en la política interior,
se respetasen las peculiaridades institucionales de los diversos territorios aso-
ciados. La Corte, por lo mismo, continuó siendo itinerante, y el Emperador
únicamente residió diecisiete años en la Península, entre los casi cuarenta de su
reinado. Pero, a pesar de ello, sí se produjo una cierta hispanización del
Monarca, por cuanto España y sus Indias pasaron a constituir el más firme
apoyo para la política dinástica. De modo que la capacidad de acción imperial
y el movimiento de los ejércitos dependían, en buena medida, de prestamistas y
banqueros y, en última instancia, de la riqueza metalífera de las Indias y de
fuertes gravámenes sobre la hacienda castellana35.

De esta forma fue delineándose la política internacional, en una confluencia de


intereses familiares, aspiraciones a la hegemonía europea, mentalidad medieval
de defensa del Catolicismo e instauración del nuevo orden propugnado por las
corrientes erasmistas cercanas a la Corte. El Epistolario de Vives manifiesta a

33
GARCIA CARCEL, Ricardo, Las Germanías de Valencia, Barcelona 1971; DURAN, Eulalia,
Les Germanies ais Paísos Catalans, Barcelona 1982.
34
GARCIA CARCEL, Ricardo, "La familia de Luis Vives y la Inquisición", en: Opera Omnia, I.
Volumen introductorio (coordinado por Antonio Mestre), Valencia 1992, p. 501.
OK
FERNANDEZ ALVAREZ, Manuel, La España de1 Emperador Carlos V, Madrid 1979, se-
gunda edición ampliada.
200 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
las claras que el humanista se identificó con las armas del Emperador, y que
siguió puntualmente los acontecimientos europeos38, recibiendo noticias de sus
amigos y sirviendo él mismo de transmisor y difusor. A través de sus propias
palabras vemos desfilar los tres ejes de la política del Emperador Carlos. Pri-
meramente el aislamiento de Francia y el control de Italia, con éxitos tan cla-
morosos como la batalla de Pavía en 1525. A raíz de ello la alianza antiimperial,
con el concurso del Papado (casa Médicis), que culminó en el saqueo de Roma
el año 152737. Finalmente, por el tratado de Cambray, en 1529, la Monarquía
de España conseguirá la hegemonía en Italia, y Carlos V será coronado en Bo-
lonia en 1530. Restaba tan sólo la incorporación definitiva del ducado de
Milán, en 1535, lo que permitirá, en adelante, la mejor comunicación de los
dominios germánicos de la Casa de Austria con el ámbito mediterráneo.
Los otros dos ejes políticos, presentes obsesivamente en la preocupación de
Juan Luis Vives, fueron los turcos y los protestantes. Los asedios otomanos de
la ciudad de Viena, en 1529 y 1532, situaban el peligro en los propios estados
territoriales de los Habsburgo, y a esto se añadía el dominio marítimo del
Mediterráneo y los corsarios norteafricanos. En el proyecto político de Vives,
Europa era concebida como Res Christiana, englobante de algunas consolida-
ciones nacionales como Inglaterra, Francia o España, y donde resultaba
prioritaria la concordia de los dos belicosos príncipes enfrentados: Francisco I
y el Emperador. Si esto llegaba a lograrse, Europa podría afrontar los peligro-
sos asedios e, incluso, intentar liberar los restos del mundo cristiano bizantino,
sometido a los turcos. Pero, mientras tanto, los príncipes luteranos se organiza-
ban en la Liga de Schmalkalda. Y aunque Vives no pudo presenciar la coyuntu-
ral victoria imperial de Mühlberg, en 1547, ya en 1529 había dedicado al César
su obra De concordia et discordia in humano genere. Tras enumerar los males
de Europa, las continuas destrucciones y las guerras, así como la necesidad de
concordia y la convocatoria de un Concilio, insta a Carlos V a la restauración
política de la paz, con tonos providencialistas:

De lo atentamente que Vives seguía los acontecimientos europeos da cuenta, entre otras, una
carta a Cranevelt, Brujas, 31 de diciembre de 1526 (JIMENEZ, op. cit., carta 116,3-6): "Dicen
que el Pontífice quiere quitarnos Ñapóles; pero el César tiene en Italia gran cantidad de tropa,
tanto soldados alemanes como españoles, a los cuales todos los demás ceden en valor. Así que el
Papa está en peligro y piensan que perderá la ciudad santa. La alianza está rota y la unión disuel-
ta. Cada uno se preocupa de lo suyo: el inglés poco a poco se retrae del fementido pacto; el
francés unas veces está a la expectativa y otras actúa por su cuenta, como ave inquieta que es [...].
Nosotros estamos locos, pero el Turco se ríe y divide nuestros estados." Siguen otros diversos de-
talles.
37
Del saqueo de Roma y de su posicionamiento con los imperiales le informa a Cranevelt, en carta
fechada en Brujas el 15 de agosto de 1527; cf. JIMENEZ, op. cit., carta 130,2,3. Ese mismo año
describe las guerras de Europa y los movimientos de tropas. Y afirma: "no veo a quien puede ser
grata y deseable esta vida en la actual situación del mundo"; carta a Cranevelt, Brujas, 1 de octu-
bre (ibidem, carta 132,6,7,10).
Vives: Horizonte de España 201
algún designio grande, admirable y lleno de sabiduría ha proyectado la Divinidad sobre ti,
con tal de que tú te muestres instrumento dócil a sus proyectos .

2.4. Sociedad, Inquisición y judeoconversos


El año 1524 y el de 1529 marcan una dramática inflexión en las relaciones de
Juan Luis Vives con España. Se trata de los procesos inquisitoriales contra su
familia. Ya en 1500 había sido arrestado su padre por el Santo Oficio, durante
uno de los procesos contra presuntos judaizantes. Pero volverá a serlo a partir
de 1522, permaneciendo en las cárceles inquisitoriales desde el 30 de octubre
de 1522 al 6 de septiembre de 1524. Sabemos que Vives debió seguir de cerca
el proceso, ya que, el mismo año de la condena y auto, había enviado alguno de
sus libros a su padre, para que se los comercializase en Valencia. Y así, la an-
gustia de la situación, que venía a coincidir con fuertes dudas respecto a su
propio futuro (ofertas diversas de la Universidad de Alcalá, Inglaterra...), se
puede rastrear a través del Epistolario.
En diciembre de 1522 considera todos sus asuntos y proyectos como "inse-
guros", y se deja a "las circunstancias inciertas y movedizas"39. En marzo de
1523 se encuentra "náufrago entre las olas" y sin destino40. Y añade:
Paso los días contento en conversación con mis amigos; más, a pesar de sus muestras de
afecto, mi espíritu sufre amargamente por no saber qué resolución tomar. Volver a mi
patria, no me gusta; permanecer aquí, no puedo. De allí me llaman ahora de nuevo por
carta; sin embargo, me retraen los gastos; me espanta el peligro.

Unos días después se confiesa derrumbado por el tedio, sin vigor, agitado y
afligido. Y se consuela repitiendo que "la cantidad enorme de males privados
nada significa cuando uno contempla las calamidades públicas"41. En mayo de
1523 se expresaba así:
Mañana parto para Inglaterra [...], de allí a España, pero por mar, pues por tierra apenas
puede uno vivir en tiempos tan calamitosos. Lo he retrasado hasta ahora por si brillaba al-
guna esperanza desde España. Todo es tinieblas y noche no mayor en los acontecimientos
que en mi espíritjj y en mis determinaciones, que me las arrancó todas la vehemencia de
mis sufrimientos .

En junio del año siguiente, le escribe a Erasmo sobre unos tiempos "en lo que
todo se derrumba"43.

Carta prólogo a la obra De concordia et discordia in humano genere, Amberes 1529. Por estas
fechas, y tras las penurias económicas del período 1528-1531, Vives recibía de Carlos V una
pensión de 150 ducados, lo que suponía algo más de la mitad de sus gastos: carta a Juan de
Vergara, Brujas, 8 de agosto de 1532; JIMENEZ, op. cit., carta 164,2.
39
Carta a don Jerónimo Aleandro, prefecto de la Biblioteca Pontifìcia de Roma: Lovaina, 17 de di-
ciembre de 1522; ibidem, carta 51,2.
40
Carta a Cranevelt, Brujas, 15 de marzo de 1523; ibidem, carta 58,1-2.
41
Carta a Cranevelt, Brujas, 17 de marzo de 1523; ibidem, carta 59,5,6.
42
Carta a Cranevelt, Brujas, 10 de mayo de 1523; ibidem, carta 62,3.
43
Carta a Erasmo, Brujas, 16 de junio de 1524; ibidem, carta 81,3.
202 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
Tras la ejecución de su padre, declara en enero de 1525:
La Fortuna sigue, fiel a sí misma, ensañándose contra mi padre y contra todos los míos e
incluso contra mí mismo; pues lo que a ellos ha^e pienso que también me lo hace a mí, ya
que los amo a todos no menos que a mí mismo .

Y las desgracias no pararon aquí. Aunque Blanquina March, su madre, había


fallecido durante la peste valenciana de 1508, las circunstancias removidas por
las confiscaciones de los bienes familiares condujeron a un proceso incoado
contra ella a partir de 1528. Culminó con sentencia condenatoria, en diciembre
de 1529, y los restos mortales de la difunta fueron desenterrados y quemados45.
En tales circunstancias, ninguna mención específica nos hemos encontrado en
el Epistolario4S.
Pero, para poder comprender esta y otras circunstancias de la biografía de
Vives, debemos retornar a la peculiar configuración de la sociedad hispana de
la época, en la que los descendientes de judíos y los grupos judeoconversos
constituían un verdadero factor de tensión social. Recordemos que, a pesar de
la diversidad peninsular, coexistía un modelo común de sociedad de bases
agrarias, régimen señorial y autonomías municipales. El estamento hegemónico
estaba representado por la nobleza, jerarquizada en escalones sucesivos: titula-
dos, caballeros o nobleza media, hidalgos... La alta nobleza terrateniente ac-
tuaba como directa administradora jurisdiccional de buena parte del ámbito
rural, y a ella se le confiaban los principales mandos políticos y militares del
Estado, los virreinatos y las embajadas. Todo este mundillo nobiliario contras-
taba claramente con las burguesías de las ciudades españolas o flamencas,
entre las que Vives encontraba su verdadero elemento. No obstante, por su
condición de humanista y de erudito, no vinculado a instituciones universitarias
que hubieran atendido sus necesidades económicas, tuvo que promocionarse,
en ocasiones, a través de las aristocracias, dedicándoles algunas de sus obras
como signo de protección, o actuando para ellas como preceptor particular47.

44
Carta a Cranevelt, Oxford, 25 de enero de 1525; ibidem, carta 93,2.
45
PINTA LLORENTE, Miguel/ PALACIO, José María, Procesos inquisitoriales contra ta familia
judía de Juan Luis Vives. Proceso contra Blanca March, madre del humanista, Madrid 1964.
46 ,
Ya lo había pronosticado en diciembre de 1524 en carta a Cranevelt, fechada en Londres: "La
Fortuna, con tantos golpes, llegará al fin a golpear en vano, es decir, en un callo durísimo. Pero
vea Cristo lo que me conviene. No hay motivo tan terrible de queja que la naturaleza humana no
llegue a soportar a fuerza de sufrir"; cf. JIMENEZ, op. cit, carta 88,4.
47
Aquí debe situarse la invitación de don Fadrique de Toledo, duque de Alba, realizada hacia el
año 1522, para que se encargase de la educación de sus nietos en España; o bien la temporada en
Breda (1537-1538), como preceptor de doña Mencía de Mendoza, hija del marqués valenciano de
Cenete. Y, al tiempo, Vives dedicaría algunas de sus obras a miembros de la aristocracia es-
pañola, como el conde de Oliva, el duque de Gandía, el duque de Béjar, etc. No obstante, du-
rante parte importante de su vida Vives dependió directamente del mecenazgo real, en la Corte
inglesa (1523-1528), o recibiendo apoyos económicos como los de Carlos V y Juan III de Portu-
gal en 1531. Suponemos que Vives prefería esta protección cortesana, pero se malograron sus
espectativas con el príncipe Fernando y, más tarde, perdió el favor de los monarcas ingleses, en-
vueltos en los dramáticos episodios del divorcio. Hacia 1531 declaraba, en carta a Juan III de
Vives: Horizonte de España 203
Más cercanos a su vida, sus amistades y sus preocupaciones, se situaban algu-
nos miembros del clero. Aunque no hay que olvidar que prelados, dignidades y
monasterios eran con frecuencia verdaderos señores jurisdiccionales, con pare-
jos derechos que los aristócratas. De entre ellos, Vives mantuvo corresponden-
cia con Alonso Manrique, arzobispo de Sevilla e inquisidor general; y, a través
de Juan de Vergara, su secretario, con Alonso de Fonseca, arzobispo de To-
ledo. Hagamos notar que se trata de dos simpatizantes del erasmismo español,
y que regentaban las dos diócesis de mayor prestigio y pujanza económica de la
Península. Toledo debía ingresar anualmente la enorme cantidad de 150.000
ducados, y Sevilla le seguiría en importancia con unos 40.000. Y, de otro lado,
los Fonseca constituían un verdadero linaje, cuasi hereditario, de arzobispos de
Santiago de Compostela entre 1460 y 1524, fecha en que alcanzaron la diócesis
primada. Pero además de estos encumbrados personajes, constan las relaciones
de Vives con sectores cultos de algunos cabildos catedralicios y colegiatas. Su
mismo amigo Juan de Vergara terminaría como canónigo de Toledo, un gigan-
tesco entramado de 14 dignidades, 60 canonicatos, 100 beneficios y 200 capella-
nías; y un cabildo, además, nutrido de sangre conversa48.
Y es este grupo social de los conversos, marginado y discriminado, el más
directamente relacionado con el propio Vives y los procesos inquisitoriales
mencionados. Recordemos que su padre era un comerciante de paños, lanas y
sedas, representante de la mediana burguesía conversa. Pues bien, no sólo los
padres, sino todos los tíos maternos de Juan Luis Vives tuvieron problemas con
la Inquisición. Aunque no estaban solos. A fines del siglo XIV debieron existir
de 2.500 a 3.000 judíos en la ciudad de Valencia, es decir, en torno al 10% de la
población. Luego, a pesar de las conversiones y expulsiones de 1492, la Inquisi-
ción tuvo motivos para procesar unos 2.156 casos hasta el año 1530, con un
promedio de 45 anuales49. Y esta es la atmósfera dramática que subyace bajo la
concordia y el pacifismo de Vives, y la que contribuye a explicar sus angustias y
torturas del período 1522 en adelante.

Portugal (Brujas, julio de 1531) que "la erudición necesita la tranquilidad que el poder real pro-
porciona", y éste, a su vez, los consejos y autoridad de los doctos; cf. JIMENEZ, op. cit., carta
158,17. Pero Vives, obligado por las circunstancias, tendrá que volver intermitentemente a las
clases particulares, cosa que no le satisfacía mucho. Ya en 1522, encontrándose necesitado de di-
nero, le declara a Erasmo que había tomado "aversión a la enseñanza", y que "haría cualquier
cosa antes que volver a esa porquería y estar metido entre chavales"; carta de Lovaina, 15 de
agosto; ibidem, carta 46,5.
Se han contabilizado unos 7.000 miembros de cabildos catedralicios y colegiatas en la España de
la primera mitad del siglo XVI. Entre ellos podían encontrarse inteligencias lúcidas, abiertas al
erasmismo, así como también las había en algunas órdenes religiosas. Vives, por ejemplo, sos-
tuvo un cierto intercambio epistolar con el benedictino Alonso de Virués. En muchos de estos
casos podemos toparnos con la sangre conversa, que llegaba hasta los secretarios de los arzobis-
pos de Toledo y Sevilla: Juan de Vergara y Luis Núftez Coronel. Por su parte, el cabildo de To-
ledo estaba verdaderamente infectado y, para atajar la dolencia, el arzobispo Martínez de Silíceo
impuso en 1547 pruebas de limpieza de sangre para su acceso.
49
GARCIA CARCEL, Ricardo, Orígenes de la Inquisición Española. El tribunal de Valencia,
Barcelona 1976.
204 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
Porque, insistamos, el converso era considerado como un hereje potencial, y en
las propias comunidades urbanas se tendía al desprecio y arrinconamiento de
familias de raíz infecta. Los sectores populares, a falta de sangre noble, podían
alardear de sangre limpia, sobre todo si, con ello, se destacaban de familias
aristocráticas con antecedentes conversos. Circulaban, además, libros delatores
de linaje, que contribuían a enrarecer aún más las precarias relaciones. Y es
por tanto, en un clima de hostilidad, marginación y rechazo, en donde deben
situarse las tensiones de integración de tantos clanes judeoconversos, entre los
que se encontraba el de los Vives.
En algunos casos el obügado disimulo logró sus fines, y el acoso no acabó en el
brasero. Fue esta la situación, por contraste, de la familia de Santa Teresa. El
abuelo, Juan Sánchez, vecino de Toledo, había sido, también, mercader de
paños y sedas, así como arrendador de rentas reales y eclesiásticas. Tras ciertas
penitencias públicas en 1485, por judaizante, se translada con su familia a
Avila. Allí muda el apellido en Cepeda y mantiene la tienda de paños. Sin em-
bargo, gesta un plan de disimulo e integración social: maniobra para la compra
de una falsa ejecutoria de hidalguía, y logra el casamiento de sus hijos con
familias abulenses caballerescas. Su hijo don Alonso, el padre de Santa Teresa,
adoptará un modo de vida hidalgo. Se trataba de "aparentar" para conseguir la
integración social. A ello coadyuvaron su casamiento con cristiana vieja, el vivir
de rentas y la ostentación en casa, atuendo y servidumbre. Como consecuencia
de todo esto morirá arruinado en 1543, y sus hijos varones habrán de tomar el
camino de las Indias; pero los orígenes manchados del linaje no se descubrirán
públicamente hasta 400 años después50.

La situación se fue complicando en un verdadero círculo vicioso. Los conversos


judaizantes habían estado en la raíz de las consideraciones teológicas que moti-
varon la expulsión judía de 1492J e, incluso, el establecimiento de la Inquisición
bajo protección regia. Pero, paulatinamente, y sin una directa imposición del
poder, sino por un cortejo de iniciativas particulares, se fue confeccionando el
cerco de los llamados estatutos de limpieza de sangre, tanto en el reinado de
los Católicos como a lo largo del siglo XVI. Los asumieron ayuntamientos,
órdenes religiosas, capítulos catedralicios, colegios mayores, cofradías y gre-
mios. Se trataba de obstaculizar el acceso de los descendientes de conversos a
dignidades civiles y religiosas, así como a toda práctica de profesiones hono-
rables. Y la exclusión llegó a ser considerable, pero no total, pues el
"curriculum" universitario, la falsificación de probanzas de limpieza y la venali-
dad de ciertos cargos permitieron algunas posibilidades de camuflaje51.

50
EGIDO, Teófanes, El linaje judeoconverso de Santa Teresa, Madrid 1986.
51
En este contexto de acoso es donde hay que situar la carta que escribe a Vives su amigo Juan de
Vergara, no exento él mismo de antecedentes conversos. Aparece fechada en Valladolid, a 12 de
abril de 1527: "El infortunio de tu padre lo llevé, como era deber mío, muy mal. Pero no pienses
que este motivo a decrecido lo más mínimo mi amor hacia ti. No soy de sentimientos tan bajos.
Tú te has labrado para todos los buenos tan excelsa gloria que no hay nada fuera de ti que pueda
Vives: Horizonte de España 205
Más aún, junto a estos sectores sociales mencionados, y a un mayoritario 83 %
de población campesina, existieron otros grupos marginales y excluidos, tales
como los moriscos o los pobres. Los primeros dieron lugar a fuertes tensiones
con la población cristiana vieja en Aragón, Valencia y Granada. Se trataba de
clases populares en su mayoría, artesanos o agricultores, en buena parte de re-
gadío. En el Reino de Valencia, patria de Vives, existieron importantes contin-
gentes como vasallos de señorío, y quedaron implicados en los conflictos so-
ciales desencadenados por las Germanías, como ya vimos.
Cabe, por último, referirse a los pobres, a los que nuestro humanista dedicará
un libro renovador de la caridad pública de la época52. Porque hay que señalar
que, en las sociedades del Antiguo Régimen, existían hasta un 15% de pobres
estructurales, con porcentajes de viudas que superaban el 50%. Las autori-
dades reconocían la mendicidad de los llamados pobres legítimos; es decir, los
enfermos, ciegos, lisiados..., a los que se expedía una cédula o carnet de identi-
ficación. Pero, para la mayor parte, su socorro recaía en instituciones de cari-
dad eclesiástica, a partir de obras pías o donativos particulares.
2.5. Alcalá, el humanismo y los erasmistas
Finalmente, cabe referirse en esta ponencia al hecho de que toda la biografía
de Vives se encuentra recorrida por sus relaciones con los sectores erasmistas
del humanismo español. Y, en este sentido, uno de los sucesos más significati-
vos lo constituyó el ofrecimiento realizado por la Universidad de Alcalá, en
mayo de 1522, para que Vives se hiciera cargo de la cátedra de latinidad de
Nebrija. Detrás de esta propuesta estaba todo el sector erasmista alcalaíno y su
amigo Juan de Vergara. Más aún, la cátedra le fue ofertada de manera extraor-
dinaria, saltándose los plazos, los requisitos y el concurso de opositores, por
simple beneplácito del claustro53.
La Universidad de Alcalá, creada por el cardenal Cisneros mediante bula pon-
tificia de 1499, constituía a la sazón el buque insignia del humanismo hispano.
Frente a Salamanca, universidad de raíces medievales, jurídica y de escolástica
tradicional, Alcalá se diseñaba abierta a diversos sistemas filosóficos (entre
ellos el nominalismo parisino), orientada a la formación teológica y preocupada
por la crítica de textos y el cultivo de las tres lenguas sabias: latín, griego y he-

oscurecerla. Esta desgracia ha provenido de una circunstancia del todo ajena a tu persona. Dios
quiso que a ti sólo te rozara y tienes motivo para darle gracias..."; cf. JIMENEZ, op. cit., carta
123,3. Sobre los estatutos de limpieza, SICROFF, Albert A., Los estatutos de limpieza de sangre,
Madrid 1985.
52
Cf. CARASA SOTO, Pedro, "Juan Luis Vives y la reforma social"; introducción al Tratado del
socorro de los pobres, Madrid 1991, pp. 15-101. La obra original se publicó en Brujas el año
1526, con el título De subventione pauperunr, en ella Vives insistirá en la institucionalización de
una especie de caridad pública.
53
JIMENEZ, op. cit., carta 40,2: "no rehusamos en atención a tu persona (cosa que sucede muy
rara vez entre nosotros sin contar con la propuesta de los electores) ofrecerte en forma extraor-
dinaria la cátedra, y sin competencia de ningún otro".
206 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
breo. Su más logrado fruto lo constituirá la monumental edición de la Biblia
Políglota, impresa entre 1515-1517, y publicada a partir de 1522. Además de
esto, y durante toda la primera mitad del quinientos, Alcalá constituye un foco
ascético-espiritual cristiano, con desarrollo de imprenta propia y publicación
de textos devotos54.
En este ambiente, Cisneros ya había invitado al propio Erasmo, hacia 1516, a
residir en Alcalá; y el humanista había contestado con el célebre: "non placet
Hispania". Ahora, sin embargo, Juan Luis Vives podía resultar la figura ade-
cuada; y así lo considera su amigo Juan de Vergara que, por septiembre de
1522, estaba persuadido de que Vives aceptaría el nombramiento. Por lo de-
más, las condiciones resultaban notablemente ventajosas: doscientos florines
del Rhin al año, como salario; casa propia para vivir; y la posibilidad de impar-
tir otras clases extraordinarias55. No existe ningún testimonio documental sobre
la aceptación o rechazo por parte de Vives de esta cátedra tan tentadora. Pero
del Epistolario pueden deducirse vacilaciones, angustias y cierta proclividad a
la aceptación; actitud que quedará comprometida y malograda por los
procesos inquisitoriales abiertos contra su padre. En carta a Cranevelt de
enero de 1523, tras notificarle la acosada situación de su familia, añade:
con estas noticias aumentó mi angustia y la inquietud de mi espíritu, pues estoy pendiente
de las cosas de España y no me atrevo a tomar una resolución definitiva para el futuro. No
sé si en estas circunstancias es conveniente que vaya allí o que me quede; si les es del todo
necesaria mi presencia no lo sé; de forma que no me^gueda lugar ni para reflexionar. ¡Tan
atados nos tiene la condición de los acontecimientos!

Por su parte, en sus cartas, Cranevelt le había sugerido que podía esperar hasta
marzo o finales de abril para viajar a España, caso que se decidiera a aceptar la
cátedra. Y, efectivamente, a principios de mayo de 1523 le escribe a Erasmo:
Yo por ninguna causa he podido sustraerme de ese viaje a España, que pienso emprender
mañana o pasado. ¡Quiera Cristo hacer prosperar la trav^ía! Marcharé por Inglaterra y
allí, mi patria, cumpliré contigo el deber de un buen amigo .

Y, el mismo día, escribe a Cranevelt:


Mañana parto de Brujas para Inglaterra, donde saludaré a Moro de tu parte con todo ca-
riño, como corresponde a vuestra común amistad; de allí a España, pero por mar, pues por
tierra apenas puede uno vivir en tiempos tan calamitosos. Lo he retrasado hasta ahora por

54
GONZALEZ NAVARRO, Ramón, Universidad Complutense. Constituciones originales cis-
neríanas, Alcalá de Henares 1984.
55
JIMENEZ, op. cit., carta 47,3-6; Valladolid, 6 de septiembre 1522: "estaba persuadido de que tú
aceptarías la propuesta, si te la ofrecían en condiciones decorosas".
56
ibidem, carta 53,4; Lovaina, 4 de enero de 1523. Posteriormente, en carta al mismo Cranevelt,
Brujas, 15 de marzo de 1523, Vives continúa indeciso y atormentado: "mi espíritu sufre amarga-
mente por no saber qué resolución tomar. Volver a mi patria no me gusta; permanecer aquí no
puedo. De allí me llaman ahora de nuevo por carta; sin embargo me retraen los gastos; me
espanta el peligro"; ibidem, carta 58,1.
57
Carta a Erasmo, Brujas, 10 de mayo de 1523; ibidem, carta 61,13.
Vives: Horizonte de España 207
si brillaba alguna esperanza desde España. Todo es tinieblas y noche no mayor en los acon-
tecimientos que en mi espíritu y en mis determinaciones, que me las arrancó todas la
vehemencia de mis sufrimientos.

Y añade en la carta:
Adiós, mi querido Cranevelt; a ti y a todos los tuyos os deseo la mayor felicidad y alegría.
No está peor la situación gg España, sino porque me dicen que no encontraré facilidades
para mis estudios. Adiós...

Como puede deducirse de todo lo dicho, resulta probable que Vives estuviera
tentando la aceptación de la cátedra de Alcalá, y para ello organizara su viaje
hacia España. No obstante, las guerras iniciadas entre Francisco I y Carlos V le
obligaban a un rodeo marítimo por Inglaterra. Allí, informado de los negros
presagios inquisitoriales que llegaban de España, Tomás Moro pudo disuadirle
de su empeño y atraerlo a la Corte, pues, algunos años antes, Vives había ten-
tado esa posibilidad59.
En conclusión, que otro de los vínculos biográficos de Vives con España lo
constituyó la oferta docente de la Universidad de Alcalá, en un momento de
plenitud de esta institución académica. Posteriormente, tras la persecución de
erasmistas a lo largo de la década de los años treinta, será Salamanca la univer-
sidad que retome la hegemonía intelectual en las Españas. Así, con la llamada
"segunda escolástica", se origina y cristaliza una influyente escuela teológica
que confluirá en Trento. Pero, hasta que esto ocurra, existieron otros focos
humanistas en la patria de Vives. En el mismo Reino de Valencia cabe destacar
la corte virreinal del duque de Calabria (difunto en 1550), en la que se produjo
una confluencia de cultura cortesana, literaria y musical, utilizando como vehí-
culo la lengua castellana. Y, además de eso, la Universidad de Valencia contri-
buía a la difusión humanista, concretamente, al desarrollo de los estudios de
griego; y no sólo a través del estudio de los textos sagrados y literarios, sino,
muy destacadamente, a partir de textos médicos vinculados a las enseñanzas en
esta facultad.

En otro orden de cosas, y fuera de los niveles puramente institucionales, Vives


mantuvo una notable relación con los círculos erasmistas, y se mantuvo muy
bien informado de las confrontaciones antierasmistas que culminaron en los
procesos de 1527 y en las persecuciones de la década siguiente. En ese año
1527, las obras de Vives las saboreaba el mismísimo arzobispo de Toledo,
Alonso de Fonseca, tal y como se lo relata Juan de Vergara80. Y el mismo

56
Carta a Cranevelt, Brujas, 10 de mayo de 1523; ibidem, carta 62,3,5.
59
Carta a Erasmo de 10 de julio de 1521, donde le informa de una próxima entrevista con Tomás
Moro y Enrique VIII: "a fin de tratar con ellos cuál ha de ser en adelante mi plan de vida";
ibidem, carta 35,3.
"Fonseca, nuestro arzobispo, me mostró tu libro Sobre los pobres y tu Introducción a la
sabiduría. Por lo que puedo olfatear, precipitadamente, me parecieron obras importantes y dig-
208 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
Vergara le comunica las corrientes de opinión y la existencia de cierta conspi-
ración contra Erasmo. Escribe a Vives por abril:
Contra Erasmo conspiran ahora muchos monjes, no todos ciertamente, pero la mayor
parte. Cada una de estas órdenes cuanto más dista de la mendicidad menos adversas le
son. El asunto ha sido presentado a los tribunales y hasta el actual momento la causa
marcha a favor de Erasmo. Mi señor arzobispo ha tomado a pecho la defensa de este hom-
bre. También está a su favor el César; lo están los mismos magistrados; lo están, por fin,
todos los buenos .

Recordemos, en este punto, que se ha dicho que el talante hispano acogió me-
jor el humanismo religioso, espiritual y de signo erasmista que el propiamente
clásico a la italiana62. Y, ciertamente, los aspectos estrictamente filológicos del
humanismo hispano aparecen bastante reducidos. En este contexto, una de las
primeras traducciones de Erasmo al castellano se realizó en 1516 y en Sevilla:
Tratado o Sermón del Niño Jesús. El año 1526 se publicaba el Enquiridion, en
versión de Alonso Fernández de Madrid63, a lo que seguirán otras obras. Y
esta corriente erasmista era favorecida en los círculos del Emperador, y
contaba con las simpatías de secretarios como Gattinara y Alfonso de Valdés.
Estaban, además, los arzobispos de Toledo y Sevilla, ya mencionados, y sus
respectivos secretarios, entre ellos el tantas veces referido Juan de Vergara.
Por último, simpatizaban con el erasmismo núcleos de profesores en las
universidades de Alcalá, Valladolid o Valencia.

Valencia, concretamente, constituía uno de los territorios peninsulares más


proclive al erasmismo. Humanistas parisienses y europeos de procedencia va-
lenciana habían mantenido directos contactos con Erasmo: Joan Gélida, Joan
Marti Població, o el mismo Vives. La difusión de la obra de Erasmo se reali-
zaba, asimismo, desde la Universidad de Valencia, y su traducción era promo-
vida por hombres como Juan de Molina o el canónigo de Gandía Bernardo
Pérez de Chinchón.

ñas no sólo de un escritor elocuente, sino también sesudo..."; carta de Juan de Vergara a Vives,
Valladolid, 12 de abril de 1527; cf. JIMENEZ, op. cit., carta 123,11.
61
Ibidem, carta 123,12.
62
Sobre estos aspectos y la popularidad de Erasmo en círculos eclesiásticos y humanistas españo-
les, la obra de BATAILLON, Marcel, Erasmo y España, México 1950; ABELLAN, José Luis,
"El erasmismo español", en: Historia Crítica del Pensamiento Español, Madrid 1979, vol. II, pp.
35ss.; BATLLORI, Miguel, Humanismo y Renacimiento. Estadios hispano-europeos, Barcelona
1987. Sobre el estado de la cuestión acerca del Renacimiento en España: RICO, Francisco,
"Temas y problemas del Renacimiento español", en: Historia y Crítica de la Literatura Española,
III. El Renacimiento, Barcelona 1980, pp. 1-27; ALCINA, Juan F./ RICO, Francisco, 'Temas y
problemas del Renacimiento español", en: Historia y Crítica de la Literatura Española, 2/1, Sup-
lemento, Renacimiento, Barcelona 1991, pp. 5-25; GARCIA VILLOSLADA, R., "Vives y
Erasmo. Cotejo de dos almas", en: Humanidades, 10 (1955), pp. 187-198.
63
Vives, siempre al corriente de las noticias de España, se lo comunica de inmediato al propio
Erasmo: "En España tu Enquiridion comenzó a hablar en nuestra lengua y, a decir verdad, con
aprobación del pueblo, que solía estar bajo la autoridad de los frailes." Carta fechada en Brujas,
18 de marzo de 1527; JIMENEZ, op. cit., carta 121,2.
Vives: Horizonte de España 209
No obstante, los grupos antierasmistas se mantenían al acecho y contraataca-
ban. Diego López de Estúñiga, desde Alcalá, polemiza a partir de 1520 contra
los escritos de Erasmo. También, aunque más moderadamente, Sancho
Carranza de Miranda. Tras ciertas denuncias a la Inquisición, por parte de
franciscanos y dominicos, el arzobispo de Sevilla Alonso Manrique convoca en
Valladolid una junta de teólogos en junio de 1527. Participaron unos 32 teólo-
gos, y aunque no hubo declaración oficial, se consiguió atajar a los extremistas
que acusaban a Erasmo de herético. El inquisidor Manrique maniobró a favor
de la causa64.
De todo este panorama Vives era informado, directamente, por Juan de
Vergara, secretario del arzobispo de Toledo Alonso de Fonseca, como hemos
visto65. Y Vives, de inmediato, va poniendo la información en conocimiento de
su amigo Cranevelt y del propio Erasmo, en una correspondencia pletòrica e
ininterrumpida66. Así, en una carta a Erasmo de 13 de junio de 1527, Vives de-
clara que la moderación y ciencia del dominico Francisco de Vitoria pudiera
limitar los excesos de sus hermanos de hábito contra los erasmistas. Pasa, a
continuación, a subrayar la esclavitud en que los frailes mantienen sometido al
pueblo:
servidumbre que si en todas partes es insoportable, lo es más en los países cristianos, en
especial en nuestra patria [España], donde no la toleran ni los esclavos ni las acémilas.

Y, posteriormente, manifiesta su esperanza de que con el tumulto se acrecen-


tara la fama de Erasmo en la Península67. En parecidos términos, y más exten-
samente, le relata al mismo Erasmo todas las circunstancias del caso en carta
de julio de dicho año, reseñando y transcribiendo párrafos de sus informa-
dores, y haciendo constar que "de ello me dan fe todos los que llegan de
España"68.

64
AVILES, Miguel, Erasmoy la Inquisición. El libelo de Valladolid y la Apología de Erasmo entre
los frailes españoles, Madrid 1980.
Recordemos que Juan de Vergara (1492-1557), de la misma generación de Vives, había sido se-
cretario anteriormente del cardenal Cisneros y había participado en los trabajos de la Políglota
de Alcalá.
66
La información le llega a Vives por el mencionado Vergara, así como por el monje benedictino
Alonso Virués, un tal Escepero, y por otro tal Alvaro de Castro, comerciante de Burgos. A todos
ellos Vives los denomina "mis amigos de España". La carta a Cranevelt está fechada en Brujas,
12 de julio de 1527; las enviadas a Erasmo corresponden al 13 de junio y a julio de 1527; cf.
JIMENEZ, op. cit., cartas 125,127 y 128. Nótese, también, que, por medio de Alvaro de Castro,
Vives hará llegar hasta Juan de Vergara su obra De Europae disidiis, Brujas 1526, como consta
de una carta fechada el 14 de agosto de 1527; JIMENEZ, op. cit., carta 129,17. Vuelve a aparecer
el eje de relación Países Bajos-Norte de España-Burgos, tantas veces señalado en los intercam-
bios económicos y culturales de la época, y en la biografía del propio Vives.
67
"Nunca tuve mayor esperanza de que nuestra España llegue a conocerte y entenderte. De tales
alborotos y contiendas salieron siempre situaciones espléndidas para una mayor magnificencia y
esplendor", ibidem, carta 127,7,8.
68
Carta fechada en Brujas, día de Santa Margarita de julio de 1527; ibidem, carta 128.
210 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
No obstante, Juan Luis Vives no poseía, a la altura de 1527, una buena opinión
sobre el desarrollo del humanismo español. En carta privada a Vergara, de
agosto de dicho año, manifiesta:
Hay que hablar bien de la propia patria, aunque sea distinto el juicio que de ella uno se
haya formado. Y, ciertamente, no negaré que haya en España, sobre todo estando tú ahí,
quien pueda competir en erudición y ciencia con cualquiera de otras naciones; pero,
créeme, por fuerza tiene que haber en general más erudición allí donde hay más abundan-
cia de libros. Los estudiosos no pueden adivinarlo todo. La erudición hay que sacarla de
los escritores, muchos de los cuales son de primera categoría; de los cuales muchos que
aquí gozan de gran reputación, sobre todo en punto a filología, sus obras ahí no son cono-
cidas ni por el título. Nunca pensaré que hay ahí gran cantidad de estudiosos hasta que
sepa que existen diez o doce imprentas en toda España que publiquen y divulguen los au-
tores clásicos, pues por este camino las demás naciones limpiaron de barbarie su suelo .

Los ataques contra el erasmismo se atenúan, momentáneamente, a partir de


1527, pero Vives continúa pendiente de los sucesos de España e informando a
sus amigos. En agosto de 1529 relataba a Erasmo, minuciosamente, la enfer-
medad del arzobispo de Toledo, la regencia de la Emperatriz y la partida de
Carlos V hacia Génova a la cabeza de 40 galeras...70. Suponemos que, del
mismo modo, se mantendría al tanto del proceso inquisitorial y quema de los
restos mortales de su madre, acaecida, tras sentencia condenatoria, en diciem-
bre de dicho año 1529. No obstante, ninguna mención aparece registrada en el
Epistolario conservado.

Pero lo que sí parece cierto es que, desde el retiro de Brujas, Vives asiste im-
potente a un cerco continuo de persecuciones y desencantos, que le van ais-
lando cada vez más. En febrero de 1534 moría el arzobispo de Toledo Alonso
de Fonseca, y se desataba una persecución de sus amigos humanistas en Ingla-
terra y España. En mayo escribe melancólicamente a Erasmo y le dice:
Vivimos unos momentos difíciles, en los que no podemos ni hablar ni callar sin riesgo. En
España han sido detenidos Vergara y su hermano Tovar; además otros sabios varones. En
Inglaterra, los^obispos Rofense y Londinense y también Tomás Moro. Pido para ti una
vejez tranquila .

Unos meses antes, Vives acababa de recibir carta de su ex-alumno Rodrigo


Manrique desde París, informándole, entre otras cosas, de la persecución de
intelectuales que estaba realizando la Inquisición en España. Le da cuenta del
proceso de Vergara, y ratifica palabras de una anterior carta del propio Vives:
Es del todo cierto lo que dices, que nuestra patria está llena de envidia e insolencia; añade
también de salvajismo. Pues ya se tiene como cosa cierta entre ellos que no hay nadie
medianamente instruido en las buenas artes que no esté lleno de herejías, de errores, de

69
Carta a Juan de Vergara, Brujas, 14 de agosto de 1527; ibidem, carta 129,13,14,15.
70
Carta a Erasmo, Brujas, 30 de agosto de 1529; ibidem, carta 145,2,6.
Carta a Erasmo, Brujas, 10 de mayo de 1534; ibidem, carta 166,5.
Vives: Horizonte de España 211
judaismo; de suerte que a los sabios se les ha amordazado e impuesto silencio, y a aquellos
que avanzaban hacia la erudición se les ha inyectado, como tú dices, un enorme terror .

Y, más adelante, Rodrigo Manrique añade, en unos términos en que podría re-
conocerse el propio Vives:

Defendería mi posición a mordiscos, hasta el punto que preferiría permanecer en la mayor


barbarie e incultura antes que volver nunca a patria tan ingrata como la mía. Porque dime
[Manrique se dirije a Vives], por favor, ¿qué puede pensarse más detestable que recorrer
las escuelas y los países para alcanzar más erudición y más habilidad en el manejo de^os
negocios y, de vuelta a la patria, ser acusado o, mejor dicho, ser calumniado de hereje?

E n esta coyuntura todo parece irse desmoronando en el entorno de Vives. Los


procesos a Juan de Vergara (1533-1535) y a su hermano Bernardino de Tovar,
ya mencionados; pero también los incoados al impresor de Alcalá Miguel de
Eguía (editor del Enquiridion), o al benedictino Alonso de Virués. Los amigos
erasmistas de Vives van siendo yugulados o condenados al silencio. La corres-
pondencia con Vergara se interrumpe. Tomás Moro es ejecutado en 1535.
Erasmo muere en 1536. E n 1537 la Inquisición de Valencia emite condenas
contra erasmistas. En 1538 Enrique VIII de Inglaterra casa con A n a Bolena, y
en España fallece el arzobispo de Sevilla e inquisidor Alonso Manrique, último
baluarte del erasmismo. Vives, en su exilio de Brujas, acogido al calor del ho-
gar, se entrega al olvido de los libros, en una de sus etapas más fecundas. Y a lo
había dejado escrito hacia 1529 cuando, al referirse a sus trabajos sobre la con-
cordia, señalaba

la compasión que me inspiran estos tiempos en que vivimos, y puesto que no puedo prestar
remedio a tantos males, por la flaqueza de mis fuerzas, doy público testimonio de los sen-
timientos de mi alma por escrito, y esto me consuela y, de alguna manera, me tranquiliza .

Vives, sin embargo, no se hacía muchas ilusiones con respecto a sus compa-
triotas. E n carta a Juan Maldonado, Vicario General del Arzobispado de
Burgos, le decía por carta de diciembre de 1538:

Unos se engañan a sí mismos; otros, con recta intención, me advierten que me equivoco,
pues no creo tener envidiosos, sobre todo en España, por muchas razones. La primera
porque no vivo allí; la segunda, porque allí leen poco mis obras, menos aún las compran o
se preocupan de ellas, dada la frialdad de nuestros compatriotas por el afán de las letras.
Además, nunca escribí palabra que moviera a envidia, ni herí a nadie, no muevo a ninguno
de su lugar ni me interfiero ni estorbo las ganancias de nadie. Por último, porque mis
obras no son tales que despierten la envidia de los otros. Pero, aunque tuviera quienes me
envidiaran, quienes me mordieran, yo preferiría ignorarlo, para estar seguro de que no
devolvía mal por mal, ni mordisco por mordisco. Adiós, una y mil veces adiós .

72
Carta de Rodrigo Manrique a Vives, París, 9 de diciembre de 1533; ibidem, carta 168,5.
73
Ibfdem, carta 168,7.
74
Carta a Guillermo Bude, Brujas, noviembre de 1529; ibidem, carta 146,7. Esta carta, escrita un
poco antes de la sentencia condenatoria de su madre, abre una de las décadas intelectualmente
más fecundas de su repliegue en Brujas.
75
Carta a Juan Maldonado, Breda, 16 de diciembre de 1538; ibfdem, carta 176,4-5.
212 Luis E. Rodríguez-San Pedro Bezares
Evidentes palabras de desencanto, pero también de aguante y estoicismo cris-
tiano, tras el hundimiento de todo un mundo personal y amistoso. La supervi-
vencia era posible en medio de los desgarros de unos tiempos crispados, pero
al precio del repliegue. El humanista del intimismo y la concordia resultaba, de
este modo y de alguna forma, desbordado por las circunstancias76. Dos años
después, en 1540, fallecía en Brujas este valenciano y europeo que mantuvo
siempre la preocupación de España en su horizonte vital.

78
Se ha señalado la difícil y conflictiva trayectoria biográfica de Vives: el rechazo social en su patria
valenciana por su entorno judeoconverso; la actitud discorde con el nominalismo parisino; la
desconfianza hacia las atmósferas culturales españolas; el destierro de la Corte inglesa; el aisla-
miento progresivo, tras las persecuciones del erasmismo y la muerte o marginación de sus prin-
cipales amigos; la propia sospecha en que cayeron algunas de sus obras; la continua precariedad
material y económica; e, incluso, los achaques y enfermedades recurrentes. Vives, además de
todo ello, no poseía un temperamento combativo, sino una sensibilidad sentimental que asumía
las circunstancias "sine querela". De ahí el repliegue intimista, la búsqueda de círculos reducidos
y amistosos, y su continuo anhelo de sosiego, reiterado a lo largo de todas sus cartas. De ahí
mismo su falta de nervio en el asunto del divorcio de los reyes de Inglaterra. De ahí sus exilios y
sus huidas, sus angustias, en unos tiempos revueltos de conflictividad extremada. Como bien
señala el profesor Juan Alcina (op. cit., p. XV), Vives no se enfrenta, no intenta transformar de
forma activa los obstáculos que se le oponen. Teme los braseros de la Inquisición, y también "la
fuerza y el poder de los hombres obscuros que dominan las estructuras universitarias y políticas
de su país". De este modo, se mantendrá exiliado de España y, en las últimas cartas antes de mo-
rir, continuará aconsejando "someterse a las circunstancias" y "llevar con paciencia y gran tran-
quilidad de ánimo cuanto suceda", carta a Gaspar de Castro, hacia 1539 ó 1540.
Notas sobre la pervivencia de Vives en España (s. XVI)

Juan F. Alcina (Tarragona)

En una carta a Juan Maldonado de 1538, asegura Vives que en su país no cree
tener envidiosos entre otras razones porque "allí leen pocos mis obras, menos
las entienden, menos aún las compran o se preocupan de ellas, dada la frialdad
de nuestros compatriotas por el estudio de las letras"1; y en una carta a Juan de
Vergara de 1527, aludiendo a la cultura en España dice:
Nunca pensaré que hay ahí gran cantidad de estudiosos hasta que sepa que existen diez o
doce impresores en toda España, que publiquen y divulguen los autores clásicos; pues por
este camino las demás naciones limpiaron de barbarie su suelo.

Esta apreciación de Vives es exacta en líneas generales. España es el país que


menos impresos de Vives tiene en el siglo XVI. Como señala Enrique
González2, comparado con las impresiones de otros países, o incluso ciudades
como Lyon o Venecia, lo que se imprime de Vives en España es muy poco. Y,
sin embargo, hubo una difusión de Vives en España» y, por lo menos, sus obras
de más éxito en Europa se editaron y tradujeron en la Península: la Instrucción
de la mujer cristiana, la Introducción a la sabiduría y los Diálogos además de
otros textos en un complicado enredo de reediciones que distan mucho de
estar aclaradas; y a lo largo del dieciséis, las huellas de sus escritos se pueden
seguir en bastantes autores y en líneas de pensamiento que transformaron la
cultura española. Visto globalmente, pienso que la apreciación del propio
Vives no es válida para todo el siglo XVI, ni tampoco la de estudiosos recientes
que han valorado este aspecto. Actualmente tenemos un conocimiento un poco
mejor del humanismo español del que había hace diez años, aunque falta
muchísimo por hacer, y pienso que podemos y debemos perfilar con más
exactitud el problema.
A pesar de que ya por los años veinte Vives no debía de ser un desconocido, su
verdadera fama no se inicia hasta finales de la década y durante los años
treinta. De hecho, hasta la publicación del De tradendis disciplinis, Vives es sólo
un joven humanista airado y prometedor. Cuando en 1525 el catedrático de
poesía de la Universidad de Valencia, Juan Angel González, publica una lista
de los grandes debeladores de la barbarie en su De laudibus poeseos sylva, se

1
Juan Luis Vives, Epistolario, trad. J. Jiménez Delgado, Madrid, Ed. Nacional, 1978, p. 610.
2
Enrique González, Joan LIuís Vives. De la Escolástica al Humanismo, Valencia, Generalität de
Valencia, 1987, p. 44; cfr. también A. Guy, "La difusión de Vives en Francia y en países
francófonos", en: Exilios filosóficos en España. Actas del VII Seminario de Historia de la
Filosofía Española, Salamanca, Universidad, 1992, pp. 257-268, que señala la existencia de hasta
40 traducciones al francés antes de 1612.
214 Juan F. Alcina
3
limita a citar a los grandes italianos, a Erasmo y a Nebrija . Omite a Vives,
quizá por precaución o quizá porque era un autor muy joven. El mismo Juan
Angel no tiene ningún pudor en 1539 en hacer los más encendidos elogios de
su coterráneo como después veremos.
A pesar de la condena del padre, Vives parece seguir en contacto con Valencia
y en 1527 escribe una carta en catalán desde Brujas a los regidores de Valencia
sobre la ordenación de los estudios en la Universidad. Desgraciadamente no se
conserva, pero la describe muy detenidamente el helenista Cosme Damián
Savall en 1531 y dice que se conservaba en el archivo de la ciudad4. En esa
carta Vives proponía la división en siete clases o niveles a los alumnos, cosa
que efectivamente se cumplió en el Estudi de Valencia según explica Mayans.
Este sería el único texto catalán de Vives del que tenemos constancia y
demuestra que en 1527 tiene un cierto prestigio en Valencia y su opinión tiene
peso suficiente como para influir en la estructuración de los estudios.
Por esas fechas Vives es en Valencia el prototipo del maestro de ética, ética
antigua cristianizada para adoctrinamiento de jóvenes, sobre todo caballeros y
damas nobles. Esta fama le viene dada por la traducción, en 1528, de la
Institutio feminae christianae que hizo el italiano Giovanni Giustiniani, contino
del palacio del duque de Calabria y Germana de Foix. Aunque el autor era
italiano, la traducción ofrece un castellano espléndido, como señala Salvador
Fernández Ramírez en la edición que preparó de ese texto5. Fue el texto de
Vives que alcanzó más difusión, con ocho reediciones conocidas y quizá haya
más. En el prólogo, Giustiniani incluye la primera alabanza que conozco de
Vives hecha en España:
Dios nos ha dado entre otros señalados doctores de nuestros tiempos uno natural de
España, y aun nacido en medio desta insigne ciudad de Valencia, do vuestra alteza reside
[se dirige a Germana de Foix], llamado el dotor Juan Luys Vives, maestro de la princesa
doña Magia de Englaterra, nieta de vuestra alteza: por parte del Rey cathólico de gloriosa
memoria .

En esta Institución de la mujer cristiana encontramos dos referencias a sus


padres. En una se habla de la concordia y paz matrimonial de sus padres y en
la otra hay un encendido elogio de la madre:

3
Cfr. el texto en J. F. Alcina, Juan Angel González y la "Sylva de laudibus poescoá' (1525),
Bellaterra, Univ. Autónoma de Barcelona, 1978.
4
Da la noticia y reproduce estos textos perdidos la "Vita" de G. Mayans en: J. L. Vives, Opera
Omnia, I, Valencia, 1782, pp. 170-171.
5
Juan Luis Vives, Libro llamado Instrucción de la Mujer Cristiana traducido de latín en romance
por Juan Justiniano, edición, prólogo y notas de Salvador Fernández Ramírez, Madrid, Signo,
1936.
6
Cita el fragmento S. García Martínez, "El erasmismo en Aragón", en: J. IJsewijn/A. Losada,
Erasmus in Hispania Vives in Belgio, Lovaina, Peeters, 1986, p. 248.
Vives en España 215
de sanctissima matre mea quam ego nil dubito in caetis fructum integerrimae actae vitae
iam percipere, non est in alieno copiosius loquendum opere, cum destinatus sit nobis de
illius Actis Vitaque liber [no debemos hablar más largamente de mi santísima madre que
no dudo que en el cielo goza del fruto de la vida honestísima que llevó, pues pienso que sea
objeto de un libro que escribiré sobre su vida y hechos.]

Estos pasajes desaparecerán en ediciones posteriores, en función de las con-


denas respectivas: en la traducción de Giustiniani se eliminan las referencias al
padre, pues la condena es de 1524 y en la edición latina de 1538, revisada por
Vives, se elimina la referencia a la madre7. Cuando las escribe Vives en 1524
estamos en pleno proceso del padre y pienso que él quiere dar un testimonio
frente a la Inquisición y ayudarlos de alguna manera. De la religiosidad del
padre no dice nada, pero de la madre, como hemos visto, dice que es una santa
que está en el cielo. Vives sabía perfectamente que su padre era un creyente
judío y que su madre probablemente también. De todas formas da ese falso tes-
timonio como una prueba de amor por ellos, quizá con la vana esperanza de
que su opinión tuviera alguna incidencia.
Por lo demás, el texto de la Instrucción es importante en España por iniciar la
tradición de manuales sobre la educación de la mujer y también por iniciar una
crítica platónica contra la literatura en vulgar, especialmente novela de caballe-
rías y poesía cancioneril. Es un aspecto estudiado por muchos investigadores y
no quiero insistir en ello8. - Sin embargo, no puedo dejar de subrayar el origen
vivista de esta crítica. Los autores más importantes en la transmisión de esta
crítica moral son hombres especialmente adictos a Vives, como Alejo de Vene-
gas, Cervantes de Salazar o Benito Arias Montano. Incluso en el léxico viru-
lento y en la formulación de los tópicos contra los libros de caballerías se pue-
den ir siguiendo las mismas junturas y expresiones que utiliza Vives. Lo mismo
pasa con su crítica de la poesía cancioneril, menos difundida quizá, pero que va
apareciendo por ejemplo en Fray Luis de León cuando dice en Los Nombres
de Cristo:
Porque este (el tema religioso) es sólo digno de la poesía; y los que la sacan de él y
forzándola la emplean, o por mejor decir, la pierden en argumentos de liviandad, habrán
de ser castigados como públicos corrompedores de dos cosas santísimas: de la poesía y de
las costumbres .

A mí me recuerda inevitablemente las palabras de Vives sobre el tema que en


la traducción de Giustiniani rezan:
Eso mesmo se debría mandar por público edicto y mandamiento que nadie osase cantar
por las ciudades o lugares metro ni copla ni otra cosa deshonesta ... en tanto grado que
parescen lo que componen y los que cantan tales canciones no entender en otro sino cómo

7
Cfr. Joan Fuster, Ltibres i Problèmes del Renaixement, València, Institut de Filologia Valen-
ciana 1989, pp. 21-29.
8
Cfr. por ejemplo Chr. Strosetzki, Literatur als Beruf. Zum Selbstverständais gelehrter und
schriftstellerischer Existenz im spanischen Siglo de Oro, Düsseldorf, Droste Verlag, 1987.
g
F. Luis de León, Obras castellanas completas, ed. F. García, Madrid, BAC, 1969, p. 469.
216 Juan F. Alcina
podrán corromperlas costumbres de la ciudad, haciendo como los que enficionan las
fuentes públicas...

Fray Luis enlaza también en esto con Vives, de la misma manera que en su oda
A Querinto las "mil historias que canto" con las que las Sirenas pretenden
seducir a Ulises aluden para Fray Luis a los libros de caballerías, los libros que
matan hombres y cosas similares.
Dejando la Institución y siguiendo con la pervivencia del resto de su obra, hay
que decir que a partir de 1531 se inicia la difusión masiva de impresos de Vives
en Europa. Ese año publica su gran obra, el De disciplinis, y no es casualidad
que el citado Cosme Damián Savall en la Oratio de optimo statu Reipublicae
litterariae constituendae, que se leyó ese mismo año de 1531, lo tilde de clásico
de nuestra religión y diga:
Adeoque multa ... scripta quotidie per totum orbem invulgantur quae sunt haud dubie
illius nomen, non sine maxima celebritate ... ad posteros transmissura [tantos escritos
suyos (de Vives) se publican cada día por todo el mondo que harán pervivir sin duda su
nombre con los máximos elogios a la posteridad].

De todas formas, la difusión de su obra en España por la década de los treinta


es pequeña y justifica las quejas de Vives en la carta a Juan Maldonado que
cité al principio. Sólo a finales de los años treinta la situación cambia. Coincide
en esto con la difusión de Vives en Italia que se inicia justamente en 1537 con
una serie de impresos vivistas de uso escolar11. En España tenemos algunas
reediciones de la Institutio feminae christianae en impresos de Zaragoza y
Zamora en 1539 y Diego Ortega de Burgos vierte al castellano un texto nuevo,
las Excitationes animi in Deum, con el título de Comentarios para el despertar
del alma en Dios. Se edita en Amberes en 1537 con carta prologal de Vives y se
reedita en Burgos en 1539. Diego Ortega, tío del luterano Francisco de Enci-
nas12, es un joven seguidor de Vives que aparece varias veces en el epistolario
del valenciano. En una ocasión le sirve como correo para una carta dirigida a
Juan de Vergara y en otra recomienda a este joven ante el burgalés Juan Mal-
donado. Las Excitationes forman una introducción a la oración mental, proba-
blemente muy del gusto de los grupos erasmistas (y también luteranos) entre
los que se movía Diego Ortega y quizá, paradójicamente, también tuviera sus
lectores entre los tempranos jesuítas.

10
Ed. S. Fernández Ramírez, p. 32.
Cfr. T. Gariglio/A. Sottiii, "Zum Nachleben von Juan Luis Vives in der italienischen
Renaissance", en: A. Buck (ed.), Juan Luis Vives. Arbeitsgespräch in der Herzog August Biblio-
thek Wolfenbüttel, Hamburg, Hauswedell, 1981, pp. 211-213.
12
Hacia 1546 aparece como mercader instalado en Amberes y se le cita en varias epístolas dirigidas
a Encinas en esa fecha, una de Arnold Birckmann y otra de Mathias Claudius, cfr. Ignacio Javier
García Pinilla, El Epistolario de Francisco de Enzinas, tesis doctoral de la Universidad de
Sevilla, 1993, pp. 43 y 66.
Vives en España 217
Hacia 1539, el valenciano Juan Angel González parece estar mucho mejor
informado sobre Vives a raíz de la llegada a Valencia de doña Mencia de
Mendoza. La nueva esposa del duque de Calabria habia sido alumna y
protectora de Vives en Breda y para ella publica Juan Angel hacia 1539 ima
silva latina en la que la exhorta a favorecer a los hombres de letras entre los
que está Luis Vives. Vives es "fama y gloria de nuestro suelo" -dice Juan Angel-
"E1 ha llenado el mundo de las eminentes alabanzas que ha recibido y va a
oscurecer, Erasmo, tu nombre. Él es el que ha suspendido con su palabra
ilustres oídos y suele alimentar tu espíritu con el buen fruto socrático"13.
Y efectivamente, con la llegada de doña Mencia a Valencia la fama de Vives
parece indiscutible y se inicia todo un concierto de elogios al docto coterráneo
por parte de los letrados de la ciudad del Turia y de otras partes de la Penín-
sula. En 1543 con el título de Pro immortali bonarum literarum patrono, Lodo-
vico Vive Valentinate nostro [En favor del inmortal defensor de las buenas le-
tras, nuestro Luis Vives de Valencia] le dedican dos elogiosos epigramas fune-
rarios que le escribe Joan Baptista Anyes, un personaje ligado a la aristocracia
culta de Valencia, al duque de Calabria, al conde de Oliva y a doña Mencia. Se
publican en su Apologia in defensionem virorum illustrium equestrium (Valencia,
1543) junto con una elegía a doña Mencia. Todavía en 1547 Francisco Decio,
en una oratio De scientiarum laudeu en un elogio de la ciudad de Valencia
incluye ima loa de Vives como una parte ya de los monumentos de la ciudad:
... te unum mortuum, quid mortuum? uiuentem perpetuo Viuem appello, et honoris causa
nomino, qui literis omnibus ita splenduisti, ut Valentiam clarissimam toto orbe ciuitatem
ingenii opibus illustrastis, tum effeceris ut qui Valentiam ignorare poterant, Viuem esse
Valentinum non ignorent [a ti único de entre los muertos, ¿qué de los muertos? vivo
eternamente te llamo Vives y te nombro como honra pues brillaste tal en todo géneros de
letras que hiciste ilustre en todo el mundo a la clarísima Valencia por tus dotes de ingenio
y conseguiste que aunque puedan no conocer Valencia no puedan dejar de saber que Vives
era valenciano].

Ligado también a la presencia de doña Mencia en Valencia hay que explicar la


égloga Vives que escribe el burgalés Hernán Ruiz de Villegas. En la edición
que se publica en el siglo XVIII la dedicatoria a doña Mencia por algún motivo
se ha eliminado15 pero en un manuscrito escurialense, probablemente de Anto-

13
Ad illustrìssimam iuxta, ac munificentissimam Dominarti D. Menciam Mendoziam, Zeneti
clarissimam Marchionam Joanne Angelo Gonsale autore Silva, Valencia, J. Jofre, c. 1539, f. A3v-
A4r: "[Quos inter doctor Viues, tua rara uoluptas, / occurrit,] nostri fama, decusque soli./ Hic
est, qui eximiis compleuit laudibus orbem. / Obscuraturus nomen, Erasme, tuum./ Hic est, qui
illustres aures sermone moratur /Socraticaque animos pascere fruge solet./ [Hic est, pro meritis
quem secula nulla tacebunt: / Dum solio stabit lingua Latina suo.]"
14
F. Decio, De scientiarum et Academiae Valentinae laudibus Oratio, Valencia, 1547, p. 17.
15
Ferdinandi Ruizii Villegatis Burgensis quae extant opera, Venecia, 1734.
218 Juan F. Alcina
nio Agustín, esa dedicatoria se conserva junto con un largo pasaje laudatorio
de la ilustre dama16.

Los amigos de Vives naturalmente no se limitan a Valencia. En Burgos, Juan


Maldonado, erasmista, profesor de doña Mencía de Mendoza y corresponsal
de Vives, procura también por su difusión y prepara en Burgos hacia 1550 la
que probablemente es la primera edición hispana de los Diálogos o Exercitatio
linquae latinae. El volumen contiene la Exercitatio con las notas del granadino
Pedro Mota y un curioso diálogo erasmista del propio Juan Maldonado titu-
lado Eremitae cuyo contenido analizó en detalle Bataillon.
En Toledo hay también un grupo importante de amigos de Vives. En primer
lugar Juan de Vergara, secretario del arzobispo de Toledo y corresponsal
íntimo de Vives. Fue él quien gestionó la oferta de la cátedra que había dejado
vacante Nebrija en Alcalá para Vives. Pero junto a Vergara hay otros hombres.
Uno de ellos es Alejo de Venegas, recientemente biografiado por Adeva17.
Venegas se une en varios de sus libros a la crítica de la narrativa de ficción de
Vives, desde el prólogo a la traducción del Momo de León Baptista Alberti
(Alcalá, 1553)18, donde habla, como el Vives del De disciplinis, de las fábulas
milesias que corrompen a las doncellas; hasta el Tratado de Ortografía19 o el
prólogo que puso a una colección de opúsculos de Cervantes de Salazar. Su
afición a Vives pasa también a este alumno suyo, Francisco Cervantes de
Salazar. En 1544 se había publicado en Burgos, probablemente para la
enseñanza del latín, un impreso con varias obras morales de Vives, la
Introductio ad sapientiam, el Satellitium siue Symbola y las Epistolae duae de
ratione studii puerilis, edición que cierran dos poemas de Martín Pérez,
profesor adjunto del convento del Sarmental de Burgos20. Sospecho que Juan
Maldonado tuvo algo que ver en esta edición. Un volumen similar quizá
también para uso escolar, con la Introductio y el Satellitium, se reeditará en
Salamanca en 1572. Cervantes de Salazar traduce al castellano a partir de la
edición de 1544 la Introducción a la sabiduría, que publica en Sevilla en 154421.

Biblioteca del Real Monasterio del Escorial, ms. h-II-7, ff. 115-119v, con el títulq: "Ruizij
Fernandi Villegatis Ad D. Menciam Calabrie et Zeneti Principem In obitu Lod. Vivis. Egloga V.
Vives".
17
1. Adeva Martín, El Maestro Alejo Venegas de Busto. Su Vida y sus Obras, Toledo, Diputación
Provincial, 1987.
18
Cfr. el texto de este prólogo en A. Porqueras Mayo, La Teoría Poética en el Renacimiento y
Manierismo Españoles, Barcelona, Puvill, 1986, pp. 91 y ss.
19
A. de Venegas, Tratado de ortografía y acentos, ed. L. Nieto, Madrid, Arco Libros, 1986, pp. 66-
67.
20
Cfr. F. Cerdá y Rico, Obras que Francisco de Salazar ha hecho, Madrid, A. de Sancha, 1782, pp.
XXI-XXII.
21
Cfr. F. Cerdá y Rico, Obras que Francisco Cervantes ha hecho, pp. XXII y 118 y ss. donde se
publica el texto. Hay un ejemplar de esta rara edición en la Biblioteca Universitaria de Sevilla,
cfr. Escudero, n°. 443.
Vives en España 219
Después, la reedita, junto con el Diálogo de la dignidad del hombre de F. Pérez
de Oliva y el Apólogo de la ociosidad y el trabajo de Luis Mexía, que había sido
uno de los traductores de Erasmo por los años veinte, en Alcalá en 1546 con
múltiples añadidos y notas22. Pretende con ellos ofrecer un nuevo tipo de
literatura que fuera amena y al mismo tiempo incitase a la reflexión moral
siguiendo indudablemente el programa de Vives y su crítica a las fábulas
milesias. El público al que va dirigida es el de los hombres inquietos que
buscaban un nuevo tipo de moral en la senda del estoicismo. Es el mismo
público que lee a Erasmo en vulgar y que no tiene acceso al latín.
Concretamente la Introductio ad sapientiam es un espléndido resumen de
doctrina básicamente estoica cristianizada en forma de breves preceptos que
van desde la naturaleza y el cuerpo a las cuestiones del alma, la religión y el
amor de Dios o pequeñas observaciones sobre hábitos y situaciones de la vida
cotidiana. La obra era atractiva para un hombre del siglo XVI y no es de
extrañar que por las mismas fechas, Diego Astudillo, amigo de Vives, hiciera
una traducción que acompañaba con otros textos morales de Plutarco. Su
traducción quedó inédita hasta el siglo XVII.

Unos años después, ya en México, Cervantes de Salazar seguirá con su afición


por Vives y publicará una nueva edición de la Exercitatio o sea los Diálogos
(México, 1554). La acompañará de siete diálogos de su propia cosecha, tres de
ellos describiendo la vida cotidiana en la colonia. El ideal de un latín vivo y oral
unido a la nueva moral que destilan los diálogos fructificará también entre los
grupos humanísticos de Nueva España.
En la segunda mitad del siglo la pervivencia de Vives se manifiesta en varios
aspectos: en primer lugar, como clásico del humanismo incide en varios autores
de la tradición retórica y gramatical hispana, como Juan Lorenzo Palmireno,
Alfonso García Matamoros, o Francisco Sánchez de las Brozas; en segundo
lugar, incide en los teólogos u hombres de formación teológica, como Barto-
lomé de las Casas, Melchor Cano o el padre Mariana, con los que se enfrenta y
es rebatido. En relación a esta postura de los teólogos está su inclusión en el
índice expurgatorio y su prohibición, aunque matizada, en la ratio studiorum de
los jesuítas; en tercer lugar, sus ideas se reflejan también en líneas temáticas
como los tratadistas sobre el matrimonio y la educación de la mujer, como Fray
Luis de León, y en la literatura de tema social, en la línea que va del Lazarillo a
Gabriel Pérez de Herrera. Por último, detectamos entonces una notable pre-
sencia de obras de Vives en bibliotecas y librerías hispanas.
Empezando por esto último, y sin pretender ser exhaustivo pues no he hecho
una búsqueda sistemática23, podemos señalar que en la biblioteca del joven

22
Cfr. las referencias que da sobre este impreso J. Martín Abad, La Imprenta en Alcalá (1502-
1600), II, Madrid, Arco Libros, 1992, p. 527, n°. 358.
23
Me he limitado al material que tenía a mano. Una búsqueda sistemática de un listado de
bibliografía amplio como el que da M. Chevalier, Lectura y Lectores en la España del Siglo XVI
220 Juan F. Alcina
Benito Arias Montano24, en dos catalogaciones que hizo en 1548 y 1554 figuran
de Vives el De vertíate fidei christianae, el De concordia et discordia, el De
subuentione pauperum, la Exercitatio, el De anima, De sudare domini, además
de irnos Opera, evidentemente los dos volúmenes de la edición de Basilea. Por
entonces Montano no era el famoso escriturario, sino un estudiante del colegio
de S. Ildefonso de Alcalá en 1548 y un joven capellán en 1554. También en la
biblioteca de otro estudiante, Agustín de Morlanes, en el inventario de libros
que le envía en 1550 a su hermano, probablemente el jurista zaragozano Micer
Diego de Morlanes, entonces estudiante en Lérida, además de otros libros de
humanidades figura una Introductio ad sapientiam de Vives25.

Pasando a bibliotecas mayores, las obras de Vives no faltan, y, por ejemplo, en


la biblioteca de don Diego Hurtado de Mendoza que pasa al Escorial en 1576
aparecen obras de Vives como el De veritate, el De disciplinis y el De anima et
vita. También está presente Vives con varios títulos en la entrega de libros que
hace al Escorial Felipe II también en 157626. También está presente en la
biblioteca del duque de Béjar, al que el propio Vives dedicó el De anima. En la
venta de su biblioteca en 1545 aparece el De concordia (n° 121), el De anima
(n° 131) y "un libro de mano del maestro luis bibas de bocabulario" (n° 84)27.

Pasando a fondos de libreros querría señalar la presencia de Vives en la libre-


ría de Benito Boyer de Medina del Campo. Medina del Campo fue un centro
de ferias y cruce de caminos de gran importancia en el siglo X V I . Allí, un li-
brero de Lyon, Benito Boyer, instaló una potente librería e imprenta que surtía
de libros nacionales y sobre todo de importación a buena parte de España y
América. Afortunadamente tenemos y se ha editado con un buen estudio de
Bécares28 el catálogo del fondo de 1592. En ese catálogo resulta que tiene para
vender 14 ejemplares del De veritate fidei christianae y 108 ejemplares de la tra-
ducción castellana de la Instrucción de la mujer cristiana. Sabemos por otra
parte que en 1586 el mismo Boyer en su imprenta de Medina del Campo había
editado los Diálogos de Vives, y, aunque no se indica título, en una partida de
libros de 1584 "que Benito Boyer envía a México" incluye 6 ejemplares de "Luis

y XVII, Madrid, Turner, 1976, pp. 31-34, sin duda aumentaría el número, pero la cantidad no
creo que varíe la apreciación que doy del hecho.
24
A . Rodríguez Moñino, "La biblioteca de Arias Montano", en: Revista del Centro de Estudio
Extremeños, 1929, pp. 17 y ss.
25
Cfr. M . Bataillon, "La librería del estudiante Morlanes", en: Homenaje a Agustín Millares Cario,
I, Caja Insular de Ahorros de Gran Canaria, 1975, pp. 329-347.
26 G . de Andrés O.S.A., Documentos para ¡a Historia del Monasterio de San Lorenzo El Real de
El Escorial VII, Madrid, 1964.
27
A . Redondo, "La bibliothèque de don Francisco de Zúñiga, Guzmán y Sotomayor, troisième duc
de Béjar (15007-1544)", en: Mélanges de la Casa de Velázquez, III (1967), pp. 147-196.
28
V . Bécares-A. Luis Iglesias, La Librería de Benito Boyer. Medina del Campo 1592, Salamanca,
Junta de Castilla y León, 1992.
Vives en España 221
Vivas"29. Y entre los pedidos de libros a España desde América que cita Irving
Leonard30, Luis Vives figura en documentos de 1576; y en 1583, con un pedido
de "100 luis bivas"31, y en otro de 1591 figuran 150 ejemplares de "Bivas". En
ninguno de estos últimos casos se especifica la obra, aunque quizá se trate de la
Instrucción de la mujer cristiana que parece tener muchísima demanda. Por úl-
timo hay que señalar que entre los libros recogidos en Puebla para pasar la re-
visión del Santo Oficio figura una Ejercitatio linge Latine Romance adoy [ííc]
que poseía un tal Melchor Juárez32. Quizá se trate de los Coloquios de Juan
Luis Vives, perifraseados en romance (Alcalá, 1574), traducción de algunos de
los diálogos hecha por el monje carmelita Gabriel de Aulón.
De entre los humanistas interesados por la retórica y la lengua del Lacio
querría hablar únicamente de tres: Alfonso García Matamoros, Francisco
Sánchez Brócense y Juan Lorenzo Palmireno, dejando de lado a otros que
también tienen rastros vivistas como el jesuíta Juan Bonifacio en su Christiani
pueri institutiones (1575) o Pedro Simón Abril en sus Apuntamientos de cómo se
deben reformarlas doctrinas (Madrid, 1589).
Empezando con García Matamoros, hay que decir que él es uno de los prime-
ros que intentan dar una valoración global de Vives en su Apología pro adse-
renda hispanorum eruditione (Alcalá, 1553), donde lo considera coetáneo de
Nebrija, gran filósofo y declamador egregio, aunque le critica sus neologismos y
dureza de lenguaje. Pero Vives está también presente en otras obras de este
profesor de Alcalá. En 1570, Matamoros edita un curioso manual sobre estilís-
tica del latín titulado De tribus dicendi generibus sive de recta informandi stili
ratione commentarius. Es un tratado original en el que intenta conjugar hermo-
genismo, tradición ciceroniana con un esfuerzo racionalizador que procede de
Pierre de La Ramée, Rodolfo Agrícola y Luis Vives. En la dedicatoria al arce-
diano García de Loaísa, al explicar la necesidad de la reforma de la oratoria,
empieza citando al Vives de De corruptis disciplinis y su esfuerzo por corregir la
decadencia de las buenas artes. Y después lo tiene presente en varios pasajes
del libro, como cuando habla de la teoría de los estilos de Hermógenes33, lo
cita como uno de los transmisores de esta teoría junto a Trapezuntius; después
lo menciona en la lista de anticiceronianos en un espléndido capítulo que algo
debe al Ciceronianas de Pierre de La Ramée. Después en el De methodo con-
cionandi de Alcalá 1570, donde da reglas para la predicación en lengua vulgar,
vuelven a aparecer referencias a Vives. Concretamente en el pasaje donde
aconseja los modelos de lengua romance a seguir se apresta a desaconsejar el
léxico y las expresiones sacadas "a Caelestina, Amadisio, Splandiano, aliisque

29
F. Fernández del Castillo, Libros y libreros en el siglo XVI, México, FCE, 1982, p. 276.
30
I. Leonard, Los libros del conquistador,, México, FCE, 1979, p. 201.
31
I. Leonard, Los libros del conquistador; p. 214.
32
F. Fernández del Castillo, Libros y libreros, p. 346.
33
A. García Matamoros, Opera Omnia, Madrid, 1769, p. 497.
222 Juan F. Alcina
fabulosis prodigiosisque libris", evidentemente enlazando con la crítica a estos
libros del valenciano y unas páginas después, cuando habla de cómo hacer un
sermón sobre moral en el que conviene abundar en ejemplos y sentencias, re-
cuerda el ejemplo y el estilo de Séneca que no es tan criticado, dice, por Luis
Vives como por Fabio Quintiliano34.
Francisco Sánchez de las Brozas conoce también a Vives. En la Minerva utiliza
el De disciplinis como una autoridad en un pasaje dedicado a rebatir la
existencia del dativo agente (111,4). Para explicar un "legatur tibi" de Marcial en
relación a la costumbre romana del lector o recitador, cita un trozo del De
disciplinis que habla de estos "legentes" o "anagnostas"35. Pero la referencia más
extensa que hace sobre Vives se encuentra en In artem poeticam Horatii
Annotationes (Salamanca, 1591), donde rechaza los neologismos de los
"Theologis, medicis, philosophis nostri saeculi" y también los del "doctissimus
Ludovicus Vives" en su Exercitatio linguae latinae "qui tam audacter, tamque
praeter aequum et decens tot finxerit vocabula"36. Para los filólogos de la
segunda mitad del siglo, Vives entre otras cosas es prototipo de la postura
anticiceroniana y forzosamente tenía que salir a colación al tratar Sánchez de
los neologismos. Pero Sánchez no es un ciceroniano. Entre otras cosas defiende
el estilo de Apuleyo. Pero para él, el concepto de latín vivo y hablado que
encontramos en Vives ya no es posible, y es consecuente con sus ideas al
rechazar el latín actualizado y oral que propugna Vives. De todas formas, a los
efectos que nos interesan, Sánchez conoce por lo menos dos de las obras más
importantes del valenciano.
Por último quiero hablar del alcañizano Juan Lorenzo Palmireno que es pro-
bablemente el humanista más entusiasta de la obra de Vives. Actualmente
tenemos una buena monografía de Andrés Gallego sobre este personaje que
nos ha ayudado mucho a desenredar la complicada madeja de su bibliografía37.
Palmireno es un erudito típico de la cultura del tercer cuarto del siglo XVI y
refleja con precisión los intereses de los grupos letrados de ese período: escribe
sobre instrucción religiosa, se interesa por la lengua vulgar, castellana y
valenciana, toma posición ante el ramismo, defiende el ciceronianismo y sobre
todo encarna una confianza en la escuela y su capacidad de convertir a los
niños en hombres que recuerda inevitablemente a Vives. En El latino de repente
(Valencia, 1573) Palmireno nos dice que ya desde joven leía el De ratione studii
puerilis38 y desde entonces la obra del valenciano le escoltó a lo largo de toda
su vida y de toda su inmensa producción. Es por ello difícil dar una idea ex-

34
A. García Matamoros, Opera Omnia, p. 681.
35
F. Sánchez, Minerva, Lyon, Piestre et Delamolliere, 1789, pp. 356-357.
38
F. Sánchez, In Artem Poeticam Horatii Annotationes, Salamanca, I. et A. Renaut, 1591, f. 8r.
37
A. Gallego Barnés, Juan Lorenzo Palmireno (1524-1579), un humanista aragonés en el Studi
General de Valencia, Zaragoza, Institución Fernando el Católico, 1982.
38
Cfr. G. Mayans, "Vita", p. 75.
Vives en España 223
haustiva de la presencia de Vives en Palmireno. También hay que decir que a
pesar de que se conserva mucho de lo que escribió Palmireno, hemos perdido
también mucho; y concretamente algunas de las obras más interesantes con
respecto a Vives. Por ejemplo, sabemos que hasta el siglo X V I I I se conservaba
manuscrita en Ripoll una Comparatio Ínter Ludovicum Vivem et Erasmum,
auctore Laurentio Palmyreno39; o también sabemos que escribió unas anotacio-
nes a los Diálogos de Vives40 para una edición hoy perdida de los mismos de
Valencia 1554. Nada de eso ha llegado a nosotros. Sin embargo, a través de las
numerosísimas citas de Vives en sus escritos se puede intuir la importancia de
su influencia en el alcañizano.

¿Quién no conoció la gran dotrina de Luis Vives. L o s doctos las veen en sus obras, i los
niños las alcanzan en sus coloquios, que hizo D e Exercitatione Linguae latinae,

nos dice en £7 estudioso cortesano (Valencia, 1573)41. Y ciertamente Palmireno


ayudó a conocer esa doctrina. Por todas partes aconseja su lectura o se sirve de
sus escritos: en El estudioso de la aldea (Valencia, 1571) aconsejará entre otros
libros latinos de devoción el De veñtate fidei e incluirá en ese libro un pasaje
sobre la meditación inspirado en la Excitado mentís in Deum42; en El estudioso
cortesano ofrece una selección de sentencias de Vives con el título de
"Consuelos de Luys Vives para todo lo dicho, los quales y el Petrarca de
próspera y aduersa fortuna leerás muchas vezes" y en el mismo libro se incluye
también una traducción del Satellitium; aconseja el De arte dicendi de Vives en
el "Catálogo de rétores" que figura en su Retórica de Valencia, 1564.

Por otra parte, la Universidad de Valencia reforma de nuevo sus estatutos en


1561, una reforma en la que sin duda participó Palmireno. Y como había pa-
sado en la reforma de 1527 a la que aludí antes, en el redactado de la de 1561
vuelven a aparecer las ideas sobre educación del sabio de Brujas. Como señala
Gallego Barnés43, entonces se reglamenta el uso del proverbiador o cartapacio
con separaciones temáticas donde el alumno tenía que anotar frases, fábulas,
proverbios o palabras en una clasificación que sigue exactamente la que da
Vives en De tradendis disciplinis (111,3). El propio Palmireno aconsejará tam-
bién esas mismas clasificaciones vivianas y el uso del proverbiador en diversas
obras suyas e incluso publicó un tratado, hoy perdido, titulado Codex sive de
Excerptorio códice ab studiosis rite atque ordine, secundum Ludovici Vives
prescriptam regulam consciendo, Alcalá, 1588. Hay que advertir, sin embargo,
que el proverbiador corresponde a una antigua tradición de enseñanza a base
de proverbios documentada en la Corona de Aragón desde el siglo X V .

39
A . Gallego, Juan Lorenzo, p. 288.
40
Cfr. G . Mayans, "Vita", p. 159 y A . Gallego, Juan Lorenzo, p. 51.
41
Citado por Mayans, "Vita", p. 164.
42
A . Gallego, Juan Lorenzo, p. 219.
43
A . Gallego, Juan Lorenzo, pp. 97-98.
224 Juan F. Alcina
Palmireno no deja de hacer alguna crítica a Vives. Por ejemplo en su Retórica
discrepa de Vives y de Ramus por su reducción de la retórica a la elocutio. Es
curioso y sería un tema a estudiar, cómo Vives aparece siempre entre retóricos
hispanos como precursor o ligado a Pierre de La Ramée (recuérdese lo que he
dicho antes sobre Matamoros). También en la Segunda parte del latino de
repente Palmireno critica ciertas expresiones de latín duro y vocablos impropios
de los Diálogos. De todas formas, estas críticas son también prueba de la
presencia constante de Vives en la obra y el pensamiento del alcañizano y a
través de él en la cultura valenciana y aragonesa de la época.
Pasando al mundo de los teólogos vemos que entre ellos predomina la crítica,
aunque con matizaciones. Como ha señalado Enrique González44, Bartolomé
de Las Casas, en su Apologética Historia saca a relucir a Vives y disiente de él
porque éste había tratado de patrañas los escritos de Annio da Viterbo en su
comentario a La Ciudad de Dios. Melchor Cano en sus Loci theologici
(Salamanca, 1563) mantiene una actitud más ecléctica. Por una parte se une a
Vives en su rechazo de los libros de caballerías, aunque deplora que se los sus-
tituya por libros de espiritualidad en lengua vulgar en vez de por libros de his-
toria verdadera "graves et veras historias". Por otra parte, en la misma obra uti-
liza diversos textos de Vives, como el De veritate fidei y el De disciplinis. Del De
veritate, como ha demostrado Pablo Graf45, toma frases enteras y materiales en
diversos pasajes. Evidentemente lo consultó y lo tuvo delante y se adhirió a
opiniones suyas, aunque sin citarlo, pero tomándolo al pie de la letra. Cano se
presenta como un superador del humanismo, pero su punto de partida es jus-
tamente el De disciplinis de Vives, asimilado ad unguem. Véase por ejemplo su
rechazo de las disputationes medievalizantes en el libro IX,7. Es una crítica que
claramente procede de Vives. Pienso que alguien con una formación teológica
que yo no tengo debería estudiar estas relaciones entre Vives y Cano. Por lo
demás, en el único pasaje en que lo cita abiertamente, en el libro X,9, cuando
habla de los argumentos sacados del derecho civil, nos ofrece una crítica ma-
tizada. No hay un rechazo tajante de Vives, porque no puede hacerla una per-
sona que ha utilizado y explotado el De disciplinis como él lo ha hecho a lo
largo del libro. En el citado capítulo se critica la actitud demoledora de Vives
respecto a la tradición antigua del derecho civil y después le echa en cara que
fue más hábil en señalar los errores del sistema medieval que en la exposición
de un sistema nuevo y constructivo de las diferentes disciplinas. Cano escribe
hacia 1550 y seguramente por esas fechas Petrus Ramus le habría hecho las
mismas críticas a Vives por su falta de método. Hay que señalar también que
Cano, paralelamente a estas críticas, lo elogia y dice que coincide con él en fus-
tigar a los leguleyos: "Quamquam Ludovicus, quod ad jurisperitos attinet, ea-
dem nobiscum sentit"; y al principio del capítulo en cuestión subraya su labor

44
Enrique González, Joan Líuís Vives, pp. 58-59.
45
P. Graf, Luis Vives como apologeta, Madrid, CSIC, 1943.
Vives en España 225
de debelador de las disciplinas bárbaras: "Dixit ille [se. Vives] quidem in libris
de corruptis disciplinis multa veré, multa praeclaré ...". Cano tiene sus reparos
al pensamiento de Vives, pero no le escatima los elogios en lo que él cree que
es correcto. No es un seguidor ciego del vivismo, históricamente no podía serlo,
y es plausible que lo considerase sospechoso de antieclesiástico y de tintes he-
réticos, pero es capaz de admirarlo y no es un teólogo fanático opuesto al va-
lenciano como se lo ha presentado a veces desde Mayans. Relacionada con la
crítica de los teólogos está la inclusión de Vives en el índice expurgatorio; por
lo menos el comentario a La Ciudad de Dios se prohibe a partir del índice46 de
1570; y también relacionado con esto está la prohibición de todas las obras de
Vives en algunos centros y durante algunos períodos en los colegios de los je-
suítas. Como señala Batllori47 que ha estudiado este problema en detalle, sin
embargo, los Diálogos de Vives fueron ampliamente utilizados en buena parte
de los colegios hispanos de la compañía.
En cuanto a las líneas de pensamiento que generan escritos de Vives en la
segunda mitad del siglo hay que tratar en primer lugar de la incidencia del De
subuentione pauperum. La vida hispana de este librito fue estudiada ya hace
tiempo por Bataillon y más recientemente por Michel Cavillac48. Creo que
entre hispanistas es una veta harto conocida. Frente al Sanctus pauper
medieval, sancionado por Dios para que el rico pueda ejercer la virtud de la
limosna que le abrirá el camino al cielo, Vives da un giro burgués al problema.
Lo pone en relación con el trabajo y con la obligación colectiva, por la unidad
del cuerpo místico de Cristo, de la protección del desvalido que realmente no
puede trabajar. Ya en el De las diferencias de libros que hay en el universo
(1540) de un vivista conocido como Alejo de Venegas, en el capítulo "Que
declara cuál es legítimo pobre", se exponen ideas que vienen del De
subuentione, como la diferencia entre los dos tipos de pobres: los legítimos que
son los pobres de Cristo y los sofísticos y encubiertos que son los ministros de
Satanás, los delincuentes que pudiendo trabajar o servir, viven la vida bellaca
de los picaños. Y de acuerdo con las tesis vivistas que proponen unos censores
bianuales, pide que cada ciudad designe un alcalde de pobres con un alguacil
que los prenda49. Al mismo tiempo Venegas complementa esta interpretación

48
Sobre este índice y sobre una censura inédita anterior de 1563, véase J. I. Tellechea, "Sobre la
ortodoxia de Vives", en: J. L. Vives, Opera Omnia, I, Valencia, ed. Alfons el Magnànim, 1992,
pp. 461^88.
47
R. P. Batllori, S. J., "Las obras de Vives en los colegios jesuíticos del siglo XVI", en: J.
IJsewijn/A. Losada (eds.), Erasmus in HispanJa Vives in Belgio, Lovaina, Peeters, 1986, pp. 121-
146 ( Colloquia Europalia, I); y también R. Garcia Villoslada, Loyola y Erasmo, Madrid, Taurus,
1965, pp. 222-229.
48
M. Bataillon, "Luis Vives, réformateur de la bienfaissance", en: Bibliothèque d'Humanisme et
Renaissance, 14 (1952), pp. 141-158; M. Cavillac, Gueux et marchands dans le Guzman de
Alfarache. Roman picaresque et mentalité bourgoise dans TEspagne du siècle d'Or, Bordeaux,
Univ. de Bordeaux, 1983.
49
M. Cavillac, Gueux et marchands, pp. 215-216.
226 Juan F. Alcina
vivista de la pobreza con el elogio del trabajo y no es casualidad que el mismo
Venegas prologue la edición anotada por Cervantes de Salazar del Apólogo de
la ociosidad y el trabajo del erasmista Luis Mexía que he citado anteriormente.
En la segunda mitad del XVI las ideas del tratadito de Vives se expanden, por
lo menos a nivel de teorizaciones, en un complicado entramado de textos.
Como señalaba Bataillon, desde el Lazarillo al Guzmán de Alfarache de Mateo
Alemán, justamente un amigo personal de Pérez de Herrera, la novela
picaresca sólo se entiende cabalmente si se tiene en cuenta este transfondo de
reflexión sobre el mendicante, el vagabundo y el pillo sobre el que nuestro
valenciano escribió un trabajo seminal.
Otra línea importante de pervivencia del pensamiento de Vives la encontramos
en los textos humanísticos que tienden a la dignificación de la educación de la
mujer y el matrimonio. En ella convive con tratados y coloquios de Erasmo y es
difícil deslindarlos. Ya en 1542 la Institución de la mujer cristiana de la que ya
hemos hablado antes incide en una traducción y adaptación del Llibre de les
dones de Francesc Eiximenis que se publica en Valladolid, con el título de
Carro de las donas. El anónimo traductor, un franciscano del monasterio de
Valladolid, adapta materiales de la parte tercera de la Institución consagrada a
la mujer viuda para su tratado sobre el mismo estado50. No me parece que
tenga influencia vivista el apasionante Speculum coniugiorum (México, 1554) de
Alonso de la Veracruz51. Aunque el tratado se abre con una carta de un segui-
dor de Vives como es Francisco Cervantes de Salazar52. Tampoco lo cita en la
lista de autores naturales et morales philosophi utilizados que da al final donde
aparecen humanistas como Alciato o Budé. Aunque enlaza con una tradición
humanística es un tratado técnico dirigido a canonistas preocupados por la
brutal superposición del sistema de parentesco occidental sobre el indígena
americano y Vives queda un tanto al margen de todo esto. Por último, la Ins-
trucción de la mujer cristiana incide inevitablemente en La perfecta casada de
Fray Luis de León. Encontramos, por ejemplo en ella, como tópico recurrente
la misma crítica de las lecturas dañinas. En el capítulo IV de la Perfecta casada
en el que se tratan los trabajos de la mujer noble se subraya que debe
dedicarse a

hilar y otras labores ... que la excusen y libren del leer en los lijaros de caballerías, y del
traer el soneto y la canción en el seno y del billete y del donaire ...

50
Julia Fitzmaurice-Kelly, "Vives and the 'Carro de las Donas'", en: Revue Hispanique, 81 (1933),
pp. 530-544; y D. Viera, "Más sobre Vives y el 'Carro de las donas'", en: Estudios franciscanos, 75
(1974), pp. 145-161.
51
Utilizo la 3 a ed. de Alcalá, I. Gracián, 1572 (Biblioteca Nacional de Madrid, R-27550).
52
Se trata de una carta prologal de "Franciscus Cervantes Salazarus artium magister et sacrae
Theologiae magister in Academia Mexicana Rhetoricae professor".
53
F. Luis, Obras Completas castellanas, p. 266.
Vives en España 227
Coinciden ambos autores además en diversos puntos con tratamientos simila-
res: como la cuestión de los afeites (c. 11), o en insistir en que la abundancia de
hijos no es una virtud (c. 17), o en aconsejar el amamantamiento y crianza del
hijo por la madre. La forma, sin embargo, de ambos textos es muy distinta. En
Fray Luis se ofrece casi siempre cada capítulo como un desarrollo de un versí-
culo bíblico, como en un sermón, con una divisio a base de exempla y auctorita-
tes, como estipulan los tratados de predicación medievales. En Vives en cambio
se da una estructura más clásica y técnica, a modo de unas Institutiones como
las de Quintiliano. Por lo demás no he encontrado calcos textuales de uno en
otro. Pero evidentemente no es pensable que Fray Luis dejase de conocer un
texto tan difundido como el de Vives. Y aunque las coincidencias se puedan
explicar por fuentes distintas, yo pienso que reunidas apuntan a Vives.
En conclusión, después de este largo periplo por el humanismo hispano yo
diría que Vives sí tiene una presencia en la cultura española del siglo XVI.
Bien es verdad que no tiene seguidores de su talla y la cantidad global de
ediciones suyas, sobre todo en latín, es pequeña. Pero si aplicáramos los
mismos criterios también podríamos decir que Erasmo es poco conocido
porque se edita poco en latín comparado con otros países y también se le
persigue. Y todos sabemos que esto no era así. Y en un país en el que florece el
erasmismo no puede faltar la incidencia de Vives con el que comparte
posiciones e ideas que a veces se confunden. Hay que tener en cuenta también
las características del humanismo hispano. En general fue pobre en humanismo
filológico y no puede compararse con el foráneo, aunque falta estudiarlo y en
algunas líneas como la filología bíblica o en su reflejo en la creación temprana
de un castellano culto y literario es absolutamente comparable a cualquier otro.

Pero teniendo en cuenta ese marco hemos visto que en la primera mitad del
siglo Vives aparece sobre todo en forma de traducciones. Son traducciones li-
gadas siempre a grupos erasmistas y probablemente dirigidas al mismo tipo de
público. Influye en cambio poco en líneas de pensamiento o en obras del hu-
manismo de la época. Su difusión en ese período está fuertemente ligada a la
de la obra de Erasmo que le hace de sombra e impide distinguirla claramente.
A partir de la segunda mitad, en cambio, Vives crea unas líneas de pensa-
miento e incide en autores concretos. Ya no se hacen traducciones nuevas, si
exceptuamos la traducción parcial de los Diálogos. Sólo se reeditan las ya exis-
tentes y es entonces cuando el Vives de las obras mayores, el De disciplinis, el
De subuentione o el De veníate fidei deja sus huellas. Se afianza entonces tam-
bién en la Península, lo mismo que en Europa, el uso de los Diálogos como
texto escolar a pesar de esporádicas prohibiciones. Y es probable que también
la Introductio ad sapientiam y desde luego el Satellitium siue symbola se utiliza-
sen como textos para la enseñanza.

La inclinación saturnina de España, su sombría capacidad de devorar a sus hi-


jos, no impidió, por lo menos en el caso de Vives, que algo de él germinase y
228 Juan F. Alcina
diese fruto. Un fruto del que este trabajo sólo da una somera valoración, pero
que merecería algo más: desde un seguimiento preciso de los impresos a un
estudio en profundidad en campos que aquí sólo he esbozado y autores que no
he citado siquiera, como Furió Ceriol, Fox Morcillo o Pedro Juan Núñez, por
ejemplo. Haría falta en suma un "Vives y España" que si no tendría la impor-
tancia del "Erasmo y España" nos aclararía y perfilaría aspectos importantes de
la cultura española del siglo XVI.
Vives in deutschen Übersetzungen
(16. -18. Jahrhundert)

Dietrich Briesemeister (Berlin)

Kein spanischer Autor vor Cervantes ist im deutschen Sprachbereich so oft ge-
druckt und übersetzt worden wie Juan Luis Vives. Auch kein anderer zeitge-
nössischer Humanist, von Erasmus abgesehen,1 erreichte im 16. Jahrhundert
eine so hohe Zahl von deutschen Übertragungen. Weder in England, wo Vives
mehrere Jahre verbrachte, noch in Frankreich oder Italien und erst recht nicht
in seiner spanischen Heimat liegen Übersetzungen so vieler Einzelschriften vor
wie in den Ländern deutscher Zunge. Die Verbreitung der Vives'schen Werke
ist hier der Leistungsfähigkeit und dem Geschäftssinn von Druckern und Ver-
legern im Dienst des Humanismus, der Gelehrsamkeit sowie der Tagesaktuali-
tät zu verdanken. Die rege Übersetzertätigkeit spiegelt darüber hinaus jedoch
eine geistige Ausstrahlung des Vives im Zeitalter der Reformation sowohl in
katholischen als auch in protestantischen Gebieten, die sich im Unterschied zu
Erasmus bislang erst in Umrissen erfassen läßt. Im folgenden wird der Kom-
plex der deutschen Vives-Übersetzungen bibliographisch vorgeführt, die das
inzwischen vorliegende Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen
Drucke des XVI. Jahrhunderts (VD 16) (I, Bd. 21, Stuttgart 1994, S. 285 - 307)
keineswegs vollständig beschreibt. Es ergibt sich, anders als bei Erasmus, das
Bild einer gleichbleibend erfolgreichen, dichten Rezeption im deutschsprachi-
gen Raum nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch darüber hinaus bis in die
späte Barockzeit. Die Spuren dieser breiten Nachwirkung sollen hier in einigen
bildungs- und ideengeschichtlichen Zusammenhängen aufgezeigt werden und
im Sinne einer von Otto Herding2 bereits vor Jahren gewiesenen Richtung zu
genaueren Einzeluntersuchungen anregen, etwa über die eifrigsten Übersetzer
wie Heinrich Pantaleon, Georg Lauterbeck oder Heinrich von Eppendorff.

Vives, der noch nicht dreißigjährig bereits in Europa berühmt war, hatte auch
in Deutschland schon früh "ein grosse authoritet erlanget" (Heinrich Panta-
leon). Indem er eloquentia vollendet mit sapientia vereinigte, stellte er jenseits
der konfessionellen Auseinandersetzungen die Erfüllung des Ideals der docta
pietas dar. Seine deutschen Übersetzer priesen ihn daher auch mit fast

Heinz Holeczek, Bibliographie der deutschen Übersetzungen von Schriften des Erasmus von
Rotterdam 1518-1550, Stuttgart 1981, Bd. 1. Erasmus von Rotterdam, Deutsche Übersetzungen
des 16. Jahrhunderts, Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek 25. 2. - 3.5.1980, bearbeitet
von Irmgard Bezzel, München 1980.
2
Otto Herding, "Uber einige Richtungen in der Erforschung des deutschen Humanismus seit
erwa 1950", in: Humanismusforschung seit 1945, Bonn 1975, S. 107 (Mitteilung II der Kommis-
sion für Humanismusforschung der DFG).
230 Dietrich Briesemeister
gleichlautenden Formulierungen als "frummen hochgelerten vnd theüren mann"
(Kaspar Hedio), als "hochberühmpten theüren und Christlichen mann Gottes"
(ebenfalls Hedio) oder als "Fürtrefflichen vnd Hochgelahrten Herren" (Stephan
Agricola). Christoph Bruno erwähnt in einer Randbemerkung in der Vorrede
zur Vnderweysung ayner Christlichen Frauwen (1544), daß Vives in Brügge "vil
schöne bücher geschriben vnd die kunst des wolredens mit grossem lob das-
selbst geleret" habe und dort verstorben sei. Albert Oelinger verglich 1587 den
"weisen, verständigen" Denker mit Erasmus, verwies auf die Freundschaft und
den Briefwechsel der beiden mit berühmten Zeitgenossen sowie nicht zuletzt
auf den großen Erfolg der Bücher des Vives bei Lesern aus allen Ständen.

Mit ihren umfangreichen Würdigungen stellen der Züricher Polyhistor Konrad


Gesner (in der Bibliotheca universalis, Zürich 1545, Bl. 430v - 431r) und
Huldrich Coccius, der die erste lateinische Gesamtausgabe der Opera (Basel
1555) besorgte, die beiden wichtigsten Quellen dar für die im deutschen
Sprachraum nach Vives' Tod bis Daniel G. Morhof andauernde Hochschät-
zung, wie sie sich im biographischen Abriß niederschlägt, den Pantaleon 1571
seiner Übersetzung von De veritatefidei christianae voranstellte:
Er was ein weyser hochgelehrter mann, darzu in der wolredenheit treffentlich geübet: er
lag one vnderlaß ob den Bücheren, vnd begeret die guten künst vnd tugent nach seinem
vermögen zu fürderen.

Er unterscheidet sein Wirken als Sprachgelehrter (wie man Sprachen erlernt,


Briefe schreibt, die Studien reformiert) von dem des Philosophen und
Theologen, hebt aber eigens hervor, daß er "mit grossem ernst vnnd andacht"
für Laien als auch für Gebildete schrieb und sich "alle geleerten ab seinem
verstandt vnnd weyßheit verwunderen".
Es wäre eine eigene lohnende Aufgabe, die in Widmungsvorreden oder bei
Zitaten verstreuten Zeugnisse für diesen europäischen Nachruhm aufzuspüren.
Als spätes Beispiel aus Deutschland sei Johann Thomas Freige (1543 - 1583)3
erwähnt, zeitweise Rektor in Altdorf und Rhetorikprofessor in Basel, dessen
häufig aufgelegte Erläuterungen zu Vives' Colloquia einen neuen Abschnitt in
der Geschichte des Lateinunterrichts einleiteten. Der Schulmann bekannte
1582, daß er schon früh seinen Vives 'liebte'; er bewahrte eine tiefe Verehrung
für den Erneuerer der Philosophie und die elegantia seiner Sprache, die ihm
ganz im Gegensatz zur verbreiteten Unkenntnis der 'politior literatura' in Spa-
nien um die Wende zum 16. Jahrhundert zu stehen schien.
Semper enim mihi in philosophia et liberior et veracior aliis, et inter primos fuisse, qui
superioris seculi barbariem et sophisticam agnoverit, agnitamque protulerit, convicerit,
afflixerit, visus est.

3
Vgl. A D S 7,341 ff.
4
Colloquia sive exercitatio latinac linguaef Nürnberg 1582, S. 3.
Vives in deutschen Übersetzungen 231

Angesichts der immer heftiger werdenden spanienfeindlichen Stimmung mußte


sich Freige allerdings dafür rechtfertigen, daß er den freien und aufrechten
Geist eines Spaniers lobte, da Spanien zum Inbegriff der Unterdrückung (Uni-
versalmonarchie, Niederlande), der geistigen Unfreiheit (Inquisition) und
machiavellistischen Verstellung wurde (veracior als Widerspruch zu
'sincerieren', dem späteren ironisch-euphemistischen Ausdruck für den Einsatz
von Lüge und Täuschung in der spanischen Politik). Nach einer auf das ressen-
timentgeladene Urteil des Aragonesen Miguel Servet gründenden, über Seba-
stian Münsters Cosmographia weit verbreiteten Meinung gebe es in Spanien
weder Gelehrsamkeit noch Philosophie. "Die Spanier hand sinnriche Koepff,
aber werden in jrem studieren nimmer recht gelert." Servet fügte noch hinzu:
Semidocti, iam se doctos putant, sapientiam maiorem <^uam habeant simulatione et verbo-
sitate quadam ostentant, sophisticen plus satis diligunt.

Spanier und 'Sophistiker' - scholastischer Haarspalter - werden hier gleichge-


setzt. Im Bewußtsein einer übergreifenden Respublica literaria wehrt sich je-
doch der Philologe Freige dagegen:
Nec me movet quod Hispanus natione fuerit. Petrus Ramus Gallus est, Erasmus Batavus,
Sigonius Italus ... Melanchthon Germanus. Ego nationem non fugio, cum habeo eruditio-
nem quam sequar (erw. Werk, S. 5).

Gäbe es doch unter uns mehr Männer, die wie Vives - "ad vivum id non reseco",
fügt er im Wortspiel mit dem Namen hinzu - Wissenschaft mit Frömmigkeit
und Gottesgelehrsamkeit vereinten, dann hätten die Spanier schließlich etwas,
das sie gut und gern selbst ihren Feinden nachmachen könnten. Wären umge-
kehrt die Spanier, die so sehr auf Ehre und Moral bedacht sind, mit den
Schriften ihres Landsmannes besser vertraut als mit den Spitzfindigkeiten man-
cher Neuerer (quorundam recentium sophismata, Neuscholastik), dann könnten
sie anderen Ländern ihre Überlegenheit nicht nur durch Gold und Macht, son-
dern auch durch echte Weisheit und Wissenschaft zeigen. Vives wird hier in
nachtridentinischer Zeit einerseits als überkonfessionell verbindendes Vorbild,
andererseits - jenseits aller nationalstaatlichen Rivalitäten - als universale
Geistesgröße verstanden, und zwar an einer bedeutsamen Wende, da sich die
Ausstrahlung der spanischen Scholastik auf die protestantische Schulmetaphy-
sik bereits deutlicher abzuzeichnen begann. Das Schicksal des Emigranten und
der jüdischen Familie - diefatalis calamitas, von der Vives nur in Andeutungen
sprach, - wird in diesem Abriß einer geistigen Biographie freilich nicht erkannt.

Für die Übertragung der Schriften des Vives gibt es Anknüpfungspunkte und
Motive, die wiederum nur vor dem Hintergrund der politischen und geistig-re-
ligiösen Zeitlage verständlich werden. Abhandlungen zur Theologie, Logik,
Metaphysik oder Seelenlehre standen natürlich ebenso wenig an zur Überset-

5
Sebastian Münster, Cosmographia, Basel 1544, S. 47.
232 Dietrich Briesemeister
zung in die Volkssprache wie die Fachschriften auf dem Gebiet der Philologie
und Rhetorik. Diese hatten ihr internationales Leserpublikum, die Gelehrten-
republik. Dagegen wurden die Stellungnahme zum Zeitgeschehen und zu so-
zialen Fragen, die praktischen Unterweisungen für den Ehestand und die Kin-
dererziehung, die im Unterricht verwendeten Schülergespräche und die Bücher
zur christlichen Spiritualität in deutschen Fassungen für eine breitere Laien-
leserschaft zugänglich gemacht.
1532, vergleichsweise spät also, erschien in Straßburg bei Balthasar Beck als er-
ste Schrift von Vives auf deutsch Wie der Türck die Christen haltet so vnder jm
leben. Johannis Ludovici Viuis Valentini gschrifft. Sampt der Türcken ursprung
ßrgang vnd erweiterung biß auff den heüttigen tag in der Übersetzung von Kas-
par Hedio 6 und mit der Widmung an Martin Seyler, Schultheiß in seiner Ge-
burtsstadt Ettlingen. Der Übersetzung von De conditione vitae Christianorum
sub Turca (1529) sind auf ff. E iijv - vf einige kurze Auszüge beigefügt aus
Band III und V Wie die Disciplin vnd kunst sollen ßrgeben werden (über die
Sprache und über die Caritas), als Hinweis darauf, daß der Straßburger Geist-
liche und Schulmann Hedio nicht nur De disciplinis von 1531 schon kennt, son-
dern auch die Bedeutung dieses epochemachenden Werkes gegenüber einer
aus der unübersehbaren Flut von Drucken über die Türkengefahr7 keineswegs
herausragende Gelegenheitsschrift von 1529 erkennt. Deren Übersetzung ge-
hört jedenfalls zu den frühesten volkssprachlichen Fassungen eines Vives'schen
Werkes überhaupt. Vorausgeht die Utilissima consultatio de bello Turcico infe-
rendo (1530) von Erasmus, die verkürzt bereits 1531 auf deutsch herausge-
kommen war. Eine weitere Übersetzung von Vives' Pamphlet findet sich in ei-
ner großformatigen Sammlung von Türkentraktaten, die 1540 in Straßburg bei
Hans Schotten erschien: Türckischer Keyßer Ankunfft Kryeg vnd Handlung gegen
vnd wider die Christen, biß ynschlyeßlich vff den yetzt regierenden Solymannum
(Bl. LXV ff.), "verdolmetscht" durch Heinrich von Eppendorff, einem Freund
Huttens, der durch seine Auseinandersetzungen mit Erasmus bekannt wurde.
Der Titel lautet Wie erbärmklich vnder dem Türcken den Christen m leben sey
ein kurtze meidung Johannis Ludovici Viuis von Valentz in Hispanien mit einer
Initiale aus Holbeins Totentanzalphabet. Vorangestellt sind zwei weitere
Schriften, Ein Gespräch ... Von der Zwytracht so vnder den Christen in Europa
schwebt vnd vom Türckischen kryeg (Bl. XXII - LI), das ist der in Brügge 1526
geschriebene Dialog De Europae dissidiis et bello Turcico, sowie der Brief an
den englischen König Heinrich VIII. "De regni administratione, bello et pace"
vom 8. Oktober 1525 Wie sich ein Christlicher Fürst halten gegen seinen vn-

6
Vgl. N D ß 8 , 1 8 8 f.
7
Carl Göllner, Turcica, Die europäischen Tüikendrucke des 16. Jahrhunderts (Bd. 3: Die Türken-
frage in der öffentlichen Meinung Europas), Baden-Baden 1961 - 1978 (Bibliotheca Bibliogra-
phica Aureliana). E. Herrmann, Türken und Osmanenreich in der Vorstellung der Zeitgenossen
Luthers, Diss. Freiburg/Br. 1961. Rudolf Pfister, "Reformation, Türken und Islam", in:
Zwingliana 10 (1956), S. 245 - 375.
Vives in deutschen Übersetzungen 233
derthanen Wie hoch er sich auch den friden näheren vnd kryegßübel vß angebor-
ner frommkeyt flyehen fürkummen vnd abwenden soll (Bl. LH - LXIIII). Auch
diese beiden Texte schmückt eine Totentanzinitiale. Eine spätere Auflage der
Zusammenstellung erschien 1545 ebenfalls bei Schölten unter dem Titel Annal
Buch Der Römischen Rüningen Burgermeysteren vnd Keyßeren nammhafftige
Kryegßhändel.
1533 und 1534 erschien wiederum in Straßburg die deutsche Fassung von De
subventione pauperum (1526) bei Balthasar Beck oder Johann Prüss. 8 Kaspar
Hedio widmete die Von Almusen geben Zwey büchlin dem "Ersamen Radt vnnd
frummer burgerschafft zu Straßburg" und preist sie als "Allen Policeyen nutz-
lich zu lesen" an. Die zweite Auflage 1534 erhielt eine veränderte Titelfassung,
die den programmatischen Inhalt der Schrift rekapituliert Wannenher Ordnung
menschlicher beywonung Erschaffung der speyß anfang der Stätt allerley handthie-
rung außteylung der guter Vrsprung der Mintz wie die Metall in die weit kummen
Von Schul vnnd lermeistern. Wie man sol guts thun mit radtschlag fleiß arbeit
vnderrichtung gelt Das grosser Herrn macht auff den underthonen rüget Von
warem Gemeinem nutz. Wie man der Betlerey weren vnd der Armut in Repub. bey
zeit sol zuhilff kummen Von zucht armer leüt kinder Von dem Meinen vnd Deinen
dadurch all unrug in der weit entstadt Das Christenthumb sey in wolthat. Vnd wie
vil vnd auff was weiß einem jeden seye guts zu thun. Wie die Oberheiten jeder statt
vnd Pollicey dem verarmen yrer burger begegnen. Von Spitälen Weysenheüsern.
Von gemeinem almusen gegen armen gefangnen im krieg verbrenten Schiffbrüchi-
gen Jungkfrawen bey eren zubehalten Christen vom Türcken zu entledigen Vom
leisten willen der Stiffter.

Fast hundert Jahre später 1627 veröffentlichte der protestantische Theologe


Johann Valentin Andreae nach seiner utopischen Beschreibung des wahren
christlichen Gemeinwesens Reipublicae Christiano-politanae descriptio (1619)
eine neue Übersetzung von De subventione pauperum in Durlach Zwey Bücher
Ioannis Ludovici Vivis, welche in sich begreiffen, wie man solle die Armen vnder-
halten. Das 1. handelt de subventione privata, was ein jeder nach seiner Person,
das 2. de subventione publica, was ein Statt ins gemein thun soll. Im Umkreis des
markgräflichen Hofes hatte sich, ähnlich wie in Wolfenbüttel um Herzog

H. Grimm, "Luther's contributions to sixteenth century organization of poor relieF, in: Archiv
für Reformationsgeschichte 61 (1970), S. 222 - 234. Miriam Usher Chrisman, Strasbourg and the
Reform, A study in the process of change, New Haven, London 1967. Rudolph William Mienert,
The care of the poor as seen in sixteenth centuiy Protestant Church Ordinances, Diss. Rutgers
University, New Jersey 1974, S. 113 -124. Wilhelm Weitzmann, Die soziale Bedeutung des Hu-
manisten Vives, Diss. Leipzig 1905. Marcel Bataillon, "J. L. Vivès, réformateur de la
bienfaisance", in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 14 (1952), S. 141 - 158; auch in:
ders., Erasmoy el erasmismo, Barcelona 1978. A. Saitta, "Il 'De subventione pauperum' di Luis
Vives", in: Critica Storica 1972, S. 585 - 630. Thomas Fischer, Städtische Armut und Armenfür-
sorge im 15. und 16. Jahrhundert, Göttingen 1979. Christoph Sachsse, Florian Tennstedt, Ge-
schichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1980. Otto Winckelmann, Das Für-
sorgewesen der Stadt Straßburg vor und nach der Reformation bis zum Ausgang des 16. Jahr-
hunderts, Leipzig 1922 (repr. 1971).
234 Dietrich Briesemeister
August, seit Oelinger ein lebhaftes Interesse für Vives erhalten, das bei
Andreae bestärkt wurde durch die Suche nach der idealen Verfassung für ein
radikal christliches Gemeinwesen.
De communione rerum lag schon 1536 unmittelbar nach der Niederlage der
Wiedertäufer in Münster auf deutsch vor Von der gemeynschaft aller dingen.
Durch Hans Ludwig Vinis beschrieben, gedruckt in Straßburg bei Jakob Kamer-
lander und übersetzt von Hans Schweintzer.9
In den Jahren nach dem Tod des Erasmus wandten sich die deutschen Über-
setzer vorwiegend den moralistisch-didaktischen und geistlich-theologischen
Schriften von Vives zu. Nach der ersten deutschen Version von De concordia et
discordia in humano genere (1529) durch Leo Jud, einen der engsten Mitarbei-
ter Zwingiis in Zürich, Ein gar schon jaa nit minder nutzlichs buchlin in latin vß-
gangen durch den hochgeleerten heim Ludwigen Viues. Wohar Eintrechetikeit vnd
ouch zwitracht des die weit voll ist komme vnnd erwachse (gedruckt in Basel bei
Wolfgang Frieß 1537)10 entstand zunächst eine Pause, bis 1544, nachdem Vives
gestorben war, die beiden Übersetzungen von De officio mariti (1529) und De
institutione feminae christianae (1524) im gleichen Jahr erschienen, die 1566, zu
einem Handbuch vereinigt, erneut herauskamen (Von Gebirlichen Thun vnd
Lassen aines Ehemanns vnd Von vnderweysung ayner Christlichen Frauwen, zu-
erst bei Heinrich Stainer in Augsburg, dann in Frankfurt bei Christian Egenolff
gedruckt). Der Übersetzer ist der Rechtslizenziat und "poetische Lehrer" Chri-
stoph Bruno im Dienst des Herzogs von Bayern in München. Beide Prachtaus-
gaben zieren 26 Holzschnitte von Schäuffelein, Hans Burgkmair, Hans Weiditz
und dem Petrarcameister. Von Johann Jakob Galt stammt eine unveröffent-
lichte deutsche Fassung der Institutio feminae christianae, die 1606 Maria Anna,
der Gemahlin König Ferdinands II. gewidmet wurde (Österreichische Natio-
nalbibliothek, Wien, ms. 11848).

1545 erschien in Ingolstadt bei Alexander Weyssenhorn, ebenfalls von Bruno


übertragen, zunächst das Satellitium animi (1524). Die Titelfassung des der
englischen Königin Katharina gewidmeten Satellitium sive symbola spricht In-
halt, Funktion und Leserkreis des Spruchbüchleins an: Zwayhundert vnd drey-
zehen außerlesner Trabanten durch wolcher getrewe belaytung nit allain Fürstliche
vnnd Hochadeliche personen sonder auch ain jeder mensch zu bewarung leibs vnd
lebens vor allem lust vnd argem betrug der Widersacher gewäßlich versichert wärt.
1546 folgte ebenda die erste deutsche Fassimg der Introductio ad veram sapien-
tian (1524), Anlaitung zu der rechten vnd waren Weyßheit. Ro. Kii. Ma. Auch der-
selben Kiiniglichen geliebten Kindern zu Inspruck zu aller vnderthanigster

9
Vgl. ADB 33,364 f.
10
Vgl. NDB10,636. Irmgard Bezzel, "Leo Jud (1482 -1542) als Erasmusübersetzer, ein Beitrag zur
Erasmusrezeption im deutschsprachigen Raum", in: DVjs 49 (1975), S. 628 - 644. Karl-Heinz
Wyss, Leo Jud. Seine Entwicklung zum Reformator 1519 -1523, Bern 1976. Leo Weisz, Leo Jud,
Ulrich Zwingiis Kampfgenosse 1482-1542, Zürich 1942.
Vives in deutschen Übersetzungen 235
erzaigung verteutscht durch Christoph Bruno. König Ferdinand I., dem das
Werk gewidmet ist, hatte die Underweysung ainer Christlichen frawen gelesen
und Bruno daraufhin ermutigt, auch die Introductio zu übersetzen. Die
Bruno'sche Übertragung war in ihrer Zeit nicht die einzige. In einem Brief vom
23. August 1540 aus Glarus teilt der Schweizer Reformierte mit, er habe soeben
die deutsche Fassung der Introductio fertiggestellt11 und schicke Bullinger das
Manuskript zu mit der Bitte um Durchsicht vor der Drucklegung, zu der es
dann jedoch aus unbekannten Gründen nicht kam. Brunner pries das Werk als
Summe echter Gottesweisheit und Gelehrsamkeit, als sicheren Weg zur
Frömmigkeit für einfache wie für gebildete Leute und als wahrhaft "güldenes
Buch".
Im 17. Jahrhundert ist mit der deutschen Übersetzung der Einleitung zur
wahren Weisheitt, welche die älteste Tocher von Herzog August, Sibylla Ursula,
Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, ihrem Vater 1649 zum 70. Geburts-
tag schenkte, ein bemerkenswerter Rückgriff auf Frömmigkeit und Weisheit
des Spaniers in adeligen Kreisen zu verzeichnen (unveröffentlichtes Autograph
im Cod. Guelf. 56.7. Aug. 4° der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Die
Introductio kam beispielsweise in Helmstedt 1615 und 1630 sowie in Braun-
schweig 1657 in lateinischer Ausgabe heraus. Die 1656 in Hamburg und Wol-
fenbüttel gedruckte Anßhrung zu der Weißheit, die der Übersetzer nicht
namentlich zeichnet, ist jedoch nicht identisch mit der Übertragung der Herzo-
gin.
1673 und 1690 erschien eine Neuauflage der Hamburger Ausgabe unter dem
Titel Introductio ad veram sapientiam, das ist Ein gar herrliches büchlein des be-
rühmten Johann Ludovici Vivis, genant Anßhrung zur weissheit, der studirenden
jugend zu nutz in beyden sprachen herausgegeben zusammen mit Erasmus De
civilitate morum puerilium als Schule für Frömmigkeit und Sprache. Auch aus
dem 18. Jahrhundert sind noch mindestens zwei deutschsprachige Ausgaben zu
verzeichnen (Nürnberg 1714, Breslau 1756).
Zurück zur chronologischen Abfolge der Übersetzungen von Vives' Schriften:
nach den beiden Büchern zum Ehestand kam erst 1559 wieder ein Werk auf
deutsch in Erfurt heraus Dialogus. Das ist Ein Gesprech Von der Kinderzucht
oder von den Sitten der Jugendt, übersetzt von Stephan Agricola dem Älteren.
Während der zweiten und dritten Periode des Tridentinischen Konzils (bis
1563) erschienen keine weiteren deutschen Vives-Übersetzungen. Erst in den
70er Jahren entstand eine bemerkenswerte neue Bewegung, die 1571 eröffnet
wird mit Heinrich Pantaleons Übertragung von De veritate fidei christianae libri
V (1543) unter dem Titel Warhafftige Bestätigung des Christenlichen Glaubens,
inn Fünff Bücheren ordenlich begriffen. In diesen ist wider alle Philosophen, Ju-
den, Machometisten, Türcken, Sarracenen, Tartaren, Araben, Heyden, vnnd aller

11
Juan Luis Vives, Epistolario, Ed. J. Jiménez Delgado, Madrid 1978, S. 630 f.
236 Dietrich Briesemeister
andern außerlendischer Nationen Secten, oder falsche Christen, mit Göttlichen,
Prophetischen, Natürlichen, Historischen vnnd vernüfftlichen Argumenten krefftig-
lichen bewiesen, daß ... Jesvs Christvs der wäre Gottes Sun ... auf das treüwlichest
verteutschet... Also daß der fleyssige Läser ein grossen verstandt hertzlichen trost
vnnd gewüsse Versicherung seines heyl in dieser leisten gefehrlichen zeyt hie zu
erlernen. Es bleibt ungeklärt, ob Pantaleon die von dem Hebraisten und Theo-
logen Konrad Pellikan angefertigte Übersetzung von De veritate, Band III, die
nicht erhalten ist, in seine Ausgabe übernommen hat. Pellikan war ein großer
Bewunderer von Vives in Zürich.

Die zweite deutsche Übersetzung von De concordia vollendete Georg Lauter-


beck, ein gebürtiger Bayer, Doktor der Rechte, Stadtschreiber zu Naumburg
und Kanzler im Mansfeld, kurz vor seinem Tod. Es trägt den Titel Ioannis
Ludovici Vivis Des Weitberiihmbten Hochgelehrten Herrn vier schöner herrlicher
vnd nützlicher Bücher von Einigkeit vnd zwytracht in dem menschlichen Ge-
schlecht ... jetzundt gemeiner Teutscher Nation vnd allen Friedliebenden Men-
schen hohes vnd nidrigen Standes zu nutz und gutem ins Teutsch gebracht Auß
welchen zu sehen und mit schönen Exempeln auß den besten Historien und Sprü-
chen derH. Schrift bewiesen vnd außgeßhrt was Fried vnd Einigkeit für nutz und
was die verfluchte Discordia und Zwytracht für Schaden in der Welt pflegen anzu-
richten.

Interessanterweise nimmt der Übersetzer (Bl. 61 - 78) "einige Gebet" (Preces et


meditationes quotidianae) auf und fügt auch noch an Ein herrlich schön und
nützliches Büchlein ... De pacificatione, das ist von Christlichen vertrügen Oder
wie ein jeder Christ für sich zu Fried und Eintracht sol geneiget seyn Und immer
einer den andern auß Christlicher hertzlicher Liebe und Treuwe zu Friede wie er
kan und mag erinnern und anhalten, ein Werk, das Vives nach Abschluß der
Kaiser Karl V. gewidmeten De concordia 1529 verfaßte. Die Concordia hatte
(wie die Entwicklung der Friedensidee) große Bedeutimg.12

Den Abschluß der Übersetzungen bilden im 16. Jahrhundert die Exercitationes


linguae Latinae Zwölf nutzliche Gespräche ... aus Lateinischer vnd Frantzösischer
In die hochteutsche Sprache gebracht der Jugend vnd Liebhabern derselbigen zue
gueten zu sammengetragen von Albert Oelinger, Hofrat in Durlach (Speyer
1587).

12
Gerhard Müller, Sebastian Francks Kriegsbüchlein des Friedens und der Friedensgedanke im
Reformationszeitalter, Diss. Münster 1954. Otto Herding, "Humanistische Friedensideen am
Beispiel zweier Friedensklagen", in: Die Humanisten in ihrer politischen und sozialen Umwelt,
Hrsg. O. Herding, Robert Stupperich, Bonn 1976. S. 7 - 34 (Mitteilung III der Kommission für
Humanismusforschung). J. A . Fernández-Santamaría, The State, War and Peace. Spanish politi-
cal thought in the Renaissance 1516 -1559, Cambridge u. a. 1977. Jean-Claude Margolin, Guerre
et paix dans la pensée cfErasme, Paris 1973. I. Thürlemann, Erasmus von Rotterdam und Juan
Luis Vives als Pazifisten, Diss. Freiburg/Schweiz 1932.
Vives in deutschen Übersetzungen 237
Die Vorrede zu dieser Auswahl ist Johann Kasimir Pfalzgraf bei Rhein gewid-
met. Oelinger stellt darin fest, daß es wohl keine deutsche Übersetzung gebe
"von den mercklichsten vnd nutzlichsten gesprechen" und es sei bedauerlich,
"das diselbigen sonderlich dem gemeinen man so der lateinischen unerfahren
nit zu nütz kommen vnnd allein im Latein bleiben sollten".
Die Schülergespräche13 erfreuten sich bis in das 17. Jahrhundert hinein großer
Beliebtheit. Um 1613 gab der Schuheformer und Marburger Professor Chri-
stoph Helwig (1581 - 1617) Famiiiana colloquia heraus, die eine Auswahl von
Texten des Erasmus und Vives mit deutscher Übersetzung enthalten. Dieses
Lehrbuch erfuhr bis 1663 mindestens sechs Auflagen in Marburg und wurde
noch 1687 in Nürnberg nachgedruckt.
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erweiterte sich der Kreis der Schriften des
Vives auf deutsch noch einmal mit dem Buch der Erweckungen des Gemuets ge-
gen Gott, der Auslegung zum Gebett des Herren sowie Tegliche Gebett und Be-
trachtungen, die alle ungedruckt blieben (Cod. Guelf. 12. 5. Aug. 4°).
Georg Fehlau, Prediger an der Danziger Marienkirche, nahm 1661 Verdeutschte
kurtze, aber sehr geistreiche Andachten und Gebehte von dem Morgen an bis in
die Nacht in sein lutherisches Andachtsbuch Heilige Morgen- und Abendwache
vnd Gott-gefälliger Tag vnd seelige Nacht (Amsterdam 1661).
Das Ergebnis dieser chronologischen Übersicht zur deutschen Vivesrezeption
in zwei Jahrhunderten ist überraschend. Demnach kennen wir die stattliche
Zahl von 17 Schriften in 25 verschiedenen Übersetzungen, die zum Teil mehr-
fach in Druck erschienen, zum Teil aber auch unveröffentlicht blieben bzw.
verloren gingen. Am häufigsten wurde die Introductio ad veram sapientiam
übersetzt (4 Versionen, davon eine verschollen). Die Preces erfuhren drei
Übersetzungen. Jeweils zwei verschiedene deutsche Fassungen hegen vor von
De conditione vitae Christianorum sub Turco, De subventione pauperum, De
concordia et discordia und der Linguae Latinae exercitatio. Jeweils einmal wur-
den übertragen De institvtione feminae christianae, De Europae dissidiis, der
Mahnbrief an Heinrich VIII., De communione rerum, De officio mariti, Satelli-
tivm, De ventate Christiana, De ratione studii, De pacificatione, die Excitationes
animi in Deum sowie der Commentarivs in Orationem Dominicam. Damit
überflügelt Vives bei weitem Antonio de Guevara und andere spanische zu-
meist geistliche Autoren, die sich im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland
großer Beliebtheit erfreuten. Eine vergleichbar dichte Vives-Rezeption fand in
Frankreich statt, allerdings mit anderen zeitlichen und thematischen Schwer-
punkten sowie unter anderen politisch-religiösen Umständen. Von der Instituto
feminae christianae und Introductio ad veram sapientiam gibt es hier sogar je-
weils drei verschiedene Fassungen (1541/42 - 1579 - 1587 bzw. die Divine philo-

13
Louis Massebieau, Les colloques scolaires du seixième siècle et leurs auteurs. 1480 -1570, Genf
1968 (Reprint).
238 Dietrich Briesemeister
sophie 1550 und 1553). De officio mariti, Exercitationes linguae latinae und die
Preces liegen in je zwei französischen Versionen vor. De subventione pauperum
kam erst 1583 auf französisch heraus. Überraschend sind hingegen Überset-
zungen der Kommentare zu Augustinus De civitate Dei (Paris 1570) und zu
Sueton. Wenngleich Erasmus noch häufiger als Vives ins Deutsche übertragen
wurde, so erstreckt sich die deutschsprachige Rezeption des Vives bis weit in
das 17. Jahrhundert hinein. Die Druckorte der deutschen Vives-Übersetzungen
hegen im 16. Jahrhundert hauptsächlich im oberdeutsch-schweizerischen
Raum, mit Straßburg und Basel im Westen, Augsburg und Ingolstadt im Osten.
Hinzu kommen Frankfurt, Erfurt und Speyer, aber auch Dillingen und Leipzig
finden sich unter den Verlagsstädten, die überwiegend der Reformation anhin-
gen (außer Ingolstadt und Dillingen, die stark jesuitisch geprägt waren). Die
lateinischen Drucke kamen hauptsächlich aus Baseler14 und Kölner Pressen.
Die Übersetzer gehören auffälligerweise alle bis auf den Bayern Christoph
Bruno15 zum protestantischen Lager.

Vives wird über die Reichsstadt Straßburg durch den aus Mainz gekommenen
Theologen und Domprediger Kaspar Hedio oder Heyd (1494 -1552), einen der
führenden Männer in der reformatorischen Bewegung, mit einer überaus aktu-
ellen Gelegenheitsschrift in deutscher Sprache vorgestellt. Hedio, der sich zu-
sammen mit Johannes Sturm dem Aufbau des öffentlichen Schulwesens wid-
mete und auch die städtische Armenfürsorge neu organisierte, stellt Vives als
einen politischen Autor vor, der "gar treülich die historien ersucht hat und all-
hie summieret" zur Warnung vor der Türkengefahr. Er "verdolmetscht" das
Büchlein als propagandistische Handreichimg für jene, die in den Krieg ziehen,
sich schon auf Heerfahrt befinden oder aber daheim bleiben und informiert
werden müssen. Wie schon zur Zeit der frühen Entdeckungen in der "Neuen
Welt" war Straßburg ein Umschlagplatz für die europäische Nachrichtenüber-
mittlung und einer der bedeutendsten Orte für den Buchdruck und Buchhan-
del.

Mit der bezeichnenderweise dem Rat und der Bürgerschaft von Straßburg ge-
widmeten Übersetzung von De subventione pauperum griff Hedio zu einem frü-
hen Zeitpunkt in eine umstrittene Angelegenheit ein, in die Auseinanderset-
zungen um die von der kirchlichen Zuständigkeit zu lösende Armenfürsorge,
die Luther 1520 mit der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation ent-
facht hatte. Als Vorspann zu seiner Übersetzung bietet Hedio einen Bericht
über den vorbildlichen Stand der städtischen Wohlfahrtspflege mit Lucas
Hackfurt als erstem vom Rat bestellten Wohlfahrtspfleger seit 1523 und späte-
ren Prinzipal an der Lateinschule. In diesem Amt erfüllte der zeitweilig mit den

14
Carlos Gilly, Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600, Basel, Frankfurt 1985.
15
Karl v. Reinhardstöttner, "Zur Geschichte des Humanismus und der Gelehrsamkeit in München
unter Albrecht dem Fünften", in: Jahrbuch für Münchner Geschichte 4 (1890), S. 45 -174, hier S.
64-74.
Vives in deutschen Übersetzungen 239
Wiedertäufern sympathisierende "Aufsichtsbeamte" bereits eine der wichtigen
Forderungen aus der 1526 dem Stadtrat von Brügge gewidmeten kühnen
Programmschrift De subventione pauperum zur Neuorganisation des Armenwe-
sens in weltlicher Zuständigkeit. Vives hatte möglicherweise Kenntnis von den
Straßburger Regelungen. Die deutsche Übersetzung gab den Behörden und
verantwortlichen Bürgern einen Leitfaden der öffentlichen Fürsorge und
Armenerziehung zur Hand, dessen "prophetischer Pragmatismus" die bereits
gemachten Erfahrungen positiv wertet und bestätigt aufgrund der Analyse
menschlicher Lebensbedürfnisse sowie der damit verbundenen sozialen Pro-
bleme, zugleich aber auch den Rahmen absteckt für die noch der Lösung har-
renden Probleme im Bereich der Armenhilfe. Alle Überlegungen zielen darauf
ab, die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten und abzusichern. Der um-
ständliche deutsche Titel der zweiten Auflage unterstreicht wie der Maßnah-
menkatalog eines Projekts die Intention der Schrift als praktischer Handlungs-
zuleitung. Ganz im Sinne von Hedios seelsorgerischem Eifer wird dabei der
Nachdruck auf die sittliche, persönliche Verhaltensänderung bei den Armen
selbst gelegt, die unterstützt werden muß durch flankierende Maßnahmen wie
Gesundheitsfürsorge, Schulunterricht, Darlehen für junge Handwerker,
Arbeitsplatzbeschaffung, Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit und Benachtei-
ligung der Schwachen. Hedio gibt sich wie Vives und andere über die sozialen
Zustände der Zeit besorgten wachen Geister nicht ab mit der Erklärung, daß
Armut und Elend den Menschen von Gott als Geißel auferlegt seien. Vielmehr
sind sie wie der Krieg Folgen menschlicher Fehler und Schuld.
So kommt es nicht von ungefähr, daß auch die dritte der politisch-sozialen
Schriften von Vives in Straßburg übersetzt und gedruckt wurde: Von der ge-
meynschafft aller dingen (1536 bei Jakob Kamerlander). "Diß Büchlin gehört
jetzt uff die ban/ Obs viln mißfalt da ligt nit an" lautet das Motto auf dem Titel-
blatt des von Hans Schweintzer übersetzten Werkes über den Besitz und das
Gemeinwesen. Schweintzer, ein Schlesier und Anhänger des Kaspar von
Schwenckfeld, mit dem er 1529 nach Straßburg geflüchtet war, versuchte wie
Hackfurt und seine Gleichgesinnten das Ideal einer christlichen Gesellschaft
radikal zu verwirklichen. Die Übersetzung von De communione rerum richtete
er an alle Fürsten, Grafen, Herren, Richter, Räte und Amtsleute zur Belehrung
über den Geist echter Gemeinschaft. Übersetzen bedeutete ihm Dienst am
Nächsten, Caritas. Daß er, um die 'brüder inn Christo' zu einem verinnerlichten
Verständnis der Heiligen Schrift hinzuführen, auf den "fromm vnd wol gelert
Hans Ludwig genannt Viuis" zurückgriff, ist bezeichnend für den tätig-reforme-
rischen Aufbruch im Straßburger Stadt- und Kirchenregiment, dessen Anliegen
Vives mit seiner Erfahrung sowohl aus dem spirituellen wie sozial-wirtschaftli-
chen Raum der Niederlande anzusprechen vermochte. Religiöse Motive, prak-
tischer Bezug und geistiges Programm stehen miteinander in Einklang. In die-
sen Wirkungskreis der um Ausgleich und Frieden bemühten politisch-philoso-
phischen Schriften des Vives fügt sich schließlich die Übersetzung Ein gar
240 Dietrich Briesemeister
schên jaa nit minder nutzlichs bSchlin in latin vßgangen durch den hochgeleerten
herrn Ludwigen Viues. Wohar Eintrechtikeit vnd ouch zwitracht des die weit voll
ist komme vnnd erwachse (Exemplar Bibliothèque Nationale, Paris, Rés. R.
1358) durch Leo Jud (1482 - 1542). Der Geistliche hatte bereits 1520/21 eine
Reihe wichtiger Schriften des Erasmus übersetzt (Enchiridion, Ein klag des
Frydens und Ein nutzliche vnderwisung eines Christlichen fürsten wolzu regieren).
Auch in den dreißiger Jahren widmete er sich weiterhin dem Übersetzen. Nach
den Worten seines Sohnes wollte er den "gelehrten und ungelehrten leyen, die
damalen alle bûcher mit grossem fleiss lasend, dienen, damit sy evangelischer
Warheit berichtet wurding". Die besten und bedeutendsten Werke, die den
Glauben festigen und fördern, sollten daher ins Deutsche übertragen werden.
Weisz berichtet in diesem Zusammenhang, leider ohne Quellenangabe, von ei-
ner Übersetzung des Vives'schen 'Ehebuchs' durch Leo Jud 1533, die er jedoch
nicht zum Druck gegeben habe, weil in Straßburg im gleichen Jahr eine andere
deutsche Fassung dieses Buchs erschienen sei (erw. Werk, S. 110). Gedruckte
deutsche Übersetzungen der Institutio feminae christianae und De officio mariti
sind jedoch erst elf Jahre später festzustellen. Es handelt sich also vielleicht um
ein letztlich doch nicht verwirklichtes Vorhaben oder um ein Mißverständnis.
Ein Jahr nach Veröffentlichung der berühmten Konkordienformel erschien sie
in Frankfurt 1578 in einer zweiten deutschen Übertragung. Damit blieb das
große Anliegen der Erziehung zum Frieden im politischen und konfessionellen
Bereich auf eindrucksvolle Weise gegenwärtig.

Auch De pacificatione beschwört in einer biblisch-exegetischen, theologischen,


moralischen und anthropologischen Betrachtung über die Friedfertigen, paci-
fici, die Friedenspflicht des wahren Christen. Alle Menschen müssen Frieder,
pacificatores, sein. Die Schrift ist eine fromme Handreichung, die im großen
anthropologischen Aufriß einer Societas Christiana aus der Sicht der Bergpre-
digt eine praktische Anleitung zum Friedenstiften und Friedenerhalten bietet.
Der Friede begründet als contrat social die Gemeinschaft der Menschen und
deren himmlische Bestimmung.
Die deutschen Fassungen der beiden 'Ehebücher' von 1544 führen uns in einen
ganz anderen Rezeptionszusammenhang. Als Prachtausgaben unterschieden sie
sich äußerlich durch das Folio-Format und durch reiche künstlerische Aus-
stattung von den übrigen deutschen Vives-Übersetzungen. Während die Insti-
tutio feminae christianae in spanischer Übersetzung schon seit 1528, ebenfalls
mit prächtigen Holzschnitten geschmückt, vorlag und zu einem großen Buch-
erfolg wurde (sechs Neuauflagen bis 1555), erschien die früheste von drei fran-
zösischen Fassungen nur wenige Jahre vor der deutschen (um 1541/42), die ita-
lienische Version folgte zusammen mit De l'Ufficio del marito 1546. Im deut-
schen Sprachraum - und nicht nur hier (vgl. etwa Joao de Barros: Espelho de
Casados, Porto 1540; Vives hatte ihm seine Excitationes animi in Deum zuge-
eignet, ferner die kastilische Übersetzung Carro de las donas [Valladolid 1542]
des Libre deles dones von Francesch Eximeniç [Barcelona 1495]) - drängen
Vives in deutschen Übersetzungen 241
sich auffällig um die vierziger Jahre eine Reihe von Ehestandsbüchern. Das
Thema beschäftigte die Humanisten sehr stark, gewann aber auch in der kon-
fessionellen Standesliteratur zusammen mit Fragen der Erziehung und Schul-
organisation große Bedeutung. Die bereits 1526 veröffentlichte Christiani matri-
monii institutio des Erasmus, die ebenso wie Vives' Institutio feminae christianae
der ersten Gemahlin von König Heinrich VIII., Katharina von Aragonien, ge-
widmet ist, wurde erst 1542 ins Deutsche übertragen und bei Balthasar Beck in
Straßburg verlegt (Bezzel Nr. 95), obwohl Erasmus schon viel früher volks-
sprachliche Fassungen seiner erbaulichen Schriften befürwortet hatte. In Augs-
burg erschienen im gleichen Jahr auch seine Jugendschrift Encomium matri-
monii und 1545 die Colloquia (Bezzel Nr. 87) auf deutsch. Daneben steht ein
überaus erfolgreiches Ehebüchlein traditionellen Zuschnitts von Albrecht von
Eyb (gest. 1475),18 das Heinrich Steiner in Augsburg 1540 mit Holzschnitten in
12. Auflage herausbrachte. Derselbe Drucker warf aber auch 1545 Ein schön
herlich Büchlin einer trewen unnd seligen underweisung wie sich zwey Eeleut gegen
einander halten sollen von dem "hochberümbten gelerten mann" Plutarch auf
den Markt, in der Übersetzung des neulateinischen Dramatikers und Profes-
sors Hieronymus Ziegler (1514 - 1562). Die erste spanische Übersetzung der
Introductio wurde in der Antwerpener Ausgabe 1551 mit Plutarchs Carta a los
casados zusammen gedruckt. Die Coniugalia praecepta waren andererseits in
Eppendorffs deutscher Ausgabe von Plutarchs Guter Sitten einvndzwentzig Bü-
cher (Straßburg 1535) enthalten. Außerdem nahm sie Albert Drach in Eyn
schöne auszbündige Ehetafel (Marburg 1546) auf. Neben dem spätmittelalterli-
chen Typ der Eheunterweisung (Eyb), der antiken Moralistik (Plutarch) und
Erasmus ist schließlich im immittelbaren Umkreis der Erscheinung von Vives'
beiden epochemachenden Schriften auf die reformatorische Lehre und insbe-
sonders auf das bedeutendste Ehebuch der Reformation von Heinrich Bullin-
ger Der Christlich Eestand (1540) hinzuweisen.17 Der Organisator der Zürcher
Kirche stützte sich wesentlich auf Gedanken von Erasmus und Vives, führte sie
aber zugleich auch weiter und bildet eine Brücke zum Familienbuch in England
durch die Übersetzung von Miles Coverdale (The Christen State of Matrimonye,
1541, fortgesetzt 1552). Damit sind nur einige Perspektiven in dem breiten Feld
zeitgenössischen Ehe- und Standesschrifttums umrissen, welche die Aufnahme
von Vives' Underweysung ayner Christlichen Frauwen (Augsburg 1544) und Von
Gebirlichen Thun vnd Lassen aines Ehemanns (ebenda) kennzeichnen. Beide
Übersetzungen stammen von einem der bedeutendsten Vertreter des bayeri-
schen Humanismus, Christoph Bruno, "Poet der löblichen und hochberümpten
Statt München", "poetischer Lerer" daselbst, Lizenziat der Rechte und herzog-
licher Hofrat. Bemerkenswert für das katholisch-bayerische Umfeld der Lehr-

18 Vgl. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, Berlin 1978, Bd. 1, S. 180 ff. -
Erstausgabe Nürnberg 1472, s. G W 9520-9528.
17 Alfred Weber, Heinrich Bullingers Christlicher Ehestand, seine zeitgenössischen Quellen und
die Anfänge des Familienbuches in England, Diss. Leipzig 1929.
242 Dietrich Briesemeister
tätigkeit Brunos ist die Abhandlung in Buch 1, Kapitel V "Welche Scribenten
zu lesen und wölche nit zu lesen sind" mit der Verurteilung auch in Deutsch-
land inzwischen beliebter Lesestoffe (Ritter- und Liebesromane wie Amadis
und kercker der lieb (Diego de San Pedro) sowie der Celestina, die von Chri-
stoph Wirsung aus Italien mitgebracht, in Augsburg übersetzt und dort zweimal
in herrlicher Aufmachung gedruckt wurde (1520 und 1534). Das Streitgespräch
zwischen Amusus und Urbanus als Prolog zur Ausgabe von 1534 entwickelt
hundert Jahre vor Kaspar von Barths Abhandlung die früheste kritische Dis-
kussion über die Deutung der Tragicomedia.
War die Institutio der Herzogin Jacoba von Bayern und ihrer Tochter Mecht-
hild zugeeignet, so widmete Bruno die deutsche Fassung von De officio mariti
dem Bürgermeister und Rat der Stadt München. Es ist beachtenswert, daß die
Übersetzung dieser beiden für eine fortschrittliche Mädchen- und Frauenbil-
dung18 so bedeutsamen Bücher im katholischen Bayern entstanden und von
dort aus zur Verbreitung der Lebenslehre des Vives beitrugen. In seiner Vor-
rede zum Gebirlichen Thun vnd Lassen aines Ehemannes stellt Bruno zur
Rechtfertigung seiner "auß rechter Brüderlicher hebe" zum öffentlichen Nutzen
gefertigten Übersetzung fest:
Es ist bißher in mancherlay spraachen von den aller schlechtesten und geringsten dingen
als unter anderen wie man ain roß erkennen, zäwmen und artzneyen soll vom kochen
bawen fechten und dergleichen mit höchstem fleiß gschriben und gelert worden: Aber was
für aine oder wie man ain weyb aufferziehen erwölen nemen lieben und regiern Darzu wie
man ainen Haußwürdt suchen außerlesen und inn erren halten solte daruon haben gar we-
nig ja schier kainer und dasselbig schlechtlich und oben hin unterweysung geben.

Die Wirkung der erbaulichen Schriften, Sprach- und Gebetssammlungen war


bei Altgläubigen wie bei Anhängern der Reformation in den deutschen Län-
dern gleichermaßen ausgeprägt. Die evangelische, verinnerlichte und mensch-
lich gewinnende Frömmigkeit des Vives übte jenseits des Theologengezänks,
der Apologetik und der konfessionellen Territorialgrenzen eine über
Generationen hinweg ungebrochene Anziehung aus und schuf eine eigene
Ökumene.
Innerhalb weniger Jahre erschienen hintereinander zwei spanische und drei
französische Übersetzungen der Introductio ad veram sapientiam,19 die für die
Suche nach einer neuen intimen Religiosität in der von Glaubenskämpfen er-
schütterten, verunsicherten Christenheit sprechen. Zwei Jahre nach der spani-

18
Foster Watson, Vives and the Renaissance education of women, New York 1912. Wilhelm
Ruhmer, Pädagogische Theorien über Frauenbildung im Zeitalter der Renaissance, Diss. Bonn
1915. J. G. Wuterich, Juan Luis Vives, The instruction of the christian woman, A critical evalua-
tion and translation, Diss. Boston College 1969. Ruth Kelso, Doctrine for the Lady of the Re-
naissance, Urbana 1956. G. Bochi, L'educazione femminile dalf Umanesimo alla Controriforma,
Bologna 1961.
19
Eugene F. Rice, The Renaissance idea of wisdom, Cambridge/Mass. 1958. M. L. Tobriner, J. L.
Vive? 'Introduction to wisdonf, Diss. Stanford University 1966.
Vives in deutschen Übersetzungen 243
sehen Introducción para ser sabio (Sevilla 1544), übersetzt von Francisco
Cervantes de Salazar, der wenig später seinen Lateinunterricht als Professor an
der Universität Mexico anhand der um einige mexikanische Dialoge vermehr-
ten Exercitationes des Vives abhalten sollte, (eines der frühesten Zeugnisse der
Buchdruckerkunst in der Neuen Welt). 1551 erschien in Antwerpen die zweite
Übersetzung Introduction ala sabiduría zusammen mit einer "Carta que enseña
alos casados como se han de auer en su biuir" nach Plutarch. Die französischen
Übersetzungen erschienen in dichter Folge zwischen 1550 und 1553. Die deut-
sche Fassung von 1546 enthält 600 Sinnsprüche dieser Philosophia Christi.
Unter den erst spät zur Wirkung kommenden theologischen Schriften nimmt
die deutsche Übersetzung der fünf Bücher De veritate fidei christianae, die
Franz Cranevelt 1543 in Basel postum herausgegeben hatte, einen markanten
Platz ein. Der vielschreibende Baseler Historiker, Professor, Prediger, Medizi-
ner und Übersetzer Heinrich Pantaleon (1522 - 1595)20 übertrug auf Anregung
einer nicht genannten hochgestellten Persönlichkeit, mit der er auf dem letzten
Reichstag in Speyer 1570 zusammengetroffen war, diese apologetische Ab-
handlung des christlichen Bekenntnisses zur friedlichen Bekehrung der An-
dersgläubigen, Juden und Mohammedaner. Pantaleon nennt sie den Schwa-
nengesang des Vives. Das Buch wirkte ebenfalls über die Konfessionsschranken
hinaus auf die christliche Apologetik der Frühen Neuzeit und wurde auch zur
geistlichen Erbauung empfohlen.
Inwieweit Vives' Gedanken zur Bildungsreform bereits bei den elsässischen
Schulmännern im frühen 16. Jahrhundert wirksam wurden (die Schrift In
pseudo-dialecticos erschien 1520 in Schlettstadt), bleibt im einzelnen noch
sorgfältiger zu untersuchen. Wie bei der Armenfürsorge kam es auch bei der
Neuordnung des Gymnasialwesens zu Konflikten zwischen weltlicher Obrigkeit
und Kirchenmännern. Vor der Reformation war die Schule eine kirchliche An-
gelegenheit gewesen. Der 1536 vom Straßburger Stadtrat zum Scholarchen be-
rufene Johann Sturm (1507 - 1589)21 hatte 1524 in Löwen am Collegium Tri-
lingue, ab 1529 in Paris studiert und gelehrt. Wahrscheinlich kam er in den
Niederlanden nicht nur mit den Gedanken und Bildungsidealen des Erasmus,
sondern auch mit Vives' Schriften, wenn nicht sogar mit ihm persönlich in Be-
rührung.22 Sturms Auffassungen von der pietas litterata und von der Schule als

20
Vgl. ADB 25, 128 ff. Hans Buscher, Heinrich Pantaleon und sein Heldenbuch, Basel 1946
(Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Bd. 26) erwähnt die Übersetzung nicht. Ferner:
Paul Graf, L, Vives als Apologet, Freiburg 1932.
21
Walter Sohm, Die Schule Johann Sturms und die Kirche Straßburgs in ihrem gegenseitigen Ver-
hältnis 1530- 1581, München 1912 (Historische Bibliothek, 29). Pierre Mesnard, "The pedagogy
of Johann Sturm 1507 - 1589 and its evangelical inspiration", in: Studies in the Renaissance 13
(1966), S. 200 - 219.
22
K. Wolf, "J. L. Vives und Johannes Sturm", in: Zeitschrift für die Geschichte der Erziehung und
des Unterrichts 17/19 (1927), S. 154 - 172. - M. Müller, "Geschichte und allgemeine Bildungs-
theorie. Eine Untersuchung über die Auffassung des Geschichts-Unterrichts bei J. L. Vives und
P. Melanchthon", in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 14 (1963), S. 420 - 428.
244 Dietrich Briesemeister
"Teil einer großen Bürgerpädagogik auf Gott hin im Namen der Liebe" berüh-
ren sich eng mit den Anliegen Vives', religiöse Erneuerung, Lebenslehre und
humanistische Didaktik miteinander zu verbinden. Straßburg rückte seit 1538
nach Sturms beiden Schriften De amissa dicendi ratione et quomodo recu-
peranda sit und De litterarum ludis rede aperiendis in den Mittelpunkt des
pädagogischen Interesses der Zeit beim Versuch, ein neues gymnasiales Erzie-
hungsprogramm organisatorisch-didaktisch zu verwirklichen. Die Colloquia des
Erasmus wurden 1518 erstmals ohne dessen Wissen von dem Schlettstädter
Humanisten Beatus Rhenanus zum Erlernen der lateinischen Sprache erwei-
tert. Für die Breitenwirkung dieser Anleitung zeugen eine Reihe deutscher
Einzelübersetzungen seit 1524 sowie die umfangreiche Auswahl der Gespräche
von Justus Alberti (Augsburg 1545). In den dreißiger Jahren beherrschte
Erasmus (auch mit mehreren Übersetzungen von De civilitate morum 1530) das
Feld (Kinderzucht, Augsburg 1531; Zuchtbüchlein, Leipzig 1532; Höflich vnd
züchtig Sitten, Nürnberg ca. 1537). Vives seinerseits kam erst 1539 nach dem
Tod des Erasmus mit seinen in der Folge weit verbreiteten Exercitationes lin-
guae latinae (oder Dialogi) heraus. Sie wurden, wie ihr Kommentator Johann
Thomas Freige (Colloquia sive exercitatio latinae linguae, Nürnberg 1582 u. ö.)
bestätigt, auf den Lateinschulen fast ausnahmslos verwendet:

quos cum studiose a pueritia legissem, eosdemque certatim in omnibus fere scholis
enarrari viderm, multos autem de difficultate vocabulorum, quae passim minime obvia
occurrunt, conquerentes audirem (S. 4);

da er es dennoch weiterhin für das nützlichste Lehrbuch hält, gibt er es mit


Erläuterungen heraus. Das Gespräch von der Kinderzucht oder von den Sitten
der Jugendt (1559) regte offensichtlich Georg Lauterbeck, den späteren Über-
setzer der Concordia, zu dem pädagogischen Handbüchlein Cornelius. Ein
schöner lüstiger vnd gar nützlicher Dialogus oder Gespräche von rechtschaffener
aufferziehung vnd vnderweisung der Jugent (Frankfurt 1564) an, z.B. Band II,
cap. IV "Wie man die knaben die Lateinische Wörter mit jrem Teutschen lehr-
nen soll"; Band II, cap. XII "Wie sich die knaben gegen die Armen verhalten
sollen". Die etwa zwanzig Jahre später Johann Kasimir Pfalzgraf bei Rhein ge-
widmete Auswahl Zwölf nutzliche Gespreche (Speyer 1587) durch den badi-
schen Hofrat Albert Oelinger zeigt eine interessante Wende im Sprachenunter-
richt an. Der Notarius aulicus stellte fest, daß "von den mercklichsten und nutz-
lichsten gesprechen" noch kerne deutsche Übersetzung vorlag und bedauerte,
"das diselbigen sonderlich dem gemeinen man so der Lateinischen unerfahren
nit zu nütz kommen unnc allein in Latein bleiben sollten". Er übersetzt die Ge-
spräche jedoch nicht nur ins Deutsche, sondern stellte ihnen auch eine franzö-
sische Übertragung gegenüber, so daß Vives' Dialogi unter Zuhilfenahme der
Muttersprache sowohl im Lateinunterricht als auch beim Erlernen der moder-
nen Fremdsprache verwendet werden konnten. Ob die bei Oelinger abge-
druckte Fassung mit einer der beiden mehrfach aufgelegten französischen
Übersetzungen (Lyon 1560, Antwerpen 1571) zusammenhängt bzw. wie korrekt
Vives in deutschen Übersetzungen 245
sie ist, falls sie von Oelinger selbst stammt, war mir nicht möglich festzustellen.
Der alte Johann Sturm jedenfalls lobte in einem dem Druck vorangestellten
Empfehlungsbrief Oelingers dreisprachige Ausgabe. Dieser war sich offenbar
durchaus bewußt, mit einer deutschen Übersetzung der ursprünglichen Zielset-
zung der Dialogi zuwiderzuhandeln - er hatte 1574 übrigens schon eine Gram-
matik des Deutschen auf lateinisch für die ausländischen Sprachschüler heraus-
gebracht -, hielt jedoch dafür, Vives habe
als ein weiser verstendiger man sein arbeit in denselbigen gesprechen dahin gerichtet das
er auch allen ständen jungen und alten gleich wie Erasmus von Roterodam in seinen
Colloquiis auch gethan damit dienen ja jederman nützen möchte die ein lieb und lust zu
einem erbarn und tugentsamen wandet und leben tragen.

Der Erfolg des Vives'schen Gesprächsbuchs im Sprachunterricht des 17. Jahr-


hunderts bedarf einer eigenen Untersuchung; es erschienen zahlreiche latei-
nisch-deutsche Schulausgaben, die hauptsächlich Lehrbeispiele aus Erasmus,
Vives und Mathurin Cordier zusammenstellten bzw. erläuterten, z.B. Colloquia
puerilia Latino Germanica Ioach. Camerarii et Ludovici Vivis cum interpretatione
Polonica, Würzburg 1619; Michael Meister: Colloquia scholastica ex Ludovico
Vive, Corderio et Erasmo conscripta, Halle 1621 (deutsch/lateinisch); Heinrich
Blittershagen: Explicatio viginti quinque colloquiorum ... Germanica, Frankfurt
1650; Christopherus Helvicus: Famiiiana colloquia, Marburg ca. 1613 u.a.

Vives' geistige Wirkung in den deutschsprachigen Ländern zur Zeit der Re-
formation und Gegenreformation ist angesichts der außerordentlichen Häufig-
keit der lateinischen Ausgaben seiner Werke unübersehbar. Sie wird zudem
verstärkt durch die Übersetzungen, deren Sprachkunst und Genauigkeit freilich
recht verschieden ist. Sie entsprechen natürlich auch nicht ohne weiteres Vives'
eigenen Auffassungen vom Problem des Übersetzens.23 Geradezu professio-
nellen Übersetzern, die mit erstaunlicher Schnelligkeit zahlreiche Übertragun-
gen für die Druckerpressen lieferten (wie Leo Jud, Heinrich von Eppendorff,
Christoph Bruno),24 stehen Einzelversuche gegenüber. Stets bleibt jedoch der
unmittelbare Bezug zu Zeitumständen und Anlässen erkennbar (Türkengefahr,
Neuorganisation der Armenfürsorge und des Schulwesens, die Sorge um die
eruditio christiana, Sehnsucht nach Frieden und Verständigung). Im Vergleich
mit der Rezeption der Vives'schen Werke in anderen Ländern erscheint die
Eigenart des deutschen Aufnahmewegs deutlich. Die Aneignung des großen,

23
Eugenio Coseriu, "Das Problem des Ubersetzens bei Juan Luis Vives", in: Interlinguistica.
Sprachvergleich und Übersetzung. Festschrift für Mario Wandruszka, Tübingen 1971, S. 571 -
582.
24
Pantaleon übersetzte und beförderte De veritate fidei binnen knapp eines Jahres zum Druck.
Bruno beteuert in seiner Vorrede zum Gebirlichen Thun und Lassen (Bl. a ii): "Dieselben
bücher alle hab ich in verschinem Sommer neben meiner täglichen mühe vnd arbait zu sundern
und abgestolnen stunden ja auch zu der zeit wolche ander mit mannigfeltiger erquickhung unnd
kurtzweyl (wie sie gedunckt) verzeren inn Teutsche spraach verkeret unnd mich beflissen die
mainung Viuis auffs augentlichest außzutrucken."
246 Dietrich Briesemeister
frommen Denkers ist nirgends in Europa so nachhaltig und ohne jenes polemi-
sche Aufsehen verlaufen, das Erasmus vielfach erregte, wie gerade in den deut-
schen Ländern in einer geistig und politisch sehr bewegten Zeit.
Die Vives-Renaissance in Deutschland um 1900

Christoph Strosetzki (Münster)

Da Vives 1492 geboren wurde, konnte man 1892 als den vierhundertsten
Jahrestag seines Geburtstages feiern. Tatsächlich sind einige deutsche Überset-
zungen seiner Schriften um 1892 anläßlich dieses Jubiläums veröffentlicht wor-
den.1 Doch diese Tatsache allein vermag nicht zu erklären, warum das Inter-
esse an Vives um 1900 in Deutschland so zunahm, daß sein Werk im Mittel-
punkt zahlreicher Dissertationen sowie wissenschaftlicher Artikel und Bücher,
insbesondere aus der Philosophie, der Pädagogik und der Psychologie, stand.
Über das rein historische Interesse hinaus muß es wohl auch der damalige Dis-
kussionsstand in den Wissenschaften gewesen sein, für den Vives Antworten
bereitzuhalten schien. Möglicherweise befand man sich um 1900 in der Situa-
tion eines Paradigmenwechsels, der demjenigen vom Mittelalter zur Renais-
sance nicht ganz unvergleichbar erschien.
Im folgenden soll zunächst gezeigt werden, wie Vives im Kontext der Philoso-
phie bzw. der Wissenschaftstheorie rezipiert wurde, bevor der Stellenwert be-
schrieben wird, der ihm in Pädagogik und Psychologie zugewiesen wurde. Daß
die einzelnen Disziplinen bei Vives wie auch um 1900 in einem Abhängigkeits-
verhältnis zueinander gesehen wurden, wird bei Harald Höffding deutlich, der
Vives 1907 in seinem philosophiegeschichtlichen Lehrbuch als "Vorgänger der
neueren empirischen Psychologie"2 würdigt, da er die Erfahrung zur Grundlage
der Erkenntnis mache und die Psychologie von der Metaphysik und der Theo-
logie emanzipiere, indem er nicht wissen wolle, was die Seele sei, sondern
frage, wie sie wirke. Wie Vives zeigt sich auch Höffding selbst an der Untersu-
chung seelischer Erscheinungen und Funktionen interessiert. Dieser gemein-
samen Ausgangsposition kommt umso mehr Gewicht zu, als nach Höffding die
Behandlung psychologischer Fragen auch für die Beantwortung der übrigen
philosophischen Probleme von großer Bedeutimg ist. Nicht zuletzt deshalb
stellt er in der Einleitung seiner Philosophiegeschichte die psychologische Pro-
blematik an die erste Stelle und entspricht damit einer verbreiteten zeitgenössi-
schen philosophischen Tendenz, die die Philosophie in der Psychologie
fundiert sieht.3

J. Wychgram, J. L. Viveä Ausgewählte Schriften, übersetzt in: Pädagogogjsche Klassiker, von G.


A. Lindner, Bd. XTV, Wien und Leipzig 1883; Friedrich Kayser, Johannes Ludovicus Viveä Päd-
agogische Schriften, Einleitung, Charakteristik, Übersetzung und Erläuterungen, Freiburg i. B.
1896; J. Bröring, Die Dialoge desj. L. Vives, Oldenburg i. Gr. 1897
2
Harald Höffding, Lehrbuch der Geschichte der neueren Philosophie, Leipzig 1907, S. 7
3
Zu nennen wäre Wilhelm Wundt, der die Welt als Entwicklung des Geistes versteht, den er mit
experimentellen Methoden seiner physiologischen Psychologie erforscht. Franz Brentano und
248 Christoph Strosetzki
Es ist die empirische Psychologie, zu deren Vätern Vives gezählt wird. Er gilt
damit als Anhänger jenes Empirismus, der ein deduktiv abgeleitetes Wissen-
schaftssystem ablehnt. Dies sieht Wilhelm Windelband, der Vives in seiner 1892
erschienen Geschichte der Philosophie als Gegner der Herrschaft der allgemei-
nen Begriffe charakterisiert, in denen Vives den wahren "Grund für die mittel-
alterliche Verderbniss der Wissenschaften"4 sehe. Als Empiriker und Kritiker
philosophischer Tradition und Autorität findet Vives sogar in der Geschichte
des Materialismus des Friedrich Albert Lange einen Ehrenplatz. Lange sieht
den Renaissanceautor Vives wie Leonardo da Vinci über die Traditionen des
Altertums hinausschreiten und "eine von Aristoteles und dem gesamten Alter-
tum unabhängige Erfahrungswissenschaft" begründen.5 In diesem Licht er-
scheint ihm Vives für seine Zeit als bedeutender Reformator der Philosophie
und Vorläufer der Kritik des Descartes.
Die unkritische Übernahme aristotelischer Lehren steht also der neuen, mit
der Psychologie verbundenen Erfahrungswissenschaft gegenüber, als deren
Mitbegründer Vives galt. In der von Max Heinze bearbeiteten und 1896
erschienenen achten Auflage von Friedrich Ueberwegs Grundriss der
Geschichte der Philosophie der Neuzeit wurde Vives als Antiaristoteliker und
Reformer der Philosophie dargestellt, da er insbesondere in der Psychologie
"eine die Traditionen des Alterthums verlassende Erfahrungswissenschaft
anstrebte und so mit dieser neuen Methode die selbständige philosophische
Forschung vertrat".6 Insbesondere auf den Gebieten der Naturwissenschaften,
der Medizin und der Mathematik fordere er selbständige Forschung, die
Beobachtung der Erscheinungen und das Experiment mit ihnen.
Welche Bedeutung der Aristoteleskritik des Vives zukommt, führte Theodor G.
A. Kater in einer Dissertation aus dem Jahre 1908 vor. Vives' Hauptverdienst
sah er in der historisierenden Einordnung des Aristoteles als zeit- und ent-
wicklungsgeschichtliche Größe, durch die Aristoteles seine Anerkennung als
zeitlose Autorität verliert. Vives' Leistung liege insgesamt weniger in den posi-
tiven Entwürfen, als in der Kritik, d.h. in dem Hinweis auf Mißstände und in
der Anregung ihrer Beseitigung. Als Vives' Ausgangs- und Grundlagendisziplin
sieht Kater nicht die Psychologie, sondern die Pädagogik. Es "laufen alle Fäden
seines wissenschaftlichen Lebens in seiner Pädagogik zusammen und bilden

Theodor Lipps sehen in der Psychologie die Basis für alle philosophischen Wissenschaften. Nach
Wilhelm Dilthey beruhen die Geisteswissenschaften auf der inneren Erfahrung und auf dem
Verstehen anderer und können eine verläßliche Grundlage nur in einer beschreibend zerglie-
dernden Psychologie finden. Vgl. Max Heinze (Hg. und Bearb.), Friedrich Ueberwegs Grundriss
der Geschichte der Philosophie der Neuzeit, Berlin 1896, S. 266ff., 274,279
4
Wilhelm Windelband, Geschichte der Philosophie, Freiburg i. B. 1892, S. 284f.
5
Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der
Gegenwart, Bd. 1, Alfred Schmidt (Hg.), Frankfurt 1974, S. 189, (2. Aufl. 1873)
6
Max Heinze (Hg. und Bearb.), Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie
der Neuzeit, Berlin 1896, S. 32
Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 249
hier ein fein durchdachtes System".7 Kater bringt in diesem Zusammenhang die
Vorstellung einer Einheitswissenschaft ins Spiel, wie sie in den ersten Jahr-
zehnten des 20. Jahrhunderts vom gleichermaßen die Wissenschaftstradition,
allerdings insbesondere der spekulativen Philosophie und Physik, kritisierenden
Wiener Kreis8 postuliert wurde. Wie Vives strebten die Mitglieder des Wiener
Kreises eine Trennung von spekulativer Metaphysik und empirischer Wissen-
schaft an.

Vives' Kritik der Tradition erscheint Kater in erster Linie als Kritik an Aristo-
teles, der sich durch Eigenliebe, Disputiersucht, absichtliche Täuschung,
Ruhmsucht und dunkle Ausdrucksweise disqualifiziere. Der Hauptfehler ari-
stotelischer Physik sei in Vives' Augen die allzu schnelle Generalisierung und
die große Neigung zur Spekulation. Die Logik des Aristoteles beziehe in unzu-
lässiger Weise metaphysische und grammatische Bestandteile ein. Kater korri-
giert und relativiert zwar einige von Vives' Kritikpunkten. So hat er Verständnis
für den knappen aristotelischen Stil, da auch andere Denker "sich für die ge-
waltigen Probleme, mit denen sie ringen, gewissermassen ihre eigene Sprache
schaffen müssen".8 Vives' Kritik der Dialektik "schob an die Stelle der aristote-
lischen Logik die Prinzipien der Rhetorik und Grammatik". Für Kater ergibt
sich bei Vives also nicht nur ein Paradigmenwechsel, sondern ein Umschlagen
der Wissenschaftskritik in Sprachkritik, wie es auch in der Wissenschaftstheorie
des Wiener Kreis wenige Jahrzehnte nach Katers Arbeit zentral wurde.

Vives betrachtete die Sprachen nicht als Selbstzweck, sondern als Hilfsmittel.
Die Kenntnis vieler Sprachen war für ihn daher kein Teil der Weisheit. Wie
später Comenius sah Vives die babelsche Sprachverwirrung als großes Unglück
und hätte am liebsten wieder den paradiesischen Idealzustand einer einheitli-
chen Sprache, in der die Worte die Natur der Dinge vollkommen ausdrückten.
Comenius seinerseits, so hob Nebe 1891 hervor, habe im Anschluß an Vives
den Gedanken an die Konstruktion einer der Ursprache ähnlichen "ganz signi-
ficativen, ganz realen Sprache"10 weiter verfolgt, die sehr viel geeigneter sei, das
Wesen der Dinge auszudrücken, als die lateinische.11

7 Theodor Gustav Adolf Kater, Johann Ludwig Vives und seine Stellung zu Aristoteles, Diss. Er-
langen, Erlangen 1908, S. 3
8 Vgl. V. Kraft, Der Wiener Kreis, Wien 1950: zur Einheitswissenschaft S. 5f., zur logischen

Sprachanalyse S. 12ff., zum Empirismus S. 77ff.


9 Kater, a.a.O., S. 48

1 0 Vgl. August Nebe, "Vives, Aisted, Comenius in ihrem Verhältnis zueinander", in: Gymnasium zu

Elberfeld. Bericht über das Schuljahr 1890-1891, Elberfeld 1891, S. 29f.


11 Nicht nur als Wissenschaftstheoretiker, sondern auch als Humanist wurde Vives gewürdigt.

Georg Eulitz eröffnete, ausgehend von der zwanzigjährigen Korrespondenz zwischen Vives und
Bud£, Einblicke in das Leben in der Studierstube und im Familienkreis. Deutlich werden Vives'
Bestrebungen, anläßlich von Verstimmungen zwischen Erasmus und Bud£ vermittelnd zu wir-
ken, und Budis Bedenken, literarisch stärker an die Öffentlichkeit zu treten, zu zerstreuen. Vgl.
Georg Eulitz, "Der Verkehr zwischen Vives und Budaeus", in: Jahresbericht des Königlichen
Gymnasiums zu Chemnitz für das Schuljahr Ostern 1896 bis Ostern 1897, Bernhard Arnold
250 Christoph Strosetzki
Durfte man Vives rühmen, der Begründer des modernen Empirismus zu sein?
Dem stand zumindest die verbreitete Meinung entgegen, dieser Ruhm komme
Bacon von Verulam mit seinem Neuen Organon zu. Diese Meinung versuchte
Rudolf Günther 1912 als Vorurteil zu entkräften. Er wies deutliche Parallelen
zwischen Vives und Bacon auf und schloß daraus, "daß Bacon Vives' Schriften
gekannt und gelesen hat [...] so daß wir diesen mit Fug und Recht als eine
wichtige Quelle des Engländers ansehen dürfen".12 Zumal da Bacon seine
Quellen im allgemeinen nicht angebe, seien Übereinstimmungen mehr als Zu-
fälligkeiten: Beide kritisieren die bestehenden Wissenschaften, die Dominanz
der Dialektik, die Vorherrschaft des Aristoteles, die Einbeziehung von zur
Theologie gehörigen Zweckursachen in die Naturbetrachtimg, die Selbstüber-
schätzung der Gelehrten und den übertriebenen Autoritätsglauben. Dem
scholastischen Syllogismus, dem deduktiven Schluß, setzte Bacon die Induktion
entgegen. Vives wie Bacon gingen von dem Gedanken aus, das gesamte Wissen
stamme aus der sinnlichen Wahrnehmung und der Erfahrung. Da Bacon auf
die Erforschung der Wahrheit nur insofern Wert lege, als sich ein praktischer
Nutzen einstelle, sei er wie Vives ein Utilitarist.
Die psychologisch orientierte Einteilung der Wissenschaften nach den drei
Seelenteilen - Gedächtnis, Einbildungskraft und Vernunft - in Geschichte, Poe-
sie und Philosophie findet sich bei Vives wie bei Bacon, allerdings ebenfalls be-
reits bei Roger Bacon (1219-1292). Auch trennt Bacon von Verulam deutlicher
als Vives natürliche Theologie von offenbarter Theologie: Erstere sei mit der
Naturphilosophie und der Anthropologie Teil der Philosophie. Insgesamt
kommt Günther nach zahlreichen Einzelanalysen zusammenfassend zum
Schluß, daß es eine Reihe von Ansichten gibt, "wo als Quelle für den Engländer
nur Vives in Betracht kommt".13

Die Bedeutung, die Bacon als großem Erneuerer der wissenschaftlichen Me-
thode zukam, hatte Comenius im Bereich der Pädagogik. Für J. L. Bohlen ist er
"ohne Frage einer der größten Pädagogen des 17. Jahrhunderts".14 Umso grö-
ßer wird das Gewicht des Pädagogen Vives, von dem nach Bohlen nicht nur
Comenius, sondern alle pädagogischen Denker bis in die erste Hälfte des 18.
Jahrhunderts beeinflußt sind. Comenius selbst erklärt in der Vorrede zu seiner
Physik15, er habe von Vives den ersten Anstoß für dieses Werk erhalten.

(Hg.), Chemnitz 1897. Daß Vives' Pädagogik durch Grasmus nicht weitgehend unbeeinflußt
geblieben ist, belegte: O. Burger, Erasmus von Rotterdam und der Spanier Vives, Diss. Mün-
chen 1914
12
Rudolf Günther, Inwieweit hat Ludwig Vives die Ideen Bacons von Verulam vorbereitet?, Diss.
Leipzig, Borna-Leipzig 1912, S. 67
13
Ebda., S. 65
14
J. L. Bohlen, Die Abhängigkeit des Pädagogen Joh. Arnos Comenius von seinen Vorgängern,
Diss. Erlangen, Erlangen 1906, S. 1
15
J. A. Comenii Physicae ad lumen divinum reformatae Synopsis, Philodidacticorum et Theodidac-
ticorum censurae exposita, Leipzig 1633
Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 251

Comenius hebe Vives' Ermahnungen zur Erneuerung von Philosophie und Stu-
dierweise hervor, bedauere aber, daß Vives besser gesehen habe, was fehle, als
wie es sein müsse.

Nicht zuletzt mag Aisted, der an der reformierten Hochschule von Herbon im
Herzogtum Nassau Comenius' Lehrer war, seinen Schüler auf Vives hingewie-
sen haben, den er mit dem Wortspiel "Vives, qui vivet, quoad litterae vivent"
feierte. 16 August Nebe hatte 1891 hervorgehoben, wie wichtig Vives' Einfluß
auf den Pädagogen Aisted gewesen ist.17 So gehe Aisted wie Vives von einer
tiefen Religiosität aus, betone das Nützlichkeitsprinzip in der Erziehung und
begründe seine Didaktik und Pädagogik, häufig unter Benutzung der Termi-
nologie des Vives, in der Psychologie, insbesondere in der Lehre vom Ge-
dächtnis. Dabei lehne er Autorität und Überlieferung zugunsten der induktiven
Erfahrung ab.

Nebes Veröffentlichungen vorausgegangen war Paul Hauses 1890 gegen


Lange 18 gerichtete Argumentation über die Art der Einflußnahme von Vives
auf Comenius. Darin führt Hause zunächst weitere mögliche Quellen, beson-
ders Quintilian, und das bei beiden Autoren vergleichbare geistige Klima an.
Dann aber ergänzt er Langes Liste der zwölf Parallelitäten um weitere Punkte
und kommt zum Schluß, es sei nicht unwahrscheinlich, "dass Comenius in sei-
nen pädagogischen Ansichten und Grundsätzen von Vives, wenn auch nicht ge-
rade direkt beeinflusst, so doch wenigstens angeregt worden ist".19

Lange hatte als Gemeinsamkeiten beider Autoren folgende Punkte angeführt:


Beiden sei die Religion das Endziel aller Bildung; beide wünschten eine ein-
heitliche, vom richtig verstandenen Christentum getragene Religion; die Me-
thode des Unterrichts - forderten sie - müsse naturgemäß sein; man solle die
natürlichen Anlagen des zu Erziehenden in Erfahrung bringen; schwach ver-
anlagte Schüler sollten nicht zu früh aufgegeben werden; gelehrt werden solle
nur das Nützliche, das weder der Religion noch der Sittlichkeit schadet; Lehrer
sollten nicht mürrisch sein; die Muttersprache sei zu berücksichtigen; ohne
Zwang solle dem Schüler Interesse für den Unterrichtsgegenstand eingeflößt
werden; Bücher der Heiden seien nur mit Vorsicht vorzuführen; beim Unter-
richt in den Realien sei von der sinnlichen Anschauung auszugehen; auch das
weibliche Geschlecht bedürfe des Unterrichts. Diesen zwölf Gemeinsamkeiten
Langes fügt Hause hinzu, daß beide Autoren in den Vorschriften für das Ver-
halten schwangerer Frauen übereinstimmen, daß sie Ammen ablehnen, daß

16 Vgl. Bohlen, a.a.O., S. 13


17 August Nebe, "Vives, Aisted, Comenius in ihrem Verhältnis zueinander", in: Gymnasium zu
Elberfeld. Bericht über das Schuljahr 1890-1891, Elberfeld 1891
18 Vgl. A . Lange, "Vives", in: K. A . Schmid (Hg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und
Unterrichtswesens, Bd. IX, 2. Aufl., Leipzig 1887, S. 776-851
19
Paul Hause, Die Pädagogik des Spaniers Johannes Ludwig Vives und sein Eirtfluss auf Joh.
Arnos Comenius, Diss. Erlangen, Erlangen 1890, S. 68
252 Christoph Strosetzki
Schulen auch den Ärmeren offenstehen sollen, daß über der geistigen Arbeit
nicht der Körper vernachlässigt werden dürfe, daß sie zur Anlage von Senten-
zensammlungen raten, vor schlechten Freunden warnen, die Bedeutung von
Vorbildern und des frühen Beginns der Bildung hervorheben und daß sie
schließlich die Mißstände ihrer Zeit aufs Schärfste anprangerten. Es ergeben
sich also insgesamt 21 Gemeinsamkeiten.
Nach einer Betrachtung von Vives' Ansichten zur Erziehung der Kinder bis zur
Schulzeit, zur Erziehung in der Schule, zu den Unterrichtsstoffen, dem Ver-
halten der Schüler, den Erholungspausen, der körperlichen Pflege, der unter-
schiedlichen Erziehung von Jungen und Mädchen kommt Hause zum Ergebnis:
Und wie alle pädagogischen Vorschläge des Vives für die damalige Zeit, wo das ganze Er-
ziehungs- und Unterrichtswesen so sehr darniederlag, unbedingt berechtigt und nötig wa-
ren, so sind sie zum grössten Teile auch noch für unsere Zeit und unsere Schulverhältnisse
beherzigenswert.

Dennoch soll an dieser Stelle verzichtet werden auf Ruhmers Darstellung von
Vives' Konzeption der Frauenbildung, die den Anschein erwecke,
als ob Vives die geistige Ausbildung des weiblichen Geschlechts noch für notwendiger er-
achtet als die des männlichen; denn die weibliche Nat^anlage beurteilt er als leichtfertig
und vornehmlich zu schlechten Gewohnheiten geneigt.

Wichtiger schon ist die Frage, welche pädagogischen Werke der Humanist
Vives aus der antiken Literatur berücksichtigt hat. Daß Quintilians pädagogi-
sche Schriften eine wichtige Quelle für Vives, aber auch für Erasmus und an-
dere Humanisten waren, wird 1897 von A. Messer und 1910 von J. M. Hofer
belegt.22 Anders als Messer hebt Hofer Vives' Ablehnung des Quintilianschen
Eloquenzideals hervor. Während die meisten Humanisten Quintilian als klassi-
schen Autor der Pädagogik schätzten, ist es in den Augen Hofers Vives' Ver-
dienst, mit dieser Hochschätzung Quintilians gebrochen zu haben und trotz
vergleichbarer thematischer Elemente "ein neues pädagogisches System in prin-
zipieller Unabhängigkeit von Quintilian"23 aufgebaut zu haben. Da Vives zudem

20
Ebda., S. 34
21
W. Ruhmer, Pädagogische Theorien über Frauenbildung im Zeitalter der Renaissance, Diss.
Bonn 1915, S. 60. Ebensowenig können vorgestellt werden seine von Weitzmann 1905 als modem
bezeichneten Ideen zur Armenfürsorge in De subventione pauperum, deren Praxisbezug in der
Beantwortung der Frage besteht, welche Aufgaben die Not der Armen der Stadt und dem Magi-
strat stellen, so daß das Ziel nicht mehr bloß karitative Unterstützung der Armen und Leiden-
den, sondern Bekämpfung und Beseitigung von Krankheit und Not ist: Georg Würkert, "Ludwig
Vives' Schrift von der Armenphlege", in: Jahresbericht der Städtischen Realschule mit Progym-
nasium zu Pirna, Nr. 628,1901, S. 8,17
22
A. Messer, "Quintilian als Didaktiker und sein Einfluß auf die didaktisch-pädagogische Theorie
des Humanismus", in: Jahrbuch für Philosophie und Pädagogik, 2. Abt., Leipzig 1897 (zu Vives:
S. 457-469); Johann Michael Hofer, Die Stellung des Desiderius Erasmus und Joh. Ludw. Vives
zur Pädagogik des Quintilian, Diss. Erlangen, 1910
23
Hofer, ebda., S. 219
Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 253
Wissensgeschichte als Entwicklungsgeschichte betrachte, habe er Quintilian
ebenso wie den bereits erwähnten Aristoteles als entwicklungsgeschichtlich re-
lative Größe einordnen können. Vom christlichen Standpunkt ausgehend habe
Vives andere Schwerpunkte als Quintilian gesetzt, z. B. als er die gerichtliche
Rede als unziemlichen Streit aus seinem Erziehungskanon verbannte, den
Apell an den Ehrgeiz ablehnte und formale Eloquenz nur als Mittel zum
Zweck gelten lassen und dem Inhaltlichen unterordnen wollte.
Wie konnte Vives zu einem wichtigen Referenzpunkt in der pädagogischen
Diskussion um 1900 werden? Die Pädagogik war zu dieser Zeit nicht weniger
eine Modedisziplin als die Psychologie. Davon zumindest zeugt August Bau-
meister, der Herausgeber eines Handbuches der Erziehungs- und Unterrichts-
lehre für höhere Schulen. Er konstatiert 1894 in seinem Prospekt, die pädagogi-
schen Fragen seien in seiner Zeit zu einem "Schoßkind der öffentlichen Mei-
nung" geworden:
Fragen wie die über den Wert der klassischen Sprachen für die Erziehung der Gegenwart
oder der sogenannten Überbürdung der Schüler beschäftigen die Presse aller Parteien; der
Wettstreit zwischej^Gymnasium und Realschule wird in öffentlichen Versammlungen und
Vereinen erörtert.

Vives kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da er als


Vorbild eines Reformers des Unterrichtswesens eingeschätzt wird:
Er erkennt die Verdorbenheit desselben an und untersucht zunächst die Ursachen dieses
mißlichen Zustandes in der richtigen Erwägung, daß man erst jene kennen müsse, um Ab-
hilfe dagegen zu finden.

Aus demselben Grund hält Franz Kuypers in seiner Kieler Dissertation aus
dem Jahr 1897 Vives für den bedeutendsten pädagogischen Schriftsteller des
16. Jahrhunderts, und er konstatiert, daß
sich in ihm die gesamte Gegenwirkung der beginnenden Neuzeit gegen die pädagogischen
Mißbräuche des späteren Mittelalters sammelt, und daß sich bei ihm in gleicher Weise die
Keime der wichtigsten Reformen von Sturm bis auf Rousseau herab vereinigt und in ein
Ganzes verschmolzen finden. Er ist mehr benutzt als genannt worden.

Vives stehe für enzyklopädische Vielseitigkeit, für Ausrichtung aufs Praktische,


für gesunde Kritik, für Nominalismus und fortgeschrittenen Realismus, für Ver-
söhnung des Humanismus mit der christlichen Lehre.
Aufgabe der Pädagogik sehe Vives in der Förderung von pietas und utilitas. Bei
der Erziehung des Willens und des Verstandes sei der jeweilige Individualcha-

24
August Baumeister, "Prospekt", in: ders. (Hg.), Handbuch der Erziehungs- und Unterrichtslehre
für höhere Schulen, 1. Bd., 1. Abt., Theobald Ziegler, Geschichte der Pädagogik, München 1895,
o. S.
25
Ebda., S. 105
26
Franz Kuypers, Vives in seiner Pädagogik. Eine quellenmässige und systematische Darstellung,
Diss. Kiel, Leipzig 1897, S. 5
254 Christoph Strosetzki
rakter besonders zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit dem Gedächtnis
sieht Kuypers bei Vives die Einsicht in die Möglichkeit, daß etwas als vergessen
betrachtet wird, das noch unbewußt im Gedächtnis ruhe. Als wichtigste Fakto-
ren der Erziehung bei Vives sieht Kuypers natürliche Veranlagung, christliche
Offenbarung, Familie und Schule. Dem von ihm konstatierten Verfall von Wis-
senschaft und Erziehungssystem setze Vives eine ideale Akademie gegenüber,
deren Organisation er ausführlich hinsichtlich der Art und Gestaltung der Un-
terrichtsfächer für die Altersabschnitte vom 7. bis zum 15. Jahr, vom 15. bis
zum 25. Jahr und für die Zeit nach dem 25. Jahr vorstellt. Im letzteren Zeit-
raum gehe es nicht zuletzt um die "freie Beobachtung des realen Lebens".27
Hier betont Kuypers, daß eine engere Vertrautheit mit der Psychologie für alle
Wissenschaften von Bedeutung sei, da - so argumentiert er in kantischer Tradi-
tion - "wir nicht nach dem Wesen der Dinge an sich, sondern nach der Be-
schaffenheit des Intellectes fast alles bestimmen".28
Wenn bei Vives Erkenntnistheorie von der Beschaffenheit des Intellektes, d. h.
von der Psychologie des Erkenntniserwerbs ausgeht, dann ist es nur natürlich,
daß auch die Pädagogik der Praxis des Wissenserwerbs einen besonderen Stel-
lenwert beimißt. So erklärt sich, daß Wilibald Kammel Vives in der Geschichte
der experimentellen Didaktik einen ehrenvollen Platz einräumt.29 Zwar kenne
Vives die statistische und experimentelle Beobachtung noch nicht, doch ließen
sich bei ihm "die Keime zu wichtigen Lehren der modernen experimentellen
Didaktik" finden; "in manchen Einzelheiten (Ideenassoziation, Abendlernen,
Ermüdung, Schwankungen der Energie) zeigt er sich schon bedeutend auf dem
Wege der modernen Didaktik vorgerückt".30 Immer gehe Vives von Beobach-
tungen aus, sei es von eigenen Erfahrungen oder den Forschungsergebnissen
seiner Vorgänger, aus denen er auf dem Weg der Induktion allgemein gültige
Regeln abgeleitet wissen wolle. Die Regeln allerdings seien nur dann von Wert,
wenn sie praktischen Nutzen haben. Eine besondere Rolle spiele die Berück-
sichtigung der individuellen Anlagen des Schülers bei der Berufswahl und bei
der Ausbildung des Gedächtnisses.

Aus der Forderung nach der Berücksichtigung der Individualität läßt sich jene
nach der Einbeziehung der eigenen Aktivität des Schülers beim Wissenserwerb
ableiten. Paul Hg. [sie] betrachtete im Jahr 1932 die Selbsttätigkeit als zentrales
Prinzip in Vives' Pädagogik und sah den Erziehungsprozeß bei Vives gleicher-
maßen durch inhaltliche Bereicherung des Geistes wie durch Aktualisierung
geistiger Dispositionen bedingt. Da zur Übermittlung von Bildungsgütern das
selbsttätige Ergreifen und Verarbeiten durch den Schüler erforderlich ist, sei -

27
Ebda., S. 65
28
Ebda., S. 65
29
Wilibald Kammel, "Johannes Ludovicus Vives und die experimentelle Didaktik", in: Pharus. Ka-
tholische Monatschrift für Orientierung in der gesamten Pädagogik, 4. Jg. 1913, Bd. 1, S. 36-45
30
Ebda., S. 45
Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 255

so behauptete er im Umkehrschluß - die Individualität des Schülers besonders


zu berücksichtigen. Vives stelle daher geistige Typen in einer Liste auf, die ihn
in den Augen von Ilg. besonders modern erscheinen läßt.31 Zu unterscheiden
seien etwa Typen intensiver und schwacher, fluktuierender und fixierender
Aufmerksamkeit, synthetischer und analytischer Denkweise, produktiver und
reproduktiver Denkbegabung bzw. Typen mit leicht erregbarem oder ruhigem
Affektleben. Aus Vives' Prinzip der Individualisierung ergibt sich nach Jlg. je-
nes der Kindgemäßheit und Anpassung an die Auffassungskraft der Schüler,
bei der gemäß der Affektenlehre die Grundaffekte Liebe und Haß als Kongru-
enz und Inkongruenz zu deuten sind. Vives, der dabei an die aristotelische Vor-
stellung der Entelechie anknüpfe, verstehe den Bildimgsvorgang als eine Gei-
stesentfaltung von inneren Anlagen, die Bildungswillen, Bildungsbereitschaft
und eine gewisse Aufgeschlossenheit voraussetze.

Das Postulat einer derartigen psychologischen Fundierung der gesamten Bil-


dimgsarbeit habe nach Vives erst wieder Pestalozzi mit derselben Nachdrück-
lichkeit formuliert. Selbsttätigkeit beweise der Schüler beim eigenständigen
Beobachten, Denken und Urteilen, bei der eigenen Lektüre, selbständiger
sprachlicher Darstellung und bei der Übung von Kenntnissen und Fertigkeiten.
Es komme darauf an, die innere Aktivität des zu Bildenden zu wecken und ihn
durch Weckung der Selbsttätigkeit zu einem Sich-selbst-Gestalten zu führen.
Insgesamt sieht Ilg. bei Vives bereits Kerschensteiners methodisches Prinzip,
daß die Grundlage alles Lernens in der Selbsttätigkeit liege, vorformuliert.32

Bisher wurde vorgeführt, wie Vives im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte


der Pädagogik gewürdigt wurde. Nicht geringer ist der Stellenwert, den man
ihm in der Geschichte der Psychologie einräumte. W. Dilthey hatte in knapper
Form die Bedeutung von Vives' Affektenlehre für die Geschichte der Psycho-
logie hervorgehoben.33 Roman Pade definierte 1893 in einer ausführlichen Stu-
die die Affekte im Unterschied zu den Trieben als vom Körper abhängige See-
lenregungen, denen "eine Erkenntnis und eine Schätzung über Güte oder
Schädlichkeit des Objektes"34 vorausgehe. Affekte bedingen sich gegenseitig:

So entsteht aus der Liebe zu etwas die Hoffnung, es werde eintreten, die Begierde danach,
die Furcht es könnte nicht eintreten, die j^reude über den erreichten Besitz, die Trauer
über die Nichterlangung oder den Verlust.

31
Paul Ilg., Die Selbsttätigkeit als Bildungsprinzip beiJoh. Ludwig Vives (1492-1540), Langensalza
1932 (Friedrich Mann's Pädagogisches Magazin), S. 87
32
Ebda., S. 72; vgl. G. Kerschensteiner, Das Giundaxiom des Bildungsprozesses, Leipzig 1924, 2.
Aufl.
33 W . Dilthey, Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts, Ge-
sammelte Schriften, Bd. II, Leipzig und Berlin 1923, 3. Auflage (zu Vives' Affektenlehre: S. 423-
429); vgl. auch Anm. 3
34
Roman Pade, Die Affektenlehre des Johannes Ludovicus Vives. Ein Beitrag zur Geschichte der
Psychologie, Münster 1893, S. 6
35 Ebda., S. 8
256 Christoph Strosetzki
Im einzelnen stellt Pade Vives' Ausführungen zu Erscheinungsformen der
Liebe, der Eigenliebe, des weiteren als mit der Liebe verwandte Affekte:
Gunst, Verehrung und Mitleid, schließlich Freude, Hoffnung, Unwillen, Zorn
und Haß, Neid, Eifersucht und Entrüstung, Trauer, Furcht, Schamgefühl und
Stolz vor. Die Vorstellung, Vives habe mit seiner Affektenlehre etwas völlig
Neuartiges geschaffen, korrigiert Pade allerdings, indem er Parallelen zu
Thomas von Aquin und zur aristotelischen Rhetorik belegt. Anders jedoch als
später der Theoretiker Descartes, der mit seiner Affektenlehre eine abstrakte
Psychologie vorlege, oder der mathematisch-aprioristisch denkende Spinoza
schildere der Empiriker Vives die Affekte so, "wie er sie beobachtet hat im ei-
genen Inneren, im reichen Verkehr mit Menschen aller Stände".36

Um den Nachweis zu erbringen, daß die vivianische Psychologie doch nicht


ohne die Schriften der Antike und des Mittelalters auskam, stellte Gerhard
Hoppe 1901 in seiner Erlangener Dissertation die beiden ersten Bücher von De
anima et vita vor.37 Er zeigte dabei, daß Aristoteles häufig und zum Teil kritisch
erwähnt wird, daß eine durch patristische Studien verstärkte platonistische
Komponente sowie die galenische Anatomie und Physiologie dominieren und
daß die Scholastik als Hintergrund präsent ist, obwohl Aristoteles kaum ge-
nannt wird.

Vives' Systematik sei ontologisch breit und unterscheide zunächst zwischen an-
organischer und organischer Welt. Letztere habe eine vis interna, die Wachsen
oder Abnehmen bedinge. Nach Ausführungen zur Ernährung, zum Wachsen,
Zeugen und zu den äußeren Sinnen werde die innere Wahrnehmung als die
Fähigkeit definiert, mit abwesenden Objekten zu operieren. Sie bestehe aus der
functio imaginativa, die die von den Sinnen gelieferten Bilder aufnehme, der
phantasia, die aus den vielen sinnlichen Einzelwahrnehmungen das Objekt der
Erscheinungen zusammensetze, und der facultas aestimatrix, die instinktiv über
den Vor- und Nachteil der sinnlichen Eindrücke abwäge.38 Die Seele erscheine
Vives nur zugänglich in der durch die Materie getrübten Gestalt, d. h. nicht in
ihrem Wesen, sondern in ihren Äußerungsformen. Sie sei "überall im Körper".33
Bei der rationalen Seele des Menschen, die unsterblich sei, ergeben sich als
Unterschiede: mens bzw. intelligentia, Wille und Gedächtnis. Wenn Vives von
der sinnlichen Wahrnehmung ausgehe, deren Bild die phantasia im Gedächtnis

38 Ebda., S. 37
37
Gerhard Hoppe, Die Psychologie des Juan Luis Vives nach den beiden ersten Büchem seiner
Schrift "De anima et vita" dargestellt und beurteilt. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychologie,
Diss. Erlangen, Berlin 1901
38 Ebda., S. 32-37
33 Ebda., S. 45
Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 257
aufbewahre oder auf das Wesen des Objektes mit Hilfe des Verstandes
schließe, erscheint er Hoppe als Nominalist, für den das Universale weder in
der Natur, noch in der Imagination existiert.40

Das Gedächtnis sieht Vives nach Hoppe dort verstärkt, wo im Moment der
Apprehension ein Affekt hinzutritt. Ideenassoziation ergebe sich dann, wenn
zwei Eindrücke einmal von der Phantasie zugleich perzipiert sind und darauf
das Auftauchen des einen Eindrucks auch das Auftauchen des anderen zur
Folge hat. Im Zusammenhang mit dem Willen referiert Hoppe, wie Vives den
Bezug zur Handlung, zur Erkenntnis, zu Affekten, zur Prädestination und zur
Moral herstellt. Auch zur entlastenden Funktion des Traumes findet Hoppe bei
Vives Erkenntnisse:

Allen denjenigen Lebewesen muss man daher die Möglichkeit des Träumens zusprechen,
die mit dem inneren Sinn der phantasia begabt sind. Beim Menschen ist neben der phanta-
sia auch noch der Verstand im Traume thätig; er erwägt, sucht und findet oft im Traume
Lösungen, mit denen erwachend sich vergeblich abgemüht hat.

Allerdings sieht Hoppe nur Rückschlüsse auf die Temperierung der Körper-
säfte, nicht aber auf das Unbewußte.
Insgesamt würdigt Hoppe Vives' "nachdrückliche Forderung einer empirischen
Methode für die psychologische Forschung und damit zusammenhängend die
prinzipielle Ablehnimg eines sich auf Autoritäten berufenden Dogmatismus".42
In dieser Hinsicht sei er daher der Begründer der empirischen Psychologie,
wenngleich er auf der anderen Seite in seiner Argumentation seinem eigenen
Postulat nicht gerecht wird und doch Aristoteles' Theorie von den primären
Qualitäten und Galens Pneuma- und Säftelehre weitgehend übernehme. Ent-
sprechendes gelte für Vives' Betrachtung des Wesens der Seele, die in Anleh-
nung an Aristoteles als effectio (energeia) des Körpers erscheint und der in
Anlehnung an Piaton eine Präexistenz zugesprochen wird. Nur dort, wo Vives
am Detail gearbeitet habe - wie in der Lehre von der Ideenassoziation - seien
ihm auf induktivem Wege Beobachtungen gelungen, woran "selbst die neueste
Psychologie nichts Wesentliches zu ändern haben würde".43 Zwar tadelt Hoppe
Vives' nicht selten inkonsequenten Eklektizismus, lobt allerdings, daß mit Vives
die Psychologie der Theologie den Dienst aufkündigt und beginnt, sich als selb-
ständige Disziplin zu konstituieren.

Dem widerspricht nur scheinbar die von Georg Siske in seiner Dissertation aus
dem Jahr 1911 44 vertretene These, daß bei Vives doch die Psychologie, soweit

40 Ebda., S. 50
41 Ebda., S. 92
42 Ebda., S. 111
43 Ebda., S. 117
44
Georg Siske, Willens- und Charakterbildung bei Johann Ludwig Vives (1492-1540), Diss. Bres-
lau 1911
258 Christoph Strosetzki
sie in den Kontext der Pädagogik gestellt wird, untrennbar mit der Ethik und
Theologie verknüpft ist. Er zeigte, daß für Vives Philosophie und Wissenschaft
in erster Linie nach ihrer praktischen Bedeutung als versittlichender Faktor
und nicht nach ihrem spekulativen Interesse Beachtung finden. Erziehungsziel
sei nicht die Ausbildung des Intellekts, sondern bestehe "in einer das gesamte
Leben der menschlichen Psyche berücksichtigenden Erziehung des Willens, in
harmonischer Heranbildung des sittüch religiösen Charakters".45
Da aber dennoch Selbstbestimmung auch bei Vives Selbstbesinnung voraus-
setze, sei dieser nicht als Vorläufer eines neueren extremen Voluntarismus, wie
ihn Fr. Paulsen vertrete, sondern der Willen und Erkenntniskraft koordinieren-
den Position eines W. Wundt zuzuordnen. So würden für Vives die psychischen
Gesetze als Voraussetzungen von Willensfunktionen und Grundlagen für die
Prinzipien der Willens- und Charakterbildung wichtig. Vives ermögliche es
weiter, pädagogische und ethische Normen auf sicherer psychologischer Basis
wahrzunehmen.
Wenn nämlich Vives als die drei Stufen der Erkenntnis die Wahrnehmung der
Außenwelt, die Fähigkeit der Vorstellung abwesender Objekte in der inneren
Wahrnehmung und die Fähigkeit der Erkenntnis nichtsinnlicher Objekte unter-
scheide, dann sei diese Erkenntnistheorie für Vives kein Selbstzweck der ratio
speculativa, sondern der ratio practica untergeordnet.
Auch die Frage nach den angeborenen Ideen erhalte bei Vives eine praktische
Ausrichtung, insofern der Mensch bei seiner Erschaffung eine überwiegende
Tendenz zum Wahren und eine Disposition für das Gute erhalten habe. Für
hervorhebenswert hält Siske Vives' Versuch, die Pädagogik ethisch zu orientie-
ren, weil dies erst wieder nach Jahrhunderten bei Schleiermacher begegne und
eingehend erst von Herbart durchgeführt worden sei. So erweise sich die Ethik
bei Vives zugleich als Objekt des Wissens und des Glaubens. Sie brauche nicht
allein auf dem Weg der Offenbarung gewonnen zu werden, sondern könne ihre
Grundprinzipien auch auf dem Weg philosophischer Erkenntnis finden. Wil-
lens- und Persönlichkeitsbildung zeigen sich also für Siske bei Vives in einem
Schnittpunkt von Pädagogik, Ethik, Erkenntnistheorie, Psychologie und Theo-
logie. Deutlich sieht er, daß pädagogische und ethische Normen nach Vives
mittels psychologischer Beobachtung empirisch wahrgenommen werden kön-
nen. Da sie unabhängig davon auch entweder aus philosophischer Reflexion
oder aus religiöser Offenbarung abgeleitet werden können, zeigt sich zugleich
eine Trennimg von Offenbarimg, spekulativer Metaphysik und empirischer
Wissenschaft. So ist trotz aller Verflechtungen der Disziplinen untereinander
die Psychologie auch bei Vives nicht die Magd der Theologie.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Veröffentlichungen in Deutsch-


land um 1900 einige Grundüberzeugungen des Vives sehr deutlich her-

45
Ebda., S. 88
Vives-Renaissance in Deutschland um 1900 259
ausstellen. Ein zentraler Gedanke war, daß Vives die Psychologie gegenüber
Metaphysik und Theologie emanzipierte, da er die Erfahrung zur Grundlage
der Erkenntnis machte. So fragte er nicht mehr nach dem Wesen der Seele,
sondern nach ihren Äußerungsformen. Aus dieser Perspektive stellte sich auch
die philosophische Frage nach der Seele psychologisch. Die Psychologie wurde
für die Behandlung philosophischer Fragen nützlich. Da es seit Kant nicht
mehr das Wesen der Dinge an sich zu erkennen galt, sondern von der
Funktionsweise des Verstandes ausgegangen wurde, erschien die Psychologie
geradezu als Grundlagendisziplin, als deren Wegbereiter Vives geschätzt
wurde, der die Affekte so darstellt, wie er sie empirisch beobachtet hat.

Der Empiriker Vives galt als Kritiker philosophischer Tradition und Autorität.
Wie Descartes erschien er als Antiaristoteliker. Er habe Aristoteles als zeit-
und entwicklungsgeschichtliche Größe relativiert und dessen Hauptfehler in
allzu großer Neigimg zu Generalisierung und Spekulation gesehen, von der al-
lerdings auch er selbst einzelne Elemente übernommen hatte. Während Bacon,
Comenius und Aisted unter dem Einfluß von Vives gesehen wurden, erschien
Quintilian wie Aristoteles als entwicklungsgeschichtlich relative Größe, deren
Eloquenzideal Vives als übertrieben ablehnte, da ihm enzyklopädische Vielsei-
tigkeit, Individualität, Selbsttätigkeit, Praxisorientierung, Kritik, Empirismus
und Nominalismus als pädagogische Prinzipien wichtiger waren. Vives, der in
seiner Didaktik empirisch beobachtete Phänomene wie z. B. Ideenassoziation,
Ermüdimg oder Schwankungen der Energie thematisierte, schien die gesamte
Bildungsarbeit psychologisch fundieren und so die bloße Deduktion von Ver-
haltensregeln aus ethischen Normen überwinden zu wollen.

Daß die Pädagogik wie die Psychologie um 1900 im Zentrum der wissenschaft-
lichen und öffentlichen Aufmerksamkeit standen, ist eine Erklärung für das
große Interesse an Vives. Hinzu kommt noch, daß man in ihm nicht zuletzt den
Kristallisationspunkt wichtiger zeitgenössischer (bzw. in den ersten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts explizit formulierter Tendenzen) sah wie jene der Psy-
chologisierung der Philosophie, der Pädagogik als Basisdisziplin, der Interde-
pendenz der wissenschaftlichen Disziplinen bzw. der Einheitswissenschaft und
nicht zuletzt der Wissenschaftstheorie als Wissenschaftskritik, deren im 20.
Jahrhundert so folgenreiche Fortsetzung als Sprachkritik bereits bei Vives an-
gelegt schien.

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