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Literaturgeschichte und Textinterpretation Französisch

Semester: SoSe 2023


Dozent: Prof. Dr. Nonnenmacher
Referenten: Leonie Eckl, Alina Nachtigall, Sophie Baitinger, Nathalie Degen, Michelle Porzelt, Ayyüce Aksoy

Renaissance und Klassik

Renaissance
1. Begriff und Abgrenzung:
 Begriff „Renaissance“ = Wiedergeburt der Antike bzw. Erneuerung der Zeit
 Seit dem 14. Jh.: Wiederentdeckung und Reaktualisierung der im Mittelalter vergessenen
antiken Texte
 Ausweitung des zeitgenössischen Lebens um alternative Hinsichten und Hervorbringung
ästhetisch und ideologisch andersartiger Modi von Literatur und Kunst
 Autoritätsverlust der theologischen Weltdeutung
 Bewusstsein über die Sperrigkeit von Texten aus früheren Epochen aufgrund ihrer spezifischen
kulturellen Herkunft
 Neuer Ansatz: philologische und interpretatorische Tätigkeit mit einem wissenschaftlich
professionellen Niveau
 Distanzbewusstsein zur Antike und Nachahmungsanspruch antiker literarischer Werke (imitatio)
 Geburtsland des Renaissancehumanismus: Italien
àFrage, ob und wie weit man sich der Nachahmung der Antike am italienischen Beispiel
widmet und wie man im Zuge dessen mit der im Mittelalter stark verankerten Kulturtradition
umgehen möchte
Zeitliche Eingrenzung:

 Allgemein: Zusammenfall der Renaissance mit dem 16. Jh.


Weitere mögliche Eingrenzungen:

 Beginn: Einmarsch Karl VIII. in Italien (1494) und Italienkriegen


 Ende: Edikt von Nantes (1598)
 Vorrenaissance (1490-1530), Renaissance (1530-1560) unter Franz I. und Heinrich II.,
« époque des guerres civiles » (1560-1610)

2. Historischer und kultureller Kontext :


 16. Jh.: Herausbildung einer modernen Auffassung eines französischen Nationalstaats
 Dieser Prozess ist von starken militärischen Auseinandersetzungen begleitet
 Einmarsch Karls VIII. in Italien à Auftakt für eine zwanzigjährige Welle von sechs Kriegen
 Ende 1516: Franz I. verschafft sich die Kontrolle über den Raum Mailand und sichert sich die
Eingliederung der französischen katholischen Kirche in das Herrschaftssystem seines Königtums
 König darf die wichtigen Positionen der französischen Kirch nach eigenem Willen besetzen
àfranzösische Kirche ist unabhängiger von Rom als anderorts (=Vorstellung einer französischen
Nationalkirche)
Literaturgeschichte und Textinterpretation Französisch
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Referenten: Leonie Eckl, Alina Nachtigall, Sophie Baitinger, Nathalie Degen, Michelle Porzelt, Ayyüce Aksoy

 1562: Ausbruch der konfessionell bedingten Religionskriege (protestantisch-calvinistische Ansichten


vs. katholisch-gegenreformatorischer Widerstand)
àKampf um die religiöse Vorherrschaft
 1572: Pariser Bluthochzeit
àErmordung mehrerer Hugenottenführer
 Ende der Konflikte durch die Thronbesteigung von Heinrich von Navarra als König Heinrich IV.
àgarantiert im Edikt von Nantes 1598 den Protestanten freie Religionsausübung

 verstärkte Sensibilisierung für Phänomene der gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen


Destabilisierung
 in der literaturtheoretischen Diskussion: Thema „Unordnung“ und des Umgangs mit verschiedenen
Ordnungsmöglichkeiten gelangt ins Zentrum

2.2 Das 16. Jh. und die Antike


 Paradoxale Barriere: Widerspruch von Verloren sein und Aktualität der Antike
 Manifestation des spannungsgeladenen Bezugs de Antike v.a. in der Darstellung Roms
(Rom = vielfach vertextet; immer ideologisch besetztes Thema; Rom als zeitgenössischer verfallener
Rest einstiger Größe)

2.3 Rom als Thema in der Dichtung


Bsp.: Antiquitez de Rome:

 = Sammlung von 45 Sonetten


 Thematisierung der Selbstzerfleischung Roms in den Bürgerkriegen und seine
Selbstvernichtung durch die Entartung der Institution Kaisertum
àStilisierung Frankreichs als Nachfolgenation Rom und indirekte Warnung vor einem
Schicksal, bei dem der römische „Dämon“ auch Frankreich ereilen könnte
àLyrische Rede: schwankt zwischen Polen „Ruinen“ und „Rekonstruktion“

2.4 Der Humanismus


 Begriff „Humanismus“ (lat. humanista = Dozent o. Student der alten Sprachen und der
Antikstudien)
 Beschäftigung mit den sprachlichen Codes und textuellen Produktionen der Literatur der
Antike (studia humanitatis)
àHumanismus = ursprünglich textphilologische Bewegung
In Frankreich:

 Beschäftigung mit Themen und Texten der Antike in den Kathedralenschulen von
Chartres und von Orléans
 Idee der „translatio imperii“ (= Übertragung der Herrschaftsansprüche des römischen
Kaiserreichs nach Frankreich) soll durch „translatio studii“ komplimentiert werden
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--> Übertragung der Autoritätsansprüche des antiken Wissensdiskurs nach Frankreich


 König Franz I.: wahrgenommen als eine Person, die eine humanistische geprägte
Kulturerneuerung in Frankreich ermöglicht hat (àparadigmatische Gründungsfigur
der Renaissance)
 Humanistische Bewegung fußt in Frankreich auf kleineren Boden als in Italien

2.5 Lyon – Das „zweite Auge Frankreichs“ (neben Paris)


 =Schaltstelle in der Vermittlung der Renaissancekultur zwischen Italien und Frankreich
 Lyon als wirtschaftsstarkes mit internationalen Kontakten versehene Stadt
 Publizierung von v.a. literarischen Texten (z.B. Ritterromanen)
 Verlegung italienischer Autoren nach Lyon, da dort eine traditionell starke und kulturell
aktive italienische Kolonie angesiedelt ist

2.6 Literarische Kultur: Die „cabinets“


 Rezeption von Literatur in sogenannten „cabinets“
 Treffen von Männern und Frauen im halböffentlichen Rahmen, um in Geselligkeit über
Kulturthemen zu sprechen
 Insbesondere für Frauen eine wichtige Plattform, um an kulturellen und literarischen
Debatten teilzunehmen
 v.a. Herzogin Claude-Catherine de Clermont-Dampierre nimmt an diesem Kulturleben teil

3. Mythen und Heroen in Epos und Drama


3.2 Der Epos der Renaissance
 Mythisches oder sagenhaftes Geschehen mit religiöser oder nationaler Bedeutung
 Unbesiegbarer Held
 Handeln im Auftrag der Götter
 Trotzen von Widrigkeiten bis zum Ziel
 Epische Breite der Schilderungen
+

 Deutsche Reichsidee ablösen (Vier-Reiche-Lehre des Mittelalters)


 Durch eigenständige ältere französische Reichsgründungsmythe ersetzen
3.3 Epen Frankreichs
 Pierre de Ronsard (1524-1585) kündigt Heinrich II eine Franciade mit 24 Gesängen an, was
nach dem Tod des Königs von seinem Sohn Karl IX unterstützt wird
 Ronsard erhält Auflagen: Paarreim, Alexandriner, Nennung aller 63 Ahnen und Vorgänger,
politische Entwicklung der Religionskriege,…
=>Verherrlichung der Nation, die vom Bürgerkrieg zerrissen und kein mächtiges Imperium
darstellt
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 Widerspruch des Herrscherhauses aufgrund von starker Thematisierung von Tod und
Vergänglichkeit
=>Scheitern des Vorhabens

 Guillaume de Saluste Du Bartas: La sepmaine ou création du monde (1578)


o Schöpfungsbericht (Genesis 1-2) bildet das Gerüst
o Einbezug von Fabelwesen, historische und mythologische Gestalten, Pflanzen und
Steine
o Weltenschöpfer Jahwe als epischer Held
o Nebeneinander wissenschaftlicher Neugier und religiöser Anbetung

=> hat das Epos in Frankreich trotz Übersetzungen ins Englische, Deutsche, Latein und Niederländische
nicht heimisch machen können

 Théodore Agrippa d’Aubigné: Les Tragiques (1616)


o 3. Epenversuch
o Reaktion auf Religionskriege
o Schicksal der Kalvinisten, Erleiden des Märtyriums und spätere Sieger
o Autor hat alle Religionskriege auf der Seite der Protestanten mitgemacht
o Sieben Bücher entsprechen dem Aufbau der Apokalypse
o Leidenschaftliches Werk voller Emotionen und Pathos

=> François de Malherbe (Schriftsteller, der zum Katholizismus konvertierte) widerspricht verdammend,
Epos verfällt in Vergessenheit

3.4 Das Drama der Renaissance


 Tragödien Senecas wirkten aufgrund moralischer Deutbarkeit besonders
 Lesen, editieren und übersetzen von griechischen und lateinischen Tragikern und
Komödiendichtern (Werke werden zögernd auch gespielt)
 Etienne Jodelle (1532-1573) gilt als Erfinder des eigenständigen Renaissancedramas
(Cléopâtre captive)
 Jacques Grévin (1528-1570) schrieb das erste französische Römerdrama (Jules César)
 Zielpublikum ist ausschließlich der Hof und die Gelehrtenrepublik, da nur Aristokraten des
Geistes und des Blutes die Fähigkeit zur Katharsis besitzen
3.4.1 Grévins Kriterien für Tragödien
 Eher formale Kriterien
 Stoff soll griechischer oder römischer Mythologie entnommen sein, allenfalls des
Mittelalters
 Original in Französisch, keine Übersetzung
 Regeln der aristotelischen Poetik (Einheit von Ort, Handlung, Zeit)
 Wechsel von männlichen und weiblichen Alexandrinern im Paarreim
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 Muss öffentlich aufgeführt und dann gedruckt werden


 Theaterschaffen von Jodelle und Grévin sowie die Vorschriften gelten auch noch für das
Theater der Klassik (mit einigen Modifikationen)
3.4.2 Die Komödie
 Ebenfalls durch Jodelle begründet
 Erfährt unter italienischem Einfluss moderne Ausformulierung
 Beinhaltet drei Personengruppen, die aufeinanderstoßen: alt, jung, Diener
 Liebesheirat junger Menschen ist handlungsbestimmend, die Alten wollen hingegen die
Jungen mit anderen alten Leuten verheiraten
 List und Gewitztheit der Diener oder die Wiederkehr verloren geglaubter
Familienmitglieder führen zur Liebesheirat der jungen Menschen
=> Schema, das sich auch in der Klassik bewährt (vgl. Molière L’Avare)
=> Renaissance aufgrund von politischen Verhältnissen und der memento-mori-Stimmung eher die Epoche
der Tragödie
4. Vom Volksbuch zum Novellarium
4.2 Epik in der Renaissance
 Erzählliteratur sind meist Novellensammlungen
 Rabelais als innovativster Romanautor, zeigt in Romanen, dass die Welt der Feen, Ritter und
Riesen vorbei ist
 Garantua et Pantagruel (Rabelais 1532-1536)
o Fünfteiliger Romanzyklus
o Weist ähnliche Erzählstruktur wie Novellarien auf
o Beschreibt zunächst die Genealogie der Riesenkönige (von Geburt bis Waffentaten)
o Heiratsdilemma, Frage nach rechter Lebensgestaltung und Zukunftsplanung
o Helden entstammen keltischer Sagenwelt/französischen Volksbüchern mit ihren
Gefolgsleuten
 « Le rire est le propre de l’homme » (Rabelais)
o Pentalogie Rabelais als Mischform, die andere Gattungen aufgreift
o Elemente der Volksbücher, höfischer Romane, Ritterepen und der italienischen
Renaissance
o Dichtung mit verschiedenen Sprachen, Reiseliteratur
o Alle Bücher enthalten Prologe: Hinweise für Leser für das rechte Verständnis des
Werkes
o Wörtlicher Sinn meist derb-komisch => Lachen als Wesenszug des Menschen (vgl.
Aristoteles)
4.3 L’Heptamérone (1559)
 Novellensammlung von Marguerite de Navarre
 Aufgrund des Ablebens der Autorin nur Sieben- statt Zehntagewerk (72 von 100 Novellen
beendet)
 Werk wurde unter diesem Namen von einem Kammerdiener veröffentlicht
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 König kann als einziger aus der Norm der fiktiven Welt ausbrechen, da er selbst Normen
setzt
 Alle Gestalten leben in einem unlösbaren Zwiespalt (amour sacré - amour profane)
 Liebe als zentrales Thema wird selten positiv erfahren, sondern vornehmlich negativ
bewältigt
 Belehrendes Exempel (knüpft an didaktische Tradition des Mittelalters an)
 Funktion eines Erziehungsbuchs
 Erzähler verkörpern verschiedene moralische, religiöse, philosophische Positionen jener Zeit
 Jeder der Anwesenden hat Kummer oder Verlust erlitten
=> Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit
=> ohne Liebe der Menschen gibt es keine Liebe zu Gott

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