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118 Diskussion

Sieglinde Rosenberger auch aufgrund sozialer Klassen und sexu-


eller Orientierungen ankündigt und einfor-
dert (Albrech t/Brewer 1990, Weedon
Politik, Geschlecht 1990).
und Verschiedenheit Geschlecht (gender) und Ethnizi-
tät/Rasse (ethnicity/race)3 sind zwei zen-
trale Strukturkategorien, entlang denen die
Frauenbewegung und femini- Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen
stische Forschung in den USA und politischer Macht organisiert ist Ge-
schlecht in Kombination mit Ethnizi-
tät/Rasse war auch der Eckpfeiler der Ver-
1. Veranstalterin und anstaltung in Washington, DC. Die Eröff-
Konferenzprogramm nungsvorträge standen unter dem Motto:
»Multiple Standpoints, Multiple Choices:
Das »Institute for Women's Policy Re- The Social Construction of Race, Gender,
search»1 organisierte im Mai 1992 in Wa- and Nativity«. Referentinnen skizzierten
shington, DC eine Konfeienz zum Thema politische Reglementierungen und Be-
»Exploring the Quincentennial: The Poiicy schränkungen, mit denen insbesondere
Challenges of Gender, Diversity, and Inter- »women of color«4 konfrontiert sind. Das
national Exchange«. Abschlußplenum legte das Augenmerk auf
Veranstaltungen zu »500 Jahre Ent- die gegenwältige soziale Misere, auf
deckung Amerikas« waren 1992 dem An- schlecht bezahlte Arbeit und gekürzte So-
laß entsprechend recht populär. Ihre inhalt- zialleistungen. In Arbeitskreisen wurden
lichen Akzentuierungen folgten jedoch diesen Problematiken nahestehende Poli-
äußerst konträren Blickwinkeln sowohl tikfelder, konkret deren unterschiedliche
auf die Vergangenheit als auch auf die Zu- Auswirkungen auf Frauen unterschiedli-
kunft. Die einen feierten vor allem die Ent- cher Ethnizität/Rasse, diskutiert Z.B.:
deckung Amerikas - eines bereits besie-
delten Kontinents - als Erfolgsschau west- - Sozialpolitik, Arbeit und Armut (glei-
licher Kulturen, andere kritisierten primär cher Lohn für gleiche Arbeit, Arbeits-
die Vernichtung, die die historische Ent- bewertung, Überleben unterhalb der
deckung begleitete, sowie die verschlin- Armutsgrenze, Obdachlosigkeit)
gende Assimilation des »one people«, - Familie und Familienpolitik, Gesund-
einst George Washingtons idealistischer heitsversorgung
Entwurf der amerikanischen Gesellschaft - Immigrantinnen und Immigrationspoli-
Die Kritik an der kulturellen, politi- tik
schen und wirtschaftlichen Hegemonie der - »weiß« und «männlich« als verdeckte
WASPs2 in einer zunehmend multi-ethni- Standards geschlechter- und rassense-
schen Gesellschaft ist als »Multikulturalis- gregierter Politik
mus« zum akademischen Schlagwort ge- - institutionell hergestellte soziale Un-
worden (Markovits 1992, Schlesinger gleichheiten (Schule, Ausbildung, Ar-
1992). Und auch der (akademische) Femi- beitsplatz)
nismus schuf sich im multikulturellen - der erhoffte politische Wandel durch
Windschatten ein neues Paradigma. Neben das Jahr der Frauen in der Politik
»Gleichberechtigung« und »Differenz« ist - Frauen nördlich und südlich der Gren-
»Verschiedenheit« (diversity) zum zeitgei- ze.
stigen Terminus geworden. Ein Terminus,
der einen Perspektivenwandel zur Sicht- Die Tagung war überwiegend an der staat-
barmachung von Unterschieden entlang lichen Politik des »malestream« ausgerich-
ethnischer/rassischer Zugehörigkeit, aber tet dessen Wirkungen aber wurden frauen-
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zentriert bebandelt. Durch politische on von ethnischen Minderheiten, aber auch


Rechtsentwicklungen wieder aktualisierte von Frauen initiiert worden waren, als Po-
Themen der Frauenbewegung (Abtrei- litik zur Diskriminierung der weißen,
bungsdiskussion, sexuelle Belästigung am männlichen Mehrheit diffamiert In diesel-
Arbeitsplatz, Quales Familienpolitik) so- be Richtung sind die rhetorischen Spitzen
wie die Rassenunruhen in Los Angeles militanter Abtreibungsgegnerinnen gerich-
wenige Tage zuvor stellten einzelne Ar- tet: Das Recht des Fötus ist im Gegensatz
beitskreise und Vorträge in einen brisanten zum Recht der Frauen auf freie Entschei-
Kontext sozialer Wirklichkeit Ethnizi- dung gesetzlich zu schützen.
tät/Rasse, als zentrales Thema des Kon- Susan Faludis 1991 erschienenes, viel-
gresses seit Monaten geplant, fand sich besprochenes Buch »Backlash« beschreibt
plötzlich auch als alltägliche Schlagzeile die offenen und versteckten antifeministi-
wieder. schen Angriffe, die diffizilen Hindernisse
auf dem Weg zur Gleichberechtigung und
das Wiederaufleben konservativ-religiöser
2. Das Bewegte der Frauenbewegung Werte in Politik, Recht und Privatheit. Der
besondere Stellenwert des Buches liegt
Nicht zuletzt bedingt durch die lange rückblickend darin, daß der schleichende
Amtszeit der konservativen Administration Prozeß des sukzessiven Verdrängens femi-
in Washington (seit 1980) führte die libe- nistischer Orientierungen und Errungen-
ral-feministische Frauenbewegung noch schaften dadurch innerhalb weniger Wo-
Ende 1991 eine von Depression gezeich- chen zum Gegenstand öffentlicher Diskus-
nete Diskussion: der »backlash« stand auf sionen geworden war; daß das, was zwar
der feministischen Tagesordnung. Ziem- vielerorts schon spürbar war, nun durch
lich abrupt aber verkündeten Medien und die Veröffentlichung einen deutlichen Na-
Frauenorganisationen dann Anfang 1992, men bekommen hatte (Faludi 1991).
nach ersten Frauen-Erfolgen bei Vorwah- In diese von gesellschaftlichen Terrain-
len, das »Jahr der Frauen in der Politik«. verlusten begleitete Stimmung der Frauen-
Was waren Anlaß und Begleiterscheinun- bewegung fiel im Oktober 1991 das sog.
gen dieser Wellenbewegung? Hill-Thomas-Hearing.6 Vor einer aus-
schließlich männlich und weiß besetzten
Kommission des US-Senats wurde ein ge-
Backlash des Feminismus wöhnlich wohlgehütetes Geheimnis, die
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, über
Die zwölfjährige Reagan-Bush-Ära führte Nacht Thema der »großen« Politik.
nicht nur zu Sozialstaatskürzungen, son- Der Senat stimmte, trotz der nicht be-
dern evozierte auch Angriffe auf bereits seitigten Anschuldigungen, für den Vor-
verankerte Frauenrechte. Liberale, auf schlag des Präsidenten, d.h. für die Nomi-
Gleichbehandlung abzielende Politiken nierung eines der sexuellen Belästigung
(z.B. Equal Rights Amendment) sind wäh- bezichtigten Kandidaten als neues Mit-
rend dieser Phase gebremst, gestoppt bzw. glied des Obersten Gerichtshofs. Über die
rückgängig gemacht worden. Von Diskri- lauteren Absichten und die mentalen Fä-
minierung, einem zentralen frauenbeweg- higkeiten von Anita Hill, dem Opfer der
ten Schlagwort, sprach, allerdings in ande- Belästigung, wurden Zweifel lanciert
ren Konnotationen, vermehrt auch der (Phelps/Wintemitz 1992).
rechte Flügel. In kantigen Wahlkampfslo- Der Abstimmungssieg war letztlich
gans von Duke und Buchanan5 wurden nicht nur ungewöhnlich knapp (52:48), er
jene gleichheitsfördernden Maßnahmen war auch, wie sich bereits Monate später
(Affirmative Actions), die in den 70er Jah- herausstellte, für die Männerriege nur ein
ren zur Verbesserung der sozialen Situati- vorläufiger. Das Thema sexuelle Belästi-
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gung am Arbeitsplatz verblieb auf der po- im April 1992 demonstrierten in Washing-
litischen Tagesordnung, die Verschwiegen- ton 700.000 Menschen. »Pro-Choice« ist
heit anderer Opfer begann zu bröckeln, der seither für viele Politikerinnen zum politi-
demütigende Umgang mit Anita Hill und schen Bekenntnis und für den Wahlerfolg
die Tatsache, daß aufgrund der Geschlech- ausschlaggebend geworden.
terverbältnisse in den politischen Institu- Im Wahljahr 1992 war die »Feminist
tionen ausschließlich Männer in der Kom- Machine« 7 tatsächlich, und zwar sowohl
mission vertreten waren, erzürnte und mo- quantitativ als auch qualitativ, am Laufen.
bilisierte viele Frauen. Die gesellschaftlich Es haben sich mehr Frauen denn je zuvor
und politisch an den Rand gedrängte Frau- um ein Mandat im US-Senat und im Re-
enbewegung rückte durch diesen »Fall« präsentantenhaus beworben 8 , es sind seit
schlagartig in das Rampenlicht öffentlicher November mehr Frauen als zuvor im Senat
Aufmerksamkeit vertreten - nämlich sieben - , und es sind
Frauen mit explizit feministischen Anlie-
gen, die diese Anliegen auch als Wahlpro-
Das Jahr der Frauen in der Politik gramm anboten (wie Carol Moseley
Braun/Illinois und Barbara Boxer/Kalifor-
Vor den Wahlen im November 1992 waren nien), gewählt worden.
lediglich zwei Frauen im insgesamt 100- An die zahlenmäßig stärkere weibliche
köpfigen US-Senat vertreten. Vor diesem Repräsentation in politischen Ämtern wer-
Repräsentationsdefizit wird es verständ- den von der organisierten Frauenbewe-
lich, daß bereits nach ersten weiblichen gung (National Organization for Women)
Vorwahlerfolgen die Frauenbewegung große Hoffnungen an eine frauenfreundli-
ebenso wie zahlreiche Medien das Jahr chere Politik geknüpft. Eher kritische Ein-
1992 schillernd zum »Jahr der Frauen in wände feministischer Forscherinnen zu
der Politik« erklärten (Rosenberger 1992). Repräsentation und Partizipation scheinen
Ungewöhnlich einmütig werden im in dieser euphorischen Stimmung verges-
wesentlichen zwei Momente für die histo- sen oder ausgeblendet zu werden (Phillips
rische Chance, nämlich für den Einzug 1991). Dem Feminismus innerhalb der In-
von diesmal mehr als zwei Frauen ins Ka- stitutionen gelten derzeit ganz eindeutig
pitol, angegeben: die Hoffnungen (Katzenstein 1990).
Im politischen Kontext der Ablösung
- Die personelle Zusammensetzung und der Erfahrung schleichender Ohnmächtig-
die Art und Weise, wie Anita Hill durch keit durch ein Bewußtsein wachsender Be-
die US-Senatskommission befragt und deutung der Frauenbewegung ist die Ta-
behandelt worden war. gung in Washington zu sehen. Im folgen-
- Die Verunsicherung, die durch die dis- den gehe ich auf zwei Schwerpunkte
kutierte Änderung gesetzlicher Bestim- sozialwissenschaftlicher Frauenforschung
mungen zur Abtreibung ausgelöst wur- ein: auf den Metabereich der Kritik am
de. »weißen« Feminismus und auf das Poli-
tikfeld der Sozialpolitik, in deren Schatten
Beide Aspekte setzen bei der unmittelba- die »Mutter auf Wohlfahrt« (welfare-mo-
ren Betroffenheit vieler Frauen an, beide ther) als Gespenst bzw. als Kulmination
Aspekte vermochten daher besonders die sozialstaatlicher Rigidität zunehmend Pro-
Konfliktbereitschaft zu mobilisieren und fil bekommt.
eine breite Öffentlichkeit herzustellen.
Entlang dem Slogan »Pro-Choice« (Mög-
lichkeit, sich für oder gegen eine Abtrei-
bung zu entscheiden) engagierten sich vie-
le Amerikanerinnen. Beim Protestmarsch
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3. Ansätze und Themen feministischer ferenz konzentrierten (sexuelle Differenz


Forschung hatte, abgesehen von der sog. Gilligan-De-
batte, bei US-amerikanischen Wissen-
Das Subjekt des Feminismus, die Frauen, schaftlerinnen bei weitem nicht jene Reso-
stand in Washington noch nicht oder nicht nanz und Zuwendung wie in der deutsch-
schon wieder zur theoretischen Dekon- sprachigen oder italienischen Literatur
struktion an - wie dies andernorts postmo- erfahren) werden nun um einen Ansatz er-
derne Theoretikerinnen dozierend einfor- weitert, der die multikulturelle Verschie-
dern (Nicholson 1990, Butler 1991). denheit zwischen Frauen in den Vorder-
»Frauen« wurden hier noch eindeutig als grund rückt.
identitäts- und politikstiftende Bezugs- Die Strukturkategorie »Verschieden-
und Resonanzgnjppe feministischer For- heit« (»diversity«) ermöglicht in einer
schung und Politik betrachtet, und dies, multi-ethnischen Gesellschaft auch bzw.
obwohl gerade die Beschäftigung mit Dif- primär, die Ungleichheit der Lebensbedin-
ferenzen zwischen Frauen, d.h. mit vielfäl- gungen aufgrund ethnischer Zugehörigkeit
tigen Identitäten, zum Tagungsprogramm in den Blick zu bekommen. Das Denken in
gehörte. der Diversität, die Einbeziehung und
Wollte man die Konferenz in einer Sichtbarmachung von Erfahrungen über
Skala eintragen, die von feministischer jene der Euro-Amerikanerinnen hinaus be-
Forschung als Kritik staatlicher Politik bis dingt ein Uberdenken von Theorien des
zu einer Forschung reicht, die die politi- sog. weißen, gleichzeitig mittel- und ober-
sche Praxis als Vorlage für philosophische schichtorientierten Feminismus.
Abhandlungen begreift (»theory became Aber ebenso wie die Multikulturalis-
divorced from politics...«, Barry 1991, mus-Debatte kein Phänomen des Jahres
83), dann müßte man sie eindeutig auf der 1992 ist, ist auch das Paradigma der kultu-
Seite der Erfahrungsorientiertheit verorten. rellen Differenz/Diversität nicht ganz neu.
Beide Diskurse, der postmodeme/post- Bereits in den frühen 80er Jahren betonten
strukturelle Feminismus (z.B. Butler Afro-Amerikanerinnen (Lewis 1983,
1990) einerseits wie auch die Bezogenheit hooks 1984) den Stellenwert, den ethni-
auf materielle Lebensbedingungen und den sche/rassische Zugehörigkeit im Leben
politischen Aktionismus (z.B. de Lauretis von Frauen zwar einnimmt, aber von der
1986) andererseits genießen derzeit in den Frauenbewegung und -forschung beharr-
USA nicht nur große Aufmerksamkeit, lich ignoriert wurde. Neu hingegen ist im
sondern sie führen auch bereits zu polari- Jahre 1992, daß der Diversitätsdiskurs ver-
sierenden Abgrenzungen. Die akademi- stärkt im akademisch etablierten Feminis-
schen Fragmentierungen finden in der Dis- mus und seinen Institutionen integriert
kussion um die eher theorieorientierten wird.9
»Gender Studies« oder die eher politikori- Dazu sei am Rande erwähnt: Die Beto-
entierten »Women's Studies« ihren unmit- nung der Diversität zwischen Frauen und
telbaren sprachlichen Ausdruck. die Kritik am anglozentrierten Feminismus
zeigt Parallelen zur hierzulande bekannten
feministischen Kritik am Androzentrismus
Kulturelle Verschiedenheit und weißer der Wissenschaft; dabei ist »männlich«
Feminismus durch »weiß« ersetzt Die Relativierung
anglozentrierter Forschung als Partikula-
Feministische Forschung ist herausgefor- rismus mit ganzheitlichem Anspruch führt
dert, ihre etablierten Themen, Stand- und zu modifizierten Grundlagen feministi-
Bezugspunkte zu überdenken. Die Analy- schen Forschens:
sen, die sich bis dahin auf Gleich-
heit/Gleichberechtigung und sexuelle Dif- - Frauen sind keine monolithische sozia-
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le Gruppe, sondern sie sind entspre- der Eindimensionalität in Politik und Ge-
chend ihrer Zugehörigkeit zu Klasse, sellschaft »500 Jahre Entdeckung Ameri-
Ethnizität, sexueller Orientierung etc. kas« als Phrase unterstreicht dies. In der
verschieden (Young 1991). Politik verschwinden kulturelle Eigenhei-
- Frauen haben keine einheitliche, essen- ten, werden mehrschichtige Identitäten
tialistische Identität, sondern vielfältige singularisiert und an einer dominanten
und möglicherweise miteinander in Norm ausgerichtet. Ein Beispiel: Wenn
Widerspruch stehende Identitäten. eine Person aus einer ethnischen Minder-
heit den Zugang zu einem politischen Amt
Der akademische Feminismus trug diesen schafft, dann ist sie (fast immer) männlich;
erfahrungsbedingten Verschiedenheiten wenn eine Frau den Zugang zu einem poli-
nicht grundlegend Rechnung. Feministi- tischen Amt schafft, dann ist sie (fast im-
sche Forschung hat, weil vor allem an mer) weiß (Rule 1992). Genau deshalb
Universitäten des politischen Westens ent- war der Einzug der ersten Afro- Amerika-
standen und infrastmkturell (Jobs, Publi- nerin Carol Mosley Braun in den Senat so
kationsorgane) verankert, die weißen Frau- überraschend und vielkommentiert. Braun
en und damit auch den Sexismus und die durchbrach zwei Nonnen - die Ge-
patriarchale Unterdrückung westlicher schlechtsnorm »männlich« und die kultu-
Prägung unreflektiert zur allgemeinen relle Norm »weiß«.
Matrix gemacht. Frauen als Subjekte des
Feminismus waren Frauen im postindustri-
ellen Westen. Andere Kulturen und Gesell- »Mütter auf Wohlfahrt«
schaften wurden durch die kolonialisieren-
de Generalisierung des Spezifischen igno- In einem Koordinatensystem von wach-
riert. Betty Friedans Klassiker »Der sender Armut und zunehmenden Sozial-
Weiblichkeitswahn« ist nur ein Beispiel restriktionen erfährt eine ganz bestimmte
dafür, wie die Gruppe der gut ausgebilde- Gruppe von Frauen ganz besondere politi-
ten, in den Einfamilienhäusern amerikani- sche Aufmerksamkeit: die »Mutter auf
scher Vorstädte lebenden weißen Mittel- Wohlfahrt« (»welfare-mother«) wird als
und Oberschichtfrauen zu »den Frauen« Gespenst rhetorisch an die Wand gemalt
stilisiert wurden (hooks 1984). Elizabeth und alltagspolitisch an den Rand der Ge-
Spelman kritisiert diese verdeckte Norm sellschaft gestellt.
auch an Simone de Beauvoirs »Das andere In den USA gibt es beispielsweise kei-
Geschlecht«: Die Lebenssituationen der ne direkte Unterstützung für Kinder (Kin-
weißen Mittelschichtfrauen werden als Le- dergeld/Familienbeihilfe), sondern Ein-
benssituationen der Frauen im allgemeinen kommensempfängerinnen erhalten für die
gefaßt (Spelman 1991, 211). Versorgung »abhängiger Personen« Steu-
Die weiße Mittelschichtorientierung erreduzierungen. Sozialleistungen für Ar-
feministischer Forschung ist aber nicht nur beitslose wurden während des letzten Jahr-
eine Frage der Ignoranz gegenüber ande- zehnts sukzessive reduziert, bestimmte
ren Lebenszusammenhängen, sondern sie Personengruppen aus dem Kreis der An-
beinhaltet auch das Nichtwahrnehmen der spruchsberechtigten ausgegliedert. Die
Kehrseite ethnisch/rassischer Diskriminie- »Mutter auf Wohlfahrt« ist ein Opfer die-
rung, nämlich die Privilegierung. Denn ser Gesinnung. Ihr wird nach der Geburt
auch das Weiß-Sein, so bell hooks (1990) eines weiteren Kindes die Sozialhilfe nicht
und Nancie Caraway (1991), ist ein be- erhöht, sondern gekürzt.
wußtseinsbildendes Element, eine Erfah- Hinter jeder »Mutter auf Wohlfahrt«
rung, die sozialisiert. steht neben der individuellen Tragödie der
Mit der akademischen Anglozentriert- betroffenen Frau auch ein massives gesell-
heit korrespondiert eine verschärfte Form schaftliches Problem. Die »Mutter auf
Diskussion 123

Wohlfahrt« ist meist Teenagerin, ohne ab- kömmliche Einwände gegen staatliche So-
geschlossene Schulbildung und lebt in den zialpolitik, die sich auf westeuropäische
verarmten innerstädtischen Zentren. Armut und skandinavische Wohlfahrtsstaatsmo-
ist ihre Zukunftsperspektive, alleinerzie- delle beziehen, haben für die USA die un-
hend zu leben keineswegs Ausdruck eines mittelbare Relevanz verloren (Gordon
emanzipierten Lebensentwurfs oder der 1990). In den USA werden weniger Ein-
Rebellion gegen konservative Familien- wände gegen »zuviel Staat« (staatliche
Strukturen (Sander 1991). Kontrolle, Eingriffe in die Privatheit, Ab-
Die politischen Antworten auf diese hängigkeit vom Staat) vorgebracht, son-
besorgniserregenden Entwicklungen sind dern die Auseinandersetzung konzentriert
unterschiedlich. Neben vereinzelten An- sich auf die beiden Weiler Überlebensstra-
strengungen zur Eingliederung in Arbeits- tegien einerseits und ungebremster Indivi-
und Ausbildungsprogramme gibt es eine dualismus, der von staatlicher Seite gefor-
beträchtliche Portion Heiratsideologie. Ei- dert wird, andererseits. Kurzum, die Frage,
nige Bundesstaaten, wie z.B. Wisconsin, wie Frauen zum lebensnotwendigen Geld
offerieren beschäftigungslosen Müttern bei kommen, prägte die Sozialstaatsdiskussion
Ehelichung des Vaters des Kindes eine ein- in Washington.
malige Prämie, die sog. Brautprämie (Tay-
lor 1991). Derartige sozialpolitische Lö-
sungen basieren auf der Idee der Ehe und 3. Fazit
Familie, die freiwillig und aus eigener
Kraft gesellschaftlich stabilisierend wir- Die Tagung war dem Bemühen verpflich-
ken. Politik versucht, dem wachsenden tet, gegenüber den eingefahrenen Einsei-
Trend frauengeführter Haushalte und der tigkeiten sowohl in der Theorie als auch in
Auflösungserscheinungen der Vater-Mut- der Politik zu sensibilisieren, die politi-
ter-Kind-Familie entgegenzuwirken. schen Restriktionen gegen multi-ethnische
Die »Mutter auf Wohlfahrt« ist, ebenso Vielfalt aufzuzeigen und der Multikultura-
wie die Rassenunruhen in Los Angeles, in lität Raum zu geben.
eine grundlegende politische Diskussion Dem Anspruch auf Multikulturalität
um Familienwerte und -aufgaben eingebet- wurde bei der Auswahl der Referentinnen
tet So etwa hatte Vizepräsident Dan Quay- Rechnung getragen. Auf den Podien saßen
le als Ursache für die Gewalt in Los Ange- Latinas neben Afro-Amerikanerinnen und
les nicht Armut, Ausgrenzung und Vere- Euro-Amerikanerinnen, asiatische Ameri-
lendung, sondern die zerbrochenen kanerinnen diskutierten mit amerikani-
Familienstrukturen, ja, die in Mode ge- schen Ureinwohnerinnen. Die Expertinnen
kommenen alleinerziehenden Mütter ange- präsentierten Forschungsergebnisse, die
führt. In dieser Anschuldigung steckt wie- die spezifischen kulturell/ethnischen Er-
derum die Forderung, daß Familien die so- fahrungshintergründe zum Ausgangspunkt
zialen Brüche und die ökonomische nahmen. Diese Beiträge zeigten recht deut-
Marginalisierung, die das innerstädtische lich, daß der Sexismus keineswegs eine
Leben im Gegensatz zu den idyllischen absolute Unterdrückungsform darstellt,
Vorstädten beherrschen, kompensieren sol- sondern daß ein breitgefächertes, mitein-
len. Die Bekämpfung der Armut stellt sich ander verwobenes System von Herrschaft
Quayle auch entsprechend einfach vor: und Abhängigkeit, von Macht und Privile-
»Marriage is probably the best anti-pover- gierung Frauenleben prägt und bestimmt.
ty program of all.«10 Der Rassismus weißer Frauen war
Diese sozialen Probleme und die fami- ebenso wie die Privilegierung weißer
lienorientierten Lösungsvorstellungen sind Frauen im Verhältnis zu »women of color«
die aktuelle empirische Basis für eine fe- aber kein angekündigtes Tagungsthema.
ministische Sozialstaatsdiskussion. Her- Beides konnte umgangen werden, nicht
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zuletzt deshalb, weil das Augenmerk auf onsnetzwerk für Forscherinnen und politisch En-
gagierte versteht Die Adresse: Institute for Wo-
(staatliche) Politik gelenkt worden war
men's Policy Research. 1400 20th Street, N.W.,
und eben diese Politik in der feministi- Saite 104, Washington, DC 20036.
schen Logik per se als männlich, d.h. als 2 WASPs (White Anglo-Saxon Protestant;) sind im
von Männern dominiert betrachtet wird. In wesentlichen die Einwanderer aus Großbritanni-
diesem Punkt zeigt sich die Schwäche ei- en, die die Standards und Normen für die Assimi-
nes Denkkonzeptes, das noch im wesentli- lation der später Angekommenen vorgaben.
WASPs waren bzw. sind nach wie vor die Gruppe,
chen einem rigiden Opfer-Täter-Dualis-
die sowohl die Nichtweißen als auch innerhalb
mus entlang der Geschlechtszugehörigkeit der Weißen dominiert. Vgl. Schlesinger 1992.
verhaftet ist. Im Hinblick auf Diskriminie- 3 Die Begriffe Ethnizität/Rasse beziehen sich auf
rung und Privilegierung (weiße Frauen die ursprüngliche regionale Herkunft der einer-
werden durch den Sexismus diskriminiert, seits zwangsweise eingeschleppten Afro-Ameri-
sie selbst sind aber als Weiße gegenüber kanerlnnen und andererseits der freiwillig einge-
»women of color« eindeutig privilegiert) reisten Imigrantlnnen. Heute wird von
Afro-Amerikanerinnen, asiatischen Amerikaner-
hinkte die Tagung der feministischen Dis- innen (Asian-Americans), amerikanischen Urein-
kussion um Rassismus eindeutig hinterher. wohnerlnnen (Native-Americans), Latinos und
Es entstand der Eindruck, daß die Frauen- Latinas gesprochen. Der Begriff »Rasse« ist in
solidarität, die angerufene Schwesterlich- Deutschland/Österreich historisch negativ be-
keit, rhetorisch strapazierfähig genug ist, setzt, und wir trachten daher, ihn zu vermeiden.
Rasse (race) ist jedoch in der IIS-amerikanischen
um Kontroversen zu vermeiden.
Gesellschaft, Politik und Wissenschaft eine zu
Die Konferenz hielt letztlich nicht Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung,
ganz, was das schillernde Programm an- Klasse etc. analoge, zentrale Kategorie. Aus die-
kündigte. Die thematische Vielfalt ließ so- sem Grunde ist, auch wenn aufgrund unserer So-
wohl einen echten Zusammenhang der zialisation emotionale Widerstände auftreten mö-
gen, der Begriff »Rasse« zu verwenden, wenn es
Beiträge als auch eine Einbettung in die
u m die Auseinandersetzung mit US-amerikani-
angekündigte Diskussion um Geschlecht, schen Verhältnissen geht
EthnizitätTRasse und übergreifende Per-
4 Der amerikanische Terminus »women of color«
spektiven vermissen. Trotzdem boten eini- schließt alle nicht-weißen Frauen, d.h. vor allem
ge Beiträge nicht nur interessante Einzel- Frauen nicht anglo-sächsischer Herkunft ein. Da
informationen und interessante Einblicke m . M . nach eine Übersetzung ins Deutsche nicht
in die Werkstatt feministischer Forschung, möglich ist (»farbige Frauen« wäre die Uberset-
sondern auch theoretische Ansätze, die zung des wiederum im amerikanisch als rassi-
stisch empfunden »colored women«), verwende
eine zukünftige Entwicklung feministi-
ich den Originalbegriff.
scher Forschung in Richtung kulturelle
5 David Duke war 1991 Bewerber um das Amt des
Differenz aufzeigen. Die wechselseitige Governors in Louisiana, Pat Buchanan Bewerber
Bedingtheit von Geschlecht und Ethnizi- um die Nominierung der Republikaner für die
tät/Rasse oder, wie Teresa de Lauretis be- Präsidentschaft.
reits vor Jahren meinte, »... the more dif- 6 Clarence Thomas wurde im Sommer 1991 von
ficult and complex notion that the female Präsident Bush als neues Mitglied des Obersten
subject is a site of difference...« (de Lau- Gerichtshofes vorgeschlagen. Während der Hea-
rings vor einer Senatskommission brachte Anita
retis 1986, 14), bleibt die paradigmatische Hill, frühere Mitarbeiterin von Clarence Thomas,
Herausforderung feministischer For- den Vorwurf der sexuellen Belästigung am Ar-
schung. beitsplatz ein. Daraufhin fand, vor laufenden Ka-
meras der Fernsehstalionen, eine Befragung von
Thomas und Hill statt.
7 »Feminist Machine« war der Titel eines Artikels
Anmerkungen in Time Magazine (May 4/1992) über Kandida-
tinnen bei den Vorwahlen.
1 Das Institute for Women's Policy Research 8 Im Mai 1992 waren insgesamt 19 Frauen um ei-
(TWPR) ist eine sozialpolitisch orientierte For- nen Sitz im Senat und 152 Frauen um einen im
schungseinrichtung, die sich auch als Informati- Repräsentantenhaus im »Rennen«.
Diskussion 125

9 Im März 1992 fand an der Purdue-Univer- Rule, Wilma (1992): Minority and Anglo Women's
sity/West Lafayette eine Tagung zum Thema »Fe- Election of State Legislatures: Policy Alternatives
minism and Multiculturalism« statt for Greater Opportunity. Paper presented at the
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