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UND STEINZEIT
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M O N AR C H -
FALTE R DIE EPOCHALE WANDERUNG DER SCHMETTERLINGE —
U N D W A RU M I H R E R H A LT F Ü R D E N
ARTENSCHUTZ SO WICHTIG IST
Eidgenossen
BILDNACHWEIS TITEL: THE PRINT COLLECTOR/ALAMY, FLORILEGIUS/ALAMY, PICTURE ALLIANCE/ZB/DDRBILDARCHIV, INCAME-
Schreiben Sie uns gern, wie Ihnen diese Ausgabe gefallen hat:
pm-redaktion@verlagshaus.de!
Herzlich Ihr
https://aktionen.
verlagshaus.de/pmh
Die Schweiz
24 Mythos und Wahrheit
Der lange Weg zur Alpenrepublik
30 Die Schlacht von Marignano
Wie die Schweiz beinahe zur Großmacht wurde
38 Stadt der Profiteure
Basels Bürger und der Sklavenhandel
44 Helfer in der Not
Henry Dunant gründet das spätere Rote Kreuz
46 Wettlauf zum Gipfel
Die tragische Erstbesteigung des Matterhorns
54 Ihre Welt sind die Berge
Johanna Spyri, Autorin von „Heidi“
56 Die Willkommenen
Als die Schweiz Verfolgten und Deserteuren half
66 Den Frauen eine Stimme
30
ENTSCHEIDUNG Als sie 1515 gegen die Franzosen
Marthe Gosteli kämpft für das Wahlrecht für alle um Teile Norditaliens kämpfen, gelten die Eidge-
68 Buchtipps zum Titelthema nossen als die besten Soldaten ihrer Zeit. Doch es
Chronologie
Um 1100 1515 1865
Zhang Zeduan malt die Frankreich besiegt die Erstbesteigung des
„Qingming-Rolle“ Schweizer bei Marignano Matterhorns
Seite 22 Seite 30 Seite 46
4 P.M. HISTORY –
38
wird ihr letzter großer Krieg sein – anschließend entscheiden PROFITEURE Die Schweiz besaß zwar nie
sie sich für die Neutralität und geben den kurzzeitigen Versuch, Kolonien, doch viele ihrer Kaufleute verdienten
selbst zur Großmacht zu werden, wieder auf am internationalen Menschenhandel
82
ZERISCHES NATIONALMUSEUM, ULLSTEIN BILD/ALBRECHT
COLLECTION/ALAMY, INTERFOTO/GLASSHOUSE IMAGES/
CIRCA IMAGES, BRUSINI AURÉLIEN/HEMIS/LAIF, SCHWEI-
BILDNACHWEIS: MAURITIUS IMAGES/THE PICTURE ART
72
GEFANGEN Bis ins 20. Jahrhundert hinein schob
Frankreich Kriminelle in Strafkolonien ab – dann
führt eine Reportage zum Ende der Straflager
P.M. HISTORY – 5
Arena
JEMEN
SCHAUPLATZ
Thula
Thula
BIS ZU FÜNF STOCKWERKE HOCH erheben sich Hunderte historische Stein-
häuser der mittelalterlichen Kleinstadt im Jemen. Sie wurden ohne Mörtel aus
behauenen Felssteinen erbaut, viele sind mit kunstvollen Ornamenten an Türen
und Wänden geschmückt. Von der früheren Bedeutung des nahe der Hauptstadt
Sanaa in 2400 Meter Höhe gelegenen Ortes zeugen auch eine Stadtmauer mit
26 Türmen und die auf einem Felsen über der Stadt thronende Festung aus dem
16. Jahrhundert. Einst ein aufstrebendes Touristenziel, bedroht heute der Bürger-
krieg die lange als Kandidat für das Unesco-Weltkulturerbe gehandelte Stadt.
6
P.M. HISTORY – 7
EIN FOTO UND SEINE GESCHICHTE
Amerikanischer Ikarus
Sie nannten ihn den „Vogelmann“: In selbst entworfenen nicht, wo er 1936 kurz vor seinem Absprung vor 70000
Flügel-Anzügen sprang der junge Amerikaner Clem Sohn in Menschen sein Flugzeug und sein Equipment präsentiert.
den 1930er-Jahren aus Flugzeugen ab – und wurde als ei- Ein Jahr später, am 25. April 1937 in Frankreich, werden
ner der ersten „Wingsuit“-Springer berühmt. Zehntausende es sogar 100000 sein, die zusehen wollen, wie er sich aus
kamen zu den Flugfeldern, um zu sehen, wie er in großen dem Flugzeug stürzt. Doch dann wird sich Sohns Fall-
Höhen die Flügel seines Anzugs ausbreitete, Kurven und schirm nicht öffnen. Und auch nicht der Ersatzfallschirm,
Kreise flog und erst im allerletzten Moment den Fallschirm dessen Reißleine er noch verzweifelt zu ziehen versucht.
öffnete. Angst zeigte er dabei nie, auch hier in Hanworth Clem Sohn wird nur 26 Jahre alt.
8 P.M. HISTORY –
Arena
Cortés sofort ange- Wer schließlich den Text von „Die Gedanken sind frei“ dichtete, ist un
bekannt. Er tauchte zwischen 1780 und 1800 anonym in sogenannten Lied
griffen hätten? flugschriften auf, als Kind seiner Zeit: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“,
heißt es etwa gegenüber dem absolutistischen König Philipp von Spanien
P.M. HISTORY – 9
AUSGEGRABEN
Jesus unter
der Haut
uf einem Friedhof eines mittelalterlichen Klosters
Herr Dr. Stark, wie hat Ihr Team das mit bloßem Auge Mit welcher Technik wurde das Tattoo gestochen?
kaum erkennbare Tattoo aufgespürt? Das ist noch unklar. Die Person lebte im Mittelalter im heuti-
Meine Kollegin Kari Anne Guilbault von der Purdue Univer- gen Sudan, und es gibt leider noch keinen Nachweis, wie
sity hat das Tattoo entdeckt, als sie die Toten aus Ghazali Tätowierungen zu dieser Zeit angefertigt wurden. Wir könn-
untersuchte. Sie arbeitet als Anthropologin bei dem Projekt. ten zwar über wahrscheinliche Ansätze spekulieren, aber
Kari verfügt glücklicherweise über fundierte Kenntnisse noch nichts mit Sicherheit sagen.
in der Tattoo-Forschung und Fotografie, insbesondere ist
sie auf natürlich erhaltene antike nubische Tätowierungen Was bedeutet das Symbol?
spezialisiert. So fiel ihr an einem der Toten eine Hautstelle Die Tätowierung besteht aus einem Kombinationssymbol der
auf, an der sie eine Tätowierung vermutete. Der betreffende griechischen Buchstaben „Chi“ und „Rho“ sowie den eigen-
Bereich wurde dann mit Vollspektrumfotografie fotografiert ständigen griechischen Buchstaben „Alpha“ und „Omega“.
und nachbearbeitet, um den idealen Kontrast für das Bild zu Das kombinierte „Chi-Rho“ ist ein klassisches christliches
erzielen. Dabei zeigte sich deutlich, dass an der Stelle – dem Symbol, das als „Christogramm“ bekannt ist. „Chi“ und
rechten Fuß – tatsächlich eine Tätowierung vorhanden war. „Rho“ sind die ersten beiden griechischen Buchstaben des
KURIOS XXL
DER ERSTE SCHOKORIEGEL der
Welt lief 1847 in Bristol vom Band, als
in einer Fabrik der Firma J. S. Fry &
Sons (r.) erstmals flüssige Schokolade
in eine Blockform gegossen wurde.
KANDIERTE VEILCHENBLÜTEN
sollen die Lieblingsnascherei von Kai-
serin Sisi gewesen sein. Laut Legende
gab es dafür sogar einen Geheimgang
vom Hofzuckerbäcker Demel in die
Hofburg in Wien.
MARZIPAN durfte in Europa anfangs
nur in Apotheken hergestellt und
10 P.M. HISTORY –
Arena
Zum Forscher
Der Bioarchäologe Robert Stark
arbeitet am „Polish Centre
of Mediterranean Archaeology“
der Universität Warschau.
Namens „Christus“. „Alpha“ und „Omega“ werden als christ- Die in Ghazali identifizierte Tätowierung ist erst die zweite
BILDNACHWEIS: KARI A. GUILBAULT, THE NEW YORK PUBLIC
liches Symbol ebenfalls oft miteinander verbunden. Sie sind mittelalterliche Tätowierung aus der Region des heutigen
die ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alpha- Sudan. Das andere Beispiel hat ein ähnliches Thema, es
bets und werden verwendet, um Christus als Anfang und ist ein Monogramm des Erzengels Michael. Das Erzengel-
Ende zu symbolisieren. So steht es im Buch der Offenbarung, Michael-Tattoo trug eine etwa 20 bis 35 Jahre alte Frau, die
IMAGES/MYKHAILO POLENOK/ALAMY, PR
Christus sagt: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste nach ihrem Tod auf natürliche Art mumifizierte, auf der In-
und der Letzte, der Anfang und das Ende“. nenseite ihres Oberschenkels. Sie wurde 2005 in der Region
des vierten Nil-Katarakts entdeckt und mit der Radiokarbon-
Wie passt die Tätowierung zu dem, was wir über das methode auf 655–775 nach Christus datiert. Wir wissen also
christliche Leben in Ghazali wissen? noch nicht besonders viel über Motive aus dem Mittelalter
Diese Tätowierung passt hervorragend zu einer Person, die in dieser Region. Aber Tätowierungen haben im Niltal eine
im Mittelalter im heutigen Sudan lebte. Dort war damals das lange Geschichte. Von verschiedenen Orten kennen wir zahl-
Christentum die vorherrschende Religion und auch die vor- reiche Beispiele aus früheren Zeiten, insbesondere aus dem
herrschende soziale Identität. Zur Stätte von Ghazali gehörte pharaonischen Ägypten. Interview: Angelika Franz
SÜSSIGKEITEN
verkauft werden. Es galt als Arznei wurden hohe Zölle auf Kolonialwaren Logo. Der Spanier Eric Bernat brachte
gegen Verstopfung und Blähungen, wie Kakao erhoben. In Turin streck- den Bonbon mit Stiel (um klebrigen
als Kräftigungs- und Potenzmittel. ten findige Konditoren daraufhin Kinderhänden vorzubeugen) 1958
ALS „TANZBÄREN“ kamen die ihre Schokolade mit gerösteten und unter dem Namen „Gol“ auf den
ersten Gummibärchen 1922 auf den gemahlenen Haselnüssen. Markt. 1963 wurde der neue Name
Markt. Das Produkt des Unternehmers DIE „CHUPA CHUPS“-LUTSCHER eingeführt, abgeleitet von „chupar“
Hans Riegel aus Bonn (Haribo) war sind weltweit das einzige Produkt mit („lutschen“). Das Logo entstand, als
allerdings etwas größer und weicher: einem von Salvador Dalí entworfenen Bernat den befreundeten Surrealisten
Statt Gelatine wurde noch Gum- 1969 um eine Idee bat und dieser
miarabikum verwendet. kurzerhand ein Blümchen auf ein
DER DUNKLE NOUGAT wurde Stück Papier zeichnete. Süße Idee!
aus steuerlichen Gründen in PFEFFERKUCHEN sind dasselbe
Turin erfunden: Während der wie Lebkuchen. „Pfeffer“ war einst
Kontinentalsperre (1806–1814) ein Sammelbegriff für Gewürze.
P.M. HISTORY – 11
Arena
NT
AUSGEDIE
Bikini
Mode wiederholt sich, manchmal dau-
ert es nur etwas länger: Schon aus der
Antike sind Darstellungen von Frauen in
sportlichen Zweiteilern überliefert. Und
Anfang des 20. Jahrhunderts erfreute
sich die „Palm-Beach-Combination“ aus
den USA auch in Deutschland einiger
Beliebtheit, die TENNISRÖCKCHEN
UND BH zusammenbrachte.
Der preußische „Zwickelerlass“ von
1932 verbot das öffentliche Tragen von
Zweiteilern, galt aber nicht für alle: Von
Eva Braun existieren Aufnahmen in ei-
nem Kleidungsstück, das ganz ähnlich
12 P.M. HISTORY –
FRAGEN AN DIE GESCHICHTE Zu Unrecht
vergessen
„Wann erschien Ingenieur
Nils Bohlin (1920–2002)
die erste
aus Härnösand,
Schweden
O
bei Unfällen zu schützen. Wirklich
landesweit, ob sicher waren die Beckengurte und
im Internet, der später die Diagonalgurte, die im
Tageszeitung oder der Auto quer über die Schulter zur
Wochenzeitung: Die Liebe Hüfte führten, aber nicht. Das än-
des Lebens wird überall derte der schwedische Ingenieur
gesucht. Er will sie finden, Nils Bohlin: Ende der 1930er-Jahre
sie ihn, er ihn, sie sie. Was arbeitete er an Schleudersitzen
heute normal erscheint, für Flugzeuge und wechselte
war im 17. Jahrhundert schließlich zum Autohersteller
etwas völlig Neues. Vor- Volvo. 1959 erfand er den heuti-
wiegend wurden Ehen damals von den Eltern angebahnt. Sie verhan- gen Dreipunktgurt: Dieser hält bei
delten über ihre Kinder wie über Handelswaren. Das änderte einem Aufprall sowohl die Hüften
sich am 19. Juli 1695. In der von John Houghton herausgegebenen als auch den Oberkörper im Sitz
Wochenzeitung „A Collection for Improvement of Husbandry and – und lässt sich mit einer Hand
Trade“ („Sammlung für den Fortschritt in Landwirtschaft und Han- bedienen. Allein: Die meisten Au-
del“) erschien die weltweit erste Heiratsannonce (oben). Der Text der tofahrer waren wenig überzeugt,
Kontaktanzeige lautet übersetzt: „Ein Herr von etwa 30 Jahren mit klagten über zerknitterte Kleidung,
ansehnlichem Besitz sucht eine junge Dame mit einem Vermögen von fühlten sich beengt. Erst die Ein-
circa 3000 Pfund.“ Dass jemand eine Frau suchte, war schon damals führung der Gurtpflicht 1976 und
nicht ungewöhnlich. Dies öffentlich in einer Zeitung zu wagen die Einführung eines Bußgeldes ab
schon. Heute hingegen erschiene es eher abschreckend, materielle 1984 brachten den Durchbruch.
Anforderungen zu stellen. Auch wenn viele gegen ein kleines zuflie- Schlagartig sank die
PRIVATSAMMLUNG, PICTURE ALLIANCE/WESTEND61, PICTURE-ALLIANCE/DPA/JEFF KOWALSKY
BILDNACHWEIS: WIKIMEDIA COMMONS/YANN FORGET, AKG-IMAGES/PARAMOUNT PICTURES,
SYMBOLISCH: VIOLINSCHLÜSSEL
Von den fünf gebräuchlichsten Noten-
schlüsseln ist er der bekannteste. Die
Schleife an seinem Bauch zeigt die
Position des „g’“ auf der zweiten Linie
an, daraus ergeben sich die Positio-
nen aller anderen Töne. Seine Gestal-
tung ist an ein handschriftliches G
angelehnt. Erfunden wurde das auch
G-Schlüssel genannte, vor allem für
die Notation von Violinstimmen ver-
wendete Zeichen um das Jahr 1200.
Von wem und wo, ist nicht bekannt.
13
Arena
PLAKATIV
Handschuhe
ände vor Kälte zu schützen ist, handschuhhisto
ANMUTIGES
STAUNEN
FÜR DEN Die Hand-
ELEGANTEN schuhmarke
AUFTRITT Crescendoe
Auch wenn bewirbt in den
die bekannte 1950er-Jahren
französische ihre aktuelle
Kaufhauskette Kollektion und
„Printemps“ verspricht den
heißt, also Käuferinnen
Frühling: Diese ihres Produkts
Dame steht schlanke Hände,
für die neue die ihren „Anmut
Herbst-Winter- und Liebreiz“ zur
Mode 1919 Geltung bringen
14 P.M. HISTORY –
VON PHARAONEN
UND PYRAMIDEN
© Givaga - stock.adobe.com
National Geographic in der Bruckmann Verlag GmbH, Infanteriestraße 11a, 80797 München
Wegbereiterin
16 P.M. HISTORY –
n der Freiheit
Die Underground Railroad
verhilft im 19. Jahrhun-
dert vielen Sklaven zur
Flucht aus dem Süden
der USA. Geprägt
wird das Netz-
werk von
einer Frau:
Harriet
Tubman
Von
Peter-Matthias
Gaede
BILDNACHWEIS: RTRO/ALAMY
P.M. HISTORY – 17
E
s war um den 200. Geburts- jener Menschen, deren Eltern weder Dann ein Ereignis, das Araminta
tag der Harriet Tubman, als Kalender noch Uhren besaßen und Ross’ Leben für immer verändern wird.
die US-Notenpresse fast zu ei- an denen das Wichtigste aus Sicht ih- Ein kiloschweres Messgewicht, mit
ner von Millionen Menschen rer Besitzer ihre Arbeitskraft war. Ein dem ein Aufseher nach einem jungen
erwarteten Tat geschritten kleiner Vermerk über den Einsatz einer Sklaven wirft, trifft sie am Kopf. Blu-
wäre. Es war geplant, erstmals in der Hebamme lässt vermuten, dass es sehr tend und ohnmächtig wird sie in ein
Geschichte der USA das Antlitz einer wahrscheinlich das Jahr 1822 war, als Haus getragen, dort, weil es kein Bett
schwarzen Frau auf einen Geldschein Minty in eine fensterlose Hütte in dem gibt, zwei Tage lang auf die Bank eines
zu drucken. Auf die Vorderseite einer von Sumpflandschaften und Wäldern Webstuhls gelegt. Ein Arzt wird nicht
20-Dollar-Note. Zum dritten Mal über- durchzogenen Land östlich der Chesa- gerufen. Noch blutend wird sie wieder
haupt erst das Gesicht einer Frau. peake Bay hineingeboren wurde. zur Feldarbeit geschickt. Mediziner,
Doch dann kam Donald Trump. Und
fand, so etwas sei ihm nicht zuzumu-
ten; er mochte „das nicht sehen“. Tubman geht es nicht nur um
Harriet Tubman, geboren als Ara-
minta „Minty“ Ross, wird es demnächst Selbstbefreiung. Sie will möglichst
trotzdem auf die 20-Dollar-Note schaf-
fen, auf Beschluss des Trump-Nachfol- viele Sklaven nach Norden holen
gers Biden. Und damit wird vielleicht
noch einmal die Geschichte einer Frau Die „Einfuhr“ neuer Sklaven aus hätten sie sich denn um das Mädchen
in Erinnerung gerufen, wie es keine Afrika und der Karibik ist da seit einem gekümmert und hätte es die Diagnostik
zweite gegeben hat im Kampf gegen die Kongressbeschluss von 1808 verboten, damals schon gegeben, hätten als Folge
Sklaverei in den Südstaaten der USA. und auch in Maryland gibt es bereits der schweren Schädelverletzung ver-
Keine zweite im Amerikanischen Bür- aus der Sklaverei entlassene Schwar- mutlich eine Temporallappen-Epilepsie
gerkrieg. Keine zweite, die, obwohl zeit- ze, Alte zumeist, zu schwach für harte entdeckt. Menschen, die Minty begeg-
lebens weder des Lesens noch Schrei- körperliche Arbeit. Doch Minty erfährt nen, merken nur, dass sie fortan An-
bens mächtig, für das Aufbegehren schon als kleines Mädchen, was es be- fälle plötzlicher Bewusstlosigkeit hat.
und Selbstbewusstsein von Menschen deutet, eine Ware auf dem Arbeitsmarkt Und sie selbst erzählt immer häufiger
stand, die gehandelt wurden wie Vieh. zu sein. Schuhe hat sie nicht, Kleidung von Träumen und Halluzinationen, von
Minty war das fünfte von neun Kin- über einem Hemdchen bekommt sie Zwiegesprächen mit Gott. Es ist auch
dern eines Sklavenpaars im Dorchester erst, als sie etwa sieben Jahre alt ist. eine immer tiefer werdende
County, Maryland. Kam sie 1820 zur Die Familie wird getrennt, Eltern und Religiosität, die am Beginn
Welt, 1822, 1825? Dass sich dies nie Geschwister werden an verschiede- ihrer ganz persönlichen
ganz klären ließ, gehört zur Biografie ne Sklavenhalter ausgeliehen. Minty Rebellion gegen die Ver-
selbst muss das Baby einer Familie hü-
ten, wird geschlagen.
Sie ist vermutlich noch keine PROMINENT Als
zehn Jahre alt, als sie mit dieses Porträt von
härteren Arbeiten beauf- Tubman um 1868
entsteht, ist sie im
tragt wird. In den eisigen Land längst eine
Wassern des Marschlands bekannte Größe
muss sie Fallen für Bisam- in der Befrei-
ratten kontrollieren, erkrankt ungsbewegung
an Masern, darf eine Zeit lang der Schwarzen
zu ihrer Mutter zurückkehren,
wird dann an eine nächste
Familie als Hausmädchen
verliehen. Dort wird Min-
ty nicht nur geschlagen,
dort wird sie nach ei-
nem Fluchtversuch,
bei dem sie sich fünf
VERFOLGT Der „Fugitive Slave Act“
Tage in einem Schwei-
gestattet es Weißen, geflüchtete nekoben versteckt,
Sklaven wieder in Besitz zu nehmen ausgepeitscht.
18 P.M. HISTORY –
Fluchthilfe
hältnisse steht – und die sie, wie späte- meist an einem Samstag bricht sie mit an den Kopf. „Bruder, du gehst jetzt
re Biografen schreiben werden, zu ei- Fluchtgruppen auf, weil es dann zwei weiter, oder du stirbst“, sagt sie ihm
ner „schwarzen Jeanne d’Arc“ machen Tage dauert, bis Fahndungsaufrufe im Wissen darum, was eingefangenen
wird, zu einem „Moses of her people“. in einer Zeitung erscheinen können. Sklaven droht.
Und es ist keine friedliche Religio- Treffpunkt ist oft ein Friedhof, als Ver-
sität. Lesen die weißen Herren aus der stecke am Tag dienen Abzugsgräben it einer ihrer letzten Geheim-
Bibel vor allem die Pflicht der Sklaven
zur Gehorsamkeit, betet Minty um
Vergeltung. Und Befreiung. Und betet
von Entwässerungsanlagen, nicht mehr
benutzte Scheunen, Gruben für Winter-
gemüse. Am Ende werden es mehr als
M missionen bringt Tubman
schließlich, 1857, auch ihre
Eltern in Sicherheit. Sie führt sie bis
nicht nur, sondern handelt. Wird fähig, 70 Frauen, Männer und Kinder sein, die nach Kanada, denn in den an die Süd-
zu kämpfen. Wird die Leitfigur eines Tubman so in die Freiheit führt. staaten angrenzenden Bundesstaaten
Fluchtsystems, das als „underground Nach ihr, als „kastanienbraun, gut gilt seit 1850 der „Fugitive Slave Act“,
railroad“ bekannt werden wird. Die aussehend, etwa 27 Jahre alt und etwa der sie dazu verpflichtet, entkommene
imaginäre „Untergrund-Bahn“ ist ein ein Meter groß“ beschrieben, hat die Sklaven bei Entdeckung an ihre Her-
Netz aus verborgenen Wegen durch Sklavenhalter-Familie Brodess in der kunftsstaaten auszuliefern. Tubmans
dichte Wälder, entlang entlegener Was- „Delaware Gazette“ schon 1849 gefahn- Befreiungsaktionen sind um diese Zeit
serläufe und zu den heimlichen Adres- det. 100 Dollar sind auf ihre Ergreifung bereits bekannt geworden. Sie hat wei-
sen von auch weißen Gegnern des Skla- außerhalb Marylands ausgesetzt. 50 ße Freunde und Bewunderer von Penn-
vensystems, darunter den tiefreligiösen Dollar, sollte sie in der Nähe gefasst sylvania bis nach New York, hat erste
Anhängern der Quäker-Gemeinde. werden. Doch dass Tubman zu einer so öffentliche Auftritte vor politischen
Araminta Ross hat 1844 den freien regelmäßig agierenden Fluchthelferin Zirkeln, die für die Abschaffung der
Schwarzen John Tubman geheiratet wird, traut ihr niemand zu. Es wird ein Sklaverei eintreten; erste Zeitungen
und ihren Vornamen in Harriet geän- Mann hinter der Bewegung vermutet, schreiben über die kleine, körperlich
dert. Sklavin bleibt sie trotzdem, als während Tubman, die sich später als behinderte, analphabetische Frau. Und
Holzfällerin und hinter Ochsengespan- „Schaffnerin“ der Underground Rail- ein Mann gewinnt ihr Vertrauen, John
nen schuftet sie, schleppt Getreidesäcke road bezeichnet, stolz darauf ist, „nie- Brown, der den offenen Krieg gegen die
und Fässer, ist stark geworden. Und an mals einen meiner Passagiere verloren“ Sklavenhalter-Gesellschaften im Süden
einem Septembertag 1849 wagt sie die zu haben. Dabei ist sie mitunter rabiat. plant.
Flucht. Auslöser ist eine angekündigte Schreiende Babys lässt sie mit Opium Brown scheitert, wird im Dezember
Auktion, bei der womöglich auch sie betäuben, wenn Gefahr besteht, dass 1859 gehängt. Doch für Tubman ist er
einmal mehr verkauft werden soll. Sklavenjäger in der Nähe sein könn- ein Märtyrer. „Er hat durch seinen Tod
ten. Einem Umkehrwilligen, der die mehr bewirkt als hundert andere
BILDNACHWEIS: INTERFOTO/GRANGER NYC, INCAMERASTOCK/ALAMY, HISTORY DOCU PHOTO/ALAMY
er erste Versuch, gemeinsam mit ganze Gruppe gefährden könnte, durch ihr Leben“, sagt sie.
P.M. HISTORY – 19
die Militanz. Auch wenn sie zunächst len Kundschafterin für einen Angriff
noch zwei friedlichere Jahre vor sich erklärt, den Colonel James Montgomery
haben wird. Einem Sklaverei-Gegner am 2. Juni 1863 von Port Royal aus auf
und US-Senator verdankt sie ein klei- dem Combahee River in South Caroli-
nes Grundstück und ein Holzhaus in na unternimmt. Tubman steht auf dem
Auburn, Bundesstaat New York. Sie Führungsboot der Expedition, die es
muss ihm das Heim, in dem sie fortan weniger zum Ziel hat, gegen Soldaten
immer mehr Verwandte, aber auch zu kämpfen, als das erreichte Land
entflohene Sklaven zumindest auf zu plündern und zu verbrennen und
Zeit aufnimmt, in Raten abbezahlen. die Sklavenhalter zu vertreiben. Und
1860 unternimmt Tubman einen letz- möglichst viele der herbeigeeilten Skla-
ten Versuch, eine dort noch verbliebene ven auf die Schiffe zu retten. 730 Men-
Schwester und deren zwei Kinder aus schen sind es insgesamt – „die Kinder
Maryland in den Norden zu holen. Doch Israels, aus Ägypten kommend“, wie
die Schwester ist verstorben, die Kinder Tubman später sagen wird. Und was
GEPRÄGT In diesem Jahr wird
sind bereits verkauft. Geld, um sie aus- die US-Notenbank eine
eine Zeitung als ihren ganz eigenen Er-
zulösen, hat Tubman nicht. Und so kehrt Dollarmünze mit Tubmans folg feiern wird, als das Ergebnis ihrer
sie ebenso erfolglos zurück wie bei ih- Konterfei herausbringen „Kühnheit“ und ihres „Scharfsinns“.
rem Versuch, ihren Ehemann nachzu- Im „Boston Commonwealth“ erscheint
holen. Er hat sich von ihr abgewandt. freiung der Sklaven sagt sie: „Sie werden eine erste Biografie von ihr, verbunden
es sehen. Und Sie werden es bald sehen.“ mit einem Spendenaufruf für sie.
er zweite große Kampf der Harri- Bald laufen tatsächlich Tausende Blutiger wird es bald in Charleston
20 P.M. HISTORY –
Fluchthilfe
neut aber wird sie an die Front entsandt, Im März 1869 heiratet Tubman ein Beifall bekommt sie mitunter noch,
diesmal nach Florida: das Sklavenkind, zweites Mal. Sie arbeitet in einer Zie- diese „schwarze, alte und faltige“ Frau
das höchste Militärkreise für unersetz- gelei und wieder als Hausmädchen. Als in „billigen Kleidern“, wie ein Reporter
lich an ihrer Seite halten. Zeugen ihrer 1872 erstmals eine Dokumentation der schreibt. Aber sie wird schwächer.
Arbeit staunen über die ihnen fast unbe- Underground Railroad erscheint, erhält Im Oktober 1888 stirbt Harriet
greifliche Freundlichkeit und Zähigkeit, Tubman eine einzige Seite darin. Tubmans zweiter Mann. Acht Dollar
mit der sich die zierliche Frau noch je- Die elaborierte Mittelklasse-Frauen- Witwenrente im Monat erhält sie da-
dem Mitglied „ihrer Rasse“ widmet. bewegung New Yorks beginnt, die kleine nach. Und weil das schon als reichlich
Mehr als 600 000 Soldaten sind am Schwarze mit den schwieligen Händen empfunden wird, scheitert der Versuch
Ende des Bürgerkriegs nach der Kapitu- an den Rand zu schieben; alte Verbün- eines ihr wohlgesinnten Kongressab-
geordneten, sie für ihre Dienste in der
United States Army mit einer Monats-
Diverse Verlage lehnen es ab, rente von 25 Dollar auszustatten. Zwölf
Dollar werden es schließlich. So muss
ein Buch über die berühmte Frei- Tubman eine angeschaffte Kuh verkau-
fen, um die Reise zu einer Versamm-
heitskämpferin zu veröffentlichen lung in Boston bezahlen zu können.
Während ihre Lebensleistung weit weg
von den USA, jenseits des Atlantiks,
lation der Südstaaten im April 1865 auf dete sterben – und Amerika will eine sogar das britische Königshaus dazu
den Schlachtfeldern gestorben; wobei neue Erzählung. Die Geschichte einer veranlasst, ihr 1897 eine Medaille zu
die Todesrate unter den Schwarzen in Vereinigung im Frieden, die Verklärung verleihen.
den Hospitälern jene der Weißen um auch des „alten Südens“, der nun schön Tapferkeit verschreibt sich Harriet
das Zweieinhalbfache übertroffen hat. sein soll, nicht mehr Ort unglaublicher Tubman bis zu ihrem Lebensende. Sie
Der Kongress beschließt das Verbot der Verbrechen. Es soll vergessen werden, kämpft weiter für ihre Idee, ein Haus
Sklaverei für die gesamten USA. Doch was die Schwarzen erlitten haben. für alte und bedürftige Schwarze be-
der Rassismus lebt weiter, auf der Stra- treiben zu können, was schließlich
ße, in Schulen, in Geschäften. enn all das, was Frauen wie 1908 eröffnet wird. Ab 1910 sitzt Tub-
Tubman, die bis fast an ihr Lebensen-
de dafür kämpfen wird, eine angemes-
sene Bezahlung für ihre Dienste für die
W sie getan hätten, sie nicht
endlich den Männern gleich-
stellten: was dann? Das fragt „Mother
man im Rollstuhl, 1913 stirbt sie an ei-
ner Lungenentzündung.
Ein Buch über die Freiheitskämpfe-
Union zu erhalten, darf immerhin zu ei- Tubman“, die „große schwarze Befrei- rin, etwa drei Jahrzehnte später, wird
BILDNACHWEIS: UNITED STATES MINT, TSADO/ALAMY, INTERFOTO/GLASSHOUSE IMAGES/CIRCA IMAGES
nem ermäßigten Tarif die Eisenbahn be- erin“, wie ihre Verehrer sie nennen, im- von diversen Verlagen abgelehnt. Eine
nutzen. Auf einer Fahrt nach New York mer wieder bei Versammlungen. Und Begründung lautet, es sei ein „freak
aber bescheinigt ihr ein Schaffner, die project“. Eine andere, das Leben dieser
Bahn transportiere „keine Nigger zum Sklavin, die einst aufbrach, sich ge-
halben Preis“. Zwei Männer brechen Tub- gen ihr Schicksal zu wehren, sei „a bit
man den Arm, als sie sich weigert, das strong meat for us“, übersetzt vielleicht:
Abteil zu verlassen. Sie hält das aus, wie ein bisschen zu heftig für die sensible
sie es aushält, mühsam nach Geldquellen Seele des Publikums.
zu suchen, mit denen sie wenigstens ihre Nun wird Harriet Tubman bald von
Familie und andere Verarmte ernähren einer 20-Dollar-Note blicken. Menschen
kann. Sie hält es aus wie die Nachricht werden sie aus ihrem Portemonnaie ho-
von der Ermordung ihres ersten Ehe- len, die sagen: Yes, black lives matter,
manns. Wie die Erfahrung, dass auch schwarze Leben zählen. Und solche,
in der wachsenden Frauenbewegung, die bis heute das Gegenteil glauben.
deren einer Teil ihr zugewandt ist, im Das Mädchen Minty hat einst geholfen,
anderen Teil die Verachtung für eine Amerika zu verändern. Gewonnen hat
vermeintlich primitive Schwarze blüht. es noch nicht.
P.M. HISTORY – 21
Die „Qingming-Rolle“
VERKEHRSMITTEL
Die Wohlhabenden Chinas
reisen damals in Sänften,
die, wie hier, von Männern
mithilfe von Stangen getra-
gen werden. Die geraden
Linien malt Zhang Zeduan
mit einem Lineal, die Technik
wird im Kolophon der Rolle
daher als „Linealmalerei“
bezeichnet
HANDELSPLATZ
Dieses kunstvolle Bau-
werk trägt eine Flagge mit
Schriftzeichen, die es als
Weinhandlung ausweist.
Es ist eines von Tausenden
Geschäften der damaligen
Hauptstadt Bianliang
E
s ist ein Meisterwerk voller filigraner Details. endet schließlich links im Trubel einer geschäf-
Doch noch beeindruckender ist seine Größe: tigen Großstadt am Abend.
5,25 Meter lang und dabei nur 25 Zenti- Den Mittelpunkt der Rolle bildet die breite
meter hoch ist die sogenannte Qingming-Rolle Bogenbrücke über dem Fluss. Einheimische,
– ein Artefakt aus fein gewebter Seide, bestückt Händler mit ihren Ständen und mit Lasten
mit Tausenden Tusche- und Farbzeichnun- bepackte Tiere drängen sich auf dem präch-
gen. Das Kunstwerk zeigt Eindrücke aus dem tigen Bauwerk. Die meisten stehen gestiku-
chinesischen Alltagsleben in der Zeit um 1100 lierend am hölzernen Geländer der Fluss-
nach Christus. Vom Betrachter sollte es einst in überführung, denn unmittelbar unter ihnen
der Hand gehalten und von rechts beginnend
abschnittweise ausgerollt werden. Es folgt dabei DENKMAL Im „Millennium City Park“
dem Tagesverlauf, beginnt am rechten Ende mit in Kaifeng (China) ehrt eine Statue den
einer morgendlichen Szene auf dem Land und Künstler Zhang Zeduan
22 P.M. HISTORY –
Meisterwerk
KOLLISIONSKURS
Die Gesten der Bootsleute
des treibenden Bootes
vermitteln Dramatik. Auf
dem Dach des Schiffes
schauen eine Frau und ein
Kind (vermutlich die Familie
des Kapitäns) dabei zu,
wie sich die Männer mühen,
den Mast zu senken
spielt sich eine dramatische Szene ab: Auf dem Wasser nisch fortschrittlichste Zivilisation der Welt. Und so
versuchen Schiffer, die Kontrolle über ein großes Boot handelt es sich bei der Stadt wohl um die Kapitale der
BILDNACHWEIS: ULLSTEIN BILD/PICTURES FROM
wiederzuerlangen. Es hat ein gerissenes Schlepptau, nördlichen Song-Dynastie, Bianliang (heute Kaifeng)
treibt nun mit der Strömung auf die Brücke zu. Einige am Fluss Bian. Der Name „Qingming“ wiederum bezieht
HISTORY (4), TAO IMAGES/VARIO IMAGES
der Männer sind dabei, den Mast umzulegen, ob sie die sich laut einer Theorie auf ein Fest, bei dem die Chinesen
Kollision noch verhindern können, bleibt ungewiss. ihrer Toten gedenken und das auch in Bianliang Tausen-
Und auch sonst gibt das Kunstwerk Rätsel auf: Über de Menschen auf die Straßen treibt.
den Künstler, Zhang Zeduan, ist wenig bekannt, sei- Die komplexen Darstellungen der „Qingming-Rolle“
ne Auftraggeber sind nicht überliefert. Lediglich das sind so außergewöhnlich, dass Kopisten sie über die
Kolophon, die Schlussschrift am linken Ende der Rolle, Jahrhunderte etliche Male nachahmen – zum Teil ohne
lässt vermuten, dass der Maler Szenen aus der Zeit der das Kunstwerk je selbst gesehen zu haben. Heute ist das
Song-Dynastie in China einfangen wollte – um 1000 Gemälde besonders in Asien berühmt, und wird von
nach Christus die wohlhabendste, kulturell und tech- manchen sogar als Chinas „Mona Lisa“ gefeiert. (kms)
P.M. HISTORY – 23
Schweiz
Wiege im Bergland
Schroffe Gipfel, tiefe Schluchten, grüne Hänge und
klare Seen: Das Gemälde von Alexandre Calame (1810
bis 1864) zeigt die dramatische Landschaft am Süd-
ende des Vierwaldstättersees, in dessen Umgebung
die Geschichte der späteren Schweiz ihren Ausgang
nimmt. Auf dem Gebiet, in dem sich die Eidgenossen-
schaft ausbilden wird, siedeln schon seit Jahrtausenden
Menschen – darunter der keltische Stamm der Helvetier,
auf den der lateinische Name der Schweiz verweist:
Confoederatio Helvetica (CH).
Kein Feind
ist zu stark
In der Schlacht von Sempach bringen
die Eidgenossen im Jahr 1386, nun
auch im Bund mit der Stadt Luzern,
den Habsburgern eine vernichten-
de Niederlage bei. Deren Herzog
Heiliger Bund Leopold III. war mit einem Ritterheer
angerückt, um seine Rechte gegen
Der Schwur auf dem „Rütli“, einer Bergwiese über dem die aufsässigen Kantone durchzuset-
Urnersee, begründet dem Nationalmythos zufolge die zen – und verliert bei den Kämpfen
Eidgenossenschaft: Hier geloben sich Vertreter der sein Leben (Gemälde eines anonymen
Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden im Herbst 1307 Künstlers, um 1830). Die Schlacht
gegenseitige Hilfe, um sich aus der Herrschaft der Habs- festigt das Bündnis der Eidgenossen
burger zu befreien. Die Schwurszene selbst (hier ein und trägt zu ihrem Ruf als tapfere
Gemälde des Künstlers Johann Heinrich Füssli von 1780) Kämpfer bei.
hat so wohl nie stattgefunden, ein Bündnis der Kantone
um das Jahr 1300 herum aber ist historisch belegt.
BILDNACHWEIS: AKG-IMAGES (2), PICTURE ALLIANCE/FINE ART IMAGES/HERITAGE-IMAGES P.M. HISTORY – FEBRUAR 2024 27
Schweiz
28 P.M. HISTORY – FEBRUAR 2024 BILDNACHWEIS: PICTURE ALLIANCE/IMAGEBROKER, AKG-IMAGES/KEYSTONE, SCHWEIZERISCHES NATIONALMUSEUM
Geburt einer Nation
Die letzte militärische Auseinandersetzung auf
Schweizer Boden ist ein Bürgerkrieg: Im November
1847 siegt ein Bündnis liberaler Kantone gegen die
Truppen des konservativen „Sonderbunds“ – und
ebnet damit den Weg für die Gründung der Schweiz als
demokratischer Nationalstaat (oben eine Darstellung
der Schlacht bei Schüpfheim von 1847). Die neue Ver-
fassung entsteht 1848 unter der Leitung des Libera-
len Ulrich Ochsenbein (r.). Die Mehrheit der Kantone
nimmt sie per Volksabstimmung an – ein Instrument
direkter Demokratie, das in der Schweiz bis heute wie
nirgendwo sonst in Europa die Politik mitbestimmt.
Die Schlacht
von
MARIGNANO
Als sie 1515 gegen die Franzosen um Mailand
kämpfen, gelten die Eidgenossen als die
besten Soldaten ihrer Zeit. Doch es wird
ihr letzter großer Krieg sein – anschließend
entscheiden sie sich für die Neutralität
BEEINDRUCKEND Den
Schweizer Söldnern, die
mit ihren Spießen und
Hellebarden in „Gewalt-
haufen“ anstürmen,
ist lange Zeit kaum ein
Gegner gewachsen
31
Schweiz
E
s ist schon beinahe Mitter- Die Nachtluft ist erfüllt von dem des wagen sie es nicht, Feuer zu ma-
nacht, als auch das Licht Stöhnen der verwundeten Kämpfer und chen.
des Mondes nicht mehr zum dem Schnauben ihrer Pferde, vom Ge- Es ist Donnerstag, der 13. Septem-
Kämpfen reicht und sich gnä- stank aus Eingeweiden, von Pech und ber 1515. Der erste Tag der Schlacht
dige Schwärze legt über die Pulverdampf. Wundärzte knien bei den von Marignano. 30 000 Eidgenossen
Lebenden wie die Toten. Verstümmelten, Feldprediger spenden sind ins Feld gezogen – niemals zuvor
So ineinander verkeilt stehen die den Sterbenden Trost, Hörner tönen, (oder danach) hat die Welt eine grö-
beiden Heere vor Mailand, dass die um die Versprengten zu sammeln. ßere Schweizer Armee gesehen. Die
meisten Soldaten sich einfach an Ort Aufseiten der Eidgenossen liegen Franzosen haben sogar 45 000 Männer
und Stelle fallen lassen, um auszuru- Züricher neben Luzernern, Basler ne- aufgeboten, angeführt von ihrem König
hen. Sieben Stunden lang haben die ben Appenzellern, Unterwaldner ne- Franz I., 21 Jahre jung, der seiner Mut-
Schweizer und die Franzosen einander ben Bündnern. Alle haben Hunger ter bald schreiben wird, „dass es nicht
ohne Pause erschlagen, erschossen und und Durst, jeder friert in dieser kalten möglich ist, mit größerer Kampfeslust
erstochen, Tausende sind tot. Nacht. Doch wegen der Nähe des Fein- und entschlossener anzupacken, als die
Schweizer es taten“. Wohl wahr: Für
ihren Todesmut und ihren Kampfgeist
sind die Eidgenossen europaweit so be-
rühmt wie gefürchtet. Ihre Truppen gel-
ten als unbesiegbar.
D
ie Schlacht von Marignano ist
der Höhepunkt einer der er-
staunlichsten Epochen der frü-
hen Schweizer Geschichte. Einer Zeit
des Ehrgeizes, vielleicht des Größen-
wahns, in der es so aussieht, als könn-
te die kleine, aus zunächst zwölf, dann
13 verbündeten Stadt- und Länderorten
bestehende Eidgenossenschaft tatsäch-
lich aufsteigen zu einer europäischen
Großmacht.
Und dies vor allem dank der über-
wältigenden Stärke ihrer Soldaten, die
mit einer neuen Angriffstaktik die über-
kommene Schlachtordnung revolutio-
niert haben und damit seit 200 Jahren
BESCHOSSEN Ein so gut wie ungeschlagen sind. Dabei
Landsknecht lädt kämpfen diese Truppen meist gar nicht
seine Büchse. Den für die verbündeten Orte selbst, son-
Kampf bei Marignano
können die Fran-
dern töten und sterben für Geld – als
zosen erst mithilfe Söldner in fremden Heeren.
ihrer Artillerie für sich Quellen, die von Schweizer Solda-
entscheiden ten in ausländischen Diensten berich-
ten, reichen bis ins 13. Jahrhundert
zurück. Mal sind es Einzelne, die sich
von durchziehenden Armeewerbern
rekrutieren lassen, mal schließen die
„Orte“ oder gar die gesamte Eidgenos-
senschaft Verträge über Truppenkon-
tingente mit anderen Mächten ab.
Die meisten und besten Söldner re-
krutieren sich aus der Innerschweiz.
Einer Gebirgslandschaft, in der es
„schwarze Wälder voller scharfer Stei-
ne“ gibt und Täler „von großer Rauheit,
32
Mülhausen Schaffhausen „Steinstoßen“ mit fast 30 Kilogramm
in Boden- schweren Felsbrocken oder beim
Basel Rhe see
St. Gallen
„Schwingen“, einer Art Freistilringen.
Zürich Wegen der besseren Nahrung wächst
Appenzell
Solothurn
Zug
die Bevölkerung, gleichzeitig bietet die
Biel
Luzern Weidewirtschaft nur wenigen Men-
Bern Schwyz
Neuenburg schen Arbeit. Es sind diese jungen In-
Unter- Glarus
walden Chur nerschweizer Männer, kampferprobt
Freiburg Uri und aggressiv, die den Kern der Söld-
Freistaat
der Drei Bünde nertruppen bilden.
Kriegsbereit sind jedoch alle Eid-
n
genossen. Während die Bauern und
Genfer
Genf See Wallis e Bürger anderer Mächte höchstens aus-
nahmsweise und im Verteidigungsfall
BILDNACHWEIS VORHERIGE SEITE: MAURITIUS IMAGES/THE PICTURE ART COLLECTION/ALAMY; BILDNACHWEIS DIESE SEITE: INTERFOTO/ANTIQUARIAT FELIX LORENZ; KARTE: RALF BITTER
V
deren Untertanengebiete or allem durch die jahrhunder-
Gemeine Herrschaften telangen Auseinandersetzungen
Schirmherrschaften mit den Habsburgern hat sich
Grenze des Hzgt. Mailand 1495 über die Generationen eine Krieger-
Dauerhaft von Eidgenossen und Verbündeten mentalität bei den Eidgenossen heraus-
eroberte Gebiete sind schraffiert Genua
gebildet.
0 km 100
Lange beherrschten Ritter die
Mitte lmeer
Schlachtfelder Europas – gepanzerte
Edelmänner zu Pferd, ausgestattet mit
Besiegt, bezahlt, begnadigt Schild, Schwert und Lanze. Fußsolda-
Drei Jahre währt die Herrschaft der Eidgenossenschaft über das ten spielten nur eine Nebenrolle. Die
Herzogtum Mailand, ein Gebiet, das größer ist als ihr eigenes Terri- Eidgenossen setzen dem nun den „Ge-
torium. Dann schickt der französische König eine Armee, um es zu- walthaufen“ entgegen.
rückzuerobern. Mit Erfolg: Bei Marignano 1515 siegen die Franzosen Dabei nehmen Fußsoldaten in einem
und stellen die Herrschaft über den Landstrich wieder her, zumindest Viereck Aufstellung. Wenn ein Heer ge-
über den größten Teil. Einige Gebiete dürfen die Eidgenossen näm- gen diese Phalanx anreitet, richten die
lich behalten – aus ihnen wird später der Kanton Tessin. Soldaten der vorderen Reihen und jene
an den Flanken ihre fünf Meter langen
Spieße auf und verankern das Ende im
Boden. Für die feindliche Kavallerie ein
mit überscharfen Felsen und dornrei- reichen Ernährung aus Milch, Käse und unüberwindliches Hindernis.
chen Hügeln“, wie es in der „Beschrei- Fleisch, so vermuten einige Forscher Oft greift der Gewalthaufen den
bung der Eidgenossen“ aus dem Jahr heute, sind sie seitdem kräftiger gewor- Kontrahenten auch direkt an, im
1479 heißt. Das Land sei unmöglich zu den und größer als ihre Nachbarn. Und Sturmlauf mit hohem Tempo, um den
erobern, schreibt der Verfasser, ein ein- anders als die Ackerbauern in den fla- Gegner zu überrennen. Irgendwann
heimischer Mönch, weil die Bewohner cheren Gegenden der Schweiz oder die dann öffnen die Spießträger die For-
zu den „Schärfsten im Krieg“ gehörten. Städter wachsen viele Innerschweizer mation, und die Krieger im Inneren des
„Wut und Zorn führen ihre Waffen. Sie in einer archaischen Hirtenkultur auf, Haufens stürzen sich im Nahkampf auf
ernähren sich von Kühen.“ voller Auseinandersetzungen um Wei- den Feind.
Bereits im 12. Jahrhundert hatten derechte und Viehdiebstahl, geprägt Ihre bevorzugte Waffe ist die Helle-
die Innerschweizer den Schwerpunkt von Blutrache und Fehden. barde: ein scharfes Beil mit Haken, mit
ihrer Landwirtschaft vom Ackerbau auf Die Männer gehen zur Jagd und dem die Angreifer die Ritter vom Pferd
die Viehzucht verlegt. Dank der protein- messen sich zum Zeitvertreib beim reißen, deren Rüstung aufschlitzen,
P.M. HISTORY – 33
Helme und Köpfe spalten. Da sie mit können: Türschlösser, Wagenräder, aber gleichzeitig zu schwach, um sich
zwei Händen geführt wird, kann ihr Be- Kinderwindeln, Rosenkränze, Fenster- wirksam zu verteidigen.
sitzer keinen Schild tragen. Aber das ist scheiben. Frauen hacken sie die Finger
Z
den Eidgenossen nur recht, die ohnehin ab, um an die Eheringe zu gelangen. umal gegen Frankreich, dessen
bloß an die Offensive denken und meist Auf Kämpfer dieser Art also vertraut König über die beste Armee der
auf Helm und Harnisch verzichten. der König von Frankreich, als er 1494 in Zeit verfügt: modernste Kanonen,
Diese Gleichgültigkeit gegenüber Italien einmarschiert und damit einen Ritter und eine Infanterie, deren Kern
der eigenen Sicherheit irritiert die Geg- Konflikt auslöst, den Historiker später 10 000 eidgenössische Söldner bilden.
ner nur noch mehr. Zeugen schildern die „Italienischen Kriege“ taufen wer- Mit diesem Heer zerschmettert der Feld-
den kollektiven Wahnsinn, in den die
Schweizer verfallen, wenn sie sich auf
ihre Gegner stürzen. Ein Chronist be- Gefangene machen die
obachtet 1422, wie die Eidgenossen ein
Ritterheer angreifen. Zu dieser Zeit ha- Eidgenossen grundsätzlich
ben sie die Taktik des Langspießes noch
nicht erfunden. Deshalb ducken die nicht. Jeder wird getötet
Krieger sich „mit ihren Leibern unter
die Pferde, stoßen ihnen das Schwert den. 65 Jahre, in denen sich mehrere herr auf seinem Weg nach Süden allen
zwischen die Rippen und erschlagen europäische Mächte in einer verwirren- Widerstand und zieht am 31. Dezember
die heruntergleitenden Ritter“. den Auseinandersetzung mit ständig 1494 im Triumph in Rom ein.
Gefangene machen die Eidgenossen wechselnden Allianzen um die Vorherr- Ein Chronist zeigt sich besonders
grundsätzlich nicht, jeder wird getötet. schaft über das in zahlreiche Kleinstaa- beeindruckt vom Anblick der Schwei-
Die Leichen plündern sie bis zu Hemd ten zersplitterte Land im Süden streiten: zer: „Alle trugen buntfarbige, kurze
und Hose und lassen sie nackt liegen. Italien, das dank seiner Handelszentren Tracht, welche jedes Glied hervortreten
Beuteverzeichnisse belegen, dass die wie Venedig und Mailand, seiner Hand- ließ. Die Stärksten ragten, durch Feder-
Schweizer nach einem Sieg oder einer werkskunst und seiner fruchtbaren büsche auf den Hüten ausgezeichnet,
Eroberung mitnehmen, was sie tragen Ackerböden zwar unendlich reich ist, über die Übrigen empor.“
34 P.M. HISTORY –
Schweiz
Während dieses Feldzugs machen Schweizer Krieger in Europa herumge- genössischen Orte und das einzige
viele Italiener erstmals Bekanntschaft sprochen hat, drängen sich Gesandte politische Gremium des Bundes – sieht
mit den Schweizer Söldnern. Immer des Kaisers und der Könige, Agenten die Gefahr, „dass wir des Eigennutzes
wieder ist bei den Zeitzeugen Bewunde- aus Lothringen, Savoyen, Mailand in wegen einander hassen“. Ja, dass das
rung zu spüren für ihre Disziplin, Kraft den Amtsstuben der einzelnen Stadt- ganze Bündnissystem auseinanderbre-
und Körpergröße. Gleichzeitig stößt die und Länderorte und überbieten einan- chen könnte! Und so beschließt sie im
Beobachter ab, dass sie offenbar allein der an Offerten. Jahr 1503, das ausufernde Söldnertum
des Soldes wegen kämpfen. Werber reisen eigenmächtig über einzuschränken.
Tatsächlich scheinen die Schweizer Land und sprechen Bauern auf dem
A
immer demjenigen Herrn zu dienen, Felde an, verführen junge Männer bei uch außenpolitisch vollzieht sie
der gerade am meisten zahlt. Weil die Treffen in Gasthäusern mit Wein, Es- einen Schwenk. Seit mehr als ei-
Nachfrage nach den Kämpfern wäh- sen, Frauen. Bis zu 100 000 Eidgenos- nem halben Jahrhundert hat die
rend der Italienischen Kriege auf allen sen dienen im 15. Jahrhundert europäi- Eidgenossenschaft Soldallianzen mit
Seiten steigt und die eidgenössischen schen Kriegsherren, im 16. Jahrhundert Frankreich geschlossen. Keinem Land
Orte sich kaum über ihre Soldallianzen sind es schon 400 000. hat sie mehr Truppen zur Verfügung
abstimmen, kommt es, wie es kommen Der Preis dafür aber ist hoch. Tau- gestellt. Als aber 1509 die Verlänge-
musste: Im Frühjahr 1500 stehen 10 000 sende Schweizer sterben in der Fremde. rung des Bündnisses ansteht, lässt die
Schweizer im Dienst Frankreichs vor Und wer überlebt, kehrt oft als Invalide Tagsatzung die Frist verstreichen. Ein
der norditalienischen Stadt Novara, in in die Heimat zurück. Andere enden im neuer Machthaber buhlt um ihre Gunst:
BILDNACHWEIS: FLORILEGIUS/ALAMY
der sich 10 000 Schweizer im Dienst des Wahnsinn oder als Mörder am Galgen. der Papst.
Herzogs von Mailand verschanzt hal- Immer mehr Stimmen beklagen zudem Schon vier Jahre zuvor hat Julius II.
ten. Im letzten Moment können Unter- die Korruption, die Habgier. „Einfalt, Kontakt mit den Eidgenossen aufge-
händler verhindern, dass Eidgenossen Mäßigung, Zucht und Scham gingen nommen, um eine Garde zu seinem per-
Eidgenossen niedermetzeln. verloren“, schreibt ein Berner Chronist sönlichen Schutz anzuwerben. Schwei-
Das Geschäft mit der Gewalt wird um 1500. zer als Leibwächter kommen gerade in
zur Bedrohung der Einheit des Bun- Auch die Tagsatzung – die Ver- Mode: Der französische König leistet
des. Seit sich die tödliche Effizienz der sammlung von Abgesandten aller eid- sich eine Wachmannschaft der „Hun-
Schweiz
dertschweizer“, andere ziehen nach. nen, was die Großmächte bisher nicht Bereits im Frühjahr 1515 zieht sein
Dem Papst ist vor allem wichtig, dass vermocht haben. riesiges Heer über die Alpen, zunächst
seine Elitetruppe die des französischen In Verlauf von nur drei Wochen er- ohne auf Widerstand zu stoßen. Nun
Königs an Zahl übertrifft: Im Januar obern sie das gesamte Herzogtum Mai- nimmt Franz I. Verhandlungen mit Ver-
1506 findet sich eine Schweizergarde land und vertreiben die Franzosen aus tretern der Eidgenossen auf. Der König
von 150 Mann in Rom ein. Italien. Der Papst verleiht ihnen den Ti- kennt den wunden Punkt der Schweizer
Doch Julius II. hat noch weiter rei- tel „Beschützer der Freiheit der Kirche“, – die Liebe zum Geld – und bietet kaum
chende Pläne. Mithilfe von Söldnern der sonst nur an Könige vergeben wird. vorstellbare Summen für den Verzicht
aus der Eidgenossenschaft will er die Nun plötzlich wandelt sich die Hal- auf Mailand.
Franzosen aus Norditalien vertreiben tung der Eidgenossen zu Kampf und Zwar stimmt anfangs eine Mehrheit
und die Macht des Kirchenstaates aus- Krieg. Zum ersten Mal entschließt sich für das Angebot Frankreichs, doch nach
dehnen. Über die Vermittlung eines der Bund zur Großmachtpolitik in eige- Abschluss des Abkommens handeln
Schweizer Bischofs gelingt es ihm, ner Sache: Die Schweizer erklären Mai- die Beteiligten auf eigene Faust: Bern,
ein Soldbündnis mit der Tagsatzung land zu ihrem Protektorat. Als Herzog Freiburg, Solothurn, Biel und das Wal-
zu schließen: Das Gremium stellt ihm setzen sie einen ihnen genehmen Herr- lis ziehen ihre 10 000 Mann umgehend
Soldaten in Aussicht, außerdem ver- scher ein und stationieren Besatzungs- ab. Andere, Zürich und Zug etwa, ver-
pflichtet sich die Eidgenossenschaft, truppen im Mailänder Schloss. harren zögerlich in Mailand, die Inner-
kein Bündnis mit einer anderen Macht schweizer Orte Uri und Schwyz dage-
D
einzugehen. och dann wird Anfang 1515 in gen sind entschlossen, den Vertrag zu
Im Jahr 1511 schmiedet der Papst Frankreich ein neuer König ge- ignorieren und zu kämpfen.
ein militärisches Bündnis, dem neben krönt. Und der junge Franz I. ist Im Spätsommer 1515 erreicht das
Venedig und Spanien auch der engli- entschlossen, die verlorenen Gebiete französische Heer die Ebene von Mai-
sche König und der Kaiser des Heiligen zurückzugewinnen. land und schlägt sein Lager an einem
Römischen Reiches angehören. An-
fangs kann das Bündnis nichts gegen
die Franzosen ausrichten. Erst als die BEGEHRT Schweizer
Schweizer über die Alpenpässe nach Söldner dienen unter-
Norditalien einmarschieren, gelingt ih- schiedlichen Königen
und – wie hier – dem
Papst in Rom
36 P.M. HISTORY –
kleinen Ort zehn Kilometer südöstlich
der Stadt auf: in Marignano.
Am 13. September halten die An-
führer der Schweizer Kriegsrat im
Mailänder Schloss. Plötzlich dringt
von der Straße der Lärm klirrender
Waffen und schnaubender Pferde zu
ihnen. Im nächsten Moment stürmt ein
Bote in den Saal und berichtet, dass die
Schlacht mit den Franzosen bereits be-
gonnen habe. Bald darauf stürmen die
eidgenössischen Truppen aus der Stadt
gegen das Lager der Franzosen.
Im dichten Haufen, mit erhobenen
Hellebarden, stürmen die Schweizer
los. Nicht das Kugelgewitter von 6000
französischen Büchsen achtend, nicht
die Gefallenen vor ihnen, überwinden
sie die Gräben und Hecken der Acker-
landschaft und verbeißen sich mit dem BEWAFFNET Ein
Feind. Die Franzosen scheinen geschla- Landsknecht stützt sich
gen. Noch in der Nacht schicken die auf seine Hellebarde.
Vor allem die Eidgenos-
Schweizer Boten in die Heimat, um den sen nutzen diese Waffe
Sieg zu melden. – halb Dolch, halb Beil
Allerdings zu früh. Denn die Fran- – im Nahkampf
zosen fassen im Schutze der Dunkelheit
frischen Mut, errichten Befestigungen,
graben sich ein, vor allem aber stellen
sie ihre zuvor zu hoch platzierten Ge-
schütze besser auf.
Als die Schweizer nach Sonnenauf-
gang erneut angreifen, rennen sie in
ihr Verderben. Die Kanonen zerfetzen
die anstürmenden Krieger. Irgendwann
im Lauf des Morgens trifft auch noch
die Kavallerie der Republik Venedig
BILDNACHWEIS: FALKENSTEINFOTO/ALAMY, INTERFOTO/ANTIQUARIAT FELIX LORENZ
E
s ist vorbei. Ein Offizier ordnet den gen Frieden“ mit Frankreich. unausgesprochenen Haltung ein eher-
Rückzug an. Die Schweizer retten Im Gegenzug gibt sich Franz I. maß- ner Grundsatz. Der Verzicht auf gewalt-
sich nach Mailand, und Franz I. voll. Nicht nur zahlt er den Eidgenossen same Expansion verwandelt sich in ein
lässt sie ziehen. Vielleicht aus Respekt, eine ungeheure Menge Geld dafür, dass Bekenntnis zu einer umfassenden Neu-
eher aber aus Kalkül. sie alle Ansprüche auf Mailand aufge- tralität. Das einst kriegerischste Volk
Schätzungsweise 15 000 Soldaten ben, sie dürfen sogar einige Gebiete be- Europas gibt das Kriegführen auf: Nie
sind in Marignano gestorben, wohl zwei halten, den späteren Kanton Tessin. wieder wird die Schweiz einem Offen-
Drittel davon Schweizer. Noch nie hat Die Expansion der Eidgenossen- sivbündnis beitreten oder ein anderes
die Eidgenossenschaft einen solchen schaft jedoch ist beendet. Es ist wohl Land angreifen.
Blutzoll zahlen müssen. In Zürich, Lu- auch eine Einsicht in die eigenen Gren-
zern und weiteren Städten kommt es zu zen: Um eine Großmacht zu sein, müsste
Johannes Strempel schrieb
Unruhen. Die Menschen haben genug sie sich eine zentrale Regierung geben,
zuletzt in P.M. HISTORY 1/2024
von den Soldunternehmern, die sich am einen Fürsten, der das Land beherrscht. über den legendären bibli-
Krieg bereichern und dafür ihre Mitbür- Doch ihre Freiheit ist den mittlerweile schen König Salomo.
ger in den Tod schicken. Am 29. Novem- 13 Orten wichtiger.
P.M. HISTORY – 37
BASEL
Die Stadt der Profiteure
Die Eidgenossenschaft besaß zwar nie Kolonien.
Doch viele ihrer Kaufleute waren in den Sklaven-
handel zwischen Afrika und Amerika verstrickt
Von Dominik Bardow
P
orto-Novo, Westafrika, am Meer zu werfen. Die Bewacher grei- Für die Sklavenhändler ist der Tod
30. August 1776. Etwa 300 fen zu den Waffen, feuern Gewehrsal- von 35 Arbeitskräften ein großer finan-
Gefangene drängen sich an ven in die Luft. Doch die Warnschüsse zieller Verlust. Viele der Toten waren als
Deck der „La Ville de Basle“, verhallen ohne Wirkung, der Mut der Ware der höchsten Kategorie eingestuft,
eines Handelsschiffs, das vor Verzweiflung lässt die Aufständischen Schwarze zwischen 18 und 30 Jahren
der Küste des heutigen Benin ankert. weiterkämpfen. Schließlich drängen mit einer Körpergröße von etwa 1,80
Die Männer, Frauen und Kinder tra- die Seeleute die Menschen mit Säbeln Metern, ohne sichtbare Makel und mit
gen Handschellen und Fußeisen, noch zurück, erst einmal bemüht, nieman- vollständigem Gebiss. Noch schlimmer
sind sie nicht im Schiffsbauch an ihren den zu töten. scheint für die Schweizer Investoren zu
Hälsen zusammengekettet. Noch kön- Zahlreiche Frauen und Kinder las- sein, dass in dem Tumult an Bord auch
nen sie sich wenigstens etwas bewegen. sen sich so in die Pferche unter Deck der Rest ihrer kostbaren Indiennes-Stof-
Der erste Kapitän und ein Teil der zwingen. Dutzende Männer aber sprin- fe verloren gegangen ist: hochwertige
Besatzung sind an Land, um bei einhei- gen über Bord – und damit in den si- Ware für den Tauschhandel in Afrika.
mischen Königen Waren gegen weitere cheren Tod. Mit ihren eisernen Fesseln Mit den Textilien hätte man die Skla-
Sklaven einzutauschen. Die Gefan- können sie sich nicht über Wasser hal- venbestände wieder aufstocken können,
genen ahnen: Wenn sie eine Chance ten. Die Besatzung gibt einen Kanonen- zürnen Emmanuel und Nicolas Weis of-
haben, in die Freiheit zu entkommen, schuss ab und setzt die Flagge auf Halb- fenbar per Brief aus der Ferne. Die Brü-
dann nur jetzt, bevor das Schiff ablegt. mast, Signale, um von anderen Schiffen der aus Basel sind Kaufleute. Das Schick-
Also schlagen sie los, packen den Verstärkung und Rettungsboote anzu- sal der Toten ist ihnen keine Silbe wert.
zweiten Kapitän, versuchen, die übri- fordern. Doch für 35 Schwarze ist es zu Als der Sklavenhandel nach Ame-
gen Weißen niederzuringen und ins spät: Sie ertrinken an diesem Tag. rika im 18. Jahrhundert seinen Höhe-
punkt erreicht, ist die Eidgenossen- ihren Textilmanufakturen haben sie die ropa importiert, dort von Heimarbei-
schaft weder eine Seefahrernation Herrschaft der alten Handwerkerzünfte tern gesponnen und verwebt und in Ma-
noch eine Kolonialmacht. Doch mit gebrochen. Mithilfe des Bandwebstuhls nufakturen bedruckt, danach weltweit
ihrer Textilproduktion sind die Städte stellen sie Stoffe im großen Stil her, um exportiert. Ende des 18. Jahrhunderts
und Manufakturen des Alpenlandes sie anschließend zu bedrucken. arbeiten in der Schweiz bis zu 10 000
fest eingebunden in den Welthandel. Vor allem Indiennes. Diese Baum- Menschen in Indiennes-Druckereien.
Schweizer stehen als Beamte und wollgewebe, häufig verziert mit exoti- Auch die Kaufmannsdynastie der
Söldner in Diensten der Kolonialmäch- schen Motiven, sind leicht, aber robust Burckhardts besitzt Textilfabriken vor
te. Sie investieren in Schiffe und Plan- – und eine begehrte Tauschware, nicht den Toren Basels. Bereits um 1770 be-
tagen. Und kaum ein Geschäft lockt
die eidgenössischen Kaufleute und Fa-
brikanten mit derart großen Gewinnen Die kleine Schweiz ist keine See-
wie der Handel mit Menschen.
Einige der Hauptprofiteure leben in fahrernation – und verdient den-
Basel. Die Textilhochburg wirkt Ende
des 18. Jahrhunderts noch immer wie noch prächtig am Welthandel
ein mittelalterliches Städtchen: Hinter
dem Mauerring mit 52 Türmen und sie- nur in Afrika. In Indien werden solche ginnt sie wie andere Schweizer Kaufleu-
ben Toren ragen Spitzdächer und Kirch- Textilien seit Jahrhunderten gefertigt, te, Aktien an Schiffen zu zeichnen, die
türme empor, in den Gräben rundher- darunter kunstvoll bemalte, später auch nach Indien und China, nach Westafri-
um weiden Hirsche und Rehe. bedruckte Gewebe. Portugiesische Kauf- ka und in die Karibik segeln. Damit er-
Basel ist die zweitgrößte Gemein- leute haben sie nach Europa eingeführt, werben sie auch das Recht, ihnen Stoffe
de der Schweiz. Die Macht liegt in der wo sie rasch an Beliebtheit gewinnen. aus ihren Warenlagern mitzugeben und
Hand einiger weniger Familien, die den Bald gelingt es europäischen Fabri- Rückfracht wie Baumwolle oder Färbe-
Stadtrat dominieren. Es sind vor allem kanten, die Textilien selbst herzustel- mittel aufzukaufen.
Kaufleute, die Basel beherrschen, Han- len. Die Indiennes werden so zu einem Vorfinanzierung und Tauschwaren
delsdynastien wie die Familien Burck- globalisierten Massengut: Baumwolle sind der Treibstoff für den Dreiecks-
hardt, Faesch, Merian oder Weis. Mit wird aus Asien oder Amerika nach Eu- handel zwischen Europa, Afrika und
LUXUS Mit kostbaren Möbeln hat sich der Basler Seidenbandfabrikant Peter Burck- TRANSPORT Dicht an dicht werden die
hardt mit seiner Familie eingerichtet. Der Händler, der auch in das Sklavengeschäft Verschleppten in die Schiffe gezwängt – im
verstrickt ist, zählt zu den prominentesten Bürgern der Stadt Schnitt sterben 15 von 100 bei der Überfahrt
S
o entsteht 1788 unweit vom
Rheinufer ein neuer Wohn- und
Geschäftssitz für den Kaufmann
Christoph Burckhardt. Das Haus ist
kostbar ausgestattet: Im „Grauen Saal“,
einem Prunkzimmer mit Kronleuchter VERSCHLEPPT Kinder, Frauen und Männer werden von europäischen Menschen-
und Kamin, Spinett und kunstvoll ge- händlern in ihren Heimatregionen in Afrika gefangen genommen und als Sklaven
stalteten Wänden, sitzt man beim Ge- nach Übersee verkauft
spräch zusammen oder musiziert.
Burckhardt kleidet sich gern elegant
mit Herrenrock, Weste und Seiden- mal als Schweizer auf, mal als Franzo- ten Aufstand auf der „La Ville de Basle“
schal. Verheiratet ist er standesgemäß sen – je nachdem, was den Geschäften 35 Sklaven im Meer ertrunken sind.
mit der vier Jahre jüngeren Dorothea nützt. Christoph Burckhardts gleichna- Die örtlichen Potentaten sind keine
Merian, Tochter einer weiteren hoch- miger Sohn eröffnet im französischen naiven Kunden, sie verhandeln hart mit
rangigen Kaufmannsfamilie. Nantes eine Filiale des Familienunter- den Europäern, afrikanische Seeleute
Der Hausherr ist ein eher introver- nehmens und ändert seinen Namen ins dienen als Dolmetscher. So dauert es
tierter Mann. Doch in seinen Geschäfts- Französische ab: Christophe Bourcard. über vier Monate, bis der Kapitän der „Le
briefen zeigt er eine kalte Offenheit. Als Als am 31. August 1786 das Skla- Comte de Tréville“ seine Fracht gegen
etwa die Kunde vom Sklavenaufstand venschiff „Le Comte de Tréville“ ablegt, 375 Sklaven eingetauscht hat. Sie werden
des Jahres 1791 in der Kolonie Saint- sind auch verschiedene Zweige der Fa- wohl wie meist üblich von einem „Chi-
Domingue (dem heutigen Haiti) um die milie Burckhardt an dem Unternehmen rurgen“ mit eher fragwürdigen medizini-
Welt geht, rechnet er sich dennoch gute beteiligt. Der Segler hat Tauschware schen Kenntnissen untersucht, etwa in-
Verkaufschancen für seine menschliche für afrikanische Herrscher geladen: dem er Männern den Finger in den Anus
Fracht aus. Wenn nicht in der Karibik, Karaffen und Gläser, Eichenfässer mit steckt und Frauen in die Vagina, Urin-
dann eben auf dem südamerikanischen Schnaps, Korbflaschen mit Anislikör, dämpfe einatmet, Schweiß kostet, Brüs-
Festland. Dort liege der Preis bei bis zu Tabakspfeifen, Puder, Zinnteller, Hüte te und Hoden mit der Hand abwiegt.
800 Gulden pro Sklave, noch immer ein und Seidenstoffe aus Siam. Vor allem Obwohl möglichst nur junge und
profitables Geschäft. aber Indiennes. Denn wie es ein Gelehr- gesunde Verschleppte gekauft werden,
Es ist ein neuer, protestantisch ge- ter aus Nantes ausdrückt: „Kein guter liegt die Sterberate während der Fahrt
prägter Kapitalismus, der den Schwei- Eintausch von Sklaven ohne Indiennes.“ über den Atlantik bei ungefähr 15 Pro-
zer Dreieckshandel befeuert. Seine Ver- Um Weihnachten erreicht die „Le zent. Eingepfercht und angekettet un-
treter sind oft ehrgeizige und familiär Comte de Tréville“ Porto-Novo. Die Ha- ter Deck, zwischen Gestank und Krank-
gut vernetzte junge Männer, häufig kön- fenstadt dient als Drehscheibe des Men- heit, verweigern viele Gefangene die
nen sie mehrere Nationalitäten für sich schenhandels. Es ist jener Ort, an dem Nahrungsaufnahme. Mit Peitschenhie-
in Anspruch nehmen und treten so etwa zehn Jahre zuvor bei dem gescheiter- ben werden sie zum Essen gezwungen.
N
en werden die Gefangenen zur „Erfri- ach sechs Wochen, am 6. Au-
schung“ mit Meerwasser abgespritzt gust 1787, landet die „Le Comte
und bekommen Alkohol zu trinken, um de Tréville“ im Hafen der Stadt
auf den Sklavenmärkten einen lebendi- Saint-Marc in Saint-Domingue, wo eine
geren Eindruck zu machen. ansässige Firma den Verkauf der Sklaven
Allein die Familie von Christoph übernimmt. Kaufleute aus der Schweiz
Burckhardt investiert zwischen 1783 betreiben selbst Niederlassungen vor
und 1792 in insgesamt 21 Sklavenfahr- Ort und machen Geschäfte mit den NIPPES Menschenhandel als Deko-
ten. Bei durchschnittlich 350 Gefan- Plantagenbesitzern, von denen manche ration für die Stube: Porzellanfiguren
genen pro Fahrt ist sie also innerhalb ebenfalls aus der Schweiz stammen. einer Schweizer Manufaktur von 1775
dieser zehn Jahre vermutlich an der Vor allem in Surinam und den an-
Verschleppung von 7350 Männern, deren niederländischen Besitzungen,
Frauen und Kindern beteiligt. aber auch in South Carolina an der At- anwerben lassen, um in den Kolonien
Bis etwa 1830 werden Schweizer lantikküste Nordamerikas sind eidge- Sklavenaufstände zu bekämpfen.
Handelshäuser und Banken an der Ver- nössische Siedler zu finden, auf deren Der Basler Isaac Faesch, Spross ei-
sklavung von schätzungsweise 172 000 Plantagen Sklaven schuften. Und es ner der führenden Familien, macht
Menschen aus Afrika beteiligt sein. Al- gibt Schweizer Söldner, die sich haben auf diese Weise ab den 1730er-Jahren
Karriere in Übersee. Im Dienst der Nie-
derländischen Westindien-Kompanie
schlägt er auf der Insel Sint Maarten
KULTUR Vater und Sohn
eine Revolte nieder und wird schließ-
Ryhiner musizieren in ih-
rem Landhaus. Die Familie lich Gouverneur von Curaçao, einem
besitzt gleich mehrere wichtigen Umschlagplatz im Men-
Indiennes-Fabriken in Basel schenhandel.
Auch auf den Plantagen der Insel
arbeiten viele Sklaven. Der Schweizer
lässt sie mit glühenden Eisen brandmar-
ken – und auspeitschen, wann immer es
ihm nötig scheint. Als es 1750 zum Auf-
stand kommt, werden auf Faeschs Ge-
heiß Dutzende Sklaven enthauptet und
ihre Köpfe zur Abschreckung im Hafen
ausgestellt. Noch 100 Jahre später be-
sitzen Basler Erben der Familie Faesch
Sklavenplantagen in Surinam.
Beim letzten Schritt im Dreiecks-
handel zwischen Europa, Afrika und
Amerika werden die Erlöse aus dem
Verkauf der Sklaven eingesetzt, um Ko-
lonialprodukte zu erwerben. Beladen
mit Zucker, Baumwolle, Kaffee, Kakao
oder Tabak kehren die Schiffe zurück –
um bald von Neuem aufzubrechen, mit
Tauschwaren Richtung Afrika.
Doch die Schweizer investieren zu
einer Zeit in den Menschenhandel, in
der die Forderungen nach Abschaff ung
der Sklaverei lauter werden. Aufklärer
empören sich über die Missachtung der
Menschenrechte, andere argumentie-
ren aus religiösen Gründen. Nach dem Doch dann erreicht ihn die Nachricht, Textilien, Tabak- und Chemieprodukte
Ausbruch der Französischen Revolution die britische Marine habe das Schiff produzieren.
1789 kommen die Geschäfte vorüberge- beschlagnahmt. Die Briten haben den Die Verstrickung der Schweizer in
hend zum Erliegen. Sklavenhandel bereits 1807 verboten Sklavenhandel, Sklaverei und Kolonia-
Christophe Bourcard gibt die Hoff- und verfolgen seither all jene Seefahrer, lismus wird totgeschwiegen und gerät
nung dennoch nicht auf. Er rechnet die dieses Verbot missachten. mit der Zeit in Vergessenheit. Obwohl
mit einer Wiederaufnahme des Drei- Der Kaufmann glaubt sich ruiniert bereits 1932 eine Studie Licht auf dieses
eckshandels nach der Revolution. Tat- und verfällt in Depression. In einem Kapitel der eidgenössischen Geschichte
sächlich hebt Frankreichs Machthaber Brief an die Familie bezeichnet er sich wirft, wird es weitgehend ignoriert.
Napoleon 1802 das Verbot der Sklaverei als „boshaften Menschen“, der zu wenig Bis die Familie Burckhardt ab 1971
wieder auf. Doch Christophe Bourcards Zeit auf Philosophie und Literatur ver- das Jahrzehnte zuvor bei Abrissarbei-
Geschäfte geraten immer wieder zu wendet habe. Über das Schicksal der ten ihres Geschäftssitzes nahe dem
schweren Fehlschlägen. Nach dem Tod Sklaven schreibt er nichts. Im Oktober Rheinufer aufgefundene Firmenarchiv
seines Vaters 1812 hilft ihm das Erbe 1815 nimmt er sich das Leben. für die Forschung freigibt – und damit
eine Zeit lang, seinen Lebensstil auf- detaillierte Einblicke in das blutige Erbe
D
rechtzuerhalten. Dann aber benötigt er ie Burckhardts ziehen sich wie der Eidgenossenschaft ermöglicht.
dringend einen finanziellen Erfolg. andere Schweizer Familien all-
1814 stechen die Sklavenschiffe mählich aus dem Geschäft mit
Dominik Bardow schrieb
wieder in See. Bourcard beteiligt sich Kolonialwaren und Menschen zurück.
zuletzt in P.M. History 10/2022
mit 5000 Francs an einer Fahrt der „Le Ihr Geld investieren sie nun vor allem in über den Aufstieg und Fall von
Cultivateur“, eines Seglers, der 450 Ver- die heimische Industrie. Aus Basels Ma- Johann Struensee im Dänemark
schleppte in die Karibik bringen soll. nufakturen werden Großbetriebe, die des 18. Jahrhunderts.
BILDNACHWEIS: HISTORISCHES MUSEUM BASEL, SCHWEIZERISCHES NATIONALMUSEUM, HISTORISCHES MUSEUM BASEL/PETER PORTNER
WOHLSTAND Am
Münsterplatz zeigen die
führenden Familien Basels
ihren Reichtum. Dort
lassen sie sich prachtvolle
Residenzen errichten
44 P.M. HISTORY –
Schweiz
den Schwächeren zu helfen. Mit weltli- ckelt die Vision eines humanitären Völ- tere und drei Zusatzprotokolle, von
chen Gaben und christlichem Großmut kerrechts. Es sieht Regelungen für die 196 Ländern anerkannt. Der Mann,
wollen reiche Wohltäter die Armut der Kriegsführung und den Schutz von Ver- der maßgeblich dazu beigetragen hat,
Massen mildern – allerdings ohne die letzten vor. Dabei argumentiert Dunant erfährt schließlich noch eine späte Eh-
Klassenunterschiede aufzuheben. aber nicht als Pazifist gegen den militä- rung: Gemeinsam mit dem französi-
Auch im calvinistisch geprägten rischen Kampf, denn der ist in weiten schen Pazifisten Frédéric Passy erhält
Genf findet die Idee, im Namen des Teilen Europas allgegenwärtig. Er plä- der 73-Jährige im Dezember 1901 den
Glaubens Gutes zu tun, Sympathisan- diert für die Pflege der Kriegsopfer. ersten Friedensnobelpreis.
P.M. HISTORY – 45
WETTLAUF
zum
GIPFEL
N u nber ü h r ter
Schnee, dann
haben die sie-
ben Männer
den Berg besiegt. Das Mat-
terhorn, 4478 Meter hoch,
mit einem Gipfel aus Fels und
Reverend Charles Hudson, Lord
Francis Douglas, Douglas Robert
Hadow, Peter Taugwalder seni-
or und Peter Taugwalder junior.
Nur drei der Männer werden
lebend am Fuß des Matterhorns
ankommen.
Eis, der sich scharfkantig in den
Himmel schraubt. Der Gigant ie Schweizer Hochalpen
gilt als unbezwingbar: Seine
Front wirkt vom Schweizer Ort
Zermatt aus gesehen extrem
D sind bis um 1700 noch
weitgehend unentdeckt.
Erst im Laufe des 18. Jahrhun-
steil, teils sogar senkrecht, ja fast derts wächst das wissenschaft-
überhängend. Kein Mensch hat liche Interesse. Forscher erkun-
es je hier hinaufgeschaff t – bis zu PIONIERE Engländer gelten als den die Pflanzen- und Tierwelt in
besonders bergverliebt. Hier triff t sich
diesem 14. Juli 1865. der britische Alpine Club in Zermatt
der Höhe, studieren die Geologie und
Edward Whymper löst sich aus dem zeichnen Karten.
Seil und hastet voran, lässt die klei- Ab den 1850er-Jahren folgen ihnen
ne Gruppe hinter sich. Nur einer setzt sie sich ganz dem Ausblick hin. Berge, Sportler, Alpinisten wetteifern nun um
ihm nach, der französische Bergführer die 75, gar 150 Kilometer entfernt sind, die Erstbesteigungen der Gipfel. Insge-
Michel Croz. Kopf an Kopf stapfen die zeichnen sich klar vor ihren Augen ab. samt 27 Schweizer Viertausender er-
beiden die letzten Meter bis zum Gipfel, Ganz nah erscheinen sie. Ihre Grate und klimmen sie zwischen 1854 und 1865
so schnell sie können. Gleichzeitig kom- Felsspitzen, die Schneefelder auf ihren zum ersten Mal: das Strahlhorn etwa,
men Whymper und Croz an, es ist 13.40
Uhr. Dieser Moment macht den engli-
schen Alpinisten Edward Whymper zu Im 18. Jahrhundert erschließen
einem Mann, der in die Geschichtsbü-
cher eingehen wird. Forscher und Sportler die Bergwelt
Nach einigen Minuten triff t auch
der Rest der Seilschaft ein. Croz pflanzt Flanken und die Gletscher, alles ist ge- die Dufourspitze des Monte Rosa, den
eine Zeltstange in den Schnee. Die Fah- nau zu erkennen. Ein atemraubendes Dom und das Weisshorn.
nenstange ist da, aber wo ist die Fahne, Panorama. Die Bergsportler, die sich nun Jahr
fragen die Männer. „Hier ist sie!“, sagt Nach einer Stunde bereiten sich die für Jahr im Gebirge einfinden, kommen
der Bergführer aus Frankreich, zieht Männer auf den Abstieg vor. Edward fast ausnahmslos aus Großbritannien.
kurzerhand sein Staubhemd aus und Whymper fertigt noch rasch eine Skizze Einige von ihnen gründen 1857 in Lon-
bindet es an den Stab. Eine armselige des Gipfels an. Ein Mann mit weichen, don den Alpine Club, um sich gegensei-
Fahne, so schreibt es Whymper später feinen Gesichtszügen, 25 Jahre alt. Die tig bei ihren Expeditionen zu unterstüt-
in seinem Bericht, zumal kein Wind den Augen stechen unter der Hutkrempe zen. So formiert sich weit weg von den
Stoff aufbläht. hervor, entschlossen. Alpen die weltweit erste Bergsteiger-
Es ist ein ruhiger und heiterer Tag. Bevor sich auch der Zeichner vereinigung.
Am Südende des Gipfelgrats errichten schließlich Richtung Tal aufmacht, Unter den Mitgliedern ist auch ein
die Männer eine Pyramide aus Fels- schreibt er die Namen der Seilschaft auf Londoner Verleger. Er bringt die Ver-
brocken, als unverrückbaren Beweis, ein Blatt Papier, schiebt es in eine Fla- einszeitschrift „Peaks, Passes and Gla-
dass sie hier waren. Erst dann geben sche und deponiert sie am Gipfel: Ed- ciers“ heraus und schickt Künstler in
SEILSCHAFT Um sich
gegenseitig vor Abstürzen
zu sichern, binden sich die
Bergsteiger gruppenweise
aneinander
cher
d’Hérens
glets g-
sind ihm voraus. Er stürmt 4478m
Furg
4171m
in sein Zimmer, nimmt sich
seine Karten vor. Fieberhaft überlegt er,
ob er der Gruppe noch zuvorkommen Route von
Fu r
kann, berechnet, dass sie etliche Tage Jean-Antoine gg
Carrel g ra
brauchen wird, um zum Gipfel zu kom- t
men. Wenn er aber nach Zermatt wan- Breithorn
dert und von dort über die Ostseite zur 4164m
Spitze des Matterhorns steigt, kann er ITALIEN
die Italiener noch überholen. 0 km 3
Sein Problem: Mit Carrel sind noch Breuil
weitere der besten Bergführer von der
italienischen Seite unterwegs. Und die Von Zermatt auf der Schweizer Seite aus steigen Edward Whymper und
meisten der Einheimischen auf der seine Begleiter zum Matterhorn hinauf. Auf diese Weise überholen sie die
Schweizer Seite weigern sich, zum Gip- Expedition um Jean-Antoine Carrel, die von Italien aus unterwegs ist.
fel des Matterhorns zu gehen, da sie das
Unterfangen für unmöglich halten. Bei
den Leuten in den Dörfern heißt es so- als Alpinist vorzuweisen. Auch er spielt dem 19-jährigen Spross eines reichen
gar, ein Fluch liege auf dem Berg, Geis- mit dem Gedanken, das Matterhorn zu Reeders aus London.
ter würden dort oben leben. Doch allein besteigen. Er hat in Zermatt Kontakt Hadow gilt als exzellenter Cricket-
kann Whymper mit seiner Ausrüstung mit Peter Taugwalder aufgenommen, spieler, aber im hochalpinen Klettern
nicht einmal nach Zermatt gelangen. einem der wenigen Bergführer, die es hat er wenig Erfahrung. Whymper
„Ich war in der Lage eines Generals überhaupt für möglich halten, den Fels zweifelt zunächst, ob Hadows Fähigkei-
ohne Armee; Pläne konnte ich machen, von dieser Seite aus zu erklimmen. ten für ihr Vorhaben ausreichen, doch
aber zur Ausführung fehlten mir die Und sie bleiben nicht allein. Am Hudson versichert, es sei unbedenklich,
Leute“, schreibt der Engländer später. 12. Juli in Zermatt eingetroffen, sto- ihn mitzunehmen.
Die Briten beschließen, gemein-
sam die Erstbesteigung zu versuchen
Eine konkurrierende Expedition – auf der bisher noch nicht begangenen
soll den Ruhm der Erstbesteigung Route über den Hörnligrat und die Ost-
BILDNACHWEIS: PICTURE ALLIANCE/KEYSTONE; KARTE: RALF BITTER
54
Schweiz
unweit des Sees. Sie ist im Hirzel, in der nym „Heidis Lehr und Wanderjahre“. um sich greifenden Industrialisierung.
sanft gewellten Hügellandschaft am Die Entstehung jedoch ist voller Die Sehnsucht nach dem Alpenidyll ist
Zürichsee, auf die Welt gekommen: am Rätsel. Spyri muss das Buch innerhalb groß. Der Schweizer Charles Tritten
12. Juni 1827, als Kind eines Arztes und weniger Wochen verfasst haben – aber dichtet die Saga in den 1930erJahren
einer pietistischen Dichterin. Die Stadt in ihren Briefen erwähnt sie es nicht. in mehreren Bänden fort. 1937 kommt
bleibt ihr das ganze Leben lang fremd. Nur so viel ist bekannt: Sie ist 1879 die Verfilmung mit Kinderstar Shirley
Mit 25 Jahren heiratet sie den sprö viel beschäftigt, plant, den Sommer zu Temple in die Kinos.
den wie schweigsamen Juristen Johann Hause zu verbringen. Ihr Sohn ist krank In der Nachkriegszeit ist „Heidi“ ein
Bernhard Spyri, der bald zum Züricher und auf Kur. Spyri will die Zeit nutzen, tröstliches Heilsversprechen in einer
Stadtschreiber ernannt wird. Johanna putzen, räumen, vielleicht einmal eine zerstörten Welt. Ende der 1960erJahre
Spyri fühlt sich erdrückt von der steifen „Spritztour“ unternehmen. wirbt die Fluggesellschaft Swissair mit
Gesellschaft und der traditionellen Rol Gut möglich, dass ein Ausflug sie ihr in den USA. „Heidi“ wird in mehr als
le, die ihr darin als tadellose Hausfrau zu einer Bekannten in der Nähe von 50 Sprachen übersetzt und 50millio
zukommt. In der Zeit um die Geburt Maienfeld am Fuß der Alpen führt. Im nenfach verlegt.
ihres Sohnes Bernhard 1855 wird sie Roman schickt sie Heidi jedenfalls auf Und spätestens seit der japanischen
depressiv. Eine Flucht ist das Verfassen einen Pfad, der sich vom „freundlich Zeichentrickserie von 1974 kennt jedes
kleiner Geschichten von „einfachster gelegenen, alten Städtchen Maienfeld“ Kind das Waisenmädchen von der Alp –
Art“, wie sie an ihren engen Vertrauten, über die Bergkräuterwiesen bis hin zur das Johanna Spyri, die mit ihrem Buch
den Schweizer Dichter Conrad Ferdi Hütte des „AlpÖhi“ schlängelt. Dann wie keine Zweite das Idealbild von der
nand Meyer, schreibt. auf einmal bemerkt sie Ende Oktober Schweiz geprägt hat, einst ersann.
P.M. HISTORY – 55
1 Als überzeugter Gegner des Ersten Welt-
kriegs muss der Schriftsteller Leonhard
Frank in die Schweiz flüchten. 2 Emmy
Hennings übt ihre dadaistische Kunst jen-
seits der Grenze endlich unbehelligt aus.
3 Sozialdemokrat Eduard Bernstein ent-
geht im Exil Bismarcks Sozialistengesetzen.
4 Philosoph und Pazifist Ernst Bloch flieht
während des Ersten Weltkriegs ins neutrale
Nachbarland. 5 Die Unterdrückung der
Frauen drängt Emilie Lehmus ins Ausland.
In der Schweiz darf sie promovieren.
2
3
Die
Willkommenen 4
5
BILDNACHWEIS: ULLSTEIN BILD/GETTY IMAGES, PRIVATSAMMLUNG (3), AKG-IMAGES, LUX-IN-FINE/BRIDGEMAN IMAGES
„die gute alte schweizerische Tradition den badischer Demokraten mit gleich Bildungsbürgerliche Touristen und
aus dem Blut von Wilhelm Tell“ verkör- zehntausend Mann über den Rhein. Sie Romantiker werden von Jean-Jacques
perten. kommen aus der Lombardei und Vene- Rousseaus „Nouvelle Héloïse“ an den
BILDNACHWEIS: AKG-IMAGES/DE AGOSTINI PICTURE LIBRARY, GETTY IMAGES/HULTON ARCHIVE/AUSTRIAN ARCHIVES,
Solche prachtvollen Gestalten, tien, wo sie gegen die österreichischen Genfer See gelockt, andere von Fried-
gewissermaßen geborene Flücht- Fremdherrscher gekämpft haben. rich von Schillers „Wilhelm Tell“ in die
lingshelfer, und ein im Vergleich zum Tausende, die man namenlos nennt, Landschaft des Vierwaldstättersees.
restlichen Europa freisinniger Staat sind unter den Flüchtlingen. Und auch Schneider, Schuster, Schlosser, Zim-
begründen den fast schon mythischen berühmte Männer wie der Architekt merleute kommen auf Arbeitssuche aus
Ruf der Schweizer Asyltradition. Eine Gottfried Semper oder der Komponist dem Norden in die Schweiz.
Offenheit, die spätestens Mitte des Richard Wagner, beide am Versuch Dort sind in mehreren Wellen zuvor
19. Jahrhunderts ihren Anfang genom- beteiligt, eine neue Verfassung im Kö- schon Angehörige des französischen
men hat. nigreich Sachsen durchzusetzen. We- Kaiserhauses gelandet, Flüchtlinge der
Seit dem Jahr 1847, als die Schweiz gen drohender Verhaftung rettet sich revolutionären Bewegungen in Italien,
AKG-IMAGES, GETTY IMAGES/HULTON ARCHIVE, ALINARI/GETTY IMAGES
den letzten bewaffneten Konflikt auf ih- auch Friedrich Engels, Mitverfasser des polnische Militärs und Adelige nach der
rem Territorium hinter sich hat, ist sie „Kommunistischen Manifests“, 1848 in Niederschlagung des Aufstands gegen
eine Insel des Friedens in einem Meer die Eidgenossenschaft. die russische Herrschaft 1831. Dazu
der Unruhen, Aufstände, Revolutionen. viele von deutschen Universitäten ver-
S
Ein Land der Vielfalt, schon wegen der ie sind nicht die Ersten, denen jene bannte Professoren und Studenten. Sie
verschiedenen Sprachgemeinschaften „Freiheit über alles gut schmeckt“, haben an die Kantonsschulen von Chur
auf seinem Territorium, ein Land der die „die herrliche Schweizerluft“ und Aarau gefunden, an die Reform-
Meinungs- und Pressefreiheit. Und es genießen, in der ein Richard Wagner institute Johann Heinrich Pestalozzis,
hat – von den Großmächten seit 1815 „mutige Lust zu arbeiten“ entwickelt, an die 1833 gegründete Universität von
garantiert – den Status der „immer- wie er schwärmerisch schreibt. Und sie Zürich. An dieser besetzen Lehrbeauf-
währenden Neutralität“. Es kann also werden nicht die Letzten sein. tragte aus Deutschland anfänglich fast
keinen besseren Fluchtpunkt geben für Der Zustrom wird von ganz unter- sämtliche Stellen, und an der ein Jahr
alle, die in ihrer Heimat verfolgt wer- schiedlichen Bewegungen ausgelöst.
den. Und so kommen sie.
Sie kommen nach den 1849 von
Preußen niedergeschlagenen Aufstän-
TREFFPUNKT Viele
Exilanten sammeln sich in
Zürich. Sie begegnen sich in
Debattierklubs, Cafés oder
bei Kunstdarbietungen
Schweiz
darauf gegründeten Universität in Bern pe Mazzini bei einer bewaffneten Expe- Militärische Interventionen wer-
B
ei aller Liberalität begleiten je- zu entwaffnen, und als diese scheitert, wonach der Bund „Fremde, welche die
doch auch immer wieder Dispute gewähren sie ihr Unterschlupf. 1848 innere und äußere Sicherheit der Eid-
die Schweizer Aufnahmepolitik. schließlich überschreiten Bewaffnete genossenschaft gefährden“, ausweisen
Das liegt vor allem an der Verschie- aus dem Tessin die Grenze, um der ita- kann – eine Beschwichtigungsgeste
denheit der Kantone und deren Be- lienischen Einigungsbewegung dabei auch nach außen. Zugleich behalten die
völkerung: Noch vor Inkrafttreten zu helfen, die Österreicher aus der Lom- 22 Kantone das Recht, eigene Maßstäbe
der Bundesverfassung 1848 gibt es in bardei zu vertreiben. für die Asylgewährung anzulegen und
der Eidgenossenschaft Bestrebungen, Die Schweiz büßt solche Attacken über Internierungen zu entscheiden.
Flüchtlingen ein politisches Engage- von ihrem Gebiet aus mit Drohungen So bleibt die Schweiz ein Land mit
ment zu untersagen. Andererseits gibt der sie umgebenden Mächte. Der Ös- einer großen Bandbreite im Verhältnis
es Sympathien für Aufständische, die terreicher Klemens Wenzel von Metter- zu Flüchtlingen: Während sich etwa die
RESSENTIMENT Nicht
überall herrscht Offenheit
gegenüber Fremden – zum
Beispiel in der französisch-
sprachigen Region um Genf
teils auch in ein ferneres Asyl weiterge-
reist. Aber schon 1863 und im Folgejahr
kommen neue Flüchtlinge aus Polen,
etwa 2000 Mann, empfangen als ge-
schlagene Helden eines Aufstands ge-
gen die russische Besetzung.
Zeitgleich beginnt eine weitere
Migration aus dem Zarenreich: Es sind
junge russische Frauen, die sich – zu-
meist für das Studium der Medizin –
an den Universitäten Zürich und Bern
immatrikulieren, den neben Paris ein-
zigen Universitäten, an denen Frauen
überhaupt regulär studieren dürfen.
Diesem unsittlichen Tun, wie der
Zar zu Hause grollt, geben sich anfangs
nur wenige Pionierinnen hin, aber bis
1914 werden ihnen Tausende folgen.
Sie stammen zumeist aus adeligen Fa-
milien, aber es sind auch Bauerntöch-
ter darunter. Und Mädchen, die von
sozialutopischen Schriften angesteckt
sind, der Idee eines „neuen Menschen“
folgen, als Ärztinnen zurückkehren
FLUCHTPUNKT Ab
1914 sammeln sich
wollen, um dem verarmten russischen
Pazifisten aus ganz Europa Volk zu dienen.
in der Schweiz – wie der „Kosakenpferdchen“ werden die
Schriftsteller Klabund jungen Frauen aus Russland von jenen
Schweizern genannt, in denen sie ero-
tische Fantasien auslösen. Denn eini-
ge von ihnen scheinen freie Liebe zu
propagieren, sie tragen kurze Röcke,
Brillen und Kurzhaarschnitte, sie „quie-
ken“, wie sich jemand über ihre Laut-
stärke auf den Straßen echauffiert.
Aber während etwa der Münchner
Professor Theodor von Bischoff 1872
noch anhand von Vergleichen der Hirn-
und Schädelanatomie die Unzuläng-
lichkeit der Frau für ein Studium nach-
zuweisen versucht, hat mit der 1843
STARTPUNKT 1917 geborenen Nadeschda Suslowa ein ers-
bricht Wladimir Iljitsch tes „Kosakenpferdchen“ bereits seit fünf
Lenin vom Schweizer Exil Jahren einen an der Universität Zürich
aus zur Revolution nach
Russland auf
erworbenen Doktortitel; sie ist die erste
promovierte Ärztin überhaupt.
U
nterdessen ist die Schweiz mit
ihrer einzigartigen, verfassungs-
mäßig garantierten Versamm-
lungs- und Redefreiheit zum Refugium
STANDPUNKT Wegen
ihrer pazifistischen
einer ganz anderen Emanzipationsbe-
Gesinnung muss auch die wegung geworden: zum Fluchtort von
Münchner Schriftstellerin Sozialrevolutionären aller Schattierun-
Annette Kolb flüchten gen. Anarchisten, Kommunisten, Sozia-
D
ass die Schweiz einen wie Ba-
kunin aushält, der das Ende
jeglicher Herrschaft predigt, ist
ein besonderer Beleg für den Ernst, mit
der sie politisches Asyl auf der Basis ih-
rer Neutralität definiert. Und zugleich GEDULDET Alfred Her-
für die Liberalität, mit der jener Artikel mann Fried publiziert die
ihrer Verfassung zumindest in Einzel- kriegskritische Zeitschrift
fällen ausgelegt wird, der es politischen „Die Friedens-Warte“
lieber in der Schweiz
Flüchtlingen verbietet, zum innen- oder
außenpolitischen Schaden aktiv zu
werden. So werden Anarchisten zwar
des Landes verwiesen, etwa 1881 Pjotr
Kropotkin, nachdem er bei einer Ver-
sammlung in Genf zum Sturm auf die
TOLERIERT R
Radikale
adikale Geis-
herrschende Ordnung aufgefordert und ter wie der Anarchist Michail
die Ermordung von Zar Alexander II. Bakunin bleiben unbehelligt,
gerechtfertigt hat. Auch die Zeitschrift weil ihr Aktivismus in der
„L’Avant-Garde“ wird verboten, als sie Regel auf das Ausland zielt
ihre Zustimmung zum Königsmord Begegnungsort für prominente Schwei- te Publikation in Zürich. Von dort aus
durchblicken lässt. Doch grundsätzlich zer Radikale gründen. wird „Der Sozialdemokrat“ mit einer
gilt: Eine Zensur findet nicht statt. Für die Erinnerungskultur der Eid- Auflage von bis zu 12 000 Exemplaren
„Hier herrscht für jegliche politi- genossenschaft, für ihr Eigenverständ- ins Deutsche Reich geschmuggelt, wo
sche Angelegenheit völlige Freiheit“, nis als humanitäre Instanz wird eine die Sozialdemokraten weder Versamm-
BILDNACHWEIS: AKG-IMAGES/DE AGOSTINI PICTURE LIBRARY, IMAGO IMAGES/PHOTO12, MATTEO OMIED/ALAMY,
schreibt Bakunin, inzwischen nach andere Fluchtbewegung allerdings lungs- noch Presse- noch Organisati-
Locarno im Tessin umgezogen, 1869 an wichtiger: Im Februar 1871 lässt die onsfreiheit haben.
einen Freund. Außerdem sei alles er- Schweiz 87 000 Soldaten der von den Und so ist die Schweiz im letzten
staunlich preiswert und die Luft gesund. Deutschen bedrängten französischen Drittel des 19. Jahrhunderts ein Auf-
Und wie Bakunin aus der Schweiz nach Ostarmee die Grenze übertreten und fang- und Sammelbecken linker Theo-
Russland hineinzuwirken versucht, tun
es auch die politischen Flüchtlinge an-
derer Länder. Aus ganz Europa suchen linke
Aktivisten Asyl in der Schweiz
V
or allem in der Westschweiz sind
es Hunderte Anhänger der ge-
scheiterten Pariser Kommune, verteilt sie nach ihrer Entwaffnung auf retiker und Aktivisten aus ganz Europa
deren Aufstand gegen die französische nahezu alle Kantone. geworden. Sie sind vernetzt in unzähli-
Zentralregierung 1871 blutig nieder- Dennoch: Die Soldaten kehren gen Zirkeln von Genf über Zürich und
geschlagen worden ist. Die geflohenen nach Ende des Krieges bald wieder in Bern bis ins Tessin. Sie fechten Posi-
Kommunarden versuchen sich in Genf ihr Heimatland zurück, die politischen tionskämpfe aus und sind in Stellvertre-
neu zu formieren, wo sie die Zeitung Flüchtlinge aber kommen weiterhin. Ab terkriege verwickelt, die sie auf heimat-
„Révolution sociale“ herausgeben und 1878 sind es wiederum deutsche Sozial- lichem Boden nicht führen könnten.
sich als französische Propaganda-Sek- demokraten, etwa Eduard Bernstein, 1889 wird die „Fremdenpolitik“ der
tion für die Idee einer proletarischen drangsaliert durch Bismarcks Sozia- Schweiz aber auf eine schwere Probe
LIBRARY OF CONGRESS
Revolution verstehen, obwohl einzel- listengesetze. Ab 1879 drucken die au- gestellt: Anhänger einer russisch-pol-
ne von ihnen etwa als Streikführer der ßer Landes Getriebenen ihre wichtigs- nischen Gruppe, deren Ziel die Besei-
Genfer Uhrenarbeiter auftreten. Oder,
wie der in seiner Heimat von Haft be-
drohte Maler Gustave Courbet, einen
FORTSCHRITTLICH
Die Stadt Bern ist um 1870
einer der wenigen Orte
weltweit, an dem Frauen
regulär studieren können
Schweiz
tigung des Zarenregimes ist, experi- Standfestigkeit. Der Bundesrat erkennt und etwa die „Neue Zürcher Zeitung“
mentieren in Zürich mit dem Bau von Deserteure aus den beteiligten Ländern öffnet sich Kriegsgegnern wie Hermann
Bomben. Sie planen einen Anschlag auf zwar nicht als politische Flüchtlin- Hesse, Alfred Henschke, der sich selbst
W
einen Sprengkörper testen wollen, deto- der, Griechen und Amerikaner. as die Flüchtlinge vielleicht
niert er unvorhergesehen. Dbski über- Aus Deutschland sind es neben spüren, vielleicht auch ver-
E
rst scheint die zunehmende Feind-
seligkeit gegenüber Ausländern
und „unerwünschten“ Zuwande-
rern noch ein Reflex auf die Notsitua-
tion der Bevölkerung zu sein, die wäh-
rend des Krieges unter der Teuerung
von Lebensmitteln und Wohnungsnot
leidet. Nach dem Krieg aber wird aus
Tolerierung und Integration immer
häufiger Abwehr. Und die richtet sich
nicht nur verstärkt gegen Sozialisten.
Die Einreise verweigert wird zudem
jenen, die der Grenzsanitätsdienst als
„hygienisch nicht akzeptable“ Personen
einstuft; wohl als Reaktion auf die Spa-
FREIGEIST Künstler wie nische Grippe, der 24 000 Schweizer
der Deutsche Hans Arp, zwischen Juni 1918 und Juli 1919 zum
ab 1915 in Zürich,
Zürich, profi-
Opfer gefallen sind.
tieren vom liberalen Geist
im Nachbarland Der Ruf nach einer „sozialen Ausle-
se“ wird immer lauter. Und sie betrifft
vor allem Juden aus Osteuropa, die
nach neuer Schweizer Lesart als nicht
„assimilierungsfähig“, als „Überfrem-
dungsfaktor“ gelten. Ab 1919 werden
ihnen keine Visa mehr erteilt – ein
düsterer Vorbote auf jene Zeit, in der
jüdischen Flüchtlingen erklärt werden
wird, das Boot sei voll.
Gnädiger geblieben sind die Behör-
den indessen gegenüber dem größten
EXPORT In der Schweiz aus-
gebildete Ärztinnen wie Rosa Weltenveränderer, den sie je in ihrem
Welt tragen ein neues Selbst- Land beherbergt haben: Als Wladimir
bewusstsein in die Welt Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, nach
Jahren der Agitation und Reflexion in
Bern und Zürich im April 1917 mit sei-
ner Entourage den Zug zur russischen
Revolution besteigt, da müssen die
Ausreisenden beim Grenzübergang in
TALENT Vorreiterinnen
wie die Russin Nadeschda Schaffhausen auf Geheiß des Zolls le-
Suslowa verhelfen dem Frau- diglich einen Teil der mitgenommenen
enstudium zum Durchbruch Schweizer Schokolade abtreten.
66 P.M. HISTORY –
Schweiz
den Mädchen Häkeln auf dem Lehr- Kantonen: Wieder und wieder lehnen solche Gesetzesänderung vornimmt
plan, schließlich sollen sie sich auf ihre sie es ab, die Schweizerinnen wenigs- (nur Liechtenstein folgt noch später).
Rolle als Hausfrau vorbereiten. tens auf regionaler Ebene mitentschei- Aber erst 1990 setzt auch der letzte
Marthe Gosteli aber ergreift einen den zu lassen. Schweizer Kanton die Gleichberechti-
Beruf. Nach einer kaufmännischen Dennoch sieht die überzeugte De- gung auf regionaler Ebene durch.
Ausbildung während des Zweiten Welt- mokratin Marthe Gosteli in einer recht- Gosteli bleibt aktiv: Sie pflegt ein
kriegs wechselt sie in die Presseabtei- mäßigen nationalen Abstimmung der Archiv der Frauenbewegung, als Inves-
lung der Schweizer Armee, dann in das Männer weiterhin den einzigen Weg tition in die Zukunft: „Ich führe viele
Filmarchiv der US-Botschaft in Bern. zur politischen Freiheit der Frauen. Und Missstände darauf zurück, dass die
Die Anstellung bei den Amerika- kann mit der Zeit mehr und mehr Ak- Frauen keine Ahnung haben, was ihre
nern inspiriert die junge Frau mit den tivistinnen von ihrem Kurs überzeugen. Vorfahrinnen geleistet haben.“
kurzen, gewellten Haaren. Denn in Selbst als die Schweizer Männer 1959 Fünf Jahre später ist ihr persönli-
den USA schreitet die Gleichberechti- bei einem ersten nationalen Referen- cher Kampf zu Ende. Marthe Gosteli
gung mit Macht voran, setzt sich etwa dum mit überwältigender Mehrheit ge- stirbt am 7. April 2017 in der Nähe von
die Lohngleichheit beider Geschlechter gen das Frauenwahlrecht stimmen. Bern – mit 99 Jahren.
P.M. HISTORY – 67
Schweiz
Zum Vertiefen
Buchtipps der Redaktion zum Titelthema
BERGIDYLL Schweizer
Bauern treiben im Sommer
ihr Vieh auf die Weiden –
hier dargestellt von Pierre
Louis Larive (1753–1817)
MENSCHENFREUND
Die Romanbiografie schil-
dert das bewegende Leben BILDNACHWEIS: PHOTO JOSSE/BRIDGEMAN IMAGES, PR (5)
68 P.M. HISTORY –
I GESCHICHTE
ERLEBEN
NR. 11
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s h op. n ati on a l geograp h i c .de/ his to r y- a bo
Tagebuch
A
ls 8000 Wehrmachtssoldaten am 10. und 11. Novem-
ber 1944 in Rotterdam eine große Razzia durchfüh-
ren und 52 000 Männer zwischen 17 und 40 Jahren
zur Zwangsarbeit deportieren, ist Jan Bazuin nicht in der
Stadt. Neun Tage später beginnt er sein Tagebuch, das noch
heute durch seinen jugendlich-freimütigen Ton fasziniert.
Als einer von 500 Zivilisten wird er Anfang Januar 1945
stehend im Viehwaggon unter Hunger, Durst und Kälte in
tagelanger Fahrt nach Bayern verschleppt. Von Dachau-
Rothschwaige geht es schließlich nach München-Neuaubing.
Heute ist Karfreitag, aber ich habe nicht viel davon ge-
merkt. Wir mussten alle arbeiten. Die 6 Jungs, die nach
Hause fahren sollten, gehen erst in 12 Tagen. Die Papiere
HEIMKEHRER Jan Bazuin
(Hut und helle Jacke) zurück wurden nach Berlin geschickt. Ich habe zum ersten Mal,
in Holland. Oben rechts: seitdem ich in Deutschland bin, auf einem Fahrrad geses-
Fliegeralarm in Deutschland sen. Am Abend haben wir zu viert einen Holländer in das
70 P.M. HISTORY –
GROSSE LAST Schwerkranke oder
gar tote Lagerinsassen zu tragen be-
drückt die Zwangsarbeiter besonders
BILDNACHWEIS: SHUTTERSTOCK/RANGIZZZ, VERLAG C.H. BECK/PRIVATBESITZ LEON BAZUIN (2);
stunde durch die Gegend schleppen mussten, bevor wir Ich habe schon wieder einen anderen Beruf. Sie haben
ihn abliefern konnten. (…) mich jetzt zum Vormann von einer Gruppe von 4 Jungs
katapultiert. Zu viert müssen wir in Freiham eine Bara-
cke bauen. Das ist ein Dorf 3 km weiter. Dahin müssen
SAMSTAG 31. MÄRZ 1945
wir mit dem Zug fahren. Die Baracke wird hinter einer
Noch immer regnet es. Die letzten Tage fahre ich mit Schuhfabrik stehen. Vielleicht kann ich noch ein Paar
ILLUSTRATIONEN: VERLAG C.H. BECK/BARBARA YELIN (2)
wir erneut 1 kg Brot für 4 Tage. Ich dachte, ich hätte es Gegen sieben waren wir erneut unter Beschuss. Das wird
an einem sicheren Ort versteckt, aber eine Stunde später mir jetzt doch zu viel. Ich haue ab. Schlechtes Essen und
stellte sich heraus, dass das nicht so war. Es war mal wie- jede Minute den Tod vor Augen, das macht einen Men-
der gestohlen worden. Kameradschaft? Nein, dieses Wort schen kaputt. Ich habe meine ganzen Sachen in einen
kennen die Holländer nicht. Abends war ich im Kino. Das Beutel gestopft und den Koffer für 30 RM verkauft. Nach-
konnte ich machen, denn ich hatte wieder Geld vom RAW dem der Chef in Freiham gewesen war, dem ich 10 RM
(Reichsbahnausbesserungswerk, die Red.) bekommen. Vorschuss abgeschwatzt hatte, haben wir uns um elf zu
49 RM und 5 Pf. Der Film war großartig. Ein Farbfilm mit zweit auf unsere „Reise“ begeben. Wir haben vor, zu den
Kristina Söderbaum, „Opfergang“. Weil morgen Ostern Amerikanern zu gehen und dann gleich nach Hause.
ist, müssen wir morgen Nachmittag arbeiten. (…) Mein Mitflüchtling ist ein 19-jähriger Junge, er heißt Arie
Westdorp. Zu Fuß und mit dem
Zug waren wir bis halb fünf am
nächsten Morgen unterwegs. Da
hatten wir eine Strecke von 100
km zurückgelegt. Geschlafen
haben wir gar nicht.
Über die Kindheit und Jugend von Jan Bazuin
Am 22. April endet das Tagebuch.
(1925–2001) ist wenig bekannt. Nach 1945
Die Flucht ist Jan Bazuin gelun-
machte er Karriere in der niederländischen
gen, über seinen genauen Weg ist
Militärpolizei. Das Tagebuch entdeckte sein
jedoch nichts bekannt.
Sohn Leon im Nachlass des Vaters.
Jan Bazuin: „Tagebuch eines Zwangsarbeiters“,
C.H. Beck 2022. Illustration: Barbara Yelin.
Übersetzung: Marianne Holberg P.M. HISTORY – 71
Die Inseln der
Verdammten
Bis ins 20. Jahrhundert hinein verschwanden in
Frankreichs Strafkolonien Tausende Menschen –
dann läutet eine Reportage ihr Ende ein
72 P.M. HISTORY –
Strafkolonien
E
inen ersten Eindruck von Auflage 1,5 Millionen – in Frankreich
Guayana erhält der Reporter Geschichte schreiben sollte.
Albert Londres schon einige Ihr Autor, der Journalist Albert
Tage vor seiner Ankunft. „Als Londres, ist da 39 Jahre alt und schon
die ‚Biskra‘ Anker vor Port of lange kein unbeschriebenes Blatt mehr.
Spain geworfen hatte“, schreibt er spä- Sein erstes Meisterstück war ihm im
ter, hätten ihre Passagiere den Kapitän September 1914 gelungen – eine Kriegs-
von der Brücke schreien hören: „‚Nein! reportage über die Kathedrale von
BILDNACHWEIS: BRUSINI AURÉLIEN/HEMIS/LAIF, INTERFOTO/CCI
Nein! Ich habe weder eine Stange noch Reims, die nach massivem deutschem
Handschellen noch Waffen an Bord. Ich Beschuss in Flammen gestanden hatte.
will die nicht!‘ Unten, auf dem Meer, Später hatte Londres über die bol-
warteten elf weiße Männer und zwei schewistische Revolution in Russland
schwarze Polizisten in einem Boot. Es berichtet, über abenteuerliche Reisen
waren elf Franzosen, ausgebrochene durch China, Japan, Indien, Syrien.
Zwangsarbeiter, die man wieder einge- Und dabei, sicherlich den Erwartungen
fangen hatte und zurück nach Guyana seiner Leserschaft entsprechend, auch
verschiffen wollte.“ gängige Klischee-Vorstellungen zu die-
So lauten die ersten Sätze einer 14 sen „exotischen“ Ländern bedient.
Folgen umfassenden Artikelserie über ABGESCHOBEN Verbrecher, die Dies ändert sich nun schlagartig
in Frankreichs südamerikanische
Frankreichs südamerikanische Straf- Strafkolonien verschifft wurden, in Guayana. Von Beginn an zeigt sich
kolonie, die – veröffentlicht im Sommer hatten wenig Aussicht, jemals der Pariser Reporter betroffen von den
1923 im „Le Petit Parisien“, tägliche zurückzukehren skandalösen Zuständen in der Strafko-
P.M. HISTORY – 73
Strafkolonien
lonie. Sein Erzählstil, zwischen litera- lässigen Kompass anvertraut. Ihr Ziel rin besteht, als Depot für unerwünsch-
risch und schnoddrig, ist geprägt von war Venezuela. te Menschen zu dienen. Früher, unter
einer sehr subjektiven Liebe zum Detail. Doch schon am zweiten Tag waren „Sonnenkönig“ Ludwig XIV., hatte die
Die entflohenen Häftlinge, die trotz Wi- sie in einen Sturm geraten, hatten sich Galeerenstrafe diesen Zweck erfüllt.
derstrebens des Kapitäns an Bord der ohne Vorräte in der Karibik verloren, Doch dann waren die Galeeren als
„Biskra“ nach Cayenne zurücktranspor- waren eine Woche nur noch dahingetrie- Kriegsschiffe durch Segelschiffe ersetzt
tiert werden, beschreibt er zum Beispiel ben. Als endlich wieder Land in Sicht ge- worden. Für die Fortführung des un-
so: „Nur zwei von den elf wiesen äuße- kommen war, hatten sie gehofft, es könn- sichtbaren Strafvollzugs hatten sich da
re Merkmale von Intelligenz auf. Die te Venezuela sein. Aber es war Trinidad. eigentlich nur Kolonien wie Neukaledo-
übrigen, obwohl mager, wirkten wie Beim Anlanden hatte sie ein schwarzer nien und Guayana angeboten.
schwerfällige Idioten. Drei von ihnen Polizist empfangen: „You are under ar- Gegründet 1852 von Napoleon III.,
hatten ein Stück Rinderfett gefunden, rest, in the name of His Majesty!“ dienen die „Bagnes“ also nicht in ers-
rieben sich damit ihre schrecklich ge- In dem trostlosen Nest Cayenne ter Linie dem Bestrafen, sondern ei-
schundenen Füße ein und wiederholten macht Londres erste Bekanntschaft mit ner „Säuberung“ der Gesellschaft von
dabei nur in einem fort: ‚Verfluchte Teu- dem „Bagne“, wie die Franzosen die „schädlichen“ Elementen, sozialen wie
felskrabben!‘ Doch sie alle erweckten Strafkolonie nennen, die aus mehreren politischen, die auch nach Verbüßen ih-
Mitleid. Man wünschte, sie hätten es Standorten besteht. Einer befindet sich rer offiziellen Strafe nicht wieder heim-
doch geschafft!“ in Saint-Laurent-du-Maroni, am Grenz- kehren sollen.
fluss zu Surinam, drei weitere liegen auf Dafür sorgt eine Regel, die unter der
luchtversuche aus der grünen Höl- den Îles du Salut, den „Inseln des Heils“, Bezeichnung „doublage“, Verdoppelung,
74 P.M. HISTORY –
URWALD Die wilde Natur des Landes (r.)
erweist sich für Tausende Inhaftierte als
tödlich: Sie sterben bei Zwangsarbeiten an
Malaria, Typhus oder Gelbfieber
Wirtschaft gab, in der man hätte Arbeit sind sie zuständig für die städtische hen; jene, die am Boden liegen; jene,
und Einkommen finden können. So sind Reinigung, etwa als Straßenfeger. Die die wimmern wie Hunde. Vor ihnen
entlassene Ex-Insassen quasi gezwun- Nacht verbringen sie im Lager – in Käfi- steht der Busch wie eine Mauer. Aber
gen, sich mit Diebstahl, Schmuggel und gen zu 50 Mann. nicht sie werden diese Mauer niederrei-
anderen illegalen Aktivitäten durchzu- Dort wird meist Karten gespielt, oft ßen, sondern umgekehrt.“
schlagen. Werden sie erwischt, kom- kommt es dabei zu Streit. Niemand be- Eine Hölle für sich sind auch die
men sie wieder ins „Bagne“ – nun für wacht die Käfig-Insassen. Wozu auch? „Inseln des Heils“, auch wenn sie, ver-
BILDNACHWEIS: ASK/VISUM, CCI/BRIDGEMAN IMAGES, BRUSINI AURÉLIEN/HEMIS/LAIF
den Rest ihres Lebens. Sie haben ihre eigenen Gesetze. Finden glichen mit den Gefangenenlagern in
die Wächter am Morgen eine Leiche, Cayenne und Saint-Laurent-du-Maroni,
ei seiner Rückkehr nach Paris folgt darauf keine Untersuchung. aus der Ferne bezaubernd wirken, wie
P.M. HISTORY – 75
Tote“ beschreibt Londres jene, die ihm
hier vorgeführt werden: „Zwanzig Tage
im Monat verbringen sie in einem völ-
lig dunklen Verlies und dann zehn Tage
– weil sie sonst erblinden würden – in
einem halbdunklen Kerker. Ihre Kost:
zwei Tage nur trocken Brot, am dritten
Tag gibt’s eine normale Ration.“
Die letzte Insel, L’Île du Diable, ist den Weltbestseller „Papillon“, verfilmt
politischen Gefangenen und Hoch- mit Steve McQueen. Nachforschungen
verrätern vorbehalten. „Dreyfus hat decken jedoch derart viele Ungereimt-
sie eingeweiht“, weiß Albert Londres. heiten auf, dass niemand mehr ernst-
„Hier ist seine Hütte, sie steht verlassen. haft an Charrières Version glauben
Ich schaue sie an. Und es ist, als würde kann. Er habe seine eigene Geschichte
man mir eine uralte Geschichte erzäh- mit denen anderer verwoben, heißt es
len“ (siehe Kasten linke Seite). nunmehr.
Wie auch immer. Londres’ Reporta-
ielleicht trifft Londres auch gen-Serie „Au Bagne“ schlägt in Paris
P.M. HISTORY – 77
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Auch Jahrzehnte nach
ihrer Unabhängigkeit
leiden viele Staaten
in Afrika noch immer
unter schweren
Problemen. Ein Erbe
„DIE
ihrer Vergangenheit?
FORT“
Rolle für ihre aktuelle
selbst. Trotzdem hängen diese Fehl Entwicklung
entwicklungen damit zusammen, wie
die europäischen Mächte ihre früheren
Kolonien zurückgelassen haben.
Inwiefern?
Die Kolonialmächte haben Afrika
immer als Quelle für billige Rohstoffe
und Arbeitskräfte betrachtet. Denken
Sie etwa an die Sklaverei. Sie haben
weder eine produzierende Industrie
noch funktionierende Bildungssysteme
geschaffen oder Grundlagen für eine
Demokratisierung gelegt. Die meisten
afrikanischen Staaten sind unvorberei
tet in ihre Unabhängigkeit gestolpert.
Was ist bei der Dekolonisation preise oftmals die stärkere Position. Deutschland hatte ebenfalls
misslungen? Die kolonialen Wirtschaftsstrukturen Kolonien in Afrika. Wie weit sind
Die Europäer haben es vor allem leben fort. wir mit der Aufarbeitung unserer
versäumt, die Gesellschaften in ihren kolonialen Vergangenheit?
früheren Kolonien in die Lage zu ver Wie nehmen frühere Kolonial Gerade der Völkermord an den Herero
setzen, ihre eigenen Eliten zu kontrol mächte konkret Einfluss? und Nama zwischen 1904 und 1908 im
lieren. Es gab keine Voraussetzungen Wo sie nicht direkt Einfluss nehmen heutigen Namibia zeigt, dass wir noch
für das Entstehen einer Zivilgesell auf Autokraten etwa von Frankreichs sehr viel aufzuarbeiten haben.
schaft, also einer gut ausgebildeten
Mittelschicht, die als Korrektiv wirken
könnte, um das Machtstreben von
Politikern einzuhegen. Das hat die
„Viele Staaten sind unvorbereitet
Entwicklung von autoritären Regimen
in ihre Unabhängigkeit gestolpert“
BILDNACHWEIS: EPD-BILD/AKG-IMAGES, IMAGO IMAGES/NATURE PICTURE LIBRARY, PR/SEBASTIAN ENGELS FOTOGRAFIE
82
Warenhäuser
P.M. HISTORY – 83
Warenhäuser
BILDNACHWEIS VORHERIGE SEITE: FOTOGRAFISCHES ATELIER ULLSTEIN/ULLSTEIN BILD; BILDNACHWEIS DIESE SEITE: INTERFOTO/GRANGER NYC, PICTURE ALLIANCE/GUSMAN/LEEMAGE, PRIVATSAMMLUNG, ULLSTEIN BILD, AKG-IMAGES
1852
Aufbruch in die
neue Warenwelt
Das Zeitalter der Kaufhäuser
begann, als der Pariser Stoffhändler
Aristide Boucicaut erstmals meh-
rere Läden unter dem Dach eines
gemeinsamen Hauses vereinte
– er nannte es „Bon Marché“. Das
Konzept wurde ein voller Erfolg und
fand schnell Nachahmer wie
„Harrods“ in London oder „Macy’s“
in New York. In Deutschland eröff-
neten die ersten Warenhäuser nicht
in den Metropolen, sondern in klei-
neren Städten wie Stralsund („Wert-
heim“) oder Wismar („Karstadt“).
1907
Kaufhaus
der Superlative
Das KaDeWe ist nicht das erste Warenhaus Berlins, aber das prächtigste und modernste. Gründer Adolf
Jandorf, aus kleinen Verhältnissen stammend, spart bei der Planung an nichts. Er lässt elektrische
Beleuchtung, Springbrunnen, Aufzüge und ein modernes Rohrpostsystem mit kilometerlangen Leitungen
installieren. Im Sortiment sind Haushaltswaren, Stoffe, Lebensmittel, es gibt einen Teesalon, Friseure,
ein Fotostudio, eine Leihbibliothek, eine Bankfiliale und ein Reisebüro.
84 P.M. HISTORY –
LAGE Der Ku’damm liegt sei-
nerzeit noch an der Peripherie,
westlich der Innenstadt – daher
„Kaufhaus des Westens“. Ein
Risiko-Standort, meinen Kritiker.
„Was Lage ist, bestimme ich“,
entgegnet Gründer Jandorf.
Königlicher
Einkaufsbummel
Als Luxuskaufhaus erwirbt sich
das KaDeWe schnell einen
Ruf, der weit über die Gren-
zen Deutschlands hinausgeht.
Noch im Gründungsjahr 1907
besucht der König von Siam
das Warenhaus. An zwei auf-
einanderfolgenden Tagen soll
der schillernde Monarch Waren
im Wert von 250000 Goldmark
im KaDeWe gekauft haben. Die
Geschäftsleitung nutzt den
Rummel um das gesellschaft-
liche Ereignis geschickt für das
eigene Marketing. Noch heute
steigen im KaDeWe regelmäßig
Promi-Partys, die viel
Aufmerksamkeit generieren.
86 P.M. HISTORY –
Warenhäuser
1926
Verkauf an den
Tietz-Konzern
Obwohl die Geschäfte nach
dem Ende des Weltkriegs
wieder gut laufen, trennt sich
Gründer Adolf Jandorf 1926
überraschend vom KaDeWe
und verkauft es an den konkur-
rierenden Warenhauskonzern
BILDNACHWEIS: BPK/STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN, PICTURE ALLIANCE/ULLSTEIN BILD/HAECKEL ARCHIV, ULLSTEIN BILD, AKG-IMAGES (2), ULLSTEIN BILD/GETTY IMAGES
1933
Diktatur und
Enteignung
Schon Jahre vor der Macht-
übernahme hatten die Nazis
gegen die angeblich jüdische
Warenhaus-Kultur gehetzt.
Nach 1933 gingen sie ohne Um-
schweife gegen alle jüdischen
Eigentümer vor – auch gegen
die des KaDeWe. Sie drängten
die Familie Tietz aus dem Ge-
schäft und ließen das Kaufhaus
unter „arischen“ Eigentümern
fortführen. Die Abkürzung
KaDeWe stand nun für das Motto
„Kauft Deutsche Wertarbeit“.
1943
P.M. HISTORY – 89
BILDNACHWEIS: INTERFOTO/FRIEDRICH, ULLSTEIN BILD/HARRY HAMPEL, ULLSTEIN BILD/ALEX WAIDMANN, ULLSTEIN BILD/ALBRECHT
Treffpunkt
Kaufhaus
Luxusartikel begründeten
den Ruhm des KaDeWe, doch
zuweilen lockte das Kaufhaus
auch Schnäppchenjäger an, die
es auf niedrige Preise abge-
sehen hatten. Beim Start des
Sommerschlussverkaufs 1951
wird das Kaufhaus regelrecht
gestürmt (Bild oben). Gemüt-
licher ging es in der Elektronik-
abteilung zu. Die Fernseh-Ecke
mit ihren immerfort laufenden
Geräten war lange Zeit ein
Treffpunkt derer, die keinen
eigenen Fernseher hatten und
trotzdem mal „Sportschau“
gucken wollten. Hier verfolgen
KaDeWe-Kunden die Hochzeit
von Prinz Charles und Lady
Diana im Jahr 1981.
90 P.M. HISTORY –
Warenhäuser
1971
Terrorziel
KaDeWe
Die revoltierenden Studenten
der 68er-Bewegung hatten für
die glitzernde Welt der Kauf-
häuser nur Verachtung übrig.
Gegen den angeblichen „Kon-
sum-Terror“ gingen linksradikale
Untergrundkämpfer zuweilen
mit ganz realem Terror vor.
Ihre Anschläge richteten sich
zunächst gegen Warenhäuser
in Brüssel und Frankfurt, später
traf es auch das KaDeWe gleich
mehrfach – wie hier bei einem
Anschlag im Jahr 1971.
1989
Ansturm aus
dem Osten
Für die Einwohner der DDR lag
das KaDeWe jahrzehntelang
unerreichbar hinter der Mauer.
Zwar gab es auch in der
DDR Warenhäuser wie das
„Centrum“ am Alexanderplatz.
Doch mit der Vielfalt des An-
gebots und vor allem mit dem
Glamour des KaDeWe konnte
es nicht ansatzweise mithalten.
Nach der Grenzöffnung am
9. November 1989 hatten die
Ost-Berliner dann freie Bahn.
In Scharen stürmten sie in den
Konsumtempel – die Autos
mit DDR-Nummernschild vor
dem Eingang zeugen davon.
200000 Menschen sollen es an
manchen Tagen gewesen sein,
die das KaDeWe besuchten: der
größte Besucheransturm in der
Geschichte des Kaufhauses.
P.M. HISTORY – 91
IM TV
Der Jahrhundert-Mann
Fundstücke
Die Lesetipps der Redaktion
SCHLAGLICHTER Hausten die Vandalen wie die WÜRDIGUNG „So viel unge-
Vandalen? Ein Samariter war barmherzig, was wis- lebtes Leben“: Der Journalist
sen wir über die anderen? Wer waren die Akkader? erzählt die Geschichte seiner
Nicht weniger als 40 Völker aus rund 3000 Jahren Mutter, deren vier Brüder in
stellt der reich illustrierte Band vor. Die Texte sind Hitlers Wehrmacht starben.
knapp gehalten, über manche Völker weiß man Eine Geschichte von großer
tatsächlich sehr wenig, über andere steht hier Tragik, emotional und zugleich
schlicht das Wesentlichste. Immer wieder stößt wunderbar unaufgeregt er-
man bei der Lektüre auf erstaunliche Leistungen zählt. Und darüber, was Krieg
und Errungenschaften. Eine überfällige Zeitreise. mit den Menschen macht.
Philip Matyszak: Vergessene Völker. Reinhold Beckmann:
Von den Akkadern bis zu den Westgoten Aenne und ihre Brüder
wbg Theiss, 40 Euro Propyläen, 26 Euro
92 P.M. HISTORY –
Service
Abonnement haben:
serviceportal.pm-magazin.de
Jahresabopreise:
D: 89,70 €; A: 98,80 €; CH: 143 sFr
Weitere Abo-Auslandspreise auf Anfrage
KLASSIKER Marco Polos le- DETEKTIVARBEIT Die nie- FRAUENBILDER Es war MÄNNERBUND Julius Cäsar,
gendäres Asienbuch, zu seinem derländische Historikerin geht höchste Zeit für eine Frauen- der legendäre Kaiser. Crassus,
700. Todestag neu aufgelegt, in kurzen, knackigen Kapiteln kunstgeschichte von der der reichste Römer. Pompeius,
erfreulich frisch und lebendig 101 hartnäckigen Mythen aus Renaissance bis heute: Die der mächtigste Feldherr. Wie
übersetzt aus altfranzösischen der Geschichte auf den Grund. Kunsthistorikerin Carla Heuss- dieser Dreierbund sich Rom
und lateinischen Quellen und Auch wenn man von manchen ler hat sie endlich geschrie- zur Beute macht, um dann
mit hilfreichen Anmerkungen noch nie etwas gehört hat und ben. Mit klug gewählten und am Ende doch unterzugehen,
versehen. Dazu 16 Farbtafeln andere seit Jahrzehnten wi- beeindruckenden Beispielen schildert der Bamberger Pro-
aus dem 14. Jahrhundert. Ein derlegt sind, bleibt doch noch von bekannten und weniger fessor mit großer Kenntnis als
Fest für Bibliophile. einiges an interessantem und bekannten Künstlerinnen. Und dramatische Geschichte, ohne
Marco Polo: Il Milione. kuriosem Stoff übrig. überhaupt nicht trocken. dabei reißerisch zu werden.
Die Wunder der Welt Jo Hedwig Teeuwisse: Carla Heussler: Kunst ist Markus Schauer: Trium-
Manesse, 45 Euro Fake History. Heyne, 18 Euro weiblich! wbg Theiss, 29 Euro virat. C.H. Beck, 32 Euro
P.M. HISTORY – 93
Rätsel
Modell d. argent. Schiff Stadt Hptst. Lehrer Autor des früheres
lat.: Entste- Staats- der grie- in Ober- von des Werkes Maß für
Kupfer hung des mann chischen Drente/ Samuel „Das Urteil“ d. Über-
Weltalls † 1974 Sage italien Niederl. (A. T.) von 1913 druck
FRAGEN ZUR best.
Schaum-
Grund-
Geschichte
wein
7 recht
Abfluss
Geröll- Republik
wüste in Ost-
afrika
arabi- Kiefern- chem.: einfa- Beflis-
scher Tiber- che Ge- senheit
Frauen- art sich zer-
Zufluss lände- Schmie-
name (bayer.) setzen skizze deherd
Hirsch- Stadt engl.
tier mit Männer-
Porta
schlimm 5 Nigra kurzname
eh. Name Kf.: Rechts- tropi- Berüh-
der Stadt anwälte
sche rungs-
Melegnano Honig- Frucht verbot
(Italien) biene 1
frei- dt. Schrift- Kf.: oben
sinnig, stellerin erwähnt
vorur- (Luise) Körper-
teilslos † 2002 training
Zur-Seite- Kf. einer
Drücken der Buchnummer
gegn. Klinge Hirten-
9 (Fechten) hund
Titelfigur Mit- Sinnbild Elan, dt.
Foto- bei Jo- teilung Politiker
der Schwung
apparat hanna (ugs. (Wilhelm)
Spyri † Kurzw.) Weisheit (amerik.) 3 † 1960
deutscher
Dichter
(Heinrich)
† 1856
Urein- früherer Hengst bei
Berg- wohner ein Karl May
Schott- amtl.
spitze Erdteil griech.
lands Erlass Vorsilbe
94 P.M. HISTORY –
KINDERBILD LÖSUNGEN
aus Heft 1/2024
Wer
BILDNACHWEIS: PICTURE ALLIANCE/FINE ART IMAGES/HERITAGE IMAGES, PRISMA/CLASSIC VISION, IMAGEBROKER/ALAMY, RAGHU RAI/MAGNUM PHOTOS/AGENTUR FOCUS, MANUEL BAUER/AGENTUR FOCUS, MOMENT/GETTY IMAGES
ist
das?
Dieses Mädchen wird ein
sehr langes Berufsleben
vor sich haben: 63 Jahre
wird sie im Amt sein
– und dabei so erfolg-
reich, dass ein ganzes
Zeitalter nach ihr be-
nannt wird. Auch privat
hat sie Glück: Sie hei-
ratet ihre große Liebe,
bekommt neun Kinder.
Doch nach 21 Jahren
Ehe stirbt ihr Mann, und
sein Tod stürzt sie ins
Unglück: Die kommen-
den 40 Jahre wird sie in
Trauerkleidung verbrin-
gen. Und doch stets ihre
Pflicht erfüllen, bis zum
Tod mit 81 Jahren.
Wo ist das?
HOCH WIE EINE KATHEDRALE und ebenso imposant, recken sich die vier aus Klinker WO IST DAS? Die Insel Mont-Saint-
gemauerten Türme in den niedersächsischen Himmel. Obwohl erst in den 1960er-Jahren Michel befindet sich im Ärmelkanal vor
als Teil einer Autofabrik errichtet, sind sie aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. der französischen Küste
P.M. HISTORY – 95
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Im heutigen Myanmar aus den 1970er-Jahren Bataver erheben
erblüht um 1100 das die dunkle Seite des sich gegen Rom.
lung den Ausschlag gegeben. Eventuell
199062
buddhistische „American Dream“ – Und erschüttern
Reich Pagan Rassismus und Armut das Imperium
4
P.M. HISTORY. Das Heft ist dabei im- wäre allerdings zumindest ein Hinweis
Österreich 7,60 €, Schweiz 11 sFr, Benelux 7,90 € , Italien 9 € , Spanien 9 € www.pm-wissen.com
mer schnell gelesen und die Wartezeit auf den konkurrierenden Anspruch am
auf die nächste Ausgabe lang. Mich fas- Sehr geehrter Herr Spörl, Platz gewesen, da haben Sie recht. In
ziniert es insbesondere, dass die Beiträ- haben Sie herzlichen Dank für Ihre diesem Sinne noch einmal Dank für Ihre
ge kaum inhaltliche oder sprachliche Zuschrift und die freundlichen Worte. In Zuschrift und bereichernden Hinweise,
Fehler aufweisen – und ich spreche aus der Tat haben wir uns trotz der zuletzt etwa zum Gustav-Weißkopf-Museum
Erfahrung! Weiter so! wiederholt aufgeflammten Debatte um Leutershausen:
Allerdings ist mir dann doch ein grö- den ersten Motorflug entschieden, der https://www.pionierederluefte.de/
ßerer Mangel aufgefallen: In der Aus- nach wie vor vorherrschenden Ansicht Bleiben Sie uns gewogen,
gabe 8/2023, in der große Erfinder zu folgen und ihn den Wrights zuzu- Mathias Mesenhöller (Autor des Stückes)
vorgestellt werden, ist ein Beitrag zu
den Gebrüdern Wright enthalten. Da-
bei wird die (leider bekannte) Behaup-
tung aufgestellt, die Brüder hätten den
„weltweit ersten“ Motorflug absolviert
(S. 4 und 69). Das ist so nicht korrekt:
Der erste gelang dem aus dem mittel-
fränkischen Leutershausen stammen-
den Gustav Weißkopf (1874–1927), und
zwar bereits am 14. August 1901. Dessen
Leben und Wirken werden im Übrigen
im Gustav-Weißkopf-Museum in Leu-
tershausen dargestellt, das am 15./16.
September 2023 nach langer Renovie-
rung wiedereröffnete.
Johannes Spörl, per E-Mail
IMPRESSUM
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TITELTHEMA
Versunkene Reiche
Zu allen Zeiten gab es Imperien, die groß und unbesiegbar schienen – und dann doch wieder von
der Landkarte verschwanden. Wie konnte es dazu kommen? P.M. HISTORY zeichnet den Aufstieg
und Fall des Königreichs der Assyrer (links) nach, die Herrschaft des Täuferreichs von Münster,
den unheimlichen Zug der Vandalen und das bizarre Kopfgeldjäger-Reich von Borneo (oben).
BILDNACHWEIS: LOOK AND LEARN/ILLUSTRATED PAPERS COLLECTION/BRIDGEMAN IMAGES,
So viele Engel
Inez Burns führte mehr als 50 000 illegale
Abtreibungen durch und wurde zu einer der
THE NEW YORK PUBLIC LIBRARY/GENERAL RESEARCH DIVISION,
Schwul im Krieg
Homosexuelle in der Armee waren lange ein Tabu: Ein
Soldat hatte das Gegenteil von queer zu sein – besonders
männlich, besonders hetero. Ein Blick in die Militär-
geschichte zeigt, dass die Realität aber oft anders aussah.
Abendbrot
zu Bett zu gehen, als mit
Benjamin Franklin
(1706–1790)
Schulden aufzuwachen“
„Was Wachstum
D „VON JETZT AN
arf man mehr Geld ausgeben, als
man besitzt? Die Frage nach dem
schafft, darf sehr richtigen Umgang mit den Fi- WERDE ICH NUR
wohl mit Schulden nanzen gehört von jeher zu den großen SO VIEL AUSGEBEN,
finanziert werden.“ Streitpunkten der Politik – nicht nur in WIE ICH EINNEHME
Deutschland wird über Schuldenbrem-
Helmut Schmidt (1918–2015),
ehem. deutscher Bundeskanzler sen und Investitionsbedarfe gefochten, – UND WENN ICH
auch in den USA werden Auseinander- MIR GELD DAFÜR
„Jeder erwartet vom setzungen über das Haushaltsdefizit BORGEN MUSS.“
stets mit großer Härte geführt.
Mark Twain (1835–1910),
Staat Sparsamkeit Benjamin Franklin gehört zu den US-amerikanischer Schriftsteller
im Allgemeinen und Gründervätern der Vereinigten Staa-
ten, sein Antlitz ziert die 100-Dollar-
Freigebigkeit im Note der USA. Über den heutigen Schul-
Besonderen.“ denstand seines Heimatlands – er liegt
Anthony Eden (1897–1977), bei mehr als 120 Prozent des Brutto- „DIE SPARSAMKEIT
ehem. britischer Premierminister inlandsprodukts – wäre er vermutlich IST DIE TOCHTER
schockiert. Sein Bekenntnis zur Spar- DER VORSICHT, DIE
„Staatsschulden er- samkeit traf er aber nicht in erster Linie
98 P.M. HISTORY –
Streifzug durch die Geschichte.
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DIE SCHWEIZ
Von EIDGENOSSEN, SCHLACHTEN und GIPFELBESTEIGUNGEN
Ereignissen und faszinierenden Personen.
GLAMOUR
Mit der Eröffnung des
KaDeWe im Jahr 1907
GEFANGEN
Lange verschifft
Frankreich Menschen
GEHEIM
Harriet Tubman hilft
im 19. Jahrhundert
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Berlin – das Haus Journalist geht 1923 ven und setzt ihr
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