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IM ANGESICHT

DES TODES
Das Geheimnis der Reinkarnation
Werke von His Divine Grace
A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada

Bhagavad-gitā wie sie ist


Srimad-Bhāgavatam, Canto 1-10 (12 Bānde)
Sri Caitanya-caritāmrta (11 Bände)
Krsna — Die Quelle aller Freude (2 Bände)
Bewußte Freude
Die Lehren Sri Caitanyas
Die Lehren Königin Kuntis
Die Lehren Sri Kapilas
Die Schönheit des Selbst
Der Nektar der Hingabe
Der Nektar der Unterweisung
Sri Isopanisad
Jenseits von Raum und Zeit
Leben kommt von Leben
Vollkommene Fragen, vollkommene Antworten
Im Angesicht des Todes
Bhakti-yoga
IM ANGESICHT
DES TODES
Das Geheimnis der Reinkarnation
Auf dem Weg zu Krsna
Die Vollkommenheit des Yoga

His Divine Grace


A.C. Bhaktivedanta Swami
Prabhupāda
Gründer-ācārya der
Internationalen Gesellschaft für Krischna-Bewußtsein
On the Way to Krsna • A Second Chance • The Perfection of Yoga (German

TITELBILD: Ajāmila, der ein Leben der Wollust gefūhrt hat


und zu einem Banditen wurde, liegt auf dem Totenbett.
Plötzlich sieht er, wie in einem Traum, drei furchterregende
Gestalten auf sich zukommen. Sie legen seine Seele in Fesseln,
um sie aus dem sterblichen Körper zu zerren. In Todesangst
ruft Ajāmila nach seinem jūngsten Sohn: „Nārāyana!" Kaum
hat er diesen Namen gerufen, erscheinen vier leuchtende
Gestalten, die den Schergen des Todes Einhalt gebieten.

Interessierte Leser können sich an eine


unserer Infostellen wenden:

ISKCON, Taunusstraße 40
D-51105 Köln, Tel. 0221 /8303778

Krishna-Tempel, Bergstrasse 54
CH-8030 Zürich, Tel.: 01/2623388

Center for Vedic Studies, Rosenackerstraße 26


A-1170 Wien, Tel.: 0222/455830

Digitalisiert für Unglaublichkeiten.com /.info /.org


im Heuert (Juli) 2006

© 1992 The Bhaktivedanta Book Trust International


Alle Rechte vorbehalten

ISBN91-7149-040-X
INHALT
Einleitung vii

Auf dem Weg zu Krsna


1. KAPITEL: Die Suche nach Glück 3
2. KAPITEL: Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 11
3. KAPITEL: Göttliche Sicht 24
4. KAPITEL: Die Narren und die Weisen 38
5. KAPITEL: Die Kraft des Wunsches 50

Im Angesicht des Todes


1 Ajamilas Erfahrung in Todesnähe
1. KAPITEL: Aller Laster Anfang 66
2. KAPITEL: Imitation der Wirklichkeit 72
3. KAPITEL: Die letzte Stunde 79
4. KAPITEL: Frei von Geburt und Tod 83

2 Der Zwist der Visnudūtas und der Yamadūtas


5. KAPITEL: Rettung in höchster Not 88
6. KAPITEL: Die Bewohner der spirituellen Welt 91
7. KAPITEL: Berechtigte Fragen 95
8. KAPITEL: Was ist Religion? 103
9. KAPITEL: Bestrafung 108
10. KAPITEL: Vorherbestimmung und Unabhängigkeit 116
11. KAPITEL: Der feinstoffliche Körper 122
12. KAPITEL: Die Fessel sexueller Lust 133
13. KAPITEL: Ajāmilas lasterhaftes Leben 144
14. KAPITEL: Betrüger und Betrogene 152
15. KAPITEL: Buße 157
16. KAPITEL: Erwecken der Gottesliebe 168

3 Ajāmilas Reue
17. KAPITEL: Die Stunde der Wahrheit 192
18. KAPITEL: Ein Pilger auf dem Weg zu Gott 203

4 Yamarājas Unterweisungen
19. KAPITEL: Das Ende aller Zweifel 214
20. KAPITEL: Wer ist der Höchste Herr? 220
21. KAPITEL: Vertrauliches Wissen 225
22. KAPITEL: Die Herrlichkeit des heiligen Namens 239

Die Vollkommenheit des Yoga


1. KAPITEL: Unzeitgemäßer Yoga 244
2. KAPITEL: Yoga als Arbeit in Hingabe 249
3. KAPITEL: Yoga als Meditation über Krsna 252
4. KAPITEL: Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 257
5. KAPITEL: Yoga als Befreiung von Dualität 271
6. KAPITEL: Das Schicksal des gescheiterten Yogi 275
7. KAPITEL: Yoga als Verbindung mit Krsna 283
8. KAPITEL: Die Vollkommenheit des Yoga 289

ANHANG
Autor 295
Glossar 297
Anleitung zur Aussprache des Sanskrit 304
Das Chanten des Hare-Krsna-Mantra 305
Einleitung
Als der lasterhafte Ajāmila bewußtlos auf seinem Totenbett lag, sah
er in der feinstofflichen Dimension mit Entsetzen drei schreckliche
menschenähnliche Kreaturen auf sich zukommen, die ihn aus sei-
nem sterbenden Körper zerren und zur Bestrafung ins Reich Yama-
rājas, des Herrn des Todes, bringen wollten. überraschenderweise
jedoch entging Ajāmila diesem furchtbaren Schicksal. Wie ihm das
gelang, können Sie auf den Seiten des vorliegenden Buches, Im An-
gesicht des Todes, lesen.
Obwohl die Ajāmila-Geschichte schon Tausende von Jahren alt
ist, besitzt ihre Thematik eine zeitlose Aktualität. Auch heute noch
berichten Menschen von ähnlichen Sterbeerlebnissen und bestätigen
damit den uralten Glauben der Menschheit an ein Weiterleben nach
dem Tode.
In den Jahren 1980/81 führte das Gallup-Meinungsforschungs-
institut in den USA eine umfangreiche statistische Erhebung zum
Themenkreis des Todes durch, die 1983 unter dem Titel Begegnungen
mit der Unsterblichkeit auch in Deutsch veröffentlicht wurde. Das Er-
gebnis dieser Umfrage war verblüffend:
67 Prozent aller Befragten sagten, sie seien von einem Leben nach
dem Tode überzeugt, und immerhin 15 Prozent bestätigten, selbst
eine Art Erfahrung in Todesnähe gemacht zu haben. Auf die Bitte,
ihre Erfahrung in Todesnähe näher zu beschreiben, berichteten neun
Prozent von außerkörperlichen Erfahrungen, und acht Prozent erin-
nerten sich sogar, daß „ein oder mehrere eigentümliche Wesen wäh-
rend der Todeserfahrung gegenwärtig" waren.

Es ist seit langem bekannt, daß Herzinfarktpatienten, Unfallopfer


und im Kampf verwundete Soldaten immer wieder von Sterbeerleb-
nissen berichten. Mittlerweile haben auch verschiedene angesehene
Ärzte, wie Dr. Raymond Moody und Dr. Michael Sabom, solche Er-

vii
viii Im Angesicht des Todes

fahrungen in Todesnähe systematisch untersucht und darüber Fach-


bücher veröffentlicht, die weltweit große Beachtung fanden. Viele
ihrer Patienten, die als klinisch tot galten, schilderten nach ihrer
Wiederbelebung, daß sie aus einer außerkörperlichen Perspektive
ihre eigene Operation mitansehen konnten. Sie waren im nachhinein
in der Lage, viele Details ihrer Wiederbelebung, ja sogar die Ge-
spräche der Ärzte wiederzugeben, obwohl ihr Körper die ganze Zeit
bewußtlos auf dem Operationstisch gelegen hatte.
Der amerikanische Kardiologe Dr. Michael Sabom zum Beispiel
kommt in seinem Buch Erinnerungen an den Tod - eine medizinische
Untersuchung (dt. 1987) zum Schluß, daß sich im Moment des Todes
das eigentliche Wesen des Menschen vom sterblichen Körper löst. Er
fragt: „Handelt es sich bei dem Verstand, der sich vom physischen
Gehirn abspaltet, möglicherweise um die Seele, die, einigen Reli-
gionen zufolge, nach dem endgültigen Tod weiterexistiert?"
Dieser Frage der Medizin sind verschiedene Zweige der moder-
nen Psychologie nachgegangen. Auf diesem Gebiet lassen sich ein-
drucksvolle Hinweise darauf finden, daß der Mensch in seinem
bewußten Kern nicht nur den Tod überlebt, sondern auch bereits
vor der Geburt des gegenwärtigen Körpers existiert hat. Heute
kennt die Psychologie unter anderem die Methode der Reinkar-
nationstherapie, in der Menschen über Hypnose in frühere Leben
zurūckversetzt werden. In Hypnose beschreiben die Rückgeführten
nachprüfbare Details ihrer früheren Leben und sprechen manchmal
andere Sprachen, ja sogar tote Sprachen.
In den letzten Jahrzehnten wurden Tausende von Berichten über
Erfahrungen in Todesnähe und über Erinnerungen an frühere Leben
gesammelt und veröffentlicht. Die zahlreichen Übereinstimmungen
der einzelnen Schilderungen haben zu der Überzeugung geführt,
daß dem menschlichen Sterben in der Tat gewisse einheitliche Na-
turgesetze zugrunde liegen, die unabhängig von Religion, Kultur
oder Weltanschauung bei jedem Menschen ähnlich wirken.
Doch es ist nichts Neues, daß sich die Menschen mit dem The-
ma der Reinkarnation befassen. Die ältesten Hochkulturen der Welt
(insbesondere die indische) wie auch die ältesten Religionen der
Welt (Hinduismus, Buddhismus, Urchristentum) legen ein konkre-
tes Zeugnis für die Reinkarnation ab.
Einleitung ix

Die Schriften der altindischen Hochkultur, die Veden, offenbaren


das „Geheimnis der Reinkarnation" aus einer für die heutige Zeit
ungewohnten Perspektive: Das Ziel der Veden ist - im Gegensatz
zur modernen Esoterik - nicht die Erforschung früherer Leben. Es
geht nicht um den Blick zurück, sondern um den Blick nach vorn,
um die Auseinandersetzung mit unserer Bestimmung im nächsten
Leben. Die Veden erklären, daß wir nicht der Körper sind, sondern
die unsterbliche Seele, die dem Körper Bewußtsein und Leben ver-
leiht. Beim Tod verlāßt die Seele den Körper und geht gemäß ihrem
Bewußtsein in andere Lebensformen ein. Die Seele wandert so lange
im Kreislauf von Geburt und Tod, bis sie Befreiung erlangt und in
das Reich Gottes zurückkehrt. Im Wissen um diese Befreiung liegt
das eigentliche Geheimnis der Reinkarnation.
Im Licht der vedischen Schriften finden die Erkenntnisse der
modernen Thanatologie (Sterbeforschung) und die Glaubensinhalte
verschiedenster Religionen eine willkommene Synthese. Seit gut
zwanzig Jahren sind die bedeutendsten vedischen Schriften, die
Bhagavad-gitā und das Srimad-Bhāgavatam, nun auch dem Westen in
authentischer und vollständiger Übersetzung zugänglich, die wir
dem großen Sanskritgelehrten, Mönch und spirituellen Meister His
Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda verdanken.
Srila Prabhupāda (1896-1977), der Gründer der Internationalen Ge-
sellschaft für Krsna-Bewußtsein, hat mit seinen Veröffentlichungen
maßgeblich dazu beigetragen, daß sich heute immer mehr Men-
schen der ursprünglichen Botschaft der Veden bewußt werden. Im
vorliegenden Buch erklärt er - gestützt auf die Ajāmila-Geschichte
des Srimad-Bhāgavatam - die tiefere Bedeutung der Reinkarnation
sowie der damit verbundenen Gesetzmāßigkeiten und praktischen
Konsequenzen.
Die Ajāmila-Geschichte wurde vor Tausenden von Jahren von
Sukadeva Gosvāmi, einem großen spirituellen Meister, seinem Schü-
ler, König Pariksit, erzāhlt und spāter im Sechsten Canto des Sans-
kritklassikers Srimad-Bhāgavatam aufgezeichnet. Ajāmilas Todeser-
fahrung war für König Pariksit selbst von existentiellem Interesse:
Auf dem Höhepunkt seiner Macht hatte er plötzlich erfahren, daß er
nur noch sieben Tage zu leben habe. König Pariksits Reaktion war
vorbildlich. Er entsagte, ohne zu zögern, seinem Königreich und sei-
x Im Angesicht des Todes

ner Familie und begab sich an das Ufer des Ganges, um sich auf
den Tod vorzubereiten. Dort versammelten sich alle großen Weisen
der damaligen Zeit - unter ihnen auch Sukadeva Gosvāmi, der aus-
erkoren wurde, auf die Fragen des Königs zu antworten. Pariksits
erste Frage lautete: „Was ist die Pflicht eines Menschen, dessen
Tod unmittelbar bevorsteht?" Aus dieser Frage entwickelte sich ein
siebentägiges Gespräch, in dessen Verlauf Sukadeva Gosvāmi auch
die Geschichte von Ajāmilas Todeserfahrung erzāhlte.
Das vorliegende Buch besteht aus der Übersetzung des Srimad-
Bhāgavatam-Textes, aus Stellen der Erläuterungen und aus Auszügen
von Vorlesungen, die Srila Prabhupāda im Winter 1970/71 in In-
dien gab. Die Ajāmila-Erzählung wird von zwei Vortragsreihen Srila
Prabhupādas eingebettet: Auf dem Weg zu Krsna führt den Leser
Schritt für Schritt in das spirituelle Gedankengut Indiens ein, wäh-
rend Die Vollkommenheit des Yoga die im Hauptteil aufgegriffenen
Themen, vor allem yoga und Meditation, vertieft und in den Kontext
unserer modernen Zeit stellt.
Die Ajāmila-Geschichte ist aufrüttelnd, aber auch hoffnungsspen-
dend. Die schicksalhafte philosophische Auseinandersetzung, die
über Ajāmilas Leben und Tod entschied, wird zweifellos das Inter-
esse all derer finden, die gewillt sind, sich mit den tiefsten Fragen
des menschlichen Daseins zu beschäftigen.

Die Herausgeber
AUF DEM WEG
ZU KRSNA
1. KAPITEL

Die Suche nach Glück


Wir alle suchen nach Glück, aber wir wissen nicht, was wirkliches
Glück ist. Obwohl so viel über Glück geredet wird, sehen wir nur
sehr wenige glückliche Menschen; denn nicht viele wissen, daß die
Ebene wirklichen Glücks jenseits vergänglicher Dinge liegt. Es ist
dieses wirkliche Glück, das Sri Krsna Arjuna in der Bhagavad-gitā
beschreibt.
Glück wird für gewöhnlich durch die Sinne erfahren. Ein Stein
zum Beispiel besitzt keine Sinne und erfährt weder Glück noch
Leid. Entwickeltes Bewußtsein kann Glück und Leid intensiver er-
fahren als unentwickeltes Bewußtsein. Bäume haben zwar Bewußt-
sein, aber es ist nicht entfaltet. Sie mögen für eine lange Zeit vielerlei
Witterungsbedingungen ausgesetzt sein, doch sie nehmen dies nicht
als Leid wahr. Ein Mensch könnte es nicht ertragen, auch nur drei
Tage wie ein Baum dazustehen. Mit anderen Worten, jedes Lebewe-
sen empfindet Glück und Leid gemäß dem Entwicklungsstand sei-
nes Bewußtseins.
Das Glück, das wir in der materiellen Welt erfahren, ist nicht
wirkliches Glück. Wenn man einen Baum fragen könnte: „Bist du
glücklich?", gäbe er wahrscheinlich zur Antwort: „Ja, es geht mir
gut. Ich stehe hier das ganze Jahr und genieße Wind und Schnee."
Für einen Baum mag das vielleicht angenehm sein, aber aus der
Sicht des Menschen stellt es ein sehr niedriges Niveau des Genusses
dar. Es gibt verschiedene Arten und Entwicklungsstufen von Lebe-
wesen, deren Glücksvorstellung und -empfinden sich entsprechend
voneinander unterscheiden. Selbst wenn ein Tier mitansieht, wie ein
anderes Tier gerade geschlachtet wird, kaut es einfach weiter sein
Gras, denn es versteht nicht, daß es vielleicht als nächstes an der

3
4 Auf dem Weg zu Krsna

Reihe ist. Es hālt sich für glücklich, doch im nächsten Moment kann
es bereits geschlachtet werden.
Somit gibt es verschiedene Stufen des Glücks. Was aber ist das
höchste Glück? Sri Krsna sagt zu Arjuna:
sukham ātyantikam yat tad
buddhi-grāhyam atindriyam
vetti yatra na caivāyam
sthitas calati tattvatah
„In diesem freudigen Zustand erfāhrt man grenzenloses transzen-
dentales Glück, das durch transzendentale Sinne empfunden wird.
So verankert, weicht man niemals von der Wahrheit ab." (Bg. 6.21)
Buddhi bedeutet Intelligenz; um wirkliches Glück zu genießen,
muß man intelligent sein. Tiere haben keine höhere Intelligenz und
können daher das Leben nicht so genießen wie die Menschen. Aber
ein toter Mensch kann nicht mehr genießen, obgleich die Hände, die
Nase, die Augen, die anderen Sinnesorgane und sämtliche Körper-
teile noch vorhanden sind. Warum nicht? Die genießende Energie,
der spirituelle Funke, hat den Körper verlassen, und daher besitzt
der Körper keine Kraft mehr. Mit ein wenig Intelligenz kann man
verstehen, daß nicht der Körper Glück empfand, sondern der kleine
spirituelle Funke, der in ihm weilte. Man mag denken, daß man mit
den körperlichen Sinnesorganen genießt, doch in Wirklichkeit ist es
der spirituelle Funke, der genießt. Dieser Funke ist potentiell immer
voller Freude, aber diese Freude tritt nicht immer offen zutage, da
der spirituelle Funke von der sterblichen Hülle bedeckt ist. Auch
wenn wir uns dessen nicht bewußt sind, ist der Körper nicht im-
stande, ohne die Gegenwart des spirituellen Funkens Freude zu er-
fahren. Bietet man einem Mann den Leichnam einer schönen Frau
an - wird er ihn wohl zur Frau nehmen? Nein, er wird es nicht
tun, denn der spirituelle Funke hat den Körper verlassen. Als die-
ser Funke im Körper weilte, erfuhr er in ihm Genuß und erhielt ihn
auch am Leben. Sobald er fortgeht, zerfāllt der Körper.
Daraus lāßt sich schließen: Wenn die Seele, der spirituelle Funke,
genießt, muß sie auch Sinne haben - wie könnte sie ansonsten Ge-
nuß erfahren? Nach Aussage der Veden ist die Seele, obgleich sie
nur atomare Ausmaße besitzt, die wirklich genießende Kraft. Es ist
Die Suche nach Glück 5

unmöglich, die Größe der Seele zu messen, aber das heißt nicht,
daß sie keine Ausmaße besitzt. Ein Gegenstand mag nicht größer als
ein Punkt sein und scheinbar weder Länge noch Breite haben, doch
unter dem Mikroskop sehen wir, daß er sehr wohl Lānge und Breite
hat. Ebenso besitzt die Seele ihre Ausmaße, wir können sie nur nicht
wahrnehmen. Wenn wir uns einen Anzug oder ein Kleid kaufen,
ist dieses Kleidungsstück so angefertigt, daß es zu unserer Körper-
form paßt. Auf ähnliche Weise entsteht auch der materielle Körper,
um die Seele aufzunehmen; da der materielle Körper Form besitzt,
muß auch der spirituelle Funke Form besitzen. Die Schlußfolgerung
lautet, daß der spirituelle Funke nicht unpersönlich ist; er ist die ei-
gentliche Person. Da Gott eine Person ist, ist der spirituelle Funke
als Gottes winziger Bestandteil auch eine Person. Wenn der Vater
Persönlichkeit und Individualität besitzt, besitzt der Sohn sie eben-
falls; und wenn der Sohn sie besitzt, lāßt sich schließen, daß auch
der Vater sie besitzt. Wie können wir also als Söhne Gottes für uns
Persönlichkeit und Individualität beanspruchen und sie gleichzeitig
unserem Vater, dem Höchsten Herrn, absprechen?
Atindriyam bedeutet, daß wir die materiellen Sinne transzendieren
müssen, bevor wir wirkliches Glück erfahren können. Ramante yogi-
no 'nante satyānanda-cid ātmani: Auch die yogis, die nach einem spiri-
tuellen Leben streben, erfahren Freude, indem sie sich auf die Über-
seele im Innern konzentrieren. Wenn es im spirituellen Leben keine
Freude und keinen Genuß gäbe, warum sollte man sich dann solche
Mühe machen, seine Sinne zu beherrschen? Was für ein Glück ko-
sten die yogis, wenn sie solche Unannehmlichkeiten auf sich neh-
men? Ihr Glück ist ananta - endlos. Wie ist das möglich? Da die
spirituelle Seele und der Höchste Herr ewig sind, ist auch ihr Lie-
besaustausch ewig. Wer wirklich intelligent ist, wird sich von den
flüchtigen Sinnenfreuden des materiellen Körpers zurückhalten und
seine Freude nur im spirituellen Leben suchen. Ein spirituelles Le-
ben in der Gemeinschaft des Höchsten Herrn nennt man rāsa-lilā.
Krsnas rāsa-lilā mit den Kuhhirtenmādchen in Vrndāvana ist keine
gewöhnliche Liebesbeziehung, wie sie zwischen materiellen Kör-
pern besteht, sondern ein Austausch von Gefühlen, der mit spiri-
tuellen Körpern stattfindet. Man muß eine gewisse Intelligenz auf-
bringen, um dies zu begreifen, denn ein Tor, der wirkliches Glück
6 Auf dem Weg zu Krsna

nicht kennt, sucht in der materiellen Welt nach Glück. In Indien


gibt es die Geschichte eines Mannes, der nicht wußte, was Zucker-
rohr ist. Man sagte ihm, es schmecke beim Kauen sehr süß. „Wie
sieht es denn aus?" fragte er. „Es sieht aus wie ein Bambusrohr",
antwortete ihm jemand. So begann der Dummkopf, alle möglichen
Bambusrohre zu kauen. Aber wie kann er auf diese Weise die Süße
des Zuckerrohrs erfahren? Auch wir wollen Glück und Freude fin-
den, aber wir suchen danach, indem wir den materiellen Körper
„kauen"; aus diesem Grund gibt es kein Glück und keine Freude.
Auch wenn hin und wieder ein unbedeutendes Gefühl der Freude
auftreten mag, ist das noch keine wirkliche Freude, da dieses Gefühl
vergänglich ist. Es gleicht einem Wetterleuchten, das am Himmel
erscheint, aber nur der Widerschein entfernter Blitze ist. Weil man
nicht wirklich weiß, was Glück ist, entfernt man sich vom eigentli-
chen Glück.
Der Vorgang des Krsna-Bewußtseins ist der Weg zu wirklichem
Glück. Durch Krsna-Bewußtsein entwickeln wir allmählich unsere
wirkliche Intelligenz und genießen auf natürliche Weise spirituelles
Glück, je mehr wir spirituellen Fortschritt machen. Im selben Maße,
wie wir spirituelles Glück genießen, geben wir materielles Glück
auf. Wenn wir unser Verständnis der Absoluten Wahrheit vertiefen,
lösen wir uns ganz natürlich vom falschen Glück. Und was ist die
Folge, wenn wir zur Stufe des Krsna-Bewußtseins erhoben werden?
yath labdhvā cāparam lābham
manyate nādhikam tatah
yasmin sthito na duhkhena
gurunāpi vicālyate
„Wenn man diese Stufe erreicht hat, ist man überzeugt, daß es kei-
nen größeren Gewinn gibt. In einer solchen Stellung gerät man
niemals ins Wanken, nicht einmal inmitten der größten Schwierig-
keiten." (Bg. 6.22)
Auf dieser Stufe erscheinen uns andere Errungenschaften bedeu-
tungslos. In der materiellen Welt bemühen wir uns, viele mate-
rielle Dinge zu erreichen - wie etwa Reichtümer, Frauen, Ruhm,
Schönheit und Wissen. Wenn wir aber im Krsna-Bewußtsein ver-
ankert sind, denken wir: „Es gibt nichts Besseres." Krsna-Bewußt-
Die Suche nach Glück 7

sein hat solche Macht, daß wir vor der größten Gefahr bewahrt
werden, wenn wir nur ein wenig davon gekostet haben. Wenn wir
den Geschmack des Krsna-Bewußtseins kosten, betrachten wir an-
dere sogenannte Genüsse und Errungenschaften als fade und abge-
schmackt. Und wenn wir im Krsna-Bewußtsein fest verankert sind,
kann uns nicht einmal die größte Gefahr beunruhigen. Das Leben
birgt viele Gefahren in sich, denn die materielle Welt ist ein gefährli-
cher Ort, aber wir neigen dazu, vor dieser Tatsache unsere Augen zu
verschließen. Töricht wie wir sind, versuchen wir, diesen Gefahren
mit materiellen Mitteln zu begegnen. In unserem Leben mag es zahl-
reiche gefährliche Augenblicke geben, doch wenn wir uns im Krsna-
Bewußtsein üben und uns darauf vorbereiten, nach Hause, zu Gott,
zurückzukehren, werden wir uns darüber keine Sorgen machen.
„Gefahren kommen und gehen - das macht mir nichts aus", wird
dann unsere Haltung sein. Es ist sehr schwierig, eine solche Einstel-
lung zu entwickeln, solange man sich auf der materialistischen Ebe-
ne befindet und sich mit dem physischen Körper identifiziert, der
aus vergänglichen Elementen besteht. Doch je mehr man im Krsna-
Bewußtsein fortschreitet, desto freier wird man von körperlicher
Identifikation und materieller Verstrickung.
Im Srimad-Bhāgavatam wird die materielle Welt mit einem großen
Ozean verglichen. Im materiellen Universum befinden sich Aber-
millionen von Planeten, die im Raum schweben. Wir können uns
kaum vorstellen, wie viele Atlantische und Pazifische Ozeane es
gibt. In der Tat wird das gesamte materielle Universum mit einem
großen Ozean des Elends verglichen, einem Ozean von Geburt und
Tod. Um diesen gewaltigen Ozean der Unwissenheit zu überque-
ren, ist ein seetüchtiges Boot vonnöten, und dieses sichere Boot sind
Krsnas Lotosfüße. Wir sollten sogleich an Bord gehen und nicht zö-
gern, weil wir glauben, Krsnas Füße seien zu klein. Das ganze Uni-
versum ruht auf Seinen Beinen! Für jemanden, der bei Seinen Fü-
ßen Zuflucht sucht, ist das materielle Universum nicht bedeutsamer
als die Wasserlache im Hufabdruck eines Kalbes. Solch eine kleine
Pfütze zu überqueren ist bestimmt nicht schwierig.

ta vidyad duhkha-sarhyoga
viyoga yoga-samjnitam
8 Auf dem Weg zu Krsna

„Dies ist in der Tat wirkliche Freiheit von allen Leiden, die aus der
Berührung mit der Materie entstehen." (Bg. 6.23)
Wir sind unserer ungezügelten Sinne wegen in die materielle Welt
verstrickt. Das Ziel des yoga-Vorgangs ist es, die Sinne zu beherr-
schen. Wenn uns dies irgendwie gelingt, können wir echtem, spiri-
tuellem Glück entgegensehen und unser Leben zum Erfolg führen.

sa niscayena yoktavyo
yogo 'nirvinna-cetasā
sankalpa-prabhavān kāmāms
tyaktvā sarvān asesatah
manasaivendriya-grāmam
viniyamya samantatah
sanaih sanair uparamed
buddhyā dhrti-grhitayā
ātma-samstham manah krtvā
na kincid api cintayet
yato yato niscalati
manas cancalam asthiram
tatas tato niyamyaitad
ātmany eva vasam nayet

„Man sollte yoga mit Entschlossenheit und Glauben praktizieren


und nicht vom Pfad abweichen. Man sollte alle materiellen Wün-
sche, die aus gedanklicher Spekulation entstehen, ohne Ausnahme
aufgeben und so alle Sinne von allen Seiten durch den Geist beherr-
schen. Allmählich, Schritt für Schritt, sollte man mit Hilfe der Intel-
ligenz, gestützt von voller Überzeugung, in Trance versinken. So
sollte der Geist allein auf das Selbst gerichtet werden und an nichts
anderes denken. Wohin auch immer der Geist aufgrund seiner lau-
nischen und unsteten Natur wandert, man muß ihn auf jeden Fall
zurückziehen und wieder unter die Herrschaft des Selbst bringen."
(Bg. 6.24-26)
Der Geist ist immer ruhelos. Er wandert bald dahin, bald dorthin.
Durch die Praxis des yoga wird es uns möglich, den Geist buchstāb-
lich zum Krsna-Bewußtsein hinzuziehen. Unser Geist schweift vom
Krsna-Bewußtsein zu unzähligen weltlichen Dingen ab, wie er es
Die Suche nach Glück 9

seit unvordenklichen Zeiten, Leben für Leben, gewöhnt ist. Aus die-
sem Grund mag es am Anfang sehr schwierig sein, seinen Geist auf
das Krsna-Bewußtsein zu konzentrieren, aber diese Schwierigkeiten
können alle überwunden werden.
Weil der Geist aufgewühlt und nicht auf Krsna gerichtet ist, wan-
dert er von einem Gedanken zum anderen. Wenn wir einer Beschäf-
tigung nachgehen, können ohne ersichtlichen Grund in unserem
Geist unvermittelt Erinnerungen an Geschehnisse auftauchen, die
sich vor zehn, zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren zugetragen ha-
ben. Diese Gedanken kommen aus unserem Unterbewußtsein; und
da sie ständig auftreten, ist unser Geist immer in Erregung. Wenn
man einen See oder Teich aufwühlt, kommt aller Schlamm vom
Grund zur Oberflāche. Wenn auf ähnliche Weise der Geist aufge-
wühlt ist, steigen aus dem Unterbewußtsein viele Gedanken empor,
die dort die Jahre über gespeichert wurden. Sobald wir den Teich
jedoch in Ruhe lassen, wird sich der Schlamm am Grund absetzen.
Der yoga-Vorgang ist das Mittel, den Geist zu beruhigen und alle Ge-
danken zur Ruhe kommen zu lassen. Aus diesem Grund muß man
zahlreiche Regeln und Vorschriften befolgen, um den Geist nicht in
Erregung geraten zu lassen. Wenn wir den Regeln und Vorschriften
folgen, werden wir den Geist allmählich unter Kontrolle bekommen.
Es gibt viele Gebote und Verbote, die man beherzigen muß, wenn
man ernsthaft bemüht ist, seinen Geist zu schulen. Denn wie soll
der Geist beherrscht werden, wenn man launenhaft handelt? Ist der
Geist so weit geschult, daß er nur noch an Krsna denkt, wird er Frie-
den finden und sehr ausgeglichen werden.
prasānta-manasam hy enam
yoginam sukham uttamam
upaiti sānta-rajasam
brahma-bhūtam akalmasam
„Der yogi, dessen Geist auf Mich gerichtet ist, erreicht wahrlich die
höchste Vollkommenheit transzendentalen Glücks. Er befindet sich
jenseits der Erscheinungsweise der Leidenschaft und erkennt seine
qualitative Gleichheit mit dem Höchsten. So ist er von allen Reaktio-
nen auf vergangene Taten befreit." (Bg. 6.27)
Der Geist denkt sich ständig Wege aus, glücklich zu werden. Wir
10 Auf dem Weg zu Krsna

denken immer: „Hier werde ich Glück finden, dort werde ich Glück
finden." Auf diese Weise trāgt uns der Geist überallhin, was einer
Kutschenfahrt mit ungezügelten Pferden gleicht. Wir besitzen keine
Gewalt darüber, wohin wir uns bewegen, sondern können nur mit
Schrecken dasitzen und hilflos zuschauen. Die wilden Pferde des
Geistes werden nur dann allmählich gebändigt, wenn der Geist im
Vorgang des Krsna-Bewußtseins beschäftigt wird - vor allem im
Chanten von Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare /
Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Wir müssen uns in
jedem Augenblick unseres Lebens Krsnas Dienst widmen, um den
ruhelosen und aufgewühlten Geist davon abzuhalten, uns von einer
Sache zur anderen zu schleifen, auf der vergeblichen Suche nach
Glück in der vergänglichen materiellen Welt.

yunjann evam sadātmānam


yogi vigata-kalmasah
sukhena brahma-samsparsam
atyantam sukham asnute
„Auf diese Weise wird der selbstbeherrschte yogi, der ununterbro-
chen in den Vorgang des yoga vertieft ist, von aller materiellen
Verunreinigung frei und erreicht die höchste Stufe vollkommenen
Glücks im transzendentalen, liebevollen Dienst des Herrn." (Bg.
6.28)
Krsna ist der Beschützer all derer, die Ihm hingegeben sind. Wenn
man sich in Schwierigkeiten befindet, wird man von seinem Be-
schützer gerettet. Wie es in der Bhagavad-gitā heißt, ist Krsna der
wahre Freund aller Lebewesen; und es ist an uns, unsere Freund-
schaft mit Ihm wiederzuerwecken. Der Vorgang des Krsna-Bewußt-
seins ermöglicht es uns, diese Freundschaft wiederzuerwecken und
das leidenschaftliche Begehren nach weltlichen Dingen aufzugeben.
Dieses leidenschaftliche Begehren ist es, was uns getrennt hält von
Krsna. Sri Krsna weilt in uns und wartet darauf, daß wir uns Ihm
zuwenden; wir aber sind zu sehr damit beschāftigt, begierig die
Früchte vom Baum der materiellen Wünsche zu essen. Wir müssen
den leidenschaftlichen Trieb, diese Früchte zu genießen, überwinden
und uns verankern in unserer wirklichen Identität als Brahman -
als reine spirituelle Seele.
2. KAPITEL

Wie man den Spiegel


des Geistes reinigt
Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare
Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Diese transzendentale Klangschwin-
gung wird uns helfen, den Spiegel unseres Geistes von Staub zu be-
freien. Gegenwärtig ist der Spiegel unseres Geistes von materiellem
Staub völlig bedeckt - wie die Second Avenue [in New York], die
aufgrund des dichten Verkehrs überall von einer Staub- und Ruß-
schicht bedeckt wird. Weil wir materielle Tätigkeiten ausgeführt ha-
ben, hat sich eine große Menge Staub auf dem ursprünglich sau-
beren Spiegel unseres Geistes angesammelt, und wir sind deshalb
außerstande, die Welt in in der richtigen Perspektive zu sehen. Diese
transzendentale Klangschwingung wird den Staub wegfegen und es
uns ermöglichen, unsere wirkliche, wesensgemäße Stellung klar zu
erkennen. Sobald wir verstehen: „Ich bin nicht der Körper; ich bin
spirituelle Seele, und mein Wesensmerkmal ist Bewußtsein", werden
wir wahres Glück erfahren. Wenn unser Bewußtsein durch den Vor-
gang des Chantens von Hare Krsna gereinigt wird, verschwinden
all unsere materiellen Leiden. In der materiellen Welt lodert stets
ein Feuer, das jeder zu löschen sucht; aber wir können dieses Feuer
der Leiden der materiellen Natur nur löschen, wenn wir in unserem
reinen Bewußtsein, in unserem spirituellen Leben, gefestigt sind.
Einer der Gründe für Sri Krsnas Erscheinen in der materiellen
Welt ist Sein Wunsch, alle Lebewesen aus dem Feuer des materiellen
Daseins zu retten, indem Er festlegt, was dharma ist:

yadā yadā hi dharmasya


glānir bhavati bhārata

11
12 Auf dem Weg zu Krsna

abhyutthanam adharmasya
tadātmānam srjāmy aham
paritrānāya sādhūnām
vināsāya ca duskrtām
dharma-sarhsthāpanārthāya
sambhavāmi yuge yuge

„Wann und wo auch immer das religiöse Leben verfāllt, o Nach-


komme Bharatas, und Irreligiosität überhandnimmt, zu der Zeit er-
scheine Ich. Um die Frommen zu erretten und die Gottlosen zu
vernichten und um die Prinzipien der Religion wiedereinzuführen,
erscheine Ich Zeitalter um Zeitalter." (Bg. 4.7-8)
In diesem Vers wird das Wort dharma verwendet. Dieses Wort
wird unterschiedlich übersetzt. Manchmal wird es mit „Glaube"
übersetzt, doch den vedischen Schriften zufolge ist dharma nicht ein
Glaube. Ein Glaube kann sich ändern, aber dharma ist unveränder-
lich. Man kann nichts daran ändern, daß Wasser flüssig ist. Wenn es
nicht mehr flüssig ist - wenn es zum Beispiel fest wird -, befindet es
sich nicht mehr in seinem wesensgemäßen Zustand. Es nimmt auf-
grund äußerer Einflüsse einen anderen Aggregatszustand an. Unser
dharma, unsere wesensgemäße Stellung, ist es, daß wir Bestandteile
des Höchsten sind; aus diesem Grund müssen wir unser Bewußt-
sein mit dem Höchsten verbinden und es Ihm unterordnen.
Durch die Berührung mit der materiellen Welt wird der transzen-
dentale Dienst für das Höchste Ganze fehlgeleitet. Dienst gehört zu
unserem Wesen: Jeder ist Diener, niemand ist Herr. Ein jeder dient
jemand anderem. Obwohl der Präsident die oberste Staatsgewalt
innehat, dient er dennoch dem Staat, und sind seine Dienste nicht
mehr erforderlich, setzt der Staat ihn ab. Von sich zu denken: „Hier
bin ich Herr, hier bestimme ich", wird māyā, Illusion, genannt. Unter
dem Einfluß dieses materiellen Bewußtseins wird unser Dienst fehl-
geleitet und nimmt verschiedenste Formen an. Wenn wir von diesen
weltlichen Vorstellungen frei geworden sind, das heißt, wenn der
Spiegel des Geistes vom Staub gereinigt ist, können wir uns selbst in
unserer eigentlichen Position als ewige Diener Krsnas erkennen.
Man sollte nicht glauben, daß Dienst in der materiellen Welt das
Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 13

gleiche sei wie Dienst in der spirituellen Welt. „Was, nach der Be-
freiung werde ich immer noch ein Diener sein?" mögen wir mit
Schaudern denken, denn wir haben erfahren, daß es nicht sehr an-
genehm ist, in der materiellen Welt ein Diener zu sein. Aber tran-
szendentaler Dienst ist anders. In der spirituellen Welt besteht kein
Unterschied zwischen dem Diener und dem Meister. Wāhrend hier
in der materiellen Welt freilich Unterschiede existieren, ist in der
absoluten Welt alles eins. In der Bhagavad-gitā zum Beispiel nimmt
Krsna als der Wagenlenker Arjunas die Position eines Dieners ein.
In seiner wesensgemäßen Stellung ist Arjuna Krsnas Diener, aber an
Krsnas Verhalten sehen wir, daß der Herr zuweilen der Diener des
Dieners wird. Folglich sollten wir uns davor hüten, materialistische
Vorstellungen auf das spirituelle Reich zu übertragen. Was auch im-
mer wir im materiellen Leben erfahren, ist nur eine verzerrte Wider-
spiegelung von Dingen des spirituellen Lebens.
Wenn unsere wesensgemäße Stellung, unser dharma, durch mate-
rielle Verunreinigung bedeckt wird, erscheint der Herr persönlich
als eine Inkarnation oder entsendet einige Seiner vertrauten Diener.
Jesus Christus nannte sich Sohn Gottes und ist somit ein Stell-
vertreter des Höchsten. Auch Mohammed gab sich als Diener des
Höchsten Herrn zu erkennen. Wann immer wir von unserer wesens-
gemäßen Stellung abweichen, erscheint der Höchste Herr entweder
selbst oder sendet Seinen Bevollmächtigten, um uns auf diese Weise
über die wirkliche Stellung des Lebewesens zu belehren.
Man sollte als nicht fälschlich denken, dharma sei ein geschaffener
Glaube. In seinem eigentlichen Sinne kann dharma überhaupt nicht
vom Lebewesen getrennt werden. Dharma gehört zum Lebewesen
wie Süße zum Zucker, Salzigkeit zum Salz und Festigkeit zum Stein.
Der mit dem Lebewesen untrennbar verbundene dharma ist es, zu
dienen, und wie wir leicht sehen können, besitzt jedes Lebewesen
die Neigung, sich selbst oder anderen zu dienen. Wie man Krsna
dient und sich aus dem materialistischen Dienst befreit, wie man
Krsna-Bewußtsein erlangt und frei werden kann von weltlichen Be-
zeichnungen: das alles wird von Sri Krsna auf wissenschaftliche
Weise in der Bhagavad-gitā gelehrt.
Das Wort sādhu, das im obigen Vers zitiert wurde (paritrānāya sā-
14 Auf dem Weg zu Krsna

dhünām), bezieht sich auf einen Heiligen oder gottgefälligen Men-


schen. Ein sādhu ist sehr duldsam und gütig zu jedem; er ist allen
Lebewesen ein Freund und niemandem ein Feind, und er ist immer
friedvoll. Es gibt sechsundzwanzig grundlegende Eigenschaften, die
ein Heiliger haben sollte; dennoch lautet diesbezüglich Sri Krsnas
Urteil in der Bhagavad-gitā wie folgt:
api cet su-durācāro
bhajate mām ananya-bhāk
sādhur eva sa mantavyah
samyag vyavasito hi sah
„Wer sich im hingebungsvollen Dienst betätigt, muß als Heiliger an-
gesehen werden, selbst wenn er die abscheulichsten Handlungen
begeht; denn er strebt mit Entschlossenheit das richtige Ziel an."
(Bg. 9.30)
Was auf der weltlichen Ebene für den einen Moral ist, ist für
den anderen Unmoral, und was Unmoral für den einen ist, ist Mo-
ral für den anderen. Nach Ansicht der Hindus ist Weintrinken un-
moralisch, wāhrend es in der westlichen Welt nicht als unmoralisch,
sondern als etwas ganz Normales gilt. Moralische Wertvorstellun-
gen sind also abhängig von Zeit, Ort, Umstānden, sozialer Stellung
und so weiter. Doch in jeder Gesellschaft lāßt sich irgendeine Vor-
stellung von Moral und Unmoral finden. Selbst wenn man unmo-
ralische Handlungen begeht, muß man, wie Krsna in diesem Vers
erklärt, als sādhu oder Heiliger angesehen werden, solange man
fest im Krsna-Bewußtsein verankert ist. Mit anderen Worten, ob-
wohl man seines früheren Umgangs wegen einige unmoralische An-
gewohnheiten haben mag, sind diese nicht als wichtig anzusehen,
wenn man sich völlig im Krsna-Bewußtsein beschäftigt. Auf jeden
Fall wird jemand, der Krsna-Bewußtsein entwickelt, allmählich ge-
läutert und zum sādhu werden. Sowie man in der Ausübung des
Krsna-Bewußtseins Fortschritte macht, lassen die schlechten Ge-
wohnheiten nach, und man erlangt heilige Vollkommenheit.
In diesem Zusammenhang gibt es die Geschichte eines Diebes,
der eine Pilgerreise zu einer heiligen Stadt antrat. Unterwegs mach-
ten er und die anderen Pilger halt, um in einer Herberge zu nächti-
gen. Da er ein Kleptomane war, begann er Plāne zu schmieden, wie
Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 15

er das Gepäck der anderen Pilger entwenden könne. Aber er dach-


te: „Ich bin auf einer Pilgerreise, und es geziemt sich nicht, dieses
Gepäck zu stehlen. Ich werde es also nicht tun." Trotzdem konnte
er aus Gewohnheit seine Finger nicht von dem Gepäck lassen. Er
nahm eine Tasche nach der anderen und stellte sie woanders hin.
Die ganze Nacht verbrachte er damit, die Taschen auszutauschen,
doch sein schlechtes Gewissen plagte ihn, so daß er nichts aus ihnen
herausnahm. Am Morgen, als die anderen Pilger aufwachten, hiel-
ten sie Ausschau nach ihren Taschen und konnten sie nicht fin-
den. Es entbrannte ein lauter Streit, bis sie schließlich, einer nach
dem anderen, ihre Taschen an verschiedenen Orten wiederfanden.
Nachdem alle Taschen wieder aufgetaucht waren, erklärte der Dieb:
„Meine Herren, ich bin ein Dieb und stehle gewöhnlich bei Nacht.
Ich wollte etwas aus euren Taschen entwenden, aber ich dachte mir,
daß ich nichts nehmen dürfe, da ich auf Pilgerreise bin. Deswegen
vertauschte ich die Taschen. Bitte verzeiht mir!" Das ist das Kenn-
zeichen einer schlechten Angewohnheit. Obgleich er keinen Dieb-
stahl mehr begehen wollte, erlag er seiner Gewohnheit manchmal
dennoch. Wer sich aber entschlossen hat, seine unmoralischen Ge-
wohnheiten aufzugeben und im Krsna-Bewußtsein Fortschritt zu
machen, ist nach Krsnas Worten als ein sādhu zu betrachten, selbst
wenn er aufgrund seiner früheren Angewohnheit oder umstände-
halber rückfällig wird. Im nächsten Vers sagt Sri Krsna:
ksipram bhavati dharmātmā
sasvac-chāntim nigacchati
kaunteya pratijānihi
na me bhaktah pranasyati

„Sehr bald wird er rechtschaffen und erlangt beständigen Frieden.


O Sohn Kuntis, verkünde kühn, daß Mein Geweihter niemals ver-
geht!" (Bg. 9.31)
Wer sich dem Krsna-Bewußtsein weiht, wird, wie Sri Krsna hier
verspricht, schon bald das Wesen eines Heiligen entwickeln. Wenn
man den Stecker eines Ventilators aus der Steckdose zieht, dreht
sich der Propeller immer noch weiter, obwohl die Stromverbindung
unterbrochen ist. Aller Erwartung nach wird er aber bald zum Still-
stand kommen. Wenn wir einmal bei Krsnas Lotosfüßen Zuflucht
16 Auf dem Weg zu Krsna

suchen, schalten wir unsere karmischen Handlungen ab; obwohl


sich diese Handlungen zwar noch fortsetzen mögen, werden sie
rasch nachlassen. Tatsache ist, daß jeder, der sich dem Krsna-Be-
wußtsein zuwendet, sich nicht unabhängig darum bemühen muß,
ein guter Mensch zu werden. Alle guten Eigenschaften werden sich
von selbst entwickeln. Im Srimad-Bhāgavatam heißt es, daß jemand,
der Krsna-Bewußtsein erlangt, gleichzeitig alle guten Eigenschaften
erlangt. Hat andererseits jemand viele gute Eigenschaften, aber kein
Gottesbewußtsein, sind seine Vorzüge als nutzlos anzusehen, denn
nichts wird ihn daran hindern, etwas Unerwünschtes zu tun. Wer
ohne Krsna-Bewußtsein ist, wird mit Sicherheit in der materiellen
Welt Unheil anrichten.
janma karma ca me divyam
evam yo vetti tattvatah
tyaktvā deham punar janma
naiti mām eti so 'rjuna
„Wer die transzendentale Natur Meines Erscheinens und Meiner Ta-
ten kennt, wird nach dem Verlassen des Körpers nicht wieder in der
materiellen Welt geboren, sondern gelangt in Mein ewiges Reich, o
Arjuna." (Bg. 4.9)
Hier wird die Mission, derentwegen Krsna erscheint, nāher er-
klärt. Mit Seiner Mission sind immer auch Taten verbunden. Einige
Philosophen natürlich glauben nicht, daß Gott als eine Inkarnation
erscheint. „Warum sollte Sich Gott in diese verkommene Welt bege-
ben?" sagen sie. Doch die Bhagavad-gitā belehrt uns eines Besseren.
Wir sollten uns stets bewußt sein, daß die Bhagavad-gitā eine heilige
Schrift ist. Was immer in der Bhagavad-gitā gesprochen wird, müssen
wir akzeptieren. Warum sollten wir sie sonst überhaupt lesen? In der
Gitā erklärt Krsna, daß Er als Inkarnation erscheint und eine Mission
hat; im Verlaufe dieser Mission vollbringt Er wunderbare Taten. Auf
dem Schlachtfeld von Kuruksetra zum Beispiel lenkt Krsna Arjunas
Wagen und vollbringt dabei viele Taten. So wie im Kriegsfall eine
Person oder Nation für eine andere Person oder Nation Partei er-
greift, ergreift Sri Krsna auf dem Schlachtfeld von Kuruksetra Partei
für Arjuna und steht auf seiner Seite. Eigentlich ist Krsna nieman-
dem gegenüber parteiisch, aber äußerlich scheint es so, als sei Er
Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 17

voreingenommen. Diese Voreingenommenheit darf jedoch nicht im


herkömmlichen, weltlichen Sinn aufgefaßt werden.
In diesem Vers weist Krsna des weiteren darauf hin, daß Sein Her-
niedersteigen in die materielle Welt von transzendentaler Natur ist.
Das Wort divyam bedeutet „transzendental". Seine Taten sind in je-
der Hinsicht außergewöhnlich. Noch heute kann man in Indien se-
hen, daß Ende August Menschen aller Glaubensrichtungen Krsnas
Geburtstag feiern, so wie in der westlichen Welt zu Weihnachten
der Geburtstag von Jesus Christus gefeiert wird. Krsnas Geburts-
tag wird Janmāstami genannt. Auch im zitierten Vers verwendet Sri
Krsna das Wort janma und meint damit „Meine Geburt". Wer ge-
boren wird, vollbringt auch Taten. Krsnas Geburt und Krsnas Ta-
ten sind allerdings transzendental, das heißt, sie sind nicht wie ge-
wöhnliche Geburten und Taten. Man mag fragen, wie es kommt,
daß Seine Taten transzendental sind. Er wird geboren, hat einen
Vater namens Vasudeva, eine Mutter namens Devaki und eine Fa-
milie und nimmt mit Arjuna an einer Schlacht teil - was soll daran
transzendental sein? Krsna sagt: evam yo vetti tattvatah. Wir müs-
sen Seine Geburt und Seine Taten in Wahrheit kennen. Wenn man
Krsnas Geburt und Seine Taten in Wahrheit kennt, wird man nach
dem Verlassen des materiellen Körpers nicht wiedergeboren, son-
dern gelangt direkt zu Krsna: tyaktvā deham punar janma naiti mām
eti so 'rjuna. Dies bedeutet, daß man eine befreite Seele wird. Man
geht zur spirituellen Welt und erreicht seine wesensgemäße Stellung
voller Glückseligkeit, Wissen und Ewigkeit. Das alles erlangt man,
wenn man das transzendentale Wesen der Geburt und der Taten
Krsnas wahrhaft versteht.
Nachdem man den Körper verlassen hat, muß man normaler-
weise einen anderen Körper annehmen. Die Lebewesen wandern
durch verschiedene Leben, indem sie entsprechend ihrer Hand-
lungsweise ihr äußeres Gewand von Körper zu Körper wechseln -
das nennt man Seelenwanderung. Gegenwärtig halten wir den ma-
teriellen Körper für unseren wirklichen Körper, aber er ist lediglich
ein Gewand. Unser eigentlicher Körper ist der spirituelle Körper.
Der materielle Körper ist äußerlich und nebensāchlich, verglichen
mit dem echten, spirituellen Körper. Wenn der materielle Körper
alt und gebrechlich ist oder durch einen Unfall unbrauchbar wird,
18 Auf dem Weg zu Krsna

legen wir ihn ab - wie einen schmutzigen oder zerschlissenen An-


zug - und nehmen einen anderen materiellen Körper an.

vāsārhsi jirnāni yathā vihāya


navāni grhnāti naro 'parāni
tathā sarirāni vihāya jirnāny
anyāni samyāti navāni dehi

„Wie ein Mensch alte Kleider ablegt und neue anzieht, so gibt die
Seele alt und unbrauchbar gewordene Körper auf und nimmt neue
materielle Körper an." (Bg. 2.22)
Anfänglich hat der Körper die Größe einer Erbse. Hierauf wāchst
er zur Größe eines Säuglings, eines Kindes, eines Jugendlichen, eines
Erwachsenen und eines Greises heran; ist der Körper schließlich zu
nichts mehr zu gebrauchen, wechselt das Lebewesen in einen ande-
ren Körper über. Der Körper ist daher ständig im Wandel begriffen,
und der Tod ist nur der letzte Wandel des gegenwärtigen Körpers.

dehino 'smin yathā dehe


kaumāram yauvanam jarā
tathā dehāntara-prāptir
dhiras tatra na muhyati

„So wie die verkörperte Seele im gegenwärtigen Leben verschiedene


Körperformen durchlāuft - von der Kindheit zur Jugend und dann
zum Alter -, geht die Seele nach dem Tode in einen anderen Körper
ein. Ein besonnener Mensch wird durch einen solchen Wechsel nicht
verwirrt." (Bg. 2.13)
Der Körper verändert sich, doch sein Bewohner bleibt derselbe.
Obwohl das Kind zum Erwachsenen heranwāchst, bleibt das Lebe-
wesen im Körper unverändert. Das Selbst, das als Kind gegenwär-
tig war, ist jetzt nicht etwa fortgegangen. Medizinische Erkenntnisse
bestätigen, daß sich der physische Körper jeden Moment wandelt.
So wie die Lebewesen von diesem konstanten Wandel nicht ver-
wirrt werden, gerāt ein erleuchteter Mensch nicht in Verwirrung,
wenn der Körper im Augenblick des Todes seinen letzten Wandel
erfāhrt. Wer jedoch die Dinge nicht im richtigen Licht sieht, klagt.
Im materiellen Dasein wechseln wir andauernd unseren Körper; das
Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 19

ist unsere Krankheit. Es ist aber nicht so, daß wir immer zu einem
menschlichen Körper überwechseln. Entsprechend unserer Hand-
lungsweise können wir in einen Tierkörper oder in den Körper ei-
nes Halbgotts eingehen. Dem Padma Purāna zufolge gibt es 8 400 000
Lebensformen, und nach dem Tode ist es möglich, in jeder von ih-
nen geboren zu werden. Krsna verspricht jedoch, daß derjenige, der
Seine Geburt und Seine Taten wahrhaft versteht, aus dem Kreislauf
der Seelenwanderung befreit wird.
Wie kann man Krsnas Geburt und Seine Taten in Wahrheit ver-
stehen? Die Antwort darauf finden wir im Achtzehnten Kapitel der
Bhagavad-gitā:

bhaktyā mām abhijānāti


yāvān yas cāsmi tattvatah
tato mām tattvato jnātvā
visate tad-anantaram

„Nur durch hingebungsvollen Dienst kann man Mich so, wie Ich
bin, als die Höchste Persönlichkeit Gottes, erkennen. Und wenn man
sich durch solche Hingabe vollkommen über Mich bewußt ist, kann
man in das Königreich Gottes eingehen." (Bg. 18.55)
Hier wird wieder das Wort tattvatah, „in Wahrheit", verwendet.
Man kann die Wissenschaft von Krsna in Wahrheit verstehen, wenn
man Sein Geweihter wird. Wer kein Gottgeweihter ist und nicht
nach Krsna-Bewußtsein strebt, ist außerstande, zu diesem Verstānd-
nis zu gelangen. Zu Beginn des Vierten Kapitels sagt Krsna zu
Arjuna (Bg. 4.3), daß Er ihn in die uralte Wissenschaft des yoga ein-
weiht, weil Arjuna „Mein Geweihter und Mein Freund" ist. Für je-
manden, der die Bhagavad-gitā nur auf akademische Weise studiert,
bleibt die Wissenschaft von Krsna ein Geheimnis. Die Bhagavad-gitā
ist nicht ein Buch, das man einfach im Buchladen kauft, um es dann
durch bloße Gelehrsamkeit zu verstehen. Arjuna war kein großer
Gelehrter und auch kein Vedāntist, Philosoph, brāhmana oder Asket;
er war vielmehr Familienvater und ksatriya (Krieger). Aber dennoch
hat Krsna ihn auserkoren, die Bhagavad-gitā zu vernehmen und die
erste Autorität in der Schülernachfolge zu sein. Warum? „Weil du
Mein Geweihter bist." Um die Bhagavad-gitā und Krsna richtig zu
20 Auf dem Weg zu Krsna

verstehen, muß man Krsna-bewußt werden - das ist die Qualifi-


kation.
Und was ist Krsna-Bewußtsein? Krsna-Bewußtsein bedeutet, den
Spiegel des Geistes von allem Staub zu reinigen, und zwar durch
das Chanten von Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare /
Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Wenn wir die-
sen mantra chanten und aus der Bhagavad-gitā hören, erlangen wir
allmählich Krsna-Bewußtsein. Isvarah sarva-bhütānām: Krsna ist im-
mer in unserem Herzen gegenwärtig. Die individuelle Seele und
die Überseele sitzen gemeinsam auf dem Baum des Körpers. Die
individuelle Seele (jiva) ißt von den Früchten des Baumes, wäh-
rend die Überseele (paramātmā) als Zeuge zuschaut. Wenn die in-
dividuelle Seele den Vorgang des hingebungsvollen Dienstes be-
ginnt und allmählich ihr Krsna-Bewußtsein entwickelt, hilft ihr die
Überseele, die im Innern weilt, all die Unreinheiten vom Spiegel
des Geistes zu entfernen. Krsna ist allen heiligen Menschen ein
Freund, und der Versuch, Krsna-bewußt zu werden, ist eine heilige
Bemühung. Durch Hören und Chanten - sravanam kirtanam - kann
man die Wissenschaft von Krsna und dadurch auch Krsna verste-
hen. Wer auf diese Weise Krsna erkennt, gelangt im Moment des To-
des augenblicklich in Sein Reich, die spirituelle Welt. Die spirituelle
Welt wird in der Bhagavad-gitā wie folgt beschrieben:

na tad bhāsayate sūryo


na sasānko na pāvakah
yad gatvā na nivartante
tad dhāma paramam mama

„Dieses Mein höchstes Reich wird weder von der Sonne noch vom
Mond, noch von Feuer oder Elektrizität erleuchtet. Diejenigen, die
es erreichen, kehren nie wieder in die materielle Welt zurück." (Bg.
15.6)
Die materielle Welt ist immer dunkel; daher benötigen wir Sonne,
Mond und Elektrizität. Die Veden mahnen uns eindringlich, nicht
in dieser Dunkelheit zu bleiben, sondern uns zur Welt des Lichts zu
begeben, zur spirituellen Welt. Der Begriff „Dunkelheit" hat zweier-
lei Bedeutung: er bedeutet „ohne Licht", aber auch „Unwissenheit".
Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 21

Der Höchste Herr besitzt mannigfache Energien. Er braucht nicht


in die materielle Welt zu kommen, um irgendwelche Tätigkeiten
auszuführen. In den Veden heißt es, daß der Höchste Herr nicht ver-
pflichtet ist, etwas zu tun. Sri Krsna sagt in der Bhagavad-gitā in die-
sem Zusammenhang:

na me pārthāsti kartavyam
trisu lokesu kincana
nānavāptam avāptavyam
varta eva ca karmani

„O Sohn Prthās, in allen drei Planetensystemen gibt es keine Ar-


beit, die Mir vorgeschrieben ist. Weder mangelt es Mir an etwas,
noch muß Ich irgend etwas erreichen - und dennoch beschäftige Ich
Mich mit der Erfüllung der vorgeschriebenen Pflichten." (Bg. 3.22)
Wir sollten also nicht glauben, daß Krsna es nötig habe, in die
materielle Welt herabzusteigen und Beschäftigungen nachzugehen.
Niemand kommt Krsna gleich oder ist größer als Er; von Natur aus
besitzt Er alles Wissen. Er muß Sich nicht Entsagung auferlegen, um
Sich Wissen anzueignen. Er muß niemals Wissen empfangen oder
erlangen, denn Er ist zu jeder Zeit und unter allen Umstānden voller
Wissen. Er spricht die Bhagavad-gitā zu Arjuna, aber Er selbst wurde
nie in der Bhagavad-gitā unterwiesen. Wer erkennt, daß dies Krsnas
Stellung ist, muß nicht mehr in die materielle Welt, in den Kreislauf
von Geburt und Tod, zurückkehren. Wenn wir unter dem Einfluß
der Illusion stehen, verbringen wir unser Leben mit dem Versuch,
uns an die materielle Welt anzupassen, doch das ist nicht der Sinn
des menschlichen Lebens. Menschliches Leben ist dazu bestimmt,
die Wissenschaft von Krsna zu verstehen.
Unsere materiellen Bedürfnisse sind: das Problem des Essens, des
Schlafens, der Fortpflanzung, der Verteidigung und der Befriedi-
gung unserer Sinne. Diese Bedürfnisse haben Mensch und Tier ge-
mein. Die Tiere sind eifrig bemüht, diese Probleme lösen. Wenn nun
auch wir uns nur mit der Lösung dieser Probleme abgeben, muß
man sich zu Recht fragen: Worin unterscheiden wir uns von den
Tieren? Der Mensch hat eine besondere Qualifikation, die es ihm er-
laubt, transzendentales Krsna-Bewußtsein zu entwickeln. Wenn er
22 Auf dem Weg zu Krsna

aber davon keinen Gebrauch macht, fāllt er in die Kategorie von


Tieren. Der Fehler der modernen Zivilisation besteht darin, daß sie
zu großen Nachdruck auf die Lösung dieser Überlebensprobleme
legt. Als spirituelle Lebewesen wäre es unsere Pflicht, uns von der
Verwicklung in Geburt und Tod zu befreien. Deshalb sollten wir uns
davor hüten, die einzigartige Gelegenheit des menschlichen Lebens
verstreichen zu lassen. Sri Krsna kommt persönlich, um die Bhaga-
vad-gitā zu sprechen und uns zu helfen, gottesbewußt zu werden. Er
stellt uns die gesamte materielle Schöpfung zur Verfügung, damit
wir Gottesbewußtsein kultivieren. Wenn wir aber die Chance, die
uns das Geschenk des menschlichen Lebens bietet, nicht nutzen, um
Krsna-Bewußtsein zu entwickeln, werden wir diese seltene Gelegen-
heit verpassen. Die Kultivierung von Krsna-Bewußtsein ist sehr ein-
fach: sravanarh kirtanam - Hören und Chanten. Wir müssen nur auf-
merksam hören, und Erleuchtung ist uns gewiß. Krsna wird uns
zweifellos helfen, denn Er befindet sich in uns. Wir müssen uns nur
bemühen und uns ein wenig Zeit nehmen. Niemand braucht uns
zu fragen, ob wir Fortschritte machen. Wir werden es automatisch
wissen, genauso wie ein Hungriger weiß, daß er durch eine volle
Mahlzeit gesättigt wurde.
Der Vorgang des Krsna-Bewußtseins, das heißt der Selbstverwirk-
lichung, ist eigentlich nicht sehr schwierig. Krsna lehrte ihn Arjuna
in der Bhagavad-gitā; und wenn wir die Bhagavad-gitā so wie Arjuna
verstehen, können wir ohne Probleme auf die Stufe der Vollkom-
menheit gelangen. Wenn wir allerdings die Bhagavad-gitā nach un-
serer eigenen, weltlich-akademischen Denkweise interpretieren, ver-
derben wir alles.
Wie erwähnt, ist das Chanten von Hare Krsna eine Methode, um
alle Verunreinigungen, welche aus der Berührung mit der Materie
entstehen, vom Spiegel des Geistes zu entfernen. Wir bedürfen kei-
ner äußeren Hilfe, um unser Krsna-Bewußtsein wiederzubeleben,
denn Krsna-Bewußtsein schlummert im Selbst. Ja, es ist die natür-
liche Eigenschaft des Selbst. Wir müssen es nur durch das Chan-
ten erwecken. Krsna-Bewußtsein ist eine ewige Tatsache: Es ist we-
der eine Doktrin noch ein Glaubenssystem, das von irgendeiner
Organisation aufgestellt wurde; es findet sich in allen Lebewesen,
Wie man den Spiegel des Geistes reinigt 23

ob Mensch oder Tier. Als Sri Caitanya Mahāprabhu vor rund fünf-
hundert Jahren durch die Dschungel Südindiens wanderte, chantete
Er Hare Krsna, und alle wilden Tiere - die Tiger, die Elefanten und
die Rehe - schlossen sich Ihm an und tanzten zu den heiligen Na-
men. Natürlich spielt hierbei die Reinheit des Chantens die entschei-
dende Rolle. Wenn wir im Chanten Fortschritte machen, werden wir
mit Sicherheit gereinigt werden.
3. KAPITEL

Göttliche Sicht
Krsna lehrt uns, wie wir in unserem praktischen Leben Krsna-Be-
wußtsein entwickeln können. Wir brauchen nicht aufzuhören, un-
sere Pflicht zu erfüllen und tätig zu sein. Im Gegenteil, wir müssen
Tätigkeiten ausführen, aber im Krsna-Bewußtsein. Jeder Mensch hat
einen Beruf, doch mit welchem Bewußtsein geht er ihm nach?
Jeder glaubt: „Ich muß einen Beruf haben, um meine Familie zu
unterhalten." Es gibt kaum jemanden, der nicht in dem Bewußt-
sein lebt, daß er Gesellschaft, Regierung oder Familie zufriedenstel-
len muß. Um eine Tätigkeit gut auszuüben, muß man das richtige
Bewußtsein haben. Jemand, dessen Bewußtsein aufgewühlt ist und
der sich wie ein Verrückter verhālt, ist nicht in der Lage, irgend-
einer Pflicht nachzugehen. Wir sollten unsere Pflichten richtig er-
füllen, und zwar in dem Bewußtsein, Krsna zufriedenzustellen. Wir
brauchen unsere Beschäftigung nicht zu āndern, sollten uns aber
darüber bewußt sein, für wen wir arbeiten. Wir müssen all unsere
vorgeschriebenen Tätigkeiten ausführen, doch sollten wir uns nicht
von kāma, materiellem Verlangen, davontragen lassen. Das Sanskrit-
wort kāma wird in der Bedeutung von Lust, Verlangen oder Sinnen-
befriedigung gebraucht. Sri Krsna unterweist uns, nicht für die Be-
friedigung von kāma, unserer eigenen Lust, zu arbeiten. Die ganze
Lehre der Bhagavad-gitā beruht auf diesem Prinzip.
Arjuna handelte zu seiner eigenen Zufriedenstellung, als er dem
Kampf mit seinen Verwandten aus dem Wege gehen wollte. Krsnas
Worte jedoch überzeugten ihn, seine Pflicht zur Zufriedenstellung
des Höchsten zu erfüllen. Materiell gesehen mag es sehr fromm er-
scheinen, daß Arjuna seinen Anspruch auf das Königreich aufgab
und sich weigerte, seine Angehörigen zu töten; aber Krsna billigte
dies nicht, weil das Motiv von Arjunas Entscheidung darauf be-

24
Göttliche Sicht 25

ruhte, seine eigenen Sinne zufriedenzustellen. Ebenso wie Arjuna


brauchen auch wir nicht unseren Beruf oder unsere Beschäftigung
zu āndern; was verändert werden muß, ist das Bewußtsein. Um
das Bewußtsein zu verändern, ist jedoch Wissen erforderlich. Die-
ses Wissen ist die Erkenntnis: „Ich bin ein Bestandteil Krsnas, ein
Bestandteil der höheren Energie Krsnas." Das ist wahres Wissen.
Relatives Wissen lehrt uns zum Beispiel, eine Maschine zu reparie-
ren, doch wirkliches Wissen besteht darin, unsere Stellung als Teil
Krsnas zu erkennen. Da wir ein Teil sind, ist unsere Freude partiell
und hāngt vom Ganzen ab. Meine Hand beispielsweise kann Freude
erfahren, wenn sie mit meinem Körper verbunden ist und ihm dient.
Es bereitet ihr keine Freude, dem Körper eines anderen zu dienen.
Da wir Bestandteile Krsnas sind, liegt unsere Freude darin, Ihm zu
dienen. „Ich kann nicht glücklich sein, wenn ich dir diene", denkt
jeder. „Ich bin nur glücklich, wenn ich mir selbst diene." Kaum einer
aber weiß, wer das Selbst ist: Dieses Selbst ist Krsna.

mamaivāmso jiva-loke
jiva-bhūtah sanātanah
manah-sasthānindriyāni
prakrti-sthāni karsati

„Die Lebewesen in der bedingten Welt sind Meine ewigen fragmen-


tarischen Teile. Aufgrund ihres bedingten Lebens kämpfen sie sehr
schwer mit den sechs Sinnen, zu denen auch der Geist gehört."
(Bg. 15.7)
Aufgrund der Berührung mit der Materie sind die Lebewesen (ji-
vas) gegenwärtig vom Ganzen abgetrennt. Daher müssen wir da-
nach streben, uns durch das Krsna-Bewußtsein, das latent in uns
weilt, wieder mit dem Ganzen zu verbinden. Künstlich versuchen
wir, Krsna zu vergessen und unabhängig von Ihm zu leben, aber
das ist nicht möglich. Sobald wir unabhängig von Krsna leben wol-
len, werden wir den Gesetzen der materiellen Natur unterworfen.
Wenn man glaubt, man sei von Krsna unabhängig, gerāt man in die
Abhängigkeit Seiner illusionierenden Energie, genauso wie man in
die Hände der Polizei fāllt, wenn man sich von der Regierung und
ihren Gesetzen unabhängig wähnt. Jeder versucht, unabhängig zu
26 Auf dem Weg zu Krsna

werden, und das wird māyā oder Illusion genannt. Unabhängigkeit


kann man weder auf individueller noch auf kommunaler, sozialer,
nationaler oder globaler Ebene jemals erreichen. Erst wenn wir uns
unserer Abhängigkeit bewußt werden, besitzen wir echtes Wissen.
Das ist die Friedensformel. Heute setzen sich viele Menschen für
den Weltfrieden ein, aber sie wissen nicht, wie man diese Friedens-
formel anwendet. So gibt es trotz jahrelanger Friedensbemühungen
der Vereinten Nationen immer noch Krieg.

yac cāpi sarva-bhūtānām


bijam tad aham arjuna
na tad asti vinā yat syān
mayā bhūtam carācaram

„Des weiteren, o Arjuna, bin Ich der ursprüngliche Same aller


Schöpfungen. Es gibt kein Geschöpf - ob beweglich oder unbeweg-
lich -, das ohne Mich existieren kann." (Bg. 10.39)
Krsna ist der Besitzer von allem, und deshalb ist Er auch der letzt-
liche Nutznießer und Empfänger der Ergebnisse all unserer Hand-
lungen. Wir halten uns vielleicht für die Besitzer der Früchte un-
serer Arbeit, aber das ist eine falsche Vorstellung. Wir müssen zur
Einsicht gelangen, daß alle Früchte unseres Handelns letztlich Krsna
gehören. In einem Büro mögen Hunderte von Menschen arbeiten,
doch sie alle wissen, daß der ganze Geschäftsprofit dem Besitzer
gehört. Sobald ein Bankangestellter glaubt: „Ich habe so viel Geld.
Es gehört mir, ich will es mit nach Hause nehmen", gerāt er in
Schwierigkeiten. Wenn wir meinen, all den Reichtum, den wir an-
gesammelt haben, für unsere eigene Sinnenbefriedigung verwenden
zu können, handeln wir aus kāma, Lust. Wenn wir hingegen ver-
stehen, daß alles, was wir haben, Krsna gehört, sind wir befreit. In
beiden Fāllen haben wir das gleiche Geld in den Händen, doch so-
bald wir uns für den Besitzer halten, stehen wir unter dem Einfluß
māyās. Wer sich völlig bewußt ist, daß alles Krsna gehört, ist wahr-
haft weise.

isāvāsyam idam sarvam


yat kinca jagatyām jagat
Göttliche Sicht 27

tena tyaktena bhunjitha


mā grdhah kasya svid dhanam
„Alles Belebte und Unbelebte im Universum steht unter der Kon-
trolle des Herrn und ist Sein Eigentum. Darum sollte man sich nur
die Dinge nehmen, die einem als Anteil zugedacht sind, und man
darf nicht andere Dinge nehmen, weiß man wohl, wem sie ge-
hören." (Sri Isopanisad, Mantra 1)
Dieses isāvāsya-Bewußtsein - alles gehört Krsna - muß nicht nur
auf individueller, sondern auch auf nationaler und globaler Ebene
wiedererweckt werden. Dann wird es Frieden geben. Wir lieben es,
den Menschenfreund und Altruisten zu spielen, und bemühen uns
um ein freundschaftliches Verhältnis zu unseren Landsleuten, unse-
rer Familie und allen Völkern der Erde. Dieses Verhalten beruht aber
auf einer falschen Auffassung. Der wahre Freund ist Krsna; wenn
wir daher unserer Familie, unserem Land oder der Welt etwas Gutes
tun wollen, müssen wir unsere Arbeit Ihm weihen. Ist uns am Wohl
unserer Familie gelegen, dann werden wir versuchen, die Familien-
mitglieder Krsna-bewußt zu machen. So viele Menschen bemühen
sich um das Wohl ihrer Familie, aber leider ohne Erfolg. Denn sie
erkennen nicht das wirkliche Problem. Wie das Bhāgavatam sagt,
sollte man nicht versuchen, Vater, Mutter oder Lehrer zu werden,
wenn man nicht imstande ist, seine Kinder vor dem tödlichen Griff
der materiellen Natur zu bewahren. Der Vater muß im Wissen über
Krsna verankert sein und den festen Vorsatz haben, die ihm anver-
trauten Kinder aus dem Kreislauf von Geburt und Tod zu retten. Er
sollte entschlossen sein, seine Kinder so zu erziehen, daß sie nicht
lānger dem qualvollen Kreislauf von Geburt und Tod unterworfen
sind. Um dazu imstande zu sein, muß er selbst im Krsna-Bewußt-
sein gereift sein. Dann kann er nicht nur seinen Kindern, sondern
auch seiner Gesellschaft und seinem Land helfen. Wie soll er aber
andere aus den Banden der Unwissenheit befreien, wenn er selbst in
ihnen gefangen ist? Bevor man andere befreien kann, muß man sich
selbst befreien. Eigentlich ist niemand frei, denn jeder steht unter
dem Bann der materiellen Natur. Jemand aber, der sich Krsna ergibt,
kann von māyā nicht berührt werden; von allen Menschen ist nur er
frei. Im Sonnenlicht gibt es keine Dunkelheit, doch künstliches Licht
28 Auf dem Weg zu Krsna

kann flackern und verlöschen. Krsna gleicht dem Sonnenlicht. Wo


Er gegenwärtig ist, kann es keine Dunkelheit und Unwissenheit ge-
ben. Weise Menschen, mahātmās, verstehen dies.
aham sarvasya prabhavo
mattah sarvam pravartate
iti matvā bhajante mām
budhā bhāva-samanvitāh
„Ich bin der Ursprung aller spirituellen und materiellen Welten. Al-
les geht von Mir aus. Die Weisen, die dies vollkommen verstanden
haben, beschäftigen sich in Meinem hingebungsvollen Dienst und
verehren Mich von ganzem Herzen." (Bg. 10.8)
In diesem Vers wird das Wort budha gebraucht, das sich auf einen
weisen oder gebildeten Menschen bezieht. Was ist sein Wesensmerk-
mal? Er weiß, daß Krsna der Ursprung von allem ist, die Quelle al-
ler Emanationen, und daß alles, was er sieht, nur eine Emanation
Krsnas ist. In der materiellen Welt spielt das Geschlechtsleben die
wichtigste Rolle. Sexuelle Anziehung findet sich in allen Lebens-
formen, und man mag sich fragen, woher sie kommt. Der Weise ver-
steht, daß diese Neigung in Krsna existiert und daß sie sich in Sei-
ner Beziehung zu den Mädchen von Vraja offenbart. Alles, was sich
in der materiellen Welt manifestiert, kann man in Vollkommenheit
in Krsna finden. Der Unterschied liegt darin, daß in der materiellen
Welt alles in einer verzerrten Form auftritt. In Krsna existieren diese
Neigungen und Manifestationen in reinem Bewußtsein, in der spi-
rituellen Dimension. Wer das vollkommen versteht, wird ein reiner
Geweihter Krsnas.
mahātmānas tu mām pārtha
daivim prakrtim āsritāh
bhajanty ananya-manaso
jnātvā bhūtādim avyayam
satatam kirtayanto mām
yatantas ca drdha-vratāh
namasyantas ca mām bhaktyā
nitya-yuktā upāsate
Göttliche Sicht 29

„O Sohn Prthās, die großen Seelen, die nicht verblendet sind, stehen
unter dem Schutz der göttlichen Natur. Sie sind vollständig im hin-
gebungsvollen Dienst beschäftigt, da sie Mich als die Höchste Per-
sönlichkeit Gottes kennen, die ursprünglich und unerschöpflich ist.
Ohne Unterlaß preisen sie Meine Herrlichkeit, bemühen sich mit
großer Entschlossenheit und verneigen sich vor Mir. So verehren
Mich die großen Seelen unaufhörlich mit Hingabe." (Bg. 9.13-14)
Wer ist eine große Seele, ein mahātmā? - Ein mahātmā ist jemand,
der unter dem Einfluß der höheren Energie steht. Gegenwärtig be-
finden wir uns unter dem Einfluß von Krsnas niederer Energie. Als
Lebewesen nehmen wir eine Zwischenstellung ein: wir können uns
einer der beiden Energien zuwenden. Krsna ist völlig unabhängig;
und weil wir ein Bestandteil von Ihm sind, besitzen auch wir die
Eigenschaft der Unabhängigkeit. Aus diesem Grund haben wir die
Wahl, unter welcher Energie wir handeln wollen. Da wir aber kein
Wissen von der höheren Energie haben, müssen wir in der niederen
Natur bleiben.
In einigen Philosophien wird behauptet, daß es keine andere Na-
tur gebe als die, die wir gegenwärtig erfahren, und daß die einzige
Lösung sei, sie zu negieren und in die Leere einzugehen. Freilich
erreichen wir nie einen Zustand der Leere, denn wir sind Lebewe-
sen. Unsere Existenz hört nicht auf, nur weil wir den Körper wech-
seln. Bevor wir dem Einfluß der materiellen Natur entkommen kön-
nen, müssen wir verstehen, wohin wir eigentlich gehören und was
unsere Bestimmung ist. Ansonsten werden wir nämlich sagen: „Wir
wissen nicht, was höher und was niedriger ist. Wir kennen nichts
anderes als diese Welt; also laßt uns für immer hier bleiben." Die
Bhagavad-gita gibt uns jedoch Auskunft über die höhere Energie, die
höhere Natur.
Krsnas Worte gelten für alle Ewigkeit, sie wandeln sich nie. Es
spielt keine Rolle, was unsere derzeitige Beschäftigung ist oder was
Arjunas Beschäftigung war - wir müssen nur unser Bewußtsein
verändern. Gegenwärtig werden wir vom Bewußtsein der Eigen-
nützigkeit gelenkt, aber wir wissen nicht, was wirklich in unserem
eigenen Interesse ist, in unserem Selbst-Interesse. Eigentlich geht es
uns nicht um unser Selbst-Interesse, sondern um das Interesse un-
30 Auf dem Weg zu Krsna

serer Sinne. Was immer wir tun, dient dazu, unsere Sinne zu be-
friedigen. Dieses Bewußtsein ist es, das gewandelt werden muß. Wir
müssen es durch unser wirkliches Selbst-Interesse ersetzen: Krsna-
Bewußtsein.
Wie geschieht das? Wie soll es uns gelingen, jeden Augenblick un-
seres Lebens Krsna-bewußt zu sein? Eigentlich macht es uns Krsna
sehr leicht:
raso 'ham apsu kaunteya
prabhāsmi sasi-sūryayoh
pranavah sarva-vedesu
sabdah khe paurusam nrsu
„O Sohn Kuntis, Ich bin der Geschmack des Wassers, das Licht der
Sonne und des Mondes und die Silbe om in den vedischen mantras;
Ich bin der Klang im Äther und die Fähigkeit im Menschen." (Bg.7.8)
In diesem Vers beschreibt Sri Krsna, wie wir in allen Lebensla-
gen vollkommen Krsna-bewußt sein können. Alle Lebewesen müs-
sen Wasser trinken. Der Geschmack des Wassers ist so köstlich, daß
Wasser unseren Durst am besten zu stillen scheint. Keine Industrie
ist in der Lage, den reinen Geschmack des Wassers herzustellen.
Wann immer wir Wasser trinken, können wir uns an Krsna oder
Gott erinnern. Wir alle müssen unser ganzes Leben lang täglich
Wasser trinken. Wie können wir daher Gott vergessen?
Auch das Leuchten des Lichts ist Krsna. Die ursprüngliche Aus-
strahlung im spirituellen Himmel, das brahmajyoti, geht von Krsnas
Körper aus. Der materielle Himmel ist bedeckt, ja das eigentliche
Wesen des materiellen Universums ist Dunkelheit, wie wir sie in
der Nacht erfahren. Das Universum wird künstlich durch die Sonne,
den Mond und Elektrizität erleuchtet. Woher kommt dieses Licht?
Die Sonne erhālt ihr Licht vom brahmajyoti, der hellen Ausstrahlung
der spirituellen Welt. In der spirituellen Welt werden Sonne, Mond
und Elektrizität nicht benötigt, denn dort wird alles vom brahmajyoti
erleuchtet. Wann immer wir auf Erden also das Licht der Sonne se-
hen, können wir uns an Krsna erinnern.
Wenn wir die vedischen mantras chanten, die mit om beginnen,
können wir uns ebenfalls an Krsna erinnern. Wie Hare Krsna ist
Göttliche Sicht 31

om eine Anrufung Gottes, und om ist auch Krsna. Sabdah bedeutet


Klang; wann immer wir einen Klang hören, sollten wir uns bewußt
sein, daß er die Schwingung des ursprünglichen Klanges ist, des
rein spirituellen Klanges om oder Hare Krsna. Jeder Klang, den wir
in der materiellen Welt vernehmen, ist nur ein Widerhall dieses spi-
rituellen Urklanges om. Sobald wir Klang hören, sobald wir Wasser
trinken, sobald wir Licht sehen, werden wir an Gott erinnert. Darin
besteht der Vorgang des Krsna-Bewußtseins. Wenn wir auf diese
Weise vierundzwanzig Stunden am Tag an Krsna denken, ist Krsna
bei uns. Natürlich begleitet Krsna uns immer; doch sobald wir uns
an Ihn erinnern, wird Seine Gegenwart zu einer fühlbaren Tatsache.
Es gibt neun verschiedene Vorgānge, um mit Gott in Verbindung
zu treten, und der erste ist sravanam, Hören. Beim Lesen der Bhaga-
vad-gitā hören wir die Worte Sri Krsnas, was bedeutet, daß wir tat-
sāchlich mit Krsna, mit Gott, Gemeinschaft haben. (Wir müssen uns
immer vor Augen halten, daß wir Gott meinen, wenn wir von Krsna
sprechen.) Je mehr wir mit Gott Gemeinschaft haben und Krsnas
Worte und Krsnas Namen hören, desto weniger werden wir von
der materiellen Natur verunreinigt. Wer versteht, daß Krsna Klang,
Licht, Wasser und so vieles mehr ist, kann Krsna unmöglich igno-
rieren. Wenn wir uns auf diese Weise an Krsna erinnern, verbleiben
wir immer in Seiner Gemeinschaft.
Krsnas Gemeinschaft wirkt wie das Sonnenlicht. Wo die Sonne
hinscheint, absorbiert sie alle Unreinheiten, und ihre ultravioletten
Strahlen beugen Krankheit vor. In der westlichen Medizin wird da-
her das Sonnenlicht zur Heilung von vielerlei Krankheiten empfoh-
len, und nach den Veden sollte ein Kranker die Sonne verehren, um
gesund zu werden. Auf ähnliche Weise werden all unsere Krankhei-
ten geheilt, wenn wir mit Krsna im Krsna-Bewußtsein Gemeinschaft
haben. Durch das Chanten von Hare Krsna können wir mit Krsna
Zusammensein, wir können Ihn im Wasser, in der Sonne und im
Mond sehen, Ihn im Klang hören und im Wasser kosten. Leider ha-
ben wir in unserer gegenwärtigen Lage Krsna vergessen. Jetzt aber
müssen wir unser spirituelles Leben wiedererwecken, indem wir
uns an Ihn erinnern.
Dieser Vorgang von sravanam kirtanam - Hören und Chanten -
32 Auf dem Weg zu Krsna

wird auch von Sri Caitanya Mahāprabhu empfohlen. Als Caitanya


mit Rāmānanda Rāya sprach, einem großen Geweihten und Freund
des Herrn, fragte ihn der Herr nach den Methoden der Selbstver-
wirklichung. Rāmānanda schlug varnāsrama-dharma, sannyāsa, Ent-
sagung von Arbeit und viele andere Methoden vor, doch Sri Cai-
tanya sagte: „Nein, das alles ist nicht gut genug." Auf diese Weise
lehnte Sri Caitanya jeden Vorschlag Rāmānanda Rāyas ab und bat
ihn, einen Weg aufzuzeigen, der für die spirituelle Entwicklung bes-
ser sei. Schließlich zitierte Rāmānanda Rāya einen vedischen Apho-
rismus, der empfiehlt, daß man von allen unnötigen Bemühungen
ablassen solle, Gott durch gedankliche Spekulation zu erkennen,
denn so könne man nicht zur endgültigen Wahrheit vordringen. Die
Wissenschaftler zum Beispiel stellen über entfernte Sterne und Pla-
neten Vermutungen an, aber ohne wirkliches Wissen sind sie nie-
mals in der Lage, zu wahren Erkenntnissen zu gelangen. Man kann
sein ganzes Leben lang spekulieren und niemals zu einem Schluß
kommen.
Besonders sinnlos ist es, über Gott zu spekulieren. Daher emp-
fiehlt das Srimad-Bhāgavatam, alle Arten der Spekulation aufzugeben
und statt dessen demütig zu werden, indem man erkennt, daß man
nur ein unbedeutendes Geschöpf und diese Erde nichts anderes als
ein winziger Punkt im riesigen Universum ist. New York City mag
zwar groß erscheinen, aber wenn man sich bewußt macht, daß die
Erde nur ein winziger Planet ist, daß auf der Erde die Vereinigten
Staaten nur ein kleiner Fleck sind, daß in den Vereinigten Staaten
New York City nur ein kleiner Fleck ist und daß in New York das
Individuum nur eines unter Millionen ist, dann kann man begrei-
fen, daß man letztlich nicht so wichtig ist. Angesichts unserer Be-
deutungslosigkeit gegenüber Gott und dem Universum sollten wir
nicht künstlich hochmütig, sondern demütig sein.
Wir sollten uns sehr davor hüten, der Froschphilosophie zum
Opfer zu fallen. Es gab einmal einen Frosch in einem Brunnen.
Als ein Freund ihm vom Atlantischen Ozean berichtete, fragte der
Frosch: „Was hat es denn mit diesem Atlantischen Ozean auf sich?"
„Er ist ein riesengroßes Gewässer", erwiderte sein Freund. „Wie
groß? Ist er doppelt so groß wie dieser Brunnen?" „O nein, viel, viel
Göttliche Sicht 33

größer", antwortete sein Freund. „Wieviel größer? Etwa zehnmal


so groß?"
Und so fuhr der Frosch mit seinen Berechnungen fort. Wie soll
er aber jemals die unermeßlichen Weiten des gewaltigen Ozeans er-
fassen können? Die Fähigkeiten, die Erfahrungen und das Spekula-
tionsvermögen des Menschen sind immer begrenzt. Daher kann der
Mensch nur solche Froschphilosophien hervorbringen. Das Srimad-
Bhāgavatam empfiehlt, die Methode der Spekulation aufzugeben, da
man nur seine Zeit vergeudet, wenn man den Höchsten auf diese
Weise erkennen möchte.
Was sollen wir tun, nachdem wir mit unseren Spekulationen auf-
gehört haben? Das Bhāgavatam rät uns, demütig zu werden und die
Botschaft Gottes in einer ergebenen Haltung zu hören. Diese Bot-
schaft kann in der Bhagavad-gitā und in anderen vedischen Schrif-
ten gefunden werden, aber auch in der Bibel und im Koran - in
jeder echten heiligen Schrift; man kann sie auch von einer verwirk-
lichten Seele vernehmen. Der entscheidende Punkt ist, daß man
nicht spekulieren, sondern einfach die Botschaft Gottes hören soll-
te. Was bewirkt solches Hören? Wenn man den transzendentalen
Worten Gottes Gehör schenkt, läßt Sich der Herr, der nie durch
irgendeine Macht oder Gewalt erobert werden kann, durch Liebe
erobern, unabhängig davon, wer oder was man ist: ob reich oder
arm, Amerikaner, Europäer oder Inder, brāhmana, sudra oder sonst
etwas. Arjuna war Krsnas Freund; aber obwohl Krsna die Höchste
Persönlichkeit Gottes ist, wurde Er Arjunas Wagenlenker, ein ein-
facher Diener. Arjuna liebte Krsna, und Krsna erwiderte auf diese
Weise seine Liebe. Als Kind nahm Krsna im Spiel die Schuhe Seines
Vaters Nanda Mahārāja und setzte sie auf Sein Haupt. Es gibt Leu-
te, die sich sehr bemühen, mit Gott eins zu werden, doch eigentlich
können wir mehr erlangen als das: wir können Gottes Vater werden.
Obwohl Gott natürlich der Vater aller Geschöpfe ist und selbst kei-
nen Vater hat, nimmt Er Seinen liebenden Geweihten als Vater an.
Krsna willigt ein, Sich von Seinem Geweihten aus Liebe erobern zu
lassen. Um dies zu erreichen, muß man nur mit aller Aufmerksam-
keit die Botschaft des Herrn hören.
Im Siebten Kapitel der Bhagavad-gitā erwāhnt Sri Krsna weitere
34 Auf dem Weg zu Krsna

Möglichkeiten, die es uns erlauben, Ihn in jeder Lebenssituation


wahrzunehmen:

punyo gandhah prthivyām ca


tejas cāsmi vibhāvasau
jivanam sarva-bhūtesu
tapas cāsmi tapasvisu

„Ich bin der ursprüngliche Duft der Erde, und Ich bin die Hitze im
Feuer. Ich bin das Leben in allem Lebendigen, und Ich bin die Entsa-
gung der Asketen."(Bg. 7.9)
Punyo gandhah heißt soviel wie „Düfte". Nur Krsna vermag Düfte
und Aromen zu schaffen. Heute werden verschiedene Düfte und
Parfüms synthetisch hergestellt, doch sie sind nie so gut wie die,
die ursprünglich in der Natur vorkommen. Wenn wir einen guten,
natürlichen Duft riechen oder wenn wir die Schönheiten der Natur
erblicken, können wir uns erinnern: „Hier ist Gott; hier ist Krsna."
Wenn wir etwas Außergewöhnliches, Mächtiges oder Wunderbares
sehen, können wir denken: „Das ist Krsna." Wann immer wir in ei-
nem Baum, einer Pflanze, einem Tier oder einem Menschen ein Le-
benssymptom sehen, sollten wir verstehen, daß dieses Leben ein Teil
Krsnas ist, denn sobald der spirituelle Funke, der ein Bestandteil des
Herrn ist, den Körper verlāßt, zerfāllt dieser.

bijam mām sarva-bhūtānām


viddhi pārtha sanātanam
buddhir buddhimatām asmi
tejas tejasvinām aham

„O Sohn Prthās, wisse, daß Ich der ursprüngliche Same alles Exi-
stierenden, die Intelligenz der Intelligenten und die Macht aller
Māchtigen bin." (Bg. 7.10)
Hier wird erneut darauf hingewiesen, daß Krsna das Leben von
allem ist, was lebt. Somit können wir Gott auf Schritt und Tritt wahr-
nehmen. Viele Menschen fragen: „Kannst du mir Gott zeigen?" - Ja,
natürlich; denn Gott kann auf vielerlei Weise wahrgenommen wer-
den. Doch wie soll man Gott jemandem zeigen, der seine Augen
verschließt und sagt: „Ich will Gott nicht sehen."
Göttliche Sicht 35

Das Wort bijam im obigen Vers bedeutet Same, und dieser Same
wird als ewig (sanatanam) bezeichnet. Was ist der Ursprung eines
Baumes? Es ist der Same, und dieser Same ist letztlich ewig. Der
Same des Daseins ruht in jedem Lebewesen. Der menschliche Kör-
per zum Beispiel entwickelt sich im Mutterleib, kommt als Sāug-
ling auf die Welt und wāchst vom Kind zum Erwachsenen heran; er
durchlāuft viele Veränderungen, doch der Same des inneren Seins
bleibt. Daher ist er sanatanam. Wāhrend wir unmerklich unseren
Körper jeden Augenblick, jede Sekunde wechseln, wandelt sich der
bijam, der Same oder spirituelle Funke, nicht. Krsna erklärt, daß Er
dieser ewige Same in allen Daseinsformen ist. Da Er auch die Intelli-
genz eines intelligenten Menschen ist, kann man ohne Krsnas Gnade
nicht außergewöhnlich intelligent werden. Jeder bemüht sich, klü-
ger als die anderen zu sein, doch ohne Krsnas Gnade ist das nicht
möglich. Wann immer wir also einem besonders intelligenten Men-
schen begegnen, sollten wir verstehen: „Diese Intelligenz ist Krsna."
Ebenso ist Krsna der Einfluß eines einflußreichen Menschen.

balam balavatām cāham


kāma-rāga-vivarjitam
dharmāviruddho bhūtesu
kāmo 'smi bharatarsabha

„Ich bin die Stārke der Starken, frei von Leidenschaft und Verlangen,
und Ich bin das Geschlechtsleben, das nicht im Widerspruch zu den
religiösen Prinzipien steht, o Herr der Bhāratas." (Bg. 7.11)
Der Elefant und der Gorilla sind sehr starke Tiere, aber auch sie
bekommen ihre Stärke von Krsna. Der Mensch kann solche Stārke
nicht aufgrund eigener Bemühung erlangen; doch wenn Krsna ei-
nem Menschen Seine Gunst schenkt, kann dieser tausendmal stār-
ker werden als ein Elefant. Der große Krieger Bhima, der in der
Schlacht von Kuruksetra kämpfte, soll die Stārke von zehntausend
Elefanten besessen haben. Man sollte auch in Begierde oder Lust
(kāma), die nicht den religiösen Prinzipien widerspricht, Krsna se-
hen. Was ist mit „Lust" gemeint? Lust bedeutet im allgemeinen
Geschlechtsleben, aber hier bezieht sich kāma nur auf Geschlechts-
leben, das nicht gegen die religiösen Prinzipien verstößt, das heißt
36 Auf dem Weg zu Krsna

auf Geschlechtsverkehr zur Zeugung guter Kinder. Wenn jemand


gute, Krsna-bewußte Kinder zeugen kann, darf er Tausende Male
Geschlechtsverkehr haben; aber wenn er nur imstande ist, Kinder in
die Welt zu setzen, die im Bewußtsein von Katzen und Hunden auf-
gezogen werden, ist sein Geschlechtsleben als irreligiös anzusehen.
In religiösen und zivilisierten Gesellschaften ist die Ehe als Zeichen
dafür gedacht, daß ein Ehepaar geschlechtlich verkehren darf, um
gute Kinder zu zeugen. Aus diesem Grund gilt Geschlechtsverkehr
in der Ehe als religiös, wāhrend er außerhalb der Ehe als irreligiös
gilt. Eigentlich gibt es keinen Unterschied zwischen einem sannyāsi
im Zölibat und einem grhastha (Haushälter), vorausgesetzt, daß sein
Geschlechtsleben auf religiösen Grundsātzen beruht.

ye caiva sāttvikā bhāvā


rājasās tāmasās ca ye
matta eveti tān viddhi
na tv aham tesu te mayi

„Wisse, daß alle Daseinsstufen - ob die der Tugend, Leidenschaft


oder Unwissenheit - eine Manifestation Meiner Energie sind. In ge-
wissem Sinne bin Ich alles, doch Ich bin unabhängig. Ich stehe nicht
unter dem Einfluß der Erscheinungsweisen der materiellen Natur -
im Gegenteil, sie befinden sich in Mir." (Bg. 7.12)
Man könnte Krsna fragen: „Du sagst, Du seist Klang, Wasser,
Licht, Duft, der Same von allem, Stārke und kāma, Lust. Heißt das,
daß Du nur in der Erscheinungsweise der Tugend existierst?" In der
materiellen Welt gibt es die Erscheinungsweisen der Tugend, der
Leidenschaft und der Unwissenheit. Bisher hat Krsna Sich als das
Gute dargestellt, beispielsweise als ehelichen Geschlechtsverkehr im
Einklang mit den religiösen Prinzipien. Ist Krsna aber in den an-
deren Erscheinungsweisen nicht gegenwärtig? Als Antwort darauf
sagt Krsna, daß alles, was in der materiellen Welt zu sehen ist, auf
das Zusammenspiel der drei Erscheinungsweisen der materiellen
Natur zurückzuführen ist. Was immer wir sehen, ist eine Kom-
bination von Tugend, Leidenschaft und Unwissenheit, und diese
drei Zustānde werden ausnahmslos „von Mir erzeugt". Weil Krsna
sie erzeugt, befinden sie sich in Ihm, aber Er befindet Sich nicht in
Göttliche Sicht 37

ihnen; denn Krsna ist transzendental und steht jenseits der drei Er-
scheinungsweisen. Schlechte und böse Dinge entstehen aus Unwis-
senheit, aber wenn sie von Krsna angewandt werden, sind sie in ge-
wisser Hinsicht auch Krsna. Ein Beispiel mag dies veranschaulichen:
Ein Elektrotechniker erzeugt im Kraftwerk Strom. Bei uns zu Hause
erfahren wir diesen Strom als Kālte im Kühlschrank und als Hitze
im Elektroherd, doch im Kraftwerk ist der Strom weder heiß noch
kalt. Die Wirkungsweisen der materiellen Energie mögen für die
Lebewesen verschieden sein, doch für Krsna sind sie es nicht. Des-
halb scheint Krsna manchmal nach den Prinzipien der Leidenschaft
und Unwissenheit zu handeln. Für Krsna aber existiert nichts außer
Krsna, genauso wie für den Elektrotechniker der Strom nur Elektri-
zität ist und nichts anderes; er unterscheidet nicht zwischen „kalter"
und „heißer" Elektrizität.
Alles wird von Krsna hervorgebracht. Dies wird vom Vedānta-
sutra bestätigt: athāto brahma-jijnāsā, janmādy asya yatah. „Alles geht
von der Höchsten Absoluten Wahrheit aus." Was das Lebewesen für
gut oder böse hālt, gilt nur für das bedingte Lebewesen. Da Krsna
jedoch nicht bedingt ist, existiert für Ihn weder gut noch böse. Wäh-
rend wir aufgrund unserer Bedingtheit unter Dualitäten zu leiden
haben, ist für Ihn alles vollkommen.
4. KAPITEL

Die Narren und


die Weisen
Krsna offenbart Sich uns, aber wir fühlen uns nicht zu Ihm hinge-
zogen. Wie kommt das? Den Grund hierfür nennt Krsna selbst:

daivi hy esā guna-mayi


mama māyā duratyayā
mām eva ye prapadyante
māyām etām taranti te

„Diese Meine göttliche Energie, die aus den drei Erscheinungswei-


sen der materiellen Natur besteht, ist sehr schwer zu überwinden.
Aber wer sich Mir ergibt, kann sie sehr leicht hinter sich lassen."
(Bg. 7.14)
Die materielle Welt wird von den drei Erscheinungsweisen der
materiellen Natur durchdrungen. Alle Lebewesen werden von die-
sen Erscheinungsweisen beeinflußt: Werden sie vorwiegend von der
Erscheinungsweise der Tugend beeinflußt, nennt man sie brāhmanas;
werden sie von der Erscheinungsweise der Leidenschaft beeinflußt,
nennt man sie ksatriyas; werden sie von den Erscheinungsweisen der
Leidenschaft und Unwissenheit beeinflußt, nennt man sie vaisyas,
und werden sie von Unwissenheit beeinflußt, nennt man sie sudras.
Diese Ordnung wird nicht nach Geburt oder sozialem Status künst-
lich auferlegt, sondern steht im Einklang mit den gunas, den Erschei-
nungsweisen der Natur, in denen man handelt.

cātur-varnyam mayā srstam


guna-karma-vibhāgasah

38
Die Narren und die Weisen 39

tasya kartaram api mam


viddhy akartāram avyayam

„In Entsprechung zu den drei Erscheinungsweisen der materiellen


Natur und der Arbeit, die mit ihnen verbunden ist, wurden die
vier Einteilungen der menschlichen Gesellschaft von Mir geschaffen.
Und obwohl Ich der Schöpfer dieses Systems bin, solltest du wissen,
daß Ich dennoch der Nichthandelnde bin, denn Ich bin unwandel-
bar." (Bg. 4.13)
Dieses System hat nichts mit dem entarteten Kastensystem in In-
dien zu tun, denn Sri Krsna betont: guna-karma-vibhāgasah. Die Men-
schen werden nach der Erscheinungsweise (guna), in der sie han-
deln, klassifiziert, und dies trifft auf alle Menschen im Universum
zu. Wir müssen uns bewußt sein, daß alles, was Krsna sagt, nicht
begrenzt, sondern universal gültig ist. Er bezeichnet Sich als Vater
aller Lebewesen; sogar die Wasserlebewesen, die Bāume, die Pflan-
zen, die Würmer, die Vögel, die Bienen und die anderen Tiere gelten
als Seine Kinder. Sri Krsna weist darauf hin, daß das gesamte Uni-
versum durch das Zusammenspiel der drei Erscheinungsweisen der
materiellen Natur in Illusion gehalten wird und daß wir unter dem
Bann dieser Illusion stehen. Aus diesem Grund können wir nicht
verstehen, was Gott ist.
Was ist das Wesen dieser Illusion, und wie kann man sie über-
winden? Auch dies wird in der Bhagavad-gitā erklärt:

daivi hy esā guna-mayi


mama māyā duratyayā
mām eva ye prapadyante
māyām etām taranti te

„Diese Meine göttliche Energie, die aus den drei Erscheinungswei-


sen der materiellen Natur besteht, ist sehr schwer zu überwinden.
Aber wer sich Mir ergibt, kann sie sehr leicht hinter sich lassen."
(Bg. 7.14)
Niemand kann sich durch gedankliche Spekulation aus der Ver-
strickung der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur lösen.
Die drei gunas haben große Macht und sind schwer zu überwinden.
40 Auf dem Weg zu Krsna

Merken wir es nicht, wie wir uns im Griff der materiellen Natur
befinden? Das Wort guna (Erscheinungsweise) bedeutet auch „Seil".
Wenn jemand von drei starken Seilen gefesselt wird, ist er zweifellos
der Freiheit beraubt. Uns fesseln an Händen und Füßen die starken
Seile der Tugend, Leidenschaft und Unwissenheit. Sollen wir des-
halb alle Hoffnung aufgeben? Nein, denn hier verspricht Sri Krsna,
daß jeder, der sich Ihm ergibt, sogleich frei wird. Wenn man auf die
eine oder andere Weise Krsna-bewußt wird, erlangt man Befreiung.
Wir alle haben eine Beziehung zu Krsna, da wir Seine Söhne
sind. Ein Sohn mag mit seinem Vater eine Auseinandersetzung ha-
ben, aber er kann die Beziehung nicht abbrechen. Wenn man ihn im
Laufe seines Lebens fragen wird, wer er sei, muß er antworten: „Ich
bin der Sohn von soundso." Diese Beziehung kann nicht abreißen.
Wir alle sind Söhne Gottes und haben eine ewige Beziehung zu Ihm,
doch wir haben sie vergessen. Krsna ist der Mächtigste, der Berühm-
teste, der Reichste, der Schönste und der Allwissende, und Er ist
voller Entsagung. Wir sind die Freunde einer solch großen Persön-
lichkeit, doch wir haben es vergessen. Wenn der Sohn eines reichen
Mannes seinen Vater vergißt, sein Zuhause verlāßt und nicht mehr
ganz bei Sinnen ist, muß er unter Umstānden auf der Straße schla-
fen oder Geld für sein tägliches Brot erbetteln; aber das alles ist nur
die Folge seines Vergessens. Wenn nun jemand kommt und ihm mit-
teilt, daß er nur deshalb leidet, weil er das Heim seines Vaters ver-
ließ, und daß sein Vater, ein reicher Mann und Eigentümer gewalti-
ger Besitztümer, seine Heimkehr ersehnt, erweist sich diese Person
als wahrer Wohltäter.
In der materiellen Welt erfahren wir ständig drei Arten von Lei-
den: Leiden, die von Körper und Geist, von anderen Lebewesen
oder von Naturkatastrophen herrühren. Im Bann der Illusion, der
drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur, wollen wir diese
Leiden nicht wahrhaben. Doch wir sollten uns immer bewußt sein,
daß wir in der materiellen Welt viele Leiden ertragen müssen. Wer
ein genügend entwickeltes Bewußtsein besitzt und intelligent ist,
fragt nach der Ursache seines Leidens. „Ich will kein Leid. Warum
leide ich dann?" Wenn diese Frage in uns auftaucht, besteht die Ge-
legenheit, Krsna-bewußt zu werden.
Sobald wir uns Krsna ergeben, heißt Er uns herzlich willkommen.
Die Narren und die Weisen 41

Es ist so, als käme ein verlorenes Kind zu seinem Vater zurück und
sagte: „Mein lieber Vater, aus einem Mißverständnis heraus verließ
ich deinen Schutz und habe gelitten. Nun kehre ich zu dir zurück."
Der Vater umarmt seinen Sohn und erwidert voller Güte: „Mein lie-
ber Junge, komm zu mir! Ich sehnte mich so nach dir all die Tage,
die du fort warst, und jetzt bin ich überglücklich, daß du zurückge-
kommen bist." In der gleichen Lage befinden wir uns: Wir müssen
uns Krsna ergeben, und das ist nicht sehr schwierig. Fāllt es dem
Sohn schwer, sich dem Vater zu fügen? Es ist ganz natürlich, und der
Vater wartet stets darauf, seinen Sohn zu empfangen. Wie könnte er
beleidigt sein und ihn zurückweisen? Wenn wir uns vor unserem
Höchsten Vater verneigen und Seine Füße berühren, ist das nicht zu
unserem Schaden; es ist auch nicht schwierig. Vielmehr ist es glor-
reich für uns. Warum sollten wir es nicht tun? Indem wir uns Krsna
ergeben, gelangen wir augenblicklich unter Seinen Schutz und wer-
den von allen Leiden befreit. Dies wird von sämtlichen Schriften be-
stätigt. Am Ende der Bhagavad-gitā sagt Sri Krsna:
sarva-dharmān parityajya
mām ekam saranam vraja
aham tvām sarva-pāpebhyo
moksayisyāmi mā sucah
„Gib alle Arten von Religion auf und ergib dich einfach Mir! Ich
werde dich von allen sündhaften Reaktionen befreien. Fürchte dich
nicht!" (Bg. 18.66)
Wenn wir uns Gott zu Füßen werfen, beschützt Er uns. Von da
an brauchen wir nichts mehr zu befürchten. Solange die Kinder
unter der Obhut der Eltern stehen, haben sie keine Angst, weil sie
wissen, daß die Eltern ihnen Schutz gewāhren. Mām eva ye prapa-
dyante: Krsna verspricht, daß diejenigen, die sich Ihm ergeben, kei-
nen Grund zur Furcht haben.
Warum gehorchen aber die Menschen Krsna nicht, wenn es so
einfach ist, sich Ihm hinzugeben? Statt dessen stellen viele sogar
die Existenz Gottes an sich in Frage und behaupten, daß Natur
und Wissenschaft alles seien und daß es keinen Gott gebe. Der so-
genannte wissenschaftliche Fortschritt der Zivilisation bedeutet nur,
daß die Menschheit immer verrückter wird. Ihre Krankheit wird
42 Auf dem Weg zu Krsna

nicht geheilt, sondern noch verschlimmert. Die Menschen kümmern


sich nicht um Gott, sondern lassen sich auf die materielle Natur ein,
deren Aufgabe es ist, uns Tritte in Form der dreifachen Leiden zu
geben. Diese Tritte versetzt sie uns ständig, vierundzwanzig Stun-
den am Tag. Doch wir haben uns so sehr daran gewöhnt, getreten
zu werden, daß wir uns damit abgefunden haben und es für nor-
mal halten. Wir sind zwar auf unsere Bildung sehr stolz, sagen aber
zur materiellen Natur: „Vielen Dank für die Tritte. Bitte, mach wei-
ter so!" So irregeführt, glauben wir sogar, daß wir die materielle Na-
tur bezwungen hātten. Aber wie soll das möglich sein? Die Natur
fügt uns immer noch die Leiden der Geburt, des Alters, der Krank-
heit und des Todes zu. Hat irgend jemand diese Probleme gelöst?
Welchen Fortschritt haben wir wirklich gemacht, was Wissen und
Zivilisation angeht? Obwohl wir uns unter den strengen Gesetzen
der materiellen Natur befinden, denken wir immer noch, wir hātten
sie uns Untertan gemacht. Das nennt man māyā.
Es mag schwierig sein, sich dem Vater unseres materiellen Kör-
pers unterzuordnen, denn sein Wissen und seine Macht sind be-
grenzt. Krsna kann man aber nicht mit einem gewöhnlichen Va-
ter vergleichen. Er ist unbegrenzt und verfügt über vollkommenes
Wissen, vollkommene Macht, vollkommenen Reichtum, vollkom-
mene Schönheit, vollkommenen Ruhm und vollkommene Entsa-
gung. Sollten wir uns nicht glücklich schātzen, daß wir zu solch ei-
nem Vater gehen und uns Seines Eigentums erfreuen können? Aber
niemand scheint sich darum zu kümmern, und jeder propagiert
heutzutage, es gebe keinen Gott. Warum suchen die Menschen nicht
nach Gott? Die Antwort gibt der nächste Vers der Bhagavad-gitā:
na mām duskrtino mūdhāh
prapadyante narādhamāh
māyayāpahrta-jnānā
āsuram bhāvam āsritāh
„Jene gottlosen Menschen, die abgestumpft und dumm sind, die die
Niedrigsten der Menschheit sind, deren Wissen der Illusion anheim-
gefallen ist und die das atheistische Wesen von Dāmonen haben, er-
geben sich Mir nicht." (Bg. 7.15)
Die Narren und die Weisen 43

Das sind die Kategorien, denen die Narren zuzuordnen sind.


Ein duskrti handelt stets gegen die Anweisungen der Schriften. Die
moderne Zivilisation hat kein anderes Ziel, als die Gebote der Schrif-
ten zu übertreten. Ein frommer Mensch hingegen zeichnet sich da-
durch aus, daß er dies nicht tut. Es muß einen Maßstab geben,
um zwischen duskrti, einem Übeltäter, und sukrti, einem tugendhaf-
ten Menschen, zu unterscheiden. Jedes zivilisierte Land besitzt reli-
giöse Schriften. Ob sie nun christlich, hinduistisch, islamisch oder
buddhistisch sind, ist nicht so wichtig. Ausschlaggebend ist, daß es
ein maßgebendes Buch gibt, eine heilige Schrift. Wer ihren Geboten
nicht folgt, gilt als Gesetzloser.
Im obigen Vers werden folgende Kategorien von duskrtis aufge-
zāhlt: müdha bezieht sich auf einen erstrangigen Dummkopf, narā-
dhama auf denjenigen, der auf einer niedrigen Stufe des menschli-
chen Daseins steht, māyayāpahrta-jnāna auf denjenigen, dessen Wis-
sen der Illusion (māyā) anheimgefallen ist, und āsuram bhāvam āsritāh
auf einen ausgesprochenen Atheisten. Obwohl es keine Nachteile
mit sich bringt, sich dem Vater zu ergeben, tun die Menschen, die
diesen Kategorien angehören, es nie. Infolgedessen werden sie un-
entwegt von den Beauftragten des Vaters bestraft. Sie müssen ge-
schlagen, mit dem Stock geprügelt und kräftig getreten werden -
sie müssen leiden. Wie ein Vater seinen ungehorsamen Sohn maß-
regeln muß, so muß auch die materielle Natur uns gewisse Strafen
auferlegen. Gleichzeitig jedoch nährt uns die Natur, indem sie uns
mit Nahrungsmitteln und den anderen Lebensnotwendigkeiten ver-
sorgt. Beides findet gleichzeitig statt, da wir die Kinder des wohl-
habendsten Vaters sind. Krsna ist gütig, auch wenn wir uns Ihm
nicht ergeben. Wir werden vom Vater bestens versorgt, aber den-
noch begeht ein duskrti unrechtmäßige Taten. Man ist dumm, wenn
man auf weitere Bestrafungen besteht, und man befindet sich auf ei-
ner niedrigen Stufe des menschlichen Daseins, wenn man die men-
schliche Lebensform nicht gebraucht, um Krsna zu verstehen. Wenn
jemand sein Leben nicht dazu benutzt, die Beziehung zu seinem
wirklichen Vater wiederzuerwecken, hat er als Mensch versagt.
Tiere essen und schlafen, verteidigen und paaren sich und ster-
ben. Sie machen keinen Gebrauch von höherem Bewußtsein, da dies
44 Auf dem Weg zu Krsna

in den niederen Lebensformen nicht möglich ist. Wenn ein Mensch


den Beschäftigungen der Tiere nachgeht und seine Fähigkeit, das
Bewußtsein zu erheben, nicht wahrnimmt, fāllt er von der Stufe
des menschlichen Daseins herab und schafft die Voraussetzung für
eine Geburt als Tier im nächsten Leben. Durch Krsnas Gnade haben
wir einen menschlichen Körper mit hochentwickelter Intelligenz be-
kommen: Warum sollte Er uns aber nochmals solch eine Möglichkeit
geben, wenn wir sie uns nicht zunutze machen? Wir müssen uns im
klaren sein, daß der menschliche Körper das Ergebnis einer Jahrmil-
lionen langen Evolution ist und daß sich uns im menschlichen Da-
sein die Gelegenheit bietet, dem Kreislauf von Geburt und Tod zu
entrinnen, der uns durch acht Millionen Lebensarten führt. Diese
Möglichkeit bekommen wir durch Krsnas Gnade. Sind wir nicht die
niedrigsten unter den Menschen, wenn wir sie nicht wahrnehmen?
Man mag zwar einen Hochschulabschluß von irgendeiner Universi-
tāt erhalten, aber dieses weltliche Wissen steht unter dem Bann der
illusionierenden Energie. Wer wirklich intelligent ist, wird seine In-
telligenz einsetzen, um zu verstehen, wer er ist, wer Gott ist, was die
materielle Natur ist, warum er in der materiellen Natur leidet und
was das Heilmittel für dieses Leid ist.
Wir können unsere Intelligenz gebrauchen, um ein Auto, ein Ra-
dio oder einen Fernseher für unsere Sinnenbefriedigung herzustel-
len, doch das hat mit Wissen nichts zu tun. Es ist vielmehr vergeu-
dete Intelligenz. Der Mensch hat die Intelligenz bekommen, um die
Probleme des Lebens zu verstehen; aber leider wird die Intelligenz
heute mißbraucht. Die Leute halten es für einen Fortschritt an Wis-
sen, wenn sie Autos herstellen und fahren können. Die Menschen
gelangten allerdings auch von einem Ort zum anderen, bevor es das
Auto gab. Nur der Komfort und die technischen Möglichkeiten ha-
ben zugenommen, doch diese bringen wiederum zusätzliche Pro-
bleme mit sich, wie etwa Luftverschmutzung und verstopfte Stra-
ßen. Das ist māyā: wir versuchen Neuerungen zu entwickeln, aber
diese schaffen ihrerseits viele neue Probleme.
Anstatt unsere Energie mit der Entwicklung unzähliger Neuerun-
gen und moderner Annehmlichkeiten zu verschwenden, sollten wir
unsere Intelligenz sinnvoll einsetzen, um zu verstehen, wer und was
Die Narren und die Weisen 45

wir sind. Wir wollen nicht leiden; daher sollten wir herausfinden,
warum uns Leid aufgezwungen wird. Mit unserem sogenannten
Wissen waren wir nur in der Herstellung von Atombomben er-
folgreich - das heißt in der Beschleunigung des Vernichtungspro-
zesses. Wir sind stolz, da wir dies für einen Fortschritt an Wissen
halten; aber wirklicher Fortschritt würde bedeuten, etwas herzustel-
len, was den Tod aufzuhalten vermag. Obwohl der Tod bereits in
der materiellen Natur existiert, wollen wir ihn noch beschleunigen,
indem wir uns eifrig bemühen, alle Menschen auf einen Schlag tö-
ten zu können. Dies nennt man māyayāpahrta-jnāna, Wissen, das der
Illusion zum Opfer gefallen ist.
Die asuras - die Dāmonen und erklärten Atheisten - fordern Gott
offen heraus. Aber wenn es unseren Höchsten Vater nicht gäbe,
würden wir das Licht der Welt nicht erblicken. Wie kommen wir
also dazu, Ihn in Frage zu stellen? In den Veden heißt es, daß
es zwei Klassen von Menschen gibt: die devas und die asuras, die
Halbgötter und die Dāmonen. Die Geweihten des Höchsten Herrn
werden devas genannt, weil sie ein göttliches Wesen haben, wohin-
gegen man diejenigen, die der Autorität des Höchsten trotzen, asuras
oder Dāmonen nennt. Diese zwei Klassen findet man immer in der
menschlichen Gesellschaft.
So wie es vier Arten gottloser Menschen gibt, die sich Krsna nie
ergeben, gibt es vier Arten vom Glück begünstigter Menschen, die
Ihn verehren; diese werden im nächsten Vers beschrieben:
catur-vidhā bhajante mām
janāh sukrtino 'rjuna
ārto jijnāsur arthārthi
jnāni ca bharatarsabha
„O Bester unter den Bhāratas [Arjuna], vier Arten frommer Men-
schen beginnen Mir in Hingabe zu dienen - der Notleidende, der-
jenige, der Reichtum begehrt, der Neugierige und derjenige, der
nach Wissen vom Absoluten strebt." (Bg. 7.16)
Die materielle Welt ist voller Elend, und Fromme wie Gottlose
sind ihm gleichermaßen ausgesetzt. Die Kālte des Winters behandelt
jeden gleich und kümmert sich nicht darum, ob einer fromm oder
46 Auf dem Weg zu Krsna

gottlos, reich oder arm ist. Der Unterschied zwischen dem Frommen
und dem Gottlosen besteht jedoch darin, daß der Fromme an Gott
denkt, wenn er in Not gerāt. Häufig kommt es vor, daß ein Mensch,
der leidet, in die Kirche geht und betet: „O mein Herr, ich bin in Not.
Bitte, hilf mir!" Obwohl ein solcher Mensch um materielle Hilfe bit-
tet, ist er immer noch als fromm anzusehen, weil er sich in seiner
Not an Gott gewandt hat. Dasselbe gilt für einen Armen, der in die
Kirche geht und betet: „Mein lieber Herr, bitte gib mir Geld!" Die
Neugierigen sind für gewöhnlich intelligent und wollen den Dingen
auf den Grund gehen. „Was ist Gott?" fragen sie und betreiben
dann wissenschaftliche Forschungen, um es herauszufinden. Auch
sie gelten als fromm, da ihre Nachforschungen das richtige Ziel ver-
folgen. Der Mensch, der nach Wissen strebt, wird jnāni genannt: je-
mand, der seine wesensgemäße Stellung erkannt hat. Ein jnāni mag
eine unpersönliche Vorstellung von Gott haben; aber weil er beim
Höchsten, der Absoluten Wahrheit, Zuflucht sucht, ist auch er als
fromm anzusehen. Diese vier Arten von Menschen bezeichnet man
als sukrtl oder fromm, weil sie sich alle Gott zuwenden.
tesām jnāni nitya-yukta
eka-bhaktir visisyate
priyo hi jnānino 'tyartham
aham sa ca mama priyah
„Von diesen ist derjenige, der im vollen Wissen verankert ist und
sich immer im reinen hingebungsvollen Dienst beschäftigt, der be-
ste. Denn Ich bin ihm sehr lieb, und er ist Mir lieb." (Bg. 7.17)
Wer versucht, auf philosophische Weise das Wesen Gottes zu er-
gründen, und sich bemüht, Krsna-bewußt zu werden (visisyate), ist
von den vier Arten von Menschen, die sich Gott nāhern, am weite-
sten fortgeschritten. Krsna betont, daß ein solcher Mensch Ihm sehr
lieb ist, weil er kein anderes Anliegen hat, als Gott zu verstehen.
Diejenigen, die zu den anderen drei Arten gehören, sind niedriger
einzustufen. Niemand braucht zu Gott zu beten, um Ihn um etwas
zu bitten. Wer das macht, ist töricht, denn er weiß nicht, daß der all-
wissende Gott in seinem Herzen weilt und Sich sehr wohl bewußt
ist, wann er leidet oder Geld braucht. Der Weise erkennt dies und
Die Narren und die Weisen 47

betet nicht um Linderung materieller Leiden. Vielmehr betet er, um


Gott zu verherrlichen und anderen zu bezeugen, wie groß Gott ist;
er betet nicht für seine eigenen Anliegen, für Brot, Kleidung und Un-
terkunft. Wenn der reine Gottgeweihte leidet, sagt er: „Lieber Herr,
dies ist Deine Güte. Du hast mich nur ins Leid gestürzt, um mich zu
berichtigen. Ich sollte in weit größeres Leid gestürzt werden, doch
in Deiner Barmherzigkeit hast Du mein Leiden auf ein Mindestmaß
verringert." Das ist die Sichtweise eines reinen Gottgeweihten, der
sich durch nichts beirren lāßt.
Wer sich im Krsna-Bewußtsein befindet, kümmert sich weder um
weltliches Leid noch um Schmach oder Ruhm, weil er über all die-
sem steht. Er weiß genau, daß Kummer, Ehre und Schmach sich
nur auf den Körper beziehen, daß er aber nicht der Körper ist. So-
krates zum Beispiel, der an die Unsterblichkeit der Seele glaubte,
wurde zum Tode verurteilt, und auf die Frage, wie er beerdigt wer-
den wolle, erwiderte er: „Erst einmal müßt ihr mich zu fassen krie-
gen." Wer also weiß, daß er nicht der Körper ist, verliert nie seine
innere Ruhe, denn ihm ist klar, daß die Seele nicht gefangen, gefol-
tert, getötet oder begraben werden kann. Wer mit der Wissenschaft
von Krsna vertraut ist, ist sich vollkommen bewußt, daß er nicht der
Körper ist, sondern ein Bestandteil Krsnas, daß seine einzig wirk-
liche Beziehung die mit Krsna ist und daß er sich irgendwie von den
drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur fernhalten muß, ob-
wohl er sich in einem materiellen Körper befindet. Ihm geht es nicht
um die Erscheinungsweisen der Tugend, Leidenschaft oder Unwis-
senheit, sondern um Krsna. Wer das versteht, ist ein jnāni, ein wei-
ser Mensch, und er ist Krsna sehr lieb. Ein Notleidender kann Gott
wieder vergessen, sobald er zu Wohlstand gelangt; aber ein jnāni,
der die wirkliche Stellung Gottes kennt, wird Ihn niemals vergessen.
Es gibt eine Gruppe von jnānis, die Unpersönlichkeitsanhänger,
die behaupten, daß man sich eine Form Gottes ausdenken müsse,
da es zu schwierig sei, das Unpersönliche zu verehren. Sie sind
nicht wirkliche jnānis, sondern Narren. Niemand kann sich eine
Form Gottes ausdenken, da Gott unermeßlich groß ist. Man kann
sich vielleicht irgendeine Form einbilden, aber das ist bloße Speku-
lation und hat nichts mit der wirklichen Gestalt Gottes zu tun. Die
48 Auf dem Weg zu Krsna

einen denken sich irgendeine Form Gottes aus, und die anderen
verneinen sie. Diejenigen, die sich eine Form ausdenken, werden
manchmal zu Bilderstürmern. Wāhrend der Auseinandersetzungen
zwischen Hindus und Moslems in Indien brachen einige Hindus in
die Moscheen ein und zerstörten die Heiligtümer; die Moslems ver-
galten Gleiches mit Gleichem. Und so glaubten sie: „Wir haben den
Hindu-Gott getötet", wāhrend die Hindus glaubten: „Wir haben
den Moslem-Gott getötet." Zur Zeit von Gandhis Widerstandsbewe-
gung gingen viele Inder auf die Straße, demolierten die Briefkāsten
und dachten, sie würden den Postdienst der Regierung lahmlegen.
Leute mit einer solchen Mentalität sind keine jnānis. Die Religions-
kriege zwischen Hindus und Moslems, Christen und Nicht-Christen
wurden alle auf der Grundlage von Unwissenheit geführt. Wer Wis-
sen besitzt, weiß, daß Gott einer ist: Er ist nicht Moslem, Hindu oder
Christ.
In unserer Vorstellung schaffen wir uns verschiedenste Bilder von
Gott, aber das sind alles nur Einbildungen. Der Weise versteht die
transzendentale Natur Gottes. Jemand, der weiß, daß Gott von den
materiellen Erscheinungsweisen nie berührt wird, kennt Gott wahr-
haftig. Gott ist immer bei uns - in unserem Herzen. Auch wenn wir
den Körper verlassen, begleitet uns Gott; und wenn wir einen ande-
ren Körper annehmen, folgt Er uns dorthin, um zu sehen, was wir
tun. Wann werden wir uns Ihm zuwenden? Er wartet immerfort.
Sobald wir uns Gott zuwenden, sagt Er: „Mein lieber Sohn, komm!
Sa ca mama priyah - du bist Mir ewig lieb. Nun wendest du dein An-
gesicht Mir wieder zu, und Ich bin sehr froh."
Der Weise, der jnāni, versteht die Wissenschaft von Gott in Wahr-
heit. Wer nur zur Einsicht gelangt: „Gott ist gut", befindet sich auf
einer Vorstufe; weiter fortgeschritten ist, wer wirklich erkennt, wie
groß und gut Gott ist. Dieses Wissen ist im Srimad-Bhāgavatam und
in der Bhagavad-gitā zu finden. Wer tatsāchlich an Gott interessiert
ist, sollte die Wissenschaft von Gott, die Bhagavad-gitā, studieren.

idam tu te guhyatamam
pravaksyāmy anasūyave
jnānam vijnāna-sahitam
yaj jnātvā moksyase 'subhāt
Die Narren und die Weisen 49

„Die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach: Mein lieber Arjuna, weil


du Mich niemals beneidest, werde Ich dir dieses vertraulichste Wis-
sen und dessen Verwirklichung offenbaren. Wenn du es verstehst,
wirst du von den Leiden des materiellen Daseins befreit." (Bg. 9.1)
Das Wissen über Gott, das in der Bhagavad-gitā vermittelt wird, ist
sehr subtil und vertraulich. Es ist voller jnāna, metaphysischer Weis-
heit, und vijnāna, wissenschaftlicher Einsicht; und es ist ebenso vol-
ler Geheimnisse. Damit wir dieses Wissen verstehen können, muß es
von Gott persönlich oder von Seinem echten Stellvertreter vermittelt
werden. Daher sagt Sri Krsna, daß Er Sich immer dann inkarniert,
wenn die Wissenschaft von Gott falsch verstanden wird.
Wissen ist keine Gefühlssache. Hingabe ist eine Wissenschaft, sie
ist nicht sentimental. Srila Rūpa Gosvāmi sagt: „Eine Zurschaustel-
lung von Spiritualität ohne Berücksichtigung des vedischen Wis-
sens ist für die Gesellschaft lediglich eine Störung." Den Nektar
der Hingabe muß man mit Vernunft, Wissen und Beweisen kosten
und ihn dann an andere weitergeben. Man sollte nicht glauben, daß
Krsna-Bewußtsein sentimentale Schwärmerei sei. Das Singen und
Tanzen ist völlig wissenschaftlich. Im Krsna-Bewußtsein verbinden
sich Wissenschaft und liebevoller Austausch. Krsna ist dem Weisen
sehr lieb, und der Weise ist Krsna sehr lieb. Krsna wird unsere Liebe
tausendfach erwidern. Welches Vermögen haben wir begrenzte Ge-
schöpfe, Krsna zu lieben? Krsnas Liebe jedoch ist unfaßbar und un-
begrenzt.
5. KAPITEL

Die Kraft des


Wunsches
udārāh sarva evaite
jnāni tv ātmaiva me matam
āsthitah sa hi yuktātmā
mam evānuttamām gatim
„All diese Geweihten sind zweifellos edle Seelen, doch derjenige,
der im Wissen über Mich verankert ist, ist Mir so lieb wie Mein
eigenes Selbst. Weil er in Meinem transzendentalen Dienst tätig ist,
ist es ihm sicher, daß er Mich, das höchste und vollkommenste Ziel,
erreicht." (Bg. 7.18)
Hier sagt Krsna, daß alle Menschen, die zu Ihm kommen, ob aus
Leid, Geldnot oder Neugierde, Ihm willkommen sind; aber von ih-
nen ist Ihm der Weise am liebsten. Die anderen sind Ihm willkom-
men, weil sie im Laufe der Zeit, wenn sie auf dem Pfad zu Gott
fortschreiten, auf dieselbe Stufe wie der Weise gelangen können. Im
allgemeinen jedoch kommt es anders: Wenn jemand des Geldes we-
gen in die Kirche geht und der erhoffte Profit ausbleibt, zieht er den
Schluß, daß es unsinnig sei, sich an Gott zu wenden, und bricht
die Verbindung mit der Kirche ab. Nähert man sich Gott mit Hin-
tergedanken, so besteht diese Gefahr. Berichten zufolge gingen bei-
spielsweise wāhrend des Zweiten Weltkriegs viele Frauen deutscher
Soldaten in die Kirche und beteten um die sichere Heimkehr ihrer
Ehemänner; als sie jedoch erfuhren, daß diese im Kampf gefallen
waren, wurden sie zu Atheisten. Auf diese Weise möchten wir Gott
zu unserem Befehlsempfänger machen; und wenn Er unsere Befehle
nicht ausführt, behaupten wir, es gebe Ihn nicht. Das ist die Folge
von Gebeten mit materiellen Motiven.

50
Die Kraft des Wunsches 51

In diesem Zusammenhang gibt es die Geschichte eines fünfjähri-


gen Jungen namens Dhruva, der ein Königssohn war. Im Laufe der
Zeit wurde sein Vater, der König, seiner Mutter überdrüssig und
setzte sie als Königin ab. Hierauf heiratete er eine andere Frau und
machte sie zur Königin. So bekam Dhruva eine Stiefmutter. Doch
diese war sehr neidisch auf ihn; und eines Tages, als Dhruva auf
dem Schoß seines Vaters saß, schmähte sie ihn: „Du darfst nicht
auf dem Schoße deines Vaters sitzen, weil du nicht von mir geboren
wurdest." Als sie Dhruva vom Schoß seines Vaters zerrte, wurde der
Junge sehr zornig. Er war der Sohn eines ksatriya, und ksatriyas sind
bekannt für ihr aufbrausendes Wesen. Dhruva faßte das Verhalten
der Stiefmutter als eine große Demütigung auf und ging zu seiner
Mutter, die abgesetzt worden war.
„Liebe Mutter", sagte er, „meine Stiefmutter hat mich beleidigt!
Sie hat mich vom Schoß meines Vaters heruntergezogen." „Lieber
Sohn", erwiderte die Mutter, „was kann ich tun? Ich bin hilflos -
dein Vater kümmert sich nicht mehr um mich." „Wie kann ich jetzt
Rache üben?" fragte der Knabe. „Mein lieber Junge, alleine bist
du hilflos. Nur wenn dir Gott hilft, kannst du dich rächen." „Wo
ist denn Gott?" fragte Dhruva begeistert. „Ich weiß nur, daß viele
Weise, die Gott sehen wollen, in den Dschungel und in die Wāl-
der gehen", antwortete seine Mutter. „Sie unterziehen sich schweren
Entsagungen und Bußen, um Gott dort zu finden."
Auf der Stelle ging Dhruva in den Wald und wollte von den Ti-
gern und Elefanten wissen: „Bist du Gott? Bist du etwa Gott?" So be-
fragte er alle Tiere. Da Sri Krsna Dhruvas Wißbegierde sah, schickte
Er Nārada Muni, damit er der Sache nachgehe. Nārada begab sich
rasch in den Wald und fand dort Dhruva.
„Mein lieber Junge", sagte Nārada, „du gehörst einer Königsfami-
lie an. Du bist nicht imstande, all diese Entsagungen und Bußen zu
erdulden. Bitte, kehre nach Hause zurück! Deine Mutter und dein
Vater sehnen sich sehr nach dir." „Bitte versuche mich nicht auf
diese Weise von meinem Ziel abzubringen", erwiderte der Knabe.
„Wenn du etwas über Gott weißt oder mir verraten kannst, wie ich
Gott finden kann, sage es mir bitte. Andernfalls gehe fort und störe
mich nicht!"
Als Nārada sah, wie entschlossen Dhruva war, weihte er ihn als
52 Auf dem Weg zu Krsna

Schüler ein und gab ihm den mantra: om namo bhagavate vāsudevā-
ya. Als Dhruva diesen mantra chantete, erreichte er die Vollkommen-
heit, und Gott erschien vor ihm: „Mein lieber Dhruva, was wünschst
du? Du kannst von Mir haben, was immer du möchtest." „Mein
lieber Herr", erwiderte der Junge, „ich nahm schwere Entsagungen
auf mich, nur um das Königreich und das Land meines Vaters zu
erlangen, doch jetzt darf ich Dich sehen! Wie habe ich das verdient?
Selbst den großen Weisen und Heiligen ist es nicht möglich, Dich zu
sehen. Ich habe mein Heim verlassen, um lediglich nach Glasscher-
ben und Abfall zu suchen; statt dessen aber fand ich den kostbar-
sten Diamanten. Nun bin ich zufrieden und brauche Dich um nichts
mehr zu bitten."
Wer sich also aus Armut oder Leid mit der gleichen Unerschütter-
lichkeit wie Dhruva Gott zuwendet und fest entschlossen ist, Gott
zu sehen und Seine Segnungen zu empfangen, wird nichts Mate-
rielles mehr begehren, sobald er tatsāchlich Gott von Angesicht zu
Angesicht erblickt. Er erkennt die Torheit materiellen Besitzstrebens
und wendet sich von der Illusion ab und der Wirklichkeit zu. Wenn
man wie Dhruva Mahārāja im Krsna-Bewußtsein verankert ist, wird
man völlig zufrieden und begehrt nichts mehr.
Der jnāni, der Weise, hat erkannt, daß materielle Dinge von unbe-
ständigem Wesen sind. Er weiß, daß materielles Gewinnstreben aus
drei Gründen problematisch ist: Man will Profit aus seiner Arbeit
ziehen und für seinen Reichtum Bewunderung und Ruhm ernten.
Der Weise ist sich immer darüber im klaren, daß all dies sich nur auf
den Körper bezieht und vergeht, wenn der Körper vergeht. Wenn
der Körper stirbt, ist man nicht mehr ein reicher Mann, sondern eine
spirituelle Seele, und man muß seiner Handlungsweise gemäß in
einen anderen Körper eingehen. Die Gitā sagt, daß ein besonnener
Mensch dadurch nicht verwirrt wird, denn er sieht alles im richtigen
Licht. Warum sollte er sich dann um materiellen Wohlstand bemü-
hen? Seine Einstellung lautet: „Ich habe eine ewige Verbindung mit
Krsna, dem Höchsten Herrn. Nun will ich diese Beziehung so sehr
vertiefen, daß Krsna mich zurück in Sein Königreich holt."
Die Schöpfung bietet uns alles, was erforderlich ist, um unsere Be-
ziehung zu Krsna wiederzuerwecken und zu Ihm zurückzukehren.
Die Kraft des Wunsches 53

Das sollte unsere Lebensaufgabe sein. Gott sorgt für alles, was wir
brauchen: Land, Getreide, Früchte, Milch, Unterkunft und Kleidung.
Wir müssen nur ein friedfertiges Leben führen und Krsna-Bewußt-
sein kultivieren. Das sollten wir zum Ziel unseres Lebens machen.
Gott gewāhrt uns Nahrung, Unterkunft, Schutz und Geschlechts-
leben. Wir sollten damit zufrieden sein und nicht immer mehr be-
gehren. Die beste Zivilisation ist die, die der Maxime folgt: „Einfach
leben und erhaben denken." Es ist nicht möglich, Essen oder Ge-
schlechtsverkehr in einer Fabrik herzustellen. Das und alles, was wir
sonst noch brauchen, wird von Gott zur Verfügung gestellt. Unsere
Aufgabe ist es, diese Dinge zu nutzen und gottesbewußt zu werden.
Obwohl Gott uns alle Möglichkeiten gab, in Frieden auf Erden
zu leben, Krsna-Bewußtsein zu kultivieren und schließlich zu Ihm
zurückzukehren, sind wir im gegenwärtigen Zeitalter unglückselig.
Die Lebenszeit der Menschen ist kurz, und unzählige Menschen
haben nichts zu essen, kein Obdach und kein Eheleben oder kön-
nen sich nicht gegen die Unbilden der Natur verteidigen. Das ist
auf den Einfluß des Kali-Zeitalters zurückzuführen. Angesichts der
furchtbaren Situation in diesem Zeitalter betonte Sri Caitanya Mahā-
prabhu die absolute Notwendigkeit, ein spirituelles Leben zu füh-
ren. Und wie können wir das tun? Sri Caitanya Mahāprabhu gibt
uns die Formel:
harer nāma harer nāma
harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva
nāsty eva gatir anyathā
„Chante immer Hare Krsna!" Ob du in einer Fabrik oder in der
Hölle bist, in einer Hütte oder einem Wolkenkratzer - das spielt
keine Rolle. Chante immer: Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna,
Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Es
kostet nichts; kein Glaube, keine Kaste, keine Hautfarbe stellen ein
Hindernis dar: jeder kann es tun. Chante nur und höre!
Wer auf die eine oder andere Weise mit dem Krsna-Bewußtsein
in Berührung kommt und diesem Vorgang unter der Führung eines
echten Lehrers folgt, wird mit Gewißheit zu Gott zurückkehren.
54 Auf dem Weg zu Krsna

bahūnām janmanām ante


jnānavān mām prapadyate
vāsudevah sarvam iti
sa mahātmā su-durlabhah

„Wer nach vielen Geburten und Toden tatsächlich im Wissen ver-


ankert ist, ergibt sich Mir, da er weiß, daß Ich die Ursache aller Ur-
sachen und daß Ich alles bin. Solch eine große Seele ist sehr selten."
(Bg. 7.19)
Der Versuch, die Wissenschaft von Gott durch philosophische
Nachforschungen zu erkennen, zieht sich über viele Geburten hin-
weg. Gotteserkenntnis ist sehr einfach und gleichzeitig sehr schwie-
rig. Menschen, die Krsnas Wort als Wahrheit akzeptieren, haben es
einfach; aber wer durch Forschung und Wissenserwerb zur Erkennt-
nis gelangen möchte, ist nach Beendigung seiner langwierigen For-
schungsarbeit gezwungen, sich seinen eigenen Glauben zu schaffen.
Dieser Vorgang dauert viele Geburten. Es gibt verschiedene Arten
von Transzendentalisten (tattvavit), die die Absolute Wahrheit ken-
nen. Als die Absolute Wahrheit bezeichnen die Transzendentalisten
das, was frei von Dualität ist. In der Absoluten Wahrheit gibt es
keine Dualität, alles befindet sich auf der gleichen Ebene. Wer das
wahrhaft versteht, wird tattvavit genannt.
Krsna erklärt, daß die Absolute Wahrheit in drei Aspekten er-
kannt wird: Brahman (die unpersönliche Brahman-Ausstrahlung),
Paramātmā (die lokalisierte Überseele) und Bhagavān, die Höch-
ste Persönlichkeit Gottes. Somit gibt es drei Blickwinkel, aus de-
nen man die Absolute Wahrheit betrachten kann. Wenn man einen
Berg aus einer großen Entfernung betrachtet, nimmt man ihn aus
einem bestimmten Blickwinkel wahr; wenn man näherkommt, er-
kennt man die Bäume des Berges und ihr Laubwerk, und wenn
man auf den Berg steigt, findet man eine große Vielfalt von Bäu-
men, Pflanzen und Tieren vor. Obgleich das Ziel dasselbe ist, haben
die Weisen aufgrund verschiedener Blickwinkel auch verschiedene
Vorstellungen von der Absoluten Wahrheit. Ein weiteres Beispiel ist
das der Sonnenstrahlen, der Sonne und des Sonnengottes. Wer sich
in den Sonnenstrahlen befindet, kann nicht behaupten, er sei bereits
auf der Sonne. Doch in der besten Position, die Sonne zu kennen,
Die Kraft des Wunsches 55

ist derjenige, der sich direkt in der Sonne befindet. Die Sonnenstrah-
len kann man mit der alldurchdringenden brahmajyoti;-Ausstrahlung
vergleichen, die örtlich manifestierte Sonne mit der lokalisierten
Überseele und den Sonnengott, der in der Sonne residiert, mit der
Persönlichkeit Gottes. So wie wir auf der Erde eine große Vielfalt
von Lebewesen vorfinden, gibt es in der Sonne, wie aus den vedi-
schen Schriften hervorgeht, ebenfalls eine Vielzahl von Lebewesen;
ihre Körper sind allerdings aus Feuer gemacht, so wie die unsrigen
aus Erde.
In der materiellen Natur unterscheidet man fünf grobstoffliche
Elemente: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Auf verschiedenen
Planeten findet man unterschiedliche Atmosphären vor, da jeweils
eines dieser fünf Elemente vorherrscht. Die Lebewesen auf ver-
schiedenen Planeten besitzen Körper, die jeweils aus dem dort vor-
herrschenden Element bestehen. Wir sollten nicht denken, daß alle
Planeten dieselben Lebensbedingungen aufweisen; sie gleichen sich
jedoch darin, daß sie in der einen oder anderen Form aus diesen
fünf Elementen bestehen. Auf einigen Planeten überwiegt Erde, auf
anderen Feuer, Wasser, Luft oder Raum. Aus diesem Grund soll-
ten wir nicht glauben, daß es auf einem Planeten kein Leben gebe,
nur weil er nicht vorwiegend aus Erde besteht oder seine Atmo-
sphäre nicht der auf unserem Planeten entspricht. Aus den vedi-
schen Schriften erfahren wir, daß es unzählige Planeten gibt, die von
Lebewesen verschiedener Körperformen bewohnt werden. So wie
wir uns durch materielle Bemühungen qualifizieren können, zu ver-
schiedenen materiellen Planeten zu gelangen, können wir aufgrund
von Qualifikation den spirituellen Planeten erreichen, auf dem der
Höchste Herr residiert.
yānti deva-vratā devān
pitrn yānti pitr-vratāh
bhütāni yānti bhūtejyā
yānti mad-yājino 'pi mām
„Wer die Halbgötter verehrt, wird unter den Halbgöttern geboren;
wer die Vorfahren verehrt, geht zu den Vorfahren; wer die Geister
und Gespenster verehrt, wird unter solchen Wesen geboren, und
wer Mich verehrt, wird mit Mir leben." (Bg. 9.25)
56 Auf dem Weg zu Krsna

Wer versucht, auf die höheren Planeten zu gelangen, kann sie


erreichen, und wer versucht, auf Goloka Vrndāvana, den Planeten
Krsnas, zu gelangen, kann auch ihn erreichen, und zwar durch den
Vorgang des Krsna-Bewußtseins. Bevor wir ein Land, zum Beispiel
Indien, besuchen, erkundigen wir uns darüber, denn wenn wir die
Beschreibung eines Ortes hören, stellt das unsere erste Erfahrung
dar. Wenn wir also etwas über den höchsten Planeten, auf dem Gott
lebt, erfahren wollen, müssen wir hören. Es ist nicht möglich, ein-
fach ein Experiment zu machen und dorthin zu gehen. Die vedische
Literatur aber bietet uns viele Beschreibungen des höchsten Plane-
ten. In der Brahma-samhitā heißt es beispielsweise:

cintāmani-prakara-sadmasu kalpa-vrksa-
laksāvrtesu surabhir abhipālayantam
laksmi-sahasra-sata-sambhrama-sevyamānam
govindam ādi-purusam tarn aham bhajāmi

„Ich verehre Govinda, den ursprünglichen Herrn und ersten Schöp-


fer, der in einem Reich, das aus spirituellen Edelsteinen besteht,
umgeben von Millionen von Wunschbäumen, Kühe hütet, die alle
Wünsche erfüllen. Ihm dienen mit großer Liebe und Ehrerbietung
Hunderttausende von laksmis und gopis."
Es gibt noch viele andere detaillierte Beschreibungen, insbeson-
dere in der Brahma-samhitā.
Die Transzendentalisten werden nach dem Aspekt der Absoluten
Wahrheit eingestuft, auf den sie sich konzentrieren. Die Unpersön-
lichkeitsanhänger, die ihre Gedanken auf das Brahman richten, wer-
den brahmavādis genannt. Jemand, der die Absolute Wahrheit zu er-
kennen sucht, verwirklicht im allgemeinen zuerst das brahmajyoti.
Diejenigen, die über den Paramātmā (Überseele), die im Herzen
lokalisierte Form des Herrn, meditieren, werden paramātmāvādis ge-
nannt. Der Höchste Herr weilt durch Seine vollständige Erweite-
rung im Herzen eines jeden, und Seine Gestalt kann durch Me-
ditation und Konzentration wahrgenommen werden. Er befindet
Sich nicht nur im Herzen aller Lebewesen, sondern auch in jedem
Atom der Schöpfung. Diese Paramātmā-Erkenntnis ist die zweite
Stufe. Die dritte und höchste Stufe ist die Erkenntnis Bhagavāns,
Die Kraft des Wunsches 57

der Höchsten Persönlichkeit Gottes. Weil es drei Hauptstufen der


Erkenntnis gibt, gelangt man nicht innerhalb eines einzigen Lebens
zur Höchsten Absoluten Wahrheit. Bahünām janmanām ante. Wenn
man allerdings vom Glück begünstigt ist, kann man das höchste Ziel
in einer Sekunde erreichen. Doch für gewöhnlich braucht man viele,
viele Jahre und viele, viele Geburten, um Gott zu erkennen.

aham sarvasya prabhavo


mattah sarvam pravartate
iti matvā bhajante mām
budhā bhāva-samanvitāh

„Ich bin der Ursprung aller spirituellen und materiellen Welten. Al-
les geht von Mir aus. Die Weisen, die dies vollkommen verstanden
haben, beschäftigen sich in Meinem hingebungsvollen Dienst und
verehren Mich von ganzem Herzen." (Bg. 10.8)
Auch das Vedānta-sütra bestätigt, daß die Absolute Wahrheit der-
jenige ist, von dem alles kommt. Wenn wir davon überzeugt sind,
daß Krsna die Quelle von allem ist, und Ihn verehren, überwinden
wir unser weltliches Dasein innerhalb einer Sekunde. Wer jedoch
keinen Glauben hat und sagt: „Ich will aber mit eigenen Augen se-
hen, wer Gott ist", muß von Stufe zu Stufe gehen, indem er erst die
unpersönliche Brahman-Ausstrahlung verwirklicht und dann den
Paramātmā, den lokalisierten Aspekt, bis er schließlich auf die höch-
ste Stufe gelangt, wo er die Höchste Persönlichkeit Gottes erkennt.
Man sollte sich aber bewußt sein, daß dieser Weg zeitraubender ist.
Wenn man nach vielen Jahren des Forschens die Absolute Wahrheit
erkennt, kommt man zu dem Schluß: vāsudevah sarvam iti. „Vāsu-
deva ist alles, was es gibt." Vāsudeva ist ein Name Krsnas, der be-
deutet: derjenige, der überall lebt. Angesichts der Erkenntnis, daß
Vāsudeva die Wurzel von allem ist, ergibt man sich Ihm (mām pra-
padyate). Diese Hingabe ist das endgültige Ziel; entweder gibt man
sich sogleich hin oder erst nach vielen Leben der philosophischen
Bemühung. In beiden Fällen muß man sich ergeben und erkennen:
„Gott ist groß, und ich bin Ihm untergeordnet."
Da der Weise dies versteht, ergibt er sich augenblicklich und
wartet nicht erst darauf, unzählige Male wiedergeboren zu werden.
58 Auf dem Weg zu Krsna

Ihm ist bewußt, daß der Höchste Herr dieses Wissen aus Seiner
grenzenlosen Barmherzigkeit mit den bedingten Seelen offenbart.
Wir alle sind bedingte Seelen, die die dreifachen Leiden der mate-
riellen Welt zu erdulden haben. Jetzt bietet uns der Höchste Herr die
Gelegenheit, diesen Leiden durch den Vorgang der Hingabe zu ent-
fliehen.
Wenn der Herr, die Höchste Persönlichkeit, das endgültige Ziel
ist und man sich Ihm ergeben muß, stellt sich die Frage, warum es
auf der Welt so viele verschiedene Arten der Verehrung gibt. Diese
Frage wird im nächsten Vers beantwortet:
kāmais tais tair hrta-jnānāh
prapadyante 'nya-devatāh
tam tam niyamam āsthāya
prakrtyā niyatāh svayā
„Diejenigen, deren Intelligenz von materiellen Wünschen gestohlen
ist, ergeben sich Halbgöttern und folgen, jeder seiner eigenen Natur
entsprechend, bestimmten Regeln und Vorschriften der Verehrung."
(Bg. 7.20)
Es gibt auf der Welt viele verschiedene Arten von Menschen, die
alle unter dem Einfluß verschiedener Erscheinungsweisen der mate-
riellen Natur handeln. Im allgemeinen streben die Menschen nicht
nach Befreiung. Wenn sie sich für Spiritualität interessieren, dann
nur, weil sie sich aus geistigen Kräften irgendwelche Gewinne er-
hoffen. In Indien ist es nichts Ungewöhnliches, daß jemand zu ei-
nem svāmi geht und ihn bittet: „Svāmlji, könntest du mir nicht etwas
Medizin geben? Ich bin krank." Er denkt, weil der Arzt zu teuer ist,
wende er sich besser an einen svāmi, der Wunder wirken kann. In
Indien besuchen manche svāmis auch die Hāuser der Leute und pre-
digen: „Wenn du mir eine Unze Gold gibst, mache ich dir daraus
einhundert Unzen Gold." Und die Leute denken dann: „Ich habe
fünf Unzen Gold; ich werde sie ihm geben und fünfhundert Unzen
dafür bekommen." Mit diesem Trick sammelt der svāmi alles Gold
im Dorf ein und verschwindet. Das ist unsere Krankheit: Wenn wir
zu einem svāmi, in einen Tempel oder in eine Kirche gehen, ist unser
Herz voller materieller Wünsche. Wir wollen aus dem spirituellen
Die Kraft des Wunsches 59

Leben materiellen Gewinn ziehen, und deswegen praktizieren wir


yoga, um uns bei guter Gesundheit zu halten. Gesund werden kön-
nen wir jedoch auch durch regelmäßige Übungen und eine geregelte
Diät. Warum aber praktizieren wir dennoch yoga? Der Grund ist: kā-
mais tais tair hrta-jnānāh. Wir haben den materiellen Wunsch, uns fit
zu halten, um das Leben zu genießen. Deshalb gehen wir in die Kir-
che und machen Gott zu unserem Befehlsempfänger.
Aus materiellen Motiven verehren die Menschen vielerlei Halb-
götter. Sie haben keine Ahnung, wie sie sich vom Materiellen be-
freien können, und sie wollen aus der materiellen Welt den größt-
möglichen Nutzen ziehen. In den vedischen Schriften finden wir
viele Empfehlungen: Wenn man zum Beispiel eine Krankheit hei-
len möchte, verehrt man die Sonne; wenn ein Mādchen einen gu-
ten Ehemann wünscht, verehrt es Siva; wenn man nach Gelehrtheit
strebt, verehrt man die Göttin Sarasvati, und wenn man schön wer-
den möchte, verehrt man wieder einen anderen Halbgott. Oft ge-
winnen daher die Menschen in der westlichen Welt den Eindruck,
die Hindus seien polytheistisch. Aber eigentlich gilt diese Anbetung
nicht Gott, sondern den Halbgöttern. Wir sollten nicht glauben, daß
die Halbgötter Gott seien. Es gibt nur einen Gott, doch es gibt
viele Halbgötter, die Lebewesen sind wie wir. Die Halbgötter unter-
scheiden sich freilich von uns durch ihre beträchtliche Macht. Kö-
nige, Präsidenten und Diktatoren sind Menschen wie wir, aber sie
sind außerordentlich mächtig. Um ihre Gunst zu erlangen und uns
ihre Macht zunutze zu machen, verehren wir sie auf die eine oder
andere Weise. Die Bhagavad-gitā allerdings verurteilt die Verehrung
der Halbgötter. Der oben zitierte Vers stellt klar, daß Menschen aus
kāma oder weltlicher Lust die Halbgötter anbeten.
Das materielle Leben basiert nur auf Lust: Wir wollen die mate-
rielle Welt genießen, und wir lieben sie, weil wir unsere Sinne be-
friedigen möchten. Diese Lust ist eine verzerrte Widerspiegelung
unserer Liebe zu Gott. Unserem ursprünglichen Wesen nach sind
wir dazu geschaffen, Gott zu lieben; da wir aber Gott vergessen ha-
ben, lieben wir Materie. Wir richten unsere Liebe entweder auf Ma-
terie oder auf Gott. Diese Neigung zu lieben können wir niemals
aufgeben. Wir sehen oft, daß jemand, der keine Kinder hat, eine
60 Auf dem Weg zu Krsna

Katze oder einen Hund liebt. Warum? - Weil jeder etwas lieben will
und muß. Deshalb schenken die Menschen unter dem Einfluß der
Illusion Katzen und Hunden ihr Vertrauen und ihre Liebe. Die Liebe
gibt es immer, sie wird aber in der materiellen Welt zur Lust ver-
zerrt. Wenn diese Lust unbefriedigt bleibt, werden wir zornig; wenn
wir zornig werden, verfallen wir der Illusion, und wenn wir der Il-
lusion verfallen sind, sind wir verloren. Diesen Ablauf müssen wir
umkehren und Lust zu Liebe wandeln. Lieben wir Gott, so lieben
wir alles. Lieben wir Gott hingegen nicht, können wir nichts lieben.
Wir mögen es für Liebe halten, aber es ist lediglich eine idealisierte
Form von Lust. Diejenigen, die zu Hunden der Lust geworden sind,
haben - so heißt es - allen Verstand verloren: kāmais tais tair hrta-
jnānāh.
In den Schriften finden sich viele Regeln und Vorschriften für die
Verehrung der Halbgötter. Warum aber empfiehlt die vedische Lite-
ratur diese Art von Verehrung? - Weil die Notwendigkeit dazu be-
steht. Auch durch Lust motivierte Menschen suchen nach der Mög-
lichkeit, etwas zu lieben. Da die Halbgötter als die Bevollmächtigten
des Höchsten Herrn anerkannt sind, kann man durch ihre Ver-
ehrung allmählich auch sein Krsna-Bewußtsein entwickeln. Darin
besteht der Sinn der Halbgottverehrung. Aber welche Hoffnung be-
steht für jemanden, der durch und durch atheistisch ist und unge-
horsam und rebellisch gegenüber jedweder Autorität? Mit anderen
Worten, die Verehrung der Halbgötter ist ein guter Anfang, um Ge-
horsam gegenüber einer höherstehenden Persönlichkeit zu erlernen.
Wenn wir uns jedoch unmittelbar der Verehrung des Höchsten
Herrn zuwenden, besteht für uns keine Notwendigkeit, die Halb-
götter zu verehren. Wer den Höchsten Herrn direkt verehrt, hat
großen Respekt vor den Halbgöttern; er braucht sie jedoch nicht zu
verehren, weil er weiß, daß er die höchste Autorität über den Halb-
göttern verehrt, die Höchste Persönlichkeit Gottes. Ein Gottgeweih-
ter ist ohnehin immer respektvoll; er achtet selbst eine Ameise, ganz
zu schweigen von den Halbgöttern. Er ist sich bewußt, daß alle Le-
bewesen Bestandteile des Höchsten Herrn sind und nur verschie-
dene Rollen spielen.
Aufgrund ihrer Beziehung zum Höchsten Herrn muß man allen
Die Kraft des Wunsches 61

Lebewesen Achtung entgegenbringen. Deshalb spricht ein Gottge-


weihter andere mit „Prabhu" an, was „mein lieber Herr, mein lieber
Meister" bedeutet. Ergebenheit ist eine Qualität, die einen Geweih-
ten des Herrn auszeichnet. Gottgeweihte sind gütig und gehorsam
und haben alle guten Eigenschaften. Wenn man ein Gottgeweih-
ter wird, entfalten sich automatisch alle guten Eigenschaften. Von
Natur aus ist das Lebewesen vollkommen, doch weil es von Lust
verunreinigt wird, entwickelt es schlechte Eigenschaften. Wie ein
Bestandteil des Goldes auch Gold ist, so ist jeder Bestandteil des
Vollkommenen ebenfalls vollkommen.

om pūrnam adah pūrnam idam


pūrnāt pūrnam udacyate
pūrnasya pūrnam ādāya
pūrnam evāvasisyate

„Der Herr, die Persönlichkeit Gottes, ist vollkommen und vollstän-


dig. Weil Er vollkommen ist, sind all Seine Emanationen, wie diese
Erscheinungswelt, als ein vollständiges Ganzes vollkommen ausge-
stattet. Alles, was das vollständige Ganze hervorbringt, ist ebenfalls
in sich vollständig. Da Er das vollständige Ganze ist, bleibt Er, ob-
gleich unzählige vollständige Einheiten von Ihm ausgehen, vollstän-
dig und unvermindert." (Sri Isopanisad, Anrufung)
Aufgrund materieller Verunreinigung kommt das vollkommene
Lebewesen zu Fall, doch der Vorgang des Krsna-Bewußtseins wird
es wieder zur Vollkommenheit führen. Dadurch wird man wirklich
glücklich und geht nach dem Verlassen des materiellen Körpers in
das spirituelle Königreich ein, wo man ewiges Leben, Glückseligkeit
und vollkommenes Wissen erlangt.
IM ANGESICHT
DES TODES
1
AjAMILAS ERFAHRUNG
IN TODESNÄHE
1. KAPITEL

Aller Laster Anfang


Sukadeva Gosvāmi sprach zu König Pariksit: In Kānyakubja [dem
heutigen Kanauj, einer Stadt in Indien] lebte einst ein brāhmana
namens Ajāmila. Dieser heiratete eine Dienstmagd, die eine Prosti-
tuierte war, und verlor wegen des Umgangs mit dieser niedrigen
Frau alle seine brahmanischen Eigenschaften. Ajāmila fügte ande-
ren Leid zu, indem er sie gefangennahm, im Glücksspiel betrog
oder schlichtweg ausraubte. So verdiente er seinen Lebensunter-
halt und ernährte Frau und Kinder. (Srimad-Bhāgavatam 6.1.21-22)

Fatale Folgen
Ajāmila war der Sohn eines brāhmana und folgte strikt den regulie-
renden Prinzipien - kein Essen von Fleisch, kein unzulässiges Ge-
schlechtsleben, keine Berauschung und kein Glücksspiel. Dennoch
verliebte er sich in eine Prostituierte und verlor dadurch all seine
guten Eigenschaften. Sobald jemand die regulierenden Prinzipien
aufgibt, begeht er vielerlei sündhafte Handlungen. Die regulieren-
den Prinzipien dienen dazu, uns auf der Ebene des menschlichen
Lebens zu halten. Wenn wir sie jedoch aufgeben, verfallen wir dem
Leben der Illusion (māyā).
Wenn wir im spirituellen Leben vorankommen wollen, müssen
wir den regulierenden Prinzipien folgen und unsere Fehler aus den
vorangegangenen Leben und dem jetzigen Leben berichtigen. Nur
wer von allen sündhaften Reaktionen frei ist und fromme Tätig-
keiten verrichtet, ist in der Lage, Gott vollkommen zu verstehen.
Menschen, die ein sündhaftes Leben führen und übermäßig großen
Wert auf körperliches Wohlergehen, gesellschaftliches Ansehen und
auf weltliche Freundschaften und Familienbeziehungen legen, kön-
nen keine spirituelle Selbstverwirklichung erreichen.

66
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 67

Unzulässiger Umgang mit Frauen hat zur Folge, daß man alle
brahmanischen Eigenschaften verliert. Ajāmila gab alle regulieren-
den Prinzipien auf, weil er mit einer Prostituierten zusammen war.
Er wurde ein Betrüger und Dieb. Aber wer unehrenhaft handelt,
wird bestraft. Er kann vielleicht dem Gesetz des Königs oder des
Staates entkommen, doch nie dem Gesetz Gottes. Der Materialist
denkt: „Ich betrüge Gott und brauche vor keiner Schandtat zurück-
zuschrecken, wenn es um meine Sinnenfreuden geht." Aber die
sāstras (Schriften) sagen aus, daß sich solche Menschen letztlich um
ihr eigenes Glück betrügen, denn sie werden wiederum einen mate-
riellen Körper annehmen und entsprechend leiden müssen.
Von jemandem, der in einer brāhmana-Familie geboren wurde,
wird erwartet, daß er wahrheitsliebend und selbstbeherrscht ist,
vollkommen mit dem Wissen über spirituelles Leben und dessen
praktischer Anwendung vertraut ist und fest an die Aussagen der
sāstras glaubt.
Wer den sāstras nicht folgt, erniedrigt sich. Die großen Weisen
und rsis auf der ganzen Welt haben uns ihre Unterweisungen hin-
terlassen, und ihre Worte sind in den sāstras aufgezeichnet. Doch
Schurken und Dummköpfe legen die Schriften falsch aus und füh-
ren die Menschen in die Irre. So wird gegenwärtig die Bhagavad-gitā
auf unterschiedlichste Art und Weise interpretiert, und das unschul-
dige Volk akzeptiert diese Interpretationen als autorisiertes Wissen.
Ein Kommentator behauptet beispielsweise, das Schlachtfeld von
Kuruksetra beziehe sich auf den materiellen Körper und die fünf
Pāndava-Brüder seien in Wirklichkeit die fünf Sinne des materiellen
Körpers. Das aber ist kein korrektes Verständnis. Wie kann jemand
die Bhagavad-gitā erklären, wenn er sie nicht versteht? Solch ein Ver-
such ist unsinnig.
Um die echte Wissenschaft von Gott zu verstehen, muß man
sich an einen echten spirituellen Meister wenden und die Bhagavad-
gitā von ihm hören. Wir müssen den großen Persönlichkeiten, den
vorangegangenen ācāryas (spirituellen Meistern), folgen. Das wird
zu unserem Vorteil sein. Wir sollten nicht spekulieren und unsere
eigenen Behauptungen aufstellen, sondern die Anweisungen ak-
zeptieren, die von den großen ācāryas gegeben werden. Darin be-
steht das vedische System. Man muß einen echten spirituellen Mei-
68 Im Angesicht des Todes

ster aufsuchen und ihm in ergebener Haltung Fragen stellen. Die


Absolute Wahrheit wird in den Schriften erklärt, die ihrerseits von
einem spirituellen Meister oder einem Heiligen erläutert werden
müssen. Was immer der echte, selbstverwirklichte spirituelle Mei-
ster sagt, muß man sich zu Herzen nehmen.
Eigene Interpretationen haben in den sāstras nichts zu suchen.
Im Snmad-Bhāgavatam heißt es, daß Krsna den Govardhana-Hügel
emporhob, geradeso wie ein Kind einen Pilz hochhebt. Er tat dies
mühelos, aber die Leute glauben es nicht. Diejenigen, die dem Bhā-
gavatam keinen Glauben schenken, interpretieren eine indirekte Be-
deutung hinein. Die Bedeutung ist unmißverständlich klar, aber
trotzdem ziehen diese Schurken ihre eigenen Schlüsse.
Warum sollte man etwas in die Schriften hineininterpretieren, wo
sie doch eine klare Sprache sprechen? Vermeintliche Gelehrte und
Theologen haben den Sinn der vedischen Schriften durch ihre Inter-
pretationen gewaltsam entstellt. Kein echter ācārya würde jemals die
sāstras nach seiner eigenen Laune auslegen, doch viele moderne Ge-
lehrte und führende Persönlichkeiten tun dies heute, und daher ge-
raten die Menschen in die abscheulichsten Bedingungen des mate-
riellen Daseins. Diese Schurken sollten im Interesse der Menschheit
entlarvt werden. Deshalb stellen wir die Bhagavad-gitā wie sie ist vor.

Der Niedergang der modernen Gesellschaft

Das Snmad-Bhāgavatam beschreibt, daß sich der brāhmana Ajāmila


in eine Prostituierte verliebte und dadurch seine brahmanischen Ei-
genschaften verlor. Als dies geschah, war er ein junger Mann von
etwa zwanzig Jahren. Aufgrund seiner unzulässigen Beziehung zu
einer Prostituierten war Ajāmila gezwungen, vom Betteln, Leihen,
Stehlen und vom Glücksspiel zu leben.
Hieraus geht hervor, wie tief jemand fallen kann, wenn er sich
mit einer Prostituierten einlāßt. Unzulässiger Geschlechtsverkehr ist
nur möglich mit lasterhaften Frauen, nicht mit keuschen. Je mehr
die Gesellschaft Prostitution und unzulässiges Geschlechtsleben er-
laubt, desto mehr gibt sie Betrügern, Dieben, Trunkenbolden und
Spielern Auftrieb. Aus diesem Grund weisen wir die Schüler in
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 69

unserer Bewegung für Krsna-Bewußtsein als erstes an, unzulässi-


ges Geschlechtsleben zu vermeiden, denn dies ist der Anfang eines
abscheulichen Lebenswandels, der Fleischessen, Glücksspiel und
Berauschung nach sich zieht. Enthaltung ist natürlich nicht ein-
fach, aber durchaus möglich, wenn man sich völlig Krsna ergibt,
da ein Krsna-bewußter Mensch immer mehr den Geschmack an
abscheulichen Angewohnheiten verliert.
Wāhrend Ajāmila zu seiner Zeit eine Ausnahme war, gibt es im
gegenwärtigen Zeitalter Millionen von Ajāmilas. Eine Gesellschaft,
die erlaubt, daß unzulässiges Geschlechtsleben zunimmt, ist dem
Untergang geweiht, denn es wird in ihr von Gaunern, Dieben, Be-
trügern und dergleichen wimmeln.
Wenn wir die Weltlage tatsāchlich verbessern wollen, müssen
wir uns dem Krsna-Bewußtsein zuwenden, denn dadurch erweisen
wir der menschlichen Gesellschaft in materieller und spiritueller
Hinsicht den besten Dienst. Wir mögen die verschiedensten ab-
scheulichen Eigenschaften entwickelt haben, aber einfach durch den
Vorgang des bhakti-yoga (hingebungsvoller Dienst) können wir sie
alle ablegen. Wir haben uns zahlreiche schlechte Gewohnheiten
(anarthas) angeeignet, allen voran Fleischessen, Berauschung, un-
zulässiges Geschlechtsleben und Glücksspiel, aber durch die Prin-
zipien des bhakti-yoga, wie sie in der Bhagavad-gitā und im Srimad-
Bhāgavatam enthalten sind, können wir uns von ihnen lossagen. Da
kaum jemand die vedischen Schriften kennt, beachtet auch niemand
ihre Anweisungen. Die Menschen ziehen es vor, die verschiedensten
Bücher von allen möglichen Schurken zu lesen, was jedoch nur zur
Zerstörung ihres Krsna-Bewußtseins führt.
Man mag sich zwar einreden, man könne durch irgendeine künst-
liche, mystische Meditation unerwünschte Gewohnheiten aufgeben
und erlöst werden, aber das ist eine Illusion. Obwohl es einmal
eine Zeit gab, wo es tatsāchlich möglich war, durch astānga-yoga,
das achtstufige yoga-System, Befreiung zu erlangen, ist gegenwärtig
kaum jemand mehr imstande, diesem Vorgang zu folgen. Mit an-
deren Worten, eine Imitation dieses yoga-Systems wird uns nichts
nützen.
Um den gefallenen Menschen des Kali-Zeitalters zu helfen, er-
70 Im Angesicht des Todes

schien die Höchste Persönlichkeit Gottes vor fünfhundert Jahren


als Sri Caitanya Mahāprabhu. Er wußte, daß die Menschen in die-
sem Zeitalter nicht einmal fähig sein würden, den regulierenden
Prinzipien zu folgen, geschweige denn astāriga-yoga zu praktizieren.
Deshalb gab Er uns den mahā-mantra - Hare Krsna, Hare Krsna,
Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma,
Hare Hare -, so daß wir allmählich zur höchsten Stufe des spiri-
tuellen Lebens erhoben werden können. Andere Vorgänge der Läu-
terung oder des Opfers sind heute nicht mehr möglich, weil die
meisten Menschen zu gefallen sind. Doch jeder kann den Vorgang
des Chantens von Hare Krsna aufnehmen. Im Brhan-nāradlya Purāna
(3.8.126) heißt es:

harer nāma harer nāma


harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva
nāsty eva gatir anyathā

„Der einzige Weg, um im gegenwärtigen Zeitalter der Streitsucht


und Heuchelei Befreiung zu erlangen, ist das Chanten der heiligen
Namen des Herrn. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt keinen ande-
ren Weg. Es gibt keinen anderen Weg."
Das Chanten der heiligen Namen des Herrn ist immer wirksam,
aber es ist besonders wirksam im Zeitalter des Kali. Die praktische
Wirksamkeit des Chantens wird Sukadeva Gosvāmi nun anhand
der Geschichte von Ajāmila erklären, der aus den Händen Yamarā-
jas, des universalen Richters, befreit wurde, weil er den heiligen Na-
men Nārāyanas gechantet hatte.

Die Gefahren des unzulässigen Geschlechtslebens


Um den vollen Nutzen aus dem Chanten des heiligen Namens des
Herrn zu ziehen, muß man ohne Vergehen chanten. Dazu ist ein ge-
wisses Maß an Entsagung erforderlich. Als erstes sollte man unzu-
lässiges Geschlechtsleben vermeiden. Da geschlechtliche Betätigung
ein körperliches Bedürfnis ist, wird sie von den sāstras zu einem ge-
wissen Grad erlaubt: Man darf friedlich mit seiner Frau zusammen-
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 71

leben und Geschlechtsverkehr haben, um Kinder zu zeugen; an-


sonsten gibt es keinen Grund, sich sexuell zu betätigen. Wer nicht
die Verantwortung für eine Familie übernehmen will, sondern Jung-
geselle bleibt und unerlaubt seine sexuellen Verlangen befriedigt,
gilt als verantwortungslos und wird unter den Konsequenzen lei-
den müssen.
Allerdings kann jemand, dem das Familienleben als eine zu große
Verantwortung erscheint, auch darauf verzichten und sich damit
viele Schwierigkeiten ersparen. Familiäre Verpflichtungen bringen
große Verantwortung mit sich. Wer daher glaubt, diese nicht tra-
gen zu können, sollte ein brahmacāri, ein Student im Zölibat, blei-
ben. Wenn man die Wissenschaft des brahmacarya unter der Aufsicht
eines spirituellen Meisters praktiziert, wird man automatisch von
fünfundsiebzig Prozent der materiellen Verstrickung befreit.
Heutzutage möchte sich jedoch niemand der Entsagung des brah-
macarya unterziehen. Jeder möchte unverheiratet bleiben und gleich-
zeitig Geschlechtsverkehr haben; so verlieren die Menschen ihren
guten Charakter. Eine Frau, die nichts anderes als eine Dirne ist, zu
versorgen, um mit ihr unzulässigen Geschlechtsverkehr zu haben
und uneheliche Kinder zu zeugen ist sündhaft. Eine Gesellschaft, in
der solche unerwünschten Kinder (varna-sankara) geboren werden,
geht zugrunde.
Ajāmila fühlte sich zu einer Prostituierten hingezogen und zeugte
mit ihr zehn Kinder. Er wurde so unmoralisch, daß er zu keinem
ehrlichen Gewerbe mehr fähig war, und sah sich gezwungen, für
den Unterhalt seiner großen Familie zu betteln, zu borgen und zu
stehlen. Sobald man sich auf unzulässiges Geschlechtsleben einlāßt,
folgen Berauschung und Glücksspiel von selbst. Um die hohen Aus-
gaben bestreiten zu können, wird man zu Betrug und Diebstahl g-
reifen müssen. So war auch bei Ajāmila die unstatthafte Beziehung
zu einer Dirne aller Laster Anfang.
Deshalb ist in der Praxis des Krsna-Bewußtseins jede Form unzu-
lässigen Geschlechtslebens untersagt. Gottgeweihte müssen entwe-
der heiraten oder im Zölibat leben. Diese Regel ist sehr wirkungs-
voll und hilft, eine hohe Stufe der Reinheit zu bewahren.
2. KAPITEL

Imitation
der Wirklichkeit
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Mein lieber König, so vergingen acht-
undachtzig Jahre von Ajāmilas Leben. Wāhrend dieser Zeit beging
er viele abscheuliche, sündhafte Handlungen, um die Prostituierte
und seine zehn Söhne zu unterhalten. Der jüngste Sohn war ein
kleines Kind namens Nārāyana, das seinem Vater und seiner Mut-
ter natürlicherweise sehr lieb war. (Srimad-Bhāgavatam 6.1.23-24)

Elterliche Zuneigung
Ajāmilas Sündhaftigkeit zeigt sich darin, daß er noch mit achtund-
achtzig Jahren ein kleines Kind hatte. In der vedischen Kultur war es
Brauch, mit fünfzig Jahren sein Heim zu verlassen. Man sollte nicht
zu Hause bleiben und fortfahren, Kinder zu zeugen. Geschlechts-
verkehr ist fünfundzwanzig Jahre lang - zwischen dem fünfund-
zwanzigsten und fünfzigsten Lebensjahr - erlaubt. Danach sollte
man das Geschlechtsleben aufgeben und sein Heim als vānaprastha
verlassen, um später auf die richtige Weise sannyāsa anzunehmen.
Weil Ajāmila jedoch mit einer Prostituierten Umgang hatte, verlor er
all seine brahmanischen Eigenschaften und war selbst in seinem so-
genannten Familienleben der Sünde verfallen.
Ajāmila war ein junger Mann von zwanzig Jahren, als er der
Prostituierten begegnete. Im Laufe der Zeit wurden ihnen zehn
Kinder geboren. Im Alter von fast neunzig Jahren nahte seine To-
desstunde. Da zu dieser Zeit die meisten seiner Kinder bereits er-
wachsen waren, wurde Nārāyana als das jüngste Kind natürlich der
Liebling der Eltern, und Ajāmila hing sehr an ihm.

72
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 73

Das Lächeln eines Kindes wirkt auf den Vater, die Mutter und die
Verwandten sofort anziehend. Die Eltern haben große Freude daran,
wenn das Kind seine ersten Sprechversuche macht. Bestünde diese
Anziehung nicht, wäre es nicht möglich, ein Kind mit Zuneigung
großzuziehen. Elterliche Zuneigung ist selbst unter Tieren natürlich.
In Kanpura kam einmal eine Äffin mit ihrem Jungen in die Nähe
des Zimmers, in dem wir uns aufhielten. Auf einmal schlüpfte das
Affenjunge durch das Fenstergitter, worauf die Mutter völlig aus
der Fassung geriet und vor Angst fast verrückt wurde. Als wir das
Äffchen wieder durch das Gitter schoben, umarmte die Mutter ihr
Junges sogleich und nahm es mit sich fort.
In der menschlichen Gesellschaft wird die Zuneigung zwischen
Mutter und Kind sehr hoch gepriesen, aber wie wir sehen, gibt es
diese Beziehung auch unter den Tieren. Menschliche Mutterliebe ist
also nichts Außergewöhnliches; sie beruht auf dem Gesetz der ma-
teriellen Natur. Wāren Mutter und Kind nicht in Zuneigung ver-
bunden, könnte das Kind nicht aufwachsen. Elterliche Zuneigung
ist natürlich und notwendig, aber sie erhebt uns nicht auf die spiri-
tuelle Ebene.
Der Charakter Ajāmilas war verabscheuenswert, doch selbst ein
Wüstling wie er war sehr liebevoll gegenüber seinem jüngsten Kind.
Obgleich Ajāmila fast neunzig Jahre alt war, fand er immer noch Ge-
fallen an den Spielen seines Kindes, genauso wie Mahārāja Nanda
und Mutter Yasodā sich über Krsnas Kindheitsspiele freuten.

Spirituelle Liebe und Vielfalt

Elterliche Liebe in der materiellen Welt ist eine verzerrte Wider-


spiegelung der elterlichen Liebe in der spirituellen Welt, wo man
sie in ihrer reinen, ursprünglichen Form findet. Alles hat seinen
Ursprung in der transzendentalen Wirklichkeit. Im Vedānta-sütra
(1.1.2.) heißt es: janmādy asya yatah. „Die Höchste Absolute Wahrheit
ist das, wovon alles ausgeht." Wenn die Zuneigung zwischen einem
Kind und seinen Eltern nicht in der Absoluten Wahrheit existierte,
gäbe es sie auch nicht in der materiellen Welt.
Da die Absolute Wahrheit die Quelle von allem ist, ist die ganze
74 Im Angesicht des Todes

Vielfalt, die wir hier in der materiellen Welt sehen, nichts anderes
als eine Widerspiegelung der Vielfalt in der spirituellen Welt. Wie
könnte es in unserer Welt Vielfalt geben, wenn die Absolute Wahr-
heit nicht voller Vielfalt wäre? Nein, die Absolute Wahrheit ist we-
der unpersönlich (nirākāra) noch ohne Vielfalt (nirvisesa).
Es gibt jedoch Menschen, Māyāvādis genannt, die aufgrund der
unvollkommenen Vielfalt der materiellen Welt so enttāuscht und
frustriert sind, daß sie sich die spirituelle Welt unpersönlich und
ohne Vielfalt vorstellen. Diese Unpersönlichkeitsanhänger erken-
nen, daß sie Brahman, spirituelle Energie, sind, aber sie wissen nicht,
daß es im brahmajyoti, der spirituellen Welt, unzählige Planeten gibt.
Sie denken, das brahmajyoti an sich sei schon alles. Die Unpersönlich-
keitsanhänger haben kein Wissen über die Vaikuntha-Planeten und
kehren daher - aufgrund ihres unvollkommenen Wissens - wieder
zu den materiellen Planeten zurück. Im Srimad-Bhāgavatam (10.2.32)
heißt es:

ye 'nye 'ravindāksa vimukta-māninas


tvayy asta-bhāvād avisuddha-buddhayah
āruhya-krcchrena param padam tatah
patanty adho 'nādrta yusmad ahghrayah

„Obwohl die Unpersönlichkeitsanhänger nahezu befreit sind, ist


ihre Intelligenz noch nicht gereinigt, weil sie die Lotosfüße Krsnas
außer acht lassen. So müssen sie wieder in die materielle Welt hinun-
terfallen, obwohl sie sich harte Entsagungen auferlegt haben, um
auf die Ebene des Brahman zu gelangen."

Spirituelle Form und spirituelle Handlungen

Die Unpersönlichkeitsphilosophen sind nicht fähig, zwischen Hand-


lungen in der materiellen Welt und ähnlichen Handlungen in der
spirituellen Welt zu unterscheiden. Ebensowenig vermögen sie zwi-
schen materieller Form und der Form Gottes zu unterscheiden. Sie
sind überzeugt, daß das unpersönliche brahmajyoti, der spirituelle
Glanz, der vom Körper des Herrn ausstrahlt, die Höchste Absolute
Wahrheit sei. Fälschlicherweise behaupten die Māyāvādis, daß Gott
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 75

bei Seinem Erscheinen einen materiellen Körper annehme, genau-


so wie wir in der materiellen Welt einen materiellen Körper ange-
nommen haben. Diese Art des Denkens beruht auf der Unpersön-
lichkeitslehre, der Māyāvāda-Philosophie.
Gott hat eine Form, aber keine materielle Form wie wir. Seine
Form ist sac-cid-ānanda-vigraha, eine spirituelle Form, erfüllt von
Ewigkeit, Glückseligkeit und Wissen. Jeder, der die transzendentale
Natur von Krsnas Form versteht, erreicht die Vollkommenheit. Dies
bestätigt Krsna in der Bhagavad-gita (4.9):

janma karma ca me divyam


evam yo vetti tattvatah
tyaktvā deham punar janma
naiti mām eti so 'rjuna

„Wenn Ich in der materiellen Welt erscheine, nehme Ich keinen ma-
teriellen Körper an. Meine Geburt und Meine Taten sind völlig spi-
rituell. Jeder, der dies vollkommen versteht, erlangt Befreiung."
Krsna spielte vor Mutter Yasodā auf vollkommene Weise die Rolle
eines Kindes. Manchmal, wenn sie Ihm keine Butter gab, zerbrach
Er alle Krüge - als ob Er Butter bräuchte! So kann Sich Gott wie ein
gewöhnlicher Mensch verhalten, aber Er bleibt dennoch die Höchste
Persönlichkeit Gottes.
Unpersönlichkeitsanhänger können Gott nicht verstehen, denn sie
sehen Ihn als einen gewöhnlichen Menschen an. Das ist Schurkerei,
wie Krsna in der Bhagavad-gitā (9.11) erklārt: avajānanti mām mūdhāh.
„Nur Schurken betrachten Mich als einen gewöhnlichen Menschen."
Die Māyāvādis sagen: „Krsna ist ein Menschenkind. Wie kann Er
Gott sein?" Selbst Brahma und Indra waren verwirrt und dachten:
„Wie kann dieser Knabe der Höchste Herr sein? Ich will Ihn auf die
Probe stellen."
Manchmal erklärt eine vermeintliche Inkarnation Gottes: „Ich bin
Gott." Wenn jemand dies behauptet, sollte man prüfen, ob er wirk-
lich Gott ist oder nicht. Die Māyāvādis erheben den Anspruch: „Ich
bin Gott. Ich bin Krsna. Ich bin Rāma." Heutzutage gibt es so viele
„Krsnas" und „Rāmas", doch niemand stellt sich ihren Behaup-
tungen entgegen: „Wenn du Rāma bist, zeige deine höchste Macht!
76 Im Angesicht des Todes

Rāma baute eine Brücke über den Indischen Ozean. Was hast du ge-
tan? Im Alter von sieben Jahren hob Krsna den Govardhana-Hügel
empor. Und was hast du getan?" Wenn diese Schurken mit Krsnas
Spielen konfrontiert werden, entgegnen sie: „Das ist doch alles er-
funden, das ist alles Legende." So kommt es, daß gewöhnliche Men-
schen als Rāma oder Krsna anerkannt werden. Solcher Unsinn ist
heute an der Tagesordnung, und sowohl diejenigen, die behaupten,
Gott zu sein, als auch diejenigen, die sie als Gott anerkennen, wer-
den dafür büßen müssen. Jeder kann behaupten, Gott zu sein, und
jeder Narr kann es glauben; aber einem falschen Gott zu dienen
wird niemandem nützen.
Einst dachte Brahma, daß Krsna möglicherweise auch ein solcher
falscher Gott sein könnte. Er sah, wie im indischen Vrndavana ein
Junge, der außergewöhnliche Taten vollbrachte, für den Höchsten
Herrn gehalten wurde. So entschied sich Brahma, Krsna auf die
Probe zu stellen, indem er Ihm alle Kühe und Spielkameraden stahl
und sie versteckte. Als Brahma nach einem Jahr nach Vrndavana
zurückkehrte und dort immer noch die gleichen Kälber und Jungen
vorfand, erkannte er, daß Krsna Sich durch Seine unbegrenzten Fā-
higkeiten in all diese Kühe und Spielkameraden erweitert hatte.
Selbst den Müttern der Jungen war es verborgen geblieben, daß ihre
Söhne Erweiterungen Krsnas waren; gleichzeitig konnten sie sich
aber nicht erklären, warum ihre Liebe zu ihren Söhnen mit jedem
Abend, wo diese von den Feldern zurückkehrten, mehr und mehr
anwuchs. Schließlich ergab sich Brahma dem Herrn, Sri Krsna, und
verfaßte erlesene Gebete zu Seiner Verherrlichung.
Auf ähnliche Weise geriet Indra in Verwirrung, als Krsna zu Sei-
nem Vater, Nanda Mahārāja, sagte: „Es ist nicht notwendig, Indra
Opfer darzubringen, da er dem Befehl des Höchsten Herrn unter-
steht." Krsna sagte zu Nanda Mahārāja nicht: „Ich bin der Höchste
Herr", sondern: „Indra untersteht dem Befehl des Höchsten Herrn;
deshalb ist es seine Pflicht, dich mit Wasser zu versorgen, und es be-
steht kein Grund, diesen yajna [Opfer] auszuführen."
Als das Opfer abgebrochen wurde, geriet Indra in großen Zorn
und versuchte, die Einwohner Vrndavanas zu bestrafen, indem er
sieben Tage lang wolkenbruchartige Regenfālle schickte. Vrndavana
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 77

war nahe daran, in den Fluten zu versinken - so stark war der Re-
gen. Aber Krsna, ein Kind von sieben Jahren, hob unverzüglich den
Govardhana-Hügel empor und lud alle Einwohner Vrndāvanas ein,
zusammen mit ihren Tieren unter dem Hügel Zuflucht zu suchen.
Nur um die Einwohner Vrndāvanas zu beschützen, hielt Krsna den
Hügel für sieben Tage und Nāchte empor, ohne Nahrung zu Sich
zu nehmen oder Sich auszuruhen. So erkannte Indra, daß Krsna die
Höchste Persönlichkeit Gottes ist.
Auf diese Weise warnt uns das Srimad-Bhāgavatam vor der Macht
māyās, der äußeren Manifestation von Krsnas Energie, die selbst
große Persönlichkeiten wie Brahma und Indra verwirren kann, ganz
zu schweigen von uns.
Gott erscheint manchmal als Gott und manchmal als Mensch, aber
die niederträchtigen Unpersönlichkeitsanhänger tun Seine Spiele als
Legende oder Mythologie ab. Sie glauben entweder gar nicht an die
sāstras oder interpretieren sie auf ihre eigene Weise, indem sie ardha-
kukkuti-nyāya anwenden, die „Halbe-Hennen-Logik". Einst hatte ein
Mann ein Huhn, das jeden Tag ein goldenes Ei legte. In seiner
Dummheit dachte der Mann: „Dieses Huhn ist sehr lukrativ, aber es
zu füttern kostet mich viel Geld. Ich schneide ihm besser den Kopf
ab und spare mir die Ausgaben für das Futter. Dann werde ich die
Eier ohne jede Kosten bekommen." Mit der gleichen Haltung treten
die Unpersönlichkeitsanhänger an die sāstras heran: „Dieser Teil ge-
fāllt uns nicht - er ist unbequem. Lassen wir ihn weg!" Wenn Krsna
sagt: „Man sollte Mich überall sehen", ist das den Māyāvādis sehr
genehm, aber wenn Er sagt: „Gib alles auf und ergib dich Mir",
haben sie Einwānde. Sie akzeptieren, was ihnen paßt, und weisen
zurück, was ihnen widerstrebt. Die ācāryas hingegen verdrehen die
sāstras nicht. Als Krsna die Bhagavad-gitā offenbarte, sprach Arjuna:
„Ich akzeptiere alles, was Du gesagt hast."

Definition der Absoluten Wahrheit

Das Vedānta-sūtra, das als höchste Autorität aller vedischen Schriften


anerkannt wird, erklärt: janmādy asya yatah. „Die Absolute Wahrheit
ist die ursprüngliche Quelle von allem." (Vedānta-sūtra 1.1.2.) Janma
78 Im Angesicht des Todes

bedeutet „Geburt". Daran gibt es nichts zu deuteln - der Sinn ist


klar. Alles in der materiellen Welt kommt von der Absoluten Wahr-
heit, genauso wie unser Körper aus dem Schoß der Mutter kommt.
janmādy asya yatah: „Alles, von der Geburt bis zur Vernichtung, ist
eine Emanation der Absoluten Wahrheit." Die Absolute Wahrheit ist
das, von dem alles ausgeht, in dem alles ruht und von dem alles er-
halten wird.
Was sind die Merkmale der ursprünglichen Quelle? Im Srimad-
Bhāgavatam (1.1.1.) heißt es: janmādy asya yato 'nvayād itaratas cārthesv
abhijnah svarāt. Der Ursprung von allem muß sich direkt und in-
direkt über alles vollkommen bewußt sein. Er ist die höchste Seele
und weiß alles, denn Er ist vollkommen. Auch wir sind Seele -
spirituelle Funken. Sobald ein solcher spiritueller Funke im Schoß
einer Frau Zuflucht sucht, entwickelt er einen Körper. Der spiri-
tuelle Funke ist folglich die Quelle des Körpers und all seiner Me-
chanismen. Obwohl der Körper durch unsere Energie erzeugt wird,
wissen wir nicht, wie unsere Venen oder unsere Knochen erschaffen
werden. Die Tatsache, daß wir dies nicht wissen, beweist, daß wir
nicht Gott sind. Krsna aber weiß alles, und Allwissenheit ist die
Eigenschaft der Absoluten Wahrheit. Krsna bestätigt dies in der
Bhagavad-gitā (7.26): „Ich weiß alles, was in der Vergangenheit ge-
schah, was in der Gegenwart geschieht und was in der Zukunft ge-
schehen wird."
Wir erkennen die Absolute Wahrheit, wenn wir von einem spi-
rituellen Meister Wissen empfangen. Krsnas Wissen hingegen ist
von vornherein vollkommen, denn Er ist völlig unabhängig (svarāt)
und braucht von niemandem etwas zu lernen. Einige Schurken mö-
gen versuchen, selbst Gott zu werden, indem sie Wissen von einem
Māyāvādi annehmen; aber Krsna ist Gott, ohne Wissen von irgend
jemandem annehmen zu müssen. Das ist Gott!
3. KAPITEL

Die letzte Stunde


Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Der greise Ajāmila hing sehr an sei-
nem Kind, weil er von dessen unbeholfenen Worten und Bewe-
gungen bezaubert war. Ständig kümmerte er sich um das Kind und
freute sich über seine Spiele. Wenn Ajāmila kaute und aß, forderte
er das Kind auf, dasselbe zu tun, und wenn er trank, hieß er das
Kind, ebenfalls zu trinken. So sorgte er sich ständig um das Kind
und rief seinen Namen, Nārāyana. Dabei vergaß er ganz, daß seine
Zeit nun abgelaufen war und ihm der Tod bevorstand.
Als für den törichten Ajāmila die Stunde des Todes kam, dachte
er ausschließlich an seinen Sohn Nārāyana. (Srimad-Bhāgavatam
6.1.25-27)

Der Name eines Kindes

Hieraus geht deutlich hervor, daß das Kind Nārāyana so jung war,
daß es noch nicht einmal richtig sprechen und gehen konnte. Weil
der alte Mann so sehr an dem Kind hing, erfreute er sich an dessen
Spielen. Da der Name des Kindes Nārāyana war, chantete er un-
ablässig den heiligen Namen Nārāyanas. Eigentlich meinte Ajāmila
seinen kleinen Sohn und nicht den ursprünglichen Nārāyana; aber
der Name Nārāyanas ist so mächtig, daß Ajāmila allein durch das
Aussprechen des Namens seines Sohnes geläutert wurde. Srila Rūpa
Gosvāmi erklärt, daß jemand, der sich auf irgendeine Weise zum
heiligen Namen Krsnas hingezogen fühlt (tasmāt kenāpy upāyena ma-
nah krsne nivesayet), sich auf dem Pfad der Befreiung befindet. In
Indien geben Eltern noch heute ihren Kindern Namen Gottes, wie
Krsna, Govinda oder Nārāyana. Somit chanten die Eltern die Na-
men Krsna, Govinda oder Nārāyana und bekommen die Möglich-
keit, geläutert zu werden.

79
80 Im Angesicht des Todes

Zum Zeitpunkt des Todes rief Ajāmila den Namen Nārāyanas,


womit er sein jüngstes Kind meinte. In seiner Jugend hatte Ajāmila,
als Sohn eines brahmana, Nārāyana verehrt, wie dies im Hause eines
jeden brahmana üblich ist. Obwohl der lasterhafte Ajāmila eigentlich
nach seinem Sohn rief, konnte er seinen Geist auf den heiligen Na-
men Nārāyanas richten und sich an den Nārāyana erinnern, den er
in seiner Jugend gläubig verehrt hatte.
Im Zweiten Canto des Srimad-Bhāgavatam (2.1.6.) wird erklärt, wie
wichtig es ist, sich im Augenblick des Todes an Nārāyana zu er-
innern:

etāvān sārikhya-yogābhyām
svadharma-parinisthayā
janma-lābhah parah pumsām
ante nārāyana-smrtih

„Die höchste Vollkommenheit im Leben, die man durch die An-


eignung vollständigen Wissens über Materie und Seele, durch die
Entwicklung mystischer Kräfte oder durch die richtige Ausübung
der vorgeschriebenen Pflichten erreichen kann, besteht darin, sich
am Ende des Lebens an Nārāyana, die Höchste Persönlichkeit Got-
tes, zu erinnern."
Im Angesicht des Todes rief Ajāmila bewußt oder unbewußt den
Namen Nārāyanas und erlangte so alle Vollkommenheit.

Der Tod - die entscheidende Prüfung im Leben

Wie bereits erwähnt, ist der Bewußtseinszustand zum Zeitpunkt des


Todes äußerst wichtig. Aber wenn wir selbstgefällig werden und
denken: „Jeder muß mal sterben - was soll's?", dann verbauen wir
uns den Fortschritt auf dem spirituellen Pfad. So wie die Luft Düfte
mit sich trāgt, trāgt uns der Geist in unser nächstes Leben. Wenn
wir das Bewußtsein eines Vaisnavas, eines reinen Geweihten Krsnas,
kultiviert haben, werden wir unverzüglich nach Vaikuntha erhoben.
Wenn wir jedoch das Bewußtsein eines gewöhnlichen karmi, eines
materiell motivierten Arbeiters, entwickelt haben, werden wir in
der materiellen Welt bleiben müssen, um die Folgen dieser Geistes-
haltung zu erleiden.
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 81

Wenn zum Beispiel ein Geschäftsmann bis zu seinem Tode nichts


anderes als Geschäfte macht, wird er natürlich nur an Geschäfte
denken. Ein Geschäftsmann aus Kalkutta machte sich zum Zeit-
punkt des Todes Sorgen um das Management seiner Mühle. Viel-
leicht wurde er als Ratte in seiner Mühle wiedergeboren. Das ist
nicht ausgeschlossen. Im Moment des Todes wird uns das, woran
wir gerade denken, zu unserem nächsten Körper tragen. Krsna ist
sehr gütig und stellt uns gemäß unserem Bewußtsein im Moment
des Todes einen entsprechenden Körper zur Verfügung. „Nun gut,
du denkst wie eine Ratte? Werde eine Ratte!" „Du denkst wie ein
Tiger? Werde ein Tiger!" „Du denkst wie Mein Geweihter? Komm
zu Mir!"
Durch das Chanten von Hare Krsna können wir unsere Gedanken
so ausrichten, daß wir ständig an Krsna denken. Krsna erklärt in
der Bhagavad-gitā (6.47): yoginām api sarvesām mad-gatenāntar-ātmanā.
„Der beste yogi ist der, der in seinem Herzen immer an Mich denkt."
Die Bewegung für Krsna-Bewußtsein ist besonders dafür gedacht,
den Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu helfen, diesen Zu-
stand vollkommenen Krsna-Bewußtseins zu erreichen. Dann wird
man sich am Ende seines Lebens einzig und allein an Krsna er-
innern. Was immer wir während unseres Lebens tun, wird unser Be-
wußtsein im Moment des Todes bestimmen. Das ist nur natürlich.
Wahre Intelligenz bedeutet, sich richtig auf den Tod vorzuberei-
ten. Wer aber glaubt, er könne für immer zu Hause bleiben und
die Gemeinschaft seiner Frau und seiner Kinder genießen, ist ein
Dummkopf. In Illusion denkt man vielleicht: „Mein Bankkonto,
mein schönes Haus und meine Familie werden mich beschützen."
Aber diese Dinge können niemanden beschützen. Das Srimad-Bhā-
gavatam (2.1.4.) stellt fest:
dehāpatya-kalatrādisv
ātma-sainyesv asatsv api
tesām pramatto nidhanam
pasyann api na pasyati
„Wer verrückt ist, glaubt: ,Mein starker Körper, meine erwachse-
nen Kinder, meine liebe Frau und mein Bankguthaben werden mich
retten.'"
82 Im Angesicht des Todes

In der materiellen Welt mühen wir uns ab wie Soldaten, die auf
einem Schlachtfeld kämpfen. Unsere Soldaten sind unsere Kinder,
unsere Frau, unser Bankkonto, unsere Landsleute und so fort. Das
Srimad-Bhāgavatam warnt uns, bei solchen fehlbaren Soldaten Zu-
flucht zu suchen. Obwohl jemand sieht, daß sein Vater und Groß-
vater, die einst gelebt haben, nun tot sind, sieht er nicht ein, daß
jeder, auch er selbst, eines Tages sterben wird. Wie kann er dann
seinen Sohn beschützen? Oder wie kann sein Sohn ihn beschützen?
Diese Fragen tauchen für den Materialisten nicht auf, da er nur
in seine tierischen Neigungen - Essen, Schlafen, Paarung und Ver-
teidigung - vertieft ist.
4. KAPITEL

Frei von
Geburt und Tod
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Ajāmila sah sodann drei furchter-
regende Gestalten mit verunstaltetem Körper, grimmig, mit ver-
zerrtem Gesicht und mit Haaren, die aufrecht von ihrem Körper
abstanden. Mit Seilen in ihren Händen waren sie gekommen, um
ihn zum Reich Yamarajas zu schaffen. Als Ajāmila sie sah, war er
aufs äußerste entsetzt. Sofort rief er sein Kind, das in der Nāhe
spielte, laut beim Namen, weil er sehr an ihm hing. So chan-
tete er mit Trānen in den Augen den heiligen Namen Nārāyanas.
(Srimad-Bhāgavatam 6.1.28-29)

Todesangst und Lebenswille

In der Todesstunde sind die Menschen sehr bestrebt, sich zu retten -


besonders jene, die gesündigt haben. Natürlich kann die Seele selbst
nicht dem Tod anheimfallen (na hanyate hanyamāne sarire); dennoch
bereitet es große Schmerzen, den gegenwärtigen Körper zu verlas-
sen und in einen anderen einzugehen. Zum Zeitpunkt des Todes
kann das Lebewesen nicht mehr im Körper bleiben, da die Schmer-
zen zu unerträglich sind. Manchmal begeht jemand sogar Selbst-
mord, weil ihm das Leben zu qualvoll wird. Aber Selbstmord ist
eine Sünde, für die man durch die Gesetze des karma bestraft wird.
Als Ajāmila im Sterben lag, erblickte er drei grimmige, furchter-
regende Gestalten mit Seilen in den Händen, mit wildem Haupthaar
und Körperhaaren wie Borsten. Die Gehilfen Yamarajas, die Yama-
dütas, wollten Ajāmila aus seinem Körper zerren und ihn vor Ya-
marajas Gerichtshof bringen. Manchmal schreit ein Sterbender vor

83
84 Im Angesicht des Todes

Angst, wenn er die Yamadūtas sieht; und auch Ajāmila wurde von
Angst und Furcht ergriffen.
Glücklicherweise chantete Ajāmila den heiligen Namen Nārāya-
nas, obwohl er dabei eigentlich an seinen Sohn dachte. Daraufhin
erschienen sogleich die Gesandten Nārāyanas, die Visnudūtas. Weil
Ajāmila sich so sehr vor den Seilen Yamarājas fürchtete, rief er mit
tränenerfüllten Augen den Namen des Herrn. In Wirklichkeit jedoch
beabsichtigte er nicht, den heiligen Namen Nārāyanas zu chanten,
sondern wollte seinen Sohn rufen.

Das Erscheinen und Fortgehen Krsnas und Seiner Geweihten


Man könnte die Frage stellen: „Sowohl Gottgeweihte als auch Nicht-
gottgeweihte müssen sterben. Worin liegt der Unterschied?" Fol-
gendes Beispiel macht den Unterschied deutlich: Die Katzenmutter
trägt ihre Jungen im Maul, und wenn sie eine Ratte fängt, trägt sie
auch diese im Maul. Wāhrend sich die Kätzchen sicher und behag-
lich fühlen, verspürt die Ratte im selben Maul den Rachen des To-
des. Wenn ein Gottgeweihter stirbt, wird er zum spirituellen Reich,
nach Vaikuntha, geführt, wohingegen ein gewöhnlicher, sündiger
Mensch von den Yamadūtas, den Gesetzeshütern des Yamarāja, in
die höllischen Regionen hinabgezerrt wird. Dies schien auch Ajāmi-
las Schicksal zu sein.
In der Bhagavad-gitā (4.9) sagt Krsna: janma karma ca me divyam.
„Mein Erscheinen und Mein Fortgehen sind spirituell, transzenden-
tal; sie sind nicht etwas Gewöhnliches." Und warum erscheint Krsna
in unserer Welt? Das erklärt Er einen Vers zuvor (Bg. 4.8):

paritrānāya sādhūnām
vināsāya ca duskrtām
dharma-samsthāpanārthāya
sambhavāmi yuge yuge

„Um die Frommen zu erretten und die Gottlosen zu vernichten und


um die Prinzipien der Religion wiedereinzuführen, erscheine Ich
Zeitalter nach Zeitalter."
Gottes einziges Bestreben ist es, die gläubigen Gottgeweihten zu
beschützen und die Dāmonen zu töten. Deshalb sehen wir Visnu
Ajamilas Erfahrung in Todesnähe 85

immer mit Seinen Waffen abgebildet. Er trägt eine Keule und ein
cakra (Feuerrad), um Seine Geweihten zu beschützen, sowie eine Lo-
tosblume und eine Muschel, um sie zu segnen.
Von transzendentaler Natur sind auch das Erscheinen und Ver-
scheiden der Geweihten Krsnas, die in die materielle Welt entsandt
werden, um die Herrlichkeiten des Herrn zu predigen. Gemäß den
Prinzipien des Vaisnavatums sind das Erscheinen und Verscheiden
solcher Vaisnavas oder Geweihten Visnus (Krsnas) allglückverhei-
ßend. Deshalb findet an beiden Jahrestagen ihnen zu Ehren ein
Fest statt.
Nicht einmal für gewöhnliche Lebewesen gibt es Geburt oder
Tod, also erst recht nicht für Krsna und Seine Geweihten. Manchmal
behaupten Atheisten, Gott sei tot. Sie wissen nicht, daß nicht einmal
das kleinste Lebewesen stirbt. Wie kann daher Gott tot sein? Athei-
sten werden in der Bhagavad-gitā als mūdhās, törichte Schurken, be-
zeichnet. Sie haben kein Wissen, geben sich aber als gebildete Men-
schen aus und verkünden Dinge, die weder für sie noch für die
Allgemeinheit gut sind.

An Krsna zu denken führt zur Befreiung

Weil Ajāmila im Augenblick des Todes irgendwie seine Gedanken


auf Nārāyana (Krsna) richtete, wurde er sofort ein Anwärter auf
Befreiung, obwohl er sein ganzes Leben lang gesündigt hatte. Man
kann in jeder beliebigen Form an Krsna denken: Die gopis (Kuh-
hirtenmädchen), Krsnas Freundinnen, waren aus scheinbar lustvol-
lem Verlangen ganz in Gedanken an Krsna versunken. Sisupāla
dachte im Zorn an Krsna, und Kamsa dachte ununterbrochen an
Krsna, weil er sich vor Ihm fürchtete. Obgleich Kamsa und Sisupāla
Dāmonen waren, wurde ihnen von Krsna persönlich Befreiung ge-
wāhrt, weil sie ihr ganzes Leben lang und auch im Moment des To-
des an die Höchste Persönlichkeit Gottes gedacht hatten.
Natürlich ist es das beste, wenn man positiv an Krsna denkt.
Bhakti, hingebungsvoller Dienst, bedeutet, positiv an Krsna zu den-
ken. Sisupāla und Kamsa waren keine Gottgeweihten, da sich das
Wort Gottgeweihter nur auf jemanden bezieht, der Krsna wohlge-
sinnt ist. Doch selbst wenn man auf entgegengesetzte Weise an
86 Im Angesicht des Todes

Krsna denkt, wird dies von Ihm akzeptiert. Krsna ist so gütig, daß
jeder, der ständig an Ihn denkt, sogar ein Feind, der größte yogi wird
und Befreiung erlangt. Aus diesem Grund erreichten selbst Krsnas
Feinde wie Kamsa und Sisupāla dasselbe Ergebnis wie yogis und As-
keten. In der unpersönlichen Brahman-Ausstrahlung (brahmajyoti)
finden wir nicht nur die größten Gelehrten (jnānis), die sich be-
mühten, in das Brahman einzugehen, sondern auch diejenigen, die
immer feindselig an Krsna dachten. Sie gehen ebenfalls in diese spi-
rituelle Ausstrahlung ein. Das Ziel, das die jnānis erreichen, wird
auch von Krsnas Feinden erreicht. Dies ist jedoch nicht sehr er-
strebenswert.
Ein Lebewesen kann für einige Zeit als kleines, leuchtendes spi-
rituelles Teilchen in der Brahman-Ausstrahlung (brahmajyoti) ver-
weilen. So wie es im Sonnenschein viele molekulare Teilchen gibt,
können auch die Lebewesen als kleine Teilchen der spirituellen Aus-
strahlung im brahmajyoti leben. Doch es ist ihnen bestimmt, wieder
in die materielle Schöpfung herabzufallen. Von Natur aus wünscht
sich das Lebewesen eine Vielfalt von Sinnenfreuden, aber in der un-
persönlichen Existenz gibt es keine Vielfalt des Genusses. Sobald
die Lebewesen genießen wollen, müssen sie deshalb wieder in die
materielle Welt zurückkehren. Mit anderen Worten, wenn man in
die Brahman-Ausstrahlung eingeht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr
groß, wieder zu Fall zu kommen.
Die Geweihten Krsnas streben nicht nach Befreiung, denn ihr
einziges Interesse ist es, in Krsnas hingebungsvollem Dienst be-
schäftigt zu sein, ob in der materiellen Welt oder in der spirituel-
len Welt. Trotzdem erlangen sie durch Krsnas Gnade Befreiung und
werden zum Planeten Goloka Vrndavana erhoben, der Residenz
Krsnas, wo die materiellen Leiden der Geburt, des Todes, der Krank-
heit und des Alters nicht existieren. Somit unterscheidet sich die
Position der Gottgeweihten von der der Unpersönlichkeitsanhänger
und jnānis. Die Position des Gottgeweihten ist sehr erhaben: Auch
er erreicht die Brahman-Ausstrahlung, durchquert sie aber, denn
er fühlt sich nicht zu ihr hingezogen. Er fühlt sich nur zu den
Vaikuntha-Planeten hingezogen, besonders zu Goloka Vrndavana,
wo Krsna, die Höchste Persönlichkeit Gottes, ewig mit Seinen Ge-
fährten lebt.
2
DER ZWIST
DER VISNUDUTAS UND
DER YAMADUTAS
5. KAPITEL

Rettung
in höchster Not
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Mein lieber König, als die Send-
boten Visnus, die Visnudutas, aus dem Mund des sterbenden Ajā-
mila den heiligen Namen ihres Herrn und Meisters vernahmen,
begaben sie sich sogleich zu ihm. Ajāmila hatte in seiner schreck-
lichen Todesangst zweifellos ohne Vergehen gechantet. Die Be-
auftragten Yamarājas wollten gerade Ajāmilas Seele seinem Her-
zen entreißen, doch die Visnudutas geboten ihnen mit schallender
Stimme Einhalt. (Srimad-Bhāgavatam 6.1.30-31)

Die Abgesandten des Herrn


Die Yamadūtas, die Helfer Yamarājas, des Herrn des Todes, waren
gekommen, um Ajāmila wegzuschleppen. Ajāmila rief nach seinem
jüngsten Sohn, Nārāyana: „Nārāyana, komm zu mir! Ich sterbe!" Als
Krsna hörte, wie Ajāmila im Angesicht des Todes den Namen Nā-
rāyana rief, entsandte Er in Seiner großen Güte sogleich Seine Helfer,
die Visnudutas, um ihn zu beschützen.
Srila Visvanātha Cakravarti Thākura bemerkt hierzu, daß die Vis-
nudutas kamen, ohne in Betracht zu ziehen, warum Ajāmila den
heiligen Namen ihres Herrn, Nārāyana, gechantet hatte. Wāhrend
Ajāmila den Namen Nārāyanas rief, dachte er eigentlich an seinen
Sohn. Doch weil die Visnudutas Ajāmila den heiligen Namen des
Herrn ausrufen hörten, eilten sie unverzüglich zu seinem Schutz
herbei. Das Chanten des heiligen Namens ist eigentlich zur Verherr-
lichung des Herrn bestimmt. Ajāmila beabsichtigte nicht, den Herrn
zu verherrlichen, sondern rief den heiligen Namen von Nārāyana

88
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 89

nur, weil er übermäßig an seinem Sohn hing. Doch weil er in seiner


Jugend das Glück gehabt hatte, Nārāyana hingebungsvollen Dienst
darzubringen, chantete er den heiligen Namen mit aller Hingabe
und ohne Vergehen. Daher reichte sein Chanten aus, ihn von allen
Sünden zu lāutern und ihm den Schutz der Visnudutas zu sichern.
Der Name Nārāyana birgt die volle Kraft der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes, Nārāyana (Krsna), in sich. Das ist das Geheimnis
des nāma-sankirtana, des Chantens der Namen Gottes. Durch die-
ses Chanten von Krsnas heiligem Namen treten wir in unmittelbare
Verbindung mit Krsna, denn der Name des Herrn ist nicht materiell,
sondern spirituell und absolut. Somit gibt es keinen Unterschied
zwischen Krsna und Seinem Namen.

Das Schicksal der Seele

Als die Visnudutas eintrafen, sprachen sie zu den Yamadutas mit


Strenge und Bestimmtheit: „Was tut ihr da? Haltet ein! Ihr könnt
diesen Mann nicht zu Yamarāja bringen!"
Ein Vaisnava - jemand, der sich den Lotosfüßen Sri Visnus er-
geben hat - wird immer von den Beauftragten Visnus beschützt.
Weil Ajāmila den heiligen Namen Nārāyanas gechantet hatte, er-
schienen die Visnudutas nicht nur sofort am Ort des Geschehens,
sondern gaben den Yamadutas zugleich auch den Befehl, ihn nicht
anzurühren. Mit lauter Stimme drohten die Visnudutas, die Yama-
dutas zu bestrafen, wenn sie noch weiter versuchten, Ajāmilas Seele
seinem Herzen zu entreißen. Die Beauftragten Yamarājas haben die
Rechtsgewalt über alle sündigen Lebewesen, doch Visnus Gesandte
sind in der Lage, jeden zu bestrafen, selbst Yamarāja, wenn er einem
Vaisnava Unrecht tut.
Moderne Wissenschaftler wissen nicht, wie sie die Seele mit ihren
materiellen Instrumenten im Körper finden sollen, aber hier er-
klärt das Srimad-Bhāgavatam eindeutig, daß sich die Seele im Herzen
(hrdaya) befindet, denn die Yamadutas versuchten, Ajāmilas Seele
aus dem Herzen herauszuziehen. Das Herz ist Teil der mechanischen
Einrichtung des Körpers, wie der Herr in der Bhagavad-gitā (18.61)
beschreibt:
90 Im Angesicht des Todes

isvarah sarva-bhūtānām
hrd-dese 'rjuna tisthati
bhrāmayan sarva-bhūtāni
yantrārūdhāni māyayā

„Der Höchste Herr weilt im Herzen eines jeden, o Arjuna, und lenkt
die Wege aller Lebewesen, die sich gleichsam auf einer Maschine be-
finden, die aus materieller Energie besteht."
Yantra bedeutet „Maschine", wie zum Beispiel ein Auto. Der Fah-
rer der Maschine des materiellen Körpers ist die individuelle Seele,
die auch dessen Lenker und Eigentümer ist; doch der höchste Len-
ker und Eigentümer ist die Höchste Persönlichkeit Gottes in Ihrer
Form als Überseele.
So wie unser jetziger Körper entsprechend unserer Handlungs-
weise im letzten Leben durch die Kraft māyās geschaffen wurde,
erschafft māyā entsprechend unserer Handlungsweise im gegenwär-
tigen Leben einen neuen Körper für das nächste Leben. Zur ge-
gebenen Zeit wird über den nächsten Körper entschieden, worauf
die individuelle Seele und die Überseele in diese vorherbestimmte
physische Maschine eingehen. Das ist der Vorgang der Seelenwan-
derung.
Wenn die sündhafte Seele zum nächsten Körper wandert, wird
sie von Yamarājas Helfern ergriffen und in eine bestimmte Art höl-
lischen Lebens versetzt, damit sie sich an die Lebensbedingungen
im nächsten Körper gewöhnt.
6. KAPITEL

Die Bewohner der


spirituellen Welt
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Als die Beauftragten Yamarajas, des
Sohnes des Sonnengottes, so aufgehalten wurden, antworteten
sie: „Wer seid ihr, o Herren, daß ihr die Kühnheit besitzt, euch
Yamarajas Urteil zu widersetzen? Wessen Diener seid ihr? Woher
kommt ihr? Warum verbietet ihr uns, den Körper Ajāmilas anzu-
rühren? Seid ihr Halbgötter von den himmlischen Planeten, seid
ihr untergeordnete Halbgötter, oder seid ihr die besten der Gott-
geweihten? Eure Augen gleichen den Blütenblättern der Lotos-
blume. Gekleidet in gelbe Seidengewänder, geschmückt mit Lo-
tosgirlanden, eindrucksvollen Helmen und Ohrringen, seht ihr
blühend und jugendlich aus. Ihr habt vier lange Arme, und ihr
tragt Schwert, Bogen und Köcher voller Pfeile sowie Keule, Mu-
schelhorn, Feuerrad und Lotosblume. Euer Glanz hat die Dunkel-
heit mit außergewöhnlicher Leuchtkraft vertrieben. Sagt an, war-
um behindert ihr uns?" (Srimad-Bhāgavatam 6.1.32-36)

Göttliches Eingreifen

Die Sünden, welche Ajāmila begangen hatte, unterstellten ihn der


Rechtsgewalt Yamarajas, des höchsten Richters, der dazu ernannt
ist, über die Sünden der Lebewesen zu urteilen. Als Yamarajas Be-
auftragten verboten wurde, Ajāmila anzurühren, waren sie über-
rascht, denn in keiner der drei Welten waren sie jemals zuvor an der
Ausführung ihrer Pflichten gehindert worden.
Die Visnudūtas kamen von Vaikuntha und waren mit ihren vier

91
92 Im Angesicht des Todes

Armen von ungewöhnlicher Erscheinung. Die Diener Yamarajas


empfingen sie augenblicklich mit Respekt. Sie wußten nicht im ge-
ringsten, von welchem Planeten die Visnudūtas gekommen waren,
und vermuteten daher einfach: „Ihr müßt von einem sehr erhabe-
nen Planeten gekommen sein. Warum aber mischt ihr euch in un-
sere Angelegenheiten ein? Wir sind Yamadūtas, und es ist unsere
Pflicht, jeden Sünder gefangenzunehmen. Ajāmila hat sein ganzes
Leben lang viele Untaten begangen. Nun, am Ende seines Lebens,
sind wir befugt, ihn vor Yamarāja zu bringen, den Sohn des Sonnen-
gottes Vivasvān. Warum behindert ihr uns also?"
Das entscheidende Wort, siddha-sattamāh, befindet sich in Vers 32
und bedeutet „der beste der Vollkommenen". In der Bhagavad-gitā
(7.3) heißt es: manusyānām sahasresu kascid yatati siddhaye. Unter vie-
len Millionen von Menschen gibt es vielleicht einen, der versucht,
siddha (vollkommen) zu werden oder, mit anderen Worten, selbst-
verwirklicht. Ein selbstverwirklichter Mensch weiß, daß er nicht der
Körper ist, sondern eine spirituelle Seele (aham brahmāsmi). Gegen-
wärtig ist sich nahezu niemand dieser Tatsache bewußt; wer sie
jedoch versteht, hat die Vollkommenheit erreicht und wird daher
siddha genannt. Wenn man erkennt, daß man ein Bestandteil der
Höchsten Seele ist, und Ihr daher mit Hingabe dient, wird man ein
siddha-sattama. Dann ist man geeignet, in Vaikuntha oder Krsnaloka
zu leben. Das Wort siddha-sattama bezieht sich also auf einen reinen
Geweihten des Herrn.
Da die Yamadūtas die Diener Yamarajas sind, der ebenfalls ein
siddha-sattama ist, wußten sie, daß ein siddha-sattama über den Halb-
göttern und den untergeordneten Halbgöttern steht, ja über allen
Lebewesen der materiellen Welt. Die Yamadūtas fragten deshalb,
warum die Visnudütas sie davon abhielten, die Anweisungen einer
so erhabenen Seele wie Yamarāja auszuführen.
Zu beachten ist, daß Ajāmila noch nicht tot war, denn die Yama-
dütas wurden aufgehalten, bevor sie die Seele seinem Herzen ent-
reißen konnten. Ajāmila stand erst an der Schwelle des Todes, als
die Auseinandersetzung zwischen den Yamadūtas und den Visnu-
dütas stattfand. Diese Auseinandersetzung sollte entscheiden, wer
die Seele Ajāmilas beanspruchen durfte.
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 93

Spirituelle Schönheit

Die Visnudutas sahen genauso aus wie Sri Visnu. Die Yamadutas
hatten sie nie zuvor gesehen, weil sie sich immer in einer Umgebung
aufhalten, wo ausschließlich sündhaft gehandelt wird. Deshalb wa-
ren sie erstaunt über die Gegenwart dieser wunderschönen Wesen
und sagten: „Von euren Körpermerkmalen her seht ihr aus wie sehr
erhabene Persönlichkeiten, und ihr habt solch himmlische Kraft, daß
ihr mit eurer Ausstrahlung die Dunkelheit der materiellen Welt ver-
treibt. Warum wollt ihr uns also von der Erfüllung unserer Pflicht
abhalten?" Wie sich herausstellen wird, hielten die Yamadutas, die
Beauftragten Yamarājas, Ajāmila fälschlicherweise für sündhaft. Sie
wußten nicht, daß er, der sein ganzes Leben lang gesündigt hatte,
nun durch das ständige Chanten des heiligen Namens Nārāyana ge-
läutert worden war.
Die Ausstrahlung der Visnudutas ist darauf zurückzuführen, daß
sie Bewohner der spirituellen Welt sind, wo alles und jeder aus sich
selbst heraus leuchtet. Sri Krsna erwähnt dies in der Bhagavad-gitā
(15.6): na tad bhāsayate süryo na sasānko na pāvakah. „Mein Reich wird
weder von der Sonne noch vom Mond, noch von Feuer oder Elektri-
zitāt erleuchtet." Die Yamadutas wußten nicht, woher die Visnudu-
tas gekommen waren, aber sie erkannten, daß die Visnudutas keine
gewöhnlichen Wesen waren, da von ihnen ein leuchtender Glanz
ausging, sie vier Arme hatten und ihre Schönheit alles übertraf.
In diesen Versen werden die Kleidung und die Körpermerkmale
der Bewohner Vaikunthas detailliert beschrieben. Die Bewohner
Vaikunthas, die mit Girlanden und gelben Seidengewändern ge-
schmückt sind, haben vier Arme und halten ein Feuerrad, eine Blu-
me, eine Keule und ein Muschelhorn in den Händen. Sie gleichen in
jeder Hinsicht Sri Visnu - mit nur einem sehr auffallenden Unter-
schied: Das Kaustubha-Juwel, das der Herr auf Seiner Brust trāgt,
fehlt bei ihnen. Die Bewohner Vaikunthas haben dieselben Körper-
merkmale wie Nārāyana, weil sie die Befreiung der sārüpya erlangt
haben; aber trotzdem handeln sie als Seine Diener. Alle Einwohner
Vaikunthas sind sich vollkommen bewußt, daß ihr Meister Nārā-
yana, Krsna, ist und daß sie Seine Diener sind. Sie alle sind selbst-
94 Im Angesicht des Todes

verwirklicht und nitya-mukta, ewig befreit. Obwohl es denkbar wä-


re, daß sie sich als Nārāyana ausgeben, tun sie das nie; sie bleiben
immer Krsna-bewußt und dienen treu dem Herrn. Das ist die Stim-
mung, die auf Vaikunthaloka herrscht. Wenn wir durch die Bewe-
gung für Krsna-Bewußtsein lernen, Sri Krsna treu zu dienen, wer-
den auch wir immer in Vaikunthaloka verweilen und nichts mit der
materiellen Welt zu tun haben.

Jenseits der materiellen Welt

Im bedingten Zustand weiß man nichts von der spirituellen Welt.


Die spirituelle Welt aber existiert, wie dies Sri Krsna in der Bhagavad-
gitā (8.20) erklärt: paras tasmāt tu bhāvo 'nyo. „Neben der niederen
Natur gibt es eine andere, höhere Natur." Die niedere, materielle Na-
tur besteht aus Millionen und Abermillionen von Universen, die in
einer Ecke des spirituellen Himmels zusammengedrängt sind. Wir
können nicht einmal den Raum ermessen, den dieses eine Univer-
sum mit seinen unzähligen Planeten einnimmt. Aber es gibt Millio-
nen und Abermillionen von Universen in der gesamten materiellen
Schöpfung, die ihrerseits nur ein Viertel des Daseins ausmacht. Mit
anderen Worten, die gesamte materielle Welt existiert in nur einem
Viertel von Krsnas Energie, wāhrend die anderen drei Viertel den
spirituellen Himmel bilden. Unglückselige Menschen glauben, daß
die Erde bereits alles sei, doch das ist Froschphilosophie. Ein Frosch
in einem Brunnen kann nicht verstehen, was jenseits seines Brun-
nens liegt, und mißt alles aus der Brunnenperspektive. Wenn ihm
vom Ozean erzāhlt wird, kann er ihn sich nicht vorstellen. āhn-
lich bilden sich Leute mit einer solchen Froschmentalität ein: „Gott
ist soundso", „Gottes Königreich ist soundso", oder „Ich bin Gott",
oder „Es gibt keinen Gott." Das aber sind alles nur törichte Vor-
stellungen.
7. KAPITEL

Berechtigte Fragen
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Als die Diener Vāsudevas so von den
Boten Yamarajas angesprochen wurden, lächelten sie und sprachen
die folgenden Worte, mit Stimmen so tief wie der Hall donnern-
der Wolken: „Wenn ihr tatsāchlich Yamarajas Diener seid, müßt
ihr uns erklären, was religiöse Grundsātze sind und worin die
Merkmale der Irreligiosität bestehen. Wie findet die Bestrafung
statt? Welchen Menschen wird sie zuteil? Sind alle zu bestrafen,
die fruchtbringenden Tätigkeiten nachgehen, oder nur einige von
ihnen?" (Srimad-Bhāgavatam 6.1.37-39)

Was die Vertreter der Religion wissen sollten

Die Yamadūtas hielten den Visnudütas entgegen: „Ihr seid so erha-


ben, daß es euch nicht geziemt, euch in unsere Angelegenheiten ein-
zumischen." Die Yamadūtas waren überrascht, daß sich die Visnu-
dütas, die so große Seelen waren, der Herrschaft Yamarajas in den
Weg stellten; und auch die Visnudūtas waren sehr erstaunt, daß die
Yamadūtas die Grundsātze der Religion nicht kannten, obwohl sie
für sich in Anspruch nahmen, die Diener Yamarajas zu sein, des
höchsten Richters religiöser Prinzipien. Deshalb lächelten die Visnu-
dütas und dachten: „Was ist das für ein Unsinn, den sie da reden?
Wenn sie wirklich Yamarajas Diener sind, sollten sie wissen, daß
Ajāmila kein geeigneter Kandidat für sie ist."
Die Visnudütas sprachen sodann mit strenger Stimme: „Ihr be-
hauptet, die Bevollmächtigten Dharmarājas [Yamarāja] zu sein, des
obersten Herrn über den Tod und des Erhalters der Religion, und
ihr beschuldigt uns, euch bei der Arbeit zu stören, die er euch anver-
traut hat. Würdet ihr uns daher bitte erklären, was dharma (Religion)

95
96 Im Angesicht des Todes

und was adharma (Irreligiosität) ist? Wenn ihr tatsāchlich Yamarājas


Bevollmächtigte seid, solltet ihr diese Fragen beantworten können."
Die Frage, die die Visnudūtas den Yamadūtas stellten, ist von
größter Wichtigkeit. Ein Diener muß die Anweisungen seines Mei-
sters kennen. Yamarājas Diener behaupteten, dessen Anweisungen
auszuführen, weshalb die Visnudütas sie klugerweise baten, die re-
ligiösen und irreligiösen Prinzipien zu erklären. Ein Vaisnava kennt
diese Prinzipien genau, denn er ist mit den Unterweisungen der
Höchsten Persönlichkeit Gottes wohlvertraut. Der Höchste Herr
sagt: sarva-dharmān parityajya mām ekam saranam vraja. „Gib alle Ar-
ten von Religion auf und ergib dich einfach Mir!" Sich der Höchsten
Persönlichkeit Gottes zu ergeben ist somit das eigentliche Grund-
prinzip der Religion. Alle Menschen, die sich nicht Krsna, sondern
den Verlockungen der materiellen Natur ergeben, sind gottlos, un-
geachtet ihrer weltlichen Position. Da sie die Grundsātze der Reli-
gion ignorieren, ergeben sie sich Krsna nicht. Deshalb gelten sie als
sündhafte Schurken, als die Niedrigsten unter den Menschen und
als Narren, die allen Wissens beraubt sind. Krsna erklärt in der Bha-
gavad-gitā (7.15):

na mām duskrtino mūdhāh


prapadyante narādhamāh
māyayāpahrta-jnānā
āsuram bhāvam āsritāh

„Jene gottlosen Menschen, die abgestumpft und dumm sind, die die
Niedrigsten der Menschheit sind, deren Wissen der Illusion anheim-
gefallen ist und die das atheistische Wesen von Dāmonen haben, er-
geben sich Mir nicht."
Die Fragen der Visnudūtas waren durchaus angebracht. Wer je-
manden vertritt, muß sich über dessen Mission völlig bewußt sein.
Die Gottgeweihten der Bewegung für Krsna-Bewußtsein müssen
daher die Mission Krsnas und Sri Caitanyas wie auch die Philoso-
phie des Krsna-Bewußtseins genau kennen; sonst werden die Leute
sie für dumm halten.
Sri Caitanya Mahāprabhu lehrt: yei krsna-tattva-vettā, sei 'guru'
haya. „Man muß Krsna kennen - dann kann man guru werden."
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 97

Nicht jeder kann ein guru werden. Die Visnudutas forderten die
Yamadūtas also heraus: „Wenn ihr wirklich die Bevollmächtigten
Dharmarājas seid, müßt ihr erklären, was Religion und was Ir-
religiosität ist." Das sollte das Kriterium sein, um zu bestimmen,
wer tatsāchlich ein Vertreter der Religion ist. Nicht jeder sollte als
Geistlicher oder guru akzeptiert werden. Weil Unwissenheit um sich
greift, nimmt die Zahl derer immer mehr zu, die sich selbst Gott
nennen und im Namen von dharma törichte Ansichten verbreiten. Je-
mand, der sagt: „Ich bin Gott", oder „Durch mystischen yoga wurde
ich Gott", sollte zur Rede gestellt werden. In Amerika behauptete
ein Mann: „Ich bin Gott, jeder ist Gott", und sammelte auf diese
Weise Schüler um sich. Eines Tages bekam er Zahnschmerzen, und
ich fragte ihn: „Was für ein Gott bist denn du, daß du so sehr unter
Zahnschmerzen leidest?" Nur ein Verrückter oder ein Betrüger maßt
sich an, Gott zu sein.

Wem gebührt Strafe?


Wer die Macht hat, andere zu bestrafen, sollte nicht jeden bestra-
fen. Es gibt zahllose Lebewesen, von denen sich die meisten in
der spirituellen Welt befinden und nitya-mukta, ewig befreit, sind.
über diese befreiten Lebewesen braucht nicht gerichtet zu werden.
Nur ein kleiner Teil der Lebewesen, ein Viertel vielleicht, befindet
sich in der materiellen Welt, wobei die meisten - 8 000 000 der 8
400 000 Lebensformen - auf einer niedrigeren Stufe stehen als die
Menschen. Weil sie sich unter den Gesetzen der Natur automatisch
fortentwickeln, machen sie sich nicht strafbar. Die Menschen mit
ihrem hochentwickelten Bewußtsein jedoch sind für ihre Taten ver-
antwortlich; trotzdem gebührt nicht allen Strafe. Menschen, die sehr
fromm sind, müssen nicht bestraft werden, sondern nur die Sünder.
Deshalb wollten die Visnudutas insbesondere wissen, nach welchen
Gesichtspunkten Yamarāja festlegt, wer bestraft werden soll und
wer nicht. Wie soll man über jemanden richten? Auf welchem
Grundsatz beruht Autorität? So lauteten die Fragen der Visnudutas.
Die Yamadūtas fühlten sich im Recht, weil sie den Anweisungen
Yamarājas folgten, der unfehlbar ist. Ein Richter, der die Bestrafung
von Gesetzesbrechern anordnet, ist kein Krimineller, sondern viel-
98 Im Angesicht des Todes

mehr ein Vertreter der Regierung. Ebenso ist Yamarāja, der für die
höllischen Regionen zuständig ist und nur mit sündhaften Men-
schen zu tun hat, ein reiner Stellvertreter Krsnas und führt lediglich
die Anweisungen seines Meisters aus.
Von einem Polizisten wird erwartet, daß er die Gesetze kennt und
weiß, wen er wegen Gesetzesübertretung verhaften muß. Wenn er
wahllos jeden verhaftet, ist er selbst ein Krimineller. Gesetzestreue
Bürger darf er nicht in Haft nehmen. Genauso dürfen die Yamadūtas
nicht jeden beliebigen Menschen vor Yamarājas Gerichtshof bringen,
sondern nur die Nichtgottgeweihten, damit sie für ihre Sünden be-
straft werden. Yamarāja hat die Yamadūtas eindringlich davor ge-
warnt, sich den Vaisnavas zu nähern.
Weil Ajāmila jedoch ein sehr sündiges Leben geführt hatte, konn-
ten die Yamadūtas nicht verstehen, warum er nicht als Verbrecher
angesehen und vor Yamarāja gebracht werden sollte.

Gottgeweihte und Dämonen

In der materiellen Welt gibt es zwei Gruppen von Menschen: die


Diener Gottes, die auch devas oder suras genannt werden, und die
Diener māyās (Illusion), die auch asuras genannt werden.
In der spirituellen Welt jedoch gibt es nur eine Gruppe, denn dort
ist jeder ein Diener Gottes. Deshalb wird die spirituelle Welt als ab-
solut bezeichnet. In der spirituellen Welt gibt es keinerlei Meinungs-
verschiedenheiten, denn Krsna, Gott, ist der Mittelpunkt, und jeder
dient Ihm aus Liebe, nicht als bezahlter Diener. Ein bezahlter Diener
wird im Verhältnis zu seinem Entgelt Dienst verrichten; den Dienern
in Vaikuntha jedoch geht es nicht um Bezahlung. Sie alle sind be-
freit und so reich wie die Höchste Persönlichkeit Gottes, aber sie se-
hen sich dennoch immer als Diener. In der materiellen Welt dienen
die Menschen aus Notwendigkeit, wāhrend in der spirituellen Welt
jeder aus Liebe dient. Nichts ist dort „notwendig", denn alles ist in
sich vollkommen. Die Brahma-samhitā beschreibt, daß es in der spiri-
tuellen Welt kalpa-vrksas, Wunschbäume, gibt, von denen man jeden
Wunsch erfüllt bekommt.
In der materiellen Welt wird jeder zum Dienst gezwungen. Wenn
man keinen Dienst leistet, verhungert man. Selbst ein König muß
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 99

arbeiten, ganz zu schweigen von einem armen Mann. Unter der Lei-
tung des Höchsten Herrn macht die materielle Energie aus jedem ei-
nen tanzenden Hund. Der Meister befiehlt: „Tanz!", und der Hund
tanzt, denn er weiß, daß er andernfalls verhungern müßte.
Jeder - ob in der materiellen oder in der spirituellen Welt - ist
ein Diener. Aber hier in der materiellen Welt stehen die Menschen
unter dem falschen Eindruck, sie seien die Herren. Das Oberhaupt
der Familie glaubt: „Ich bin der Herr meiner Frau und meiner Kin-
der." In Wirklichkeit jedoch dient er den Familienmitgliedern. Das
Staatsoberhaupt denkt: „Ich bin König", oder „Ich bin Präsident",
aber eigentlich ist er ein Diener der Bürger. Seine Position ist die ei-
nes Dieners, und wenn sein Dienst nicht die Erwartungen der Bür-
ger erfüllt, wird er abgesetzt oder nicht wiedergewählt.
In der materiellen Welt versucht jeder, in seinem Bereich Herr
und Meister zu sein. Daher gibt es auf allen Ebenen Konkurrenz-
kämpfe - zwischen selbsternannten „Göttern", zwischen Staats-
oberhäuptern und selbst zwischen Freunden und Familienmitglie-
dern. Doch jeder geht aus diesem illusorischen Konkurrenzkampf
als Verlierer hervor. Mahatma Gandhi wurde respektvoll als „Vater
Indiens" bezeichnet, aber trotz allem war er nur ein Diener, und er
wurde sogar ermordet, weil jemand mit seinem Dienst nicht zufrie-
den war. Auch Präsident Kennedy war ein sehr beliebter Präsident.
Doch jemand sah einige Māngel in seinem Dienst und ermordete
ihn. Niemand in dieser Welt ist wirklich der Herr. Jeder ist entweder
ein Diener māyās (Illusion) oder ein Diener Gottes.
Die Gesetze der Regierung muß jeder befolgen. Von Illusion ver-
blendet, denkt der Verbrecher jedoch: „Ich akzeptiere die Gesetze
der Regierung nicht." Aber wenn er verhaftet wird, ist er gezwun-
gen, die Gesetze im Gefängnis zu befolgen. Er hat keine andere
Wahl. Genauso sind wir alle Diener Gottes, aber die dämonischen
Menschen (asuras) kümmern sich nicht um Gott und Seine Gesetze.
Diese Schurken glauben, es gebe keinen Gott, jeder sei Gott oder sie
selbst seien Gott. Doch solche „Götter" müssen ebenfalls die Gesetze
Gottes in Form von Geburt, Tod, Krankheit und Alter befolgen.
Nur Menschen, die völlig unter dem Bann der Illusion stehen,
weigern sich, Gott zu dienen. Anstatt Gott freiwillig Dienst darzu-
bringen, sind sie Sklaven māyās, der illusionierenden Energie Gottes.
100 Im Angesicht des Todes

Wer von Geistern besessen ist, redet nur dummes Zeug, und eben-
so redet ein Mensch, der von māyā besessen und von den Illusionen
der materiellen Natur verblendet ist, nur groben Unsinn, welcher in
der Behauptung gipfelt, er sei Gott.
Zwischen den beiden Gruppen von Menschen - der göttlichen
(devas) und der dämonischen (asuras) - herrscht ein nie endender
Kampf. Die asuras rebellieren ständig gegen Gott, wohingegen die
devas Ihm immer ergeben sind. Aus der Geschichte von Prahlāda
Mahārāja geht hervor, daß es selbst unter Familienmitgliedern devas
und asuras geben kann. Prahlāda Mahārājas Vater, Hiranyakasipu,
war ein asura, wāhrend Prahlāda Mahārāja ein deva war. Normaler-
weise hat ein Vater sein Kind gern; aber weil Hiranyakasipu ein
Dāmon war, wurde er zum Feind seines eigenen Sohnes. Das ist das
Wesen von Dāmonen.
Wie selbst ein Tiger Zuneigung für seine Jungen verspürt, so
empfand anfänglich auch Hiranyakasipu Zuneigung für Prahlāda
Mahārāja, der ein fünfjähriger Junge von gutem Betragen und rei-
zender Erscheinung war. Eines Tages fragte Hiranyakasipu seinen
Sohn: „Mein lieber Junge, sag mir: Was ist das Beste, das du in der
Schule gelernt hast?"
„Man sollte alles aufopfern, um Gott zu erkennen", antwortete
Prahlāda Mahārāja. „Die menschliche Lebensform bietet uns die be-
ste Möglichkeit, spirituellen Fortschritt zu machen, und wir müssen
sie nutzen, um Gott zu erkennen."
Da wandte sich Hiranyakasipu wutentbrannt an die Lehrer sei-
nes Sohnes: „Warum habt ihr dem Jungen all diesen Unsinn beige-
bracht?" „O Herr, diese Dinge haben nicht wir dem Jungen beige-
bracht", entgegneten sie voller Angst. „Er ist von Natur aus Gott
zugeneigt! Wir sind unschuldig. Sobald sich die Gelegenheit bietet,
predigt er vor seinen Klassenkameraden über Gottesbewußtsein."
Wenn kein Lehrer anwesend war, stieg Prahlāda Mahārāja sofort auf
eine Bank und wandte sich an seine Freunde: „Meine lieben Jungen,
dieses Leben ist nicht für Sinnenbefriedigung bestimmt, sondern für
Gotteserkenntnis. Vergeßt das nicht!"
Diese Predigermission haben auch wir auf uns genommen, weil
den Menschen im allgemeinen nur an sofortiger Sinnenbefriedigung
gelegen ist, wodurch sie sich selbst schaden. Im Srimad-Bhagavatam
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 101

(5.5.4) sagt Rsabhadeva: nūnam pramattah kurute vikarma yad indriya-


pritaya āprnoti. „Nur um der Befriedigung ihrer Sinne willen be-
gehen die Menschen zahllose sündhafte Handlungen. Sie verhalten
sich wie Verrückte." Ein Verrückter weiß nicht, was er tut. Materia-
listische Menschen sind derart von ihrem Streben nach Sinnenbe-
friedigung besessen, daß sie ihren Verstand verloren haben und alle
möglichen Sünden begehen.
Rsabhadeva betont, daß die materialistische Lebensweise sehr ris-
kant ist. Den Menschen, die dem Sinnengenuß frönen, gibt Krsna
entsprechende Möglichkeiten, indem Er sie zwingt, immer wieder
in der materiellen Welt geboren zu werden. Ein Affe zum Beispiel
hat ausgezeichnete Möglichkeiten zu sexuellem Genuß. In gewisser
Hinsicht führt ein Affe sogar ein Leben der Entsagung: Er lebt
nackt im Wald und frißt nur Früchte. Doch seine Natur ist es, daß
er mindestens drei Dutzend Äffinnen für seinen sexuellen Genuß
braucht. Sogenannte Asketen, die die Kleidung eines sādhu tragen,
heimlich aber unerlaubten Geschlechtsverkehr mit Frauen haben,
sind nichts anderes als Affen. Solch ein Verhalten ist dämonisch.
Dämonen (asuras) glauben nicht an Gott und handeln nach ihren
eigenen Launen. In der Bhagavad-gitā (7.15) beschreibt Krsna sie
wie folgt:
na mām duskrtino mūdhāh
prapadyante narādhamāh
māyayāpahrta-jhānā
āsuram bhāvam āsritāh
„Jene gottlosen Menschen, die abgestumpft und dumm sind, die die
Niedrigsten der Menschheit sind, deren Wissen der Illusion anheim-
gefallen ist und die das atheistische Wesen von Dāmonen haben, er-
geben sich Mir nicht."
Hier stellt Krsna eindeutig fest: āsurarh bhāvam āsritāh. Weil die
Dāmonen bei atheistischer Philosophie Zuflucht gesucht haben, sind
sie trotz ihres Fortschritts in Bildung, Wissenschaft und Politik die
Niedrigsten der Menschheit. Jemand mag einwenden: „Wie kann
man einen vornehmen Atheisten mit Universitätstitel Dāmon nen-
nen? Er ist doch derart gebildet und kompetent." Das Urteil der
sāstras jedoch lautet, daß sein Wissen - trotz all seiner Gelehrtheit -
102 Im Angesicht des Todes

in Wirklichkeit māyā anheimgefallen ist, da er atheistisch einge-


stellt ist.
Die Anweisungen der Schriften mögen nicht sehr angenehm sein;
aber nichtsdestoweniger sind sie maßgebend, und wir müssen die
Wahrheit predigen. Mit den Problemen des Lebens können wir nicht
Versteck spielen. Wir müssen unsere wirkliche Lage erkennen und
verstehen, was Religion und was Irreligiosität ist. Religion bedeutet,
nach den Anordnungen Gottes zu handeln, und Irreligiosität bedeu-
tet, ihnen zuwider zu handeln.
8. KAPITEL

Was ist Religion?


Die Yamadutas antworteten: „Was in den Veden vorgeschrieben
wird, ist dharma [Religion], und das Gegenteil davon ist Irreli-
giosität. Die Veden sind direkt die Höchste Persönlichkeit Gottes,
Nārāyana, und sie sind selbstgeboren. So haben wir es von Yama-
rāja vernommen." (Srimad-Bhāgavatam 6.1.40)

Hören von der richtigen Quelle


Die vedischen Grundsātze werden als autoritativ anerkannt, weil
sie von Krsna ausgehen. Daher besitzen die Veden die Autorität der
Höchsten Persönlichkeit Gottes, ebenso wie Gesetzbücher die Auto-
rität der Regierung besitzen.
Wenn es darum geht, zu bestimmen, was Religion und was Ir-
religiosität ist, sind Meinungen und Mutmaßungen fehl am Platz.
In diesem Zusammenhang zu sagen: „Ich glaube dies", „Ich denke
das", ist unsinnig. Wir müssen Gott durch den Vorgang des susruma
verstehen, das heißt durch Hören von einem bevollmächtigten Stell-
vertreter Gottes. In der Bhagavad-gitā (4.1) sagt Krsna:

imam vivasvate yogam


proktavān aham avyayam
vivasvān manave prāha
manur iksvākave bravit

„Ich unterwies Vivasvān, den Sonnengott, in dieser unvergängli-


chen Wissenschaft des yoga; Vivasvān unterwies Manu, den Vater
der Menschheit, und Manu seinerseits unterwies Iksvāku."
Nur wenn man von einer echten Autorität, dem spirituellen Mei-
ster, hört, kann man die Veden verstehen.

103
104 Im Angesicht des Todes

Die Yamadūtas forderten die Visnudutas also auf, sie nicht an der
Ausübung ihrer Pflichten zu hindern, handelten sie doch auf An-
weisung Yamarājas, einer echten Autorität. Yamarāja ist einer der
zwölf mahājanas, der großen Autoritäten, die in spirituellen und ma-
teriellen Angelegenheiten maßgebend sind. Er ist ein Vaisnava, aber
seine undankbare Aufgabe besteht darin, all die Seelen zu bestra-
fen, die sündhaft handeln. Genauso wie der Polizeichef ein verant-
wortungsvoller, treuer Diener der Regierung ist, ist Yamarāja der er-
gebene Diener Nārāyanas, Krsnas. Seine Aufgabe ist es, Sünder zu
bestrafen. Wenn schon in einer gewöhnlichen Regierung ein oberster
Richter erforderlich ist, warum nicht auch in der Regierung Gottes?
Im Srimad-Bhāgavatam werden zwölf mahājanas erwähnt: Brahma,
Nārada Muni, Siva, die vier Kumāras, Kapila (der Sohn Devahütis),
Svayambhuva Manu, Prahlāda Mahārāja, Bhismadeva, Janaka Ma-
hārāja, Sukadeva Gosvāmi, Bali Mahārāja und Yamarāja. Diese Au-
toritāten wissen genau, wer Gott ist, und können uns den Weg zu
Ihm weisen. Deshalb empfehlen uns die sāstras, ihnen zu folgen.

Die Wichtigkeit des spirituellen Meisters

Ohne den mahājanas nachzufolgen, ist es nicht möglich, Gott zu ver-


stehen, denn der Pfad der Religion kann nicht durch Spekulation
erkannt werden. Die religiösen Prinzipien werden von der Höch-
sten Persönlichkeit Gottes festgelegt (dharmam tu sāksād bhagavat-
pranitam). Wirkliche Religion bedeutet daher, sich an die Worte des
Höchsten Herrn und Seiner Stellvertreter zu halten. In der Bhaga-
vad-gitā (18.66) sagt Krsna: mām ekam saranam vraja. „Ergib dich ein-
fach Mir!" Das ist wahre Religion. Alles andere ist Irreligiosität. Von
Menschen geschaffene Religion ist nicht Religion, sondern Betrug.
Heutzutage ist es Mode geworden, daß jeder seine eigene Religion
erfindet, ohne sich auf die Autoritäten zu stützen. Dharma (Religion)
jedoch bedeutet: die von Gott dem Menschen gegebenen Gesetze.
Die mahājanas folgen strikt dem Pfad des dharma, und wir müssen
ihrem Beispiel folgen. Andernfalls können wir nicht verstehen, was
Religion ist oder wer Gott ist.
überall in der materiellen Welt herrscht Verwirrung, wenn es um
Religion geht. Daher heißt es in der Mundaka Upanisad (1.2.12), man
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 105

solle einen guru aufsuchen: tad vijnānārtham sa gurum evābhigacchet.


„Wenn jemand die transzendentale Wissenschaft erlernen möchte,
muß er sich an einen guru wenden." Es gibt keine Ausnahmen. Man
kann nicht sagen: „Ich werde die transzendentale Wissenschaft er-
lernen, ohne mich an einen spirituellen Meister zu wenden." Nein,
das ist nicht möglich. Die Vaisnava-Prinzipien schreiben vor: ādau
gurv-āsrayam. „Um spirituelles Wissen zu erlangen, muß man als
erstes bei einem echten guru Zuflucht suchen." Drei Grundsätze
sind zu beachten, wenn man bei einem guru Zuflucht sucht: tad
viddhi pranipātena pariprasnena sevayā. Wir müssen uns dem spirituel-
len Meister ergeben, ihm Fragen stellen und ihm dienen. Dann wird
es uns möglich sein, echtes spirituelles Wissen zu verstehen.
Als sich Sanātana Gosvāmi an Sri Caitanya wandte, um Sein Schü-
ler zu werden, ergab er sich Ihm mit den folgenden Worten: „Mein
lieber Herr, als ich Minister war, nannten mich die Menschen im-
mer einen gebildeten Mann - und so hielt ich mich für gebildet und
intelligent. Tatsāchlich aber bin ich weder gebildet noch intelligent,
denn ich weiß nicht, wer ich bin. So weit hat mich meine Bildung
gebracht. Ich weiß alles, nur nicht, wer ich bin und wie ich den leid-
vollen materiellen Lebensbedingungen entkommen kann."
Wie wir sehen, versagt auch das moderne Bildungswesen in die-
sem Punkt. Die Professoren sprechen über alles mögliche, aber wenn
wir einen von ihnen fragen, wer er ist, weiß er keine Antwort.
Die Universitäten verleihen unzählige Hochschulabschlüsse, und
die Absolventen denken: „Ich bin ein Doktor, ein großer Gelehrter."
Sobald wir aber diesen Doktor bitten zu erklären, wer er sei und
worin das Ziel des Lebens bestehe, wird er nur körperliche Designa-
tionen und Äußerlichkeiten anführen: „Ich bin Amerikaner, ich bin
ein Mann, usw." Er kennt nichts anderes als die Identifikation mit
seinem Körper, aber er ist nicht der Körper. Folglich ist er ein erst-
klassiger Dummkopf.
Mit körperlichen Beziehungen identifizierte sich anfänglich auch
Arjuna: „Krsna, wie soll ich noch kämpfen können? Auf der ande-
ren Seite stehen meine Vettern, meine Brüder, meine Onkel, mei-
ne Neffen und Schwāger. Wenn ich sie töte, werden ihre Frauen zu
Witwen. Sie werden ihre Sittsamkeit verlieren, und so werden uner-
wünschte Kinder zur Welt kommen." Arjuna war sehr gebildet, aber
106 Im Angesicht des Todes

dennoch geriet er in Verwirrung. „Mein lieber Krsna", sprach er,


„ich weiß nicht mehr weiter. Ich bin ein ksatriya, und meine Pflicht
ist der Kampf; doch ich weiche von dieser Pflicht ab, da ich ver-
wirrt bin und keinen Ausweg mehr sehe. Ich weiß, Du kannst mir
erklären, was ich tun soll; deshalb wende ich mich an Dich als Dein
ergebener Schüler. Bitte unterweise mich!" (Bhagavad-gitā 2.7)
Die vedischen Schriften lehren uns als allererstes, daß der guru
kein Spielzeug ist. Man sollte nicht denken: „Ich muß einen guru ha-
ben, weil es Mode ist. Aber es ist nicht nötig, seinen Anweisungen
zu folgen." Ein solcher guru ist ebenso nutzlos wie sein Schüler. Das
Annehmen eines guru ist eine sehr ernste Angelegenheit. Man muß
aufrichtig suchen und herausfinden, wer ein echter spiritueller Mei-
ster ist, der die Probleme des Lebens zu lösen vermag. Nur wenn
man den ernsthaften Wunsch hat, aus dem sengenden Feuer des
materiellen Daseins herauszukommen, sollte man sich an einen spi-
rituellen Meister wenden.
Im Srimad-Bhāgavatam (11.3.21) heißt es:

tasmād gurum prapadyeta


jijnāsuh sreya uttamam
sabde pare ca nisnātam
brahmany upasamāsrayam

Wer in seinem Leben die höchste Segnung erlangen möchte, muß


sich einem guru ergeben. Der guru muß in den vedischen Schriften
wohlbewandert sein und ihre Schlußfolgerungen kennen. Er muß
aber nicht nur mit den Schriften vertraut sein, sondern auch in sei-
nem Leben dem Pfad der vedischen Prinzipien folgen, ohne im ge-
ringsten davon abzuweichen. Er muß alle Verlangen nach Reich-
tum, Frauen und Ansehen hinter sich gelassen haben. Er muß fest
im spirituellen Leben verankert und völlig der Höchsten Persönlich-
keit Gottes, Krsna, ergeben sein. Solch eine Persönlichkeit sollte man
ausfindig machen und als spirituellen Meister annehmen.
Yamarājas Diener hatten also genau richtig geantwortet. Sie hat-
ten keine neue Definition von Religion und Irreligiosität erfunden,
sondern wiederholten nur, was sie von ihrem spirituellen Meister,
Yamarāja, gehört hatten. Mahajano yena gatah sa panthāh. „Man sollte
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 107

einem mahajana, einer bevollmächtigten Persönlichkeit, folgen." Da


Yamaraja einer der zwölf Bevollmächtigten ist, antworteten seine
Diener, die Yamadutas, zu Recht: susruma. „Wir haben es von unse-
rem Meister, Yamaraja, gehört."
9. KAPITEL

Bestrafung
Die Yamadūtas fuhren fort: „Nārāyana, die höchste Ursache aller
Ursachen, befindet Sich in Seinem Reich in der spirituellen Welt,
aber dennoch lenkt Er die gesamte kosmische Manifestation durch
die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur - Tugend, Lei-
denschaft und Unwissenheit. Auf diese Weise erhalten alle Le-
bewesen verschiedene Eigenschaften, verschiedene Namen [wie
brāhmana, ksatriya und vaisya], verschiedene Pflichten gemäß
dem varnāsrama-Gesellschaftssystem und verschiedene Körper-
formen. Nārāyana ist also die Ursache der gesamten kosmischen
Manifestation.
Die Sonne, das Feuer, der Himmel, die Luft, die Halbgötter, der
Mond, der Abend, der Tag, die Nacht, die Himmelsrichtungen, das
Wasser, das Land und die Überseele selbst sind die Zeugen der
Handlungen aller Lebewesen. Bestraft werden all diejenigen, über
die diese zahlreichen Zeugen aussagen, sie seien von ihren vor-
geschriebenen Pflichten abgewichen. Jeder, der fruchtbringenden
Tätigkeiten nachgeht, verdient es, für seine sündhaften Taten be-
straft zu werden.
O Bewohner Vaikunthas, ihr seid frei von Sünde, aber die-
jenigen, die sich in der materiellen Welt befinden, sind karmis
[materiell motivierte Arbeiter], ob sie nun fromm oder gottlos
handeln. Beide Handlungsweisen stehen ihnen offen, denn sie
sind durch die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur
verunreinigt und müssen dementsprechend handeln. Wer einen
materiellen Körper angenommen hat, kann nicht inaktiv bleiben,
und sündhafte Taten sind unvermeidlich für jeden, der unter dem
Einfluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur han-
delt. Deshalb gebührt allen Lebewesen innerhalb der materiellen

108
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 109

Welt Bestrafung. Man muß also gemäß dem Ausmaß der religiösen
und irreligiösen Handlungen, die man im gegenwärtigen Leben
begeht, im nächsten Leben entsprechende karma-Reaktionen ge-
nießen oder erleiden." (Srimad-Bhāgavatam 6.1.41-45)

Die Ursache hinter allen Handlungen

In der Svetāsvatara Upanisad (6.8) heißt es:

na tasya kāryam karanam ca vidyate


na tat-samas cābhyadhikas ca drsyate
parāsya saktir vividhaiva srūyate
svābhāviki jnāna-bala-kriyā ca

Nārāyana, die Höchste Persönlichkeit Gottes, ist allmächtig und hat


vielfältige Energien. Er weilt in Seinem Reich und vermag gleich-
zeitig ohne Anstrengung die gesamte kosmische Manifestation zu
beaufsichtigen und durch das Zusammenspiel der drei Erschei-
nungsweisen der materiellen Natur (Tugend, Leidenschaft und Un-
wissenheit) zu lenken. Durch dieses Zusammenspiel kommen in
vollkommenem Ablauf die verschiedenen Formen, Körper, Hand-
lungen und Veränderungen zustande. Der Herr ist vollkommen,
und deshalb funktioniert alles so, als ob Er es unmittelbar über-
wachen würde und persönlich daran teilnähme.
Atheistische Menschen jedoch sind von den drei Erscheinungs-
weisen der materiellen Natur bedeckt und können nicht sehen, daß
Nārāyana die höchste Ursache hinter allen Handlungen ist. Krsna
bestätigt dies in der Bhagavad-gita (7.13):

tribhir guna-mayair bhāvair


ebhih sarvam idam jagat
mohitam nābhijānāti
mām ebhyah param avyayam

„Getäuscht von den drei Erscheinungsweisen, kennt die gesamte


Welt Mich nicht, der Ich über den drei Erscheinungsweisen stehe
und unerschöpflich bin."
110 Im Angesicht des Todes

Die Notwendigkeit des Arbeitens

Es gibt drei Energien des Höchsten Herrn: die innere Energie (parā-
sakti), die marginale Energie und die äußere Energie. Die Lebewesen
gehören zur marginalen Energie, weil sie entweder unter dem Ein-
fluß der inneren Energie oder der äußeren Energie des Herrn stehen
können. Von Natur aus gehören sie der parā-sakti an, doch sobald
sie unter den Einfluß der materiellen Energie geraten, werden sie als
ksetra-jna-sakti, „Kenner des materiellen Feldes", bezeichnet. Mit an-
deren Worten, die unmittelbare, innere Energie Gottes ist spirituell
(parā), und die Lebewesen sind von derselben Natur (parā); aber auf-
grund ihres Kontaktes mit der materiellen Energie (ksetra) halten sie
den materiellen Körper für das Selbst und sind gezwungen, mit den
fünf Sinnen zu handeln.
Die Yamadūtas sagen, daß jeder, der einen materiellen Körper hat,
arbeiten muß. Dies trifft sowohl auf die Ameise als auch auf den
Elefanten zu. Die Ameise braucht für ihre Ernährung nur einen
Krümel Zucker, wohingegen der Elefant täglich dreihundert Kilo
Futter braucht - doch beide müssen dafür etwas tun. Ignoranten
behaupten, daß die Vaisnavas nicht arbeiten; aber die Vaisnavas ar-
beiten für Krsna vierundzwanzig Stunden am Tag. Sie sind keine
müßigen Nichtstuer. Solange wir in der materiellen Welt leben, müs-
sen wir arbeiten, doch wir arbeiten für Krsna. Das ist nicht Arbeit
im Sinne von karma, sondern dharma, angewandte Religion. Wenn
jemand nicht für Krsna tätig ist, ist seine Arbeit adharma, irreligiöse
Sinnenbefriedigung.

Varnāsrama-dharma

Das wahre Lebensziel besteht darin, Krsna zufriedenzustellen, und


varnāsrama-dharma ist das Gesellschaftssystem, das auf diesem Ideal
beruht. Das varnāsrama-System teilt die Gesellschaft in vier spiri-
tuelle Lebensstufen (āsramas) und vier soziale Klassen (varnas) ein.
Die spirituellen Lebensstufen bestehen aus den brahmacāris (Stu-
denten im Zölibat), den grhasthas (Haushälter, die nach spirituel-
len Prinzipien leben), den vānaprasthas (Menschen, die in Zurück-
gezogenheit leben) und den sannyāsis (Menschen, die in Entsagung
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 111

leben). Die vier sozialen Klassen sind die brāhmanas (Intellektuelle),


die ksatriyas (Krieger und Regierende), die vaisyas (Bauern und Ge-
schäftsleute) und die sūdras (Arbeiter). Ohne die Grundsātze des
varnāsrama-dharma befindet sich die Gesellschaft der Menschen fast
auf der Stufe der Tiere. Tatsāchlich beginnt menschliche Zivilisation
erst dann, wenn die Menschen die Einteilung der Gesellschaft in
die vier sozialen und spirituellen Klassen akzeptieren, und zwar auf
der Grundlage von Eigenschaft und Arbeit. Wie Krsna in der Bhaga-
vad-gitā (4.13) sagt: cātur-varnyam mayā srstam guna-karma-vibhāgasah.
„Ich habe die vier sozialen Einteilungen gemäß Eigenschaft und Ar-
beit geschaffen."
In der materiellen Welt stehen wir unter dem Einfluß einer be-
stimmten Kombination der drei Erscheinungsweisen der Natur.
Dementsprechend bildet sich unser Charakter und unser Verhalten,
die als Kriterium dafür dienen, welcher gesellschaftlichen Einteilung
wir angehören. Heutzutage sagen die Menschen, es solle kein Klas-
sensystem mehr geben, aber wie können sie die naturgegebene Un-
terteilung der Gesellschaftsklassen ignorieren? Es muß eine Klasse
von brāhmanas, intelligenten Menschen, geben, die geeignet sind,
den Menschen das vedische Wissen zu vermitteln. Es muß eine
Klasse von ksatriyas geben, die Führung und Schutz bieten. Es muß
eine Klasse von vaisyas, Händlern und Bauern, geben, die dem Han-
del und den landwirtschaftlichen Aufgaben, wie beispielsweise dem
Schutz der Kühe, nachgehen. Schließlich muß es eine Klasse von
sūdras geben, die den anderen Klassen dient. Jeder Mensch gehört
entsprechend seiner Natur (guna) einer dieser vier Klassen an.

Die Vollkommenheit der Arbeit

Die Vollkommenheit unserer Arbeit besteht darin, Visnu (Krsna) zu-


friedenzustellen - unabhängig davon, welchem varna und āsrama
wir angehören. Dies betont der Herr in der Bhagavad-gitā (3.9):

yajnārthāt karmano 'nyatra


loko 'yam karma-bandhanah
tad-artham karma kaunteya
mukta-sangah samācara
112 Im Angesicht des Todes

„Man muß seine Arbeit Visnu als Opfer darbringen, denn sonst
wird man durch sie an die materielle Welt gebunden. O Arjuna, er-
fülle daher deine vorgeschriebenen Pflichten zu Seiner Zufrieden-
stellung; auf diese Weise wirst du immer frei von Bindung bleiben."
Das ist die Quintessenz des menschlichen Lebens. Da wir arbeiten
müssen, sollten wir für Krsna arbeiten. Das wird uns vor allen sünd-
haften Reaktionen bewahren.
Wenn wir indes für unsere eigene Sinnenbefriedigung arbeiten,
werden wir uns Leben für Leben in sündhafte Handlungen und
ihre Folgen verstricken. Niemand kann den Fesseln wiederholter
Geburten und Tode entrinnen, solange er nach Sinnenbefriedigung
strebt.
Caitanya Mahāprabhu sagt: jivera 'svaRūpa' haya — krsnera 'nitya-
dāsa' (Caitanya-caritamrta, Madhya-lilā 20.108). „Die wesensgemäße
Stellung des Lebewesens ist es, ewig ein Diener Krsnas zu sein."
Wenn jemand diese Stellung einnimmt, ist er gerettet - andernfalls
nicht.
Wie nun handelt jemand, der seine Stellung als ewiger Diener
Krsnas einnimmt? Prahlāda Mahārāja erklärt im Srimad-Bhāgavatam
(7.5.23):

sravanam kirtanam visnoh


smaranam pāda-sevanam
arcanam vandanam dāsyam
sakhyam ātma-nivedanam

„über den heiligen Namen, die Form, die Eigenschaften, die At-
tribute und die Spiele Sri Visnus zu hören und zu chanten und sich
an sie zu erinnern, den Lotosfüßen des Herrn zu dienen, dem Herrn
Verehrung und Gebete darzubringen, Sein Diener zu werden, den
Herrn als besten Freund zu sehen und Ihm alles hinzugeben - dies
sind die neun Vorgānge reinen hingebungsvollen Dienstes."
Um diese Vorgānge ernsthaft zu befolgen, muß man sich an die
regulierenden Prinzipien des spirituellen Lebens halten: kein Essen
von Fleisch, kein unzulässiges Geschlechtsleben, keine Berauschung
und kein Glücksspiel. Dann wird man die Anweisung annehmen
können, den Hare-Krsna-mahā-mantra zu chanten und dem Herrn
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 113

immer auf eine der genannten neun Arten zu dienen. Wenn wir
diese Anweisung beherzigen, wird unser Leben in spiritueller und
materieller Hinsicht erfolgreich sein. Ansonsten müssen wir uns da-
mit begnügen, unsere Sinne zu befriedigen und sündhaften Betäti-
gungen nachzugehen. So werden wir wie Hunde und Schweine zu
leiden haben und dem Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und
Tod unterworfen sein.

Unwissenheit: die Ursache von Leid


Wir halten den Körper für unser Selbst und denken: „Ich bin dieser
Körper." In Wirklichkeit jedoch sind wir nicht der Körper, sondern
der Besitzer des Körpers, genauso wie wir nicht unsere Wohnung
sind, sondern der Mieter oder Besitzer der Wohnung. Die Seele wird
dehi genannt, „jemand, der einen Körper besitzt". Wenn wir unse-
ren Körper betrachten, sagen wir: „Das ist meine Hand, das ist mein
Bein", und nicht: „Ich bin diese Hand, ich bin dieses Bein." Aber die
Illusion, daß wir der Körper sind, bleibt bestehen. Der Körper ist nur
ein Fortbewegungsmittel für die Seele. Manchmal wird ein neues
Auto in einem Unfall zu Schrott gefahren, und der Fahrer wird vom
Gefühl des Verlustes überwältigt - er vergißt ganz, daß er nicht das
Auto ist. Das ist die Auswirkung des falschen Egos (ahankāra), das
heißt des falschen Besitzanspruches.
Weil wir von Unwissenheit bedeckt sind, haben wir vergessen,
welchen Körper wir im vergangenen Leben besaßen. Selbst im ge-
genwärtigen Leben können wir uns nicht mehr erinnern, daß wir
einst ein Baby auf dem Schoße unserer Mutter waren. Wir haben
schon so viele Dinge erlebt, doch wir können uns nicht mehr an sie
alle erinnern. Wie sollen wir also in der Lage sein, uns an frühere
Leben zu erinnern, wenn wir nicht einmal wissen, was alles im jet-
zigen Leben geschehen ist?
Man begeht sündhafte Handlungen, weil man sich nicht dessen
bewußt ist, welche Tätigkeiten des vergangenen Lebens zum jet-
zigen materiell bedingten Körper geführt haben, der den dreifachen
Leiden unterworfen ist: Leiden, die vom eigenen Körper und Geist
hervorgerufen werden, Leiden, die von anderen Lebewesen verur-
sacht werden, und Leiden, die durch Naturkatastrophen entstehen.
114 Im Angesicht des Todes

Dies bestätigt auch Rsabhadeva im Srimad-Bhāgavatam (5.5.4): nūnam


pramattah kurute vikarma yad indriya-prutaya āprnoti. „Ein Mensch, der
verrückt nach Sinnenbefriedigung ist, zögert nicht zu sündigen." Na
sādhu manye. „Das ist nicht gut." Yata ātmano 'yam asann api klesada
āsa dehah. „Aufgrund sündhafter Handlungen bekommt man einen
weiteren Körper, in dem man leiden muß, genauso wie man im ge-
genwärtigen Körper aufgrund vergangener sündhafter Tätigkeiten
leiden muß."
Menschen ohne vedisches Wissen handeln in Unwissenheit und
verstehen nicht, was sie in der Vergangenheit getan haben, was sie
in der Gegenwart tun und was sie in der Zukunft zu erleiden ha-
ben. Sie befinden sich in völliger Dunkelheit. Deshalb lautet die ve-
dische Unterweisung: tamasi mā. „Bleibe nicht in der Dunkelheit!"
Jyotir gama. „Versuche, zum Licht zu gelangen!" Dieses Licht ist das
vedische Wissen. Um es zu verstehen, muß man sich zur Erschei-
nungsweise der Tugend erheben und diese transzendieren, indem
man dem spirituellen Meister und dem Höchsten Herrn in Hin-
gabe dient.

Der Weg zum Wissen

Die Svetāsvatara Upanisad (6.23) beschreibt, wie Dienst für den Herrn
und den spirituellen Meister zu vedischem Wissen führt:

yasya deve parā bhaktir


yathā deve tathā gurau
tasyaite kathitā hy arthāh
prakāsante mahātmanah

„Den großen Seelen, die festen Glauben an den Herrn und den spi-
rituellen Meister haben, wird die Bedeutung des vedischen Wissens
von selbst enthüllt."
Die Veden betonen: tad-vijnānārtham sa gurum evābhigacchet. Um
ein Geweihter des Herrn zu werden, muß man einen spirituellen
Meister aufsuchen, der vollständiges Wissen über die Veden hat,
und sich von ihm anleiten lassen. Dann wird einem das Wissen der
Veden offenbart, und man braucht nicht mehr in der Dunkelheit der
materiellen Natur zu bleiben.
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 115

Das Lebewesen erhālt seinen Körper entsprechend seiner Verbin-


dung mit den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur - Tu-
gend, Leidenschaft und Unwissenheit. Das Beispiel für einen Men-
schen in der Erscheinungsweise der Tugend ist ein qualifizierter
brāhmana. Solch ein brāhmana kennt Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, weil er das vedische Wissen zu Rate zieht und durch die
Augen der Schriften sieht (sāstra-caksuh). Er ist sich seines vorange-
gangenen Lebens bewußt und weiß, warum er sich im gegenwār-
tigen Körper befindet und wie er aus den Fāngen māyās befreit wer-
den kann, um nicht mehr einen materiellen Körper annehmen zu
müssen. Dies alles wird möglich, wenn man sich in der Erschei-
nungsweise der Tugend befindet. Im allgemeinen jedoch sind die
Lebewesen in der materiellen Welt in den Erscheinungsweisen der
Leidenschaft und Unwissenheit gefangen.
In der Erscheinungsweise der Unwissenheit kennt man weder
sein vergangenes noch sein nächstes Leben; man ist nur am jet-
zigen Körper interessiert. Ein Mensch, der sich in Unwissenheit
befindet und nur an seinen gegenwärtigen Körper denkt, ist wie
ein Tier - trotz seines menschlichen Körpers. Denn das unwissende
Tier glaubt, das höchste Ziel im Leben sei das unmittelbare Glücks-
gefühl des Fressens und Paarens. Ein Mensch muß dazu erzogen
werden, sich über diese Ebene zu erheben, damit er aus seinem
letzten Leben lernen kann und erkennt, wie es ihm möglich ist, in
der Zukunft ein besseres Leben zu führen. Es gibt sogar ein Buch na-
mens Bhrgu-samhitā, das anhand astrologischer Berechnungen Aus-
kunft über vergangene, gegenwärtige und zukünftige Leben gibt.
Man muß irgendwie über seine Vergangenheit, Gegenwart und Zu-
kunft aufgeklārt werden. Wer nur an seinem gegenwärtigen Körper
interessiert ist und versucht, mit seinen Sinnen bis zum Äußersten zu
genießen, befindet sich in der Erscheinungsweise der Unwissenheit,
und seine Zukunft ist sehr, sehr düster. Völlig unwissende Men-
schen erwartet in der Tat immer eine düstere Zukunft. Besonders im
gegenwärtigen Zeitalter ist die menschliche Gesellschaft durch die
Erscheinungsweise der Unwissenheit bedeckt. Jeder glaubt daher,
sein gegenwärtiger Körper sei das ein und alles, und denkt weder
an die Vergangenheit noch an die Zukunft.
10. KAPITEL

Vorherbestimmung
und Unabhängigkeit
Die Yamadutas fuhren fort: „O beste der Halbgötter, Leben tritt
in drei verschiedenen Formen auf, die auf die Verunreinigung
durch die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur zurück-
zuführen sind. Die Lebewesen haben demnach verschiedene Ei-
genschaften: friedvoll, rastlos oder dumm, glücklich, unglücklich
oder mittelmäßig, und religiös, irreligiös oder halbreligiös. Daraus
lāßt sich ableiten, daß diese drei Erscheinungsweisen der mate-
riellen Natur im nächsten Leben in ähnlicher Weise wirken wer-
den. So wie der jetzige Frühling auf das Wesen von vergangenen
und zukünftigen Frühlingen hinweist, gibt das Glück und Leid
des gegenwärtigen Lebens Aufschluß über die religiösen und ir-
religiösen Handlungen des vergangenen und zukünftigen Lebens.
Der allmächtige Yamarāja kommt Brahma gleich, denn wāhrend
er sich in seinem Reich befindet und wie der Paramātmā im Her-
zen eines jeden weilt, beobachtet er im Geiste die früheren Hand-
lungen eines Lebewesens und erkennt auf diese Weise, wie das
Lebewesen in zukünftigen Leben handeln wird.
So wie sich ein Schlafender mit seinem Traumkörper und des-
sen Handlungen identifiziert, identifiziert man sich auch mit dem
gegenwärtigen Körper, den man aufgrund früherer religiöser und
irreligiöser Handlungen erhalten hat, und ist nicht imstande, sich
seiner vergangenen und zukünftigen Leben bewußt zu sein." (Sri-
mad-Bhāgavatam 6.1.46-49)

116
Der Zwist der Visnudütas und der Yamadutas 117

Befreiung vom karma vergangener, gegenwärtiger


und zukünftiger Leben
Hier erklären die Yamadutas, wie die Aktionen und Reaktionen
der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur im gegenwär-
tigen Leben sichtbar werden. So sind zum Beispiel einige Menschen
sehr glücklich, einige leiden, und einige erfahren eine Mischung
von Glück und Leid. Dies ist das Ergebnis der früheren Verbin-
dung mit den Erscheinungsweisen der materiellen Natur - Tugend,
Leidenschaft und Unwissenheit. Angesichts dieser verschiedenen
Zustānde im gegenwärtigen Leben können wir annehmen, daß die
Lebewesen auch in ihrem nächsten Leben - je nach ihrer Verbin-
dung mit den drei Erscheinungsweisen - Glück, Leid oder eine Mi-
schung von beiden erfahren werden. Deshalb tut man am besten da-
ran, sich von diesen drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur
zu lösen und von ihrem verunreinigenden Einfluß stets unberührt
zu bleiben. Dies ist nur möglich, wenn man sich vollständig dem
hingebungsvollen Dienst des Herrn widmet, wie Krsna in der Bha-
gavad-gitā (14.26) bestätigt:
mām ca yo 'vyabhicārena
bhakti-yogena sevate
sa gunān samatityaitān
brahma-bhüyāya kalpate
„Wer sich völlig im hingebungsvollen Dienst beschäftigt und unter
keinen Umstānden abweicht, transzendiert sogleich die Erschei-
nungsweisen der materiellen Natur und erreicht so die Ebene des
Brahman."
Mit anderen Worten, solange man nicht vollständig im Dienst des
Herrn vertieft ist, wird man von den drei Erscheinungsweisen der
materiellen Natur verunreinigt und muß daher Leid oder eine Mi-
schung von Glück und Leid erfahren, je nach der Schwere der sünd-
haften Handlungen.

Der Wechsel der Körper


Der Höchste Herr hat Yamarāja dazu ernannt, über die gerechte Be-
118 Im Angesicht des Todes

strafung der sündhaften Menschen zu befinden. Jedem wird zum


Zeitpunkt des Todes gemäß seiner Handlungsweise ein bestimmter
Körper an einem bestimmten Ort zugeteilt. Dies erklārt Sri Kapila
im Srimad-Bhāgavatam (3.31.1):

karmanā daiva-netrena
jantur dehopapattaye
striyāh pravista udaram
pumso retah-kanāsrayah

„Unter der Aufsicht des Höchsten Herrn und entsprechend seiner


früheren Handlungen muß das Lebewesen, die Seele, durch den
männlichen Samen in die Gebärmutter einer Frau eingehen, um ei-
nen bestimmten Körper anzunehmen."
Jeden Tag, ja jeden Augenblick wechseln wir unseren Körper. Dies
wird „Wachstum" genannt, aber eigentlich ist es ein Wechseln des
Körpers. Wachsen bedeutet, den alten Körper aufzugeben und einen
neuen anzunehmen. Im Laufe der Jahre sind wir vom Kind zum Ju-
gendlichen und zum Erwachsenen herangewachsen. Das bedeutet,
daß wir unseren Körper gewechselt haben. Und wenn der Körper
unbewohnbar wird, müssen wir ihn aufgeben und einen neuen an-
nehmen, ebenso wie wir unsere Kleidung aufgeben müssen, wenn
sie alt und abgetragen ist.
Dieser Wechsel findet unter der Aufsicht höherer Autoritäten statt
(daiva-netrena). Seinen religiösen und irreligiösen Handlungen ge-
māß wird man gezwungen, einen bestimmten Körper in bestimm-
ten Lebensumstānden anzunehmen und zu leiden. Unsere Leiden
werden in drei Gruppen unterteilt: ādhibhautika, ādhyātmika und
adhidaivika. Adhyātmika-Leiden werden von unserem eigenen Körper
und Geist verursacht, ādhibhautika-Leiden von anderen Lebewesen,
und ādhidaivika-Leiden werden uns von höheren Mächten, den devas,
auferlegt und stehen völlig außerhalb unserer Kontrolle - wie zum
Beispiel Erdbeben, Dürren, Überschwemmungen und Hungersnöte.
Gegen solche Katastrophen sind wir machtlos. Ebenso müssen wir
den Körper annehmen, den uns nach dem Tod höhere Autoritäten
zuweisen. Wir können nicht sagen: „O nein, mein Herr, ich möchte
diesen Körper nicht."
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 119

Winzige Unabhängigkeit
Da wir in unzähligen materiellen Körpern geboren wurden und
starben, haben wir vergessen, daß wir Bestandteile Gottes sind, eine
vertrauliche Beziehung zu Ihm haben und auf irgendeine Weise in
die materielle Welt gefallen sind. Die genaue Ursache dieses Ver-
gessens kann man nur sehr schwer ausmachen. Obgleich wir Krsna
seit unvordenklichen Zeiten vergessen haben, ist Er so barmherzig,
daß Er persönlich kommt, um uns an unsere spirituelle Identität
und unser Einssein mit Ihm als Seine Teile zu erinnern; Er lehrt
uns, was wir vergessen haben. Wenn Er fortgeht, hinterläßt Er die
Schriften - insbesondere die Bhagavad-gitā, in der Er uns auffordert:
sarva-dharmān parityajya mām ekam saranam vraja. „Gib all deinen Un-
sinn auf und ergib dich Mir! Ich werde dich beschützen." (Bhagavad-
gitā 18.66)
Krsna, der Vater aller Lebewesen, ist nicht glücklich darüber, daß
die zahllosen Seelen in der materiellen Welt so erbärmlich wie
Schweine leben. Deshalb entsendet Er Seine Bevollmächtigten. Im
Falle von Jesus Christus sandte Krsna Seinen Sohn. Jesus bezeich-
nete sich als Sohn Gottes. Zwar ist jeder ein Sohn Gottes, aber dieser
Sohn war Gott besonders lieb, und er wurde zu einem bestimmten
Ort entsandt, um die bedingten Seelen nach Hause, zu Gott, zurück-
zurufen.
Was kann Krsna oder Sein Diener jedoch tun, wenn die bedingten
Seelen unbedingt in der materiellen Welt bleiben wollen? Sie er-
lauben uns, mit unseren materialistischen Tätigkeiten fortzufahren,
denn die Grundvoraussetzung für die Befreiung aus dem mate-
riellen Gefängnis ist, daß wir uns diese Befreiung wünschen. Wenn
wir schließlich unserer mißlichen Lage überdrüssig sind, beten wir:
„Mein lieber Herr, obwohl ich der Lust, dem Zorn und der Gier
so lange gedient habe, sind sie immer noch nicht zufriedengestellt.
Nun bin ich es leid, ihnen weiter zu dienen. Jetzt, mein lieber Sri
Krsna, ist meine Intelligenz erwacht, und ich bin zu Dir gekommen.
Bitte beschäftige mich in Deinem Dienst."
Die Lebewesen gehören zur marginalen Energie des Herrn (tata-
stha-sakti), das heißt, sie können wählen, ob sie von Krsnas niederer,
materieller Energie oder von Seiner höheren, spirituellen Energie ge-
120 Im Angesicht des Todes

lenkt werden möchten. Wir als Gottgeweihte haben uns entschieden,


zum Krsna-Bewußtsein zu kommen. Mit anderen Worten, wir haben
eingewilligt, uns Krsna zu ergeben und uns dem Schutz Seiner inne-
ren, spirituellen Energie anzuvertrauen. Hingabe zu Krsna beginnt
mit dem Chanten des Hare-Krsna-mantra: Hare Krsna, Hare Krsna,
Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma,
Hare Hare. Das Wort Hare bezieht sich auf die hingebungsvolle
Energie Krsnas, Krsna bedeutet „die allanziehende Höchste Persön-
lichkeit Gottes" und Rāma „der Höchste Genießer".
Doch viele werden sich uns nicht anschließen, da sie es ableh-
nen, unter die Aufsicht von Krsnas spiritueller Energie zu gelangen.
Krsna mischt Sich aber nicht ein; Er sagt: „Du kannst in der mate-
riellen Welt bleiben oder zu Mir kommen - was immer du möch-
test." Wir haben eine winzige Unabhängigkeit bekommen und auch
die Intelligenz, zu unterscheiden, was getan und was nicht getan
werden sollte.

Erwachen aus der Unwissenheit

Das Ohr ist das wichtigste Organ, denn es ermöglicht uns zu ler-
nen, was wir für unser höchstes Wohl tun sollten und was nicht.
Wir müssen von einer höheren Autorität hören. In der Nacht schla-
fen wir friedlich, ohne uns darüber bewußt zu sein, daß jemand
kommen könnte, um uns den Kopf abzuschlagen. Doch unser Ge-
hörsinn ist selbst im Schlafzustand aktiv. Sobald jemand ruft: „Wach
auf! Wach auf! Jemand will dich umbringen!", können wir gerettet
werden. Auf ähnliche Weise schlafen auch wir unter dem Einfluß
der materiellen Natur. Wir scheinen wach und aktiv zu sein, aber
eigentlich ist es prakrti (die materielle Natur), die handelt, nicht wir.
Wir sind gezwungen, entsprechend unserer Verbindung mit den Er-
scheinungsweisen der materiellen Natur zu handeln. Obwohl wir
uns im Schlafzustand befinden, schläft unser Ohr nicht und kann
uns helfen, aus der Unwissenheit zu erwachen. Wenn wir von der
richtigen Person - dem spirituellen Meister - und aus den vedi-
schen Schriften hören, können wir zu unserer ursprünglichen we-
sensgemäßen Stellung als ewige Diener Krsnas erwachen. Die er-
ste Vorschrift lautet sravanam, über Krsna zu hören. Wenn wir über
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 121

Krsna hören, wachen wir automatisch auf. Die Veden geben die An-
weisung: uttisthata jāgrata prāpya varān nibodhata. „Wach auf! Erhebe
dich! Erkenne die große Segnung, die du mit der menschlichen Le-
bensform erhalten hast. Nun nutze sie und befreie dich aus den
Fāngen der Erscheinungsweisen der materiellen Natur!" In der Bha-
gavad-gitā (7.14) erklärt Krsna, wie man dies tun kann:

daivi hy esā guna-mayi


mama māyā duratyayā
mām eva ye prapadyante
māyām etām taranti te

„Diese Meine göttliche Energie, die aus den drei Erscheinungswei-


sen der materiellen Natur besteht, ist sehr schwer zu überwinden.
Aber diejenigen, die sich Mir ergeben, können sie sehr leicht hinter
sich lassen."
Ergib dich Krsna und sei Krsna-bewußt! In der menschlichen Le-
bensform ist das unsere einzige Aufgabe.
11. KAPITEL

Der feinstoffliche
Körper
Die Yamadūtas fuhren fort: „Über den fünf wahrnehmenden Sin-
nen, den fünf Arbeitssinnen und den fünf Sinnesobjekten steht
der Geist, der das sechzehnte Element ist. über dem Geist steht
das siebzehnte Element, die Seele, das Lebewesen selbst, das in
Zusammenarbeit mit den anderen sechzehn Elementen allein die
materielle Welt genießt. Das Lebewesen erfāhrt drei verschieden-
artige Situationen: glückliche, leidvolle und vermischte.
Der feinstoffliche Körper ist mit sechzehn Teilen ausgestattet -
den fünf wissensaneignenden Sinnen, den fünf Arbeitssinnen,
den fünf Objekten der Sinnenbefriedigung und dem Geist. Der
feinstoffliche Körper ist ein Ergebnis der drei Erscheinungswei-
sen der materiellen Natur. Er besteht aus unüberwindlich starken
Wünschen und veranlaßt daher das Lebewesen - als Mensch, als
Tier oder als Halbgott -, von einem Körper zum anderen zu wan-
dern. Wenn das Lebewesen den Körper eines Halbgottes erhālt, ist
es gewiß voller Freude; wenn es einen menschlichen Körper erhālt,
ist es stets voller Klagen, und wenn es einen tierischen Körper er-
hālt, hat es ständig Angst. Doch im Grunde genommen leidet es
in allen Lebensbedingungen. Diese unglückliche Lage nennt man
samsrti, Seelenwanderung im materiellen Leben.
Das törichte verkörperte Lebewesen ist unfähig, seine Sinne und
seinen Geist zu beherrschen, und ist gezwungen, unter dem Ein-
fluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur zu han-
deln - selbst gegen seinen Willen. Es gleicht einer Seidenraupe,
die mit ihrem Speichel einen Kokon spinnt und schließlich darin
gefangen ist, ohne eine Möglichkeit zu entkommen. Das Lebewe-

122
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 123

sen verfängt sich in dem Netz seiner eigenen fruchtbringenden


Handlungen und kann keinen Weg mehr finden, um sich daraus
zu befreien. So lebt es in dauernder Verwirrung und stirbt immer
wieder.
Kein Lebewesen kann auch nur für einen Augenblick untätig
sein. Man muß gemäß seiner natürlichen Neigung handeln, die
sich nach den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur rich-
tet, denn diese Neigung zwingt einen zu einer bestimmten Hand-
lungsweise. Die fruchtbringenden Handlungen des Lebewesens -
ob fromm oder gottlos - sind die unsichtbare Ursache für die Er-
füllung seiner Wünsche. Diese unsichtbare Ursache ist die Wurzel
seiner verschiedenen Körper. Aufgrund seines starken Wunsches
wird das Lebewesen in einer bestimmten Familie geboren und
bekommt einen Körper, der dem seines Vaters oder seiner Mutter
ähnelt. Die grob- und feinstofflichen Körper werden also nach sei-
nem Wunsch geschaffen.
Da das Lebewesen mit der materiellen Natur verbunden ist,
befindet es sich in einer mißlichen Lage. Wenn es jedoch einen
menschlichen Körper erhālt und lernt, mit dem Höchsten Herrn
oder Seinem Geweihten in Verbindung zu treten, kann diese miß-
liche Lage überwunden werden." (Srimad-Bhāgavatam 6.1.50-55)

Der Kampf ums Dasein


Diese Verse beschreiben, wie das Lebewesen durch die Wechsel-
wirkung der Erscheinungsweisen der materiellen Natur in einen
materiellen Körper verstrickt wird. Jeder arbeitet mit seinen Hän-
den, seinen Beinen und seinen Sinnen, um irgendein selbsterdachtes
Ziel zu erreichen. Auf diese Weise versucht das Lebewesen, die fünf
Sinnesobjekte zu genießen, nämlich Form, Klang, Geschmack, Ge-
ruch und Berührung. Es weiß nicht, daß das eigentliche Ziel des Le-
bens darin besteht, den Höchsten Herrn zufriedenzustellen. Weil es
dem Herrn nicht gehorcht, wird es materiellen Lebensbedingungen
ausgesetzt und versucht, seine Lage nach eigenem Gutdünken zu
verbessern, ohne sich um die Anordnungen der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes zu kümmern. Trotzdem ist der Höchste Herr so gü-
tig, daß Er persönlich kommt und die verwirrten Lebewesen lehrt,
124 Im Angesicht des Todes

gehorsam zu handeln und auf diese Weise allmählich nach Hause,


zu Gott, zurückzukehren, wo sie ein ewiges, friedliches Leben voll
Glückseligkeit und Wissen erwartet.
In der materiellen Welt besitzt das Lebewesen einen Körper, der
eine hochkomplizierte Verbindung materieller Elemente ist. In die-
sem Körper kämpft es auf sich selbst gestellt, wie in Vers 50 durch
die Worte ekas tu angedeutet wird. Wenn man im Meer ums über-
leben kämpft, muß man allein schwimmen. Auch wenn sich viele
andere Menschen und Wassertiere im Meer befinden, ist man doch
auf sich allein gestellt, und niemand kann einem helfen. Deshalb
weist dieser Vers darauf hin, daß das siebzehnte Element, die Seele,
allein handeln muß. Obgleich wir versuchen, um uns herum Gesell-
schaft, Freundschaft und Liebe aufzubauen, kann uns letztlich nie-
mand helfen außer Krsna, dem Höchsten Herrn. Deshalb sollte es
unser einziges Anliegen sein, Krsna zu erfreuen - uns Ihm zu er-
geben und Seine Gnade zu erlangen. Dies ist auch Krsnas Wille, wie
Er in der Bhagavad-gitā (18.66) verkündet: sarva-dharmān parityajya
mām ekam saranam vraja. „Gib einfach alle Arten selbsterdachter Re-
ligion auf und ergib dich Mir!"
Es gibt viele Bemühungen um Einheit unter den Menschen und
den Nationen, doch all diese Bemühungen sind zum Scheitern ver-
urteilt, da die Menschen von den materiellen Umstānden verwirrt
sind. Jeder muß allein mit den zahlreichen Elementen der mate-
riellen Natur kämpfen. Deshalb empfiehlt Krsna, daß wir uns Ihm
ergeben. Das ist unsere einzige Hoffnung, denn nur Er kann uns
helfen, aus dem Ozean der Unwissenheit befreit zu werden. Sri
Caitanya Mahāprabhu betet:

ayi nanda-tanuja kinkaram


patitam mām visame bhavāmbudhau
krpayā tava pāda-pankaja-
sthita-dhūli-sadrsam vicintaya

„O Krsna, geliebter Sohn Nanda Mahārājas, ich bin Dein ewiger


Diener, aber irgendwie bin ich in den Ozean der Unwissenheit ge-
fallen. Obwohl ich mich sehr abmühe, sehe ich keine Möglichkeit,
wie ich mich selbst retten könnte. Bitte ziehe mich gütigerweise her-
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 125

aus und gewāhre mir einen Platz als eines der Staubkörnchen an
Deinen Lotosfüßen. Das wäre meine Rettung."
In einem der Lieder von Srila Bhaktivinoda Thākura heißt es:
anādi karama-phale, padi' bhavārnava-jale, taribare nā dekhi upaya. „Mein
lieber Herr, ich kann mich nicht entsinnen, wann und wie ich in
diesen Ozean der Unwissenheit gefallen bin, und jetzt kann ich
keinen Weg mehr finden, mich zu retten." Wir müssen uns vor
Augen halten, daß jeder für sein eigenes Leben verantwortlich ist.
Wenn jemand ein reiner Geweihter Krsnas wird, erlangt er Befreiung
aus dem Ozean der Unwissenheit. So wird sein Leben von Erfolg
gekrönt.

Freude und Schmerz


Im Grunde genommen gibt es in der materiellen Welt keine Freu-
de; alles ist Leid. Jeder versucht, durch die Befriedigung der Sinne
glücklich zu werden, aber das Ergebnis ist nur Leid und Enttāu-
schung. Das wird māyā, Illusion, genannt.
Buddha verstand das Wesen materieller Freuden. In seiner Ju-
gend war er ein Prinz und genoß großen Reichtum und viele Sin-
nenfreuden, aber er gab alles auf. Er setzte sich in Meditation nie-
der und stellte alle Sinnestätigkeiten ein, denn diese unterwerfen
uns den Schmerzen und Freuden der materiellen Welt. Er gab sein
Königreich auf, nur um uns zu lehren, daß uns sinnliche Tätigkeiten
nicht helfen können, Erlösung zu erlangen. Erlösung bedeutet, sich
vom Glück und Leid dieser Welt zu befreien.
Der Buddhismus beschäftigt sich größtenteils mit der leidvollen
Natur des Körpers. Durch das Zusammenspiel der drei Erschei-
nungsweisen der materiellen Natur, die auf den materiellen Kör-
per einwirken, erfāhrt man vielerlei Schmerzen und Freuden. Der
Buddhismus lehrt, daß man von diesen Schmerzen und Freuden be-
freit werden kann, wenn man die Verbindung, die die materiellen
Elemente in der Form des physischen Körpers eingegangen sind,
auflöst. Nirvāna, das Ziel des Buddhismus, erreicht man, wenn man
sich von allen materiellen Verbindungen gelöst hat; denn schließ-
lich erfāhrt man Schmerzen und Freuden nur, weil man einen ma-
teriellen Körper hat. Die buddhistische Philosophie bietet aber keine
126 Im Angesicht des Todes

Information über die Seele, den Besitzer des Körpers. Deshalb ist der
Buddhismus unvollkommen.
Die buddhistische Philosophie ist zwar unvollständig, aber das
heißt nicht, daß Buddha nicht die vollständige Wahrheit kannte.
Ein Lehrer beispielsweise, der die Magisterprüfung abgelegt hat,
lehrt seine Schüler nur das ABC, wenn sie noch nicht so weit sind,
die fortgeschrittenen Themen zu verstehen, die er von seiner Kom-
petenz her unterrichten könnte. Auf ähnliche Weise predigt jede er-
mächtigte Inkarnation (saktyāvesa avatāra) Gottesbewußtsein gemäß
Ort, Zeit und Umstānden.
Aus diesem Grund gibt es verschiedene Schulen der Religion,
wie den Buddhismus und Sahkarācāryas Māyāvāda-Philosophie.
Die Buddhisten und die Māyāvādis ermutigen ihre Anhänger, frei
zu werden von Glück und Leid, da beides von den Tätigkeiten der
Sinne verursacht wird. Kein wirklicher Philosoph fordert seine An-
hänger auf, dem Verlangen der Sinne nachzugeben. Buddha will
sich von allem Materiellen lösen: Um nämlich nirvāna zu erreichen,
muß man als erstes die materielle Verbindung auflösen, aus der der
Körper besteht. Der Körper ist eine Verbindung aus den fünf mate-
riellen Elementen: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Diese Ver-
bindung ist die Ursache allen Leids und aller Freude. Sobald sie auf-
gelöst wird, haben Schmerz und Freude ein Ende.
Die Philosophie Sahkarācāryas zielt darauf ab, dieser Verbindung
materieller Elemente zu entrinnen und die ursprüngliche, spirituelle
Stellung wiederzugewinnen. Der Leitspruch der Māyāvādis lautet:
brahma satyam jagan mithyā. „Brahman, das Absolute, ist wahr, und
die materielle Schöpfung ist falsch." Sahkarācārya wies die Philoso-
phie Buddhas zurück, weil sie keine Auskunft über die spirituel-
le Seele gibt, sondern sich nur mit Materie und deren Auflösung
beschäftigt. Das Ziel der Buddhisten ist es also, in die Leere ein-
zugehen.
Der Buddhismus und die Māyāvāda-Philosophie enthüllen nur
einen Teil der Wahrheit. Sahkarācāryas Māyāvāda-Philosophie be-
handelt das Brahman, die spirituelle Energie, beschreibt sie aber
nicht in ihrer ganzen Fülle. Die Māyāvāda-Philosophie lehrt, daß al-
le Tätigkeiten zum Erliegen kommen, sobald wir uns bewußt wer-
den, daß wir Brahman sind (aham brahmāsmi). Dem ist aber nicht so,
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 127

denn das Lebewesen ist immer aktiv. In der Meditation kann man
nur scheinbar alle Sinnestätigkeiten einstellen, da die Meditation an
sich immer noch eine Tätigkeit ist.
Wāhrend der Māyāvādi über das Brahman meditiert, glaubt er:
„Ich bin Gott geworden." In gewisser Hinsicht ist es natürlich nicht
verkehrt, zu denken: „Ich bin eins mit Gott", denn als spirituelle
Seelen sind wir der Eigenschaft nach tatsāchlich eins mit Gott; doch
niemand kann quantitativ mit Gott eins werden. In der Bhagavad-gitā
(15.7) erklärt Krsna, daß die Lebewesen „Meine Bestandteile" sind.
Krsna ist völlig spirituell (sac-cid-ānanda), daher muß jedes spiritu-
elle Teilchen ebenfalls sac-cid-ānanda sein, so wie ein goldener Ohr-
ring der Eigenschaft nach eins mit dem Gold in der Goldmine ist.
Dennoch ist der goldene Ohrring nicht die Goldmine.
Die Māyāvādis machen also den Fehler zu glauben, der Teil könne
dem Ganzen gleich werden. Bloß weil sie Bestandteile Gottes sind,
bilden sie sich ein, sie seien Gott. Deshalb beschreibt das Srimad-
Bhāgavatam (10.2.32) die Unpersönlichkeitsanhänger als avisuddha-
buddhayah: „Ihre Intelligenz ist unrein; sie befinden sich immer noch
in Unwissenheit." Die Māyāvādis sind der Ansicht, sie könnten
durch Wissensvermehrung mit Gott eins werden, und sprechen sich
daher gegenseitig mit „Nārāyana" an. Das ist ihr großer Fehler. Wir
können nicht Nārāyana werden, denn Nārāyana ist vibhu, was „sehr
groß" oder „unendlich" bedeutet, wohingegen wir anu, unendlich
klein, sind. Unsere spirituelle Größe betrāgt ein Zehntausendstel ei-
ner Haarspitze. Wie kann folglich ein vernünftiger Mensch behaup-
ten, er sei Gott geworden?
Sankarācārya wollte das Bewußtsein der Menschen auf das Brah-
man richten und lehrte deshalb: aha brahmāsmi. „Ich bin das spiri-
tuelle Selbst, nicht der materielle Körper." Dem stimmen die Veden
zu. Auf der Stufe der mukti (Befreiung) versteht man vollkommen:
„Ich bin nicht der Körper, sondern reine, spirituelle Seele." Doch
hier hört Selbstverwirklichung nicht auf; als nächstes muß man sich
nämlich fragen: „Wenn ich eine spirituelle Seele bin, was ist dann
meine ewige spirituelle Tätigkeit?" Diese ewige Tätigkeit ist hinge-
bungsvoller Dienst für Krsna.
In der Bhagavad-gitā (18.54) beschreibt Sri Krsna, wie die Brahman-
Verwirklichung zum hingebungsvollen Dienst führt:
128 Im Angesicht des Todes

brahma-bhūtah prasannātmā
na socati na kānksati
samah sarvesu bhūtesu
mad-bhaktim labhate parām

„Wer in der Transzendenz verankert ist, erkennt sogleich das Höch-


ste Brahman und wird von Freude erfüllt. Für ihn gibt es weder Kla-
gen noch Begehren. Er ist allen Lebewesen gegenüber unvoreinge-
nommen. Auf dieser Stufe beginnt er, Mir reinen hingebungsvollen
Dienst darzubringen."
Viele namhafte svāmis sprechen über das Erreichen der „Brah-
man-Verwirklichung", ohne jedoch selbst weltliches Glück und Leid
zu überwinden. Sie engagieren sich auf humanitärem Gebiet und
denken: „Meine Mitbürger leiden; ich werde ein Krankenhaus er-
öffnen", oder „Sie sind ungebildet; ich werde eine Schule eröffnen."
Warum sollte jemand, der tatsāchlich die brahma-bhūta-Ebene er-
reicht hat, ein bestimmtes Land für sein Vaterland halten? In Wirk-
lichkeit gehören wir als spirituelle Seelen keinem Land an. Wir
werden zwar in einem bestimmten Land geboren, doch sobald der
Körper vergeht, bricht unsere Verbindung mit dem Geburtsland ab.
Das Klagen dieser angeblich befreiten Menschen zeigt also, daß sie
von ihrer Anhaftung an weltliches Glück und Leid noch nicht befreit
sind. Offensichtlich sind sie nicht von echter Freude erfüllt, denn
sonst würden sie nicht klagen. Unzählige gelehrte sannyāsis sind
zu Fall gekommen und haben sich wieder weltlichen Betätigungen
zugewandt, weil sie nicht wirklich das Brahman erkannt haben.
Das ist auch nicht so einfach, denn der Einfluß der materiellen Er-
scheinungsweisen ist sehr stark. Verstrickt in fruchtbringende Tätig-
keiten, gleicht das Lebewesen der Seidenraupe, die in ihrem Kokon
gefangen ist. Ohne die Hilfe der Höchsten Persönlichkeit Gottes ist
es sehr schwierig, sich zu befreien.

Spirituelle Sinne
Wirkliches Wissen erlangen wir dadurch, daß wir mit unseren Sin-
nen Krsna dienen. Zur Zeit sind unser Geist und unsere Sinne
von körperlichen Bezeichnungen und Denkweisen in Anspruch ge-
nommen, wie: „Ich bin Amerikaner", „Ich bin Inder", oder „Ich bin
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 129

Engländer". In diesem Bewußtsein halten wir es für unsere Pflicht,


unsere Sinne im Dienst der Verwandten, der Gesellschaft, der Na-
tion usw. einzusetzen. Doch diese Umstānde sind zeitweilig. Unse-
rem wahren Wesen nach sind wir Brahman, reine spirituelle Seele.
Solange wir uns mit einer vergänglichen Bezeichnung identifizieren,
können wir kein Geweihter Krsnas werden.
Wie bereits dargelegt, stellt die Brahman-Verwirklichung nicht die
höchste Stufe spirituellen Wissens dar. Es gibt drei Stufen der Selbst-
verwirklichung: Auf der Stufe der Brahman-Verwirklichung erkennt
man, daß man nicht der Körper ist, sondern eine spirituelle Seele;
auf der Stufe der Paramātmā-Verwirklichung erkennt man, daß der
Herr im Herzen weilt, und auf der Stufe der Bhagavān-Verwirk-
lichung erkennt man den Herrn in Seiner persönlichen Form als
Sri Krsna.
über der Brahman-Verwirklichung steht die Paramātmā-Verwirk-
lichung, bei der man Krsna als die Überseele im Herzen wahr-
nimmt. Während das Brahman dem Sonnenlicht gleicht, gleicht die
Paramātmā-Verwirklichung dem Anblick der Sonne, die die Quelle
der Sonnenstrahlen ist. Auf einer noch höheren Stufe kann man die
spirituellen Planeten Vaikunthas erreichen und die Höchste Persön-
lichkeit Gottes von Angesicht zu Angesicht sehen. Dies ist die höch-
ste Stufe der Selbstverwirklichung, vergleichbar mit einer persön-
lichen Begegnung mit dem Sonnengott. Das Sonnenlicht, die Sonne
und der Sonnengott sind untrennbar eins, doch gleichzeitig ver-
schieden. Das Sonnenlicht ist die unpersönliche Ausstrahlung der
Sonne, die Sonne ist der lokalisierte Aspekt, und der Sonnengott ist
der persönliche Ursprung des Sonnenlichts und der Sonne. In der
Bhagavad-gitā (4.27) bestätigt Krsna, daß Er die Quelle der Brahman-
Ausstrahlung ist: brahmano hi pratisthaham. „Ich bin die Grundlage
des unpersönlichen Brahman." Und in der Isopanisad (15) betet ein
Gottgeweihter:
hiranmayena pātrena
satyasyāpihitam mukham
tat tvam pūsann apāvrnu
satya-dharmāya drstaye

„O mein Herr, Erhalter allen Lebens, Dein wahres Gesicht ist hinter
130 Im Angesicht des Todes

Deiner gleißenden Ausstrahlung verborgen. Bitte entferne diese Be-


deckung und offenbare Dich Deinem reinen Geweihten!"
Es genügt nicht, das Brahman zu erkennen. Wenn das Fieber eines
Kranken sinkt, bedeutet das noch nicht, daß er geheilt ist. Er ist erst
dann völlig gesund, wenn er nicht nur fieberfrei ist, sondern sich
vollständig erholt hat und wieder sein normales, aktives Leben füh-
ren kann. Sonst besteht die Gefahr eines Rückfalls. Ebenso ist man
noch nicht von Illusion geheilt, wenn man erkennt: „Ich bin spiri-
tuelle Seele, nicht der Körper." Nur wer sich völlig bewußt ist, daß
er der ewige Diener Krsnas ist, und in diesem Verständnis handelt,
ist wahrhaft selbstverwirklicht.

Besondere Gnade für alle Menschen

Im gegenwärtigen Zeitalter ist das Chanten des Hare-Krsna-maha-


mantra - Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare / Hare
Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare - für alle Menschen der
beste Weg zur Selbstverwirklichung. Im Zeitalter des Kali sind die
bedingten Seelen so sehr in sündhafte Handlungen verstrickt, daß
es ihnen nicht möglich ist, auf systematische Weise den vedischen
Vorschriften zu folgen. Das Chanten des Hare-Krsna-mahā-mantra
ist das besondere Entgegenkommen Sri Caitanya Mahāprabhus, der
Krsna selbst ist. Er erschien vor fünfhundert Jahren und rief die
Bewegung des sankirtana (gemeinsames Chanten der heiligen Na-
men des Herrn) ins Leben, um die gefallenen Seelen zu erlösen. Sri
Caitanya zitierte oft folgenden Vers aus dem Brhan-nāradiya Purāna
(3.8.126):

harer nāma harer nāma


harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva
nāsty eva gatir anyathā

„Im gegenwärtigen Zeitalter des Kali ist der einzige Weg, Erlösung
zu erlangen, das Chanten des heiligen Namens, das Chanten des
heiligen Namens, das Chanten des heiligen Namens des Herrn.
Es gibt keinen anderen Weg, keinen anderen Weg, keinen ande-
ren Weg."
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 131

Wir können die Kraft, die dem Chanten des heiligen Namens des
Herrn innewohnt, an der Bewegung für Krsna-Bewußtsein feststel-
len. Die Mitglieder dieser Bewegung haben alle erdenklichen sünd-
haften Tätigkeiten aufgegeben, obwohl sie von Geburt an schlech-
ten Angewohnheiten verfallen waren. Das ist ihr großes Glück, wie
Sri Caitanya Mahāprabhu im Caitanya-caritāmrta (Madhya-lilā 19.151)
erklārt:

brahmānda bhramite kona bhāgyavān jiva


guru-krsna-prasāde pāya bhakti-latā-bija

„Das Lebewesen durchläuft verschiedene Leben und Körper und


wandert im ganzen Universum von einer Situation zur anderen;
wenn es aber vom Glück begünstigt ist und Krsnas Gnade emp-
fāngt, findet es einen echten spirituellen Meister und erhālt von
ihm den Samen der Kletterpflanze des hingebungsvollen Dienstes
(bhakti)."
Wenn das Lebewesen wirklich intelligent ist, wird es diesen Sa-
men in sein Herz säen und bewässern. So wie man einen Samen in
der Erde bewāssern muß, damit er aufgeht, muß man auch den Sa-
men der bhakti sorgsam bewāssern, nachdem man ihn im Herzen
empfangen hat. Sravanam kirtanam, das Hören und Chanten über
die Herrlichkeiten Krsnas, ist das Wasser, das den Samen des hin-
gebungsvollen Dienstes gedeihen lāßt.
Durch Kultivierung des hingebungsvollen Dienstes für Krsna ent-
kommen wir unserer leidvollen Lage in der materiellen Welt, die
Krsna in der Bhagavad-gitā als duhkhālayam bezeichnet, einen Ort des
Elends. Mit anderen Worten, wenn wir durch das Hören und Chan-
ten des heiligen Namens bei Krsnas Lotosfüßen Zuflucht suchen,
werden unsere Geburten und Tode in dieser unglückseligen mate-
riellen Welt ein Ende haben.

Vom feinstofflichen zum spirituellen Körper


Das Srimad-Bhāgavatam beschreibt in allen Einzelheiten die Geburt
des bedingten Lebewesens. Entsprechend seinem karma wird das
Lebewesen in den Samen eines bestimmten Vaters versetzt. Der
grobstoffliche Körper des Lebewesens entsteht durch die Vereini-
132 Im Angesicht des Todes

gung von Vater und Mutter. Wenn der Same des Vaters und das Ei
der Mutter während des Geschlechtsverkehrs zusammenkommen,
gehen die Wesensarten von Vater und Mutter eine Verbindung ein,
die vom Kind angenommen wird.
Jeder Mensch hat seinen eigenen Körper; kein Körper gleicht dem
anderen. Die verschiedenen Körper haben ihre Ursache im karma.
Unserer früheren Handlungsweise gemäß entwickeln wir einen be-
stimmten feinstofflichen Körper, der aus Geist, Intelligenz und fal-
schem Ego besteht, und auf der Grundlage des feinstofflichen Kör-
pers erhalten wir einen bestimmten grobstofflichen Körper. Dies
erklärt Sri Krsna in der Bhagavad-gitā (8.6):

yam yam vāpi smaran bhāvam


tyajaty ante kalevaram
tam tarn evaiti kaunteya
sadā tad-bhāva-bhāvitah

„Was auch immer der Daseinszustand ist, an den man sich erinnert,
wenn man seinen Körper verläßt, o Sohn Kuntis, diesen Zustand
wird man ohne Zweifel erreichen."
Der Zustand des feinstofflichen Körpers im Augenblick des To-
des leitet sich von der Gesamtsumme der Handlungen wāhrend des
Lebens her. Wenn ein Mensch darin unterwiesen wird, seinen fein-
stofflichen Körper durch die Entwicklung von Krsna-Bewußtsein zu
verāndern, bildet sein feinstofflicher Körper im Augenblick des To-
des einen grobstofflichen Körper, in dem er ein Geweihter Krsnas
sein wird. Wenn er noch fortgeschrittener ist, braucht er gar kei-
nen weiteren materiellen Körper mehr anzunehmen, sondern wird
sogleich einen spirituellen Körper bekommen und nach Hause, zu
Gott, zurückkehren. Dies ist die Vollkommenheit des menschlichen
Lebens.
12. KAPITEL

Die Fessel
sexueller Lust
Die Yamadūtas fuhren fort: „Anfänglich studierte der brāhmana
Ajāmila sämtliche vedischen Schriften. Er besaß einen vorbild-
lichen Charakter, ein angenehmes Betragen und gute Eigenschaf-
ten. Er befolgte strikt die vedischen Anweisungen und war sehr
sanftmütig und höflich. Er beherrschte seinen Geist und seine
Sinne. Darüber hinaus war er stets ehrlich, verstand es, die vedi-
schen mantras zu chanten, und führte ein reines Leben. Ajāmila
hatte vor seinem spirituellen Meister, dem Feuergott, den Gāsten
und den Familienāltesten große Achtung. Er war in der Tat frei
von falschem Stolz und Geltungsbedürfnis. Er war aufrichtig, al-
len Lebewesen wohlgesinnt und von gutem Benehmen. Er sprach
niemals Unsinn und beneidete niemanden.
Einmal ging Ajāmila auf Geheiß seines Vaters in den Wald, um
Früchte, Blumen und zwei Arten von Gras namens samit und kusa
zu sammeln. Auf dem Heimweg begegnete er einem lüsternen
viertklassigen Mann (sūdra), der schamlos eine Prostituierte um-
armte und küßte. Der sūdra lachte, sang und gab sich dem Genuß
hin, als ob daran nichts falsch wäre. Sowohl der sūdra als auch
die Prostituierte waren betrunken. Im Rausch verdrehten sich die
Augen der Prostituierten, und ihre Kleidung hatte sich gelockert.
Das war der Zustand, in dem Ajāmila sie erblickte.
Der sūdra, dessen Arm mit Kurkuma-Puder eingerieben war,
umarmte die Dirne. Als Ajāmila sie erblickte, erwachten in sei-
nem Herzen die schlummernden lüsternen Wünsche, und er fiel,
von Illusion überwältigt, in ihre Gewalt. So gut es ging, versuchte
er geduldig, sich an die Anweisungen der sāstras zu erinnern, die

133
134 Im Angesicht des Todes

besagen, daß man eine Frau nicht einmal anblicken sollte. Mit
Hilfe dieses Wissens und seiner Intelligenz wollte er seine lüster-
nen Wünsche zügeln, aber die Gewalt des Liebesgottes in seinem
Herzen war so stark, daß er seinen Geist nicht zu beherrschen ver-
mochte." (Srimad-Bhāgavatam 6.1.56-62)

Brahmanische Eigenschaften

Die Yamadūtas, die Beauftragten Yamarājas, erklären die wirkliche


Bedeutung von Frömmigkeit und Gottlosigkeit und veranschau-
lichen, wie ein Lebewesen in die materielle Welt verstrickt wird. Die
Yamadūtas erzählen Ajāmilas Lebensgeschichte und erwähnen, daß
dieser anfänglich ein großer Gelehrter der vedischen Schriften ge-
wesen war. Er hatte ein gutes Benehmen und war sauber, ordentlich
und sehr gütig zu jedermann. Er besaß tatsāchlich alle guten Eigen-
schaften. Mit anderen Worten, er war ein tadelloser brāhmana. Von
einem brāhmana wird erwartet, daß er beispielhaft fromm ist, alle
regulierenden Prinzipien befolgt und sämtliche guten Eigenschaf-
ten besitzt. Die Merkmale eines frommen Menschen werden in den
obigen Versen erklärt.
Allem Anschein nach war Ajāmila ein mustergültiger brahmacāri
und befolgte die Regeln und Vorschriften des Zölibats; er war sehr
mildherzig, wahrheitsliebend, sauber und auch rein im Herzen. Wie
er trotz all dieser Vorzüge zu Fall kommen und von Yamarāja mit
Bestrafung bedroht werden konnte, wird hier beschrieben.
Weil Ajāmila aus einer brāhmana-Familie stammte, war er von Na-
tur aus sruta-sampanna. Sruta bedeutet, daß Ajāmila sich durch das
Hören der Veden umfassendes vedisches Wissen angeeignet hat-
te. In Indien wird ein brāhmana auch pandita (Gelehrter) genannt.
Ein brāhmana darf kein Tor oder Halunke sein. Deshalb kann nie-
mand ohne Kenntnis der Veden ein brāhmana sein. Es bringt keinen
Gewinn, die Veden nur vom Standpunkt weltlicher Gelehrsamkeit
aus zu lesen. Man muß das Wissen der Veden praktisch anwen-
den. Es gibt gewisse Lehnstuhl-Vedāntisten, die Zigaretten rauchen,
wāhrend sie den Vedānta lesen; aber ein solches Studium ist wert-
los. Wir haben viele sannyāsis gesehen, die über den Vedānta spra-
chen und dabei ständig rauchten. Ajāmila war anders: Er war ein
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 135

Gelehrter des vedischen Wissens und legte ein tadelloses Verhalten


an den Tag. Ein brāhmana muß die Veden unter der Aufsicht eines
spirituellen Meisters studieren. Nachdem er sich dem Läuterungs-
vorgang des upanāyana-samskāra unterzogen hat, wird er zum dvija,
zum Zweimalgeborenen. Zu diesem Zeitpunkt bekommt er die hei-
lige Schnur, eine Art Auszeichnung, an der man erkennt, daß er
offiziell einen spirituellen Meister angenommen hat.
Wer nicht zweimalgeboren ist, ist nicht qualifiziert, die Veden zu
verstehen. Die bloße Tatsache, daß jemand ein wenig Sanskrit ver-
steht, bedeutet noch lange nicht, daß er sich im vedischen Wissen
auskennt. Viele ausländische Gelehrte haben die Veden übersetzt,
doch ihre Übersetzungen können nicht als autoritativ gelten, da ein
Student der Veden dvija sein muß. Ein dvija ist wahrheitsliebend,
sauber, einfach und duldsam, er vermag seinen Geist und seine
Sinne zu beherrschen, er besitzt umfassendes Wissen und ist fähig,
es praktisch in seinem Leben anzuwenden, und sein Glauben an
Gott, Krsna, ist unerschütterlich. Ein solcher Mensch gilt als echter
brāhmana und ist qualifiziert, die Veden zu studieren und zu ver-
stehen.
Ajāmila war nicht nur ein brāhmana von Geburt her, sondern
war tatsāchlich auch im vedischen Wissen bewandert. In seiner Ju-
gend studierte er alle Veden; er war silavān, „sehr freundlich", und
auch sad-ācāra, das heißt, er war darauf bedacht, sich sauber zu hal-
ten und früh am Morgen aufzustehen, um den vedischen Tempel-
zeremonien, wie der mangala-ārati, beizuwohnen. Auch wir können
sad-ācāra sein, wenn wir regelmäßig hingebungsvollen Dienst aus-
führen, täglich die mangala-ārati besuchen und sechzehn Runden des
Hare-Krsna-mantra auf der Gebetskette chanten. Dies wird uns all-
mählich von materieller Verunreinigung befreien.
Wenn man vom spirituellen Meister die Einweihung empfāngt,
legt man das Gelübde ab, diesen spirituellen Tätigkeiten täglich
nachzukommen. Selbst die sechs Gosvāmis von Vrndāvana, die be-
freite Seelen waren, chanteten jeden Tag viele Male den mahā-mantra
und versäumten es nie, den Bildgestalten Gottes im Tempel und den
Gottgeweihten ihre Ehrerbietungen zu erweisen. Raghunātha dāsa
Gosvāmi zum Beispiel brachte - flach am Boden ausgestreckt - täg-
lich viele Male seine Ehrerbietungen (dandavats) dar. Dieses Ver-
136 Im Angesicht des Todes

halten zeugt davon, daß die Gosvāmis dhrta-vrata waren: Sie wa-
ren es gewohnt, Gelübde mit großer Entschlossenheit auf sich zu
nehmen und zu erfüllen. Ohne uns mit fester Entschlossenheit Ent-
sagungen und Bußen zu unterziehen, können wir uns Gott nicht
nāhern. Wer ernsthaft spirituellen Fortschritt machen will, muß all
diese regulierenden Prinzipien befolgen.
Ajāmila besaß all diese brahmanischen Eigenschaften und kann-
te sämtliche erforderlichen mantras, wie zum Beispiel den Gāyatri-
mantra und den Hare-Krsna-mahā-mantra. Auch diente er ständig
seinem guru, was die erste Qualifikation eines brāhmana ist. In der
vedischen Zeit führten alle Familien der höheren Kasten morgens
nach dem Bad und dem Chanten der vedischen mantras ein Feuer-
opfert durch. Agni, das Opferfeuer, brannte immer. Sie brachten dem
Feuer, dem guru und schließlich den älteren Familienmitgliedern
Opfergaben dar. So erwiesen sie jeden Tag ihrem Vater, ihrer Mut-
ter und dem spirituellen Meister Achtung. Heutzutage ist dies nicht
mehr üblich, doch im vedischen Gesellschaftssystem war es die er-
ste Pflicht des Tages.
Ein Beispiel für die vedische Etikette, die āltere Generation zu
ehren, ist Yudhisthira Mahārāja, der große heilige Pāndava-König.
Nach der Schlacht von Kuruksetra gingen Yudhisthira und seine
vier Brüder jeden Tag zu Dhrtarastra, ihrem Onkel väterlicherseits,
um ihm ihre Achtung zu erweisen. Dhrtarastra hatte viele Intrigen
ersonnen, um die Pandavas zu vernichten, und hatte ihnen schließ-
lich den Krieg erklärt, was aber den Tod seiner einhundert Söhne
zur Folge hatte. Selbst nach seiner Niederlage weigerte er sich, seine
Neffen, die Söhne seines Bruders Pāndu, zu empfangen. Dies war
eine große Beleidigung König Yudhisthiras. Eines Tages begab sich
Dhrtarāstras jüngerer Bruder, Vidura, der ein großer Vaisnava war,
zu Dhrtarastra und sagte: „Mein lieber Bruder, du bist schamlos.
Erst erklärst du den Pandavas den Krieg, und nun, da du ein alter
Mann bist, empfängst du König Yudhisthira immer noch nicht als
deinen Gast, lebst aber auf seine Kosten in seinem Haus. Wie kannst
du so schamlos sein, mein lieber Bruder?" Vidura sprach diese Wor-
te, nur um Dhrtarastra zu helfen, seine Anhaftung an das Familien-
leben aufzugeben. Obwohl Dhrtarastra ein alter Mann war und alle
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 137

seine Söhne tot waren, saß er immer noch ruhig zu Hause und aß
köstliche Speisen. Das zeigt, wie stark Familienbande sein können.
Vidura wies Dhrtarastra zurecht: „Du hustest Schleim, weil du so alt
bist, und hast eine kranke Leber. Sehr bald wirst du sterben, doch
immer noch sitzt du wie ein Hund auf deinem bequemen Stuhl.
Hast du nicht mehr Schamgefühl als ein Hund, der immer nur dar-
auf wartet, daß sein Meister ihm etwas zu fressen gibt?"
Als Dhrtarastra Viduras harsche Worte vernahm, wurde sein har-
tes Herz erweicht, und er erwiderte: „Ja, mein lieber Bruder Vidura,
bitte sage mir, was ich tun soll."
„Komm sogleich mit mir in den Wald", riet ihm Vidura, „und ver-
senke dich für den Rest deines Lebens einfach ins Krsna-Bewußt-
sein. Komm mit mir!" So verließ Dhrtarastra zusammen mit Vidura
und Gāndhāri, seiner treuen Gemahlin, das Haus, ohne irgend je-
manden etwas davon wissen zu lassen. Gemeinsam gingen sie in
den Wald, um ihr Leben in Meditation über den Herrn zu be-
schließen.
Als König Yudhisthira am Morgen seinen Onkeln Ehrerbietungen
erweisen wollte, sah er, daß sie nicht mehr da waren. Beim Ge-
danken an Dhrtarāstras hohes Alter wurde er von Angst ergriffen.
Doch da erschien der große Weise Nārada Muni und teilte ihm mit:
„Sei unbesorgt! Dhrtarastra und seine Frau, Gāndhāri, wurden von
deinem Onkel Vidura in den Wald geführt."
Diese Geschichte aus dem Srimad-Bhāgavatam gewāhrt uns Ein-
blick in den Brauch, āltere Familienmitglieder zu ehren. Nachdem
die morgendlichen Pflichten erfüllt sind, muß man als nächstes dem
spirituellen Meister und den älteren Angehörigen Ehrerbietungen
erweisen. Auch einem Gast muß man Achtung entgegenbringen.
Normalerweise wissen wir, wann ein Gast uns besuchen kommt,
und können Vorbereitungen treffen. Manchmal geschieht es jedoch,
daß jemand unerwartet kommt, und auch einen solchen Gast muß
man mit Ehren empfangen. Bei Tisch sollte der Familienvater als
letzter essen und zunächst den älteren Familienmitgliedern zu es-
sen geben, dann seinen Kindern und den anderen Angehörigen. Be-
vor er sein Mahl zu sich nimmt, sollte er auf die Straße gehen und
laut rufen: „Wer hungrig ist, soll bitte kommen. Ich habe noch nicht
138 Im Angesicht des Todes

gegessen und lade euch ein!" Man sollte zu Hause immer etwas
Essen für unerwartete Gāste aufheben. Wenn ein hungriger Gast
kommt und um Speise bittet, muß man ihm nach vedischer Sitte
sein eigenes Essen geben, selbst wenn für einen persönlich nichts
übrigbleibt. Das ist wirklicher grhastha-āsrama. In Indien kann man
sehen, daß ein Jugendlicher in der Gegenwart eines älteren Mannes
nur mit dessen Erlaubnis raucht, obwohl sie Fremde sind. Ein Ju-
gendlicher sollte selbst auf einen fremden älteren Menschen Rück-
sicht nehmen, um wieviel mehr also auf seinen Vater oder älteren
Bruder. In der vedischen Gesellschaft wird jeder āltere Mensch ge-
achtet und geehrt. Diese Grundsātze sind zwar nicht starr oder ab-
solut, aber sie sind vedischer Brauch.
Ajāmila wurde in seiner Jugend also dazu erzogen, dem spirituel-
len Meister und den älteren Menschen Respekt entgegenzubringen.
Das ist eines der Merkmale von sad-ācāra; Güte ist ein weiteres. Ajā-
mila war zu allen Lebewesen gütig, denn ein echter brāhmana ist der
Freund eines jeden, selbst einer Ameise.
In diesen Zusammenhang paßt die Geschichte von Nārada Muni
und dem Jäger. Als Nārada Muni einmal in der Nāhe von Prayag
durch einen Wald ging, sah er dort viele halbtote Tiere liegen. Vol-
ler Mitleid mit den leidenden Kreaturen rief er aus: „Wer ist der
Missetäter, der all diese Tiere erlegt und sie auf diese Weise ver-
enden läßt?" Da erschien der barbarische Jäger Mrgāri und antwor-
tete: „Lieber Weiser, bitte laß mich meine Arbeit machen! Wenn du
hierher gekommen bist, um ein Hirschfell zu erbitten, so will ich dir
gerne eins geben." „Ich bin nicht gekommen, um dich um irgend
etwas zu bitten", entgegnete Nārada, „sondern um dich zu fragen,
warum du diese Tiere nur halb tötest. Das ist eine große Sünde. Es
wäre besser, du tötetest sie ganz." Mrgāri erwiderte: „Mein Vater
brachte mir bei, die Tiere so zu töten. Ich wußte nicht, daß es sünd-
haft ist." Da erklärte ihm Nārada: „Ja, es ist sehr sündhaft; dafür
wirst du sehr zu leiden haben."
Der Jäger wurde nachdenklich und fragte: „Was soll ich tun?"
„Gib diese unsinnige Beschäftigung auf!" riet ihm Nārada Muni.
Doch Mrgāri protestierte: „Was soll ich dann essen?" Da versprach
ihm Nārada Muni: „Ich werde dich mit Nahrung versorgen." Und
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 139

der Jäger willigte ein: „In Ordnung, wenn du mir zu essen gibst,
kann ich diese Beschäftigung aufgeben."
Nārada Muni bat Mrgāri sodann, sich am Ufer des Ganges nie-
derzusetzen und vor einer heiligen tulasi-Pflanze Hare Krsna zu
chanten. Nārada Muni ging in das nahe gelegene Dorf und gab be-
kannt, daß sich am Ufer des Ganges ein reiner Vaisnava befinde und
chante. Als die Dorfbewohner Mrgāri erblickten, der friedlich am
Ufer saß und chantete, sagten sie zueinander: „Er hat seine Jägerei
aufgegeben und chantet jetzt Hare Krsna." Von nun an kamen sie
regelmäßig an das Ufer des Ganges, um Mrgāri zu besuchen. Einer
brachte Reis, ein anderer brachte dal, und wieder ein anderer brachte
Früchte.
Als immer mehr Nahrung zusammenkam, wunderte sich der Jā-
ger Mrgāri: „Warum schickt mir Nārada Muni so viel zu essen?
Ich muß nur mich und meine Frau ernähren." Daher fing er an,
das Essen zu verteilen. Täglich chantete er Hare Krsna und ver-
teilte prasādam - so wurde er ein vollkommener Vaisnava. (Dieses
System wurde in der Bewegung für Krsna-Bewußtsein eingeführt.
In jedem Tempel chanten wir den Hare-Krsna-mahā-mantra und ver-
teilen prasādam, Krsna geweihte Speisen.)
Nach einiger Zeit rief Nārada Muni seinen Freund Pārvata Muni
und sprach: „Ich habe einen sehr liebenswürdigen Schüler, der frü-
her ein Jäger war. Laß uns hingehen und nachschauen, wie es ihm
geht!" Pārvata Muni stimmte zu, und die beiden Weisen machten
sich auf den Weg. Als sie sich Mrgāris Haus näherten, sahen sie
Mrgāri hin- und herhüpfen. Beim Anblick Nārada Munis wollte
Mrgāri ihm sogleich zu Füßen fallen, um ihm seine Ehrerbietungen
zu erweisen; zuvor aber nahm er einen Zipfel seines dhoti und
fegte vorsichtig die Ameisen zur Seite, die vor ihm krabbelten, um
sie nicht zu zerdrücken. Er war umhergehüpft, um nicht auf die
Ameisen zu treten. Dies war derselbe Mann, der noch vor kurzem
alle möglichen Tiere gequält hatte; nun war er nicht einmal bereit,
eine Ameise zu töten. Das ist das Wesen eines Vaisnavas.
Auch Ajāmila war von gütigem Wesen, eine Eigenschaft, durch
die sich brāhmanas auszeichnen. Trotz seiner vorzüglichen Erziehung
war er nicht stolz. Er war frei von ahankāra, falschem Ego. Das Wort
140 Im Angesicht des Todes

ahankara bedeutet soviel wie: „Ich tue dies, ich tue das, und deshalb
bin ich so einzigartig." Ajāmila war frei von dieser Haltung und
kannte auch keinen Neid. In unserer verkommenen Zeit ist jeder auf
einen oder mehrere Menschen neidisch. Doch brāhmanas wie Ajāmi-
la sind von dieser Neigung frei. Nur wer sich diese brahmanischen
Eigenschaften und Verhaltensformen zu eigen gemacht hat, darf er-
warten, aus der materiellen Gefangenschaft befreit zu werden.

Die Tücken der Lust

Wie wir aus dem Srimad-Bhāgavatam erfahren, verlor Ajāmila un-


glücklicherweise seinen brahmanischen Status. Einst ging der junge
Ajāmila auf Geheiß seines Vaters im Wald Blumen und andere Dinge
sammeln, die für die Verehrung der Bildgestalt Gottes erforderlich
sind. Auf dem Rückweg kam Ajāmila an einem sūdra, einem Mann
der untersten Gesellschaftsschicht, und einer Dirne vorbei, die hier
beide lebhaft beschrieben werden. Trunkenheit gab es manchmal
auch in vergangenen Zeitaltern, wenn auch nur selten. Im gegen-
wärtigen Zeitalter des Kali jedoch sieht man diese Sünde überall,
denn auf der ganzen Welt kennen die Leute keine Scham mehr. Als
vor langer Zeit Ajāmila den betrunkenen sūdra und die Dirne sah,
wurde er von diesem Anblick beeinflußt, obgleich er bis dahin ein
tadelloser brahmacāri gewesen war. Heutzutage ist Promiskuität fast
überall verbreitet. Wir müssen uns die Situation eines brahmacāri
vorstellen, der solch ein Verhalten mitansieht. Für ihn ist es sehr
schwierig, standhaft zu bleiben, wenn er nicht äußerst entschlossen
den regulierenden Prinzipien folgt. Wer sich jedoch dem Krsna-Be-
wußtsein sehr ernsthaft zuwendet, dem wird es gelingen, diesen
Versuchungen der Sünde zu widerstehen.
In unserer Bewegung für Krsna-Bewußtsein verbieten wir unzu-
lässiges Geschlechtsleben, Berauschung, Fleischessen und Glücks-
spiel. Im Kali-yuga ist eine betrunkene, halbnackte Frau, die einen
betrunkenen Mann umarmt, nichts Ungewöhnliches, besonders in
den westlichen Ländern, und nach einem solchen Anblick Selbstbe-
herrschung zu bewahren ist sehr schwierig. Wenn wir dennoch -
dank Krsnas Barmherzigkeit - den regulierenden Prinzipien treu
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 141

bleiben und den Hare-Krsna-mantra chanten, wird Krsna uns ohne


Zweifel beschützen, ja Krsna verspricht, daß Sein Geweihter niemals
vergeht (kaunteya pratijānihi na me bhaktah pranasyati). Deshalb soll-
ten alle Schüler, die Krsna-Bewußtsein praktizieren, gehorsam den
regulierenden Prinzipien folgen und am Chanten des heiligen Na-
mens festhalten. Dann haben wir nichts zu befürchten. Andernfalls
aber befinden wir uns in einer sehr gefährlichen Lage.
Ajāmila hatte gelobt, den regulierenden Prinzipien des spirituel-
len Lebens zu folgen. Doch wie wir sehen, kann selbst eine hoch-
qualifizierte Person wie Ajāmila zu Fall kommen. Das erotische Ge-
baren, das das schamlose Paar öffentlich zur Schau stellte, führte
zu seinem Fall. Jeder weiß, daß Eheleute miteinander Geschlechts-
verkehr haben, aber dies sollte in den eigenen vier Wānden ge-
schehen. Intimer Umgang in der Öffentlichkeit ist tierisch. Eben-
sowenig statthaft ist Geschlechtsverkehr mit mehreren Partnern.
Heute ist unzulässiger Geschlechtsverkehr auf der ganzen Welt, zu-
mal in den westlichen Ländern, gang und gäbe. Eine junge Frau
denkt sich: „Ich werde einen passenden Mann finden, ihn anlocken,
Sex mit ihm haben, aber ihn nicht gleich heiraten. Erst probiere
ich diesen Mann aus, dann jenen. Wenn ich einen gefunden ha-
be, der mich glücklich macht, heirate ich ihn." Das ist die Menta-
lität einer Dirne. Aber auch die jungen Männer jagen vielen Ge-
schlechtspartnern nach. Dies sind alltägliche Vorkommnisse in den
westlichen Ländern, wo Jungen und Mādchen nicht im spirituellen
Leben ausgebildet werden.
In einer solchen Gesellschaft von Katzen und Hunden kann es
keinen Frieden geben. Alle Staatsführer sprechen von Frieden und
treffen sich auf Friedenskonferenzen, doch all ihre langen Bespre-
chungen und Resolutionen führen keinen Frieden herbei. Es kann
keinen Frieden geben, ohne daß die gesamte soziale Struktur re-
formiert wird, und dies ist nur möglich durch Krsna-Bewußtsein.
Krsna-Bewußtsein wird durch gute Gemeinschaft kultiviert, so
wie umgekehrt ein verkommener Charakter das Ergebnis schlechter
Gemeinschaft ist. Rsabhadeva erklärt im Srimad-Bhāgavatam (5.5.2):
mahat-sevām dvāram āhur vimuktes tamo-dvāram yositām sangi-sangam.
„Wenn wir das Tor zur Befreiung öffnen wollen, sollten wir den
142 Im Angesicht des Todes

mahātmās, den reinen Gottgeweihten, dienen. Wenn wir aber das Tor
zur Hölle aufstoßen wollen, müssen wir uns mit denen zusammen-
tun, die in Frauen vernarrt sind." Die lüsternen Menschen der heu-
tigen, angeblich zivilisierten Gesellschaft kümmern sich nicht um
Krsna-Bewußtsein. Sie sorgen sich nicht um ihre älteren Familien-
mitglieder. Auf der Straße, am Strand oder im Kino befriedigen
sie ihre sexuellen Gelüste. Ununterbrochen verwendet die Werbung
erotische Szenen, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen.
So gießen materialistische Atheisten Öl in das Feuer der Lust, und
die Menschen fahren zur Hölle.
Ajāmila wurde durch den Anblick des unzivilisierten, sich um-
schlingenden Paares verdorben. Weil der sūdra und die Dirne be-
trunken waren, verdrehten sich ihre Augen, und die Kleider der
Dirne hatten sich gelockert. Heutzutage ist es modern geworden,
enthüllende Kleidung zu tragen, aber diese Gepflogenheit ist ab-
scheulich und degradiert den Körper zum bloßen Lustobjekt. Es
heißt, daß ein Körper, der mit Kurkuma eingerieben ist, die sexuelle
Begierde des anderen Geschlechts vergrößert. Das Wort kāma-liptena
deutet an, daß der sūdra sich Kurkuma aufgetragen hatte. Weil der
sūdra und die Dirne Schurken waren, schämten sie sich nicht. Sie
entblößten sich freizügig, ohne sich um die öffentliche Meinung zu
kümmern. Sie lachten, sangen und umarmten sich - und der junge
Ajāmila, der vorbeikam, mußte alles mit ansehen.
In der modernen Zeit werden derartige erotische Szenen regel-
mäßig im Kino gezeigt, und man kann sich unschwer vorstellen,
welchen Charakter die jungen Männer und Frauen von heute da-
durch entwickeln. Beim einmaligen Anblick einer solchen Szene
kam Ajāmila zu Fall, und seine spirituelle Erziehung und Aus-
bildung waren ruiniert. Er war wie gelāhmt und völlig verwirrt.
Wenn Amor angreift, gehen alle Bildung, alle Kultur und alles Wis-
sen verloren. Deshalb muß man sich von dieser freizügigen, lüster-
nen Gesellschaft fernhalten. Cānakya Pandita rät: „Meide immer
den Umgang mit Menschen, die zu sehr der Sinnenbefriedigung
verfallen sind. Suche vielmehr die Gemeinschaft derer, die den hin-
gebungsvollen Tätigkeiten des spirituellen Lebens nachgehen." Aus
diesem Grund werden die Knaben in den gurukula geschickt, das
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 143

Haus des echten spirituellen Meisters, der sie vom sechsten Lebens-
jahr an im spirituellen Leben ausbildet.
Wenn man nicht sehr gefestigt ist in Wissen, Geduld und ein-
wandfreiem körperlichem, geistigem und intellektuellem Verhalten,
fāllt es einem außerordentlich schwer, seine lüsternen Wünsche im
Zaum zu halten. Selbst ein hochqualifizierter brahmana, wie er oben
beschrieben wird, konnte seine lüsternen Wünsche nicht mehr be-
herrschen und wurde von ihnen überwältigt, nur weil er einen
Mann gesehen hatte, der eine junge Frau umarmte und praktisch
alles tat, was zum Geschlechtsverkehr gehört. Der starke Einfluß
des materialistischen Lebens macht es äußerst schwierig, Selbstbe-
herrschung zu bewahren, es sei denn, man befindet sich durch hin-
gebungsvollen Dienst unter dem besonderen Schutz der Höchsten
Persönlichkeit Gottes.
13. KAPITEL

Ajamilas
lasterhaftes Leben
Die Yamadūtas fuhren fort: „Ebenso wie die Sonne und der Mond
von einem niederen Planeten verfinstert werden, verlor der brāh-
mana Ajāmila all seinen Verstand. Er dachte ständig an die Prosti-
tuierte, und schon bald nahm er sie als Dienstmagd in sein Haus
und gab alle regulierenden Prinzipien eines brāhmana auf.
Ajāmila begann, alles Geld, das er von seinem Vater geerbt hat-
te, zu verschleudern, um die Prostituierte mit vielerlei materiellen
Geschenken zu erfreuen, damit sie ihm wohlgesinnt blieb. Er gab
alle brahmanischen Tätigkeiten auf, um sie zufriedenzustellen.
Weil seine Intelligenz von ihrem lüsternen Blick durchbohrt war,
verfiel Ajāmila in ihrer Gemeinschaft sündhaften Handlungen. Er
gab sogar die Verbindung mit seiner wunderschönen jungen Frau
auf, die aus einer angesehenen brāhmana-Familie stammte.
Dieser niederträchtige Ajāmila ließ sich durch den Umgang mit
der Dirne all seiner Intelligenz berauben, obwohl er in einer brāh-
mana-Familie geboren worden war. So beschaffte er sich auf jede
erdenkliche Weise Geld, ganz gleich ob rechtmäßig oder unrecht-
mäßig, und gebrauchte es, um sie und ihre Kinder zu versorgen.
Wāhrend seines langen Lebens überschritt er ständig die Regeln
und Vorschriften der heiligen Schriften, lebte ausschweifend und
aß Speisen, die von der Dirne zubereitet worden waren. Somit ist
er ein großer Sünder, er ist unsauber und verbotenen Tätigkeiten
verfallen.
Ajāmila nahm keinerlei Bußen auf sich. Wegen seines sünd-
haften Lebens müssen wir ihn daher vor Yamarāja führen, der ihn
bestrafen wird. Dort wird er entsprechend dem Ausmaß seiner

144
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 145

sündhaften Handlungen bestraft und dadurch geläutert werden."


(Srimad-Bhāgavatam 6.1.63-68)

Dienen müssen wir ... aber wem?


Wie zuvor erwähnt, war Ajāmila von Geburt an zu einem richtigen
brāhmana erzogen worden und diente treu und stetig seinem spiri-
tuellen Meister, den älteren Angehörigen, wie seinem Vater, und der
Höchsten Persönlichkeit Gottes. Doch aufgrund seines Umgangs
mit der Prostituierten gab er seine brahmanischen Verpflichtungen
auf und wurde ein Diener von Sri Krsnas illusionierender Ener-
gie, māyā.
Es gibt zwei Arten von Dienern: māyās Diener und Krsnas Diener.
Jedes Lebewesen ist ursprünglich ein Diener Krsnas. Das bestätigt
auch Sri Caitanya: jivera 'svaRūpa haya — krsnera 'nitya dāsa'. „Die
wesensgemäße Stellung eines Lebewesens ist es, ein ewiger Diener
Krsnas zu sein." (Caitanya-caritamrta, Madhya-lilā 20.108) In unserer
Welt will jeder Herr und Meister sein. Als Individuum und in der
Gemeinschaft mit anderen versucht jeder, den Anspruch zu erheben:
„Ich bin der Herr von allem, was ich überblicke." Diese Haltung ist
aber widersinnig, da jeder von Natur aus ein Diener ist. Aber statt
Diener Krsnas sind wir Diener unserer Sinne geworden. In beiden
Fāllen sind wir Diener. Deshalb überlegen sich wirklich intelligente
Menschen: „Wenn ich schon als Diener handeln muß, warum nicht
als Diener Krsnas?" Nur ein Geweihter Krsnas ist vernünftig, denn
er nimmt seine naturgemäße Stellung als Krsnas Diener ein.
Die Verehrung Sri Krsnas oder Visnus ist das eigentliche Ziel
der vedischen Zivilisation, aber die sogenannten Vedāntisten ak-
zeptieren dies nicht. Sie weichen von diesem Ziel ab und treten für
die Verehrung von Halbgöttern ein, wobei sie behaupten, es kom-
me nicht darauf an, welchen Halbgott man verehre. Doch selbst die
Dāmonen (asuras) verehren bisweilen Halbgötter. Rāvana war ein
großer Geweihter Sivas, aber er war ein asura. Hiranyakasipu war
ein großer Geweihter Brahmas, doch auch er war ein asura. Jeder,
der kein Geweihter Sri Visnus ist, ist ein asura. So lautet das Ur-
teil der Veden. Ajāmila war ein brāhmana, was bedeutet, daß er ein
Diener Nārāyanas war, mit anderen Worten, ein Vaisnava.
146 Im Angesicht des Todes

Ein Vaisnava weiß, daß Sri Krsna der höchste Besitzer und Ge-
nießer ist und daß alle anderen Seine Diener sind. So wie ein Betrieb
dem Nutzen des Inhabers dient, dient alles und jeder in der mate-
riellen und spirituellen Welt dem Genuß Krsnas. Niemand sonst ist
der Genießer, ja niemand befindet sich überhaupt in der Position zu
genießen. Der einzige, der genießt, ist Krsna.
Wenn wir unsere Beziehung zu Krsna als Seine ewigen Diener
vergessen, werden wir zu Dienern unserer Sinne, Dem Diktat un-
serer Sinne folgend, gelangen wir in die dunkelsten Regionen der
Illusion und werden der Bestrafung durch Yamarāja ausgeliefert.
Manchmal verbietet uns unser Gewissen: „Tu das nicht!", aber wir
ergeben uns unserer Lust und Gier und tun es dennoch. Krsna weilt
in unserem Herzen und gebietet ebenso: „Tu es nicht!", und trotz-
dem tun wir es. Den eigenen Sinnen zu dienen bringt nur Leid.
Warum sollen wir also nicht Krsna dienen, wenn wir sowieso die-
nen müssen? Warum sollen wir unseren Sinnen dienen, die doch
nie zufrieden sind? Wir sollten Diener Gottes werden, denn dies ist
die Vollkommenheit des Lebens. Andernfalls sind wir gezwungen,
Diener unserer Sinne zu werden und zu leiden.
Wer ein Diener Krsnas wird, wird ein gosvami, ein Meister der
Sinne. Der Titel „Gosvami" bezeichnet jemanden, der sich weigert,
dem Diktat der Sinne zu folgen. Statt dessen gehorcht er dem Ge-
bot der Höchsten Persönlichkeit Gottes, so wie Rūpa Gosvami und
Sanātana Gosvami es taten. Der Titel „Gosvami" ist keine Kasten-
bezeichnung. Bevor Rūpa Gosvami ein gosvāmi wurde, diente er
der mohammedanischen Regierung als Minister und wurde aus
diesem Grund von der hinduistischen brāhmana-Gesellschaft ausge-
schlossen. Doch als er den Dienst in Nawab Hussain Shahs Regie-
rung aufgab, um der Anweisung Caitanya Mahāprabhus zu dienen,
machte der Herr ihn zu einem gosvami.
Alle wirklichen gosvāmis sind auch vairāgis, entsagungsvolle Men-
schen. Wer aber nicht in der Lage ist, ein echter vairāgi zu sein, muß
ein grhastha (Haushälter) werden. Man kann sich nicht als brahmacāri
oder sannyāsi ausgeben und heimlich unzulässigem Geschlechts-
verkehr nachgehen. Das ist abscheulich. Wenn ein Haushālter rich-
tig karma-yoga praktiziert, das heißt die Früchte seiner Tätigkeiten
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 147

Krsna darbringt, kann er schließlich die Ebene vollkommener Ent-


sagung erreichen. Er sollte nicht den Wunsch haben, die Früchte sei-
ner Arbeit zu genießen, sondern einfach nur aus Pflichtgefühl arbei-
ten: „Es ist Krsnas Wunsch. Krsna wird dadurch zufriedengestellt,
und deshalb muß ich es tun." Das ist die Einstellung, die ein Gottge-
weihter haben sollte. Arjuna war nicht gewillt, für sein persönliches
Interesse zu kämpfen, aber weil Krsna wollte, daß er kämpfte, faßte
er es als seine Pflicht auf: „Es muß getan werden. Ob ich es will oder
nicht, spielt keine Rolle. Da Krsna es wünscht, muß ich es tun." Das
ist die Haltung eines entsagenden Geweihten des Herrn.
In der Bhagavad-gitā (18.66) unterweist Sri Krsna Seinen Schüler
Arjuna: „Ergib dich einfach Mir! Ich werde dich vor allen sünd-
haften Reaktionen beschützen." Und Arjuna akzeptiert Krsnas Un-
terweisungen mit den Worten: karisye vacanam tava. „Ich werde tun,
was Du sagst." (Bhagavad-gita 18.73) Wenn wir Arjunas Beispiel fol-
gen, werden wir in unmittelbarer Verbindung mit Krsna stehen
und alle Schwierigkeiten im spirituellen und im materiellen Le-
ben überwinden können. Wir hören Krsnas Unterweisungen durch
die ununterbrochene Kette der Schülernachfolge (guru-paramparā).
Das Annehmen dieser Unterweisungen nennt man siksā (freiwilliges
Befolgen der Anordnungen des spirituellen Meisters). Die unab-
hängige Natur des Menschen bringt es mit sich, daß er den An-
weisungen eines anderen - wie rein er auch sein mag - nicht fol-
gen will. Erklärt man sich aber freiwillig damit einverstanden, den
Anordnungen des spirituellen Meisters zu gehorchen, gehorcht man
den Anordnungen Krsnas, und das Leben wird vollkommen.
Im Srimad-Bhāgavatam (11.17.27) sagt Krsna:
ācāryam mām vijāmyān
nāvamanyeta karhicit
na martya-buddhyāsūyeta
sarva-deva-mayo guruh
„Man sollte den ācārya als nicht von Mir verschieden betrachten und
ihn niemals in irgendeiner Weise geringschätzig behandeln. Man
sollte ihn nicht für einen gewöhnlichen Menschen halten und benei-
den, denn er ist der Stellvertreter aller Halbgötter."
148 Im Angesicht des Todes

Den spirituellen Meister für einen gewöhnlichen Menschen zu


halten und ihn zu beneiden sind Gründe dafür, daß ein Gottge-
weihter zu Fall kommt. Hingebungsvoller Dienst erfordert Übung
und Ausbildung unter der Führung eines spirituellen Meisters. Die-
se Führung erfāhrt man, wenn man sich dem spirituellen Meister er-
gibt, ihm Fragen stellt und ihm dient. Doch das ist nicht möglich für
jemanden, der den spirituellen Meister beneidet.

Die Folgen des unzulässigen Geschlechtslebens

Ajamila wurde als brahmana ausgebildet, verlor aber aufgrund der


Gemeinschaft mit einer Prostituierten seine brahmanische Stellung.
Obwohl er dadurch alle brahmanischen Pflichten vergaß, wurde er
am Ende seines Lebens durch das Chanten der vier Silben des hei-
ligen Namens Nārāyana vor der schlimmsten Gefahr bewahrt. Wie
Krsna in der Bhagavad-gitā (2.40) sagt: svalpam apy asya dharmasya
trāyate mahato bhayāt. „Schon der geringste hingebungsvolle Dienst
kann einen vor der größten Gefahr bewahren." Hingebungsvoller
Dienst, der mit dem Chanten der heiligen Namen des Herrn be-
ginnt, ist so mächtig, daß selbst jemand, der aufgrund sexueller Ver-
lockung von der erhabenen Stellung eines brahmana gefallen ist, aus
allen Schwierigkeiten gerettet werden kann, wenn er auf irgendeine
Weise den heiligen Namen des Herrn chantet. Das ist die außer-
ordentliche Macht des heiligen Namens des Herrn. Deshalb wird
in der Bhagavad-gitā empfohlen, das Chanten des heiligen Namens
nicht für einen einzigen Augenblick zu vergessen: satatam kirtayanto
mām yatantas ca drdha-vratāh.
Es gibt so viele Gefahren in der materiellen Welt, daß man von ei-
ner hohen Position jederzeit herabfallen kann. Doch wenn man sich
durch das Chanten des Hare-Krsna-mahā-mantra stets rein hālt und
unerschütterlich bleibt, befindet man sich ohne Zweifel in Sicher-
heit. Ajamila tat dies nicht und büßte durch seinen Umgang mit der
Prostituierten all seine brahmanischen Eigenschaften ein. Hier wird
insbesondere geschildert, welche Auswirkungen es hat, Speisen zu
sich zu nehmen, die von einer Prostituierten zubereitet wurden. Von
einer unsauberen, sündigen Frau zubereitetes Essen ist überaus an-
steckend. Da Ajamila solche Speisen aß, wurde auch er sündhaft.
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 149

Wie erwähnt wird, mißbrauchte Ajāmila seine Erbschaft. Tradi-


tionsgemäß ist jeder berechtigt, den Besitz seines Vaters zu erben,
und so erbte auch Ajāmila das Geld seines Vaters. Aber was machte
er damit? Statt mit dem Geld Krsna zu dienen, diente er damit einer
Prostituierten. So machte er sich schuldig und ruinierte sein Leben.
Das alles war die Folge davon, daß er dem gefährlichen, lüsternen
Blick der Dirne zum Opfer gefallen war.
Eine keusche und treue Ehefrau bringt gute Söhne zur Welt, die
später ihren Eltern und Vorfahren Opfergaben darbringen, um sie
zu befreien, falls sie in höllische Umstānde geraten sein sollten.
Das Wort putra (Sohn) bedeutet wörtlich: jemand, der seine Vor-
fahren aus der Hölle befreien kann. Sri Caitanya Mahāprabhu gab
hierfür ein persönliches Beispiel, als Er nach Gāya ging, um Sei-
nen Vorfahren Opfergaben darzubringen. Selbst heute noch befindet
sich in Gāya ein Visnu-Tempel, wo solche Opfergaben den Lotos-
füßen Sri Visnus dargebracht werden. Es ist schon vorgekommen,
daß ein Vater oder eine Mutter nach dem Tod den Körper eines
Geistes annehmen mußte, aber befreit wurde, nachdem in Gāya den
Lotosfüßen Visnus Opfergaben dargebracht worden waren. Vais-
navas freilich bringen Visnu ständig Opfer dar, und daher werden
ihre Ahnen automatisch erlöst. Wenn ein Sohn in der Familie ein
Vaisnava wird, kann er vierzehn Generationen seiner Vorfahren und
vierzehn Generationen seiner Nachfahren befreien. Dies wird im
Srimad-Bhāgavatam bestätigt.
So wie Sinnesbeherrschung der Anfang frommen Lebens ist, be-
ginnt ein sündhaftes Leben mit unzulässigem Geschlechtsverkehr.
Man sollte keinen unzulässigen Geschlechtsverkehr haben, sondern
sich nur sexuell betätigen, um mit der eigenen Frau ein Kind zu
zeugen. Der Sinn der Ehe ist es, Kinder zu haben, und in diesem
Sinne ist sie eine religiöse Institution. Sri Krsna bestätigt dies in
der Bhagavad-gita (7.11): dharmāviruddho bhūtesu kāmo 'smi. „Ich bin
das Geschlechtsleben, das nicht im Widerspruch zu den religiösen
Prinzipien steht." Ein Geweihter Caitanya Mahāprabhus namens
Sivānanda Sena war ein Familienvater. Sivānanda Sena pflegte ge-
meinsam mit vielen Gottgeweihten jedes Jahr Caitanya Mahāprabhu
in Puri zu besuchen; seine Frau und seine Kinder nahm er auch
mit. Einmal suchte er wieder den Herrn auf, und seine Frau erwies
150 Im Angesicht des Todes

Ihm ihre Ehrerbietung. Da sie zu jener Zeit gerade schwanger war,


sagte Caitanya Mahāprabhu zu Sivānanda: „Gebt dem Kind, das
ihr bekommen werdet, den Namen Paramānanda dāsa." Caitanya
Mahāprabhu wußte wohl, daß eine Schwangerschaft die Folge von
Geschlechtsverkehr ist, aber Er verurteilte den Geschlechtsverkehr
in diesem Falle nicht, da die Eltern sich an die Anordnungen der
Schriften gehalten hatten.
Andererseits gibt es auch den Fall von Haridasa dem Jüngeren. Er
war ein sannyāsi, ein Mönch im Lebensstand der Entsagung, der ein
vertrauter Gefährte des Herrn war. Einmal verspürte er sexuelle Ge-
lüste, gab ihnen aber nicht nach. Caitanya Mahāprabhu konnte dies
in Seiner Eigenschaft als Paramātmā sogleich erkennen. Der Herr er-
suchte hierauf Seine Gefährten, Haridasa nicht mehr zu Ihm kom-
men zu lassen. Doch Sarvabhauma Bhattācārya, Rāmānanda Rāya
und andere enge Gefährten Caitanya Mahāprabhus setzten sich für
Haridasa ein: „Haridasa der Jüngere ist Dein ewiger Diener. Er hat
dieses Vergehen begangen, aber bitte verzeih ihm gütigerweise."
Dennoch ließ Sich Sri Caitanya Mahāprabhu nicht erweichen und
erwiderte sogleich: „Wenn ihr so sehr an Haridasa hängt, bleibt ihr
besser bei ihm, und Ich werde fortgehen." Von da an wagte es nie-
mand mehr, Caitanya Mahāprabhu für Haridasa den Jüngeren um
Verzeihung zu bitten.
Manchmal war Sri Caitanya Mahāprabhu härter als Stein und
manchmal sanfter als eine Blume. So ist das Verhalten der Höchsten
Persönlichkeit Gottes. Sivānanda war ein rechtschaffener grhastha,
der die Regeln und Vorschriften des Haushālterlebens beachtete.
Haridasa der Jüngere dagegen verspürte bloß in Gedanken sexuelle
Wünsche; doch schon damit machte er sich schuldig, weil er sich im
Lebensstand der Entsagung befand. Ein sannyāsi gibt seine Familie
auf und legt das Gelübde ab, im Zölibat zu leben, aber wenn er sich
wieder sexuell betätigt, begeht er eine sehr große Sünde.
Ajāmila wurde also das Opfer unzulässigen Geschlechtsverkehrs
mit einer Prostituierten. Auf der ganzen Welt gibt es zahlreiche Bei-
spiele dafür, daß selbst geläuterte Menschen der Anziehung von
Prostituierten zum Opfer fallen und all ihr Geld für sie ausgeben.
Sexuelle Ausschweifungen mit Prostituierten sind verabscheuens-
wert, sie können den Charakter verderben und Menschen um ihre
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 151

hohe Position und um all ihr Geld bringen. Daher ist unzulässi-
ger Geschlechtsverkehr streng verboten. Man sollte sich mit seiner
Ehefrau zufriedengeben, denn bereits ein kleiner Fehltritt kann ver-
heerende Folgen haben. Ein Krsna-bewußter grhastha darf dies nie
vergessen. Er sollte niemals andere Frauen begehren, sondern mit
seiner Ehefrau in Frieden leben, indem er einfach den Hare-Krsna-
mantra chantet. Anderenfalls kann er jeden Augenblick seine guten
Lebensumstānde ruinieren, wie das Beispiel von Ajāmila zeigt.
In Anbetracht von Ajāmilas üblem Charakter wunderten sich die
Yamadūtas, warum die Visnudutas ihnen verboten, einen derartigen
Menschen Yamarāja zur Bestrafung zu bringen. Da Ajāmila für seine
sündhaften Taten keine Buße auf sich genommen hatte, sollte er, so
dachten die Yamadūtas, zu Yamarāja geführt werden, um geläutert
zu werden. Die Bestrafung bei Yamarāja ist ein Läuterungsvorgang,
der für die allergrößten Sünder bestimmt ist. Daher baten die Yama-
dütas die Visnudutas, sie nicht daran zu hindern, Ajāmila zu Yama-
rāja zu bringen.
14. KAPITEL

Betrüger
und Betrogene
Sukadeva Gosvāmi sprach: Mein lieber König, die Diener Sri Vis-
nus sind stets sehr bewandert in Logik und Argumentation. Nach-
dem die Visnudutas die Worte der Yamadūtas vernommen hatten,
antworteten sie:
„Ach, wie schmerzlich ist es mitanzusehen, daß Irreligiosität
eine Versammlung heimsucht, deren Aufgabe es wäre, Religion
aufrechtzuerhalten! In der Tat bestrafen nun schon diejenigen, die
für die Erhaltung der religiösen Prinzipien verantwortlich sind, ei-
nen sündlosen Menschen, der keine Strafe verdient.
Ein König oder ein Regierungsvertreter sollte so qualifiziert sein,
daß er aus Zuneigung und Liebe als Vater, Erhalter und Beschützer
der Bürger handelt. Er sollte den Bürgern guten Rat und Anwei-
sungen im Einklang mit den maßgebenden Schriften erteilen und
jeden gleichermaßen gerecht behandeln. So verhālt sich Yamarāja,
denn er ist der höchste Meister der Gerechtigkeit, und so verhalten
sich diejenigen, die ihm nachfolgen. Wenn solche Personen jedoch
korrupt und parteiisch werden, indem sie einen Unschuldigen be-
strafen, müssen wir uns fragen: Bei wem werden die Bürger Zu-
flucht suchen in der Sorge um ihren Unterhalt und ihre Sicherheit?
Die Masse der Menschen folgt dem Beispiel eines Führers und
ahmt sein Verhalten nach; sie hālt für richtig, was immer der Führer
für richtig hālt. Die meisten Menschen besitzen nicht genügend
Wissen, um zwischen Religion und Irreligiosität zu unterscheiden.
Der unschuldige, unaufgeklärte Bürger ist wie ein unwissendes
Tier, das friedlich mit dem Kopf auf dem Schoß seines Meisters
schlāft und vertrauensvoll an den Schutz des Meisters glaubt. Wie
kann ein Führer, der wirklich ein gutes Herz hat und es verdient,

152
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 153

daß man ihm Vertrauen schenkt, einen einfältigen Menschen be-


strafen oder töten, wenn dieser sich ihm in gutem Glauben und in
Freundschaft ergeben hat?" (Srimad-Bhāgavatam 6.2.1-6)

Dogma oder logisches Denken


Die Visnudutas - wie alle echten Diener Gottes - verstehen alles
durch logisches Denken. Krsnas Anweisungen sind keine sinnlosen
Dogmen. Religion lāßt häufig Dogmatismus entstehen. Doch der
Autor des Sri Caitanya-caritāmrta, Srila Krsnadāsa Kavirāja, fordert
uns auf, Caitanya Mahāprabhu und die Philosophie des Krsna-Be-
wußtseins durch logisches Denken zu verstehen. Mit anderen Wor-
ten, man soll nicht blindlings nachfolgen, nur aufgrund von Ge-
fühlen. Wer seinen logischen Verstand nicht anwendet, kann leicht
von skrupellosen Menschen in die Irre geführt werden. Es gibt
beispielsweise sogenannte Missionare, die damit werben, daß ein
Mensch Gott werden könne, und die Millionen von sentimentalen
Anhängern anlocken. Aber wie soll es möglich sein, daß ein Mensch
Gott wird? Gibt es dafür irgendwelche Beweise? Diese falschen Be-
hauptungen entbehren jeder Logik. Man sollte also seine Intelligenz
gebrauchen, um Krsna-Bewußtsein zu verstehen.
Wenn wir jedoch einmal die Philosophie des Krsna-Bewußtseins
akzeptiert haben und von einem echten spirituellen Meister einge-
weiht worden sind, können wir nicht mit ihm streiten und ihn her-
ausfordern. Ein solches Verhalten wäre ein Vergehen und ein Abfal-
len von den spirituellen Grundsātzen.

Die Pflicht einer Regierung


Da die Yamadutas versuchten, Ajāmila zur Bestrafung vor Yamarāja
zu bringen, wurden sie von den Visnudutas beschuldigt, die religiö-
sen Prinzipien zu verletzen. Yamarāja ist von der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes beauftragt, über religiöse und irreligiöse Prinzipien
zu urteilen und die Sünder zu bestrafen. Wenn jedoch völlig Un-
schuldige bestraft werden, gerāt die gesamte Versammlung Yamarā-
jas in Verruf. Dieser Grundsatz trifft nicht nur auf die Versammlung
Yamarājas zu, sondern auch auf die menschliche Gesellschaft.
Die Erhaltung religiöser Prinzipien ist die Pflicht des Königs oder
154 Im Angesicht des Todes

der Regierung. Leider haben im gegenwärtigen Zeitalter, dem Kali-


yuga, die Leute ihren Verstand verloren, so daß sie zwischen dharma
und adharma, Religion und Irreligiosität, nicht unterscheiden kön-
nen. Die Gerichtshöfe wissen nicht, wen sie zu bestrafen haben und
wen nicht. So kommt es vor, daß die Vaisnavas, die aus Mitleid
mit den gefallenen Seelen auf die Straße gehen, um die Grundsātze
des Krsna-Bewußtseins zu predigen, von Gerichten zu Unrecht we-
gen Friedensstörung bestraft werden. Obgleich sie ihr Leben dem
Predigen und der Verherrlichung Gottes geweiht haben, werden sie
leider aufgrund des schlechten Einflusses des Kali-yuga manchmal
schikaniert. Das gegenwärtige Zeitalter, das Kali-yuga, ist ein großes
übel. Die einzige Zuflucht, die uns bleibt, ist Krsna und das fort-
wāhrende Chanten von Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare
Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.
Die Visnudutas tadelten die Yamadūtas, weil sie die Grundsätze
der Gerechtigkeit verletzt hatten. Ein derartiger Zerfall des Rechts-
wesens ist im Kali-yuga weit verbreitet. Das Rechtswesen muß ge-
währleisten, daß Gerechtigkeit geübt wird, aber falsche Zeugenaus-
sagen und Bestechungsgelder erschweren dies. Mit Geld kann fast
jeder vor Gericht ein günstiges Urteil erlangen. Wenn das Rechts-
wesen korrupt ist, wird das Leben sehr beschwerlich. Die Aufgabe
der Regierung ist es, den Bürgern Schutz zu bieten, so wie Eltern
ihren Kindern Schutz bieten. Ein kleines Kind ist völlig von seinen
Eltern abhängig und glaubt fest daran: „Mein Vater und meine Mut-
ter sind da - ich bin in Sicherheit." Wer aber beschützt das Kind,
wenn die Eltern pflichtvergessen sind? Und wo finden die Bürger
Schutz, wenn die Regierung korrupt ist?
Die Leute folgen im allgemeinen dem, was die Spitzen der Gesell-
schaft vormachen. Die Regierung oder der König ist wie ein Vater
für die Bürger. Ein Vater wird es niemals dulden, daß seine Kinder
verletzt oder getötet werden, ja er wird sein eigenes Leben aufs Spiel
setzen, um sie vor einem Missetäter zu schützen. Doch heutzutage
nimmt die Kriminalität überhand. Die Regierung gibt Milliarden
von Dollars aus, aber die Bürger haben keine Sicherheit in ihrem Le-
ben. Die Regierung ist den Bürgern gegenüber verantwortlich, denn
es ist ihre Aufgabe, sie zu beschützen und für sie zu sorgen. Doch in
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 155

welcher Lage befinden sich die Bürger, wenn die Regierung unfähig
oder bestechlich ist?
Der König oder in der heutigen Zeit die Regierung sollte für den
Schutz der Bürger eintreten und sie das richtige Lebensziel leh-
ren. Die menschliche Lebensform ist dazu auserkoren, Selbstver-
wirklichung, das heißt die Verwirklichung unserer Beziehung zur
Höchsten Persönlichkeit Gottes, zu erlangen. Die Pflicht der Regie-
rung ist es deshalb, alle Bürger so zu erziehen, daß sie allmählich
auf die spirituelle Ebene erhoben werden und ihre Beziehung zu
Gott verwirklichen. Diesem Grundsatz folgten Könige wie Mahārāja
Yudhisthira, Mahārāja Pariksit, Sri Rāmacandra, Mahārāja Ambarisa
und Prahlāda Mahārāja.
Leider sind die Staatsführer der heutigen Zeit für gewöhnlich ver-
logen und gottlos, und alle Staatsangelegenheiten haben darunter
zu leiden. Im Namen der Demokratie verleiten Gauner und Diebe
die unschuldige Bevölkerung dazu, sie in die wichtigsten Regie-
rungsämter zu wählen. Dafür erbrachte man unlängst in Amerika
den Beweis, woraufhin der Präsident bei den Bürgern in Ungnade
fiel und abgesetzt wurde. Das ist aber nur ein Fall unter vielen.
Im Kali-yuga haben die Menschen keine Zuflucht. Aufgrund der
korrupten Regierungen können sie ihres Lebens und ihres Eigen-
tums nicht sicher sein. Unter dem Schutz der Regierung sollte die
breite Masse sich immer sicher fühlen dürfen. Wie bedauerlich ist es
daher, wenn die Regierung selbst das Vertrauen mißbraucht und die
Bürger aus politischen Gründen in Schwierigkeiten bringt! Zur Zeit
der Teilung Indiens haben wir gesehen, wie Politiker plötzlich Ge-
fühle des Hasses zwischen den Hindus und Moslems schürten, ob-
wohl diese bislang friedlich zusammengelebt hatten. Für die Politik
brachten sich hierauf Hindus und Moslems gegenseitig um: eine Ge-
walttätigkeit, die für das Kali-yuga typisch ist.
Ein weiteres Symptom des Kali-yuga ist die abscheuliche Un-
sitte, Tiere zu schlachten. In diesem Zeitalter werden die Tiere zu-
nächst wohl behütet, und sie vertrauen voll darauf, daß ihre Be-
sitzer sie beschützen werden. Leider aber werden die Tiere, sobald
sie Fett angesetzt haben, zum Schlachten gebracht. Eine solche Bru-
talität wird von Vaisnavas wie den Visnudutas verurteilt. Die sün-
156 Im Angesicht des Todes

digen Menschen, die für solche Grausamkeiten verantwortlich sind,


blicken in der Tat höllischen, leidvollsten Bestrafungen entgegen.
Wer das Vertrauen eines Lebewesens, ob Mensch oder Tier, miß-
braucht, wenn es guten Glaubens bei ihm Zuflucht sucht, macht sich
einer großen Sünde schuldig. Da solche Betrüger heute ungestraft
bis in die Regierung aufsteigen, ist die gesamte menschliche Gesell-
schaft schrecklich verunreinigt. Die Menschen dieses Zeitalters wer-
den daher beschrieben als mandāh sumanda-matayo manda-bhāgyā hy
upadrutāh. Als Folge solcher Sündhaftigkeit sind die Menschen de-
generiert (mandāh), ihre Intelligenz ist unklar (sumanda-matayah), sie
sind unglückselig (manda-bhāgyāh), und deswegen werden sie im-
mer von zahlreichen Problemen geplagt (upadrutāh). Das ist der Zu-
stand wāhrend ihres Lebens, und nach dem Tode werden sie zur
Strafe Höllenqualen leiden.
Obwohl Ajāmila nicht zu bestrafen war, bestanden die Yama-
dütas darauf, ihn vor Yamarāja zu bringen. Das war adharma, ge-
gen die religiösen Prinzipien. Die Visnudütas befürchteten, daß die
Führung der menschlichen Gesellschaft entarten würde, wenn man
derartige irreligiöse Taten erlaubte. In der heutigen Zeit versucht die
Bewegung für Krsna-Bewußtsein, in der Gesellschaft die richtigen
Organisationsprinzipien zu etablieren. Aber leider unterstützen die
Regierungen des Kali-yuga die Hare-Krsna-Bewegung nicht gebüh-
rend, weil sie ihren wertvollen Dienst nicht zu schātzen wissen. Die
Hare-Krsna-Bewegung ist die richtige Bewegung, um die haltlose
Gesellschaft zu bessern. Aus diesem Grund sollten die Regierungen
und die Spitzen der Gesellschaft in aller Welt dieser Bewegung da-
bei helfen, den sündhaften Zustand der Menschheit zu korrigieren.
15. KAPITEL

Buße
Die Visnudütas fuhren fort: „Ajāmila hat bereits für all seine sünd-
haften Taten gebüßt. Er büßte nicht nur für die Sünden aus einem
Leben, sondern sogar für sämtliche Sünden aus Millionen von Le-
ben, denn er chantete in einem hilflosen Zustand den heiligen Na-
men Nārāyanas. Obgleich sein Chanten nicht rein war, chantete er
ohne Vergehen, und deshalb ist er jetzt rein und für die Befreiung
geeignet.
Schon früher pflegte Ajāmila beim Essen und bei anderen Ge-
legenheiten seinen Sohn zu rufen: ,Mein lieber Nārāyana, bitte
komm zu mir!' Obwohl er eigentlich den Namen seines Sohnes
rief, sprach er doch die vier Silben nā-rā-ya-na aus. Indem er den
Namen Nārāyanas auf diese Weise chantete, büßte er ausreichend
für die sündhaften Handlungen aus Millionen von Leben.
Das Chanten von Sri Visnus heiligem Namen ist die beste Me-
thode der Buße für einen Dieb, der Gold oder andere Wertge-
genstände gestohlen hat, für einen Trunkenbold, für jemanden,
der einen Freund oder Verwandten betrogen oder einen brāhmana
getötet hat, und für jemanden, der mit der Frau seines guru oder
eines anderen Höhergestellten Geschlechtsverkehr hatte. Es ist
auch die beste Methode der Buße für diejenigen, die ihren Vater,
den König oder Frauen ermordet oder Kühe geschlachtet haben,
und für alle anderen sündhaften Menschen. Dadurch, daß solche
sündhaften Menschen einfach nur den heiligen Namen Sri Visnus
chanten, ziehen sie die Aufmerksamkeit des Höchsten Herrn auf
sich, der dann Seinerseits denkt: ,Da dieser Mensch Meinen heili-
gen Namen gechantet hat, ist es Meine Pflicht, ihm Schutz zu ge-
währen.'" (Srimad-Bhāgavatam 6.2.7-10)

157
158 Im Angesicht des Todes

Die erlösende Wirkung des heiligen Namens

Die Visnudütas warfen den Yamadutas vor, sie wüßten nicht, wen
sie festnehmen dürften und wen nicht. Die Yamadutas nehmen
regelmäßig Sünder gefangen; aber in diesem Falle wollten sie Ajā-
mila ergreifen, obschon er durch das Chanten von „Nārāyana!" von
allen sündhaften Reaktionen befreit worden war. Die Visnudütas
kritisierten die Yamadutas wie folgt: „Ihr wißt nicht, wen ihr zu be-
strafen habt und wen nicht. Selbst wenn Ajāmila zahllose Sünden
begangen hat, ist er nun von den Folgen dieser Sünden erlöst. Er
tilgte diese Sünden vollständig, indem er den heiligen Namen Nā-
rāyanas chantete. Warum versucht ihr jetzt, ihn gefangenzunehmen,
als sei er ein Verbrecher? Obwohl er den heiligen Namen nicht mit
Absicht chantete, sprach er ihn dennoch aus und ist daher nun frei
von Sünde."
Die Yamadutas hatten nur Ajāmilas äußere Situation in Betracht
gezogen. Da er zu Lebzeiten ein großer Sünder gewesen war, sollte
er vor Yamarāja gebracht werden. So dachten sie zumindest, aber sie
wußten nicht, daß er von den Folgen all seiner Sünden befreit wor-
den war. Die Visnudütas gaben ihnen daher zu verstehen, daß ihm
alle Sünden erlassen seien, weil er im Moment des Todes und schon
zu Lebzeiten den Namen Nārāyanas gechantet hatte. In diesem Zu-
sammenhang zitiert Srila Visvanatha Cakravarti Thākura folgende
Verse aus den Schriften:

nāmno hi yāvati saktih


pāpa-nirharane hareh
tāvat kartum na saknoti
pātakam pātaki narah

„Einfach durch das Chanten des heiligen Namens Hari kann ein
sündhafter Mensch die Reaktionen von mehr Sünden aufheben, als
er zu begehen vermag." (Brhad-visnu Purāna)

avasenāpi yan-nāmni
kirtite sarva-pātakaih
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 159

pumān vimucyate sadyah


simha-trastair mrgair iva

„Selbst wenn man den heiligen Namen in einer hilflosen Lage oder
unbeabsichtigt chantet, verschwinden sogleich alle sündhaften Re-
aktionen, genauso wie das Gebrüll eines Löwen die kleinen Tiere im
Wald die Flucht ergreifen lāßt." (Garuda Purāna)

sakrd uccāritam yena


harir ity aksara-dvayam
baddha-parikaras tena
moksāya gamanam prati

„Wer nur einmal Gottes heiligen Namen chantet, der aus den zwei
Silben ha-ri besteht, dem ist der Pfad der Befreiung gewiß." (Skanda
Purāna)
Dies sind einige Verse, die erklären, warum die Visnudutas die
Yamadutas davon abhielten, Ajāmila vor Yamarāja zu bringen.
Es gibt verschiedene Arten von Sünden, und eine davon ist Dieb-
stahl. Diebe und Einbrecher sind sehr sündige Menschen. Eine wei-
tere Sünde ist Trunksucht. Diejenigen, die der Berauschung und
dem Stehlen verfallen sind, werden von den Visnudutas verurteilt.
Zu den schlimmsten Sünden zāhlt außerdem, seinen Freunden nicht
treu zu sein, einen brāhmana oder Vaisnava zu töten, seinen spirituel-
len Meister oder Lehrer zu mißachten und eine Frau, einen König
oder eine Kuh zu töten. Aber die Visnudutas sagen, daß man trotz
vieler solcher Sünden sofort von den Reaktionen frei wird, wenn
man den heiligen Namen Nārāyanas ausspricht.
Sridhara Svāmi sagt: „Das Chanten des heiligen Namens von Nā-
rāyana, Hari, hob nicht nur sämtliche sündhaften Reaktionen Ajā-
milas auf, sondern befähigte ihn auch, Befreiung zu erlangen. Im
Augenblick des Todes wurde er daher in die spirituelle Welt ge-
führt." Das Chanten von Krsnas heiligem Namen macht mehr Sün-
den wieder gut, als man begehen kann. Weil Ajāmila den heiligen
Namen ohne Vergehen und ernsthaft gechantet hatte, wurde er von
allen sündhaften Reaktionen befreit. Aus diesem Grund legen wir so
großen Wert auf das Chanten von Hare Krsna. Seien es fromme Wer-
160 Im Angesicht des Todes

ke, Entsagungen oder Opfer - alles ist im Chanten des Hare-Krsna-


mantra enthalten. Kein anderer Vorgang des yoga, der Buße oder der
Entsagung ist nötig. Denn das Ergebnis aller anderen in den Veden
vorgeschriebenen Rituale erreicht man bereits dadurch, daß man
ohne Vergehen chantet.
Früher schon, als Ajāmila sündhaften Betätigungen nachging, um
seine Familie zu versorgen, chantete er den Namen Nārāyanas ohne
Vergehen. Den heiligen Namen des Herrn nur zu chanten, um seine
Sünden zu tilgen, oder im Vertrauen auf den heiligen Namen sünd-
hafte Handlungen zu begehen, das ist ein Vergehen: nāmno balād
yasya hi pāpa-buddhih. Obwohl Ajāmila sündhafte Handlungen be-
ging, chantete er niemals den heiligen Namen Nārāyanas, um sie
wiedergutzumachen; er chantete den Namen Nārāyana nur, um sei-
nen Sohn zu rufen. Daher zeigte sein Chanten Wirkung. Da er den
heiligen Namen auf diese Weise chantete, hatte er bereits alle sünd-
haften Reaktionen überwunden, die sich in vielen, vielen Leben an-
gesammelt hatten. Die Schlußfolgerung lautet, daß jemand, der stets
den heiligen Namen des Herrn ohne Vergehen chantet, immer rein
ist. Wie diese Verse bestätigen, war Ajāmila bereits sündlos, und
weil er den Namen Nārāyanas chantete, blieb er es auch. Daß er
seinen Sohn rief, spielte keine Rolle, denn der Name an sich war
wirksam.
Törichte Menschen behaupten, man könne jeden beliebigen Na-
men chanten, selbst den eines Halbgottes, und das gleiche Ergeb-
nis erhalten, als hātte man den heiligen Namen des Herrn gechan-
tet. Das ist Māyāvāda-Philosophie. Die Māyāvādis glauben, jeder sei
Gott, und behaupten: „Die Halbgötter sind Gott, ich bin Gott, und
du bist Gott." Daher vertreten sie die Ansicht, man könne jeden
beliebigen Namen chanten und befreit werden. In Bengalen ist es
sehr populär, kāli-kirtana abzuhalten. Eine Gruppe von Leuten trifft
sich und chantet „Kali! Kali! Kali!" oder die Namen unzähliger an-
geblicher avatāras. Ein Schurke chantete obendrein den Namen sei-
ner Frau, und seine törichten Anhänger machten mit. So führen die
Māyāvādi-Philosophen ihre Anhänger geradewegs zur Hölle. Des-
halb warnte Caitanya Mahāprabhu energisch davor, den Māyāvādi-
Philosophen zuzuhören, damit unser spirituelles Leben nicht zu-
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 161

gründe gerichtet und uns der Pfad des hingebungsvollen Dienstes


nicht versperrt werde. Das sollten wir uns immer vor Augen hal-
ten, wenn es darum geht, andere Namen zu chanten. Den heiligen
Namen Visnus oder Krsnas sollten wir chanten - nicht den Namen
von irgend jemand anderem.
Die Schriften raten uns, nur den Namen der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes zu chanten. Visnu hat Tausende von Namen, und in
gewisser Weise sind Krsna und Visnu identisch; doch die Schriften
erklären, daß das Chanten von tausend Namen Visnus das gleiche
Ergebnis gewāhrt wie das einmalige Chanten von Rāmas Namen
und das dreimalige Chanten von Rāmas Namen das gleiche Ergeb-
nis wie das einmalige Chanten von Krsnas heiligem Namen. Das be-
ste Ergebnis erhālt man also automatisch, wenn man Krsnas heili-
gen Namen chantet.
Caitanya Mahāprabhu empfahl daher, gemäß den Anweisungen
der Schriften, den Vorgang des Chantens:

harer nāma harer nāma


harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva
nāsty eva gatir anyathā

„Im gegenwärtigen Zeitalter des Streites und der Heuchelei kann


man sich einzig und allein durch das Chanten der heiligen Namen
des Herrn befreien. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt keinen an-
deren Weg. Es gibt keinen anderen Weg." (Brhan-nāradiya Purāna)
Wenn wir den Vorgang des Chantens aufnehmen, werden wir so-
fort von allen sündhaften Reaktionen erlöst und beginnen so unser
spirituelles Leben. Solange man nicht von einem sündhaften Leben
befreit ist, kann man unmöglich ein reiner Vaisnava werden.

Vergehen gegen den heiligen Namen


Sogar ein Gottgeweihter kann mitunter - unbewußt oder aufgrund
seines vergangenen sündhaften Verhaltens - eine sündhafte Hand-
lung begehen. Aber solange er ernstlich Reue zeigt und denkt: „Das
hātte ich nicht tun sollen; doch ich bin so lasterhaft, daß ich diese
162 Im Angesicht des Todes

Sünde wieder begangen habe", wird der Höchste Herr ihm dank
seiner echten Reue vergeben. Wenn er hingegen mit Absicht sündigt
und erwartet, daß der Herr ihm vergebe, weil er Hare Krsna chantet,
dann ist das unverzeihlich.
Wenn man im Vertrauen auf den heiligen Namen sündhaften
Tätigkeiten nachgeht, begeht man nāma-aparādha, ein Vergehen ge-
gen den heiligen Namen. Von den zehn Vergehen ist das schwer-
wiegendste, im Vertrauen auf das Chanten zu sündigen. Durch das
Chanten von Hare Krsna wird man von allen sündhaften Reaktio-
nen befreit, doch wenn man die gleichen Sünden wieder begeht,
macht man sich eines gravierenden Verbrechens schuldig. Bei ei-
nem gewöhnlichen Menschen mag solch eine sündhafte Handlung
nicht so sehr ins Gewicht fallen, aber für jemanden, der Hare Krsna
chantet, ist sie ein gefährliches Vergehen, genauso wie es für ei-
nen Regierungsbeamten ein großes Verbrechen ist, seine Position
zu mißbrauchen und Bestechungsgelder anzunehmen. Solchen Ver-
brechern gebühren die schwersten Strafen. Wenn ein Polizist stiehlt,
ist sein Verbrechen größer als das eines gewöhnlichen Diebes, und
seine anschließende Bestrafung fāllt hārter aus. So lautet das Gesetz.
Wer auf ähnliche Weise den Hare-Krsna-mantra ausnutzt, mit dem
Hintergedanken: „Ich chante Hare Krsna. Selbst wenn ich einige
Sünden begehe, ist mir verziehen", der wird nicht zum endgültigen
Ziel des Chantens der heiligen Namen gelangen. Er gerāt in einen
Teufelskreis: Er wird befreit, begeht die Sünde wieder, wird erneut
befreit und begeht die Sünde wieder und immer wieder. So wird er
nie erlöst.
Nichtsdestoweniger sollte man fest daran glauben, daß man seine
sündhaften Reaktionen aufhebt, wenn man Hare Krsna chantet. Zu
denken, der heilige Name könne sündhafte Reaktionen nicht aus-
löschen, ist eines der zehn Vergehen gegen den heiligen Namen des
Herrn. Diejenigen, die sich darin üben, den Hare-Krsna-tnahā-mantra
ohne Vergehen zu chanten, sollten festes Vertrauen in die Worte der
sāstras haben, die erklären, daß das Chanten von Krsnas heiligem
Namen höchste Macht besitzt. „Das Chanten von Visnus heiligem
Namen", sagen die Visnudutas, „ist die beste Methode der Buße für
alle Arten von Sündern." Aber sehr oft hat man mit der Schwie-
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 163

rigkeit zu kämpfen, daß man Hare Krsna chantet und dann wieder
sündigt.

Die Vollkommenheit des Chantens

Das sorgfāltige Vermeiden aller sündhaften Tätigkeiten ist also der


Schlüssel zum erfolgreichen Chanten. Durch das Chanten des Hare-
Krsna-mahā-mantra wird man von allen Reaktionen früherer Sünden
befreit. Vermeidet man es, wieder zu sündigen, wird man sehr rasch
ein fortgeschrittener Gottgeweihter, dessen Geist auf Krsnas Lotos-
füße gerichtet ist. Wenn wir regelmäßig ohne Vergehen Hare Krsna
chanten, werden wir von allen sündhaften Reaktionen frei bleiben,
und unsere Zuneigung zum Höchsten Herrn wird im hingebungs-
vollen Dienst wachsen.
über die Macht von Krsnas heiligem Namen kam es einmal zu
einer Auseinandersetzung zwischen Thākura Haridāsa und einem
törichten sogenannten brāhmana. In einer Versammlung von Vais-
navas sagte Haridāsa Thākura: „Das vergehenlose Chanten der hei-
ligen Namen des Herrn bewirkt nicht nur, daß wir auf die spirituelle
Ebene (brahma-bhūtah) gelangen, sondern auch, daß unsere schla-
fende Liebe zu Gott erweckt wird; dadurch werden wir wie von
selbst befreit."
Der brāhmana protestierte: „übertreibe die Wirkung des Chantens
nicht so maßlos! Man wird nur befreit, nachdem man große Ent-
sagungen und Bußen auf sich genommen hat. Du aber sagst, man
könne einfach befreit werden, wenn man Hare Krsna chantet. Sollte
dem nicht so sein, werde ich dir die Nase abschneiden."
„Wenn das Chanten von Hare Krsna Befreiung nicht als Begleit-
erscheinung mit sich bringt", erwiderte Haridāsa Thākura, „werde
ich mir eigenhändig die Nase abschneiden."
Alle, die dieser Auseinandersetzung beiwohnten, empörten sich
sehr über das Vergehen, das der brāhmana gegen Haridāsa Thākura
begangen hatte. Auf der Stelle vertrieben sie den Frevler. Wenig
später bekam der brāhmana Lepra, und seine schöne Nase schwand
dahin. Von diesem Vorfall wird im Sri Caitanya-caritāmrta erzāhlt.
Beim Chanten des heiligen Namens gibt es drei Stufen: das Chan-
164 Im Angesicht des Todes

ten mit Vergehen, das Chanten im befreiten Zustand und das Chan-
ten in vollkommener Liebe zu Gott. Diese fortschreitenden Stufen
des Chantens gleichen dem Heranreifen einer Mango. Eine unreife
Mango schmeckt sauer, aber wenn die Frucht ganz reif ist, schmeckt
sie sehr süß. Anfänglich mögen wir nur ungern chanten, doch wenn
wir befreit werden, ist das Chanten so süß, daß wir es nicht mehr
aufgeben können. Hierzu hat Srila Rūpa Gosvāmi einen schönen
Vers verfaßt, der die Süße von Krsnas heiligem Namen beschreibt:

tunde tāndavini ratim vitanute tundāvali-labdhaye


karna-kroda-kadambini ghatayate karnārbudebhyah sprhām
cetah-prārigana-sanginl vijayate sarvendriyānām krtim
no jāne janitā kiyadbhir amrtaih krsneti varna-dvayi

„Ich weiß nicht, wieviel Nektar die zwei Silben krs-na erzeugt ha-
ben. Wenn der heilige Name Krsnas gechantet wird, scheint er im
Munde zu tanzen, und wir wünschen uns dann viele, viele Münder.
Wenn dieser Name in die Öffnung unserer Ohren dringt, wünschen
wir uns viele Millionen von Ohren. Und wenn der heilige Name im
Hof des Herzens tanzt, bringt er die Tätigkeit des Geistes zum Still-
stand, wodurch alle Sinne untätig werden."
Dies sind die Merkmale von jemandem, der den befreiten Zu-
stand des Chantens erreicht hat. Auf dieser Stufe, prema genannt,
empfindet man einen großen Geschmack am Chanten von Hare
Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare
Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Doch diese Stufe kann man nur er-
reichen, wenn man den regulierenden Prinzipien folgt. Wir müssen
vorsichtig sein. Auf die Heilung einer Krankheit folgt zunächst die
Genesungszeit. Wenn wir uns falsch verhalten, kann die Krankheit
wiederkommen. Es ist nicht so, daß wir befreit werden und dann al-
les tun können, was uns beliebt. Nein, wir müssen immer an den re-
gulierenden Prinzipien des hingebungsvollen Lebens festhalten.

Die Segnungen des heiligen Namens


Weitere Einblicke in die Kraft des heiligen Namens gewährt uns
Srila Visvanātha Cakravarti Thākura in seinem Kommentar zu Vers
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 165

neun und zehn. Er schreibt diesen Kommentar in Form eines Dia-


loges, in dem besprochen wird, wie man einfach durch das Chan-
ten der heiligen Namen des Herrn von allen sündhaften Reaktionen
frei wird:
„Jemand könnte sagen: ,Man kann vielleicht akzeptieren, daß das
Chanten des heiligen Namens alle Reaktionen eines sündhaften Le-
bens abwendet. Wenn man aber bewußt sündhafte Taten begeht,
und zwar nicht nur einmal, sondern viele, viele Male, vermag man
sich von den Reaktionen solcher Sünden nicht einmal zu befreien,
wenn man zwölf Jahre oder länger dafür büßt. Wie soll es dann
möglich sein, von den Reaktionen solcher Sünden sofort befreit zu
werden, wenn man nur ein einziges Mal den heiligen Namen des
Herrn chantet?'"
Als Antwort zitiert Srila Visvanātha Cakravarti Thākura die Verse
neun und zehn dieses Kapitels: ,„Das Chanten von Sri Visnus heili-
gem Namen ist die beste Methode der Buße für einen Dieb, der Gold
oder andere Wertgegenstānde gestohlen hat, für einen Trunkenbold,
für jemanden, der einen Freund oder Verwandten betrogen oder ei-
nen brāhmana getötet hat, und für jemanden, der mit der Frau sei-
nes guru oder eines anderen Höhergestellten Geschlechtsverkehr
hatte. Es ist auch die beste Methode der Buße für diejenigen, die
ihren Vater, den König oder Frauen ermordet oder Kühe geschlach-
tet haben, und für alle anderen sündhaften Menschen. Dadurch, daß
solche sündhaften Menschen einfach nur den heiligen Namen Sri
Visnus chanten, ziehen sie die Aufmerksamkeit des Höchsten Herrn
auf sich, der dann Seinerseits denkt: ,Da dieser Mensch Meinen hei-
ligen Namen gechantet hat, ist es Meine Pflicht, ihm Schutz zu ge-
währen.'
Es ist durchaus möglich, durch das Chanten des heiligen Namens
für sein sündiges Leben zu büßen und alle sündhaften Reaktionen
auszulöschen; doch das Chanten geht weit über gewöhnliche Buße
hinaus. Eine Zeitlang mag gewöhnliche Buße vielleicht einen Sün-
der beschützen, aber sie reinigt sein Herz nicht völlig vom tief-
verwurzelten Verlangen nach sündigen Tätigkeiten. Daher ist Buße
nicht so mächtig wie das Chanten des heiligen Namens des Herrn.
In den sāstras heißt es, daß der Herr jemanden, der nur einmal
166 Im Angesicht des Todes

den heiligen Namen chantet und sich Seinen Lotosfüßen völlig er-
gibt, sofort als Seinen Schützling betrachtet und immer beschirmen
möchte. Dies wird von Sridhara Svāmi bestätigt. Deshalb sandte der
Herr unverzüglich Seine eigenen Diener zu Ajāmilas Schutz, als sich
dieser in der großen Gefahr befand, von den Beauftragten Yamarājas
abgeführt zu werden. Die Visnudütas setzten sich sogleich für Ajā-
mila ein, denn er war von allen sündhaften Reaktionen befreit.
Ajāmila hatte seinem Sohn den Namen Nārāyana gegeben, und
weil er den Jungen sehr liebte, pflegte er ihn immer wieder zu rufen.
Obgleich er nach seinem Sohn rief, war der Name selbst voller
Macht, da der Name Nārāyana nicht verschieden ist von Nārāyana,
dem Höchsten Herrn. Als Ajāmila seinen Sohn Nārāyana nannte,
wurden sämtliche Folgen seines sündigen Lebens aufgehoben, denn
wāhrend er seinen Sohn rief und so den heiligen Namen Nārāya-
nas viele tausend Male chantete, machte er unbewußt Fortschritt im
Krsna-Bewußtsein.
Ein weiterer Einwand könnte lauten: ,Wie konnte Ajāmila mit ei-
ner Prostituierten zusammenleben und Wein trinken, wenn er doch
ständig Nārāyanas Namen chantete?' Durch seine sündhaften Taten
brachte er immer wieder Leid über sich. Daher könnte man mei-
nen, daß Ajāmila nur befreit wurde, weil er Nārāyanas heiligen Na-
men im Augenblick des Todes chantete, aber nicht, weil er ihn zu
Lebzeiten gechantet hatte. Dann jedoch wäre das Chanten wāhrend
seines Lebens ein nāma-aparādha gewesen. Nāmno balād yasya hi pāpa-
buddhih: Wer weiterhin sündhaft handelt und versucht, seine Sün-
den durch das Chanten des heiligen Namens aufzuheben, ist ein
nāma-aparādhi, ein Frevler gegen den heiligen Namen.
Darauf lāßt sich erwidern, daß Ajāmila wāhrend seines Lebens
ohne Vergehen chantete, weil er Nārāyanas Namen nicht rief, um
seine Sünden zu tilgen. Er war so sehr in Illusion, daß er gar nicht
wußte, daß er sündhaften Tätigkeiten verfallen war und daß sein
Chanten des heiligen Namens Nārāyana ihn vor den Reaktionen be-
wahrte. Mit anderen Worten, er beging sein Leben lang keinen nāma-
aparādha, und sein Chanten des heiligen Namens Nārāyana, das sei-
nem Sohn galt, kann als rein bezeichnet werden.
Dank diesem reinen Chanten erhielt Ajāmila unbewußt die Er-
gebnisse von bhakti, hingebungsvollem Dienst. Schon das erstmalige
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 167

Aussprechen des heiligen Namens war in der Tat ausreichend, um


alle sündhaften Reaktionen seines ganzen Lebens aufzuheben. Zur
Veranschaulichung folgender Vergleich: Ein Feigenbaum trāgt nicht
sogleich Früchte, sondern sie reifen erst im Laufe der Zeit heran.
Auf ähnliche Weise wuchs auch Ajamilas hingebungsvoller Dienst
allmählich; und dies bewahrte ihn vor sündhaften Reaktionen, ob-
wohl er große Sünden begangen hatte. In den sāstras heißt es, daß ei-
nem die Folgen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen sün-
digen Lebens nichts anhaben können, wenn man nur einmal den
heiligen Namen des Herrn chantet. Wenn man zum Beispiel einer
Schlange die Giftzähne zieht, bewahrt dies die zukünftigen Opfer
der Schlange vor der Wirkung ihres Gifts, selbst wenn sie wieder-
holt zubeißt. Wenn ein Gottgeweihter den heiligen Namen nur ein-
mal ohne Vergehen chantet, beschützt ihn das ewig. Er braucht nur
abzuwarten, bis die Früchte seines Chantens im Laufe der Zeit her-
anreifen."
16. KAPITEL

Erwecken
der Gottesliebe
Die Visnudūtas fuhren fort: „Durch das Befolgen der vedischen
Ritualhandlungen oder das Ausüben von Bußen werden sünd-
hafte Menschen nicht so sehr geläutert wie dadurch, daß sie ein-
mal den heiligen Namen Sri Haris chanten. Obgleich rituelle Buße
von sündhaften Reaktionen befreien kann, erweckt sie nicht hin-
gebungsvollen Dienst - im Gegensatz zum Chanten der Namen
des Herrn, das uns an den Ruhm, die Eigenschaften, die Merk-
male, die Spiele und die Attribute des Herrn erinnert.
Die rituellen Zeremonien der Buße, die in den religiösen Schrif-
ten empfohlen werden, reichen nicht aus, um das Herz vollkom-
men zu lāutern, da nach vollzogener Buße der Geist wieder mate-
riellen Tätigkeiten zustrebt. Aus diesem Grunde wird jemandem,
der von den fruchtbringenden Reaktionen materieller Tätigkeiten
befreit werden möchte, das Chanten des Hare-Krsna-mantra und
die Lobpreisung des Namens, des Ruhms und der Spiele des Herrn
als der vollkommene Vorgang der Buße empfohlen. Denn solches
Chanten beseitigt vollständig den Schmutz im Herzen. Im Mo-
ment des Todes chantete Ajāmila hilflos und sehr laut den heili-
gen Namen Nārāyanas. Dieses Chanten allein erlöste ihn bereits
von allen Folgen seines sündhaften Lebens. Deshalb, o Diener
Yamarājas, versucht nicht, ihn zu eurem Meister zu führen, um
ihn höllischen Strafen auszuliefern. Wer den heiligen Namen des
Herrn chantet, wird sofort von den Folgen zahlloser Sünden be-
freit, selbst wenn er im Scherz, zur musikalischen Unterhaltung
oder nachlässig chantet, ja sogar dann, wenn er etwas anderes da-
mit ausdrücken will. Dies wird von allen großen Schriftgelehrten
anerkannt.

168
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 169

Wer durch einen Unglücksfall ums Leben kommt - wer zum


Beispiel vom Dach eines Hauses stürzt, auf der Straße ausrutscht
und sich die Knochen bricht, von einer Schlange gebissen wird,
von Schmerzen und heftigem Fieber heimgesucht oder durch eine
Waffe verwundet wird -, dabei aber irgendwie den heiligen Na-
men chantet, wird sofort davon freigesprochen, in ein höllisches
Dasein fallen zu müssen, selbst wenn er ein Leben voller Sünden
führte.
Große Gelehrte und Weise haben nach sorgfāltiger Untersu-
chung festgestellt, daß man sich für schwerwiegende Sünden har-
te Bußen und für geringfügige Sünden leichtere Bußen auferlegen
sollte. Das Chanten des Hare-Krsna-mantra jedoch beseitigt alle
Folgen sündhafter Handlungen, seien sie schwer oder leicht.
Obwohl man die Folgen eines sündhaften Lebens durch Ent-
sagung, Mildtätigkeit, Gelübde und andere derartige Methoden
aufheben kann, können diese frommen Tätigkeiten niemals die
materiellen Wünsche im Herzen entwurzeln. Wer aber den Lotos-
füßen der Persönlichkeit Gottes dient, wird augenblicklich von al-
len derartigen Verunreinigungen befreit.
So wie ein Feuer trockenes Gras verbrennt, verbrennt der heili-
ge Name des Herrn zweifellos alle Reaktionen sündhafter Hand-
lungen, unabhängig davon, ob er bewußt oder unbewußt gechan-
tet wird.
Selbst wenn sich jemand der Wirksamkeit einer Medizin nicht
bewußt ist, diese Medizin aber freiwillig oder gezwungenermaßen
einnimmt, wird sie auch ohne sein Wissen wirken, da ihre Kraft
nicht vom Verständnis des Patienten abhängig ist. Wenn man den
heiligen Namen des Herrn - bewußt oder unbewußt - chantet,
wird das Chanten große Wirkung zeigen, selbst wenn man seinen
Wert nicht kennt."
Sri Sukadeva Gosvāmi sagte des weiteren zu König Pariksit:
Mein lieber König, nachdem die Sendboten Sri Visnus die Prin-
zipien des hingebungsvollen Dienstes mit einleuchtenden Argu-
menten genau erläutert hatten, befreiten sie den brāhmana Ajā-
mila aus den Fesseln der Yamadutas und retteten ihn vor dem
drohenden Tod. Darauf begaben sich die Yamadutas zu Yamarāja
und berichteten ihm alles, was sich ereignet hatte.
170 Im Angesicht des Todes

Nun, wo der brāhmana Ajāmila aus den Schlingen der Diener


Yamarājas befreit worden war, hatte er keine Furcht mehr. Er kam
zur Besinnung und erwies den Visnudütas augenblicklich Ehr-
erbietungen, indem er sich vor ihren Lotosfüßen verneigte. Er
war über ihre Anwesenheit äußerst erfreut, da er gesehen hatte,
wie sie sein Leben aus den Händen der Diener Yamarājas gerettet
hatten. Als die Visnudütas aber sahen, daß Ajāmila etwas sagen
wollte, entschwanden sie plötzlich seiner Sicht. (Srimad-Bhāga-
vatam 6.2.11-23)

Das Chanten des heiligen Namens als beste Form der Buße

Die Visnudütas weisen hier darauf hin, daß die vedischen Schriften
verschiedene Methoden der Buße empfehlen, um die Reaktionen
sündhafter Handlungen aufzuheben. Auch das Christentum kennt
eine Methode der Buße. Wenn zum Beispiel ein Katholik eine Sünde
begeht, sollte er sich gemäß seiner Glaubenslehre an einen Priester
wenden und beichten: „Ich habe folgende Sünde begangen..." Der
Priester gilt als ein autorisierter Stellvertreter Gottes, und wenn er
als solcher dem Sünder vergibt, werden seine Sünden getilgt.
Doch eine solche Buße kann einen sündhaften Menschen nicht so
sehr lāutern wie das Chanten von Krsnas heiligem Namen; denn
nachdem der Beichtende die Kirche verlassen hat, begeht er häufig
die gleiche Sünde wieder. Mit anderen Worten, es kann keine Rede
davon sein, daß man durch Buße allein geläutert wird.
Dennoch werden in den Veden verschiedene Bußen denen emp-
fohlen, die noch nicht bereit sind, den Vorgang reinen hingebungs-
vollen Dienstes aufzunehmen. Diese Methoden der Buße sind pro-
portional zur Schwere der Sünde, die sie aufheben sollen. Wenn
wir einen Husten oder eine Grippe haben, wird die vom Arzt ver-
schriebene Medizin nicht so teuer sein, wie wenn wir an Tuber-
kulose erkranken. Ebenso fāllt prāyascitta (rituelle Zeremonien zur
Buße sündhafter Handlungen) im Verhältnis zum Ausmaß der Sün-
de geringer oder schwerwiegender aus. Je schwerer die Sünde, desto
hārter die Buße. So lauten die Vorschriften, die große Weise wie
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 171

Parāsara Muni und Manu gegeben haben. Die Weisen haben zwan-
zig Arten von Schriften verfaßt, die die dharma-sāstra bilden. Diese
Schriften lehren, wie man für seine Sünden büßt und zu den himm-
lischen Planeten erhoben wird. Es heißt zum Beispiel, daß man
bei bestimmten Verbrechen geloben muß, eine gewisse Anzahl von
Tagen zu fasten oder Spenden zu geben. Ein Geschäftsmann also,
der durch sündhafte Tätigkeiten eine Million Dollar verdient hat,
muß dementsprechend hohe Spenden geben.
Es gibt viele solcher vorgeschriebenen Methoden der Buße, aber
die Visnudutas sagen: „Wenngleich diese vorgeschriebenen Metho-
den der Buße berechtigt sind und ihren Zweck erfüllen, vermögen
sie nicht das Herz zu läutern." Wie wir sehen, können Hindus,
Mohammedaner und Christen - obwohl sie solche Bußriten voll-
ziehen - nicht davon ablassen, immer wieder die gleichen Sünden
zu begehen. Wer solch einem Bußritus folgt, ist wie ein unauf-
richtiger Patient, der sich von einem Arzt behandeln lassen will.
Der Arzt gibt ihm eine Medizin und klärt ihn auf, wie er sie ein-
zunehmen hat, aber der törichte Patient nimmt die Medizin nach
eigener Lust und Laune ein. Sein Gesundheitszustand verschlechtert
sich deswegen, worauf er wieder zum Arzt geht und lamentiert:
„Herr Doktor, bitte geben Sie mir mehr Medizin!"
In diesem Zusammenhang erwähnt Srila Visvanātha Cakravarti
Thākura ein Ereignis, das sich zutrug, als Samba, einer von Krsnas
Söhnen, vor der Bestrafung durch die Kauravas gerettet wurde.
Samba hatte sich in Laksmanā, die Tochter Duryodhanas, verliebt.
Der Ehrenkodex der ksatriyas besagt, daß niemandem die Toch-
ter eines ksatriya zur Frau gegeben wird, wenn er nicht zuvor sei-
nen ritterlichen Heldenmut unter Beweis gestellt hat. Aus diesem
Grund entführte Samba Laksmanā, was zur Folge hatte, daß er
von den Kauravas gefangengenommen wurde. Als später Balarāma
kam, um ihn zu befreien, fand eine Auseinandersetzung um Sāmbas
Freilassung statt. Da der Streit nicht beigelegt werden konnte, de-
monstrierte Balarāma Seine Stärke, und ganz Hastināpura erbebte.
Wie bei einem Erdbeben wäre es fast dem Erdboden gleichgemacht
worden, hātte man sich nicht doch noch auf eine Heirat zwischen
Samba und Duryodhanas Tochter geeinigt. Die Bedeutung dieses
172 Im Angesicht des Todes

Ereignisses liegt darin, daß man bei Krsna und Balarāma Zuflucht
suchen sollte, deren Schutz so mächtig ist, daß ihm nichts in der
materiellen Welt gleichkommt. Wie schwerwiegend die Reaktionen
unserer Sünden auch sein mögen, sie werden sogleich überwunden,
wenn wir den Namen Hari, Krsna, Balarāma oder Nārāyana chanten.
Bußriten wie Fasten und wohltätige Spenden werden daher von
den Visnudütas nicht anerkannt. Sie sagen: „Solche vorgeschrie-
benen rituellen Zeremonien können einen Menschen nicht so wir-
kungsvoll läutern wie das Chanten von Gottes heiligem Namen."
Zweifellos wird man von allen Verunreinigungen eines sündigen
Lebens frei, wenn man bestimmte religiöse Prinzipien befolgt. Doch
diese reichen letztlich nicht aus, weil der Geist so ruhelos ist, daß
er wieder zu sündhaften Handlungen hingezogen wird, selbst nach-
dem er von der Verunreinigung sündhafter Reaktionen befreit wor-
den ist.
Die läuternde Kraft des hingebungsvollen Dienstes für Krsna, an-
gefangen mit dem Chanten des heiligen Namens, wird im Srimad-
Bhāgavatam (11.2.42) bestätigt: bhaktih paresānubhavo viraktir anyatra
ca. „Hingebungsvoller Dienst für den Herrn ist so mächtig, daß man
durch ihn sogleich von allen materiellen Wünschen befreit wird."
In der materiellen Welt sind alle Wünsche sündig, denn materi-
elle Wünsche bedeuten Sinnenbefriedigung, die immer mehr oder
minder sündhafte Handlungen mit sich bringt. Aber reiner hinge-
bungsvoller Dienst ist anyābhilāsitā-sünya, frei von materiellen Wün-
schen. Wer im hingebungsvollen Dienst verankert ist, hat keine
materiellen Wünsche mehr und lebt daher nicht mehr in Sünde.
Materielles Verlangen sollten wir völlig aufgeben. Wenn auch Ent-
sagungen, Bußen und Spenden uns für eine gewisse Zeit von Sün-
den befreien mögen, werden unsere Begierden wieder erwachen,
weil unser Herz noch unrein ist. Dann werden wir erneut sündigen
und leiden. Der besondere Vorteil hingebungsvollen Dienstes be-
steht darin, daß er uns von allen materiellen Wünschen befreit.
Durch Buße allein kann man sein Herz nicht reinigen. Ein Syphi-
liskranker geht zum Arzt, der ihm gegen ein hohes Honorar eine
Spritze gibt. Ja er mag sogar geheilt werden, aber wenn er wieder
unzulässigen Geschlechtsverkehr hat, steckt er sich von neuem mit
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 173

Syphilis an. Wenn wir uns jedoch dem Krsna-Bewußtsein zuwen-


den, vergessen wir unzulässigen Geschlechtsverkehr. Das ist der
Prüfstein für unser Krsna-Bewußtsein. Ein ernsthafter Gottgeweih-
ter begeht niemals Sünden, weil sein Herz durch das Chanten des
heiligen Namens und durch hingebungsvollen Dienst geläutert ist.
Natürlich gibt es auch Pseudo-Gottgeweihte, die im Vertrauen auf
das Chanten des heiligen Namens sündhafte Handlungen begehen.
Sie sind große Frevler gegenüber dem heiligen Namen. Den heiligen
Namen sollten wir nicht wie eine Maschine benutzen und denken,
wir könnten nach Belieben Sünden begehen, weil das Chanten uns
von den sündhaften Reaktionen befreien werde. Das ist das größte
Vergehen gegen Krsnas heiligen Namen! Alle begangenen Sünden
werden sofort ausgelöscht, wenn wir den heiligen Namen des Herrn
chanten - selbst wenn es nur ein einziges Mal ist. Doch wir dürfen
nicht weiter sündigen. Sri Caitanya Mahāprabhu vergab Jagāi und
Mādhāi, die Trunkenbolde, Schürzenjäger, Fleischesser und Spieler
waren. Diese beiden Sünder fielen vor den Lotosfüßen Sri Caitanyas
und Nityānanda Prabhus nieder und flehten: „O Herren! Wir sind
so sündhaft! Befreit uns gütigerweise." Sri Caitanya willigte unter
der Bedingung ein, daß sie versprechen würden, keine weiteren
Sünden mehr zu begehen. „Was auch immer ihr getan habt", sprach
Er, „verzeihe Ich euch, aber tut es nicht wieder!" So gelobten Jagāi
und Mādhāi: „Das ist das Ende unserer sündhaften Handlungen;
wir werden sie nie wieder begehen." Durch die Einweihung, die
wir vom spirituellen Meister empfangen, werden die Folgen unse-
rer Sünden sogleich aufgehoben, was aber nicht bedeutet, daß wir
wieder sündigen können.
Krsna-Bewußtsein heißt, dem Beispiel Sri Caitanyas zu folgen.
Daher weihen wir Schüler nach dem Prinzip ein, das Er im Falle von
Jagāi und Mādhāi aufstellte. In unserer Gemeinschaft nehmen wir
viele Menschen als ordnungsgemäß eingeweihte Schüler auf - doch
nur, wenn sie geloben, die folgenden Regeln einzuhalten: kein un-
zulässiges Geschlechtsleben, kein Glücksspiel, keine Berauschung,
kein Töten von Tieren und kein Essen von Fleisch. Diese Regeln
sind nötig, denn wenn man ein spirituelles Leben beginnt und
gleichzeitig fortfāhrt, sündhafte Handlungen zu begehen, wird man
174 Im Angesicht des Todes

niemals spirituellen Fortschritt machen können. Unmißverständlich


sagt Krsna in der Bhagavad-gitā (7.28):

yesām tv anta-gatam pāpam


janānām punya-karmanām
te dvandva-moha-nirmuktā
bhajante mām drdha-vratāh

„Menschen, die in vorangegangenen Leben und im gegenwärtigen


Leben fromm gehandelt haben und deren Sünden vollständig ge-
tilgt sind, sind frei von den Dualitäten der Tāuschung, und sie be-
schäftigen sich mit Entschlossenheit in Meinem Dienst."
Wenn wir ernsthaft bestrebt sind, in das Königreich Gottes, Vai-
kuntha, zu gelangen, sollten wir den vier genannten regulierenden
Prinzipien folgen. Man darf Geschlechtsverkehr nur haben, um in
der Ehe Kinder zu zeugen. Man darf sich nicht der Berauschung
hingeben; man darf kein Glücksspiel betreiben, und man darf weder
Fleisch, Fisch noch Eier essen oder sonst irgend etwas, was nicht für
die menschliche Ernährung bestimmt ist. Für den Menschen sind
Getreide, Früchte, Gemüse, Milch und Zucker als Nahrungsmittel
gedacht; solche Speisen sind sāttvika, rein und gut. Man sollte nicht
die Hunde und Katzen nachahmen und sich mit dem Argument
rechtfertigen, der Mensch dürfe Fleisch essen, weil die Tiere es auch
tun. Sollte alles Eßbare als Nahrungsmittel dienen, warum dann
nicht auch Kot? Kot ist ebenso ein Nahrungsmittel: Schweine fressen
Kot. Aber Menschen sollten sich nicht wie Schweine ernähren, die
allerlei Unrat fressen. Wir müssen unterscheiden! Wenn wir ein spi-
rituelles Leben beginnen wollen, müssen wir diese vier einschrän-
kenden Prinzipien beherzigen. Dies ist zwar mit etwas Entsagung
verbunden, doch Entsagung ist der Sinn und Zweck des menschli-
chen Lebens. Durch Entsagung läutern wir unser Dasein, was uns
befähigt, in das Königreich Gottes einzutreten; aber ohne Läuterung
können wir niemals dorthin gelangen.

Meditation über Krsnas Form

Wenn wir den heiligen Namen Gottes chanten - Hare Krsna, Hare
Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadūtas 175

Rāma, Hare Hare -, werden wir schließlich in der Lage sein, Krsnas
Form zu sehen, Krsnas Eigenschaften zu erkennen und uns an
Krsnas Spiele zu erinnern. Das ist die Wirkung des reinen Chantens
des Hare-Krsna-mahā-mantra.
Srila Visvanātha Cakravartl Thākura erklärt, daß dem Chanten
der heiligen Namen eine ganz besondere Bedeutung innewohnt,
die es von den vedischen Bußriten für schwere, noch schwerere
und schwerste Sünden unterscheidet. Es gibt zwanzig verschiedene
Arten religiöser Schriften, die dharma-sāstras, angefangen mit der
Manu-samhitā und der Parāsara-samhitā. Doch die Visnudutas be-
tonen: Obgleich ein Sünder von den Reaktionen seiner äußerst sünd-
haften Handlungen befreit wird, wenn er die religiösen Grundsātze
dieser Schriften befolgt, erhebt ihn dies nicht zur Stufe des liebe-
vollen Dienstes für den Herrn. Dagegen befreit uns selbst das ein-
malige Chanten der heiligen Namen des Herrn nicht nur von den
Reaktionen schwerster Sünden, sondern erhebt uns auch allmählich
auf die Ebene des liebevollen Dienstes für die Höchste Persönlich-
keit Gottes. So dienen wir dem Herrn, indem wir uns an Seine Ge-
stalt, Seine Eigenschaften und Seine Spiele erinnern.
Srila Visvanātha Cakravartl Thākura erklärt des weiteren, daß
das Chanten der heiligen Namen dies alles ermöglicht, weil der
Herr allmächtig ist. Was durch das Ausführen vedischer Rituale
unerreichbar bleibt, kann durch das Chanten der heiligen Namen
des Herrn leicht erreicht werden. Den heiligen Namen zu chanten
und in Ekstase zu tanzen ist so einfach, erhaben und wirkungsvoll,
daß man ohne weiteres alle Segnungen des spirituellen Lebens er-
langen kann, wenn man einfach diesem Vorgang folgt. Daher erklärt
Sri Caitanya Mahāprabhu: param vijayate sri-krsna-sankirtanam. „Alle
Ehre sei dem gemeinsamen Chanten von Sri Krsnas heiligem Na-
men!" Die sankirtana-Bewegung, die wir ins Leben gerufen haben,
bietet den besten Vorgang, um die Menschen unverzüglich von al-
len sündhaften Reaktionen zu lāutern und auf die Ebene spirituellen
Lebens zu erheben.
Obgleich Ajāmila zu Fall kam, war er doch in seiner Jugend ein
brahmacāri gewesen und von seinem Vater richtig erzogen worden.
Er kannte den Namen, die Form und die Spiele Nārāyanas, vergaß
sie aber durch seinen schlechten Umgang. Als er jedoch auf seinem
176 Im Angesicht des Todes

Sterbebett den Namen Nārāyanas rief, entsann er sich wieder seiner


früheren frommen Handlungen und wurde gerettet.
Daß das Chanten und Hören des Namens und der Herrlichkeiten
des Herrn das beste Mittel ist, um das Herz von sündhaften Nei-
gungen zu reinigen, wird auch am Anfang des Srimad-Bhāgavatam
(1.2.17) bestätigt:
srnvatām sva-kathāh krsnah
punya-sravana-kirtanah
hrdy antah stho hy abhadrāni
vidhunoti suhrt satām
„Sri Krsna, die Höchste Persönlichkeit Gottes, der die Überseele im
Herzen eines jeden und der wohlwollende Freund Seiner treuen Ge-
weihten ist, entfernt den Wunsch nach materiellem Genuß aus dem
Herzen des Geweihten, der Freude findet an Seinen Botschaften,
welche in sich selbst tugendhaft sind, wenn sie richtig gehört und
gechantet werden."
Es ist die besondere Barmherzigkeit des Herrn, daß Er persönlich
unser schmutziges Herz reinigt, sowie Er sieht, daß wir Seinen Na-
men, Seine Gestalt und Seine Spiele verherrlichen. Selbst wenn wir
die Bedeutung des Namens, der Gestalt und der Spiele des Herrn
nicht verstehen, werden wir geläutert, indem wir einfach über sie
hören und chanten.
Das Dasein zu lāutern und Befreiung zu erlangen ist der Sinn
und Zweck des menschlichen Lebens. Solange man einen mate-
riellen Körper hat, gilt man als unrein. In solch einem unreinen, ma-
teriellen Zustand kann man kein wirklich glückliches Leben führen,
obgleich sich jeder danach sehnt. Daher ist Reinigung für jedermann
erforderlich. Sri Rsabhadeva sagt im Srimad-Bhāgavatam (5.5.1): tapo
divyam putrakā yena sattvam suddhyed yasmād brahma-saukhyam tv
anantam. „Meine lieben Söhne, ihr müßt tapasya (Entsagung) auf
euch nehmen, um euer Dasein zu lāutern; dann werdet ihr auf
die spirituelle Ebene gelangen und nie endendes Glück genießen."
Die tapasya des Chantens und Verherrlichens des Namens, der Form
und der Spiele des Herrn ist ein sehr einfacher Läuterungsvorgang,
durch den jeder glücklich werden kann. Deswegen müssen alle, die
ein für allemal ihr Herz läutern wollen, diesen Vorgang aufnehmen.
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 177

Denn andere Vorgānge wie karma, jnāna und yoga können das Herz
nicht völlig reinigen.
Māyāvādis (Unpersönlichkeitsanhänger) sind nicht fähig, den Na-
men, die Form und die Spiele des Herrn zu verherrlichen, denn
sie glauben, Gott habe keine Form und Seine Spiele seien māyā
(Illusion). Warum sollte Gott keine Form besitzen? Wir haben eine
Form, weil unser Vater eine Form hat. Warum sollte also der Höch-
ste Vater keine Form haben? In der Bhagavad-gitā (14.4) erklärt Krsna:
aham bija-pradah pitā. „Ich bin der samengebende Vater aller Lebe-
wesen." Auch die Christen glauben, daß Gott der Höchste Vater ist.
Wenn die Söhne alle Form haben, wie kann dann der Vater keine
Form haben? Wir können nicht von einem Vater gezeugt werden,
der keine Form hat. Isvarah paramah krsnah sac-cid-ānanda-vigrahah:
„Krsna ist der Höchste Herrscher und die Ursache aller Ursachen. Er
besitzt eine ewige Form voller Wissen und Glückseligkeit." (Brahma-
samhitā 5.1) Vigraha bedeutet „Form". Wie kann Gott formlos sein,
wenn Er doch die Ursache aller Ursachen ist und der Schöpfer, der
all diese Formen erschafft?
Gott besitzt Form, aber nicht eine Form wie die unsere. Seine
Form ist sac-cid-ānanda, doch die unsere ist genau das Gegenteil.
Gottes Form ist sat, ewig existent, wāhrend die Form des Men-
schen asat ist, vergänglich. Gottes Form ist cit, voller Wissen, aber
die unsere ist acit, voller Unwissenheit; und Seine Form ist voller
ānanda, Glückseligkeit, wohingegen die unsere voller nirānanda, vol-
ler Elend, ist. Eine Form, die sich so sehr von der unsrigen unter-
scheidet, können wir nicht wahrnehmen; deshalb heißt es manch-
mal, Gott sei nirākāra, ohne Form.
Gottes Form ist transzendental, das heißt, Sein Körper ist nicht
materiell, sondern spirituell. Seine Form ist von einer anderen Na-
tur als jene, an die wir gewöhnt sind. In den Veden heißt es, daß
Gott sieht, aber keine Augen hat. Das bedeutet, daß Gottes Augen
nicht wie die unsrigen sind - sie sind spirituell, nicht materiell. Wir
sind nur in der Lage, einen Teil zu sehen, wāhrend Gott alles sehen
kann, da Er Seine Augen überall hat. Die Natur Seiner Augen, Sei-
ner Form, Seiner Hände und Beine unterscheidet sich grundsätzlich
von der unseren.
Im Gegensatz zu unserem Wissen ist Krsnas Wissen unbegrenzt.
178 Im Angesicht des Todes

In der Bhagavad-gitā (7.26) sagt Er: „Ich kenne Vergangenheit, Gegen-


wart und Zukunft - alles." Zuvor (Bhagavad-gitā 4.5) hat Er Arjuna
erinnert: „Du und Ich haben viele Geburten angenommen. Ich er-
innere Mich an sie alle, doch du hast sie vergessen." Krsnas Wissen
hat also keine Grenzen. Sein Wissen, Sein Körper und Sein Glück
sind völlig verschieden von unserem Wissen, unserem Körper und
unserem Glück. Nur aus Unwissenheit behaupten einige Menschen,
die Absolute Wahrheit sei nirākāra, formlos.
Zu denken, Gott habe keine Form, ist nur Einbildung - es ist
eine materielle Denkweise. Da wir eine Form haben, muß auch
Gott Form besitzen, wenn auch nicht eine wie die unsere. Nur
Dummköpfe glauben, Gott sei letztendlich formlos. Krsna erklärt
in der Bhagavad-gitā (7.24): avyaktam vyaktim āpannam manyante mām
abuddhayah. „Unintelligente Menschen denken, daß Ich zuvor un-
persönlich gewesen sei und nun diese persönliche Gestalt ange-
nommen hātte." An anderer Stelle in der Bhagavad-gitā werden die-
jenigen, die Gottes persönliche Gestalt verspotten, müdhās genannt,
Esel. Gewiß besitzt Gott eine Form, aber sie ist völlig verschieden
von der unsrigen. Dies ist die wirkliche Bedeutung von nirākāra.
Genauso wie Krsnas Form nicht unserer materiellen Form ent-
spricht, sind auch Seine Spiele nicht von materieller Natur. Jeder,
der das versteht, ist sogleich befreit. Dies versichert Krsna in der
Bhagavad-gitā (4.9):

janma karma ca me divyam


evam yo vetti tattvatah
tyaktvā deham punar janma
naiti mām eti so 'rjuna

„Wer die transzendentale Natur Meines Erscheinens und Meiner Ta-


ten kennt, wird nach dem Verlassen des Körpers nicht wieder in der
materiellen Welt geboren, sondern gelangt in Mein ewiges Reich, o
Arjuna."
Indem man Krsnas heiligen Namen rein chantet, kann man die
Spiele des Höchsten Herrn verstehen und dadurch befreit werden.
Chanten ist einfach und erhaben. Wer ohne Vergehen Hare Krsna
chantet, wird sich stets an Krsnas Gestalt, Spiele, Eigenschaften und
Der Zwist der Visnudūtas und der Yamadutas 179

Gefolge erinnern; und diese Erinnerung wird ihn von allen sünd-
haften Reaktionen und von aller materiellen Bindung erlösen.
Die Visnudütas erklären, daß in den Veden zwar viele Methoden
zur Befreiung von sündhaften Reaktionen vorgeschrieben werden,
daß sie aber alle nicht ausreichen, weil sie einen Menschen nicht
auf die Ebene absoluter Reinheit erheben können. Diejenigen, die
andere vedische Methoden der Läuterung praktizieren, wünschen
sich im allgemeinen materiellen Gewinn, wie etwa Erhebung zu den
himmlischen Planeten. Aber einem Gottgeweihten ist nichts an der
Erhebung zu den himmlischen Planeten gelegen; ihm ist nichts an
irgendeinem Planeten in der materiellen Welt gelegen, da er weiß,
wie vergänglich der Nutzen davon ist, auf die himmlischen Planeten
zu gelangen. Obwohl wir auf einem höheren Planeten Tausende von
Jahren leben und uns eines sehr hohen Lebensstandards erfreuen
können, der uns schöne Frauen, märchenhaften Reichtum und die
feinsten Weine bietet, haben wir davon keinen dauernden Nutzen.
Für einen Gottgeweihten ist solch ein Leben höllisch, weil er nicht
ohne Krsna leben möchte. Das ist echte spirituelle Erkenntnis.
Uns ist nur an Krsna und Krsnas Freude gelegen. Darin besteht
wirkliches Glück. Deshalb versuchen wir, Krsna zu erfreuen. Auch
Kamsa war Krsna-bewußt, da er stets an Krsna dachte, aber seine
Meditation über Krsna war feindselig. Er meditierte darüber, wie
er Krsna töten könne. Er dachte an Krsna, doch er sah Ihn als
Feind. Wenn man an Krsna denkt, sich aber Seinem Wunsch wider-
setzt und Ihn nicht zufriedenstellen will, hat das gewiß nichts mit
bhakti oder Hingabe zu tun. Krsna-Bewußtsein muß in einer positi-
ven Haltung praktiziert werden. Arjuna war ein Gottgeweihter, weil
er positiv zur Freude Krsnas handelte. Materiell gesehen erschienen
Arjunas Taten negativ, aber was Krsna betrifft, waren sie positiv.
Deshalb waren sie alle vollkommen und frei von jeglicher Sünde.

Sri Krsnas transzendentale Spiele


Es ist wichtig, den Unterschied zwischen Handlungen in bhakti und
gewöhnlichen frommen Taten zu verstehen. Wissensaneignung und
fromme Taten befinden sich auf der materiellen Ebene. Frömmig-
keit führt nicht zur Befreiung. Obgleich ein frommer Mensch auf
180 Im Angesicht des Todes

der Ebene der Tugend handelt, bleibt er eine bedingte Seele, die an
die Reaktionen ihrer guten Taten gebunden ist. Selbst wenn man ein
brāhmana wird, ein sehr frommer Mensch, heißt das noch nicht, daß
man ein Gottgeweihter geworden ist. Manchmal hingegen scheint
ein Gottgeweihter gegen die Regeln weltlicher Frömmigkeit zu ver-
stoßen. Arjuna beispielsweise war ein herausragender Geweihter
Sri Krsnas, aber er tötete seine Verwandten. Unwissende Menschen
könnten den Vorwurf erheben: „Arjuna ist kein guter Mensch. Sieh
nur, er tötete seinen Großvater, seinen Lehrer und seine Vettern,
er vernichtete seine ganze Familie." Doch in der Bhagavad-gitā (4.3)
sagt Krsna zu Arjuna: bhakto 'si me. „Du bist Mein geliebter Freund."
Auch wenn Arjuna gemäß den Wertvorstellungen der materiellen
Welt nicht als guter Mensch gelten mag, muß er als ein Gottgeweih-
ter anerkannt werden, da er eine Seele ist, die sich dem Wunsch
des Herrn ergeben hat. Arjuna tötete tatsāchlich seine eigenen An-
gehörigen, aber dennoch blieb er in Krsnas Augen ein enger Freund
und Geweihter. Darin liegt der Unterschied zwischen einem Gottge-
weihten und einem guten Menschen dieser Welt: Ein guter Mensch
versucht immer, fromm zu handeln, weil er weiß, daß er sündhafte
Reaktionen erleiden muß, sobald er Schlechtes tut. Doch ein Gottge-
weihter, wenn auch von Natur aus ein sehr guter Mensch, kann auf
Krsnas Geheiß wie ein schlechter Mensch handeln, ohne zu Fall zu
kommen - er bleibt dennoch ein reiner Geweihter des Herrn und ist
Ihm sehr lieb.
Wie erwähnt, ist es sehr läuternd, über Krsnas Spiele zu hören,
aber man muß es in der richtigen Haltung tun. Manche Leute mit
einer weltlichen Sichtweise fühlen sich sehr zu Krsnas rāsa-lilā hin-
gezogen, Seinen Spielen mit den Kuhhirtenmādchen. Sie beachten
jedoch nicht, daß Krsna auch mit Dāmonen kämpft und sie tötet.
Ihnen entgeht, daß die Absolute Wahrheit, Krsna, unter allen Um-
stānden gut ist. Krsna kann Sich gemeinsam mit Seinen Geweihten
vergnügen oder Dāmonen töten - Er bleibt die Absolute Wahrheit,
und Seine Spiele lāutern gleichermaßen das Herz.
Im allgemeinen hören die Leute das Srimad-Bhāgavatam von be-
rufsmäßigen Erzählern, die besonders gerne über den rāsa-lilā spre-
chen. „Krsna umarmt ein Mādchen", denken die Leute, „das klingt
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 181

sehr interessant!" Zuweilen versammeln sich bis zu zehntausend


Menschen, und die Erzähler machen so einen beträchtlichen Ge-
winn. Die Leute bekommen den Eindruck, das Srimad-Bhāgavatam
bestehe nur aus dem Zehnten Canto, der den rāsa-lilā und andere
Spiele Krsnas enthālt, und sind sich nicht bewußt, daß es in den
anderen Cantos viele wichtige Unterweisungen gibt. Sri Krsna, das
summum bonum, wird im Zehnten Canto beschrieben, wāhrend die
anderen neun Cantos besonders dafür bestimmt sind, das Herz zu
lāutern, damit man Krsna verstehen kann.
Aus diesem Grund raten wir jedem, zunächst die ersten neun
Cantos des Snmad-Bhāgavatam sorgsam zu lesen; dann erst kann
man den Zehnten Canto mit dem richtigen Verständnis lesen. Wer
die Beschreibungen von Krsnas rāsa-lilā hört und sie als gewöhn-
liche Geschichten auffaßt, ist außerstande, Krsna wahrhaft zu verste-
hen. Der rāsa-lila hat nichts mit Lust zu tun, vielmehr ist er ein tran-
szendentales Spiel der Liebe zwischen Rādhā und Krsna. Caitanya
Mahāprabhu erklärt, daß die Kapitel des Srimad-Bhāgavatam, die
den rāsa-lilā beschreiben, nicht für gewöhnliche Menschen bestimmt
sind, sondern nur für befreite Persönlichkeiten. Daher sollte man vor
gewöhnlichen Menschen nicht über den rāsa-lilā sprechen. Nur fort-
geschrittene Gottgeweihte, die von materieller Verunreinigung be-
freit sind, können versuchen, Krsnas rāsa-lilā zu verstehen. Den rāsa-
lilā von Rādhā und Krsna darf man sich nicht als etwas Weltliches
vorstellen.
Obwohl gewöhnliche Zuhörer nicht um die tiefe Bedeutung von
Krsnas rāsa-lilā wissen, werden sie geläutert, da sie den Erzāhlungen
über Krsnas Spiele zuhören. Und sobald sie von autorisierten Quel-
len hören, werden sie zur transzendentalen Ebene hingebungsvollen
Dienstes erhoben. Lust, das Verlangen nach Genuß, ist die Krank-
heit im Herzen. Indem man aber von den richtigen Quellen über
Krsnas liebevollen Austausch mit den gopis hört, werden die tiefver-
wurzelten lüsternen Wünsche im Herzen vollständig ausgemerzt.
Leider hören die meisten Menschen das Srimad-Bhāgavatam nicht
von den autoritativen Quellen, sondern nur von berufsmäßigen Er-
zählern. Daher bleiben sie materiell krank - voller lüsterner Wün-
sche. Einige werden zu sahajiyās, das heißt, sie geben vor, sie selbst
182 Im Angesicht des Todes

seien Krsna, Rādhārāni und deren gopi-Freundinnen, und spielen so


den höchsten Genießer.
Die Aufgabe des reinen Gottgeweihten ist es, Krsna zufrieden-
zustellen. Wenn er den Hare-Krsna-mahā-mantra chantet, wird ihm
bewußt, wie man Krsna erfreut. In der materiellen Welt neigen
die Lebewesen dazu, auf Abwege zu geraten. Der Geist und die
Sinne fühlen sich im allgemeinen zu materiellen Wunschobjekten
hingezogen. Aber wir sollten durch bhakti-yoga unseren Geist auf
das Ewige richten. Ansonsten werden uns Geist und Sinne dazu
zwingen, Tätigkeiten zur eigenen Sinnenbefriedigung (karma) aus-
zuführen. Sobald jemand seine Sinne befriedigt, begeht er Sünden.
Um karmische Tätigkeiten zu vermeiden, die uns schneller, als wir
denken, in den Kreislauf von Geburt und Tod verstricken, müssen
wir den Vorgang des Krsna-Bewußtseins aufnehmen.
Die Visnudütas geben uns denselben Rat: Wenn wir von den
Auswirkungen des karma befreit werden wollen, sollten wir den
Höchsten Herrn vierundzwanzig Stunden am Tag verherrlichen.
Das wird uns lāutern. Srila Sridhara Svāmi sagt: „Anstatt vorge-
schriebene rituelle Zeremonien zu befolgen, solltest du deinen Geist
einfach darin vertiefen, über den Herrn, die Höchste Persönlichkeit
Gottes, zu sprechen und Ihn zu lobpreisen!" Hierin besteht der Vor-
gang des Krsna-Bewußtseins.
Im Krsna-Bewußtsein, d. h. im hingebungsvollen Dienst, gibt es
neun Vorgānge: über den transzendentalen Namen, die Form, die
Eigenschaften und die Spiele des Herrn hören und chanten, sich
an sie erinnern, den Lotosfüßen des Herrn dienen, Ihn mit Ehr-
furcht verehren, Ihm Gebete darbringen, Sein Diener werden, Ihn
als Freund betrachten und Ihm alles hingeben. Wer einen oder meh-
rere dieser Vorgānge des hingebungsvollen Dienstes sein Leben lang
ausübt, erinnert sich im Augenblick des Todes mit Sicherheit an
Krsna. Das ist die Kunst des Krsna-Bewußtseins. Da es uns nicht
möglich ist, alle Tätigkeiten aufzugeben und einfach Hare Krsna
zu chanten, beschäftigen wir uns unablässig im praktischen hin-
gebungsvollen Dienst, damit unser Geist stets auf Krsna gerichtet
ist. Auf diese Weise ist uns im Moment des Todes die vollständige
Erlösung vom materiellen Dasein gewiß.
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 183

Wer keine Übung im hingebungsvollen Dienst besitzt, wird im


Augenblick des Todes nicht plötzlich den heiligen Namen Nārāya-
nas chanten können. Um wirkungsvoll zu chanten, muß man zuvor
geübt haben. Aus diesem Grund empfiehlt Caitanya Mahāprabhu:
kirtaniyah sadā harih. „Man sollte den heiligen Namen des Herrn un-
unterbrochen chanten." In unserem Zeitalter ist dies die beste Me-
thode, sich immer an Krsna zu erinnern. Wenn wir uns immer an
Krsna erinnern, ist unsere Heimkehr zu Gott garantiert, wie Er in
der Bhagavad-gitā (8.8) verspricht:

abhyāsa-yoga-yuktena
cetasā nānya-gāminā
paramam purusam divyam
yāti pārthānucintayan

„Wer über Mich als die Höchste Persönlichkeit Gottes meditiert, in-
dem er seinen Geist stāndig darin übt, sich an Mich zu erinnern,
und von diesem Pfad nicht abweicht, dem ist es sicher, Mich zu er-
reichen."
Es war kein Zufall, daß Ajāmila sich an Krsna erinnerte. Schon
früher in seinem Leben hatte er den Namen Nārāyanas gechan-
tet, dann aber den Herrn aufgrund seines schlechten Umgangs ver-
gessen. Trotzdem trat die transzendentale Wirkung seiner früheren
Übung im Moment des Todes zutage, obwohl er den Namen sei-
nes jüngsten Sohnes rief und nicht beabsichtigt hatte, nach Krsna
zu rufen.

Vorbehaltlose Barmherzigkeit

In der Bhagavad-gitā (8.6) heißt es:

yam yam vāpi smaran bhāvam


tyajaty ante kalevaram
tam tam evaiti kaunteya
sadā tad-bhāva-bhāvitah

„Was auch immer der Daseinszustand ist, an den man sich erinnert,
184 Im Angesicht des Todes

wenn man seinen Körper verlāßt, diesen Zustand wird man ohne
Zweifel erreichen."
Wer sich darin übt, den Hare-Krsna-mantra zu chanten, wird
wahrscheinlich auch chanten, wenn er einen Unfall erleidet. Aber
selbst wer ohne solche Übung bei einem tödlichen Unfall den hei-
ligen Namen des Herrn chantet, wird nach dem Tode vor einem
höllischen Leben bewahrt. Wenn jemand zum Beispiel von einem
hohen Dach stürzt, aber irgendwie „Hare Krsna!" ruft, hört der Herr
diesen Schrei. Wenn wir von einem Tiger träumen, der uns auf-
fressen will, und dann im Schlaf Hare Krsna chanten, hört der Herr
dies ebenfalls.
Obwohl Ajāmila den heiligen Namen Nārāyanas nur indirekt -
in Form des Namens seines jüngsten Sohnes - chantete, erinnerte
er sich augenblicklich an Nārāyana. Aus diesem Grund gibt man
in der vedischen Gesellschaft Kindern die Namen Gottes. Das be-
deutet jedoch nicht, daß das Kind dadurch Gott wird. Wenn wir
einem Knaben den Namen Nārāyana geben, gilt er als Nārāyana
dāsa, der Diener Nārāyanas. Auf ähnliche Weise geben wir unse-
ren Schülern spirituelle Namen wie Visnu dāsa, Vāmana dāsa oder
Krsna dāsa. Daß Ajāmila sich an Nārāyana erinnerte, als er seinen
gleichnamigen Sohn rief, wird im Srimad-Bhāgavatam bestätigt, wo
es heißt, daß die Klangschwingung des heiligen Namens absolute
Macht besitzt.
Durch das Aussprechen des heiligen Namens wird man auf der
Stelle von allen sündhaften Reaktionen befreit, selbst wenn man
sich über die Macht des Namens nicht bewußt ist. Man mag mit
Hingabe und Ehrfurcht oder auch ohne Glauben chanten, aber in
jedem Fall werden mehr sündhafte Reaktionen getilgt, als ein Sün-
der auf sich laden kann. Solch grenzenlose Stārke besitzt Krsnas Na-
me! Als Caitanya Mahāprabhu in Navadvipa den Hare-Krsna-maha-
mantra chantete, kam es vor, daß die Leute den Herrn und Seine
Gefährten nachahmten. Damals stand das Land unter mohamme-
danischer Herrschaft. Manchmal wandten sich die Leute daher an
einen Regierungsbeamten und beklagten sich: „Die Hindus chanten
,Hare Krsna! Hare Krsna!', tanzen wie wild und wirbeln mit ihren
Armen." Auf diese Weise ahmten sie den sankirtana Sri Caitanya
Mahāprabhus nach. Auch in den westlichen Ländern imitieren uns
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 185

Passanten, wenn wir auf die Straße gehen und Hare Krsna chanten.
Doch selbst durch solches Nachahmen werden sie gereinigt. Der
heilige Name ist so mächtig, daß man sogar einen spirituellen Ge-
winn hat, wenn man sich über uns lustig macht und sagt: „Warum
chantet ihr Hare Krsna - so ein Unsinn!"
Das Chanten von Krsnas heiligem Namen ist wie das Aufgehen
der Sonne in einem verfinsterten Herzen. Das Universum ist voller
Dunkelheit, und nur weil Krsna für Sonnenschein gesorgt hat, kön-
nen wir sehen. Sobald die Sonne untergeht, gerāt die Welt unter
den Einfluß der Dunkelheit. Ebenso ist unser Herz voll Finsternis
und Unwissenheit, aber es gibt ein Licht, um die Dunkelheit zu ver-
treiben: Dieses Licht ist Krsna-Bewußtsein. Aufgrund von schlech-
ten Taten sind wir in Unwissenheit, doch denen, die dem Herrn
ständig mit Liebe und Zuneigung dienen, offenbart Sich Krsna im
Herzen. Durch Krsnas besondere Barmherzigkeit befinden sich die
Gottgeweihten immer im Licht des Krsna-Bewußtseins. Krsna kennt
Absicht und Motiv eines jeden, und Seine Gnade ist besonders de-
nen zugedacht, die Ihm aufrichtig dienen.
Krsna ist jedem gleich wohlgesinnt, und daher ist Seine Barm-
herzigkeit grenzenlos. Seinen Geweihten ist Er jedoch besonders zu-
geneigt. Wenn wir bereit sind, Seine Barmherzigkeit unbegrenzt ent-
gegenzunehmen, ist Er bereit, sie uns unbegrenzt zu geben. Weil
wir aber ein neidisches Wesen haben, sind wir nicht bereit, Seine
Gnade anzunehmen. In der Bhagavad-gitā (18.66) sagt Krsna: sarva-
dharmān parityajya mām ekam saranam vraja / aham tvam sarva-pāpebhyo
moksayisyāmi: „Gib alle Arten sogenannter Religion auf und ergib
dich Mir allein! Ich werde dich von allen sündhaften Reaktionen be-
freien." Obgleich Er uns offen Seinen Schutz anbietet, nehmen wir
ihn nicht an. Das Sonnenlicht verbreitet sich gleichmäßig im ganzen
Universum, aber wenn wir die Türe schließen und nicht ins Freie
gehen, um die Sonnentage auszunützen, sind wir selbst schuld.
Sonnen- und Mondlicht machen keine Unterschiede; es ist nicht so,
daß sie nur die Hāuser der brāhmanas erhellen und die der candālas
(Hundeesser) in Dunkelheit lassen. Nein, das Licht wird an alle vor-
behaltlos verteilt. Ebenso ist Krsnas Barmherzigkeit jedem gleicher-
maßen zugänglich, doch es bleibt dem einzelnen überlassen, Gottes
freigebig verteilte Gnade anzunehmen.
186 Im Angesicht des Todes

Krsna schenkt Seinem Geweihten naturgemäß mehr Barmherzig-


keit, da dieser fähig ist, die Barmherzigkeit durch Dienst anzu-
nehmen. Man empfāngt die grundlose Barmherzigkeit des Herrn,
indem man Ihm immer mehr dient. Wir sollten dem Herrn mit gro-
ßer Begeisterung dienen, und diese Begeisterung wird kommen, so-
bald wir mit Glauben und Entschlossenheit Hare Krsna chanten.
Jemand könnte einwenden: „Ich sehe ein, daß das Chanten des
heiligen Namens läutert, wenn man daran glaubt; aber wie wirkt
der heilige Name, wenn man keinen Glauben hat?" Einige Bei-
spiele mögen dies veranschaulichen: Wenn ein unschuldiges Kind
eine Flamme berührt, ob wissentlich oder unwissentlich, verbrennt
es sich. Wenn ein Kind Medizin oder Gift zu sich nimmt, stellt
sich die Wirkung ein, obgleich das Kind deren Wirksamkeit und
Wirkungsweise nicht kennt. Genauso wirkt der Hare-Krsna-mantra,
auch wenn man nicht weiß, wie und warum. Sogar unwissende
niedere Geschöpfe profitieren vom heiligen Namen. Dies wird von
Srila Haridāsa Thākura bestätigt: „Wenn man laut Hare Krsna chan-
tet, hat jedes sich bewegende und sich nicht bewegende Lebewesen
einen Nutzen." (Caitanya-caritāmrta, Antya-lilā 3.69)
Die Wirksamkeit des Chantens von Hare Krsna wird auch an-
hand der Verbreitung der Hare-Krsna-Bewegung deutlich. In den
Ländern, in denen sich die Hare-Krsna-Bewegung verbreitet, be-
ginnen große Gelehrte und andere intelligente Menschen ihre Wir-
ksamkeit zu erkennen. Zum Beispiel fühlt sich Dr. J. Stillson Judah,
ein renommierter Gelehrter, sehr unserer Bewegung verbunden, da
er mit eigenen Augen gesehen hat, wie sie drogensüchtige Hippies
in reine Vaisnavas verwandelt, die freiwillig Diener Krsnas und
der Menschheit werden. Nur wenige Jahre zuvor kannten diese
Hippies den Hare-Krsna-mantra nicht, aber jetzt chanten sie ihn,
werden reine Vaisnavas und geben alle sündhaften Betätigungen
auf, wie unzulässiges Geschlechtsleben, Berauschung, Fleischessen
und Glücksspiel. Dies ist ein praktischer Beweis für die Wirksam-
keit des Hare-Krsna-mantra. Mit anderen Worten, man mag den
Wert des Chantens des Hare-Krsna-mantra kennen oder nicht, doch
wenn man ihn auf die eine oder andere Weise chantet, wird man
augenblicklich geläutert, so wie jemand, der eine starke Medizin
einnimmt, ihre Wirkung verspürt, gleichgültig, ob er sie wissentlich
Der Zwist der Visnudutas und der Yamadutas 187

oder unwissentlich einnimmt. So lautet die richtige Schlußfolgerung


der Visnudutas.

Verlängerte Lebensfrist

Yamarājas Diener sind so mächtig, daß sie im allgemeinen von nie-


mandem aufgehalten werden können. Aber dieses Mal wurde ihr
Unterfangen vereitelt, da sie gehindert wurden, einen Menschen zu
ergreifen, den sie für sündhaft erachteten. Aus diesem Grund kehr-
ten sie auf der Stelle zu Yamarāja zurück und erzāhlten ihm alles,
was geschehen war. Sie dachten, es sei nicht normal, daß Ajāmila,
der allem Anschein nach vor Yamarāja hātte gebracht werden müs-
sen, von den Visnudutas befreit worden war.
Jetzt war Ajāmila völlig Krsna-bewußt. Durch die göttliche Ge-
meinschaft der Visnudutas, die erhabene Vaisnavas waren, erlangte
Ajāmila wieder sein volles Bewußtsein. Er hātte abgeführt werden
sollen, aber seine Fesseln wurden nochmals gelöst; und nun hatte
er keine Furcht mehr. Das ist Befreiung. Wenn man sich dank der
Gemeinschaft mit Vaisnavas, den Geweihten des Herrn, im Krsna-
Bewußtsein verankert, wird man für immer frei von aller Angst.
Ajāmila verlor alle Angst, da er zu seiner wesensgemäßen Stel-
lung zurückfand. Sogleich begann er, den Visnudutas erlesene Ge-
bete darzubringen: vānchā-kalpa-tarubhyas ca krpā-sindhubhya eva ca.
„Ich bringe meine achtungsvollen Ehrerbietungen den Geweihten
des Herrn dar, die wie Wunschbäume und Ozeane der Barmherzig-
keit sind." Das ist das Leben eines Gottgeweihten: Er bringt anderen
Gottgeweihten immer Gebete dar. Als erstes erweist er seinem spi-
rituellen Meister seine Achtung, dann dessen spirituellem Meister
und seinem Vorgänger und schließlich allen Geweihten Sri Krsnas.
Vaisnavas sind ebenfalls Visnudutas, weil sie die Anordnungen
Krsnas ausführen. Es liegt Sri Krsna sehr am Herzen, daß alle be-
dingten Seelen, die in der materiellen Welt leiden, sich Ihm ergeben
und vor den materiellen Qualen des Lebens und den Höllenstrafen
nach dem Tod bewahrt werden. Ein Vaisnava versucht daher, die be-
dingten Seelen zur Besinnung zu bringen. Diejenigen, die wie Ajā-
mila vom Glück begünstigt sind, werden von den Visnudutas oder
den Vaisnavas gerettet und kehren so nach Hause, zu Gott, zurück.
188 Im Angesicht des Todes

Gute Beispiele barmherziger Vaisnavas sind die sechs Gosvamis.


Sie studierten genaustens alle möglichen Schriften, um die Prinzi-
pien des Krsna-Bewußtseins zu etablieren. Im Bhakti-rasāmrta-sindhu
(Der Nektar der Hingabe) zitiert Srila Rūpa Gosvāmi aus verschieden-
sten Schriften zahlreiche Verse, die die Prinzipien von bhakti stützen.
Warum betrieben er und die anderen Gosvamis solch beschwerliche
Forschungen? Es ist eine sehr anspruchsvolle Arbeit, die vedischen
Schriften nach maßgebenden Stellen zu durchforschen und mit die-
sen dann die vedischen Schlußfolgerungen zu untermauern. Doch
aus Mitleid mit den Menschen nahmen die sechs Gosvamis diese
Mühe auf sich.
Krsna-Bewußtsein zu verbreiten, wie es die sechs Gosvamis von
Vrndavana getan haben, ist der beste Dienst zum Wohl der gesam-
ten Menschheit. Es scheint noch viele andere Arten von Wohlfahrts-
arbeit zu geben, aber ihr Nutzen ist nur vorübergehend. Die sechs
Gosvamis von Vrndavana und andere erhabene Persönlichkeiten
widmen sich der Verbreitung des Krsna-Bewußtseins, denn diese
großartige Wohlfahrtsarbeit ist für alle Menschen von wirklichem
Wert, da sie auf echter spiritueller Wahrheit beruht. Die Vaisnavas
sind wie Wunschbāume (kalpa-vrksa), denn sie können alle spirituel-
len Wünsche erfüllen; und daher sind sie auch Ozeane der Barm-
herzigkeit (krpā-sindhu).
Ajāmila vernahm das Gespräch, das die Yamadūtas und Visnu-
dütas führten, und wurde bereits durch das bloße Hören von allen
materiellen Verunreinigungen völlig befreit. Eine solch läuternde
Wirkung hat es, über Krsna zu hören. Jeder, der regelmäßig aus
dem Srimad-Bhāgavatam, der Bhagavad-gitā, dem Caitanya-caritāmrta,
dem Bhakti-rasāmrta-sindhu oder einer anderen Vaisnava-Schrift hört,
zieht daraus den gleichen Nutzen wie Ajāmila und wird von aller
materiellen Verunreinigung frei.
Ajāmila war den Visnudütas sehr dankbar und verneigte sich
augenblicklich vor ihnen, um ihnen seine Achtung zu erweisen.
Auch wir müssen feste Beziehungen mit den Dienern Sri Visnus
anknüpfen. Caitanya Mahāprabhu sagte: gopi-bhartuh pada-kamalayor
dāsa-dāsānudāsah. „Man sollte sich als Diener des Dieners des Die-
ners von Krsna betrachten." Ohne die Diener Krsnas zu ehren, kann
niemand sich Krsna nāhern.
Der Zwist der Visnudūtas und der Yamadūtas 189

Als Ajāmila den Visnudūtas seine Achtung erwiesen hatte, wollte


er etwas sagen, um ihnen zu danken. Doch diese entschwanden so-
gleich seiner Sicht, weil sie es vorzogen, daß er statt dessen den
Höchsten Herrn lobpreise. Da all seine sündhaften Reaktionen auf-
gehoben worden waren, war Ajāmila nun bereit, den Herrn zu lob-
preisen. Tatsächlich kann man den Herrn nur aufrichtig lobpreisen,
wenn man von allen sündhaften Handlungen frei ist. Dies bestätigt
Krsna persönlich in der Bhagavad-gitā (7.28):

yesām tv anta-gatam pāpam


janānām punya-karmanām
te dvanda-moha-nirmuktā
bhajante mām drdha-vratāh

„Menschen, die in vorangegangenen Leben und im gegenwārtigen


Leben fromm gehandelt haben und deren Sünden vollständig ge-
tilgt sind, sind frei von der Dualität der Täuschung, und sie beschäf-
tigen sich mit Entschlossenheit in Meinem Dienst."
Die Visnudütas machten Ajāmila mit hingebungsvollem Dienst
vertraut, damit er sich sogleich darauf vorbereiten konnte, nach
Hause, zu Gott, zurückzukehren. Um seine Begierde, den Herrn
zu lobpreisen, zu vergrößern, verließen sie ihn, damit er in ihrer
Abwesenheit Trennungsschmerz empfände. In der Stimmung der
Trennung ist die Verherrlichung des Herrn sehr inbrünstig.
3
AJĀMILAS REUE
17. KAPITEL

Die Stunde der


Wahrheit
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Nachdem Ajāmila die Gespräche
zwischen den Yamadūtas und den Visnudūtas vernommen hatte,
verstand er die religiösen Prinzipien, die innerhalb des Einfluß-
bereiches der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur wir-
ken. Diese Prinzipien werden in den drei Veden beschrieben. Er
verstand auch die transzendentalen Prinzipien der Religion, die
jenseits des Einflußbereiches der Erscheinungsweisen der mate-
riellen Natur stehen und bei denen es um die Beziehung zwischen
dem Lebewesen und der Höchsten Persönlichkeit Gottes geht.
Weiterhin vernahm Ajāmila die Verherrlichung des Namens, des
Ruhms, der Eigenschaften und der Spiele der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes. So wurde er ein völlig reiner Gottgeweihter. Er er-
innerte sich an seine früheren sündhaften Handlungen, die er nun
zutiefst bereute.
Ajāmila sprach: „Wehe mir, wie sehr ich mich dadurch ernied-
rigte, daß ich ein Diener meiner Sinne wurde! Ich fiel von meiner
Stellung als qualifizierter brāhmana und zeugte Kinder im Schoße
einer Prostituierten. Wehe mir, alle Verdammnis über mich! Ich
handelte so sündhaft, daß ich meine Familientradition schändete.
Ich verließ sogar meine keusche und schöne junge Gemahlin, nur
um Geschlechtsverkehr mit einer verkommenen Prostituierten zu
haben, die es gewohnt war, Wein zu trinken. Alle Verdammnis
über mich! Mein Vater und meine Mutter waren alt und hat-
ten niemanden, der für sie sorgte. Weil ich mich nicht um sie
kümmerte, lebten sie in großen Schwierigkeiten. O weh, wie ein
abscheulicher Mensch niedrigster Abstammung überließ ich sie
undankbar ihrem Schicksal.

192
Ajamilas Reue 193

Jetzt ist mir klar, daß ein sündhafter Mensch wie ich als Folge
solcher Handlungen in höllische Umstānde hinabgestoßen wer-
den müßte, die für diejenigen bestimmt sind, die religiöse Prinzi-
pien verletzt haben, und daß ich dort die schlimmsten Leiden er-
dulden müßte.
War das, was ich sah, ein Traum, oder war es Wirklichkeit? Ich
sah furchterregende Gestalten mit Stricken in den Händen, die
mich gefangennehmen und hinwegschleifen wollten. Wo sind sie
hingegangen? Und wohin haben sich jene vier befreiten und wun-
derschönen Persönlichkeiten begeben, die mich aus der Gefangen-
schaft retteten und mich davor bewahrten, in die höllischen Re-
gionen hinabgezerrt zu werden?
Ich bin gewiß verabscheuenswert und unglückselig, da ich in
ein Meer sündhafter Tätigkeiten eingetaucht war, doch trotzdem
konnte ich dank meiner früheren spirituellen Tätigkeiten jene vier
erhabenen Persönlichkeiten sehen, die zu meiner Rettung kamen.
Nun bin ich äußerst froh über ihren Besuch.
Wie hātte ich, ein schmutziger Freier einer Prostituierten, die
Gelegenheit bekommen können, in meiner Todesstunde den hei-
ligen Namen Nārāyanas zu chanten, wenn nicht aufgrund meines
früheren hingebungsvollen Dienstes? Gewiß wäre es nicht mög-
lich gewesen." (Srimad-Bhāgavatam 6.2.24-33)

Reue

Nachdem Ajāmila das Gespräch zwischen den Yamadūtas und den


Visnudütas vernommen hatte, war er im Krsna-Bewußtsein gefe-
stigt. „Welches Unglück", klagte er, „daß ich so vielen sündhaften
Tätigkeiten nachgegangen bin!" Dies ist die richtige Einstellung für
einen Geweihten Krsnas. Wie sündhaft er auch immer in der Ver-
gangenheit gehandelt haben mag - sobald er mit Gottgeweihten in
Berührung kommt und über die transzendentalen Themen hört, die
von der Höchsten Persönlichkeit Gottes handeln (bhāgavata-kathā),
wird er geläutert und bedauert seine vorherige Lage. Solches Bedau-
ern früherer Sünden ist ein Zeichen von Läuterung. Der Gottge-
weihte bereut sein schlechtes Verhalten und hört damit auf.
Ajāmila befand sich nun auf der Stufe des hingebungsvollen
194 Im Angesicht des Todes

Dienstes, wo man von allen materiellen Hindernissen frei und völlig


zufrieden ist (ahaituky apratihatā yayātmā suprasidati). Auf dieser Ebe-
ne beklagte nun Ajāmila seine vergangene materialistische Hand-
lungsweise und pries den Namen, die Gestalt und die Spiele der
Höchsten Persönlichkeit Gottes. Wer sich dem Krsna-Bewußtsein
zuwendet, bemüht sich selbstverständlich, den Regeln des hinge-
bungsvollen Dienstes zu folgen, und chantet regelmäßig den Hare-
Krsnei-mahā-mantra: Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare
Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Niemand
sollte aber annehmen, daß er mit seinen sündhaften Handlungen
fortfahren und ihre Folgen abwenden könne, bloß weil er sich dem
Krsna-Bewußtsein zugewandt habe. Wiederholt haben wir gewarnt,
daß dies das größte Vergehen gegen den heiligen Namen ist. Wie
Ajāmila sollte man bereuen: „Wie beklagenswert, daß ich unzählige
sündhafte Handlungen begangen habe! Nun aber habe ich durch
Krsnas Gnade erkannt, daß ich Unrecht tat."
So empfand Ajāmila tiefe Reue, als er sich an all seine sündhaften
Tätigkeiten erinnerte. Er entsann sich, daß sein Vater ihn zu einem
erstklassigen brāhmana erzogen und in der Wissenschaft der Veden
unterrichtet hatte und daß er eine schöne und keusche junge Frau
geheiratet hatte, die unschuldig und tugendhaft war und aus einer
angesehenen brāhmana-Familie stammte. „Eine solche Frau verstieß
ich", klagte nun Ajāmila, „und lebte mit einer Prostituierten, einer
abscheulichen Trinkerin, zusammen!"
Es ist ein vedisches Gebot, daß Männer aus den oberen Klassen -
brāhmanas, ksatriyas und vaisyas - keine Kinder mit Frauen aus den
unteren Schichten zeugen. Darum ist es in der vedischen Gesell-
schaft Brauch, von einem Mādchen und einem Jungen, die für eine
Ehe in Betracht kommen, Horoskope zu erstellen, um zu sehen, ob
die Verbindung günstig ist. Die vedische Astrologie gibt Aufschluß
darüber, ob man den drei Erscheinungsweisen der materiellen Na-
tur gemäß in der brāhmana-, der ksatriya-, der vaisya- oder der sūdra-
Klasse geboren wurde. Ein Horoskop muß zu Rate gezogen werden,
da zum Beispiel ein Junge der brāhmana-Klasse und ein Mādchen der
sūdra-Klasse nicht zusammenpassen; das Eheleben wäre für beide
eine Qual. Obwohl das natürlich nur eine materielle Berechnung ge-
Ajamilas Reue 195

mäß den drei Erscheinungsweisen der Natur ist, ist sie doch für den
Frieden und den Wohlstand in Familie und Gesellschaft wichtig.
Wenn aber der Mann und die Frau Gottgeweihte sind, bedarf es
solcher Erwāgungen nicht. Ein Gottgeweihter ist transzendental,
und daher ist eine Ehe zwischen Gottgeweihten eine sehr glückliche
Verbindung.
Ajāmila klagte: „Da ich mich nicht beherrschen konnte, war ich
zu einem abscheulichen Leben verdammt, und all meine brahma-
nischen Eigenschaften gingen verloren." So denkt jemand, der auf
dem Wege ist, ein reiner Gottgeweihter zu werden. Wenn man durch
die Barmherzigkeit des Herrn und des spirituellen Meisters auf die
Ebene des hingebungsvollen Dienstes erhoben wird, bereut man als
erstes seine vergangenen sündhaften Handlungen. Dies hilft einem,
im spirituellen Leben voranzukommen. Die Visnudūtas hatten Ajā-
mila die Möglichkeit gegeben, ein reiner Gottgeweihter zu werden;
und die erste Pflicht eines Gottgeweihten ist es, seine früheren sünd-
haften Handlungen zu bereuen: unzulässiges Geschlechtsleben, Be-
rauschung, Fleischessen und Glücksspiel. Ein Gottgeweihter sollte
nicht nur seine vergangenen schlechten Angewohnheiten aufgeben,
sondern auch stets Reue über seine früheren sündhaften Hand-
lungen empfinden. Das ist die Ebene reiner Hingabe.

Offene Schulden

Ajāmila bereute, daß er seine Pflichten gegenüber seiner Frau, sei-


nem Vater und seiner Mutter vernachlässigt hatte. Es ist die Pflicht
der erwachsenen Kinder, ihren alten Eltern zu Diensten zu sein. Die-
ser Brauch sollte in der heutigen Gesellschaft wieder eingeführt wer-
den. Was ist ansonsten der Sinn des Familienlebens? In einem rich-
tigen Familienleben sollte der Ehemann der Beschützer der Familie
sein, die Frau sollte keusch sein, und die Kinder sollten ihrem Vater
und ihrer Mutter dankbar sein. Sie sollten die Einstellung haben:
„Meine Eltern haben mir so viele Dienste erwiesen. Als ich noch
nicht laufen konnte, trugen sie mich. Als ich noch nicht essen konn-
te, fütterten sie mich. Sie gaben mir eine Erziehung. Sie haben mir
das Leben geschenkt." Ein guter Sohn überlegt sich, wie er seinen
196 Im Angesicht des Todes

Eltern dienen kann. Wie von einer Ehefrau erwartet wird, daß sie
ihrem Mann treu ist, so sollte auch der Ehemann ihr für ihre Dien-
ste dankbar sein und sie beschützen. Wegen seines schlechten Um-
gangs mit einer Prostituierten hatte Ajāmila jedoch all seine Pflich-
ten im Stich gelassen. Nun bedauerte er dies und hielt sich für sehr
gefallen.
Im vedischen Gesellschaftssystem ist man sich dessen bewußt,
daß man zahlreiche Verpflichtungen hat, sobald man auf die Welt
kommt. Wir sind den rsis, den großen Weisen, verpflichtet, da wir
unser Wissen aus ihren transzendentalen Schriften erhalten, wie
dem Srimad-Bhāgavatam, das von Srila Vyāsadeva verfaßt wurde.
Die Verfasser der Schriften kennen Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, und wir sind aufgerufen, uns solch unschätzbares Wissen
zunutze zu machen. Somit stehen wir in der Schuld der Weisen.
Auch den Halbgöttern sind wir verpflichtet, denn sie regeln die
Angelegenheiten des Universums und versorgen uns mit allem Not-
wendigen: Sonnenschein vom Sonnengott Sürya, Mondschein vom
Mondgott Candra, Luft von Vāyu und so fort. Jedes Element unter-
steht der Kontrolle eines bestimmten Halbgottes.
Wir befinden uns auch in der Schuld der gewöhnlichen Lebewe-
sen, von denen wir einen Dienst entgegennehmen. Von der Kuh
zum Beispiel nehmen wir Milch. Nach vedischem Verständnis wird
die Kuh als eine unserer Mütter angesehen, weil wir ihre Milch
trinken, so wie wir als Säugling die Milch unserer Mutter tranken.
Das Srimad-Bhāgavatam führt sieben Mütter auf: unsere eigene Mut-
ter, die Frau unseres Lehrers oder spirituellen Meisters, die Frau ei-
nes brāhmana, die Gemahlin des Königs, die Amme, die Kuh und
die Erde. Wir sind diesen sieben Müttern sowie auch unserem Vater,
unseren Brüdern, Freunden, Verwandten und Ahnen verpflichtet.
Ebenso geht man eine Verpflichtung ein, wenn man Almosen
annimmt. Diese Schuld muß genauso zurückerstattet werden, wie
man geborgtes Geld zurückzahlen muß. Aus diesem Grund dürfen
Gottgeweihte Spenden nur mit der Absicht entgegennehmen, sie
in Krsnas Dienst zu verwenden. Wenn ein Gottgeweihter Spenden
annimmt, nur um seinen Bauch zu füllen, ist das eine große Sün-
de. Brāhmanas und sannyāsis, die Almosen von anderen annehmen,
Ajāmilas Reue 197

müssen dies mit großer Vorsicht tun. In der vedischen Gesellschaft


dürfen nur der brahmacāri, der sannyāsi und der brāhmana Geld-
spenden sammeln. Einem gewöhnlichen Haushälter ist dies nicht
erlaubt. Der brahmacāri kann öffentlich Almosen sammeln, um sei-
nem spirituellen Meister zu dienen, und ein sannyāsi kann Geld
sammeln, um Gott, Krsna, zu dienen. Die Veden weisen die Men-
schen dazu an, den brāhmanas Spenden zu geben, weil diese wissen,
wie man Spenden für Krsna verwendet. Die Almosen, die man
einer würdigen Person gibt, befinden sich in der Erscheinungs-
weise der Tugend; Almosen, die man zu seinem eigenen Nutzen
gibt, befinden sich in der Erscheinungsweise der Leidenschaft, und
Almosen, die unüberlegt gegeben werden, sind der Erscheinungs-
weise der Unwissenheit zuzuordnen. Wenn wir beispielsweise ei-
nem Trinker Geld geben, verschwendet er es wahrscheinlich in der
nächsten Kneipe. Reiche Leute mögen glauben, es spiele keine Rolle,
wem man Spenden gibt, denn sie können es sich leisten, wahllos
Spenden zu geben; doch die Schriften weisen darauf hin, daß man
zwischen drei Arten von Wohltätigkeit unterscheiden muß.
Man mag sich zurecht fragen, wie man all diesen Verpflichtungen
nachkommen soll. Die Antwort lautet: nur indem man bei den Lo-
tosfüßen Krsnas, Mukundas, Zuflucht sucht. Der Name Mukunda
bedeutet „derjenige, der uns von materieller Verunreinigung be-
freit". Wir stehen zwar in der Schuld der Halbgötter, aber wir kön-
nen bei ihnen keine Zuflucht finden. Wenn wir wirklich nach einer
Zuflucht suchen, sollten wir uns an Krsna wenden, weil nur Er uns
von allen Verpflichtungen entbinden kann. Krsna ist die Höchste
Persönlichkeit Gottes, und sobald Er uns unsere Schuld erlāßt, müs-
sen auch die Verwalter der einzelnen Bereiche, wie die Halbgötter,
uns unsere Schuld erlassen.
Ajāmila verstand, daß er sich in der Position eines Schuldners
befand; da er nun aber bei den Lotosfüßen Mukundas Zuflucht
gesucht hatte, waren all seine Schulden getilgt. Mit anderen Wor-
ten, Ajāmila wurde befreit, indem er einfach Zuflucht bei Nārāyana
suchte, der nicht verschieden von Mukunda ist. Wenn auch wir von
allen sündhaften Reaktionen befreit werden möchten, haben wir
keine andere Wahl, als uns Krsna zu ergeben. Krsna empfiehlt: mām
198 Im Angesicht des Todes

ekam saranam vraja. „Ergib dich einfach Mir!" Wir sollten Krsnas Rat
befolgen. Besonders in diesem Zeitalter des Kali wird es ansonsten
äußerst schwierig sein, all unseren Verpflichtungen nachzukommen.

Bleibender Gewinn

In der materiellen Welt lauert Gefahr auf Schritt und Tritt. Selbst den
reinen Gottgeweihten droht die Gefahr, von der Stufe der Reinheit
herunterzufallen. Im Srimad-Bhāgavatam (1.5.17) jedoch sagt Nārada
Muni:

tyaktvā sva-dharmam caranāmbujath harer


bhajann apakvo 'tha patet tato yadi
yatra kva vābhadram abhüd amusya kirn
ko vārtha āpto 'bhajatām sva-dharmatah

Das Wort dharma in diesem Vers bedeutet „berufliche Pflichten".


Brāhmanas, ksatriyas, vaisyas und sūdras haben alle ihre bestimmten
beruflichen Pflichten. Wenn wir unsere beruflichen Pflichten aufge-
ben, uns dem Krsna-Bewußtsein zuwenden und streng den Regeln
und Vorschriften folgen, verlieren wir nichts, selbst wenn wir wegen
unreifer Ausübung unseres hingebungsvollen Dienstes zu Fall kom-
men. Jeder Dienst, den wir dem Höchsten Herrn erweisen - mag
er auch nur einen kleinen Prozentsatz unseres ganzen Lebens aus-
machen -, ist für uns ein bleibender Gewinn. Wir werden ihn nie
verlieren.
Wer andererseits seine beruflichen Pflichten peinlich genau er-
füllt, aber Krsna nicht verehrt, gewinnt letzten Endes gar nichts. Sei-
nen beruflichen Pflichten strikt nachzukommen heißt, ein frommes
Leben zu führen. Was aber geschieht, wenn man durch diese from-
men Tātigkeiten zu den himmlischen Planeten erhoben wird? Krsna
erklärt in der Bhagavad-gitā, daß man wieder gezwungen wird, zur
Erde zurückzukehren, sobald die Früchte der frommen Handlungen
erschöpft sind. Dazu kommt, daß jemand, der im gegenwärtigen Le-
ben fromme Taten vollbringt, indem er beispielsweise Almosen gibt,
wieder hierher zurückkehren muß, um die guten Ergebnisse seiner
frommen Taten entgegenzunehmen und somit eine weitere Spanne
Ajamilas Reue 199

materiellen Lebens zu durchlaufen. Darum ist es nicht klug, wenn


man darauf hofft, die Früchte frommer Taten zu ernten.
Leider neigen selbst in Indien die Leute mehr dazu, fromme Taten
zu vollbringen, als sich dem hingebungsvollen Dienst für Krsna zu
widmen. Sie hoffen, daß sie durch solche tapasya (Entsagung) nach
dem Tode auf den himmlischen Planeten eine höhere Stufe des ma-
teriellen Lebens erlangen werden. Um dieses Ziel zu erreichen oder
um eine Segnung schon im gegenwärtigen Leben zu erhalten, ver-
ehren sie auch die Halbgötter. Siva zum Beispiel gewāhrt seinen
Geweihten sehr schnell materielle Segnungen und gibt ihnen, was
immer sie begehren. Da er sehr gütig ist, wird er auch āsutosa ge-
nannt, „derjenige, der leicht zufriedenzustellen ist". Deswegen ver-
ehren ihn die Leute gerne, um materiellen Wohlstand zu erlangen.
Doch Sri Krsna verurteilt diese Art der Verehrung in der Bhagavad-
gitā (7.20): kāmais tais tair hrta-jnānāh prapadyante 'nya-devatāh. „Men-
schen, deren Intelligenz von materiellen Wünschen gestohlen ist, er-
geben sich den Halbgöttern."
Das Srimad-Bhāgavatam erzāhlt die Geschichte von Vrkāsura, der
eine schreckliche Segnung von Siva erbat. Vrkāsura bat darum, daß
jeder, dessen Kopf er berührte, getötet würde. Derartige Segnungen
wünschen sich nur Dāmonen. Rāvana und Hiranyakasipu erlangten
ähnliche Segnungen und glaubten, daß sie durch ihre Macht den
Tod bezwingen könnten. Das ist eine typisch dämonische Denk-
weise.
Keiner dieser Dāmonen wurde jedoch durch die Segnungen der
Halbgötter vor dem Tode bewahrt; schließlich wurden sie alle vom
Höchsten Herrn getötet. Es ist ein Naturgesetz, daß in der mate-
riellen Welt jeder sterben muß. Niemand, der hier geboren wird,
kann ewig leben. Die materielle Welt wird Martyaloka genannt, was
bedeutet, daß hier jedes Lebewesen Geburt, Tod, Alter und Krank-
heit unterworfen ist. Unter dem Einfluß der Illusion wollen die Men-
schen dies nicht wahrhaben. Sie versuchen, die materiellen Lebens-
umstände zu manipulieren, um ewig leben zu können. Auch die
modernen Wissenschaftler streben nach Unsterblichkeit - in Nach-
ahmung von Hiranyakasipu. Freilich sind das alles nur Dumm-
heiten. Man braucht keine Angst vor dem Sterben zu haben, aber
200 Im Angesicht des Todes

man sollte vorsichtig sein und sich fragen: „In welche Lage werde
ich im nächsten Leben aufgrund meiner Handlungsweise geraten?"
Ein Gottgeweihter hat keine Angst vor dem Tod; er betet einfach
zu Krsna: „Ich mag sterben und immer wieder geboren werden,
ganz wie Du es wünschst. Ich bitte nur darum, daß ich Dich durch
Deine Barmherzigkeit niemals vergessen werde, unter welchen Be-
dingungen auch immer ich lebe." Ein Gottgeweihter ist nicht āngst-
lich, aber er sieht sich vor, nicht zu Fall zu kommen. Gleichzeitig
weiß er, daß der hingebungsvolle Dienst, den er leistet, sein blei-
bender Gewinn ist. Die Ajāmila-Geschichte veranschaulicht dies be-
sonders gut. Wir sollten die Regeln und Vorschriften gewissenhaft
befolgen; doch selbst wenn wir zu Fall kommen, geht uns nichts
verloren. Das erklärte bereits Nārada Muni. Selbst wenn sich je-
mand aus einer momentanen Stimmung heraus dem Krsna-Bewußt-
sein zuwendet und nur eine Zeitlang hingebungsvollen Dienst aus-
übt, dann aber wieder ins materielle Leben zurückkehrt, wird jeder
Dienst, den er geleistet hat, aufgezeichnet, und eines Tages wird er
gerettet werden - so wie Ajāmila gerettet wurde.
Nachdem die Visnudūtas seiner Sicht entschwunden waren,
fragte sich Ajāmila zunächst, ob er nur geträumt habe, daß sie ge-
kommen waren, um ihn aus den Fesseln der Yamadūtas zu be-
freien. Wāhrend Ajāmila wie im Koma auf seinem Sterbebett lag,
erblickte er tatsāchlich die Yamadūtas und die Visnudūtas, aber es
schien ihm, als ob er nur träume. Als er erkannte, daß er wirklich
vor den furchterregenden Schergen Yamarājas gerettet worden war,
wollte er die Visnudūtas wiedersehen. Ihre Erscheinung war sehr
strahlend gewesen: Ihre Körpermerkmale glichen genau denen Sri
Visnus, sie waren wie Er geschmückt und trugen die vier Insignien
Seiner Macht - Muschelhorn, Lotos, Keule und Feuerrad. Ein herr-
liches Leuchten ging von ihren Körpern aus, und ihre Gewänder
waren von goldener Seide.
Daher fragte Ajāmila: „Wo sind nun jene wunderschönen Persön-
lichkeiten, die mich aus der Gefangenschaft der Yamadūtas befreit
haben? Mein ganzes Leben war voller Sünde. Wie konnte ich würdig
sein, solch großen Persönlichkeiten zu begegnen? Vielleicht", fol-
gerte er, „habe ich in meinem früheren Leben etwas Gutes getan
Ajamilas Reue 201

und durfte deshalb die Visnudūtas sehen." Tatsāchlich war Ajāmila


früher ein treuer Diener Nārāyanas gewesen und durfte aus diesem
Grund den Visnudūtas begegnen. Seine Rettung verdankte er dem
guten Umgang, mit dem er in seiner Jugend gesegnet gewesen war.
Im Caitanya-caritāmrta (Madhya 22.54) heißt es:
'sādhu-sanga', 'sādhu-sanga' — sarva-sāstre kaya
lava-mātra sādhu-sange sarva-siddhi haya
„Das Urteil aller offenbarten Schriften lautet, daß man allen Erfolg
erlangen kann, wenn man nur einen Augenblick Gemeinschaft mit
einem reinen Gottgeweihten hat."
In seiner Jugend war Ajāmila sehr rein gewesen und hatte Ge-
meinschaft mit Gottgeweihten und brāhmanas; wegen dieses from-
men Lebenswandels wurde er spāter, obwohl er inzwischen vom
richtigen Weg abgekommen war, dazu bewegt, seinem Sohn den
Namen Nārāyana zu geben. Diesen guten Rat gab ihm sicherlich
die Höchste Persönlichkeit Gottes von innen. In der Bhagavad-gitā
(15.15) sagt der Herr: sarvasya cāham hrdi sannivisto mattah smrtir
jnānam apohanam ca. „Ich weile im Herzen eines jeden, und von Mir
kommen Erinnerung, Wissen und Vergessen." Der Herr ist so gü-
tig, daß Er niemanden vergessen wird, der Ihm einmal gedient hat.
Darum gab der Herr Ajāmila den Gedanken ein, seinen jüngsten
Sohn Nārāyana zu nennen, so daß er aus Zuneigung immer „Nā-
rāyana! Nārāyana!" rufen würde und auf diese Weise im Moment
des Todes aus einer äußerst furchterregenden und gefährlichen Lage
errettet würde. Das ist Krsnas Barmherzigkeit. Guru-krsna-prasāde
pāya bhakti-latā-bija: „Durch die Barmherzigkeit von guru und Krsna
empfāngt man den Samen des hingebungsvollen Dienstes (bhakti)."
Wenn ein Gottgeweihter diesen Samen durch den Vorgang des Hö-
rens und Chantens der heiligen Namen bewāssert, wird er vor der
größten Furcht bewahrt.
In unserer Bewegung für Krsna-Bewußtsein geben wir deswegen
einem Gottgeweihten einen neuen Namen, der ihn an Visnu er-
innert. Wenn der Gottgeweihte sich zum Zeitpunkt des Todes an sei-
nen eigenen Namen, wie Krsna dāsa oder Govinda dāsa, erinnert,
wird er vor der größten Gefahr gerettet. Daher ist die Namens-
202 Im Angesicht des Todes

änderung bei der Einweihung von wesentlicher Bedeutung. Die Be-


wegung für Krsna-Bewußtsein ist sehr darauf bedacht, jedem eine
gute Möglichkeit zu geben, sich irgendwie an Krsna zu erinnern.
An Krsna können sich im Moment des Todes für gewöhnlich nur
Menschen erinnern, die in einem Leben des hingebungsvollen Dien-
stes eine enge Beziehung zu Ihm entwickelt haben. Als Ajāmila noch
ein kleiner Junge war, wurde er von seinem Vater dazu erzogen, Nā-
rāyana treu ergeben zu sein. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr
diente er dem Herrn zuverlässig. Dann wich Ajāmila von den Re-
geln des hingebungsvollen Dienstes ab und vergaß seine Beziehung
zu Nārāyana, doch Nārāyana vergaß ihn nicht und erwiderte die
Liebe Seines Geweihten in dessen schwerster Stunde. So wurde Ajā-
mila die Geistesgegenwart gegeben, sich im Augenblick des Todes
an Nārāyana zu erinnern.
Selbst einen geringfügigen hingebungsvollen Dienst nimmt Krsna
dankbar an, wie Er in der Bhagavad-gitā (2.40) versichert:

nehābhikrama-naso 'sti
pratyavāyo na vidyate
svalpam apy asya dharmasya
trāyate mahato bhayāt

„Bei dieser Bemühung gibt es weder Verlust noch Minderung, und


schon ein wenig Fortschritt auf diesem Pfad kann einen vor der
größten Gefahr bewahren."
Selbst wenn man nur wenig hingebungsvollen Dienst ausübt,
kann man vor der größten Gefahr bewahrt werden. Warum sollte
man sich also nicht dem Krsna-Bewußtsein widmen? Man sollte sich
immer im hingebungsvollen Dienst beschäftigen - vierundzwanzig
Stunden am Tag. Dann droht keine Gefahr mehr. Wer Krsna-bewußt
ist, ist furchtlos. Er weiß, daß er unter Krsnas Schutz steht.
18. KAPITEL

Ein Pilger auf dem


Weg zu Gott
Ajāmila fuhr fort: „Ich bin ein schamloser Betrüger, der seine
brahmanische Kultur zugrunde gerichtet hat. In der Tat, ich bin
die Sünde in Person! Was bin ich schon, verglichen mit dem all-
glückverheißenden Chanten des heiligen Namens Sri Nārāyanas?
Ich bin solch ein sündhafter Mensch, doch da ich jetzt diese
Gelegenheit erhalten habe, muß ich meinen Geist, mein Leben
und meine Sinne völlig beherrschen und mich immer im hinge-
bungsvollen Dienst betätigen, damit ich nicht abermals in die tiefe
Finsternis und Unwissenheit des materiellen Lebens stürze.
Weil man sich mit dem Körper identifiziert, ist man Wünschen
nach Sinnenbefriedigung unterworfen und widmet sich deshalb
verschiedensten frommen und gottlosen Tätigkeiten. Das ist es,
was die materielle Bindung ausmacht. Nun aber will ich mich
aus meiner materiellen Gefangenschaft lösen, die von der illusio-
nierenden Energie der Höchsten Persönlichkeit Gottes in der Ge-
stalt einer Frau verursacht worden ist. Ich, eine zutiefst gefallene
Seele, wurde das Opfer der illusionierenden Energie und glich ei-
nem tanzenden Hund in den Händen einer Frau. Jetzt werde ich
alle lüsternen Wünsche aufgeben und mich aus dieser Illusion be-
freien. Ich will ein barmherziger, wohlmeinender Freund aller Le-
bewesen werden und mich stets ins Krsna-Bewußtsein vertiefen.
Einfach weil ich in der Gemeinschaft von Gottgeweihten den
heiligen Namen des Herrn gechantet habe, wird mein Herz jetzt ge-
läutert. Deshalb werde ich nicht wieder den falschen Verlockungen
materieller Sinnenbefriedigung zum Opfer fallen. Nun, da ich in
der Absoluten Wahrheit verankert bin, werde ich mich nicht mehr

203
204 Im Angesicht des Todes

mit dem Körper identifizieren. Ich will die falschen Auffassungen


von ,ich' und ,mein' aufgeben und meinen Geist auf die Lotosfüße
Sri Krsnas richten."
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Da Ajāmila einen Augenblick lang
Gemeinschaft mit Gottgeweihten, den Visnudūtas, gehabt hatte,
löste er sich mit Entschlossenheit von der materiellen Lebens-
auffassung. Frei von aller materiellen Anhaftung, machte er sich
sofort auf den Weg nach Hardwar. Dort suchte er Zuflucht in einem
Visnu-Tempel, wo er sich dem Vorgang des bhakti-yoga widmete.
Er meisterte seine Sinne und stellte seinen Geist vollständig in
den Dienst des Herrn. Ajāmila weihte sich völlig dem hingebungs-
vollen Dienst, und so löste er seinen Geist von Sinnenbefriedigung
und versenkte sich in Gedanken an die Gestalt des Herrn.
Als seine Intelligenz und sein Geist auf die Gestalt des Herrn
gerichtet waren, erblickte Ajāmila wieder vier himmlische Persön-
lichkeiten vor sich. Er erkannte, daß es dieselben waren, die er zu-
vor gesehen hatte, und verneigte sich vor ihnen, um ihnen seine
Ehrerbietungen zu erweisen.
Ajāmila richtete seine Blicke auf die Visnudūtas, und so gab er
in Hardwar am Ufer des Ganges seinen materiellen Körper auf. Er
erlangte seinen ursprünglichen spirituellen Körper wieder, einen
Körper, wie er für einen Gefährten des Herrn angemessen ist. In
Begleitung der Sendboten Sri Visnus bestieg Ajāmila ein goldenes
Flugzeug. Durch die Lüfte schwebend, begab er sich direkt zum
Reich Sri Visnus, des Gemahls der Glücksgöttin.
Aufgrund seines schlechten Umgangs hatte Ajāmila jegliche
brahmanische Kultur und alle religiösen Prinzipien aufgegeben.
Da er zutiefst gefallen war, stahl er, trank er und beging andere
abscheuliche Taten, ja er lebte sogar mit einer Dirne zusammen.
Deshalb war es ihm bestimmt gewesen, von den Beauftragten Ya-
marājas zur Hölle gebracht zu werden. Aber durch eine bloße An-
deutung des Chantens des heiligen Namens Nārāyana war er au-
genblicklich gerettet worden.
Wer sich Freiheit von materieller Bindung wünscht, sollte des-
halb den Vorgang des Chantens und der Lobpreisung des Na-
mens, des Ruhms, der Form und der Spiele der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes aufnehmen, an deren Füßen sich alle heiligen Orte
Ajamilas Reue 205

befinden. Aus anderen Methoden, wie frommen Bußen, speku-


lativer Wissensaneignung und Meditation im mystischen yoga,
kann man nicht den gleichen Nutzen ziehen. Denn selbst nach-
dem man solchen Methoden gefolgt ist, wendet man sich wieder
fruchtbringenden Tätigkeiten zu, da man nicht in der Lage ist, sei-
nen Geist zu beherrschen, der von den niederen Eigenschaften der
Natur, nämlich Leidenschaft und Unwissenheit, verunreinigt ist.
Weil diese sehr vertrauliche historische Erzāhlung die Kraft be-
sitzt, alle sündhaften Reaktionen zu beseitigen, ist jemand, der sie
mit Glauben und Hingabe hört oder beschreibt, nicht mehr zu höl-
lischem Leben verdammt, unabhängig davon, ob er einen mate-
riellen Körper hat und welche Sünden er beging. In der Tat nāhern
sich die Yamadūtas einem solchen Menschen nicht einmal, um ihn
zu sehen. Nach dem Verlassen seines Körpers kehrt er nach Hause,
zu Gott, zurück, wo er mit großer Achtung empfangen und ver-
ehrt wird.
In seiner Todesqual chantete Ajāmila den heiligen Namen des
Herrn, und obgleich mit dem Chanten sein Sohn gemeint war,
kehrte er nach Hause, zu Gott, zurück. Wie kann es also noch einen
Zweifel geben, daß jemand, der gläubig und ohne Vergehen den
heiligen Namen des Herrn chantet, zu Gott zurückkehren wird?
(Srimad-Bhāgavatam 6.2.34-49)

Entschlossenheit

Gottes heiliger Name ist allglückverheißend. Daher kann es für je-


manden, der unentwegt Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare
Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare chantet,
kein Unglück geben. Allein schon durch das Chanten befindet man
sich für immer in einer glückverheißenden Lebenslage.
Die Gottgeweihten der Bewegung für Krsna-Bewußtsein, die den
heiligen Namen verbreiten, sollten sich stets vor Augen halten, in
welcher Lage sie sich befanden, bevor sie diese Bewegung ken-
nenlernten, und in welcher Lage sie sich jetzt befinden. Sie wa-
ren einem abscheulichen Leben als Fleischesser, Trunkenbolde und
Schürzenjäger verfallen und begingen alle möglichen Sünden, doch
dann wurde ihnen die Gelegenheit geboten, den Hare-Krsna-mantra
206 Im Angesicht des Todes

zu chanten. Deshalb sollten sie diese Gelegenheit stets zu schātzen


wissen. Durch die Gnade des Herrn eröffnen wir viele Zentren,
und die Mitglieder dieser Bewegung sollten sich die glücklichen
Umstānde zunutze machen, um den heiligen Namen des Herrn zu
chanten und der Höchsten Persönlichkeit Gottes unmittelbar zu die-
nen. Sie müssen sich des Unterschieds zwischen ihrem früheren und
ihrem jetzigen Zustand bewußt sein und immer darauf bedacht sein,
nicht wieder von der erhabenen Lebensweise des Krsna-Bewußt-
seins abzuweichen. Diese Entschlossenheit sollte jeder Geweihte
Krsnas besitzen. Die Gottgeweihten wurden durch die Barmherzig-
keit Krsnas und ihres spirituellen Meisters auf eine hohe Stufe er-
hoben. Wenn sie sich daran erinnern, daß dies eine großartige Ge-
legenheit ist, und wenn sie zu Krsna beten, daß sie nicht erneut zu
Fall kommen mögen, wird ihr Leben erfolgreich sein.
Da Ajāmila nun völlig Krsna-bewußt war, trug er seine Schuld ab,
die er durch seine sündhaften Taten angesammelt hatte, und war
fest entschlossen, weiter den heiligen Namen des Herrn, Nārāya-
na, zu chanten: „Wenn ich weiterhin den heiligen Namen des Herrn
chante", dachte er, „werde ich stets zum größten Wohl aller Lebewe-
sen handeln und sehr friedfertig sein." Weil Ajāmila nun von allen
sündhaften Tätigkeiten geläutert war, erkannte er, daß Krsna ihm
von seinem Herzen aus zu verstehen gab, daß es seine Pflicht sei,
der wohlmeinende Freund aller Lebewesen zu werden.

Der Freund aller Lebewesen

Die Geweihten des Herrn sind sehr gütig. Zum Wohle der All-
gemeinheit predigen sie Krsna-Bewußtsein und sind somit die
Freunde eines jeden Lebewesens. Andere können nicht zum Wohl
aller Lebewesen tätig sein. Die Politiker beispielsweise beschäftigen
sich angeblich im Dienst ihrer Landsleute, aber sie sind nicht die
wahren Freunde eines jeden in ihrem Land. Obgleich sie den Be-
dürfnissen ihrer Landsleute dienen mögen, kümmern sie sich nicht
um die der Tiere. Auf diese Weise machen sie Unterschiede, wohin-
gegen ein Gottgeweihter der Freund aller Lebewesen ist, ob Mensch,
Tier, Insekt oder Pflanze. Ein Gottgeweihter würde nicht einmal eine
Ajamilas Reue 207

Ameise töten wollen, doch ein Nichtgottgeweihter schickt gnaden-


los Tiere ins Schlachthaus und behauptet im gleichen Atemzug, er
wolle für alle nur das Beste.
Krsna, Gott, ist der beste Freund aller Lebewesen und ist jedem
gleichermaßen wohlgesinnt. Er ist nicht nur der Freund der Einwoh-
ner Vrndāvanas - der gopis, Seiner Eltern, der Kuhhirten, der Kuh-
hirtenjungen und der Kühe -, sondern der Freund eines jeden, weil
jeder ein Bestandteil von Ihm ist. Krsna liebt daher jeden grenzenlos,
und Krsnas Geweihte erben von Ihm die vortrefflichen Eigenschaf-
ten der Liebe. Deshalb sind sie wahrhaftig die Freunde eines jeden.
Karmis, materiell motivierte Arbeiter, begehen aus Eigennutz sün-
dige Taten; so töten sie unschuldige Tiere und werden auf ihren
materiellen Reichtum stolz. Auch die jnānis - diejenigen, die durch
Wissen über das Brahman nach Befreiung streben - sind nur an
sich selbst interessiert. Doch die bhaktas, die Gottgeweihten, sorgen
sich um das Wohl aller. Besonders barmherzig ist ein Gottgeweih-
ter zu den gefallenen, bedingten Seelen. Sri Caitanya Mahāprabhu
ist die Personifizierung von bhakti, liebender Hingabe zu Gott, und
lehrt uns alle, wie wir Gottgeweihte werden können. Daher wird
Er patita-pāvana genannt, „derjenige, der die gefallenen, bedingten
Seelen erlöst". Jeder, der in Seine Fußstapfen tritt, gilt ebenfalls als
patita-pāvana. Auch Ajāmila empfand nun wie ein Gottgeweihter
und dachte daher: „Jetzt kann ich der Freund aller Lebewesen wer-
den und friedfertig leben."
Dieses Maß an Entschlossenheit sollten alle Krsna-bewußten Men-
schen aufbringen. Ein Geweihter Krsnas sollte sich aus den Fāngen
māyās losreißen und darüber hinaus auch Mitleid mit all den ande-
ren verspüren, die sich in māyās Gewalt befinden und leiden. Das
ist die Vollkommenheit des Krsna-Bewußtseins. Wer nur an seiner
eigenen Erlösung interessiert ist, ist im Krsna-Bewußtsein noch nicht
so weit gereift wie jemand, der aus Mitleid mit anderen Krsna-Be-
wußtsein verbreitet. Solch ein fortgeschrittener Gottgeweihter wird
niemals zu Fall kommen, denn Krsna gewāhrt ihm besonderen
Schutz. Das ist die Quintessenz der Bewegung für Krsna-Bewußt-
sein. Jeder gleicht einem Spielzeug in den Händen der illusionie-
renden Energie und handelt auf ihr Geheiß. Man sollte sich dem
208 Im Angesicht des Todes

Krsna-Bewußtsein anschließen, um sich selbst und andere aus die-


ser Knechtschaft zu befreien.

Gemeinschaft mit Gottgeweihten

Ajāmilas Worte verdeutlichen, wie ein Lebewesen seiner materiellen


Bedingtheit zum Opfer fällt. Die Illusion beginnt damit, sich fālsch-
licherweise mit dem Körper zu identifizieren. Deshalb steht am An-
fang der Bhagavad-gitā die spirituelle Unterweisung, daß man nicht
der Körper, sondern die spirituelle Seele im Körper ist. In diesem
Bewußtsein kann man nur dann immer verankert sein, wenn man
seine Reinheit bewahrt, indem man den heiligen Namen Krsnas,
den Hare-Krsna-mahā-mantra, chantet und in der Gemeinschaft von
Gottgeweihten bleibt. Das ist das Erfolgsgeheimnis. Aus diesem
Grund betonen wir, daß man den heiligen Namen des Herrn chan-
ten und sich von den Verunreinigungen der materiellen Welt frei-
halten sollte, besonders von lüsternen Wünschen nach unzulässi-
gem Geschlechtsleben, Fleischessen, Berauschung und Glücksspiel.
Man sollte mit Entschlossenheit das Gelübde ablegen, diesen Prin-
zipien zu folgen. Das wird einen vor dem Elend des materiellen
Daseins bewahren.
Am wichtigsten ist es, sich erst einmal von der körperlichen Le-
bensauffassung zu lösen. Als Ajāmila das Gespräch zwischen den
Visnudütas und den Yamadūtas mitanhörte, wurde er augenblick-
lich von der trügerischen körperlichen Lebensauffassung befreit.
Der Beweis dafür ist, daß er danach sofort seine Frau und seine Kin-
der verließ und sich geradewegs nach Hardwar begab, um weiter
im spirituellen Leben fortzuschreiten. Wie hier erwähnt wird, nahm
er Zuflucht in einem Tempel Visnus und übte den Vorgang des hin-
gebungsvollen Dienstes aus. Zu diesem Zweck hat unsere Bewe-
gung für Krsna-Bewußtsein auf der ganzen Welt Tempel gegründet.
Man braucht nicht nach Hardwar zu reisen. Jeder kann im nächstge-
legenen Tempel Zuflucht suchen, sich im hingebungsvollen Dienst
des Herrn beschäftigen und den größten Erfolg im Leben erlangen,
indem er sich ins Krsna-Bewußtsein vertieft.
Wenn man im Tempel die Bildgestalt Krsnas verehrt, versenkt
sich der Geist ganz natürlich in Gedanken an den Herrn und Seine
Ajamilas Reue 209

Form. Zwischen der Form des Herrn und dem Herrn selbst be-
steht kein Unterschied. Deshalb ist bhakti-yoga das einfachste yoga-
System. Yogis versuchen, ihre Gedanken auf die Form der Überseele,
auf Visnu im Herzen, zu konzentrieren, aber das gleiche Ziel er-
reicht man mühelos, wenn man seinen Geist in Meditation über die
Bildgestalt Gottes im Tempel vertieft. In jedem Tempel gibt es eine
transzendentale Form des Herrn, und man kann mit Leichtigkeit
an sie denken. Wenn man den Herrn wāhrend der zeremoniellen
Verehrung (ārati) sieht, sein Geld, seine Zeit und seine Energie der
Verehrung der Bildgestalt opfert und ständig an die Form der Bild-
gestalt denkt, wird man ein erstklassiger yogi. Das ist der beste Vor-
gang des yoga, wie die Höchste Persönlichkeit Gottes in der Bhaga-
vad-gita (6.47) bestätigt:

yoginām api sarvesām


mad-gatenāntar-ātmanā
sraddhāvān bhajate yo mām
sa me yuktatamo matah

„Von allen yogis ist derjenige, der großen Glauben besitzt und immer
in Mir weilt, immer an Mich denkt und Mir transzendentalen liebe-
vollen Dienst darbringt, am engsten mit Mir in yoga vereint, und er
ist der höchste von allen."
Der höchste yogi ist also derjenige, der seine Sinne beherrscht und
sich von materiellen Tätigkeiten löst, indem er stets an die Gestalt
des Herrn denkt.

Zurück zu Gott
Die Visnudütas, die Ajāmila gerettet hatten, erschienen wieder vor
ihm, als sein Geist unerschütterlich auf die Gestalt des Herrn ge-
richtet war. Sie hatten Ajāmila eine Zeitlang verlassen, um ihm Ge-
legenheit zu geben, in der Meditation über den Herrn gefestigt zu
werden. Nun, da seine Hingabe gereift war, kehrten sie zurück, um
ihn zu Gott zurückzuholen. Sowie Ajāmila erkannte, daß dieselben
Visnudütas wiedergekommen waren, verneigte er sich vor ihnen,
um ihnen seine Ehrerbietungen zu erweisen.
Ajāmila war nun bereit, nach Hause, zu Gott, zurückzukehren,
210 Im Angesicht des Todes

und so gab er seinen materiellen Körper auf und nahm seinen ur-
sprünglichen, spirituellen Körper an. Der Herr sagt in der Bhagavad-
gitā (4.9):

janma karma ca me divyam


evam yo vetti tattvatah
tyaktvā deham punar janma
naiti mām eti so 'rjuna

„Wer die transzendentale Natur Meines Erscheinens und Meiner Ta-


ten kennt, wird nach dem Verlassen des Körpers nicht wieder in der
materiellen Welt geboren, sondern gelangt in Mein ewiges Reich, o
Arjuna."
Die Vervollkommnung im Krsna-Bewußtsein führt dazu, daß man
nach dem Verlassen seines materiellen Körpers sogleich in seinem
ursprünglichen, spirituellen Körper zur spirituellen Welt gebracht
wird, um ein Gefāhrte der Höchsten Persönlichkeit Gottes zu wer-
den.
Ein spirituelles Flugzeug von den spirituellen Planeten - wie je-
nes, das für Ajāmila eintraf - ist in der Lage, uns innerhalb einer Se-
kunde nach Hause, zu Gott, zurückzubringen. Die Geschwindigkeit
eines solchen Flugzeugs kann man sich kaum vorstellen. Spirituelle
Energie ist feiner als der Geist, und jeder hat die Erfahrung gemacht,
wie schnell man in Gedanken von einem Ort zum anderen reisen
kann. Man gewinnt einen Eindruck von der Schnelligkeit der spiri-
tuellen Form, wenn man sie mit der Geschwindigkeit der Gedanken
vergleicht. In weniger als einem Augenblick kann ein vollkommener
Gottgeweihter nach dem Verlassen seines materiellen Körpers nach
Hause, zu Gott, zurückkehren.
Solche Vollkommenheit kann einzig und allein ein Gottgeweih-
ter erlangen. Man sieht oft, daß karmis, jnānis und yogis wieder An-
haftung an materielle Tätigkeiten entwickeln, selbst nachdem sie an-
geblich die Vollkommenheit erreicht haben. Viele sogenannte Svāmis
und yogis bezeichnen materielle Tätigkeiten als inexistent und nich-
tig (jagan mithyā) und geben sie auf, aber nach einiger Zeit wen-
den sie sich doch wieder materiellen Tätigkeiten zu und eröffnen
Krankenhäuser und Schulen oder vollbringen andere gute Taten
Ajamilas Reue 211

zum Wohl der Allgemeinheit. Zuweilen beteiligen sie sich auch an


der Politik, obwohl sie sich als sannyāsis, als Angehörige des Le-
bensstandes der Entsagung, ausgeben. All diese Tätigkeiten sind
trügerische Aspekte der materiellen Welt.
Wenn man tatsāchlich den Wunsch hat, aus der materiellen Welt
herauszugelangen, muß man sich dem hingebungsvollen Dienst zu-
wenden, angefangen mit sravanam kirtanam visnoh, dem Chanten
und Hören über die Herrlichkeiten des Herrn. Die Bewegung für
Krsna-Bewußtsein hat dies praktisch bewiesen: Viele Jugendliche
in den westlichen Ländern, die drogenabhängig waren und andere
schlechte Angewohnheiten hatten, von denen sie nicht loskommen
konnten, gaben nach ihrem Beitritt zur Bewegung für Krsna-Be-
wußtsein all diese Neigungen auf und begannen mit großer Ernst-
haftigkeit, die Herrlichkeiten des Herrn zu chanten. Mit anderen
Worten, dieser Vorgang ist die vollkommene Methode der Buße für
Handlungen in den Erscheinungsweisen der Leidenschaft und Un-
wissenheit. Das Srimad-Bhāgavatam (1.2.19) bestätigt dies:

tadā rajas-tamo-bhāvāh
kāma-lobhādayas ca ye
ceta etair anāviddham
sthitam sattve prasidati

Wenn man unter dem Einfluß der Erscheinungsweisen der Leiden-


schaft und Unwissenheit handelt, wird man zunehmend lüstern
und gierig, doch wenn man dem Vorgang des Hörens und Chan-
tens folgt, gelangt man auf die Ebene der Tugend und wird glück-
lich. Durch Fortschritt im hingebungsvollen Dienst werden alle
Zweifel vollständig beseitigt (bhidyate hrdaya-granthis chidyante sarva-
samsayāh). Auf diese Weise wird der Knoten des Wunsches nach
fruchtbringenden Handlungen zerschnitten.
Zur Zeit des Todes ist man mit Sicherheit verwirrt, weil die Kör-
perfunktionen außer Kontrolle geraten. Dann kann es vorkommen,
daß selbst jemand, der sich sein ganzes Leben darin übte, den heili-
gen Namen des Herrn zu chanten, nicht in der Lage ist, den Hare-
Krsna-mantra deutlich zu chanten. Trotzdem empfāngt ein solcher
Mensch alle Segnungen des Chantens des heiligen Namens. Warum
212 Im Angesicht des Todes

sollten wir nun, da der Körper gesund ist, nicht den heiligen Na-
men des Herrn laut und deutlich chanten? Wenn man das tut, wird
man wahrscheinlich sogar im Augenblick des Todes fähig sein, den
heiligen Namen des Herrn mit Liebe und Glauben zu chanten. Die
Schlußfolgerung lautet somit: Wer den heiligen Namen des Herrn
unentwegt chantet, dem ist die Rückkehr nach Hause, zu Gott,
garantiert.
4
YAMARĀJAS
UNTERWEISUNGEN
19. KAPITEL

Das Ende aller


Zweifel
König Pariksit sprach: O mein Herr, o Sukadeva Gosvāmi, Yama-
rāja ist der Gebieter aller Lebewesen hinsichtlich ihrer religiösen
und irreligiösen Handlungen, und doch wurde die Ausführung
seines Befehls vereitelt. Was erwiderte er, als ihm seine Diener, die
Yamadūtas, von der Niederlage berichteten, die ihnen die Visnu-
dütas zugefügt hatten?
O großer Weiser, niemals zuvor hat man irgendwo davon ge-
hört, daß gegen eine Anweisung Yamarājas verstoßen wurde. Des-
halb glaube ich, daß die Menschen daran Zweifel hegen werden,
die niemand außer dir beseitigen kann. Dies ist meine feste über-
zeugung. Erkläre daher bitte die Gründe für diese Geschehnisse!
Sri Sukadeva Gosvāmi erwiderte: Mein lieber König, nachdem
die Beauftragten Yamarājas von den Sendboten Visnus aufgehal-
ten und besiegt worden waren, begaben sie sich zu ihrem Gebieter,
dem Herrscher von Samyamani-puri und Herrn der sündhaften
Menschen, und berichteten ihm von diesem Vorfall.
Die Yamadūtas fragten: „Lieber Herr, wie viele Herrscher gibt es
in der materiellen Welt? Wie viele Ursachen sind für die Ergebnisse
der Handlungen verantwortlich, die unter dem Einfluß der drei Er-
scheinungsweisen der materiellen Natur ausgeführt werden?
Wenn es im Universum viele Richter gibt, die sich über Strafe
und Belohnung uneinig sind, werden sich ihre widersprüchlichen
Urteile gegenseitig aufheben, und niemand wird bestraft oder be-
lohnt werden. Denn ansonsten - wenn ihre widersprüchlichen Ur-
teile einander nicht aufheben - muß ein jeder sowohl bestraft als
auch belohnt werden. Da es viele verschiedene karmis (materiell

214
Yamarajas Unterweisungen 215

motivierte Menschen) gibt, gibt es verschiedene Richter, um über


sie Gericht zu sitzen; doch genauso, wie verschiedene Befehlshaber
von Teilbereichen der Zentralgewalt eines Herrschers unterstehen,
muß es einen höchsten Herrscher geben, dem alle Richter unterge-
ordnet sind.
Der höchste Richter muß einer sein, nicht viele. Wir haben
gedacht, daß du dieser höchste Richter seist und daß sogar die
Halbgötter deiner Gerichtsbarkeit unterlāgen. Wir waren der Auf-
fassung, du seist der Herr und Meister aller Lebewesen, die höch-
ste Autorität, die zwischen den frommen und unfrommen Hand-
lungen aller Menschen unterscheidet.
Doch nun sehen wir, daß die mit deiner Vollmacht verhāngte
Strafe nicht länger wirksam ist, da vier wunderbare und voll-
kommene Persönlichkeiten sich über deinen Befehl hinwegge-
setzt haben. Wir waren gerade im Begriff, den höchst sündhaften
Ajāmila deinen Anordnungen gemäß zu den höllischen Planeten
zu bringen, als jene herrlichen Persönlichkeiten aus Siddhaloka
gewaltsam die Knoten der Stricke zertrennten, mit denen wir ihn
gefesselt hatten. Sobald der sündige Ajāmila den Namen Nārā-
yana aussprach, nahten augenblicklich diese vier wunderschönen
Männer und beruhigten ihn mit den Worten: ,Fürchte dich nicht!
Fürchte dich nicht!' O Herr, wir wollen etwas von dir über sie er-
fahren. Erkläre uns bitte, wer sie sind, wenn du denkst, wir könn-
ten es verstehen!"
Sri Sukadeva Gosvāmi sagte: Auf diese Fragen hin war Yama-
rāja über seine Diener sehr erfreut, weil er von ihnen den heiligen
Namen Nārāyanas gehört hatte. Er erinnerte sich an die Lotosfüße
des Herrn und antwortete. (Srimad-Bhāgavatam 6.3.1-11)

Wer ist der Machthaber?


Mahārāja Pariksit war erstaunt und fragte Sukadeva Gosvāmi: „Wie
ist es irgend jemandem möglich, sich über den Befehl Yamarajas
hinwegzusetzen?" Niemand kann sich einem Haftbefehl des Polizei-
präsidenten widersetzen. Und Yamarāja ist der Präsident der uni-
versalen „Polizei", der im Namen der Höchsten Persönlichkeit Got-
tes, Krsna, handelt. Die Aufgabe Yamarajas ist es, alle kriminellen
216 Im Angesicht des Todes

Lebewesen festnehmen und sie in seinem Reich, Yamaloka, bestra-


fen zu lassen. Sündhafte Menschen werden dorthin geschafft und
verschiedenen höllischen Umstānden unterworfen. Der Fall Ajāmi-
las ist jedoch eine Ausnahme. Die Yamadutas waren beauftragt, ihn
gefangenzunehmen und vor den Gerichtshof Yamarājas zu bringen;
die Visnudütas jedoch befreiten ihn aus ihren Händen.
Daß die Visnudütas gegen die Yamadutas einschritten, schien ge-
setzwidrig zu sein, aber so wie Sri Visnu alles tun kann, was Ihm
beliebt, können auch Seine Diener sich über jede Anordnung in
der materiellen Welt hinwegsetzen. Das ist die Macht des Höchsten
Herrn. In der materiellen Welt besitzt niemand die Autorität oder
Macht, sich den Befehlen Yamarājas zu widersetzen, aber die Visnu-
dütas handelten unter der höheren Vollmacht des Höchsten Herrn.
Als die Yamadutas nach Yamaloka zurückkehrten, gingen sie au-
genblicklich zu Yamarāja und fragten: „Wie ist es möglich, daß wir
daran gehindert wurden, unsere Pflicht zu erfüllen? Lieber Herr, wie
viele Herrscher gibt es? Bist du der alleinige Herrscher, oder gibt es
noch viele andere mehr?" Unintelligente Menschen glauben, daß ein
bestimmter Halbgott, wie Indra, Sürya oder Candra, der Höchste
sei. Genauso könnte man aber glauben, der Polizist auf der Straße
habe alle Macht im Staat. Unzählige Polizisten überwachen die Men-
schenmenge auf der Straße, doch nur ein Narr versteht nicht, daß
sich über den einfachen Polizisten viele höhere Beamte befinden, bis
hinauf zum Polizeichef, dem Gouverneur und dem Präsidenten. Da
die Yamadutas Yamarāja für den höchsten Herrscher hielten, führten
sie einfach seine Befehle aus, und dies war das erste Mal, daß sie da-
von abgehalten wurden.
Srila Visvanātha Cakravarti Thākura sagt, daß die Yamadutas so
enttāuscht waren, daß sie Yamarāja beinahe im Zorn fragten, ob es
viele Meister außer ihm gebe. Da die Yamadutas eine Niederlage er-
litten hatten und ihr Meister sie nicht hatte beschützen können, wa-
ren sie schon fast geneigt zu sagen, daß man einem solchen Meister
gar nicht dienen müsse. Denn wozu sollte ein Diener einem macht-
losen Meister dienen, dessen Anweisungen zu Niederlagen führen?
Da den Yamadutas Einhalt geboten worden war, hegten sie Zwei-
fel, ob Yamarāja eigentlich die Macht besäße, die Sünder zu bestra-
fen. Obgleich sie auf Yamarājas Geheiß versucht hatten, Ajāmila fest-
Yamarajas Unterweisungen 217

zunehmen, war ihnen aufgrund des Befehls einer höheren Autorität


kein Erfolg beschieden gewesen. Deshalb waren sie sich nicht sicher,
ob es viele Autoritäten gebe oder nur eine. Wenn es viele Autori-
tāten gäbe, die unterschiedliche, möglicherweise widersprüchliche
Urteile fällten, könnte ein Mensch zu Unrecht bestraft oder zu Un-
recht belohnt werden, oder er würde weder bestraft noch belohnt.
Nach unseren Erfahrungen in der materiellen Welt kann jemand,
der von einem Gericht bestraft wird, bei einem anderen Gericht Be-
rufung einlegen. Auf diese Weise kommt es zu verschiedenen Ur-
teilen, aufgrund deren die gleiche Person entweder bestraft oder
belohnt werden soll. Im Gesetz der Natur oder am Gerichtshof der
Höchsten Persönlichkeit Gottes jedoch darf es nicht zu solch wider-
sprüchlichen Urteilen kommen. Die Richter und ihre Urteile müssen
vollkommen sein und frei von Widersprüchen.
Im Falle Ajāmilas befand sich Yamarāja tatsāchlich in einer sehr
unangenehmen Lage, denn nach alledem, was er die Yamadūtas
gelehrt hatte, hatten sie zu Recht versucht, Ajāmila gefangenzu-
nehmen; aber trotzdem wurden sie von den Visnudütas daran ge-
hindert. Obwohl Yamarāja unter diesen Umstānden sowohl von den
Visnudütas als auch von den Yamadūtas Vorwürfe gemacht wur-
den, ist er in seiner Rechtsprechung vollkommen, da er von der
Höchsten Persönlichkeit Gottes ermächtigt ist. Daher wird er er-
klāren, was seine wirkliche Position ist und wie ein jeder vom höch-
sten Herrscher, der Persönlichkeit Gottes, gelenkt wird.
In der materiellen Welt muß es Maßnahmen geben, um die Le-
bewesen unter Kontrolle zu halten. Die sāstras, die heiligen Schrif-
ten, sind dazu bestimmt, die zivilisierten Menschen zu führen. Von
diesem Wort stammt der Begriff sisya (Schüler): derjenige, der frei-
willig die Führung des spirituellen Meisters akzeptiert. Gesetzes-
brecher hingegen brauchen die Führung von astra (Waffen). Die
Polizei zum Beispiel benötigt daher Pistolen und Knüppel, um Die-
ben und Gaunern Herr zu werden.
Die Yamadūtas wollten von ihrem Meister wissen, ob es ver-
schiedene Rechtsabteilungen für die unterschiedlichen Arten von
Menschen gebe. In der materiellen Welt wird man durch eine Kom-
bination der drei Erscheinungsweisen der Natur - Tugend, Leiden-
schaft und Unwissenheit - verunreinigt und handelt dementspre-
218 Im Angesicht des Todes

chend. Die Merkmale eines Menschen, der sich hauptsāchlich unter


dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit befindet, sind
Faulheit, übermäßiger Schlaf und Unsauberkeit. Das Hauptmerk-
mal eines Menschen, der unter dem Einfluß der Erscheinungsweise
der Leidenschaft steht, ist ein starkes Verlangen, die materielle Na-
tur und andere Lebewesen für seine eigene Sinnenbefriedigung aus-
zubeuten. Und ein Mensch in der Erscheinungsweise der Tugend
zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er die Dinge kennt, wie sie
sind. Einem solchen Menschen zeigt sich alles in der richtigen Per-
spektive.
Die Yamadutas fragten: „Die Menschen, die von den Erschei-
nungsweisen der Natur beeinflußt werden, unterstehen vielen Herr-
schern. Wer aber ist der höchste Herrscher, und wie werden seine
Anordnungen ausgeführt? Soweit wir wissen, bist du der Gebieter
aller."
Im Staat gibt es Gerichte, die für verschiedene Bereiche zuständig
sind, doch das Gesetz muß einheitlich und für jeden Bürger ver-
bindlich sein. Die Yamadutas konnten sich nicht vorstellen, daß
zwei Richter in ein und demselben Fall zwei verschiedene Urteile
fāllen, und wollten deshalb wissen, wer der oberste Richter sei. Die
Yamadutas waren sich sicher, daß Ajāmila ein großer Sünder war.
Doch obwohl Yamarāja ihn bestrafen wollte, verziehen ihm die Vis-
nudütas. Dies war eine verwirrende Situation, und die Yamadutas
wünschten, daß Yamarāja sie kläre. Die Yamadutas hatten geglaubt,
daß Yamarāja als einziger für die Rechtsprechung verantwortlich
sei. Sie waren völlig überzeugt gewesen, daß sich niemand seinen
Urteilen widersetzen könne, aber nun hatten zu ihrer großen über-
raschung die vier wunderbaren Persönlichkeiten aus Siddhaloka
seinem Befehl zuwidergehandelt. Laut Srila Visvanātha Cakravarti
Thākura haben die Yamadutas etwa folgendes zu Yamarāja gesagt:
„Wir glauben, daß deine uneingeschränkte Herrschaftsgewalt ge-
brochen ist, da vier wundervolle Persönlichkeiten uns an der Er-
füllung unserer Pflicht hinderten, die du uns übertragen hattest."
Wie Srila Visvanātha Cakravarti Thākura ebenfalls bemerkt, woll-
ten die Yamadutas vielleicht sogar die Visnudütas vor Yamarāja
bringen. Hātte Yamarāja dann vermocht, die Visnudütas zu bestra-
fen, wären die Yamadutas zufrieden gewesen. Andernfalls woll-
Yamarajas Unterweisungen 219

ten sie Selbstmord begehen. Bevor sie aber weitere Schritte unter-
nahmen, wünschten sie, vom allwissenden Yamarāja etwas über die
Visnudütas zu erfahren.

Demütiges Fragen
„Wir möchten von dir erfahren", sagten die Yamadūtas, „was es tat-
sächlich mit diesem Vorfall auf sich hat. Wenn du denkst, wir könn-
ten es verstehen, dann klāre uns bitte auf!" Auf diese Art und Weise
sollte man demütig, nicht herausfordernd, an Höhergestellte Fragen
richten. Wie wir sehen, stellen Mahārāja Pariksit, Arjuna und je-
der andere, der dem Vorgang der spirituellen Erleuchtung folgt, im-
mer in demütiger Ergebenheit und in einer dienenden Haltung Fra-
gen. Nur weil wir unseren Meister fragen, heißt das allerdings noch
nicht, daß er verpflichtet ist, uns zu antworten. Zuweilen mag er uns
keine Antwort geben, weil wir nicht fähig sind, sie zu verstehen. Wir
können keine Forderungen stellen. Fragen, Ergebenheit und Dienst
sind der Weg zu Wissen. Immer wenn Mahārāja Pariksit Sukadeva
Gosvāmi fragte, sagte er sehr demütig: „Bitte beantworte diese Fra-
ge, wenn du glaubst, ich könne Deine Ausführungen verstehen."
Bevor Yamarāja den Yamadūtas antwortete, erinnerte er sich zu-
nächst an die Lotosfüße der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Krsna.
So wie der Diener seinen Herrn in ergebener Haltung fragt, ist auch
der Herr nicht stolz und prahlt: „Ja, ich kann deine Frage beant-
worten!" Vielmehr entsinnt er sich der Lotosfüße des Herrn und
betet: „Was immer Du mich sagen lāßt, werde ich zur Antwort ge-
ben." Solange der Lehrer nicht hochmütig ist und der Schüler nicht
ungehorsam, überheblich oder unverschämt, ist es ihnen möglich,
spirituelle Fragen und Antworten auszutauschen. Man sollte nicht
in einer herausfordernden Haltung Fragen stellen, und der Befragte
sollte an die Lotosfüße des Herrn denken, damit er die richtige Ant-
wort geben kann.
Yamarāja war mit seinen Dienern sehr zufrieden, weil sie in sei-
nem Reich den heiligen Namen Nārāyanas gechantet hatten. Yama-
rāja hat nur mit sündigen Menschen zu tun, die schwerlich Nārāya-
na verstehen können. Als seine Beauftragten den Namen Nārāyanas
aussprachen, war er höchst erfreut, denn auch er ist ein Vaisnava.
20. KAPITEL

Wer ist
der Höchste Herr?
Yamarāja sprach: „Meine lieben Diener, ihr hieltet mich für den
Höchsten, doch in Wirklichkeit bin ich es nicht. über mir und über
allen anderen Halbgöttern, einschließlich Indra und Candra, steht
der eine höchste Meister und Herrscher. Die Teilmanifestationen
Seiner Persönlichkeit sind Brahma, Visnu und Siva, die für die
Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung des Universums zuständig
sind. Er ist wie die zwei Fäden, welche die Lānge und Breite eines
gewobenen Tuches bilden.
So wie der Führer eines Ochsenkarrens Stricke durch die Nü-
stern seiner Ochsen zieht, um sie zu lenken, bindet die Höchste
Persönlichkeit Gottes alle Menschen mit den Stricken Seiner Worte
in den Veden, welche die Namen und Tätigkeiten der unterschied-
lichen Stände der menschlichen Gesellschaft [brāhmana, ksatriya,
vaisya und sūdra] festsetzen. Aus Furcht verehren die Angehörigen
dieser Stānde den Höchsten Herrn, indem sie Ihm ihrer jeweiligen
Beschäftigung gemäß Geschenke darbringen.
Ich, Yamarāja; Indra, der König des Himmels; Nirrti; Varuna, der
Gott des Wassers; Candra, der Mondgott; Agni, der Feuergott; Siva;
Pavana, der Gott der Luft; Brahma; Sürya, der Sonnengott; Visvāsu;
die acht Vasus; die Sādhyas; die Maruts; die Rudras; die Siddhas;
Marici und die anderen großen rsis, die die verschiedenen Berei-
che des Universums verwalten, sowie die besten Halbgötter, ange-
führt von Brhaspati, und die großen Weisen, angeführt von Bhrgu,
sind alle zweifellos befreit vom Einfluß der zwei niederen Erschei-
nungsweisen der materiellen Natur, Leidenschaft und Unwissen-
heit. Doch obwohl wir uns in der Erscheinungsweise der Tugend

220
Yamarajas Unterweisungen 221

befinden, können nicht einmal wir die Tätigkeiten der Höchsten


Persönlichkeit Gottes verstehen, ganz zu schweigen von anderen,
die sich in Illusion befinden und Gott durch bloße Spekulation
erkennen wollen.
So wie die verschiedenen Glieder des Körpers die Augen nicht
sehen, können die Lebewesen den Höchsten Herrn nicht sehen,
der als die Überseele im Herzen eines jeden weilt. Nicht mit den
Sinnen, mit dem Geist, mit der Lebensluft, mit den Gedanken im
Herzen oder mit dem Klang von Worten können die Lebewesen
die wahre Stellung des Höchsten Herrn ergründen." (Srimad-Bhā-
gavatam 6.3.12-16)

Der eine höchste Herrscher


Die Yamadūtas argwöhnten, daß es einen Herrscher gebe, der sogar
noch über Yamarāja stehe. Um ihre Zweifel zu beseitigen, erwiderte
Yamarāja auf der Stelle: „Ja, es gibt einen höchsten Herrscher, dem
alles untersteht." Yamarāja ist zuständig für einige der sich bewe-
genden Lebewesen, nämlich für die Menschen, aber die Tiere, die
sich ebenfalls bewegen, unterliegen nicht seiner Kontrolle. Nur die
Menschen sind sich bewußt, was richtig und was falsch ist, und
nur diejenigen unter ihnen, die sündhafte Handlungen begehen, ge-
raten in die Gewalt Yamarajas. Obwohl Yamarāja also ein Herrscher
ist, umfaßt sein Machtbereich nur einige wenige Lebewesen. Es gibt
andere Halbgötter, welche die vielen anderen Bereiche beherrschen,
doch über ihnen allen steht ein höchster Herrscher, Krsna. Isvarah
paramah krsnah. „Der höchste Herrscher ist Krsna." Andere, die ihre
eigenen Bereiche im Universum verwalten, sind unbedeutend, ver-
glichen mit Krsna, dem höchsten Herrscher. Krsna sagt in der Bha-
gavad-gitā (7.7): mattah parataram nānyat kincid asti dhananjaya. „Mein
lieber Dhananjaya [Arjuna], niemand steht über Mir." Deshalb zer-
streute Yamarāja sofort die Zweifel seiner Helfer, der Yamadūtas, in-
dem er bestätigte, daß es einen höchsten Herrscher über allen ande-
ren gibt.
In der materiellen Welt untersteht jeder den Naturgesetzen, ganz
gleich wer er ist. Ob Mensch, Halbgott, Tier oder Pflanze, jeder
ist den Naturgesetzen unterworfen. Hinter dieser naturgegebenen
222 Im Angesicht des Todes

Kontrolle aber steht die Höchste Persönlichkeit Gottes. Krsna be-


stätigt dies in der Bhagavad-gitā (9.10): mayādhyaksena prakrtih süyate
sa-carācaram. „Die materielle Natur ist unter Meiner Führung tätig
und bringt alle sich bewegenden und sich nicht bewegenden We-
sen hervor." Somit arbeitet die Maschinerie der Natur unter Krsnas
Kontrolle.

Das Ziel von varna und āsrama


Im Gegensatz zu anderen Lebewesen ist der Mensch dazu bestimmt,
durch die vedischen Anweisungen bezüglich varna und āsrama, den
gesellschaftlichen und spirituellen Klassen, geführt zu werden. An-
dernfalls kann er sich der Bestrafung durch Yamarāja nicht entzie-
hen. Von jedem Menschen wird erwartet, daß er sich auf die Stufe
der brahmanas, der intelligentesten Menschen, erhebt und diese Stufe
dann transzendiert, um ein Vaisnava zu werden. Das ist die Voll-
kommenheit des Lebens. Die brahmanas, ksatriyas, vaisyas und sūdras
können sich erheben, indem sie den Herrn durch ihre jeweiligen Tā-
tigkeiten verehren (sve sve karmany abhiratah samsiddhim labhate na-
rah). Die Unterteilung in varna und āsrama ist nötig, um für alle die
richtige Pflichterfüllung und ein friedliches Dasein sicherzustellen;
gleichzeitig aber wird jeder angewiesen, den Höchsten Herrn zu
verehren, der alldurchdringend ist (yena sarvam idam tatam). Wenn
wir den vedischen Anordnungen folgen und den Höchsten Herrn
unseren Fähigkeiten gemäß verehren, wird unser Leben vollkom-
men sein. Dies bestätigt das Srimad-Bhāgavatam (1.2.13):

atah pumbhir dvija-srestha


varnāsrama-vibhāgasah
svanusthüasya dharmasya
samsiddhir hari-tosanam

„O Bester unter den Zweimalgeborenen, die Schlußfolgerung lautet


deshalb, daß die höchste Vollkommenheit, die man erreichen kann,
indem man seine vorgeschriebenen Pflichten (dharma) gemäß den
Kasteneinteilungen und Lebensstufen erfüllt, darin besteht, die Per-
sönlichkeit Gottes zufriedenzustellen."
Yamarajas Unterweisungen 223

Das varnāsrama-Gesellschaftssystem bietet dem Menschen den


idealen Vorgang, nach Hause, zu Gott, zurückzukehren, denn es
ist das Ziel eines jeden varna und āsrama, den Herrn zu erfreuen.
Wir können den Herrn unter der Führung eines echten spirituellen
Meisters erfreuen, und dadurch wird unser Leben vollkommen. Der
Höchste Herr ist verehrungswürdig, und jeder verehrt Ihn direkt
oder indirekt. Wer Ihn unmittelbar verehrt, erhālt die Ergebnisse der
Befreiung schnell, wohingegen sich die Befreiung eines Menschen,
der Ihm indirekt dient, verzögert.
Die Worte nāmabhir vāci in Vers 13 (nāmabhih - durch verschie-
dene Namen; vāci - der vedischen Sprache) sind sehr wichtig. Im
varnasrama-Gesellschaftssystem gibt es verschiedene Namen: brāh-
mana, ksatriya, vaisya, sūdra, brahmacāri, grhastha, vānaprastha und
sannyāsi. Die vāk, die vedischen Anweisungen, geben allen Gesell-
schaftsgruppen Richtlinien vor. Von jedem Menschen wird erwartet,
daß er dem Höchsten Herrn seine Ehrerbietungen erweist und daß
er seine Pflichten erfüllt, wie es in den Veden vorgeschrieben ist.

Der Einfluß der drei Erscheinungsweisen

Die Menschen wie auch die anderen Lebewesen innerhalb der kos-
mischen Manifestation werden von den drei Erscheinungsweisen
der materiellen Natur beherrscht. Für die Lebewesen, die von den
niederen Erscheinungsweisen der Natur - Leidenschaft und Unwis-
senheit - gelenkt werden, besteht keine Möglichkeit, Gott zu erken-
nen. Selbst diejenigen, die sich in der Erscheinungsweise der Tugend
befinden, wie die vielen in den obigen Versen beschriebenen Halb-
götter und großen Weisen, sind nicht imstande, die Tätigkeiten der
Höchsten Persönlichkeit Gottes zu verstehen. Wie es in der Bhaga-
vad-gitā heißt, kann nur jemand, der sich völlig im hingebungsvollen
Dienst beschäftigt und daher zu allen materiellen Erscheinungswei-
sen transzendental ist, den Herrn verstehen (bhaktyā mām abhijānāti).
Gewöhnliche Philosophen sind niemals fähig, den Herrn zu ver-
stehen. Der große Gottgeweihte Bhismadeva bestätigt dies in der
folgenden Erklärung gegenüber Mahārāja Yudhisthira (Srimad-Bhā-
gavatam 1.9.16):
224 Im Angesicht des Todes

na hy asya karhicid rājan


pumān veda vidhitsitam
yad-vijijnāsayā yuktā
muhyanti kavayo 'pi hi

„O König, niemand kann den Plan des Herrn, Sri Krsnas, kennen.
Obgleich große Philosophen ausgiebig danach forschen, sind sie
verwirrt." Niemand kann deshalb Gott durch spekulatives Wissen
verstehen. Durch Spekulation wird man tatsāchlich nur verwirrt.

Die Führung der Überseele


Obwohl die verschiedenen Köperteile nicht die Fähigkeit besitzen,
die Augen zu sehen, lenken die Augen die Bewegungen der ver-
schiedenen Körperteile. Die Beine bewegen sich vorwärts, weil die
Augen sehen, was sich vor ihnen befindet, und die Hand berührt,
weil die Augen berührbare Dinge wahrnehmen. Ebenso handelt je-
des Lebewesen nach der Anleitung der Überseele, die im Herzen
weilt. Der Herr selbst versichert dies in der Bhagavad-gitā (15.15):
sarvasya cāham hrdi sannivisto mattah smrtir jnānam apohanam ca. „Ich
weile im Herzen eines jeden, und von Mir kommen Erinnerung,
Wissen und Vergessen." An einer anderen Stelle in der Bhagavad-gitā
(18.61) heißt es: isvarah sarva-bhūtānām hrd-dese 'rjuna tisthati. „Der
Höchste Herr befindet Sich im Herzen als die Überseele." Ohne die
Einwilligung der Überseele vermag das Lebewesen nichts zu tun.
Die Überseele ist in jedem Augenblick tätig, doch das Lebewesen
kann die Form und die Handlungen der Überseele nicht mit Hilfe
seiner Sinne erkennen. Das Beispiel von den Augen und den Kör-
perteilen ist sehr treffend: Wenn die Beine sehen könnten, wāren sie
imstande, sich ohne die Hilfe der Augen vorwärtszubewegen; das
aber ist nicht möglich. Mit anderen Worten, auch wenn man die
Überseele im Herzen nicht mit den Sinnen wahrzunehmen vermag,
ist Ihre Führung dennoch notwendig.
21. Kapitel

Vertrauliches Wissen
Yamarāja fuhr fort: „Der Höchste Herr ist Sich selbst genügend und
völlig unabhängig. Er ist der Meister eines jeden und aller Dinge,
einschließlich der illusionierenden Energie. Er hat Gestalt, Eigen-
schaften und Merkmale, und ebenso besitzen Seine Beauftragten,
die wunderschönen Visnudütas oder Vaisnavas, Körpermerkmale
und transzendentale Eigenschaften, die fast den Seinen gleichen.
Sie bewegen sich in dieser Welt stets in völliger Unabhängigkeit.
Die Visnudütas werden sogar von den Halbgöttern verehrt und
sind nur sehr selten zu sehen. Sie beschützen die Geweihten des
Herrn vor Feinden, vor neidischen Menschen, ja sogar vor meiner
Gerichtsbarkeit und vor den Naturgewalten.
Es ist die Höchste Persönlichkeit Gottes, die das Prinzip wahrer
Religion erlāßt. Obgleich die großen rsis, die die höchsten Planeten
bewohnen, vollständig in der Erscheinungsweise der Tugend ver-
ankert sind, können selbst sie dieses Prinzip nicht festlegen; eben-
sowenig können es die Halbgötter oder die Führer von Siddhaloka,
ganz zu schweigen von den asuras, den gewöhnlichen Menschen,
den Vidyādharas und den Cāranas.
Brahma, Bhagavān Nārada, Siva, die vier Kumāras, Kapila [der
Sohn Devahütis], Svāyambhuva Manu, Prahlāda Mahārāja, Janaka
Mahārāja, Großvater Bhisma, Bali Mahārāja, Sukadeva Gosvāmi
und ich selbst kennen das Prinzip wahrer Religion. Meine lieben
Diener, dieses transzendentale Prinzip der Religion - bhāgavata-
dharma, Hingabe und Liebe zum Höchsten Herrn -, ist nicht von
den Erscheinungsweisen der materiellen Natur verunreinigt. Es ist
sehr vertraulich und für gewöhnliche Menschen schwer zu verste-
hen, doch wenn man das Glück hat, es zu verstehen, wird man so-
fort befreit und kehrt nach Hause, zu Gott, zurück.

225
226 Im Angesicht des Todes

Hingebungsvoller Dienst, der mit dem Chanten des heiligen Na-


mens des Herrn beginnt, ist das höchste Prinzip der Religion für
die menschliche Gesellschaft.
Meine lieben Diener, die ihr wie meine Söhne seid, seht nur,
wie glorreich das Chanten des heiligen Namens des Herrn ist! Der
höchst sündhafte Ajāmila chantete nur, um seinen Sohn zu rufen,
und war sich nicht bewußt, daß er den heiligen Namen des Herrn
chantete. Trotzdem erinnerte er sich durch das Chanten des hei-
ligen Namens an Nārāyana und wurde daher augenblicklich von
den Stricken des Todes befreit.
Folglich wird man mit Leichtigkeit von allen sündhaften Reak-
tionen befreit, wenn man den heiligen Namen chantet und die Ei-
genschaften und Taten des Herrn preist. Dies ist der einzige emp-
fohlene Vorgang, um sich sündhafter Reaktionen zu entledigen.
Selbst wenn man den heiligen Namen des Herrn nicht richtig aus-
spricht, wird man aus der materiellen Gefangenschaft erlöst, wenn
man ohne Vergehen chantet. Ajāmila zum Beispiel war ein großer
Sünder; aber wāhrend er im Sterben lag, chantete er den heiligen
Namen, und obgleich er seinen Sohn rief, erlangte er völlige Be-
freiung, weil er sich an den Namen Nārāyanas erinnerte.
Yājnavalkya, Jaimini und andere Verfasser religiöser Schriften
können das vertrauliche Religionssystem der zwölf mahājanas
nicht verstehen, weil sie durch die illusionierende Energie der
Höchsten Persönlichkeit Gottes verwirrt sind. Der transzenden-
tale Wert des hingebungsvollen Dienstes und des Chantens des
Hare-Krsna-mantra entzieht sich ihrer Erkenntnis. Weil sie sich zu
den rituellen Zeremonien hingezogen fühlen, die in den Veden -
besonders im Yajur Veda, Sāma Veda und Rg Veda - beschrieben
werden, ist ihre Intelligenz abgestumpft. Deshalb sind sie damit
beschäftigt, Zubehör für rituelle Zeremonien zusammenzutragen,
die jedoch nur vergängliche Segnungen hervorbringen, wie die Er-
hebung nach Svargaloka um materieller Freuden willen. Sie füh-
len sich nicht zur sankirtana-Bewegung hingezogen; statt dessen
sind sie an Religiosität, wirtschaftlicher Entwicklung, Sinnenbe-
friedigung und Befreiung interessiert.
In Anbetracht all dieser Gesichtspunkte entschließen sich intel-
ligente Menschen, alle Probleme dadurch zu lösen, daß sie sich
Yamarajas Unterweisungen 227

dem hingebungsvollen Dienst des Chantens der heiligen Namen


des Herrn widmen, der im Herzen eines jeden weilt und die Quelle
aller glückverheißenden Eigenschaften ist. Solche Menschen un-
terstehen nicht meiner Strafgewalt. Im allgemeinen begehen sie
niemals sündhafte Handlungen, doch selbst wenn sie durch einen
Fehler oder aufgrund von Verwirrung oder Illusion manchmal ei-
ne Sünde begehen, werden sie vor den sündhaften Reaktionen be-
schützt, da sie stets den Hare-Krsna-mantra chanten.
Meine lieben Diener, bitte nähert euch nicht solchen Gottge-
weihten, denn sie haben sich den Lotosfüßen der Höchsten Persön-
lichkeit Gottes völlig ergeben. Sie sind jedem gleich wohlgesinnt,
und die Halbgötter und die Bewohner Siddhalokas besingen sie
in ihren Erzählungen. Bitte begebt euch nicht einmal in ihre Nāhe!
Sie werden immer durch die Keule der Höchsten Persönlichkeit
Gottes beschützt, und deshalb sind weder Brahma noch ich, ja
nicht einmal der Zeitfaktor imstande, sie zu bestrafen.
Paramahamsas sind erhabene Persönlichkeiten, die keinen Ge-
schmack an materiellem Genuß finden und den Honig der Lotos-
füße des Herrn trinken. Meine lieben Diener, bringt mir nur Men-
schen zur Bestrafung, die dem Geschmack dieses Honigs abgeneigt
sind, die nicht mit paramahamsas Gemeinschaft haben und die am
Familienleben und an weltlichen Genüssen hāngen, welche den
Pfad zur Hölle bilden.
Meine lieben Diener, schafft mir nur jene sündhaften Menschen
herbei, die ihre Zunge nicht dazu gebrauchen, den heiligen Na-
men und die Eigenschaften Krsnas zu preisen, deren Herz sich
nie an die Lotosfüße Krsnas erinnert und deren Kopf sich nie vor
Sri Krsna verneigt. Schickt mir diejenigen, die ihre Pflichten ge-
genüber Visnu nicht erfüllen, welche die einzigen Pflichten im
menschlichen Leben sind. Bitte bringt mir all diese Narren und
Halunken! (Srimad-Bhāgavatam 6.3.17-29)

Die Beschützer der Gottgeweihten

Yamarāja beschrieb die Höchste Persönlichkeit Gottes, den höch-


sten Herrscher, doch die Beauftragten Yamarajas waren sehr begie-
rig, etwas über die Visnudūtas zu erfahren, von denen sie bei ihrer
228 Im Angesicht des Todes

Begegnung mit Ajāmila besiegt worden waren. Yamarāja erklārte


deshalb, daß die Visnudutas der Höchsten Persönlichkeit Gottes in
ihren Körpermerkmalen, ihren transzendentalen Eigenschaften und
ihrem Wesen ähneln. Die Visnudutas oder Vaisnavas sind, mit ande-
ren Worten, fast genauso vortrefflich wie der Höchste Herr. Yama-
rāja enthüllte den Yamadūtas, daß die Visnudutas nicht weniger
mächtig sind als Sri Visnu. Da Visnu über Yamarāja steht, stehen die
Visnudutas über den Yamadūtas. Wer von den Visnudutas beschützt
wird, kann folglich nicht von den Yamadūtas angetastet werden.
Yamarāja beschrieb die Vorzüge der Visnudutas, weil er seine
Diener dazu bewegen wollte, keine Mißgunst gegen sie zu hegen.
Yamarāja erklärte, daß die Visnudutas mit großer Ehrfurcht von den
Halbgöttern verehrt werden und daß sie stets darauf bedacht sind,
die Geweihten des Herrn vor Feindeshänden, Naturgewalten und
allen Gefahren der materiellen Welt zu bewahren. Manchmal fürch-
ten sich die Mitglieder der Gesellschaft für Krsna-Bewußtsein vor
der Gefahr eines Weltkrieges und fragen, was mit ihnen im Falle
eines solchen Krieges geschehen würde. In jeder Gefahr sollten sie
auf den Schutz der Visnudutas oder der Höchsten Persönlichkeit
Gottes vertrauen, wie Krsna selbst in der Bhagavad-gitā (9.31) ver-
sichert: kaunteya pratijānihi na me bhaktah pranasyati. „O Sohn Kuntis,
verkünde kühn, daß Mein Geweihter niemals vergeht!"
Für Gottgeweihte besteht keine materielle Gefahr. Dies wird auch
im Srimad-Bhāgavatam (10.14.58) bestätigt: padam padam yad vipadām
na tesām. In der materiellen Welt lauern auf Schritt und Tritt Ge-
fahren, aber sie sind nicht für die Gottgeweihten bestimmt, die sich
völlig den Lotosfüßen des Herrn ergeben haben. Die reinen Geweih-
ten Sri Visnus können sich darauf verlassen, daß der Herr sie be-
schützen wird. Solange sie in der materiellen Welt leben, sollten sie
sich voll und ganz dem hingebungsvollen Dienst weihen, indem sie
die Botschaft Sri Caitanya Mahāprabhus und Sri Krsnas predigen,
nämlich das Chanten von Hare Krsna und die anderen Aspekte des
Krsna-Bewußtseins.

Unmittelbare Verbindung mit Krsna

Von den Visnudutas aufgefordert, die Prinzipien der Religion dar-


Yamarajas Unterweisungen 229

zulegen, entgegneten die Yamadūtas: veda-pranihito dharmah. „Die


vedischen Schriften legen die Prinzipien der Religion fest." Sie wuß-
ten aber nicht, daß die vedischen Schriften auch rituelle Zeremo-
nien enthalten, die nicht transzendentaler Natur sind, sondern zum
Ziel haben, Friede und Ordnung unter materialistischen Menschen
zu bewahren. Wirkliche religiöse Grundsātze sind nistraigunya, das
heißt, sie stehen über den drei Erscheinungsweisen der materiellen
Natur; sie sind transzendental. Die Yamadūtas kannten diese tran-
szendentalen Prinzipien der Religion nicht und waren daher über-
rascht, als sie daran gehindert wurden, Ajāmila gefangenzunehmen.
Materialisten, die all ihren Glauben in die vedischen Rituale set-
zen, werden in der Bhagavad-gitā (2.42) von Krsna wie folgt beschrie-
ben: veda-vāda-ratāh pārtha nānyad astiti vādinah. „Die angeblichen
Anhānger der Veden sagen, es gebe nichts, was über die vedischen
Zeremonien hinausgehe." Tatsāchlich gibt es in Indien eine Gruppe
von Menschen, die die vedischen Rituale sehr schātzt, aber ihre Be-
deutung nicht versteht. Diese Rituale sind dazu bestimmt, die Men-
schen allmählich auf die transzendentale Ebene zu erheben, auf der
man Krsna erkennt (vedais ca sarvair aham eva vedyah). Diejenigen, die
dieses Prinzip nicht kennen und nur an die vedischen Rituale glau-
ben, werden veda-vāda-ratāh genannt.
Das Prinzip wahrer Religion wird, wie Yamarāja erklärt, von der
Höchsten Persönlichkeit Gottes erlassen. Sri Krsna formuliert die-
ses Prinzip in der Bhagavad-gitā (18.66): sarva-dharmān parityajya mām
ekam saranam vraja. „Gib alle anderen Pflichten auf und ergib dich
Mir!" Das ist der Grundsatz wahrer Religion, nach dem jeder han-
deln sollte. Selbst wenn man den vedischen Schriften folgt, heißt
das noch nicht, daß man dieses transzendentale Prinzip kennt, denn
nicht jedem ist es bekannt. Selbst den Halbgöttern auf den höheren
Planetensystemen bleibt es verborgen, von den Menschen ganz zu
schweigen. Wie es in diesen Versen heißt, kann man das transzen-
dentale Prinzip der Religion nur verstehen, wenn man es direkt
vom Höchsten Herrn oder von Seinem ermächtigten Stellvertreter
empfāngt.
In der Bhagavad-gitā bezeichnet Sri Krsna bhāgavata-dharma als das
vertraulichste Prinzip der Religion (sarva-guhyatamam,guhyād guhya-
taram). „Weil du Mein inniger Freund bist", sprach Krsna zu Arjuna,
230 Im Angesicht des Todes

„erkläre Ich dir die vertraulichste Religion." Sarva-dharmān parityajya


mām ekam saranam vraja. „Gib alle anderen Pflichten auf und ergib
dich Mir!" „Wenn dieser Grundsatz so selten verstanden wird",
könnte man fragen, „wozu ist er dann nütze?" Als Antwort er-
klärt Yamarāja, daß dieser religiöse Grundsatz begreiflich wird, so-
bald man dem parampara-System Brahmas, Sivas, der vier Kumāras
und der anderen anerkannten Autoritäten folgt. Es gibt vier Schüler-
nachfolgen: Die erste geht von Brahma aus, die zweite von Siva, die
dritte von der Glücksgöttin und die vierte von den vier Kumāras.
Die Schülernachfolge Brahmas wird als Brahmā-sampradāya be-
zeichnet, die Sivas (Sambhu) als Rudra-sampradāya, die der Glücks-
göttin Laksmiji als Sri-sampradāya und die der Kumāras als Kumā-
ra-sampradāya. Man muß bei einer dieser vier sampradāyas Zuflucht
suchen, um das vertraulichste Religionssystem verstehen zu kön-
nen. Im Padma Purāna heißt es: sampradāya-vihinā ye mantras te nis-
phalā matāh. „Wenn jemand nicht den vier anerkannten Schülernach-
folgen folgt, ist sein mantra, das heißt seine Einweihung, nutzlos."
Heutzutage gibt es viele apasampradāyas, unechte sampradāyas, die
keine Verbindung mit Autoritäten wie Brahma, Siva, den Kumāras
oder Laksmi haben. Die Menschen werden von solchen sampradāyas
irregeführt. Die sāstras sagen, daß es pure Zeitverschwendung ist, in
eine solche sampradāya eingeweiht zu werden, denn dadurch wird
man niemals die wirklichen Prinzipien der Religion verstehen und
sich Krsna ergeben können.
Echte religiöse Prinzipien sind bhāgavata-dharma, Prinzipien, die
im Srimad-Bhāgavatam oder in der Bhagavad-gitā, der Vorstudie des
Bhagavatam, beschrieben werden. Was sind das für Prinzipien? Das
Bhagavatam (1.1.2) erklärt: dharmah projjhita-kaitavo 'tra. „Im Srimad-
Bhāgavatam gibt es keine falsche Religion." Mit anderen Worten, al-
les im Bhagavatam ist unmittelbar mit der Höchsten Persönlichkeit
Gottes verbunden. Weiterhin sagt das Bhagavatam (1.2.6): sa vai pum-
sārii paro dharmo yato bhaktir adhoksaje. „Die höchste Religion ist jene,
die ihre Anhänger lehrt, den Höchsten Herrn zu lieben, der Sich jen-
seits der Reichweite experimentellen Wissens befindet." Solche Re-
ligion beginnt mit tan-nāma-grahana, dem Chanten des heiligen Na-
mens des Herrn. Wenn man den heiligen Namen chantet und in
Yamarajas Unterweisungen 231

Ekstase tanzt, sieht man allmählich die transzendentale Gestalt des


Herrn, die Eigenschaften des Herrn und die Spiele des Herrn. Auf
diese Weise versteht man vollständig die Stellung der Persönlichkeit
Gottes.
Man gelangt zu dieser Erkenntnis des Herrn jedoch nur durch die
Ausübung hingebungsvollen Dienstes. Krsna erklärt in der Bhaga-
vad-gitā (18.55): bhaktyā mām abhijānāti yāvān yas cāsmi tattvatah. „Nur
durch hingebungsvollen Dienst kann man Mich so, wie Ich bin, er-
kennen." Wenn man das Glück hat, den Höchsten Herrn auf diese
Weise zu erkennen, muß man nach dem Verlassen des materiellen
Körpers nicht mehr in der materiellen Welt geboren werden (tyak-
tvā deham punar janma naiti). Statt dessen kehrt man nach Hause, zu
Gott, zurück. Das ist die höchste Vollkommenheit. Daher sagt Krsna
in der Bhagavad-gitā (8.15):

mām upetya punar janma


duhkhālayam asāsvatam
nāpnuvanti mahātmānah
samsiddhim paramām gatāh

„Nachdem die großen Seelen, die hingegebenen yogis, Mich erreicht


haben, kehren sie nie wieder in diese vergängliche Welt zurück, die
voller Leiden ist, denn sie haben die höchste Vollkommenheit er-
reicht."

Die Bedeutsamkeit des heiligen Namens

Man braucht keine Nachforschungen über die Bedeutsamkeit des


Chantens des Hare-Krsna-mantra anzustellen; die Geschichte von
Ajāmila ist Beweis genug für die Macht des heiligen Namens des
Herrn und die erhabene Stellung eines Menschen, der den heiligen
Namen unablässig chantet. Deshalb sagte Sri Caitanya Mahāprabhu:

harer nāma harer nāma


harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva
nāsty eva gatir anyathā
232 Im Angesicht des Todes

„Im gegenwärtigen Zeitalter des Streites und der Heuchelei kann


man sich einzig und allein durch das Chanten der heiligen Namen
des Herrn befreien. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt keinen an-
deren Weg. Es gibt keinen anderen Weg." (Brhan-nāradiya Purāna
3.8.126)
Im Zeitalter des Kali kann fast niemand all die schwierigen Zere-
monien vollziehen, die notwendig sind, um Befreiung zu erlangen.
Aus diesem Grund empfehlen alle sāstras und alle ācāryas, im ge-
genwärtigen Zeitalter einfach den heiligen Namen zu chanten. Dies
wird uns zur höchsten Vollkommenheit führen.
In der Zusammenkunft bei Raghunātha dāsa Gosvāmis Vater be-
stätigte Haridasa Thākura, daß man einfach durch das Chanten des
heiligen Namens des Herrn erlöst wird, selbst wenn man nicht ganz
ohne Vergehen chantet. Smārta-brāhmanas und Māyāvādis glauben
nicht, daß man auf diese Weise Befreiung erreichen kann, doch die
Richtigkeit von Haridasa Thākuras Worten wird durch viele Text-
stellen in den vedischen Schriften belegt.
Im vorliegenden Abschnitt des Srimad-Bhāgavatam sagt Yamarāja
zum Beispiel: „Man wird mit Leichtigkeit von allen sündhaften Re-
aktionen befreit, wenn man den heiligen Namen chantet und die Ei-
genschaften und Taten des Herrn lobpreist. Dies ist der einzige emp-
fohlene Vorgang, um sich sündhafter Reaktionen zu entledigen."
Sridhara Svāmi führt in seinem Kommentar zu diesem Vers fol-
gendes Zitat an: sāyam prātar grnan bhaktyā duhkha-grāmād vimucyate.
„Wenn man morgens und abends unentwegt und voller Hingabe
den heiligen Namen des Herrn chantet, wird man von allen mate-
riellen Leiden frei." Ein anderes Zitat bestätigt, daß man Befreiung
erlangen kann, wenn man ständig, jeden Tag, mit großer Ehrfurcht
den heiligen Namen des Herrn hört: anudinam idam ādarena srnvan.
Ein weiteres Zitat lautet:

sravanam kirtanam dhyānam


harer adbhuta-karmanah
janma-karma-gunānām ca
tad-arthe 'khila-cestitam

„Man sollte immer über die wunderbaren Taten des Herrn chanten
Yamarājas Unterweisungen 233

und hören, man sollte über diese Taten meditieren und sich bemü-
hen, den Herrn zu erfreuen." (Srimad-Bhāgavatam 11.3.27)
Sridhara Svāmi zitiert auch aus den Purānas: pāpa-ksayas ca bhavati
smaratām tam ahar-nisam. „Man kann von allen sündhaften Reaktio-
nen befreit werden, wenn man sich einfach Tag und Nacht an die
Lotosfüße des Herrn erinnert." Schließlich zitiert er aus dem vorlie-
genden Kapitel des Srimad-Bhāgavatam (6.3.31):

tasmāt sankirtanam visnor


jagan-mangalam amhasām
mahatām api kauravya
viddhy aikāntika-niskrtam

„Das Chanten des heiligen Namens des Herrn vermag sogar die
Folgen der größten Sünden aufzuheben. Daher ist das Chanten der
sankirtana-Bewegung die glückverheißendste Tätigkeit im gesamten
Universum."
All diese Zitate beweisen, daß jemand, der ständig über den hei-
ligen Namen des Herrn, Seinen Ruhm, Seine Gestalt und Seine Ta-
ten chantet und hört, befreit ist. In Vers 24 wird dies wunderbar er-
läutert: etāvatālam agha-nirharanāya pumsām. „Einfach dadurch, daß
man den Namen des Herrn ausspricht, wird man von allen sünd-
haften Reaktionen befreit."
Das Wort alam in diesem Vers weist darauf hin, daß das bloße
Aussprechen des heiligen Namens genügt; es ist kein anderer Vor-
gang vonnöten. Selbst wenn jemand unvollkommen chantet, wird
er von allen sündhaften Reaktionen befreit.
Die Befreiung Ajāmilas beweist die Macht des Chantens des hei-
ligen Namens. Als Ajāmila den heiligen Namen Nārāyanas chan-
tete, dachte er eigentlich nicht an den Höchsten Herrn, sondern an
seinen eigenen Sohn. Zudem war Ajāmila zur Zeit des Todes ge-
wiß nicht sehr geläutert; im Gegenteil, er war weit und breit als
ein großer Sünder bekannt. Darüber hinaus geraten zur Zeit des To-
des die Körperfunktionen völlig durcheinander, und in einer solch
unangenehmen Lage wäre es für Ajāmila bestimmt sehr schwierig
gewesen, deutlich zu chanten. Trotz alledem erlangte Ajāmila Be-
freiung, indem er einfach den heiligen Namen des Herrn chantete.
234 Im Angesicht des Todes

Was wird also erst der Lohn derer sein, die nicht so sündhaft sind
wie Ajāmila? Die Schlußfolgerung lautet, daß man mit einem uner-
schütterlichen Gelübde den heiligen Namen des Herrn chanten soll-
te: Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma,
Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Denn so wird man durch
Krsnas Gnade mit Sicherheit aus den Fāngen māyās gerettet.
Das Chanten des Hare-Krsna-mantra wird selbst Frevlern emp-
fohlen, denn wenn sie weiterhin chanten, werden ihre Vergehen
allmählich weniger werden. Und wenn man den Hare-Krsna-man-
tra rein chantet, vergrößert man seine Liebe zu Krsna. Sri Caitanya
Mahāprabhu erklärt: premā pum-artho mahān. „Unser Hauptanliegen
sollte es sein, unsere Zuneigung zur Höchsten Persönlichkeit Gottes
zu vergrößern und Liebe zu Gott zu entwickeln."
Da man durch das Chanten des heiligen Namens des Herrn leicht
das höchste Ziel erreichen kann, stellt sich vielleicht die Frage, war-
um es in den Veden so viele rituelle Zeremonien gibt und warum
sich die Leute zu ihnen hingezogen fühlen. Im vorliegenden Ab-
schnitt des Srimad-Bhāgavatam beantwortet Yamarāja diese Frage.
Leider lassen sich unintelligente Menschen durch die Pracht vedi-
scher yajnas verblenden und sind daher begierig, solchen luxuriösen
Opfern beizuwohnen. Sie möchten, daß vedische mantras gechantet
und gewaltige Geldsummen ausgegeben werden. Manchmal müs-
sen wir rituelle Zeremonien im vedischen Stil vollziehen, um solch
unintelligente Leute zufriedenzustellen. Als wir 1975 in Vrndāvana
einen großen Krsna-Balarāma-Tempel eröffneten, waren wir ver-
pflichtet, brahmanas vedische Zeremonien vollziehen zu lassen, weil
die Einwohner von Vrndāvana, besonders die smārta-brāhmanas, Eu-
ropäer und Amerikaner nicht als echte brahmanas akzeptiert hātten.
Aus diesem Grund mußten wir brahmanas beauftragen, kostspielige
yajnas durchzuführen. Parallel zu den yajnas hielten die Mitglieder
unserer Gesellschaft lauten sahkirtana mit mrdangas ab, wobei ich
den sahkirtana für wichtiger erachtete als die vedischen Zeremo-
nien. Die Zeremonien und der sahkirtana-yajha fanden gleichzeitig
statt. Die Zeremonien waren für Menschen bestimmt, die an vedi-
schen Ritualen interessiert sind, welche der Erhebung zu den himm-
lischen Planeten dienen (jadi-krta-matir madhu-puspitāyām), wohin-
gegen der sahkirtana für reine Gottgeweihte bestimmt war, die sich
Yamarajas Unterweisungen 235

wünschen, die Höchste Persönlichkeit Gottes zu erfreuen. Wir hāt-


ten gerne nur sankirtana abgehalten, doch dann hātten die Bewoh-
ner Vrndāvanas die Einweihungszeremonie nicht ernst genommen.
Wie hier erklärt wird, sind vedische Zeremonien und Opfer zur
Erhebung auf höhere Planeten für Menschen gedacht, deren Intel-
ligenz durch die blumigen Worte der Veden getrübt ist.
Besonders im gegenwärtigen Zeitalter ist sankirtana allein schon
ausreichend. Wenn die Mitglieder unserer Tempelgemeinschaften in
den verschiedenen Teilen der Welt einfach fortfahren, sankirtana vor
der Bildgestalt Gottes, besonders vor Sri Caitanya Mahāprabhu, ab-
zuhalten, werden sie Vollkommenheit erreichen. Es sind keine an-
deren Zeremonien nötig. Trotzdem sind die Verehrung der Bildge-
stalten und andere regulierende Prinzipien für die Reinhaltung der
Gewohnheiten und der Gedanken unentbehrlich. Obgleich sankir-
tana zur Vervollkommnung des Lebens genügt, muß, wie Srila Jiva
Gosvāmi sagt, die Verehrung der Bildgestalt im Tempel fortgesetzt
werden, damit die Gottgeweihten sauber und rein bleiben. Srila
Bhaktisiddhānta Sarasvati Thākura empfahl deshalb, die Verehrung
der Bildgestalt und sankirtana parallel zueinander auszuführen. Die-
sem Grundsatz folgen wir strikt, und wir sollten an ihm festhalten.

Wer wird von Yamarāja bestraft?


In diesem Zusammenhang zitiert Srila Visvanātha Cakravarti Thā-
kura den folgenden Vers aus den Gebeten Brahmas (Srimad-Bhāga-
vatam 10.14.29):

athāpi te deva padāmbuja-dvaya-


prasāda-lesānugrhita eva hi
jānāti tattvam bhagavan-mahimno
na cānya eko 'pi ciram vicinvan

Dieser Vers besagt, daß selbst jemand, der ein großer Gelehrter der
vedischen sāstras ist, sich noch lange nicht der Existenz des Höch-
sten Herrn, Seines Namens, Seines Ruhmes und Seiner Eigenschaf-
ten bewußt sein muß, wohingegen ein anderer, der kein großer
Gelehrter ist, die Stellung der Höchsten Persönlichkeit Gottes ver-
stehen kann, wenn er durch hingebungsvollen Dienst auf die eine
236 Im Angesicht des Todes

oder andere Weise ein reiner Geweihter des Herrn wird. Deshalb
sagt Yamarāja in Vers 26: evam vimrsya sudhiyo bhagavati. Wer sich
im liebevollen Dienst des Herrn betätigt, wird sudhiyah, intelligent -
im Gegensatz zu einem Gelehrten der Veden, der Krsnas Namen,
Ruhm und Eigenschaften nicht versteht. Ein reiner Gottgeweihter
besitzt eine klare Intelligenz; er ist wahrhaft weise und besonnen,
da er sich dem Dienst des Herrn widmet - nicht zur Schau, sondern
aus Liebe, mit seinen Gedanken, seinen Worten und seinem Körper.
Nichtgottgeweihte mögen ihre Religiosität zur Schau stellen, aber
das ist nicht sehr wirkungsvoll; denn wāhrend sie frömmlerisch den
Tempel oder die Kirche besuchen, denken sie eigentlich an etwas
anderes. Solche Menschen vernachlässigen ihre religiöse Pflicht und
werden von Yamarāja bestraft. Doch einem Gottgeweihten, der auf-
grund seiner früheren Angewohnheiten gegen seinen Willen oder
aus Versehen sündhafte Handlungen begeht, wird verziehen. Das
ist der Wert der sankirtana-Bewegung.
In der Tat, Yamarāja warnte seine Diener: „Meine lieben Diener,
von nun an müßt ihr es unterlassen, Gottgeweihte zu belästigen. Die
Gottgeweihten, die sich den Lotosfüßen des Herrn ergeben haben
und unentwegt Seinen heiligen Namen chanten, werden von den
Halbgöttern und den Bewohnern Siddhalokas gepriesen. Sie sind
so verehrenswert und erhaben, daß Sri Visnu sie persönlich mit der
Keule in der Hand beschützt. Wenn ihr euch ihnen nähert, wird Er
euch mit dieser Keule töten. Selbst wenn Brahma oder ich sie be-
strafen wollten, würde Sri Visnu uns bestrafen, von euch ganz zu
schweigen. Laßt deshalb fortan die Gottgeweihten in Ruhe!"
Nach dieser Warnung erklärte Yamarāja, wer ihm vorgeführt wer-
den solle. Besonders trāgt er den Yamadūtas auf, ihm materialisti-
sche Menschen zu bringen, die nur um des Geschlechtslebens wil-
len am Familienleben hāngen. Wie es im Srimad-Bhāgavatam (7.9.45)
heißt: yan maithunādi-grhamedhi-sukhath hi tuccham. „Die Menschen
hāngen am Familienleben nur wegen sexueller Freuden, die sehr
unbedeutend sind." Bei ihren materiellen Bemühungen, Geld für
den Unterhalt der Familie zu verdienen, werden sie auf vielerlei
Art und Weise geplagt, und ihre einzige Freude besteht darin, daß
sie nach einem harten und langen Arbeitstag nachts zu Bett gehen
Yamarajas Unterweisungen 237

und ihre sexuellen Gelüste befriedigen. Vor allem riet Yamarāja sei-
nen Dienern, ihm diese Menschen zur Bestrafung zu bringen - und
nicht die Gottgeweihten, die stets den Honig von den Lotosfüßen
des Herrn kosten, allen wohlgesinnt sind und aus Mitleid mit al-
len Lebewesen versuchen, Krsna-Bewußtsein zu predigen. Gottge-
weihte dürfen von Yamarāja nicht bestraft werden. Menschen je-
doch, die nichts vom Krsna-Bewußtsein wissen, finden in ihrem
materialistischen Leben mit seinen sogenannten Familienfreuden
keinen Schutz. Im Srimad-Bhāgavatam (2.1.4.) heißt es:

dehāpatya-kalatrādisv
ātma-sainyesv asatsv api
tesām pramatto nidhanam
pasyann api na pasyati

Materialistische Menschen glauben selbstgefällig, daß ihr Staat, ihre


Gemeinde oder ihre Familie sie beschützen könnte, ohne sich be-
wußt zu sein, daß all diese fehlbaren Soldaten im Laufe der Zeit ver-
nichtet werden.
Man sollte also versuchen, mit Menschen Gemeinschaft zu ha-
ben, die sich vierundzwanzig Stunden am Tag im hingebungsvollen
Dienst betätigen. Dann kann man den Sinn des Lebens erkennen,
der darin besteht, Sri Visnu zu erfreuen. Auch der varnāsrama-
dharma hat dieses Ziel. Im Visnu Purāna (3.8.9) heißt es:

varnāsramācāravatā
purusena parah pumān
visnur ārādhyate panthā
nānyat tat-tosa-kāranam

Die menschliche Gesellschaft ist dazu bestimmt, strikt dem varnās-


rama-dharma zu folgen, das die Gesellschaft in vier soziale Grup-
pen (brāhmana, ksatriya, vaisya und sūdrā) und vier spirituelle Grup-
pen (brahmacarya, grhastha, vānaprastha und sannyāsā) einteilt. Der
Varnāsrama-dharma macht es den Menschen einfach, sich Sri Visnu
zu nähern, der das einzige wahre Ziel der menschlichen Gesellschaft
ist. Na te viduh svārtha-gatim hi visnum: Unglücklicherweise wissen
238 Im Angesicht des Todes

die Menschen jedoch nicht, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt,


sich Sri Visnu zu nāhern und nach Hause, zu Gott, zurückzukehren.
Durāsayā ye bahir-artha-māninah: Statt dessen sind sie von Krsnas āu-
ßerer, illusionierender Energie verwirrt. Von jedem Menschen wird
erwartet, daß er Pflichten erfüllt, die ihn Sri Visnu näherbringen. Da-
her rāt Yamarāja den Yamadūtas, ihm nur diejenigen herbeizuschaf-
fen, die ihre Pflichten gegenüber Visnu vergessen haben. Wer nicht
den heiligen Namen Visnus oder Krsnas chantet, sich nicht vor der
Bildgestalt des Herrn verneigt und sich nicht an Seine Lotosfüße er-
innert, kann von Yamarāja bestraft werden. Alle avaisnavas - Men-
schen —, die sich nicht um Sri Visnu kümmern - unterliegen der
Bestrafung durch Yamarāja.
22. Kapitel

Die Herrlichkeit des


heiligen Namens
[Darauf sprach Yamarāja, der sich selbst und seine Diener als
Frevler ansah, folgende Worte, um den Herrn um Verzeihung zu
bitten:] „O mein Herr, meine Diener haben sich gewiß eines gro-
ßen Vergehens schuldig gemacht, da sie einen Vaisnava wie Ajā-
mila gefangennahmen. O Nārāyana, o höchste und älteste Persön-
lichkeit, bitte vergib uns! In unserer Unwissenheit vermochten wir
nicht, Ajāmila als einen Deiner Diener zu erkennen, und haben
somit sicherlich ein schweres Vergehen begangen. Mit gefalteten
Händen bitten wir Dich deshalb um Vergebung. Mein Herr, da
Du höchst barmherzig und stets voller guter Eigenschaften bist,
vergib uns bitte! Wir erweisen Dir unsere achtungsvollen Ehr-
erbietungen."
Sukadeva Gosvāmi fuhr fort: Mein lieber König, das Chanten
des heiligen Namens des Herrn vermag selbst die Reaktionen
der größten Sünden zu entwurzeln. Daher ist das Chanten der
sahkirtana-Bewegung die glückverheißendste Tätigkeit im gesam-
ten Universum. Versuche dies bitte zu verstehen, so daß andere es
ernst nehmen!
Wer ständig den heiligen Namen des Herrn hört und chantet und
über Seine Taten hört und sie lobpreist, kann sehr leicht die Ebene
reinen hingebungsvollen Dienstes erreichen und so das Herz von
aller Verunreinigung befreien. Es ist nicht möglich, diese Stufe der
Läuterung zu erreichen, wenn man lediglich Gelübde einhält und
vedische Ritualhandlungen vollzieht.
Gottgeweihte, die sich stets am Honig der Lotosfüße Sri Krsnas
laben, haben nicht das geringste Interesse an materiellen Tätig-
keiten, die unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen der

239
240 Im Angesicht des Todes

materiellen Natur ausgeführt werden und nur Leid verursachen.


In der Tat wenden sich Gottgeweihte niemals von den Lotosfüßen
Sri Krsnas ab, um wieder materielle Tätigkeiten aufzunehmen.
Andere jedoch, die vedischen Ritualen zugetan sind, da sie den
Dienst zu den Lotosfüßen des Herrn vernachlässigen und von
lüsternen Wünschen getrieben sind, vollziehen manchmal solche
Bußhandlungen; doch weil sie nicht vollständig geläutert werden,
führen sie trotz dieser Bußen immer wieder sündhafte Tätigkeiten
aus.
Nachdem die Yamadūtas aus dem Mund ihres Meisters von den
außerordentlichen Herrlichkeiten des Herrn und Seines Namens,
Seines Ruhms und Seiner Attribute gehört hatten, waren sie von
Verwunderung überwältigt. Seither fürchten sie sich vor einem
Gottgeweihten, sobald sie ihn erblicken, und wagen es nicht, ihn
nochmals anzusehen.
Als der große Weise Agastya in den Malaya-Bergen wohnte und
die Höchste Persönlichkeit Gottes verehrte, besuchte ich ihn, und
er erzāhlte mir diese vertrauliche Geschichte. (Srimad-Bhāgavatam
6.3.30-35)

Yamaraja betet um Vergebung


Yamaraja übernahm die Verantwortung für das Vergehen, das seine
Diener begangen hatten. Wenn der Diener einer Organisation ei-
nen Fehler macht, übernimmt die Organisation die Verantwortung
dafür. Obgleich Yamaraja frei von Vergehen ist, versuchten seine
Diener quasi mit seiner Erlaubnis, Ajāmila gefangenzunehmen, was
ein schweres Vergehen war. Die nyāya-sāstra bestätigt: bhrtyāparādhe
svāmino dandah. „Wenn ein Diener einen Fehler macht, haftet der
Meister." Da Yamaraja diese Unterweisung ernst nahm, faltete er
seine Hände und betete gemeinsam mit seinen Dienern zum Höch-
sten Herrn, Nārāyana, um Vergebung.

Vollkommenheit
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß Ajāmila von allen sünd-
haften Reaktionen befreit wurde, obwohl er den heiligen Namen
Yamarajas Unterweisungen 241

Nārāyanas nur unvollkommen chantete. Das Chanten des heiligen


Namens ist so glückverheißend, daß es jeden vor den Reaktionen
sündhafter Handlungen bewahren kann. Wie wir aber zuvor schon
des öfteren erwähnt haben, sollte niemand den Schluß ziehen, daß
er weiterhin sündigen könne, da er nur Hare Krsna zu chanten
brauche, um die Folgen abzuwenden. Man sollte vielmehr dar-
auf bedacht sein, frei von aller Sünde zu bleiben, und niemals auf
den Gedanken kommen, durch das Chanten des Hare-Krsna-man-
tra sündhafte Tätigkeiten auszugleichen, denn auch das ist ein Ver-
gehen. Wenn aufgrund unglücklicher Umstānde ein Gottgeweihter
versehentlich eine sündhafte Handlung begeht, wird der Herr ihm
vergeben, aber man sollte sündhafte Handlungen nicht absichtlich
begehen.
Es ist nicht schwierig, den heiligen Namen des Herrn zu chanten
und zu hören und die Ekstase des spirituellen Lebens zu erfahren.
Das Padma Purāna erklärt:

nāmāparādha-yuktānām
nāmāny eva haranty agham
avisrānti-prayuktāni
tāny evārtha-karāni ca

Selbst wenn man den Hare-Krsna-mantra mit Vergehen chantet,


kann man all diese Vergehen dadurch wiedergutmachen, daß man
ununterbrochen und ohne Abweichung chantet. Wer sich diese
Übung zu eigen macht, wird immer auf einer reinen, transzenden-
talen Ebene bleiben, ohne von sündhaften Reaktionen berührt zu
werden.
Die Pflicht eines Gottgeweihten ist es, den Hare-Krsna-mantra zu
chanten. Manchmal chantet man mit Vergehen und manchmal ohne,
doch wenn man diesen Vorgang ernsthaft befolgt, wird man die
Vollkommenheit erlangen, die durch die vedischen Bußriten nicht
erreicht werden kann. Menschen, die an vedische Ritualhandlungen
angehaftet sind, aber keinen Glauben an den hingebungsvollen
Dienst besitzen, und Bußen empfehlen, aber das Chanten des hei-
ligen Namens des Herrn nicht zu schätzen wissen, sind nicht im-
stande, die höchste Vollkommenheit zu erreichen. Gottgeweihte, die
242 Im Angesicht des Todes

sich vollständig von materiellen Genüssen gelöst haben, geben des-


halb niemals das Krsna-Bewußtsein auf, um sich vedischen Ritual-
handlungen zuzuwenden. Wer aufgrund materieller Wünsche an
solchen Zeremonien festhält, wird immer wieder den Qualen des
materiellen Daseins ausgeliefert.
Seit jener Begebenheit wagen es die Yamadutas nicht mehr, sich
Gottgeweihten zu nähern. Für die Yamadutas ist ein Gottgeweihter
gefährlich.
DIE
VOLLKOMMENHEIT
DES YOGA
1. KAPITEL

Unzeitgemäßer Yoga
Es gibt viele yoga-Systeme, die im Westen populär geworden sind,
insbesondere im 20. Jahrhundert, aber keines von ihnen lehrte tat-
sāchlich die Vollkommenheit des yoga. In der Bhagavad-gitā jedoch
unterweist Sri Krsna, die Höchste Persönlichkeit Gottes, Arjuna di-
rekt in der Vollkommenheit des yoga. Wenn wir tatsāchlich diesem
vollkommenen yoga-System folgen wollen, stehen uns in der Bha-
gavad-gitā die autoritativen Aussagen der Höchsten Person zur Ver-
fügung.
Es ist zweifellos bemerkenswert, daß die Vollkommenheit des
yoga mitten auf einem Schlachtfeld gelehrt wurde. Die Szene war
die folgende: Arjuna, der mächtige Krieger, stand vor einem Bru-
derkrieg, und, von Mitgefühl überwältigt, fragte er sich: „Warum
soll ich gegen meine Verwandten kämpfen?" Diese Unschlüssigkeit
Arjunas beruhte auf Illusion, und um diese Illusion zu beseitigen,
sprach Sri Krsna die Bhagavad-gitā zu ihm. Man kann sich vorstellen,
in welch kurzer Zeit die Bhagavad-gitā gesprochen werden mußte.
Die Soldaten hatten sich bereits auf beiden Seiten kampfbereit auf-
gestellt, so daß nicht mehr viel Zeit blieb - allerhöchstens eine Stun-
de. Wāhrend dieser einen Stunde wurde die gesamte Bhagavad-gitā
gesprochen, und Sri Krsna erklärte Seinem Freund Arjuna die Voll-
kommenheit aller yoga-Systeme. Nachdem dieses einzigartige Ge-
sprāch beendet war, legte Arjuna all seine Befürchtungen und Zwei-
fel beiseite und kämpfte.
Im Verlauf des Gespräches erklärte Sri Krsna auch das Medi-
tationssystem des yoga: wie man sich hinsetzt und eine gerade Kör-
perhaltung einnimmt, wie man die Augen halb geschlossen hālt
und auf die Nasenspitze starrt, ohne in der Konzentration abzu-

244
Unzeitgemäßer Yoga 245

schweifen - und dies alles allein an einem abgeschiedenen Ort. Als


Arjuna dies hörte, antwortete er:
yo 'yam yogas tvayā proktah
sāmyena madhusudana
etasyāham na pasyāmi
cancalatvāt sthitim sthirām
„O Madhusudana, das yoga-System, das Du zusammenfassend be-
schrieben hast, erscheint mir undurchführbar und unerträglich,
denn der Geist ist ruhelos und unbeständig." (Bg. 6.33)
Was Arjuna hier sagt, ist sehr wichtig. Wir müssen uns immer be-
wußt sein, daß wir uns in materiellen Umstānden befinden, in de-
nen unser Geist ständiger Erregung ausgesetzt ist. Wir leben also
nicht in einer sehr angenehmen Situation. Wir denken immer, daß
wir durch das Verändern der äußeren Umstānde unsere innere Un-
ruhe überwinden könnten und so einmal an einen Punkt kāmen, wo
alle mentalen Probleme aufhören. Es entspricht jedoch dem Wesen
der materiellen Welt, daß man nie von Sorgen und Ängsten frei sein
kann. So befinden wir uns in einem Dilemma: Einerseits versuchen
wir ständig, eine Lösung für unsere Probleme zu finden, aber ande-
rerseits ist das materielle Universum so eingerichtet, daß diese Lö-
sungen nie gefunden werden.
Da Arjuna kein Betrüger ist, sagt er offen und ehrlich zu Krsna,
daß es für ihn nicht möglich sei, das besagte yoga-System auszu-
üben. Als Arjuna sich an Krsna wandte, nannte er Ihn bezeich-
nenderweise Madhusudana. Dieser Name weist darauf hin, daß der
Herr einstmals den Dämon Madhu tötete. Es gibt zahllose Namen
Gottes, da Gott oft nach Seinen Taten benannt wird; und da Er zahl-
lose Taten vollbringt, hat Er auch zahllose Namen. Selbst wir, die
wir nur Teile Gottes sind, haben seit unserer Kindheit schon zahl-
lose Taten ausgeführt, so viele, daß wir uns gar nicht an sie alle
erinnern können. Der ewige Gott ist unbegrenzt, und weil deshalb
auch Seine Taten unbegrenzt sind, hat Er unbegrenzt viele Namen,
von denen Krsna der Hauptname ist. Aber warum nannte Arjuna
Ihn dann Madhusudana, wo er Ihn als sein Freund direkt als Krsna
hātte ansprechen können? Die Antwort lautet, daß Arjuna seinen
246 Die Vollkommenheit des Yoga

Geist für einen großen Dämon hielt, vergleichbar mit dem Dämon
Madhu; wenn es Krsna gelänge, diesen Dämon namens Geist zu tö-
ten, könnte er, Arjuna, die Vollkommenheit des yoga erlangen. „Mein
Geist ist viel stārker als dieser Dämon Madhu", sagte Arjuna. „Bitte
töte ihn, denn dann wird es mir möglich sein, diesem yoga-System
zu folgen." Dies weist darauf hin, daß sogar der Geist einer großen
Persönlichkeit wie Arjuna immer ruhelos ist. Arjuna selbst sagt:
cancalam hi manah krsna
pramāthi balavad drdham
tasyāham nigraham manye
vāyor iva su-duskaram
„Denn der Geist ist ruhelos, stürmisch, widerspenstig und sehr
stark, o Krsna, und ihn zu bezwingen erscheint mir schwieriger, als
den Wind zu beherrschen." (Bg. 6.34)
Es ist eine Tatsache, daß der Geist uns immer einredet, hierhin
und dorthin zu gehen und dieses oder jenes zu tun. Unser ganzes
Leben verlāuft nach dem Diktat des Geistes. Sinn und Zweck des
yoga-Systems ist es deshalb, den ruhelosen Geist zu beherrschen. Im
Meditationssystem des yoga wird der Geist dadurch beherrscht, daß
man ihn auf die Überseele richtet - was das eigentliche Endziel des
yoga ist. Arjuna jedoch entgegnet, daß es schwieriger sei, den Geist
zu beherrschen, als den Wind aufzuhalten. Kann man sich vorstel-
len, daß jemand versuchen wird, mit ausgestreckten Armen einen
Wirbelsturm aufzuhalten?
Wir dürfen nicht denken, Arjuna sei einfach nicht fähig gewesen,
den Geist zu beherrschen. In Wirklichkeit hatte Arjuna solch uner-
meßliche Eigenschaften und Fähigkeiten, daß wir nicht einmal be-
ginnen können, sie uns vorzustellen. Immerhin war er ein persön-
licher Freund der Höchsten Persönlichkeit Gottes. Dies ist eine sehr
erhabene Stellung, die niemand erreichen kann, der nicht außerge-
wöhnliche Qualitäten aufweist. Außerdem war Arjuna berühmt als
großartiger Krieger und Politiker. Er war so intelligent, daß er die
Bhagavad-gitā innerhalb einer Stunde verstehen konnte, wohingegen
heutzutage große Gelehrte die Bhagavad-gitā nicht einmal verstehen,
wenn sie sich ein ganzes Leben lang mit ihr auseinandersetzen. Die-
ser Arjuna aber war der Ansicht, daß es für ihn schlicht unmöglich
Unzeitgemäßer Yoga 247

sei, den Geist zu beherrschen. Wie können wir also glauben, daß
das, was für Arjuna in einem fortgeschrittenen Zeitalter unmöglich
war, für uns im gegenwärtigen degenerierten Zeitalter möglich sei?
Wir sollten nicht für einen Augenblick denken, daß wir uns mit
Arjuna vergleichen könnten. Wir sind ihm tausendmal unterlegen.
Es gibt keinen Hinweis darauf, daß Arjuna jemals das yoga-Sy-
stem ausgeübt hat; aber dennoch bezeichnete Krsna Arjuna lobend
als den einzigen, der würdig sei, die Bhagavad-gitā von Ihm zu ver-
nehmen. Was war Arjunas einzigartige Eigenschaft? Sri Krsna sagt:
„Weil du Mein Geweihter und Mein vertrauter Freund bist." (Bg.
4.3) Trotz dieser Eigenschaft weigerte sich Arjuna, dem Meditations-
system des yoga, das Sri Krsna beschrieben hatte, zu folgen. Was be-
deutet das für uns? Müssen wir verzweifeln, weil es uns nie ver-
gönnt sein wird, den Geist zu beherrschen? Nein, er kann beherrscht
werden, und der Vorgang hierzu ist Krsna-Bewußtsein. Der Geist
muß immer auf Krsna gerichtet sein. Gelingt es, den Geist auf Krsna
zu richten, ist die Vollkommenheit des yoga erreicht.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, sich dem Srimad-
Bhāgavatam zuzuwenden. Dort erklärt im Zwölften Canto Sukadeva
Gosvāmi, daß die Menschen im goldenen Zeitalter, dem Satya-yuga,
einhunderttausend Jahre alt wurden und daß es den fortgeschrit-
tenen Persönlichkeiten jenes Zeitalters, die über eine solche Lebens-
dauer verfügten, möglich war, das Meditationssystem des yoga zu
befolgen. Was im Satya-yuga durch den Vorgang der Meditation,
im nachfolgenden yuga, dem Tretā-yuga, durch das Abhalten gro-
ßer Opferzeremonien und im nächsten yuga, dem Dvāpara-yuga,
durch Tempelverehrung erreicht werden konnte, erklärte Sukadeva
Gosvāmi weiter, könne in unserem Zeitalter, dem Kali-yuga, einfach
durch hari-kirtana, das Chanten der Namen Gottes, Hare Krsna, er-
reicht werden. Aus diesen autoritativen Quellen erfahren wir also,
daß das Chanten von Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare
Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare im gegen-
wärtigen Zeitalter die Vollkommenheit des yoga verkörpert.
Heute muß man froh sein, wenn man fünfzig oder sechzig Jahre
alt wird; allerhöchstens lebt ein Mensch achtzig bis hundert Jahre.
Darüber hinaus ist der Mensch immer von Ängsten und Sorgen er-
füllt und hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, die von Krie-
248 Die Vollkommenheit des Yoga

gen, Epidemien, Hungersnöten und vielen anderen Störungen her-


rühren. Die Menschen sind weder sonderlich intelligent, noch sind
sie glücklich. Dies sind die charakteristischen Eigenschaften der
Menschen, die in diesem Zeitalter des Verfalls, dem Kali-yuga, le-
ben. Daraus geht klar hervor, daß wir heutzutage mit dem yoga-
Meditationssystem, das Krsna beschrieb, nie Erfolg haben werden.
Das einzige, was wir erreichen können, ist eine billige Imitation die-
ses Systems, um unsere persönlichen Launen zu befriedigen. So zah-
len die Leute viel Geld, um an Kursen für gymnastische Übungen
und Atemtechniken teilzunehmen, und es macht sie glücklich zu
denken, daß sie ihr Leben um ein paar Jahre verlängern oder ihr
Geschlechtsleben besser genießen können. Aber wir müssen uns im
klaren darüber sein, daß dies nichts mit dem ursprünglichen yoga-
System zu tun hat. Im gegenwärtigen Zeitalter kann dieses Medi-
tationssystem nicht mehr richtig ausgeübt werden. Heute jedoch
kann dieselbe Vollkommenheit, die durch dieses System zu errei-
chen war, durch bhakti-yoga, den erhabenen Vorgang des Krsna-Be-
wußtseins, erreicht werden. Große Autoritäten wie Caitanya Mahā-
prabhu haben daher insbesondere mantra-yoga, die Verherrlichung
Sri Krsnas durch das Chanten von Hare Krsna, eingeführt, wie es in
den vedischen Schriften empfohlen wird. In der Tat, die Bhagavad-
gitā erklärt, daß die mahātmās, die großen Seelen, ständig die Herr-
lichkeiten des Herrn chanten. Wenn man nach dem Maßstab der ve-
dischen Schriften, der Bhagavad-gitā und der großen Autoritäten ein
mahātmā sein will, muß man den Vorgang des Krsna-Bewußtseins
und des Chantens von Hare Krsna annehmen. Wenn man sich frei-
lich mit einer Pseudo-Meditation zufriedengibt und aufrecht im Lo-
tossitz wie eine Art Schauspieler in Trance versinkt, ist das etwas
anderes. Es muß uns allerdings bewußt sein, daß eine solche ober-
flächliche yoga-Show nichts mit der wahren Vollkommenheit des
yoga zu tun hat. Die Krankheit des materiellen Daseins kann nicht
durch eine künstliche Medizin geheilt werden; wir müssen die rich-
tige Medizin direkt von Krsna annehmen.
2. KAPITEL

Yoga als Arbeit in


Hingabe
Wir mögen bereits die Namen verschiedenster Formen von yoga und
verschiedenster yogis gehört haben, aber in der Bhagavad-gitā sagt
Krsna, daß der wahre yogi derjenige ist, der sich „vollständig Mir"
hingegeben hat. Krsna erklärt, daß zwischen Entsagung (sannyāsa)
und yoga kein Unterschied besteht.

yam sannyāsam iti prāhur


yogam tarn viddhi pāndava
na hy asannyasta-sankalpo
yogf bhavati kascana

„Das, was man als Entsagung bezeichnet, ist das gleiche wie yoga,
der Vorgang, sich mit dem Höchsten zu verbinden; denn niemand
kann ein yogi werden, solange er nicht dem Wunsch nach Sinnenbe-
friedigung entsagt." (Bg. 6.2)
In der Bhagavad-gitā werden drei grundlegende Arten von yoga
beschrieben: karma-yoga, jnāna-yoga und bhakti-yoga. Diese verschie-
denen yoga-Systeme können mit den Stufen einer Treppe verglichen
werden. Es gibt yogis, die auf der untersten Stufe stehen, andere, die
bis zur Hälfte emporgestiegen sind, und wieder andere, die sich auf
der höchsten Stufe befinden. Je nach der Stufe, auf der man steht,
wird man als karma-yogi, jnāna-yogi usw. bezeichnet. In allen Fāllen
ist der Dienst für den Höchsten Herrn der gleiche, nur die Stufen
sind verschieden. Deshalb sagt Sri Krsna zu Arjuna, daß Entsagung
(sannyāsa) und yoga dasselbe sind, da man, ohne vom Wunsch nach
Sinnenbefriedigung frei zu sein, weder ein yogi noch ein sannyāsi
sein kann.

249
250 Die Vollkommenheit des Yoga

Es gibt yogis, die yoga für materiellen Gewinn ausüben, doch das
ist nicht echter yoga. Alles muß im Dienst des Herrn verwendet wer-
den. Alles, was wir als gewöhnliche Arbeiter, sannyasis, yogis oder
als Philosophen tun, muß im Krsna-Bewußtsein verrichtet werden.
Wenn wir unsere Gedanken ausschließlich auf Krsnas Dienst richten
und in diesem Bewußtsein handeln, können wir echte sannyasis und
yogis werden.
Wenn man anfāngt, die yoga-Treppe emporzusteigen, erwartet ei-
nen praktische Arbeit. Man sollte nicht denken, daß man aufhören
müsse, tätig zu sein, nur weil man sich dem yoga zuwendet. In der
Bhagavad-gitā fordert Krsna Arjuna auf, ein yogi zu werden, aber
Er sagt ihm niemals, daß er aufhören solle zu kämpfen - ganz im
Gegenteil. Natürlich kann man sich hier fragen, wie jemand ein
yogi und gleichzeitig ein Krieger sein kann. Unsere Vorstellung von
yoga ist, daß man mit gekreuzten Beinen und geradem Rücken da-
sitzt und mit halbgeschlossenen Augen auf die Nasenspitze starrt,
um sich auf diese Weise an einem abgeschiedenen Ort in Medi-
tation zu versenken. Wie kann Krsna Arjuna auffordern, ein yogi zu
werden und gleichzeitig an einem schrecklichen Bürgerkrieg teilzu-
nehmen? Darin besteht das Geheimnis der Bhagavad-gitā: Man kann
ein Krieger sein und gleichzeitig der höchste yogi und sannyāsi. Nur
im Krsna-Bewußtsein ist das möglich. Man muß einfach für Krsna
kämpfen, für Krsna arbeiten, für Krsna essen, für Krsna schlafen
und Krsna alle Tätigkeiten weihen. Auf diese Weise wird man der
höchste yogi und der höchste sannyāsi.
Im Sechsten Kapitel der Bhagavad-gitā unterweist Sri Krsna Arju-
na, wie man sich in der yoga-Meditation übt. Aber Arjuna weist die-
ses System zurück, da es ihm zu schwierig erscheint. Wie kann man
dann sagen, daß Arjuna ein großer yogi sei? Obgleich Krsna sah, daß
Arjuna das Meditationssystem zurückwies, bezeichnete Er Arjuna
dennoch als den höchsten yogi, denn: „Du denkst immer an Mich."
An Krsna zu denken ist die Essenz aller yoga-Systeme: des hatha-,
karma-, jnāna- und bhakti-yoga sowie aller anderen Systeme von yoga,
Opfer und Wohltätigkeit. Alle Tätigkeiten, die für spirituelle Ver-
wirklichung empfohlen sind, gipfeln im Krsna-Bewußtsein, der un-
unterbrochenen Meditation über Krsna. Die wahre Vollkommenheit
Yoga als Arbeit in Hingabe 251

des menschlichen Lebens besteht darin, immer Krsna-bewußt zu


sein und sich bei allen Tätigkeiten, die man ausführt, ständig an
Krsna zu erinnern.
Auf der vorbereitenden Stufe wird empfohlen, immer für Krsna
zu arbeiten. Man muß sich ununterbrochen nach einer Pflicht oder
Beschäftigung umschauen, denn es ist schlecht, auch nur eine Se-
kunde trāge zu verbringen. Wenn sich durch solche Betätigung
wirklicher Fortschritt einstellt, arbeitet man unter Umstānden nicht
mehr physisch, doch ist man innerlich immer aktiv, indem man un-
unterbrochen an Krsna denkt. Wenn man sich allerdings noch nicht
auf dieser Stufe befindet, lautet der Ratschlag immer, die Sinne
in Krsnas Dienst zu beschäftigen. Es gibt eine große Vielfalt von
Tätigkeiten, die man in Krsnas Dienst verrichten kann, und die
Internationale Gesellschaft für Krsna-Bewußtsein hat das Ziel, streb-
samen Gottgeweihten in diesen Tätigkeiten behilflich zu sein. Für
diejenigen, die sich im Krsna-Bewußtsein betätigen, hat der Tag
nicht genügend Stunden, so sehr sind sie in Krsnas Dienst vertieft.
Sowohl wāhrend des Tages als auch wāhrend der Nacht stehen im-
mer verschiedenste Tätigkeiten an, und die Studenten des Krsna-
Bewußtseins führen sie voller Freude aus. Das ist die Stufe wahren
Glücks: immer für Krsna beschäftigt zu sein, um Krsna-Bewußtsein
auf der ganzen Welt zu verbreiten. In der materiellen Welt wird man
sehr müde, wenn man ununterbrochen arbeitet, aber wenn man im
Krsna-Bewußtsein arbeitet, kann man vierundzwanzig Stunden am
Tag Hare Krsna chanten und sich im hingebungsvollen Dienst be-
tätigen, ohne jemals müde zu werden. Wenn wir jedoch weltliche
Klangschwingungen aussprechen, fühlen wir uns schnell erschöpft.
Auf der spirituellen Ebene gibt es keine Müdigkeit, denn die spiri-
tuelle Ebene ist absolut. In der materiellen Welt arbeitet jeder für sich
selbst, und der Gewinn der Arbeit wird dazu verwandt, die eigenen
Sinne zu befriedigen. Doch ein echter yogi wünscht sich nicht solche
Früchte. Er wünscht sich nichts anderes als Krsna, und Krsna ist be-
reits gegenwärtig.
3. KAPITEL

Yoga als Meditation


über Krsna
In Indien gibt es viele heilige Orte, wohin sich die yogis - im Ein-
klang mit der Anweisung der Bhagavad-gitā - zurückziehen, um in
Abgeschiedenheit zu meditieren. Wāhrend yoga traditionsgemäß
nicht an einem öffentlichen Ort praktiziert werden kann, gilt gerade
das Gegenteil für kirtana - den mantra-yoga oder yoga des Chan-
tens des Hare-Krsna-mantra: Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna,
Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Je
mehr Menschen daran teilnehmen, desto besser. Als Sri Caitanya
Mahāprabhu vor fünfhundert Jahren in Indien kirtana veranstal-
tete, formierte Er die einzelnen Gruppen so, daß in jeder sechzehn
Gottgeweihte gemeinsam vorsangen, während ihnen Tausende von
Menschen folgten und im Wechselgesang antworteten. Im gegen-
wärtigen Zeitalter ist es sehr praktisch und einfach, am kirtana, dem
öffentlichen Chanten der Namen und Herrlichkeiten Gottes, teilzu-
nehmen; der Meditationsvorgang des yoga hingegen ist sehr schwie-
rig. In der Bhagavad-gitā wird insbesondere darauf hingewiesen, daß
man sich an einen abgeschiedenen, heiligen Ort zurückziehen muß,
um yoga-Meditation auszuüben. Mit anderen Worten, es ist erforder-
lich, daß man das eigene Heim verläßt. Im gegenwärtigen Zeit-
alter der Überbevölkerung ist es nicht immer möglich, einen abge-
schiedenen Ort zu finden; aber beim bhakti-yoga ist dies auch gar
nicht nötig.
Im System des bhakti-yoga gibt es neun verschiedene Vorgänge:
hören, chanten, sich erinnern, dienen, die Bildgestalt im Tempel
verehren, beten, Anweisungen ausführen, Krsna als Freund dienen
und Ihm alles hingeben. Von all diesen Vorgängen gelten sravanam

252
Yoga als Meditation über Krsna 253

und kirtanam, Hören und Chanten, als die wichtigsten. Bei einem
öffentlichen kirtana chantet der Vorsänger Hare Krsna, Hare Krsna,
Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma,
Hare Hare, während die anderen zuhören; nachdem der Vorsänger
den mantra beendet hat, singen die anderen. Auf diese Weise wech-
seln Hören und Chanten einander ab. Dies kann überall problem-
los durchgeführt werden: zu Hause, mit einer kleinen Gruppe von
Freunden oder zusammen mit vielen Menschen auf einem großen
öffentlichen Platz. Man kann zwar versuchen, in einer Großstadt
oder in einem Verein yoga-Meditation auszuüben, aber man muß
sich dabei im klaren sein, daß dies eine eigene Erfindung ist und
nichts mit der Methode zu tun hat, die in der Bhagavad-gitā emp-
fohlen wird.
Der gesamte Vorgang des yoga ist zur Läuterung bestimmt. Und
worin besteht diese Läuterung? Läuterung hat die Erkenntnis der
wahren Identität des Selbst zur Folge, das heißt die Erkenntnis: „Ich
bin eine reine spirituelle Seele. Ich bin nicht der materielle Körper."
Aufgrund materieller Verunreinigung identifizieren wir uns mit Ma-
terie und glauben, wir seien der Körper, doch um echten yoga auszu-
üben, muß man erkennen, daß die ursprüngliche Identität des Selbst
von Materie verschieden ist. Auch der Meditationsvorgang, bei dem
man sich an einen abgeschiedenen Ort zurückziehen muß, hat das
Ziel, zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Dieses Ziel kann jedoch nur
erreicht werden, wenn man den Vorgang richtig ausführt. In diesem
Zusammenhang weist Sri Caitanya auf folgendes hin:

harer nāma harer nāma


harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva
nāsty eva gatir anyathā

„Im gegenwärtigen Zeitalter des Streites und der Unstimmigkeit


[Kali-yuga] gibt es keinen anderen Weg zu spiritueller Erkenntnis
als das Chanten der heiligen Namen. Es gibt keinen anderen Weg, es
gibt keinen anderen Weg, es gibt keinen anderen Weg."
Im allgemeinen herrscht die Vorstellung, zumindest im Westen,
yoga bedeute Meditation über das Nichts. Die vedischen Schriften
254 Die Vollkommenheit des Yoga

hingegen empfehlen nirgendwo Meditation über das Nichts; viel-


mehr erklären sie, daß yoga Meditation über Visnu bedeutet, was
auch von der Bhagavad-gitā bestätigt wird. In vielen yoga-Zentren
versammeln sich Leute, um im Lotossitz, mit hohlem Kreuz und ge-
schlossenen Augen zu „meditieren" - gewöhnlich aber nicken da-
bei fünfzig Prozent von ihnen ein. Denn wenn man die Augen
schließt, ohne über einen konkreten Inhalt zu meditieren, schlāft
man ein, und das empfiehlt Krsna in der Bhagavad-gitā natürlich
nicht. Man muß mit geradem Rücken dasitzen, und die Augen
dürfen nur halb geschlossen sein, so daß man sich auf die Nasen-
spitze konzentrieren kann; wenn man nicht allen Unterweisungen
genau folgt, wird Schlaf die Folge sein und sonst nichts. Manch-
mal kommt es freilich vor, daß jemand sogar wāhrend des Schla-
fens meditiert, aber dies ist nicht der empfohlene yoga-Vorgang. Um
wach zu bleiben, empfiehlt Krsna deshalb, den Blick immer auf die
Nasenspitze gerichtet zu halten. Des weiteren muß man immer aus-
geglichen sein. Wenn der Geist aufgewühlt ist oder viele Dinge um
uns herum geschehen, wird es nicht möglich sein, sich zu kon-
zentrieren. In der yoga-Meditation muß man auch frei von Angst
sein, denn wenn man sich dem spirituellen Leben zuwendet, sollte
es keine Ursachen für Angst mehr geben. Darüber hinaus muß man
auch brahmacāri sein, das heißt völlig frei von jeglicher geschlecht-
licher Betätigung. Man kann nicht meditieren und gleichzeitig von
sinnlichen Wünschen beeinflußt sein. Erst wenn keine solchen Wün-
sche mehr da sind und man das System vorschriftsgemäß befolgt,
wird man in der Lage sein, den Geist zu beherrschen. Nachdem man
alle für die Meditation erforderlichen Bedingungen erfüllt hat, muß
man seine Gedanken auf Krsna oder Visnu richten - und nicht auf
das Nichts. Deshalb weist Krsna darauf hin, daß jemand, der sich
tatsāchlich in die yoga-Meditation versenkt, „immer an Mich denkt".
Ein yogi muß offensichtlich viele Schwierigkeiten überwinden, um
den ātmā (Körper, Geist und Seele) zu läutern. Es ist jedoch eine Tat-
sache, daß dasselbe Ziel im gegenwärtigen Zeitalter auf die wirk-
samste Weise erreicht werden kann, wenn man einfach die heiligen
Namen des Herrn chantet: Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna,
Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Dies
ist möglich, weil die transzendentale Klangschwingung des Hare-
Yoga als Meditation über Krsna 255

Krsna-mantra nicht von Krsna verschieden ist. Wenn wir Seinen Na-
men mit Hingabe chanten, wird Krsna mit uns sein. Wie können wir
dann noch unrein bleiben? Wer daher ins Krsna-Bewußtsein vertieft
ist, Krsnas Namen chantet und Krsna immer dient, erhālt die Er-
gebnisse der höchsten Form des yoga, ohne jedoch all die Schwierig-
keiten des Meditationsvorgangs auf sich nehmen zu müssen. Das ist
die Schönheit des Krsna-Bewußtseins.
Beim yoga ist es erforderlich, alle seine Sinne zu beherrschen; und
wenn man dies geschafft hat, muß man seinen Geist so ausrichten,
daß er immer an Visnu denkt. Nachdem man auf diese Weise das
materielle Leben hinter sich gelassen hat, findet man Frieden.

jitātmanah prasāntasya
paramātmā samāhitah

„Für jemanden, der den Geist bezwungen hat, ist die Überseele be-
reits erreicht, denn er hat Ausgeglichenheit erlangt." (Bg. 6.7)
Die materielle Welt wird mit einem großen Waldbrand verglichen.
Wie im Wald manchmal ein Feuer von selbst ausbricht, so tobt in der
materiellen Welt immer eine Feuersbrunst, und es brechen Brände
aus, obwohl wir versuchen, in Frieden zu leben. Nirgendwo in der
materiellen Welt ist es möglich, in Frieden zu leben; doch wer sich
auf der transzendentalen Ebene befindet - sei es durch das Medita-
tionssystem des yoga, durch die empirisch-philosophische Methode
oder durch bhakti-yoga -, kann Frieden finden. Wenngleich alle For-
men des yoga das Ziel haben, den Menschen zum transzendentalen
Leben zu führen, erweist sich im gegenwärtigen Zeitalter der Vor-
gang des Chantens als besonders wirksam. Man kann für mehrere
Stunden an einem kirtana teilnehmen, ohne zu ermüden, aber es
ist sehr schwierig, auch nur für wenige Minuten völlig regungslos
in der Lotosstellung dazusitzen. Wenn man jedoch - über welchen
Vorgang auch immer -, das Feuer des materiellen Lebens zu lö-
schen vermag, erfāhrt man nicht nur das, was unpersönliches Nichts
genannt wird; vielmehr gelangt man in das höchste Reich, wie
Krsna Arjuna offenbart:

yunjann evam sadatmanam


yogi niyata-mānasah
256 Die Vollkommenheit des Yoga

santim nirvana-paramam
mat-sathsthām adhigacchati

„Indem sich der mystische Transzendentalist auf diese Weise stān-


dig darin übt, Körper, Geist und Tätigkeiten zu beherrschen, be-
endet er das materielle Dasein, da sein Geist reguliert ist, und er-
reicht das Königreich Gottes." (Bg. 6.15)
Krsnas Reich ist nicht leer. Es gleicht einem Königshof, und „Kö-
nigshof" bedeutet, daß verschiedenste Aktivitäten stattfinden. Ein
erfolgreicher yogi erreicht das Königreich Gottes, das von spiritueller
Vielfalt erfüllt ist. Die unterschiedlichen Formen des yoga sind nichts
anderes als verschiedene Vorgänge, um in dieses Reich zu gelangen.
In Wirklichkeit gehören wir in dieses Reich, aber aufgrund unseres
Vergessens werden wir in die materielle Welt versetzt. Genau wie
ein Verrückter, der an einer Geisteskrankheit leidet, in ein Irrenhaus
gebracht wird, so sind auch wir, die wir unsere spirituelle Identität
vergessen haben, wie Verrückte und wurden deshalb in die mate-
rielle Welt versetzt. Die materielle Welt kann mit einer Art Irrenhaus
verglichen werden; und es läßt sich nicht verheimlichen, daß hier ei-
gentlich nichts auf sonderlich vernünftige Weise getan wird. Unse-
re wirkliche Aufgabe ist es, die materielle Welt zu verlassen und in
das Königreich Gottes zurückzukehren. In der Bhagavad-gitā spricht
Krsna über dieses Königreich und auch über Seine eigene Stellung
und die der Lebewesen. Dadurch erfahren wir genau, was Gott ist
und was wir sind. Die Bhagavad-gitā enthält alle notwendigen In-
formationen, und ein vernünftiger Mensch wird sich dieses Wissen
zunutze machen.
4. KAPITEL

Yoga als Mittel der


Selbstkontrolle
In der Bhagavad-gitā ermutigt Krsna Arjuna immer wieder zum
Kampf, da Arjuna ein Krieger ist und Kämpfen zu seinen Pflichten
gehört. Obwohl Krsna im Sechsten Kapitel das System der yoga-Me-
ditation erklärt, legt Er keinen besonderen Nachdruck darauf und
ermutigt Arjuna auch nicht, diesen Pfad einzuschlagen. Krsna räumt
vielmehr ein, daß dieser Meditationsvorgang sehr schwierig ist:

sri-bhagavān uvāca
asamsayam mahā-bāho
mano durnigraham calam
abhyāsena tu kaunteya
vairāgyena ca grhyate

„Der Höchste Herr, Sri Krsna, sprach: O starkarmiger Sohn Kuntis,


es ist zweifellos sehr schwierig, den ruhelosen Geist zu zügeln, aber
durch geeignete Übung und Loslösung ist es möglich." (Bg. 6.35)
In diesem Vers betont Krsna, daß Übung und Entsagung die Mit-
tel sind, um den Geist zu beherrschen. Aber was versteht man unter
Entsagung? Diese Frage ist berechtigt, denn heutzutage ist es uns
praktisch unmöglich, irgendwelchen Dingen zu entsagen, da wir
uns so sehr an die verschiedensten materiellen Sinnenfreuden ge-
wöhnt haben. Trotz eines ausschweifenden, sinnlichen Lebens neh-
men viele Menschen an yoga-Kursen teil und hoffen auf Erfolg. Um
richtig yoga zu praktizieren, müßte man zahlreichen Regeln und
Vorschriften folgen, doch vielen gelingt es kaum, auch nur das das
Rauchen aufzugeben. Als Krsna das System der yoga-Meditation
beschrieb, wies Er darauf hin, daß man yoga nicht richtig ausüben

257
258 Die Vollkommenheit des Yoga

kann, wenn man zuviel oder zuwenig ißt. Wer sich mit Fasten quält,
kann ebensowenig richtigen yoga ausüben wie jemand, der mehr
ißt, als er braucht. Die Ernährung sollte maßvoll sein, das heißt,
man sollte nur so viel essen, wie erforderlich ist, um Körper und
Seele zusammenzuhalten; nur der Gaumenfreude zuliebe sollte man
also nicht essen. Wenn uns köstliche Speisen angeboten werden, be-
gnügen wir uns meistens nicht mit einer Zubereitung, sondern sind
es gewohnt, zwei, drei, vier oder noch mehr auszuprobieren, denn
die Zunge gibt sich nie zufrieden. In Indien ist es jedoch nicht selten,
daß man einen yogi sieht, der pro Tag nichts weiter als einen kleinen
Löffel voll Reis zu sich nimmt. Ebensowenig ist es möglich, yoga-Me-
ditation auszuüben, wenn man zu viel oder zu wenig schlāft. Krsna
sagt nirgendwo, daß es so etwas wie traumlosen Schlaf gibt. Sobald
wir einschlafen, werden wir träumen, selbst wenn wir uns nicht
daran erinnern können. In der Gitā weist Krsna indes darauf hin,
daß man nicht richtig yoga praktizieren kann, wenn man wāhrend
des Schlafens zuviel träumt; deshalb sollte man nicht mehr als sechs
Stunden täglich schlafen. Aber auch jemand, der unter Schlaflosig-
keit leidet und nachts nicht genügend schläft, kann nicht erfolgreich
yoga ausüben, da man für yoga einen funktionstüchtigen Körper
braucht. Auf diese Weise beschreibt Krsna viele Bedingungen, die
man für eine erfolgreiche Beherrschung des Körpers erfüllen muß.
Die Vielzahl dieser Bedingungen läßt sich jedoch grundsätzlich in
folgenden vier Vorschriften zusammenfassen: kein unzulässiges Ge-
schlechtsleben, keine Berauschung, kein Essen von Fleisch und kein
Glücksspiel. Dies ist das Minimum an Vorschriften, das man in je-
der Form des yoga einhalten muß. Wer aber kann im gegenwärtigen
Zeitalter von diesen Betätigungen Abstand nehmen? Doch genau an
diesen Maßstäben müssen wir unseren Erfolg im yoga messen.

yogi yunjita satatam


ātmānam rahasi sthitah
ekāki yata-cittātmā
nirāsir aparigrahah

„Ein Transzendentalist sollte seinen Körper, seinen Geist und sein


Selbst immer in Beziehung zum Höchsten beschāftigen; er sollte al-
Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 259

lein an einem einsamen Ort leben und seinen Geist stets sorgfāltig
beherrschen. Er sollte von Wünschen und Gefühlen der Besitzgier
frei sein." (Bg. 6.10)
Aus diesem Vers wird ersichtlich, daß es die Pflicht eines yogi ist,
immer allein zu bleiben. Yoga-Meditation kann nicht innerhalb ei-
ner Gruppe ausgeführt werden - zumindest nicht, wenn man den
Anweisungen der Bhagavad-gitā folgen will. In diesem System der
Meditation ist es nur dann möglich, den Geist auf die Überseele zu
richten, wenn man sich an einen abgeschiedenen Ort zurückzieht. In
Indien gibt es auch heute noch viele yogis und Weise, die in völliger
Einsamkeit leben; nur in seltenen Fāllen treten sie an die Öffent-
lichkeit, um an besonderen Festen teilzunehmen, wie zum Beispiel
an der Kumba Melā, die alle zwölf Jahre in Allahabad oder an ei-
nem anderen heiligen Ort stattfindet. Dort versammeln sich diese
yogis, genauso wie sich in Amerika Geschäftsleute bei einer Kon-
ferenz treffen. Es genügt jedoch nicht, in der Einsamkeit zu leben;
der yogi muß auch von materiellen Wünschen frei sein und sollte
nicht die Absicht hegen, durch yoga materielle Kräfte zu erlangen.
Ebenso sollte er von den Menschen keine Geschenke oder Dienste
entgegennehmen. Wenn der yogi seine Meditation ernst nimmt, lebt
er irgendwo allein im Dschungel, in den Wäldern oder Bergen und
zieht sich von der Gesellschaft völlig zurück. Er muß sich immer vor
Augen halten, für wen er ein yogi geworden ist. Dann fühlt er sich
auch nie allein, da er weiß, daß der Paramātmā, die Überseele, stän-
dig bei ihm ist. Dies alles zeigt uns, daß es in der modernen Gesell-
schaft tatsāchlich sehr schwierig ist, diese Form der Meditation rich-
tig auszuüben; ja die Zivilisation des gegenwärtigen Zeitalters, des
Kali-yuga, macht es einem sogar unmöglich, allein zu sein und ohne
Wünsche und Besitz zu leben.
Im weiteren Verlauf des Gespräches mit Arjuna erwähnt Krsna
verschiedene Einzelheiten, die bei der yoga-Meditation beachtet wer-
den müssen. Wörtlich sagt Sri Krsna:
sucau dese pratisthapya
sthiram āsanam ātmanah
nāty-ucchritam nāti-nicam
cailājina-kusottaram
260 Die Vollkommenheit des Yoga

tatraikāgram manah krtvā


yata-cittendriya-kriyah
upavisyāsane yunjyād
yogam ātma-visuddhaye

„Um yoga zu praktizieren, sollte man an einen einsamen Ort gehen,


kusa-Gras auf den Boden legen und es mit einem Rehfell und einem
weichen Tuch bedecken. Der Sitz sollte nicht zu hoch und nicht zu
niedrig sein, und er sollte sich an einem heiligen Ort befinden. Der
yogi sollte fest darauf sitzen und sich in den Vorgang des yoga ver-
tiefen, um sein Herz zu lāutern, indem er seinen Geist, seine Sinne
und seine Tätigkeiten beherrscht und den Geist auf einen Punkt
fixiert." (Bg. 6.11-12)
Im allgemeinen sitzen yogis auf einem Tiger- oder Rehfell, damit
ihre Meditation nicht von irgendwelchen Kriechtieren gestört wird,
denn diese Tiere meiden solche Felle. So sehen wir, daß in Got-
tes Schöpfung alles einen Nutzen hat. Jeder Grashalm und jedes
Kraut hat seine ganz bestimmte Aufgabe und dient irgendeinem
Zweck, selbst wenn wir uns dessen nicht bewußt sind. Hier erfahren
wir aus der Bhagavad-gitā, daß Krsna auch für die yogis eine Vor-
kehrung getroffen hat, damit sie nicht von Schlangen gestört wer-
den. Nachdem der yogi sich in der Abgeschiedenheit auf einem ge-
eigneten Sitzplatz niedergelassen hat, beginnt er mit der Läuterung
des ātmā (Körper, Geist und Seele). Der yogi sollte nicht danach
trachten, mystische Kräfte zu erlangen. Obwohl yogis zuweilen tat-
sächlich gewisse siddhis, mystische Kräfte, entwickeln, ist dies nicht
das eigentliche Ziel des yoga. Deshalb entfaltet ein echter yogi diese
Kräfte nicht, sondern denkt: „Da ich durch materielle Einflüsse ver-
unreinigt bin, muß ich mich nun lāutern."
Aus diesen Beschreibungen wird schnell ersichtlich, daß die Be-
herrschung des Geistes und des Körpers nicht einfach ist und mehr
verlangt, als in ein Geschäft zu gehen, wo man sich alles Gewünsch-
te kaufen kann. Krsna weist allerdings darauf hin, daß einem das
Befolgen dieser Regeln sehr leicht fāllt, wenn man Krsna-bewußt ist.
Es bleibt jedoch eine Tatsache, daß jeder in dieser Welt vom Ge-
schlechtstrieb motiviert ist. Doch das Geschlechtsleben muß des-
halb nicht verteufelt werden. Solange wir einen materiellen Kör-
Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 261

per haben, gibt es auch sexuelle Wünsche; außerdem müssen wir


essen, um den Körper am Leben zu erhalten, und schlafen, um
ihm Ruhe zu gönnen. Wir können diese Tätigkeiten nicht einfach
verneinen, und daher geben uns die vedischen Schriften Richtli-
nien, wie wir Essen, Schlafen, Fortpflanzung usw. regulieren kön-
nen. Wenn es tatsāchlich unser Wunsch ist, im yoga Erfolg zu haben,
dürfen wir nicht zulassen, daß die ungezügelten Sinne uns zum Ge-
nuß der Sinnesobjekte verleiten; deshalb werden Richtlinien festge-
legt. Sri Krsna erklärt, daß der Geist durch Regulierung beherrscht
werden kann. Lernen wir es nicht, unsere Tätigkeiten zu regulieren,
wird unser Geist immer ruheloser werden. Die Tätigkeiten müssen
nicht eingestellt, sondern in die richtigen Bahnen gelenkt werden,
und zwar durch ständige Beschäftigung des Geistes im Krsna-Be-
wußtsein. Konstant in Verbindung mit Krsna tätig zu sein ist wah-
rer samādhi. Es stimmt nicht, daß jemand, der samādhi erreicht hat,
nicht mehr ißt, arbeitet, schlāft oder an nichts mehr Freude findet.
In Wirklichkeit bedeutet samādhi die Ausführung regulierter Tätig-
keiten, wāhrend man völlig in Gedanken an Krsna versunken ist.
asamyatātmanā yogo
dusprāpa iti me matih
vasyātmanā tu yatatā
sakyo 'vāptum upāyatah
„Für einen Menschen mit ungezügeltem Geist", fāhrt Krsna fort, „ist
Selbstverwirklichung ein schwieriges Unterfangen." (Bg. 6.36) Jeder
weiß, daß es sehr gefährlich ist, auf einem ungezügelten Pferd zu
reiten. Es kann unverhofft in irgendeine Richtung ausbrechen, so
daß dem Reiter höchstwahrscheinlich etwas zustoßen wird. Wenn
der Geist ungezügelt ist, ist es tatsächlich sehr schwierig, dem yoga-
System zu folgen; insofern ist Krsna mit Arjuna einer Meinung.
„Aber", fügt Krsna hinzu, „demjenigen, dessen Geist beherrscht ist
und der sich mit geeigneten Mitteln bemüht, ist der Erfolg sicher.
Das ist Meine Meinung." (Bg. 6.36) Was versteht man unter „sich
mit geeigneten Mitteln bemühen"? Es bedeutet, daß man versuchen
muß, den vier bereits erwähnten grundlegenden regulierenden Prin-
zipien zu folgen und bei allen Tätigkeiten ins Krsna-Bewußtsein ver-
tieft zu sein.
262 Die Vollkommenheit des Yoga

Wenn man zu Hause yoga praktizieren will, muß man sicher-


stellen, daß sich alle anderen Beschäftigungen im Rahmen halten.
Man kann nicht täglich viele Stunden für harte Arbeit aufwenden,
nur um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Alles muß maßvoll
sein: das Arbeiten, das Essen und auch die Zufriedenstellung der
Sinne. Ebenso sollte man sein Leben so gut wie möglich von Sorgen
und Ängsten freihalten; denn nur so kann man in der Ausübung
von yoga erfolgreich sein.
Was sind die Merkmale, an denen man erkennen kann, ob je-
mand die Vollkommenheit im yoga erreicht hat? Krsna antwortet,
daß sie derjenige erreicht hat, der seinen Geist völlig zu beherrschen
vermag:
yadā viniyatam cittam
ātmany evāvatisthate
nisprhah sarva-kāmebhyo
yukta ity ucyate tadā
„Wenn der yogi durch das Praktizieren von yoga die Tätigkeiten sei-
nes Geistes zügelt und sich - frei von materiellen Wünschen - auf
die Ebene der Transzendenz erhebt, sagt man von ihm, er sei im
yoga fest verankert." (Bg. 6.18)
Wer im yoga verankert ist, wird nicht vom Diktat seines Geistes
beherrscht, vielmehr beherrscht er den Geist. Das heißt jedoch nicht,
daß die Tätigkeiten des Geistes verdrāngt oder abgetötet werden;
denn es ist die Aufgabe des yogi, ohne Unterlaß an Krsna, Visnu,
zu denken. Der yogi darf es seinem Geist nicht erlauben, davon ab-
zuweichen. Dies mag sehr schwierig erscheinen, doch im Krsna-Be-
wußtsein wird es möglich. Wie kann der Geist von Krsna abschwei-
fen, wenn man ständig im Krsna-Bewußtsein, im Dienste Krsnas,
beschäftigt ist? In Krsnas Dienst wird der Geist automatisch be-
herrscht.
Ein yogi sollte auch keine Wünsche nach materieller Sinnenbe-
friedigung haben. Wer Krsna-bewußt ist, wünscht sich nichts ande-
res als Krsna. Mit anderen Worten, es ist nicht möglich, wunschlos
zu werden. Wāhrend der Wunsch nach Sinnenbefriedigung durch
den Vorgang der Läuterung zu überwinden ist, muß gleichzeitig
Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 263

auch der Wunsch nach Krsna entwickelt werden. Man muß einfach
das Ziel des Wunsches verändern. Es geht nicht darum, Wünsche
abzutöten, denn die Seele hat immer Wünsche. Krsna-Bewußtsein
ist der Vorgang, die Wünsche zu lāutern: Statt sich verschiedenste
Dinge für die eigene Befriedigung zu wünschen, wünscht man sich
einfach Dinge für Krsnas Dienst. Wir mögen uns zum Beispiel eine
gute Mahlzeit wünschen, aber statt sie für uns selbst zuzubereiten,
können wir sie für Krsna zubereiten und sie Ihm darbringen. Nicht
die Handlung wird verändert, sondern das Bewußtsein. Man han-
delt nicht mehr in der Haltung: „Ich tue das für meine Sinne",
sondern: „Ich tue das für Krsna." Es gibt viele vegetarische Zu-
bereitungen aus Milch, Gemüse, Getreide, Früchten usw., die wir
für Krsna kochen können, um sie Ihm dann mit folgendem Gebet
darzubringen: „Der materielle Körper ist ein Ort der Unwissenheit,
und die Sinne sind ein Netzwerk von Pfaden, die zum Tod füh-
ren. Von all diesen Sinnen ist die Zunge am ungestümsten und am
schwierigsten zu beherrschen, ja es gibt nichts Schwierigeres in die-
ser Welt, als die Zunge zu zügeln. Deshalb hat uns Sri Krsna dieses
wunderbare prasādam (spirituelle Nahrung) gegeben, damit wir ler-
nen, die Zunge zu zügeln. Laßt uns also nun dieses prasādam zu un-
serer vollen Zufriedenheit einnehmen und die Herrlichkeit von Sri
Sri Rādhā und Krsna besingen und in Liebe die Hilfe Sri Caitanyas
und Nityānanda Prabhus anrufen!" Durch dieses Opfer kann unser
karma überwunden werden, denn von allem Anfang an sind wir uns
bewußt, daß wir die Speisen Krsna weihen werden. Wir sollten uns
nicht wünschen, die Speisen selbst zu genießen. Krsna jedoch ist so
barmherzig, daß Er uns die Speisen überlāßt, damit wir sie essen
können. Auf diese Weise werden unsere Wünsche erfüllt.
Wenn jemand sein ganzes Leben so gestaltet - indem er all seine
Wünsche mit Krsnas Wünschen verbindet -, hat er die Vollkom-
menheit des yoga erreicht. Mit anderen Worten, einfach tief zu at-
men und ein paar Körperübungen auszuführen ist gemäß der Bha-
gavad-gitā nicht yoga. Es bedarf einer vollkommenen Läuterung des
Bewußtseins.
Für richtigen yoga ist es sehr wichtig, daß der Geist nicht aufge-
wühlt ist.
264 Die Vollkommenheit des Yoga

yathā dipo nivāta-stho


nengate sopamā smrtā
yogino yata-cittasya
yunjato yogam ātmanah

„So wie ein Licht an einem windstillen Ort nicht flackert, bleibt auch
der Transzendentalist, dessen Geist beherrscht ist, in seiner Medi-
tation über das transzendente Selbst immer ausgeglichen." (Bg. 6.19)
Wenn sich eine Kerze an einem windstillen Ort befindet, ist ihre
Flamme ruhig und flackert nicht. Der Geist ist wie die Flamme
leicht beeinflußbar und reagiert schon auf den leisesten Hauch von
materiellen Wünschen. Eine geringe Beeinflussung des Geistes kann
bereits das gesamte Bewußtsein verändern. In Indien war es des-
halb Tradition, daß ein ernsthafter yogi als brahmacāri im Zölibat
lebte. Es gibt zwei Arten von brahmacāris: der eine lebt vollständig
im Zölibat, und der andere ist ein grhastha-brahmacāri, das heißt,
er ist verheiratet, er verkehrt mit keiner anderen Frau, und auch
der Umgang mit seiner eigenen Frau ist genau geregelt. Durch Zö-
libat beziehungsweise eingeschränktes Geschlechtsleben kann ei-
ne Agitiertheit des Geistes vermieden werden. Und doch kann es
sein, daß selbst der Geist eines Menschen, der das Gelübde des
vollständigen Zölibats auf sich genommen hat, immer noch von
sexuellen Wünschen erregt wird; daher ist es in Indien denjenigen,
die den traditionellen yoga unter den strikten Gelübden des Zölibats
ausüben, nicht einmal erlaubt, mit der eigenen Mutter, Schwester
oder Tochter allein zusammenzusein. Der Geist ist so launenhaft
und ungestüm, daß schon die geringste Erregung verheerende Fol-
gen haben kann.
Der yogi sollte seinen Geist so schulen, daß er in der Lage ist, ihn
sogleich zurückzuholen, wenn er von der Meditation über Visnu ab-
schweift. Dies erfordert große Übung. Der yogi muß erkannt haben,
daß das wahre Glück in der Freude zu finden ist, die man durch die
transzendentalen Sinne erfährt, und nicht in dem Genuß, den die
materiellen Sinne bieten. Man muß weder die Sinne noch die Wün-
sche negieren, denn es gibt beides - Wünsche und Sinnengenuß -
auch in der spirituellen Sphäre. Wahres Glück ist transzendental zu
materiellen, sinnlichen Erfahrungen. Wer davon nicht überzeugt ist,
Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 265

wird bestimmt wieder materiellen Einflüssen unterliegen und zu


Fall kommen. Man muß sich deshalb bewußt sein, daß das Glück,
das man sich von materieller Sinnenbefriedigung erhofft, nicht wirk-
liches Glück ist.
Die echten yogis erfahren wahren Genuß. Doch worin besteht die-
ser Genuß? Ramante yogino 'nante: Ihr Genuß ist unbegrenzt, und
dieser unbegrenzte Genuß ist wahres Glück, und solches Glück ist
spirituell, nicht materiell. Das ist die eigentliche Bedeutung des Wor-
tes Rāma, wie es im mantra Hare Rāma vorkommt. Rama bezieht
sich auf den Genuß, den man durch spirituelles Leben erfāhrt. Das
spirituelle Leben ist voller Freude, und Krsna ist voller Freude. Es
geht nicht darum, die Freude zu verneinen, sondern sie auf richtige
Weise zu erfahren. Ein Kranker kann das Leben nicht genießen; was
er erfāhrt, ist falscher Genuß. Wenn er jedoch wieder gesund ist,
kann er sich des Lebens freuen. Ebenso erfahren auch wir keinen
wahren Genuß, solange wir in die materielle Lebensauffassung ver-
tieft sind, sondern werden mehr und mehr in die materielle Natur
verstrickt. Wenn ein Patient nicht essen darf, aber trotzdem maßlos
ißt, verursacht er dadurch seinen eigenen Tod. Je mehr wir also den
materiellen Genuß vergrößern, desto tiefer werden wir in die Welt
verstrickt und desto schwieriger wird es, aus der materiellen Ge-
fangenschaft auszubrechen. Alle yoga-Systeme haben das Ziel, die
bedingte Seele aus dieser Gefangenschaft zu befreien und sie vom
falschen Genuß materieller Dinge zum wahren Genuß des Krsna-
Bewußtseins zu führen. Sri Krsna sagt:

yatroparamate cittam
niruddham yoga-sevayā
yatra caivātmanātmānam
pasyann ātmani tusyati
sukham ātyantikam yat tad
buddhi-grāhyam atindriyam
vetti yatra na caivāyam
sthitas calati tattvatah
yam labdhvā cāparam lābham
manyate nādhikam tatah
266 Die Vollkommenheit des Yoga

yasmin sthito na duhkhena


gurunāpi vicālyate
tarn vidyād duhkha-samyoga-
viyogam yoga-samjnitam

„Auf der Stufe der Vollkommenheit, die man Trance oder samādhi
nennt, wird der Geist durch das Praktizieren von yoga vollständig
von allen materiellen gedanklichen Tätigkeiten abgehalten. Diese
Vollkommenheit ist dadurch charakterisiert, daß man die Fähigkeit
erlangt, durch den reinen Geist das Selbst zu sehen und im eigenen
Selbst Freude und Zufriedenheit zu genießen. In diesem freudvollen
Zustand erfährt man grenzenloses transzendentales Glück, das
durch transzendentale Sinne empfunden wird. So verankert, weicht
man niemals von der Wahrheit ab. Wenn man diese Stufe erreicht
hat, ist man überzeugt, daß es keinen größeren Gewinn gibt. In ei-
ner solchen Stellung gerät man niemals, nicht einmal inmitten der
größten Schwierigkeiten, ins Wanken. Dies ist in der Tat wirkliche
Freiheit von allen Leiden, die aus der Berührung mit der Materie
entstehen." (Bg. 6.20-23)
Der eine yoga-Pfad mag schwierig sein und der andere leicht, doch
in jedem Fall muß man sein Dasein lāutern, indem man erkennt, daß
wahrer Genuß im Krsna-Bewußtsein zu finden ist. Dann wird man
glücklich sein.

yadā hi nendriyārthesu
na karmasv anusajjate
sarva-sankalpa-sannyāsi
yogārüdhas tadocyate
uddhared ātmanātmānam
nātmānam avasādayet
ātmaiva hy ātmano bandhur
ātmaiva ripur ātmanah

„Man sagt, jemand sei im yoga fortgeschritten, wenn er alle mate-


riellen Wünsche aufgegeben hat und weder für Sinnenbefriedigung
handelt noch fruchtbringenden Tätigkeiten nachgeht. Man sollte
sich mit Hilfe seines Geistes befreien und nicht erniedrigen. Der
Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 267

Geist ist der Freund der bedingten Seele, aber auch ihr Feind."
(Bg. 6.4-5)
Wir müssen uns selbst bemühen, uns auf die spirituelle Ebene zu
erheben. So gesehen bin ich mein eigener Freund oder mein eigener
Feind. Wir haben die Wahl. In diesem Zusammenhang gibt es einen
sehr schönen Vers von Cānakya Pāndita: „Niemand ist der Freund
oder Feind eines anderen. Nur anhand des Verhaltens kann man er-
kennen, wer Freund und wer Feind ist." Mit anderen Worten, nie-
mand wird als unser Feind geboren, und niemand wird als unser
Freund geboren. Diese Rollen werden durch das gegenseitige Ver-
halten bestimmt. Wie man im Alltag zu anderen Menschen eine Be-
ziehung hat, so hat man auch eine Beziehung zu sich selbst. Jeder
kann sich selbst ein Freund oder ein Feind sein. Ich bin mein Freund,
wenn ich erkenne, daß ich eine spirituelle Seele bin, die irgendwie in
den Einflußbereich der materiellen Natur geraten ist, und dann ver-
suche, so zu handeln, daß ich von der materiellen Verstrickung frei
werde. Aber wenn ich diese Gelegenheit nicht nutze, selbst nach-
dem sie sich mir bietet, bin ich als mein größter Feind anzusehen.
bandhur ātmātmanas tasya
yenātmaivātmanā jitah
anātmanas tu satrutve
vartetātmaiva satru-vat

„Für den, der den Geist bezwungen hat, ist der Geist der beste
Freund; doch für den, der dies versäumt hat, bleibt der Geist der
größte Feind." (Bg. 6.6)
Wie ist es möglich, ein Freund seinerselbst zu werden? Dies wird
hier erklärt. ātmā kann „Geist", „Körper" und „Seele" bedeuten.
Wenn wir uns in der körperlichen Lebensauffassung befinden und
von ātmā sprechen, meinen wir damit den Körper. Wenn wir die
körperliche Lebensauffassung hinter uns lassen und uns auf die
mentale Ebene erheben, bezieht sich ātmā auf den Geist. Sind wir
aber auf der spirituellen Ebene verankert, bezieht sich ātmā auf die
Seele. In Wirklichkeit sind wir reine spirituelle Seelen. Auf diese
Weise kann das Wort ātmā - gemäß der spirituellen Entwicklung je-
des einzelnen - unterschiedliche Bedeutungen haben. Das vedische
Wörterbuch Nirukti erklärt, daß sich das Wort ātmā auf Körper, Geist
268 Die Vollkommenheit des Yoga

und Seele beziehen kann, doch in diesem Vers der Bhagavad-gitā be-
deutet ātmā „Geist".
Wenn es gelingt, durch yoga den Geist zu schulen, ist er unser
Freund; wird er hingegen nicht geschult, kann man unmöglich ein
erfolgreiches Leben führen. Für jemanden, der vom spirituellen Le-
ben keine Ahnung hat, ist der Geist ein Feind. Solange man sich für
den Körper hālt, wird der Geist nicht für das eigene Wohl tätig sein,
sondern bloß dem Interesse des physischen Körpers dienen, was
einzig und allein dazu führt, daß das Lebewesen noch mehr ver-
strickt wird und immer tiefer in die materielle Gefangenschaft ge-
rāt. Wenn man jedoch versteht, daß man eine spirituelle Seele jen-
seits des Körpers ist, kann der Geist eine befreiende Rolle spielen.
Der Geist an sich hat nichts zu tun; er wartet einfach nur darauf,
geschult zu werden, und am besten wird er durch Gemeinschaft ge-
schult. Die Funktion des Geistes ist es zu wünschen, und Wünsche
werden von der Gemeinschaft, in der wir uns befinden, geprägt.
Deshalb müssen wir gute Gemeinschaft aufsuchen, wenn der Geist
unser Freund sein soll.
Die beste Gemeinschaft ist die eines sādhu, eines Krsna-bewußten
Menschen, der nach spiritueller Verwirklichung strebt. Diejenigen,
die an vergänglichen Dingen (asat), der Materie und dem Körper,
interessiert sind, streben nur nach körperlichen Annehmlichkeiten
und werden auf diese Weise von vergänglichen Dingen gefangen.
Wer sich jedoch um Selbstverwirklichung bemüht, bemüht sich um
etwas Beständiges (sat). Es ist deshalb nur natürlich, daß ein intel-
ligenter Mensch die Gemeinschaft derer sucht, die auf einem der
yoga-Pfade nach Selbstverwirklichung streben. Solche sādhus (selbst-
verwirklichte Seelen) werden in der Lage sein, uns vom Verlangen
nach weltlicher Gemeinschaft zu befreien. Dies ist der große Vor-
teil guter Gemeinschaft. Krsna beispielsweise sprach die Bhagavad-
gitā zu Arjuna, um seine Anhaftung an materielle Zuneigung zu
durchtrennen. Weil Arjuna an äußerlichen Bindungen hing, die ihn
an der Erfüllung seiner Pflicht hinderten, durchtrennte Krsna die-
se Bindungen. Um etwas zu durchtrennen, braucht man ein schar-
fes Messer, und um den Geist von seinen Anhaftungen zu befreien,
sind oft scharfe Worte erforderlich. Der sādhu, der Lehrer, zeigt kein
Yoga als Mittel der Selbstkontrolle 269

Mitleid, wenn es darum geht, den Geist des Schülers mit Hilfe schar-
fer Worte von seinen materiellen Anhaftungen zu trennen; denn da-
durch, daß er kompromißlos die Wahrheit spricht, gelingt es ihm,
die Fesseln des Schülers zu durchschneiden. Zu Beginn der Bhaga-
vad-gitā beispielsweise richtet Krsna scharfe Worte an Arjuna, indem
Er ihm sagt, er sei ein großer Dummkopf, obwohl er wie ein Ge-
lehrter zu sprechen scheine. Wenn wir tatsāchlich Loslösung von der
materiellen Welt wünschen, müssen wir bereit sein, vom spirituellen
Meister solch schneidende Worte entgegenzunehmen. Kompromisse
und Schmeicheleien zeigen keine Wirkung, wo ein schärferer Ton
vonnöten ist.
An vielen Stellen der Bhagavad-gitā wird die materielle Lebens-
auffassung verurteilt. Wer denkt, das Land seiner Geburt sei ver-
ehrungswürdig, oder wer heilige Orte besucht, ohne den dort leben-
den sādhus Beachtung zu schenken, wird mit einem Esel verglichen.
Genauso wie ein Feind einem immer Schaden zufügen will, wird
auch der ungeschulte Geist einen immer tiefer in die materielle Ver-
strickung hineinziehen. Die bedingten Seelen kämpfen hart mit dem
Geist und den anderen Sinnen; da aber der Geist die Sinne lenkt, ist
es von höchster Wichtigkeit, den Geist zum Freund zu machen.
jitātmanah prasāntasya
paramātmā samāhitah
sitosna-sukha-duhkhesu
tathā-mānāpamānayoh
„Wer den Geist bezwungen hat, hat die Überseele bereits erreicht,
denn er hat Ausgeglichenheit erlangt. Für einen solchen Menschen
sind Glück und Leid, Hitze und Kālte, Ehre und Schmach alle das
gleiche." (Bg. 6.7)
Nur wenn wir den Geist schulen, können wir tatsāchlich Ausge-
glichenheit erlangen; denn sonst wird uns der Geist immer zu unbe-
ständigen Dingen ziehen, genau wie ein Pferd, das außer Kontrolle
geraten ist, eine Kutsche auf gefährliche Abwege lenkt. Obwohl wir
unvergänglich und ewig sind, haben wir irgendwie Zuneigung zu
vergänglichen Dingen entwickelt. Aber der Geist kann leicht um-
geschult werden, wenn man ihn einfach auf Krsna richtet. So wie
270 Die Vollkommenheit des Yoga

eine Festung uneinnehmbar ist, solange sie von einem mächtigen


General verteidigt wird, können keine Feinde in die Festung unse-
res Geistes eindringen, wenn Krsna in ihr weilt. Weltliche Bildung,
weltlicher Reichtum und weltliche Macht werden uns nicht hel-
fen, den Geist zu beherrschen. Im Gebet eines großen Gottgeweih-
ten heißt es: „Wann werde ich fähig sein, ununterbrochen an Dich
zu denken? Mein Geist schweift ständig ab; doch sobald ich ihn
auf Deine Lotosfüße richte, o Krsna, wird er klar." Wenn der Geist
klar ist, wird es möglich, über die Überseele zu meditieren, die im
Herzen eines jeden Lebewesens neben der individuellen Seele weilt.
Das yoga-System besteht darin, den Geist zu konzentrieren und ihn
auf den Paramātmā, die Überseele im Herzen, zu richten. Der oben
zitierte Vers der Bhagavad-gitā erklärt, daß jemand, der den Geist
bezwungen und alles Verlangen nach unbeständigen Dingen über-
wunden hat, sich in die Meditation über den Paramātmā vertiefen
kann, um so von aller Dualität und von falscher Identifikation frei
zu werden.
5. KAPITEL

Yoga als Befreiung


von Dualität
Die materielle Welt ist eine Welt der Dualität: Heute sind wir der
Hitze des Sommers unterworfen und morgen schon der Kālte des
Winters; einmal sind wir glücklich und ein andermal unglücklich;
einmal werden wir geehrt, und ein andermal geschmäht. In dieser
Welt der Dualität ist es unmöglich, etwas getrennt von seinem Ge-
genteil zu verstehen. Man kann nicht verstehen, was Ehre ist, so-
lange man nicht weiß, was Schmach ist. Ebensowenig kann man
verstehen, was Leid ist, wenn man niemals Glück erfahren hat, oder
verstehen, was Glück ist, wenn man niemals Leid erfahren hat. Die-
se Dualitäten müssen überwunden werden; aber solange man einen
materiellen Körper hat, wird es auch diese Dualitäten geben. Wenn
man sich von der körperlichen Lebensauffassung befreien will -
nicht vom Körper, sondern von der fälschlichen Identifikation mit
dem Körper -, muß man lernen, diese Dualitäten zu erdulden. Im
Zweiten Kapitel der Bhagavad-gitā sagt Krsna zu Arjuna, daß die
Erfahrung der Dualität von Freud und Leid allein auf den Kör-
per zurückzuführen ist. Man muß lernen, sie zu erdulden wie eine
Hautkrankheit. Obwohl eine solche Krankheit starkes Jucken verur-
sachen kann, sollte man nicht wie verrückt kratzen. Wir sollten nicht
die Nerven verlieren oder von unserer Pflicht abweichen, nur weil
uns Mücken stechen. Es gibt eine Unzahl von Dualitäten, die man
erdulden muß, aber wenn der Geist im Krsna-Bewußtsein gefestigt
ist, werden all diese Dualitäten unbedeutend erscheinen.
Wie wird es möglich, solche Dualitäten zu erdulden?

jnāna-vijnāna-trptātmā
kütha-stho vijitendriyah

271
272 Die Vollkommenheit des Yoga

yukta ity ucyate yogi


sama-lostrāsma-kāncanah
„Ein Mensch gilt als selbstverwirklicht und wird als yogi [Mystiker]
bezeichnet, wenn er aufgrund von gelerntem und verwirklichtem
Wissen völlig zufrieden ist. Ein solcher Mensch ist in der Transzen-
denz verankert und selbstbeherrscht. Er sieht alles - ob Kies, Steine
oder Gold - als gleich an." (Bg. 6.8)
Jnāna bedeutet theoretisches Wissen und vijnāna praktisches Wis-
sen. Ein Naturwissenschaftler zum Beispiel muß sowohl die theore-
tischen Grundlagen als auch die praktische Anwendung seiner Wis-
senschaft studieren. Theoretisches Wissen allein wird nichts nützen,
solange man nicht weiß, wie man es anwendet. Ebenso sollte man
im yoga nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch praktisches
Wissen haben. Es hilft nichts, wenn man einfach sagt: „Ich bin nicht
der Körper", und gleichzeitig auf unsinnige Weise handelt. Es gibt
zahlreiche Gesellschaften, deren Mitglieder angeregt Vedānta-Phi-
losophie diskutieren, wāhrend sie gleichzeitig rauchen, trinken und
ein sinnliches Leben führen. Niemandem ist mit rein theoretischem
Wissen geholfen, denn Wissen muß praktisch angewandt werden.
Wer tatsāchlich versteht, daß er nicht der Körper ist, wird ernsthaft
versuchen, seine körperlichen Bedürfnisse auf ein Minimum zu be-
schränken. Wenn man behauptet: „Ich bin nicht der Körper", aber
gleichzeitig die Bedürfnisse des Körpers vermehrt, hat dieses Wissen
keinen Nutzen. Ein Mensch findet nur dann Zufriedenheit, wenn er
sowohl jnāna als auch vijnāna besitzt.
Wer spirituelles Wissen praktisch verwirklicht hat, ist wahrhaft
im yoga verankert. Es hat keinen Wert, ständig an yoga-Kursen teil-
zunehmen, wenn man genauso weiterlebt wie zuvor. Es muß sich
praktische Verwirklichung einstellen. Und woran erkennt man die-
se? Der Geist wird ruhig und ausgeglichen sein und nicht mehr von
der Anziehungskraft der materiellen Welt beeinflußt werden. Auf
dieser Stufe der Selbstbeherrschung fühlt man sich nicht mehr zum
materiellen Flimmern hingezogen, und man sieht alles - ob Kies,
Steine oder Gold - als gleich an. In der materialistischen Zivilisation
werden im Namen des materiellen Fortschritts zahllose Produkte
erzeugt, die nur der Sinnenbefriedigung dienen; wer aber im yoga
Yoga als Befreiung von Dualität 273

fortgeschritten ist, mißt solchen Produkten nicht mehr Wert bei als
dem Abfall auf der Straße. Des weiteren erklärt die Bhagavad-gitā:

suhrn-mitrāry-udāsma-
madhyastha-dvesya-bandhusu
sādhusv api ca pāpesu
sama-buddhir visisyate

„Als noch weiter fortgeschritten gilt derjenige, der aufrichtige Gön-


ner, zugeneigte Wohltäter, Neutralgesinnte, Vermittler und Neider,
Freunde und Feinde sowie die Frommen und die Sünder alle mit
gleicher Geisteshaltung sieht." (Bg. 6.9)
Es gibt verschiedene Arten von Freunden: den suhrt, der von Na-
tur aus ein Wohltäter ist und einem immer nur das Beste wünscht;
den mitra, einen gewöhnlichen Freund, und den udāsina, der neutral
gesinnt ist. In der materiellen Welt tritt der eine als unser Wohl-
täter oder Freund auf, und ein anderer ist uns weder freundlich
noch feindlich, sondern neutral gesinnt. Der eine kann als Vermitt-
ler zwischen uns und unseren Feinden dienen, was im obigen Vers
als madhya-stha bezeichnet wird, und ein anderer mag uns entspre-
chend unseren eigenen Maßstäben fromm oder sündhaft erscheinen.
Doch für jemanden, der in der Transzendenz verankert ist, hören
diese Unterscheidungen wie Freund und Feind auf zu existieren.
Wer wahres Wissen besitzt, sieht niemanden mehr als Feind oder
Freund, denn er hat erkannt, daß in Wirklichkeit niemand „mein
Feind", „mein Freund", „mein Vater" oder „meine Mutter" ist. Wir
alle sind Lebewesen, die in einem Vater-, Mutter-, Kind-, Freund-,
Feind-, Sünder- oder Heiligenkostüm auf einer Bühne auftreten, ver-
gleichbar mit einem monumentalen Bühnenstück, in dem verschie-
denste Personen ihre Rolle spielen. Auf der Bühne kann jemand die
Rolle eines Feindes spielen, aber wenn die Schauspieler die Bühne
verlassen, sind sie allesamt Freunde. Ebenso spielen wir auf der
Bühne der materiellen Natur mit unserem Körper vielerlei Rollen
und versehen uns gegenseitig mit vielerlei Bezeichnungen. Ich mag
denken: „Dies ist mein Sohn", aber in Wirklichkeit ist es mir nicht
möglich, einen Sohn zu zeugen; ich kann höchstens einen Körper
zeugen. Es liegt nicht in der Macht des Menschen, ein Lebewesen
274 Die Vollkommenheit des Yoga

zu zeugen. Bloß durch Geschlechtsverkehr kann kein Lebewesen


gezeugt werden. Damit ein Kind entstehen kann, muß erst das Le-
bewesen in die Verbindung von Samen- und Eizelle hineinversetzt
werden. So lautet die Aussage des Srimad-Bhāgavatam.
Die verschiedenen Beziehungen zwischen Körpern sind also nur
ein Rollenspiel auf einer Bühne. Wer jedoch tatsāchlich selbstver-
wirklicht ist und die Stufe des yoga erreicht hat, sieht diese körper-
lichen Unterschiede nicht mehr.
6. KAPITEL

Das Schicksal des


gescheiterten Yogi
Die Bhagavad-gitā lehnt die yoga-Meditation nicht etwa ab, vielmehr
erkennt sie diese Form des yoga als autorisierten Vorgang an, weist
aber darauf hin, daß sie im gegenwärtigen Zeitalter undurchführbar
ist. Deshalb schließen Krsna und Arjuna dieses Thema des Sechs-
ten Kapitels der Bhagavad-gitā schnell ab, und Arjuna stellt seine
nächste Frage:

ayatih sraddhayopeto
yogāc calita-mānasah
aprāpya yoga-samsiddhim
kam gatim krsna gacchati

„O Krsna, was ist die Bestimmung eines Transzendentalisten, der


nicht erfolgreich ist, der am Anfang den Vorgang der Selbstverwirk-
lichung mit Glauben aufnimmt, ihn später jedoch aufgrund seiner
Weltzugewandtheit wieder verläßt und daher die Vollkommenheit
der Mystik nicht erreicht?" (Bg. 6.37)
Mit anderen Worten, Arjuna fragt nach der Bestimmung eines
gescheiterten yogi, der zwar versucht, yoga auszuüben, dann aber
aus irgendwelchen Gründen wieder davon abkommt und nicht den
endgültigen Erfolg erlangt. Solch ein yogi läßt sich mit einem Stu-
denten vergleichen, der kein Diplom bekommt, da er sein Studium
abbricht. An einer anderen Stelle in der Gitā sagt Sri Krsna zu Ar-
juna, daß unter vielen Menschen nur wenige nach Vollkommenheit
streben und daß unter denen, die nach Vollkommenheit streben, nur
wenige die Vollkommenheit erlangen. Arjuna fragt deshalb, was aus
denjenigen wird, denen kein Erfolg beschieden ist. Denn es ist sehr

275
276 Die Vollkommenheit des Yoga

wohl möglich, daß selbst jemand, der Glauben besitzt und sich im
yoga um Vollkommenheit bemüht, diese Vollkommenheit aufgrund
von „Weltzugewandtheit" nicht erreicht.

kaccin nobhaya-vibhrastas
chinnābhram iva nasyati
apratistho mahā-bāho
vimüdho brahmanah pathi

„O starkarmiger Krsna, ist ein solcher Mensch, der vom Pfad der
Transzendenz abweicht, nicht sowohl des spirituellen als auch des
materiellen Erfolgs beraubt, und wird er nicht wie eine zerrissene
Wolke vergehen, haltlos in jeder Beziehung?" (Bg. 6.38)
Sobald eine Wolke einmal vom Wind auseinandergetrieben wur-
de, wird sie sich nie wieder zusammenfügen.

etan me samsayam krsna


chettum arhasy asesatah
tvad-anyah samsayasyāsya
chettā na hy upapadyate

„Das ist mein Zweifel, o Krsna, und ich bitte Dich, ihn völlig zu
beseitigen. Außer Dir gibt es niemanden, der diesen Zweifel zer-
schlagen kann." (Bg. 6.39)
Arjuna stellt hier die Frage nach dem weiteren Schicksal eines
gescheiterten yogi, damit zukünftige Generationen nicht entmutigt
werden. Mit dem Wort yogi bezieht sich Arjuna sowohl auf den
hatha-yogi wie auch auf den jnāna-yogi und bhakti-yogi, denn Medi-
tation ist nicht die einzige Form des yoga. Der Meditierende, der Phi-
losoph und der Gottgeweihte gelten alle als yogis. Arjuna stellt da-
her diese Frage im Namen all derer, die sich bemühen, erfolgreiche
Transzendentalisten zu werden. Sri Krsna antwortet ihm wie folgt:

sri-bhagavān uvāca
pārtha naiveha nāmutra
vināsas tasya vidyate
na hi kalyāna-krt kascid
durgatim tāta gacchati
Das Schicksal des gescheiterten Yogi 277

In diesem wie auch in vielen anderen Versen der Gitā wird Sri
Krsna als Bhagavan bezeichnet. Dies ist einer der unzähligen Na-
men des Herrn. Bhagavan weist darauf hin, daß Krsna der Besitzer
von sechs Vollkommenheiten ist: Er besitzt Schönheit, Reichtum,
Macht, Ruhm, Wissen und Entsagung in unbegrenztem Ausmaß.
Auch die Lebewesen haben an diesen Vollkommenheiten teil, wenn
auch nur in sehr begrenztem Ausmaß. Jemand mag in einer Fami-
lie, in einer Stadt, in einem Land oder auf einem Planeten berühmt
sein, doch niemand ist in der gesamten Schöpfung so berühmt wie
Sri Krsna. Staatsführer erlangen vielleicht für einige Jahre Ruhm; Sri
Krsna jedoch, der vor fünftausend Jahren erschien, wird noch heu-
te verehrt. Wer also diese sechs Vollkommenheiten in unbegrenztem
Ausmaß besitzt, ist Gott. In der Bhagavad-gitā offenbart Sich Krsna
Arjuna als der Höchste Herr, der vollständiges Wissen besitzt. Krsna
lehrte die Bhagavad-gitā den Sonnengott und Arjuna, doch nirgend-
wo wird erwähnt, daß die Bhagavad-gitā Krsna gelehrt wurde. Denn
vollständiges Wissen bedeutet, daß man alles weiß, und dies ist eine
Eigenschaft, die nur Gott besitzt. Da Krsna alles weiß, stellt Ihm Ar-
juna hier die Frage nach der Bestimmung eines gescheiterten yogi.
Es wäre aussichtslos, wenn Arjuna versuchte, die Wahrheit selbst
herauszufinden. Er muß die Wahrheit einfach von der vollkomme-
nen Quelle empfangen, so wie es das System der Schülernachfolge
vorsieht. Krsna ist vollkommen, und das Wissen, das von Krsna
ausgeht, ist ebenfalls vollkommen. Wenn wir das vollkommene Wis-
sen, das Arjuna erhalten hat, von ihm so empfangen, wie es zu ihm
gesprochen wurde, gelangen auch wir in den Besitz von vollkom-
menem Wissen. Und was besagt dieses Wissen? „Die Höchste Per-
sönlichkeit Gottes sprach: O Sohn Prthās, ein Transzendentalist, der
glückbringenden Tätigkeiten nachgeht, wird weder in dieser Welt
noch in der spirituellen Welt Vernichtung erleiden; wer Gutes tut,
Mein Freund, wird niemals vom Bösen besiegt." (Bg. 6.40) Mit die-
sen Worten weist Krsna darauf hin, daß die Bemühung um Voll-
kommenheit im yoga allein schon höchst glückverheißend ist; und
wer sich um etwas so Glückverheißendes bemüht, wird niemals
erniedrigt.
Arjuna stellt eine sehr wichtige und intelligente Frage, denn es ist
278 Die Vollkommenheit des Yoga

nicht selten, daß jemand von der Ebene des hingebungsvollen Dien-
stes wieder herabfāllt. Manchmal kann ein Gottgeweihter auf der
Anfängerstufe die Regeln und Vorschriften nicht einhalten. Es kann
vorkommen, daß er der Berauschung oder dem Zauber schöner
Frauen erliegt. Dies alles sind Hindernisse auf dem Pfad zur Voll-
kommenheit des yoga. Doch Sri Krsna gibt Arjuna eine ermutigende
Antwort, denn Er sagt, daß jemand, der mit aufrichtiger Bemühung
auch nur ein einziges Prozent an spirituellem Wissen entwickelt, nie
wieder in den materiellen Strudel hineingerissen wird. Das ist die
Macht einer ernsthaften Bemühung. Wir dürfen nie vergessen, daß
wir schwach sind und daß die materielle Energie sehr stark ist. Spi-
rituelles Leben aufzunehmen bedeutet mehr oder weniger, der ma-
teriellen Energie den Krieg zu erklären. Die materielle Energie ver-
sucht immer, die bedingte Seele mit allen Mitteln zu verführen; doch
wenn die bedingte Seele im spirituellen Wissen Fortschritt machen
will, um ihren Fāngen zu entkommen, bemüht sich māyā, die ma-
terielle Energie, noch mehr, die Ernsthaftigkeit des aufstrebenden
Spiritualisten zu prüfen, und wird mit größeren Verlockungen auf-
warten.
In diesen Zusammenhang paßt die Geschichte von Visvamitra
Muni, einem großen König und ksatriya, der seinem Königreich ent-
sagte und sich dem Vorgang des yoga zuwandte, um spirituellen
Fortschritt zu machen. Zu jener Zeit war es noch möglich, dem Vor-
gang der yoga-Meditation zu folgen. Visvamitra Muni versenkte sich
so tief in Meditation, daß Indra, der König des Himmels, auf ihn auf-
merksam wurde und dachte: „Dieser Mensch versucht, mir meine
Stellung streitig zu machen." Da auch die himmlischen Planeten ma-
teriell sind, gibt es selbst dort Konkurrenzdenken - genau wie unter
Geschäftsleuten, wo keiner von einem anderen übertroffen werden
will. Aus Furcht, Visvamitra Muni würde ihn entthronen, sandte
Indra ein himmlisches Gesellschaftsmādchen namens Menakā, da-
mit sie ihn verführe. Menakā war von bezaubernder Schönheit, und
sie war entschlossen, die Meditation des Muni zu unterbrechen. Tat-
sāchlich wurde er durch den Klang der Fußglöckchen auf ihre Ge-
genwart aufmerksam und blickte sogleich von seiner Meditation
auf. Als er Menakā sah, wurde er von ihrer Schönheit überwältigt,
Das Schicksal des gescheiterten Yogi 279

und aus ihrer Verbindung ging das hübsche Mādchen Sakuntalā


hervor. Bei Sakuntalās Geburt klagte Visvāmitra: „O weh, ich ver-
suchte, spirituelles Wissen zu kultivieren, und wieder ließ ich mich
verführen!" Als Menakā mit der bezaubernden Tochter vor ihn trat,
wollte Visvāmitra sich entfernen. Sie tadelte ihn, und sie flehte ihn
an, aber dennoch entschloß er sich letztlich, aufzubrechen und sein
spirituelles Leben fortzuführen.
Dieses Beispiel zeigt, daß auf dem Pfad des yoga jederzeit ein
Rückschlag möglich ist. Sogar ein großer Weiser wie Visvāmitra
Muni kann weltlichen Verlockungen zum Opfer fallen. Doch ob-
wohl er zu Fall kam, entschloß er sich, den yoga-Vorgang wieder auf-
zunehmen, und dies sollte auch unser Entschluß sein. Krsna bekräf-
tigt, daß solche Fehlschlāge kein Grund zur Verzweiflung sind. Ein
bekanntes [englisches] Sprichwort lautet: „Mißerfolg ist die Säule
des Erfolgs." Insbesondere im spirituellen Leben sollte man sich von
Fehlschlāgen nicht entmutigen lassen. Krsna sagt sehr deutlich, daß
man selbst bei einem Mißerfolg weder im jetzigen noch im nächsten
Leben einen Verlust erleidet. Wer sich dem glückverheißenden Pfad
des spirituellen Lebens zuwendet, kann durch nichts völlig ver-
nichtet werden.
Was geschieht jedoch konkret mit einem Spiritualisten, der nicht
die Vollkommenheit erreicht? Wie Sri Krsna erklärt, gibt es mehrere
Möglichkeiten:

prāpya punya-krtām lokān


usitvā sāsvatih samāh
sucinām srimatām gehe
yoga-bhrasto 'bhijāyate
atha vā yoginām eva
kule bhavati dhimatām
etad dhi durlabhataram
loke janma yad idrsam

„Nach vielen, vielen Jahren des Genusses auf den Planeten der from-
men Lebewesen wird der gescheiterte yogi in einer Familie recht-
schaffener Menschen oder in einer reichen, aristokratischen Familie
280 Die Vollkommenheit des Yoga

geboren. Oder er wird in einer Familie von Transzendentalisten ge-


boren, die zweifellos große Weisheit besitzen. Wahrlich, eine solche
Geburt ist sehr selten in dieser Welt." (Bg. 6.41-42)
Es gibt viele Planeten im Universum, und auf den höheren Pla-
neten genießt man größere Annehmlichkeiten und eine längere Le-
bensdauer als auf der Erde. Die Bewohner der höheren Planeten
sind religiös und von göttlichem Wesen. Es heißt, daß sechs Mo-
nate auf der Erde einem Tag auf den höheren Planeten gleichkom-
men, was bedeutet, daß der gescheiterte yogi für viele, viele Jahre
auf diesen Planeten leben darf. Den vedischen Schriften zufolge be-
trāgt die Lebensdauer auf den himmlischen Planeten zehntausend
Jahre. Selbst wenn jemand auf dem Pfad des yoga scheitert, wird er
auf diese höheren Planeten erhoben. Doch auch dort kann er nicht
ewig bleiben. Denn sobald die Früchte oder Ergebnisse seiner from-
men Tätigkeiten aufgebraucht sind, muß er wieder zur Erde zurück-
kehren. Ein gescheiterter yogi befindet sich aber selbst nach seiner
Rückkehr auf die Erde noch in günstigen Umstānden, denn er wird
in einer sehr reichen oder frommen Familie geboren werden.
Wer fromme Taten vollbringt, wird gemäß dem Gesetz des karma
im nächsten Leben für gewöhnlich mit einer Geburt in einer aristo-
kratischen oder wohlhabenden Familie, mit großer Gelehrtheit oder
mit Schönheit belohnt. Auf alle Fālle ist jedem, der sich ernsthaft
dem spirituellen Leben zuwendet, im nächsten Leben nicht nur eine
Geburt als Mensch garantiert, sondern sogar eine Geburt in einer
sehr frommen oder reichen Familie. Wer in solch günstigen Um-
stānden geboren wird, hat dies also seinen früheren frommen Hand-
lungen und der Gnade Gottes zu verdanken. Der Herr gibt uns diese
Möglichkeiten, da Er immer bereit ist, uns alles zu geben, was wir
brauchen, um zu Ihm zu kommen. Krsna will nur sehen, daß wir
aufrichtig sind. Im Srimad-Bhāgavatam heißt es, daß jeder Mensch be-
stimmte Pflichten in seinem Leben hat, egal welcher Stellung inner-
halb der Gesellschaft er angehört. Wenn nun jemand diese vorge-
schriebenen Pflichten aufgibt und aus irgendwelchen Gründen -
sei es aufgrund von momentaner Laune, Gemeinschaft oder Ver-
rücktheit - bei Krsna Zuflucht sucht, dann aber wegen seiner Un-
reife vom Pfad der Hingabe wieder abkommt, verliert er dennoch
nichts. Was hingegen gewinnt jemand, der all seine Pflichten perfekt
Das Schicksal des gescheiterten Yogi 281

erfüllt, sich aber Gott nicht zuwendet? Sein Leben verstreicht in der
Tat ohne Gewinn. Wer sich hingegen einmal Krsna zugewandt hat,
befindet sich in einer viel besseren Situation, selbst wenn er von der
Ebene des yoga wieder herabfāllt.
Krsna betont des weiteren, daß von allen guten Familien, in denen
man geboren werden kann - wie Familien von erfolgreichen Hānd-
lern, von Philosophen oder Spiritualisten -, die beste die Familie
von yogis ist. Wer in einer reichen Familie geboren wird, kann leicht
auf Abwege geraten, denn für gewöhnlich möchten Menschen den
Reichtum, den sie bekommen, auch genießen. Aus diesem Grund
werden die Söhne reicher Familien oft alkoholsüchtig oder suchen
Prostituierte auf. Ebenso wird jemand, der in einer frommen Fami-
lie oder in einer Familie von brāhmanas geboren wird, häufig sehr
stolz und arrogant, da er sich einbildet: „Ich bin ein brāhmana, ich
bin fromm." Sowohl in reichen als auch in frommen Familien be-
steht die Gefahr, sich zu erniedrigen. Wer jedoch in einer Familie
von yogis oder Gottgeweihten geboren wird, hat die beste Voraus-
setzung, wieder zur Stufe des spirituellen Lebens zu gelangen, von
der er gefallen ist. Krsna sagt zu Arjuna:

tatra tam buddhi-samyogam


labhate paurva-dehikam
yatate ca tato bhūyah
samsiddhau kuru-nandana

„Wenn er in einer solchen Familie geboren wird, erweckt er das


göttliche Bewußtsein seines vorherigen Lebens wieder und versucht
weiteren Fortschritt zu machen, um vollständigen Erfolg zu errei-
chen, o Sohn Kurus." (Bg. 6.43)
Wenn man Eltern bekommt, die yoga oder hingebungsvollen
Dienst ausüben, erinnert man sich an seine spirituellen Tātigkeiten,
die man im letzten Leben verrichtet hat. Wer sich ernsthaft dem
Krsna-Bewußtsein zuwendet, ist kein gewöhnlicher Mensch. Er muß
sich bereits in seinem vorigen Leben mit demselben Vorgang be-
schäftigt haben, wie die Bhagavad-gitā bestätigt:

pūrvābhyāsena tenaiva
hriyate hy avaso 'pi sah
282 Die Vollkommenheit des Yoga

„Dank des göttlichen Bewußtseins seines vorherigen Lebens fühlt er


sich von selbst - sogar wenn er nicht danach strebt - zu den Prinzi-
pien des yoga hingezogen." (Bg. 6.44)
Niemand in der materiellen Welt kann seine Güter in ein anderes
Leben mitnehmen. Man mag Millionen von Dollars auf der Bank
haben, aber sobald man sich vom Körper trennen muß, muß man
sich auch vom Bankkonto trennen. Das Geld bleibt auf der Bank
und wird nach dem Tod des Besitzers von jemand anderem genos-
sen. Im spirituellen Leben verhālt es sich nicht so: Selbst wenn man
nur sehr geringen spirituellen Fortschritt gemacht hat, nimmt man
ihn mit ins nächste Leben und fāngt dort an, wo man aufgehört hat.
Wenn man sich nach dieser Unterbrechung wieder dem spirituel-
len Leben zuwendet, sollte man sich bemühen, den notwendigen
Fortschritt zu machen, um das Ziel des yoga-Pfades zu erreichen.
Man sollte nicht das Risiko auf sich nehmen, die verbleibenden
Schritte auf das nächste Leben zu verschieben, sondern sich vor-
nehmen, das Ziel schon in diesem Leben zu erreichen. Diese Ent-
schlossenheit muß man aufbringen: „Aus irgendwelchen Gründen
habe ich im vergangenen Leben meine spirituelle Schulung nicht
abgeschlossen. In diesem Leben nun, wo Krsna mir eine neue Ge-
legenheit bietet, will ich sie, ohne abzuweichen, vollenden." Auf
diese Weise wird es möglich, nach dem Verlassen des gegenwār-
tigen Körpers zu Krsna zurückzukehren, anstatt wieder in der ma-
teriellen Welt geboren zu werden, wo Geburt, Alter, Krankheit und
Tod allgegenwärtig sind. Wer bei Krsnas Lotosfüßen Zuflucht sucht,
erkennt, daß die materielle Welt nichts anderes als ein Ort der Ge-
fahren ist; für jemanden, der spirituelles Leben praktizieren will,
ist sie ungeeignet. Srila Bhaktisiddhānta Sarasvati sagte des öfteren:
„Dies ist kein Ort für einen Gentleman." Sobald wir uns Krsna zu-
wenden und versuchen, spirituellen Fortschritt zu machen, wird
Krsna, der in unserem Herzen weilt, uns Anweisungen geben. In
der Gitā sagt Sri Krsna, daß Er dem, der sich an Ihn erinnern will,
die Erinnerung gibt, und dem, der Ihn vergessen will, die Erlaubnis
gibt, Ihn zu vergessen.
7. KAPITEL

Yoga als Verbindung


mit Krsna
Heute hört man sehr viel über yoga, und yoga wird auch von der
Bhagavad-gitā empfohlen. Das yoga-System der Bhagavad-gitā jedoch
ist insbesondere zur Läuterung bestimmt. Yoga hat drei Ziele: die Be-
herrschung der Sinne, die Läuterung der Handlungen und die Ver-
bindung mit Krsna in einer gegenseitigen Beziehung.
Die Absolute Wahrheit wird in drei Stufen erkannt: als das un-
persönliche Brahman, als der lokalisierte Paramātmā (Überseele)
und letztlich als Bhagavān, die Höchste Persönlichkeit Gottes. In
Ihrem höchsten Aspekt ist die Absolute Wahrheit eine Person. Diese
Höchste Person existiert jedoch gleichzeitig als alldurchdringende
Überseele im Herzen aller Lebewesen und im Innern aller Atome
sowie als das brahmajyoti, die Ausstrahlung spirituellen Lichts. Als
Höchste Persönlichkeit Gottes besitzt Bhagavān Sri Krsna vollkom-
menen Reichtum, aber gleichzeitig zeichnet Ihn auch vollkommene
Entsagung aus. Wer in der materiellen Welt großen Reichtum be-
sitzt, ist meistens nicht sehr geneigt, ihn aufzugeben. Krsna jedoch
ist anders: Er kann allem entsagen und bleibt dennoch vollständig
in Sich selbst.
Wenn wir die Bhagavad-gitā unter der Anleitung eines echten spi-
rituellen Meisters lesen und studieren, sollten wir nicht denken, der
spirituelle Meister trage seine eigenen Meinungen vor. Es ist nicht
er, der spricht, denn er ist nur ein Werkzeug; wer in Wirklichkeit
spricht, ist die Höchste Persönlichkeit Gottes, die Sich in ihm wie
auch außerhalb von ihm befindet. Zu Beginn Seiner Ausführungen
über das yoga-System im Sechsten Kapitel der Bhagavad-gitā sagt
Sri Krsna:

283
284 Die Vollkommenheit des Yoga

anāsritah karma-phalam
kāryam karma karoti yah
sa sannyāsi ca yogi ca
na niragnir na cākriyah

„Wer nicht an den Früchten seiner Arbeit haftet und so handelt, wie
es seine Pflicht vorschreibt, befindet sich im Lebensstand der Entsa-
gung. Er ist der wahre Mystiker, und nicht der, der kein Feuer ent-
zündet und keine Pflicht erfüllt." (Bg. 6.1)
Jeder arbeitet mit der Erwartung eines Ergebnisses, und deshalb
könnte man sich fragen, was der Nutzen einer Arbeit ist, wenn man
kein Ergebnis erwartet. Wer arbeitet, verlangt immer einen Gegen-
wert oder einen Lohn, doch hier weist Krsna darauf hin, daß man
auch allein aus Pflichtgefühl arbeiten kann, ohne irgendwelche Er-
gebnisse zu erwarten. Wenn man auf diese Weise handelt, ist man
wirklich ein sannyāsi und befindet sich im Lebensstand der Ent-
sagung.
In der vedischen Kultur gibt es vier Lebensstufen: brahmacarya,
grhastha, vanaprastha und sannyāsa. Brahmacarya ist der Lebensab-
schnitt, in dem man als Student im spirituellen Wissen ausgebildet
wird. Grhastha ist der Lebensabschnitt, in dem man als Haushālter
ein Eheleben führt. Im Alter von ungefähr fünfzig Jahren kann man
in den Lebensstand des vanaprastha eintreten, was bedeutet, daß
man Haus und Kinder verlāßt und mit seiner Frau zu heiligen
Pilgerorten reist. Letztlich trennt sich der Mann auch von der Frau
und bleibt allein, um sich vollständig ins Krsna-Bewußtsein zu ver-
tiefen. Dies wird sannyāsa, die Lebensstufe der Entsagung, genannt.
Krsna weist allerdings darauf hin, daß für einen sannyāsi Entsagung
nicht alles ist; er muß sich auch einer Pflicht zuwenden. Doch wor-
in besteht die Pflicht eines sannyāsi, der dem Familienleben entsagt
hat und keine materiellen Verpflichtungen mehr besitzt? Die Pflicht
des sannyāsi ist von höchster Verantwortung: sie besteht darin, für
Krsna zu handeln. Dies ist die einzig wahre Pflicht aller Menschen,
welcher Lebensstufe sie auch immer angehören.
Es gibt zwei Arten von Pflichten: die eine besteht darin, der Illu-
sion zu dienen, und die andere, der Realität zu dienen. Wenn man
der Realität dient, ist man ein echter sannyāsi, und wenn man der II-
Yoga als Verbindung mit Krsna 285

lusion dient, wird man von māyā getäuscht. Man muß daher erken-
nen, daß man immer und überall gezwungen ist zu dienen. Man hat
nur die Wahl, entweder der Illusion oder der Realität zu dienen. Die
wesensgemäße Stellung des Lebewesens ist es, Diener zu sein, nicht
Meister. Obgleich man sich für den Meister halten mag, ist man in
Wirklichkeit ein Diener. Der Familienvater kann zwar denken, er sei
der Herr seiner Frau, seiner Kinder, seines Hauses und seines Ge-
schäftes, aber das ist ein Trugschluß. In Wirklichkeit ist er der Diener
seiner Frau, seiner Kinder und seines Geschäftes. Ein Präsident mag
als Herr des Landes gelten, wāhrend er in Wirklichkeit der Diener
des Landes ist. Wir sind immer Diener - entweder Diener der Illu-
sion oder Diener Gottes. Wenn wir es jedoch vorziehen, ein Diener
der Illusion zu bleiben, vergeuden wir unser Leben.
Natürlich denkt niemand, er sei ein Diener; jeder denkt, er arbei-
te nur in seinem eigenen Interesse. Man mag auch tatsāchlich die
Ergebnisse seiner Arbeit bekommen, doch diese Ergebnisse sind ver-
gänglich und illusorisch, und sie zwingen einen, ein Diener der Il-
lusion, ein Diener der Sinne, zu werden. Wenn man aber seine tran-
szendentalen Sinne wiedererweckt und wahres Wissen erlangt, wird
man ein Diener der Realität. Wer einmal die Ebene des Wissens er-
reicht hat, erkennt, daß er unter allen Umständen ein Diener ist. Da
es nie möglich sein wird, Meister zu sein, dient man besser der Re-
alität als der Illusion. Wenn man sich dessen bewußt wird, hat man
die Stufe des wahren Wissens erreicht. Die Bezeichnung sannyāsa,
Lebensstand der Entsagung, bezieht sich auf diese Stufe, denn was
den sannyāsa-Stand ausmacht, ist die spirituelle Verwirklichung und
nicht der soziale Status.
Es ist die Pflicht eines jeden, Krsna-bewußt zu werden und Krsnas
Wünschen zu dienen. Wenn man dies wirklich erkennt, wird man
ein mahātmā, eine große Seele. In der Bhagavad-gitā sagt Krsna, daß
jemand, der nach vielen Geburten die Stufe des wahren Wissens er-
reicht hat, „sich Mir ergibt". Weshalb? Vāsudevah sarvam iti. Weil ein
solcher Weiser erkannt hat, daß „Vāsudeva [Krsna] alles ist". Doch
dann erklärt Krsna, daß eine solche große Seele selten zu finden ist.
Was ist der Grund dafür? Warum sollte ein intelligenter Mensch, der
verstanden hat, daß es das höchste Ziel des Lebens ist, sich Krsna zu
ergeben, zögern, dies zu tun? Warum ergibt er sich nicht sogleich?
286 Die Vollkommenheit des Yoga

Was ist der Nutzen, so viele Leben zu warten? Wer dies erkennt und
sich Krsna ergibt, wird ein wahrer sannyāsi. Krsna zwingt niemals
jemanden, sich Ihm zu ergeben. Hingabe ist eine Frucht der Liebe,
transzendentaler Liebe. Wo es Zwang gibt, gibt es keine Freiheit,
und wo es keine Freiheit gibt, gibt es auch keine Liebe. Eine Mut-
ter liebt ihr Kind nicht, weil sie dazu gezwungen ist oder eine Be-
zahlung oder Belohnung erwartet.
Die Liebe zum Höchsten Herrn kann sich in vielen Formen offen-
baren. Wir können Ihn als unseren Meister, unseren Freund, un-
ser Kind oder unseren Gemahl lieben. Es gibt fünf grundlegende
Beziehungen (rasas), die uns ewig mit Gott verbinden. Wenn wir
die befreite Stufe des Wissens erreichen, werden wir erkennen,
welche persönliche rasa-Beziehung wir zum Höchsten Herrn ha-
ben. Diese Stufe wird svarūpa-siddhi, wahre Selbstverwirklichung,
genannt. Wir alle haben eine ewige Beziehung zum Herrn, entwe-
der als Diener, Freund, Vater oder Mutter, Gemahlin oder Geliebte.
Diese Beziehung ist ewig vorhanden, und der gesamte Vorgang der
spirituellen Verwirklichung und die eigentliche Vollkommenheit des
yoga bestehen darin, das Bewußtsein dieser Beziehung wiederzuer-
wecken. Gegenwärtig wird unsere Beziehung zum Höchsten Herrn
in der materiellen Welt auf verzerrte Weise widergespiegelt. In der
materiellen Welt beruht die Beziehung zwischen Meister und Diener
auf Geld, Zwang oder Ausbeutung, ganz bestimmt nicht auf Lie-
be. Die verzerrte Widerspiegelung der Beziehung von Meister und
Diener besteht nur solange, wie der Meister den Diener bezahlen
kann. Sobald die Bezahlung aufhört, endet auch die Beziehung.
Ebenso verhālt es sich mit weltlichen Freundschaften: Schon bei
der kleinsten Auseinandersetzung bricht die Freundschaft, und der
Freund wird zum Feind. Wenn es zwischen dem Sohn und den
Eltern zu einer Meinungsverschiedenheit kommt, verläßt der Sohn
das Zuhause, und die Beziehung wird abgebrochen. Auch in Ehen
läßt sich beobachten, daß schon bei einer geringen Unstimmigkeit
Mann und Frau auseinandergehen und es zur Scheidung kommt.
Beziehungen in der materiellen Welt sind weder echt noch ewig.
Wir müssen uns immer vor Augen halten, daß diese flüchtigen Be-
ziehungen nichts anderes als verzerrte Widerspiegelungen unserer
Yoga als Verbindung mit Krsna 287

ewigen Beziehung zur Höchsten Persönlichkeit Gottes sind. Das


Spiegelbild eines Gegenstandes ist nicht echt; der Gegenstand mag
zwar echt aussehen, doch wenn wir ihn anfassen wollen, stoßen wir
nur auf Glas. Ebenso sind die Beziehungen als Freund, Mutter, Va-
ter, Kind, Meister, Diener, Ehemann, Ehefrau oder Geliebte bloß Wi-
derspiegelungen der Beziehung, die wir zu Gott haben. Wenn wir
dies erkennen, besitzen wir vollkommenes Wissen, und wir werden
verstehen, daß wir Diener Krsnas sind und daß uns eine ewige Be-
ziehung der Liebe mit Ihm vereint.
In dieser Beziehung der Liebe geht es nicht um Belohnung, ob-
wohl natürlich die Belohnung nicht ausbleibt und sie viel größer ist
als jeglicher Lohn, den wir in der materiellen Welt für unsere Dien-
ste bekommen können. Die Belohnung, die Sri Krsna gibt, ist unbe-
grenzt. In diesem Zusammenhang gibt es die Geschichte von Bali
Mahārāja, einem mächtigen König, der viele Planeten des Univer-
sums eroberte. Als Bali Mahārāja, der König der Dāmonen, auch die
himmlischen Planeten unterwarf, wandten sich deren Bewohner an
den Höchsten Herrn und flehten Ihn an, Er möge sie retten. Als Sri
Krsna ihre Gebete hörte, nahm Er die Gestalt eines jungen Zwerg-
brāhmana an und begab Sich zu Bali Mahārāja. „Mein lieber König",
sprach der brāhmana-Knabe, „Ich habe eine Bitte an dich. Du bist ein
großer Monarch, und du bist berühmt dafür, daß du den brāhmanas
immer Spenden gibst. Darf Ich dich um etwas bitten?" Bali Mahā-
rāja antwortete: „Ich gebe Dir alles, was Du willst." „Dann gib mir
einfach soviel Land, wie Ich mit drei Schritten abmessen kann", bat
der Knabe. „Oh, das ist alles?" staunte der König. „Und was willst
Du mit einem solch kleinen Stück Land tun?" Der kleine Knabe
lächelte und sagte: „Auch wenn es klein ist, werde Ich Mich damit
begnügen."
Bali Mahārāja willigte ein, worauf der Zwerg-Knabe anwuchs und
mit zwei Schritten das gesamte Universum durchmaß. Dann fragte
Er Bali Mahārāja, wohin Er Seinen dritten Schritt setzen könne, und
Bali Mahārāja, der erkannte, daß ihm der Höchste Herr eine große
Gunst erwies, entgegnete: „Mein lieber Herr, ich habe nun alles ver-
loren. Ich besitze nichts mehr außer meinem Kopf. Bitte setze gü-
tigerweise Deinen Fuß dorthin." Der Höchste Herr, Sri Krsna, war
288 Die Vollkommenheit des Yoga

durch Bali Mahārājas Haltung sehr erfreut und stellte ihm einen
Wunsch frei. Aber Bali Mahārāja sprach: „Ich erwartete nie eine Be-
lohnung von Dir. Ich wußte nur, daß Du etwas von mir wolltest,
und nun habe ich Dir alles gegeben." „Aber Ich möchte dir etwas
geben", erwiderte der Herr. „Ich werde immer als Bote und Diener
an deinem Hof bleiben."
Auf diese Weise wurde Krsna Bali Mahārājas Torwächter, und das
war die Belohnung, die Er ihm gab. Wenn wir also Krsna etwas ge-
ben, werden wir es millionenfach zurückbekommen; aber wir soll-
ten dies nicht erwarten. Der Herr ist immer bestrebt, den Dienst Sei-
nes Dieners zu erwidern. Jeder, der erkannt hat, daß Dienst für den
Herrn seine wahre Pflicht ist, besitzt vollkommenes Wissen und hat
die Vollkommenheit des yoga erreicht.
8. KAPITEL

Die Vollkommenheit
des Yoga
Auf dem Pfad zur Vollkommenheit des yoga ist es ein großer Segen,
wenn man in einer Familie von yogis oder Gottgeweihten geboren
wird, denn dies stellt einen besonderen Ansporn für spirituellen
Fortschritt dar.

prayatnād yatamānas tu
yogi samsuddha-kilbisah
aneka-janma-samsiddhas
tato yāti parām gatim

„Wenn sich der yogi ernsthaft bemüht, weiteren Fortschritt zu ma-


chen, und von allen Verunreinigungen reingewaschen wird, erlangt
er nach vielen, vielen Geburten der Vorbereitung die Vollkommen-
heit und erreicht das höchste Ziel." (Bg. 6.45)
Wenn man letztlich von allen Verunreinigungen frei geworden
ist, erreicht man die höchste Vollkommenheit des yoga-Systems -
Krsna-Bewußtsein. In Krsna vertieft zu sein ist die Stufe der Voll-
kommenheit, wie Krsna persönlich bestätigt:

bahünām janmanām ante


jnānavān mām prapadyate
vāsudevah sarvam iti
sa mahātmā sudurlabhah

„Wer nach vielen Geburten und Toden tatsächlich im Wissen ver-


ankert ist, ergibt sich Mir, da er weiß, daß Ich die Ursache aller Ur-
sachen und daß Ich alles bin. Solch eine große Seele ist sehr selten."
(Bg. 7.19)

289
290 Die Vollkommenheit des Yoga

Mit anderen Worten, wer nach vielen Leben der frommen Betäti-
gung von allen Verunreinigungen, die aus illusorischen Dualitäten
entstehen, befreit ist, wendet sich dem transzendentalen Dienst des
Herrn zu. Sri Krsna beendet Seine Ausführungen über dieses Thema
wie folgt:

yoginām api sarvesām


mad-gatenāntarātmanā
sraddhāvān bhajate yo mām
sa me yuktatamo matah

„Und von allen yogis ist derjenige, der großen Glauben besitzt und
immer in Mir weilt, immer an Mich denkt und Mir transzendentalen
liebevollen Dienst darbringt, am engsten mit Mir im yoga vereint,
und er ist der höchste von allen." (Bg. 6.47)
Aus diesen Worten geht hervor, daß alle Formen von yoga im
bhakti-yoga, dem hingebungsvollen Dienst für Krsna, gipfeln. Alle
anderen in der Bhagavad-gitā beschriebenen Formen des yoga mün-
den in den hingebungsvollen Dienst, denn Krsna ist das Ziel al-
ler yoga-Systeme. Von der Anfangsstufe des karma-yoga bis hin zum
Ziel des bhakti-yoga erstreckt sich ein langer Weg der Selbstverwirk-
lichung. Karma-yoga, das heißt Handeln ohne Erwartung frucht-
bringender Ergebnisse, stellt den Anfang dieses Weges dar. Wenn
karma-yoga an Wissen und Entsagung zunimmt, erreicht man die
Stufe des jnāna-yoga, des yoga des Wissens; wenn jnāna-yoga zu Me-
ditation über die Überseele wird, bei der man verschiedene phy-
sische Übungen ausführt und den Geist auf die Überseele rich-
tet, wird dies astānga-yoga genannt; und wenn man die Stufe des
astānga-yoga hinter sich läßt und zur Verehrung der Höchsten Per-
sönlichkeit Gottes, Krsna, kommt, nennt man dies bhakti-yoga, die
höchste Stufe. Bhakti-yoga ist das höchste Ziel, aber um bhakti-yoga
genau zu verstehen, muß man auch die anderen Vorgānge verste-
hen. Der yogi, der kontinuierlich vorwärtsschreitet, befindet sich auf
dem Pfad zu wahrem, ewigem Glück. Wenn jemand aber auf einer
bestimmten Stufe stehenbleibt und keinen weiteren Fortschritt mehr
macht, bezeichnet man ihn dementsprechend als karma-yogi, jnāna-
yogi, dhyāna-yogi, rāja-yogi, hatha-yogi usw. Wer aber so sehr vom
Die Vollkommenheit des Yoga 291

Glück begünstigt ist, daß er bis zur Stufe des bhakti-yoga, des Krsna-
Bewußtseins, gelangt, hat alle anderen yoga-Systeme hinter sich ge-
lassen.
Krsna-Bewußtsein ist das letzte Glied in der Kette des yoga, jenes
Glied, das uns mit der Höchsten Person, Sri Krsna, verbindet. Ohne
dieses letzte Glied ist die gesamte Kette praktisch wertlos. Wenn wir
aufrichtig an der Vollkommenheit des yoga interessiert sind, soll-
ten wir uns deshalb sogleich dem Krsna-Bewußtsein zuwenden, in-
dem wir Hare Krsna chanten, die Bhagavad-gitā studieren und Krsna
durch die Gesellschaft für Krsna-Bewußtsein Dienst darbringen. Auf
diese Weise übertreffen wir alle anderen Systeme und erreichen das
höchste Ziel aller Formen von yoga: Liebe zu Krsna.
Anhang
Der Autor

His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda wurde im Jahre 1896 in
Kalkutta geboren, wo er im Jahre 1922 zum ersten Mal seinem spirituellen Meister,
Srila Bhaktisiddhanta Sarasvati Gosvāmi, begegnete. Bhaktisiddhanta Sarasvati, ein
bekannter Gelehrter und Gottgeweihter sowie der Gründer von vierundsechzig Tem-
peln in ganz Indien, fand Gefallen an dem gebildeten jungen Mann, und bereits bei
ihrer ersten Begegnung bat er ihn, das vedische Wissen in englischer Sprache zu ver-
breiten. Srila Prabhupāda wurde sein Schüler, und elf Jahre später (1933) empfing er
in Allahabad die formelle Einweihung.
In den darauffolgenden Jahren verfaßte Srila Prabhupāda, gemäß der Anweisung
seines spirituellen Meisters, viele Artikel über die Philosophie des Krsna-Bewußt-
seins; darüber hinaus unterstützte er Bhaktisiddhāntas Gaudiya-Matha-Bewegung
in ihrer Arbeit. Im Jahre 1944 begann er ein halbmonatliches Magazin in englischer
Sprache mit dem Titel „Back To Godhead" herauszugeben, das er ohne fremde Hilfe
verfaßte, produzierte, finanzierte und verteilte. Dieses Magazin wird heute von Srila
Prabhupādas Schülern weitergeführt und in vielen Sprachen veröffentlicht.
1950, im Alter von vierundfünfzig Jahren, zog sich Srila Prabhupāda aus dem
Familienleben zurück, um seinen Studien und seiner Schreibtätigkeit mehr Zeit wid-
men zu können. Er begab sich nach Vrndāvana, dem berühmten heiligen Ort, an dem
Krsna vor fünftausend Jahren erschienen war. Er fand im mittelalterlichen Rādhā-
Dāmodara-Tempel Unterkunft, wo er in bescheidensten Verhältnissen lebte und sich
mehrere Jahre in eingehende Studien vertiefte. 1959 trat er in den Lebensstand der
Entsagung (sannyāsa). Im Rādhā-Dāmodara-Tempel begann Srila Prabhupāda mit der
Arbeit an seinem Lebenswerk - einer vielbändigen kommentierten Übersetzung des
achtzehntausend Verse umfassenden Srimad-Bhāgavatam.
Als besitzlosem sannyāsi fiel es Srila Prabhupāda sehr schwer, die notwendigen
Mittel für seine Publikationen aufzutreiben. Trotzdem gelang es ihm bis 1965, mit
Hilfe von Spenden den Ersten Canto des Srimad-Bhāgavatam in drei Bänden zu ver-
öffentlichen. Im Herbst des Jahres 1965 reiste Srila Prabhupāda an Bord des Fracht-
dampfers Jaladuta in die Vereinigten Staaten, um die Mission seines spirituellen Mei-
sters zu erfüllen. Als Srila Prabhupāda mit dem Schiff im Hafen von New York
ankam, war er allein und so gut wie mittellos. Im Juli 1966, nach einem Jahr vol-
ler Prüfungen und Schwierigkeiten, gründete er die Internationale Gesellschaft für
Krischna-Bewußtsein (ISKCON), die sich unter seiner persönlichen Führung innerhalb
eines Jahrzehnts von einem kleinen Krsna-Tempel in New York zu einer weltweiten
Bewegung entwickelte.
Im Jahre 1968 gründete Srila Prabhupāda in Amerika die erste spirituelle Farm-
gemeinschaft, nach deren Vorbild in der Folge auf allen fünf Kontinenten ähnliche

295
296 Anhang

Projekte entstanden. Er führte in vielen westlichen Städten das traditionelle Ratha-


yātrā-Wagenfest ein, und im Jahre 1972 gründete er die erste gurukula-Schule in der
westlichen Welt.
Auch in Indien rief Srila Prabhupāda viele Projekte ins Leben, wie zum Beispiel den
eindrucksvollen Krsna-Balarāma-Tempel in Vrndāvana, das Kultur- und Kongreßzen-
trum mit Tempel und internationalem Gästehaus in Bombay und das ISKCON-Welt-
zentrum in Sridhāma Māyāpur (Westbengalen), wo der Bau einer Stadt nach vedi-
schem Vorbild geplant ist.
Neben all seinen Tätigkeiten sah Srila Prabhupāda seine Hauptaufgabe jedoch
immer in der Buchveröffentlichung, und so gründete er 1972 den Bhaktivedanta
Book Trust (BBT), der heute der größte Verlag für die religiöse und philosophische
Literatur Indiens ist.
Bis zu seinem Verscheiden am 14. November 1977 in Vrndāvana war Srila Prabhu-
pāda, trotz seines fortgeschrittenen Alters, auf seinen Vorlesungsreisen vierzehnmal
um die Welt gereist. Ungeachtet dieses straffen Zeitplans entstanden fortlaufend neue
Bücher - insgesamt über 70 Bānde -, die heute in über fünfzig Sprachen übersetzt
werden.
Glossar
Acārya: „jemand, der durch sein eigenes Beispiel lehrt"; Titel eines echten spirituel-
len Meisters.
Adharma: „Irreligiosität" (Gegenteil von dharma); das Nichtbefolgen der Gebote der
heiligen Schriften.
Ahankāra: „Falsches Ego"; feinstoffliches materielles Element, das die fälschliche
Identifikation der Seele mit ihrem Körper verursacht.
ānanda: spirituelle Glückseligkeit.
Aparadha: „Vergehen"; das übertreten bzw. Nichtbefolgen von Vorschriften in bezug
auf das Chanten der heiligen Namen, den Umgang mit Gottgeweihten usw.
Arcā-vigraha: die transzendentale Bildgestalt Krsnas, die auf dem Altar verehrt wird.
Arjuna: großer ksatriya und Gottgeweihter, zu dem Krsna die Bhagavad-gitā sprach.
Asrama: Bezeichnung für die (vier) spirituellen Lebensstufen im varnāsrama-Gesell-
schaftssystem: brahmacarya (Lebensstand des zölibatären Studenten, der unter
der Anleitung eines spirituellen Meisters die vedischen Schriften studiert);
grhastha (Lebensstand der Ehe im Einklang mit den vedischen Regeln); vāna-
prastha (Zurückgezogenheit vom Familienleben); sannyāsa (Lebensstand der
Entsagung).
Astānga-yoga: der „achtstufige Pfad" des mystischen yoga, beginnend mit der Be-
herrschung der Sinne und des Geistes durch Sitz-, Atem- und Meditations-
übungen, bis hin zu vollständiger Versenkung (samādhi) und zur Erkenntnis
des Paramātmā.
Asura: „Dämon"; (1) Feind der Halbgötter und Gottgeweihten; (2) atheistischer
Mensch, der sich bewußt der Oberhoheit Gottes widersetzt.
Atmā: „Selbst"; (1) das wahre Selbst, die individuelle spirituelle Seele, die im Kreis-
lauf von Geburt und Tod durch verschiedenste Körper wandert und nach der
Befreiung in die spirituelle Welt zurückkehrt. ātmā kann sich je nach Kontext
auch auf das falsche Selbst beziehen: (2) Geist; (3) Körper.
Avatāra: „jemand, der herabsteigt"; eine Inkarnation Gottes, die in der materiellen
Welt erscheint.
Balarāma: Siehe: Rāma (2).
Bhagavān: „Besitzer aller Füllen"; Gott in Seinem höchsten Aspekt als transzendente
Person; höchste Stufe der Gotteserkenntnis nach Brahman und Paramātmā; Na-
me Krsnas in Seinem Aspekt als das vollkommene Behältnis aller Schönheit,
aller Kraft, allen Ruhms, allen Reichtums, allen Wissens und aller Entsagung.
Bhagavad-gitā: „der Gesang Gottes"; die auf dem Schlachtfeld von Kuruksetra offen-
barten Lehren Krsnas, des Höchsten Herrn; die zentrale, zusammenfassende
Schrift der Veden; enthālt die Essenz der vedischen Gottesoffenbarung.
Bhakta: Gottgeweihter.

297
298 Anhang

Bhakti: Liebe und Hingabe zur Höchsten Persönlichkeit Gottes.


Bhakti-yoga: der Vorgang der Verbindung mit der Höchsten Persönlichkeit Gottes
durch hingebungsvollen Dienst, um das ursprüngliche Krsna-Bewußtsein der
spirituellen Seele wiederzuerwecken; wird in den vedischen Schriften, insbe-
sondere in der Bhagavad-gitā und im Srimad-Bhāgavatam, als die höchste Form
des yoga gelehrt.
Bhaktisiddhānta Sarasvati (1874-1937): der hervorragendste Gelehrte und ācārya sei-
ner Zeit; Gründer der Gaudiya-Matha-Bewegung mit 64 Tempeln in ganz In-
dien; Verfasser zahlreicher Vaisnava-Schriften; spiritueller Meister von His
Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda.
Bhaktivinoda Thākura: (1838-1914) großer ācārya der Vaisnava-Schülernachfolge.
Bildgestalt. Siehe: Arcā-vigraha.
Brahma: das erste erschaffene Wesen im Universum; ist als Halbgott für die interne
Schöpfung des Universums zuständig.
Brahmacāri: Student im Zölibat. Siehe auch: Asrama.
Brahmajyoti: die spirituelle Ausstrahlung, die von Krsnas transzendentalem Körper
ausgeht; der spirituelle Himmel, in dem die Vaikuntha-Planeten schweben.
Brahman: „die Transzendenz"; (1) das brahmajyoti, der unpersönliche Aspekt der Ab-
soluten Wahrheit in Form Ihrer alldurchdringenden Ausstrahlung, erste Stufe
der Erkenntnis der Absoluten Wahrheit; (2) allg. für: die Absolute Wahrheit,
die spirituelle Natur.
Brāhmana. Siehe: Varna.
Brahma-samhitā: eine sehr alte Sanskritschrift mit Brahmas Gebeten an Govinda
(Krsna).
Buddha: (560-480 v. Chr.) Inkarnation Krsnas; lehrte (Selbst-)erlösung von materiellem
Leid durch Versenkung und Askese, verbreitete die Philosophie der Leere und
lehnte die Autorität der Veden ab, um die damals im Namen der Veden durch-
geführten Tieropfer abzuschaffen.
Buddhi: „Intelligenz"; eines der drei feinstofflichen Elemente.
Caitanya-caritāmrta: die Beschreibung des Lebens und der Lehren Sri Caitanyas
Mahāprabhus, in drei Teilen (Adi-, Madhya-, Antya-lilā); verfaßt im 16. Jh. von
Krsnadāsa Kavirāja Gosvāmi.
Caitanya Mahāprabhu: (1486-1534) Krsna in der Rolle eines Gottgeweihten; erschien
in Navadvipa, Bengalen, um das gemeinsame Chanten des Hare-Krsna-mantra
(sarikirtana) als den Vorgang der Gotteserkenntnis im Zeitalter des Kali einzu-
führen; löste eine spirituelle Renaissance der Krsna-bhakti in ganz Indien aus;
bekämpfte die religiöse Intoleranz der moslemischen Machthaber und der hin-
duistischen Kastenbrahmanen; predigte bhakti als Essenz aller Religionen.
Chanten: (von engl, to chant - rezitieren, singen) (1) allg.: Singen oder meditatives Be-
ten von mantras zur Verehrung Gottes oder der Halbgötter; (2) das Chanten der
heiligen Namen Gottes, insbesondere des Hare-Krsna-mantra, als der grund-
legende Vorgang im bhakti-yoga; ist die empfohlene Meditationsmethode für
das gegenwärtige Zeitalter, weil es nicht mit komplizierten Regeln verbunden
ist und deshalb allen Menschen offensteht; stellt eine direkte Verbindung mit
Gott her, da die Namen Gottes nicht von Gott verschieden sind. Es gibt zwei
traditionelle Arten des Chantens von Hare Krsna: die individuelle Meditation
(japa) in Form des rezitativen Betens auf einer Gebetskette (siehe auch: Japa) und
Glossar 299

das gemeinsame Singen (kirtana) in Form eines Wechselgesanges, meist in Be-


gleitung von Rhythmusinstrumenten.
Dämon. Siehe: Asura.
Deva: (1) Halbgott; (2) Gottgeweihter; Mensch mit göttlichen Eigenschaften.
Dharma: (1) religiöse Prinzipien gemäß den offenbarten Schriften; (2) wesensgemäße
Pflicht und Eigenschaft der spirituellen Seele als ewiger Diener Gottes.
Dharmarāja: Halbgott und Verkörperung des dharma; anderer Name für Yamarāja.
Dhyāna-yoga: Vorgang der mystischen Meditation über die Überseele; die 7. Stufe
im astānga-yoga.
Falsches Ego. Siehe: Ahahkāra.
Feinstofflicher Körper: der dem gewöhnlichen Auge unsichtbare Körper aus den
drei feinstofflichen Elementen (Geist, Intelligenz und falsches Ego), der den
Tod des physischen Körpers überlebt und mit der Seele in einen neuen Kör-
per eingeht. Sitz aller Wünsche und Gefühle sowie des Gedächtnisses.
Fruchtbringende Handlungen. Siehe: Karma (1).
Geist: feinstoffliches materielles Element, in dem Denken, Fühlen und Wollen statt-
finden; Sammelbecken aller Sinneseindrücke.
Goloka: das persönliche Reich Krsnas in der spirituellen Welt.
Gopis: die Kuhhirtenmādchen von Vrndāvana, die sich auf der höchsten Stufe der
vollkommenen, reinen Liebe zu Krsna befinden.
Govinda: (go — Kuh, Sinnesorgan, Land; vinda — Quell der Freude) „derjenige, der
den Kühen, den Sinnen und dem Land Freude spendet"; ein Name Krsnas.
Gosvāmi: „jemand, der seine Sinne zu beherrschen vermag"; (1) Titel eines sannyāsi;
(2) die sechs Gosvāmis von Vrndāvana: die wichtigsten Nachfolger Caitanyas.
Grhastha: vedischer „Haushälter"; verheirateter Mann, der den vedischen Prinzipien
des Familienlebens folgt. Siehe: Asrama.
Guna: „Seil, Strick"; die drei Erscheinungsweisen (Eigenschaften) der materiellen Na-
tur, die das Bewußtsein und die Handlungsweise aller Lebewesen beeinflussen.
(Siehe: sattva-, rajo- und tamo-guna)
Guru: „Lehrer"; Lehrmeister in der vedischen Kultur, insbesondere der spirituelle
Meister, der seinen Schüler im spirituellen Leben führt.
Hare-Krsna-mantra: Siehe: Mahā-mantra.
Hari: „derjenige, der alles wegnimmt"; Name der Höchsten Persönlichkeit Gottes.
Haridāsa Thākura: großer Gottgeweihter und enger Gefährte Sri Caitanyas; gilt als
das maßgebende Vorbild im Chanten des Hare-Krsna-mantra.
Hatha-yoga: System körperlicher und atemtechnischer Übungen, um die Sinne zu
beherrschen; Anfangsstufe des astānga-yoga.
Indra: großer Halbgott; König der himmlischen Planeten.
ISKCON: Abk. für International Society for Krishna Consciousness; gegründet 1966 in
New York von His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda.
Jiva: „der Lebensfunke"; die ewige individuelle Seele, das wahre Selbst.
Jnāna: „Wissen", insbesondere spirituelles Wissen.
Jnāni: jemand, der sich mittels (1) philosophischer Spekulation, (2) monistischer Phi-
losophie oder (3) jhāna-yoga bemüht, Wissen über die Absolute Wahrheit zu
erlangen.
Jnāna-yoga: der Pfad der spirituellen Verwirklichung durch Studium der vedischen
Schriften und durch philosophische Suche nach der Wahrheit.
300 Anhang

Jnāna-yogi: Siehe: Jnāni (3).


Kali: Form von Durgā; verkörpert den vernichtenden Aspekt der materiellen Energie.
Kali-yuga: das „Zeitalter des Streites und der Heuchelei" (auch „Eisernes Zeitalter"
genannt), in dem sich die Menschheit gegenwärtig befindet; begann nach ve-
discher Zeitrechnung vor rund 5000 Jahren. Siehe auch: Yuga.
Kāma: „Lust, Begehren"; die materielle, verzerrte Widerspiegelung der ursprüng-
lichen Liebe zu Gott.
Karma: „Handlung"; (1) fruchtbringende Handlung, die eine gute oder schlechte
(„sündhafte") Reaktion nach sich zieht und den Handelnden an den Kreis-
lauf von Geburt und Tod bindet; (2) Gesetz des karma: Gesetz von Aktion und
Reaktion, dem alle karma-Handlungen unterstehen und das entscheidet, wel-
chen Körper die Seele (ātmā) im nächsten Leben annimmt.
Karma-yoga: Pfad der Gotteserkenntnis, auf dem man die Früchte seines Handelns
Gott darbringt.
Karmi: jemand, der aus materiellen Motiven fruchtbringende Handlungen ausführt
und die Früchte seiner Arbeit selbst genießen möchte.
Kirtana: das Chanten oder Singen der Namen Gottes. Siehe auch: Chanten (2).
Krsna: Gott, „der Allanziehende"; der persönliche Name Gottes, wie Er in den Veden
offenbart wird.
Krsna-Bewußtsein: „Gottesbewußtsein"; das reine, ursprüngliche Bewußtsein der
spirituellen Seele in ihrer wesensgemäßen Stellung als ewiger Diener Krsnas.
Siehe auch: Bhakti-yoga.
Kuruksetra: eine heilige Stätte ca. 60 Kilometer nördlich von Hastināpura, dem heu-
tigen Delhi; vor 5000 Jahren fand dort die große Mahābhārata-Schlacht statt,
vor deren Beginn Krsna die Bhagavad-gitā offenbarte.
Lila: „transzendentales Spiel"; Tat der Höchsten Persönlichkeit Gottes.
Laksmi: die „Glücksgöttin"; die ewige Gemahlin Visnus (Nārāyanas).
Mahābhārata: „die Geschichte des Königreichs von Bhārata-varsa [Indien]"; mit über
110 000 Doppelversen das längste Epos der Weltliteratur; enthālt als zentrale
Passage die Bhagavad-gitā.
Mahā-mantra: der „große mantra", bestehend aus den Sanskritnamen Gottes; ist die
persönliche Klanginkarnation Krsnas; von den Veden überliefert und von Sri
Caitanya Mahāprabhu als wirkungsvollste spirituelle Klangschwingung of-
fenbart: Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare / Hare Rāma, Hare
Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.
Mahātmā: „große Seele"; großer Gottgeweihter.
Mahājana: „große Autorität"; maßgebendes Vorbild auf dem Pfad des bhakti-yoga;
insgesamt zwölf. (Siehe SB. 6.3.20-21)
Marigala-ārati: Morgenzeremonie im Tempel zur Verehrung Krsnas.
Mantra: (mana — Geist, tra — befreien) (1) allg.: heilige Wortformel oder Gebet, das
sich an einen Halbgott oder direkt an Gott richtet; (2) transzendentale Klang-
schwingung, um den Geist von materiellen Unreinheiten zu befreien und auf
Gott zu richten. Siehe auch: Chanten.
Maya: die niedere, illusionierende Energie Gottes, die die materielle Welt beherrscht
und bewirkt, daß die bedingten Seelen Krsna vergessen; das Vergessen der
Beziehung zu Krsna.
Māyāvāda: „die Lehre, daß alles māyā (Illusion) ist"; atheistische, monistische Inter-
pretation der vedischen Schriften; gründet auf der Vedānta-Philosophie nach
Glossar 301

Sankara; bezeichnet unter dem Leitsatz „alles ist eins" die Existenz eines per-
sönlichen Gottes und die Individualität der Seele als Illusion; lehrt, Gott sei
formlos und unpersönlich, weshalb das Ziel von Meditation darin bestehe, die
eigene individuelle Existenz aufzulösen und mit dem Höchsten (Brahman) eins
zu werden.
Māyāvādi: Anhänger der Māyāvāda-Philosophie.
Mukti: Befreiung von der materiellen Fessel.
Nāma-aparādha: Vergehen gegen den heiligen Nameh.
Nārada Muni: großer Gottgeweihter, spiritueller Meister und einer der mahājanas.
Nārāyana: die Höchste Persönlichkeit Gottes; Krsna in Seiner Erweiterung auf den
spirituellen Vaikuntha-Planeten.
Nirvāna: „Auflösung"; (1) nach Bhagavad-gitā: Befreiung aus der materiellen Welt
und Rückkehr der Seele in die spirituelle Welt; (2) nach buddhistischer Inter-
pretation: die Auflösung des Körpers bzw. Auflösung der Seele im Nichts als
Beendigung der persönlichen, individuellen Existenz.
Nityānanda Prabhu: ewiger Gefährte Sri Caitanyas; Verkörperung von Gottes Barm-
herzigkeit.
Om (Omkāra): (1) die heilige Silbe der Veden, die als Hinweis auf die Absolute Wahr-
heit ausgesprochen wird; (2) die unpersönliche Klangrepräsentation der Ab-
soluten Wahrheit.
Paramātmā: die „Überseele"; die in der materiellen Welt allgegenwärtige Form Got-
tes, die Sich im Herzen aller Lebewesen und in allen Atomen befindet; beglei-
tet die Lebewesen als Zeuge ihrer Handlungen durch alle Lebensformen und
ist somit der entscheidende Faktor für das Funktionieren des karma-Gesetzes;
die zweite Stufe der Erkenntnis der Absoluten Wahrheit.
Paramparā: „Schülernachfolge"; die Kette der spirituellen Meister.
Pariksit: Enkel Arjunas; Weltherrscher nach Mahārāja Yudhisthiras Rücktritt; hörte
wāhrend der letzten sieben Tage seines Lebens das Srimad-Bhāgavatam von
Sukadeva Gosvāmi.
Prabhupāda, A.C. Bhaktivedanta Swami: (1896-1977) herausragender spiritueller
Meister (ācārya) der Brahmā-Madhva-Gaudiya-Vaisnava-Schülernachfolge, die
bis zu Krsna zurückreicht; bedeutendster Sanskritübersetzer der Neuzeit; grün-
dete im Jahr 1966 die International Society for Krishna Consciousness. Siehe auch:
Der Autor, S. 295
Prakrti: „Energie"; (1) im Gegensatz zu Gott, dem Energieursprung; (2) parā-prakrti:
die höhere, spirituelle Energie; (3) aparā-prakrti: die niedere, materielle Energie.
Prasādam: „Barmherzigkeit"; vegetarische Speise, die Krsna geweiht ist.
Prāyascitta: „Buße"; rituelle Sühnehandlung zur Aufhebung von Reaktionen auf Sün-
den, die man begangen hat.
Prema: reine Liebe zu Gott; die höchste Stufe des hingebungsvollen Dienstes.
Purāna: die achtzehn Ergänzungsschriften zu den Veden, mit historischen Aufzeich-
nungen und philosophischen Erläuterungen.
Rādhārāni: Krsnas ewige Gefährtin und Haupt-gopi in Vrndāvana; Sie verkörpert die
innere Freudenkraft Krsnas und ist Seine höchste Geweihte.
Raghunātha dāsa Gosvāmi: (1495-1571) einer der sechs Gosvāmis von Vrndāvana.
Rajo-guna: die Erscheinungsweise der Leidenschaft.
Rāma: (1) Name Krsnas mit der Bedeutung „die Quelle aller Freude"; (2) Krsnas Bru-
der Balarāma; (3) Rāmacandra, der avatāra Krsnas als vollkommener König.
302 Anhang

Rāsa-lilā: Krsnas transzendentaler rāsa-Tanz mit den gopis im Wald von Vrndāvana.
Rsabhadeva: Inkarnation Krsnas und heiliger König; wird im Fünften Canto des
SrTmad-Bhāgavatam beschrieben.
Rsi: „Weiser"; Titel der großen Weisen und Gottgeweihten der vedischen Zeit.
Rūpa Gosvāmi: (1489-1564) einer der sechs Gosvāmis; großer Heiliger Indiens; einer
der direkten Schüler und Nachfolger von Caitanya Mahāprabhu.
Sac-cid-ānanda: „ewig, voller Wissen, voller Glückseligkeit"; Eigenschaft Krsnas und
Seiner höheren Energie.
Sādhu: „Heiliger", Gottgeweihter.
Sahajiyā: jemand, der die Symptome großer Gottgeweihter nachahmt, ohne von ma-
terieller Verunreinigung (Lust, Streben nach Ansehen, Reichtum usw.) frei zu
sein.
Samsāra: „der Kreislauf von Geburt und Tod".
Sanātana Gosvāmi: (1488-1588) Bruder von Rūpa Gosvāmi; einer der direkten Nach-
folger und Schüler Sri Caitanyas.
Sankarācārya: einflußreicher Philosoph der indischen Geistesgeschichte im 8./9. Jahr-
hundert; verkündete die Māyāvāda-Philosophie.
Sankirtana: „gemeinsames Chanten der heiligen Namen des Herrn"; der im Kali-
yuga empfohlene Vorgang der Selbstverwirklichung; wurde von Sri Caitanya
Mahāprabhu eingeführt.
Sannyāsi: Mönch im Lebensstand des sannyāsa (Siehe: āsrama).
Sanskrit: die Sprache der Veden; die älteste Schriftsprache der Welt und Muttersprache
vieler moderner Sprachen.
Sārūpya: eine Form der Befreiung, bei der man eine spirituelle Gestalt annimmt, die
der Gestalt Gottes gleicht.
Sāstra: offenbarte, heilige Schrift.
Sattva-guna: die Erscheinungsweise der Tugend.
Seele. Siehe: ātmā (1); Jiva.
Spirituelle Welt. Siehe: Vaikuntha.
Siva: „der Glückspendende"; mächtiger Halbgott und Gottgeweihter; ist für die Zer-
störung des Universums zuständig.
Sridhara Svāmi: (1429-1529) großer Gottgeweihter; Verfasser des ersten autorisierten
Kommentars zum Srimad-Bhāgavatam.
Srimad-Bhāgavatam (auch Bhāgavata Purāna): das bedeutendste der achtzehn Purā-
nas; der 18 000 Verse umfassende Kommentar Vyāsadevas zu seinem Vedānta-
sütra; beschreibt in zwölf Cantos die Taten und die Lehren der wichtigsten
Gottgeweihten und Inkarnationen Gottes; der Zehnte Canto beschreibt das Er-
scheinen und die Taten Krsnas, der Höchsten Persönlichkeit Gottes.
Sündhafte Reaktionen. Siehe: Karma (1).
Sukadeva Gosvāmi: großer Weiser; Sohn Vyāsadevas; trug das Srimad-Bhāgavatam
Pariksit Mahārāja vor.
Svāmi: „Meister"; Titel eines sannyāsi; Siehe auch: Gosvāmi.
Sūdra: Siehe: Varna.
Tamo-guna: die Erscheinungsweise der Unwissenheit.
Tapasya: das Aufsichnehmen von Entsagung, um ein höheres Ziel zu erreichen.
Tulasi: heilige Pflanze, deren Blätter in der Verehrung Krsnas verwendet werden.
Überseele. Siehe: Paramātmā.
Glossar 303

Upanisaden: 108 philosophische Lehrgedichte innerhalb der vier Veden.


Vaikuntha: (vai — ohne; kuntha — Angst) die spirituelle Welt, wo es keine Angst gibt.
Vaisnava: ein Geweihter Krsnas oder Visnus, der Höchsten Persönlichkeit Gottes.
Varna: Unterteilung der vedischen Gesellschaft entsprechend den Eigenschaften und
Tätigkeiten der Menschen: brāhmanas (Lehrer und Priester, die der Gesellschaft
unentgeltlich spirituelle Führung geben); ksatriyas (unter den brāhmanas tätige
Verwalter und Beschützer der Gesellschaft); vaisyas (die gewerbetreibende und
landwirtschaftliche Berufsklasse) und sūdras (die Berufsklasse der Arbeiter und
Handwerker, die im Dienst der anderen drei varnas stehen).
Varnāsrama-dharma: das vedische Gesellschaftssystem der vier sozialen und vier spi-
rituellen Klassen. Siehe auch: Varna; Asrama.
Vāsudeva: „der Sohn Vasudevas" oder „der Allgegenwärtige"; Name Krsnas oder
einer Seiner Erweiterungen.
Vedānta-sūtra: von Srila Vyasadeva verfaßtes theologisch-philosophisches Werk, das
die Schlußfolgerungen der Veden in Aphorismen zusammenfaßt.
Veden: (von veda: Wissen) (1) die vier ursprünglichen vedischen Schriften (Yajur, Rg,
Atharva, Santa); (2) Sammelbegriff für die authentischen heiligen Weisheits-
schriften der altindischen Hochkultur.
Vergehen: Siehe: Aparādha.
Visnu: „der Alldurchdringende"; vierarmige Erweiterung Krsnas zur Schöpfung und
Erhaltung der materiellen Welt.
Visnudütas: die Sendboten Visnus, die die Gottgeweihten beschützen; sind als spiri-
tuelle Persönlichkeiten für materielle Augen unsichtbar.
Visvanātha Cakravarti Thākura: herausragender Philosoph und spiritueller Mei-
ster des 17./18. Jahrhunderts; verfaßte maßgebliche Kommentare zum Srimad-
Bhāgavatam.
Vrndāvana: (1) das Reich Sri Krsnas in der spirituellen Welt; (2) Gokula Vrndāvana:
die „Stadt der fünftausend Tempel" in der Nāhe von Mathurā im Staat Uttar
Pradesh (Indien), wo Krsna vor 5000 Jahren erschien.
Vyasadeva: die literarische Inkarnation Gottes; legte das bis vor 5000 Jahren mündlich
überlieferte vedische Wissen in Form der vier Veden nieder und verfaßte das
Vedānta-sütra, das Mahābhārata und die Purānas.
Yajna: Opfer.
Yamarāja: auch Dharmarāja genannt; großer Gottgeweihter und einer der mahājanas;
fungiert als Halbgott des Todes, vor den die sündhaften Menschen nach ihrem
Tode im feinstofflichen Körper gebracht werden, und bestimmt über deren Be-
strafung.
Yamadūtas: die Diener Yamarājas; bringen die Seelen sündiger Menschen in der fein-
stofflichen Dimension nach Yamaloka, dem Reich Yamarājas.
Yoga: „Verbindung"; Pfad zur Verbindung mit dem Höchsten. (Siehe auch: Bhakti-,
Jnāna-, Karma- und Astānga-yoga)
Yogi: Transzendentalist, der eine Verbindung mit dem Höchsten einzugehen sucht.
Yudhisthira Mahārāja: heiliger König und Weltherrscher nach der Schlacht von Ku-
ruksetra; der Bruder Arjunas.
Yuga: „Zeitalter" im Leben eines Universums, die sich zyklisch wiederholen: Satya-
yuga, Tretā-yuga, Dvāpara-yuga und Kali-yuga.
304
Das Chanten des
Hare-Krsna-Mantra
•••

Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna Krsna, Hare Hare


Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.

Im gegenwārtigen Zeitalter ist die mantra-Meditation, d. h. das Chanten (Beten und


Singen) der heiligen Namen Gottes, der empfohlene Vorgang zur Selbstverwirkli-
chung. Der Hare-Krsna-mahā-mantra besteht aus drei verschiedenen Namen Gottes:
Krsna bedeutet der „Allanziehende", Rāma bedeutet „die Quelle aller Freude", und
Hare bezieht sich auf die innere Energie des Höchsten.
Die Namen Gottes sind nicht verschieden von Gott selbst. Wenn wir Gottes heili-
gen Namen chanten, haben wir daher mit Ihm unmittelbar Gemeinschaft und wer-
den geläutert. Auf diese Weise kann man seine ewige Beziehung zu Krsna wiederer-
wecken und am Ende des Lebens zu Ihm zurückkehren.
Es gibt keine starren Regeln für das Chanten des Hare-Krsna-mantra. Das Schöne
an dieser mantra-Meditation ist es, daß man sie jederzeit und überall ausüben kann:
zu Hause, bei der Arbeit oder unterwegs. Man kann die heiligen Namen halblaut
meditativ für sich chanten (japa) oder gemeinsam mit anderen im Wechselgesang sin-
gen (kirtana).
Den größten spirituellen Fortschritt kann man machen, wenn man regelmäßig
chantet und sich eine bestimmte Zeit am Tag nur für das Chanten reserviert; ideal
sind die frühen Morgenstunden. Dabei sollte man jeden mantra vollständig, deut-
lich und voller Hingabe, wie ein Gebet, aussprechen. Sobald man in Gedanken ab-
schweift, sollte man sich wieder auf den Klang des heiligen Namens konzentrieren.
Je aufmerksamer und inniger man chantet, desto mehr spirituelle Freude wird man
erfahren. Auch die Konzentrationsfähigkeit und Willensstārke werden durch diese
Übung immer mehr zunehmen, wodurch man innere Ruhe und Ausgeglichenheit
findet.
Eine japa-mala (Gebetskette) hilft einem dabei, konzentriert und regelmäßig zu
chanten. Man kann sie in jedem Hare-Krsna-Tempel bestellen oder auch mit etwas
Geschick selbst basteln. Die japa-Kette besteht aus 108 kleinen Holzperlen und einer
größeren Perle, die Krsna symbolisiert. Beim Chanten nimmt man die erste Perle nach
der Krsna-Perle zwischen den Daumen und den Mittelfinger der rechten Hand und
chantet einmal den vollständigen Hare-Krsna-mantra. Auf diese Weise geht man von
Perle zu Perle, bis man auf jeder der 108 Perlen den Hare-Krsna-mantra gesprochen
hat. Wenn man wieder bei der Krsna-Perle angelangt ist, hat man eine Runde gechan-
tet. Um die zweite Runde zu chanten, wechselt man auf der Kette die Richtung, ohne
über die Krsna-Perle hinwegzugehen. Wenn man regelmäßig den Hare-Krsna-mantra
chantet, wird man allmählich immer mehr Geschmack daran finden und von selbst
die Anzahl der Runden erhöhen.

305
Die zeitlose Philosophie der Das Srimad-Bhāgavatam (Bhaga- Das Sri Caitanya-caritāmrta von
Bhagavad-gitā hat im Herzen vata Purāna) wird als die reife Krsnadāsa Kavirāja Gosvāmi
der Menschen, im Osten wie im Frucht am Baum der Veden be- ist die wichtigste Biographie Sri
Westen, schon immer lebhaftes zeichnet und gilt - mit seinen Caitanya Mahāprabhus. Vor
Interesse erweckt. Die Bhagavad- 18 000 Versen in vollendetem fünfhundert Jahren verbreitete
gitā, der „Gesang Gottes", ist die Sanskrit - als das bedeutend- Sri Caitanya in ganz Indien das
Essenz der vedischen Weisheit ste der 18 Purānas. Dank Srila gemeinsame Chanten der
und gehört zu den bedeutend- Prabhupādas wortgetreuer heiligen Namen Gottes (san-
sten Werken der spirituellen übersetzung und seinen ein- kirtana) und löste so eine Re-
und philosophischen Weltlite- fühlsamen Kommentaren kön- naissance der krsna-bhakti aus.
ratur. Große Denker wie Kant, nen wir authentische, leben- Er ist der Begründer einer
Schopenhauer, Einstein und dige Einblicke in die Geschichte, gewaltigen spirituellen Bewe-
Gandhi ließen sich nachhaltig Religion, Kultur und Zivilisa- gung, die das religiöse und phi-
von dieser Schrift inspirieren, die tion des alten Indiens gewinnen. losophische Denken weit über
die wahre Natur des Menschen, Das Srimad-Bhāgavatam ist die Indiens Grenzen hinaus
seine Bestimmung im Kosmos umfassendste und autoritativste beeinflußt hat. Auf der gan-
und seine Beziehung zu Gott Darstellung vedischen Wissens. zen Welt gewinnt Sri Caitanya
offenbart. Arthur Schopenhauer: als großer Heiliger und bahnbre
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