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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton MONTAG, 19. FEBRUAR 2024 NR.

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Kaffee ist jetzt


ein Luxusgut
Der neue argentinische Präsident Javier Milei
hat versprochen, die Inflation zu stoppen.
Derzeit liegt sie bei mehr als 250 Prozent.
Wie hält ein Land diese Geldentwertung.aus?
Eindrücke aus einer Stadt zwischen „PAREMOS Ö„PAREMOS
:CGANWOS LAS.CALUS
Hoffnung und Verzweiflung. •ÄäEi,iöS
,ANEMOSUSC
CALLES
• OANEMOSLAS

Von Melanie Mühl, Buenos Aires

ür Träumereienist sie,zu Damenunterwäsche, und


Haushaltswaren
alt, fürs Aufgeben zu jung. ElektroartikelhabenHändlerihreDecken
ausgebreitet
Also hält sie die Stellungin und hoffenauf Käufer.Aber
einemKioskam Bahnhof es ergeht ihnen wie Paula—ihr Geschäft
Oncein BuenosAires,sitzt läuft schlecht,Ein Mannaus Peru,vor
stolzauf einem Hockerund dem sich TrikotsverschiedenerFußball-
wartet darauf, dass jemand stehenbleibt mannschaften stapeln, schickt regelmäßig
und eine Kleinigkeitkauft.Aber die Men- Geld nach Hause,weiles in seinerHeimat
schenhastenaufdemWegzur Arbeitan nochdüstererausschaut als hier.Seinen
ihr vorbei.Nur kramtjemandein Sohn, inzwischenein Teenager,sieht er
BündelGeldscheineaus der Taschewie nur alle zweiJahre. Im schlimmstenFall,
ein Oligarch.Scheine,die lächerlichwe- sagt er,droheArgentinienwiedereine Mi-
Gesellschaft litärdiktatur.
nigwertsind.Argentiniens
taumelt. Die jährliche Inflationsrateliegt BuenosAiresist eine erstaunlicheStadt.
bei 254Prozent,und sie stiegzuletztin Sie machtes einem trotzdes wirtschaftli-
einem Tempowie bei der Hyperinflation ChenNiedergangsleicht, dasLeidenvieler
Anfang der Neunzigerjahre.Allein im Ja- Die von
ihrer Einwohnerauszublenden.
nuar betrug die Teuerungsratezwanzig europäischen Einwanderern geprägte
Prozent.DieserWertstürzt dieHüterin Metropolemit ihren endlosenAvenidas, hätteMileigewählt.TrotzseinerExzent-
des Kiosksund zahlloseArgentiniein mit Prachtbautenwie in Paris,mit Gärten Der Reformgierigeund seine
Opfer: Javier Milei war rik, trotz der verrücktenWahlkampfauf-
die Verzweiflung. „Alles wird stän und Parks,Plätzenund dschungelhaften
noch keine fünfzig Tage im Amt, tritte und seinergeklontenHunde.mit
teurer", klagt Paula,Lebensmittel,Klei Hinterhöfen, wo gut aussehende Men- als am24.Januar der erste denen er angeblich spricht. Sie sagt: „Ich
dung, Kosmetikartikel, Medikamente. schen in CafésNegronitrinken,hat etwas Generalstreikim Land stattfand. sprecheauch mit meinenKatzen."Das
Kaffee, der importiert werden muss,ist Elektrisierendes.Die edlen Restaurantsin Land stehe am Abgrund.Den Menschen
inzwischenein Luxusgut. DiePreisefür den teurenVierteln Palermo,Recoletaund sei Mileis Exzentrikegal. Ob er nun mit
ein Bustickethaben sich verdreifacht. Puerto Maderosind gut besucht,die Bais seinenHundensprecheoder nicht,wenin-
Wenn Paulamorgensaufwacht.ist sie voll. Nachts ziehen Feiernde bis in die teressieredas?Denndie Menschenkämp-
wieder ärmer geworden.Dabei arbeitet Morgenstunden singenddurchdie Stre fen um ihre Existenz.Sie hoffen,dassdie
Paula,Ende vierzig,täglichzwölfStun- ßen. Im Land der ewigenKrisegibt es mierer,der um die Eckewohnt.dort,wo Inflationgestopptwird,dasssie ihre Woh-
den, nur sonntagshat sie frei. Sie lebt in auch vieleGewinner.Die einen haben die Mietenteuer sind, sagt: „Ichkonnte nungbehaltenkönnen,dassdie Straßensi-
Moreno,eine gute Stundemit demZug über Jahrzehnte ihr Erspartesgesichert dreiTagelangkaummeineWohnungver- chererwerden.Die Kriminalität,sagtSil-
von BuenosAires entfernt,wo alles güns- und jeden Peso in Dollar getauscht, die an- lassen der Proteste."Einmal,als es vana Maltzman,habe Zugenommen,und
tiger ist als in der Hauptstadt—aber was derengebendas erarbeiteteGeldsofort kurz ruhiger erschien,eilte er nach Teile der Polizeiseien borrupt.Sie erzählt
bedeutetin diesenZeitenschongünstig? für Drinks,Steaksund kolumbianischen draußenund kaufte ein. dochals er zu- von den Opferneines Überfalls,die Hilfe
Sieseitraurig,sagtsie,traurigaberauch Kaffeeaus,weiles aufdemKontoohnehin rückkam,herrschtewiederTumult.Er riefen, doch als die Polizisten eintrafen, sa-
sehr wütend.Paulageht nichtmehr zum nur an Wertverliert. schüttelt den Kopf.Auch er hat Milei ge- hen sie sichin der Wohnung nur nach
Friseur, sie verzichtet auf Zumba, jede Aus deutscherPerspektiveist es leicht, wählt,nicht aus Begeisterung,sondernaus Wertgegenståndenum, die sie in ihre eige-
TüteMilchist eine Frageder Abwägung. JavierMi]eiin dieRiegejenerwahnsinni- Pragmatismus:ES habe einfachkeinen nenTaschensteckten.
Obwohlsie keine Peronistin
sei, habe gen Staatsführermit chaotischerFrisur besserenKandidaten gegeben.Beinaheall Wer SilvanaM in ihrerPraxis
sie den Regierungskandidaten Massa ge- sich zu fragen, ob auch
einzuordnenund seineFreundehätten Milei gewählt,er- aufsucht,ihr seineSorgenanvertrautund
t, sagt Paula.„Ich habe Angst ver Ja- 'MileisWähler verrückt geworden zählter.Vielederehemaligen In Buenos
Regierungse das Ich stärkt,ist privilegiert.
Milei." %.adoch'dassind tsie: nicht. kurz nach
Pesoum mitglieder hälter fürkorrupt _ZumBei• Aires ho/ensich vieleMenschentherapeu-
nt, der selbst ernannte Anarcho-Kapi- Wahlhat die neueRegierungden harte spiel SergioMassa,bis vor Kurzemder tischenRat.dieDichtean Psychologen ist
taust, Mannmit der merkwürdigenfünfzig Prozent abgewertet, eine gentinische Wirtschaftsminister.„Massa weltweitnirgendwoso hochwie hier.Auf
Fri*rr,der währenddesWahlkampfsmit Maßnahme,von der allerdingsmanche ist ein Narco,ein korrupterMafiaboss." 100.000Einwohnerkommenmehr als 280
einer elektrischenKettensägeauftrat und MenschenwieSimon.Er ist
profitieren. Ein mehrstöckigesHaus in Palermo Psychologen —in Deutschland sind es etwa
'den aufgeblähten Staatsapparat symbo- Anfangzwanzig,wohnt in einer WGund Soho,An den Klingelschildernstehenkei- 55.In den Dreißigerjahrenwandertenvie-
arbeitetaufStundenbasis für eineFirmain ne Namen, sondern Apartment-Num- le europäischePsychoanalytiker
nachAr-
lischzerstörte,spaltetdas Land. Paula Vancouver,die ihn in kanadischenDollars
hält ihn fürverrückt.SeineFans feiern mern. Die PsychologinSilvanaMaltzman gentinienein und prägtendie psychothe-
wie den Messias.Kürzlichbesuchte bezahlt. wohntim sechstenStock.Sieöffnetdie rapeutische
KulturdesLandes.Seit1991
, der einenÜbertrittzumJudentum Während Paula ärmer geworden ist, Tür, bittet herein, eine kleine, gemütliche aus der
gibt es sogareine Radiosendung
e gt, Israel.reistezu SeinemLands- wird Simonreicher.Er hat kein Konto,er Wohnung,in der zweiKatzenmit ihr zu- PsychiatrischenKlinik José T. Borda"-in
mann PapstFranziskus,und ließ sichda- lässt sich das Geld auf seinenAccountder sammenlebenund sie ihre Patientenemp- BuenosAires, moderiertvon Patienten.
für loben,dasser als halberJudezur Mes- argentinischen Paypal-Version
überwei- fängt. Die Klimaanlage läuft. Silvana „LaColifata"heißt sie, die „liebenswerten
und
Sen,tauschtnurkleineBeträgein Peso Maltzmankommtaus Uruguayund lebt Verrückten"
se gekommen sei.
seit vierzehn Jahren in Buenos Aires, der Maltzmanglaubt, dass eine entschei-
„IchhabeMileigewählt,er wardas kleine- „Aber" , sagt er, „aber"und erzähltvom zu wählenhat sich ein bisschen angefühlt,
Zeit angebrochenist. Auch sie hat
Subventionen für Energie, Lebensmittel in einernichtendenwollen- wie auf meinen Bruderzu schießen."Bei Stadt,in der sie bleibenmöchte,wennsich dende
undNahverkehr, trifftTeileder Mittel- re Übel." Milei habe sich als absoluter Aufwachsen
den Kriseund der SehnsuchtnachNorma- Familientreffenreagierter auf diepoliti- das LanddochbloBendlichin die richtige den Eindruck,dasses vielenkriseng&
schichtund die Unterschichthart. Mehr Außenseiter inszeniert, die Einführung die würde. Man fragt sie wohnten Argentiniernendgültigmit der
politische litåt. Nacheinem Land,in dem niemand
desDollarsangekündigtund die scheSpaltungmit Humor,man lacht Richtung entwickeln
und Korruption reicht, dieser
als vierzigProzentder argentinischenBe- Differenzenweg, manchmalklappt das nach der argentinischenSeele.Sie lacht. Inflation
völkerunglebenunterhalbder Armuts- Elite als Feind benannt. Er sei der Einzige mehrausAngstvoreiner absurdhohenIn-
flation sein Geld aufein Kontoin Uruguay besser, manchmal schlechter.
grenze.PaulakannihreMietenochbe- gewesen,der demVolkgesagthabe,waser Vor dem Kongresspalast ist es an die- Teenagern.„Teenager rebellieren, sie ha- Land berauben. Mileisei eineschmerzhaf-
zahlen, doch immer mehr Menschen plant. Natürlichhabe es viele Gründege- oder sonst woüberweisenlässt.Er glaubt, aber notwendige Veränderung.
dass Milei der Einzige ist, der wirklichet- Sem Tag ruhig, doch die Polizeiwagen, ben Schwierigkeiten, ihre Impulse zu kon- te,
schaffendas nicht mehr,sie schlafen geben,ihn nicht zu wählen.Simonist alles groß wie Panzer, stehen bereit. Die trollieren, sie respektieren die Regeln nicht Die „Buenos Aires Times" meldet:
nachts draußen auf Pappkartons und andereals ein Jüngerdes Autoritarismus. was verändernkann. „ZumBesserenhof- —genauso ist es in diesemLand."Die Ge- „Mehr Hunger, weniger Geld." Argenti-
Demonstrationengegendie Reformvorha-
Parkbänken, liegen tagsüber halb Ohn- Er spürt eine gefährlichgroße Ungeduld. fentlich." sellschaftmusseendlich erwachsenwer- niensSuppenkUchen habennicht mehrge-
Vielesagen:Mileisollesich verdammt Laut der Zeitung „EI Pais" haben 69 benJavierMileissind zuletzteskaliert,die
Lan- Prozent der Sechzehn-
bis Vierundzwan- PolizeisetzteWasserwerferund Gummi- den, sichvonihrem Narzissmusbefreien, nügend Lebensmittel für die Bedürftigen.
ge-
In Once,einemViertel,in dem die nochmal beeilen mit der Rettungdes demGlauben',die Bestenzu sein,ob es Milei hat die Lebensmittellieferungen
zigiährigen Mileigewählt.Wie Simonwa- geschosse ein, Menschenwurdenverletzt.
ultraliberaleMilei nun um die FußballgötterMaradonaoder stoppt,der Bedarfjeder einzelnen Sup-
halten müssen,drücktdie Schwüle.Die JavierMileiglaubtnichtan den men- ren sie offenbarso desillusioniert,dassfür Die Wut ist groß. Der
war keine fünfzigTageim Amt, da fand Messi gehe oder um Papst Franziskus. Ar- penküchesolle überprüftwerden.Als sei
schengemachtenKlimawandel. Er ist sie nur ein radikalerpolitischer Wechsel Kepnziffer.
Bäume,die im Zentrumviele Straßenbe- schonder erste Generalstreikstatt,zu dem gentinier tendierten zu Extremen.Hass Hunger eine wirtschaftliche
Er spricht eine laute, infrage kam. Einer von SimonsBrüdern, oderLiebe,in der Politikwie im Fußball. Nichtdie Reichen,sonderndie Armsten
schatten,machensich hier rar. Überall gegen Abtreibungen. wirkt wie ein Macho. Berater der ehemaligen Regierung, fürch- die Gewerkschaftenaufgerufen hatten. spürenseine Reformgierals Erstes.
müde Gesichter.Es riecht nach Abgasen. aggressiveSprache, um seinen Job. Simonsagt: „Milei Ein junger Mann, Ende zwanzig, Program- DürfteSilvanaMaltzmanwählen,auchsie
Vorden Lädenfür Herrenkollektionen,Simon nickt, zuckt mit den Schultern. tetjetzt

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