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Katalogredaktion:
Gudrun Bamberger, Evamarie Blattner, Hanna Lisa Nüllen, Laura Pölloth, Jörg Robert
© 2017
Universitätsstadt Tübingen · Fachbereich Kunst und Kultur · Stadtmuseum
Gestaltung: Christiane Hemmerich, Konzeption und Gestaltung
Scans: Anna Rau
Fotos: Gudrun Bamberger: S. 35, 37. Günter Beck: S. 101, 120, 148, 240 o. l., 241, 247, 248. Anne Faden: S. 6
Christoph Irrgang: S. 240 u. l. Christoph Jäckle: S. 6, 44, 50, 51, 52, 53, 85, 125, 132, 256. Peter Neumann: S. 56
Christoph Timm: S. 238, 240, o.r., 240 u. l., 240 u.r., 250. Jörg Kubitza, Foto Wirth: S. 239
Satz: seitenweise, Tübingen
Druck: Gulde Druck GmbH, Tübingen
ISBN 978-3-941818-33-0
REUCHLINS KABBALISTISCHE SCHRIFTEN UND IHRE SCHWIERIGE REZEPTION
VOLKHARD WELS 93
Bevor 1494 Reuchlins Werk Das wundertätige Wort (De verbo mirifico) erschien, war von der
Kabbala in Europa nicht viel bekannt. Nur eine elitäre Minderheit – darunter an allererster
Stelle Graf Giovanni Pico della Mirandola – hatten überhaupt von ihrer Existenz gewusst.
Pico della Mirandola war 1486 mehr oder weniger der Erste, der in 47 seiner 900 Thesen
auf die Existenz dieser spekulativen jüdischen Theologie des Mittelalters hingewiesen hat-
te. Reuchlin muss diese Thesen kennengelernt haben, als er Pico 1490 in Florenz besucht
hat, denn publiziert wurden die Thesen erst 1496.
Drei dieser Thesen wurden durch die kirchlichen Instanzen für häretisch erklärt, darunter
die wohl berühmteste, die auch den Kern von Reuchlins Werk bezeichnet: „Nulla est scien-
tia, quae nos magis certificet de divinitate Christi, quam Magia et Cabala.“ (Conclusiones,
79). In der Übersetzung Reuchlins: „Es ist kain kunst, die uns mer gewiß macht von der
gothait Cristi, dann Magia und Cabala.“ (Gutachten, 75). An derselben Stelle heißt es weiter,
Pico behaupte, dass die kabbalistischen Bücher „nit allain des hailigen Moises gaistlichhait,
sunder auch unsers cristlichen glaubes grund und warhait anzaigen“ (ebd., 77).
Genau dies ist der Grundgedanke, der den beiden kabbalistischen Schriften Reuchlins
zugrunde liegt: die Idee einer theologia prisca, einer allerersten, ursprünglichen Theologie,
die noch weiter zurückreicht als die biblische Offenbarung, einer uralten Weisheitslehre,
die allen späteren Offenbarungen vorausgeht, aber in ihrem Kern mit diesen identisch
ist. Die theologia prisca war die Weisheit Adams, die mit dem Sündenfall zwar verloren
gegangen war, aber durch die Kabbala – und die Magia – wiedererlangt werden konnte.
Man kann die Implikationen dieses Grundgedankens nicht präziser zusammenfassen, als
es Wilhelm Schmidt-Biggemann getan hat:
Diese Idee einer Wiederherstellung der ursprünglichen Weisheit integrierte die Kabbala in
ein Konzept universaler Heilsgeschichte, das zyklisch angelegt war und das die paradiesische
Weisheit als Ausgang und Ziel der Weltgeschichte begriff. Diese Konzeption beruhte auf
den heilsgeschichtlichen Ideen des Origenes und wurde von Pico dergestalt präzisiert, dass
er in der Kabbala die Möglichkeit vermutete, bei der Wiederherstellung dieses Universal-
wissens mitzuwirken. Der paradiesischen Weisheit wurde die Kompetenz zugesprochen, das
göttliche Wort so zu erfassen, dass sowohl die Inhalte des ursprünglichen Schöpfungsplans
als auch die Kraft des göttlichen Wortes, die Dinge ins Dasein zu rufen, den Menschen im
Stand der Unschuld zugänglich waren. Das göttliche Wort war also als Wesenseinsicht und Abb. 1
als Existenzbefehl zu interpretieren. In diesem Sinn hatte die Kenntnis der paradiesischen Johannes Reuchlin, De Arte
Cabalistica Libri Tres, Hagenau:
Weisheit drei Funktionen: 1. Sie ermöglichte die Einsicht in das Wesen der Dinge. 2. Sie
Thomas Anshelm 1517, Bl. 78v
eröffnete den Zugang zur magischen Dimension der Sprache, sofern die göttliche Befehls- (Universitätsbibliothek Tübingen
gewalt, die die Dinge in ihrer Perfektion in die Existenz gerufen hatte, partiell auf den Ge 397.2).
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Menschen übertragbar erschien – und dann Magie genannt wurde. 3. Indem das paradie-
sische Wissen zugleich als Endzustand der Welt begriffen wurde, konnte die Kenntnis dieser
Sprache als Heilswissen verstanden werden, mit dem der Wissende an der Vollendung der
Welt mitarbeitete. (Schmidt-Biggemann 2012, 71 f.)
Reuchlins De verbo mirifico ist angelegt als ein Gespräch zwischen Sidonius, einem Grie-
chen, der als solcher die griechische Philosophie vertritt, sich aber im Laufe des Gesprächs
von der höheren Weisheit der beiden anderen Gesprächsteilnehmer überzeugen lässt.
Damit illustriert er natürlich vor allem eines, nämlich die Unterlegenheit der rationalis-
tisch verfahrenden griechischen Philosophie. Baruchias, der Jude, dient Reuchlin als Exe-
get der Kabbala. Der dritte Gesprächsteilnehmer ist Capnion, also Reuchlin selbst, der die
kabbalistischen Vorgaben des Baruchias christlich deutet und damit am Ende behauptet,
den Namen Gottes aussprechbar zu machen. Der Leser wird Zeuge einer Wiederherstel-
lung der theologia prisca im wunderwirkenden Namen Gottes, dem unaussprechlichen
Tetragramm, wie die vier Buchstaben des göttlichen Namens im Hebräischen genannt
werden: IHVH.
Der Name der vier Buchstaben, nirgends vom Menschen erfunden, vom einzigen Gott mit-
geteilt, ist ein heiliger und zu verehrender Name, der einzige Name, unter dem allein Gott
nach der von den Vätern überlieferten Religion zu lobpreisen ist, der machtvollste Name,
den die Himmlischen verehren, die Bewohner der unteren Regionen hochachten, den die
Natur des Universums liebkost, von dem es heißt, dass er – von unermüdlichen Verehrern
eingesogen und von priesterlichen Geistern verschlungen – die menschlichen Anlagen mit
wundertätiger Macht ausstatte, ein Name, der den ersten Eltern unseres Geschlechts sogleich
mit der Einhauchung des Lebens von Gott her bekannt geworden ist. Eva sagte nämlich von
ihrem Erstgeborenen: ‚Mit der Hilfe des Vierbuchstabigen habe ich einen Menschen erlangt.‘
(De verbo mirifico, SW I, 1, 237)
1517 hat Reuchlin, mehr als zwanzig Jahre nach De verbo mirifico, seine christliche Deu-
tung der Kabbala noch einmal aufgegriffen, unter dem Titel Über die kabbalistische Kunst
(De arte cabalistica). An seiner grundsätzlichen These – die jüdische Kabbala als theologia
prisca, die in einem spekulativ interpretierten Christentum zu sich selbst kommt – hat
sich nichts geändert, nur dass Reuchlins Kenntnisse der Kabbala inzwischen erheblich
zugenommen haben. Wiederum sind es drei Gesprächspartner, die sich am Rande der
Frankfurter Buchmesse begegnen: der getaufte Moslem Marranus, der Grieche Philolaus,
der den Pythagoreismus vertritt, und der kabbalakundige Jude Simon. Wiederum steht
die Kabbala für das adamitische Wissen, das über die biblischen Vorväter in die griechi-
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VOLKHARD WELS 95
sche Philosophie gelangt ist, wo es dann bei Pythagoras seine älteste schriftliche Formung
erhalten hat. Diese Offenbarung ist als Geheimlehre in allegorischer Form tradiert und
von den Juden über die Ägypter und die persischen magi zu den Griechen gelangt, wo sie
von Orpheus über Pythagoras, Hermes Trismegistos und Hesiod bis hin zu Platon weiter-
gegeben wurde (De arte cabalistica, SW II, 1, 313). Die kabbalistische Überlieferung ist als
eine prisca theologia damit in ihrem Wesen identisch mit der orphischen, pythagoreischen
und platonischen Lehre.
Der italienische Neuplatonismus ist mit Giovanni Pico della Mirandola und Marsilio
Ficino zweifellos die wichtigste intellektuelle Referenz für diese spekulative Deutung der
jüdischen Kabbala als „symbolische Philosophie“ (symbolica philosophia), wie Reuchlin
die Kabbala in der Widmung nennt (ebd., 32). Reuchlin selbst verweist dort auch auf die
Abhängigkeit vom italienischen Neuplatonismus, wenn er beansprucht, in Deutschland
für die Kabbala das geleistet zu haben, was in Italien Ficino für den Platonismus geleis-
tet habe (ebd., 32, zur Abhängigkeit vom italienischen Neuplatonismus vgl. v.a. Leinkauf
1999). Gewidmet ist das Werk Papst Leo X., dem Sohn genau des Lorenzo de’ Medici, der
durch sein Mäzenatentum den Florentiner Neuplatonismus ermöglicht hatte.
Anders als in De verbo mirifico macht sich Reuchlin in De arte cabalistica allerdings nicht
mehr die Mühe, die griechische Schulphilosophie – wie sie vor allem mit dem Namen des
Aristoteles verbunden ist – zu widerlegen. De arte cabalistica ist eine „symbolische Philo-
sophie“, und das heißt eine spekulative, nicht argumentativ-syllogistisch verfahrende, in
letzter Instanz göttlich inspirierte Deutung der biblischen Offenbarung.
Auch in diesem Punkt analog zu Ficino spielt die Theorie der göttlichen Entrückung, des
Enthusiasmus, in Reuchlins Kabbala eine wichtige Rolle. Ziel dieser Entrückung oder
Ekstase ist die Lösung der Seele von ihrem Körper und ihre Erhebung zu Gott. Reuchlin
beschreibt die göttliche Entrückung des Kabbalisten im ersten Buch von De arte cabalistica
als einen von Engeln geleiteten Aufstieg, bei dem der Geist des Kabbalisten von unsag-
barer innerer Freude und Erregung erfasst werde, in das „Mysterium tiefer Schweigsam-
keit versunken die Niederungen des Irdischen“ verlasse und „zum Überhimmlischen und
Unsichtbaren“ hinübergetragen werde (De arte cabalistica, SW II, 1, 162 f.). Unter Leitung
der Engel besuche der Kabbalist die Seele des Messias und erkenne den Rang und das
Vermögen der verschiedenen himmlischen und natürlichen Mächte, wodurch er das Wis-
sen um die heiligen Namen erlange und Wunder zu vollbringen lerne. Wie Ficino zieht
Reuchlin eine scharfe Grenze zwischen dieser Engelmagie als einer Form des „Wunder-
wirkens“ durch die Einflussnahme auf himmlische Mächte und der Verderben bringen-
den Beschwörung böser Dämonen.
Im dritten Buch von De arte cabalistica erläutert Reuchlin detailliert, wie der Kabbalist
über die fünfzig Tore der Erkenntnis und die zweiunddreißig Pfade der Weisheit seinen
Aufstieg vollzieht. Die Tore der Erkenntnis, die Mose auf dem Berg Sinai offenbart wur-
den, enthüllten dabei das Wesen aller Dinge, angefangen vom ersten Tor, das das Wesen
Gottes, bis zum letzten Tor, das das Wesen des Menschen enthülle (ebd., 371 ff.). Die
Pfade der Weisheit seien dagegen Adam im Paradies offenbart worden und führten den
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Menschen zum Licht der Weisheit, und zwar mit Hilfe der 72 Engel, deren Namen sich
auf komplizierte Art aus dem göttlichen Tetragramm und den zehn Sefiroth (Hypostasen
der Kräfte Gottes) herleiten. Durch die Anrufung dieser Engel, die sich aufgrund der Un-
aussprechbarkeit ihrer Namen als kontemplatives Erinnern und Hingabe an die Liebe voll-
ziehe, würden die Sinne, die Vorstellungskraft, der Verstand, die Vernunft und schließlich
der Geist erregt, der endlich die Verbindung zu den Engeln herstelle. Den Prozess der kab-
balistischen Erkenntnis dieser magischen Kräfte beschreibt Reuchlin wieder in deutlicher
Anlehnung an die Enthusiasmus-Theorie Ficinos als ‚Vergöttlichung‘ oder Illumination
(ebd., 49).
In dieser inneren Anrufung Gottes besteht nach Reuchlin (und den 900 Thesen Picos) das
Prinzip aller Gebete, Sakramente, Riten und Zeremonien. Sie dienen dazu, eine „brennen-
de Liebe und ekstatische Bewunderung“ (ebd., 401) zu erwecken. Wie bei Ficino erzeugen
die Worte und Rituale einen meditativen Zustand, der den Kabbalisten auf den Kontakt
mit den Engeln und letztlich Gott vorbereitet. Erst aus dieser Übereinstimmung des Kab-
balisten mit dem Universum erwachsen seine magischen Fähigkeiten (ebd., 417 ff.).
Reuchlin konfrontiert diese Form der kabbalistischen Erkenntnis mehrfach mit den
logisch-argumentativen Techniken des Wissens, wie sie vor allem an den Universitäten
praktiziert wurden. Die Magie als uralte, wunderwirkende Technik – so ist der Begriff der
„ars“ cabalistica zu verstehen – tritt in einen scharfen Gegensatz zu dem wirkungslosen
Gerede, wie es Logik und Rhetorik an den Universitäten hervorbringen. Das geheime,
dunkle und magische Wissen des hebräischen Morgenlandes wird gegen das rationale,
banale und oberflächliche Wissen eines von griechisch-römischer Rationalität bestimm-
ten Abendlandes ausgespielt. Wenn Reuchlin auch die Rhetorik dieser Rationalität subsu-
miert, wird deutlich, dass mit dieser Polemik nicht nur die Schultheologie (Scholastik) der
Zeit gemeint ist, sondern ebenso der Humanismus (ebd., 58–65, 72–75).
Pico della Mirandola hatte sich 1485 in einem berühmten Brief an Hermolao Barbaro
scharf von der Rhetorik – und explizit auch der humanistischen Philologie – distanziert.
Wenn Reuchlin in De verbo mirifico das Hebräische als eine „barbarische“ Sprache lobt,
schließt er an diese Rhetorik-Verachtung Picos an. Das ‚dunkle‘, archaische Hebräisch
steht als „barbarische“ Sprache näher an der Wahrheit der theologia prisca als das klare,
deutliche, rhetorisch geformte Griechisch oder gar Römisch der späteren Zeit (Zika 1977,
245; Rhein 1993, 170).
Immer wieder kommt Reuchlin im zweiten Buch von De arte cabalistica auf seine Polemik
gegenüber der logisch-syllogistisch verfahrenden Schultheologie zurück. Göttliche Dinge
überstiegen die Fassungskraft des menschlichen Verstandes, deswegen könnten sie nicht
argumentativ bewiesen werden, heißt es mit einem Zitat aus Platons Timaeus. Diese Über-
zeugung sei die Grundlage der Kabbala. Der schärfste Feind der göttlichen Erkenntnis, die
in reinem und nacktem Glauben bestehe, sei der logische Syllogismus, dessen Anwen-
dung von Seiten der sophistischen Theologen Gott, die Engel, die überweltlichen Kräfte
und das, was zum Reich der Ewigkeit gehöre, der menschlichen Sterblichkeit unterwerfe
(De arte cabalistica, SW II, 1, 182 f.).
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Damit noch nicht genug will Reuchlin sogar den Syllogismus als Methode, um aus der
Bibel Glaubensüberzeugungen mit formallogischer Konsequenz abzuleiten, nicht gelten
lassen. „Glauben“ und „Wissen“ sind für Reuchlin in religiösen Fragen konträre Gegen-
sätze. Wo die Offenbarung betroffen sei, müssten logische und argumentative Prozesse
ausgeschlossen bleiben. Quelle des Glaubens sei göttliche Erleuchtung, Quelle des Wis-
sens seien die Sinne (ebd., 196 ff.). Der Kabbalist nähere sich der Offenbarung nicht mit
logischen und rationalen Techniken, sondern gläubig. Frage man ihn, warum etwas so
oder so ist, antworte er nur, „die Weisen haben es so gesagt“. Genauso hätten die Schüler
des Pythagoras sich auf dessen Gebot hin nicht in argumentative Auseinandersetzungen
verstricken lassen dürfen, sondern auf alle Nachfragen nur zu antworten gehabt: Weil er
es gesagt hat (ebd., 203).
Abb. 2
Jacob van Hoogstraten,
Zur Rezeption von Reuchlins Kabbala Destructio Cabale, Köln:
Heinrich Quentel 1519, Titelblatt
Reuchlins kabbalistische Schriften haben von vornherein die Geister gespalten. Diese Spal-
(Bayerische Staatsbibliothek
tung ist weder mit der Auseinandersetzung zwischen Humanismus und Scholastik noch München 10360278 4 J.can.p.
mit der Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Katholiken identisch. Die Brüche 29#Beibd.3, CC By SA 4.0).
verlaufen quer durch den Humanismus
genauso wie quer durch die Konfessionen.
Das hat es von Anfang an so schwierig ge-
macht, Reuchlin in den Debatten der Zeit
zu verorten. Reuchlin ist eben sowohl der
Heros des Humanismus, das Opfer der
„Dunkelmänner“, der als solcher irgendwie
auch in der Nähe der Reformation – und
damit, so will es eine nach wie vor weit-
verbreitete Überzeugung, in der Nähe der
„Moderne“ – steht, als auch der Kabbalist,
der Neuplatoniker, der in der langen Tradi-
tion einer spirituellen Frömmigkeit steht.
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Franckenberg, Daniel Czepko, Athanasius Kircher und Christian Knorr von Rosenroth –
um nur einige zu nennen – führt diese Tradition bis ins 18. Jahrhundert. Sie vermischt
sich im 17. Jahrhundert mit Mystik, spiritueller Alchemie, Hermetik und Magie, später
dann mit den esoterischen Strömungen der Moderne. Überall aber bleibt der Gegensatz
zu einer logisch-argumentativ verfahrenden, rationalistischen Schulphilosophie erhalten.
Diese Gegensätze und Widersprüche sind dabei schon unmittelbar nach der Veröffent-
lichung von De arte cabalistica gegenwärtig. 1519 veröffentlicht der Kölner Dominikaner
und päpstliche Inquisitor Jacob Hoogstraeten seine Zerstörung der Kabbala (Destructio
Cabale seu cabalistice perfidie, vgl. Peterse 1995; Price 2011, 185–191). Hoogstraeten greift
vor allem zwei Punkte an: die Behauptung des Offenbarungscharakters der Kabbala und
die Leugnung der Gültigkeit logischer Techniken in der Theologie. Was den ersten Punkt
betrifft, so bestreitet Hoogstraeten – wie später Luther – generell jedem Text außer der
Bibel den Offenbarungscharakter. Dem zweiten Punkt ist fast das ganze vierte Buch
der Destructio gewidmet. Hoogstraeten zeigt, dass die Apostel und Paulus sich logischer
Techniken bedient haben, dass Hieronymus und Augustinus die Gültigkeit der Logik als
theologischer Erkenntnisform behaupten, dass Reuchlin sich für die gegenteilige Behaup-
tung fälschlich auf die aristotelische Logik beruft und dass Glaubenssätze sich durchaus in
logisch-argumentativer Weise aus der Bibel folgern lassen.
In all diesen Punkten vertritt Hoogstraeten die Überzeugungen von Erasmus und
Melanchthon, was insofern erstaunlich anmuten könnte, als Erasmus und Melanchthon
im Streit um die jüdischen Bücher auf Seiten von Reuchlin stehen, Hoogstraeten aber zu
den Gegnern Reuchlins gehört. Erasmus war spätestens mit seiner kritischen Ausgabe des
Neuen Testaments (1516) zur Gallionsfigur einer Philologie geworden, deren Nachdruck
auf der Rekonstruktion des literalen, historischen Schriftsinns lag. Insbesondere Erasmus’
Vorrede zu dieser Ausgabe – die Ratio seu methodus compendio perveniendi ad veram theologi-
am – propagiert eine „wahre Theologie“, die in einem Verzicht auf alle Spekulation und in
einer Konzentration auf das Neue Testament besteht. Die Allegorese – derer sich Reuchlin
als grundlegendes Exegeseinstrument bedient – lehnt Erasmus als exegetische Methode
ab. An ihrer Stelle propagiert er den schlichten Glauben an die Lehren Christi.
Die „Devotio moderna“, in der die Quellen dieser erasmianischen simplicitas liegen, ist
der spekulativen Vermischung von jüdischen, christlichen und – in Form des Pythago-
reismus – heidnisch-antiken Elementen in der Kabbala Reuchlins entgegengesetzt. Die
ethische Deutung des Christentums im Sinne einer philosophia Christi, die man Eras-
mus später von lutherischer Seite zum Vorwurf gemacht hat, steht konträr zu Reuchlins
Emphase auf rituellen und zeremoniellen Elementen. Für Erasmus fallen Rituale tenden-
ziell unter die Kategorie des Aberglaubens. Jede Art von theologischer Spekulation wird
man im Werk des Erasmus vergeblich suchen, genauso wie irgendwelche Formen von
Mystik. Erasmus’ Ideal der simplicitas fordert einen schlichten Glauben, der sich in der
imitatio Christi, in der tätigen Nächstenliebe und in der Praxis bewährt, nicht in der Theo-
rie und schon gar nicht in der Spekulation. Wo Erasmus deshalb mit dem Alten Testament
und seiner jüdischen Religiosität wenig bis gar nichts anfangen kann, da stellt die Kabbala
Reuchlins eine Extremform dieser Religiosität dar.
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Wenn Erasmus 1519 in einem Brief von sich sagt, er wäre kein Reuchlinist, ist das Aus-
druck einer grundsätzlichen Ablehnung der kabbalistischen Spekulationen Reuchlins. Mit
Reuchlin verbinde ihn eine persönliche Freundschaft, sonst nichts, schreibt Erasmus an
dieser Stelle (Erasmus, Briefwechsel IV, 121; vgl. Zika 1977, 69). In einem Brief aus dem
Jahr 1518 (nachdem Reuchlin ihm 1517 De arte cabalistica unmittelbar nach der Veröffent-
lichung hatte zukommen lassen) zieht Erasmus sogar die von ihm zutiefst verabscheute,
mittelalterliche Scholastik der Kabbala vor, wenn er schreibt, er sähe Christus lieber von
Duns Scotus eingefärbt als von den Zauberformeln der Kabbala. Talmud, Kabbala und
das Tetragramm seien „leere Worte“ (inania nomina) (Erasmus, Briefwechsel III, 252f.;
vgl. Bietenholz 1985, 56 f.; Price 2011, 179). Wenn Erasmus weiter schreibt, die „frostigen
Märchen“ (frigidissimis fabulis) der Juden vernebelten bloß alles, so ist dieses „frostig“ so
zu verstehen, dass diese allegorischen „Märchen“ nichts zur Erbauung und zur religiösen
Praxis beitragen, sondern Ausdruck einer selbstbezüglichen intellektuellen Spielerei und
Spekulation sind. Am deutlichsten wird Erasmus in seinem Brief an Hoogstraeten, in dem
er sich bitter darüber beschwert, von diesem mit der ihm „zutiefst verhassten“ (odiosis-
simum) Kabbala, die ihm „äußert fremd“ (alienissimus) wäre, vermischt worden zu sein.
Christus möge ihm so hold sein, wie er der Kabbala abhold wäre (Erasmus, Briefwechsel
IV, 47).
Abb. 3
Porträt des Philipp Melanchthon
Obwohl Erasmus von vielen Seiten gedrängt wird, sich im Streit um die „Judenbücher“ Kupferstich von Albrecht Dürer,
öffentlich zu Reuchlin zu bekennen, tut er dies nicht. Erst nach dem Tod Reuchlins 1526 (Stadtmuseum Tübingen).
verfasst er mit der Apotheosis Capnionis dieses Bekenntnis
zu Reuchlin. Von den kabbalistischen Werken Reuchlins
ist darin allerdings nicht mit einem einzigen Wort die
Rede. Wo Erasmus Reuchlin bewundert, betrifft dies aus-
schließlich dessen philologische Leistungen als Hebraist.
An dem Befund von Charles Zika, der die erasmianische
Frömmigkeit in einen strikten Gegensatz zur Kabbala
Reuchlins gebracht hat, kann deshalb kaum ein Zweifel
bestehen (Zika 1977, 91).
Dialektik und Rhetorik gewidmet: mithin genau den Wissensformen, gegen die Reuchlin
ununterbrochen polemisiert.
Als Melanchthon in der Folge der Reformation gezwungen ist, in Wittenberg Theologie
zu unterrichten, ist das erste, was er tut, den Römerbrief nach der Methode Agricolas
in seine dialektisch-rhetorischen Argumentationsschritte zu zergliedern. Er macht damit
genau das, was Reuchlin als unmöglich bezeichnet hatte. Daraus entwickelt sich das
erste protestantische Lehrbuch der Theologie, die Loci communes theologici (1521). Ihnen
liegt selbstverständlich der Anspruch zugrunde, dass die Wahrheiten der Offenbarung in
logisch-rationaler Form erschlossen werden können und müssen. Melanchthon begründet
die protestantische Theologie geradezu als logisch fundiertes und aus der Bibel abgeleite-
tes System von Glaubenssätzen. Damit bringt er diese Theologie von vornherein in einen
grundsätzlichen Gegensatz zu Neuplatonismus und Spiritualismus jeglicher Form.
Für die Vermischung von Platonismus und biblischer Offenbarung hat Melanchthon nicht
das geringste Verständnis. Zugrunde gerichtet worden sei die christliche Lehre gleich in
den Anfängen der Kirche durch die platonische Philosophie, heißt es auf den ersten Seiten
der Loci communes von 1521 (Loci communes, 26 f.). Das richtet sich gegen die spekulative,
platonisierende Theologie etwa eines Origenes. „Dummköpfe“ (inepti) nennt Melanchthon
1538 diejenigen, die die Wahrheit des Evangeliums zerstören, indem sie es in platonische
Philosophie verwandeln (Oratio de Platone, 425). Und was war das anderes als das, was
Reuchlin getan hatte?
Die Lehre von den angeborenen Prinzipien des Wissens (notitiae naturales), wie Melanch-
thon sie an Schlüsselstellen seiner Lehrbücher vertritt, (De anima, 143 f.; Erotemata dialectices,
647 ff.) hat zum Zweck die Aufhebung genau der scharfen Trennung von Glauben und
Wissen, von Offenbarung und Vernunft, wie Reuchlin sie in De arte cabalistica behauptet.
Durch diese Prinzipien – wie zum Beispiel die Fähigkeit zu zählen, Größenverhältnisse zu
erkennen oder Schlussfolgerungen zu ziehen – können aus der sinnlichen Erfahrung oder
aus der biblischen Offenbarung die Wissenschaften und Künste abgeleitet werden.
In seinem Lehrbuch der Dialektik entwickelt Melanchthon eine Technik, die es erlaubt, zu
jedem beliebigen Sachverhalt die entscheidenden Fragen zu beantworten und auf diesem
Weg systematisches Wissen zu sammeln (ebd., 573 –578). „Methode“ nennt Melanchthon
diese Technik, und er ist damit derjenige, der diesen Begriff in die europäische Wissen-
schaftstheorie einführt. Als Prinzip steht diese Methode dort, wo bei Reuchlin und im
Neuplatonismus Allegorese, Spekulation und Enthusiasmus stehen. Deutlich heißt es
bei Melanchthon, dass die Wahrheiten der biblischen Offenbarung denselben Grad der
Sicherheit haben wie die Behauptung, dass zwei plus zwei gleich vier ist (Loci praecipui
theologici, 190). Aus diesen Wahrheiten der Offenbarung lassen sich die weiteren Sätze
des Glaubens mit derselben Sicherheit ableiten. Glaube und logische Technik sind für
Melanchthon also, im Gegensatz zu Reuchlin, kein Widerspruch. Die Dialektik ist als uni-
versal anwendbare Methodik des Wissens das Instrument der Theologie wie jeder anderen
Wissenschaft, die diesen Namen verdient.
Im Anhang der Elementa rhetorices beantwortet Melanchthon den Brief Giovanni Picos
della Mirandola, in dem dieser sich von der humanistischen Philologie Barbaros abge-
grenzt hatte. Wo Reuchlin die Argumentation dieses Briefes zustimmend aufgenommen
hatte, indem er in der dunklen Sprache der Kabbala den Ausdruck einer uralten östlichen
Weisheit sehen wollte, da heißt es in der Antwort Melanchthons, in ihrem Rationalismus
REUCHLINS KABBALISTISCHE SCHRIFTEN UND IHRE SCHWIERIGE REZEPTION
kaum zu überbieten, falsch sei, was unverständlich ist (Elementa rhetorices, 397). An dem
scharfen Gegensatz zwischen Melanchthon und Reuchlin kann kein Zweifel bestehen.
Wenn Melanchthon sich trotzdem niemals unmittelbar gegen Reuchlin geäußert hat, ist
das Ausdruck einer Pietät gegenüber der Person Reuchlins, die die kabbalistischen Werke
von dessen philologischen Verdiensten abkoppelt. Melanchthons Reuchlin-Vita (1552) ist
Ausdruck davon, indem dort – ganz wie in Erasmus’ Apotheosis Capnionis – die kabbalisti-
schen Schriften Reuchlins mit Schweigen übergangen werden.
Wenn Erasmus und Melanchthon im Streit um die „Judenbücher“ mehr oder weniger
auf der Seite Reuchlins standen – obwohl sie die Kabbala abgelehnt haben –, muss man
daraus folgern, dass die Fraktionen in diesem Streit nur zum Teil durch gemeinsame
Überzeugungen gebildet wurden. Entscheidender als Sachfragen waren Parteizugehörig-
Abb. 5
keiten. Nicht zuletzt waren es die Gegner von Reuchlin, die bei ihm, Erasmus, Luther
Porträt Martin Luthers (als
Augustinermönch), Kupferstich und Melanchthon dieselben kirchenzersetzenden Kräfte am Werke sahen, ohne dabei ir-
von Lucas Cranach d.Ä. 1520. gendwelche Differenzen wahrnehmen zu wollen (vgl. Tewes 1999). Reuchlin, Erasmus
und Melanchthon dürften diese Differen-
zen dagegen sehr scharf wahrgenommen
haben. Aus dem Schweigen von Erasmus
und Melanchthon darf man nicht auf ge-
meinsame Überzeugungen zurückschlie-
ßen. Aussagekräftiger, weil nicht von Pie-
tät oder politischen Rücksichtnahmen be-
einflusst, ist das Urteil, das Melanchthon
auf Anfrage Spalatins über die hebräischen
Schriften aus Reuchlins Bibliothek nach
dessen Tod gefällt hat: „Nichts ist darunter,
das ich anerkenne, außer der Bibel, und
die gibt es auch sonst. Das andere taugt für
den Ofen.“ (Melanchthon, Briefwechsel II,
93; vgl. Scheible 1993, 129).
vierzigsten These: „Die Behauptung, dass der Theologe, der kein Logiker ist, ein ungeheu-
erlicher Häretiker sei, ist eine ungeheuerliche und häretische Behauptung.“ Keine syllo-
gistische Form könne theologische Begriffe erfassen, lautet die siebenundvierzigste These,
denn sonst würde die Trinität Gottes gewusst und nicht geglaubt (49. These). Aufgrund
dieser Untauglichkeit der Logik als Erkenntnisform heißt es dann in der fünfzigsten These
zusammenfassend: „Kurz, der ganze Aristoteles verhält sich zur Theologie wie die Dunkel-
heit zum Licht.“ (Disputatio contra scholasticam theologiam, 226). Hätte Luther diese frühen
Überzeugungen beibehalten, wäre Melanchthon ein „ungeheuerlicher Häretiker“.
Auch wenn diese scharfe Entgegensetzung von Glauben und Wissen, von Logik und
Offenbarung bei Luther nicht auf neuplatonische oder kabbalistische Überzeugungen zu-
rückgeht, ist Luther sich doch bewusst, dass Reuchlin in dem gerade erschienenen De arte
cabalistica dieselbe Position vertritt. 1518 schreibt er in einem Brief, Reuchlin habe gezeigt,
dass in theologischen Schriften dialektische Winkelzüge wie der Syllogismus keinen Platz
hätten und der reine Glaube im Zentrum stehen müsse (Luther, Briefwechsel I, 149 f.; vgl.
Raeder, 1977, 59-80). Wo man höhere Erleuchtung erwarte, müsse eine formallogische
Argumentation ausgeschlossen bleiben. Zumindest zu diesem Zeitpunkt und aus dieser
Perspektive stehen Luther und Reuchlin auf derselben Seite, gegenüber Melanchthon,
Erasmus und Hoogstraeten auf der anderen Seite.
In seinen Vorlesungen über den Psalter (Dictata super Psalterium, 1513–1516) billigt Luther
der menschlichen Vernunft nur einen äußerst geringen Rang zu. 1514 heißt es dort, der
Glaube an Christus könne nur in denjenigen sein, die „supra rationem contemplativi sint.“
(Dictata super Psalterium III, 607) An derselben Stelle heißt es, dies könne nicht in einer
argumentativen Erörterung (disputatio) oder durch vieles Reden (multiloquium) behandelt
werden, sondern nur „in summo mentis ocio et silentio, velut in raptu et extasi“ erfahren
werden. Diese enthusiastische Erfahrung mache den wahren Theologen aus. Sogar Diony-
sius Areopagita, vor dem Luther später in den schärfsten Tönen warnen und dessen speku-
lative Mystik Melanchthon zusammen mit der Kabbala für „reinen Unsinn“ erklären sollte,
wird mehrfach zustimmend mit dem Konzept seiner negativen Theologie zitiert. Sie beste-
he darin, Gott als „super omnem cogitatum“ erfahrbar zu machen, indem man „in die Fins-
ternis eintrete“. Luther nennt das hier sogar ausdrücklich die „wahre Kabbala“ (ebd., 372).
Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, war zu dieser Zeit noch einer der engsten Ver-
trauten Luthers. 1517 hatte er in Wittenberg diejenigen dreizehn der 900 Thesen Giovanni
Picos della Mirandolas, die 1487 in Rom verurteilt worden waren, erneut zur Disputation
gestellt. Auch über Reuchlins Kabbala soll Karlstadt bereits zu diesem frühen Zeitpunkt
gelesen haben (Bubenheimer 1988, 650). Damit bildet Karlstadt nicht nur ein Bindeglied
zwischen dem innerprotestantischen Spiritualismus und dem Neuplatonismus, sondern
dokumentiert auch, welche Weichenstellung die 1518 erfolgte Berufung Melanchthons
nach Wittenberg für die Reformation bedeutet hat. Mystischer Spiritualismus (Reuchlin,
Karlstadt) und dialektischer Humanismus (Agricola, Erasmus, Melanchthon) sind dem
weiteren Verlauf der Reformation als Alternativen eingeschrieben.
Luther hat sich den Überzeugungen Melanchthons angeschlossen und in den Jahren nach
REUCHLINS KABBALISTISCHE SCHRIFTEN UND IHRE SCHWIERIGE REZEPTION
am) erblicken, ein Spiel mit Allegorien, von Menschen erdacht, die nichts anderes zu tun
hatten, als sich um Buchstaben, Zahlen und Punkte (die Vokalzeichen der hebräischen
Schrift) zu kümmern (ebd., 60). Solche Gelehrten setzten mit ihren unheiligen Praktiken
ihr Seelenheil aufs Spiel und wie diejenigen, die auf Reisen schlechten Führern folgten, in
die Irre gleitet würden, so werde es auch diesen Gelehrten gehen. Sie folgten dem Teufel
und ihr Weg führe in die Hölle.
Kurz darauf, mit dem Beginn der Aufklärung, vollzieht sich der entscheidende Bruch in
der Rezeption Reuchlins. Während Agrippa von Nettesheim und Paracelsus weiterhin als
Symbolfiguren des Obskurantismus und Okkultismus figurieren, wird Reuchlin jetzt auf-
grund seines Eintretens für die jüdischen Bücher und als Opfer der „Dunkelmänner“ zum
Heros des Humanismus. Seine kabbalistischen Werke und deren offensiver Spiritualis-
mus werden mit Schweigen übergangen, symptomatisch etwa schon in dem Reuchlin-
Artikel in Zedlers Universal-Lexikon (1742). Initiiert haben dieses Reuchlin-Bild Erasmus
und Melanchthon. Als Ambivalenz reicht diese Perspektive bis in die gegenwärtige For-
schung hinein: der ‚Proto-Aufklärer‘ Reuchlin, der Verteidiger der jüdischen Bücher, ist
schwer zu vermitteln mit dem Anhänger der magischen Kabbala als einer zutiefst speku-
lativen, spirituellen Theologie.
Volkhard Wels
REUCHLINS KABBALISTISCHE SCHRIFTEN UND IHRE SCHWIERIGE REZEPTION
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